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NEUROLOGISCHES
CENTRALBLATT
ÜBERSICHT
DER
LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATOMIE,
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN-
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN.
BEGRÜNDET von Prof. E. MENDEL.
SECHSUNDZWANZIGSTER JAHRGANG.
MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1907
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Original fro-m
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Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
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Ideologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Hendel
(unter Mithilfe Ton Dr. Kort Mendel)
Seehsnndzw&nsigster " B * rlin ‘ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Za beziehen durch
alle Buchhandlangen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 2. Januar. Nr. 1.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Zar Kenntnis der sogen, angeborenen Muskel-
Schlaffheit, Muskel sch wache (Myohypotonia, Myatonia congenita), von Prof. M. Bernhardt.
2. Ein Fall von genuiner Epilepsie mit darauffolgender Dementia paralytica, von Dr. Pelz.
3. Schweißanomalien bei Rückenmarkskrankheiten, von H. Higier in Warschau.
II. Referate. Anatomie. 1. Einiges vom „Gehirn“ des Amphioxus, von Edinger.
2. The increaee in the number and size of the medullated fibres in oculomotor nerve of
the white rat and of the cat at different ages, by Boughton. — Physiologie. 3. Über
die Beziehungen zwischen dem Gewichte des Gehirns und der körperlichen sowie geistigen
Beschäftigung des Menschen, von Matiegka. 4. Über die Bewegung der Vögel nach Durch-
schneidung hinterer Rückenmarkswurzeln. Ein Beitrag zur Physiologie des Centralnerven-
? ’8tems der Vögel (nach Untersuchungen an Columba domestica), von Trendelenburg. —
athologische Anatomie. 5. Regeneration collatörale de fibres nerveuses terminees par
dee massues de croissance ä Retat pathologique et ä Rötat normal; lösions tabefciques des
meines mödullaires, par Nageotte. 6 . Forms of degenerations in the posterior columns
ofthe spinal cord, by Williamson. — Pathologie des Nervensystems. 7. Ein Beitrag
mr Pathologie der Tabes, von Spielmeyer. 8 . Tabes pendant Revolution duquel apparait
an chancre vraisemblablement syphilitique. Retard dans Involution auatomique des lesions
mädullaires. Nevrites peripberiques intenses en rapport avec une arthropathie du genou,
per Verger et Grenier de Cardenal. 9. Kann die Entwickelung der Tabes oder der Paralyse
durch entsprechende Behandlung der Syphilis verhindert werden? von v. Kdtly. 10. über
inkomplette Formen von Tabes dorsalis (Formes frustes), von Slgerist. 11. Über atypische
Verlaufsformen der Tabes, von Schüller. 12. Einige wenig beschriebene Formen der Tabes
dorsalis, ron Lapinsky. 13. Zur Frühdiagnose der Tabes bei den Weibern, von Brodski.
14. Tabes dorsalis nnd Gravidität, von Thies. 15. Ein Fall von mit Neuritis komplizierter
Tabes, ron FereRCzi. 16. Über Analgesie der Aohillessehne bei Tabes (Abadiesches Sym¬
ptom), ron Racine. 17. Ein forensisch bedeutungsvoller Fall von gastrischen Krisen, von
Obm. 18. Grundsätze der Übungstherapie bei Tabes, von Frenkel. 19. Contribution
* l’ätude de Retiologie de la maladie de Friedreich, par Bouchd. 20. A family in which
wme of the signs of Friedreichs ataxy appeared discretely, by Gardner. 21. Un caso di
malattia di Friedreich interessante per una rarissima parti colarita, per Chiadini. 22. Drei
mit Serum behandelte Fälle von Tetanus traumaticus, von Kentzler. — Psychiatrie. 23. Die
oytologische und chemische Untersuchung des Liquor cerebrospinalis bei Geisteskrankheiten,
insonderheit bei progressiver Paralyse, von Liebscher. 24. La citiodiagnosi nelle diverse
forme mentali. per La Pegna. 25. Die progressive Paralyse, von Neumann. 23. Welche
Bolle spielt die Endogenese in der Ätiologie der progressiven Paralyse? von Dreyfus.
27. Dementia paralytica und Syphilis, von Vorberg. 28. La legende de Rimmunite des
arabes syphilitiques relativement ä la paralysie gdndrale, par Marie. 29. A proposito deila
patogenesi della paralisi progressiva e dello spirochaete pallida Schaudinn-Hoffmann, pel
vatöta. 30. Die Plaut-Wassermann sehen Untersuchungen über syphilitische Antistoffe bei
Paralytikern, von Alt. 31. A propos des rapports du traumatisme et de la paralysie gend-
nde, par Brlssaud et Regle. 82. Lin Fall von progressiver Paralyse im Anschluß an einen
Unfall durch elektrischen Starkstrom, von Adam. 33. Tue p&thology of general paralysis
of the insane, by Robertson. 34. Über einen eigenartigen Markfaserschwund in der Hirn¬
rinde bei Paralyse. Vorläufige Mitteilung von Fischer. 35. Progressive Paralyse? von
Knauer. 86. Frühdiagnose und Behandlung der progressiven Paralyse, von Heiibronner.
37. The early ocular signs of demeutia paralytica, by Holden. 88. Über ein bei gewissen
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VerblödungsprozesseD, namentlich der progressiven Paralyse auftrefcendes, wenig bekannte»
motorisches Phänomen, von Dobrschansky. 39. Un cas de main de pr4dicatenr chez nn
paralytique genöral, par Bouchaud. 40. Arthropathie nerveuse chez un paralytique general
non tabetique, par Etienne et Perrln. 41. Mal perforant et paralysie generale, par Marie
et Pelletier. 42. Le rÄflexe de Babinski dans les ictus 6pileptiformes et apoplectilormes de
la paralysie g4n£rale, par Robert et Fournlal. 43. Laevulosurie und Paralyse, von Jach.
44. Zirkuläre Formen der progressiven Paralyse, von Rybakoff. 45. Zum Verlauf der pro¬
gressiven Paralyse, von Steiner. — Therapie. 46. Elektrotherapie. Die Technik und An¬
wendung elektrischer Apparate in der ärztlichen Praxis, von Heber und Zickel.
III. Aus den Gesellschaften. Ärztlicher Verein in Hamburg.
IV. Vermischtes.
1. Originalmitteilungen.
1. Zur Kenntnis der
sogen, angeborenen Muskelschlaffheit, Muskelschwäche
(Myohypotonia, Myatonia congenita). 1
Von Prof. M. Bernhardt.
Im März 1904 habe ich in der Deutchen Zeitschrift für Nervenheilkunde
(XXVI, S. 78) eine Arbeit veröffentlicht unter dem Titel: Neuropathologische Be¬
trachtungen und Beobachtungen. Ich hoffe, nicht besonderer Anmaßung be¬
schuldigt zu werden, wenn ich sage, daß diese Arbeit in der späteren neuro¬
logischen Literatur wenig Berücksichtigung gefunden bat. Meine damaligen
Betrachtungen begannen mit folgenden Worten:
In der vorliegenden Arbeit habe ich versucht, mir selbst und, soweit ich es
vermochte, auch anderen Klarheit Uber die interessante, klinisch in einer Reihe
von Krankheiten konstatierte Tatsache zu verschaffen, daß man bei bestimmten
Erkrankungen des Nervensystems, speziell des peripherischen, in einem gar nicht
gelähmten und nie gelähmt gewesenen Nerv-Muskelgebiet die elektrische Erregbar¬
keit verschwunden oder mindestens enorm herabgesetzt und eventuell in den
Formen partieller oder kompletter Entartungsreaktion einhergehend antreffen kann.
Ich habe diesen Auseinandersetzungen hier und da einige von mir gemachte
klinische Beobachtungen heigefügt, welche vielleicht geeignet erscheinen dürften,
die in der Arbeit besprochenen Symptomenkompleze der Polyneuritis besonders
im frühen und frühesten Kindesalter sowie die Lehre von der spinal-
neuritischen Form der progressiven Muskelatrophio zu illustrieren bzw. zu er¬
weitern.
Aus dieser meiner Arbeit erlaube ich mir nun zunächst folgende zwei Be¬
obachtungen, da sie mit dem, was ich später zn sagen habe, im Zusammenhänge
stehen, hier zu reproduzieren:
Ausgangs des Jahres 1894 hatte ich Gelegenheit, ein damals 2 1 / a jähriges
Knäbchen zu beobachten, welches angeblich bis vor etwa 9 Wochen ganz gesund
war. Der Knabe hatte mit l l / 2 Jahren laufen gelernt und lief schon ausgezeichnet,
Fieber hatte angeblich nie bestanden; Krämpfe waren nie vorhanden gewesen; er
fing an schlechter zu laufen, fiel oft hin und konnte zuletzt gar nicht mehr
gehen. Ob er wirklich, wie mir auf eindringliches Fragen von der Mutter mit¬
geteilt wurde, einige Zeit schlechter geschluckt, lasse ich dahingestellt; aus der
Nase sind Flüssigkeiten nie beim Schlucken zurückgekommen. Der Knabe machte
1 Der Redaktion eingesandt am 15. Oktober 1906.
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durchaus den Eindruck eines gesunden KindeB, wenn er auf dem Schoße der
Matter saß; Gesicht, Ärmchen, Hände und Finger wurden in normaler Weise be¬
wegt. Er ist munter, hat Herrschaft über Blase und Mastdarm; Pupillen gleich,
rat reagierend. An den Beinen besteht eine vollkommene Paraplegie; Spuren
von Beugung in den Hüftgelenken sind noch zu bemerken, sonst ist alles an ihnen
bis auf die Zehen herab unbeweglich. Die Kniephänomene, die Kitzelreflexe von
der Sohle aus sind verschwunden. Die elektrische Prüfung der Nerven und
Muskeln der unteren Extremitäten ergibt das Bestehen einer vollkommenen Ent*
artangsreaktion. Aber auch die stärksten faradisohen Ströme waren
nicht imstande, an den scheinbar gar nicht affizierten, jedenfalls
frei beweglichen Nerven und Muskeln der oberen Extremitäten auch
nar die geringste Reaktion auszulÖBen.
Dieser Fall, welcher seiner eigentümlichen elektrischen Reaktionen wegen
meine besondere Aufmerksamkeit erregte, kam zu einem erfreulichen Ende. Etwa
1 Jahr nach meiner Untersuchung, welche mir die Berechtigung zu geben schien,
eine Polyneuritis zu diagnostizieren, erhielt ich von der Mutter die Nachricht,
daß im Verlauf eines Vierteljahres nach seiner Vorstellung bei mir das Kind wieder
stehen und seine Füße in alter Weise gebrauchen konnte. Er turnt, wie die
Mutter schreibt, mit seinen Geschwistern um die Wette und ist seiner körper*
liehen und geistigen Entwickelung nach einem Kinde seines Alters durchaus
entsprechend.
Nach Mitteilung dieses Falles, auf den ich später noch einmal zurück¬
kommen werde, lasse ich eine andere Beobachtung folgen, die mit dem, was
ich weiter noch zu sagen habe, im engsten Zusammenhänge steht Ich sagte
damals:
Neben diesem soeben mitgeteilten Fall von Polyneuritis in frühem Kindes¬
alter wird, glaube ich, auch folgende Beobachtung Interesse erregen, welche ich
gleichfalls der Gruppe der Polyneuritiden zurechnen möchte. Es handelte sich
(September 1895) um ein 9 Monate altes, von gesunden Eltern stammendes Kind
(wie ich jetzt, leider verspätet hinzufüge, ein Knabe), welches innerhalb des ersten
Vierteljahres seines Lebens ebenfalls gesund und munter war. Es bewegte beim
Baden in der Badewanne Hände und Füße und erschien der Mutter durchaus so
wie andere Kinder dieses Alters. Vom 4. Lebensmonat an nahm die Lebhaftig¬
keit der Bewegungen immer mehr ab, bis sie, wenigstens was die Beine betrifft,
nunmehr hei dem 9 Monate alten Kinde fast ganz aufgehört hat. Jedenfalls sind
im Hüft- und Kniegelenk keine willkürlichen Bewegungen wahrzunehmen; dagegen
sind links an dem in Pes-varo-equinus-Stellung verharrenden Fuß leichte Streck-
und Beugebewegungen der Zehen zu sehen, welche in noch geringerer Intensität
auch rechts zustande kommen. Die Bewegungen in den Schultern und
Armen sind sehr wenig ausgiebig; man mnß schon genau Zusehen, um sie zu er¬
kennen; besser steht es mit der Möglichkeit, die Hände und Finger zu beugen
und zu strecken. Die Bewegung der Augen und Gesichtsmuskeln ist intakt, nur
scheint die rechte Unterlippen-Kinnmuskulatur etwas kräftiger zu agieren als
links. Das Köpfchen fällt stets nach hinten über; nach vorn kann es nicht ge¬
bracht werden. Überhaupt macht das Kind mit seiner so überaus schlaffen
Muskulatur den Eindruck einer größeren Puppe, deren Glieder nach allen
Bichtungen in exzessive Stellungen gebracht werden können. Sehr starke faradische
Ströme, durch welche bei Erwachsenen kräftigste Kontraktionen erzielt werden,
sind nicht imstande, die Streck- oder Beugemuskeln des Kindes an Oberarmen
oder Unterarmen und auch nicht die kleinen Fingermuskeln zur Zusammenziehung
zu bringen; das gleiche gilt (faradisch) für die Muskeln der Beine, an denen man
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speziell an der Peronealmuskulatur durch sehr starke galvanische Ströme (10 bis
12 U.A.) langsame träge Zuckungen auslöst.
Auch die auf ihre Erregbarkeit geprüften Gesichtsmuskeln zeigten sich, selbst
gegen sehr starke Ströme, im deutlichsten Gegensatz zur Reaktion Gesunder, kaum
erregbar.
Ich fuhr in meiner Beschreibung nun folgendermaßen fort:
In der mir zugänglichen Literatur habe ich eigentlich nur die Mitteilung
Oppenheims als hierhergehörig auffinden können. In einem Aufsatz betitelt: Über
allgemeine und lokalisierte Atonie der Muskulatur (Myatonie) im frühen Kindes*
alter bespricht der Autor Zustände, welche offenbar mit denjenigen, welohe ich
in dem mitgeteilten Fall beobaohten konnte, die größte Ähnlichkeit haben.
Nach genanntem Autor handelt es sich in solchen Fällen um eine verzögerte
und verspätete Entwickelung der Muskulatur und nicht um eine Krankheit des
zentralen Nervensystems; wenige Zeilen später sagt er, daß sich aber auch nicht
ausschließen ließe, daß der primäre Sitz der Entwickelungserscheinung nicht in
den Muskeln, sondern in den Vorderhornzellen zu suchen ist.
Wie ich oben schon angedeutet, rechne ich meinen Fall und ähnliche zur
Klasse der Polyneuriditen; dieses Leiden kann in außergewöhnlicher und
ätiologisch nicht aufgeklärter Weise das früheste Kindesalter be¬
fallen. Sollte sich bei weiteren Untersuchungen tatsächlich ergeben, daß ent¬
zündliche oder degenerative Prozesse in den peripherischen Nerven gefunden
werden, so könnte es sich nach den von mir und auch von Oppenheim erhobenen
elektrodiagnostischen Befunden wohl um eine derjenigen Formen handeln, welche
neben der zur Wallkb sehen Degeneration führenden Veränderung der peripherischen
Nerven zugleich auch diejenige Form der Neuritis aufweist, welche, von Gombaui/t
beschrieben, als die P&ÄWALLEB’sche, nur die Markscheiden befallende
Affektion der Nerven auftritt. Eher als an eine verzögerte und verspätete
Entwickelung der Muskulatur kann man meiner Meinung nach an eine verzögerte
und verspätete Entwickelung der peripherischen Nerven in solchen Fällen denken,
wenn sich herausstellen sollte, daß eine entzündliche, sei es parenchymatöse oder
interstitielle Neuritis, nicht vorhanden ist.
Über diesen von Oppenheim zuerst 1900 in der Monatsschrift f. Psychiatrie
u. Neurologie 1 beschriebenen Symptomenkomplex hat derselbe Autor später in
seinem Lehrbuch der Nervenkrankheiten in der 3. Auflage, S. 200 und weiter
in der 4. Auflage vom Jahre 1905, S. 223, sowie im Verlaufe einer Kranken-
vorstellung in der Berliner med. Gesellschaft 1 seine Meinung dahin abgegeben,
daß es sich um eine Entwickelungshemmung, um eine unvollkommene, un¬
vollendete Entwickelung der Muskulatur, des Muskelgewebes handelt, aber er hat
auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß eine Entwickelungshemmung
im zentralen, spinalen Gebiet, vielleicht eine mangelhafte Ausbildung der Vorder*
hornzelle zugrunde liege.
Von späteren Beschreibungen des in Bede stehenden Leidens kenne ich,
abgesehen von der Mitteilung Spillebs, nur noch die jüngst veröffentlichte
Arbeit L. Rosenbbbg’s 3 aus eignem Studium. Die in der Mitteilung Rosen¬
bbbg’s erwähnten Beobachtungen Muggia’s, Bebti’s und die Dissertation
1 Heft 3. S. 232.
* 24. Februar 1904.
* Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. S. 130.
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W. Kuhdt’s kenne ich nur durch die eben genannte Arbeit Weder Spillbb
noch die von Rosenbebg erwähnten Autoren, noch Rosebebg selbst haben von
meiner oben reproduzierten Mitteilung aus dem Jahre 1904 (die Beobachtung
selbst stammt übrigens aus dem Jahre 1895) Kenntnis genommen. Von den
soeben näher bezeichnten Beschreibungen der hierhergehörigen Fälle ist der von
Spillbb 1 deshalb der wichtigste, weil er zum erstenmal einen Obduktionsbefund
brachte. Ich will hier den Befund Spillbb’s nicht noch einmal wiederholen,
da der interessierte Leser das Wesentliche in der genannten RosENBEBG'schen
Arbeit nachlesen kann. Nur soviel sei gesagt, daß der amerikanische Autor
das centrale sowohl wie das peripherische Nervensystem intakt fand, dagegen
erhebliche Veränderungen des parenchymatösen sowohl wie des interstitiellen
Muskelgewebes nachweisen konnte.
Dieser Fall Spilleb’s gibt aber zu einigen Bedenken Anlaß.
Zunächst war das betreffende Kind von seinem 5. Lebensmonat ab blind und
schielte. Der klinisch erhobene Augenspiegelbefund leidet an erheblicher Un¬
klarheit. Bei der Untersuchung durch Spilles post mortem wurden beide
Nn. optici gesund befunden. (Über das Verhalten der Retina und der Mucula
lutea liegt kein Befund vor.)
Während ferner die ungemein ausgebildete Hypotonie der Muskeln hervor¬
gehoben wird, heißt es von dem elektrischen Befund kurz, daß die Muskeln auf
den faradischen Strom reagierten. Wenn auch von Oppenheim selbst und ferner
z. B. von Muggia das Erhaltenbleiben der elektrischen Erregbarkeit in leichteren *
Fällen beschrieben wird, muß es doch gerade im SpiLLBB’schen Fall auffallen,
daß die elektrische Erregbarkeit keine Veränderung zeigte, da ja gerade in diesem
einzigen bisher obduzierten Fall eine ziemlich hochgradige Veränderung der
Muskulatur nachgewiesen wurde. Während ferner sonst alle Autoren ein Frei¬
bleiben der Augen-Zungen-Schlundmuskulatur hervorheben, heißt es vom
SpiLUBB’schen Kinde, daß es, von der Brust abgesetzt, mit einiger Schwierigkeit
schluckte.
Der Bericht Spilleb’s wurde nun in der Oktobemummer desselben, vorher
schon genannten amerikanischen Blattes 2 von Allen J. Smith ergänzt Sp il l e s
hatte, wie Smith noch einmal referierend berichtet, weder im Gehirn noch im
Rückenmark, den Sehnerven und den peripherischen Nerven von oberen und
unteren Extremitäten irgend gröbere oder feinere Veränderungen gefunden.
Aber im Muskelgewebe der Fußsohlen, der Wade und in den Rückenmuskeln
fand Spilles hyaloide Fasern; die Querstreifung war erhalten, die Längsstreifung
weniger deutlich, die Muskelfasern, besonders die von der Sohle und Wade
s chmal und die vom Fuß besonders wegen Anhäufung von Fettgewebe und be¬
trächtlicher Vermehrung der Bindegewebskerne. Die Thymus, so heißt es in
dem von Spillbb mitgeteilten Obduktionsbefund, ist vorhanden; sie zeigt keine
groben Anomalien.
Smith hat nun die vom Neurologen weniger in Betracht gezogenen Gewebe
1 Univ. of Penna. Medical Bulletin. XVII. 1905. Januar.
* XVin. Nr. 8.
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einer genaueren Untersuchung unterzogen. Es ist nicht meine Absicht, hier die
Ergebnisse dieter Untersuchungen ausführlich wiederzugeben; immerhin erlaube
ich mir das Hauptresultat des Verfassers zu reproduzieren.
Er sagt: Meine Fände, Fibrosis der Thymus mit Vergrößerung der Har ra r.*-
schen Körperchen, die endotheliale Wucherung in der Thymus und den
MALPlOHi’Bchen Körperchen der Milz, die in der Thymus und der Milz nach¬
gewiesene Arteriosklerose, die Anwesenheit yon Lymphknoten in der Lunge und
die Wucherung lymphoider Elemente in den Lymphknoten des Mesenteriums
stempeln den vorliegenden Fall zweifellos zu einem interessanten. Eis kann nach
Smith zwar nicht mit Sicherheit behauptet werden, daß diese Befunde in diesem
einzelnen Falle alB wesentlich für das Zustandekommen der Muskelhypotonie an¬
gesehen werden müssen, aber sie fordern zu weiteren Untersuchungen nach dieser
Richtung fraglos auf.
Apbiobi mag vom theoretischen Standpunkt Oppbnhxim’s, die durch die
positiven Befunde Spilleb’b in diesem Falle bestätigt werden, die Muskelveränderung
wenigstens versuchsweise (at least tentatively) als definitive Grundlage des Leidens
angesehen werden.
Unsere Kenntnis von den Funktionen der Thymus und ihren HAS&AL’schen
Körperchen aber, fährt er fort, ist noch zu unsicher, um mehr als nur Ver¬
mutungen zuzulassen; immerhin könnte man im Auge behalten, daß die Thymus,
sei es durch innere Sekretion oder durch Zerstörung schädlicher Stoffwechsel¬
produkte einen Einfluß auf die Entwickelung aller oder einiger Körperteile aus¬
übt, sei es direkt oder durch eine Wirkung auf die trophischen Nervenfunktionen,
Außerdem habe man die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß für die be-
•schriebenen Muskel- und Thymusveränderungen irgend ein Zustand von Auto¬
intoxikation bestände, und es wäre begreiflich, daß durch einen so gestörten
Stoffwechsel ein reizender Einfluß auf die Gefäß- und Lymphendothelien, die
Lymphzellen selbst und das Bindegewebe der Gefäßwände und auf die ThymuB
ausgeübt würde, ein Einfluß, der den nervösen tropbischen Einfluß so störe, daß
er zu den erwähnten Muskelveränderungen Veranlassung gebe. Für diese Annahme
liegt, wie der Autor vorsichtig hinzufügt, zwar kein Beweis vor, aber das Bild
des mitgeteilten FalleB sei mit dieser Annahme nicht unverträglich.
Ich halte diese Ausführungen des amerikanischen Autors deshalb für ganz
besonders interessant, weil sie mit Befunden WeigbbtV in einem Falle von
Myasthenie gravis manches Übereinstimmende haben. In diesem Falle (klinisch
von Laquer beobachtet) sah man an den makroskopisch scheinbar normalen
Muskeln bei mikroskopischer Untersuchung an vielen Stellen des Perimysium
externum und internum hier und da in schmalen Zügen zwischen die Muskelfasern
selbst eindringend, verbunden mit (mikroskopischen) freien Blutmassen reichliche
Zellenanhäufungen, die den in der Tbymusgeschwulst (von der sofort die Bede
sein wird) geschilderten glichen. Auch hier waren die kleinen lymphoiden Zellen
diejenigen, welche die Hauptmasse bildeten, während die größeren epithelioiden
nur spärlich vorhanden waren. Die HASSAi/schen Körperchen fehlten ganz.
Ausnahmsweise sah man die Zellen auch in Bäumen, die durch ihre Endothel¬
begrenzung als Kapillaren zu erkennen waren. Im Bereiche der Zellmassen
waren die Bindegewebs- und elastischen Fasern vielfach rarefiziert Die Muskel-
1 Neurolog. Centralbl. 1901. S. 597.
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fasern selbst zeigten eine schöne Querstreifung, nur hier und da waren ver¬
einzelte Faserstücke, die in die eingelagerten Zellmassen hineinragten, ohne
solche.
Im vorderen Mediastinum fand sich eine abnorme Gewebsmasse, die bei
ihrer Lage und mikroskopischen Struktur zweifellos von der Thymus abstammte.
Es war ein Tumor der Thymusdrüse, und nach Weigebt waren die Zell¬
anhäufungen in den Muskeln wohl als Muskelmetastasen des bösartigen Thymus¬
tumors aofzufassen. Nach W. ist diese Kombination der Myasthenia gravis
mit einer Erkrankung der Thymusdrüse bemerkenswert, insofern schon mehrere
derartige Befunde vorliegen. In vorsichtiger Weise gibt übrigens der Autor zu,
daß gerade gewisse Thymustumoren in ihren Metastasen speziell die Muskeln
befallen; darüber hätten nooh weitere Untersuchungen zu entscheiden. Besonders
scheint mir nun wichtig, dafi W. es für denkbar hält, daß die Zellanhäufungen
in den Muskeln keine conditio sine qua non für das Zustandekommen von Be¬
wegungsstörungen bei Tbymuserkrankungen darstellen, sondern daß hier wieder
jene dunklen intermediären Stoffwechselprodukte eine Rolle spielen, die in
neuerer Zeit soviel von sich reden gemacht haben. Freilich hätten wir uns bei
der Thymus diese rätselhaften Einflüsse genau umgekehrt zu denken, wie etwa
bei der Schilddrüse. Während bei dieser die Anwesenheit von mindestens
eines genügenden Restes der Drüse für die normalen entsprechenden Funktionen
notwendig ist, wäre bei der Thymus gerade die Abwesenheit oder Gering¬
fügigkeit des normalen Gewebes nach Abschluß des Wachstums für die Gesund¬
heit erforderlich. Eine hypertrophische Thymus sei übrigens auch bei
kleinen Kindern vom Übel. Ob aber alle Thymustumoren diesen Überschuß
von normalem Gewebe enthalten, ist durchaus nicht sicher und es muß weiteren
Beobachtungen Vorbehalten werden, hierüber in Klare zu kommen.
Beide Autoren, Weigebt sowohl wie Smith sind, wie schon hervorgehoben,
in ihren Schlußfolgerungen sehr vorsichtig und betonen beide, daß ihre Befunde
vorläufig durchaus nicht als pathologisch-anatomische Grundlage, sei es für die
Myasthenia gravis (Weigebt), sei es für die Myatonia congenita (Smith) in
allen Fällen angesehen werden sollen. Immerhin halte ich dafür, daß trotz
aller klinischen Verschiedenheiten der genannten Krankheiten doch auch
wieder gewisse Berührungspunkte zwischen beiden sich finden, die die Annahme
einer der Erkrankung zugrunde liegenden Autointoxikation (vielleicht von der
irgendwie veränderten Thymusdrüse her) mindestens erwägenswert machen.
Als ich eingangs dieser Mitteilungen sagte, daß ich meinen Fall und
ähnliche zur Klasse der Polyneuritiden rechnen zu müssen glaubte, fügte ich
hinzu, daß diese Polyneuritis in außergewöhnlicher und ätiologisch nicht auf¬
geklärter Weise das früheste Kindesalter befallen könne. Daß dies nicht
gerade allzuhäufig vorkommt, weiß ich wohl aus eigener Erfahrung. Daß das
Leiden aber bei sehr jungen Kindern auftreten kann, beweist mein gleich zu
Anfang beschriebener Fall des 2*/ 2 jährigen Knaben, dessen Leiden meiner An¬
sicht nach tatsächlich durch die Annahme einer mit der WALLEB’schen
degenerativen Neuritis kombinierten periaxilen Neuritis (Gombault) seine Er-
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klärung findet Zwar sagt ein so erfahrener Autor wie Oppenheim, 1 daß die
Krankheit im Kindesalter, abgesehen von der diphtheritisohen Form, recht selten
sei und daß er sie einige Male bei Kindern im Alter von 4—6 Jahren be¬
obachtet habe. Ob mein kleiner erster Patient Diphtherie durchgemacht hat,
ist sehr unwahrscheinlich: er soll zwar, wie ich mitgeteilt, nach Aussage der
Mutter einige Zeit schlechter geschluckt haben; da aber jede Auskunft über eine
schwerere Erkrankung, die der Mutter doch sicherlich aufgefallen wäre, fehlt, so
sind begründete Zweifel am Platz, ob es sich in diesem Falle um Diphtherie
gehandelt hat
Ich kann aber auch auf die Mitteilungen noch eines anderen, in diesen
Fragen äußerst kompetenten Autors verweisen, so Rbmax, der in seiner Be¬
arbeitung der Neuritis und Polyneuritis 1 Mitteilungen über die akute amyo-
trophische Plexusneuritis des Kindesalters macht
Es waren speziell Fälle, die dem von demselben Autor aufgestellten Ober*
anntypus entsprachen und betrafen sie, die sich durch einen günstigen Verlauf
auszeichneten, Kinder im Alter von 10, 14, S 1 /, Monaten. Es ist hier nicht
der Ort, auf die Überlegungen des genannten Autors in bezug auf die Richtig¬
keit seiner Diagnose einzugehen; bezeichnend aber ist der auch mit meinen
Ansichten übereinstimmende Ausspruch Remak’s, daß man eine gelegentlich auoh
im Kindeealter vorkommende infektiöse Plexusneuritis annehmen dürfe, deren
Regeneration aus anderweitigen Erfahrungen verständlich ist Interessant
sind in diesem Sinne auch die von R. wiedergegebenen Erfahrungen Fbbt’s
und SsBiiiGMüiiLEB’s. Fbby hat 1874 einen typischen Fall von unter Fieber
aulgetretener rechtsseitiger Armlähmung mit schweren elektrischen Veränderungen
eines 17 Monate alten Knaben mitgeteilt, bei Welchem binnen 2 Monaten die
Beweglichkeit sich völlig wieder herstellte, wahrend die fsradische Erregbarkeit
der Streckmuskeln am Vorderarme und an den Oberarmmuskeln noch nicht
wiedergekehrt war. Auch Seeliomülleb erwähnte 1880 einen Fall von
kompletter Lähmung der Muskeln des rechten Oberarmes mit Herabsetzung der
faradiachen Erregbarkeit bei einem 10 Monate alten Knaben, der in 4 1 /, Monaten
in vollkommene Genesung überging. Erkennt man, fahrt Rbmak fort, aber die
Möglichkeit an, daß eine infektiöse amyotrophische Neuritis und Polyneuritis im
Kindesalter eine spinale Kinderlähmung (Poliomyelitis) Vortäuschen kann, so
können in dieser Weise auch auffallend günstig verlaufende Fälle der
Unterextremitäten erklärt werden, bei welchen, wie schon Duchenne angab
und ich (Rbmak) bestätigt habe, auch schließlich nur ein einziger Muskel, z. B.
der tibialis anticus gelähmt bleibt
Aus dem, was ich bisher anführte, ersieht man, daß meine Vorstellung, es
bei der sogen. Myatonia congenita vielleicht mit einer Polyneuritis zu tun zu
haben, nicht so ganz von der Hand zu weisen ist Von den Autoren, die ihre
Erfahrungen über die angeborene Muskelschlaffheit und ihre Meinung über die
ihr zugrunde liegenden pathologischen Veränderungen bekannt gegeben bzw.
1 Lehrbach. 4. Aufl. S. 525.
* Pathologie von H. Nothnagel. Wien 1900, Hölder. 8. 297.
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dieses Leiden von anderen, mit denen es verwechselt werden könnte, diagnostisch
zu trennen versneht haben, sind, wie von Oppinheim zuerst die Poliomyelitis
anterior acuta, Hämorrhagien ins Mark, Zustände bei Rachitis, bei der Barlo w’-
scben Krankheit, der P aerot’ sehen syphilitischen Pseudoparalyse, bei den durch
äußere Verletzungen (Zug an einem Gliede) entstandenen schmerzhaften Läh¬
mungen, die infantile Muskeldystrophie erwähnt worden. Die Möglichkeit, daß
es sieh eventuell um eine gleichviel wie entstandene Neuritis oder Polyneuritis
handeln könne, wurde von Oppenheim selbst, soweit ich sehe, nie in Betraoht
gezogen. In der oben zitierten Arbeit Rosenbero’s wird gelegentlich in der kurz
referierten Arbeit Muogia’s erwähnt, daß dieser Autor, unbekannt mit der
OppENHEDt’schen Publikation, nach Erwähnung der Geburtslähmung, der syphi¬
litischen Pseudoparalyse, der Poliomyelitis anterior acuta und schließlich auch
einer Polyneuritts zur Annahme einer Aplasie des Rückenmarkes kam. Was
Spilles über die pathologisch-anatomische Grundlage seines Falles berichtete,
haben wir oben gesehen. Er fand Veränderungen an verschiedenen Muskeln, aber
am zentralen sowohl wie am peripherischen Nervensystem keine. Daß er des¬
wegen an das Vorhandensein einer Affektion der peripherischen Nerven nicht
einmal dachte, ist hiernach nicht zu verwundern.
Auch Rosenberu hat in seiner Arbeit die differentielle Diagnose eingehend
besprochen. Zum Teil bewegen sich seine Ausführungen in den schon von
Oppbnheix angegebenen Bahnen: seine wertvollen Auseinandersetzungen möge
man im Original nachlesen. Aber er erwähnt auch, was von Oppenheim nicht
geschehen, in der Besprechung der Differentialdiagnose die Polyneuritis. Bei
so jungen Kindern, sagt R., brauchen wir nur die diphtheritische Polyneuritis
in Erwägung zu ziehen und zwar die generalisierte Form. Ich will mich hier,
da es zu weit führen würde, nicht auf eine genauere Wiedergabe seiner
Schilderung des Verlaufes dieser nach Diphtherie eventuell zu beobachtenden
Polyneuritis, die ich nioht in allen Stücken billigen kann, einlassen. Ich glaube
in dem Vorangegangenen teils durch meine eigenen Mitteilungen, teils durch
das Heranziehen so erfahrener Autoren wie Duchenne, Remak, Feit, Seelig-
müllbb gezeigt zu haben, daß auch bei jungen Kindern nicht nur die
diphtheritische und nicht nur die generalisierte Form der Polyneuritis vor¬
kommt
Ich komme nunmehr auf einen sehr wichtigen Punkt zu sprechen, nämlich
auf die in Fällen von sogen, angeborener Muskelschwäche und Schlaffheit, von
den Autoren berichteten elektrischen Reaktionen der entweder vollkommen
gelähmten oder doch wenigstens sehr sohwach agierenden Muskeln. Hier sind
offenbar die Reaktionen in den leichten Fällen von denen, wie sie bei schweren
zu beobachten sind, zu trennen. Die elektrische Prüfung, sagt Oppeneim, ließ
in den schweren füllen eine beträchtliche quantitative Abnahme der Erregbar¬
keit bis zum völligen Erlöschen derselben erkennen. Nur einmal schien bei
direkter galvanischer Reizung ein Teil der befallenen Muskeln mit einer etwas
verlangsamten Zuckung zu reagieren. In den leichten Fällen war die Reaktion
erhalten. Bei der Demonstration des 19 Monate alten Kindes (Geschlecht?) in
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der Berliner Med. Gesellschaft zeigte Oppenheim, daß selbst mit den stärksten
elektrischen Strömen in der Mehrzahl der Nerven nnd Muskeln der unteren
Extremitäten keine Reaktion zu erzielen war. Nur vom Peroneus aus konnte
eine sohwache Zuckung bei sehr starken Strömen erreicht werden.
In dem von Rosenbebg erwähnten Fall Muggia’s waren die Gliedmaßen
in absoluter schlaffer Lähmung. Die elektrische Erregbarkeit aber vom Nerven
wie vom Muskel ans, war weder für den faradischen noch für den galvanischen
Strom herabgesetzt In 4 Monaten keine Veränderung des Zustandes bei sonst
guter Entwickelung des Kindes. In dem SpiLLEB’schen Fall, in dem die Glieder
in allen Gelenken willkürlich bewegt werden konnten und wo nur eine Schwäche
der Muskulatur vorhanden war, wird, wie oben schon beschrieben, gesagt: Die
Muskeln der Glieder reagieren auf den faradisohen Strom. Da gerade dieser
SPELLB&’sche Fall der einzige ist, wenn er überhaupt hierher gerechnet werden
darf (ich habe meine Bedenken schon oben auseinandergesetzt), in dem eine
Obduktion vorliegt, centrales und peripherisches Nervensytem frei und die Muskeln
allein erheblich verändert gefunden wurden, so scheint mir ein gewisser Wider¬
spruch in dieser Betonung der schweren Muskelveränderung und der nicht ver¬
änderten elektrischen Erregbarkeit zu liegen, da nach allem, was wir wissen, so
bedeutend in ihrer Struktur veränderte Muskeln doch kaum ohne eine Ver¬
änderung ihrer elektrischen Erregbarkeit zu zeigen, angetroffen werden dürften.
In Bebti’s erstem Fall waren die Muskeln faradisch nicht erregbar, im
zweiten war die elektrische Erregbarkeit, speziell für den faradischen Strom,
herabgesetzt; im KuNDT’schen Falle reagierten die Muskeln am Unterschenkel
faradisch und galvanisch normal; am Oberschenkel reagierten nur die Beuger.
Die direkte Reizung des Quadriceps mit sehr starken galvanischen Strömen ergab
eine Zuckung, die nicht träge ist.
Im RosENBBG’schen Fall endlich reagierten die Muskeln an den Ober¬
schenkeln und in der Gesäßgegend weder auf mechanische noch auf elektrische
Reize. Selbst mit den stärksten faradischen oder galvanischen Strömen läßt
sich in den Glutäalmuskeln, im Quadriceps, in den Adduktoren, in den Beugern
am Oberschenkel weder direkt noch indirekt irgend eine Reaktion erzielen. An
den Unterschenkeln ist nur der N. peroneus erregbar und zwar erst mit starken
faradischen oder galvanischen Strömen (10 M.A.). Die Zuckung ist blitzartig.
Etwa 2 Monate später besteht die Reaktion der beiden Nn. crurales auf starke
faradische Ströme.
Aus den soeben mitgeteilten elektrischen Befunden der Autoren an den
entweder vollkommen oder nur wenig beweglichen Muskeln und deren zugehörigen
Nerven der mehr oder weniger schlaffen Gliedmaßen der untersuchten Kinder
gebt nun hervor, daß da, wo bestimmte Angaben gemacht sind, die Schwer¬
oder Unerregbarkeit der genannten Gebilde in der Mehrzahl aller Fälle fest¬
gestellt worden ist Freilich sagt Oppenheim (1900), daß er in leichten Fällen
die Reaktion erhalten gefunden habe und dasselbe gibt auch, wie wir gesehen,
Muggia für seinen übrigens durchaus nicht leichten Fall an. Wenn ich den
^SpiLLEB’schen Fall hier nicht noch einmal auziehe, so tue ich dies, weil ich die
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beobachteten und beschriebenen Symptome nach verschiedener Richtung hin
von dem bisher gezeichneten, gleichsam normalen Bild der in Rede stehenden
Krankheit abweichend gefunden habe. Freilich ist das Vorhandensein einer
langsamen trägen Zuckung der erkrankten Muskeln bei direkter galvanischer
Reizung nur einmal von Oppenheim und dann von mir in meinem Falle er¬
wähnt. Es genügen indessen diese Angaben, um darzutun, daß eine derartige,
der Entartungsreaktion, wie wir sie kennen, durchaus gleiche Reaktion auch an
den schlaffen bzw. gelähmten Gliedern der erkrankten Kinder vorkommt. Es
ist also hiernach der Ausspruch Rosenbkbg’s: „ausgesprochene Entartungs¬
reaktion wurde nicht gefunden“, zu modifizieren. Noch mehr aber spricht für
eine Veränderung in den peripherischen Nerven die speziell von mir in meinem
Falle eruierte Tatsache, daß wie in anderen Fällen von, wie ich wahrscheinlich
za machen versuoht habe, GoMBAULT’scher periaxiler Neuritis auch gar
nicht gelähmte Gebiete (die Gesichtsmuskeln z. B.) dieselben Abweichungen von
der normalen elektrischen Erregbarkeit darboten, wie die tatsächlich befallenen
Muskelgruppen.
Eingangs dieser Mitteilung habe ich meine im März 1904 über diese
Affektion ausgesprochene Meinung dahin ‘präzisiert, daß ich nicht sowohl an eine
verzögerte und verspätete Entwickelung der Muskulatur, sondern an eine eigen¬
tümliche Affektion der peripherischen Nerven denke. Da mir aber keine
Obduktionsbefunde zu Gebote standen, so erklärte ich, daß, wenn sich heraus¬
steilen sollte, daß in derartigen Fällen eine entzündliche sei es parenchymatöse
oder interstitielle Neuritis nicht vorhanden sein sollte, man an eine verzögerte
und verspätete Entwickelung der peripherischen Nerven denken könne. Selbst¬
verständlich habe ich in meiner damaligen Arbeit auch der Tatsache gedacht
und das darüber Bekannte mitgeteilt (vgl S. 89flg.), daß Nerven und Muskeln
neugeborener Kinder in den ersten Lebenswochen bis zu einem gewissen, nicht
für alle Fälle gleichen Zeitpunkt wesentlich schwerer elektrisch zu erregen sind
als die Nerven und Muskeln Erwachsener. Die hierhergehörigen Arbeiten von
Soltmann, C. und A. Westphal sowie von S. Maybb sind von mir ausführlich
dort besprochen worden. Immerhin hat diese Eigentümlichkeit bei normal sich
weiter entwickelnden Kindern mit dem zweiten spätestens dritten Lebensmonat
ihre Endschaft erreicht. Bleibt sie aber weiter bestehen, wie etwa in den bis
jetzt bekannten Fällen von Myatonie, so läßt sich eine derartige abnorm ver¬
spätete bzw. ihre normale Endscbaft überhaupt nicht erreichende Ausbildung
der Nervenfasern mindestens ebenso gut annehmen, wie die in Betracht gezogene
verzögerte Entwickelung der Muskulatur. Ja ich muß sagen, daß die von Oppen¬
heim und einigen anderen der genannten Autoren betonte Möglichkeit des Aus¬
gleichs oder doch wenigtens der Besserung der in Rede stehenden Affektion, mir
eher für die ja so häufig zu konstatierende Besserung bei Neuritis oder Poly-
neuritis zu sprechen scheint, als für eine mangelhafte Muskelentwickelung.
Freilich ist in bezug auf eine Erkrankung bzw. mangelhafte Entwickelung
des peripherischen Nervensystems in diesen Fällen bisher noch nichts festgestellt
worden; die Befunde von Spilles, der ja, wie wir gesehen, die peripherischen
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Nerven intakt fand, sprechen sogar dagegen. Ich möchte mich nicht gern
wiederholen, bin aber doch gezwungen zu sagen, einmal daß dieser einzige
SpiLiiEB’sche Befund unmöglich als die Norm oder Grundlage unserer An¬
schauungen für diese Fälle gelten kann, um so weniger, als die Zugehörigkeit
seiner Beobachtung zum in Rede stehenden Leiden nioht ganz mit Unrecht be¬
stritten werden kann.
Überblicken wir, was seit den ersten Mitteilungen Oppenheim’s die Antoren
über das Wesen bzw. die pathologisch-anatomische Grundlage der angeborenen
Muskelschwäche oder Muskelschlaffheit (Myatonia congenita) mitgeteilt haben,
so treffen wir zunächst anf die von Oppenheim aufgestellte Hypothese, daß es
sich um eine primäre Entwickelungshemmung in den Muskeln handele. Seine
dabei geäußerte weitere Ansicht, daß die Entwickelungshemmung nieht sowohl
in den Muskeln, sondern in den Vorderhornzellen zu suchen sei, scheint zurzeit
wenigstens von seinen Schülern (ich denke hierbei besonders an die Rosen-
BEBo’sche Arbeit) nicht mehr aufrecht erhalten zu werden. In dem einzigen
bisher bekannt gewordenen Obduktionsbefunde des hinreichend oft herangezogenen
Falles von Spilles wird von einer irgendwie sich knndgebenden Veränderung
der Vorderhorazellen ebensowenig etwas berichtet, wie von einer Veränderung
der peripherischen Nerven.
Daher wäre es auch möglich, daß in Zukunft sich Fälle repräsentieren, die
die von mir vermutete degenerative Affektion der peripherischen Nerven dartun
könnten. Ich erinnere hier nochmals an die von Weigebt für die Myasthenia
gravis und von Smith für die Myatonia congenita ausgesprochene Hypothese,
daß durch Autointoxikation von einer erkrankten bzw. zu lange bestehenden und
nicht frühzeitig zurückgebildetn Thymus her, eine Veränderung in den Muskeln
und Nerven entstehen könne, die zu dem in Rede stehenden Leiden und speziell
auch zum Krankheitsbilde der Myatonia congenita führen könne.
Sollte auch diese Hypothese durch die Wucht später eruierter Tatsachen
in den Hintergrund treten müssen, so wäre immer noch zu untersuchen, ob es
sich nicht um eine abnorm spät eintretene Entwickelung des peripherischen
Nervensystems handelt, da diese Hypothese nichts an sich hat, was den tat¬
sächlichen beobachteten klinischen Erscheinungen widerspräche.
Weitere Betrachtungen nach dieser Richtung anzustellen, unterlasse ich;
der klinisch und besonders pathologisch-anatomisch genauer untersuchten Fälle
sind noch zu wenige, als daß man gestützt auf das vorliegende Material zu einer
abschließenden Meinung über diesen interessanten Symptomenkomplex schon jetzt
gelangen könnte.
Zum Schluß erlaube ich mir nur noch wenige Bemerkungen. Auch in
meinem Falle waren die unteren Gliedmaßen hauptsächlich affiziert. Soweit
man bei so jungen Kindern von Intaktheit der Psyche, der Sinne und der
Hirnnerven sprechen kann, waren diese auch in meinem Falle in Überein¬
stimmung mit den Befunden der übrigen Autoren (der SpiLLER’sche Fall ist
ausgenommen) frei. In einigen Fällen, so auch in dem von mir mitgeteilten,
war die Nacken- und Halsmuskulatur mitergriffen. Daß an den unteren Ex-
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Original fram
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tremitäten die Peroneal- bzw. Tibialgruppe in den Muskeln motorisch und
elektrisch etwas weniger gelitten hatte, als die für die Bewegungen in den Knien
und Hüften verantwortlichen Muskeln, s timm t auch in meinem Fall mit den
Angaben der anderen Autoren überein. Endlich möchte ich, ohne zunächst be¬
sonderen Wert darauf zu legen, noch erwähnen, daß mein kleiner Patient, was
ich in der ersten Mitteilung nicht berichtet habe und was ich hiermit naohhole,
gerade so wie der Patient Rosenbbbg’s einen Nabelbruch gehabt hat. Ich glanbe
übrigens nicht, daß diese bei kleinen Kindern sich so häufig findende Läsion
für die im Yorangegangenen aufgeworfenen Fragen von irgend wesentlicher Be¬
deutung ist oder werden könnte. Daß bei der schweren Beeinträchtigung der
Motilität und elektrischen Erregbarkeit der unteren Extremitäten die Sehnen¬
reflexe häufig schwach oder gar nicht ausgelöst werden konnten, ist unschwer
verständlich.
Daß das Leiden im frühesten Kindesalter innerhalb der ersten Tage
oder Wochen nach der Geburt auftritt, ist nach den bisher vorliegenden Mit¬
teilungen fast sicher. Ob es aber tatsächlich als angeboren, als kongenital be¬
zeichnet werden darf, bedarf doch noch weiterer Forschung, die sich auf das
Feststellen der Affektion gleich nach der Geburt zu richten hat. Nach Oppen¬
heim werden Kinder in den ersten Lebensmonaten bzw. im ersten oder zweiten
Lebensjahr befallen. Immer, fährt er fort, scheint es sich um ein kongenitales
Leiden zu handeln, wenn auch die Angehörigen nicht immer gleich nach der
Oeburt des Kindes auf den Zustand aufmerksam geworden sind. Das von 0.
in der Berliner Med. Gesellschaft vorgestellte Kind war 1 Jahr 7 Monate alt;
sein pathologischer Zustand soll bald nach der Geburt bemerkt worden sein.
Das Kind von Spilles (ein Knabe) war, als es zur Beobachtung kam, 22 Monate
alt; bis zum 5 Monat soll es nichts abnormes dargeboten haben; damals wurde
die Blindheit entdeckt Ob nicht doch von Beginn an eine sehr erhebliche
Muskelschwäche vorhanden war, wie sie ja später konstatiert wurde, ist nioht
ganz sicher; vielleicht kann man annehmen, daß es der Fall war, „da das Kind
zu keiner Zeit etwas in seiner Hand festhalten konnte“. Sicher ist aber die
Annahme der gleich nach der Geburt bemerkten Muskelhypotome nicht
Muggia’s kleine Patientin zeigte die Affektion einige Tage nach der Geburt,
ebenso der erste Patient Bbbti’s (ein Knabe) ein Paar Tage nach der Geburt
und sein zweiter Patient (ein 5 V a jähriges Mädchen) schon am Tage nach der
Geburt Kundt’s Patient (ein Mädchen) soll von Beginn an eine Lähmung der
Beine aufgewiesen haben. Rosenbkbg’s 2 1 / a jähriger Knabe konnte mit 7 Monaten
sitzen; zwischen dem 7.—11. Monat bemerkte man die Lähmung an den Beinen.
Mein Patient (ein Knabe) war 9 Monate alt und zeigte das Leiden erst vom
4. Lebensmonat ab. Es ist also, wie gesagt, sehr wahrscheinlich, daß das Leiden
alsbald nach der Geburt ausgeprägt sein kann; es ist aber nach den doch im
ganzen noch sehr spärlichen Berichten, nicht ganz von der Hand zu weisen, daß
die in Bede stehende große Muskelschwäche auch erst in einigen Tagen und sogar
Wochen nach der Geburt auftritt Diese Überlegungen führen wohl dazu, für
die Entstehung des Leidens, wie ich vermute, verschiedene Ursachen anzunehmen,
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nämlich eine mangelhafte Ausbildung der Muskeln bzw. der Vorderhörner des
Rückenmarks, wie Oppenheim meint, oder eine mangelhafte Entwickelung des
peripherischen Nervensystems, wie ich es wahrscheinlich zu machen versuchte,
oder, wie ich gleich in meiner ersten Mitteilung hervorhob, eine bisher noch
nicht näher in ihren Ursachen erkannte, vielleicht auf Infektion oder Auto¬
intoxikation zurückzuführende degenerative Entzündung der peripherischen Nerven,
eine Polyneuritis.
Ob Knaben oder Mädchen häufiger betroffen werden, ist bei der geringen
Anzahl genauerer Beobachtungen zunächst nicht zu entscheiden. Wo über das
Gesohlecht des betroffenen Kindes bestimmte Angaben vorliegen (7 Fälle), waren
es fast ebensoviele Mädohen wie Knaben, 3 Mädchen, 4 Knaben.
[Aus der psychiatrischen Universitätsklinik zu Königsberg (Prof. E. Him).]
2. Ein Fall von genuiner
Epilepsie mit darauffolgender Dementia paralytica.
Von Dr. Pols, ehemaligem Assistenzarzt.
Krankheitsgeschichte.
Karl H., Weinreisender, 44 Jahre alt; in die Klinik aufgenommen am
14. Juni 1905.
Anamnese: Eine Stiefschwester, von derselben Mutter, an Krämpfen ge¬
litten; sonst keine hereditäre Belastung festzustellen. Patient selbst hatte von
Jugend an eineu „starken Kopf“; man habe an Wasserkopf gedacht. Mit zwölf
Jahren Typhus. Ziemlich gut gebaut. Kaufmann. Seit dem 18. Lebensjahr
Reisender für Wein und Bier.
Seit dem 16. Lebensjahr — nach Angabe des Vaters — an Krämpfen
leidend: zuerst starker Schweißausbruch, dann unnatürlicher Schrei, bewußtloses
Hinstürzen, Zuckungen im ganzen Körper, blaue Verfärbung des Gesichtes, Elin¬
nässen, Zungenbiß, Schaum vor dem Munde; Dauer des Krampfes bis zu zehn
Minuten, dann mehrere Stunden anhaltender Schlaf und noch bis zum folgenden
Tag Benommenheit im Kopf. Zuweilen merkte Patient das Nahen des An¬
falles und konnte sich noch rechtzeitig auf das Sopha legen. Die Anfälle traten
gleichartig in unregelmäßigen Pausen auf, bald zweimal wöchentlich, bald Monate
aussetzend: die Pausen wurden allmählich länger, aber die Krämpfe waren noch
so heftig, daß er aus dem Bett fiel. Patient wurde wegen der Krämpfe vom
Militärdienst befreit. Seit 8 Jahren haben die Krämpfe ganz aufgehört. Über
Schwindelanfälle, Verstimmungen, Petit mal usw. war nichts festzustellen, da
Patient als Reisender wenig mit seinen Angehörigen zusammen war. Infolge
seines Berufes war Patient überaus starker Trinker. Von syphilitischer Infektion
war nichts festzustellen.
Patient ist Beit 1896 verheiratet; zwei lebende gesunde Kinder, eines litt
an Zahnkrämpfen. Keine Aborte, keine Früh- oder Totgeburten. Die Frau
schildert den Patienten als einen jähzornigen und leicht heftigen, dabei aber
andererseits gutmütigen und weichherzigen Menschen. Schon gleich nach der
Verheiratung fing er an, Eifersuchtsideen zu äußern (Ehefrau 17 Jahre jünger).
Vor 4 Jahren soll Patient auf der Reise in einem Hotel eine kurzdauernde
völlige Lähmung einer Seite gehabt haben. Vor 2 Jahren erlitt er ebenfalls auf
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der Reise eine totale Lähmung der linken Körperhälfte, sogar das linke Lid war
herabgefallen. Am Tage darauf fing er an zu „toben“, 3 Tage lang; er sah
Schornsteine, Häuser einstürzen, er sah Tiere, er zog Bich Fäden vom Kopf usw.
Die Lähmung war nach 2 Tagen verschwunden. Patient blieb 14 Tage zu Bett,
nahm 4 Wochen Urlaub und ging dann wieder auf Reißen bis zum Herbst 1903,
wo er vom 10.—16. September 1903 wegen Delirium tremens in der hiesigen
städtischen Krankenanstalt behandelt wurde. Danach weniger getrunken, aber
berufsunfähig; von Ersparnissen gelebt.
Seit 1903 Verfolgungsideen: verschloß ängstlich Türen; fürchtete, daß man
einbrechen könne, meinte die Angehörigen wollten ihn umbringen. Nahrungs¬
sorgen quälten ihn; sprach vom Erschießen; er sei nichts wert; sein Leben sei
verfehlt.
Anfang Mai 1905 Krämpfe, 8mal in einer Stunde, einen ganzen Tag lang:
Aufschrei, Einnässen, Schaum vor dem Mund. Am folgenden ganzen Tage be¬
sinnungslos. Einen Tag lang wieder linke Seite gelähmt. Allmählich wieder zu
sich gekommen, aber völlig verwirrt, sprach vom Reisen, glaubte im Wagen zu
fahren, bot laut Wein zum Kauf an: Kaufe ab! Kaufe ab! ich habe eine Familie
zu ernähren usw.
Am 9. Juni 1905 deswegen'Aufnahme in die Delirantenabteilung der städt.
Krankenanstalt. Von dort am 14. Juni wegen beginnender Paralyse nach der
Klinik verlegt.
Status praesens 1 :
Patient ist bei der Aufnahme örtlich orientiert, zeitlich völlig desorientiert.
Er weiß nicht, wie lange er sich schon hier in diesem Zimmer befindet. Fragt
spontan, ob er irrsinnig sei, ob er Krämpfe gehabt habe; er leide daran, er sei
Epileptiker. Die Krämpfe seien aber nach Genuß von Zwiebelsaft, den ihm eine
Zigeunerin empfohlen habe, weggeblieben. Auf Befragen schildert er die Aura
der Krämpfe; dann spontan: Ich habe ja keine Frau, ich bin ja geschieden, Herr
Doktor, was gibts zum Abendbrod? Ich habe ja kein Geld. Abgaben brauche
ich doch nicht zu bezahlen. Ich bin doch verrückt. In meiner Krankheit bin
ich verarmt. Ist nicht neulich hier eingebrochen worden? (Nein!) Sehen sie,
dies ist mein Wahn; ich bin geisteskrank, nicht wahr? usw. Auf Befragen, er
sei von dem vielen Trinken verrückt geworden. Patient bewegt sich fortwährend
in denselben Gedankengängen, stellt wiederholt dieselben Fragen, als hätte er sie
noch nie gefragt. Daß Frau und Schwester vor 1 / 2 Stunde zu Besuch bei ihm
waren, hat er bereits völlig vergessen. Auf einfaches Suggestivfragen glaubt
Patient hier in einer Konditorei zu sein; bittet um Erlaubnis hier liegen zu
dürfen; es sei sehr hübsch hier; weiter erzählt er auf Befragen, daß er heute
Vormittag auf den „Hufen“ (Vergnügungsort) spazieren gegangen sei. Die Frau
schimpft er eine Hure, sie sitze im Zuchthaus, habe ihn ermorden wollen; aber
es war wirklich ein hübsches Weib. Glaubt, daß im Nachbarbett seine Schwester,
hinter der Wand seine Frau sei, ruft sie. Patient spricht sehr viel, sich oft
wiederholend, und, entsprechend der gänzlichen Verkennung der Umgebung, völlig
verworrenes Zeug; besonders oft wiederholt er, daß er verrückt sei, daß er Epilep¬
tiker sei. Einfache Rechenaufgaben löst er noch ziemlich prompt. Auch Ge¬
dächtnis für elementare Kenntnisse und für persönliche Daten ziemlich gut.
Aber sehr erhebliche Störung der Merkfähigkeit. Patient gibt auf Befragen an,
daß er Geschwüre und Aussatz — „ganz eklig“ — gehabt und geschmiert habe;
die Zeit ließ sich nicht genau bestimmen. Die Stimmung ist ohne Beständigkeit
und Tiefe; zumeist humorvolle launige Euphorie.
* Ich gebe, da die vollständige Wiedergabe einer weitläufigen Paralytikerkranken-
geschieht» kein Interesse hat, nur einen kurzen Anszug.
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Status somatiouB:
Schädelumfang 59,5 cm — Emphysem der Lungen. Nicht beträchtliche
Arteriosklerose. Exophthalmus. Ptosis links. Rechte Nasolabialfalte verstrichen.
Pupillen eng, reohts Spur > 1., L/R 0, C/R +; Augenhintergrund frei.
Insufficienz der Recti intemi. Motilität und Sensibilität im ganzen frei.
Romberg angedeutet. Ko/Ph0. Ach/Ph 0. Crem/R 0.
Schwere paralytische Sprachstörung.
Aus der weiteren Krankheitsgeschichte seien neben dem Fortbestehen der
hochgradigen Störung der Merkfähigkeit und der fortgeschrittenen Demenz und
der Neigung zum Fabulieren usw. erwähnt ein fast täglicher Wechsel zwischen
heftigsten Angstznständen mit unsinnigsten Verfolgungsideen: Vergiftung, Ermordung
von seiten der Frau mit schreckhaften Sinnestäuschungen, besonders szenenhafter
Natur, mit angstvollem Jammer usw.; und in plötzlichem Übergang harmloseste
Heiterkeit, unbesorgte Euphorie. Dabei dauernd unerträglich geschwätzig.
Erinnert in euphorischer Phase sehr an den KoBSAxOFr’schen Symptomen-
komplex; begrüßt Wärter und Arzte wie alte Bekannte, glaubt sich im Hotel,
habe gestern nur wenig Kundschaft besucht usw., halluziniert. Dabei wiederholt
er vielmals, daß er ja verrückt sei.
Am 29. Juni unverändert nach der Provinzialanstalt K. überführt Aus dem
gütigst überlassenen Bericht der Anstalt sei mitgeteilt, daß der Zustand dort bis
Oktober 1905 im wesentlichen unverändert blieb. Mitte Oktober stellten sich
wiederholte paralytische Krampfanfälle ein, sin deren Folgen H. am 29. Oktober
1905 starb. Eine Sektion fand nicht statt.
Es ist wohl kanm nötig, des Ausführlicheren die Diagnosen, wie sie im
Titel ausgedrückt wurden, zu analysieren und zu begründen.
Die Paralyse des Patienten liegt „faustdick“ zutage. Sie bietet kaum irgend¬
welche klinischen Besonderheiten. Die Pupillenstarre, das WESTPHAL’sche Zeichen,
die schwere, durchaus typische Sprachstörung, die motorischen Lähmungs¬
erscheinungen in dem III. und VII. Hirnnerven, die Demenz, die urteilslose
Euphorie, der Wechsel der Erscheinungen, die Unsinnigkeit der Wahnideen usw. (
sie lassen kaum einen Zweifel auf kommen. Wegen der alkoholischen Antezedentien
und wegen der zweifellos etwas alkoholischen Färbung des Bildes ließe sich
höchstens an die Möglichkeit einer „Alkoholparalyse“ denken; aber das ganze
Bild sprach dagegen.
Daß der Patient, in dessen Familie Epilepsie vorgekommen ist, nach der
genauen anamnestischen Schilderung an Epilepsie gelitten hat, die in der
Pubertät begonnen und nach einer Beibe von Jahren sich nicht mehr in Krampf¬
anfällen geäußert hat, ist wohl ebenfalls unzweifelhaft Daß die epileptischen
Krämpfe nach einer gewissen Dauer der Krankheit cessieren können, ist eine
nicht unbekannte Tatsache, die keiner besonderen Ausführungen bedarf.
Nur eins muß gleich hier aufgeworfen und beantwortet werden! Handelt
es sich nicht vielleicht bei den epileptischen Erscheinungen um ein durch eine
lange Remission getrenntes Prodromalstadium der Paralyse, so daß wir keine
Epilepsie mit darauffolgender Paralyse, sondern nur eine Paralyse mit initialen
Krampfanfällen haben? Die Frage ist von allgemeiner Bedeatung, da eine
große Anzahl der an sich seltenen Fälle, wo der Paralyse eine andere Psychose
angeblich vorangegangen ist oder sich mit ihr verbunden hat, sich bei genauerer
Kritik nur als lang hingezogene Paralysen mit weiten Remissionen erwiesen
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haben. Für unsere Beobachtung aber ist diese wohl sicher auszuschließen. In
frühester Pubertät ist Patient an seiner Epilepsie erkrankt; 8 Jahre liegen
zwischen dem Latentwerden der Epilepsie und dem Auftreten der ersten para¬
lytischen Erscheinungen; dazwischen hat Patient die beiden Schädigungen erlitten,
die für Paralyse ätiologisch eine so große Bolle spielen, die Syphilis und der
chronische Alkoholismus. Für die Annahme — um auch das nicht unerledigt
zu lassen —, daß es sich etwa um eine juvenile Paralyse auf dem Boden einer
hereditären Lues gehandelt habe, haben sich Anhaltspunkte nicht ermitteln
lassen.
Es ist demnach wohl zweifellos, daß es sich hier um zwei völlig gesonderte
Krankheiten gehandelt hat, daß wirklich eine genuine Epilepsie bestanden hat,
und dann in späteren Jahren eine Paralyse zur Entwickelung gekommen ist.
Damit soll natürlich die Frage, ob überhaupt kein Zusammenhang zwischen der
späteren Paralyse und der vorausgegangenen Epilepsie besteht, nicht entschieden
sein, sondern ihre Erörterung soll bald folgen. Zunächst sei noch, was unseren
Fall betrifft, betont, daß überaus starker Alkobolmißbrauch in der Anamnese
sicher und Lues nach den eigenen Angaben des Patienten sehr wahrscheinlich
besteht. Die Angaben des Patienten mit seiner Demenz und mit seiner Sucht
zu renommieren zu erschüttern zu suchen, geht nicht an. Er machte diese
Angaben außerordentlich prompt und bestimmt, wie er auch alle anderen persön¬
lichen Daten noch durchaus richtig anzugeben vermochte.
Die Feststellung dieser ätiologischen Momente ist von Bedeutung. Watten-
bebo(1) hat nämlich die These aufgestellt, daß die Epilepsie fließend in die
Paralyse überleiten kann, unter Ausschluß exogener Ursachen für die Paralyse,
und hat einen angeblich beweisenden Fall, unter Zusammenstellung der Literatur,
mitgeteilt Die Beobachtungen, in denen eine allgemeiner Paralyse voraus¬
gegangene sichere Epilepsie festgestellt wurde, sind außerordentlich selten, und
zumeist handelt es sich nur um statistische Angaben. Überhaupt bat sich die
merkwürdige Tatsache ergeben, daß selbständige Psychosen und nicht bloß
remittierende Prodromalzustände in der Vorgeschichte von Paralytikern auf¬
fallende Seltenheiten sind, und insbesondere für Epilepsie hat Wattenberg
außer seiner eigenen Beobachtung nur ganz wenige ausführliche Mitteilungen
in der Literatur finden können. Wollenberg (2) konnte bei 750 Paralytikern
nur ein einzigesmal alte Epilepsie nach weisen. Mendel (3) fand unter 210 Fällen
von Paralyse 2 Fälle, die bereits früher einmal geisteskrank, aber nicht Epileptiker
gewesen waren. Er erwähnt aber eine Beobachtung von Legrand du Saulle,
wo Paralyse nach Epilepsie aufgetreten sei, und eine Kranke von Burlureux,
die, nachdem sie 21 Jahre an Epilepsie ohne geistige Störung gelitten hatte,
nach und nach in Paralyse verfiel. Ascher (4) fand unter 643 Paralytikern
die verhältnismäßig hohe Zahl von acht vorangegaugenen Epilepsien, von denen
bei vier die Krämpfe zur Zeit der Pubertät aufgebört batten. Kaes(5) fand
unter 1412 Paralytikern nur 7 mal voraufgegangene Epilepsie. Auch West-
phal(6) berichtet, daß er in der Anamnese von Paralytikern zuweilen Epilepsie
gefunden habe. Sein von ihm selber mitgeteilter Fall ist nicht ganz sicher
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Unser Fall ist also, sowohl was das Vorhergehen einer Psychose als auch einer
Epilepsie im besonderen angeht, eine kasuistische Rarität, und das war es haupt¬
sächlich, was seine Mitteilung veranlaßt hat Denn die Schlußfolgerungen,
welche Wattenberg an seinen Fall geknüpft hat, daß 1. die genuine Epilepsie,
eine bisher als selbständig aufgefaßte Psychoneurose, der progressiven Paralyse
vorangehen und fließend in sie überleiten könne; 2. daß die progressive Paralyse
nicht an das Vorangehen von Lues gebunden sei, vielmehr endogen auch ohne
solche zur Entwickelung gelangen könne, und ö. daß es sich vermutlich bei
der genuinen Epilepsie wie bei der progressiven Paralyse um pathogenetisch nahe
verwandte, endogene Stoffwechselerkrankungen handeln müsse; für diese weit¬
gehenden Folgerungen enthält unsere Beobachtung keine Stütze. In unserem
Falle sind Lues und Alkohol, die überwiegend angenommenen Ursachen der
Paralyse, sicher vorhanden gewesen. Aber überhaupt scheint mir für ein so
schwieriges, umstrittenes Problem, wie es die Ätiologie der Paralyse auch heute
noch ist, die Ausbeutung eines einzigen Falles im Sinne einer ganz neuen
Hypothese nicht gerechtfertigt Der einzelne Fall kann oft alles beweisen;
ebenso wie sich leicht Ein wände gegen ihn erheben lassen. Wenn Watten¬
berg für seine Auffassung anführt, daß nicht die mindesten Anhaltspunkte für
vorausgegangene Lues, Trauma oder Alkoholismus nachgewiesen werden konnten,
so darf wohl eingewendet werden, daß es ja bekannt sei, wie wenig oft der
negative Ausfall der anamnestischen Inquisition auf voraufgegangene Lues be¬
deuten will; wie schwer es oft ist, und in wie hohen Prozentzahlen es mißlingt,
die primäre Infektion selbst da anamnestisch nachzuweisen, wo tertiäre Er¬
scheinungen die Existenz der Syphilis absolut sicher machen.
Wattenberg glaubt, daß es sich bei Epilepsie uud Paralyse um „nahe
verwandte“ endogene Stoffwechselerkrankungen handele, die in einem ab origine
dazu disponierten Körper auftreten. Wenn dem so wäre, wenn beide Krank¬
heiten „nahe verwandt“ sind, wenn ihnen gleiche Disposition zugrunde liegt, ist
es da nicht auffällig, daß tatsächlich, wie Wattenberg selber ausgeführt hat,
das Zusammenvorkommen von Epilepsie und Paralyse schon überhaupt eine auf¬
fallende Seltenheit ist, daß besonders aber das unmittelbare Übergehen von
Epilepsie in Paralyse ohne andere „auslösende“ Momente und ohne dazwischen¬
fallendes, jahrelanges Cessieren der Epilepsie kaum beobachtet ist? Es kann
also wohl kaum der Versuch Wattenbebg's, Epilepsie und Paralyse in „nahe
verwandte“ Beziehungen zu bringen, gestützt werden. Seine erste Schlu߬
folgerung, daß die bisher als selbständig aufgefaßte Epilepsie fließend in eine
Paralyse überleiten kann, führt sogar die alten Lehren von der „Umbildung
einer Psychose in eine andere“ (Nasse) oder von sogen, „sekundären“ Zuständen
wieder herauf. Vielmehr haben wir es in solchen Fällen mit der seltenen Er¬
scheinung der Kombination zweier Psychosen zu tun. Die Lehre von den
kombinierten Psychosen hat ja in letzter Zeit wieder vermehrtes Interesse
gefunden. Ich nenne nur die Arbeiten von Mönkemöller (7), Gaupp (8),
Stbanskt (9) u. a. Die Voraussetzung solcher Kombination zweier Psychosen
ist ihre völlige Unabhängigkeit voneinander. Zum größten Teil handelt es sich
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um Fälle, bei denen die Psychosen nebeneinander hergehen, wo also die Kom¬
bination „simultan“ ist. Unser Pall gehört zu den selteneren Beobachtungen
von „sucoessiver“ Kombination, und zwar in der Nomenklatur Febenczi’s(IO)
um eine Kombination koordinierter Geistesstörungen, d. h. eine endogene und
eine exogene Psychose haben sich hier kombiniert, im Gegensatz zu den „assi¬
milierten“ Psychosen, wenn je zwei endogene oder exogene Geisteskrankheiten
zusammen Vorkommen. Anatomisch gedacht, handelt es sich — um so inter¬
essanter — kaum um eine successive Kombination. Wir dürfen doch wohl für
beide Krankheiten eine exquisit diffuse und dauernde histologische Veränderung
annehmen. Für die Paralyse haben dieses Resultat die Arbeiten von Nissl,
Alzheimer n. a. ja sicher gestellt; für die Epilepsie ist die Tatsache, wenn auch
ein spezifisches histologisches Bild noch fehlt, durch die Arbeiten von Alzheimer,
Bbatz, Weber, Bleuler u. a. wenigstens wahrscheinlich gemacht Wir dürfen
uns also vorstellen, daß in dem Gehirn unseres Patienten gleichzeitig zwei
difiuse, chronische, verschiedenartige Prozesse stattgefunden haben. Solche Vor¬
kommnisse sind schon für die allgemeine somatische Pathologie selten, um so
bemerkenswerter für die Pathologie des Gehirns und der Geisteskrankheiten.
Literatur.
1. W attknbebg, Archiv f. Psychiatrie. XXXII. — 2. Wollenbbro, Ebenda. XXVI.
S. 508. — 3. Msm dkl, Die progressive Paralyse. Monographie 1880. — 4. Ascher, Allgem.
Zeitschr. f. Psycb. XLVL — 5. Kaks, Ebenda. XLVIIII. — 6. Wkstphal, Gesammelte
Abbandlangen. I. 8.438. — 7. Mönkbmölleb, Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. —
8. Gaüpp, Central bl. f. Nervenbeilk. n. Psych. 1903. — 9. Strahbkt, Allgem. Zeitsohr. f.
Psych. LX1II. 1906. S. 73. — 10. Fkbkrozi, Bef. in Neurolog. Centralbl. 1902. S. 865.
' 3. Schweißanomalien bei Rückenmarkskrankheiten.
Von H. Higier in Warschau.
Wiederholt hatte ich Gelegenheit, intensive Schweißstörungen bei spinalen
Leiden zu beobachten, die teilweise vorübergehend sich einstellten, teilweise
permanent nachblieben. 1 In den letzten Jahren kamen mir mehrere einschlägige
Fälle zur Untersuchung, die einer kurzen Besprechung wert sind, zumal die
Schweißanomalien in der neurologischen Semiotik ziemlich wenig Beachtung bei
Myelopathien zu finden pflegen.
Bekanntlich ist der Ursprung der Schweiß bahnen, ebenso wie der der
Tränen- und Speichelabsonderung, in der Hirnrinde zu suchen, wo sie durch
doppelseitige Centren vertreten sind. 2 Vom Hirnstamm kaudalwärts absteigend,
konzentrieren sie sich in der Oblongata, wo die Hauptzentren für alle vier
Extremitäten gelagert sind. Die Medulla spinalis ist fast ihrer ganzen Länge
nach von Schweißfasern und Schweißzentren durchzogen.
1 H. Hiqibb, Zar Klinik der Schweißanomalien bei Poliomyelitis anterior (spinale
Kinderlähmung) und posterior (Herpes zoster). Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901.
* Gbibojbdow bst 8chweißzentren experimentell bei Katzen im Gyros antecrnoiatns
der Hirnoberfläche festgestellt
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2 *
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Schlesinger unterscheidet im Rückenmark vier paarige Hauptterritorien,
die einigermaßen mit den segmentalen sensiblen Versorgungsgebieten überein*
stimmen, dieselben jedoch an Umfang übertreffen: 1. für das Gesicht, 2. die
obere Extremität, 3. die obere Rumpfhälfte, Hals, Nacken und behaarten Kopf
und 4. die untere Extremität Die sudoralen Anomalien sollen sich meistens
mit Sensibilitätsstörungen vergesellschaften, während sie bei ausschließlich moto¬
rischen Defekten kaum Vorkommen und sie okkupieren nicht selten Territorien
mit den gleichen Grenzen, derart jedoch, daß bei einseitigem Auftreten der
Sensibilitätsstörung sie an den entsprechenden Stellen der anderen Körperseite
zu erscheinen pflegen. 1
Ich lasse nun nach diesen einleitenden Worten im Auszug das Wichtigste
aus meinen Krankengeschichten folgen, insofern es die betreffenden Schwei߬
anomalien berücksichtigt, die zur Gruppe der regionären, dauernden Anidrosen
gehören.
Fall I. 28jährige Dame. Erkrankt im Laufe von 3 Tagen ohne Fieber¬
erscheinungen an Lähmung der unteren Extremitäten mit allmählich sich ent¬
wickelnder beiderseitiger Blindheit. Komplette Paraplegia inferior. Herabsetzung
der Kniescheiben- und Achillessehnenreflexe. Retentio urinae et alvi. Ab¬
schwächung sämtlicher Sensibilitätsqualitäten an den Beinen. Doppelseitige akute
optische Neuritis.
Die Diagnose schwankte die erste Woche zwischen multipler Sklerose,
luetischer Meningomyelitis und diffuser infektiöser Encephalo-
myelitis, bevorzugend die lumbale Intumescenz. Bei Anwendung intensiver
schweißtreibender Mittel (Salicyl und Pilokarpin) und Einpackungen fiel es auf,
daß die untere gelähmte Körperhälfte am profusen Schwitzen beinahe keinen
Anteil nahm (Anidrosis inferior).
Fall II. 41jähriger Zimmermann. Stürzt von einstöckiger Höhe, wobei
sich im Laufe einer Woche das Bild einer schweren flasken motorischen Läh¬
mung der Beine entwickelt mit Aufhebung der Sensibilität, besonders des
Schmerz- und Temperatursinnes, mit Atrophie der Muskulatur, Schwäche der
Sehnen reflexe, Inkontinenz der Blase und des Mastdarmes und absoluter Impotenz.
Die Diagnose lautete: centrale Hämatomyelie im Gebiete des Lumbal¬
markes, wahrscheinlich kombiniert mit extramedullärer Blutung. Bei
einer interkurrenten Influenz erwies sich, daß die untere Körperhälfte ganz
trocken bleibt, wenn die obere profus schwitzt (Anidrosis inferior).
Fall III. 52jährige Frau. Leidet seit über 25 Jahren an progredienter
Schwäche der rechten Hand. Rechts Krallenhand, dissoziierte Sensibilitätsstörung
an beiden oberen Extremitäten und der rechten Gesichtshälfte. Anzeichen von
Bulbärparalyse. Fehlen des Schwitzvermögens am Arm und Rumpf rechts.
Die einzig zulässige Diagnose war die einer schleichend sich entwickelnden
Syringomyelie, welche vom rechten Vorderhorn der Cervikalanschwellung des
1 H. ScoLEsraoBE, Separat-Abdruck aus der Festschrift zu Ehreu von Mobitz Kaposi
1900.
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Rückenmarkes ausgehend, nach oben und unten um sich greift und die exquisite
Schweißanomalie verursacht (Anidrosis superior dextra).
Fall IV. 4Sjähriger Rentier. Vor 5 Jahren Exstirpation der linken, ge¬
schwulstartig degenerierten Niere. Im Laufe von */ 4 Jahren entwickelte sich
— etwa 4 Jahre nach der glücklich überstandenen Operation — eine enorm
schmerzhafte, später schmerzlose schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten
mit Aufhebung sämtlicher Reflexe, Retentio et Incontinentia alvi et urinae,
Gefühllosigkeit der Beine, Decubitus sacri und Metastase in der linken Tibia.
Die Diagnose lautete: Sarcomatosis diffusa caudae equinae mit nach¬
folgender lumbosakraler Kompressionsmyelitis. Patient, der normaliter
zu den leicht schwitzenden Personen gehörte, war in den letzten Wochen seines
Lebens äußerst beunruhigt über Anfälle enormen Schwitzens des Gesichtes und
der Kopfoberfläche. Bei genauer Nachforschung erwiesen sich die Schweißanfälle
als septische, vom Decubitusgeschwür herstammende Erscheinung, wobei die un¬
gewöhnliche Intensität der Schweißsekretion am Gesicht und Kopfe darin ihre
Erklärung fand, daß die Beine und die untere Rumpfhälfte an der Elimination des
Schweißes nicht teilnabmen und deswegen der Organismus gezwungen war,
sämtliche Ausscheidungsprodukte der oberen Körperhälfte zu überlassen (An¬
idrosis inferior).
Es waren somit in dreien meiner Fälle der lumbale, bzw. auch sakrale
Rückenmarksabschnitt affiziert, in einem die cervikale lutumescenz ergriffen,
wobei in jenen Fällen der Prozeß bilateral symmetrisch, in diesem sich vorzugs¬
weise an einer Seite lokalisierte. Die betroffenen Schweißterritorien waren
gleichzeitig mit den motorischen und sensiblen Gebieten lädiert.
Die Schweißdrüsensekretion ist somit nicht als physikalischer Filtrations¬
prozeß zu betrachten, bei welchem das Nervensystem nur indirekt durch Ver¬
mittelung der vasomotorischen Nerven einwirkt. Ob die Sekretionsnerven, die
wahrscheinlich durch das ganze Rückenmark zerstreut sind, ihre Centren in den
Vorderhörnern neben den motorischen Ganglienzellen (Adamkiewicz, Biedl),
oder in der Basis der Hinterhörner (Chaboot) besitzen, ist aus unseren Be¬
obachtungen kaum zu erschließen, da der Krankheitsprozeß diffus die spinalen
Intumescenzen affizierte. Ergriffen kann die Schweißbahn auf ihrem ganzen
Verlaufswege werden, der, nebenbei gesagt, ziemlich kompliziert ist. So treten
beispielsweise bei der Katze die Schweißfasern für die Hinterpfoten (Nawhockj,
Lanoley) in den vorderen centrifugalen Wurzeln — in der 12. Dorsal- und den
vier obersten Lumbalwurzeln — aus dem Rückenmark aus, um in der Nähe
der spinalen Ganglia intervertebralia auf dem Wege der weißen Rami communi-
cantes den Sympathicus zu erreichen. Den sympathischen Grenzstrang durch-
passiereud, verlassen die Schweißfasern denselben, um auf dem Wege der grauen
Rami cominunicantes von den zwei letzten sympathischen Lumbal- und zwei
ersten Sakralganglien zum Plexus ischiadicus, der die Hinterpfote innerviert, zu
gelangen.
Reizung bzw. Unterbrechung können die sekretorische Nervenbahn betreffen:
in ihrem peripheren Verlaufe (Narbe), im sympathischen Grenzstraug (Lymphom),
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im Intervertebralganglion (Herpes zoster), oder endlich in den Zentren des
Rückenmarkes'(Poliomyelitis) and der Hirnrinde (Migräne).
Ich bin der Meinung, daß Schweißanomalien (Anidrose, Hyperidrose, para¬
doxe Schweißsekretion) sich bei den Myelopathien, die hier zur Besprechung ge¬
langten, bedeutend häufiger würden nachweisen und diagnostisch verwerthen
lassen, wenn sie nur gesucht und beachtet werden.
II. Referate.
Anatomie.
1) Einiges vom „Gehirn" des Amphioxus, von L. Edinger. (Anat. Anzeiger.
XXVIII. 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Mit der von Bielschowsky angegebenen Silber-Aldehydmethode hat Verf.
eine Reihe bisher ganz unbekannter Strukturen am Kopfende des Centralorganes
von Amphioxus nachgewiesen.
Hierhin gehört zuerst ein noch nicht beschriebener Nerv, der genau wie ein
Riechnerv von der basalen Fläche des Gehirns entspringt und ganz an dessen
Spitze noch vor dem bisher als erstem Nerven bezeichneten dicken Bündel ge¬
legen ist. Er wendet sich zur Frontalwand des Organes, kreuzt dort mit einem
Teile seiner Fasern und zieht schließlich zu einem an der Dorsalseite des Kopfes
gelegenen epithelbedeckten Kanal, dessen funktionelle Bedeutung noch unklar ist.
Möglicherweise handelt es sich um das Riechorgan des Tieres. Ferner konnte
Verf. feststellen, daß von dem erwähnten sogen, ersten Nervenpaare ganz vorn
sich zwei „Ästchen“ loslösen, welche in dem Pigmentfleck der „Augen“ verschwinden.
Durch diesen Befund wird die Annahme, daß der Pigmentfleck ein Sinnesapparat
ist, befestigt.
Durch die Reduktionsmethode wurde in Querschnitten aus dem Rückenmark
eine solche Fülle von Nervenfasern aufgedeckt, daß sie ganz wie bei den anderen
Vertebraten auf Einzelschnitten gar nicht zu deuten und zu übersehen Bind. Die
Stränge der weißen Substanz ließen sich aber an Längsschnitten im wesentlichen
als aufsteigende Wurzelfasern analysieren. Am deutlichsten trat dies bei
den dickfaserigen Dorsalsträngen und den feinen Ventralsträngen hervor.
An den dorsalen Riesenzellen des Frontalabschnittes, der „Oblongatä“ der
Autoren, sah Verf. zahlreiche Nervenbahnen sich verästeln, ohne daß es ihm ge¬
lungen wäre, den genaueren Verbindungsmodus zwischen Faser und Zelle zu er¬
kennen.
2) The inorease in the nuxnber and Bise of the medullated flbres in ocolo-
motor nerve of the white rat and of the oat at different ages, by Tho¬
mas Harris Boughton. (Journ. of comparative Neurology and Psychology.
XVI. 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Verf. hat sich der mühsamen Arbeit unterzogen, eine genaue Zählung der
Wurzelfasern des 3. Hirnnerven bei weißen Ratten und Katzen in verschiedenen
Lebensaltern vorzunehmen. Bei beiden Arten findet nach der Geburt eine starke
Zunahme der Markfasern statt. Bei der Katze beträgt die Zunahme zwischen
dem Alter von einem Tage und von 6 Monaten 157 °/ 0 . Die Annahme eines
früheren Autors (Schiller), daß die Wurzelfasern des N. oculom. schon bei der
Geburt vollzählig vorhanden seien, ist demnach nicht zutreffend. An den Mark¬
fasern des Okulomotorius findet ferner eine Kaliberzunahme während der ganzen
Lebensdauer der Tiere statt, wobei aber immer eine Differenz zwischen den
jüngeren, schmäler aussehenden und den älteren, breiteren Elementen erkennbar
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bleibt. Es liegt also in dem relativen Kaliber der Faser stets ein Hinweis für
ihr Alter.
Physiologie.
3) Über die Bestehungen zwischen dem Gewichte des Gehirns und der
körperlichen sowie geistigen Beschäftigung des Mensohen, von Prof. Dr.
J. Matiegka. (Revue e neurologii. 1906.) Ref.: Peln&r (Prag).
Verf. zeigt anf Grand von zahlreichen Untersuchungen, daß es möglich ist,
eine gewisse Beziehung zwischen dem Gewichte des Gehirns und der Beschäftigung
zu eruieren. Die Untersuchung muß natürlich sehr eingehend sein und muß allen
irreführenden Verhältnissen zu entweichen verstehen. Diese Beziehungen lassen
sich durch zweierlei Umstände erklären: 1. eine gewisse Geschicklichkeit und
Fähigkeit, die zu einer vorteilhaften Treibung gewisser Beschäftigung nötig ist,
hängt von gewisser physischer und psychischer Eigentümlichkeit ab; 2. Organe
können durch Tätigkeit und Übung verändert werden. Es gibt typische Variationen
des Hirngewichtes je nach dem Alter, nach der Konstitution, Muskelentwickelung,
Ernährung des Menschen, je nach dem Zustande der Gesundheit, Krankheit und
der Art des Ablebens. Jedoch werden gewisse Beziehungen zwischen dem Gehirn¬
gewichte und der Intelligenz durch verschiedene Statistiken klargelegt. Die Art
der geistigen Beschäftigungen hat zwar keinen entscheidenden, aber doch einen
konstatierbaren Einfluß auf das Gewicht des Gehirns.
4) Über die Bewegung der Vögel nach Durchschneidung hinterer BQeken-
markswurzeln. Ein Beitrag zur Physiologie des Centralnervensystems
der Vögel (nach Untersuchungen an Columba domestica), von Dr. Wilh.
Trendelenburg. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1906.) Ref.: S. Klempner.
Untersuchungen über die Bewegungsstörungen, welche nach DurchschneiduDg
der centripetalen Nerven einer Extremität eintreten, sind bisher außer an Säugern
nur noch am Frosch ausgeführt worden.
Da die Abhängigkeit der Bewegung von den centripetalen, bei der Bewegung
ausgelösten Erregungen in erster Linie von dem Bewegungsmodus selbst abhängt,
so sind gerade bei den Vögeln von der Durchschneidung hinterer Rückenmarks¬
wurzeln interessante Ergebnisse zu erwarten, weil es sich erstens um Zweifüßer
bandelt, wo der Sensibilitätsverlust eines Beines eine wesentlich andere Bedeutung
hat als beim Vierfüßler, vor allem aber in der FlugbeweguDg eine Bewegung
gegeben ist, die von der Gehbewegung in verschiedener Hinsicht prinzipiell ab¬
weicht.
Verf. hat im ganzen 56 Hinterwurzeloperationen ausgeführt, davon 14mol
einseitige Flügeloperationen (d. h. Durchschneidung sämtlicher zu einem Flügel
in Beziehung stehender Wurzeln), 15 mal doppelseitige, 19 mal einseitige Bein¬
operation (d. h. Durchschneidung sämtlicher zu einem Bein in Beziehung Btehender
Wurzeln), 8 mal doppelseitige.
Außerdem wurden 25mal Exstirpationen von Großhirn und Labyrinth mit
Hinterwurzeloperationen kombiniert.
Die wichtigsten Schlüsse, die vom Verf. aus dieser bedeutenden Arbeit ge¬
zogen werden, sind folgende:
1. Alle Erscheinungen an den operierten Tauben sind reine Ausfalls¬
erscheinungen.
2. Der die normale Flügelhaltung bedingende Tonus ist nicht am Flügel
reflektorisch ausgelöst. Die Flügelreflexe selbst werden wahrscheinlich in erster
Linie durch Vermittelung der lumbalen Hinterwurzeln ausgelöst.
3. Bei einseitig flügeloperierten Tieren werden die Bewegungen normal aus¬
geführt, bei denen der normale Flügel mitbewegt wird, wo einseitige Flügeltätig¬
keit erfordert wird, zeigt sich der Bewegungsausfall auf der Operationsseite.
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4. Da Erhaltensein der centripetalen Flügelnerven die Bedingung des fre-
quenten, zum Fluge befähigenden Flügelschlages ist, tritt kein Erlernen de6
Fliegens bei doppelseitig operierten Tieren auf.
5. Bei einseitiger Beinoperation treten die centripetalen Reize der normalen
Seite nicht vikariierend ein, wie am Flügel; die Besserung der Erscheinungen
nach einseitiger Beinoperation beruht auf funktionellem Ersatz; diese Besserung
bleibt bei doppelter Beinoperation aus.
6. Durch die Hinterwurzeln werden wahrscheinlich normalerweise Hemmungen
vermittelt, welche in reflektorischer Hemmung der Beinhebung bestehen, daher
das abnorme Hochheben der Beine bei den Tieren nach Durchschneidung der
Hinterwurzeln des Beines.
7. Der Gesichtssinn hat für den Ausgleich der Gangataxie keine Bedeutung.
8. Durch eine der Flügeloperation nachfolgende Labyrinthexstirpation tritt
keine Änderung der Flügelhaltung ein, dagegen tritt durch eine der Beinoperation
nachfolgende ein- oder doppelseitige Labyrinthexstirpation eine erhebliche Storung
der bereits eingetretenen Kompensation ein.
9. Der Flügeltonus kommt nicht unter Vermittelung des Großhirns zustande.
Großhirnexstirpation hebt die nach einseitiger Beinoperation erlangte Kompensation
nicht auf; auch die großhirnlose Taube kann die nach der Beinoperation ein-
tretende Bewegungsstörung noch gut kompensieren.
Pathologische Anatomie.
5) Regeneration collsterale de flbres nerveuses terminees par des massues
de orolssanoe ä l’öt&t pathologique et ä 1’ötat normal; lesions tabötiquea
des racines medullaires, par Nageotte. (Nouv. Iconogr. de la Salp. 1906.
Nr. 3.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Den ganzen Inhalt der Arbeit in einem kurzen Referat wiederzugeben, ist
unmöglich, es muß auf das Original verwiesen werden. Die Schlüsse, die Verf.
aus der mikroskopischen Untersuchung seiner 5 Fälle (einer eine Wurzelläsion
beim Rektumkarzinom, zwei Paralysen, ein Fall von Tabes mit Muskelatrophie)
zieht, sind folgende:
Der Form der Nervenregeneration, welche allein bis jetzt bekannt ist und
welche man Regeneratio terminalis nennen könnte, kann man eine andere an die
Seite stellen, welcher der Name Regeneratio collateralis zukommt. Bei der ersten
Form entstehen die neugebildeten Fasern an der Außenseite des Stumpfes des
amputierten Stückes; bei der zweiten entstehen die neugebildeten Fasern im Ge¬
biete des Neurons, das dem Lebenscentrum des Nerven am nächsten liegt, sei es
am Zellkörper, sei es am Neuriten, in Form von Kollateralen. Die letzteren
Formen wie die der terminalen Regeneration endigen in Wachstumskeulen (Cajal),
welche beim Erwachsenen die Wachstumszapfen der embryonalen Periode dar¬
stellen. Die pathologische kollaterale Regeneration ist weiter nichts als eine
Übertreibung der normalen kollateralen Regeneration. Am bequemsten beobachtet
man die normale kollaterale Regeneration an den Rückenmarksganglien und an den
sympathischen Ganglien des Menschen und junger Tiere, das sind die in Kugeln
endigenden Fasern von Cajal. Man findet ähnliche Bildungen in der grauen
Rückenmarkssubstanz des Menschen im normalen und pathologischen Zustande
wieder. Cajal faud sie in der Gehirnrinde junger Hunde, die an der „Maladie
des jeunes chiens“ litten; es handelt sich also nicht um einen Prozeß, der aus
schließlich den hinteren Wurzeln eigentümlich ist, sondern höchstwahrscheinlich
um eine Allgemeinerscheinung.
Die pathologische kollaterale Regeneration kann leicht an den Rückenmarks¬
ganglien der Tabiker studiert werden, wo sie das Streben hat, die zugrunde ge-
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gangenen Wurzelfasern zu ersetzen, ohne natürlich dazu zu gelangen, wenigstens
in den beobachteten Fällen, ihren Zweck zu erreichen. Es ezistirt bei der Tabes
eine Läsion der Wurzelfasern, welche ihrer völligen Zerstörung vorangeht, und
welche durch die Methode von Ramon y Cajal entdeckt ist. Die Läsion, welche
in einer rosenkranzähnlichen Anschwellung der Achsencylinder besteht, nimmt das
ganze Gebiet der hinteren Wurzelfaser ein. In der vorderen Wurzel findet sie
sich nur, wenigstens im Beginn der Krankheit, in der Gegend und unterhalb des
Entzündungsherdes der transversalen Neuritis.
6) Forms of degenerations in the posterior oolumns of the spinal oord,
by R. T. Williamson. (Medical Chroniole. 1906. Okt.) Ref.: M. Rhein boldt.
Verf. gibt eine Übersicht über verschiedene — nicht sekundäre — Degene¬
rationen der Hinterstränge des Rückenmarkes. Einer Gruppe von Degenerationen
mit Beginn in den intramedullären hinteren Wurzeln direkt nach deren Eintritt
in das Mark wurde eine zweite Gruppe Hinterstrangdegenerationen gegenüber¬
gestellt, welche diesen Beginn nicht erkennen lassen (also centralen Ursprunges
sind?). Verf. beschreibt bei schwerem Diabetes mellitus extra* und intraspinale
Marchi-Degeneration der hinteren Wurzeln (mediales Bündel) und in höheren
Rückenmarksabschnitten G oll sehe Strangdegeneration und statuiert Analogien des
klinischen Bildes der schweren Diabetes zu dem der Tabes (Reflex-, sensible-
trophische Störungen). Des weiteren beschreibt Verf. Hinterstrangdegenerationen
bei Tumoren, schwerer Anämie, multipler Sklerose.
Pathologie des Nervensystems.
7) Bin Beitrag zur Pathologie der Tabes, von Dr. W. Spielmeyer. Aus
der psychiatr. Klinik in Freiburg (Prof. Dr. Ho che). (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. XL. 1905.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz).
Von der Erwägung ausgehend, daß nach der neuen Cajal-Methode behandelte
Rückenmarkspräparate uns Aufschluß bringen über das Verhalten des marklosen
Nervengewebes, die ihre Ergänzung durch den Vergleich mit entsprechenden
Neurogliapräparaten finden — das Gliabild ist gewissermaßen das Positiv des
Nervenfaserbildes —, färbte Verf. Rückenmarksteile von Tabeskranken nach diesen
beiden Methoden.
Um die Fehlerquellen des Cajal sehen Färbeverfahrens, die in unvollständiger
und ungleicher Inprägnation bestehen, einigermaßen zu vermeiden, fertigte Verf.
möglichst dünne Schnitte aus wenig umfangreichen Stücken (nur Rückenmarks-
hälften oder auch nur sektorförmige Ausschnitte) an.
Die Resultate, die er bei seinen Untersuchungen erhielt, sind kurz folgende:
„Das Achsencylinderpräparat Cajals zeigt in den centralen Endstätten des
erkrankten, sensiblen Protoneurons die Ausfälle marklosen Faserwerkes, vor allem
die Ausfälle pericellulärer Neuritenausläufer an. Besonders prägnant sind die
Bilder aus Clarkeschen Säulen und aus den Hinterstrangskernen. Das Glia-
präparat zeigt eine Wucherung der gliösen Begleitfasbrn an Stelle der zugrunde
gegangenen Hinterwurzelfasern, eine diffuse Vermehrung der Stützsubstanz (Goll-
scher Kern) und eine exquisit pericelluläre Gliawucherung (Clarke sehe Säulen).
Es ist also das Gliapräparat das Positiv zu dem nach der Cajal sehen
Methode gefundenem Bild.
Aus der Art und W T eise der Anordnung des Stützgewebes in den tabischen
Hintersträngen gewinnt Verf. den Eindruck, daß neben der Richtung der dege¬
nerierten Nervenfasern vor allem auch statische Momente für das Verhalten der
Neurogliafasern untereinander in Betracht kommen.
Entsprechend der Vermehrung der Glia in der Kleinhirnrinde lassen sich in
dem Achsencylinderpräparat Cajals deutliche Faserausfälle in der molekulären
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Schicht, vor allem wechselnd starke Lichtungen in den Dendritenverzweigungen
der Purkinjeschen Zellen nachweisen.“
8) Tabes pendant Involution duquel apparait un ohanore vraisemblable-
ment syphilitique. Retard dans Involution anatomique des lösions
medullairea. Növrites periphöriques intenses en rapport aveo une
arthropathie du genon, par H. Verger et H. Grenier de Cardenal.
(Revue neurologique. 1906. Nr. 13.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Das Wesentliche des Inhaltes der vorliegenden Mitteilung ist schon im Titel
derselben enthalten. Es handelte sich um einen ziemlich protrahiert verlaufenen,
jedenfalls auch klinisch einigermaßen bemerkenswerten Tabesfall (Sektion, mikro¬
skopische Untersuchung). (Ref. bemerkt, daß als erstes Symptom angeblich lan-
zinierende Schmerzen aufgetreten sein sollen, bald wieder verschwanden und erst
nach 17 Jahren wiederkehrten; in die Zwischenzeit fällt die [luetische?] Genital¬
affektion; absolut sichergestellt möchte es dem Ref. nach der Beschreibung nicht
erscheinen, daß tatsächlich die erstgenannten Symptome bereits der tabischen Er¬
krankung angehörten.) Die Verff. betonen den Seltenheitswert, der diesem ihrem
Befunde innewohnen würde. Von Interesse sind noch die Degeneration der von den
Verff. histologisch untersuchten Nerven der beiden unteren Extremitäten, die in ganz
besonders erheblichem Maße die Nervenfäden um das arthropathische linke Knie¬
gelenk betraf (kurzer Hinweis auf die Theorie von Pitres und Vaillard), sowie
die relative Geringfügigkeit der Läsion im Rückenmark trotz der langen Krank¬
heitsdauer.
9) Kann die Entwickelung der Tabes oder der Paralyse durch ent¬
sprechende Behandlung der Syphilis verhindert werden? von Prof K.
v. Kötly. (Orvosi Hetilap. 1906. Nr. 1.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
Verf. führt aus, daß der größere Teil der syphilitisch Kranken entweder
überhaupt keiner oder nur einer mangelhaften Behandlung teilhaftig werde und
es sei daher zweifelhaft, ob bei Kranken, die Syphilis erworben hatten und spater
der Tabes verfielen, tatsächlich eine Ausheilung der Lues erfolgte. Man kann
annehmen, daß das syphilitische Virus nur dann Tabes oder Paralyse hervorrufe,
wenn es nicht rechtzeitig vertilgt wurde und daher meint er, daß man durch
entsprechende und ausdauernde Behandlung der Syphilis die Folgeerkrankungen
des Nervensystems in den meisten Fällen zu verhindern imstande ist.
Im Laufe seiner 40jährigen Praxis sah Verf. bei keinem der von ihm be¬
obachteten und zum Teil behandelten Syphilitiker Tabes oder Paralyse auftreten.
10) Über inkomplette Formen von Tabes dorsalis (Formes frustes), von
Albert Sigerist. (Inaug.-Dissert. Tübingen 1906.) Ref.: S. Klempner.
Verf. beschreibt 17 Fälle von atypischer, sogen, inkompletter Tabes, wo eins
oder mehrere Symptome der Trias: Argyll-Robertson, Westphal, Romberg fehlen.
Es ergibt sich, daß in Übereinstimmung mit den meisten neueren Autoreil
das Erlöschen des Achillessehnenreflexes das frühzeitigere und häufigere Symptom
der inzipienten Krankheitsformen zu bezeichnen ist.
Romberg war nur in 2 Fällen positiv, in zwei andeutungsweise, lokomoto-
rische Ataxie in 4 Fällen, das Biernakische Symptom fand sich in keinem
der Fälle.
Kältehyperästhesie des Rumpfes bestand in 5 Fällen.
Von größter Bedeutung für die Frühdiagnosen sind die intestinalen und
vasomotorischen Krisen (2 mal Larynxkrisen, 6 mal Magenkrisen, 3 mal sonstige
Intestinalkrisen bei sonst geringen und inkompletten Symptomen.)
7 mal wurde der Liquor cerebrospinalis untersucht, es ergab sich in jedem
Falle positiver Befund, d. h. Vermehrung der Lymphocyten.
11) Über atypische Verlaufsformen der Tabes, von Schüller. (Wiener
med. Wochenschr. 1906. Nr. 17 u. 18.) Ref.: Pilcz (Wien).
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Als atypische Tabesformen gelten die mit besonders benignem und die mit
rasch fortschreitendem Verlauf, ferner die abnorm lokalisierten und die mit anderen
Nervenerkrankungen kombinierten Formen. Eine Verlaufsform, die Tabes mit
plötzlich auftretenden schweren Lähmungen, wird ausführlicher besprochen. Es
werden 5 Fälle beschrieben, bei welchen derartige Lähmungen teils unter dem
Bilde der akuten Paraplegia inferior, teils unter dem Bilde der Landry sehen
Paralyse auftraten. Charakteristisch ist der Eintritt der Lähmungen in einem
frühen Stadium, die Schlaffheit derselben mit gleichzeitiger Ataxie, endlich der
rasche [Rückgang der Lähmungen.
Ähnlich kommen vor akute monoplegische und hemiplegische Formen. Diese
plötzlich auftretenden Lähmungen können unter der Bezeichnung „tabische Attacken“
zusammengefaßt werden.
Wie in früheren Arbeiten des verdienstvollen Autors, finden sich auch hier
zahllose höchst bemerkenswerte Daten anscheinend ganz in parenthesi eingestreut,
welche von der Belesenheit wie persönlichen Erfahrung des Verf.’s beredtes Zeugnis
ablegen; so z. B. der interessante Hinweis, daß die cervikalen Fälle vorwiegend
Frauen betreffen, ferner Mitteilung eines Falles von Tabes subacuta unter dem
Bilde der Bulbärparalyse (mit histologischem Befunde), therapeutische Ratschläge
(Verf. plädiert bei den „Attacken“ für eine Jod-Quecksilberkur) usw.
12) Einige wenig beschriebene Formen der Tabes dorsalis, von Professor
Michael Lapinsky in Kiew. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXX.
1906.) Ref.: E. Asch.
In 5 Fällen von Tabes fanden sich in den Anfangsstadien die sensiblen
Störungen in einem geringen Grade ausgebildet oder fehlten vollständig, während
eine Verminderung der motorischen Funktionen mehr in den Vordergrund trat.
Und zwar handelte es sich dabei um Muskelschwäche mit und ohne Atrophie in
den Extremitäten, Abnahme des Muskeltonus bei normaler elektrischer Reaktion
der Muskeln und Nerven. Meistens tritt nach einiger Zeit unter dem Einfluß
einer geeigneten Therapie Besserung ein. Es handelt sich dabei wahrscheinlich
um eine Affektion der Zellen der Vorderhörner, welche aber nicht als Degeneration,
sondern als Herabsetzung ihrer Funktion, aufzufassen ist. Ähnliche Verände¬
rungen wurden nach Durchschneidung der Hinterwurzeln experimentell hervor¬
gerufen, wobei sich Aufquellen des Zellkörpers mit Lageveränderung des Kerns
und chromatolytischen Erscheinungen fand. Möglicherweise kommt aber dabei
auch die Herabsetzung der Reize in Betracht, welche von der Peripherie her
durch die hinteren Wurzeln zu den Vorderhörnem gelangen und den allgemeinen
Tonus der Zellen der Vorderhörner erhöhen.
13) Zur Frühdiagnose der Tabes bei den Weibern, von Dr. J. Brodski.
(Korsak. Journ. f. Psych. u. Neur. 1906.) Ref.: Krön (Moskau).
In 2 Fällen traten als Frühsymptom Clitoriskrisen auf. Während der Arbeit,
selbst im Schlafe, stellte sich ein Kitzeln in der Vagina und im Uterus ein, dem
bald eine Erektion der Clitoris folgte. Die geschlechtliche Erregung steigerte
sich und führte schließlich zu einer reichlichen Absonderung einer gelben, schleimigen
Flüssigkeit. Sofort darauf empfanden die Kranken äußerst intensive Schmerzen
in den Genitalien, der Blase und in der Lendengegend. In beiden Fällen lag
Abusus in Venere vor.
14) Tabes dorsalis und Gravidität, von Dr. J. Thies. Aus der Univ.-Frauen-
klinik zu Leipzig. (Centr. f. Gynäk. 1906. Nr. 20.) Ref.: Jacoby (Mannheim).
Es besteht eine Tabes dorsalis im paralytischen Stadium, bei der die Hirn¬
nerven wenig affiziert sind. Als Ursache ist eine syphilitische Infektion anzu-
nehmen. Auffällig ist die geringe Schmerzhaftigkeit bei der Geburt und der
schnelle Verlauf derselben. Der Eintritt der Geburt wurde erst beim Einschneiden
des Kopfes bemerkt. Die Bauchpresse trat überhaupt nicht in Tätigkeit, da
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ebenso wie die Muskulatur der Beine auch die der Bauchdecken so stark ge¬
schwächt war, daß eine Spannung derselben überhaupt nicht völlig möglich war.
In dem beschriebenen Falle waren schwere Störungen sowohl der sensiblen, wie
der motorischen Nerven vorhanden, und doch war die Innervation des Uterus eine
vollkommene. Neben den Extremitäten sind auch die Funktionen der Blase und
des Mastdarms schwer geschädigt Da die motorischen und hauptsächlich die
sensiblen Nerven der unteren Thoraxhälfte und Extremitäten in ihrer Tätigkeit
schwer gestört sind, werden auch namentlich die centripetalen Uterusnerven
affiziert sein, die vom Uterus ausgehenden spinalen Reflexe werden fehlen. Die
Uterusbewegung wird demnach zumeist von den Uterusganglien ausgehen. Die
Erkrankung wurde nicht durch die Gravidität .beeinflußt und nach der Geburt
trat eine Besserung ein.
15) Ein Fall von mit Neuritis komplizierter Tabes, von Dr. S&ndor Ferenczi.
(Pester med.-chirurg. Presse. 1906. Nr. 2.) Ref.: S. Klempner.
Patient ist hereditär nicht belastet, für Potus, Lues, Bleiintoxikation be¬
stehen keine Anhaltspunkte. Seit dem 30. Lebensjahre Schwäche und Parästhesie
in den Beinen, seit dem 35. Jahre lanzinierende Schmerzen. Im Alter von 40 Jahren,
angeblich nach einer stärkeren Erkältung, stürzt Pat., von plötzlicher Schwäche
befallen, nieder. Keine Bewußtseinsstörung; Lähmung beider Beine und Blasen¬
lähmung. Im Laufe der Jahre langsam fortschreitende Besserung der Lähmungs-
erscheinungen.
Stat. praes.: Miosis und absolute Lichtstarre der Pupillen, schlaffe, sym¬
metrische Lähmung der Mm. tibialis ant. und peron., ext. et flexor. halluc. et digit.
und tric. surae, Parese der Kniebeuger mit Fehlen bzw. Herabsetzung der elek¬
trischen Erregbarkeit für beide Stromesarten, Steppergang, Fehlen des Knie- und
Achillessehneureflexes, entsprechend dem Gebiete der Lähmung taktile und ther¬
male Hypästhesie, sowie Hypalgesie.
Verf. schließt Poliomyelitis acuta, Syringomyelie und multiple Sklerose aus
und möchte den Fall als eine mit Neuritis komplizierte Tabes deuten. (Eine
komplizierende Myelitis zieht Verf. nicht in den Kreis seiner differential-diagnosti¬
schen Erwägungen. Ref.)
10) Über Analgesie der Achillessehne bei Tabes (Abadiesches Symptom),
von Dr. Racine in Essen. (Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 20.)
Ref.: E. Asch.
Die von Aba die in Bordeaux beschriebene Analgesie der Achillessehne soll
ein Frühsymptom der Tabes sein und häufig vor dem Verlust der Patollarreflexe
oder der reflektorischen Pupillenstarre Vorkommen. Um den Druck auf die Sehne
genau zu bestimmen, konstruierte Verf. eine einfache Zange, deren Branchen bei
Kompression den ausgeübten Druck in Kilogramm angeben, wie dies bei dem
Dynamometer der Fall zu sein pflegt. Es fand sich, daß beim normalen Menschen
die unangenehme Koinpressionsempfindung bei 5—10 kg, die Schmerzempfindung
bei 10 und mehr Kilogramm Druck aufzutreten pflegt. Wichtig ist, daß stets
eine bestimmte Stelle gedrückt wird und liegt dieselbe direkt hinter den Knöcheln.
Eine leichte Dorsalflexion des Fußes läßt dieselbe noch mehr hervortreten. Immer¬
hin gibt es Menschen, die bestimmt nicht an Tabes leiden, bei welchen eine starke,
auf die Achillessehne vorgeuommene Kompression von 20 und mehr Kilogramm
keine Schmerzen hervorzurufen braucht. In 33 Fällen von charakteristischer Tabes
war die Empfindlichkeit 9mal herabgesetzt, in 17 Fällen aufgehoben und in
7 Fällen (21,7 °/ 0 ) vorhanden. Stets war die Herabsetzung und der Verlust der
Empfindlichkeit bilateral, wenn auch nicht selten in bezug auf die Stärke ver¬
schieden.
Bei der disseminierten Sklerose konnte im Gegensatz zu Abadie Verf. das
Symptom nicht michweisen. Hingegen fand sich dasselbe gelegentlich bei der
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allgemeinen Paralyse* Eis durfte eich bei dem neuen Symptom weniger um ein
„tabisches Stigma“, als um ein beachtenswertes Zeichen handeln, das aber an
Wichtigkeit hinter dem Westphalschen, Argyll-Robertsonschen und Rom¬
berg sehen Symptom zurückbleibt.
17) Ein forensisoh bedeutungsvoller Fall von gastrischen Krisen, von Ohm.
(Charite-Annalen. XXX. 1906.) Ref: Martin Bloch (Berlin).
31 jähr. Patient, der im 18. Jahre ein Ulcus penis ohne Sekundärerscheinungen
gehabt, leidet seit 3 Jahren an Augenmuskellähmungen und Doppelbildern. Am
28./IX. 1904 nach Genuß eines Eisbeines starke Leibschmerzen, heftiges Erbrechen
und Durchfall; die Symptome werden vom erstbehandelten Arzt und angeblich
auch in einem Krankenhause, wo er 3 Wochen verblieb, als Fleischvergiftung
aufgefaßt. Gewichtsabnahme von 30 Pfund. Am 2l./XI., nachdem Pat. wieder
versucht hatte zu arbeiten, abermals Magenschmerzen und Erbrechen, die bis zum
24./XI., dem Tage der Aufnahme in die Charite, anhielten. Objektiv findet sich
doppelseitige Okulomotoriuslähmung mit Kontraktur der Externi, absolute Pupillen¬
starre, Rombergsches Zeichen, lokomotorische Ataxie, Hypalgesie in der Höhe
der Rippenbögen, lebhafte Reflexe. In der Zeit der Beobachtung wiederholten
sich die Anfälle mehrfach und waren 4mal mit epileptiformen Anfällen kompli¬
ziert. Diagnose: Beginnende Tabes mit gastrischen Krisen.
Die Diagnose wurde durch den im Juli folgenden Jahres in Bethanien er¬
hobenen Sektionsbefund erhärtet.
Eine Klage des Patienten bzw. seiner Hinterbliebenen gegen den Schlächter,
der das Eisbein geliefert hatte, wegen Gesundheitsschädigung durch verdorbene
Nahrungsmittel, wurde abgewiesen.
18) Grundsätze der Übungstherapie bei Tabes, von Frenkel-Heiden. (Berl.
klin. Wochenschr. 1905. Nr. 23.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Die Übungstherapie will die Störung der Koordination, die sich als mehr
oder minder starke Ataxie bemerkbar macht, beseitigen. Die Ataxie ist hervor¬
gerufen durch die Verminderung oder das Schwinden der Sensibilität der Haut,
der Gelenke und ganz besonders der Muskeln.
Die Koordinationsstörungen der Extremitäten sind natürlich das auffälligste
Symptom. Zu wenig ist aber bisher beachtet worden, daß bei dem Unvermögen
zu gehen, zu stehen und zu sitzen, die Störungen der Koordination der Rurapf-
muskulatur eine hochbedeutende Rolle spielen. Derselben ist die Fähigkeit ver¬
loren gegangen, in jedem Moment den Schwerpunkt des Gesamtkörpers so einzu-
stellen, daß die Schwerlinie in der Verbindungslinie der Drehpunkte beider Fu߬
gelenke oder in den Drehpunkt eines Fußgelenkes führt, trotz der fortwährenden
Verschiebung der Lage der einzelnen Teile des Körpers zueinander.
Praktische Aufgabe der Übungstherapie ist es, durch genaue Anweisungen
dem Kranken beizubringen, in welcher Weise die einzelnen Teile Kopf, Rumpf
in seinen verschiedenen Abschnitten, Nacken, Oberschenkel usw. bei jeder moto¬
rischen Leistung zueinander gestellt werden müssen, damit die angegebenen Be¬
dingungen für den Schwerpunkt erfüllt werden. Durch langsames Fortschreiten
von leichten zu schweren Aufgaben und unter steter Berücksichtigung der Gesetze
der normalen Bewegungen wird es möglich sein, dies zu erreichen. Eine Besserung
bleibt selten aus. Der Grad derselben richtet sich weniger nach der Schwere der
Koordinationsstörung als nach der Dauer der Kur. Damit der Erfolg ein dauer¬
hafter bleibt, ist eine mehrmonatliche Kur erforderlich. Bei 6—12 monatlicher
Behandlung geben auch die allerschwersten Fälle eine gute Prognose. Als un¬
günstige Komplikation sind anzusehen langdauernde Schmerzanfälle, heftige Krisen,
starke Pulsbeschleunigung, hoher Grad von Hypotonie. Bei der Behandlung muß
im Auge behalten werden 1. daß die Pulsfrequenz wesentlich steigt, auch wenn
jede einzelne Übung nur 2—3 Minuten dauert, und 2. daß das Ermüdungsgefühl
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fehlt Vor der Massage als unterstützendes Moment der Übungsbehandlung warnt
der Verf.
19) Contribution 4 l’etude de l'dtiologie de la maladie de Friedreich, par
Dr. G. BouchA (Memoire couronne au concours pour lee courses de voyage
en 1904. Bruxelles, imprimerie scientifique L.Severeyns 1905.) Bef.: Eduard
Müller (Breslau).
Den Ausgangspunkt dieser sehr bemerkenswerten Studie (auch ausgiebiges
Literaturverzeichnis) bildet die genaue klinische Beobachtung einer Familie (drei
Fälle), deren Glieder die Kombination von Friedreichscher Krankheit mit here¬
ditärer Syphilis zeigten. Die Erörterung der Frage nach der Häufigkeit der er¬
erbten Syphilis bei der hereditären Ataxie und nach den Wechselbeziehungen
beider Erkrankungen veranlaßte den Verf. zu dem Versuch, alle in der Literatur
vermerkten Krankheitsursachen dieses Nervenleidens kritisch zu sichten; er hat
dabei unter gleichzeitiger Berücksichtigung klinischer und pathologisch-anatomischer
Einzelheiten aber auch jene Einzelfälle gesammelt, in denen ätiologische Anhalts¬
punkte völlig fehlen (insgesamt 260 Fälle mit 5 Eigenbeobachtungen aus zwei
Familien). In pathologisch-anatomischer Hinsicht hebt auch er hervor, daß die
überaus häufige Kleinheit des Rückenmarkes schon bei frühzeitigem Tode des
Eiranken gefunden wird. Dadurch wird die Annahme einer sekundären Atrophie
hinfällig. Für die tiefgreifende Entwickelungsstörung und Unterentwickelung des
Rückenmarkes sprechen auch die ganz gewöhnlichen Anomalien des Centralkanals,
die Kleinheit der Zellen und die Dünne der Fasern. Für diese Auffassung fallen
unter den klinischen Gesichtspunkten in die Wagschale der oft gelingende Nach¬
weis des familiären Charakters, der Krankheitsbeginn in der Kindheit oder
wenigstens noch im Jugendalter, sowie die große Häufigkeit von Entwickelungs¬
hemmungen an anderen Organen sowohl bei den Kranken selbst, als auch bei
Familienangehörigen. In einer gewissen Zahl von Fällen (vor allem bei den
obenerwähnten Familien) scheint die hereditäre Syphilis, bzw. die Heredo-Para-
Syphilis eine ursächlich bedeutsame Rolle zu spielen.
Die mannigfachen, nach der Geburt einwirkenden GelegenheitsurSachen sind
hingegen von ganz untergeordneter Bedeutung. Auch die Eigenbeobachtungen
des Verf/s lehren, daß die ersten Anfänge meist viel weiter zurückliegen als die
angeblichen Krankheitsursachen. Die „Infektionstheorie“, die namentlich in Frank¬
reich viele Anhänger hat und die sporadischen Fälle erklären soll, ist irrig.
Zweifellos sind Infektionen und vor allem akute Exantheme in den Vorgeschichten
nicht selten. Infektionen sind auch imstande, zu analogen klinischen Krankheits¬
erscheinungen Anlaß zu geben (z. B. die Syphilis). Sie können aber nach Verf.
niemals das charakteristische anatomische Bild der hereditären Ataxie hervorrufen.
Die ungemein langsame Entwickelung des Leidens mit zunächst unscheinbaren
Frühsymptomen macht eine genauere zeitliche Feststellung des Krankheitsbeginnes
fast unmöglich und erschwert dadurch jede Forschung nach exogenen Krankheits¬
ursachen außerordentlich.
Die Infektionskrankheiten sind bei der Friedreichschen Krankheit, wie
Verf. in scharfer Kritik der von Demoulin für die Infektionshypothese an¬
geführten Beweise eingehend begründet (Thöse de Lille 1902), höchstens agents
provocateurs; sie kommen aber als solche besonders dann in Frage, wenn beim
familiären Vorkommen eines der Geschwister im direkten Anschluß an eine In¬
fektion wesentlich früher erkrankt als alle übrigen. In vielen Fällen, die man
für die Infektionshypothese verwertete, läßt sich nachweisen, daß Geschwister des
Patienten in annähernd demselben Alter gleichfalls an hereditärer Ataxie, aber
ohne äußere Ursachen erkrankten. Manchmal erbringt die genaue neurologische
Untersuchung der scheinbar noch gesunden und von subjektiven Beschwerden
freien Geschwister eines Kranken doch den endgültigen Nachweis der familiären
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Anlage. Sporadische Falle sind namentlich in Frankreich selten, wo die Familien
mit mehr als drei Kindern ebenfalls selten sind. Rasches Wachstum des Körpers
(Rekonvalescenz, Pubertät) löst manchmal die ersten deutlichen Frühsymptome
aus. Bei mindestens einem Viertel hat man trotz genauer Untersuchung keine
Anhaltspunkte für eine nervöse Erkrankung in der Ascendenz gefunden. Rücken¬
marksaffektionen bei den Eltern und Geschwistern, sowie in der Seitenverwandt¬
schaft, sind relativ selten; oft findet man nur neuro- bzw. psychopathische Kon¬
stitution, Epilepsie, Psychosen u. dergl. Diese Momente sind nur prädisponierende;
sie bilden also in der erkrankten Familie einen günstigen Boden für die aus
anderen, noch unbekannten Ursachen entstehende hereditäre Ataxie. Unter
122 Fällen mit Friedreichscher Krankheit ist Alkoholismus I8mal verzeichnet.
In der großen Mehrzahl dieser Fälle aber finden sich neben der Intoxikation noch
andere ursächlich vielleicht bedeutsame Momente; zudem ist der Alkoholismus oft
nur der Ausdruck der neuro- bzw. psychopathischen Veranlagung.
Unter den Schlußfolgerungen des Verf.’s sind folgende hervorzuheben:
Die Friedreichsche Krankheit beruht auf einer Entwickelungshemmung der
Hinterstränge; zu in symptomatologischer Hinsicht ähnlichen Erkrankungen können
entzündliche Prozesse führen, die aber ursächlich und pathologisch-histologisch
von der hereditären Ataxie verschieden sind. Die Ursachen der Friedreich-
schen Krankheit sind unter denen zu suchen, die fähig sind, Entwickelungs-
hemmungen hervorzurufen. Die Kritik beweist, daß nur in seltenen Fällen von
einer gleichartigen bald direkten, bald von der Seitenlinie ausgehenden Vererbung
die Rede sein kann; am häufigsten findet man in der Familie nur Zeichen einer
nervösen Entartung. Diese Entartung beruht in einem Teil der Fälle auf ge¬
wissen Intoxikationen bzw. Infektionen bei den Erzeugern ("Alkohol ismus, Tuber¬
kulose, Syphilis).
20) A famüy in which aome of the signs of Friedreichs ataxy appeared
discretely, by Lui Gardner. ("Brain 1906. S. 112.) Ref: L. Bruns.
Verf. zeigt zunächst aus der Litteratur, daß bei den hereditären Nerven¬
krankheiten Übergänge von der einen in die andere Form in der ausgedehntesten
Weise Vorkommen — namentlich auch bei den der Fried re ich sehen Krankheit
zugehörigen Formen von der spastischen in die ataktische Form. Er berichtet
dann von einer Familie, bei der die Mutter Nystagmus und Intentionstremor
zeigte: die älteste Tochter Nystagmus, spastische Parese der Beine, gesteigerte
Sehnenreflexe und Babinski, veränderte Sprache. Klumpfuß mit Pes cavus und
Krallenstellung der Zehen; drei anderen Geschwistern fehlen die Sehnenreflexe:
davon eine auch Pes cavus und Skoliose. Es fehlt hier aber in allen Fällen die
Ataxie.
21) Un caso di malattia di Friedreich interessante per ans rarissima par-
tieolarita, per Chiadini. *Riv. critica di clinica medica. 1906. Nr. 10. >
Ref.: Arth. Herrn. Hübner 'Bonn .
Bei einem erblich nicht belasteten, aber körperlich stets zurückgebliebenen,
jetzt 24 Jahre alten Mädchen, das seit mehreren Jahren den Symptomenkomplex
der Friedreichschen Krankheit bot, fand sich eine ungewöhnliche Stellung der
3.—5. Finger beider Hände. Dieselbe bestand darin, daß die ersten Phalangen
hyperextendiert, die zweiten flektiert waren. Choreatische oder athetoide Be¬
wegungen fehlten, es war nur ein leichtes Oszillieren in den betroffenen Fingern
zu beobachten. Da Knochen und Gelenke nicht deformiert waren, muß es sich
usch Verf. um eine durch Lähmung und nachfolgende Atrophie der Muskulatur
bedingte Stellungsanomalie handeln.
Der Arbeit sind Abbildungen der Kranken und der Hand beigegeben.
22) Drei mit Serum behandelte Fälle wen Tetanus traumatica* , von
J. Kentzler. ^Orvosi Hetilap. 1906. Nr. 34- 35.) Ref.: Hndovernig.
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Verf. berichtet über die Serotherapie bei 3 Fällen von traumatischem Tetanus:
Die ersten Erscheinungen der Krankheit zeigten sich 10, 7 bzw. 14 Tage nach
der Verletzung. Der 1. Fall war in 27, der 2. und 3. Fall in 26 Tagen geheilt.
Der 1. Pat erhielt 19,95 g trockenes Tizzonisches Antitoxin, der zweite 1100,
der dritte 1500 Einheiten Behringschen Serums. Die Injektion ergab keine
lokale Reaktion, als allgemeine Reaktion zeigten Bich in 2 Fällen leichte Haut¬
eruptionen. In keinem Fall zeigte sich schon nach der ersten Injektion eine aus¬
gesprochene Besserung, sondern noch eine leichte Verschlimmerung, welche jedoch
nach kurzer Zeit in Heilung überging. Ohne aus 3 Fällen allgemeine Schlu߬
folgerungen über den Wert des Serums zu ziehen, glaubt Verf., daß die Anwen¬
dung des Serums immerhin einen bedeutenden Fortschritt der Tetanusbehandlung
bedeutet. Im Anschluß stellt Verf. eine Statistik sämtlicher bisher publizierter
Fälle von Tetanus zusammen, nach welcher er zu dem Ergebnisse kommt, daß
Fälle mit kurzer Inkubationsdauer (1—10 Tage) eine größere Mortalität auf¬
weisen ; vor der Serumanwendung war der Prozentsatz der Mortalität ein bedeutend
höherer, was für die Vorteile dieser Behandlung spricht. Besondere Nachteile
der Serotherapie sind nicht nachweisbar; unter 564 Fällen zeigte sich bloß bei
17 Kranken leichtes Exanthem.
Psychiatrie.
23) Die oytologisohe und ohemisohe Untersuchung des Liquor cerebro¬
spinalis bei Geisteskrankheiten, insonderheit bei progressiver Paralyse,
von Liebscher. (Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr.45.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf. schildert zunächst genau die Technik, derer er sich bediente. Punktion
in linker Seitenlage, Entnahme einer stets gleichen Menge. Zusatz von 2 bis
3 Tropfen Formol, ®/ 4 Stunden bei etwa 2000 Rotationen in der Minute Centri-
fugieren. Rasches Ausgießen der Flüssigkeit bis auf den durch Adhäsionskraft
verbleibenden Rest. Entnahme eines Tropfens mit einer stets gleichen Kapillar¬
pipette. Fixation im Thermostat. Färbung mit Ehrliche Hämatoxylin, bzw.
Eisen-Hämatoxylin-Eosin. Zählung nach der Formel a—a' / n, wobei a die
niedrigsten, a' die höchsten ermittelten Lymphocytenwerte, n das arithmetische
Mittel sämtlicher Lymphocytenbefunde bedeutet.
Außerdem wurde der Eiweißgehalt nach der Brandheryschen Methode be¬
stimmt.
Zur Untersuchung kamen 62 Paralytiker, 9 Fälle von Dementia praecox,
12 von Epilepsie, je einer von manisch-depressivem Irresein, Melancholie und
Idiotie mit Littlescher Lähmung.
Die Befunde, welche sowohl detailliert in Tabellen wiedergegeben, wie durch
epikritische Bemerkungen erläutert werden, führen Verf. zu folgenden Schlüssen:
1. Die Lymphocytose ist der Ausdruck entzündlicher Veränderungen der
Meningen, wie sie vornehmlich der progressiven Paralyse zukommen.
2. Neben der Lymphocytose findet sich bei der Paralyse Eiweiß in mehr
oder weniger großen Mengen (0,03—0,3).
3. In Fällen von Lues findet man gelegentlich wohl auch eine ganz be¬
trächtliche Menge von Lymphocyten, während Eiweiß in kaum meßbaren Spuren
vorhanden ist, und stehen daher derartige Fälle hierdurch in einem gewissen
Hegensatze zur Paralyse.
Aus der interessanten Arbeit des Verf.’s geht insbesondere auch die hohe
differentialdiagnostische Bedeutung der Ergebnisse der Lumbalpunktion hervor.
24) La oltiodiagnosl nelle diverse forme mentali, per Eugenio La Pegna.
(Napoli 1906. 131 S.) Ref.: Merzbacher.
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Eine Monographe über den diagnostischen Wert der Lumbalpunktion bei
Geisteskranken, eine der ersten italienischen Arbeiten auf diesem Gebiete.
Das Gros der Arbeit ist einer Rekapitulation der Ergebnisse auf diesem
Gebiete gewidmet, soweit sie in der Literatur niedergelegt sind. Eine besondere
kritische Stellongsnabme zu diesen Ergebnissen ist nicht zu finden. An eigenen
Beobachtungen bringt der Verf. die Punktionsergebnisse von 65 Fällen. In
10 Fällen, in denen die Diagnose progressive Paralyse sicher stand, war der
cytologische Befund positiv (es beruht lediglich auf ein Schreib versehen, wenn im
Falle 58 wir in der Bemerkung über das Endergebnis den Worten „negativer
Ausfall“ begegnen, denn bei der Mitteilung über das Ergebnis der mikroskopischen
Untersuchung lesen wir: „im Gesichtsfelde finden wir über 50 Elemente“.) In
2 Fällen ist die Diagnose progressive Paralyse ungewiß: einmal ist hier der
Befund negativ, einmal positiv (Ref. erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß es
sich in einem der beiden Fälle um eine Lues cerebri handeln möge). Ein Fall
von Dementia praecox und ein Fall von Melancholie boten positiven Befund; beide
Kranke waren vor 10, bzw. 2 Jahren syphilitisch infiziert gewesen. Alle
anderen Fälle, Kranke mit den verschiedensten klinisch sichergestellten Diagnosen,
boten einen negativen Befund.
Die Art und Weise, wie der Verf. die Eiweißuntersuchung vornimmt,
entspricht nicht den Anforderungen der Technik, wie sie jetzt allgemein angewendet
zu werden pflegt (Essbach + Centrifugierung in graduierten Röhrchen); auch der
italienische Verf. konstatiert Vermehrung des Eiweißgehaltes bei der Paralyse und
bei Arteriosklerose (ein Ref. auch bekannter Befund). Der Verf. hat die durch
Punktion gewonnenen Flüssigkeiten auch regelmäßig der kryoskopischen Unter*
Buchung unterzogen; bei der Paralyse gibt die Kryoskopie im allgemeinen niedrigere
Werte als bei anderen Geisteskrankheiten.
Als besonders bewerkenswert erscheint die Tatsache, daß der Liquor der
Paralytiker hervorragende toxische Eigenschaften zu besitzen scheint. Sämtliche
Meerschweinchen, die intravenös mit Liquor von Paralytikern behandelt wurden,
gingen nach kurzer Zeit unter schweren Vergiftungserscheinungen zugrunde,
während diejenigen Tiere, die mit der Cerebrospinalflüssigkeit von Nichtparalytikern
behandelt wurden, keine nennenswerten Erscheinungen boten.
Recht bedenklich erscheint es uns, und dies ganz besonders im Interesse
der Punktierten, daß der Verf. zu diagnostischen Zwecken ungemein große
Flüssigkeitsmengen abläßt, in der Regel 30 ccm (!).
Die eigenen Beobachtungen hätten unserer Erwartung gemäß den Verf. zu
einem begeisterteren Anhänger der Lumbalpunktion machen sollen als er sich in
Beinen zusammenfassenden Schlußbemerkungen entpuppt. Er schätzt zwar den
Wert der Lumbalpunktion sehr hoch ein, meint aber neben anderen Bedenken
auch, ein negativer Ausfall der Lumbalpunktion spräche noch nicht mit absoluter
Sicherheit gegen Paralyse. Diese Reserviertheit scheint uns auf Grund der
sowohl vom Verf. als von anderen einwandsfreien Untersuchern gewonnenen
Befunde nicht berechtigt: uns selbst — und wir verfügen über eine sehr große
Erfahrung (120 Punktionen bei Paralysen!) — ist kein ein wandsfreier Fall
von Paralyse bekannt, der einen negativen cytologischen Befund
gezeigt hätte; jedesmal, wo er sich negativ erwies, handelte es sich eben auch
um keine Paralyse, wir halten den cytologischen Befund für den allerwichtigsten
und ausschlaggebendsten und lehnen deshalb die Diagnose Paralyse ab, wenn die
cytologische Untersuchung negativ ausfällt. Es ist sicher richtig, daß bei der
Verwertung eines positiven Befundes noch andere Momente herangezogen werden
müssen; recht wichtige Hinweise gibt hier die Betrachtung des Eiweißbefundes,
eine Tatsache, die der Verf. nicht genügend betont. Den Wert der Lumbal¬
punktion lernt man erst dann richtig schätzen, wenn man bei einer Reihe zweifel-
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hafter Fälle dureb den Ausfall der Punktion über vorher bestehende diagnostische
Zweifel hinweggekommen ißt und der Verlauf der Erkrankung dem Ausfall der
Punktion recht gegeben hat. Zweifelhafte Fälle zu punktieren hat nun der Verf.
sich kaum Gelegenheit genommen.
25) Die progressive Paralyse, von Dr. Max Neumann in Karlsruhe. (Leipzig,
1906, Benno Konegen.) Ref.: G. Dreyfus (Heidelberg).
Verf. gibt in seiner 54 Seiten umfassenden Schrift [Heft 6 aus der Sammlung:
Die wichtigsten Nervenkrankheiten in Einzeldarstellungen für den praktischen
Arzt, herausgegeben von Dr. G. Fl atau (Berlin)] in möglichster Kürze ein klares
Bild der Paralyse. Die Arbeit ist in 5 Kapitel: Ätiologie, Pathologische Anatomie,
Krankheitsverlauf, Diagnose nebst Differentialdiagnose und Therapie gegliedert.
Dem Zweck der Arbeit entsprechend, legt Verf. mit Recht das Hauptgewicht auf
eine möglichst detaillierte Schilderung der Symptomatologie, insbesondere des
Krankheitsbeginns, und gibt auf Grund scharfer Beobachtungen dem Praktiker
in anschaulicher Form die Möglichkeit der Erkennung der Paralyse an die Hand.
Bei der Ausführung der diagnostischen Hilfsmittel legt Verf. auffallend wenig
Wert auf die große Bedeutung der gerade für den praktischen Arzt sehr wichtigen
Lumbalpunktion.
26) Welche Rolle spielt die Endogenese in der Ätiologie der progressiven
ParalyseP von Dreyfus. (Allg.Zeitschr.f. Psych. LXII1) Ref.: Zingerle(Graz).
Verf. hat 268 Fälle von progressiver Paralyse, die in den letzten 15 Jahren
in der Würzburger Klinik zur Aufnahme gelangten, hinsichtlich der Bedeutung
der endogenen Anlage für die Ätiologie dieser Erkrankung bearbeitet. Aus diesem
Materiale hat sich ergeben, daß die hereditäre Anlage bei der Par. progr. keine
Seltenheit ist und beinahe gerade bo häufig angetroffen wird, wie bei den anderen
Geisteskrankheiten und daß zweitens in der Vorgeschichte einer großen Anzahl
von Paralytikern Zeichen einer krankhaften Veranlagung in Form von leichteren
oder höheren Graden psychischer Abnormitäten (Idiotie, Imbezillität, Mikrocephalie,
Epilepsie) und sogar ausgesprochenen Geisteskrankheiten gefunden werden. Man
ist also nicht berechtigt zu sagen, das endogene Moment spiele bei der Paralys.
progr. eine wesentlich geringere Rolle, wie bei anderen Geisteskrankheiten.
In 24,4 °/ 0 war eine vorausgegangene luetische Infektion mit Sicherheit oder
größter Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Die Syphilis spielt also in der Ätiologie
nicht eine so wichtige Rolle, wenn auch in einer Anzahl von Fällen ihre Be¬
deutung nicht in Abrede gestellt werden kann. Wie es schon die großen
Variationen des klinischen Verlaufes und des anatomischen Befundes wahrscheinlich
machen, hat man es vermutlich bei der Paral. progr. mit einer Zusammenfassung
verschiedener Krankheitsprozesse zu tun, die in ihrer Ätiologie und ihrem Wesen
verschieden sind; eine (kleinere?) Gruppe ist auf vorhergegangene syphilitische
Infektion Zurückzufuhren, die zweite entsteht, wie andere Psychosen, auf rein
endogener Basis.
Man ist daher nicht berechtigt, aus der Tatsache, daß jemand paralytisch
ist, zu folgern, daß der Betreffende früher syphilitisch gewesen sein muß. Ebenso*
wenig spricht das Vorhandesein einer starken erblichen Belastung gegen die
Wahrscheinlichkeit einer Paralyse und kann auch der Standpunkt nicht mehr ver¬
treten werden, daß die Nachkommenschaft der Paralytiker durch die Paralyse nur
insofern belastet sein könne, als hereditäre Lues in Betracht komme.
27) Dementia paralytioa und Syphilis, von Dr. Gaston Vorberg. (Leipzig
u. Wien, 1906, Deuticke.) Ref.: G. Dreyfus (Heidelberg).
Verf. benutzte hei seiner Darstellung zum Teil das Material von Fournier
und Raymond. Er steht auf dem Standpunkt, daß Syphilis, minderwertige Ver¬
fassung des Centralnervensystems und ungenügende Behandlung der Lues die
3 Hauptfaktoren der Paralyse darstellen. Zum Schluß bringt Verf. eine — aller*
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dings sehr kurze — Schilderung der Paralyse Maupassants und Nietzsches.
Die Arbeit ist ein znsammenfassendes Referat einer Reihe einschlägiger Arbeiten,
doch wird die Literatur nur sehr spärlich angeführt.
28) La lösende de l’immunitö des arabes syphilitiqaes relatlvement 4 la
paralysie gönerale, par Uarie. (Revue de mödecine 1906. Nr. 5.) Ref.:
W. Seidelmann (Breslau).
Bei Gelegenheit von Untersuchungen an geisteskranken Arabern des „Asile
Abbassieh“ in Kairo richtele Verf. sein Augenmerk auf die viel diskutierte Frage
naoh dem Vorkommen der Paralyse bei syphilitischen Arabern. Er fand die
Paralyse, entgegen der gewöhnlichen Annahme, bei den Arabern sehr häufig, und
unter diesen Paralytikern waren eine große Zahl Syphilitische. So betrug im
Mittel die Zahl der als syphilitisch erkannten Paralytiker 79°/ 0 . Verf. hat ferner
berechnet, daß unter den paralytischen Arabern 6 mal so oft Syphilis nach¬
weisbar war, als unter den Arabern mit anderen Geisteskrankheiten. Diese
Resultate würden allerdings gegen die Annahme sprechen, daß die syphilitischen
Araber bezüglich der progressiven Paralyse immun seien.
20) A proposito della patogenesi della parallsi progressiva e dello spiro-
ohaete pallida Sohaudinn-Hoffmann, pel Catöla (Rivista di patologia
nervosa e mentale. XI. 1906. Fase. 6.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin).
Bei 5 Paralytikern, die sämtlich syphilitisch infiziert gewesen waren, unter¬
suchte Verf. die Baucheingeweide, Muskeln, Lymphdrüsen, Gehirn, Rückenmark
und Meningen auf zahlreichen Schnitten nach der Levaditischen Methode, ohne
jemals Spirochäten zu finden. Auch in ganz frischen perivaskulären Wucherungen
war der Befund negativ. Die Paralyse kann also nicht durch direkte und un¬
mittelbare Einwirkung der Spirochäte entstanden sein.
30) Dia Plaut-Wassermannsohen Untersuchungen über syphilitische Anti¬
stoffe bei Paralytikern, von Konrad Alt. (Psych.-neur. Woch. 1906.
Nr. 36.) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. fordert eine gemeinsame Forschung der Syphilidologen und Psychiater,
um den Causalzusammenhang zwischen Lues und Paralyse aufzudecken, insbesondere
festzustellen, wie viel Syphilitiker Bpäter Paralyse bekommen. Dieses Zahlen¬
verhältnis könnte wohl am ehesten mit Hilfe der Sanitätsämter der Armee und
Marine aufgeklärt werden, weil während der Dienstzeit viele junge Leute Syphilis
erwerben und deshalb ins Lazarett kommen, der gediente Mann aber mit Hilfe
des Bezirkskommandos jederzeit wieder aufzufinden ist. Verf. schließt mit
einem Appell an die Generalstabsärzte und der Bitte um wirksame Mithilfe in
der Erforschung der Paralyse-Syphilisfrage.
31) k propoa des rapports du traumatisme et de la paralysie genörale, par
Brissaud et Rögis. (Rev. neur. 1906. Nr. 21.) Ref.: Stransky (Wien).
Der Grundgedanke der obengenannten Ausführungen ist aus den bezüglichen
Stellen des Referates über den Lille • Kongreß (dieses Centralbl. 1906. Nr. 22,
S. 1080) zu ersehen; er erscheint nunmehr etwas weiter ausgesponnen, und seitens
beider Forscher wird ihr abweichender Standpunkt insbesondere an der Hand
eines konkreten forensischen Einzelfalles, in dem Regis als Gutachter für die
Annahme einer traumatisch entstandenen Paralyse plädierte, wogegen wieder
Brissaud polemisiert, verfochten. Rögis rechtfertigt seine Annahme mit dem
Hinweis 1. auf die absolute Gesundheit der betroffenen Person vor dem Trauma;
2. auf das Mißverhältnis zwischen der relativen Geringfügigkeit des letzteren und
der Schwere der Folgeerscheinungen; 3. auf die etwa mittlere, l 1 /,—2 Jahre be¬
tragende Zeitdistanz zwischen beiden (diesen Punkt erklärt Brissaud für be¬
sonders anfechtbar); endlich noch auf das Fehlen anderweitiger ätiologischer
Momente in der Anamnese, obwohl Regis die Möglichkeit einer trotzdem statt¬
gehabten syphilitischen Infektion bzw. dadurch gesetzter Prädisposition keineswegs
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bestreitet. Im allgemeinen warnt Begis davor, Annahmen von rein wissenschaft¬
lichem Charakter, seien sie auch noch so überzeugend (wie die Lues-Paralyse-
Lehre) in der Praxis, doktrinär zu handhaben.
32) Ein Fall von progressiver Paralyse im Anschluß an einen Unfall
durch elektrischen Starkstrom, von Adam. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie
LXIII.) Bef.: Zingerle (Graz).
34 jähriger Monteur, kein Alkohol, nicht syphilitisch, verheiratet, 8 gesunde
Kinder. — Am 29. Juli 1902 Unfall, geriet durch Kurzschluß in einen Stromkreis
von etwa 200 Ampöre. Brandwunden am rechten Arm und Gesicht, war einige
Zeit bewußtlos. — Nach einem Jahre Gedächtnisschwäche und Störungen der
Sprache. September 1903 paralytischer Anfall mit vorübergehendem totalem Verlust
des Sprachvermögens. Februar 1904 Größenideen. Bei der klinischen Unter¬
suchung bestand Abmagerung, Tremor der Hände. Pupille nicht ganz rund,
minimale Lichtreaktion. Patellarreßex gesteigert. Bömberg angedeutet. Starke
Sprachstörung. Zittrige Schrift. Psychisch zeigte sich hochgradige Demenz,
euphorische Stimmung mit kindischen Größenideen. Verlauf mit zunehmender
körperlicher geistiger Schwäche. Tod unter den Zeichen allgemeiner Erschöpfung.
März 1905 Obduktion: Verdickung deB Schädeldaches. Hydrocephalus externus,
Pachymeningitis haemorrhagica, weiche Häute an der Gehirnoberfläche adhärierend,
starke Atrophie des Gehirnes, besonders über den Stirnpartien, sehr erweiterte
Seitenventrikel, Ependymgranulationen im 4. Ventrikel. Gehirngewicht 1180 gr.
33) The pathology of general paralysis of theinaane, by W.Ford Bobertson.
(Scott, med. and surg. journ. 1906. März.) Bef. Blum (Nikolassee-Berlin).
Nach Ansicht des Verf. sind die progressive Paralyse sowie die Tabes eine
echte Infektionskrankheit. Der Erreger dieser Krankheiten ist ein dem Klebs-
Löf flerschen Diphteriebazillus ähnliches Lebewesen; derVerf. nennt ihn Diphtheroid.
Er findet seine Eintrittspforten in den Körper an der durch Syphilis, Alkohol usw.
geschwächten Schleimhaut des Bespirations- und Verdauungstractus und der Blase
durch die Harnröhre. Es ist gelungen, in mehreren Fällen den spezifischen Er¬
reger aus dem Blut, der Cerebrospinalfiüssigkeit und dem Urin solcher Patienten
durch besonderes Verfahren zu züchten, und Überimpfungsversuche auf Batten,
Ferkel und eine Ziege haben bei diesen Tieren Veränderungen des Gehirns hervor¬
gerufen, die mit den bei der progressiven Paralyse beobachteten große Ähnlichkeit
darboten; auch die klinischen Symptome, Krämpfe usw. sollen lebhaft daran er¬
innert haben. Des weiteren Bucht Verf., auf seine Hypothese gestützt, die einzelnen
Begleiterscheinungen der progressiven Paralyse aus seiner Infektionstheorie heraus
zu erklären. Die Tabes führt er z. B. darauf zurück, daß Toxine längs der Nerven¬
scheiden centralwärts wanderten und so zur Erkrankung der hinteren Wurzeln
führten; den diese Toxine produzierenden Herd will er in 10 Fällen in der Blase
gefunden haben. Die Abwehrkräfte gegen die Bakterienüberflutung des Organismus
bestehen hauptsächlich in den Leukocyten, welche diese diphtheroiden Bazillen sehr
rasch auffressen; nächstdem entstehen noch bakteriolytische Antikörper. Zur Unter¬
stützung dieser menschlichen Hilfsmittel könnte man bei Tieren durch Impfen mit
diesen Bazillen solche Antikörper erzeugen und sie dem Patienten in geeigneter
Weise zuführen. Diese Therapie soll von jetzt ab am Kgl. Edinburger Asyl pro¬
biert werden.
34) Über einen eigenartigen Markfasersohwund in der Hirnrinde bei
Paralyse. Vorläufige Mitteilung von Oskar Fischer in Prag. (Wiener klin.
Wochensclir. 1906. S. 661.) Bef.: Otto Marburg (Wien).
Infolge einer das gleiche Thema behandelnden Arbeit Bordas sieht sich der
Autor genötigt, jetzt schon Mitteilung von einem eigenartigen Befund an Paralytiker-
gebirnen zu machen, den er in einem hohen Prozentsatz seiner Fälle erheben
konnte. Es finden sich nämlich beinahe durchwegs in den tieferen Bindenpartieen
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— im Baillargerschen Streifen und den darunter liegenden Schichten — an
Weigert-Präparaten rundliche oder längsovale vollkommen myelinfreie Stellen.
Meist liegen die Herde um Gefäße, sie sind kleiner oder größer und vergrößern
sich durch Konfluenz. In den oberen Schichten werden sie nie getroffen. Jede
sekundäre Degeneration fehlt.
Dem selbstgemachten Einwurf, es könnten dies Artefacte sein, vielleicht durch
die angewendete Methode bedingt, begegnet der Autor durch Modifikation der
Technik, die ein gleiches Resultat ergab. Die Fränkelsche und K»plansche
Methode zeigte gleiche Befunde und des letzteren Achsencylinderfarbung erwies
die Axone im Herd ungefärbt. Trotzdem muß man mangels sekundärer Dege¬
nerationen eine Intaktheit der Achsenoylinder annehmen. Sonst zeigte das Gewebe
solcher Herde nur eine leichte Lockerung mit Lückenbildung und deutlicher Kern¬
vermehrung. In 25 Fällen von Paralyse konnten diese Befunde 13 mal erhoben
werden. Eingehendere Mitteilungen werden in Aussicht gestellt. (Diskussion
über diese Mitteilung s. Sitzung des Vereines für Psychiatrie und Neurologie vom
8. Mai 1906.)
36) Progressive Paralyse P von Dr. Georg Knauer in Wiesbaden. (Münchener
med. Wochensohr. 1906. Nr. 8.) Ref.: E. Asch.
Ein 29 jähriger Kaufmann, Wirtshausreisender (!), der durch seinen Beruf
gezwungen war, tagtäglich größere Mengen Alkohol zu sich zu nehmen, der außerdem
einer sehr nervösen Familie entstammt und selbst von Jugend auf leicht reizbar
gewesen sein soll, hatte wegen einer vor 5 Jahren akquirierten Lues schon mehr¬
fach antiluetische Kuren durchgemacht. In der letzten Zeit hatte Patient im
Traum Anfälle von starker Erregung und Somnambulismus, wobei er weiße Ge¬
stalten mit einem großen Schlüssel drohend auf sich zuschreiten sah. Hierbei
sprang er aus dem Bett und schlug auf die eine Gestalt ein, die von der er¬
schreckten Umgebung später als seine eigene Frau erkannt wurde, welche er in
seinem schrecklichen Traum wahn aus dem Bette gerissen und am Hals gewürgt
hatte. Eine von neurologischer Seite vorgenommene genaue Untersuchung hat
angeblich somatisch nichts bemerkenswertes ergeben, insbesondere sollen Reflexe
und Sensibilität normal gewesen sein. Epilepsie soll ausgeschlossen sein. Die
nervöse Anlage soll durch geschäftliche Verluste und Aufregungen in der letzten
Zeit eine Steigerung erfahren haben. Außerdem wurde eine Abnahme des Ge¬
dächtnisses bemerkt (!).
Verf., der Dermatologe ist, stellte keine Diagnose und fragt, ob es sich in
diesem Falle um eine Frühform der Paralyse oder Alkoholismus gehandelt habe.
Zur Beantwortung der Frage und zur Stellung einer exakten Diagnose bedarf es
in erster Linie einer eingehenderen Krankengeschichte. Namentlich fehlen über
die Intelligenz, Sprache, Pupillen usw. irgendwelche Angaben, und ist die ein¬
malige Untersuchung von neurologischer Seite wohl nicht ausreichend, um mehr
als die Differentialdiagnose — Epilepsie, progressive Paralyse, Alkoholismus —
zu erhärten.
36) Frühdiagnose and Behandlung der progressiven Paralyse, von Prof.
Heilbronner in Utrecht. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr. 40.) Ref.: Pfeiffer.
Die frühzeitige Erkennung der progressiven Paralyse ist im Interesse der
Kranken bzw. ihrer Angehörigen außerordentlich wichtig und muß auch von dem
allgemeinen Praktiker durchaus verlangt werden. Verf.’s glänzend geschriebener
Aufsatz verdient weitgehendste Beachtung.
37) The early ooular slgns of dementia paralytioa, by Ward A. Holden.
(Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1905. November.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
Verf. hat an 70 Patienten mit progressiver Paralyse in frühen Stadien der
Erkrankung unter sorgfältigen Cautelen Pupillenuntersuchungen angestellt, die
folgendes Ergebnis hatten: Unregelmäßigkeiten der Pupillenränder fanden sich in
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51 Fällen d. h. 70%, Ungleichheit bei 32 Patienten (45%), der sensorische
Pupillenreflex fehlte bei 61 Patienten (87%); träge Pupillenreaktion auf Licht
auf einem oder (häufiger) beiden Augen bestand bei 15 Fällen (21 %), reflek¬
torische Pupillenstarre ein- oder doppelseitig bei 20 Patienten (28%), träge
Konvergenzreaktion gleichzeitig bei 6 Patienten (9 %). Der Durchmesser der
Pupillen schwankte zwischen 1,5 und 5 mm, bei 37 Patienten (65%) war er
kleiner, als dem Alter und dem Refraktionszustande entsprach. In der Kegel
fehlt bei reflektorischer Pupillenstarre der sensorische Reflex; die Pupillen sind
alsdann gewöhnlich eng, es handelt sich um spastische Miosis; bei weiterem Fort¬
schreiten der Krankheit läßt der Sphinkterenspasmus nach, die Pupillen werden
weit, und auch die Konvergenzreaktion wird träge oder erlischt ganz. Bei einer
Anzahl von Fällen von progressiver Paralyse zeigen die Pupillen auch in vor¬
geschrittenen Krankheitsstadien völlig normales Verhalten. Zu betonen ist, daß
auch bei der Alkoholparalyse die Pupillen genau dieselben Veränderungen zeigen
können, wie bei der echten Dementia paralytica, daß also die Augensymptome
differentiell-diagnostische Anhaltspunkte nicht darbieten.
38) Über ein bei gewissen Verblödungsprosessen, nunentlieh der progres¬
siven Paralyse, auftretendes, wenig bekanntes motorlsohes Phänomen,
von Dobrschansky. (Jahrb. f. Psycb. u. Neur. XXVII. 1906. S. 144.)
Ref.: Pilcz (Wien).
Unter dem Namen „Säuglingsreflex“ beschreibt Verf. ein Symptom, das er
hei 9 Paralytikern, 1 Katatonie und 1 Demenz nach Herderkrankung beobachten
konnte, und das in einem Öffnen des Mundes bei erfolgender Annäherung von
Gegenständen (Schlüssel, brennendes Streichholz) an das Gesicht der Patienten, in
gleicher Weise bei Berühren der Lippen mit denselben bestand.
Es zeigte sich, daß das Auftreten des Phänomens, daB als psychischer Reflex
angesprochen wird, an ein gewisses Maß von Demenz gebunden erscheint, ohne
daß dieselbe eine terminale zu sein brauchte.
Asymbolische Störungen, namentlich die vom Verf. als „relative Asymbolie“
bezeichnete Erschwerung der Auffassung, insofern sie sich in Verlangsamung der
Objektserkennung äußert, bleiben nicht ohne Einfluß auf den Ablauf des Reflexes,
doch kommt ihnen eine ursächliche Bedeutung für dessen Entstehung nicht zu.
Die befremdliche Erscheinung, daß trotz Mangels jeglicher Agnosie und ver¬
hältnismäßig geringer Demenz das Phänomen zustande kommen kann, wird durch
die Annahme der „erschwerten Rückidentifikation“ zu erklären gesucht, worunter
der zeitweilige Verlust der Fähigkeit verstanden wird, in dem Reizobjekt, das
richtig die zu seiner Erkennung und Beurteilung führenden Vorstellungen geweckt
hat, das auslösende Agens dieser Vorstellungen zu erkennen.
Die Anschauung Stranskys, daß es sich bei dem beschriebenen Phänomen
um ein Wiederaufleben von Bewegungsmechanismen aus früheren Entwickelungs¬
perioden handle, fand in den diesbezüglich angestellten Untersuchungen insofern
ihre Bestätigung, als der Reflex unter 48 Kindern zwischen dem 1. und 3. Lebens¬
jahre 5 mal vorhanden war. Vor und nach dieser Epoche soheint er de norma
zu fehlen.
Verf. erörtert auch den Unterschied des von ihm beschriebenen Phänomens
gegenüber dem Oppenheimschen Freßreflex und dem „räfiexe buccal“ von Tou¬
louse und Vurpas.
Einige der mitgeteilten Krankengeschichten illustrieren gut die fragliche
Erscheinung.
39) Un cas de main de predioateur ohes un paralytique general, par
Bouchaud. (Revue neur. 1906. Nr. 20.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Bei einem ÖOjähr. Paralytiker — Fabrikanten — entwickelte sich ziemlich
akut im Verlaufe der ärztlichen Beobachtungszeit eine geringe muskuläre Atrophie
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mit Lähmung und sekundäre Kontrakturstellung der rechten Hand vom Typus der
Predigerhand; eine genauere Sensibilitätsprüfung war wegen der Demenz des Kranken
nicht möglich; leichte rhythmische Zuckungen der Hand; elektrische Erregbarkeit
der befallenen Muskeln (Flexoren) aufgehoben; Temperatur der rechten Hand
herabgesetzt; leichte vasomotorische Erscheinungen und Hautveränderungen da¬
selbst (main succulente). Streckmuskeln des rechten Vorderarmes intakt.
Verf. bezieht die beschriebene Veränderung auf eine komplizierende Syringo¬
myelie; nach eingehender differential-diagnostischer Erörterung verhehlt er sich
aber nicht das Atypische des Befundes.
40) Arthropathie nerveuse ohez un paralytique gönöral non tabötique,
par Etienne et Per rin. (Nouvelle Iconographie de la SalpetriAre. 1906.
Nr. 3.) Ref.: ErnBt Bloch (Kattowitz).
Der Beginn des Leidens bei dem 43jährigen Kranken läßt sich bis in das
28. Jahr verfolgen, wo er schon Größenideen äußerte. Im Jahre 1901 wurde
bereits eine Anschwellung im rechten Knie festgestellt. Nach 6 Monaten (Radio¬
graphie) eine Vergrößerung der Epiphysen des Femur und der Tibia, eine ab¬
norme Beweglichkeit der Kniescheibe und des Kniegelenkes nach allen Richtungen
hin. 1904 wird er seines geistigen Zustandes wegen in das Krankenhaus über¬
führt. Stat.: Rechtes Knie in Subluxationsstellung, Deviation des Unterschenkels
nach außen. In der Haut ein großes Venennetz. Man fühlt die Verdickung der
Tibia und der beiden Kondylen des Femur. Kniescheibe beweglich. Rechts
Klumpfuß. Umfang des rechten Kniegelenkes 42 cm, links 33 cm. Wenn der
Kranke liegt und ihm die Oberschenkel fest aneinander gelegt werden, bleiben
die Malleoli interni 5 cm voneinander entfernt. Die Röntgen-Aufnahme zeigt eine
große Exostose der unteren, inneren Partie des Femur. Die Tuberositas tibiae
erscheint verdickt. An den Wadenmuskeln rechts ist die Erregbarkeit für den
faradischen Strom aufgehoben, die galvanische an der ganzen Muskulatur der
Hinterseite des rechten Beines schwächer als normal. Keine Umkehrung der
Zuckungsformel. Keine Zeichen von Ataxie, Muskelsinn erhalten, Sehnenreflexe
gesteigert, Fußklonus und Babinskisches Zeichen. Sensibilität scheint überall
intakt, der Gang ist abgesehen von der Mißbildung am rechten Knie normal,
Pupillen sind ungleich, rechts weiter wie links. Sprachstörung und geistiger
Zustand eines Paralytikers. Systolisches Geräusch an der Spitze. Bei der Autopsie
fanden sich die für Paralyse charakteristischen Erscheinungen. Das Rückenmark
war normal.
Der Fall unterscheidet sich von den bisherigen Veröffentlichungen. Während
diese eine bestimmte anatomische Grundlage für die Arthropathie bieten in den
Veränderungen der Hinterstränge, bleibt die Pathogenie dieses Falles unklar.
41) Mal perforant et paralysie gönörale, par Dr. Marie et Dr. Madeleine
Pelletier. (Arch. de neur. XXI.) Ref.: Stier (Rapperswil).
Die Verflf. berichten über drei von ihnen beobachtete Fälle von Malum
perforans bei Paralytikern. In zweien derselben war die Heilung der Eiterung
direkt gefolgt von bedeutender Remission der paralytischen Symptome. Im 3. Falle
setzte die praemortale Verschlimmerung des paralytischen Zustandes gleichzeitig
mit dem Wiederbeginn der Eiterung ein. In der Beurteilung dieser Beobachtung
sind die Verflf. sehr vorsichtig, und beschränken sich darauf, auf die (allerdings
als etwas Gesetzmäßiges erscheinende) Coincidenz dieser Vorgänge hinzu weisen.
Eine direkt heilende Wirkung des Eiterungsvorganges auf den paralytischen
Krankheitsprozeß anzunehmen, scheint ihnen bei dem jetzigen Stand unserer
Kenntnisse nicht angängig. Sie verwerfen daher auch die Erzeugung künstlicher
Abscease zu therapeutischen Zwecken bei Paralytikern unter Hinweis auf die
Ergebnislosigkeit der Versuche von Marie und Violet.
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42) Le reflexe de Babinski dans lea iotua öpileptiformes et apopoleotiformea
de la paralyaie gönörale, par Robert et Fournial. (Revue neurologique.
1906. Nr. 21.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Im Gegensätze zu den Befunden von Erdin-Deltheil und Rouviöre
konstatierten die Verff. die exzeptionelle Seltenheit des Babinski bei der progressiven
Paralyse; hingegen kann man ihn in und nach den paralytischen Anfällen vorüber¬
gehend recht ausgesprochen finden; die Verff. teilen die Krankheitsgeschichten von
Bieben solchen Fällen kurz mit.
Die Verff. stellen die Häufigkeit der Pyramidenaffektion bei der Paralyse und
die Seltenheit des Babinski bei derselben — abgesehen von den Anfällen —
gegenüber und schließen mit Miralli6, daß der Babinski keine direkten Be¬
ziehungen zur Pyramidenbahndegeneration habe; die paralytische Meningoence
phalitis, deren akute Schübe die paralytischen Anfälle hervorrufen, vermöge in der
gleichen Weise vorübergehend auch den Babinski hervorzurufen. (Die Ergebnisse
der Arbeit Starlingers scheinen von den Verff. nicht berücksichtigt worden zu
sein; d. Ref.)
43) Laevulosurie und Paralyse, von E. Jach. (Psych.-neurol. Wochenschrift.
1906. Nr. 32.) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. prüfte das Verhalten der Paralytiker auf die Zufuhr von Kohlehydraten;
die Kranken erhielten morgens nüchtern 100 g Laevulose in l / 2 Liter Wasser
gelöst, in den folgenden 4 Stunden wurde keine Nahrung gereicht. Der in dieser
Zeit gelassene Urin wurde dann auf Laevulose untersucht. Von 40 Paralytikern
schieden 29 Laevulose aus. Zum Vergleich wurde dieselbe Probe an 40 Epileptikern
und 30 anderen Psychosen (Paranoia, Dem. praec. usw.) angestellt, Von den
40 Epileptikern ergaben 21, von den anderen Psychosen 7 ein positives Resultat.
Bei 20 gesunden rüstigen Pflegern der Anstalt erfolgte 4 mal eine Ausscheidung
von Laevulose.
Es zeigte sich also, daß die Toleranz gegen Laevulose bei den Paralytikern
am stärksten herabgesetzt ist, nächst ihnen bei den Epileptikern, während die
anderen Psychosen sich in ihrem Verhalten mehr der Norm nähern.
44) Zirkuläre Formen der progressiven Paralyse, von Th. Rybakoff. (Kor-
sakoffsches Journ. f. Psych. u. Neurol. 1906.) Ref.: Krön (Moskau).
Langsamer Verlauf, anhaltende Remissionen und spätes Auftreten der Sprach¬
störungen unterscheiden die zirkuläre Form der progressiven Paralyse von der
gewöhnlichen. Anamnestisch kommt neben Lues hereditäre Belastung in Betracht.
Verf. glaubt, daß der zirkulären Form der Paralyse schneller und unregelmäßiger
Wechsel der einzelnen Phasen, Größenideen im manischen, sinnlose hypochondrische
Ideen im melancholischen Stadium eigen sind.
46) Zum Verlaufe der progressiven Paralyse, von Steiner. (Wiener klin.
Rundschau. 1906. S. 599.) Ref.: Pilcz (Wien).
46 jähriger nicht belasteter Mann, mit 19 Jahren Lues; seit November 1902
paralytische Symptome. Bei der Aufnahme pathognostische Dysarthrie. Pupillen
r. > 1., links Argyll-Robertson. Patellarsehnenreflexe >. Psychisch einfache Demenz,
pflegebedürftig, unrein, bettlägrig, muß „ausgespeist“ werden. März 1903 mehr¬
tägiges Erysipel (bis 40,3°). Einige Wochen später beginnende Remission,
welche sich in der Folge immer mehr vertiefte. 1905 in Familienpflege übergeben.
Bei einer Untersuchung (nachdem die Remission schon über 3 Jahre andauerte)
besteht eine gewisse Krankheitseinsicht. Merkfähigkeit nicht besonders gestört;
Patient beschäftigt sich gern; Schulkenntnisse dem Bildungsgrade entsprechend.
Somatische Erscheinungen stationär geblieben.
Verf. betont mit Recht die Seltenheit weitgehender und langdauernder
Remissionen gerade bei schon vorgeschrittenen Fällen und speziell bei Bolchen
der einfach dementen Form.
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41
Therapie,
46) Elektrotherapie« Die Technik und Anwendung elektrischer Apparate
in der ftratliohen Praxis, von Georg t Heber und Dr. Georg Zickel.
(Berlin und Leipzig 1906, Walther Rothschild.) Ref.: Toby Cohn (Berlin).
Ein Elektro-Ingenieur und ein Arzt haben sich zusammengetan, um ein Buch
zu schreiben, das gleichzeitig über die elektromedizinischen Apparate und die
technische Seite des Instrumentariums genaue Auskunft geben und eine „rasche
Orientierung über die medizinische Verwendbarkeit der einzelnen Verfahren er¬
möglichen“ soll, indem es „unter Fortlassung aller wissenschaftlichen Streit¬
fragen und theoretischen Erörterungen das für die Praxis Wichtige und Wissens¬
werteste aus der Physiologie, Diagnostik und Therapie über das betreffende Gebiet
mitteilt.“ In 10 Kapiteln und einem einleitenden über die technischen Grund¬
lagen werden entsprechend dem Plan der Verff. alle zurzeit gebräuchlichen Formen
der Elektrotherapie im weitesten Sinne, d. h. mit Einschluß der Radiologie,
Galvanokaustik, Elektrolyse und Lichtbehandlung, in der Weise abgehandelt, daß
zuerst das Apparattechnische unter Beifügung zahlreicher Abbildungen besprochen
und danach einiges über die diagnostische und therapeutische Verwertung der
betreffenden Stromart gesagt wird.
Bei aller Anerkennung der prinzipiellen Zweckmäßigkeit eines Zusammen-
arbeitens von Techniker und Arzt zur Darstellung des elektromedizinischen Ge¬
bietes muß man doch sagen, daß das vorliegende Buch sowohl in der ganzen
Anordnung als in den Einzelheiten ganz und gar nicht den Anforderungen gerecht
wird, die man an eine solche Darbietung stellen müßte. Abgesehen davon, daß
eine übermäßige Belastung des Praktikers mit technischen Details gewiß ein
pädagogischer Fehler ist, müßte, wenn man trotzdem nicht darauf verzichten will,
wenigstens darauf Rücksicht genommen werden, daß das hier behandelte Gebiet
etwas abseits von der allgemeinen ärztlichen Tätigkeit liegt und müßte nicht
schon auf den ersten Seiten mit vorher nicht erklärten Kunstausdrücken wie
Elektrolyt, innerer Widerstand, Spannung usw. hantiert werden, die vom
Durchschnittsleser entweder gar nicht — oder was beinahe schlimmer ist —
unklar verstanden werden. Dazu kommt die gänzliche Unzulänglichkeit des
medizinischen Teils. Die gesamte Galvanodiagnostik wird auf die ganze
Galvanotherapie auf 2 1 / 2 knapp bedruckten Seiten abgehandelt, viele wichtige
Dinge fehlen ganz; über die Kondenaatorentladung z. B. findet sich auch nicht
ein Hinweis; jede Kritik therapeutischer Heilwirksamkeit fehlt; wahllos werden
die Indikationen nebeneinander gereiht. Wie man einem solchen Werk den
Titel „Elektrotherapie“ geben kann, erscheint gänzlich unerfindlich. Es ließe
sich allenfalls als „medizinische Elektrotechnologie“ rechtfertigen, wenn die un¬
zureichenden und überflüssigen medizinischen Abschnitte in Wegfall kämen.
IIL Aus den Gesellschaften.
Ärztlicher Verein in Hamburg.
Sitzung vom 2. Oktober 1906.
Herr Nonne: Über Pseudosy Steiner krankungen im Büokenmark und
echte kombinierte Systemerkrankung bei AlooholiBmus chronicus. Ka¬
suistische Beiträge zum Kapitel des „Säufer-Skorbut“. (Der Vortrag er-
oheint in der Monatsschrift f. Psychiatrie u. Neurologie.)
Herr Liebrecht demonstriert an einer Reihe von Präparaten die Ausbreitung
des pathologischen Prozesses im Verlaufe der Sehnerven bei einem vorgeschrittenen
Falle von Neuritis alcoholica. Der Krankheitsprozeß beschränkt sich nicht allein
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auf das papillomaculäre Büudel, sondern greift auch auf die Nachbarschaft über,
ohne jemals die die Peripherie deB Gesichtsfeldes versorgenden Nervenbündel zu
erreichen. Dementsprechend finden wir in schweren, lange bestehenden Fällen
auch centrale Gesichtsfelddefekte < die weit über den durch das papillomaculäre
Bündel versorgten Bezirk hinausgehen. L. nimmt als Grundlage der Prozesse
bei dieser Erkrankung eine Systemerkrankung des papillomaculären Bündels an.
Dieselbe ist anfangs rein und kann auch rein bleiben bei bald eintretender Heilung.
In schwereren Fällen kommt es infolge stärkerer Wucherung der bindegewebigen
Septen innerhalb deB erkrankten Bündels auch zu einer Schädigung der an dasselbe
angrenzenden Nervenbündel. Der pathologische Prozeß geht über das erstergriffene
Bündel hinaus, der Gesichtsfelddefekt wird größer, der strenge Begriff einer
Systemerkrankung wird verwischt. L. setzt diese Befunde in Beziehung zu den
Befunden des Vortr. im Rückenmark und fragt an, ob nicht auch hier in der
Regel im Anfänge eine Systemerkrankung zugrunde liegen könne, wofür ihm
mancherlei zu sprechen scheine. Autoreferat.
Herr Saenger hält die Mitteilungen des Vortr. über die Befunde im Rücken¬
mark für sehr bemerkenswert. Seitdem Dejerine das Bild der polyneuritischen
Ataxie und die Lehre der Neurotabes peripherica aufgestellt hat und diese von
vielen namhaften Autoren speziell für den chronischen Alkoholismus bestätigt
worden war, nahm man als gesichert an, daß ataktische Erscheinungen bei
Potatoren auf die Erkrankung der peripheren Nerven zu beziehen seien. S. er¬
innert sich eines einschlägigen Falles während seiner Assistentenzeit im Eppen-
dorfer Krankenhaus bei Herrn Dr. Eisenlohr. * Letzterer hatte bei einem
chronischen Alkoholisten die Diagnose einer polyneuritischen Ataxie gestellt. Bei
der pathologisch-anatomischen Untersuchung fanden sich die peripheren Nerven
intakt, im Rückenmark jedoch Veränderungen in den Hinter- und
Seitensträngen. S. hat in zwei ausgeprägten Fällen eine ausgedehnte Arterio¬
sklerose gefunden. S. fragt den Vortr., ob es möglich war, bei Beinen Fällen
durch eine electro-diagnostische Untersuchung die DifferentialdiagnoBe zu stellen.
Bekanntlich findet man bei der polyneuritischen Ataxie nicht selten qualitative
Störungen der elektrischen Erregbarkeit im Gegensatz zur Hinterstrangsataxie,
wo dieselben vermißt werden. Endlich fragt S. den Vortr., ob er in seinen Fällen
Nystagmus beobachtet habe. Letzterer wurde bei primären kombinierten System¬
erkrankungen manchmal konstatiert. Autoreferat.
Herr Cimbal (Altona) fragt nach den beobachteten psychischen Störungen.
Er habe wiederholt klinische Zeichen einer spinalen Erkrankung neben oder ohne
polyneuritische Störungen bei chronischen Deliranten gesehen, speziell mit den
psychischen Symptomen der Korsak off sehen Psychose zusammen. In der Literatur
fänden sich gleichfalls spinale Herderkrankungen nach chronischem Delir ge¬
schildert (Bonhoeffer). Die geschilderte Entstehung intrafunikulärer Herde habe
große Ähnlichkeit mit der der bekannten cerebralen Herde bei chronisch-deliranten,
so daß die Annahme eines einheitlichen Prozesses nahe liege. Die Kombination
der typischen alkoholistischen Demenz mit diesen wechselnden cerebralen und
spinalen Herdsymptomen können zum Krankheitsbild der alkoholistischen Pseudo¬
paralyse führen und gewisse Fälle derselben in der Tat besser erklären, als die
Annahme einer kombinierten Erkrankung. Autoreferat.
Sitzung vom 30. Oktober 1906.
Herr Wiesinger: Fall von operiertem Sarkom der Dura mit Druok
auf die Frontallappen des Gehirns. Vortr. demonstriert einen jungen Menschen
von 20 Jahren, welcher wegen dieses Leidens von ihm operiert war. Der Patient
hatte seit etwa 1 / a Jahre öfters an Kopfschmerzen gelitten, welche erst ln den
letzten Wochen so heftig wurden, daß sie ihn von der Arbeit abhielten. Von
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Säten de* Centrala er r eM T rt e iM waren bi» dabin sonstige Störungen nicht ar.t-
^treten. Int dag em war intakt, Reis- oder Ausfallserscheinungen nicht vorhanden.
Pols regeimäßig. etwa 70. Augenhintergrand normal. Seit etwa 3 Monaten be¬
merkte Patient auf der Mitte der Stirn eine flache, langsam wachsende Herror-
Wölbung, die nicht schmerzte und sich auf der Unterlage nicht verschieben ließ.
Bd «efner Aufnahme hatte dieselbe den Umfang eines Fünfmarkstückes erreicht.
Ke Röntgen-Ehsrchleuchtung zeigte, daß die Geschwulst auch nach innen in den
Schade! eine gewisse. wenn auch scheinbar nur geringe Ausdehnung hatte. Bei
der Operation wurde etwa 1 cm von der Geschwulst entfernt der Knochen im
Gesunden ringförmig durchschnitten und herausgenommen. Es zeigte sich nun,
daß der Tumor auf der Vitrea und der Dura sehr viel weiter um sich gegriffen
hatte, so daß nach allen Richtungen, besonders nach oben und unten. Teile des
Stirnbeins in großer Ausdehnung entfernt werden mußten. Es gelang, den Sinus
iongitudinalis zu unterbinden und die Dura im Gesunden zu umschneiden. Erst
nach Zurückschlagen derselben wurde ein großer Tumorrapfen sichtbar, der von
der Innenseite der Dura nach der Schädelbasis zu durch die Schädelhöhle sich
erstreckte. Derselbe hatte einen Durchmesser von etwa vier und eine Länge von
etwa 5—6 cm und hatte die Frontallappen der Großhirnhemisphären beiderseits
nach hinten und auf die Schädelbasis platt niedergedrückt. Man konnte das
Ende de» Tumor» mit dem ein geführten Finger an der Crista Galli erreichen, mit
welcher er »ich verwachsen zeigte, so daß, um ihn zu lösen, ein Stückchen der
Crista mit dem Meißel und der Knochenzange fortgenommen werden mußte. Nun
gelang es, den großen Tumor stumpf zu lösen und mit dem umschnittenen Teile
der Dura zu entfernen. Auch in die Stirnhöhlen nach unten war der Tumor
eingednmgen, so daß beide Stirnhöhlen bis auf geringe Reste entfernt werden
mußten. Da hierdurch eine Kommunikation zwischen Nasen- und Schädelhöhle
geschaffen war und dadurch die Möglichkeit einer Infektion gegeben, tamponierten
wir diese Gegend für sich sorgfältig. Die große Höhle, welche im Schädel nach
Exstirpation der Geschwulst zurückblieb, wurde ebenfalls locker tamponiert. Der
Blutverlust bei der Operation war ein nicht unerheblicher, einige Blutungen von
der Schädelbasis her, die nicht unterbunden werden konnten, mußten durch Tam¬
ponade gestillt werden. Es gelang, den anfangs ziemlich kollabierten Patienten
über den Kollaps hinweerzubringen. Nach etwa 8—10 Tagen war die große
intrakranielle Höhle von Himmasse schon fast wieder ausgefullt, indem die Stirn¬
lappen des Gehirns sich wieder ausgedehnt hatten, spater trat sogar ein leichter
Prolaps des Gehirns ein, doch zog sich derselbe wieder in die Schädelhöhle zurück.
Eine Infektion der Wunde trat nicht ein, die Stirnhöhlen wurden stets für sich
sorgfältig tamponiert. Der Wund verlauf, welcher ein ganz normaler war, zeigte
als auffallende« Symptom ein Heruntergehen des Pulses während der drei ersten
Wochen nach der Operation auf 40—60 Schläge, also ein Puls, wie wir ihn als
Druckpuls zu bezeichnen pflegen, während doch davon selbstverständlich keine
Rede soin konnte: auch für eine sonstige Reizung des Vagus lag kein Grund vor.
Irgendwelche Reizungs- oder Ausfallserscheinungen von Seiten des Großhirns sind
während der Heilung nicht eingetreten. Psychisch aber bot der Patient in dieser
Zeit eigentümliche Erscheinungen dar, die wir als Hemmungserscheinungen der
psychischen Sphäre und als verlangsamte Leitung derselben auffassen müssen.
Sich selbst überlassen machte er einen völlig apathischen, leicht somnolentcn
Eindruck, er lag mit geschlossenen Augen, ohne sich im geringsten um seine l m-
?sbung zu kümmern oder irgendwelche Anforderungen zu stellen, da. Redete man
ihn aber an, so erwachte er wie aus einem traumartigen Zustande und gab deutliche
Zeichen des Verständnisses, er beantwortete an ihn gerichtete einfache Fragen
richtig, doch kamen die Antworten langsam. Von selbst sprach er gar nicht.
Forderte man ihn auf, Bewegungen zu machen, so vollführte er dieselben in der
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gewünschten Weise, aber so, als müsse er sich immer erst besinnen, was er tun
solle. Von selbst forderte er weder zu trinken noch zu essen; reichte man ihm
Nahrung, so behielt er sie im Munde und vergaß, sie hinunterzuschlucken, bis er
dazu direkt aufgefordert wurde. Die natürlichen Bedürfnisse verrichtete er me¬
chanisch, wurde er auf das Kloset gesetzt, so blieb er in sich zusammengesunken,
ohne einen Laut von sich zu geben, so lange sitzen, bis er wieder ins Bett ge¬
bracht wurde. Dieses eigentümliche psychische Verhalten blieb während der drei
ersten Wochen nach der Operation und verlor sich nur ganz allmählich. Langsam
wurde er wieder lebhafter, nahm an seiner Umgebung wieder mehr teil, spielte
Dame und Mühle mit seinen Mitkranken, und diese rühmten sein Verständnis, da
er ihnen diese Spiele meistens abgewann. Jetzt, etwa 8 Wochen nach der Ope¬
ration, ist in seinem psychischen Verhalten kaum noch eine Andeutung dieser
Beschwerden zu finden. Inzwischen ist die Schädelwunde durch die heruber¬
gezogene Haut fast ganz verheilt, es besteht jedoch noch der große Defekt im
Stirnbein, in dessen ganzer Ausdehnung die Dura fehlt, so daß Haut und Gehirn
miteinander verwachsen sind. Die plastische Deckung dieses Defektes wird erst
später erfolgen können. Autoreferat.
Sitzung vom 30. Oktober 1906.
Herr Sudeck: Über die Muskelatrophie (Reflextheorie undIn&ktivitftts-
theorie). Da die normale Funktion des Muskels von dem Intaktsein vieler Um«
stände abhängig ist (Gelenkapparate, Innervation von der Großhirnrinde über die
grauen Vorderhörner in die Endausbreitungen der Nerven, Muskeltonus, Gefaß-
apparat), so ist von vornherein zu erwarten, daß Störungen der Funktion und
somit des Muskelbestandes von mehreren Seiten kommen können. Die Inaktivitäts¬
theorie braucht also nicht die Reflextheorie auszusohließen und umgekehrt. Die
Reflextheorie(Vulpian-Pagel) besteht in ihrer Grundmeinung, d. h. wenn man zu¬
nächst von Einzelheiten absieht, sicher zu Recht aus folgenden Gründen: 1. Die
als reflektorisch bezeichnete Art der Muskelatrophie tritt nicht allmählich auf,
sondern sie beginnt, wenigstens in den prägnantesten Fällen, akut mit Atonie der
Muskulatur, und schon nach 8 Tagen kann eine meßbare Atrophie bestehen. Die
Funktionsverminderung ist nicht proportional der Verminderung des Muskelvolums,
sondern viel hochgradiger, sie kann fast bis zu einer wirklichen Lähmung ge¬
steigert werden. Auch die Reaktion gegen den elektrischen Strom kann fast
aufgehoben sein. Wir haben es also nicht mit einer einfachen Verminderung der
kontraktilen Substanz zu tun, sondern mit einer ausgesprochenen Innervations¬
störung, deren eigentliches Wesen in der atonischen Schlaffheit des Muskels beruht,
und die wohl erst sekundär zur Atrophie führt. 2. Die Inaktivität ist ein kon¬
stanter Faktor, der sich in jedem Falle, wo er vorliegt, auch konstant äußern
müßte. Die akute Muskelatrophie tritt aber nicht konstant auf. Zwar scheint sie
sich bei entzündlichen Affektionen der Gelenke einigermaßen regelmäßig mehr
oder weniger hochgradig einzustelleu; nach leichten Verletzungen aber sehen wir
sie meistens ausbleiben und nur in besonderen Fällen eintreten. 3. Die akute
Muskelatrophie tritt mitunter auch in solchen Fällen auf, bei denen überhaupt
keine irgendwie nennenswerte Außerfunktionssetzung stattgefunden hat; die be¬
troffenen Extremitäten sind garnicht inaktiv gewesen und können deswegen auch
nicht infolge der Inaktivität atrophisch sein. 4. Wenn die Muskelatrophie durch
Inaktivität entstanden wäre, so müßte sie durch Übung mit einiger Sicher¬
heit gebessert werden können; es gibt aber Fälle, die jeder Übung, Massage,
elektrischen Behandlung hartnäckig Trotz bieten, die jahrelang bestehen bleiben
ja sogar auf die zu energische Behandlung eine unverkennbare Verschlechterung
zeigen. 5. Es gibt ein vollkommenes Analogon der akuten Muskelatrophie an den
Knochen, nämlich die sogen, akute Knochenatrophie. Gleichzeitig pflegen Ver-
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ändernngen an der Haut (Cyanose, Glossy skin, Hypertrichosis, Nagelrissigkeit)
aufzutreten. Diese Veränderungen an den Muskeln, den Knochen und der Haut
gehören zusammen; sie sind eine den verschiedenen Organon entsprechende
Äußerung auf dieselbe Schädigung. Die akute Knochenatrophie heruht sicherlich
nicht auf Inaktivität, denn diese kann weder so rasch einsetzende noch so intensive
Veränderungen des Knochens hervorrufen, wie wir sie bei der akuten Knochen¬
atrophie finden. Bereits nach einer Woche sind ausgesprochene Resorptionen
radiographisch nachweisbar. Auch sind die Knochenveränderungen viel hoch¬
gradiger, als wie wir sie selbst nach vollkommener Ausschaltung des Nerven
(Dlirchschneidung usw.), geschweige denn bei der Inaktivität sehen. Ferner tritt •
die akute Knochenatrophie auch dort auf, wo keine nennenswerte Inaktivität
stattgefunden hat, und umgekehrt bleibt sie bei zweifelloser jahrelang fortgesetzter
Inaktivität aus. Ferner werden die angedeuteten Veränderungen der Haut, der
Unterhaut, der Haare und der Nägel allgemein als vasomotorische Trophoneurosen
angesehen, jedenfalls fallt es Niemandem ein, sie auf Inaktivität zu schieben.
Wenn nun die obenerwähnte Auffassung von der genetischen Gleichwertigkeit
dieser Erscheinungen an den Muskeln, den Knochen und der Haut richtig ist, so
liegt hierin ein Argument mehr für die Annahme, daß auch die akute Muskel¬
atrophie eine trophoneurotische oder wenigstens nervöse Erscheinung ist. Die
Folgen reiner Inaktivität kann man nur sehr selten beobachten. Es handelt sich
bei Fällen, in denen die Inaktivitätsatrophie auftritt, fast stets um Immobilisation
oder verringerte Funktion der Gelenke und der Muskeln (Ankylose der Gelenke,
Immobilisation durch Verbände, Bewegungseinschränkung durch mechanische Ge¬
lenkschäden, Fixation der Gelenke durch Entzündung), wodurch notwendigerweise
die Veränderungen eintreten müssen, die wir als funktionelle Anpassung bezeichnen.
Wenn man aber in Hinblick darauf, daß ja in der Tat ein Muskelschwund eintritt,
die übliche Bezeichnung Atrophie anwenden will, so würde es den Tatsachen
vielleicht mehr entsprechen, wenn man von Immobilisationsatrophie und nicht von
Inaktivitätsatrophie sprechen würde. Diese Art der Atrophie zeigt lange nicht
so hochgradige Umfangsverminderung, wie die atonische Atrophie* Reine, un¬
komplizierte Inaktivität, d. h. Funktionsausfall ohne Immobilisation, sehen wir nur
bei hysterischen Lähmungen. Bei diesen braucht aber keine Atrophie aufzutreten.
Durch verminderte Aktivität (Schonung) kann keine erkennbare Atrophie hervor¬
gerufen werden, also durch Simulation eines txelenkleidens entsteht niemals Muskel¬
atrophie. Für die Praxis ist es von Bedeutung, welche Auffassung man in dieser
Frage einnimmt, und zwar sowohl bei der Begutachtung von Unfallverletzten; als
auch bei der Behandlung, ad Begutachtung: Objektiv vorhandene Zeichen von
vorhandener Muskelatrophie sind ein sicheres Zeichen von vorhandener oder ab¬
gelaufener anatomischer Erkrankung. Fehlende Atrophie bei angeblichen Gelenk¬
schmerzen muß die Aufmerksamkeit das Untersuchers in bezug auf Simulation ver¬
schärfen. ad Behandlung: Bei der atonischen Muskelatrophie ist die Übungs¬
therapie und mediko-mechanische Behandlung meistens nutzlos und in der
Übertreibung schädlich, bei der einfachen Atrophie nützlich. Autoreferat.
Herr Saenger geht auf die neurologische Unterscheidung der neuritischen
von der reflektorischen Muskelatrophie ein. Er erinnert aber auch daran, daß
in manchen Fällen, deren Pathogenese noch nicht geklärt ist, es zu cerebralen
Muskelatrophien kommt, die sogar qualitative Erregbarkeitsveränderungen dar¬
bieten können. Bekannt ist, daß von manchen Autoren die cerebrale Muskel¬
atrophie von vasomotorischen Störungen abhängig gemacht worden ist. Letztere
spielen gewiß bei manchen Formen von Muskelatrophie eine Rolle. Betreffs der
Inaktivitätsatrophie stimmt S. dem Vortr. im wesentlichen bei. Was nun das
Zustandekommen der reflektorischen Muskelatrophie nach Gelenkaffektionen be¬
trifft, so erinnert S. an die von Hoffa gemachten Experimente, die übrigens
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schon von den Franzosen angestellt worden waren Hoffa hatte bei einem
Hunde, dem er auf einer Seite die hinteren Rückenmarks wurzeln des 3.—4. Lenden*
wirbels durchschnitten hatte, eine eitrige Entzündung in beiden Kniegelenken er¬
zeugt. Die Atrophie der Streckmuskeln des Beines war nur auf der Seite ein¬
getreten, auf welcher der Reflexbogen erhalten war. S. glaubt auch, daß die
Muskelatrophie reflektorisch bedingt sei durch die chronische Reizung der Gelenk¬
nerven. Als Analogon weist S. auf die Keratitis neuroparalytica hin. Hier hat
S. durch mikroskopische Untersuchungen nachgewiesen, daß diese trophische Er¬
krankung der Cornea bedingt ist durch irritative Prozesse im Trigeminus. Die
. Existenz von eigentlichen trophischen Nervenfasern hält S. für nicht erwiesen
(vgl. Neurologie des Auges. II S.259). Was schließlich die vom Vortr. angeführte
Tatsache betrifft, daß die Muskeln durch Arbeit nicht an Volumen zunehmen, so
glaubt S. dies nicht eher, bis eine große Untersuchungsreihe vorliegt, die diese
Behauptung objektiv stützt. Bis dahin möchte er an der physiologischen Tat¬
sache festhalten, daß häufige Arbeitsleistung die Muskeln stärker macht, wobei
die Muskelfasern an Volumen zunehmen. Autoreferat.
Herr Boettiger macht einige Bemerkungen zu der ersten Gruppe der von
Herrn Sud eck geschilderten Muskelatrophien, zu den zweifellos reflektorisch,
trophisch bedingten Atrophien. Er sah in einer ganzen Reihe von Fällen, daß
es gerade verhältnismäßig leichte Traumen waren, die Muskelatrophien nach sich
zogen; die Traumen betrafen immer Gelenke, z. B. Schulter-, Ellbogen- und Knie¬
gelenk, meist handelte es sich um einen einfachen Stoß, der keine palpablen Ver¬
änderungen hinterließ, aber von andauernden nagenden Schmerzen, und die sind
bisher in der Diskussion noch nicht erwähnt, gefolgt war. Diese Schmerzen hatten
ihren Sitz anscheinend in den Nervenverzweigungen der Gelenkkapsel. Die konse¬
kutive Muskel atroph ie betraf stets proximal dieses Gelenkes gelegene und an der
Gelenkkapsel inserierende Muskeln, besonders Streckmuskeln. Entartungsreaktion
fand er in diesen atrophischen Muskeln niemals, wohl aber quantitative Herab¬
setzung der Erregbarkeit, die freilich zum Teil bedingt erschien durch eine Zu¬
nahme des Hautwiderßtandes. Die Hochgradigkeit der Atrophie war anscheinend
teilweise bedingt durch Schwund des subkutanen Fettes. Die atrophischen Muskeln
waren nicht gelähmt Auch B. hat von einer aktiven Gymnastik, Massage, Faradi-
sation und ähnlichen erregenden Prozeduren niemals einen Erfolg gesehen, dagegen
von einer sedativen Therapie, so besonders von einer vorsichtigen und längere
Zeit fortgesetzten Galvanisation der an der Versorgung des betroffenen Gelenkes
beteiligten Nervenstämme. Auch dies sind gerade Fälle, die zu bedenken geben,
daß dem elektrischen Strom doch noch andere Wirkungen als nur suggestive
innewohnen. Autoreferat.
Herr Deutschländer: Daß die Muskelatrophie kein ätiologisch einheitlicher
Prozeß ist, darüber besteht wohl kein Zweifel und auch darüber nicht, daß die
Muskelatrophie das Endstadium einer Reihe von Vorgängen darstellt, über deren
Wesen wir vielfach im unklaren sind. Gut gekannt sind die Formen der Muskel-
atrophie, die auf einer direkten Unterbrechung der Nervenleitung beruhen — die
sogenannten Lähmungsatrophien — und ferner die ischämischen Muskelatrophien,
deren Ursache die Aufhebung der Blutzufuhr ist. Diese beiden Formen haben
auch noch das gemeinsam, daß sie irreparabel sind. Eine weitere Gruppe von
Muskelatrophien stellen ferner die Inaktivitätsatrophien dar, die zwar Herr Sudeck
in reiner Form nicht gelten lassen will, die aber immerhin klinisch so gut charakte¬
risiert sind, daß man diesen Begriff wohl nicht in Abrede stellen kann. Wesent¬
lich verschieden hiervon sind jedoch die Muskelatrophien, die im Anschluß an
Traumen, akute und chronische bakterielle Entzündungen (Tuberkulose) und auch
im Anschluß an chronische Entzündungen nicht bakterieller Natur (z. B. Arthritis
deformans) oft überraschend schnell in wenigen Tagen auftreten, und die Herr
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Sud eck in Beziehung zur Knochenatrophie gesetzt hat. Bezüglich dieser Formen
stimme ich Herrn Sudeok vollkommen bei, daß sie nichts mit der Inaktivitäts¬
atrophie zu tun haben. Eis ist ganz auffallend, wie hierbei mit einer gewissen
Gesetzmäßigkeit immer bestimmte Muskeln von der Atrophie gewissermaßen be¬
vorzugt werden, so am Knie der Quadriceps, an der Hüfte die Glutäen, an der
Schulter der Deltoides, am Ellenbogen der Triceps usw., und bemerkenswert hier¬
bei ist, daß es durchweg Streckmuskeln sind, die einem raschen Schwunde anheim¬
fallen. Dazu kommt noch ein weiteres Moment, das m. E. ganz besonders hervor¬
gehoben zu werden verdient. Alle diese bevorzugten Muskeln stehen nämlich in
einem weit engeren anatomischen Zusamenhang mit den Gelenken als die übrige
Muskulatur des betreffenden Gelenkes; sie senden teils direkte Faserzüge zur Ge¬
lenkkapsel hin, teils sind sie mit ihren sehnigen Enden in breiter Ausdehnung
mit der Kapsel verwachsen; ferner enthalten sie die Zu- und Abflußwege der
Blut- und Lymphgefäße der Gelenke und spielen bei jeder Cirkulations- und
Ernährungsstörung eine wichtige Rolle; ich weise hier nur kurz z. B. auf die Be¬
ziehungen der QuAdricepssehne zur Wand der vorderen Kniegelenkskapsel und zum
oberen Recessus hin. Für das Zustandekommen dieser schon lange bekannten,
akut ersetzenden Atrophien hat man die verschiedensten Erklärungen aufgestellt,
so z. B. die Olliersche Theorie des gestörten Muskelantagonismus, die Theorie
der ÜberdehnungBatrophie (Tilman), die Theorie der reflektorischen Atrophie,
für die heute Herr Sudeck besonders eingetreten ist. Nach meiner Ansicht
handelt es sich aber auch bei dieser Gruppe noch um ätiologisch recht ver¬
schiedene Formen, und ich glaube, daß wir nicht berechtigt sind, hierfür eine
alleinige, allgemein gültige Erklärung aufzustellen Über bestimmte Formen, be¬
sonders über Atrophien bei akuten Entzündungen, habe ich mir im Laufe der Zeit
eine besondere Anschauung gebildet, die sich an analoge pathologische Vorgänge
anlehnt. Bekanntlich tritt bei akuten AUgemeinerkrankungen mit hohem Fieber
(Pneumonie, Typhus, Sepsis usw.) regelmäßig eine hochgradige Abmagerung und
eine schwere Atrophie der gesamten Körpermuskulatur in Erscheinung, die weder
als Inaktivitäts- noch als reflektorische Atrophie zu erklären ist, sondern die
offenbar darauf beruht, daß die gesamte Muskulatur alle ihre verfügbaren Energie¬
mengen zur Verfügung stellt, um den aufs höchste gesteigerten Stoffwechsel auf¬
recht zu erhalten. Während akute Allgemeinerkrankungen allgemeine Atrophien
der gesamten Muskulatur nach sich ziehen, kommt es bei akuten Lokalerkrankungen
zu lokalen Atrophien. Auch bei akuten Lokalerkrankungen vermag das befallene
Gebiet für sich allein nicht den gesteigerten Stoffwechsel zu befriedigen, und es
werden daher zur Aufrechterhaltung desselben weitere Organe und Gebiete beran-
gezogen und vorzugsweise diejenigen, die am leichtesten zugänglich sind und die
günstigsten anatomischen Verbindungen besitzen; das sind bei den Gelenken die
genannten Muskelgruppen. Eine Bestätigung hat diese Auffassung durch die
Erfahrungen gewonnen, die wir mit der Stauungshyperämie gemacht haben. Daß
die Stauungshyperämie ganz allgemein einen günstigen Einfluß auf atrophische
Zustände ausübt, ist bekannt und ist seinerzeit auch von Herrn Sudeck betont
worden. Alle, die die Stauungshyperämie bei entzündlichen Affektionen mit Erfolg
zur Anwendung gebracht haben haben übereinstimmend das Ausbleiben von schweren
Atrophien hervorgehoben, und ich persönlich habe an dieser Stelle verschiedent¬
lich in einer Reihe von Demonstrationen gezeigt, daß, wenn man von vornherein
die Stauungshyperämie zur Behandlung von Frakturen und Knochenopei ationen
heranzieht, man mit einer gewissen Sicherheit Atrophien hintenanhalten kann,
die man sonst immer hierbei zu beobachten pflegt. Ich glaube daher, daß man
diesen Verhältnissen bei der Erklärung der akut einsetzenden Atrophie der
Muskeln weit mehr Rechnung tragen muß. als es bisher geschehen ist. Kurz
zusammeogefaßt, pflichte ich Herrn Sudeck darin vollständig bei, daß die akut
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einsetzenden Muskelatrophien etwas besonderes sind und nichts mit der Inaktivitäts-
alrophie zu tun haben; ich bin aber nicht der Ansicht, daß dieselben auschließ-
durch die Annahme einer reflektorischen Atrophie zu erklären sind. Vielmehr
glaube ich, daß hierbei eine große Reihe noch dunkler und wenig geklärter Vor¬
gänge mit im Spiele sind und daß speziell hierbei den Cirkulationsverhältnissen
eine außerordentlich wichtige Rolle zukommt. Autoreferat.
Herr Preiser wendet sich gegen die Auffassung Sudecks, daß die Muskel¬
kraft eines Menschen gewissermaßen etwas Angeborenes und später durch Übungen
quantitativ nicht zu Beeinflussendes sei. Er habe häufig Gelegenheit gehabt, bei
Leuten, welche anfingen, methodisch zu turnen, nach einiger Zeit direkte Volumens¬
zunahme, z. B. des Biceps brachii, durch Messung zu konstatieren. Auf demselben
Grunde der Übung beruhe auch die quantitative Ausbildung bestimmter Muskel¬
gruppen bei verschiedenen Berufen, so des Deltoides bei Malern und bei Frauen,
die ihre Kleider beim Ausgehen immer mit demselben Arm zu raffen und zu
tragen pflegten oder der Unterarmmuskulatur bei Fechtern usw. Autoreferat.
Herr Hasebrock hat auf Grund seiner heilgymnastischen Erfahrung den
Eindruck bekommen, daß Muskelmasse keineswegs im bestimmten Verhältnis zur
Aktivität steht. Man muß hinsichtlich der Beurteilung der Aktivität unterscheiden
zwischen der Zahl der Wiederholungen einer relativ leichten Einzelarbeit und der
Größe der Einzelarbeit selbst. Höchstens die Steigerung der letzteren steht nach H.
in gewisser Beziehung zum Querschnitt, somit der Masse des Muskels. Atrophische
Muskeln können unter Umständen normales leisten, bleiben andererseits trotz
energischster Betätigung unverändert in ihrer Masse. Beispiel: 12jähriger ge¬
sunder Knabe mit einer hinsichtlich seiner Leistung symptomenlos rechtsseitigen Unter¬
schenkelatrophie von 2 cm Umfangsdifferenz wird */ 2 Jahr täglich in energischster
Weise rechtsseitig gymnastisch vorgenommen, ohne daß eine Zunahme des
Umfanges zu konstatieren war. Ferner kann sich Atrophie entwickeln trotz
nachweisbar zunehmender Activitas. Beispiel: Pat mit Schulterkontusion 14./IV.
1904; 19./XII. 1904 hebt den Arm um 80°. Umfange: Deltamuskel = 31: 32,
Oberam = 29 :30 l / 2 , Unterarm = 26V 2 : 27 l / 2 cm - 2./1X. 1905 hebt den Arm
um 70°. Umfange: resp.-resp. 31 1 / 2 :32, 30 1 / 3 :32, 27:28. 26./X. 1906 hebt
den Arm normal, kaum mehr subjektive Beschwerden. Umfange: resp.-resp.
32: 34, 30: 33, 26 l j 2 : 28. Woher trotz sonstiger Aufbesserung nun diese Atrophie?
H. glaubt nicht recht an Inaktivitätsatrophie. Für die Atrophie nach ortho¬
pädischen Korsetts und Beinhülsen usw. nimmt H. viel eher Druckschwund an
als Inaktivitätsatrophie. Autoreferat.
Nonne (Hamburg).
(Schluß folgt.)
IV. Vermischtes.
Vom 15.—18. April d. J. findet der 24. Kongreß für innere Medizin in Wies¬
baden statt. Am ersten Sitzungstage soll folgendes Referatthema zur Verhandlung kommen:
Neuralgien und ihre Behandlung. Referent: Herr Schnitze (Bonn). — Den Neuro¬
logen interessiert ferner der Vortrag des Herrn Huismans (Köln): Ein Beitrag zur patho¬
logischen Anatomie der Tay-SachBschen familiären amaurotischen Idiotie.
Um Einsendung von Separatabdiüeken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
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Leipzig. — Druck von Mbtzgkb & VVittio in Leipzig.
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Neurologisches Centralbutt.
• •
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
Seehsandzwansiggter " B * rHn ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark« Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 16. Januar. Nr. 2.
Inhalt I. Originalmittellungen. 1. Beitrüge zur Entwickelung des Süugergehirns.
Lage und Ausdehnung des Bewegungscentrums der Maus, von Dr. DOIHtes. Hut Beihilfe
Ton Frau Trude Döilken. 2. Neuntis, verursacht durch Creosotum phosphorioum, von Dr.
W. 6. Huet in Haarlem.
II. Referate. Anatomie. 1. La circonvolution godronnee et ses prolongemente aus*
callenx, par Trolard. — Physiologie. 2. Sur la reproduction des cellules nerveoBes, par
Ciscdo. 3. Über die psychomotorischen Centren im Großhirn des Schafes, von Nikitin. —
Pathologische Anatomie. 4. Anleitung zur Gehirnpräparation, von Strasser. 5. Fülle
von famihürer Mikrocephalie, von Vogt — Pathologie des Nervensystems. 6 . Etüde
anatomo-clinique d’un cas de Syringomyelie spasmodique, par Alquier et Guillain. 7. Hämato-
myelie and Syringomyelie. Ein Beitrag zur Pathogenese der Syringomyelie, von KHIpin.
8. Un cas de syringobulbie. Syndröme d'Avellis au oours d’une syringomyälie spasmo*
dique, par Raymond et Guillain. 9. Syringomyelie Bpasmodique avec attitude particuliire
des membres superieurs, par Raymond et Franpais. 10. A case of syringomyelia with donble
optic neuritis, by Weissenburg and Torrington. 11. Note snr an cas de syringomyälie aveo
troubles sensitifs ä topographie radiculaire, par Raymond et Franpais. 12. Sechs Fälle von
Syringomyelie, von Lüders. 18. A case of syringomyelia, by Bradshaw. 14. Zur Kasuistik
der Spontanfrakturen, von Llbenskf. 15. Iieprosy simulating syringomyelia, by Moffitt.
16. Ein Fall von geheilter Lepra maculo-tuberosa, von v. Neumann. 17. Über einen Fall
von Lepra tnberoso * maculo-anaesthetica, von Bloch. 18. Die Kontrakturen bei den Er¬
krankungen der Pyramidenbahnen, von Förster. 19. A study of the oontractures in organic
nervons diseases, and their treatment, by Weissenburg. 20. Eine seltene Erkrankung der
Pyramidenbahn mit spastischer Spinalparalyse und Bulbarsymptomen, von Naka. 21. Hypo-
trophie d’origine bacillaire. Troubles de la voie pyramidale, par Claude et Lüjonne.
22. Über Stichverletzung des Rfickenmarkes, von Hilbert. 23. Meningomyelitis with intense
swelling of the spinal cord and of the roots of the canda equina, by Splller and Rawllngs.
24. Akute Myelitis nach Angina, von Forest. 25. Un cas de solürose laterale amyotrophiqne,
par Puscarin et Lambrlor. 26. Über pathologisch-anatomische Befunde im Centralnerven*
systcm in einem Fall von amyotrophischer Lateralsklerose, von Shukowski. — Psychiatrie.
27. Der geistig Minderwertige in der Armee, von Drastich. 28. Ein Knabe als Prediger
und Prophet, von Nicke. 29. Zwei Fülle von psychischer Erkrankung, entstanden im An-
schluB an politische Ereignisse, von Pawlewskaja. — Therapie. 30. Über einige Fort¬
schritte in der Behandlung der Geisteskranken, nebst einem Rückblick anf die Entwicke¬
lung der Irrenbehandlung im neunzehnten Jahrhundert, von Hoppe.
III. Bibliographie. Chirurgie des praktischen Arztes mit Einschluß der Augen-, Ohren*
nnd Zahnkrankheiten (zugleich Ergänzungsband zum Handbuch der praktischen Medizin),
von Ebstein und Schwalbe.
IV. Aus den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein zu Berlin. — Ärztlicher Verein in
Hamburg. — 78. Versammlung Deutscher Naturforscher nnd Ärzte in Stuttgart vom 16.
bis 23. September 1906. Letzte Hauptversammlung. (Nachtrag.)
V. Vermischtes. — VL Personalien.
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I. Originalmitteilungen.
1. Beiträge zur Entwickelung des Säugergehirns.
Lage und Ausdehnung des Bewegungscentrums der Maus.
Von Dr. Döllken,
Privatdozenten an der Univereit&t Leipzig.
Mit Beihilfe von Frau Trade Döllken.
Bereits auf Grund seiner ersten Forschungen über die Markreifung des
menschlichen Gehirns war Flechsig 1 zu dem Resultat gekommen, daß einheit¬
liche Bindenfelder annähernd gleichzeitig isoliert markhaltig werden und daß
somit eine anatomische — auch wohl physiologische — Differenzierung der Ge¬
hirnrinde nach Sinnescentren und Assoziationscentren möglich ist
Binzeinen Einwänden gegenüber, welche sich wider diese „Autoanatomie“
der Hirnentwickelung erhoben und die Markreifung an rein äußerliche Mecha¬
nismen knüpfen wollten, präzisierte Flechsig 9 nach Bearbeitung eines sehr
großen Materiales seinen Standpunkt scharf duroh Aufstellung des myelo-
genetischen Grundgesetzes: „Gliederung der centralen Fasermassen auf
Grund der annähernd gleichzeitigen Ummarkung gleichwertiger Elemente, der
sukzessiven Markumhüllung verschiedenwertiger Fasergruppen.“
Ich selbst konnte vor einer Beihe von Jahren an einem sehr reichhaltigen
Material feststellen, daß die Myelinisation bei gyrenoephalen und lissencephalen
Säugern (Hund, Katze, Kaninchen, Meerschweinchen, Ratte, Maus), wie gar
nicht anders möglich, genau nach denselben Gesetzen wie beim Menschen ver¬
läuft Es ist auch bei ihnen mittels der Flechsig ’sohen Methode voll¬
ständiger reifungsgeschichtlicher Reihen gut möglich, bestimmte Sinnescentren
auf der Oberfläche abzugrenzen, zwischen denen Felder anderer Wertigkeit liegen.
Durch His ’ 3 Untersuchungen über die Entstehung der Fasersysteme haupt¬
sächlich im Hirnstamm des menschlichen Embryo wissen wir, daß auch die erste
1 Flechsig, Gehirn und Seele. 1894. 2. Aufl. 1896. — Dere., Über ein nenee Ein¬
teilungsprinzip der Großhirnoberfläche. Nenr. Centr. 1894. — Den., Weitere Mitteilungen
über die Sinnes- und Assoziationszentren. Ebenda. 1895. — Den., Weitere Mitteilungen aber
den Stabkranz des menschlichen Großhirns. Ebenda. 1896. — Den., Notiz die Schleife
betreffend. Ebenda. 1896. — Den., Lokalisation der geistigen Vorgänge. Vortrag auf der
Naturforscherversammlung 1896. — Den., Demonstrationen. Neurolog. Centralbl. 1896. —
Den., Über die Assoziationszentren des menschlichen Gehirns, Internation. Kongreß für
Psychologie. 1896. — Den., Anatomie des vorderen Sehh&gelstieles. Neurolog. Centralbl.
1897. — Den., Markbildung in den menschlichen Großhirnlappen. Ebenda. 1898. —
Den., Projektions- und Assoziationscentren. Intern, med. Kongreß in Paris 1900. — Den.,
Myelogenetische Felder. Neurolog. Centralbl. 1903. — Den., Inoere Ausbildung des Ge¬
hirns. Vortrag 1908.
3 Über die Untenuchungsmethoden der Großhirnrinde. Archiv f. Anat. u. Phys. 1905.
Anat. Abteil. S. 387.
3 His, Entwickelung des menschlichen Gehirns während der enten Monate. Leipzig
1904.
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Anlage der Nervenfasern systemweise erfolgt Somit konnte man annehmen,
daß anch im Großhirn eine isolierte Entwickelung der einzelnen Sinnesleitungen
stattfindet, daß die erste Anlage der Centren felderweise vor sich geht Flechsig
spricht sich daher 1904 auch dahin aus, daß der tiefere Grund für die Gesetze
der Myelinisation „in der ersten Anlage der Fasern“ zu suchen ist Um eine
einfache Kopie dieses frühen Vorganges jedoch handelt es sich nicht, da ja nicht
alle Fasern des Großhirns später markhaltig werden und manche Systeme,
Gommissura anterior, Fornix inferior, wie auch Flechsig hervorhebt, verspätete
Markreifung aufweisen.
Bamön y Cajal 1 , welcher die Entstehung von Zellen und Fasern des Gehirns
wohl am größten Material studiert hat — allerdings von ganz anderen Gesichts¬
punkten aus und nicht an Entwickelungsreihen —, spricht sich im großen
und ganzen für Flechsio’s Anschauungen aus, legt aber den Einwänden einiger
Gegner allzu großes Gewicht bei. Übrigens kannte er 1. c. Flechsig’s Publi¬
kation von 1904 noch nicht.
Ich habe mit Ramön’s Silberreduktionsmethoden etwa 250 embryonale und
junge Mäusegehirne behandelt und gesehen, daß das myelogenetische Grund¬
gesetz sich zum allgemeinen himentwickelungs-geschiohtlichen Grundgesetz er¬
weitert Auf keiner Entwickelungsstnfe habe ich im Bückenmark, Hirnstamm
oder Großhirn Befunde erhoben, die dem FLEOHSiG’schen Gesetz widersprechen.
Im Rückenmark, wo die Untersuchungen leichter sein sollen als im Gehirn,
sehe ich, daß die Assoziationsfasern sich stets nach den Projektionsfasem ent¬
wickeln. Das gilt für die homolaterale Assoziationsfaserung der vorderen
Wurzeln, die in den Vorderstranggrundbündeln läuft, das gilt noch mehr für
die Verbindung von Rückenmarksystemen durch die vordere Kommissur. Auf
einigermaßen günstigen Entwickelungsstufen lassen sich diese Prozesse an einem
Embryo in der verschiedensten Ausbildung vom Lendenmark bis zum vorderen
Vierhügel recht sinnfällig demonstrieren. Unbedingt notwendig erscheint es
mir, daß viel mehr, als es bis jetzt geschehen ist, die verschiedenen Arten der
Assoziationsfasern auseinander gehalten werden. Diese entwickelungsgeschichtlich
begründete Forderung habe ich schon in meinem Vortrag auf dem Naturforscher¬
tag 1906 gestellt. Eine eingehende Darstellung und Belege für die vorstehenden
Behauptungen werde ich demnächst an anderer Stelle veröffentlichen.
Einer der Beweise ist aber auch in der Entstehung und Ausbildung des
Bewegungscentrums im Großhirn gegeben. Ich habe meine Untersuchungen
über diesen Gegenstand an einer recht vollständigen Reihe geborener Mäuse vom
1.—80. Tag und einer ziemlich vollständigen aus der zweiten Hälfte der Em¬
bryonalzeit (die Maus trägt 18 Tage) angestellt. Aus dieser besitze ich fünf
Stadien, aus den ersten 10 Lebenstagen mindestens zwei verschiedene von
jedem Tag, bis zum 20. Tage eins von jedem Tag, bis zum 30. Tage eins alle
3 Tage. Jede Entwickelungsstufe ist 3—12mal vertreten.
1 Ramön t Cajal, Stadien über die Hirnrinde des Menschen,
setzung 1906. Dasselbe Werk. Heft 1—4. Deutsch 1899—1904.
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Heft 5. Deutsche Über-
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Die einzelnen Gehirne wurden je nach Größe eine Reihe von Stunden in
96°/ 0 igen Alkohol gelegt, dann in der Mittellinie halbiert und in einer 8 °/ 0 igen
Lösung von Argentum nitricum bei 37 °C. 6 Tage lang gehalten. Die Reduktion
erfolgte in einer Lösung von Hydrochinon 2, Formaldehyd 2, Natriumsulfit 1,
Wasser 100 in 24—36 Stunden. Darauf Alkohol, Chloroform, Paraffin von
40—52 0 C. Schmelzpunkt je nach Außentemperatur. Die Dicke der einzelnen
Schnitte betrug 5 bis 10 p. Diese Methode ergab mir sehr konstante Werte.
Für alle Stufen habe ich zum Vergleich auch 3tägige Alkoholfixation, Vor¬
behandlung mit Ammoniakalkohol, mit Formaldehyd und die direkte Silber¬
methode angewandt — Die jüngeren Embryonen wurden ganz eingelegt und
geschnitten.
Ramön gibt an, daß nach 24ständiger Vorbehandlung mit 96°/ 0 Alkohol
das Silber die markhaltigen Fasern färbt bzw. imprägniert Das gilt für die
erwachsene Maus mit der Erweiterung, daß auch die marklosen Anteile dieser
Fasern bis dicht an die Zellen der grauen Substanz heran gefärbt werden. Im
embryonalen und jungen Gehirn werden die Fasern gleioh nach ihrer Entstehung
imprägniert, sehr lauge Zeit vor ihrer Ummarkung. Welcher Bestandteil der
Nervenfaser die Silberreaktion gibt, weiß ich vorläufig nicht Sicher ist es kein
Bestandteil, der sich in Äther, Aldehyd oder Alkohol löst Eiweiß, wie es in
den Zellen enthalten ist, kann es auch nioht sein. Eine ähnliche Reaktion geben
gewisse Bindegewebsfasern in der Haut und in den Gefäßen, ebenso Bestand¬
teile der Knochen von einem gewissen Alter ab. Ein Unterschied zwischen
Bindegewebsfasern und Nervenfasern ist in den allerbesten Präparaten bei Anwen¬
dung stärkster Immersionssysteme (Zeiss Apochromat 1,3 mm, Komp. Ok.18) darin
zu sehen, daß die Nervenfaser homogen, die anderen Fasern, auch Gliafasern,
gekörnt erscheinen. Die groben Fibrillen der größten Zellen in der Formatio
reticularis und im Trigeminuskern sind bei kurz dauernder Alkoholvorbehandlung
ebenfalls sichtbar, nicht minder die sympathischen Fasern des Grenzstrangs beim
Embryo. Jedenfalls differenziert die Methode weder bei minutiösester Anwen¬
dung des Rahön sehen Rezeptes noch in irgend einer Modifikation genau die¬
selben Fasern wie die Markscheidenfärbung Weigbbts und ist wie gesagt vom
Vorhandensein einer Markscheide nicht abhängig. Aber sie differenziert bestimmte
Gebilde und zwar ganz ausgezeichnet und vor allen Dingen konstant Daß es
sich um eine Neurokeratinhülle handelt, ist mir nicht wahrscheinlich. Ich habe die
Methode gewählt, weil ich so die Mäusehemisphäre bis zum 30. Tag unzerschnitten
in Silber bringen konnte. Meine Kontrolpräparate nach den anderen Ramön sehen
Methoden ergaben alle, mögen sie Fibrillen, Achsencylinder oder Nerven¬
endigungen demonstrieren, ebenso wie die Faserpräparate eine Entwickelung nach
Systemen.
Vor der Markscheidenfärbung hat die Versilberung der Rinde voraus, daß
sie successive viel eingehendere Differenzierungen der Faseranordnungen bringt
Am 12.—13. Embryonaltag der Maus sehe ich die ersten Leitungen zu
den Rindenfeldern entwickelt Bewegungs-, Geschmacks- und Riechzentrum
zeigen annähernd dieselbe Entwicklungshöhe. Um diese Zeit sind die Hirnwände
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noch verhältnismäßig dünn, die Ventrikel sehr weit, das Kleinhirn noch nicht
angelegt. Von den Zellschichten der Bewegnngsrinde ist nur die sechste (innerste)
entwickelt, die fünfte noch wenig, während die übrigen vier nur Neuroblasten
enthalten und schmal sind. Daher liegt das subkortikale Marklager sehr nahe
an der Oberfläche. Bbodmann 1 weist auf Grund von Zellfärbungen mittels
Anilinfarben darauf hin, daß bei Nagern die sechste und fünfte Schicht dauernd
an Breite überwiegen. Denselben Befund ergeben Versilberungen.
Fig. 1. Maas, 12.—13. Embryonaltag. Silberredaktionsmethode. B vorderes Bogenbündel,
b basales Längsbändel Gansers, o Traotns opticus, ol äußere Riechwurzel, p Faserung des
Lohns -pyriformis, ge snbkortikales Marklager, St Streifenhfigel.
ln allen Präparatenzeichnnngen [sind die ungemein dünnen nnd zarten Fasern durch das
Reproduktionsverfahren viel zu stark wiedergegeben.
Die Faserstrahlung im Streifenhügel zeigt das bekannte Bild, wie es sich
auch in Fig. 1 darstellt. Ein Einstrahlungsgebiet dieses Stabkranzes liegt als
scharf umgrenztes Feld in der Konvexität. Die Art und Form der Einstrahlung
will ich in dieser Arbeit nicht besonders behandeln. Als wichtiges Kriterium
Fig. 2. Maus, 12.—18. Embryonaltag. B vorderes Bogenbändel, kB hinteres
Bogenbändel, cq vordere Vierhägel, se snbkortikales Marklager, F Ventrikel.
für die Ausdehnung des Sinnesfeldes habe ich neben der Ausbildung der
6. Zellschioht das Vorhandensein von Ramön sehen Assoziationsfasern in der¬
selben betrachtet. Diese kurzen inneren Assoziationsfasem finde ich um die
1 Bbodmahv, Histologische Lokalisation der Großhirnrinde. Über den allgemeinen Ban¬
plan des Cortex pallii bei den Mammaliern. Journ. f. Neurolog. u. Psychiatrie. 1906.
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Zeit in den ersten Anfängen ihrer Entwicklung in dem ganzen Felde und
nur in diesem. Ans ihrer Zahl und Anordnung ist zu entnehmen, daß sie erst
entstanden sein können, unmittelbar nachdem die Projektionsfasern in der Rinde
angekommen sind (Fig. 2).
Daß es sich hier um die Taststrahlung handelt, ist wohl nicht zu be¬
zweifeln. Sie ist gut in den Thalamus und in die Hauptschleife Flechsig s
zu verfolgen. Ihr Rindenfeld hat die Lage, welche das Bewegungscentrum in
der ganzen Saugerreihe hat
3 4 5 6 7 8 9
Figg. 3—9. Maas, 12.—13. Embryonaltag. Horizontalserie. O Bewegangscentrom 1. Feld.
Die Grenzen des Centrums sind in den Horizontalschnitten Figg. 3—9
durch Kreise angegeben und in Fig. 10 auf die Oberfläche projiziert Die
10 11
Figg. 10 a. 11. Maas, 12.—18. Embryonaltag. Bewegungen nde 1. Feld.
Oberflächenprojektion.
Umrisse der Sohnittschemata (wie aller folgenden) sind am mikrophotographischen
Apparat gezeichnet, die Grenzen des Feldes mit dem Okularmikrometer noch
einmal genau gemessen und bestimmt worden.
Dieses erste Centrum umfaßt nun nicht die ganze Bewegungsrinde, sondern
entspricht etwa der hinteren Centralwindung des Menschen. Es ist auch auf
höheren Entwickelungsstufen noch besonders differenziert und ebenfalls myelo-
genetisch abzugrenzen. Auch Beodmanns Körnerrinde der Area gigantopyrar
midalis beim Ziesel hat dieselbe Lage. Allerdings erklärt dieser Autor, daß er
nach hinten oben die Grenze nicht mit der wünschenswerten Schärfe fest¬
stellen kann.
Erst unmittelbar vor der Geburt entwickelt sich auch der vordere Teil des
Bewegungscentrums, welcher wohl der vorderen Central Windung des Menschen
entspricht. Die Anordnung der Fasern in der Rinde ist eine etwas andere als
im ersten Felde. Bei einer sofort nach der Geburt getöteten Maus hat das
Feld die in Figg. 12—17 durch Punkte angegebene Ausdehnung und zeigt auf
12 13 14 15 16 17
Figg. 12—17. Maas, neugeboren. Horizoatalserie. O 1- Feld, • 2. Feld des Bewegangs-
centnuDs.
der Oberfläche die in Figg. 18, 19 angegebene Gestalt. Auf der medialen Seite
gibt ein schmaler Streifen an der Mantelkante die Oberflächenprojektion an.
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Ein Frontalschnitt von einer 12 ständigen Maus (Fig.20) in der^Höhe der vorderen
Kommissar charakterisiert die Lage des Systems auf diesem.
18
19
Figg. 18 a. 19. Maug, neugeboren. Oberflächenprojektion der Bewegungsrinde.
O 1. Feld. • 2. Feld.
Eine weitergehende Differenzierung in der Entstehung des Feldes wie beim
Menschen (Flechsig) weisen die Silberbilder bei der Maus nicht auf.
Fig. 20. Haus, '/»Tag alt. Frontalschnitt. Gegend der Comm. ant.
O Faserung der Bewegungsrinde.
Beinahe selbstverständlich erscheint es, daß die inneren Bündel, welche den
kürzesten, direkten Weg zum Centrum haben, in gewissen frühen Zeiten
etwas dichter stehen als die äußeren. Eine besonders hohe Bedeutung kann ich
diesem Umstand nicht beilegen. Jedenfalls habe ich bei keinem System im
Rückenmark oder Qehira gesehen, daß sich die Fasern eines solchen sukzessive
wie Zwiebelschalen übereinander legen.
Einige Tage nach der Geburt beginnen aus der hinteren Abteilung der
5. und t5. Schicht des Bewegungscentrums Längsfasern in dieselben Schichten
der vorderen Abteilung zu gehen. Es handelt sich um ein neues Projektionssystem,
welches beiden Feldern angehört (Fig. 21.) Dieses System gibt vielleicht den
Fig. 21. Maua, l 1 /* Tag alt Silberreduktionsmethode. 2 vorderer, l hinterer Teil des
Bcwegungscentruma. ce Balken. Das gemeinschaftliche Projektionaayatem markiert sich
durch aeine längalaufenden Faaern über dem anbkortikalen Marklager.
Schlüssel für die von den meisten Autoren gefundene Erscheinung, daß die
Faserung der vorderen und hinteren Centralwindung sich zum Teil deckt,
daß demnach beide nicht völlig selbständige Centren, das eine motorisch, das
andere sensibel sind.
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4 1 /* Tag nach der Gebart hat die Faserang des Bewegungsfeldes die Aus¬
dehnung wie auf Figg. 22—27. Der Anteil des vorderen Feldes am gemein¬
schaftlichen Projektionssystem ist durch die übergezeichneten Kreise angedeutet.
22 23 24 25 26 27
Figg. 22—27. Maas, 4'/, Tag alt. Horizontalserie.
8 Tage nach der Geburt hat die Zone noch keine andere Ausdehnung als
vorher. Die Spitze des Stirnhirns bleibt frei, nach hinten geht die Taststrahlung
nirgends über die Grenze des Streifenhügels hinaus; das ganze Feld verjüngt
sich stark naoh unten und hat eine schmale Basis oberhalb des Riechhirns.
Mit einem schmalen Streifen greift die Strahlung des vorderen Feldes auf die
mediale Oberfläche über. Das gemeinschaftliche Projektionssystem läßt den
vordersten Teil des zweiten Feldes frei (Figg. 28—34). Um diese Zeit sind Radiär-
28 29 30 31 32 33 34
Figg. 28—34. Maas, 8 Tage alt. Horizontalserie, nach hinten etwas schräg abfallend.
Die weiten Ventrikel sind Artefakt.
fasern in die 2. Zellschicht der Rinde eingestrahlt, welche dann sofort eine innere
Assoziationsfaserung erhält. Völlig ausgebildet ist sie am 12.—13. Tage nach
der Geburt und hat dieselben Grenzen wie das erste Sinnesfeld beim Embryo
(Fig. 10). Die Schemata Figg. 35 — 43 zeigen die ganze Bewegungsrinde und
35 36 37 38
39 40 41
42 43
Figg. 35—43. Maus, 13 Tage alt Horizontalserie. Q Faserung der Bewegungs¬
rinde 1. Feld, • 2. Feld, (_ Raodzone(?), — Assoziationsfaserung in der zweiten
Zellschicht der Rinde.
in der gestrichelten Linie die erwähnte Assoziationsfaserung. Die Halbkreise
kaudal vom Bewegungscentrum zeigen eine Faserung an, die anders angeordnet
ist als die der Bewegungsrinde und möglicherweise eine Randzone derselben
bedeuten. Es ist aber ebensogut möglich, daß es sich um ein neues Pro¬
jektionssystem handelt, dessen Verbindung nach unten mit der 8Ubermethode
nicht nachweisbar ist. Die partielle Überlagerung beider Teile des Bewegungs-
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feldes durch das gemeinsame System zeigt sich hier so, daß die Spitze des
vorderen Teils nicht erreicht wird (Figg. 44, 45). Das System ist vom darch
44 46
Figg. 44 q. 46. Maas, 18 Tage alt Oberfl&ohenprojektion des Bewegongscentrams.
Die Einseichnong der Kreise in das vordere Feld beseichnet seinen Anteil am ge¬
meinschaftlichen Projektionssystem.
Kreise zwischen den Punkten angedeutet. Im kaudalen Teil ist es nicht abzu¬
grenzen.
Auch eine Maus von 20 Tagen Jäßt noch gut die Abgrenzung des Be¬
wegungscentrums zu (Figg. 46—53). Hier gibt die Anordnung der Radiär-
62 68
JFigg.48 —68. Maus, 20 Tage alt Horizontalserie.
fasern zwischen J6. und 2. Schiebt das Charakteristikum ab, da um diese Zeit
alle anderen Centren entwickelt sind. Die genannten Fasern sind bündelweise
Fig. 64. Hans, 20 Tage alt. Silberredaktionsmetbode. a Randzone (?) des
Bewegongscentrams, 3 Assoziationsfasernng der zweiten Zellschicht des
Bcwegangaoentrams, 6 gemeinschaftl. Projektionssystem, CA Ammons-
, born, F Fimbria, S Stirnpol, St Streifenhügel.
•
mit Zwischenräumen angeordnet, während sie in den angrenzenden Centren
einzeln ziemlich dicht stehen (Fig. 54).
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Ungemein interessant war es mir, diesen Silberbildern die Besultate der
Myelogenese gegenüber za stellen. Daß die Ummarkung, der letzte Akt, der
Abschluß des Hirnbaues, nicht anderen Gesetzen folgen kann, als sie ihm durch
den allgemeinen Bauplan vorgezeichnet sind, leuchtet ohne weiteres ein. Einen
Zusammenhang mit der Funktion muß die Markscheidenentwickelung haben.
Die sehr unreif geborene Maus erhält erst zur Zeit der Geburt Markscheiden
in den vorderen Wurzeln des Bückenmarks und der Medulla und gleich darauf
in deren langem homolateralen Assoziationssystem in den Vorderstranggrund¬
bündeln, während sonst an keiner Stelle des Centralnervensystems Mark vor¬
handen ist
Erst 14—17 Tage nach der Entstehung der Taststrahlung erhalten ihre
Fasern Markscheiden. Wenigstens sehe jch die allerersten noch sehr spärlichen
drei- bis vierfaserigen Bündelchen nicht vor dem 9. Tage nach der Geburt in
die Binde ziehen. Sofort aber nehmen sie den ganzen Baum ein, welcher der
55 56 57 58
Figg. 55—58. Maus, 9 Tage alt. Horizontalserie nach vorn Bchräg abfallend.
Weigert'f'ärbong. + vorderes, O hinteres Feld des Bewegangscentrams.
gesamten Bewegungszone Figg. 55—58 entspricht, die ich mit Silberbildern
erhielt, doch bleibt die mediale Hirnoberfläche noch frei (Fig. 59).
Fig. 59. Maos, 9 Tage alt. Markhaltige Fasern im vorderen
and hinteren Teil des Bewegangsoentnuns.
Erst 3 Tage später ist die Myelinisation so weit vorgeschritten, daß das
subkortikale Marklager des Centrums markreif und die Anordnung der Binden¬
faserung deutlich ist (Fig. 60). Es markieren sich zwei aneinander stoßende
Fig/60. Maos, 12 Tage alt. Weigert*Färbung. 2 vorderer, l hinterer Teil des
Bewegangscentrams, ec Balken, F Fimbria, St Streifenhügel.
Bindenfelder (Figg. 61—66). In die vordere Zone kommen aus dem Marklager
nur radiäre Einzelfasern, während in der hintern die Längsfaserung in der
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6. Schicht das auffallendste Charakteristikum ist. Die Grenzen der beiden Zoueu
stimmen genau mit den früher an Silberbildern gefundenen überein. Eigen¬
tümlich muß es erscheinen, daß bei der Entstehung der vorderen Zone sich
nicht die Radiärfasern zuerst entwickeln, im Gegensatz zu ihrer Ummarkung.
61 62 63 64 65 66
Figg. 61—66. Maas, 12 Tage alt. Horizontalserie. Weigert -Färbung.
Auch am 15. Tage ist die Bestimmung der Grenzen beider Teile des
Centrums noch ohne weiteres möglich (Figg. 67—72). Nunmehr hat auch das
67 68 69
Figg. 67—72. Maas, 15 Tage alt. Horizootalserie. Weigert-Färbung.
früher erwähnte gemeinsame Projektionssystem Mark erhalten. Sein Anteil an
der vorderen Zone ist in Figg. 78 u. 74 durch Kreise angedeutet In der
kaudalen Zone ist es auch nach Wkigbbt nicht abzugrenzen.
Figg. 73 u. 74. Maus, 15 Tage alt. Oberflächenprojektion des Bewegnngscentrums.
Die Kreise im vorderen Teil bedeuten das gemeinschaftliche Projektionssystem, welches
den oralen Rand nicht erreicht.
Meine Untersuchungen haben ergeben, daß Markscheidenmethode und
Silbermethoden ganz analoge Resultate geben und daß eine Bestimmung von
umschriebenen Centren im Großhirn mit beiden wohl noch schärfer möglich ist
als mit dem Studium der Rindenzellen. Die Befunde decken sich mit denen
der Physiologie.
Herrn Professor Dr. Kockel, Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin
der Universität, bin ich zu großem Dank dafür verpflichtet, daß er mir ein
Laboratorium und Mittel seines Instituts znr Verfügung stellte.
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2. Neuritis, verursacht durch Creosotum phosphoricum.
Vod Dr. W. Q. Huet in Haarlem.
Im Herbst 1905 wurde in Haarlem eiue kleine Neuritisepidemie beobachtet.
Ein in Holland nicht approbierter Arzt hat mehreren Patienten Greosotnm phos¬
phoricum verschrieben, von denen einzelne an Lahmungserscheinungen erkrankt
sind. Ich habe diese Patienten fast alle gesehen und untersucht, einen Fall
aber nicht. 1 Das Symptomenbild ist bei diesen Patienten dasselbe, nur in Einzel¬
heiten abweichend. Ich gebe die Krankengeschichten, der Kürze wegen das
nicht auf die Vergiftung bezügliche, fortlassend. Zur bequemeren Übersichtlich¬
keit habe ich dieselben in einer Tabelle zusammengestellt.
Fall I. Fräulein B., 23 Jahre alt. Aue tuberkulöser Familie, ist seit Jahren
an Tuberculosis pulmonum erkrankt, hat die letzten Monate zu Bett gelegen.
Während 10 Tage im Oktober hat Bie Creosotum phosphoricum genommen, im
ganzen ± 25 g. Wegen Magenbeschwerden damit aufgehört; weiter keine anderen
Medikamente als Emsersalz genommen. Ungefähr eine Woche nach dem Aufhören
hat sie Parästhesien in den Füßen und etwas Schmerzen in den Waden bekommen,
am folgenden Tage waren die Unterschenkel und Fuße gelähmt, 2 Tage später
schon die Hände; Bewegung der Füße und Zehen unmöglich. Flexion und
Extension im Kniegelenk etwas schwach, konnte nicht stehen und gehen, konnte
die Kleider nicht zumachen. Keine objektiven Sensibilitätsstörungen. Patellar*-
und Achillesreflex verschwunden. Plantarreflex ebenso. Gefühl der passiven
Bewegungen vielleicht etwas herabgesetzt. Entartungsreaktion. AnS > KS.
Träge Zuckungen. Ende November Status quo ante, nur die Funktion der
Hände gebessert, aber deutliche Atrophie der Interossei und des Thenars. Kann
mit Unterstützung gehen.
Fall II. M., 31 Jahre alt, Bote. Wegen Magenbesohwerden hat er Creosotum
phoshoricum bekommen, im ganzen ± 120 g in 4 Wochen, zu gleicher Zeit hat
er Argontabletten 2 genommen. Während dieser Zeit Paralyse der Beine. 3. Nov.
kam er zu mir. Steppage, konnte nicht stehen ohne Stütze, wohl aber gehen.
Mm. peronei paralytisch. M. tibialiB ant., Extensor digit., Extens. halluc., Fu߬
muskeln paralytisch, Wadenmuskeln stark paretisch, Patellarreflexe lebhaft. Achilles-,
Plantarreflexe verschwunden, keine Sensibilitätsstörungen. 10 Tage später (nach
den Fußbeschwerden) soll er Schwäche der Hände bekommen haben. Schmerzen
oder Parästhesien hat er nie verspürt. Ich sah Patient noch einmal einen Monat
später, und fand aufgezeichnet: Paralyse idem, Gang idem, partielle Entartungs¬
reaktion, träge Zuckungen, AnS > KS, Muskeln oberhalb des Kniegelenks frei,
Hände partielle Entartungsreaktion, Atrophien, keine Sensibilitätsstörungen. Nachher
nicht wieder gesehen.
Fall III. Fräulein M. K., 24. Jahre alt, Lehrerin. 2 Wochen lang Creos.
phosph. genommen, aus Widerwillen aufgehört, nahm auch. Argontabletten. 14 Tage
später Schmerzen in den Waden und Lähmung der Beine (den Tag vorher hat
sie auf dem Tramwayperron gestanden in Feuchtigkeit und Kälte) den nächsten
1 Er ist in der Klinik von Herrn Prof. Pex verpflegt worden, doch war dieser so
freundlich, den unter Nr. VII mitgeteilten zu meiner Verfügung zu stellen, wofür ich an
dieser Stelle meiuen Dank ausspreche.
* Eine Spezialität des Arztes: Form: Hypophosphat, ferri, Sulf. chinini ää 200mg.
Sulf. strychn. 2 rag
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Tag fremdes Gefühl und Schwäche in den Händen, kann nicht stille stehen ohne
Stütze, muß beim Gehen unterstützt werden, kein Homberg. Alle Muskeln der
Unterschenkel gelähmt, Patellarreflexe erhalten, Achilles-, Plantarreflexe ver¬
schwunden, kalte Beine und Füße. Hechtes Bein subjektiv am meisten getroffen,
Überreizbarkeit für galvanischen Strom stärker rechts als links, Entartungsreaktion,
Heizformel umgekehrt, exquisit träge Zuckungen, Point d’election sehr tief, nahe
den Sehnen, Muskeln oberhalb des Kniegelenks frei, Sensibilität in allen Qualitäten
normal. Hände paretisch, kann Kleider nicht zuknöpfen, partielle Entartungsreaktion.
5 Monate später: kann jetzt stehen und gehen ohne Unterstützung, Steppage nicht
so stark als früher, äußerst geringe spontane Bewegung des Extens. halluc. longus,
etwas ausgiebigere Flexion des Fußes, komplette Entartungsreaktion, Reizbarkeit
für galvanischen Strom um vieles herabgesetzt, KS = AnS, träge Zuckungen, Hände:
deutliche Atrophie des Thenars, des Hypothenars und der M. interossei, Opposition
der Daumen und der kleinen Finger kaum möglich, ohne jegliche Kraft, kann
sich selbst ankleiden. Nähen, feine Arbeit unmöglich.
Fall IV. P. K., 50 Jahre alt, Zimmermann. 10 Tage lang Creosot. phos-
phoricum genommen, im ganzen ± 30 g, außerdem Phosphorsäure. Erkältete sich
am 5. Tage, nachdem er mit dem Einnehmen aufgehört hatte, blieb 4 Tage im Bett,
konnte dann nicht mehr gehen und stehen, kam 3 Wochen später zu mir. Er
konnte nur mit einem Stock gehen, aber nicht stille stehen, dabei mußte er die
Füße immer wieder versetzen, um nicht zu fallen. Steppage. Paralyse der Unter¬
schenkelmuskulatur, keine Sensibilitätsstörungen, kein RouBXBG’sches Phänomen,
Patellarreflexe erhalten, Achilles* und Plantarreflexe verschwunden, Hände frei,
komplette Entartungsreaktion in den gelähmten Muskeln, an den Handmuskeln
keine Abweichungen der elektrischen Reaktion. 6 Monate später: kann gehen und
Stillstehen ohne Stock. Einige spontane Bewegungen der Füße und Zehen mög¬
lich, partielle Entartungsreaktion, Zuckungen nicht mehr so träge, AnS = KS,
die Waden haben ihre Form und Resistenz behalten, Atrophie nicht sichtbar.
Fall V. Frau M., 31 Jahre alt. 13. Oktober angefangen mit Creos. phosph.
einzunehmen, 10 Tage lang, bekam Durchfall, zweimal Ohnmacht, blieb zu Bett,
hörte mit dem Einnehmen auf (sie hat auoh Argontabletten genommen). Als sie
4 Tage später das Bett verließ, konnte sie gut gehen, bekam aber den folgenden
Tag Schmerzen in Waden und Hüften und konnte bald nur mit Mühe gehen.
30. November Steppage, Paralyse der Unterschenkelmuskulatur, Patellarreflexe
erhalten, Achilles- und Plantarreflexe verschwunden, partielle Entartungsieaktion,
träge Zuckung, AnS > EIS, am linken Bein im M. vastus int. AnS > KS (nicht
träge Zuckung), Hände ganz frei. 2. Mai, Gang fast normal, wenn sie ruhig geht,
spontane Bewegung der Unterschenkelmuskeln zurückgekehrt, etwas Parese, Atrophie
absolut nicht anwesend, partielle Entartungsreaktion, AnS — KS, Zuckungen nur
etwas träge.
Fall VI. V., 31. Jahre alt, Metallarbeiter. Wegen Hustens hat er Creos.
phosph. ± eine Flasche genommen, 14 Tage später Sohwäche in den Beinen,
einige Tage darnach Beschwerden in den Händen, keine Schmerzen. Januar 1906.
Steppage, Paralyse der Unterschenkelmuskulatur, Patellarreflexe lebhaft, Achilles-
und Plantarreflexe verschwunden, starke Abmagerung der Unterschenkel, Ent¬
artungsreaktion, Atrophie der Handmuskeln deutlich, speziell des M. interosseus I.
Später nicht wieder gesehen.
Fall VII. J. F., 27. Jahre alt (aus der Klinik von Prof. P. K. Pel in
Amsterdam). Von 1. bis 16. August bekam er acht subkutane Injektionen mit
Cacodyl. natric., zu gleicher Zeit bekam er Creosot. phosphor. 3 mal täglich
10 Tropfen, steigend bis 3mal täglich 17 Tropfen. 14 Tage später Erbrechen,
stellte ein paar Tage ein, und nahm dann wieder 3 mal täglich 5 Tropfen.
8. Oktober: Durchfall ohne Erbrechen, fühlte sich matt in den Beinen, und
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konnte im Lanfe der Woche nicht mehr gut gehen, konnte die Zehen nicht
bewegen, die Hände nicht gut gebrauchen. 3. November in der Klinik auf¬
genommen, Ernährungszustand gut, keine Abweichungen der Organe. Parese und
Atrophie der Muskeln beider Hände, die Muskeln zum Gebiete des N. medianu6
und N. ulnaris gehörig (M. flexor. digit. profund., sublimis, flexor. pollic. longus
et brevis, Mm. lumbricales, Mm. interossei, adductor et opponens pollicis, M. oppo-
nens digiti quinti) atrophisch. Füße Equinovarusstellung, klassische Steppage,
partielle Entartungsreaktion. 20. März 1906 sehr gebessert entlassen, wenig
Atrophie der Handmuskulatur, Parese des M. adduot pollic. et digit. quinti, Parese
des Flexor, digit. communis, Extension des FußeB möglich; beim Geben die Füße
in leichter Flexionsstellung (b. Tabelle).
So leicht die Diagnose war in den meisten Fällen — konnte ich doch beim
ins Zimmertreten des dritten Falles gleich sagen, „sie haben Creosotnm ge¬
nommen“ — so schwierig war dieselbe, als ich die erste Kranke zur Beobachtung
bekam. Um so mehr war dies der Fall, als ich in einem benachbarten Dorfe
vom Arzt gerufen eine, ans Krankenlager gebundene, tuberkulöse Frau antraf
(Fall I).
Sie hatte vor drei Tagen Schmerzen in den Waden gefühlt, dann waren
auf einmal die Füße gelähmt gewesen, einen Tag später hat sie Parästhesien
in den Händen bekommen und bemerkt, daß sie sich derselben nur unter großer
Anstrengung und ungeschickt bedienen könne.
Wir konnten keine Ursache für diese Neuritis finden, sie hatte seit einem
Monat das Bett gehütet und vom Arzt war Kreosot (übliche Dosierung) ver¬
schrieben worden. Eine tuberkulöse Neuritis annehmen, weil die Frau eine
Phthisica war, das hieße eine Zwangsdiagnose stellen. Aus Furcht, die Polyneuritis
möchte progressiv sein, wurde sie in ein Krankenhaus gebracht.
Der zweite Fall wurde mir vom Urheber der Epidemie selbst zugesohickt, mit
der Frage, welches Leiden hier vorliege. Er trat bei mir, mit klassischem Gang,
ins Sprechzimmer hinein. Der Kranke teilte mir auf Befragen mit, daß er
Kreosot 8mal täglich 25 Tropfen genommen (er sagte nicht Creosotum phos-
phoricum). Bei dieser Duplizität der Fälle dachte ich, da auch die erste Kranke
Kreosot genommen hatte, an die Möglichkeit einer Verunreinigung des Kreosots,
und habe dem Kranken den weiteren Gebrauch desselben untersagt. Ich schrieb
dem Arzt mein Vermuten, habe den Patienten noch einmal wieder gesehen,
hörte später, daß er von einem homöopathischen Arzt mit Creosot phosph.
weiter behandelt ist. Einige Tage später zeigte sioh ein Mädchen, gestützt
durch ihre Mutter, wieder mit dem eigentümlichen Gang. Als ich gleich fragte,
haben Sie auch Kreosot genommen, zeigte sie mir eine Flasche mit der Etiquette
Creosot phosphor., ein mir unbekanntes Präparat
Erst jetzt, als ich nun zu der ersten Kranken ins Krankenhaus ging und
sagte: „Sie haben Creosot. phosphor. genommen“, da gestand sie, daß ihr Vater
zu dem Arzt gegangen sei, ihm das Leiden seiner Tochter beschrieben habe und
von diesem das Präparat mitbekommen hätte. Auf meine Meldung der Ge¬
fährlichkeit desselben hat dann dieser Arzt in den örtlichen Zeitungen vor
dem Weitergebrauch dieses (von ihm verschriebenen) Mittels gewarnt.
Es kamen dann in den nächsten Wochen die weiteren Fälle in meine
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Behandlung. Wenn man die Symptomatologie betrachtet, so fällt die Gleich«
formigkeit der Fälle auf. Es besteht die Lähmung der Muskulatur an Händen,
Füßen und Unterschenkeln; die Beine sind zuerst und stärker getroffen worden,
nur etwas Parese mag in der Schenkelmuskulatur (Beugeseite hauptsächlich)
und Unterarmmuskeln vorhanden gewesen sein. 1
Der Gang bot das typische Bild der Steppage, das Gehen mit gehobenen
Knien und paralytischem Equinusstand der Füße. Neben der Paralyse war
eine gewisse Ataxie bemerkbar, die jedoch mit geschlossenen Augen nur wenig
zunahm. Die passiven Bewegungen an Füßen und Zehen wurden gut wahr*
genommen, das Lagegefühl war nicht gestört Die oberflächliche Sensibilität war in
allen Qualitäten normal. Die Muskulatur der Waden etwas empfindlich beim
Kneifen, die Nervenstämme des N. peroneus, N. ulnaris nicht besonders schmerz¬
haft Die Kälte der Unterextremitäten ist auffallend, darüber wurde von den
Meisten geklagt
Die feinen Bewegungen der Hände, Knöpfen, Nähen, sind unmöglich oder
beeinträchtigt Muskelatrophie ist in einigen Fällen besonders deutlich.
Die Haut ist bei meinen Patienten immer gesund geblieben, keine Ab¬
schuppung, spröder Konsistenz wie sonst bei Neuritiden öfter gefunden wird,
nur etwas mehr glänzend. Die Symptomatologie weist unbedingt auf eine
Läsion des primären motorischen Neurons hin, wir haben hier eine toxische
Neuritis mit Prädilektion für die motorischen Nerven, wie auch andere Gifte
es zeigen. Daß nicht Myelitis hier die Ursache des Symptomenkomplexes dar¬
stellt, wird schon wahrscheinlich durch absolutes Intaktsein der Blasenfunktion,
sehr schwierig wäre auch die Lokalisatiou zu verstehen. Es müßten dann
zwei myelitische Herde bestehen, einer im Halse und einer in der Lenden¬
anschwellung und an der Stelle, wo der N. ischiad. entspringt, würden nur die
Zellgruppen und Bahnen getroffen sein, aus denen die gelähmten unterhalb der
Kniegelenke gelegenen Muskeln innerviert werden. Bei multipler Neuritis sind
die Lähmungserscbeinungen peripheriewärts intensiver, betrachtet man den Ab¬
stand vom Centrum als Hauptfaktor, dann wird verständlich, warum an den
oberen Extremitäten nur die Hand, an den Beinen schon die Muskeln bis zum
1 Einen Widersprach möchte ich näher besprechen. Fall V, eine gesunde verheiratete
Frau, die Oberhaupt den leichtesten Fall darstellt und schon wieder einen fast normalen
Gang zeigt, während die anderen noch mit Steppage gehen (die Erhöhung der galvanischen
Erregbarkeit ist auch am schnellsten bei ihr zuröckgegangen), hat auch an ihren Händen
Beschwerden gehabt, während der viel schwierigere Fall IV (Zimmermann) absolut nichts
an den Händen gespürt hat. Daß die Hände des Zimmermanns gewiß ebensoviel in An¬
spruch genommen sind, als die der Hausfrau, macht hier die Erklärung hinfällig, daß die¬
jenigen Muskeln vom Gift besonders geschädigt werden, die professionell angestrengt worden
sind (bei Bleivergiftung). Nur bei dieser Patientin fand ich am Oberschenkel eine leichte
Abänderung der elektrischen Reaktion, d. h. ich fand im M. vast. int. des linken Beines
AnS > KS. Bei keinem anderen Falle fand ich oberhalb des Kniegelenkes auch nur eine
Andeutung der Entartungsreaktion, ebensowenig oberhalb des Handgelenkes. Man kann
somit sagen, daß die Lähmung nicht an eine anatomische Einheit gebunden ist, daß sie
keine speziellen Nerven oder Muskeln bevorzugt, sondern auf einem gewissen Abstand der
Peripherie Halt macht.
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Kniegelenk getroffen sind. Sei es, daß die längsten Nervenfasern die empfind¬
lichsten sind, sei es, daß die Zirkulation eine Rolle spielt, eine so scharfe Niveau¬
grenze wie hier sieht man nicht oft
Nur die anfängliche Unsicherheit beim Gehen und Stehen (die sich schnell
gebessert hat) trotz Abwesenheit von Störungen der Sensibilität, konnte angeführt
werden als Moment zugunsten einer Myelitis.
Die Ätiologie der Fälle ist klar, und wenn auch in den meisten Fällen
kurz zuvor oder zur gleichen Zeit andre Medikamente genommen sind, so wird
man nicht mehr zweifeln und das Creosotum phosphoricum beschuldigen. Meine
erste Patientin hatte doch, wie aus der Tabelle ersichtlich, neben Creosot phos¬
phoricum nur Emsersalz genommen. Mit einer so vagen Beschuldigung i 3 t aber
nicht viel gesagt, verschiedene Momente fordern unsere Aufmerksamkeit.
1. Haben viel mehr Leute das Creosot phosphor. genommen als erkrankt sind,
2. sind die Dosen sehr verschieden stark gewesen,
3. lag die Möglichkeit einer Verunreinigung des Präparates vor,
4. das klinische Bild gleicht keinem der bekannten Bilder ganz genau, es
zeigt Eigentümlichkeiten,
5. ist das Creosotum phosphoricum ein Phosphat, und war es mir völlig
unbekannt, daß es als solches gefährlich sein konnte?
Hinsichtlioh des ersten Punktes, so war es unmöglich zu wissen, wieviel
Personen Creos. phosphor. genommen hatten. Ich habe bei einigen Pharma¬
zeuten nachgefragt, und von einem vernommen, daß er allein schon an mehr
Personen das Medikament verabreicht hatte als Leute erkrankt sind. Eine
gewisse Prädisposition, ein auslösendes Moment, oder eine partielle Verunreinigung
muß man voraussetzen um diese Tatsache zu erklären.
Wie ich schon in der Tabelle angegeben, scheint mir in der Anamnese
einiger Patienten etwas zu sein, was den Einfluß äußerlicher Momente als nicht
ganz unbedeutend darstellt, Kälte, Feuchtigkeit, Krankheit Andrerseits weisen
einige Tatsachen auf Verunreinigung.
1. Fall II hat 3 Flaschen, zusammen 120 g, genommen, sein Zustand ist um
kein Haar schlimmer als der des Falles III, der 40 g genommen hat Das Ver¬
muten liegt nahe, daß der Inhalt nur einer der 3 Flaschen das Übel herbeigeführt hat.
2. Klagten einige Patienten, daß der Geschmack ein entschieden scharfer
war, während derselbe ohne Schärfe sein soll.
8. Das klinische Bild zeigte einige Ähnlichkeit mit Arseniklähmung. Über¬
einstimmung: die Gastrointestinalstörungen, das Latenzstadium und die Lokali¬
sation. Unterschied: Mangel an Hyperalgesie, an Störungen der Sensibilität sowie
an trophischen Veränderungen der Haut.
Der Gedanke, das vielleicht freies Phosphor in den Präparaten enthalten
sei, hat mich veranlaßt, das Bild der Phosphorneuritis in der Literatur zu
suchen. In den großen Handbüchern findet man Phosphor unter den Neuritis-
erregenden Giften genannt, aber weiter nichts darüber.
Ich fand: A. W. M. van Hasselt, Handleiding Vergiftleer. II S. 68, 1855
einen Fall von Lähmung nach akuter Intoxikation.
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Tb. und A. Huseman, Handbuch der Toxikologie 1862, unterschieden einen
Phosphorismus acutus intestinalis und eine cerebrospinale Form (mit Lähmungen).
In der neueren Literatur fand ich eine Beschreibung von Henschen 1 , der
viele akute Phosphorintoxikationen und in einigen dieser Fälle nachher Neuritis
beobachtet hat Er erwähnt die Seltenheit der Beschreibungen in der Literatur,
er meint, die meisten seien schwere Fälle gewesen, die gestorben sind, ehe
das Stadium der Paralyse eingetreten war. Bei den Arbeitern in Streichholz*
fabriken kommt zwar chronisches Leiden infolge Phosphorintoxikation vor, von
Lähmungen ist aber keine Rede 2 .
Vergleicht man die drei von Henschen beschriebenen Fälle mit den oben
beschriebenen, dann sieht man gleich, daß die Sensibilitätsstörungen dermaßen
gegenüber den motorischen Erscheiuungen das Bild beherrschen, daß nur von
einer entfernten Ähnlichkeit die Rede sein kann.
Ich habe den Inhalt einer halbgeleerten Flasche eines meiner Patienten
untersuchen lassen; es war keine Spur Arsen oder Phosphor vorhanden. Bei
der Untersuchung aber zeigten sich die Eigenschaften des in der Flasche be¬
findlichen Präparates nicht identisch mit denjenigen, welche in der Literatur
beschrieben sind.
Ich fand in E. Mehck’s Index: Creosotum phosphoricum, Kreosotphoephat
P0 4 (C 8 H 7 ) 3 reizloses, ungiftiges Ersatzmittel des Kreosot Dosis 6 g pro die;
und in Pharmazeutische Centralhalle für Deutschland 1897: „Kreosotphosphat
ist entschieden von gewisser Giftigkeit Wie das Bollettino chimico-pbarma-
ceutico (1897, S. 72) nach der Rivista di Fisiologia mitteilt, wird das Präparat
folgendermaßen dargestellt:
Kreosot und Phosphorsäureanhydrid läßt man in Gegenwart von Natrium
aufeinander einwirken Es resultiert eine sirupöse dicke Masse, die mit Wasser
behandelt und dann fraktioniert destilliert wird, so daß der zwischen 190°
und 203° siedende Anteil aufgefangen wird. Letzteres wird durch Lösen in
Alkohol und Fällung mit Wasser gereinigt Allein zu brauchen ist nur die
gedachte Fraktion, die frei von kaustischen oder reizenden Eigenschaften ist, und
die der Formel P0 4 (C 6 H 7 ) 3 entspricht oder ein Trikreosotphosphat darstellt, welches
ca. 75 % Kreosot enthält. Es ist ein dickes öl, gibt auf Papier ölähnliche
Flecke, riecht kaum nach Kreosot und ist von adstringierendem, etwas bitterem
Geschmack, ohne Schärfe. Unlöslich in Wasser, Glyzerin, alkalischen Lösungen
und ölen. (Eigenschaften die es von Kreosot unterscheiden.) Löslich in Alkohol
und jeglicher Mischung von Alkohol und Äther. Die alkoholische Lösung gibt
beim Zusatz von Wasser eine milchige Flüssigkeit ohne Geschmack und Geruch,
vortrefflich zu pharmazeutischen Zwecken. Mit Alkalien verbindet es sich schnell
unter Abscheidung des Kreosots und Bildung der entsprechenden Phosphate.
Das Fernsein jeder giftigen oder ätzenden Wirkung läßt vermuten, daß
das Präparat, das ohne jegliche schädliche Nebenwirkung auch längere Zeit
1 Neurolog. Centralbl. 1898 n. 1900.
8 Auch bei der Maxillarnekrose scheint ein prädisponierendes Moment oder spezielle
Empfindlichkeit eine Rolle zu spielen.
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in großen Dosen gegeben werden kann, eine hervorragende Stellung im Arznei¬
schatz erhalten und das Kreosot verdrängen wird.“
Man vergleiche das Zitierte mit dem Rapport des Herrn Chemikers
N. von deb Sleen (Januar 1906).
„Creosot phosph. wurde untersucht auf Verunreinigung mit Arsen, Phos¬
phor, schweren Metallen; das Resultat war negativ. Selbst mit Hilfe des Spektro-
skopes gelang es nicht in der Wasserstoffdamme Phosphorus oder niedrige Phos¬
phorverbindungen zu sehen. Weiter ergab sich, daß die Eigenschaften des
Körpers Abweichungen zeigten von denjenigen in der Literatur beschriebenen:
1. Phosphorusgebalt als Phosphorsäureanhydride P 2 0 6 berechnet, betrug
nicht 20 bis 25%, sondern nur 16%.
2. wird angegeben, daß der Körper leicht durch Alkalien verseift wird
(Zerlegung in Phospborsäure und Kreosot), dieses gelang nur für einen kleinen
Teil Nach stundenlangem Kochen mit Übermaß von alkoholischer KOH-Lösung
ist nur wenig Phosphorsäure abgeschieden worden (die gewöhnliche Ortho-
phosphorsäure schien überhaupt nicht da zu sein), indem das abgeschiedene
Kreosot, statt reines Kreosot darzustellen, noch eine Quantität Phosphorus ent¬
hielt, bis 12,5% (berechnet als P 2 0 6 ).
3. ln der pharmazeutischen Centralhalle 1897 ist angegeben, daß nur die
Fraktion 190—203° therapeutisch verwendet ist, bei dem untersuchten Präparat
aber, war bei gewöhnlichem Druck gar nicht destillierbar, kam erst bei 210°
der erste Tropfen über, indem die Temperatur bis 850° stieg, unter deutlicher
Anzeige von Dissoziation der kochenden Flüssigkeit.
Es resultiert, daß nicht nur die Eigenschaften des untersuchten Präparates
abweichen von der in der Literatur beschriebenen, sondern auch das Präparat
nicht die Eigenschaften eines phosphorsauren Ester hat, der in Kreosot an¬
wesenden Phenole (wie aus dem Namen Creosotum phosphoricum zu verstehen
ist). Das Präparat besteht zum größten Teil aus einer organischen Phosphor-
verbindnng von vorläufig unbekannter Konstitution, über dessen Wirkung auf
den Organismus a priori nichts zu sagen ist. Auf Grund dieser Untersuchung
wird die Behauptung, daß dieses Präparat in dem Darm in Kreosot und Phosphor¬
säure zerlegt werden soll, äußerst unwahrscheinlich. In Übereinstimmung damit
ist wohl die gegebene Bereitungsweise aus P 2 0 B und Na, welche die Möglich¬
keit zum Auftreten allerhand komplizierter Verbindungen offen stellt — wie
auch die Bemerkung, daß das geformte Produkt durch fraktionierte Destillation
gesäubert werden muß. Welche Konstitution den entstandenen Körpern zu-
geschrieben werden muß, ist nur durch weitgehende Untersuchungen festzustellen,
wenn diese nicht durch Fehlen der Kristallisationsfähigkeit unmöglich sind.“
Herr Prof. L. Lewin hat die Güte gehabt, auf mein Befragen mir das
Folgende mitzuteilen:
„Es ist sehr schwer zu sagen, worauf diese Nebenwirkungen zurückzuführen
sind. Das Creos. phosph. soll 80 % Kreosot und 20% P 2 0 6 enthalten. Vom
Kreosot selbst kenne ich derartige Nebenwirkungen nicht, auch nicht von der
Phosphorsäure. Die letztere wirkt höchstens kaustisch. Ich vermute, daß bei
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der Behandlung des Kreosots mit Fhoephorsäureanbydrid bei Gegenwart von
Natrium — so stellt man Creos. phosphor. dar — irgend eine giftige Oxytoluol-
verbindung entsteht. — Vielleicht bildet das Kreosol, das_ r Methylhomobrenzca¬
techin das Ausgangsprodukt hierfür.“
Prof. Lewin ist also ebenfalls der Meinung, daß die Bereitungsweise des
Creosot. phosphoric. den Weg offen stellt zur Herstellung verschiedener Ver¬
bindungen unbekannter Zusammenstellung, er sieht aber nicht im Phosphorsäure-
komponent die schädliche Substanz, vermutet aber, daß eine aus dem Kreosot
herleitbare Verbindung die Lähmung hervorruft.
Ich kann sehr gut verstehen, daß der Chemiker sich sträubt, dem Pbosphor-
säurekomponent giftige Eigenschaften zuzuschreiben und die anderen Kompo¬
nenten oder dessen Derivate für die Ursache der Lähmungen hält Der
Kliniker aber wird nicht so bald davon überzeugt sein, bei dem gänzlichen
Mangel an Beschreibungen bezüglich Lähmungen, die nach Vergiftung mit
Kreosot, Guajacol, Toluol und deren Derivaten entstanden sein sollten.
Er sieht zwar Lähmungen, deren Bild nur Ähnlichkeit zeigt mit dem Bild
der nach Phosphorintoxikation entstandenen Lähmungen und nicht ganz iden¬
tisch damit ist, aber diese Ähnlichkeit imponiert ihm als Kliniker immerhin.
Das Bild der Neuritis durch Phosphorintoxikation ist auch nicht konstant,
wie aus dem folgenden hervorgeht
In seiner zweiten Mitteilung hat Henschbn einige Fälle beschrieben,
in denen Hyperalgesie und Hyperästhesie, Anästhesie, Thermanästhesie das
hervorragende Moment bilden und von Paralyse nichts zu finden ist, er sagt
dann: „Vergleicht man hiermit den von mir früher 1 mitgeteilten Fall, so ist
der Unterschied auffallend. In Übereinstimmung damit, daß die Vergiftung viel
schwerer war, waren die Symptome auch intensiver. Bald trat Parese, ja Paralyse
auf. Patient konnte nicht gehen, mußte den ganzen Winter das Bett hüten
und selbst Atrophie trat ein.“
Wenn man andererseits sieht, daß nach dem Gebrauch von Creosotum
phosphor. in bestimmten Fällen nur motorische Störungen vorgekommen sind,
aber in anderen Fällen ganz sicher Hyperästhesie und Anästhesie beschrieben
ist 2 , also das Bild auch hier nicht immer dasselbe ist:
Wenn man weiter bedenkt, daß bei verschiedenen besser bekannten Ver¬
giftungen mit Arsen, Blei, Alkohol das Bild auch wechselt.
Wenn man dies alles im Auge behält, dann wird man die Form der oben
beschriebenen Neuritislähmungen als klinisch zugehörig zur Arsen-Phosphor-
Neuritisgruppe betrachten. Wie das Phosphorsäureradikal, und in welcher Lage
dasselbe giftige Eigenschaften erhalten kann, bleibt unbekannt
Es sind schon früher Vergiftungen mit Creosot. phosph. bekannt geworden.
Edmond Chaumier hat im Jahre 1898 einige Fälle beobachtet, er teilt sieben
Beobachtungen mit, die er selbst und einige befreundete Ärzte gemacht haben.
1 Neurolog. Centralbl. 1900.
1 Edmond Chaumier. Les pnralysies par le phosphore et scs composes. Paria 1905,
A. Male ine.
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6 «
In seinen Fällen tritt nach ein Latenzstadium, die Paralyse auf, die ßeiue
waren am stärksten getroffen, kurz vorher waren Schmerzen in den Waden und
Parästhesien dagewesen. Sensibilitätsstörungen treten in den Hintergrund gegen¬
über den motorischen. Er sagt z. B. Observation IQ (Dr. Triaire) „La sensi-
bilitö ne fut jamais alteree“: iu anderen Fällen sind ganz sicher Hyperästhesie,
Hyperalgesie und Anästhesie beschrieben worden.
Chaumieb erwähnt nicht, ob das Mittel vom Magen leicht vertragen wurde,
oder Durchfall verursacht hat, er gibt nicht an, ob auch Personen Creos. phosph.
genommen haben, ohne erkrankt zu sein, er meldet nichts von veranlassenden
Momenten. Alle seine Patienten waren tuberkulöse Personen. Er betont die
Ähnlichkeit seiner Fälle mit denjenigen von Henschen , welche nach akuter
Phosphorintoxikation entstanden sind, er sagt: Le cas de Henschen produit par
le Phosphore lui-möme et les cas, que j’ai rapportös, produits par des combi*
naisons chimiques du phosphore sont trös semblables, comme je l’ai döjä dit, et
ont la möme origine.“ Dieser Behauptung Chaumieb’s kann ich nicht bei¬
stimmen. Bei dem Gebrauch von Creosot. phosphoric. kann es nie freier
Phosphor sein, der die Lähmung hervorruft.
Im Jahre 1903 hat Lof.wknfeld 1 zwei Fälle beschrieben, die ganz identisch
sind mit den von mir beobachteten. Er betont die Abwesenheit von Sensibilitäts¬
störungen und teilt mit, daß die beiden Falle sich dadurch unterscheiden, daß
bei dem einen Kranken beträchtliche Atrophie sich entwickelte und bei dem
anderen, trotz absoluter Paralyse der Muskeln, keine Atrophie bemerkbar war.
Dasselbe hat sich auch gezeigt in den von mir beschriebenen Fällen.
Loewenfeld ist ebenfalls der Ansicht, daß die Phosphorsäurekomponente
das schädliche Agens darstellt
Webtheim Salomonson beschreibt in d. Centralbl. (1906, Nr. 16) einen
Fall von tonischer Polyneuritis bei einem Phthisiker, der wohl aus derselben
Quelle stammte als der meinige. Auch er meint, daß die Möglichkeit einer
Einwirkung des Phosphorsäureions auf die peripherischen Nervenfasern nicht
a priori auszuschließen ist.
II. Referate.
Anatomie.
1) La circonvolution godronnöe et ses prolongements sus-oalleux, par
Trolard. (Revue neurol. 1906. Nr. 20.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Verf. beschreibt eingehend die anatomischen Lagebeziehungen und Ver¬
bindungen der Fascia dentata, die er gegen Dejerine u. a. nicht als eine schlecht¬
weg „abortive“ Windung angesehen wissen möchte. Zu kurzem Referate ist die
fast rein deskriptive Arbeit nicht geeignet und muß im Originale nachgesehen
werden.
Physiologie.
2) Sur la reproduotion dos cellules nerveuses, par C. Ciaccio. (Revue
neurologique. 1906. Nr. 19.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
1 Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psychiatrie. 1903. S. 237.
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Verf. hat schon früher, wie er berichtet, im Sympathicus Neubildung von
Nervenzellen zu beobachten Gelegenheit gehabt. Neuerdings hat er im Gehirn
von Mäusen, wie er raitteilt, in der Rinde, auch in der Region der Pyramiden*
zellen, Neuroblastenelemente gesehen, aus denen auf amiiotischem Wege zunächst
neue mehrkernige Zellelemente entstünden; dann gingen die Kerne bis auf einen,
der persiBtiere, zugrunde und beteiligen Bich an der Bildung deB Protoplasmas
der neuen Zelle; zuweilen persistierten auch die anderen Kerne, sie werden dann
stark chromatophil, dabei bedeutend kleiner und seien noch in einzelnen Pyra¬
midenzellen zu sehen. Verf. weist die Möglichkeit einer Verwechselung des
Prozesses mit Neuronophagie zurück.
S) Über die psyohomotorisohen Centren im Großhirn des Schafes, von
Nikitin. (OboBrenije psich. 1906. Nr. 5.) Ref.: Wilh. Stieda.
Auf Grund von elektrischen Reizversuchen an 6 Schafen bestätigt Verf. die
Befunde Marcaccis und widerlegt die Befunde Ziehens. U. a. weist er darauf
hin, daß das Centrum für Augenlidbewegungen sich in derselben Windung be¬
findet, wie die Centren für die kontralateralen Extremitäten und zum Teil mit
ihnen zusammenfällt. Das beweist, daß entgegen der Meinung N. Kowalewskis
homologe Rindenbezirke nicht bei allen Säugern die gleiche Funktion haben, da
Reizung des betreffenden Bezirkes wohl bei Schafen, nicht aber bei anderen Tieren
Augenbewegungen hervorruft.
Pathologische Anatomie.
4) Anleitung sur Gehirnpräparation, von Strasser. (Jena 1905.) Ref.:
Max Bielschowsky.
Das Büchlein soll den Besuchern des Präparierbodens als Wegweiser bei der
Zerlegung des Gehirnes dienen. Die Anordnung des Stoffes ist eine so klare und
die Vorschriften bei den einzelnen Übungen sind so zweckmäßig und leicht ver¬
ständlich, daß der Studierende mit Hilfe dieses Leitfadens von einem Gehirn
mehr lernen kann, als an zehn auf eigene Faust präparierten. Er ist deshalb
als Ergänzung zu den anatomischen Lehrbüchern und PräparieranweiBungen bestens
zu empfehlen.
5) Fälle von familiärer Mikrocephalie, von H. Vogt. (Allg. Zeitschrift für
Psychiatrie. LXIII.) 'Ref.: Zingerle (Graz).
Mißbildungen des Gehirnes sind das eine Mal Folge einer nachweisbaren
äußeren Ursache, die das sich entwickelnde Organ traf, in anderen Fällen dagegen
Resultat einer aus inneren Ursachen gestörten Entwickelung. Diese inneren (endo¬
genen) Momente spielen eine wesentliche Rolle bei allen Krankheiten, welche
familiär auftreten. Auch die Mikrocephalie, die aus mannigfachen Ursachen ent¬
stehen kann, ist häufig als familiäre Anomalie beobachtet worden, und beweist
dies, daß dann deren Genese auch in einer endogenen Anlage begründet sein
kann. Den schon vorhandenen Beobachtungen von C. Vogt, Baillarger, Bin-
hoff, Laborde u a. fügt Verf. vier neue über familiäre Mikrocephalie hinzu.
Die erste betrifft eine Familie, in der von acht Geschwistern drei mikrocephal
waren. In der zweiten litten von fünf Geschwistern drei, in der dritten von
sieben Geschwistern drei und in der vierten Familie von drei Geschwistern zwei
an dieser Entwickelungshemmung des Gehirnes. Der endogene Faktor spricht
sich auch in der Tatsache aus, daß in den Familien anderweitige Affektionen des
Nervensystems (Krämpfe) und Zeichen geringer vitaler Energie (große Kinder¬
sterblichkeit) sowie anderweitige Mißbildungen vorkamen. Die Familien sind
großenteils belastet.
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Pathologie des Nervensystems.
6) Etüde anatomoolinique d'un oas de syringomyälie spasmodique, pur
Alquier et G. Guillain. (Revue neurol. 1906. Nr. 11.) Ref.: Stransky.
48jähriger Manu, Lues vor 20 Jahren akquiriert (später Tertiärerscheinungen),
vor 4 Jahren Beginn der jetzigen Erkrankung mit vorübergehenden Gehbeschwerden,
später passageren Schmerzen zwischen den Schulterblättern, an die sich bald
Schwellung, Schmerzen und Flexionskontraktur in den Fingern der rechten Hand
anschlossen (Daumen und Zeigefinger relativ weniger affiziert), letztere allmählich
immer mehr zunehmend; allmählich auch Beweglichkeitserschwerung auch in den
proximalen Gelenkeu der Extremität; vor 2 Jahren bestand auch bereits spastischer
Gang, Reflexsteigerung, Babinski beiderseits (Lumbalpunktion ergab Lymphocytose),
keine Sensibilitätsstörungen; allmähliche Zunahme der Erscheinungen. Aus dem
Status praesens: Kopf nach vorn übergebeugt, obere Extremität in charakteristi¬
scher Kontrakturstellung, insbesondere die Extension stark beeinträchtigt; charak¬
teristische Stellung der Hand und der Finger, links die Störungen geringgradiger
als rechts; in den unteren Extremitäten betrifft die spastische Paraplegie haupt¬
sächlich die Beuger; Stehen und Aufsetzen unmöglich; Atrophie und Parese der
großen Brustmuskeln; Amyotrophie im allgemeinen geringgradig; Thorax en bäteau;
leichte Kyphose; Sehnenreflexe an den unteren Extremitäten erhöht, nur Achilles¬
sehnenreflexe herabgesetzt, an der oberen Extremität fehlend; Blasenstörungen;
elektrische Erregbarkeit bloß quantitativ in den betroffenen Gebieten herabgesetzt;
zeitweise Schmerzanfälle im Rumpf und in der rechten oberen Extremität; leichte
Hyperalgesie entsprechend der rechten oberen Extremität, sehr konstante Tempe-
ratursinn8störnngen, taktile Sensibilität normal, Stereognose aufgehoben. Tod an
Bronchopneumonie nach etwa 4jähr. Bestand des Leidens. Aus dem anatomischen
Befund: Dura mater spinalis entsprechend dem Übergang in die Oblongata ver¬
dickt (Pachy- und Leptomeningitis); im oberen Brustmark eine bis in die Oblon¬
gata zu verfolgende Höhlenbildung. Histologisch zeigte sich, daß neben echter
syringomyelitischer Höhlenbildung mehrere Erweichungsherde vorhanden waren,
letztere ziemlich zahlreich im oberen Brust- und unteren Halsmark; sekundäre
Degeneration der Pyramidenstränge vom unteren Halsmark nach abwärts. Zell¬
veränderungen nur gering.
Die Verff. gehen des weiteren noch auf die Differentialdiagnose (speziell gegen
Kompression), sowie auf die Pathogenese der einzelnen Symptome (Schmerzen,
Geringgradigkeit der Taktilitätsstörung und der Amytrophien) ein; sie glauben
der Lues keine ätiologische Rolle in dem Falle zuschreiben zu sollen; spezifische
histologische Läsionen fanden sie wenigstens nicht.
7) Haeznatomyelie and Syringomyelie. Ein Beitrag zur Pathogenese der
Syringomyelie, von Dr. 0. Kölpin. Aus der psychiatr. Klinik in Greifswald
(Prof. A. Westphal). (Arch.f.Psych.u.Nervenkr. XL. 1905.) Ref.: Heinicke.
Um zur Klärung der Frage beizutragen, ob die durch Traumen, bez. durch
Häm&tomyelie hervorgerufenen Rückenmarksveränderungen tatsächlich die Basis
abgeben, auf der sich in einer vorher normalen Medulla spinalis das anatomische
Bild der Syringomyelie entwickeln kann, oder ob dieselbe stets auf angeborenen
oder frühzeitig erworbenen Entwickelungsstörungen des Rückenmarkes beruht,
macht uns Verf. mit der Krankengeschichte einer 32jährigen, nicht belasteten
Arbeitersfrau bekannt, die zum zweiten Male an einer, unter dem Bilde einer
schweren Depression mit Versiindi^ungsvorstellungen, Selbstmordneigung verlaufen¬
den Psychose erkrankt ist. Der Mann der Kranken gibt noch an, daß die Patientin
seit längerer Zeit viel über Schmerzen in der rechten Seite, Arm und Schulter
geklagt habe.
Die Untersuchung ergibt mittelgroße, örtlich und zeitlich gut orientierte,
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72
schlecht genährte Frau, die an lebhafter Angst leidet und über Schmerzen in der
rechten Seite klagt. Pupillen sind gleichweit, reagieren prompt, Augenbewegungen
sind frei, Zunge wird gerade hervorgestreckt; rechter Facialis etwas schwächer
innerviert als linker; lebhafte Patellarreflexe, links deutlicher, anhaltender Fuß-
klonus; rechts nur andeutungsweise; Gang spastisch, unsicher, breitbeinig; Böm¬
berg; gröbere Sensibilitätsstörungen scheinen zu fehlen; innere Organe o. B.; rechte
Seite o. B.; rechter Oberarm zeigt mehrere weiße, zehnpfennigstückgroße Narben.
Das anfängliche Bild der Melancholie verändert sich bald insofern, als hypo¬
chondrische Ideen hinzukommen; nach 3 Wochen wird die Kranke apathischer,
unrein; der körperliche Befund bleibt stationär, nur nimmt der Fußklomis stetig
ab, tritt zuletzt nur noch auf, wenn Patientin unmittelbar vorher einige Schritte
geht; im weiteren Verlauf kommen leichte fieberhafte Diarrhöen hinzu, die Patientin
wird schwer soporös, auf beiden Augen stellt sich Keratitis ein und etwa acht
Wochen nach der Aufnahme erfolgt der Exitus.
Die Sektion ergab: Gehirn normal; im Halsmark in der Gegend des Hinter-
hornes eine Spaltbildung; im übrigen normaler Befund; keine Lues; keine Nephritis.
Nachträglich gab der Mann noch an, daß ihm nicht bekannt sei, daß die
Patientin jemals gefallen sei; auch soll sie nie unempfindlich gegen schmerzhafte
Beize gewesen sein, oder sich, ohne es zu merken, verbrannt haben; nur Bei es
ihm aufgefallen, daß ihr rechter Arm nach Anstrengungen öfter anschwoll und
schmerzte; die Haut der rechten Hand sei auch viel leichter aufgesprungen und
habe viel mehr geschilfert als links.
Die weitere Untersuchung ergab in ihren Hauptpunkten zusammengefaßt eine
Gliose, die sich vom zweiten Dorsalsegment bis zum oberen Drittel der Oliven
hinauf erstreckte; an ihren beiden Enden besteht sie auf lange Strecken aus
einem schmalen Streifen grobwelliger Gliafasern mit Neigung zur Spaltbildung;
in der Mitte imponiert sie bald als Tumor, bald weist sie ein oder auch zwei
Höhlen auf. Ihren Sitz hat die Gliose durchweg im rechten Hinterhorn, bez.
auch im basalen Teil des rechten Vorderhornes, im verlängerten Mark, in der
Substantia gelatinosa. Der Centralkanal liegt stets gesondert von der Gliose mit
Ausnahme vom 6. Cervikalsegment, wo er in der Geschwulst mit einbegriffen ist.
Nur an dieser Stelle und nur an seiner ventralen Wand trägt der Hohlraum
hier eine Auskleidung mit Centralkanalepithelien. Vom zweiten Dorsalsegment
bis zur Pyramidenkreuzung fanden sich in der linken grauen Substanz Blutungen,
die die centralen und basalen Partien des Vorderhorns, sowie das ganze Hinter¬
horn einnehmen; auch in der Medulla oblongata fanden sich einige kleine häma¬
togene Erweichungsherde. Die Glia reagiert unmittelbar in der Nähe dieser
Hämorrhagien durch Bildung von homogenisierten Partien und großen Spinnen¬
zellen. An einigen Punkten des Halsmarkes finden sich auch kleine Blutungen
in dem rechten Vorderhorn, desgleichen, aber bedeutend spärlicher, auch in den
an den Hohlraum angrenzenden Partien der Gliose im Halsmark. Die Gliosen-
bildung im verlängerten Mark verläuft in der Gefäßrichtung, wird streckenweise
von den Gefäßen begleitet, sie zeigt zahlreiche quer- und längsgetroffene Gefäße;
die Gliose und das angrenzende Gewebe hat Neigung zur Spaltbildung; es finden
sich in ihr frische Blutungen und klumpiges Blutpigment; an mehreren Stellen
der Nachbarschaft sind hämorrhagische Erweichungsherde zu sehen.
Verf. kommt auf Grund dieser Befunde zu dem Resultat, daß mit recht
großer Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Hämatomyelie
und Syringomyelie besteht.
Interessant ist übrigens die Kombination von Syringomyelie und Psychoße.
8) Un cas de syringobulbie. Syndrome d’Avellis au cours d’une Syringo¬
myelie spasmodique, par F. Raymond et G. Guillain. (Revue neurolog.
1906. Nr. 2.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
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41jahrige Kranke, erblich belastet. Beginn der Affektion vor einigen Jahren
(bulbäre Sprachstörung, Gaumenparese, später Parese im rechten Schultergürtel,
geringe Thermonästbesie, Nystagmus, Schwäche in der rechten Hand; Spitzen¬
tuberkulose); es bestand eine alte Otitis supp, rechts; Zunahme der Lähmungs-
erscheinungen im Laufe der Jahre. 9 Jahre nach Beginn bestanden außerdem
Flexionskontraktur in den drei letzten Fingern der rechten Hand (Daumen und
Zeigefinger intakt), weniger in der linken, geringe muskuläre Atrophie; Herab¬
setzung der elektrischen Erregbarkeit in einzelnen Muskeln, besonders der rechten
oberen Extremität; leichte vasomotorische Störungen. Patellarsehneni'eflexe beider¬
seits gesteigert, Kloni, Babinski und kontralateraler Adduktorenreflex beiderseits;
geringe Deformität der Wirbelsäule und des Thorax; halbseitige Atrophie der
Gaumenmuskulatur rechts; nasale Sprache, Begurgitation beim Schlucken, rechts¬
seitige Stimmbandlähmung; Taubheit rechts; Facialisgebiet intakt; eine kleine
anästhetische Zone am linken Vorderarm außen (Schmerz- und Taktilität), Stereo-
gnose in beiden Händen aufgehoben; rechts Herabsetzung der Temperaturempfindung.
Die Verff. heben hervor, daß die Entwickelung des Falles anfangs eher an
multiple Sklerose habe denken lassen; später allerdings sei der Aspekt durch die
Art der sensiblen Störungen verschoben worden, ferner durch die Knochen¬
veränderungen, die „main en pince-Stellung“ der Hand der Autoren. Die Verff.
erkannten in dem Falle das Bild ihrer spasmodischen Form der Syringomyelie,
vergesellschaftet mit den Symptomen der Syringobulbie, in Form des Avellis-
sehen Syndroms (einseitige Lähmung des inneren Astes des Accessorius).
9) Syringomyelie spasmodique avec attitude partiouliere des membres
supörienrs, par F. Raymond et H. Frangais. (Revue neurologique. 1906.
Nr. 8.) Ref.: Erwin StranBky (Wien).
40jährige Frauensperson, mehrmals an Rheumatismen erkrankt; seit 12 Jahren
Bestehen der jetzigen nervösen Affektion, Beginn mit Parästhesien in den oberen
Extremitäten, später Schmerzen in den Fingern, Armen und Schultern, mit Vor¬
liebe anfallsweise auftretend, die nach mehreren Monaten schwanden; typische
Sensibilitätsstörungen, Atrophien in den Händen, späterhin gefolgt von allmählich
ascendierenden Kontrakturen in beiden oberen Extremitäten ziemlich gleichzeitig,
die allmählich immer mehr Zunahmen; nur Daumen und Zeigefinger konnten noch
eine Zeitlang nach Art einer Pinzette verwendet werden; seit 4 Jahren auch Geh¬
störung. Aus dem Status praesens: Psyche normal; Kopf nach vorn gebeugt,
Schulter etwas nach vorn gerückt; beide Vorderarme werden stark überstreckt
und proniert gehalten, parallel zum Rumpfe und derart, daß Olecranon und Palma
nach außen sehen, Hände extendiert, Finger in Beugestellung; in der linken oberen
Extremität Fingerbeugen möglich, Strecken nur im Daumen und Kleinfinger,
Interossei, Opponens poll., Thenar (weniger Antithenar) gelähmt bzw. atrophiert,
Supination des Unterarmes aufgehoben, ebenso (außer Pronation) übrige Willkür¬
bewegungen, Atrophie vorzüglich in der Schulterregion: ähnliche Verhältnisse
betreffs der rechten oberen Extremitäten; spastisch-paraplegischer Gangtypus;
Rumpfmuskelschwäche, Kyphoskoliose der Wirbelsäule, Thorax en bäteau; elek¬
trische Erregbarkeit in den am stärksten betroffenen Muskeln recht stark herab¬
gesetzt; Patellarsehnenrefiexe beiderseits sehr erhöht, Kloni, Babinski, Adduktoren¬
reflexe beiderseits; Bauchhautreflexe fehlen; leichte nystaktische Zuckungen bei
Extremstellungen der Bulbi; ausgebreitete, scharf begrenzte Hypalgesie vom
Trigeminusgebiete (ausschließlich) nach abwärts bis zum ersten Sakralsegmente
(einschließlich) reichend; ähnlich, doch nicht so symmetrisch verteilt (r. > 1.),
Thermalanästhesie lokalisiert; Stereognose in beiden Händen aufgehoben, Gelenk-
sensibilität in den oberen Extremitäten fehlend; Störungen der Knochenempfindung
nicht konform denen der übrigen Qualitäten; taktile Empfindung allenthalben ohne
Störung; keine sonstigen Besonderheiten.
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Die Verff. stellen die Diagnose auf Syringomyelie (spastische Form) und ver¬
weisen auf die Besonderheiten der Kontrakturstellung der oberen Extremität in
dem Falle; die Reizerscheinungen, die zu Beginn der Lähmung und Atrophie
vorangingen, konnten auch den Gedanken an das Bestehen einer Pachymeningitis
cervic. hypertr. nahelegen, deren Beziehungen zur Syringomyelie bekannt seien.
10) A case of syringomyelia with double optio neuritis, by T. H. Weissen-
burg and James Torrington. (American Journal of medical Sciences. 1905.
Dezember.) Ref.: M. Rhe i nboldt (Bad Kissingen).
Das 16jährige, außerordentlich schlanke Mädchen, hereditär mit Krebs und
„Gehirnlähmung“ belastet, war, abgesehen von Kinderkrankheiten, bis zum 7. Jahr
gesund. Von da ab außerordentlich schnelles Wachstum (jetzt 6 Fuß groß).
Vom 12. Jahr ab allmählich zunehmender Schwachsinn, jetzt indolent, unlenksam.
Damit gleichzeitig beginnende Unsicherheit des Gehens (kein Schwanken) infolge
zunehmender Schwäche der Beine bis zur Unfähigkeit zu gehen und zu stehen.
Seit 2 Jahren Kopfweh und gelegentlich Brechreiz; gleichzeitig Abnahme der
Sehkraft, rechts mehr als links. Kein Schwindel. Jetzt ist das rechte Auge
völlig blind, das linke fast gänzlich. Ataxie der oberen Extremität bei erhaltener
aktiver Beweglichkeit, links stärker als rechts. Nacken- und Tricepsreflex fehlen.
Es besteht eine seitliche Abweichung der dorsalen Wirbelsäule nach rechts, des
Kopfes nach links. Flexionskontraktur in beiden Kniegelenken. In den Fu߬
gelenken sind geringe aktive Bewegungen möglich. Patellar- und Achillessehnen¬
reflexe gesteigert. Zuweilen Fußklonus nachweisbar. Kein Babinski. Empfindungs¬
verlust für Schmerz, Hitze und Kälte bei erhaltener Berührungsempfindung in
unregelmäßigen Flecken im linken Vorderarm, Schulter und Rumpf. Die zeit¬
weise vorhandene Inkontinenz der Blase und des Mastdarmes ist Verf. geneigt
auf die seelische Hemmung zu beziehen. Anscheinend ist das Gehör links herab¬
gesetzt. Beiderseits besteht Stauungspapille (engorgement) mit beginnender
Atrophie, rechts weiter ausgebildet als links. In Ruhestellung divergieren beide
Bulbi. Es besteht Schwäche beider Mm. recti externi(?) und der Bewegungen
nach unten und oben. Verf. diagnostiziert neben Syringomyelie bestehenden
Hydrocephalus internus analog den beiden einzigen von ihm in der Litteratur
gefundenen Parallelfällen.
11) Note Bur un o&s de syringomyölie aveo troubles sensitifs ä topo-
gr&phie radiculaire, par F. Raymond et H. Frangais. (Revue neurolog.
1906. Nr. 6.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Mitteilung eines Falles von Syringomyelie, der einmal ein differential-
diagnostisches Interesse darbot, indem mancherlei Symptome — von den charakte¬
ristischen Sensibilitätsstörungen abgesehen — anfänglich an multiple Sklerose
hätten denken lassen können (Reflexsteigerungen, Nystagmus). Die Sensibilitäts¬
störungen betrafen nicht nur die Schmerz- und Temperatur-, sondern auch die
Gelenk- und Knochenempfindlichkeit; sie zeigten in selten ausgeprägter Weise
den radikulären Verteilungstypus (Gesicht, Brust, obere Extremitäten); die Knochen-
sensibilitätsstörimgen zeigten diese Anordnung nicht. Ein nicht häufiges Symptom
bei dieser Affektion ist auch der im vorliegenden Falle gefundene Nystagmus.
Es bestanden auch Störungen der Ejakulation; Kremasteren- und Bauchreflexe
fehlten. Der Prozeß muß demnach eine beträchtliche Längenausdehnung besitzen
(Sakralmark, Halsmark, Trigeminusgebiet).
12) Seohs Fälle von Syringomyelie, von Otto Lüders. (Deutsche Zeitschr.
f. Chirurgie. LXXXII1.) Ref’.: Max Jacoby (Mannheim).
In 5 Fällen waren männliche Personen, in einem eine weibliche von Syringo¬
myelie befallen. Die Gelenkerkrankungen betrafen 3 mal das Ellenbogengelenk,
2mal das Handgelenk, 1 mal das Sternoklavikulargelenk. 3mal waren neben
einem großen Gelenk auch eines oder mehrere der Fingergelenke erkrankt. Nach
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Abschluß der Arbeit kamen nooh 3 Fälle zur Beobachtung, bei denen das Ellen¬
bogengelenk 3 mal, das Schulter- und Handgelenk je einmal erkrankt waren.
13) A case of ayringomyelia, by F. B. Bradshaw. (Brit. med. Journ. 1905.
8. Juli.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Klinische Besprechung eines Falles von Syringomyelie. Hierbei gibt Verf.
differentialdiagnostisch an, daß der Krankheitsfall sich von Tabes — abgesehen
von dem Vorhandensein der charakteristischen, für Syringomyelie sprechenden,
hier nicht näher zu erwähnenden Symptome — durch das Fehlen von Tachy¬
kardie auezeichne. In letzter Hinsicht macht Verf. darauf aufmerksam, daß er
gerade die Tachykardie als wertvolles diagnostisches Zeichen bei Tabesfällen in
dem ersten Stadium ansehe. Er habe gegenwärtig 5 Tabesfälle in Beobachtung,
welche sich im verschiedensten Stadium der Erkrankung befänden, und welche
alle ständig sehr schnellen Puls hätten (100 i. d. M.).
14) Zur Kasuistik der Spontanfrakturen , von Dr. V. Libensk^. (Casopis
ces. 16k. 1906. S. 633.) Ref.: Pelnar (Prag).
Ein 36jähriger Tischler erlitt ein geringfügiges Trauma auf der rechten
Scbultergegend (einige leichte kleine Bretter fielen ihm auf die Gegend des rechten
Schultergelenkes). Er arbeitete ohne jede Therapie weiter. Spürte außer einer
Schwerfälligkeit der rechten oberen Extremität keine Beschwerden. Erst nach
dem Trauma entwickelten sich auf der Extremität einige objektive und subjektive
Symptome einer nervösen Erkrankung, und als er sich einige Monate später
in der böhmischen Poliklinik in Prag (Prof. Hn&tek) vorstellte, wurde eine
doppelte Fraktur des Schulterblattes mit enormer Kallusbildung, eine ungeheilte
Ruptur der Rippe und eine typische Syringomyelie mit Dissoziation der Sensi¬
bilität auf den oberen Extremitäten konstatiert. Verf. erwähnt aus der Literatur
die einzige pathologische Fraktur des Schulterblattes, welche Charcot bei der
Autopsie eines Tabikers mit Arthropathien entwickelte. Ein schönes Röntgeno¬
gramm illustriert die Arbeit. Am Skelett wurden keine Abnormitäten konstatiert
und Verf. glaubt auf Grund dieses Befundes und der bisherigen literarischen An¬
gabe, daß die Ursache der Spontanfrakturen bei der Syringomyelie nicht in den
tropischen Anomalien der Beine, sondern in den Sensibilitätsstörungen und ab¬
normen Muskelwirkungen zu suchen sei.
16) Leprosy simulating syrlngomyelia , by H. C. Moffitt. (Journ. of Nerv.
and Ment. Dis. 1906. April.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
Interessanter Fall von degenerativer Muskelatrophie der linken Hand und
des rechten Fußes mit ausgedehnten trophischen Störungen der Haut und Störungen
der Sensibilität, besonders des Schmerz- und Teraperatursinnes, Verdickung einzelner
Nervenstämme, ohne Pupillenerscheinungen, Skoliose, Spasmen und Reflexsteigerung
bei einem 11jährigen Knaben aus den Cap Verde sehen Inseln. Verf. nimmt bei
der Verbreitung der Lepra in der genannten Gegend und unter Berücksichtigung
des eigenartigen Symptomenkomplexes an, daß es sich um Lepra nervosa handelt,
trotzdem Bazillen nicht nachgewiesen werden konnten.
16) Ein Fall von geheilter Lepra maoalo-tuberosa, von v. Neumann.
(Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 85.) Ref.: Pilcz (Wien).
Den Neurologen interessiert von dieser sehr gründlichen Arbeit hauptsächlich
der Umstand, daß bei zweifelloser (auch bakteriologisch sichergestellter) Lepra
eine Dauerheilung (Beobachtungszeit 3 Jahre) mit völliger Restitutio eingetreten
ist. Der Fall bot übrigens keinerlei Sensibilitätsstörungen. Behandlung bestand
in Kur mit Snlol. Jothion und täglich 200—250 gutt. Chaulmoograöl (01. Gyno-
pardive).
17) Über einen Fall von Lepra tuberoso-maoulo-anaesthetica, von Bloch.
(Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 303.) Ref.: Pilcz (Wien).
34jähriger Arbeiter aus Xanthi (Türkei). Beginn der Erkrankung vor zwei
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Jahren mit Fieberanfällen. Status praes. (abgesehen von typischen dermato¬
logischen Veränderungen): Muskulatur beider Antithenar sehr schwach. N. ulnaris
im rechten Sulcus bicipitalis stark verdickt. In einer bandförmigen Zone an
Außen- und Vorderseite des rechten Unterschenkels und der Patellargegend, ebenso
an einer unregelmäßig begrenzten Stelle der Streckseite des linken Ellbogens
Sensibilität für alle Qualitäten erloschen. Tiefe Sensibilität und Druckempfindung
intakt. Am linken Unterschenkel und Fuße, ebenso an den entsprechenden Haut¬
partien der rechten unteren Extremitäten distal warte zunehmende Thermohypästhesie,
bzw. Anästhesie bei intakter Tast- und Schmerzempfindung; Perversion der Em¬
pfindung für kalt und warm, Leitungßverlangsamung. Stereognose und Lagesinn
ungestört. Leichte Atrophie der Interossei und Antithenar. Gang normal, kein
Romberg, keine Blasenmastdarmstörung. Patellarsehnenreflexe herabgesetzt. Sehnen¬
reflexe der oberen Extremitäten nicht auslösbar. Bauchdecken-, Kreranster- und
Soblenreflex sehr lebhaft. Korneal- und Würgreflex fehlen.
Bazillen konnten weder im Nasensekret, noch an Schnitten eines excidierten
Knotens gefunden werden.
Andere Einzelheiten der Krankengeschichte haben für den Neurologen weniger
Interesse.
18) Die Kontrakturen bei den Erkrankungen der Pyramidenbahnen, von Dr.
Otfried Förster. (Berlin 1906, S. Karger. 65S.) Ref.: Baumann (Breslau).
Im 1. Kapitel seiner Studie gibt Verf. zunächst eine Einteilung und Über¬
sicht der verschiedenen Arten von Kontrakturen. Man teilt die myogen bedingten
Kontrakturen 1. in Schrumpfungskontrakturen und 2. spastische Kontrakturen.
Letztere entstehen durch eine aktive Spannungsentwickelung, stellen also eine
Veränderung des Funktionszustandes dar. Sie kommen zustande durch patho¬
logische Reizung entweder eines peripheren Nerven oder durch Reizung des
centralen motorischen Systems oder sie entstehen infolge Ausfalls eines der zahl¬
reichen übereinander geschalteten Innervationsraechanismen (sog. Ausfallskontrak-
turen). Verf. behandelt im wesentlichen nur die bei den Erkrankungen der
Pyramidenbahnen entstehenden Kontrakturen. Der Versuch Rothmanns, nach¬
zuweisen, daß die Kontrakturen nicht zum Bilde der Pyramidenerkrankungen
gehören, muß entschieden zurückgewiesen werden. — Woher kommt es nun, daß
bei den spastischen Lähmungen die einzelnen Gliedteile meist nur in ganz be¬
stimmten, oft geradezu charakteristischen Stellungen fixiert gehalten werden? Es
bestehen bisher im wesentlichen 3 Theorien von van Gehuchten (Überwiegen
der nicht gelähmten Muskeln über die gelähmten durch Zug), L. Mann (Erhalten¬
sein eines gewissen Grades von willkürlicher Erregbarkeit bei Muskeln, die in
Kontraktur geraten) und von Monakow (Kontrakturen sind die Folge eines
abnorm starken Erregungszustandes der subkortikalen Zentren und der grauen
Substanz des Rückenmarkes). Es muß auffallen, wie ungemein wechselnd von Fall
zu Fall die Kontrakturstellungen sind, wie fast jeder Fall seine Eigentümlichkeit
und Besonderheit hat. Wie ist nun diese große Mannigfaltigkeit der Kontraktur¬
stellungen zu erklären? Auf Grund eigener Beobachtungen kommt Verf. zu der
Ansicht, daß an total gelähmten Gliedern die Ausbildung der Kontrakturstellung
von der zufälligen Lagerung der Glieder und dem längeren Verweilen in dieser
Stellung abhängt. Kommt als neues Moment die Wiederkehr der aktiven Be¬
weglichkeit hinzu, sei es der direkten willkürlichen Beweglichkeit der einzelnen
Gliedabschnitte, sei es der gesetzmäßigen unwillkürlichen Mitbewegung eines ein¬
zelnen Gliedabschnittes in Verbindung mit bestimmten willkürlichen Bewegungen
eines anderen Gliedteiles, so hat diese Wiederkehr einen nicht unerheblichen
Einfluß auf die weitere Ausbildung und Ausgestaltung der Kontrakturen. Aber
dieser Einfluß kommt im wesentlichen auf dasselbe Grundmoment hinaus, welches
im Stadium der totalen Lähmung entscheidend war, nämlich darauf, daß längeres
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Verweilen eines Gliedes in einer bestimmten Stellung zur Kontraktur in dieser
Stellung fährt. Es ist prinzipiell belanglos, ob das Glied in diese Stellung passiv
oder durch aktive Muskeltätigkeit gebracht und darin erhalten wird. Als stellung¬
gebendes Moment können aber nach des Verf. Meinung neben passiven und aktiven
Muskelbewegungen auch unwillkörliche Bewegungen, welche das spastisch ge¬
lähmte Glied auf irgend einen Beiz hin ausführt, in Betracht kommen. Das
Gemeinsame bei der Mannigfaltigkeit der stellunggebenden Faktoren ist daB Er¬
haltenbleiben in der erteilten Stellung. Diese Theorie zeigt eine weitgehende
Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Experimente H. Munks an Affen.
Das Wesen der Kontraktur beruht also darauf, daß jede Muskelgruppe dazu neigt,
wenn ihre Insertionspunkte durch irgendwelche Faktoren einander genähert werden,
sich dieser Näherung vermittels aktiver, unwillkürlicher, ällmählich progredienter
Spannungsentwickelung anzupassen und in diesem Zustand der Verkürzung weiter
zu verharren. Diese Neigung der Muskeln tritt in einer zur Kontraktur führenden
Stärke erst hervor, wenn die vom Cortex cerebri zu den subkortikalen Zentren
ziehenden Bahnen unterbrochen sind. Die Kontraktur ist somit ein subkortikaler
Fixationsreflex, oder, richtiger gesagt, sie ist die Steigerung des normalen Fixations¬
reflexes, des normalen Widerstandes, den jeder Muskel seiner Dehnung reflek¬
torisch entgegenstellt.
Die beiden letzten Kapitel verwendet Verf. zur Besprechung der Kon¬
trakturen bei der Paralysis agitans bzw. der senil-artiosklerotischen Muskel¬
starre und bei den akinetischen Zuständen der Geisteskranken. Er kommt zu
dem Resultat, daß bei der ersteren die Erscheinung, daß die Glieder in passiv
ihnen erteilten Stellungen durch unbewußte Muskelspannung fixiert erhalten
werden, noch in stärkerem Grade vorhanden ist als bei den Pyramidenbahn¬
erkrankungen ; bei der Flexibilitas cerea der Geisteskranken ist die volle Fixations-
spannung bei Annäherung der Insertionspunkte unmittelbar gegeben.
19) ▲ study of the eontractures in organic nervous diseases, and their
treatment, by T. H. Weissenburg. (University of Pennsylvania Medical
Bulletin. 1905. Juli/August.) Ref.: M. Rheinboldt (Bad Kissingen).
Die Studie gibt eine Zusammenfassung der bekannten Theorien über die
Kontrakturen und bezweckt, deren Natur bei den verschiedenen Nervenkrank¬
heiten klinisch zu determinieren. Verf. scheidet die Kontrakturen in passive und
aktive. Die passiven Kontrakturen treten auf als Folge von Gelenksaffektionen,
Muskelerkrankungen (zu welch letzteren auch die Paralysis agitans gerechnet
wird), Neuritis, Poliomyelitis anterior. Die passive Beweglichkeit der Glieder
ist, wenn überhaupt vorhanden, sehr gering. Außere Einwirkungen (Schlaf, Tages¬
zeit, Temperatur) haben keinen Einfluß. Die aktiven Kontrakturen sind stets an
Erkrankungen des Centralnervensystems gebunden. Die therapeutischen Resultate
(durch Massage, Elektrizität, Mechanotherapie) beurteilt Verf. relativ günstig,
frühzeitiges Eingreifen vorausgesetzt.
20) Eine seltene Erkrankung der Pyramidenbahn mit spastisoher Spinal¬
paralyse und Baibärsymptomen, von Dr. Kinichi Naka. (Archiv für
Psychiatrie u. Nervenheilk. XLII. 1906.) Ref.: G. Ilberg.
Eine 68jährige Frau erkrankte im Anschluß an einen im Februar 1904
stattgefundenen Fall aufs Knie an den erst in den Beinen, dann auch in den
oberen Extremitäten sieb geltend machenden typischen Symptomen der spasti¬
schen Spinalparalyse. Dazu gesellten sich Sprachstörungen und Schluck¬
beschwerden; Atrophien traten nicht auf. Unmotiviertes Lachen und Weinen be¬
stand. Im Dezember 1904 kam es zu Thrombosen in den Pulmonalarterien,
dyspnoischen Anfällen und Tod an Herzschwäche.
Die anatomische Untersuchung ergab eine Degeneration des kortiko-
spinalen Neurons der ganzen motorischen Bahn. Mit Pal-Weigert-
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Giesonscher Methode konnte man eine hochgradige Degeneration der Seitenstrange
im ganzen Rückenmark nach weisen. Ferner waren die Pyr&midenvorderstränge
in Hals- und Brustmark und die Pyramidenbahn nach oben bis zum Hirnschenkel¬
fuß degeneriert. Mit March ischer Methode waren leichte Veränderungen der
inneren Kapsel und der Centralwindung zu erkennen. Die motorischen Zellen
der Paracentral Windung waren vermindert. Leichte Veränderungen zeigten sich
in einem Teil des Balkens. — Die motorischen Zellen im Halsmark waren leicht
vermindert Die Bulbürkerne waren nicht stark, bzw. nicht verändert. Verf.
faßt unter diesen Umständen die Bulbärsymptome als spastische Symptome auf.
21) Hypotrophie d’origine bacillaire. Troubles de la voie pyramidale,
par Claude et Lßjonne. (Nouv. Icouographie de la Salpetriere. 1906.
Nr. 2.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
20jährige Schneiderin, in die Salpetriere aufgenommen wegen Gangstörung.
Vater war Alkoholiker und tuberkulös, Mutter litt an Dementia senilis, ein
Bruder starb an Meningitis tuberculosa. Die Kranke Belbst ist von blassem Aus¬
sehen, hat mit 15 Jahren Hämoptoe gehabt. Mit 18 Jahren erste Menstruation,
seitdem unregelmäßig. Mitralinsufficienz und Stenose, 2*/ 2 Millionen rote Blut¬
körperchen, über der rechten Lungenspitze SchallabschwächuDg. Zwei Jahre vor
der Aufnahme bemerkte sie Schmerzen beim Gehen und im Kreuz, zu denen sich
mit der Zeit auch eine gewisse Schwierigkeit des Ganges gesellte. Sie kann sich
kaum erheben, wenn sie längere Zeit stillgesessen hat. Die Steifigkeit läßt nach,
wenn sie ein paar Minuten gegangen ist, kommt aber nach einer halben Stunde
wieder. Bei passiven Bewegungen geringer Spasmus. Sämtliche Reflexe erhöht.
Rechts Fußklonus. Intelligenz unter dem Durchschnitt. Die Lumbalpunktion
verlief negativ. Der Fall erinnert an den Infantilismus angiospasticus von
Bri&saud und an die in den letzten Jahren veröffentlichten Fälle von Monismus
mitralis.
Die Verff. halten diesen Mitralfehler für Folge einer zur Heilung gekommenen
intrauterinen Endocarditis tuberculosa und weisen auf die Veröffentlichungen von
Potain, Teissier und Tripier hin. Sie halten die Pyramiden ebenfalls für
betroffen, ohno sich über den Ort und die Art und Weise der Erkrankung näher
auszusprechen. Die Läsionen des Herzens wie der Pyramiden seien bis zum
Beginn der Pubertät latent geblieben.
22) Über Stichverletzung des Rückenmarkes, von Prof. Hilbert in Königs¬
berg. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 30.) Ref.: R. Pfeiffer.
Kurze Mitteilung über 2 Fälle von Stichverletzung des Rückenmarkes ohne
klinische oder therapeutische Sonderheiten.
23) Meningomyelitis with intense swelling of the spinal cord and of the
roots of the cauda equina, by William G. Spiller and Eva Rawlings.
(Proceedings of the patholog. society of Phil.) Ref.: Baumann (Breslau).
Der wichtigste Befund bei dem von den Verfl'. veröffentlichten Fall war, wie
schon die Überschrift besagt, die intensive Schwellung des Rückenmarkes und die
Einlagerung von Knoten in die Bahnen der Cauda equina, die durch die zellige
Infiltration und die Schwellung der Gewebe verursacht wurde.
24) Akute Myelitis nach Angina, von Dr. Forest in Straßburg. (Deutsche
med. Wochenschr. 1906. Nr. 23.) Ref.: R. Pfeiffer.
Myelitis bei einem 2jähr. Kinde nach Angina. 4 l j 2 Monate später wiederum
Angina, neues Einsetzen der Myelitissymptome. Vor Abheilung derselben noch¬
malige Angina und Auftlaramen der spinalen Erscheinungen.
25) Un cas de sclerose laterale amyotrophique, pur E. Puscarin et A.A.Lam-
brior. (Revue neurolog. 1906. Nr. 17.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
40jähriger Arbeiter, nicht belastet, nicht syphilitisch; jetzige Erkrankung
seit 5 Monaten datierend, Beginn mit abnormen Sensationen und Beweglichkeits-
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er8chwernng in den oberen Extremitäten, die immer mehr zunimmt; vor kurzem
begann auch Schwäche in den unteren Extremitäten aufzutreten, sowie auch
Schmerzen im Nacken und Behinderung der Sprache. Aus dem Status praesens:
Zahlreiche fibrilläre Zuckungen im Gesichte, Lähmung der Gesichtsmuskulatur,
hochgradige Parese der Zunge, Lähmung des weichen Gaumens, bulbäre Sprache,
Kau- und Schluckbeschwerden, Masseterenreflex gesteigert; Atrophie der kleinen
Handmuskeln (r. > 1.), der Vorderarmmuskulatur, des Biceps und des Deltoideus
(wieder r. > L); hochgradige Steifigkeit und Parese in den Extremitätenmuskeln,
fibrilläre Zuckungen, Steigerung der mechanischen Muskelerregbarkeit, Steigerung
der Sehnenreflexe an den oberen Extremitäten; Sensibilität intakt; Nacken- und
Brustmuskeln leicht affiziert, sonst die Rumpfmuskeln ziemlich frei; Beginn der
Affektion auch an den unteren Extremitäten, Steigerung der Sehnenreflexe, spastische
Parese daselbst, entsprechende Gangstörung, Babinski positiv; Sphinkteren frei,
Psyche intakt; elektrische Herabsetzung der Erregbarkeit (Entartungsreaktion in
einzelnen Partien) in den ergriffenen Muskeln. Verlauf: rasche Zunahme der
Symptome, besonders der Kontrakturen (namentlich am Halse) und der bulbären
Störungen, Auftreten von Herzschwächeerscheinungen und Atemstörungen (schlie߬
lich von Cheyne-Stoke8Schem Charakter); Exitus letalis 2 Monate nach der
Spitalsaufnahme. Aus dem Sektionsbefunde: Geringes Aortenatherom und Herz¬
hypertrophie, sonst nichts nennenswertes. Histologisch: Degeneration der Pyramiden¬
bahn — von den Hirnschenkeln nach abwärts durch die Oblongata und das ganze
Buckenmark zu verfolgen —, in den ungekreuzten Bändeln etwas geringgradiger,
sowie des anterolateralen und — im Halsmark — zum Teil auch des Gowers-
schen Bändels, geringe Sklerose des GolIschen Stranges im Halsmark; Atrophie
der motorischen Vorderhornzellen, besonders intensiv in der Höhe der Hals¬
anschwellung und entsprechend dem InnervationBbereich der rechten oberen Extre¬
mität; minder ausgesprochene Läsionen der Strangzellen in den korrespondierenden
Höhen; beiderseits fanden sich ferner Läsionen im Kerngebiet des N. XII, X,
VII und des motorischen N. V (celluläre und solche der Fasern).
Die Verff. beschränken sich lediglich auf die Mitteilung des voranstehend im
Auszüge wiedergegebenen klinischen und anatomischen Befundes und verzichten
auf einen Kommentar hierzu.
26) Über pathologiaeh-anatomisohe Befunde im Centralnervensystem in
einem Fall von amyotrophiseher Lateralsklerose, von Shukowski.
(Obosrenije psich. 1906. Nr. 6.) Ref.: Wilh. Stieda.
Beschreibung eines Falles von amyotrophiseher Lateralsklerose, der an
Bulbärerscheinungen zugrunde ging. Die histologische Untersuchung ergab eine
Atrophie und Pigmentdegeneration der Vorderhornzellen, der Zellen der bulbären
Nerven (Hypoglossus, Glossopharyngeus und Facialis) und der Zellen der motori¬
schen Rinde. Auf Präparaten nach Pal war vor allem die gesamte Pyramiden¬
bahn degeneriert und zwar unterhalb der Kreuzung stärker als oberhalb. Ferner
fanden sich Degenerationen im Vorderseitenstrang, besonders um das Vorderhorn
und die Pyramidenstränge herum (entsprechend der Sclerose supplementaire Pierre
Marie’s), z. T. in den Vorderwurzeln und in den Kernen der drei Bulbärnerven.
Auf Marchi sehen Präparaten waren die Degenerationen nach oben zu stärker
ausgesprochen als unten, sie ergriffen ebenfalls das gesamte Pyramidensystem bis in
die Centralwindungen hinein, wobei sogar vereinzelte kurze Assoziationsfasern der
Rinde degeneriert waren, ferner den Vorderseitenstrang, den Kleinhirnseitenstrang
und das Gowerssche Bändel, die Kerne der Bulbärnerven, sie waren vereinzelt in
der Medulla oblongata, im Fasciculus longitudinalis und in der Substantia reticularis
zu bemerken und betrafen schließlich auch noch die Peripherie der Hinterstränge
und etwas die hinteren Wurzeln, besonders im unteren Halsteil. Die kombinierte
Färbung nach Pal mit oxalsaurem Karmin ergab außer den Degenerationen eine
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geringe Verdickung der Gefäßwände sowie der Pia im Gebiet der Hinterstränge
des unteren Halsteiles.
Die Ansicht, daß in der arayotrophischen Lateralsklerose der Prozeß ein auf-
steigender ist f findet in diesem Fall eine Stütze in der Differenz zwischen Pal-
scher und Marchischer Färbung. Nach der Palschen Färbung, die haupt¬
sächlich ältere Degenerationen zeigt, war hier eine Abnahme des Degenerations¬
prozesses nach oben zu bemerken, während die Marchisehe Färbung stärker
die oberen, frischeren Degenerationen zeigte. Die Degenerationen im Fase, longi-
tudinalis und in der anliegenden Substantia reticularis entsprachen wohl Asso¬
ziationsbahnen zwischen den drei Bulbärkernen und vielleicht auch gewissen
Pyramidenbahnen. Als Besonderheit dieses Falles sind die Degenerationen der
Hinterwurzeln und im Gebiet der Hinterstränge anzusehen. Verf. glaubt sie z. T.
auf die Kachexie zurückführen zu können, z. T. aber auf die Verdickungen der
Pia, die wahrscheinlich wohl durch dasselbe toxische Agens hervorgerufen war,
wie die ganze Erkrankung. Die Degenerationen im Kleinbirnseitenstrang und im
Go wer8sehen Bündel sind schon so oft bei dieser Erkrankung beschrieben worden,
daß man sie wohl als zum Bilde gehörig ansehen muß.
Psychiatrie.
27) Der geistig Minderwertige in der Armee, von Drastich. (Organ d.
militär-wissenHchaftl. Vereins. LXXHI. 1906.) Ref.: Pilcz (Wien).
Der bekannte Verf. des für Militärärzte so ungemein empfehlenswerten „Leit¬
fadens .“ erörtert hier in extenso die Frage der Behandlung der psychisch
Minderwertigen in der Armee, wobei besonders eindringlich die Wichtigkeit einer
richtigen frühzeitigen Diagnose betont wird. Derlei Individuen eignen sich über¬
haupt nicht für den Heeresdienst; ob ihrer Disziplinarlosigkeit, ihrer Hemmungs¬
unfähigkeit, ihrer Alkoholintoleranz (pathologische Rauschzustände), ihres Affekt¬
lebens usw. verbringen derartige Leute den größten Teil im Arreste oder Zuchthause
zu, ohne daß die Armee irgend welchen Nutzen von dem Weiterverbleiben der¬
selben im Heeresverbande hätte.
Tritt Verf. demnach für den Standpunkt ein, daß geistige Minderwertigkeit
die Diensttauglichkeit in den meisten Fällen ausschließe, so postuliert er anderer¬
seits doch — gewiß mit Recht —, daß psychopathische Minderwertigkeit an sich,
d. h. ohne Psychose s. str. nicht als Strafausschließungsgrund in foro criminali
gelten dürfe.
Eingehend werden die verschiedenen Typen der Minderwertigen und deren
spezielle Beeinflussung durch Dienst, Disziplin usw. erörtert, wie überhaupt das
genaue Individualisieren des militärischen Verf. sehr zu loben ist.
Der Aufsatz, dem einige instruktive Krankheitsgeschichten beigegeben sind,
verdient nicht nur von Fachkollegen, sondern auch von Juristen usw. gelesen
zu werden.
28) Ein Knabe als Prediger und Prophet, von Näcke. (Archiv f. Kriminal¬
anthropologie usw. XXV.) Autoreferat.
Ein gesunder, sehr gescheiter Junge von 13 Jahren fängt in einem günstigen
Milieu plötzlich an zu predigen und Verschiedenes zu prophezeien. Im Predigen
gibt er auch Gastrollen. Wenn er predigt, ist „der Geist Gottes, der Geist
Melchisedeks“ über ihn gekommen. Der Ortsgeistliche sucht ihn von seinem
Treiben abzubringen; umsonst! Da der Zulauf zu dem Knaben immer größer
ward, schritt die Behörde ein. Der Pfarrer und die Gemeinde halten ihn für einen
Simulanten; der Arzt, der ihn im Gefängnisse, wo er kurze Zeit war, untersuchte,
desgleichen. 7 Monate lang ward er dann in einer Irrenanstalt beobachtet und das
Gutachten hält den Knaben im ganzen damals mehr für krank, als für einen Simu-
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lanten, obgleich während der Beobachtungszeit auch nicht das geringste Krank»
hafte vorlag. Das weitere Schicksal des interessanten Falles wird kurz geschildert.
Der Junge hat weder vorher, noch nachher, den Akten nach, Krankhaftes dar»
geboten, Verf. hält ihn daher nicht fiir einen pathologischen Schwindler, sondern
für geistesgesund, oder höchstens zu 25°/ 0 pathologisch. Die „Zustände“ machten
durchaus den Eindruck des Gemachten und später gestand der Junge als Student
auch ein, er habe alles auf Betreiben seines Vaters angestellt. Die Pubertät kommt
kaum in Frage, da der Beginn der „Zustände“ sich bis zum 11. Jahre, ja sogar
bis zum 9. zurückdatieren lassen. Verf. beleuchtet endlich näher den Jungen,
aber auch das Milieu, wo man die Kernbildung einer Sekte studieren konnte.
Auch die Psychologie der plötzliohen „Bekehrungen“ und die der Prophezeiungen
wird berührt.
29) Zwei Fälle von psyohisoher Erkrankung, entstanden im Ansohluß an
politische Ereignisse, von Pawlowskaja. (Obosrenije psichiatrii. 1906.
Nr. 6.) Ref.: Wilh. Stieda.
Eine kurze Mitteilung zweier Krankheitsgeschichten, die beweisen sollen, daß
politische Ereignisse kein ursächliches, sondern nur ein auslösendes Moment in
der Ätiologie von Geisteskrankheiten sind. In dem einen Fall handelt es sich
um eine schwer belastete Hysterica, die nach eifrigem Besuch von revolutionären
Meetings und verschiedenen Unannehmlichkeiten mit der Polizei an hysterisch¬
ekstatischen Dämmerzuständen und großen Krampfanfällen, sowie einer allgemeinen
Verschlechterung ihres Zustandes erkrankte und nach einem Monat Anstaltsbehand¬
lung bedeutend gebessert entlassen wurde. Der zweite Fall betraf eine ebenfalls
schwer belastete Jüdin, die angeblich im Anschluß an die Judenexzesse in
Krementschug, von denen auch ihre Angehörigen betroffen wurden, an einem
schweren Depressionszustand mit massenhaften Halluzinationen, Verfolgungsideen
und Selbstanklagen, Nahrungsverweigerung und Selbstmordversuchen erkrankte.
Sowohl in den ekstatischen Visionen und Reden der einen, wie in den Hallu¬
zinationen und Wahnideen der anderen Kranken spiegelten sich die revolutionären
Ereignisse wieder, jedoch ließ sich nachweisen, daß bei beiden die Anfänge der
Erkrankung schon vorher vorhanden gewesen waren.
Therapie.
SO) Über einige Fortschritte in der Behandlung der Geisteskranken, nebst
einem Büokbliok auf die Entwickelung der Irrenbehandlung im neun¬
zehnten Jahrhundert, von Dr. H. Hoppe. (Therap. Monatsh. 1906. Mai-
Juni.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Ein vor praktischen Ärzten gehaltener Vortrag, der die bekannten Elemente
der modernen Irrenbehandlung — Bettruhe, Beschäftigung, Wachsaal mit Ab¬
schaffung der Isolierung, Bäder, Einschränkung der medikamentösen Beruhigungs-
mittel usw. — ausführlich darstellt, und mit einer Schilderung der Familien¬
pflege am Vorbild der Gheeler Kolonie schließt; Verf. bezeichnet die familiäre
Irrenpflege für einen großen Teil der Geisteskranken als die Verpflegungsform der
Zukunft.
III. Bibliographie.
Chirurgie des praktischen Arztes mit Einschluß der Augen-, Ohren- und
Zahnkrankheiten (zugleich Ergänzungsband zum Handbuoh der prak¬
tischen Medizin), von W. Ebstein und J. Schwalbe. (2. Aufl. I. Hälfte.
Stuttgart 1907, F. Enke. 384 S.) Ref.: Adler (Berlin).
Das vorliegende Buch stellt einen Ergänzungsband der zweiten Auflage des
bekannten Handbuches der praktischen Medizin dar. Während in der ersten
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Auflage des Werkes die chirurgische Therapie der inneren Krankheiten immer
im Anschluß an die betreffenden Abschnitte anhangsweise bearbeitet war, haben
sich die Verff. entschlossen, in der zweiten Auflage die chirurgische Therapie der
internen Krankheiten als selbständiges Werk herauszugeben, welches einerseits
für das Handbuch eine unentbehrliche Ergänzung darßteilt, andererseits aber auch
unabhängig von diesem Handbuch dem praktischen Arzte den gegenwärtigen Stand
der Chirurgie in völliger Abrundung so weit darstellt, als er ihrer bei seiner
täglichen Arbeit am Krankenbett bedarf. In der bis jetzt erschienenen ersten
Hälfte des Werkes sind die Anästhesierungsmethoden, die allgemeine Wundbehand¬
lung, die Chirurgie des Schädels, der Wirbelsäule und des Nervensystems, der
Augen-, Ohren-, Nasen-, Zahn- und Mundkrankheiten, die Chirurgie des Halses
und des Thorax von hervorragenden Fachmännern bearbeitet. Die zweite Hälfte
wird die Chirurgie des Gefäßsystems, die gesamte Bauchchirurgie und die Chirurgie
der Extremitäten enthalten.
Das ausgezeichnete Werk kann dem Praktiker angelegentlichst empfohlen
werden.
IV. Aus den Gesellschaften.
Psyohiatrlsoher Verein zu Berlin.
Sitzung vom 15. Dezembar 1906.
1. Herr Moeli macht einige Bemerkungen über Anstaltebauten im An¬
schluß an die Besichtigung von Buch. Vortr. will insbesondere die Gründe
darlegen, welche für eine Anzahl von Einrichtungen maßgebend waren und er¬
läutert diese durch eine Reihe von Diapositiven, wodurch Vergleiche mit der
Anordnung und den Einrichtungen anderer neuerer Anstalten in klarer Weise
ermöglicht werden. Die Größenverhältnisse der neuen Anstalt sind einmal durch
die großstädtischen Verhältnisse im allgemeinen bedingt, dann aber insbesondere
durch den Umstand, daß der Anstalt eine ungemein große Zahl von körperlich
Kranken, deren körperliches Leiden durch cerebrale Veränderungen bedingt ist,
zuströmt. Während diese Kranken in der Provinz zumeist in Hospitälern, Armen¬
häusern und anderen Anstalten verbleiben, werden sie in Berlin, wo die Möglich¬
keit sie in einer Irrenanstalt unterzubringen wesentlich erleichtert ist, in letztere
aufgenommen. Der Anteil dieser Personen unter den Anstaltsinsassen mußte als
ein so großer angenommen werden, daß dadurch der Anstalt gleichsam ein be¬
sonderes Gepräge verliehen wurde. Es mußte aber durch die Größenverhältnisse
die Anstalt etwas Kasernenhaftes erlangen. Der Baumeister hat eine glückliche
Lösung, um diesen Eindruck zu vermindern, dadurch gefunden, daß er eine Mittel¬
achse einschob, in welcher andere Gebäude, als solche, die zur Krankenaufnahme
bestimmt waren, eingeschoben wurden. Die Übersichtsbilder, welche Vortr. von
einer Reihe neuerer Anstalten gab, bewiesen nun, wie gegenüber der Anstalt Buch,
wo große regelmäßige Gebäude in genau symmetrischer Anordnung vorhanden
sind, bei anderen modernen Anstalten wie Galkhausen, Langenhorn, Johannisthal und
anderen eine gewisse Regellosigkeit vorherrscht, und wie doch wieder vorgezogen
wurde, eine große Menge kleinerer Gebäude aufzuführen. Die einzelnen Gebäude
zeigen nach den verschiedenen Bestimmungen verschiedenen Typ. Berücksichtigt
ist dabei, daß wieder in den großen massig erscheinenden Häusern diese in kleinere
Abteilungen zerlegt werden, einerseits damit die Beaufsichtigung nicht zu sehr
erschwert wird, anderseits damit die Kranken bei einer zu großen Anhäufung
sich nicht gegenseitig stören. Das Korridorsystem findet sich in den Häusern,
welche als Lazarette und als Aufnahmestationen bestimmt sind. Vortr. legt dar,
wie die Anordnung der Einzelräume, welche zu einer Wachabteilung gehören, in
praktischer Weise bei dem Korridorsystem zur Durchführung gelangen konnte,
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wie außerdem die Korridore den Kranken, welche, sei es durch körperliche Krank¬
heit, sei es zum Zwecke der zunächst durchzuführenden Überwachung, mehr bez.
ständig ans Haus gefesselt sind, eine größere Bewegungsfreiheit gestatten. Ver¬
zichtet ist dagegen auf die den Bau sehr erschwerenden Korridore in denjenigen
Häusern, welche für solche Kranke bestimmt sind, die tagsüber außerhalb des
Hauses in Werkstätten oder auf dem Felde beschäftigt sind. Zum Schluß be¬
spricht Vortr. noch die Einrichtungen des Verwahrungshauses. Es wurde damit
gerechnet, daß für etwa 3 °/ 0 der männlichen Anstaltsbevölkerung in diesem Platz
vorhanden sei, naturgemäß wurde beachtet, daß absolute Sicherheit durch das
Haus gewährleistet werde. Während in der Anstalt Langenhorn die Schlafräume
der Wartepersonals sich zwischen den Einzelzimmern der Kranken befinden, hat
man in Buch davon Abstand genommen, da man davon ausging, daß dem Warte¬
personal die Nachtruhe gewährleistet werden müßte und auch nicht erwartet
werden könnte, daß es zu einer Zeit, wo es schlafen soll, den Kranken einige
Aufmerksamkeit widmen kann. Demgemäß sind in dem Bücher Verwahrungshaus
viele kleine Zimmer, und es sind nur so viel Wärter auf der Station vorhanden,
wie zur Zeit gebraucht werden, während für die dienstfreien außerhalb des Hauses
besondere Wohnungen vorhanden sind.
Herr Sander fragt nach der Höhe der Kosten für die Anstalt Buch.
Herr Moeli erwiderte, daß seines Wissens hierüber noch keine genauen
Angaben vorliegen. Begründet sei dies dadurch, daß die Centralanlagen für
mehrere Anstalten eingerichtet sind und daß die ursprünglichen Pläne während
des Baues noch manche Änderung erfahren hätten. Er glaube nicht, daß der
Bau zu teuer sei.
2. Herr Paul Bernhardt (Dalldorf): Hysterisobe Geistesstörung bei einer
Epileptischen. Vortr. stellt ein junges Mädchen aus stark und gleichartig be¬
lasteter Familie vor, das im Anschluß an eine Schwängerung bzw. Entbindung
epileptisch geworden ist. Infolge von Kummer und Sorgen wurde sie dann
hysterisch, es haben sich hysterische Zufälle eingestellt und sind jetzt zu einer
viele Monate lang währenden Bewußtseinsstörung mit Unterbrechung von wechseln¬
der Tiefe zusammengeflossen. Aus dieser Trübung lassen sich vier Einzelbilder
hysterischer Zustände herausheben und umschreiben. 1. Seltene Anfälle, die der
grande hystörie sich nähern. 2. Farbenprächtige Delirien, in denen eindrucks¬
volle und namentlich traurige Geschehnisse aus dem ganzen Leben der Kranken
sehr dramatisch wieder durchlebt und zu versöhnenden Lösungen geführt werden.
Auch ekstatische Phantasien kommen vor. 3. Eine Art Stupor mit trauriger
Grundstimmung. 4. Eine hysterische Moria (aber mit Bewußtseinseinengung).
Diese Zustände reihen sich zur Zeit nach erkennbaren Regeln aneinander und
werden von echten epileptischen Zufällen durchbrochen. Mit einem Reminiscenzen-
delir antwortet die Kranke gewöhnlich auf Ärgernisse, aber auch auf den Versuch
geistiger Anstrengung, im letzteren Falle steht das Delir mit augenblicklichem
völligem Verschwinden der Schmerzempfindlichkeit am ganzen Körper im Ver¬
hältnisse des gegenseitigen Ersatzes zu einem Vorbeirededämmerzustand ohne
Analgesie. Dies wird der Versammlung an der Kranken selbst gezeigt. Weshalb
bzw. inwieweit es sich trotz der unzweifelhaft vorhandenen Epilepsie um Hyste¬
rismen handelt, wird des Näheren begründet. (Eine ausführliche Beschreibung
ist beabsichtigt). Autoreferat.
In der Diskussion werden von Herrn Falkenberg und vom Vortr. einige
kurze Bemerkungen über die zu dem obigen Thema gehörige Literatur gemacht.
3. Herr Reich: Demonstrationen des anatomischen Befundes in dem in
der Sitsong vom 18. Märs 1905 vorgestellten Fall von „alogischer* 4 Aphasie
und Asymbolie. Es hatte sich in diesem Falle (vgl. den betr. Sitzungsbericht
d. Centr. 1905. S.376) um ein aus Asymbolie, motorischer und sensorischer Aphasie
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bei erhaltenem Nachsprechen, Apraxie, Alexie und Agraphie sich zusammensetzendes
Symptomenbild gehandelt, wobei die fraglichen Symptome in sehr ausgeprägtem
Maße vorhanden waren. Motorische oder sensible Lähmungen oder Störungen
auf dem Gebiete der höheren Sinnesorgane bestanden nicht, auch gelang es wahr*
scheinlich zu machen, daß die Erinnerungsbilder der verschiedenen kortikalen
Gebiete erhalten seien. Das Symptomenbild wurde bo erklärt, daß bei Erhalten¬
sein sämtlicher kortikaler Gebiete im Sinne Wernickes durch einen diffusen
Prozeß in der Rinde diejenigen Gebiete beschädigt seien, die der Verbindung der
kortikalen Gebiete dienen. Die Erkrankung wurde daher mit Rücksicht darauf,
daß vermutlich die zugrundeliegende Störung dadurch bedingt sei, daß das für
die Erkennung und Vorstellung erforderliche kiyeiv oder millifeiv (Sammeln) der
Erinnerungsbilder der verschiedenen kortikalen Gebiete aufgehoben sei, als Alogie
und ihre Komponenten als alogische Aphasie, Asymbolie und Apraxie bezeichnet
Die Sektion ergab entsprechend dieser Annahme eine ausgedehnte 'Atrophie der
Hirnrinde der linken Hemisphäre, die in elektiver Weise die Bezirke der Flechsig-
schen Assoziationscentren ergriffen hatte, während die Gebiete der Projektions-
centren von der Atrophie verschont geblieben waren. Es waren von der Atrophie
ergriffen an der linken Hemisphäre der Frontallappen (vorderes Assoziationscentrum),
die Insel (mittleres Assoziationscentrum) und ferner in Form eines gemeinsamen
Herdes der Gyrus supramarginalis, angularis und die Temporalwindungen mit Aus¬
nahme der hinteren Hälfte des ersten (großes hinteres Assoziationscentrum). Ver¬
schont geblieben waren dagegen der Fuß der dritten Stirnwindung (Broca’sche
Stelle — Erinnerungsfeld der Sprachbewegungsvorstellungen), die hintere Hälfte
der ersten Schläfen Windung (Wernicke’sche Stelle = akustisches Erinnerungsfeld),
die vordere und hintere Centralwindung (Gebiet der sensiblen und motorischen
Erinnerungsbilder) und der Occipitallappen (Gebiet der optischen Erinnerungs¬
bilder). An der rechten Hemisphäre bestand Atrophie nur in der Rinde des
Temporallappens und zwar mit Ausnahme der ersten Temporalwindung. Vortr.
spricht sich dafür aus, daß in seinem Falle die Rindenatrophie als eine System¬
erkrankung der Rindenfasern der späten Markreife anzusehen sei und glaubt, daß
wohl auch eine Anzahl derjenigen Fälle, die als zirkumskripte Rindenatrophie
beschrieben sind, in der Weise zu erklären sind, daß in ihnen dasselbe Faser¬
system partiell erkrankt ist, dessen Atrophie in dem demonstrierten Falle in der
linkeu Hemisphäre in ganzer Ausdehnung stattgefunden hat. Ascher (Berlin).
Ärztlloher Verein in Hamburg.
Sitzung vom 6. November 1906.
Herr Fraenkel zeigt Präparate und Photogramme von sogen. Sohweizer-
Käse-Gehirnen und erläutert die Entstehung dieses seit dem Jahre 1870 durch
Clarke bekanut gewordenen, von diesem Autor sehr zutreffend als Gruyöre-cheese-
condition bezeichneten, seiner Genese nach erst in den letzten 6 Jahren klar-
gestellten, Zustandes. Besonders die Untersuchungen von F. Hartmann, von Pick,
von Westenhöfer, von Chiari und von Saltykow sowie von Pierre Marie
haben den Beweis dafür erbracht, daß man es mit postmortal entstandenen, auf
das bereits ante mortem erfolgte Eindringen gewisser Bakterien zurückzufuhrenden
Hohlräume zu tun hat, die, teils subpial gelegen, gewaltige Erweiterungen der
Hirnfurchen darstellen, teils die eigentliche Hirnmasse durchsetzen und dadurch
der Schnittfläche eine an das Aussehen von Schweizer Käse erinnernde Beschaffen¬
heit verleihen. Für die postmortale Entstehung der Hohlräume spricht einmal
das Fehlen klinischer, auf eine vorangegangene Erkrankung des Hirns hinweisender
Erscheinungen und anatomisch die absolute Reaktionslosigkeit der die Hohlräume
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begrenzenden Wandungen, innerhalb deren man dagegen reichliche Bazillen-
anhänfnngen trifft, ebenso wie in ihrer Umgebung. Auch in den Hirngefäßen
begegnet man isolierten oder zu Schwämmen vereinigten Bazillen. Meist handelt
es sich um anaerobe Bakterien, am häufigsten um den B. phlegmon. emphysematodes,
indes kommen auch andere anaerobe Bakterien, möglicherweise auch das Bact.
coli in Betracht. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die Hohlraumbildung
noch an in Formol konservierten Gehirnen vor sich gehen kann, wofür besonders
eine von Chiari mitgeteilte Beobachtung beweiskräftig ist. Chiari hatte die
eine Hälfte eines Gehirns, dessen andere er gleich nach der Sektion in Formol
eingelegt hatte, frisch zerlegt und frei von jeglichen Veränderungen gefunden,
während er in der längere Zeit nach der Formolhärtung aufgeschnittenen Hemisphäre
den ausgebildeten etat du fromage de Gruyöre nachwies. Vortr. hat die Frage
experimentell bearbeitet, indem er in völlig normale Gehirne von beliebigen
Leichen von der Arteria basilaris und von der Carotis interna aus Kultur¬
aufschwemmungen des Bac. phlegmon. eraphysem. injizierte und die
Gehirne für meherere Tage bei Bruttemperatur in Formol konservierte. Die
Gehirne schwammen dann in der Formollösung und zeigten aufgeschnitten,
wie an zwei der demonstrierten Gehirne kenntlich ist, das klassische Bild des
etat du fromage de Gruyäre. Die lufthaltigen, in der Größe sehr wechselnden
Räume waren in allen Teilen des Gehirns aufgetreten, besonders zierliche Bilder
boten Durchschnitte durch die Varolsbrücke und die Kleinhirnhemisphären. Auch
histologisch unterschieden Bich solche Hirne in nichts von jenen, bei denen sich
der Zustand spontan entwickelt hatte und gleich bei der Sektion des der Leiche
frisch entnommenen Gehirns festgestellt worden war. Das Schweizer-Käse-Gehirn
ist, wie aus diesen Darlegungen bervorgeht, den Schaumorganen zuzurechnen und
der sogen. Schaumleher oder Schaumniere an die Seite zu stellen. Autoreferat.
Herr Nonne erinnert an die CaiBSonkrankheit, bei der eB ebenfalls zu Gas¬
austritt aus den Blutbahnen in die Gewebe kommt. Er Bebildert die einschlägigen
Fälle, wie sie von von Leyden, Schultze, Schrötter, Hoche u. a. klinisch
geschildert und anatomisch untersucht sind.
Herr Saenger demonstriert 1. die Nebennieren und eine Niere einer an
Morbus Addisonii verstorbenen Frau. Eine 37 jährige Frau kam am 25. Sep¬
tember 1906 in die Sprechstunde des Vortr. mit den Angaben, daß sie sehr
nervös sei und sich bo matt fühle, daß sie nicht imstande sei, etwas zu tun. Wegen
Nervosität sei sie an die See geschickt worden, wodurch sie sehr eingebrannt sei.
Früher war Bie stets gesund, außer daß sie einmal eine Unterleibsoperation durch¬
gemacht habe. Dem Vortr. fiel sofort die dunkle Pigmentation des Gesichtes,
namentlich um die Augen herum, auf. Auf der Schleimhaut der Lippen, in der
Mundhöhle, auf dem Zahnfleische fanden sich fleckweise Pigmentationen. Auf der
Brust- und Bauchhaut befanden sich tiefbraune Pigmentationen. Die Untersuchung
des Nervensystems ergab keine Abweichung von der Norm. Da dem Vortr. vom
Gatten der Patientin mitgeteilt worden war, daß bei der Unterleibsoperation von
dem Operateur eine tuberkulöse Unterleibsaffektion konstatiert worden war, so
wurde vom Vortr. die Diagnose auf Morbus Addisonii gestellt infolge von Tuber¬
kulose der Nebennieren. Die Patientin kam ins Krankenhaus. Suprarenalin
wurde ohne jeden Erfolg gegeben. Die Schwäche nahm immer mehr zu. Bald
erfolgte der Exitus. Die Sektion ergab eine doppelseitige Verkäsung der Neben¬
nieren. Die rechte Niere war in einen dünnwandigen Sack mit dickem Käse
umgewandelt. Kompensatorische Hypertrophie der linken Niere. In beiden Lungen¬
spitzen Schwielen. Operativer Defekt einer Tube. Am Bauchfell einige Ver¬
wachsungen.
2. demonstriert Vortr. die mikroskopisohen Präparate einer Neuritis
optioa retrobulbaris. Eine 55 jährige Frau kam am 19. April d. J. ins
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Allgemein© Krankenhaus St. Georg wegen Schwäche in den Armen, Schmerzen
in den Gelenken und Schwäche in den Beinen. Am 27. Juni klagte die Patientin
über Schmerzen im rechten Auge. Am 29. Juni Abnahme des Sehvermögens bei
normalem Augenhintergrund. Am 1. Juli völlige Amaurose rechts und Pupillen¬
starre direkt; indirekt reagierte die Pupille. Die linke reagierte direkt, indirekt
jedoch nicht. Vortr. stellte daraufhin die Diagnose einer akuten retrobulbären
Neuritis im Canalis opticus, weil er annahm, daß durch die frische Entzündung ein
Druck auf die nicht entzündeten Teile des Opticus ausgeübt worden sei, welche
infolge des umschließenden Canalis optic. dem Drucke nicht aus weichen konnten;
hierdurch wurden alle Fasern des Opticus, also auch die Pupillenfasern, leitungs¬
unfähig. Daher völlige Amaurose und Pupillenstarre. Die Sektion bestätigte die
Diagnose. Schon makroskopisch sah man auf dem Querschnitte des geschwollenen
Opticus vom Canalis opticus eine in der Mitte gelegene, runde rote Zone. Nach
Erhärtung zeigte sich beim Schneiden, daß in der Mitte eine entzündliche klein¬
zellige Infiltration vorhanden war. Das angrenzende Gebiet des Opticus war zum
Teil degeneriert. Die Randpartien erschienen jedoch wenig verändert. Die Bündel
waren erhalten. Nur in einzelnen waren Lücken vorhanden. Autoreferat.
Sitzung vom 20. November 1906.
Herr Nonne zeigt das Hirn und Rückenmark eines Falles von Meningitis
oerebrospinalis purulente, welche entstanden war im Anschluß an eine
Kugelverletsung des Gehirns, die vor 0 Jahren stattgefunden hatte. Patient
war 2 Tage vor der Aufnahme akut erkrankt ohne nachweisliche Ursache. Die
bakteriologische Untersuchung der trüben und abnorm druckerhöhten Spinal¬
flüssigkeit sowie des aus der rechten Vena mediana entnommenen Blutes (20 ccm)
ergab Reinkultur von Pneumokokken (L&nceolatus). Tod nach 2 Tagen. Bei der
Sektion fand sich ausgedehnte Leptomeningitis cerebr. basalis, außerdem eine
Eiteransammlung (Diplococcus lanceolatus im Ausstrichpräparat) auf der Oberfläche
des linken Nucleus caudat. Bei senkrechtem Einschneiden fand man eine halbe
Kugel, welche im vordersten Schenkel der inneren Kapsel, an der Verbindungs¬
stelle zwischen äußerer und innerer Kapsel, dicht nach außen vom äußeren Glied
des Linsenkernes saß. Das Gewebe zwischen Kugel und Oberfläche des Nucleus
caudat. war eitrig imbibiert. Keine Einkapselung der Kugel. Vom Schu߬
kanal nichts zu finden. Die andere Hälfte der Kugel fand sich an der
Innenseite des linken Schläfenbeines, dicht an der Grenze zum Stirnbein. Patient
hatte vor 6 Jahren sich mit einer Revolverkugel in die rechte Schläfe geschossen
und hatte damals keine Lähmungs- oder sonstige Erscheinungen davon getragen.
Vor 4 Jahren hatte der Patient einmal kurz hintereinander zwei schwere echt
epileptische Anfälle, war seither ganz gesund und speziell ohne alle nervösen Be¬
schwerden gewesen. Eine andere Ursache für die Eiterung im Hirn fand sich
auch nach Sektion aller Nebenhöhlen sowie der Körperorgane nicht. N. weist
auf die lange Symptomlosigkeit des durchaus nicht indifferent intracerebral ge¬
legenen Projektils hin, sowie darauf, daß auch die bisherigen Erfahrungen ergeben
haben, daß bei Spätabscessen nach eingedrungenen Projektilen sich dieselben immer
in der Tiefe des Hirns fanden.
Herr Nonne zeigt weiter das Präparat eines Falles von Tumor des
Pons, der unter dem Bilde des Kleinhirnbrückentumors verlaufen
war. Es handelte sich um einen 40jährigen Mann, der 10 Monate auf der
Abteilung des Vortr. war. Er war 10 Wochen vor der Aufnahme auf die Ab¬
teilung unter Erscheinungen von Kopfschmerz und Erbrechen erkrankt, hatte das
Bewußtsein verloren und war vorübergehend am linken Bein paretisch gewesen.
Die weitere Anamnese ergab, daß er bereits seit 5 Monaten an Kopfschmerz und
Abnahme der geistigen Fähigkeiten litt; anamnestisch sonst nichts von Bedeutung,
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speziell kein Potus, keine Lues, kein Trauma. Die Untersuchung ergab leichte
Benommenheit vom Charakter der „Tumorbenommenheit“, leichte Empfindlichkeit
des Hinterhauptschädels, abnorme Frequenz (!) des Pulses (100—120 Schläge in
der Minute), Lebhaftigkeit der Sehnenreflexe beider unteren Extremitäten, An¬
deutung von BabinBki links. Innere Organe normal, Urin frei von Eiweiß und
Zucker. Allmählich entwickelte sich eine rechtsseitige Fazialisparese von peri¬
pherischem Charakter, dann fiel eine Störung des Hörvermögens rechterseits auf,
welche (Dr. Thost) für nervös erklärt wurde. Ferner trat auch eine Lähmung
des rechten Abducens und im weiteren Verlauf Areflexie der rechten Cornea sowie
Hypasthesie liir alle Qualitäten der Sensibilität an Stirn und Wange rechterseits auf.
Schon vorher war Schwanken und Taumeln aufgetreten wie bei cerebellarer Er¬
krankung, außerdem eine an Intensität stetig wachsende Stauungspapille. Der
Spinaldruck war erhöht (530 mm Wasser); im Spinalpunktat mikroskopisch aus¬
gesprochene Lymphocytose. Lähmungen an den Extremitäten traten nicht auf.
Die Sehnenreflexe blieben lebhaft, und meistens — nicht immer — waren sie in
der linken unteren Extremität lebhafter als rechterseits. Babinski nicht konstant,
aber häufig, linkerseits. Die Diagnose wurde gestellt auf einen Tumor im Klein-
birnhriickenwinkel der rechten Seite. Im weiteren Verlauf trat auch Schwerhörigkeit
auf dem linken Ohr auf und ferner, zunächst vorübergehend, dann dauernd, Beiz¬
zustände im linken Facialis. Eine Schmierkur brachte nur vorübergehend subjektive
Besserung. Wegen der ausgesprochenen Lymphocytose wurde bis zuletzt mit der
Möglichkeit eines gummösen, gegen Quecksilber refraktären Tumors gerechnet.
Von dem Versuch einer Operation wurde Abstand genommen, weil wegen der
Doppelseitigkeit der Facialis- und Acusticus-Erscheinungen, in Ansehung der aus
der Literatur sich ergebenden Häufigkeit der Multiplizität der Tumoren im Klein¬
hirnbrückenwinkel, auch hier eine Doppelseitigkeit für wahrscheinlich gehalten
wurde. Die Sektion zeigte, daß es sich um ein derbes, sehr zellarmes Fibro-Sarkom
handelte, welches zwischen Brücke und Kleinhirnhemisphäre rechts saß, die Klein¬
hirnhemisphäre nur komprimierte und in die Brücke hineingewuchert war. Nerv,
facialis, acusticus, abducens und trigeminus wurden vom Tumor gedrückt. In dem
PonB war der Tumor biB in die linke Seite hinüber gewachsen, während der linke
Facialis und acusticus an der Basis von Druck frei waren. N. bespricht die
Symptome der langsam wachsenden Ponstumoren sowie der Tumoren im Klein¬
hirnbrückenwinkel, der centralen Neurofibromatose usw. (Henneberg und Koch,
Funkenstein u. a.).
Diskussion: /
Herr Bontemps berichtet über einen Fall von Meningitis purulenta
1 s / 4 Jahre nach HirnBchuß mit eingeheilter Kugel. Im verflossenen Winter
wurde im hiesigen Hafenkrankenhaus ein 15jähriges Mädchen eingeliefert, das
die Symptome einer eitrigen Meningitis bot. Die Anamnese ergab, daß die Pa¬
tientin l»/ 4 Jahre vor Ausbruch der jetzigen Krankheit versehentlich von einem
Spielkameraden mit einer Pistole gesohoBsen war. Das Geschoß war dicht ober¬
halb des medialen Endes des linken Supraorbitalrandes in die Schädelkapsel ein¬
gedrungen. Die Wunde war damals reaktionslos verheilt, ohne Funktionsstörungen
motorischer, sensibler oder psychischer Art zurückzulassen. In der Zwischenzeit
war Patientin nicht krank gewesen. Vor dem Ausbruch der jetzigen Krankheit soll
Patientin auf den Kopf gefallen sein, ohne aber irgendeine Verletzung davon¬
getragen zu haben. Da die Anamnese den Gedanken nahe legte, daß die im
Gehirn zurückgebliebene Kugel den Ausbruch der Meningitis veranlaßt hätte, so
wurde von Herrn Oberarzt Dr. Lauenstein die Trepanation versucht. Das
Röntgogramm des Schädels ließ die Kugel im rechten Hinterhauptslappen er¬
kennen. Auf den vermutlichen Sitz wurde nun eingegangen, die Kugel wurda
jedoch nicht gefunden. Gleich nach der Operation starb Patientin. Die Sektion
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ergab eine eitrige Meningitis, als Erreger derselben fand ich Pneumokokken.
An der Großhirnbasis und am Kleinhirn fanden sich reichliche Eitermassen, die
Ventrikel enthielten bei der späteren Eröffnung trübe Flüssigkeit. Die Keilbein*
höhle, Stimbeinhöhlen, Siebbeinhöhlen waren frei von Eiter. Die verheilte alte
Einschußöffnung an dem Stirnbein war nur durch einige Knochenrauhigkeiten
kenntlich. An der Hirnoberfläche war keine Narbe zu finden, nur der linke
Stirnlappen zeigte eine geringe bräunliche Verfärbung an der Basis, die in Gestalt
eines kleinen Streifens nach hinten und medialwärts verlief. Um den genauen
Sitz der Kugel zu finden und das Präparat zu erhalten, wurde das Gehirn nach
vorherigem Härten in Formalin röntgographiert. Auf dem Röntgogramm fand
sich die Kugel im rechten Hinterhauptslappen dicht unter der Oberfläche der
Hemisphäre, an derselben Stelle, welche auch das alte Röntgenbild de6 Schädels
als Sitz der Kugel angezeigt hatte. Nach vorsichtigem Sondieren wurde dann
die Kugel im rechten HinterhauptBlappen etwa 1 mm weit von der Oberfläche der
Hemisphäre, 5 cm weit von der Spitze und Mitte des Hinterhauptslappens und
2 cm oberhalb deB Tentorium cerebelli gefunden. Die Kugel selbst war von einer
Bindegewebskapsel umgeben, ihre Umgebung war frei von Eiter. Wenige Centi-
meter von der Kugel befanden sich nach vorn zu einige bräunlich pigmentierte
Stellen in der Hirnmasse. Sonst wies nichts auf die frühere Durchschießung des
Gehirns hin. Makroskopisch sichtbare Narben waren nirgends zu finden. Autoreferat.
Herr Saenger hat 4 Fälle von Geschwülsten des Kleinhirnbrücken¬
winkels beobachtet. Den letzten Fall sah er im Januar 1906. Es handelte
sich um einen 14 jährigen Jungen, bei dem vor 2^ Jahren eine Schwerhörigkeit
links sich eingestellt hatte. Seit 2 Jahren hatte er einen unsicheren Gang. Seine
Intelligenz soll unvermindert sein. Er war immer einer der besten Schüler. Die
Untersuchung ergab einen taumelnden Gang; das linke Bein wurde spastisch
ataktisch aufgesetzt. Es bestand eine Ataxie und Tremor der Hände, speziell der
linken Hand. Beiderseits war das Babinskische Phänomen nachzuweisen. Pa-
tellar- und Achillesreflexe waren vorhanden, ebenso sämtliche Hautreflexe. Die
Sensibilität war intakt, speziell auch im Trigeminusgebiet. Es bestand keine
Areflexie der Cornea. Ein leichter Nystagmus, ferner doppelseitige Stauungs¬
papille waren zu konstatieren. Während der Beobachtungszeit litt Patient an
heftigem Kopfschmerz, an Krampfanfällen, wobei alle Extremitäten zuckten und
der Kopf nach links herumgeschleudert wurde. S. stellte die Diagnose auf einen
Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel, wahrscheinlich ausgehend vom Acusticus. Er
schlug die Palliativtrepanation über der linken Kleinhirnhemisphäre vor. Der
Vater ging mit dem Sohne nach Berlin zu Herrn Prof. Oppenheim. Letzterer
bestätigte die Diagnose, und Herr Prof. Fedor Krause machte denVersuch, die
Geschwulst zu exstirpieren. Leider starb der Knabe unmittelbar nach der Ope¬
ration. Die Sektion bestätigte die Diagnose. — Im 2. Falle handelte es sich um
eine 46jährige Frau, die seit 1897 leidend war. 1896 war sie mit dem Kopf
gegen eine Tür gestürzt und bewußtlos geworden. In der Folge oft heftige Kopf¬
schmerzen mit Erbrechen. Einmal war sie bewußtlos niedergestürzt. Wesentliche
Verschlechterung des Gedächtnisses. 1898 litt sie unter heftigen Kongestionen
gegen den Kopf, plötzlichem Erbrechen, Zittern der Hände. Die Untersuchung
ergab taumelnden Gang, doppelseitige Stauungspapille, linksseitige Hemiparese,
Herabsetzung des linksseitigen Corneal- und Konjunktivalreflexes, Hemmung der
assoziierten Augenbewegungen nach links, Abnahme des linksseitigen Hörvermögens
und Zittern der Zunge und Lippen beim Sprechen. Im Juni 1898 wurde eine
Palliativtrepanation über der linken Kleinhirnhemisphäre gemacht. Hierauf gingen
die Stauungspapillen vollständig zurück, und das Sehvermögen hob sieb. Die
Kopfschmerzen und das Erbrechen traten nicht mehr so intensiv auf. 8 / 4 Jahre
nach der Operation erfolgte der Exitus. Die Sektion ergab an der Hirnbasis
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einen kartoffelgroßen Tumor, der zwischen Kleinhirn, Pons und Medulla oblongata
auf der linken Seite eingekeilt war. Der linke Trigeminus erschien platt, wie
aufgefasert, der linke Abducens und linke Facialis verdünnt, und der linke
AcusticuB war in der Geschwulst untergegangen. Im 3. Fall, den er auf der
Abteilung des Herrn Dr. Jollasse gesehen hatte, handelte es sich um eine
cerebellare Gangstörung, doppelseitige Stauungspapille, dysarthrische Sprachstörung,
Zittern der Hände. Erst später stellte sich links eine Gehörstörung ein. Ganz
plötzlicher Exitus. Bei der Autopsie fand sich ebenfalls ein Fibrom des Acusticus,
das eine ähnliche Lage wie das vorherbeschriebene hatte, aber wesentlich kleiner
war. Einen 4. Fall erinnert sich S. im Altonaer Krankenhause gesehen zu
haben. Der betreffende Patient, war völlig blind und taub. Atrophia optici ex
neuritide beiderseits. Taumelnder Gang. In beiden Kleinhirnbrückenwinkeln
befand si,ch je ein etwa wallnußgroßer Tumor.
Zum Schluß demonstriert Vortr. eine haselnußgroße Geschwulst, die in der
Rinde der linken Kleinhirnhemisphäre gelegen war. Die angrenzende subkortikale
Partie war überwallnußgroß, cytisch degeneriert und reichte bis zum Bindearm
hin. Der Sitz dieser Geschwulst war von S. diagnostiziert worden. — Es
handelte sich um einen 32 jährigen Mann, der von jeher schwächlich und hereditär
schwer belastet war. (Geisteskrankheit, Diabetes). In letzter Zeit stellten sich
bei dem Patienten Störungon des Ganges und eine Blasenstörung ein. Nebenbei
bot er exquisit hysterische Symptome dar. Die Untersuchung ergab Fehlen der
Patellar- und Achillesreflexe; Ataxie der linken Hand und des linken Beines.
Linksseitige Hemiparese. Links Neuritis n. optic. Rechts Hyperaemie des
Opticus. Fehlen der Bauch* und Cremasterreflexe. Der Gang war stark
taumelnd. Patient grimassierte viel und warf sich mit grotesken Bewegungen
im Bett umher. Autoreferat.
Herr Umber: Im Anschluß an die Ausführungen von Nonne und Saenger
berichtet U. über einen Fall von multipler, symmetrischer, centraler und
peripherer Neurofibromatose, den er vor 3 Jahren auf seiner Abteilung des
Altonaer städtischen Krankenhauses beobachtet hat, und der durch manche
klinische und anatomische Eigenschaften besonders ausgezeichnet ist, vor allem
auch dadurch, daß der betreffende Kranke auch vorzugsweise symmetrisch
angeordnete Neurofibrome der Haut aufwies, die in derartigen Fällen für die
Differentialdiagnose wertvoll sind. (U. fragt die Vorredner, ob in ihren Fällen
gleichfalls Neurofibrome der Haut vorhanden gewesen sind.) Die klinische
Beobachtung, die sich leider nur auf 4 Tage vor dem plötzlich eintretenden
Tode erstreckte, war folgende: 17jähriges Mädchen, das erst im dritten
Lebensjahre laufen gelernt hat. Es hat sich zwar in früher Kindheit an den
Spielen Beiner Altersgenossen beteiligen können, ist aber der Umgebung durch
häufiges Stolpern und Fallen von jeher aufgefallen. Von Kindheit an soll bereits
eine leichte Parese der rechten Gesichtshälfte bestanden haben, das rechte Auge
soll von jeher nicht geschlossen worden sein, außerdem habe das rechte Auge
„nie sehen können“. Vom 12. Lebensjahr an war die rechte Gesichtshälfte völlig
gelähmt, und besteht seitdem rechts Lagophthalmus. Vor 2 Jahren — also im
15. Lebensjahre — Anfall von heftigen Kopfschmerzen, Schmerzen in den Gliedern
und im Rücken, die wochenlange Bettruhe notwendig machten. Nach dem Auf¬
stehen wahrnehmbare Schwäche des rechten Beines und rechten Armes, Hand¬
arbeiten konnten von da ab nicht mehr angefertigt werden, weil die Hand die
Nadel nicht mehr zu führen vermochte. 4 Wochen vor der Aufnahme in die
Abteilung plötzlicher Schwindelanfall und Hinstürzen. Als man ihr aufhelfen
wollte, vermochte sie nicht mehr zu stehen, weil das rechte Bein, ebenso wie der
rechte Arm völlig gelähmt waren. Dabei bestanden heftige Kopfschmerzen, „als
ob der Kopf in der Mitte abgeteilt sei“, besonders nach dem Schlafen, sowie
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Schmerzen im ganzen Körper, und ein gewisses Krampfgefühl im Schlund nach
dem Schluckakt. Der Stuhl seitdem angehalten, Urinlassen erschwert Menses
seit dem 12. Lebensjahr, regelmäßig, zuletzt vor 3 Wochen. Vater ist geistes¬
krank, sonst keine familiäre Belastung. Bei der Aufnahme auf der Abteilung
(5./XI. 1903) erwies sich die Kranke als intelligentes und lebhaftes Mädchen in
mittlerem Ernährungszustand, auftällige Zwangslage im Bett, indem Rumpf und
Wirbelsäule einen nach rechts konvexen Bogen bilden, der Kopf krampfhaft
nach links gedreht wird, infolge schlaffer Lähmung der ganzen rechten Körper¬
hälfte bei erhöhter Muskelspannung der linken Seite. Die schlaffe Lähmung betraf
den rechten Sternocleidomastoideus, die rechte obere und untere Extremität, die
rechten Brust-, Bauch- und Rückenmuskeln, die rechte Zwerchfellshälfte. Von den
Hirnnerven war der rechte Facialis völlig gelähmt und zwar der untere wie der
obere Ast (Lagophthalmus), es bestand rechterseits eine völlige nervöse Taubheit
und rechtsseitige Opticusatrophie. Die rechte Lidspalte ist größer wie die linke,
das Blinzeln auf dem rechten Auge ist völlig aufgehoben, es besteht eine leichte
Insufficienz des rechten Rectus internus mit ausgesprochenem horizontalem
Nystagmus beiderseits bei Konvergenz sowie bei Blickrichtung nach innen und
nach außen. Auch erreicht die rechte Cornea beim Blick nach außen nicht
den äußeren Lidwinkel. — GeruchBvermögen rechterseits nachweislich herab¬
gesetzt, aber nicht aufgehoben. Auf der rechten hinteren Zungenhälfte ist das
Geschmackvermögen für süß und bitter merklich herabgesetzt. Beim Atmen
bewegt sich nur die linke Thoraxhälfte und die linke Zwerchfellhälfte. Auf der
linken Körperhälfte ist vor allem eine ausgesprochene Hemiatrophia linguae
bemerkenswert. Die Zunge weicht beim Herausstrecken nach links ab, zeigt fibrilläre
Zuckungen. Die linke Papille zeigt eine beginnende Neuritis optica, Nn. III,
V, VI, VII, VIII (Ticken der Uhr auf 33 cm wahrnehmbar) IX, X, XI sind links
völlig funktionstüchtig. Am Stamm und den Extremitäten keinerlei sichtbare
Atrophie der Muskeln, keine fibrillären Zuckungen. Die Sensibilität ist allerwärts
erhalten, für alle Qualitäten, vielleicht in toto etwas herabgesetzt. Die Reflexe
sind allerwärts erhalten und durchaus lebhafter als normal, Knie- und Achilles-
sehnenreflexe am schlaff gelähmten rechten Bein stark erhöht, ausgesprochener
Fuß- und Patellarklonus rechts. Bauchdeckenreflexe rechts erloschen, links erhalten.
Blasen- und Mastdarmlähmung. Herzaktion regelmäßig, Pulse leicht beschleunigt,
schwanken zwischen 90—110, Herztöne rein. Lungenbefund normal, keine
Temperaturerhöhungen. Weitere Untersuchung wurde durch plötzlichen Exitus
bereits am 10./XI. vereitelt. Besonders zu bemerken ist das Bestehen mehrfacher,
vorzugsweise symmetrisch angeordneter pigmentierter Neurofibrome der Haut: zwei
gut haselnußgroße weiche Tumoren in der Haut der Sakralgegend. Im oberen
äußeren Sektor der rechten Mamma ein pfennigstückgroßer nicht erhabener Naevus
pigmentosus und beiderseits in der Linea mammillaris eine Anzahl stark pigmen¬
tierter erhabener Knötchen in der Haut, die sich nachher bei der mikroskopischen
Untersuchung als Neurofibrome (Demonstration der Präparate) erwiesen. Sie
erinnerten an akzessorische Mammillen bei Polythelie. Die Obduktion hatte
folgendes Ergebnis: Im Kleinlurnbrückenwinkel beiderseits symmetrische Fibrome:
rechts ein wallnußgroßes, links ein kirschgroßes Fibrom, das beiderseits nicht vom
Acusticus, sondern vom Facialis ausging. Das rechtsseitige wallnußgroße Facialis-
fibrom hatte die Funktion des Nerven also völlig aufgehoben und sich — der
Anamnese zufolge — zweifellos schon in der ersten Kindheit entwickelt, das
linksseitige kirschgroße hatte die Funktion nicht beinträchtigt. DaB mikroskopische
Präparat (Demonstration) — die Präparate hat Dr. Geelvink angefertigt —
gibt die Erklärung hierfür: die Nervenbündel laufen unversehrt über die Ober¬
fläche des Tumors hinweg und zum Teil auch im Centrum desselben (Weigertsche
Markscheidenfärbung der Nervenelcmente, v. Giesonsche Färbung des Tumor-
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gewebee). Außerdem befanden sich spindelförmige, etwa reiskorngroße, gleichfalls
von der Nervenscheide ausgehende Fibrome beiderseits vom Acusticus, beiderseits
vom Trigeminus (motorische Wurzel) und Ahducens, es zeigt sich auch an diesen
Nerven deutlich das Intaktbleiben der Nervenbündel in den kleinen Geschwülsten
(Demonstration). Die Medulla oblongata war verdickt, ebenso das obere Halsmark
und zwar, wie aus dem mikroskopischen Präparat ersichtlich ist, infolge fibro-
sarkomatöser Infiltration, die ihren Ausgangspunkt in einer hinteren Rücken-
markswurzel hatte, dazu war im oberen Halsmark sekundäre Erweichung und
Blutung hinzugetreten. Es handelte sich also um multiple symmetrische Neuro¬
fibrome mit sarkomatöser Entartung. Autoreferat.
Herr Hess betont unter Beferierung noch anderer Fälle (Püschmann und
A. Fuchs) die Schwierigkeiten, die Bich mitunter namentlich in bezug auf die
Lokalisation in die rechte oder linke Hälfte des Pons bieten. Ebenso hängen die
Symptome fast ausschließlich von dem mehr oder weniger hohen oder tiefen Sitz
(bzw. der Flächenausbreitung) des Tumors ab, der mitunter weitgehende direkte
und indirekte Druck- und Ferndruckwirkungen verursache. Auch Cholesteatome
kommen vor (Boström). Autoreferat.
Herr Engelmann: Die Eieinhirnbrückenwinkeitumoren sind auch für die
Ohrenärzte von größtem Interesse. An ihnen müßten sich eigentlich sowohl Reiz¬
erscheinungen und später Ausfallserscheinungen, welche durch die Affektion des
AcusticuB hervorgerufen sind, studieren lassen. Das ist aber für die Weiter¬
entwickelung der Otiatrie von größter Bedeutung. Denn wie man weiß, liegt die
exakte Diagnose bei uns noch recht im Argen. Die große Mehrzahl der Labyrinth¬
affektionen, welche uns zur Sektion kommen, Bind eitrige und daher meist durch
Meningitis, Schmerzen usw. kompliziert, deshalb nur schwer zu verwerten. Wenn
ich recht verstand, war Herrn Nonne8 Fall leicht benommen, ich möchte daher
gern etwas näheres über die Technik der Hörprüfung erfahren. Die funktionelle
Prüfung macht nämlich bei sonst Gesunden oft derartige Schwierigkeiten, daß ich,
trotzdem ich seit etwa 16 Jahren eingehend mich mit Hörprüfungen beschäftige,
auf die Ergebnisse der Untersuchung fiebernder Patienten z. B. nur sehr wenig
Wert lege. Auch Herrn Saenger möchte ich bitten, sich näher auszulassen, z. B.
welche Töne ausfielen, denn Gradenigo hat behauptet, daß zuerst die mittleren
Töne ausfallen bei Affektionen des Acusticusstammes. Ferner möchte ich gern
etwas über die Art des Schwindels, besonders auch über den Nystagmns, bei
welcher Blickrichtung er stärker wurde, ob er mit der Zeit umschlug oder
schwand, erfahren. Autoreferat.
Herr Saenger richtet an den Vortr. die Frage, ob er in seinen Fällen
Blicklähmung, Areflexie der Cornea und Nystagmus beobachtet habe. Auf die
Anfrage des Herrn Umber erwidert S., daß er in seinen Fällen keine
Fibrome an der Haut beobachtet habe. Herrn Engelmann beantwortet
er seine Fragen dahin, daß genauere Gehörsuntersuchungen nicht angestellt
worden seien. Aus der Art des Nystagmus könne zurzeit noch keine Lokal¬
diagnose gestellt werden. Herrn Hess stimmt S. bei, daß zuweilen es sehr
schwierig sei, zu diagnostizieren, auf welcher Seite der Tumor läge. Als zu¬
verlässigstes Mittel empfiehlt S., durch regelmäßige ophthalmoskopische Unter¬
suchungen festzustellen, auf welcher Seite sich zuerst die Stauungspapille einstelle.
Nach seiner Erfahrung tritt sie zuerst auf der dem Tumor entsprechenden Seite
auf. Ferner sei die Hemiataxie ein recht brauchbares Symptom. Endlich die Ge¬
hörsstörung. Letztere beiden Symptome sind auch gleichseitig in Beziehung auf
den Sitz des Tumors. Dagegen könne man aus dem Sitz des Kopfschmerzes nichts
bestimmtes aussagen, zumal da schon beobachtet worden sei, daß z. B. bei einem
linksseitig belegenen Eieinhirntumor hauptsächlich über rechtsseitigen Stirnkopf¬
schmerz geklagt wurde. Autoreferat.
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Herr Nonne antwortet Herrn Saenger, daß Nystagmus in seinem Fall nicht
vorlag, ferner, daß die Areflexie der Cornea bereits bald nach dem Auftreten der
Acusticus- und Facialislähmung bemerkt worden sei. Herrn Hess gegenüber be¬
merkt N., daß eins der sichersten Symptome für die Diagnose der Seite der
Erkrankung in dem Pons die Blicklähmung sei, wenn solche konstatiert würde.
Herrn Umber antwortet N., daß in seinem Fall Fibrome bzw. Fibrosarkome der
Haut nicht bestanden hätten, Herrn Engelmann, daß die Funktionsprüfung der
Ohren von Dr. Thost gemacht sei und er näheres über die Technik der Unter¬
suchung nicht angeben könne.
Sodann vermehrt Herr Nonne im Anschluß an die von Saenger ge¬
brachten Fälle die Kasuistik noch um einen Fall: Vor 12 Jahren sah er
in Altona in der Praxis des Herrn Dr. Weiland ein 26jähriges Mädchen,
welches seit einigen Wochen über zunehmenden heftigen Kopfschmerz klagte.
Es entwickelte sich dann eine Schwerhörigkeit auf der linken und dann auf der
rechten Seite. Dann trat doppelseitige Stauungspapille auf, welche schnell wuchs.
Schließlich entwickelte sich eine rechtsseitige Hemiparese mit pathologischer
Steigerung der Sehnenreflexe und hochgradiges Taumeln beim Versuche zu
stehen und zu gehen. Dies Bild blieb bis zum Exitus, der nach etwa
6 monatlicher Beobachtungsdauer erfolgte, im wesentlichen unverändert. Bei der
Sektion fand sich ein gut hühnereigroßer sehr derber Tnmor, welcher im Klein¬
hirnbrückenwinkel saß, die linke Kleinhirnhemisphäre Bowie den Pons stark
drückte und den linken Acusticus platt gedrückt hatte. Der Tumor saß
an einem ganz dünnen Stiel, welcher mit der Durascheide zusammenhing.
Er erwies sich mikroskopisch als Fibrom. Für die Exstirpation hätte der
Tumor durch seine anatomische Natur die denkbar günstigsten Chancen geboten.
Da der Fall jedoch bereits vor 12 Jahren zur Beobachtung kam, bo ist es
begreiflich, daß N. bei der damaligen Sachlage die Möglichkeit einer Operation
nicht erwog. Nonne (Hamburg).
78. Versammlung Deutsoher Naturforscher und Amte in Stuttgart
vom 16.—23. September 1806.
Letzte Hauptversammlung.
Keferent: Dr. Hugo Levi (Stuttgart).
(Nachtrag.)
Herr Bälz (Stuttgart): Über Besessenheit und verwandte Zustände. Vortr.
erwähnt zunächst, daß die dämonische Besessenheit, die auf der ganzen Welt
vorkommt, auoh bei uns nicht so ganz der Vergangenheit angehört, wie man
gewöhnlich glaubt. Und noch heute wird von vielen, namentlich von katholischen
und protestantischen Geistlichen, der Teufel als ihre Ursache betrachtet. Vortr.
hat in Ostasien selbst Fälle von Besessenheit beobachtet, deren Symptome mit den
in der Bibel beschriebenen völlig identisch sind. Er bedauert, daß die Wissen¬
schaft, namentlich in Deutschland, diese psychologisch und medizinisch höchst
lehrreichen Erscheinungen zu wenig beachtet. Die Vorstellung, daß Krankheiten
überhaupt, aber namentlich das scheinbare Auftreten einer neuen Persönlichkeit
im Menschen — darin besteht das Wesen der Besessenheit — auf dem Einfluß
böser Geister beruhen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie findet sich zu
allen Zeiten, bei allen Völkern, bei allen Bassen, bei Wilden und bei Kultur¬
völkern. Diese Erklärung ist also offenbar die der menschlichen Natur nächst-
liegende. Aber sie befriedigt den modernen Menschen nicht, der dem Dämonen¬
glauben skeptisch gegenübersteht. Für ihn werden jene Erscheinungen verständlich
durch die Wirkung der Suggestion — sei es nun Auto- oder Alterosuggestion —
der Hypnose und der psychischen Ansteckung, Wirkungen, die uns erst in neuerer
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Zeit in ihrer ganzen Ansdehnung bekannt wurden. Die Suggestion ist ma߬
gebend nicht bloß für die Besessenheit durch böse Dämonen, sondern auch für
die durch gute Geister, d. h. für die Fälle, wo der Geist eines Gottes (oder auch
eine abgeschiedene Seele) auf einen Menschen herabgerufen wird, oder von selbst
auf ihn herabsteigt, wie es bei den Propheten geschah, und wie es auch bei
Schamanen, Zauberern, Wahrsagerinnen (Pythien), Medizinmännern, spiritistischen
Medien von jeher angeblich der Fall war, um Krankheiten zu heilen, die Zukunft
zu lesen, das Schicksal Verstorbener zu erforschen usw. Auch die mystisch¬
religiöse Ekstase und der Stigmatismus, bei welchem die Wundenmale Christi am
Leibe gewisser Frauen sichtbar wurden, gehören hieher. Immer wird dabei der
in der Regel stark prädisponierte Mensch durch fremde oder eigene Suggestion
in einen hypnotischen, oft dem hysterischen ähnlichen Zustand versetzt, mit Ein¬
engung oder Ausschaltung einiger Gebiete des Nerven- und Seelenlebens und ab¬
normer Verschärfung anderer. Ganz der schweren Hysterie ähnlich sind die oft
epidemischen, mit wilder Erregung, Krämpfen, Verzückung, tollen Bewegungen
verbundenen Zustände, wie sie sich in Amerika und Europa noch neuerdings bei
den Revivals der Methodisten abspielten und wie sie der Vortr. am Grabe eines
buddhistischen Heiligen in Japan in großer Zahl beobachtet hat. Bei einer solchen
Epidemie in Paris, am Grabe eines Priesters, im Jahre 1731 bis 1734 ließ sich eine
Frau mehrere Jahre nacheinander am Karfreitag ganz in der Art Christi ans Kreuz
nageln, ohne Schmerzen zu äußern, so vollständig war ihre Anästhesie. Daß auch
das Hexenwesen mit all seinen Greueln auf krankhafter Suggestion beruhte, ist klar.
Hier ging die ansteckende Macht der Suggestion sogar so weit, daß sich Frauen und
Kinder freiwillig vor Gericht als Hexen und Verbündete des Teufels anklagten,
obwohl sie wußten, daß es für sie einen qualvollen Tod bedeutete. Bei der eigent¬
lichen Dämonenbesessenheit (auch im Neuen Testament lautet der griechische Aus¬
druck Dämon, nicht Teufel) erscheint plötzlich und ausfallsweise im Körper des
Menschen ein neues feindliches Ich, das durch den Mund dieses Menschen redet,
mit seinem Gehirn denkt, durch seinen Körper sich bewegt und handelt. Der
Mensch besteht also jetzt aus einer körperlichen Person und aus zwei „Seelen“,
die einander widersprechen und sich bekämpfen. Diese feindliche fremde Macht
erklärt sich der Mensch als bösen Dämon, und zwar ist zu bemerken, daß der
Dämon immer die Form hat, die dem religiösen und kulturellen Ideenkreis des
Besessenen entspricht. Daher ist er für den Christen der Teufel (der übrigens
eine Erfindung der Perser ist), in Ostasien ist er der Fuchs. Dieser war dort
ursprünglich das Symbol einer Gottheit, er wurde aber schließlich an Stelle dieser
Gottheit selbst verehrt. Er kann alle Gestalten anuehmen, mit Vorliebe aber
schlägt er in Körpern von Menschen seinen Wohnsitz auf, wobei er dumme
Frauen oder Mädchen auf dem Lande oder durch Krankheit Geschwächte auf¬
fallend bevorzugt Noch nie ist ein Mensch von einem Fuchs besessen worden,
der nicht an diese Macht des Fuchses glaubte, ein schlagender Beweis für die
Rolle, welche die Autosuggestion bei dem Vorgang spielt. Da darf man sich
mit Recht wundern, wenn man hört, daß protestantische und katholische Geist¬
liche in China diesen Fuchsdämon für den Satan der Bibel erklären, und daß sie
ihn mit dem Namen Jesu Christi beschwören. Ja die eingeborenen Christen in
China erklären offen, daß sie in dieser Teufelsaustreibung ein Propagandamittel
für ihren Glauben sehen. Und ein hochgebildeter christlicher Missionär in China
hat ein dickes Buch geschrieben, in dem er nachweist oder nachweisen will, daß
Satan und Fuchsdämon identisch seien. Den Beweis dafür erblickt er in der
Wirkung des Namens Christi auf den Dämon, der, so bedroht, den Menschen ver¬
lasse. Daß Taoisten, Schamanen, Buddhapriester dieselben Erfolge haben, daß in
vielen Fällen eine einfache Bedrohung mit Schwert und Lanze den Fuchs zum
Ausfahren bestimmt, also die Krankheit heilt, davon spricht Dr. Naevius — so
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heißt dieser Geistliche — nicht. Vortr. hat Gelegenheit gehabt, in Tokio Fälle
solcher Besessenheit genau zu studieren, und es besteht für ihn kein Zweifel, daß
es sich stets um Autosuggestion handelt. Aber auch er hat eine Erscheinung
beobachtet, die immer wieder bei Besessenen hervorgehoben wird: die Intelligenz
und die Bedefertigkeit des Dämons, die weit über denen des besessenen Menschen
zu stehen scheinen. Er zieht zur Erklärung das Unterbewußtsein heran, das eine
viel höhere und viel geordnetere Tätigkeit entfalte als man gewöhnlich annimmt.
Beim Wegfall von Hemmungen und bei gewissen Reizen greife es manchmal
plötzlich in die Sphäre des normalen Bewußtseins ein, wobei es wahrscheinlich
überwiegend die eine, gewöhnlich ruhende, Hirnhälfte benützend, den „Anfall“
von Besessenheit hervorrufe. Vortr. sieht im Gehirn des Menschen eine Kraft-
statiön, aus der im gesunden Zustand in harmonischer zweckdienlicher Weise die
richtigen Mengen Energie in die einzelnen Nervengebiete geleitet werden. Bei
Krankheiten, namentlich solchen des Geistes, strömen abnorme Mengen Energie
in einzelne Gebiete, durch eine Art Kurzschluß werden abnorme Verbindungen
zwischen verschiedenen Assoziationsbahnen hergestellt und so die gewaltsamen
Erscheinungen hervorgerufen, die wir als Krämpfe, Delirien, Wahnideen usw.
bezeichnen. Die Behandlung erfolgt durch Suggestion und ist meist erfolgreich.
Sehr chronische Fälle trotzen aber oft jeder Behandlung. Der Vortr. schließt
mit einem Appell an die Naturforscher und Ärzte, diesen interessanten psychischen
Vorgängen mehr Aufmerksamkeit als bisher zu schenken.
Abteilung für Kinderheilkunde.
Herr Thiemich (Breslau): Über die Entwickelung eklamptisoher Säug¬
linge in der späteren Kindheit. Die verschiedenen Formen der Säuglings¬
krämpfe sind noch nicht genau voneinander zu trennen. Eine Gruppe jedoch
läßt sich genau abgrenzen: die Eclampsia infantum, die sich auf Grund der
Spasmophilie entwickelt. Vortr. hatte Gelegenheit, 53 Kinder, die im Säuglings¬
alter an Eclampsie oder wenigstens an latenter Spasmophilie (Laryngospasmus)
gelitten hatten, mehrere Jahre zu beobachten, die meisten bis inB schulpflichtige
Alter. Von diesen 53 Kindern zeigten später nur 18 einen normalen Intellekt,
21 waren schwach begabt, 14 noch unsicher. Außer den intellektuellen Defekten
bestanden auch neuropathische Zustände (Pavor nocturnus, große Schreckhaftig¬
keit, Enuresis, Wadenkrämpfe usw.). Unter den normal Begabten fanden sich
auffallend viele einzige Kinder, denen naturgemäß ein größeres Maß von Auf¬
merksamkeit gewidmet wird als anderen Kindern. Man darf also auch bei diesen
nicht zu viel aus ihren normalen Leistungen schließen; vielleicht tritt auch bei
einem Teil von ihnen später ein Versagen der geistigen Fähigkeiten ein. Der
Verlauf der Säuglingseklampsie (Rezidive, Schwere der Anfälle, Einfluß der
Therapie, Latenz der Spasmophilie) hat gar keinen Einfluß auf die Prognose der
späteren Entwickelung. Über das Entstehen der Epilepsie aus den Säuglings¬
eklampsien geben die Beobachtungen des Vortr. keinen Aufschluß, da die Kinder
noch nicht bis in das Alter verfolgt wurden, das für das Auftreten der Epilepsie
am günstigsten ist. Neuropathische Zustände spielen in der Heredität der Eklampsie
eine große Rolle; Alkoholismus, Tuberkulose und Epilepsie ließen keinen merk¬
lichen Einfluß erkennen.
Herr Escherich (Wien) weist die Hausärzte auf die Aufgabe hin, solche Fälle
zu verfolgen. Eclampsia infantum und Spasmophilie sind für ihn nicht identisch;
das Fazialisphänomen ist bei eklamptischen Kindern selten. Zwischen Tetanie
der Kinder und der Erwachsenen bestehen pathogenetische Beziehungen.
HerrHeubner (Berlin) ist anderer Meinung als Escherich: die meisten Fälle
von Säuglingstetanie sind weder bezüglich der Ätiologie noch bezüglich der Form
mit der Tetanie der Erwachsenen identisch. Die eklamptischen Krämpfe gehören
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doch ganz gewiß zum Bilde der Tetanie oder Spasmophilie. Freilich gibt es
auch Krämpfe anderer Herkunft.
Herr Degenkolb (Roda) glaubt auf Grund seiner Erfahrungen an einen Zu¬
sammenhang zwischen Eklampsie und Epilepsie.
Herr Esc he rieh hat nie daran gedacht, daß Tetanie der Kinder und der
Erwachsenen dieselbe Ätiologie haben, nur ihre Pathogenese ist identisch.
Herr Finkeistein betont, daß man mit dem Wort Spasmophilie einen Dauer¬
zustand bezeichnen will, während „Tetanie“ nur ein Symptom ist. Er bestätigt
die Beobachtungen Thiemichs.
Herr Thiemich: Für die Diagnose der latenten Spasmophilie sind die gal van.
Untersuchungen sehr wichtig. Sie sind eine viel feinere Untersuchungsmethode
als Fazialisphänomen und mechanische Erregbarkeit. Spasmophilie nennt er die
Krankheit deshalb, weil der Name Tetanie zu Verwechslungen führt Die beiden
Begriffe decken sich, wenn man unter „Tetanie“ einen Zustand meßbarer erhöhter
Reizbarkeit versteht Über den Zusammenhang von Epilepsie und Eklampsie
findet man in der Literatur widersprechende Angaben.
Herr v. Pirquet (Wien): Galvanische Untersuchungen im Säuglings¬
alter. Schon Werte unter 5 M.-A. bei der AOZ. beweisen eine nervöse Über¬
erregbarkeit Vortr. untersuchte den Einfluß verschiedener Momente auf die
Erregbarkeit: Medikamente (Brom, Phosphor, Leberthran, Kalcium) zeigten keinen
Einfluß, auch die Entwöhnung von der Brustnahrung nicht Das Gregorsche
Phänomen (Herabsetzung der Erregbarkeit bei Weglassen der Kuhmilch) ist wohl
manchmal vorhanden, aber nicht konstant Nur ein Faktor zeigte einen stets
gleichbleibenden Einfluß: die meteorologischen Verhältnisse. Die Erregbarkeit
sinkt bei Aufenthalt in guter Luft. Von solchen Momenten rührt auch die Häufung
der Tetaniefälle im Frühjahr und Herbst her.
In der Diskussion bemerkt Herr Finkeistein, daß alle Einflüsse, die
schwächend auf den Körper einwirken, die Tätigkeit des Nervensystems so herab¬
setzen, daß alimentäre Faktoren wirksam werden. Er hält an der Lehre Gregors
fest. Wie beim Diabetes, so wird auch bei der Tetanie durch eine unbekannte
Noxe eine Intoleranz gegen einen bestimmten Nahrungsstoff erzeugt, beim Diabetes
gegen Zucker, bei der Tetanie gegen die Kuhmilchmolke. Leberthran und rohe
Milch oder Phosphorleberthran bei Ernährung mit gekochter Milch haben ihm
gute Dienste bei der Behandlung der Tetanie getan.
Herr v. Pirquet hat bei Injektion von Kuhmilchmolke keine Erscheinungen
gesehen, die für ihre Wirksamkeit sprechen.
V. Vermischtes.
Ein internationaler Kurs für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie
findet an der Universität Gießen von Montag, den 15. bis Sonnabend, den 20. April 1907
in der Klinik für psychische und nervöse Krankheiten (Frankfurterstraße 99) statt. Der¬
selbe ist in erster Linie für Juristen und Arzte bestimmt, die mit psychiatrischen Gut¬
achten zu tun haben, sodann auch für Beamte an Straf-, Besserungs- und Erziehungs¬
anstalten, besonders im Hinblick auf angeborene geistige Abnormitäten, ferner für Polizei¬
beamte, die öfter mit geistig Abormen zu tun haben.
Als Vortragende sind außer dem Unterzeichneten beteiligt: Prof. Dr. Aschaffen bürg
(Köln a/Rh.), Privatdozent Dr. Dannemann (Gießen) und Prof. Dr. Mittermaier (Gießen).
Als Themata sind in Aussicht genommen: l. Die Formen der Kriminalität bei den
verschiedenen Arten von Geistesstörung. (Dannemann.) — 2. Der angeborene Schwach¬
sinn in bezug auf Kriminalität und Psychiatrie. (Dannemann.) — 3. Die angeborenen
psychischen Abnormitäten in bezug auf die Lehre vom geborenen Verbrecher unter Be¬
rücksichtigung der morphologischen Abnormitäten. (Sommer.) — 4. Die Epilepsie als
Moment der Kriminalität und Psychopathologie. (Sommer.; — 5. Die hysterischen (psycho¬
genen) Störungen vom klinischen und forensischen Standpunkt. (Sommer) — 6. Simu¬
lation von Geistesstörung. (Dannemann.) — 7. Der Alkoholismus als Quelle der Krimi-
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nalität und Geistesstörung. Die psycho - physiologischen Wirkungen des Alkohols, die
klinischen Formen des Alkoholismus, die strafrechtliche und soziale Seite desselben.
(Aschaffenburg.) — 8. Die Technik der Gutachten. (Achaffenburg.) — 9. Die ver¬
schiedenen Formen der Kriminalität. (Aschaffenburg,) — 10. Die Bedeutung von Anlage
und Milieu für die Kriminalität. (Aschaffenbürg.) — 11. Die verschiedenen Strafrechts¬
theorien. (Mittermaier.) — 12. Determinismus und Strafe. (Mittermaier.) — 13. Die
psychologischen Momente im Zivil- und Strafprozeß. (Mittermaier) — 14. Die straf¬
rechtliche Untersuchung vom psychologischen Standpunkt. (Mittermaier.) — 15. Psycho¬
logie der Aussage. (Sommer.) — 16. Psychologie und Psychopathologie des Polizeiwesen.
(Dannemann.)
Stundenverteilung: Früh 9—10 Uhr Dannemann; 10—11 Sommer; 11—12
Aschaffen bürg; 12—1 Uhr Mittermaier. Um 11 Uhr Pause.
Nachmittag von 4—7 Uhr finden Demonstrationen (Kurven, Bilder, Schädel usw.),
wenn möglich auch Besprechungen bestimmter Fälle statt, an einigen Tagen Besichtigungen
der Klinik, einer Irren- und einer Strafanstalt Einige Stunden sollen auf freie Diskussion
verwendet werden, wobei die deutsche, französische und englische Sprache zulässig ist
Die Begrüßung findet am Sonntag, den 14. April, abends 7*9 Uhr, im Hötel Gro߬
herzog von Hessen (Bahnhofstrafie) statt.
Teilnehmerkarten zu 20 Mk. bei dem Begrtißungsabend oder in der Klinik.
Anmeldungen am besten vor Ende Februar 1907.
Prof. Dr. Sommer (Gießen).
Klinik für psychische und nervöse Krankheiten.
Die nächste Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie wird am
26. u. 27. April 1907 in Frankfurt a/M. und Gießen stattfinden. — Es sind folgende Referate
vorgesehen: I. Die Gruppierung der Epilepsie. Ref.: Alzheimer (München) und
Vogt (Langenhagen). II. Der ärztliche Nachwuchs für psychiatrische An¬
stalten. Ref.: Siemens (Lauenburg). III. Die Mitwirkung des Psychiaters bei
der Fürsorgeerziehung. Ref.: Kluge (Potsdam) (im Auftrag der Kommission für
Idiotenforschung und Idiotenfürsorge). — An Vorträgen sind bisher angemeldet:
1. Hübner (Bonn): Über Geistesstörungen im Greisenalter. — 2. Sioli (Frankfurt a/M.):
Die Beobachtungsabteilung für Jugendliche bei der städtischen Irrenanstalt zu Frank¬
furt a/M. — 3. Geelvink (Frankfurt a/M.): Die Grundlagen der Trunksucht.— 4. Knapp
(Halle): Körperliche Erscheinungen bei funktionellen Psychosen. — 5. E. Meyer (Königs¬
berg): Untersuchungen des Nervensystems Syphilitischer. — 6. H. Liepmann (Berlin):
Beiträge zur Aphasie und Apraxie-Lehre. — Weitere Anmeldungen werden erbeten an
Sanitätsrat Dr. Hans Laehr in Zehlendorf-Wannseebahn, Schweizerhof.
VI. Personalien.
Am 9. d. M. starb zu Leipzig Dr. Paul Möbius im noch nicht ganz vollendeten
54. Lebensjahre. Den Lesern dieses Centralblattes ist seine ungemein ausgedehnte wissen¬
schaftliche Tätigkeit bekannt. Möbius war bei reichem Wissen ein origineller Kopf, er
ging seine eigenen Wege und kam dadurch vielfach mit seinen Anschauungen in Konflikt
mit anderen. Bestechend wirkte in seinen Schriften die fesselnde Art der Darstellung.
Hervorgehoben sei an dieser Stelle noch seine Tätigkeit für die Schaffung von Heilstätten
für unbemittelte Nervenkranke, welche im Jahre 1896 mit seiner Schrift: „Die Behandlung
von Nervenkranken und die Errichtung von Nervenheilstätten“ inauguriert wurde. M..
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Veit & Comp, in I^eipzig. — Druck von Metzger 4 Wittiq in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurf Mendel)
Seehsundzwanzigster " B * rUn Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt ron der Verlagsbuchhandlung.
1907. 1. Februar. Nr. 3.
Inhalt.. I. Originalmitteillingen. 1. Zur Frage der Hysterie bei Tieren, von Prof.
H. Dexler. 2. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer Neugeborener, von Otto Ranke
in Wiesloch. 3. Zur Wahrung meiner Priorität in Sachen der Kontinuitätslehre des Central¬
nerven Systems, von Prof. B. Haller in Heidelberg. 4. Zur Funktion der Schweißsekretion,
von Prof. Dr. A. Adamkiewicz.
II. Referate. Anatomie. 1. Zur Anatomie der Übergangswindungen, von Zucker-
kamt!. 2. Über die Veränderung der Medulla oblongata nach einseitiger Zerstörung des
Strickkörpers, nebst einem Beitrag zur Anatomie des Seitenstrangkernes, von Yagita. —
Physiologie. 3. Further experiments in the development of peripheral nerves, by Harrison.
4. Beiträge zur Physiologie und Pathologie der kontralateralen Mitbewegungen, von Cursch-
mann. — Pathologische Anatomie. 5. A case of one cerebral hemisphere supplying
both sides of the boay, by 6rills. — Pathologie des Nervensystems. 6. Über das
Gewicht des menschlichen Kleinhirns im gesunden und kranken Zustande, von Refchardt.
7. Sur quelques points controversös de la physiologie du cervelet. Contributiou experimen¬
tale, par Patrizi. 8. Entwicklungsstörungen in Kleinhirn, Pons, Medulla oblongata und
Halsmark bei Spina bifida, von Schwalbe und Gradig. 9. Zur Kenntnis der Kleinhirnsklerose,
von Schweiger. 10. Über die histologischen Veränderungen der Kleinhirnrinde bei ver¬
schiedenen Nerven-und Geisteskrankheiten, von Tafcasu. 11. La paralysie des mouvements
assoeies de lateralite des yeux dans les affections du cervelet, des tubercules quadrijumeaux
et de la protubörance, par Gaussei. 12. Sarcoma of the cerebellum; sarcomatous Infiltration
of the spiual pia, by Dercum. 13. A contribntion to the study of cerebellar tumors and
their treatment, by Putnam and Waterman. 14. Über Kleinhirntumoren, von Kohts. 15. Hemi-
agenäsie ceröbelleuse; agenesie partielle du corps calleux et du lobe limbique; anomalies
des circonvolutions cerebrales, par Bonne. 16. Contributo allo studio clinico delT atassia
cerebellare, per Abruzzetti. 17. Ataxia in Childhood, by Batten. 18 Die infantile cerebrale
Hemiplegie, von Fränkel. 19. Über halbseitige Gehirnatrophie bei einem Idioten mit cere¬
braler Kinderlähmung, von Ktfppen. 20. Uber die Bewegungsstörungen der infantilen
cerebralen Hemiplegie und über die Athetose double, von Lewandowsky. 21. Ipertrofia com-
pensatoria in un caso di cerebroplegia infantile, per Ugolotti. 22. Die orthopädische und
chirurgische Behandlung der infantilen cerebralen Lähmungen, von Horväth. 23. Sehnen-
übeqjfianzung und Sehnenplastik bei Muskellähmung und Kontrakturen, von Hevesi. —
Psychiatrie. 24. I. Über Geisteskrankheiten, entstanden im Anschluß an die politischen
Ereignisse in Rußland, von Rybakow. II. Über den Einfluß der politischen Ereignisse auf
die Entstehung geistiger Erkrankungen, von Skljar. 25. Dementia praecox in France with
some references to the frequency of this diagnosis in America, by Farrar. — Forensische
Psychiatrie. 26. Vergleich von Verbrechen und Homosexualität, von Näcke.
III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — Ärztlicher Verein in Hamburg.
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I. Originalmitteilungen.
[Ans dem tierärztlichen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag.]
1. Zur Frage der Hysterie bei Tieren.
Von Prof. H. Dexler.
Es ist ein naheliegender Gedanke, unter den Beobachtungen der bei den Tieren
vorkommenden Neurosen und Psychosen nach Material für die Analyse gewisser
menschlicher Geistes- und Nervenkrankheiten zu suchen. Tatsächlich finden wir
trotz der großen Spärlichkeit verwendbaren Materials in der neurologischen
Literatur wiederholt Mitteilungen, die von derartigen Betrachtungen ausgehen
und auch zu Versuchen einer Systematisierung der bezüglichen Krankheiten geführt
haben, wie mir solche z.B. von den Psychiatern Nasse(I) und Laüder Lindsay (2)
zugänglich gewesen sind. Die veterinär-medizinischen Autoren haben sich dieser
Forschungsrichtung, namentlich was die Psychosen anbelangt, nur wenig an¬
geschlossen. ln den gebräuchlichen Handbüchern der Pathologie und Therapie,
sowie auch in der periodischen Literatur finden wir nur kurze Andeutungen
hierüber; die Aufstellung eines Schemas hat Vogel (3) unternommen und 1865,
wie ich Zübn(4) entnehme, auch Gleisbeeg, ohne jedoch eine Gefolgschaft
finden zu können. Den meisten dieser Arbeiten fehlt die Gewinnung jener
Gesichtspunkte, die sich aus den Beziehungen zu den gleichnamigen Krankheiten
des Menschen erwarten ließen, wodurch sie eines allgemeineren Interesses er¬
mangeln und zur zusammenhanglosen Kasuistik werden. Ferner teilen die
tierischen Psychosen und Neurosen mit den analogen menschlichen Krankheiten
vielfach die düstere Prognose, wodurch ein Anlaß zu ihrem genaueren Studium
noch mehr in Wegfall kommt. Wie die Durchsicht der einschlägigen Literatur
ferner ergibt, nimmt die Literatur beider verwandter Wissenszweige viel zu
wenig Rücksicht auf die normale Psychologie der Tiere; auch vermißt man eine
gegenseitige engere Berührung. Die veterinäre Literatur ist den Wandlungen
und Fortschritten der Psychiatrie und Neurologie zu langsam gefolgt und den
Nervenärzten ist das angesammelte Beobachtungsmaterial vielfach unbekannt
geblieben; insbesondere betrifft das die Kenntnis der Klinik der tierischen
Nervenkrankheiten, die dem Psychiater aus eigenen Beobachtungen wohl kaum
zu Gebote stehen dürfte. Daher finden wir auf der einen Seite häufig eine zu
geringe Rücksichtnahme der führenden Lehren der humanen Medizin und eine
sehr gewöhnliche Verwechslung von Identitäten und äußeren Ähnlichkeiten,
wogegen auf der anderen Seite oft eine Vielgestaltigkeit und weitgehende
Homologien angenommen werden, wo solche nicht bestehen und auch von der
künftigen Forschung kaum erhofft werden können. Da sich aber das Wesen
mancher dieser Krankheiten nur durch fortwährende Vergleiche richtig erfassen
oder wenigstens in manchen Punkten genauer analysieren läßt, müssen wir uns
bei Erörterungen über tierische Psychosen in allen unseren Schlüssen und Aus-
* sagen solange eine doppelte Zurückhaltung auferlegen, ehe nicht durch neue
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Beobachtungen und moderne Unteruchungsmethoden die berührten Kardinalfehler
nach Tunlichkeit ausgeschaltet worden sind.
Ich habe mich seit vielen Jahren bemüht, durch Heranziehung konkreter
Typen aus der Klasse der Nervenkrankheiten der Haustiere und ihre Be¬
arbeitung im Lichte der modernen Neurologie einen Beitrag zu geben, der zur
Aufklärung derartiger Differenzen möglicherweise dienen könnte. Hinsichtlich
der Epilepsie bin ich dadurch zur Anschauung gebracht worden, daß sie bei
den Tieren noch enger an die akuten Infektionskrankheiten gebunden ist wie
beim Menschen, daß sie fast nur symptomatisch oder sekundär und sich am
häufigsten beim Hunde auf dem Boden der Staupe entwickelt; bei Staupe-immunen
Tieren ist sie ungleich seltener und ebenfalls kaum genuin, trotzdem ich zugebe,
daß die anatomische und auch die histologische Untersuchung auch einmal
bei epileptischen Tieren im Stiche lassen mag, so lange uns keine anderen
Präparationsmethoden zur Verfügung stehen wie die jetzt bekannten. Äbnlioh
verhalte ich mich der sogen. Chorea der Hunde gegenüber (5).
Hinsichtlich der tierischen Psychosen bin ich zu einer noch größeren Ein¬
schränkung gekommen. Theoretisch zwar existenzberechtigt, sind echte Psychosen
bei den höheren Tieren gewiß sehr selten, und ihre Erforschung bleibt noch
der genaueren Bearbeitung Vorbehalten. Das meiste, was uns unter diesem
Titel bisher vorgeführt worden ist, kann uns nicht zur Annahme einer rein
funktionellen Hirnerkrankung besonderer Art im Sinne Weenicke’s zwingen. In
fast allen Fällen handelt es sich um sekundäre psychotische Erscheinungen, wie
wir sie bei der Lyssa, Hirnparasiten, Hirntumoren, Encephalitiden, Entwicklungs¬
störungen usw. seit langem kennen. Meistens treten sie dem somatischen Er¬
scheinungskomplex gegenüber so weit zurück, daß wir kaum oder nur höchst
selten einen Grund haben, eine Psychosis e cerebropatbia circumscripta an¬
zunehmen. Die Staupe der Hunde gibt auch hier wieder einen höchst wichtigen
ätiologischen Faktor ab, der leicht zu Störungen der Bewußtseinstätigkeit führen
kann. Es kann uns aber auch die disseminierte Staupeencephalitis mit dem sie
oft begleitenden Verblödungsprozesse kein Anlaß sein, unsere Stellungnahme in
dieser Frage zu ändern (6).
Bei den Tieren nach echten Psychosen zu suchen, wird immer zu sehr
bescheidenen Resultaten führen müssen. Ihre Psyche steht auf einer niedrigeren
Stufe als diejenige des Menschen; an die Widerstandsfähigkeit ihres Nerven-
systemes werden unvergleichlich geringere Anforderungen gestellt, es kann nie¬
mals durch den Daseinskampf so erschüttert werden, wie das dort der Fall ist,
und endlich ergibt die Unmöglichkeit, gewisse psychische Störungen ohne sub¬
jektive Äußerung zu erkennen, einen weiteren Grund gegen zu weit getriebene
Analogisierungen. ..
Trotz zahlreicher.Ergänzungen'..unü Wandlungen erfreut sich auch heute
noch die Lehre Daäwim’s. einer fast allgemeinen.Anerkennung, wonach die uns
sichtbaren Handlungen der Tiere‘dutch Instinkte', im- weitesten Maße beherrscht
werden. Ziegler (7) sieht in den Instinkten das Bindeglied zwischen der
menschlichen und tierischen Psyche, läßt aber die Handlungsweise der Tiere
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größtenteils durch Instinkte und Reflexe bestimmen. Die Assoziationen befinden
sich dagegen noch auf der untersten Stufe. Zwischen der bei vielen Tieren
vorhandenen Lautverständigung und dem, was man unter menschlicher Sprache
versteht, ist ein so weiter Unterschied, daß wir den Tieren eine eigentliche
Sprache und die dazu gehörige Vorstellungswelt abstrakter Begriffe, die den
größten Teil unserer Psyche ausmacht, kaum zuerbennen können. Die Art und
den Umfang der Bewußtseinstätigkeit selbstverständlich an die Entwicklung
des Großhirn gebunden erachtend, kommen wir materiell zu den gleichen
Schlüssen. Der Mangel weiter differenzierter Assoziationen ist, wie uns die
komparative Anatomie lehrt, schon im Baue des Tierhirnes festgehalten, das,
bei sonst ähnlicher Gliederung der übrigen Gehirnteile, über ein so mächtiges
Organ, wie es uns in Gestalt der menschlichen Assoziationssysteme entgegentritt,
nicht verfügt, jene Strukturen, die ein Specificum höher organisierter Gehirne
sind und die wir sowohl mit den geistigen Leistungen in eine Parallele stellen,
als auch als Sitz der Geisteskrankheiten auffassen dürfen. Die Basalganglien,
Projektionssysteme und -felder stehen bei den Tieren proportional viel weniger
zurück; einzelne können sogar eine beträchtlich stärkere Entwicklung zeigen
als beim Menschen, wie z. B. im Riechhirn der makrosmatischen Säuger, oder
die Sehlappen der Vögel, was uns mit größter Wahrscheinlichkeit auch eine
Qualitätsänderung der Bewußtseinstätigkeit vermuten läßt. Das Tierhirn ist
daher nicht ein „teilweises“, wie Fbiedbeioh will, nicht ein reduziertes Menschen*
hirn, sondern ein kleineres Hirn mit wesentlich anderer Verteilung seiner
Elementarorgane. Bei der anerkannten Zuordnung gewisser höherer Lebens¬
äußerungen und psychischer Reaktionen zu einzelnen Abschnitten des Gehirnes
wird auch auf eine andere Gruppierung dieser Funktionen geschlossen werden
müssen. Es wird sich also unter normalen wie auch unter pathologischen Um¬
ständen ein mehr oder minder großer qualitativer Unterschied zwischen der
Psyche des Menschen und derjenigen der Tiere herausstellen müssen, der auch
tatsächlich besteht Gröbere Läsionen der Projektionssysteme können häufig
zugleioh auch die Assoziationssysteme treffen, beim Menschen öfters und
intensiver, beim Tiere, wegen der Rudimentarität der letzteren, weit weniger;
daraus folgt, daß psychische Störungen beim Menschen als Begleiterscheinungen
solcher Destruktionen gewöhnlich und hochgradig, beim Tiere seltener und oft
kaum palpabel sein werden — ein theoretischer Schluß, der durch die praktischen
Beobachtungen völlig gedeckt wird.
Abgesehen davon, daß ein einfach gebauter Organismus weniger von
Fährlicbkeiten bedroht ist als ein komplizierter, fehlen beim Tiere viele Ur¬
sachen, die beim Menschen pathogen wirken, wie Alkohol, Lues, Surmenage usw.
und viele Infektionskiaqliheiten. .Diesbezüglich , kommen beim Tiere nur das
Virus der Lyssa, der*Hundestaupe, *:öyeatueli noch, der Dourine und die
Domestikation in Betracht. ** ... ,
; .. .*•*.■* i ---■
Nicht zuletzt sei -a^dh -noclj ß#t‘. eogeu'- Gr^nzen unserer Diagnostik ge¬
dacht. Wir sprechen von bewußten und unbewußten Handlungen der Tiere,
wir definieren gewöhnlich die Stetigkeit des Pferdes als vorsätzliche, bewußte
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oder auf Eigenwillen beruhende Widersetzlichkeit gegen angemessene Dienst¬
leistungen, wir diskutieren über Geistes- und Bewußtseinstörungen, obwohl wir
beim Tiere ebensowenig wie beim Neugeborenen wissen, welche Handlungen
mit und welche ohne Bewußtsein ausgeführt worden sind. Es gibt beim Tiere
kein exaktes Reagens für bewußt und unbewußt (Ziegleb) und die moderne
Tierpsychologie sucht sich eines solohes Nachweises immer mehr zu entledigen
(Buttel-Reepen [8]). Selbst bei Menschen ist vielfach ein Aufschluß über
gewisse psychische Vorgänge erst durch die Sprache erhältlich, wie sich aus
demselben Grunde sehr viele Störungen der Bewußtseinstätigkeit nur aus den
sprachlichen Äußerungen erkennen oder beurteilen lassen. Vor der Erforschung
der centralen Sprachbahnen durch Webnicke hat man worttaube Menschen für
dement gehalten, während wir heute wissen, es mit einem Herdsymptome des
Schäfenlappens zu tun zu haben; Munk (9) hat schon vor 20 Jahren auf die Ver¬
wechslung von Seelenblindheit und Seelentaubheit des Hundes mit dem hin¬
gewiesen, was wir „oberflächlich“ Blödsinn nennen und ich selbst (6) konnte bei
den Untersuchungen der Staupeencephalitis zeigen, daß der sogen. Blödsinn des
Hundes keine echte Dementia ist; es handelt sich dabei vielmehr um mancherlei
psychomotorische Störungen oder Herdsymptome, bei gleichzeitiger Einengung
des Sensorium8, um eine symptomatische, sekundäre Demenz.
Methodologisch ist ferner interessant, daß dem Untersucher psychischer
Anomalien der Tiere sehr oft positive Erkennungsmerkmale gar nicht zur Hand
sind; er muß vielfach nach negativen Momenten suchen und Exklusious*
diagnostik treiben. Er erkennt ein Pferd dann als stetig an, wenn es nicht
zieht, dem Antreiben nicht richtig gehorcht usw. Ausschließungsdiagnosen
können aber naturgemäß immer nur Annäherungswerte geben. Die daraus ent¬
springende Unsicherheit finden wir auch darin praktisch dokumentiert, daß, um
bei dem gewählten Beispiele zu bleiben, forensische Attestierungen stetiger Pferde
heute meist nur sehr ungern und selten oder, nach dem Muster der Wiener
Schule gar nicht mehr vorgenommen werden. Fböhneb(IO) hat in der neuesten
Auflage seines Handbuches die Bewußtseinsklausel in der Begriffsbestimmung
der Stetigkeit bezeichnender Weise weggelassen.
Bei sogen, funktionellen tierischen Neurosen sind wir wohl etwas besser
daran als bei solchen psychotischer Natur, wenn auch da noch zahlreiche Fehler¬
quellen existieren. Wie misslich es mit Perimeteraufnahmen von Kindern und
weniger intelligenten Erwachsenen steht, weiß jeder Augenarzt und die Schwierig¬
keit, ja Unmöglichkeit, Tastsinnstörungen bei Tieren zu umschreiben, wenn sie
nicht totalen Funktionsaufhebungen entspringen, haben zur Schaffung ziemlich
komplizierter Methoden, wie der LANGENDOBFE’schen Blutdruckmessung, oder
der Schusterschen Untersuchungen (25) geführt
Alles, was wir über einen abnormen Zustand bei einem Tiere, wie auch
beim Menschen, ermitteln können, geht uns durch die Beobachtung von Be¬
wegungen zu; es gibt aber auch Störungen jenseits der formalen Bewegung.
Es gibt aber keine Methode, die es gestatten würde, festzustellen, ob bei einem
Tiere eine Handlung zweckmäßig, oder ob sie zweckgemäß im Sinne Liepmann’s
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ist, uDd uns entgeht abermals ein diagnostischer Behelf. Eine brauchbare
Anamnese unterstützt uns in den seltensten Fällen auf unserer Suche nach der
Krankheitsart. Gibt es doch Menschen, und zwar solche auch ohne Intelligenz¬
defekte, die erst im zweiten Dezennium ihres Lebens, oder auch noch später ge¬
legentlich anderweitiger Untersuchungen erfahren, daß sie eine Katarakt, eine
partielle Gesichtsfeldeinschränkung, eine Hypodaktylie usw. haben, wobei doch der
Mensch ungleich länger, intensiver und öfter der ärztlichen Untersuchung aus¬
gesetzt wird wie ein Tier. Dieses wechselt den Besitzer, wird oft nicht von
diesem selbst, sondern von Wärtern betreut und wird, selbst wenn es sich seit
seiner Geburt in der Hand eines Besitzers befand, nur von einem Laien, nicht
aber von einem geschulten Beobachter geprüft. Wenn es daher heißt, der be¬
treffende Hund usw. sei nie krank gewesen, sondern bisher stets gesund oder
normal, so hat das nur sehr bedingten Wert; es wurde nur nichts Krankhaftes
bemerkt.
Die angeführten Differenzen zwischen den Psychosen und Neurosen
des Menschen und der Tiere lassen sich u. a. auch an dem Schulbeispiele der
Epilepsie sehr deutlich demonstrieren. Bei der Epilepsie des Menschen kennt
man eine ganze Reihe von habituellen psychischen Störungen und eigentlichen
epileptischen Geistesstörungen, die, von ungemein seltenen Ausnahmen abgesehen,
jede länger bestehende Epilepsie nach sich zieht Beim Hunde kennt man eben¬
falls postepileptische psychische Alterationen, die uns als Abnahme der Intelligenz
eutgegentreten, oder, exakter ausgedrückt, die der Epilepsie des Hundes ge¬
wöhnlich zugrunde liegende Staupeencephalitis kann auch verblödungsartige Zu¬
stände herbeiführen. Diese psychomotorischen Erscheinungen sind aber ver¬
hältnismäßig selten oder doch so geringgradig, daß sie übersehen werden. Über
derartige Störungen bei der Epilepsie der übrigen staupe-immunen Haustiere weiß
man bisher nichts (Mabek). Beim epileptischen Meerschweinchen endlich
nehmen wir nur die Krämpfe wahr und ich wüßte nicht, wer eine eventuelle
Intelligenzabuahme bei einem so stumpfsinnigen Geschöpfe konstatieren wollte. Bei
ihm erschöpft sich die Definition der Epilepsie mit anfallsweisen Konvulsionen,
eine Charakterisierung, die beim Menschen als viel zu enge erkannt werden
müßte. Ähnliches sehen wir bei der Wut, die beim Menschen einen viel um¬
fangreicheren psychotischen Komplex schafft als beim Hunde oder bei anderen
Haustieren; die somatischen Symptome verlaufen gleich. Dieser Wegfall
oder die Reduktion der psychischen Komplemente des Krankheits¬
bildes gegenüber den somatischen, ist ein wesentliches Differenzmerkmal der
Psychosen und zum Teile auch der Neurosen und Zwischenstufen; es tritt uns
naturgemäß am krassesten bei jenen Krankheiten vor Augen, bei denen die
psychischen Anomalien vorherrschen, also bei den echten Geisteskrankeiten und
den Psychoneurosen. Man nimmt es aber auch bei einfachen Nervenleiden wahr.
Ich verweise nur auf den Unterschied zwischen den gewöhnlich sehr bedeutenden
psychischen Alterationen tauber oder nur schwerhöriger Menschen und der Psyche
jener stocktaub geborenen, pigmentlosen Hunden, die uns oft erst im 2. oder
3. Lebensjahre zur Untersuchung ihres Sinnesdefektes vorgeführt werden. Bis
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dabin haben sie mehr oder weniger normal gegolten, da ihr ganzes Verhalten
sie von vollsinnigen Hunden nicht unterscheiden ließ. Beim Menschen steht der
Gehörsinn mit dem Gemütsleben nicht nur in einem engeren Verhältnis wie die
anderen Sinne, sondern außerdem noch in einem viel innigeren Zusammenhänge
wie beim Hunde; bei letzterem erhält der Geruchsinn die höchste Bedeutung
und bei seinem rudimentären Gemütsleben kommt eine diesbezügliche Ausfalls¬
erscheinung durch Hörstörungen kaum zustande.
Hierher gehören vielleicht auch Vergleiche von Kachektischen oder Phthisikern.
Die Karzmomkachexie des Menschen ist auch bei schmerzfreien Neoplasmen sehr
häufig von sehr beträchtlichen Depressionszuständen begleitet. Ein karzinomkranker
Hund weicht in der Regel bis zu seinem Lebensende kaum von seinem normalen
Gebaren ab. Auch er hat eine Facies hippocratica. In einem weiter vor¬
geschrittenen Rrankheitsstadium sind seine Schläfengruben tief eingesunken, der
Parietalkamm steht weit vor, die Augäpfel sind soweit in die Orbita zurilck-
getreten, daß der Blinzknorpel das Sehloch fast ganz verdeckt. Aber auch hier
ist die Ähnlichkeit nur eine äußerliche; eB fehlt ihm die Krankheitseinsicht, die
Todesfurcht, das Mitleid mit sich selbst und alle jenen entsetzlichen Seelenqualen,
die das Leben mancher Karzinomatösen auch bei relativ geringen somatischen
Anomalien so peinvoll machen. Die gestaltliche Veränderung ist im Gesichte des
Menschen wie des Hundes da; bei ersterem spricht sich das psychische schwere
Leid im Blicke und im Gesichtsausdrucke aus; bei letzterem ist es nicht vor¬
handen und jedenfalls nicht in uns lesbarer Weise; seiner Facies hippocratica
mangelt also die innere Bedeutung des Begriffes.
Ein Hund kann keine volle Hysterie haben oder eine Paranoia, ebenso¬
wenig wie etwa ein Idiot, dessen Seelenleben von den Psychiatern herkömmlicher¬
weise als auf einer „tierähnlichen“ Stufe stehend charakterisiert wird. Beide
können keine systematisierten, progredienten Wahnideen, überhaupt keine auto-
psychische Tätigkeit höherer Art produzieren, weil sich das Gehirn bei dem
einen noch nicht zur Bildung höherer Vorstellungs- und Assoziationskomplexe
empordifferenziert hat und bei dem anderen die normale psychische Entwicklung
durch einen angeborenen Defektzustand aufgehalten wurde. Es verrät sich hier
ein ähnlicher Parallelismus wie in der anatomischen Charakteristik des tierischen
und des menschlichen Gehirnes.
Ich habe bei diesen einleitenden Bemerkungen etwas länger verweilt, weil
sie als Ergänzung meiner früher publizierten Auseinandersetzungen über die
tierischen Psychosen dienen sollen, und ferner weil ich mich damit in einen
klar umschriebenen Widerspruch mit Lindsay setzen möchte, dessen von
anthropomorphistischen Behauptungen getragene Essays über das gleiche Thema
nicht übergangen werden können.
Im übrigen wird man auch bei sehr vielen moderneren Arbeiten eine
ähnliche Färbung vertreten finden und die in obigen Sätzen bemängelte zu
geringe Rücksichtnahme auf die normale Psychologie und auf unsere eng¬
begrenzte Diagnostik bewirkten notwendigerweise Fehlschlüsse, die den hierher¬
gehörigen Publikationen im bunten Wechsel anhaften. Sie auszumerzen, kann
nicht durch allgemeine Erklärungen und Gegenfragen versucht werden, sondern
nur durch das Aufsuchen aller konkreteu Fälle, sowohl in der Literatur wie auch
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im Leben und durch ihre genaueste Analyse von den besprochenen Gesichts¬
punkten aus. Es ist das gewiß eine ebenso mühsame wie undankbare Aufgabe,
die aber meines Erachtens nach nicht umgangen werden kann, wenn dem in
der Einleitung erwähnten Zwecke gedient werden soll. Es ist eine solche
Methode in einem Wissenszweige nicht zu vermeiden, bei dem, wie in der
normalen und pathologischen Psychologie, das frische, zweifelbefreiende Experiment
so wenig anwendbar ist und bei dem, man mag die Sache wenden und drehen
wie man will, vorläufig noch so vieles von persönlichen Definitionen, von der
subjektiven Beeinflussung des Beobachters abhängt und auf Glauben und Un¬
glauben ankommt.
Soviel zur Kennzeichnung meiner reservierten Stellung, die ich mit FAnfi(12)
teile und der sich auch Näcke(13) und neuestens auch Hutyba-Mabek (14)
angeschlossen haben.
Damit komme ich auf den Hauptpunkt meiner Besprechung, auf die Frage
nach der Hysterie der Tiere, die durch die neueste Publikation Mainzers (15)
aktuell geworden ist. Es ist dies meines Wissens die erste Arbeit über dieses
Thema, die so viel Objektivität und Genauigkeit aufweist, daß man über sie in
eine ersprießliche Diskussion eintreten kann. An der Hand von drei von ihm
selbst beobachteten Fällen kommt Mainzer zu dem Schlüsse, daß wir wohl oder
übel das Vorkommen hysterischer Symptome bei den Tieren zugeben müssen,
wenn auch recht tiefe Unterschiede zwischen den gewöhnlichen Hysterien und
diesen bestehen. Wenn ich auf seine wichtige Publikation des Ausführlichen
zurückkomme, so geschieht dies weniger, um die erfreuliche Beipflichtung meines
Standpunktes zu konstatieren, sondern um womöglich einige Abstriche zu machen,
die bei diesem Gegenstände kaum zu umgehen sein dürften.
Neben seinen eigenen Fällen beruft sich Mainzer nach dem Vorgänge von
Higier auf die drei von Gilles de la Todrette (16) zitierten Fälle und zwei
von Higier beschriebene. Er übergeht aber die von Gibotti, Flahaüt,
Rübticüs und Thirion, die allerdings ebensowenig beweisen wie diejenigen
Hiqier’s, worüber ich mich an anderer Stelle (6) schon geäußert habe. Die
kategorische Behauptung Higier’s, daß ein samt dem Käfig von der Mauer
fallender Kanarienvogel sich körperlich nicht verletzt, soudera nur einen
psychischen Shock erlitten hätte, kann als gegenstandslos übergangen werden, da
auch solche Behauptungen sich nicht zur Macht einer Argumentation erheben
können. Daß weiter eine tief in den Rücken gebissene Katze paretisch werden
und dann plötzlich geheilt erscheinen kann, wird niemand Wunder nehmen,
dem die klinische Propädeutik der Haustierkrankheiten geläufig ist.
Befragen wir zunächst unsere modernen Kliniker, denen die Psychoneurosen
durchaus nicht so weit abliegen, wie der Autor voraussetzt und ihre in den
gangbaren Lehrbüchern niedergelegten Anschauungen, so haben wir allen Grund,
an unserer Skepsis festzuhalten. Prof. Fröhner(17) 1 glaubt wohl bei Hunden
schon hysteroide Symptome gesehen zu haben und hat auch bei diesem Tiere
1 Briefliche Mitteilung.
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einen Fall von Katalepsie (16) beschrieben, jedoch bisher noch keinen Anlaß
genommen, in seinem Lehrbnche dem Begriffe der Hysterie näher zu treten.
Ähnlich verhalten sich CadEac (18), Hütyra-Mabek und vor ihnen Diekeb-
hofp, Schneidemühl, Geblach, Röll und die älteren Autoren. Schneide¬
mühl (19), der speziell die bei Mensch und Tier vorkommenden Nervenkrank¬
heiten behandelt und sogar noch das, schon zu seiner Zeit bezweifelte gemeinsame
Vorkommen der Tabes vermutet, nennt die Hysterie nicht. Die periodische
Literatur enthält nur die oben angeführte Kasuistik. Die Häufigkeit des Vor¬
kommens ist also sicherlich nicht größer, als Mainzeb nach den ihm bekannt
gewordenen Veröffentlichungen anzunehmen geneigt ist. Wäre dem nicht so
und kämen solche Fälle nur einigermaßen gehäuft vor, so würden sie ihrer
Darstellung wohl kaum entgangen sein, wenn man nicht annehmen will, daß
alle diese Kliniker bei ihrem nach vielen Tausenden zählenden Krankenmateriale
sie außer acht gelassen haben, eine Annahme, die ich nicht vertreten möchte.
Auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifend, habe ich während meiner Tätig¬
keit an der Wiener Schule unter einem Krankenmateriale von 6 bis 7000 Hunden
nicht einen einzigen Fall gesehen, den ich als Hysterie hätte deuten können,
obwohl ich unter dem Einflüsse meines Lehrers Obebstbineb und seiner Schule
unausgesetzt nach Nervenfällen gesucht habe. Auch ist mir in den letzten
Jahren bei einem allerdings weit kleinerem Materiale nie derartiges unter-
gekommeu, trotzdem mich die anamnestischen Angaben wiederholt zwangen,
nach dieser Richtung besonders achtsam zu sein. Mit dem Sexualleben zu¬
sammenhängende ephemere Phänomene bei Hunden und das Brutgeschäft un-
begatteter, lange in Gefangenschaft gehaltener exotischer Vögel usw. boten meist
Anlaß dazu; Hysterie war aber dabei nie zu konstatieren.
In meinen Aufzeichnungen befindet eich die Krankheitsgeschiche eines
16 Monate alten Foxterriera, der angeblich stets gesund war und von 2 Anfällen
heimgesucht wurde, die sich in einer allgemeinen Muskelstarre von 30 bis
90 Sekunden Dauer äußerten. Das Tier blieb ohne sichtliche äußere Veranlassung
stehen, hob den linken Hinterfuß bei weiten, starren Pupillen, Anrufen un¬
zugänglich. Erst 1 Jahr später, nachdem Bich niemals eine Störung mehr eruieren
ließ, wurde mir entgegen der Anamnese von dem Züchter versichert, daß das
Tier eine schwere Staupe durcbgemacht habe und epileptisch geworden sei. Die
typischen Konvulsionen hörten nach 3 Monaten auf und der Hund wurde verkauft.
Die Annahme von petit mal wäre unfraglich eher vertreten gewesen als die eines
hysteroiden Zustandes.
Nun zu den MAiNZEB’schen Fällen selbst Den 3. Fall seines Materiales
schaltet er spontan mit den Worten aus: „ist wegen ungenügender Beobachtung
nicht sicher zu deuten und hat viel Ähnlichkeit mit der Schreckstarre hypnotischer
Tiere.“ 1 Seine Resümierungen beziehen sich auf die beiden anderen Fälle und
sind ebenso exakt wie reserviert gehalten.
Im ersten Fall handelt es sich um einen Hund, der einen Beckenbruch durch
Hufschlag, dann einen Bruch des rechten Vorderbeines erlitten und außerdem
1 In einem gewissen Widerspruche hierzu steht
daß alle 3 Fälle noch hysterisch zu nennen sind
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gle
auf der früheren Seite der Passus,
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2 mal von Radfahrern überrannt worden war. Eines Tages versuchte er eine
steile, mit leichtem Geröll und kleinen Steinen bedeckte Böschung zu erklimmen,
wobei ihn der abrutschende Schutt immer wieder nach unten riß. Plötzlich sank
er um und zog in der Seitenlage das rechte Hinterbein kräftig zusammen. Daun
kontrahierte sich die Muskulatur des linken Hinterbeines; hierauf Strecktonus
beider Vorderbeine und OpisthotonuB. Nach 2 Minuten Rückgang der Krämpfe;
nur das Hinterteil blieb paretisch; erst nach 5 Monaten lief der Hund wie
früher. Tod an Vergiftung nach einem Jahre. Die Gehirnsektion erwies die
Intaktheit dieses Organes. Ein Krampfanfall bei einer organischen Hirnerkrankung
war ausgeschlossen.
Beim Menschen würde Mainzeb unbedenklich Hysterie diagnostiziert haben,
wenn, wie ich hinzufügen möchte, dieser angegeben hätte, daß er sich bei der
anstrengenden Bewegung durch ein mitunterlaufenes Trauma, eine Zerrung an
einer beliebigen Körperregion oder eine schmerzhafte Sensation von seiten der
vielen, wenn auch schon verheilten Brüche zugezogeu hätte, die schwer genug
waren, ein durch 1 / a Jahr dauerndes Hinken zu erzeugen. Ein Krampf von
seite des Gehirnes ist vielleicht gar nicht anzunehmen, war aber nicht beweisend
ausgeschlossen; wenigstens sind Hinweise auf eine genaue Hirnuntersuchung
nicht erbracht. Makroskopische Untersuchungen encephalitischer Hunde (und auch
anderer Tiere) sind nach dieser Richtung sehr gewöhnlich ganz erfolglos, worüber
ich wiederholt berichtet habe ([20], 1. c.). Der Vergiftuugstod ist ebenfalls nicht
genauer berücksichtigt. Wurde das Tier absichtlich vergiftet, um seiner los zu
werden, oder starb es an einer accidenteilen, nur vermuteten Vergiftung, die
wir in der Anamnese kranker Hunde so oft angegeben finden? In prinzipiell so
strittigen Fällen genügt der einfache Hinweis auf den negativen Gehirnbefund
keinesfalls. Er kann nicht mit einigen Worten abgetan werden, weil auf ihn
das Schwergewicht der ganzen Untersuchung liegt; er muß unbedingt in extenso
ausgeführt werden, damit man seine Negativität nicht glauben, sondern selbst
ersehen kann. Insolange das nicht geschehen ist, kann ich den Fall unmöglich
als Hysterie auffassen.
Der zweite Fall entspricht den diagnostischen Anforderungen weit besser. Er
betrifft einen Hund hoher Rasse, noch nicht 1 Jahr alt. Das angeblich bisher
gesund gewesene Tier erkrankte an unvermittelt einsetzenden, mit Bewußtseins¬
einengungen verbundenen, konvulsivischen Krämpfen, wenn es auf ein bestimmes,
freies Feld gebracht wurde, wenn es sich im Straßengewühl oder in einem Korn¬
feld verlor. Nach einem halben Jahre soll der Zustand verschwunden sein.
Ein Zweifel an der Art der Anfalle scheint dem Beobachter nicht zu be¬
stehen, wenn er auch im Resum6 wörtlich zugibt, daß auch hier die Vor¬
sicht noch mehr beschränkende Macht ist als sonst, weil es mit unserer
Kenntnis der Gesamtmimik der Tiere noch schlechter bestellt ist, als mit deren
Ausdrucksfahigkeit und weil die Schlußfolgerungen von der Bedingung ab-
hängen, wie weit wir nach den Umständen urteilen können. Die überwiegende
Mehrzahl der menschlichen Hysterien hat einen anderen Verlauf; es unterbleibt
beim Tiere „die wesentliche innere Verarbeitung der Anfälle, weil
die Assoziationen zu einfach sind und weil die hysterische Ver¬
anlagung beim Tiere fehlt“. Es genügt überzeugt zu sein, daß, obwohl
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wir die vorgeführten Fälle „wohl noch hysterische“ nennen können, doch recht
tiefe Unterschiede zwischen den gewöhnlichen Hysterien und solchen lvrank-
heitsbildem existieren.
Diese Worte, aus dem Munde eines Nervenarztes wie Mainzer, sind für
die Diagnostik der Tierhysterie von größter Bedeutung und es ist von jedem
künftigen Beobachter dieser Krankheit ihre genaueste Berücksichtigung zu
fordern, ihre Verwendung als diagnostischer Sohlüssel. Ich gehe einen Schritt
weiter und verlange dazu noch die genaue Kenntnis der Klinik der tierischen
Neurosen, die erst nach allen Richtungen hin angewendet werden muß, ehe
man sich auf die Diagnose Hysterie einläßt. Ferner gehört dazu nicht eine
einmalige, sondern eine oft wiederholte und Monate, selbst Jahre dauernde Be¬
obachtung solcher Individuen, um den intervalläreu psychischen Zustand genau
zu studieren und so womöglich jenen Aufschluß über den Seelenzustand der Tiere
zu erfassen, der bei der Hysterie eine so große Rolle spielt Wir werden nicht
zu vergessen haben, daß wir selbst bei der Berücksichtigung aller dieser und
noch anderer Punkte nur zu einer relativen Erkenntnis kommen werden und
der Kobold Hysterie wird, um ein Wort Oppen ueim’s zu gebrauchen, auch den
kundigsten Beobachter noch viel eher täuschen können, als wie dies beim
Menschen der Fall ist
Wie ungemein zahlreich die Fehlerquellen uns von allen Seiten umstellen,
lehrt der in der 2. Krankheitsgeschichte angeführte Satz über die Platzangst
Wie aus vielen anderen Erfahrungen wissen wir auch aus den chirurgischen
Kliniken, daß man den feurigsten Hengst auch ohne Narkose (wie dies früher
die Regel war) kastrieren kann, ohne eine besondere momentane psychische
Reaktion zu erzielen. Die Tiere lassen sich ruhig abreiben und nehmen sogleich
Futter auf, wenn sie solches erhalten können. Ähnlich verhalten sich andere
Tiere bis zu dem Kaninchen Gad’s, das die ihm eben exstirpierte Niere an¬
fraß. Es gibt aber Ausnahmen, die eine gewisse Merkfähigkeit voraussetzen
lassen. So merken sich namentlich Hunde sehr gut derartige Ereignisse und
vermeiden den Ort, wo der schmerzhafte Eingriff erfolgte, wo sie geprügelt oder
gebissen wurden, sehr lange Zeit Ja, manche reißen ihren Wärtern unweigerlich
aus, wenn sie nur in die Nähe der betreffenden Straße oder Örtlichkeit geführt
werden. Es sind das Erinnerungseffekte, die dem psychischen Symptome
der auf einer Zwangsvorstellung beruhenden Agoraphobie äußerlich zwar
ähnlich, dem Wesen nach aber ganz verschieden sind. Da wir ein solches Er¬
eignis bei dem Hunde 2 nicht sicher ausschließen können, dürfen wir ihn auch
nicht agoraphobisch nennen, sondern, wie Mainzer in berechtigter Vorsicht tut,
höchstens agoraphobieähnlich. Ich möchte aber auch das vermieden haben; denn
das Wort erhält in seinem Zusammenhänge mit der Schilderurg des hysterischen
Symptomenkomplexes in gewissem Sinne einen dogmatischen Beiklang, der
unsere Analyse zu trüben vermag und sollte ganz eliminiert werden, da der
Zustand nicht wahrscheinlich und sicherlich nicht beweisbar war.
Ähnliches gilt von dem emotionellen pathogenetischen Moment, das in
allen Fällen als stigmatisierend hervorgehoben wurde.
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Daß beftige Erregungen auch bei Tieren Krämpfe auszulösen vermögen, ist
von vielen Seiten als eine längst bekannte Tatsache hingestellt worden. Ich
zitiere hier nur nach Cad£ac und nach Fböhneb den Ausbruch epileptiformer
Konvulsionen beim Erblicken eines hingeworfenen weißen Tuches, eines plötzlich
auffliegenden Storches, bei Gewehr- und Geschützfeuer, Lokomotivsignalen, Zugs¬
lärm usw. Laposse beschreibt ein Pferd, das jedesmal einen Anfall bekam, wenu
es sich einer bestimmten Brücke näherte, und Bebnabd ein anderes, das ebenfalls
erkrankte, so oft es über eiue bewegliche oder über eine mit polternden Holz¬
bohlen belegte Brücke zu gehen hatte. Ähnlich kann starkes, direktes oder
auch reflektiertes Licht bei disponierten Tieren wirken. Diese Anfälle müssen
keinesfalls immer typisch verlaufen; sie mögen zuweilen vielleicht auch hysterisch
sein; wegeu des Zurückstehens des psychischen Momentes bei tierischen Neurosen
und wegen der größeren Häufigkeit der Epilepsie wird man wohl aber zuerst
das näherliegende, die Epilepsie, annehmen müssen, wie auch das Krankheitsbild
des Hundes des Falles 2 durch vermutliche Bewußtseinsstörungen und das un¬
bekannte Verhalten der Pupillenreaktion nach dieser Richtung hin nicht völlig
abgegrenzt erscheint Man wird also in Zukunft auch der engeren Differenzierung
beider Krampfarten ein erhöhtes Augenmerk zu schenken haben, was um so
schwerer sein wird, als beim Tiere auch das Verhalten der hysterischen Plaques,
der bysterogenen Zonen, Gesichtsfeldeinschränkung usw. noch nicht bekannt ist.
Noch verschlungener gestaltet sich aber der Weg zur Erkenntnis, wenn wir
uns erinnern, daß alle die eben angeführten Beispiele gar keine
emotionelle Grundlage im eigentlichen Sinne des Wortes haben;
es sind durchaus keine Handlungen, die ausgiebige, große, assoziative Verbände
umfassende intrapsychische Tätigkeiten zum Anstoß haben; es sind keine Hand¬
lungen, die dem psychischen Gefühle, der Stimmung, entspringen und daher
gleich den Erscheinungen der Hysterie werden; es sind das nur Reaktionen auf
periphere Reize, die nach Art eines Reflexes ablaufen, im besten Falle vielleicht
somatopsychische genannt werden dürfen. Wie sollten wir auch über solch»
Zustände des tierischen Individuums, die ausschließlich von einer intrapsychischen
oder antopsychischen Quelle ausgehen, Kunde erhalten, von jenen Phänomenen,
die als subjektive, niemals auf das. Objekt bezogene Gemütsvorgänge (Wündt)
klassifiziert werden? Die Stimmungen verraten sich dem äußeren Beobachter
durch nichts oder nur wenn sie in Affekte übergehen; sie aber bei dem Über¬
gewicht des Instinkt- und Trieblebens bei Tieren deuten zu wollen, ist eine
meist sehr mißliche Sache.
Nun bleibt noch ein anderes Hauptmerkmal der Hysterie, die suggestiv¬
motorischen Ercheinungen, die pathologische Steigerung der Suggestibilität zu
betraohten, das indirekt mit der Frage nach der Fähigkeit der Simulation zu¬
sammenhängt; das Vorkommen der letzteren wurde beim Tiere ebenso oft be¬
hauptet wie widerlegt, von niemandem aber noch bewiesen. Mich über die
Suggestion bei Tieren zu äußern, habe ich hier keine Veranlassung, da ich über
diesen Gegenstand schon an einem anderen Orte (20) referiert habe. Wir können
einem Tiere nichts suggerieren, so wenig wie 6ich die Tiere unter einander
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suggestiv beeinflussen können. — wenigstens nicht, wenn wir an der gebräuch¬
lichen Definition der Suggestion festhalten wollen, wie sie Bechterew (21) und
Webkicke gegeben haben. Damit können wir bei den Tieren noch viel weniger
anfangen und wir sind gezwungen, den Hysteriebegriff bei ihnen nicht oder
nur sehr sparsam mit emotiven und suggestiven Attributen auszngestatten.
Geradezu beängstigend unsicher fühlen wir uns aber, wenn wir noch einige
andere Merkmale, die in dem Wesen der Hysterie eine leitende Stellung ein¬
nehmen, wie Denkhemmungen, emotive Hemmungen, Phantasiespiele, psychisches
Trauma, Zwangsvorstellungen usw. unter der Kontrolle der gangbaren Lehren
der Psychologie in das Bild der Tierpsyche einzubauen versuchen.
Wenden wir uns zur Definition der Hysterie selbst, so begegnen wir neuen,
fast nnübersteigbaren Schranken, wenn wir sie dem Tierischen anpassen wollen.
Nach oben hin, gegen das Gebiet der Psychosen, existiert nicht einmal bei dem
Menschen eine scharfe Scheidung und nach unten, gegen dasjenige der
reflektoiden und automatischen Akte, sind wir nur beim Tiere, nicht
aber beim Menschen genauer informiert; es gibt keine scharfe Grenze, die uns
sagen könnte, was noch und was schon Hysterie ist und dieser Mangel bildet
naeh meinem Dafürhalten eine Hauptgrundlage für die Annahme einer Tier-
byaterie; wie man zugeben wird, ein schwaches Fundament.
Fragen wir uns nun, wie das Ergebnis unserer Analyse lauten würde, wenn
wir diese Forderungen, welche die Hysterie charakterisieren, weniger streng
fassen wüden, indem wir eine niedere Psyche, eine ganz primitive Assoziations¬
tätigkeit, Emotionsfahigkeit, Suggestibilität usw. und ein einfaches Symptomen-
bild, ähnich dem epileptischen Petit mal oder der Hysterie der Kinder an¬
nehmen. Namentlich der letztgenannte Punkt wäre von vornherein nicht von
der Hand zu weisen. Bei jungen Kindern ist die Hysterie eine relativ sehr
seltene Erkrankung, die wir meist als Forme fruste oder monosymptomatisch
agnoszieren. Es bestehen nur einzelne Krankheitserscheinungen, oder eine
Kombination solcher Einzelsymptome wie Astasie-Abasie mit Aphasie (Bins-
wangeb, Bruns), eventuell auch Erbrechen, das sich ohne nachweisbare
somatische Ursache einstellt und einer suggestiven Behandlung bereits zu¬
gänglich ist (Fischl); sonst findet sich nichts; vor allem fehlen die hysterischen
Stigmata. Diesen Symptomenausfall führt Bruns (24) auf die größere Einfach¬
heit des kindlichen Seelenlebens und auf die geringere Kompliziertheit seiner
Überlegungen zurück. Mit dem absteigenden Lebensalter wird die Hysterie
immer seltener und das Alter von 3 Jähen wird gewöhnlich als jene Grenze
angenommen, unter welcher die kindliche Psyche nicht imstande ist, hysterische
Manifestationen zu produzieren. Wollen wir auch einem alten erfahrenen Jagd¬
hunde vielleicht einen größeren Besitzstand an einfachen Vorstellungen zugebeu
als einem Säugling, so fehlt doch beiden sicher eine namhafte assoziative Be¬
wußtseinstätigkeit Die menschliche Psyche entwioklungsgeschiohtlich als
Kontinuum der tierischen aufgefaßt, hat das seltene oder das Nichtvorkommen
der Hysterie beim jungen Kinde in gewissem Sinne eine rückschließende Kraft
auf die Art und die Häufigkeit des gleichen Vorkommens bei den Tieren; zum
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mindesten ist darnach eine Seltenheit der Erscheinung vorauszusetzen. Wird sie
dennoch konstatiert, so ist vor allem ihre Dignität zu prüfen. Während beim
Kinde eine geometrisch begrenzte Hypästhesie erst durch unser Wissen von der
Möglichkeit einer krankhaften Vererbung und von der Entwicklung des Leidens
im späteren Leben als hysterisch charakterisiert wird, würden wir zu einer
solchen Auslegung bei dem eventuellen Nachweise eines derartigen Symptomes
bei einem Hunde nicht ohne weiteres berechtigt sein.
Übertragungsversuche vom Menschen auf das Tier begegnen also auch unter
den festgelegten Voraussetzungen ganz ernsten Schwierigkeiten. Die Begriffe
niedere Psyche und Assoziation widersprechen sich in vielen Punkten. Nehmen
wir weiter an, die Suggestibilität hätte beim Tiere nur eine geringe Bedeutung
oder sie fiele ganz weg. Wir können uns nach dem, was wir über dieses Phänomen
durch die Arbeiten von Heubel und Pbbteb wissen, leicht entschließen. Es
bleibt uns nur noch das Feld der Emotionen. Als niedere Grade der Affekte
definiert ist ihre Gegenwart bei den höheren Tieren innerhalb gewisser Grenzen
wohl zuzugeben. Der Stimmungswechsel ist ein Hauptsymptom bei der Lyssa
des Hundes. Leider ist die objektive Kenntnisnahme mangels einer Sprach¬
verständigung und feineren Ausdrucksbewegung meist zu schwierig, um immer
aus ihiem Verhalten diagnostische Anhaltspunkte gewinnen zu können. Beim
Pferde schließen wir aus dem Niederlegen der Ohren nach rückwärts auf Ärger
oder Zorn, der sich eventuell durch Beißen und Schlagen äußert Wir denken
bei seinem freudigen Herumtollen auf eine Lust-, bei seinem panikartigen
Dahinrasen auf eine Angstempfindung. Wir sind damit aber schon unwillkürlich
auf das Gebiet der Affekte geraten, was uns um so begreiflicher erscheint, als
die Affekte das Leben der Tiere noch viel mehr beherrschen als das des
Menschen, und als nur die in Affekt befindlichen Tiere uns verständlich handeln.
Über ihre Stimmungen wissen wir nur sehr wenig. Im allgemeinen zwingt uns
nichts, den Stimmungen in dem Seelenleben der höheren Tiere auch nur annähernd
jene Bedeutung geben zu wollen, die sie beim Menschen haben. Wir haben
jedenfalls keinen Anlaß, ein psychisches Gefühl höheren Grades und feinerer
Gliederung dem Tiere zuzumuten, dem ich besten Falles nur einfache, von der
Sprache unabhängige Vorstellungen, viel weniger aber ein begriffliches Denken
zumuten möchte.
Alle die eben berührten Momente zusammengenommen, drängen uns zu
dem Schlüsse, daß das Hauptpostulat der Abhängigkeit hysterischer Phänomene
von seelischen Einflüssen und ihre Reaktion auf solche uns nicht gestattet, die
bedeuteten Annahmen zu akzeptieren und in eventuellen hysteroiden Er¬
scheinungen ohne weiteres einen Beweis für den Bestand einer Hysterie zu er¬
blicken. Die Katalepsie kann selbst beim Menschen, wenn sie keine besondere
Form annimmt, nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose rechtfertigen, kaum aber
beim Tiere. Zum Schlüsse bliebe vielleicht noch eine theoretische Konstruktion
— eine Hysterie ohne Beziehungen zu psychisch abnormen Zuständen, die wir
im Hinblicke auf das von uns besonders betonte Differenzmerkmal der Reduktion
oder des Wegfalles der psychischen Komplemente bei den Psychosen der Tiere
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noch erwähnen müssen. Wir nehmen damit der Hysterie ihr essentielles
Element und gelangen zu diagnostischen Problemen, deren Diskussion ganz
unersprießlich ist Wie bei den Psychosen müssen wir auch bei ihr uns un¬
ausgesetzt auf die normale Psychologie zu stützen versuchen. Als Vergleichs¬
objekt kann uns dabei nur jene hoch komplizierte, schwer zu definierende Er¬
scheinungsgruppe dienen, die wir menschliche Psyche nennen und der wir beim
Tiere die Gesamtheit jener Handlungen gegenüberstellen müssen, die wir nach
Wcttdt wegen der Bedingungen ihres Zustandekommens und wegen ihrer
Ähnlichkeit mit unseren eigenen psychischen Lebensäußerungen auf seelische
Vorgänge beziehen. Nehmen wir hier nach dem Vorgänge der RoMANEs’schen
Schule Weiterungen vor, so sind der beweislosen Spekulation Tür und Tor ge¬
öffnet, weil wir, wenn wir uns auf dieser Bahn weiter bewegen, zu Grund¬
begriffen gelangen, die eine unbegrenzte Zahl von Möglichkeiten zulassen, bis
hinab zu den Funktionen der Amöbenseele; sie sind dann allumfassend, aber
nichtssagend.
Ich halte es bei unserem derzeitigen Erkenntnisstandpunkte über die
normale Psychologie der Tiere, der noch nicht genügend ausgebildeten Semiologie
der tierischen Nervenkrankheiten und der kleinen Wirkungssphäre der objektiven
Diagnostik für ganz unmotiviert, bei Bewegungsstörungen aus fehlenden Er¬
klärungsmomenten auf die Anwesenheit von Hysterie bei Tieren zu schließen.
Ich glaube, daß die Hysterie, la grande maladie simulatrice von Chabcot, bei
Tieren nur höchst selten oder überhaupt nicht vorkommt, weil das spezifisch
Tierische, das Fehlen der Einsicht in die Relationen der Erscheinungen zu ein¬
ander (Mobgan), dem im Wege steht Unter den Bewegungsstörungen, die bei
den Haustieren die Neurosen begleiten, mag es vielleicht auch solche geben, die
durch emotionelle Anlässe hervorgerufen werden könnten, die uns aber nur dann
zur Vermutung der Existenz hysterischer oder hysteroider Symptome drängen
können, wenn sie von epileptischen Attacken und jenen bei Tieren vorkommenden
Zuständen getrennt worden sind, die uns in den von Vebwobn studierten Be¬
wegungshemmungen auf starken Sinneseindruck, in der von Mainzeb erwähnten
Schreckstarre, von höheren Reflexen usw. bekannt geworden sind. Derartig
isolierte, neuropathische Erscheinungen sind jedenfalls so selten und so schwer
eruierbar, daß jeder neue Fall einer umfassenden Analyse unterworfen werden
sollte, um dadurch vielleicht zu einer Entscheidung in den hier berührten Frage¬
punkten gelangen zu können.
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Hundes. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie. XX. Heft 2.
2. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer
Neugeborener. 1
Von Otto Banke in Wiesloch.
M. H.I Es ist in weiten Kreisen bekannt and durch exakte klinische Be¬
obachtungen der letzten Jahrzehnte für die Wissenschaft erwiesen, daß die Ehen
syphilitischer Personen, in welchen überhaupt eine lebensfähige Nachkommen¬
schaft erzeugt wird, eine überaus große Anzahl nerven- und geistesdefekter In¬
dividuen liefern. loh erinnere Sie nur an die Statistik Julliens(I), eines
Schülers von Foubnier, welcher unter 162 lebensfähigen Kindern aus 43 syphi¬
litischen Ehen in 50°/ 0 meningitisch-eklamptische Symptome fand; oder an die
Erhebungen Zibhbn’s (2), der bei einer großen Anzahl geistesschwacher und
idiotischer Kinder in 10°/ 0 mit Sicherheit, in weiteren 17 °/ 0 höchstwahrscheinlich
eine Lues der Erzeuger nachweisen konnte.
Bisher fehlte uns ein anatomisches Verständnis dieser klinischen Tatsachen.
Zahlreiche Sektionen hereditär-syphilitischer Individuen, welche während des
Lebens Erscheinungen von seiten des Centralnervensystems dargeboten hatten,
haben gezeigt, daß die als spezifisch luetisch anerkannten Prozesse: gummöse
Neubildungen und die ÜEUBNEB’sche Endarteriitis nur recht selten im nervösen
Centralorgan sich auffinden lassen. Auch meningitische Veränderungen, die
gelegentlich beschriebenen Meningoencephalitiden und Meningomyelitiden, sind
in der Literatur über die Erbsyphilis ein sehr vereinzelter Befund geblieben.
Vibchow’s Anschauung einer interstitiellen Encephalitis der syphilitischen Neu¬
geborenen (3) hat sich — wenigstens in der von ihm angenommenen Form und
Bedeutung — als irrig erwiesen. Auch Mbaöek’s Ansicht einer hämorrhagischen
1 Vortrag, gehalten anf der XXXI. Wanderveraammlong der sftd westdeutschen Neuro¬
logen und Irrenärzte in Baden-Baden am 27. Mai 1906.
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Diathese bei kongenitaler Lues (4), welche etwa zu Blutungen in das Central¬
nervensystem und seine Hüllen führe, hat eine eigentliche Klärung der Sach¬
lage nicht gebracht So wurde von mancher Seite die Frage erhoben: sind wir
überhaupt berechtigt, für alle, oder auch nur für die Mehrzahl der Fälle von
hereditärer Syphilis mit nervösen Symptomen einen nachweisbaren histo-patho-
logischen Prozeß im Centralorgan anzunehmen? Haben wir es nicht vielmehr
mit funktionellen Störungen zu tun, die sich jedem Versuch eiuer morphologischen
Analyse entziehen?
M. H.! Ehe wir mit einer solchen Meinung den Bankerott unseres ana¬
tomischen Könnens erklären und auf ein naturwissenschaftliches Verständnis der
in Frage stehenden Erscheinungen Verzicht leisten, sollte kein Weg, der auch
nur einige Aussicht auf Erfolg böte, unbeschritten bleiben. Was wissen wir
denn bisher über die feineren normal-histologischen Verhältnisse des embryonalen
und neugeborenen Centralorgans, über seinen Gefäßapparat, sein Stützgewebe,
seine spezifischen Funktionsträger? Was wissen wir über die mannigfachen
Möglichkeiten seiner Erkrankung, welche vielleicht von den noch größtenteils
unbekannten pathologischen Prozessen im erwachsenen Nervensystem weitgehend
verschieden sind? Und was wissen wir endlich über spezifisch-luetische Prozesse
im embryonalen Gehirn und Rückenmark?
Solange wir, wie bisher, auf die erste Frage, nach den normalen Verhält¬
nissen, wenig, auf die beiden anderen aber so gut wie nichts zu antworten ver¬
mögen, ist es wohl noch ein wenig zu früh, mit der Annahme „funktioneller
Störungen“ auf eine weitergehende Erkenntnis zu verzichten.
Freilich bedarf es umfangreicher und mühsamer Forschung, um auf ana¬
tomischem Wege Klarheit in die Zusammenhänge zwischen hereditärer Lues
und Nerven- und Geisteskrankheiten zu bringen. Wie ich schon andeutete, ist
die feinere Histologie des embryonalen und neugeborenen Centralnervensystems
uns bisher noch fast völlig unbekannt Es gilt also als erstes, eine größere An¬
zahl normaler Präparate zu sammeln und diese mit allen Mitteln moderner
histologischer Technik durchzuarbeiten; daneben Veränderungen bekannter Ätio¬
logie — nach Geburtstraumen, septischen Infektionen u. dgl. — eingehend zu
studieren, und endlich nachzusehen, ob in Fällen einwandfreier hereditäre/
Syphilis pathologische Veränderungen Überhaupt, ob insbesondere charakteristische,
als spezifisch aufzufassende Veränderungen sich nachweisen lassen.
Erst von dieser Basis aus läßt sich dann — wie ich meine — die Finge
nach der anatomischen Grundlage der im späteren Leben bei hereditär syphi¬
litischen Individuen auftretenden nervösen und psychischen Störungen erfolgreich
in Angriff nehmen.
An der Hand einiger Präparate, Zeichnungen und Mikrophotogramme möchte
ich Ihnen heute über die ersten Anfänge derartiger Untersuchungen kurz be¬
richten. 1
1 Eine ausführlichere Bearbeitung des Gegenstandes wird im 3. Bande von Nissl’s
„Histolog. u. histopatholog. Arbeiten“ erscheinen.
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Zuerst wolleu wir nur zusammen einen schnellen Blick auf die Resultate
werfen, welche die bisherige histologische Forschung über pathologische Ver¬
änderungen in anderen Organen bei hereditärer Lues gezeitigt hat.
Ich beziehe mich dabei vornehmlich auf die Arbeiten von R. Hecker (5),
der in neuerer Zeit wohl die eingehendsten Untersuchungen über diesen Punkt
angestellt, auch zum ersten Male an einem größeren Materiale das histologische
Verhalten der normalen Organe von verfrüht und ausgetragen geborenen Kindern
zum Vergleiche herangezogen hat Als wichtigstes allgemeines Resultat hat
Hecker gezeigt, daß sich in den Organen nahezu aller syphilitischen Föten und
Säuglinge gewisse charakteristische Veränderungen nach weisen lassen. Im speziellen
aber kam er, wie auch die früheren Autoren, zu der Anschauung, daß die kon¬
genitale, ebenso wie die akquirierte Lues hauptsächlich im interstitiellen Gewebe,
meist erst sekundär im Parenchym der Organe angreift. Und zwar kann sie
hier bewirken:
1. die charakteristischen Gefäßerkrankungen,
2. eine diffuse kleinzellige Infiltration,
3. eine umschriebene Rundzellenanhäufung, das miliare Syphilom,
4. cirkumskripte und diffuse Bindegewebswucherungen.
Neben diesen gröberen histopatbologischen Veränderungen sind recht inter¬
essante Störungen der Entwickelung bei kongenitaler Lues beschrieben worden.
Die Franzosen Hutinel und HudElo(ö) betrachteten merkwürdige Inseln be¬
sonders lebhafter Proliferation in Leber und Niere als durch eine entwickelungs¬
fördernde Wirkung des syphilitischen Virus hervorgerufen. Für die Leber trat
Hecker ihnen bei, bezüglich der Niere äußerte er aber, speziell in seiner letzten
Arbeit einige Bedenken, ob wir es bei der als pathologisch betrachteten „neogenen
Zone“ nicht mit einem uormalen Bildungsvorgange zur Zeit der Geburt zu tun
hätten.
Im Gegensätze zu diesen Bildungen werden der fötalen Syphilis auch ent-
wickelungshemmende Einflüsse zugeschrieben, besonders von Karvonen (7), welcher
die Zellinfiltration der Nierengefäße bei kongenitaler Lues auf fötale Bildungs-
verhältuisse zurückzuführen sucht, vor allem aber die sogenannten „Pseudo-
glomeroli“ in den Nieren luetischer Kinder als eine Hemmungsbildung anspricht.
Endlich haben in allerueuester Zeit die Untersuchungen über das Vor¬
kommen des Lueserregers in den Organen bei kongenitaler Syphilis einige be¬
merkenswerte Gesichtspunkte ergeben, auf die wir zum Schlüsse ganz kurz ein-
gehen werden.
Meine eigenen Untersuchungen erstreckten sich bisher auf etwa 50 Gehirne,
welche Kindern vom 3. Fötalmonat bis zu einigen Monaten nach der Geburt
angehörten. Die meisten (nämlich 38) stammten aus der Zeit des 5. Fötal¬
monates bis zur vollen Geburtsreife. Von diesen Präparaten waren 11 von
Kindern, bei welchen eine kongenitale Lues mit voller Sicherheit nachgewiesen
werden konnte, nämlich ein Kind von 4 Wochen, sieben reife Neugeborene (von
diesen drei totgeboren), eine Frühgeburt aus dem achten, und zwei aus dein
7. Monate.
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Da nun nach Heokek’s sehr eingehenden Untersuchungen etwa 75 °/ 0 aller
Frühgeburten durch Syphilis bedingt sind, so wird die Zahl der luetischen
Präparate unter meinen etwa 40 Frühgeburten aus dem 3.—8. Monate sicher
eine noch beträchtlich größere sein; in der Tat fanden sich auch manche der
Veränderungen, welche ich Ihnen sogleich aus meinen Fällen sicherer Lues be¬
schreiben werde, noch in einer ganzen Anzahl anderer Präparate.
Auf das makroskopische Verhalten meiner Präparate will ich hier nicht
näher eingehen, da es nur selten einen speziell auf Lues verdächtigen Gesichts¬
punkt ergab.
Nur müssen die Blutungen der Pia und Hirnsubstanz, besonders des Markes,
erwähnt weiden, welche sich in 4 Fällen schon dem bloßen Auge zeigten, vom
Mikroskop aber in allen 11 Präparaten nachgewiesen werden konnten.
Über diese Blutungen ist bereits viel geschrieben und gestritten worden.
Ich muß mich hier darauf beschränken, der Untersuchungen Aknold Hellke’s (8)
und seiner Schüler kurz zu gedenken, welche in ihnen eine wichtige, wenn nicht
die hauptsächlichste Ursache für den so häufigen Tod in der Geburt und die
Pädatrophie kongenital syphilitischer Kinder sehen, sowie die Annahme Mba&ek's (4)
noch einmal zu erwähnen, der an der Hand eines großen Materiales auf die in
manchen Fällen von hereditärer Lues in allen Organen ungeheuer zahlreichen
Hämorrliagien hinwies und aus ihrem Vorhandensein im Anschluß an Behbknd (9)
eine besondere hämorrhagische Diathese syphilitischer Neugeborener, eine „Syphilis
haemorrhagica neonatorum“, abzuleiten versucht hat.
Mein eigenes Material hat mir gezeigt, daß solche Blutungen bei Früh¬
geburten, besonders solchen aus früheren Schwangerschaftsmonaten (4.—6.), fast
niemals vermißt werden.
Wir finden sie, oft in ungeheuren Mengen und großer Ausdehnung, in den
Hirnhäuten subpial, in der Binde, besonders reichlich im Mark, auch im Hirn-
stamme, nicht selten im Plexus, gelegentlich die ganzen Ventrikel ausfüllend. In
den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um ganz frische, während der Ge¬
burt zustandegekommene Extravasate. Während wir solche frische Hirnblutungen
bei kongenitaler Lues nun auch in jedem der reifen, ausgetragenen Fälle fanden,
kommen sie normalerweise in dieser Zeit der Entwickelung nur noch äußerst
selten zur Beobachtung, und zwar fast nur bei Kindern, deren Geburtsverlauf ein
schwieriger, protrahierter war, oder bei denen Kunsthilfe angewendet werden mußte.
Als die gemeinsame Ursache dieser Hämorrhagien in früheren Fötalstadien
sowohl wie bei luetischen Neugeborenen glauben wir gewisse Besonderheiten in
der Gefäßwand ansprechen zu dürfen.
Bis etwa zum 7. und 8. Fötalmonat nämlich zeigen sich die Kapillaren und
Präkapillaren normalerweise im Anilinfarbenbild (Färbung mit Thionin, besonders
aber mit Toluidinblau) als stark protoplasmatische, kernreiche, in ganzer Aus¬
dehnung dunkel gekörnte Schläuche. Erst etwa zur Zeit der normalen Geburts¬
reife gewinnen sie das von den Hirnkapillaren des Erwachsenen wohlbekannte
Ansehen, wie es Fig. 1 von einem gesunden, unter der Geburt gestorbenen Neu¬
geborenen darstellt.
Bei den ausgetragenen luetischen Früchten fanden wir nun fast durchweg
„embryonale“ Verhältnisse (Fig. 2).
Ob wir es bei diesem Befunde mit einer „Entwickelungsstörung“ oder mit
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dem Ausdruck eines entzündlichen Reizes zu tun haben, ist schwer zu sagen; am
wahrscheinlichsten dürfte es sich hier — wie bei anderen, später zu schildernden
Verhältnissen — um das Fortbestehen einer in früherer Fötalzeit normalen Proli-
Fig. 1. Hirn kapillaren eines normalen reifen Neugeborenen.
feratiou durch einen entzündlichen Reizzustand handeln. Übrigens ist zu betonen,
daß wir durchaus das gleiche „embryonale 14 Verhalten der kleinsten Gefäße von
manchen Fällen acquirierter diffuser Hirnlues kennen, wie sie Alzheimer (10)
beschrieben und abgebildet hat.
ä-.rv
Fig. 2. Hirnkapillaren von einem 4 Wochen alten syphilitischen Säugling.
Die Gefäßveränderungen bei der kongenitalen Lues sind aber nicht auf die
Kapillaren beschränkt. In mehreren Fällen fanden sich auch weitgehende
Schädigungen der Arterien wand, besonders ihrer Intima
(Endothelwucherung und-Vakuolisation, gelegentlich auch Abstoßung endo¬
thelialer Elemente, daneben Vakuolenbildung in der Muskulatur und nicht
selten Adventitialwucherung, vgl. Fig. 3),
und sehr hochgradige Proliferations- und Degeneratiouserscheinungen innerhalb
der pialen Venen.
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Besonders fiel in den letzteren die Abstoßung gewucherter, großkerniger
Endothelzellen auf, welche oft fast das ganze Lumen ausfüllten und bereits in
Fig. 8. Flachschnitt durch eine piale Arterie, das gewucherte, vakuolisierte Endothel zeigend.
dem gestauten Blutstrom weitgehende makrophagische Fähigkeiten entwickelten
(Fig. 4).
Fig. 4. Pialvene mit stark gewucherter Wand. Abgestoßene Endothelien (Makrofngen) im
Lumen.
Die pathologischen Erscheinungen in der Hirnsubstanz lassen sich am besten
im Anschluß an die genannten Veränderungen der Gefäßwände studieren; sie
stehen offenbar zum größten Teil mit ihnen im direkten ursächlichen Zusammen¬
hang und zeigen uns an, daß die geschädigte Gefäßwand dem Erreger der
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Syphilis und seinen Giftstoffen leichtesten Durchtritt gestattet ln mehreren
Fällen fanden sich ausgebreitete leukocytäre Infiltrate in der adventitiellen Lymph-
scheide der Gefäße. Und zwar wurden meist Plasmazellen, zweimal aber auch
sehr reichliche Mastzellen beobachtet.
Die Herkunft der Infiltrationselemente aus dem Blutstrome ließ sieh bei
unseren Fällen kongenitaler Lues mühelos dadurch nachweisen, daß die gleichen
Zellen untermischt mit „Vorstufen“, welche morphologisch zu dem prozentuell
weitaus häufigsten Element des embryonalen Blutstromes, dem einkernigen Leuko-
cyten mit stark fingiertem, leicht gekörntem Protoplasma hinüberführten, meist
in großer Zahl das Lumen der infiltrierten Gefäße erfüllten.
Bekanntlich bilden ähnliche Infiltrate (von Lymphocyten und Plasmazellen)
einen wichtigen Bestandteil der pathologischen Veränderungen bei bestimmten
Formen der acquirierten Hirnlues und bei der progressiven Paralyse. Während
sie sich aber im erwachsenen Gehirn streng au die Grenzen der Lymphseheide
zu halten pflegen (vgl. darüber besonders Nissl[U] und Alzheimer [10]),
zeigen die leukocytären Elemente im neugeborenen Centralorgan eine aus¬
gesprochene Tendenz, sich in das benachbarte Gewebe auszubreiten. Und zwar
ließ sich aus dem bisher untersuchten Material der Schluß ziehen, daß diese
Tendenz eine umso größere ist, in einem je früheren Entwickelungsstadium sich
das betreffende Gehirn befindet.
Bei zwei aus dem 6. Schwangerschaftsmonate stammenden (vermutlich nicht
luetischen) Föten fand sich nämlich eine sehr ausgedehnte Gefäßscheiden¬
infiltration, das eine Mal mit Plasmazellen, das andere Mal mit großen, poly¬
morphkernigen, vermutlich aus dem Endothel stammenden Elemeuten, welche sich
von der Nachbarschaft der Gefäße über weite Strecken der HirnBubstanz, im
zweiten Falle fast duroh die ganze Rinde und das Mark ausgebreitet hatte.
(Schluß folgt.)
3. Zur Wahrung meiner Priorität in
Sachen der Kontinuitätslehre des Central nerven svstems.
Von Prof. B. Haller in Heidelberg.
Das feinere Verhalten innerhalb des Centralnervensystems hat im Laufe
der Zeit verschiedene Beurteilung erfahren. Bis zur Entdeckung der Kontinuität
durch J. Geblach (4) zu Beginn der siebziger Jahre, waren die Begriffe darüber
höchst dürftig, man sprach sogar von „apolareu Ganglienzellen“. Diesem Zu¬
stande gegenüber bildete Gerlach’s Entdeckung, wonach durch ein feines ner¬
vöses Netz eine vollkommene Kontinuität innerhalb des Centralnervensystems
besteht, einen gewaltigen Fortschritt. Allein Geblach’s Auffassung ist nicht
durchgedrungen und nur Einzelne schlossen sich, ohne direkt für die Sache
Stellung zu nehmen, an. Der Grund lag gewiß darin, daß jenes feine Netz
bei den Säugetieren, die ja von den Anatomen und Neurologen jener Zeit aus¬
schließlich für die Untersuchung verwendet wurden, schwer und nur bruch¬
stückweise zur Beobachtung gelangt. Gerlach’s Lehre fußte soweit weniger
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auf direkter Beobachtung als vielmehr auf scharfsinniger Verwertung einiger
bruchstückweiser Befunde.
Nur wenige waren es, die mit einiger Reserve allerdings die Kontinuität
annahmen, so der Pathologe Salomon Stricker und Unger in Wien (15),
Yirchow(18), Golgi, denen sich dann etwas später auch Dietel(2) anreihte.
Nach neuerlichem Bekenntnis soll im Stillen auch Pflüger (14) dieser Lehre
vom kontinuierlichen Zusammenhänge des gesamten Nervensystems von Anfang
an angehört haben. Dieser einsichtsvollen Gruppe gehörte unbestreitbar Victor
Hensen (10) an, der ja sehr nachdrücklich für die Kontinuität eintrat.
Mit dieser ersten Etappe schließt aber die unbestrittene, doch nicht all¬
gemein durchgedrungene Herrschaft der Kontinuitätslehre insofern ab, als von
nun an zwei Richtungen sich geltend machen.
ln 0. und R. Habtwig’s berühmten Werke über das Centralnervensystem
und die Sinnesorgane der Medusen (11) wird die philosophische Auffassung
von der Kontinuität des Nervensystems aufrecht erhalten, der „primäre Zell¬
verband“ begründet. Da treten auch meine Arbeiten ein.
Eine zweite Richtung wird mit der technischen Methode Golgi’s ein¬
geleitet. Allmählich wurde der Begründer dieser Methode in seiner früheren
Auffassung schwankend, er sagt: „Es (das centrale Nervennetz, Haller) ist bis
jetzt wie ein Mythus geblieben, ist es beinahe noch jetzt und droht, es wieder
zu werden.“ Den Höhepunkt der Unsicherheit erreichte Golgi aber erst 1894,
wie dies seine Aussage am besten beweist: „Daß aus den unzähligen Weiter¬
verteilungen durch komplizierte Anastomosen ein Netz im strengsten Sinne des
Wortes entsteht und nicht ein bloßes Geflecht, ist sehr wahrscheinlich;
nach der Prüfung einiger seiner Präparate könnte man es aunehmen; aber
daß es wirklich der Fall sei, erlaubt eben die außerordentliche
Komplikation nicht, sich zu versichern“ (5) 1 .
War auf diese Weise Golgi über das centrale Nervennetz ins Schwanken
geraten, so führte die einseitige Verwertung seiner sonst so Wertvolles leistenden
Methode zu einer ganz unrichtigen Auffassung. Diese Richtung wird ge¬
kennzeichnet durch die völlige Vernachlässigung der vergleichen¬
den Methode und somit durch eine unphilosophische Betrachtungsweise.
Denn von nun an galt nur das, was die technische Methode zur Darstellung
brachte, und da die Silberschwärzung, wie denn alle technische Methoden,
nur unvollständiges leistete und durch andere Methoden ergänzt hätte werden
sollen, so mußte auf einen Irrweg gelangt werden. So entstand die so lange
die Nervenlehre beherrschende Neuronenlehre.
Der Hauptvertreter dieser Irrlehre, der seineu Irrtum mit ins Grab
nahm, der alte Köllikeb, bestimmt den Begriff des Neurons, welcher bei vielen
anderen Vertretern der Lehre oft nur zu unklar war, folgendermaßen: „Die
Neuronen sind nicht nur in ihrer Entwickelung selbständige Bildungen, sondern
erhalten sich auch später als solche, verschmelzen nicht miteinander und wirken
nur durch Kontakt aufeinander.“
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Es schlossen sich zuerst Viele, daun aber Alle der Nenronenlehre an und
ich blieb mit der Verteidigung und dem weiteren Ausbau der Kontinuitätslehre
ganz allein, wenigstens auf dem offenen Felde des Kampfes, denn daß
Mancher im Stillen gleicher Ansicht war, nützte schließlich nichts!
Ich wurde viel angegriffen, ohne daß die von mir untersuchten Objekte
geprüft worden wären und hat einer, der sich daran machte, Bawitz(16) nämlich,
wenigstens für die Mollusken meine Angaben in allen Punkten bestätigt! Zum
Schlüsse artete der Kampf insofern aus, als die Wirbellosen überhaupt für
einige Zeit bei Seite geschoben wurden, obgleich ich auch bei den Fischen und
sogar mit der GoLOi’schen Methode für die Kontinuität eintrat
Nun und jetzt! Jetzt wird die Kontinuität von sehr vielen angenommen,
die ehedem tapfer im jenseitigen Lager kämpften, es wird die Neuronenlehre
von ihnen bekämpft, und derjenige und dessen Ergebnisse, der zwanzig Jahre
hindurch allein die Fahne hochhielt, wird totgeschwiegen. Und dies wohl¬
weislich, denn es ist doch zu unangenehm, so lange an einer Irrlehre
kritiklos gehangen zu haben. So z. B. schreibt Nissl (13), der früher
Neuronenanhänger war, ein großes polemisches Buch im Interesse der Kon-
tinuitätslehre, ohne auch nur mit einem einzigen Worte meiner Ergebnisse zu
gedenken! Aber außer ihm machte sich noch eine ganze Anzahl früherer Neuro-
nisten zu Aposteln der Kontinuitätslehre, die gleich ihm Vorgehen.
Ob dies berechtigt ist, möge hervorgehen aus Betrachtungen der Ergeb¬
nisse meiner Arbeiten über die Struktur des Centralnervensystems. Schon 1882
habe ich kurz meine Resultate zusammengefaßt, allein erst 1885 habe ich meine
ausführliche Untersuchung über die Textur des Centralnervensystems rhipidoglosser
Schnecken veröffentlicht (6). Bei diesen Tieren handelt es sich um ein verhältnis¬
mäßig primäres Centralnervensystem, und, da die Neuroglia darin nur ganz geringe
Ausdehnung erreicht, auch um ein sehr klares, äußerst lehrreiches Objekt, das ich
zu wiederholten Malen völlig erfolglos zur Nachuntersuchung empfahl. Ich bräunte
(1885 gab es noch keine Methyleublaufarbung) das lebensfrische Gewebe mit
Überosmiumsäure, und ob ich auch nur einen Strich mehr in meine Abbildungen
gesetzt, als das Objekt erlaubt, möge die Nachuntersuchung, die wohl daneben auch
mit der Methyleublaufarbung arbeiten wird, entscheiden. Vor allem verweise ich
den mit dieser Arbeit Unbekannten auf die Fig. 17 und die ganzen Tafel XXI u.
XXIII, wo er nicht nur das centrale Nervennetz besser dargestellt findet als
das bisher durch irgend eine Methode erreicht wurde, sondern auch den Zu¬
sammenhang von Ganglienzellen untereinander in einer Weise, wie er es noch»
nirgends deutlicher gefunden. Ich behaupte ohne Zögern, daß für den Fall,
daß diese Befunde seinerzeit nachgeprüft worden wären, die Kontinuität des
Nervensystems sofort Eingang gefunden hätte und wir heute in der Nervenlehre
weiter wären, vor allem aber ein lärmender Streit und viel Mühe gespart worden
wäre. Das Resultat dieser Arbeit aber war, daß das Centralnervensystem
des Rhipidoglossen aus einer G anglienzellrinde und einem centralen
Nervennetz besteht, wobei die Ganglienzellen sich mit einem Teil
ihrer Fortsätze im centralen Nervennetz auflöseu, mit andern sich
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untereinander verbinden und manche Fortsätze zu Achsenfasern peri¬
pherer Nerven werden. Solche Achsenfasern gaben Nebenäste (jetzt Colla-
terale genannt) ab (Fig.67). Achsencylinder können sich auch aus dem
centralen Nervennetze bilden (jetzt dort auflösen).
Ich frage nun, sind wir heute nach 21 Jahren diesbezüglich etwa weiter
gekommen?
Mit der gleichen Methode untersuchte ich 1889 (8) das Centralnerven¬
system der Würmer, wobei ich zu gleichem Ergebnis gelangte.
Aber auch die GoLGi’sche Methode, angewandt an Knochenfischen, führte
1894, wo doch die Neuronenlehre in voller Blüte stand, zu dem gleichen Er¬
gebnis, welches in einer Rückenmarksarbeit von mir (7) zu finden ist. In dieser
Arbeit ist aber für Wirbeltiere zumeist mit der GoLGi’schen Methode die Kontinuität
so begründet und erwiesen, daß es wohl genauer auch seither nicht erfolgte.
Auch habe ich mich bezüglich der Besprechung des phyletischen Werdens des
Nervensystems gegen die His’sche Auswachsungstheorie gewandt, wie dies ent¬
schiedener bisher nicht geschehen. Doch bitte ich an genannter Stelle (1. c.
S. 50—52) naehlesen zu wollen.
Auch meine letzte diesbezügliche Arbeit, in der ich hauptsächlich mit der
Methylenblaufärbung meine Ergebnisse erreichte bei tracheaten Gliedertieren,
war wesentlich der Kontinuität gewidmet.
Wie kommt es denn nun, daß trotz all dieser Errungenschaften meine
Ergebnisse totgeschwiegen werden, jetzt, wo die Kontinuität sich größerer Popu¬
larität erfreut?
Pflügeb, der sich post festum zur Kontinuitätslehre öffentlich bekennt,
meint, es gebühre ApAtht das Verdienst, die Kontinuität erwiesen zu haben.
Er sagt wörtlich: „Wenn auch verschiedene Forscher schon vor Apäthy die
herrlichsten Anastomosen centraler Ganglienzellen bei Wirbellosen dargestellt
haben, wie z. B. Dr. Geobg Walter, bei Wirbeltieren vor Allen Wagneb und
Besser, die sogar von C. Golgi, wenn auch als Ausnahmezustände anerkannt
werden, so bleibt doch Stephan Apäthy das große Verdienst, die Kontinuität
des gesamten Nervensystems wenigstens für die Wirbellosen durch seine Methode
mit solcher Sicherheit festgesetzt zu haben, daß jeder Widerspruch verstummen
muß“ (1. c. S. 56).
Somit hätten wir hier bei Pflügeb, der meine Ergebnisse kurzerhand tot¬
schweigt, einen Anhaltspunkt für weitere Betrachtungen.
In der Tat maßt sich Apäthy, der ehedem kein Anhänger der Kontinuitäts¬
lehre war, das Verdienst an, die Annahme der Kontinuität errungen zu haben,
oder wenn ich ihn recht verstehe, , will er die Kontinuität des Nervensystems
sogar entdeckt haben (I, S. 524). Hierzu habe ich mich kürzlich geäußert
(IX, S. 242).
Betrachten wir aber die Sache ganz ruhig, so hat die Kontinuität J. Gerlach
bei Wirbeltieren entdeckt und ich habe diese für eine große Zahl von Wirbel¬
losen und Fischen nacbgewiesen, denn obgleich schon vor mir Manches gesehen
ward, so ausführlich wie ich hat diesen Gegenstand niemand bearbeitet, um so
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entschieden behaupten zu dürfen: Die Ganglienzellen anastomosieren unter¬
einander im ursprünglichen Verhalten, indessen ihre übrgen Fortsätze sich im
centralen Nervennetz auf lösen, und Nervenfasern haben doppelten Ursprung:
aus der Ganglienzelle oder aus dem centralen Nervennetz.
Innerhalb dieses Nervennetzes und in den Ganglienzellen nun hat Apäthy
eine schon von Max Schultze bei Torpedo gesehene, doch auch bei Wirbel¬
losen von Mauchen, so auch von mir(6), nebenbei beobachtete Netzstruktur
ungemein deutlicher als je vor ihm und in großer Ausdehnung „mit solcher
Sicherheit festgestellt, daß jeder Widerspruch verstummt“. Dies ist doch klar
und ich will dabei gern zugeben, daß Apäthy’s ungemein klaren mikro¬
skopischen Bilder besonders bei denjenigen, denen die Zustände bei den Rhipido-
glossen, dann bei Hydra usw. nicht bekannt waren und dann die vergleichend
anatomische Methodik eine terra incognita ist, ausschlaggebend waren, doch
erklärt dies das Totschweigen der Ergebnisse einer zwanzigjährigen Arbeit für
diese Sache durchaus uicht.
Der Grund hierfür liegt allein und einzig darin, daß eine
große Zahl von Nervenforsehern lange Zeit, während der ganzen
Dauer meiner erwähnten Tätigkeit, dogmatisch fest an die Neu¬
ronenlehre sich klammerte und auf die Diskontinuität schwor, da
ja die GoLGi’schen Bilder (wenigstens in den meisten Fällen) dies
zeigten. Dabei hatten die Herren diesbezüglich ein begrenztes Gesichtsfeld
und wollten nicht auch dorthin blicken, wohin ich sie verwies. Alles Flehen
war vergeblich, ja sogar die Beweise der vergleichenden Methodik blieben
unberücksichtigt Nun aber, da in dieser Kontinuität eine Struktur mit
großer Deutlichkeit durch einen sehr gewandten Techniker dargestellt wird,
sind von ihnen Viele bereit, die Kontinuität anzunehmen.
Der Irrtum ist aber zu groß, um glattwegs zugestanden zu werden und
dies würde unbedingt geschehen müssen, bei entsprechender Würdigung meiner
Ergebnisse!
Mancher Neurologe wird vielleicht meinen, er hätte meine Ergebnisse nicht
gekannt, und es wäre von ihm bei so riesigem Anwachsen der Literatur zu viel
verlangt, zoologische Arbeiten, die noch unter dem Titel „Untersuchungen über
marine Rhipidoglossen usw.“ (allerdings stand gleich darunter „Die Textur des
Centralnerveusystems) erschienen sind, zu kennen.
Allein auch Diesen läßt sich etwas erwidern: In drei allgemein bekannten
großen Referaten wurden meine Ergebnisse erörtert, von Edingeb(3), Waldeyee(17)
und v. Lekiioss£k (12). Letzterer, ein heute noch unerschütterlicher Anhänger
der Neuronenlehre, nannte mich seinerzeit den eifrigsten und konsequentesten
Vertreter der Koutinuitätslehre.
Von nun an sind meine Arbeiten wohl leichter zu finden — sie sind unten
alle angeführt— und die Verwahrung erfolgt in dem Neurologischen Centralblatt.
Literatur.
1. St. v. Apathy, Die leitenden Elemente des Ccntralncrvensystcms usw. Mitteil, aus
der Zool. Station zu Neapel. XII. 1895. — 2. J. DiF.TEL. Die Gewebselemente des Nerven-
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Systems bei wirbellosen Tieren. Berichte des naturw.-med. Vereins in Innsbruck. 1878. —
8. L. Edingbb in Schmidts Jahrb. d. ges. Medizin. — 4. J. Gerlach, Von dem Rücken¬
mark. Strickens Handbuch der Lehre von den Geweben. Leipzig 1871. — 5. C. Golgi,
Untersuchungen über den feineren Bau des centralen und peripheren Nervensystems. Aus
dem Italien, übersetzt von R. Teüscher. Jena 1894. — 6. B. Halles, Untersuchungen über
marine Rhipidoglossen. II. Textur des Centralnervensystems usw. Morpholog. Jahrb. XI.
1885. — 7. Derselbe, Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier. Ebenda. XXIII.
1894. — 8. Derselbe, Beiträge zur Kenntnis der Textur des Centralnervensystems höherer
Würmer. Arb. a. d. zoolog. Institut der Universität Wien. VIII. 1889. — 9. Derselbe,
Über den allgemeinen Bauplan des Tracheaten-Lyscerebrums. Archiv f. mikr. Anatomie.
LXV. 1904. — 10. V. Hbnsen, Über die Entwickelung des Gewebes und der Nerven im
Schwänze der Froschlarve. Virchow’s Archiv f. Pathologie. XXXI. 1864. — II. 0. und
R. Hertwig, Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen. Leipzig 1878. —
12. M.v.Lenhoss£k, Der feinere Bau des Centralnervensystems. Berlin 1893. — 13. Fr. Nissl,
Die Neuronenlehre nnd ihre Anhänger. 1903. — 14. E. Pflüger, Über den elementaren Bau
des Nervensystems. Archiv f. d. ges. Physiologie. CXII. 1906. — 15. S. Stricker und
Unger, Untersuchungen über den Bau der Großhirnrinde. Sitzungsber. d. K. Akademie d.
Wissensch. in Wien. 111. 1879. — 16. B. Rawitz, Das centrale Nervensystem der Acephalen.
Jenaische Zeitschr. f. Natorwissensch. XX. N.-F. XIII. — 17. W. Waldbybb, Über einige
neuere Forschungen im Gebiete der Anatomie des Centralnervensystems. Deutsche med.
Wochenschr. 1891. — 18. R. Vibchow, Die Cellularpathologie usw. Berlin 1871.
4. Zur Funktion der Schweißsekretion.
Von Prof. Dr. A. Adamkiewicz.
Die Sekretion des Schweißes bildet ein so außerordentlich wichtiges
Kapitel der Physiologie und der Pathologie des Menschen, daß jeder Autor, der
diesem Kapitel aus irgend einem Grunde seine Aufmerksamkeit schenkt, nicht
übersehen darf, welches die Grundlagen der wissenschaftlichen Erkenntnis dieser
so überaus wichtigen Funktion gewesen sind und wie und wann die Wissen¬
schaft sie erworben hat. Und doch wird in diesem Punkte viel gesündigt Ja,
die Beharrlichkeit, mit welcher das von gewisser Seite geschieht, muß immer
mehr Grund zu der Befürchtung legen, daß der hier zur Gewohnheit ausartende
Verstoß gegen die literarische Pflicht der Wahrheit und dem wissenschaftlichen
Verständnis einer wichtigen Funktion zum Schaden gereichen müsse.
Durch den in diesem Centralblatte (1907, Nr. 1) veröffentlichten Aufsatz
des Herrn Dr. Higieb (Warschau) erhält diese Befürchtung wieder neue Nahrung.
Auch dieser Autor schreibt nach dem nicht nachahmungswürdigen Beispiel ge¬
wisser seiner Vorgänger über „Schweißauomalien bei Rückenmarkskrankheiten“,
ohne den Leser darüber zu informieren, wie er uud die von ihm zitierten Autoren
zum Verständnis ihrer Beobachtungen gelangt sind.
Ich sehe mich daher genötigt, endlich einmal daran zu erinnern, daß die
Schweißsekretion als eine Nervenfunktion im Jahre 1878 von mir entdeckt
worden ist, und daß in meiner Monographie: „Die Sekretion de3 Schweißes.
Eine bilateral-symmetrische Nervenfunktion“ 1 das System der Scliweißnerveu
1 Berlin 1878, Hirschwald.
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und ihrer Beziehungen zum Gehirn, zum verlängerten Mark, zu den cerebro¬
spinalen und den sympathischen Nerven genau erörtert worden sind, und daß
dieses System als Schema vorbildlich geworden ist für eine bestimmte Kategorie
von Funktionen, die in der Seele beginnen und in Organen des vegetativen
Lebens ausklingen, und die ich deshalb als die „psycho-physischen Prozesse“ 1
bezeichnet habe.
II. Referate.
Anatomie.
1) Zur Anatomie der Übergangswindungen, von E. Zuckerkand!. (Arbeiten
aus dem neurolog. Institut an der Wiener Universität. XIII. 1907.) Ref.:
Otto Marburg (Wien).
Die ungeheure Variabilität der menschlichen Übergangs wind ungen auf ein¬
fache Grundformen zuräckzufUhren, gelingt dem Verf. durch Heranziehen der
Verhältnisse bei den Affen.
So zeigt sich bei den niederen Ostaffen die erste Übergangswindung meist
defekt und mit der zweiten zur schrägen Übergangswindung vereinigt. Bei den
Semnopitheci ist die Schlingenform der ersten Übergangswindung bereits typisch.
Das gleiche gilt für Hylobatiden und anthropoide Affen, bei denen die Windung
außerdem oberflächlich gelagert ist. Beim Menschen verhält sich die erste Über¬
gangswindung ähnlich, wiewohl sie gelegentlich auch in zwei Hälften zerfallen
kann. Die zweite und dritte Übergangswindung sind teilweise durch Tiefen¬
windungen verschiedener Größe ersetzt. Sie können rudimentär sein, gelegentlich
sogar fehlen. Es werden eine ganze Reihe verschiedenartigster Kombinationen
angeführt und deren Bedeutung erörtert. Auch die Furchen des Cuneus und
des Lobulus parieto-occipitalis (bei den anthropoiden Affen) erfahren eine ein¬
gehende Bearbeitung.
2) Über die Veränderung der Medulla oblongata nach einseitiger Zerstörung
des Strickkörpers, nebst einem Beitrag zur Anatomie des Seitenstrang¬
kernes, von Dr. K. Yagita. (Okayama-Igakkwai-Zasshi. 1906. Nr. 201.)
Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Bei einem Hunde, dem bei der Durchtrennung der IX., X. und XL Wurzeln
auch der Strickkörper der rechten Seite zerstört worden war, wurde die ganze
Medulla oblongata in lückenlose Serienschnitte zerlegt, und diese nach Nisal ge¬
färbt. In den Präparaten traten mannigfaltige Zellveränderungen qualitativer und
quantitativer Art zutage, aus welchen Verf. folgende Schlußfolgerungen zieht:
1. Die Hinterstrangskerne geben ihre Nervenfasern weder in den gekreuzten
noch in den ungekreuzten Strickkörper ab, weil eine erkennbare Veränderung
nach Strickkörperverletzung nirgendwo in den Hinterstraugkernen hervortritt.
2. Die Fibrae olivo-cerebellares nehmen ihren Ursprung nicht im Kleinhirn,
sondern in der Olive, und zwar größtenteils gekreuzt.
3. Alle Abteilungen des Seitenstrangkernes stehen auf dem Wege des
Corpus restiforme mit dem Kleinhirn in Verbindung. Die sich daraus ergebende
Bahn ist aufsteigender Natur, und zwar entstammt sie größtenteils dem homo¬
lateralen, zum minimalen Teile dem kontralateralen Seitenstrangkerne.
1 Artikel „Schweiß“ in der Real-Encyklopädic d. gcs. Heilk. 1. u. 2. Aufl. — Verhand¬
lungen der Berliner Gesellschaft vom 26. Januar 1877 und 28. Dezember 1879. „Die
Funktionsstörungen des Großhirns/ 4 Berlin 189S, Hans Th. Hoffmanu.
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4. Von den Zellen der Formatio reticul. begeben sich keine Nervenfasern
nach dem Corpus restiforme, weil alle diese Zellen nach totaler Strickkörper-
verletzung keine Veränderung aufweisen.
5. Bei Hund und Kaninchen entwickelt sich der Seitenstrangkern viel stärker
als beim Menschen und tritt schon distal von der Olive auf, während er bei
letzterem erst in derselben Ebene mit dem unteren Ende der medialen Nebenolive
zum Vorschein kommt.
6. Der Seitenstrangkern erreicht seine größte Entwickelung im Niveau des
unteren Teiles der Olive, wo er sich bei Hund und Kaninchen in 5 bis 6 ziem¬
lich gut begrenzte Abteilungen zerlegt.
7. Etwas proximal von der Eröffnungsstelle des Centralkanals zerfällt der
Seitenstrangkern des Menschen in zwei Abteilungen: eine mediale und laterale,
die in der Regel durch die lose eingeschaltete Formation des Nucl. abiguus von-
einander getrennt sind. Die mediale Abteilung hat ihre Lage an der dorso-
lateralen Seite der dorsalen Nebenolive, während die mediale an der ventro-
medialen Seite der Substantia gelat. trig. anliegt.
8. Die obere Grenze des Seitenstrangkernes findet sich beim Menschen un¬
gefähr in der Höhe des proximalen Endes des Hypoglossuskernes; bei Hund und
Kaninchen jedoch liegt sie etwa im Niveau, wo die untere Olive ihr vorderes
Ende erreicht.
Physiologie.
3) Further experlments in the development of peripheral nerves, by Ross
GranviIle Harrison in Baltimore. (American Journal of Anatomy. V.
1906. S. 121.) Ref.: M. v. Lenhossök (Budapest).
Vorliegende Arbeit bringt in knapper Form auf einigen wenigen Seiten eine
Fülle wichtiger neuer Tatsachen. Sie wird gewiü nicht verfehlen, allseitiges
Interesse zu erregen, ebenso wie schon die erste einschlägige experimentelle Arbeit
des Verf.’s vom Jahre 1904 (vgl. d. Centr. 1905. S. 215) in hohem Grade die
Aufmerksamkeit der Fachkreise auf sich gelenkt und den Namen Harrisons rasch
zu einem bekannten gemacht hat. Aus den bisherigen, an Widersprüchen so
reichen Diskussionen über die Bildungsweise der peripherischen Nervenfasern
scheint dem Verf. nur die eine Tatsache mit Sicherheit hervorzugehen, daß diese
wichtige Streitfrage rein histologisch nicht endgültig geschlichtet werden kann,
sondern daß auch hier, wie in manchen anderen ähnlichen Fragen, das Experiment
einzugreifen hat, um eine unanfechtbare Entscheidung herbeizuführen. Diesen Weg
hat Verf. im Jahre 1904 als Bahnbrecher auf diesem Gebiete betreten. Um die
Frage zu lösen, ob die peripherischen Achsencylinder, wie His lehrte, Auswüchse
der centralen Neuroblasten, oder, wie Dohm, Apäthy, Bethe u. a. behaupten,
plurizellulare Bildungsprodukte der ihnen anliegenden Schwannschen Zellen sind,
ging Verf. damals so vor, daß er bei sehr jungen, noch im Stadium vor der
Bildung der peripherischen Nerven befindlichen Larven von Rana esculenta die
Quelle, woraus sich die Schwannschen Zellen hauptsächlich herleiten, die Ganglien¬
anlagen, entfernte. Die Bildung des sensiblen Nerven unterblieb natürlich, aber
die motorisAen Nerven, die nicht aus den Ganglienanlagen, sondern aus dein
ventralen Teil des Medullarrohres hervorgehen, hatten sich nach dem Eingriff in
normaler Weise bis in ihre Endverzweigungen, in der Bauchmuskulatur bis zur
Mittellinie entwickelt, aber nicht in ihrer gewöhnlichen, mit Schwannschen
Kernen besetzten Form, sondern als vollkommen kernlose Faserbiindel. Hieraus
schloß Verf., daß die Schwannschen Zellen an der Bildung der peripherischen
Achsencylinder nicht beteiligt sind, sondern nur bei der Entstehung ihrer Hüllen
eine Rolle spielen.
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Aus der vorliegenden Arbeit erfahren wir zunächst, daß Verf. diese Ver¬
suche seitdem auch an anderen Froschgattungen (R. sylvatica und palustris) und
ebenso an den motorischen Himnerven mit demselben Erfolg wiederholt hat.
Auch die Hirnnerven entwickeln Bich ohne Mitbeteiligung der Schwannschen
Zellen.
Um der Frage auch von einer anderen Seite beizukommen, hat Verf. nun
ein anderes Experiment ausgeführt. Er hat bei sehr jungen Froschlarven, un¬
mittelbar nach Schluß des Medullarrohres, die ventrale Hälfte des Rückenmarkes
ihrer ganzen Länge nach entfernt, unter Schonung der dorsalen Hälfte und der
Ganglienanlagen. Der Versuch scheint auf den ersten Blick fast unausführbar und
doch gelang er in den Händen des Verf.’s. Es mußte hierzu zunächst die dorsale
Rückenmarkshälfte samt den Ganglienanlagen in Form eines Streifens unter Er¬
haltung eines Verbindungsstieles abgelöst, dann die ventrale Hälfte des Medullar¬
rohres entfernt und schließlich der zuerst abgelöste Streifen wieder an seine normale
Stelle eingefügt werden. Es ist dies ein Experiraentum crucis dafür, ob die
peripherischen Sch wann sehen Zellen beim Embryo auch ohne Beteiligung des
Centralorganes „autogen“ motorische Nervenfasern bilden können oder nicht. Das
Ergebnis war negativ; mit Abrechnung von einigen Fällen, wo die motorischen
Zellgruppen des Rückenmarkes nachweisbar nicht vollkommen entfernt worden
waren, wo es demnach doch zur Entstehung einiger weniger Nervenbündel kam,
unterblieb die Bildung der peripherischen motorischen Nervenbahnen vollkommen,
woraus jedenfalls soviel bestimmt hervorgeht, daß jene von einigen Forschern so
überschätzten Schwan nschen Zellen für sich allein unfähig sind, Nervenfasern
an der Peripherie zu bilden.
Diese Versuche beziehen sich alle auf das motorische Nervensystem. Bei
den sensiblen Nerven sind derartige Experimente deshalb weniger entscheidend,
weil die Ganglienanlagen nicht nur den sensiblen Nervenfasern, sondern auch den
Schwannschen Zellen zum Ursprünge dienen. Nimmt man die Ganglien weg,
so wird alles entfernt, was zur Bildung der Nervenfasern in Betracht kommen
kann. Hier bietet aber schon die rein histologische Beobachtung wichtige An¬
haltspunkte für die Entscheidung der in Rede stehenden Frage, vor allem in der
Tatsache, daß bei den Amphibienlarven jene sensiblen Nerven, die aus den sog.
Rohon-Beard8chen Riesenzellen des Rückenmarkes entspringen, abweichend von
den anderen Nerven vollkommen kernfrei sind; ihre Endverästelungen bilden unter
der Haut der Froschlarven zierliche Geflechte, worin sich auch kein einziger
Kern nachweisen läßt. Ebensolche kernlose Geflechte sind auch die Endveräste-
lungen der Schwanznerven bei Tritonenlarven. 0. Schultze hat kürzlich diese
vom Verf. schon früher beschriebene Tatsache in Zweifel gezogen, doch weist der
Verf. nach, daß die abweichenden Angaben Schnitzes darin ihre Erklärung
finden, daß er von viel zu vorgerückten Stadien ausgegangen ist, von Stadien,
wo sich in das ursprünglich kernlosen Geflechte schon längst Zellkerne eingelagert
haben. „Schultze hat die ersten grundlegenden Stadien übersehen und ist so
dazu gekommen, die in Wahrheit lediglich sekundären Beziehungen der Scheiden¬
zellen zu den Nervenfasern als primäre genetische Beziehungen aufzufassen.“
Nach alledem kann also nicht mehr daran gezweifelt werden, daß die „Ketten¬
theorie“ einer jeden Grundlage entbehrt, und daß die Schwannscheii Zellen bloß
als Scheidenbildner oder Lemmoblasten, wie sie Ref. kürzlich benannt hat, und
nicht als Nervenbildner in Betracht kommen können. Es mag hier nebenbei be¬
merkt sein, daß in letzter Zeit auch andere gewichtige Stimmen in diesem Sinne
laut geworden sind. So hat sich namentlich Held in einer kürzlich erschienenen
ausfürlichen Arbeit sehr bestimmt gegen eine nervenbildende Bedeutung der
Schwannschen Zellen ausgesprochen. Ihm schloß sich Rabl an, und auch Dohrn,
lange Zeit hindurch ein eifriger Anhänger der Ivettentheorie, soll von ihr ueuer-
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dings abgefallen sein, mit Rücksicht auf die Beobachtung, daß sich hei Selachiern
einzelne Nerven, wie der N. trochlearis, ganz ohne Kerngebilde anlegen. Alle
stimmen nun dafür, daß die peripherischen Nervenfasern aus den centralen Ganglien¬
zellen, und bloß aus diesen, hervorgehen.
Nun sind aber hierbei zwei Möglichkeiten vorhanden. Nach der Hisschen
Lehre wachsen die Nervenfasern mit wirklichen freien Spitzen von ihren centralen
Ursprungszellen her nach der Peripherie. Eine andere Anschauung läuft dahin
aus, daß die auswachsenden Nervenfasern nicht frei in den Gewebslücken Vor¬
dringen, sondern sich sofort in das Protoplasma anderer Zellen hineinlagern und
intraprotoplasmatisch durch die Mesenchym- und anderweitigen Zellen und ihre
Zellbrücken hindurch nach der Peripherie ihren Weg nehmen. Damit kommt
man freilich wieder zur Kettentheorie zurück, denn bei dieser Annahme bleibt
es durchaus dem subjektiven Ermessen überlassen, ob man diese Art der Ent¬
wickelung als ein wirkliches Vorwachsen der Nervenfasern, d. h. als das Vordringen
einer von der centralen Ganglienzelle gelieferten Substanz oder aber bloß als eine
zwar vom Centrum nach der Peripherie fortschreitende und wohl auch dem Ein¬
fluß der centralen Ganglienzelle unterworfene, aber doch lokale Differenzierung
des Protoplasmas der betreffehden peripherischen Zellen auffassen soll. In diesem
Sinne hat sich unlängst Braus ausgesprochen und auch Held ist bis zu einem
gewissen Grade hierher zu rechnen, indem er jenes merkwürdige, bedenklich
gerinselartig aussehende, feine, kernfreie Gespinnst, das man hei jungen Embryonen
in den Spalten zwischen den Keimblättern findet, als protoplasmatische Wachs¬
tumsbahn der peripherischen Nervenfasern bezeichnet. Demnach hätte also Hensen
mit der Hypothese Recht, daß die Nerven nicht frei an ihre Endgebiete lierau-
wachsen, sondern von allem Anfang an sowohl mit dem Centrum wie mit ihrem
Endorgan Zusammenhängen.
Auch in dieser Frage bringt Verf. wichtige, ja man kann sagen entscheidende
Tatsachen bei. Die wichtigsten bestehen in den Ergebnissen, die er bei Trans¬
plantationen des Rückenmarkes und der Ganglienanlagen erhielt. Stückchen des
im ganzen entfernten Medullarrohres wurden von ihm bei sehr jungen Frosch¬
larven unter die Epidermis der Bauchwand gebracht. Nach einiger Zeit wachsen
aus den motorischen Ganglienzellen des transplantierten Stückes schwache Bündel
von Nervenfasern hervor, die sich innerhalb der Bauchwand nach allen Richtungen
regellos ausbreiten. Eiu ähnliches Auswachsen von Nervenfasern ließ sich auch
aus den gelegentlich mitsamt dem Rückenmark transplantierten Ganglienanlagen
feststellen. Hier nun kam in einem Falle ein sehr wichtiger Befund zur Be¬
obachtung. Die sensiblen Faserbündel breiteten sich in diesem Falle nicht wie
sonst in der Bauchwand aus, sondern wuchsen frei durch den Hohlraum
der Bauchhöhle hindurch — der schlagendste Beweis gegen die Annahme,
daß die Nervenfasern im Protoplasma anderer Zellen weiterwachsen, zugleich eine
vollkommene Widerlegung der Hensenschen Hypothese, daß die embryonalen
Nerven schon vor ihrer sogenannten Entwickelung, wenn auch unsichtbar, an Ort
und Stelle vorhanden sind.
Nach Entfernung des Medullarrohres tritt eine eigentliche Regeneration des
Organes bei Froschlarven nicht ein. Die entstandene Lücke füllt sich sehr bald
mit Mesenchym aus. Nach einiger Zeit aber findet man, daß vom erhalten ge¬
bliebenen Gehirn aus in dieses neugebildete lockere Gewebe longitudinale Nerven¬
bündel hineinwachsen, die man schon einige Tage nach ihrem Auftauchen über
6 bis 8 Segmente kaudalwärts verfolgen kann. Hier ist es, wie Verf. hervor¬
hebt, vollkommen unmöglich, von präformierten Bahnen, die bei der Entwickelung
der Nervenfasern nur aktiviert werden sollten, zu sprechen. Die Achsencylinder
dringen hier in ein vollkommen neugebildetes, auf die Anlage von Nerven un¬
möglich
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vorbereitetes Gewebe hinein.
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Noch immer erblicken manche eine große Schwierigkeit darin, daß man sich bei
der Annahme eines freien Hervorwachsens der Nerven ihr sicheres Hingelangen
an ihr respektives Endorgan nicht recht vorstellen kann. So sagte erst kürzlich
van Wijhe: „Wenn der Nerv zu seiner weit entfernt liegenden Muskulatur
hinauswachsen sollte, so müßte man sich doch fragen, wie es kommt, daß er nie
einen Irrweg einschlägt.“ Ein solcher Einwand ist geradezu unerklärlich. Alle
Entwickelungsvorgänge sind ähnliche Wunder, nicht geringere als dieses. Wölfi¬
scher und Müllerscher Gang wachsen von ihrer Ursprungsstelle aus an ihre weit
entfernt liegende spätere Einmündungsstelle heran, ohne ihr Endziel zu verfehlen,
Leber- und Pankreasgänge gelangen an ihre richtige Stelle im vorderen und
hinteren Mesogastrium, und doch wird niemand an der Tatsache des freien
Hervorwachsens dieser Gebilde zweifeln usw. Bei den Nerven wird das Problem
übrigens etwas vereinfacht durch die vom Ref. schon im Jahre 1895 hervor¬
gehobene Tatsache, daß die Nerven schon zu einer sehr früher Zeit zur Ent¬
wickelung gelangen, wo Centrum und Endorgan noch dicht bei einander liegen,
und daß die späteren großen Entfernungen, die für manchen dem Verständnis
eine solche große Schwierigkeit darbieten, erst später durch Wachstumsdifferenzen
entstehen, wobei die schon angelegten Nerven durchr interstitielles Wachstum eine
Längenzunahme erfahren. Verf. führt hierfür als schönes Beispiel die Nerven
der Seitenlinie bei Froschlarven an. Hier ist das Ganglion zur Zeit, wo die
sensiblen Nerven aus ihm hervorgehen, in unmittelbarem Kontakt mit den rudi¬
mentären Sinnesorganen, worin die Nerven endigen. Der Fortsatz der Spinal¬
ganglienzelle hat bloß eine Strecke, die geringer ist, als der Durchmesser einer
Zelle, zurückzulegen, um die Verbindung mit dem Endorgan herzustellen. In der
Folge wandert das Sinnesepithel vom Kopf bis an die Schwanzspitze und Hand
in Hand damit erreicht der N. lateralis vagi allmählich seine spätere enorme Länge.
Verf. faßt die Ergebnisse seiner Versuche zum Schlüsse in folgenden Worten
zusammen: Der Achsencylinder der Nervenfaser entsteht als Ausläufer je einer
einzigen Ganglienzelle, mit der er auch zeitlebens in Kontinuität bleibt. Er
wächst Schritt für Schritt vom Centrum nach der Peripherie hin, um erst sekundär
mit seinem Endorgan in Verbindung zu treten. Die anderen Zellgebilde, die
Schwannschen Zellen, die man im Verlauf der embryonalen Nerven findet, haben
mit dessen Entwickelung unmittelbar nichts zu tun, mögen sie. vielleicht auch als
Schutz- und Nährgebilde der Nervenfasern eine wichtige Rolle spielen.
4) Beiträge zur Physiologie und Pathologie der kontralateralen Mit¬
bewegungen, von Dr. Hans Curschmann. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬
heilkunde. XXXI. 1906; vgl. d. Centralbl. 1906. S. 483.) Ref.: E. Asch.
Aus der sehr ausführlichen Arbeit, welche sich zu einer kurzen Besprechung
wenig eignet, seien hier nur die hauptsächlichsten Gesichtspunkte wiedergegeben.
In der frühesten Jugend vollzieht sich die Innervation aller motorischer Impulse
bilateral und infolge davon besteht sowohl bei willkürlichen, wie bei rein reflek¬
torischen Bewegungen die Neigung zu symmetrischen, kontralateralen Mitbewe¬
gungen. Durch die allmähliche Entwickelung kortikaler Hemmungen wird diese
bilaterale Anlage im Laufe der Zeit eingeschränkt. Sie wird aber nicht voll¬
kommen zerstört, sondern bleibt latent bestehen und zeigt sich bei jungen Kindern
in Form von kontralateralen, symmetrischen Mitbewegungen (infantiler Typus).
Bei anderen stellen sich diese Mitbewegungen erst bei Ermüdung und dadurch
notwendig werdender Impulssteigerung ein (Ermüdungstypus). Diese symmetrischen
Mitbewegungen der Gegenseite bestehen dauernd nur an den Enden der Extremi¬
täten (Hand und Fuß) fort, und zwar regelmäßig nur bei den Spreiz- und Ad¬
duktionsbewegungen, namentlich des Daumens und der übrigen Finger. Auffallend
ist, daß hei Willkürbewegungen der linken oberen Extremität viel früher und
leichter kontralaterale Mitbewegungen auftreten, als bei solchen der rechten Hand.
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Es ist dies wohl dadurch bedingt, daß die Iunervation der linken Hand ungeübter
und schwächer ist als die der rechten. Charakteristisch ist ferner, daß sich Links¬
händer umgekehrt verhalten, indem bei ihnen rechtsseitige Mitbewegungen schon
hei geringer Belastung auszulösen sind. Die Bewegungen der sensiblen Reflexe
lösen nur so lange konsensuelle Reflexe der Gegenseite aus, Ä als von seiten der
Pyramidenstränge noch die kortikale Hemmung entbehrt wird. Sobald aber die
reflexhemmenden Bahnen dieser Stränge ausgebildet sind, scheint die Neigung zu
identischen, kontralateralen Reflexbewegungen zu erlöschen (1.—2. Lebensjahr).
Auf passive Bewegungen stellten sich bei jungen Kindern und jüngeren Erwachsenen
niemals identische Mitbewegungen ein und scheinen solche auch im frühesten Alter
zu fehlen. Nach arthrogenen und peripher-neurogenen Veränderungen kommt es
sehr häufig zu kontralateralen Mitbewegungen, die, wie die physiologischen, nur
an den Extremitätenenden auftreten.
Bei Amputierten treten bei beabsichtigten Bewegungen des amputierten
Gliedes nur dann kontralaterale, symmetrische Mitbewegungen auf, so lange noch
Bewegungsillusionen bestehen. Mit dem Erlöschen der Impulserinnerung fällt
auch das auslösende Agens der Mitbewegung fort. Bei den supranukleären Läh¬
mungen führt auf der einen Seite die Unterbrechung in den Pyramidenseitenstrang-
bahnen zu Verlust der Hemmung und auf der anderen die zur Überwindung der
spastischen Parese erforderliche Impulssteigerung zu besonders intensiven Mit¬
bewegungen der Gegenseite. Die symmetrischen Mitbewegungen, wie sie bei
reinen Koordinationsstörungen (Tabes, Chorea) auftreten, entsprechen der durch
die kompensatorische Bemühung bedingten Impulssteigerung. Bei Myasthenie,
Myotonie, weniger bei Paralysis agitans, zeigen die Mitbewegungen der Gegenseite
charakteristische Züge, indem sich die Mitbewegungen zur Stärke der Bewegungs¬
impulse proportional verhalten. Hingegen fehlten in allen Fällen von hysterischer
halbseitiger Bewegungsstörung kontralaterale Mitbewegungen ganz und gar, und
zwar auch bei bis zur Ermüdung fortgesetzter Bewegung der praktischen Extre¬
mität. Diese Tatsache läßt sich durch den transkortikalen Sitz der Läsion er¬
klären. Hier ist nicht die motorische Bahn zwischen Kortex und Peripherie ge¬
stört, sondern die Beziehungen der Assoziationsorgaoe zum motorischen Projektions¬
feld sind betroffen. Dabei läßt Verf. es aber unentschieden, wie man sich diese
Störung vorzustellen hat.
Pathologische Anatomie.
5) A oase of one cerebral hemisphere supplying both sides of the body 9
by G.H.Grills. (Brit. med. Journ. 1906. 5.Mai.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Der mitgeteilte Gehirnbefund stammt von einer 42jährigen Blödsinnigen.
Letztere hatte an leichter spastischer Parese der rechten Extremitäten gelitten.
Der Gang war nicht ataktisch; Sehnenreflexe, sowie die Sensibilität auf beiden
Körperhälften gleich; keinerlei Atrophie.
Die betreffende Patientin verstand gesprochene Worte und konnte auch aus
frühester Kindheit sich alter Bekannter erinnern und dieselben bei richtigem
Namen nennen.
Kurz vor dem Tode wurde der Gang der Patientin schwankend und dann
trat zunehmende Hilflosigkeit ein. Neigung zu epileptischen Anfällen war nicht
vorhanden gewesen.
Bei der Sektion erschien die linke Großhirnhemisphäre an Größe der rechten
gleich. Jedoch bestand erstere nur aus einem mit Flüssigkeit gefüllten Sack,
dessen Wandung keinerlei typische Nervenzellen zeigte. Der Balken wurde durch
eine zarte, leicht zerreißbare Membran repräsentiert. Die rechte Kleinhirnhälfte
war atrophisch. Die Basalganglien waren mit Ausnahme des Nucleus caudatus
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nicht atrophisch. Die linke innere Kapsel zeigte sich als ein sehr dünnes, weißes
Band; der rechte Seiten Ventrikel hatte nur die Hälfte der normalen Ausdehnung.
Der mitgeteilte Fall regt den Verf. zur Stellung mannigfacher Fragen an,
auf deren Beantwortung er nicht näher eingeht. Er hält sich u. a. zu folgenden
Schlüssen berechtigt:
Die rechte Großhirnhemisphäre enthält meistens für beide Körperhälften das
Centrum für Motilität und Sensibilität.
Die Brocasche Windung lag im vorliegenden Falle ebenfalb wahrscheinlich
rechterseits.
Pathologie des Nervensystems.
6) Über das Gewioht des menschlichen Kleinhirns im gesunden und
kranken Zustande, von Reichardt. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. LXIIL)
Ref.: Zingerle (Graz).
Das Kleinhirngewicht beträgt bei gesunden Personen mittleren Alters meist
130 bis 150 g, schwankt aber schon physiologisch in erheblichen Grenzen. Als
seltene Anomalie findet man ein angeboren abnorm leichtes oder schweres Klein¬
hirn. Ein gesetzmäßiger Einfluß der Körpergröße oder einer interkurrenten Todes¬
ursache auf das Kleinhirngewicht hat sich nicht feststellen lassen. Eine universelle
hochgradige Körperabraagerung läßt das Gesamthirngewicht und damit auch das
Kleinhirngewicht unbeeinflußt.
Abgesehen von den erwähnten individuellen Schwankungen ist Größe und
Gewicht des Kleinhirns abhängig von der Größe und dem Gewichte des Gro߬
hirns. Um zu prüfen, ob ein Kleinhirn normal groß ist oder nicht, ist sein
Gewicht in Beziehung zum Gewicht der Großhirnhemisphäre zu bringen. Der
Gewichtsquotient liegt beim Erwachsenen fast durchweg zwischen
Kleinhirn allem
7 und 8,5. Er läßt jede Gewichtsvermehrung bzw. Verminderung von 25 g und
mehr erkennen und gestattet z. B. allein eine zahlenmäßige Angabe über den Grad
einer bestehenden Kleinhirnatrophie. Da aber auch das Großhirn sich seinerseits
pathologisch verkleinern oder vergrößern kann, muß bei der Berechnung des
Quotienten auch die Schädelkapazität berücksichtigt werden.
Bei der Geburt und in den ersten Lebensmonaten ist der Quotient ein be¬
deutend höherer, als beim Erwachsenen. Dem letzteren gleich wird er erst am
Ende des ersten Lebensjahres, infolge des schnelleren Wachstums des Kleinhirns,
die in der zunehmenden Fähigkeit, koordinierte Bewegungen zu erlernen, zum
Ausdrucke kommt. Im Greisenalter trifft man unverhältnismäßig niedrige Klein¬
hirngewichte und dementsprechend höhere Quotienten. Auf diese stärkere Klein¬
hirnatrophie sind vielleicht einzelne Motilitätsstörungen des Greisenalters zu be¬
ziehen. Bei den Hirnkrankheiten, die zu einem Schwund des Gesamthirns führen
(besonders Paralysis progressiva und Dementia senilis), kann der Quotient bei
gleichmäßiger Atrophie des Groß- und Kleinhirns innerhalb normaler Grenzen
bleiben. In manchen Fällen (besonders bei Paralysis progressiva) wird der
Quotient durch stärkere Großhirnatrophie zu klein, oder (häufiger im Senium)
größer, wenn vorwiegend das Kleinhirn schwindet. Bei Mikrocephalie ist in der
Mehrzahl der Fälle der Quotient abnorm niedrig, bei einer pathologischen Ver¬
größerung des Großhirns (Tumor, Hirnschwellung usw.) steigt selbstverständlich
auch der Quotient an.
Im Anhänge bekämpft Verf. die von Moebius wieder aufgenommene Gall-
sche Lehre vom Zusammenhang zwischen Kleinhirn und Geschlechtstrieb. Im
Besonderen weist er an der Hand eigener Beobachtungen nach, daß Verlust der
Geschlechtsdrüsen keine Kleinhirnveränderungen zur Folge hat, und daß auch
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zwischen Sezualentwickelung und Kleinhirngewicht (z. B. beim Infantilismus) eine
Beziehung nicht besteht.
7) Sur quelques points oontroversös de la Physiologie du oervelet. Con-
tribution experimentale , par Prof. M. L. Patrizi. (Arcb. ital. de Biologie.
XLV. 1906.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
Verf. benutzte als Material bei seinen interessanten Versuchen 4 Hunde, bei
welchen die linke Kleinhirnhälfte vollständig abgetragen war. Die Folge*
erscheinungen waren zunächst die üblichen, allgemein bekannten Ausfallserschei¬
nungen. Die erste Streitfrage, zu welcher Verf. Stellung nimmt, betrifft die von
Luciani behauptete, von Ferrier und v. Monakow bestrittene, von Lewan¬
dowsky auf eigenartige Weise erklärte Herabsetzung des Muskeltonus. Während
Luciani namentlich auf die stärker ausgesprochene Erschlaffung der Muskeln
der operierten Seite, auf die Herabsetzung des Widerstandes bei passiven Be¬
wegungen auf der lädierten Seite, auf die abnorme Beugefähigkeit usw. hingewiesen
hatte, hatte Ferrier eingewandt, daß bei seinen Versuchstieren der Tonus er¬
halten gewesen sei, was aus der Steigerung der Sehnenreflexe hervorgegangen sei.
Diese Ausführungen hatte v. Monakow namentlich durch den Hinweis auf das
klinische Verhalten der Sehnenreflexe in Fällen von Affektion des Kleinhirns
unterstützt. Lewandowsky hat zugegeben, daß der Widerstand bei passiven
Bewegungen herabgesetzt sei, aber er führte dies nicht direkt auf eine Herab¬
setzung des Muskeltonus zurück; er nimmt vielmehr an, daß das Tier durch den
Verlust des Muskelsinns sich nicht mehr Rechenschaft über die Lage seiner Glieder
zu geben vermag und dadurch zu ungeschickt ist, um den passiven Bewegungen
geordnete aktive entgegenzusetzen.
Die eingehenden Untersuchungen, die Verf. unter Anwendung der graphischen
Methode (die Einzelheiten eignen sich nicht zu einem kurzen Referat) angestellt
hat, bilden eine entschiedene Stütze der Lehre Lucianis von der Herabsetzung
des Mukeitonus.
Die zweite Frage, zu welcher Verf. Stellung nimmt, betrifft das Verhältnis
des Muskeltonus zu den Sehnenreflexen.
Luciani hatte gegenüber den obigen Einwänden von Ferrier und v. Mo¬
nakow erklärt, er sehe nicht ein, warum ein gewisser Grad von Muskelatonie
den Sehnenreflex abschwächen oder aufheben sollte, es scheine ihm im Gegenteil,
daß derselbe dadurch gesteigert werde, wenn nicht in der Intensität, so doch im
Grad des Ausschlags. Die Untersuchungen des Verf.’s, wiederum angestellt unter
Anwendung der graphischen Methode, ergaben, daß trotz Hypotonie die lebhaftesten
und stärksten Kniesehnenreflexe vorhanden sein können. Weiterhin batte Luciani
wie eine Atonie, so eine Asthenie, eine Herabsetzung der Kraft, auf der operierten
Seite konstatiert, die Ferrier bestreitet, während Lewandowsky sie wiederum
nur für eine scheinbare hält, herbeigeführt durch die Koordinationsstörung, eine
Folge der Läsion des Muskelsinnes. Auch hier stützen die Versuche des Verf.'s
die Annahme von Luciani und in besonderer Versuchsanordnung wird die Hypo¬
these von Lewandowsky widerlegt. Eine weitere Frage ist die, ob das Klein¬
hirn die Elementarreize, die vom Großhirn zu den willkürlichen Muskeln strömen,
verstärkt. Diese Annahme wurde gemacht zur Erklärung der „astasischen“ Sym¬
ptome, der dritten Kategorie von Phänomenen der cerebellaren Ataxie (Zittern,
Titubation usw.). Verf. stellt die Hypothese auf, daß diese Symptome peripheren
Ursprungs, das direkte Resultat der Muskelhypotonie sind, nicht bedingt sind
durch den Ausfall einer speziellen Kleinhirnfunktion. Zuletzt wirft Verf. noch
die Frage auf, ob man nicht bei der Erforschung der Elemente der cerebellaren
Ataxie (besonders der „Dysmetrie“) außer der Tonusherabsetzung (Luciani) oder
der „spezifischen Läsion“ des Muskelsinnes (Lussanna-Lewandowsky) in Be-
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tracht ziehen muß eine „funktionelle Störung“ -des Muskelsinnes selbst (in Zu*
s&mmenh&ng mit der Atonie und der Asthenie).
8) Entwiokelungsstörungen in Kleinhirn, Pons, Medulla oblongata und
Halsmark bei Spina bifida, von Ernst Schwalbe und Martin Gradig.
(Centr. f. allg. Path. u. path. Ant. XVII. 1906.) Ref.: Max Bielschowsky.
Bei einer großen Zahl von Sektionen bei Spioa bifida lumbosacralis stellten
die Verfif. eine räumliche Reduktion des Kleinhirns, des Pons und der Medulla
oblongata fest. Ferner fanden sie auf der dorsalen Seite des Halsmarkes
tumorähnliche Massen. Diese tumorähnlichen, mit dem Halsmark verwachsenen
Gebilde erwiesen sich bei der mikroskopischen Betrachtung als Heterotopien von
Teilen der Medulla oblongata und des Kleinhirns mit Plexus chorioideus. Die
Bilder erwecken den Eindruck, als habe eine Verschiebung einzelner Teile des
Centralnervensystems gegeneinander stattgefunden, als sei die Medulla oblongata
am Rückenmark nach unten geglitten. Eine ausführliche Beschreibung der inter¬
essanten Befunde wird in Aussicht gestellt.
9) Zur Kenntnis der Kleinhirnsklorose, von Dr. Ludwig Schweiger. (Arb.
a. d neur. Inst. a. d. Wiener Univers. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
Der Fall, eine schwachsinnige 58jährige Magd mit den Erscheinungen der
multiplen Sklerose betreffend, ist insofern bemerkenswert, als neben einer typischen
Cerebellarsklerose älteren Datums, mit den eutsprechenden Folgeerscheinungen,
die Zeichen akuter multipler Sklerose im Rückenmark bestanden. Das führt
Verf. dahin, beide Prozesse von einem Gesichtspunkte aus zu betrachten.
Die Folge der Kleinhirnsklerose war eine komplette Brückenatrophie. Der
Brückenarm bestand fast nur aus einer gliösen Masse, wohingegen die fronto- und
temporo-pontinen Systeme wenn auch hochgradig atrophiert, so doch vorhanden
waren. Das Brachium conjunctivum ist intakt, desgleichen der rote Kern.
Das Corpus restiforme ist hochgradig atrophisch, und zwar infolge Fehlens
der olivo-cerebellaren Fasern. Die retrotrigeminalen dieser letzteren sind jedoch
intakt und können deshalb kaum mit den defekten Kleinhirnpartien (Dachkeru,
X. globosus, sowie Lobi laterales in ihrer Hauptmasse) in Beziehung stehen, was
dagegen für die nucleo-cerebellaren Systeme Geltung hat. Die Atrophie des ven¬
tralen Lateralkernes oder der von ihm ausgehenden äußeren Bogenfasern spricht
gleichfalls für innigen Zusammenhang mit den ausgefallenen Cerebellarpartien.
10) Über die histologisohen Veränderungen der Kleinhirnrinde bei ver¬
schiedenen Nerven* und Geisteskrankheiten, von Dr. K. Takasu. (Monats¬
schrift f. Psych. u. Neur. XIX. S. 458.) Ref.: Probst (Wien).
Verf. untersuchte mittels der Färbung nach Nissl, Pal und van Gieson
die Kleinhirnrinde in Fällen von Delirium tremens, Dementia praecox, Dementia
paralytica, Dementia senilis, Arteriosklerose, tuberkulöser Meningitis, Hirntumor,
multipler Sklerose, Epilepsie, Amentia, Leukämie, Idiotie usw. Die Veränderungen
der Ganglienzellen im Nucleus dentatus bestehen in dem sogen, centralen Zerfall,
Zerfall der Granula in Körnchen vom Centrum gegen die Peripherie und Schwund
der letzteren, exzentrische Lage und Form Veränderung des Kernes, unregelmäßig
konturierte Kernmembran, Schwund der Granula und der Fortsätze, Vermehrung
des Pigmentes.
Bei den Purkinjeschen Zellen beginnt der Zerfall der Granula sowie die
Anhäufung des Pigmentes stets an der Wurzel des Protoplasmafortsatzes und
schreitet von da nach der Basis der Zelle fort, wo die Granula meist knollig
zerfallen sind. Seilten tritt Vakuolisierung und exzentrische Lagerung des
Kernes ein.
11) La paralysie des mouvements associes de latöralite des yenx dans
les afleotions du oervelet, des tubercules quadrijumeaux et de la
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protubörance, par A. Gaussei. (Revue de med. 1905. S. 809.) Ref.:
Eduard Müller (Breslau).
Ausführliche anatomisch - physiologische und klinische Studie über das Vor¬
kommen der Deviation conjuguee bei Läsionen des Kleinhirns, der Brücke und
der Corpora quadrigemina. Eine flüchtige konjugierte Seitwärtsablenkung der
Augen sieht man gelegentlich im Einklang mit experimentellen Erfahrungen be¬
sonders bei solchen Erkrankungen des Kleinhirns, die mit einer raschen Zerstörung
von Substanz einhergehen (Blutungen, Erweichungen). Die dauernde Ablenkung
und die Blicklähmungen gehören jedoch nicht zum Bilde reiner Kleinhirnaffektionen.
Umschriebene Erkrankungen der Corpora quadrigemina verursachen keine echten
Blicklähmungen. Bei experimenteller Reizung kommt nur eine Döviation conjuguöe
vor; die nachträgliche Zerstörung bleibt aber ohne Einfluß auf die Augenbewe¬
gungen. Blicklähmungen sind jedoch ein wichtiges Ponssymptom; sie sind dabei
manchmal die einzige motorische Krankheitserscheinnng. Wenn bei Paresen der
Seitwärtsbewegungen Konvergenz und Blick nach oben und unten ungestört sind,
so handelt es sich um ein pathognomonisches Zeichen einer Läsion im oberen
Teile der Brücke.
12) Sarooma of the oerebellum; saroomatous Infiltration of the spinal pia,
by F. H. Dercum. (Journ.ofNerv.andMent.Dis. 1906. März.) Ref.: M.Bloch.
17jähriger Patient klagt seit 3 Monaten über Kopfschmerzen mit zeitweilig
auftretendem Schwindel, sowie schießenden Schmerzen in den Beinen. Die Unter¬
suchung ergibt Rom bergsches Zeichen, ataktischen Gang, doppelseitige Stauungs¬
papille. Im weiteren Verlauf nimmt der Kopfsohmerz zu, es tritt Neigung nach
links zu fallen auf, ferner Schmerzen im Genick, besonders beim Versuch, den
Kopf zu bewegen, Übelkeit; die linke Pupille reagiert nur träge, Abnahme des
Gehörs rechts, Parese des rechten Facialis. Bei der Operation wölbte sich das
Cerebellum stark hervor, doch wurde ein Tumor nicht gefunden. Exitus 8 Stunden
nach der Operation in Koma. Die Autopsie ergab ein Sarkom, zum größten
Teil aus Rundzellen, zum kleineren aus Spindelzellen bestehend, im 4. Ventrikel,
ferner eine sarkomatöse Infiltration der Pia bis zum Lendenmark, besouders in
den hinteren Partien des Rückenmarkes, die stellenweise sich bis in die weiße
Substanz des Rückenmarkes und im Hinterhorn fortsetzt; in den Hintersträngen
und Hinterwurzeln frische Degenerationen. Die letztgenannten anatomischen Ver¬
änderungen erklären die heftigen Schmerzen in den Beinen, über die Pat. klagte.
13) A oontributlon to the study of oerebellar tumors and their treatment,
by J. J. Putnam and G. A. Waterman. (Joum. of Nerv, and Ment. Disease.
1906. Mai.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
Die Verff. berichten ausführlich über 9 Fälle von Tumoren der hinteren
Schädelgrube, von denen sieben operativ behandelt wurden, davon drei mit wesent¬
lichem therapeutischem Erfolge, über die im folgenden näheres mitgeteilt werden soll:
I. 40jähr. Patientin erkrankte vor 1 1 j 2 Jahren mit Übelkeiten und an Inten¬
sität zunehmenden Kopfschmerzen, die nur in der rechten Seitenlage erträglich
waren. Frühjahr 1903 wurde Stauungspapille konstatiert, Sept. 1903 Amaurose
links, Sehschwache rechts. April 1904 wurde hochgradige Ataxie, Pupillendifferenz,
1. > r. f Parese beider Abducentes, leichte Steigerung der Sehnenreflexe, r. > 1.,
leichte Ataxie beider Hände, Fehlen der Bauchreflexe konstatiert. Daneben be¬
standen Halluzinationen des Geschmackes. Die Operation wurde zweizeitig aus¬
geführt. Es fand sich ein taubeneigroßer Tumor der linken Kleinhirnhemisphäre,
der ausgeschält werden konnte und sioh als ein Rundzellensarkom erwies Die
Patientin Uberstand die Operation gut, ihr Zustand besserte sich fortwährend, und,
abgesehen von einer leichten Parese der linken Körperhälfte, geringer Unsicher¬
heit beim Gehen und der nicht mehr völlig auszugleichenden Sehstörung befand
sich Patientin, wie die Verff. noch nach 19 Monaten konstatieren konnten, gut.
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II. lOjähr. Patient erkrankte an Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen
wenig später Sehstörungen und Abducenslähmung, erst ein-, dann doppelseitig-
Die Untersuchung im März 1904 ergab doppelseitige Stauungspapille, Lähmung
beider Abducentes, leichte Ataxie der Arme und Beine, Fehlen der Kniephänomene;
Pat. war sehr reizbar, es bestanden Gesichts- und Gehörshalluzinationen. Bei der
Operation im April 1904 wurde ein Tumor nicht gefunden, aber der Zustand
des Pat. besserte sich erheblich, so daß Pat. nach 5 Monaten sich völlig wohl
zu fühlen schien, die Patellarreflexe fehlten weiter, es bestand noch eine Parese
des linken Abducens. An der Stelle der Operation hatte sich ein Hirnprolaps
entwickelt, der allmählich zunahm. Die Allgemeinsymptome waren verschwunden,
bis im Oktober 1905, also fast 1 1 / 2 Jahre nach der Operation, von neuem Er¬
brechen, Kopfschmerzen, Benommenheit, Ataxie und stärkere Sehstörungen auf¬
traten. Beim Gehen Schwanken nach links, starke Ataxie der linken Hand. Bei
der Operation fand sich an der Stelle des Prolapses eine Cyste, an deren Grund
sich nach Entleerung größerer Flüssigkeitsmengen ein Tumor, der allmählich in
die Kleinhirnsubstanz überging, fand. Völlige Entfernung des Tumors gelang
nicht, Pat. überstand die Operation gut. Die Verff. halten für möglich, daß der¬
selbe einer neuen längeren Periode relativen Wohlbefindens entgegengeht.
III. 15jähriger Patient klagt seit fast einem Jahre über gelegentlich auf-
tretendes Erbrechen, Anfälle von Schwäche, unsicheren Gang, Kopfschmerzen,
Schwindel, hin und wieder Doppeltsehen und Abnahme der Sehkraft. Objektiv:
Pupillen weit, reagieren nicht auf Konvergenz, leichte Ataxie der Arme, doppel¬
seitige Stauungspapille. Bei der Operation wurden große Mengen seröser Flüssig¬
keit entleert, das Kleinhirn wölbte sich stark vor, ein Tumor wurde nicht ge¬
funden. Erhebliche Besserung: alle Allgemeinsymptome schwanden, so daß Pat.
nach 7 Monaten einen völlig gesunden Eindruck machte. Es bestand nur noch
geringe Parese und Ataxie der linken Hand, der linke Opticus ist atrophisch.
Eine eigroße Hernie über der linken Hinterhauptsgegend hat aus noch nicht völlig
geschlossenen Nahtstellen bis 5 Monate nach der Operation häufig größere Mengen
Cerebrospinalflüssigkeit entleert.
Auch die übrigen Fälle, über die berichtet wird, bieten, wie die mitgeteilten
Sektionsbefunde, mancherlei interessantes, so daß die Lektüre des Originals warm
empfohlen werden kann.
14) Über Kleinhirntumoren, von Prof. Kohts. (Deutsche med. Wochenschr.
1906. Nr. 8.) Ref.: R. Pfeiffer.
Im unterelsässischen Ärzteverein zu Straßburg referiert Verf. über die seit
1874 in der Kinderklinik beobachteten Fälle von Kleinhirntumoren und bespricht
dabei den Wert der einzelnen klinischen Symptome, ohne wesentlich Neues zu
bringen.
15) Hemiagönösie oeröbelleuse; agenösie partielle du oorpa oalleux et du
lobe limbique; anomalies des oirconvolutions cörebrales, parCh.Bonne.
(Archiv, de neurologie. XXII. 1906. Nr. 128.) Ref.: S. Stier (Rapperswil).
Patient, Metzger von Beruf, kam (26jährig) wegen „Epilepsie mit geistiger
Schwäche“ in das Asyl von Braqueville. Er zeigte sich hier ruhig, bildungsfähig,
beschäftigte sich. Die Krampfanfälle wurden allmählich immer seltener; dafür
traten häufiger Schwindel, jedoch stets ohne Hinfallen auf; ferner häufige Schwei߬
ausbrüche bei der leichtesten Erregung. Nie wurde das geringste Anzeichen einer
Kleinhirnaffektion beobachtet, weder eine Störung der Orientierung, noch des
Gleichgewichtes. Der Schädel war asymmetrisch, in der Stirnregion gleich stark
wie am Hinterhaupt. 1904 erste Anzeichen beginnender Lungentuberkulose, die
in den nächsten Monaten stark zunahm. Im folgenden Jahre wurden die Krampf¬
anfälle wieder häufiger. Beim Fallen war nie eine Körperseite besonders bevor¬
zugt.
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Anfang September 1905 Tod im Status epilepticus.
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Anatomischer Befund: Rechte Kleinhirnhemisphäre normal. Wurm mit
derselben verschmolzen, nur schwer abzugrenzen, im vertikalen wie anteroposterioren
Durchmesser verkleinert. Linke Kleinhirnhemisphäre auf ein etwa erbsengroßes
Läppchen mit deutlicher Lamellierung reduziert; dasselbe ist der Brücke seitlich
angelagert, nach hinten und zwischen den AuBtrittsstellen vom N. trigeminus
einerseits, N. facialis und acusticus andererseits und stellt die Flocke dar. Die
drei Kleinhirnstiele der linken Seite Bind durch einen voluminösen weißen Strang
ersetzt, der in nach unten konkavem Bogen von der Flocke nach dem Wurm hin
zieht. Sein unterer Rand liegt frei und begrenzt eine weite Bucht, auf deren
Grunde die regelmäßig gebildeten Rückflächen von Pons und tiedulla liegen.
Linke Olive normal; die rechte äußerlich nicht sichtbar, zeigt sich auf Schnitten
zu kleinem, kaum sichtbarem Streifen reduziert. Beide Pyramiden von gleicher
Gestaltung. In der Brücke ist die Fußregion rechts weniger entwickelt als links.
Nucleus ruber ebenfalls rechts weniger entwickelt als links. Nucleus dentatus
rechts normal. Die Großhirnhemisphären zeigen außer zahlreichen nicht sym¬
metrischen Windungsanomalien eine Deformation der hinteren Partien, die in
deutlicher Beziehung zur Asymmetrie des Hinterhirnes steht, auf; rechter Occipital-
pol liegt weiter vor als der linke; rechte Hemisphäre wiegt (nach Härtung in
Müller und Abzug der Pia) 420 g und ist 145 mm lang, die linke wiegt 450 g
und mißt 152 mm. Beide Temporallappen sind namentlich im vorderen Teil ver¬
kleinert. Der Balken i6t zu einer schmalen weißen Platte, im vorderen Teil von
etwa 1—l'/jmm Dicke, nach hinten noch schmäler, reduziert. Fornix, vordere
und hintere Kommissuren sind normal. Gyrus fornicatus links wenig entwickelt,
rechts nur im vorderen Drittel deutlich differenziert. Mißbildungen der Windungen
im übrigen so zahlreich und kompliziert, daß genaue topographische Bestimmung
nicht möglich ist.
Der Beginn der Entwickelungshemmung ist an das Ende des 3. Fötalmonates
zu legen. Die Ursache, bleibt dunkel, da Entzündungserscheinungen fehlen, auch
daB klinische Bild keine Anhaltspunkte gibt.
10 Abbildungen veranschaulichen die geschilderten Anomalien.
Die mikroskopische Untersuchung unterblieb.
16) Contributo allo Studio olinioo dell* at&ssia oerebellare, per Abruzzetti.
(Riv. critica di clin. med. 1906. S. 245.) Ref.: Hübner (Herzberge*Berlin).
Im Anschluß an einen vom Verf. beobachteten Fall werden die Gang- und
Gleichgewichtsstörungen bei verschiedenen Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten
besprochen.
17) Ataxia ln Childhood, by Frederick E. Batten. (Brain. Autumn, Winter
1905.) Ref.: L. Bruns.
Verf. beschreibt drei seltenere Arten der Ataxie bei Kindern. Die erste Form
ist angeboren und hat eine Tendenz zur Heilung. Es handelt sich hier offenbar
um eine Form cerebraler Diplegie, in der cerebellare und auch bulbäre Störungen
— skandierende und langsame Sprache — stark hervortreten. Manche dieser
Fälle erinnern auch wohl an choreatische und athetotische Diplegie. Eine Ten¬
denz zur Heilung besteht offenbar dann, wenn die cerebralen Symptome sehr
gering sind, weil dann das Großhirn die Funktionen des Kleinhirns übernehmen
kann. Die zweite Form ist die bekannte akute Ataxie Leydens, die disserainierte
Encephalomyelitis, die neuerdings von Nonne als akute Encephalitis cerebelli
bezeichnet wurde. Charakteristisch ist ihr akutes Eintreten unter Fieber oder
nach fieberhaften Erkrankungen und die Häufigkeit voller, oft rascher Heilung.
Verf. erkennt selber an, daß auch bulbäre und cerebellare Störungen — Sprach¬
störung, Benommenheit — dabei Vorkommen, event. auch spinale (Blasenstörungen).
Die Erhöhung der Reflexe kann auch spinaler oder bulbärer Natur sein. Der
Name Encephalomyelitis disseminata, den Ref. in seiner fast immer übersehenen
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Arbeit benutzt, ist deshalb wohl richtiger, obwohl oft die cerebellaren Symptome
überwiegen, ln dritter Linie folgen in ihren Symptomen ganz gleiche Fälle eines
progressiven und wohl in der späteren Kindheit beginnenden Leidens, das natür¬
lich sehr viel Ähnlichkeit mit Friedreichs und Maries Ataxie hat — es fehlen
aber Nystagmus, Sehnervenaffektion und Gelenkdeformitäten.
18) Die infantile cerebrale Hemiplegie, von J. Frankel. (Zeitschr. f. ortho¬
pädische Chirurgie. XV. S. 207.) Bef.: Adler (Pankow/Berlin).
Verf. hat das Material der Universitätsklinik für orthopädische Chirurgie in
Berlin, welches sich auf 60 Beobachtungen erstreckt, eingehend bearbeitet und
kommt auf Grund einer hauptsächlich ätiologisch-klinischen Betrachtungsweise zu
dem Schlüsse, daß die infantile cerebrale Hemiplegie einen Symptomenkomplex
darstellt, welchem eine vaskuläre Entstehung zugrunde liegt. Von Bedeutung
sind alle vaskulären Schädigungen, welche während der Fötalperiode, des Geburts¬
aktes usw. zur Geltung kommen. Als solche sind zu nennen hereditäre Lues,
Cirkulationsstorungen im Fötus, Encephalitis, Meningitis, Embolie und Thrombose.
Die Littleschen Momente sind für die cerebrale Hemiplegie von größerer Be¬
deutung, als man bisher glaubte, und Verf. sieht die schweren Geburten, ins¬
besondere Zangengeburten, als direkte Ursache der Hemiplegie an, während die
Frühgeburt und ein Teil der schweren Geburten als Folgen pränataler Momente
gedeutet werden müssen. Die akuten Infektionskrankheiten spielen bei der Ver¬
anlassung der cerebralen Hemiplegie in manchen Fällen nur insofern die aus-
lösende Rolle, als die Toxinwirkung ein schon vorher geschädigtes Gehirn in der
am meisten betroffenen Gegend (Prädilektionsstelle: Verbreitungsbezirk der Arteria
cerebri media) am intensivsten trifft. Die infantile cerebrale Hemiplegie steht
den cerebralen Diplegien (Littlesche Krankheit) am nächsten. Die schweren
Deformitäten der Hand nach cerebraler Hemiplegie sind heutzutage einer erfolg¬
reichen chirurgischen Behandlung zugänglich, mittels welcher ein gutes kosmetisches
und funktionelles Resultat erzielt werden kann. Durch die Sehnenplastiken läßt
sich aber nicht nur eine bessere Stellung und Funktion der betroffenen Glied¬
abschnitte erzielen, sondern es wird durch dieselben auch die Intensität des
Spasmus verringert. Die Operation beseitigt ferner nicht nur die schon vorher
bestehende choreatische Unruhe, sondern sie hemmt auch das Auftreten der post-
hemiplegi sehen Chorea.
10) Über halbseitige Gehirnatrophie bei einem Idioten mit cerebraler
Kinderlähmung, von Prof. Dr. M. Köppen. (Archiv f. Psych. u. Nerven¬
krankheiten. XL. 1905). Ref.: Hei nicke (Großschweidnitz).
Von der Voraussetzung ausgehend, daß solche Fälle, wo eine Hemisphäre in
der Entwickelung zurückbleibt, und wo eine genaue Untersuchung jede Spur von
Meningitis, Sklerosen, Defektbildung oder Gefäßveränderung ausschließen läßt, am
meisten Licht in das Dunkel einer geringeren Ausbildung des Gehirns bringen
können, bespricht Verf. 2 Fälle, bei denen einseitige Hemisphärenatrophie be¬
obachtet wurde.
Im ersten Fall handelt es sich um einen in die Anstalt für Epileptische zu
Potsdam untergebrachten Kranken, der von frühester Kindheit an — wann? —
eine Lähmung der linken Körperseite hatte, mit 4 Jahren Kopftyphus durchmachte
mit darauffolgenden Ohnmachtsanfällen. Seit dem 16.—17. Jahre traten epilep¬
tische Anfälle auf. Pat. war von Jugend auf geistig schwach, hat aber 4 Schul¬
klassen durchgemacht, konnte lesen und schreiben, liebte Musik bis zur Begeisterung.
Somatisch ließ sich folgendes feststellen: linker Arm ist im Wachstum zurück¬
geblieben und einwärts rotiert; er ist im Ellenbogengelenk gebeugt; ebenso im
Handgelenk. Die Finger sind in den Metakarpophalangealgelenken flektiert, in
den Phalangealgelenken überstreckt; auch das linke Bein ist kürzer; es steht
einwärts rotiert mit der Fußspitze nach unten; der Patellarreflex ist links stärker
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als rechts und führte links zu klonischen Nachzuckungen; der Achillessehnenreflex
ist ebenfalls links stärker. Der Tod trat durch Schädelbruch bei einem An¬
fall ein.
Die Autopsie ergab einseitige Atrophie der rechten Hemisphäre als wahr¬
scheinliche Folge einer Cirkulationsstörung in den kurzen und langen Kortikal¬
gefäßen. Es fanden sich drei Grade der Erkrankung: Herde mit grobmaschigem
Glianetz, Partien mit Vermehrung und Verdickung des Kapillarnetzes und endlich
bloße Lockerung des Gewebes. Die langen Bahnen waren gegenüber den kurzen
Assoziationsbahnen gut erhalten. An die rechtsseitige Hemisphärenatrophie mit
starkem HvdrocephaluB hat sieb eine Atrophie des rechten Nucleus ruber, des
linken Bindearmes und der linken Kleinhirnhemisphäre angeschlossen.
Im zweiten Fall handelt es sich um ein nicht belastetes epileptisches Mädchen,
das im 1. Lebensjahr bald nach der Impfung einen Krampfanfall bekam, nach
deqa eine Verkrüppelung des rechten Armes und Beines zurückblieb. Im 7. Lebens¬
jahre Auftreten bis dahin aussetzender Anfälle; während des ganzen Krankheits-
Verlaufes nahmen die geistigen Kräfte stetig ab. In körperlicher Hinsicht ließ
sich Parese der linken Körperhälfte nachweisen. Der Ober- und Unterarm, sowie
Hand befanden sich in der charakteristischen spastischen Haltung. Der rechte
Arm war 1 cm kürzer wie der linke; desgleichen war der Umfang geringer. Das
rechte Bein war ebenfalls verkürzt und zeigte wie der Arm Atrophie. Die Sehnen¬
reflexe waren auf der rechten Seite lebhafter.
Mit 26 1 /] Jahr Exitus an Herzschwäche nach Pneumonie.
Autopsie: Verkleinerung der linken Hemisphäre vorwiegend im Stirnlappen.
Sie zeigte keine Atrophie, nur eine allgemeine Verkleinerung der Substanz. In
der Hirnrinde waren die Tangential fasern abnorm tief gelagert. Wahrscheinlich
handelt es sich in diesem Falle um eine primäre Erkrankung der Basalganglien,
speziell des Corpus striatum; denn hier fand sich ein abnormes Auftreten von
Nervenfasernetzen an einer Stelle, wo Nervenfasern sonst sehr spärlich sind. Diese
Irregularität der Nervenfasern ist wahrscheinlich das Anzeichen eines abgelaufenen
ausgeheilten Prozesses.
20) Über die Bewegungsstörungen der infantilen, cerebralen Hemiplegie
und über die Athetose double, von Dr. M. Lewandowsky in Berlin.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXIX. 1906.) Ref.: E. Asch.
In 2 Fällen von infantiler Cerebrallähmung, deren Krankengeschichten mit¬
geteilt werden, war die Wernicke-Mannsche Dissoziation der Hemiplegie nicht
vorhanden und statt dessen ließ sich eine paarweise Lähmung und Funktions¬
untüchtigkeit der Muskeln feststellen. Die wichtigste Unterart der infantilen Hemi¬
plegien, bei welchen es kurz nach dem Insult zu dauernden spastischen Muskel¬
spannungen kommt, ist die Athetose. Charakteristisch für dieselbe ist der
Rhythmus, die Langsamkeit der Bewegungen und die zeitweise auftretende, un¬
überwindliche Spannung der betroffenen Glieder. Verf. ist der Ansicht, daß die
Athetose ein spezifisches Symptom der infantilen Hemiplegie darstellt und wahr¬
scheinlich gar nicht besonders zu lokalisieren ist. In einzelnen Fällen ließen sich
außer den bekannten Mitbewegungen solche nachweisen, welche durch andere
Bewegungen und speziell durch das Gehen ausgelöst wurden, und welche als
Pseudoathetose aufzufassen wären. Was die echten identischen Mitbewegungen
betrifft, so sind sie als Folgen pathologischer Verbindungen anzusehen, welche
möglicherweise in der Anlage bestanden, aber unter der Wirkung der hemi-
plegischen Affektion zustande kamen.
Im Anschluß daran werden 4 Fälle von Athötose double besprochen, deren
Besonderheit nicht durch die Doppelseitigkeit der Bewegungen ausgemacht wird,
sondern deren Eigentümlichkeit in den Beziehungen zwischen den Bewegungen
der einzelnen Körperteile
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und Glieder untereinander besteht. Es handelt sich
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dabei um eine Art generalisierter, aber nicht identischer Mitbewegungen, ln
allen ausgebildeten Fällen ist das Gesicht betroffen und sind die wilden Zuckungen
am ehesten als Grimassieren zu bezeichnen. In sämtlichen Beobachtungen des
Verf.’B gelang es nicht den Augen* und den Mundfacialis einer Seite isoliert zu
innervieren. Der Gang der an Athetose double Leidenden ist nur dann deutlich
spastisch, wenn zu gleicher Zeit spastische infantile Diplegie besteht; ist dies
aber nicht der Fall, so ist er eigentümlich verzerrt, als ob jemand mit leichten
Spasmen auf Eiern gehen wollte. Als seltene Komplikationen fand sich in einer
Beobachtung die Unmöglichkeit, die Augen nach oben zu bewegen und in einem
weiteren Fall das Versagen des willkürlichen Augenschlusses.
21) Ipertrofla oompensatoria in an oaso di cerebroplegia infantile, per
F. Ugolotti. (Rivista di patol. nerv, e ment. 1905. Sept.) Ref.: Flörsheim.
Verf. berichtet über einen Fall von Hemiplegia spastica infantilis dextra, der
im 16. Lebensjahr an einer akuten Erkrankung zugrunde ging. Es fand sich eine
ausgedehnte Porencephalie der linken Hemisphäre. Der linke Pedunoulus war
sehr klein, der linke Hirnschenkelfuß fehlte ebenso wie die linke Pyramide völlig;
die entsprechenden rechtsseitigen Gebilde waren hypertrophiert. Im Cervikalmark
war die rechte Pyramidenvorderstrangbahn hypertrophisch, die linke fehlte; die
linken Pyramidenseitenstrangfasern hatten normale Dimensionen, das Volumen der
rechten war stark verkleinert. In der grauen Substanz fanden sich, abgesehen
von einer leichten Verkürzung des rechten Hinterhornes, keine Differenzen. Nach
abwärts glichen sich die Differenzen beider RückenmarkBhälften allmählich aus,
um im Dorsal mark ganz zu verschwinden. Trotz dieser weitgehenden Zerstörungen
hatte das Individuum lange Zeit seine rechten Extremitäten leidlich gebrauchen,
auch verständlich sprechen können. Verf. betont, daß nicht die basalen Ganglien
der erkrankten Hirnhälfte, sondern ausschließlich die Centren der anderen Hemi¬
sphäre die Funktionen der zerstörten übernommen haben.
22) Die orthopädische and chirurgische Behandlung der infantilen oere*
braten Lähmungen, von Michael Horv&th. (Pester med.-chirurg. Presse.
XL. Nr. 35u.f.) Ref.: Adler (Pankow/Berlin).
Über die Frage der Gruppierung der cerebralen Kinderlähmungen ist eine
Einigung noch nicht erzielt worden. Für den Praktiker genügt nach Ansicht
des Verf.’s eine Einteilung in heilbare und unheilbare Fälle; als Basis und aus¬
schlaggebend für die Prognose ist die Entwickelung der Intelligenz anzuBehen.
Die Indicatio causalis tritt nur ein, wenn in der Anamnese Lues nachgewiesen
ist, sonst muß man sich vorwiegend an symptomatische Behandlung halten. Diese
hat aber auch nur dann statt, wenn die Intelligenzstörung nicht einen zu hohen
Grad erreicht hat. Therapeutisch am wichtigsten sind die Motilitätsstörungen,
die als Lähmungen, spastische Kontrakturen oder choreatische Bewegungen auf-
treten können. Lähmung entsteht — nach der am meisten anerkannten Freud-
sehen Theorie — wenn die Rindenzellen, das kortikale Neuron, vollständig ihre
Tätigkeit versagen; ist die Aufhebung der Tätigkeit nicht vollständig, findet nur
eine Abschwächung Btatt, so tritt Spasmus ein. In beiden Fällen besteht eine
mehr oder weniger große Störung des Gleichgewichtes in den Muskeln, die durch
die Antagonisten hervorgerufen wird. Diese Störung zu beseitigen, ist die Auf¬
gabe der orthopädischen und chirurgischen Behandlung. Sie kann beseitigt werden
1. durch Verminderung der Wirkungen des Spasmus, 2. durch Stärkung des
Antagonisten. Der erste Weg kann zum Ziele führen durch Übung der noch
dem Willen unterworfenen Teile des Muskels oder, falls Bolche Teile nicht mehr
vorhanden sind und reiner Spasmus besteht, duroh plastische Verlängerung der
Sehnen, bzw. bei gleichzeitiger Parese durch Kombination von Sehnenverlängerung
und Sehnentransplantation. Die Antagonisten werden durch Massagen usw. gestärkt.
23) Sehnenüberpflanzung und Sehnenplastik bei Muskelläbmung und Kon-
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trakturen, von J. Hevesi. (Peeter med.-chirurg. Presse. XL. Nr. 3u. t.)
Ref.: Adler (Pankow/Berlin).
Das Hauptverdienst um die Einführung der Überpflanzung und Plastik von
Sehnen spricht Verf. — abgesehen von einigen älteren Autoren, die nur vereinzelte
Versuche machten — Nicoladoni zu, der im Jahre 1880 einen Pes calcaneus
paralyticus nach der genannten Methode operierte. Die „Funktionsübertragung
der Muskeln“ hält Verf. in allen Fällen für indiziert, in denen die Funktions¬
fähigkeit wichtiger Muskeln oder Muskelgruppen dauernd gestört ist und durch
andere Methoden nicht wieder hergestellt werden kann. Dies ist der Fall 1. bei
Sehnendefekten, 2. bei motorischen peripheren Lähmungen nach Traumen, 3. bei
schlaffen Lähmungen centralen Ursprunges. Bei spinalen Kinderlähmungen nach
Poliomyelitis anterior werden besonders häufige und günstige Resultate erzielt,
4. bei spastischen Lähmungen, ferner bei Littlescher Krankheit, bei Knie¬
kontraktur nach Entzündungen, habitueller Verrenkung der Kniescheibe u. a.
Für die Operation selbst ist von größter Wichtigkeit die Feststellung, welche
Muskeln gelähmt und welche funktionsfähig sind. Neben der Gestaltung der
Deformität kann man dies nach Ansicht des Verf.’s am besten bei der Operation
selbst bestimmen. Die Korrektur der Deformität muß Btets vor der Sehnen¬
operation vorgenommen werden, bei der peinlichste Asepsis zu beobachten ist und
vom Verf. auf die Blutleere verzichtet wird, wegen der später auftretenden par¬
enchymatösen Blutung. "Was den Wert der vielen verschiedenen Arten der Über¬
pflanzung betrifft, so hält Verf. die ursprüngliche Transplantation von Sehne zu
Sehne für die zweckentsprechendste und natürlichste. Die vollständige Über¬
pflanzung kann stattfinden, wenn die Funktion des kraftgebenden MuskelB nicht
in Betracht kommt. Künstliche Sehnen wendet Verf. nur an, wenn die vorhandene
znr Spaltung zu dünn ist.
Verf. gibt nun bei einer Reihe von Fällen die spezielle Technik an. So
wurde am Oberarm der gelähmte M. deltoideus durch den Pectoralis, von anderen
durch den Cucullaris ersetzt, der Triceps durch den Deltoideus; am Vorderarm
traten die verschiedensten Substitutionen auf. Am Oberschenkel kommen der
Glntaeus maximus, der Quadriceps femoris, die Überpflanzung der Beugemuskeln
auf die Streckseite (bei entzündlicher Kniekontraktur) u. a. in Betracht. Fu߬
deformitäten nach Lähmungen werden — infolge der Verschiedenartigkeit der
betroffenen Muskeln — auf die verschiedenste Weise und mit günstigem Erfolge
korrigiert.
Die ersten Erfolge der Operation zeigten sich in der gewünschten Stellung
des betreffenden Gelenkes. Die aktive Muskeltätigkeit, die nach richtiger Ver¬
teilung der gesunden Muskeln erfolgt, tritt gewöhnlich erst längere Zeit nach der
Operation und oft erst nach geeigneter Nachbehandlung durch Massage auf.
Psychiatrie.
24) I. Über Geisteskrankheiten, entstanden im Anschluß an die poli¬
tischen Ereignisse in Rußland, von Rybakow. (Russki Wratsch. 1905.
Nr. 51; 1906. Nr. 3. u. 8.) — II. Über den Einfluß der politischen Er¬
eignisse auf die Entstehung geistiger Erkrankungen, von Skljar.
(Ebenda. 1906. Nr. 8. u. 15.) Ref.: Wilh. Stieda.
In der ersten Arbeit teilt R. sieben kurze Krankheitsgeschichten aus der
Zeit von Ende Oktober bis Mitte November 1905, der Zeit des Ausbruchs der
Revolution in Rußland mit. Verf. hat die Kranken z. T. nur ambulatorisch ge¬
sehen und berichtet dementsprechend nur über Anamnese und augenblicklichen
Status. Nichtsdestoweniger stellt er auch sofort die Diagnose und meint, daß
fünf von den Patienten eine Paranoia, einer eine Vesania maniacalis und einer
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eine Vesania melancholica mit paranoiden Zügen hatten. AIb allen diesen Fällen
gemeinsame Eigentümlichkeiten gibt er an: 1. den akuten Beginn und die schnelle
Entwickelung der Krankheit; 2. eine ausgesprochen depressive Stimmungslage;
3. deutlich ausgesprochene Anzeichen von Angst, Unruhe und Erwartung von
etwas Schrecklichem; 4. Inkonstanz der Wahnideen; 5. remittierenden Verlauf
und 6. massenhafte Halluzinationen und Illusionen. Erbliche Belastung habe er
nur selten finden können.
Verf. weist darauf hin, daß er nie früher in so kurzer Zeit so viele der¬
artige Krankheiten gesehen habe und meint, daß man wohl annehmen könne, daß
die durch die politischen Ereignisse (politischen Streiks, Massenprügeleien, revolutionäre
Meetings mit nachfolgender KosackenVerfolgung, Teilnahme an der verbotenen
sozialdemokratischen Bewegung) erzeugte psychische Wunde so tiefgreifend sein
müsse, daß sie auch auf nichtprädisponiertem Boden geistige Erkrankungen hervor-
rufen könne, die wohl ätiologisch zusammengehörten.
In seiner zweiten Arbeit teilt Verf. noch fünf weitere Krankheitsfälle mit,
die ein ähnliches Bild boten. Im allgemeinen wiederholt er dieselben Ansichten,
wie in der ersten Arbeit, unterstreicht besonders das paranoide und depressive
Element der Erkrankungen und berichtigt nur Beine Angaben dahin, daß es doch
scheint, als spiele die erbliche Belastung eine große Rolle beim Entstehen dieser
Erkrankungen. Daher sei wohl anzunehmen, daß ein rüstiges, gesundes Hirn alle
geistigen und gemütlichen Erschütterungen überstehen könne, die einem erblich
belasteten oder noch nicht ganz entwickeltem Hirn verderblich werden können.
Was die Prognose anlangt, so meint Verf., man könne in diesen Fällen einen
— mindestens für den Anfall — günstigen Ausgang erwarten, da sie alle akut
und stürmisch begonnen hätten. Jedoch hänge die Prognose in jedem einzelnen
Fall von dem Grade der somatischen und psychischen Widerstandsfähigkeit der
Kranken ab.
In der dritten Arbeit endlich faßt Verf. noch einmal alles vorher Gesagte
zusammen. Er beleuchtet eingehend den Zusammenhang der Erkrankungen mit
den politischen Ereignissen und spricht die Ansicht auB, daß die Eigenart der
„psychischen Wunde“ nicht nur auf den Inhalt der Wahnideen und Halluzinationen,
sondern wohl auch auf die Art der Erkrankung bestimmend wirken könne.
In derselben Nummer der Zeitschrift veröffentlicht Skljar als Antwort auf
die erste Arbeit Rybakows vier Fälle von Geisteskrankheit ähnlichen Ursprungs,
wie die von R. mitgeteilten, bezeichnet aber drei von ihnen als Verblödungs¬
psychosen und einen als alkoholischen halluzinatorischen Wahnsinn. S. protestiert
energisch gegen die Auslegung solcher Erkrankungen als einer besonderen Form,
die durch die politischen Ereiguisso zu erklären wäre, und weist nach, daß die
von R. notierten Eigentümlichkeiten (der akute Beginn, die massenhaften Halluzi¬
nationen, die Inkonstanz der Wahnideen und der remittierende Verlauf) durchaus
charakteristisch für die Gruppe der Dementia praecox sind. Ferner widerlegt er
die Behauptung R.'s, daß seine Patienten nur wenig erblich belastet gewesen
wären und meint, daß weder R.’s noch seine eigenen Fälle Anlaß dazu gegeben
haben, anzunehmen, daß die politischen Ereignisse auch ein nichtprädisponiertes
Hirn zur Erkrankung bringen könnten — eine Ansicht, die, wie oben mitgeteilt,
mittlerweile aber schon R. selbst berichtigt worden war.
In seiner zweiten Arbeit kommt Skljar auf Grund der letzten Arbeiten
von R. noch einmal auf die Frage zurück, wiederholt, daß R.’s Fälle keine
irgendwie spezifischen Züge aufgewiesen haben, und warnt davor, auf Grund so
kurz dauernder Beobachtung neue Krankheitsbilder aufzusteilen. Auch weist er
darauf hin, daß R. einen Fehler begehe, wenn er, ohne die Fälle genauer zu
diagnostizieren, auf Grund des akuten und stürmisohen Beginns eine gute Pro¬
gnose stelle. In dieser allgemeinen Fassung ausgesprochen, sei so eine Prognose-
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141
Stellung nur vom Standpunkt der Einheitspsychose möglich. Nehme man aber
gesonderte natürliche Krankheitseinheiten an, so müsse jede ihren besonderen Ver¬
lauf und eine dementsprechende Prognose haben, wie z. B. die Katatonie und die
Amentia, die beide oft einen akuten stürmischen Beginn haben, eine ganz ver¬
schiedene Prognose geben.
(Bef. möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die hier skizzierte
Kontroverse so recht den Unterschied zwischen der alten, symptomatologischen
und der neueren, klinischen Forschungsrichtung beleuchtet. Nur in der letzteren,
die sich nicht nur auf das augenblickliche Zustandsbild, Bondern auf den ganzen
Verlauf der Krankheiten stützt und natürliche Krankheitseinheiten aufzustellen
sucht, liegt der weitere Fortschritt in der Psychiatrie.)
26) Dementia praeoox in Franoe with aome referenoes to tbe frequency
of thls diagnosis in Amerioa, by Clarence B. Farrar. (Amer. Journ.
of Insanity. 1905. Oktober.) Bef.: G. Dreyfus (Heidelberg).
Der Verfasser ist ein begeisterter Anhänger der Kraepelinscben Einteilung
der Psychiatrie, insbesondere vertritt er mit Nachdruck die Berechtigung, eine
Reihe von Krankheitsformen unter dem Namen „Dementia praecox“ zusammen¬
zufassen. Er schildert, wie sich in Frankreich die Psychiater in zwei Gruppen
gespalten haben, auf der einen Seite Deny, der in der Dementia praecox-Frage
ganz auf der Seite Kraepelins steht, während B6gis, Vallon und Marandon
de Montyel zäh mi der alten Nomenklatur festhalten und von der neuen Ein¬
teilung nichts wissen wollen.
Eine Anzahl instruktiver Kurven veranschaulicht die klinischen Ansichten
der amerikanischen Psychiater. Man ersieht daraus, wie in den letzten Jahreu
in den amerikanischen Irrenanstalten die Aufnahmen von Dementia praecox-
Kranken außerordentlich zugenommen haben, während die Diagnosen: Manie,
Melancholie nsw. immer seltener gestellt werden, ein Beweis dafür, auf wie frucht¬
baren Boden die Ansichten deutscher Psychiater in Amerika gefallen sind.
•
Forensische Psychiatrie.
26) Vergleich von Verbrechen und Homosexualität, von Näcke. (Monats¬
schrift f. Kriminalpsychologie usw. 1906. S. 477.) Autoreferat.
Lombroso hatte in einem Vortrage nachweisen wollen, daß zwischen In¬
version und Verbrechen viel Berührungspunkte bestehen. Er Bchien also für
beide Phänomene eine gleiche oder ähnliche Wurzel anzunehmen. Dagegen wendet
sich energisch Verf. und weist die ganze Hohlheit der Lombrososchen Deduk¬
tionen auch hier nach. Natürlich parallelisiert L. wieder Kinder und Wilde mit
Verbrechern, was absolut falsch ist. Nur sehr wenige Kinder lügen oder sind
wirklich grausam und ähnliches gilt von vielen Wilden. Man muß stets nach
den mannichfachen Motiven Bpüren, bevor man Identitäten aufstellt und Lom-
broBo verwechselt letztere konstant mit bloßen äußeren Analogien. Auch wirk¬
liche Neigung zu Homosexualität bei Kindern ist sehr selten und dann bleibend.
Häufiger tritt sie aber nur vorübergehend in der Pubertät auf und zwar faute
de mieux. Wer homosexuell bleibt, dokumentiert aber damit eine angeborene
Anlage dazu. Die Inversion an sich ist wohl kein Stigma und Homosexuelle
sind wahrscheinlich nicht öfter psychopathisch, mit Stigmen behaftet oder erb¬
lich belasteter, als die Heterosexuellen. Echte Homosexualität, die sich also
schon von klein auf zeigt, wobei die Gelegenheitsursachen, z, B. Sehen von nackten
Körpern usw., nur ganz sekundäre und triviale 1 sind, erscheint einer Therapie
1 Ich freue mich, daß Dr. Iwan Bloch, einer der Hauptrepräsentanten der psycho¬
logischen Theorie der sexuellen Perversion, speziell der Homosexualität, jetzt, wie er mir
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142
unzugänglich. Mehr dagegen kann man bei Bisexuellen ausrichteu und jeder
Mensch ist wahrscheinlich ab ovo bisexuell, aber mit nur geringer homosexueller
Komponente ausgestattet. Der homosexuelle Trieb ist also wohl sicher eingeboren
wie der andere und ihm an die Seite als seltenere, aber normale Art der Libido
zu setzen. Die absolut falschen Urteile Lombrosos und der Anderen über Homo¬
sexualität kommen hauptsächlich daher, daß die Autoren die Urninge draußen nicht
kennen können, nur aus der Sprechstunde.
m. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 14. Januar 1907.
1. Herr Stier: Die Begutachtung akuter Tronkenheitssustftnde in foro,
mit besonderer Berücksichtigung der militärischen Verhältnisse. Bei Be¬
urteilung der Trunkenheitsdelikte gestattet auch das militärische Strafgesetzbuch
die Anwendung des § 51 des RStrGB ohne jede Einschränkung, wenn die Trunken¬
heit als krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder als Bewußtlosigkeit aufzu¬
fassen ist. Hat die Trunkenheit diesen Grad nicht erreicht, dann kann sie im
allgemeinen als Strafmilderungsgrund in Betracht kommen; nur bei den für die
Armee besonders wichtigen Vergehen gegen die Disziplin besteht eine gewisse,
praktisch aber fast belanglose Einschränkung dieser milderen Beurteilung. —
Bei der Frage der Anwendbarkeit des § 51, bei der also Unterschiede zwischen
den militärischen und bürgerlichen Verhältnissen nicht bestehen, machen vor allem
diejenigen Trunkenheitszustände Schwierigkeiten, welche nicht echte pathologische
Rauschzustände sind oder nicht deutlich solche Symptome aufweisen, die dem
Rausche des vollsinnigen Mannes fremd sind. Den von Cramer, Heilbronner u.a.
gemachten Vorschlag, die dabei vorliegende Schwierigkeit einer prinzipiell ver¬
schiedenen Auffassung dieser Zustände seitens der Richter und der Psychiater
dadurch zu umgehen, daß man in diesen Fällen einer mittleren, nicht eigentlich
pathologischen Trunkenheit auf ein ärztliches Endgutachten verzichten und die
Entscheidung lediglich dem Gericht überlassen soll, hält Vortr. für nicht durch¬
führbar, da wir als zweifellos Sachverständige zur Abgabe eines Gutachtens ver¬
pflichtet sind. Die Abgabe eines für das Gericht verwendbaren, ärztlich unan¬
fechtbaren Endurteiles erscheint auch möglich, wenn wir nach dem Vorschläge
von v. Liszt für diese, nicht eigentlich krankhafte Trunkenheit und ähnliche
Zustände den Begriff der „Bewußtlosigkeit“ aus dem §51 reservieren, und
sie von den Zuständen einer im em/eren Sinne des Wortes krankhaften Trunken¬
heit, die ebenso wie alle echten Psychosen als „krankhafte Störung der Geistes¬
tätigkeit“ anzusehen ist, abtrennen. Als Bewußtlosigkeit ist nach der Definition
des Reichsgerichtes derjenige Grad von Trübung des Bewußtseins zu bezeichnen,
bei welchem dem Täter die Erkenntnis von dem Wesen und Inhalt der vor¬
genommenen konkreten Handlung gefehlt hat. Der große Vorteil dieser Stellung
zu dem Problem liegt für den Psychiater darin, daß wir auf diese Weise die
nicht eigentlich pathologische Trunkenheit mit einem anderen Maß messen können
als die eigentlichen Psychosen und so am ehesten zu einem Endurteil gelangen
können, das nicht nur theoretisch einwandfrei, sondern auch praktisch brauchbar
Ende November 19u6 schrieb, seine frühere Meinung fast ganz aufgegeben und im all¬
gemeinen meinen und Hirsch fei ds Ansichten sich angeschlossen hat. Das zeigt auch
sein neues und vortreffliches Werk: Das Sexualleben unserer Zeit (Berlin 1907, Marcus).
£>eine Meinung änderte er infolge genauerer Bekanntschaft mit vielen Homosexuellen
draußen. Wenn er trotzdem noch eine „erworbene“ Form neben der angeborenen annimmt.
so fällt dieselbe mit der von Krafft-E bing, mir u. a. aufgestellten „tardiven* 4 zusammen,
da Bloch sicherlich auch in diesen Fällen eine angeborene Disposition aunehmen wird.
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ist. (Der Vortrag ist ein Teil einer größeren, bei Fischer-Jena erscheinenden
Arbeit.) Autoreferat.
Diskussion:
Herr Juliusburger betont, daß es sich bei allen im Zustande der Alkohol¬
intoxikation begangenen Straftaten um Produkte einer pathologischen Gehirn¬
arbeit handelt. Infolgedessen sollten wir es aufgeben, mit den Juristen Kom*
promisse zu schließen, uns vielmehr in jedem einzelnen Falle gegen die Zulässigkeit
der Bestrafung des Deliktes erklären. Eine solche ist immer ungerecht, um so
mehr, als die Gesellschaft durch ihre Trinksitten mit die Schuld an der Entstehung
der Alkoholdelikte ist. Ihre wirksame Bekämpfung kann nur durch weitgehendste
Aufklärung bewerkstelligt werden, die Alkohol Verbrecher selbst müssen in Spezial -
anstalten, und so lange es solche nicht gibt, in Irrenanstalten untergebracht werden.
Herr E. Mendel teilt völlig den Standpunkt des Vortr,, daß der psychiatrische
Sachverständige sich der Beantwortung der Fragen des Richters nicht entziehen
soll. Leider werden im allgemeinen Sachverständige bei Alkohol delikten, welche
vor das Schöffengericht kommen, von dem unter Umständen auf langdauernde
Gefängnisstrafen erkannt werden kann, noch viel zu selten hinzugezogen, wie M.
au9 eigener Erfahrung als Beisitzer im Schöffengericht bestätigen kann. Psychiatrisch
fällt der weitaus größte Teil der Alkoholstraftaten unter den Begriff der Bewußt¬
losigkeit, den M. aber, von der vulgären Auffassung der letzteren abweichend, als
Trübung bzw. Aufhebung des Selbstbewußtseins aufgefaßt zu sehen wünscht.
Herr Stier konstatiert mit besonderer Genugtuung die Übereinstimmung
zwischen der Auffassung des Vorredners und der seinigen, betont aber, daß es
für den Sachverständigen am zweckmäßigsten sei, sich auf die von ihm zitierte
jüngste Entscheidung des Reichsgerichtes zu beziehen; in dieser fehle allerdings
der Begriff des Selbstbewußtseins, der auch so schwierig zu definieren sei, daß
man besser auf ihn nicht zurückgreife. Nicht unbedenklich ist auch eine allzu
weite Ausdehnung der Zuziehung von Sachverständigen; bei vielen geringfügigen
Delikten sei dieselbe nicht durchaus angezeigt; es könne nicht immer als ein
Unglück oder eine Unregelmäßigkeit angesehen werden, wenn jemand einen
Rausch durch eine ihm auferlegte Geldstrafe etwas teurer bezahle, ein Umstand,
dessen erziehliche Wirkung nicht ganz von der Hand gewiesen werden könne.
Herr Juliusburger stehe im wesentlichen auf demselben Standpunkte, wie
Hoppe, der aber Geltung habe wohl für die Straftaten der chronischen Alko-
holisten, nicht aber für den akuten Alkoholrausch, auf den Vortr., wie er ein¬
leitend bemerkt hat, sich in erster Linie bezogen hat, da nur er beim Militär
eine wesentliche Rolle spiele. Es könne gar keine Rede davon sein, jeden Soldaten,
der einmal im Rausch eine mehr oder minder schwere Straftat begangen hat, in
eine Irrenanstalt zu verbringen. Ganz abgesehen davon aber müsse der Sach¬
verständige vor Gericht sich mit dem Gesetz abfinden, wie es einmal ist, und den
Verhältnissen der Praxis Rechnung tragen.
2. Herr Liepmann demonstriert eine 86jährige Frau mit sensorisoher
Aphasie. Die Krankheit besteht seit etwa 10 Monaten. Die Worttaubheit ist,
wie gewöhnlich, im Grade schon erheblich zurückgegangen, ist aber immer noch
recht schwer. Ganz schlecht ist das Nachsprechen und die Spontansprache, welche
von paraphasischen Bildungen aller Art wimmelt. Schreiben, außer kopieren,
aufgehoben; Lesen äußerst schwer gestört. Zweck der Demonstration ist, zu zeigen,
daß im Gegensatz zu vielen anderen Aphasischen hier keine Spur von Apraxie
besteht: die Frau macht alle Bewegungen richtig nach, führt (wenn man für
Verständnis gesorgt hat) alle Ausdrucksbewegungen richtig aus und manipuliert
fehlerlos. Es ist diese Feststellung von Wichtigkeit gegenüber der Behauptung
von Pierre Marie, daß Aphasie und Apraxie auf eine „Intelligenzstörung“
zurückzuführen sei durch Läsion ein und desselben Gebietes, dos in diffuser Weise
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alle erlernten Begriffe beherberge. Man sieht hier, daß Aphasie und Apraxie
ganz getrennt ausfallen können, daß eine schwere Aphasie neben vollkommener
Eupraxie bestehen kann. Wenn schon Eupraxie ein gewisses Maß von Intelligenz
sichert (nicht ist umgekehrt Apraxie immer als Defekt der Intelligenz aufzufassen),
so erweist sich auch im übrigen die 86jährige Frau trotz ihres Gehirnherdes
recht intelligent. Das läßt sich bei der Schwierigkeit der Verständigung weniger
durch eine ausdrückliche Prüfung erweisen, als durch ihr angemessenes Verständnis
und taktvolles Verhalten in den verschiedensten Situationen. Will man bei der .
Bemessung der Intelligenz den Hauptwert auf den Besitz der Begriffe legen, so
besitzt sie eben alle Gegenstandsbegriffe (keine Agnosie), alle Begriffe von dem
Gebrauch der Gegenstände, den konventionellen Bewegungen, von den verschiedenen
Situationen, in die sie gerät, und den passenden Reaktionen auf dieselben. Die
Merkfähigkeit ist recht gut Nur das Rechnen ist sehr schlecht, was ich un¬
gewöhnlich oft bei Aphasischen beobachtet habe. Kurz summarisch gesagt, ist
hier nur die Sprachfunktion in allen Richtungen gestört, und zwar sehr schwer.
Autoreferat.
Martin Bloch (Berlin).
Ärztlioher Verein in Hamburg.
Sitzung vom 4. Dezember 1906.
Herr Nonne demonstriert die mikroskopischen Präparate von 3 Fällen
von primärer kombinierter Bystemerkrankung. Im 1. Falle hatte sich die
Krankheit zuerst entwickelt unter dem Bilde der spastischen Spinalparalyse, zu
der sich sekundär Ataxie und Blasenstörcng hinzugesellt hatte und bei der die
Sehnenreflexe an den unteren Extremitäten im Verlauf der Behandlung ver¬
schwunden waren. In den beiden andern Fällen hatten die Hinterstrangssymptome
zunächst bestanden, und erst später entwickelte sich das Babinskische Zehen-
phänomen sowie Lebhaftigkeit der Sehnen- und Periostreflexe der oberen Extre¬
mitäten. Eine sichere Ätiologie ließ sich in keinem der 3 Fälle nachweisen. —
N. bespricht die Klinik und Pathologie der primären kombinierten System¬
erkrankung.
Herr Hess: Während das Babinskische Zeichen in typischer Form in einer
trägen Dorsalflexion der großen Zehe besteht, kommen doch auch neben dieser
Dorsalflexionen sämtlicher Zehen vor, ferner ist die Dorsalflexion nicht immer
träge, sondern mitunter schneller. Auch wechselt die (Trägheits)form bei ein
und demselben Patienten, wie H. vor kurzem in einem Fall von syphilitischer
Meningomyelitis, in dem spastisch paretische Symptome der unteren Extremitäten
bestanden, nachweisen konnte. — Man wird alle diese Varianten unter „Babinski“
mit einrechnen, wenn man sich die enge Nachbarschaft der Centren für die Zehen
im Cortex vergegenwärtigt und den jeweiligen Grad der Pyramidenläsion (Leitungs¬
störung oder „Degeneration“) berücksichtigt. Autoreferat.
Nonne (Hamburg).
Um Einsendung von Separatabdrüoken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Veit & Comp, in I ^eipzig. — Druck von Mktzoeb & Wiitio in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
• •
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe Ton Dr. Kurt Mendel)
Seehsimdzw&iizigster " BerlllL Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern* Preis des Jahrganges 24 Mark* Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 15. Febrnar. Nr. 4.
Inhalt I* Originalmittsillingen. 1. Ein Fall von wiederholter transitorischer hallu¬
zinatorischer Verwirrtheit bei Tetanie, von Michael. Lapinsky. 2. Zur Phänomenologie der
cerebralen Hemiplegie, von Dr. Z. Bychowski. 3. Über Gewebsveränderungen im Gehirn
luetischer Neugeborener, von Otto Ranke. (Schluß.)
II. Referate. Anatomie. 1. Zur Frage von den Nervenganglien in der Gebärmutter¬
wand, von Sfscherbakow. 2. Das Verhalten der Nerven in der Substanz des Uterus, von
Labhardt. 3. Vergleichend-anatomische Untersuchungen über den Bau des Central kanales
bei den Säugetieren, von Biach. — Physiologie. 4. Zur Kenntnis der Variabilität und
Vererbung am Centralnervensystem des Menschen und einiger Säugetiere, von Karplus.
5. A prelimiuary note on the motor areas in the cerebral cortex of marsupials, by Flashman.
6. Über das Vibrationsgefühl, von Herzog. — Pathologische Anatomie. 7. Beiträge
zur Kenntnis der Altersveränderungen der menschlichen Hirnrinde, von Miyake. — Patho¬
logie des Nervensystems. 8. Zur Kasuistik der knöchernen Tumoren des Schädel¬
daches, von v. Eiseisberg. 9. Hypertrophie, Hyperplasie und Pseudohypertrophie des Gehirns.
Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der diffusen Hirngliome, von Marburg. 10. De quelques
alterations du tissu ceröbral, dues ä la prösence de tumeurs (suite), par Weber. 11. Zur
Differentialdiagnose des Gehirntumors und der Gehirnthrombose, von Ziehen. 12. Un cas
de tumeur cerebrale avec sommeil, par Maillard et Milhit. 13. Zur Kenntnis der generali¬
sierten metastatischen Karzinose des Centralnervensystems, von Heyde und Curschmann.
14. Cerebral basal tumour: double white atrophy, death after seventeen years, by Lunn.
15. Fall von Kleinhirnbrückenwinkelgeschwulst, von PUschmann. 16. Zur Operation der
Tumoren des Kleinhirnbruckenwinkels, von Borchardt. 17. Zur Kenntnis der gliomatösen
Neubildungen des Gehirns mit besonderer Berücksichtigung der ependymären Gliome, von
Hildebrandt. 18. Case of obscuro intracranial tumour: meningeal sarcoma with extension
to fourth ventricle, by Davie. .. 19. Erfolgreiche Exstirpation eines malignen Glioms des
Großhirns, von Krönlein. 20. Über Schwierigkeiten der Indikationsstellung zur Operation
bei Jackson scher Epilepsie, von Vorkastner. 21. The operability of brain tumors from the
poinfc of view of autopsied cases, by Wal ton. 22. Über eine neue Methode der Deckung
von Schädeldefekten, von Beck. 23. Case of otitic extra-dural abscess, associated with
paralysis of sixth cranial nerve and double optic neuritis, by Barr. 24. Über otitische Hirn¬
erkrankung, von Heine. 25. Zur Differentialdiagnose otitischer und metastatischer Hirn-
abscesse, von Oberndörffer. 26. Beiträge zur Pathologie der Varol sehen Brücke. II. Über
einen metastatischen Absceß der Brücke, von Bregman. 27. Abscfcs cerebral, necrose oorti-
cale, syndröme meningö, par Dupr6 et Devaux. — Psychiatrie. 28. Psychiatrie. Ein
Lehrbuch für Studierende und Ärzte, von Kraepelin. 29. Sopra alcune varieta della demenza
precoce, per de Sanctis. — Forensische Psychiatrie. 30. Über Alkoholversuche bei
Beurteilung zweifelhafter Geisteszustände, von Tomaschny.
III. Aus den Gesellschaften. Verein für innere Medizin zu Berlin. — IV. Landes¬
kongreß der ungarischen Irrenärzte in Budapest am 29. und 30. Oktober 1906. — Wissen¬
schaftliche Versammlung der Ärzte der St. Petersburger psychiatrischen und Nervenklinik.
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. September bis 81. Oktober 1906.
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UMIVERSITY OF CALIFORNIA
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I. Originalmitteilungen.
1. Ein Fall von wiederholter
transitorischer halluzinatorischer Verwirrtheit bei Tetanie.
Von Michael Lapinsky,
Professor der Kiewer Universität.
Die Möglichkeit einer Kombination von Geistesstörungen und Tetanus ist
zuerst von TonellE 1 konstatiert worden. Dieser Autor erwähnt in seinem vor-
züglichen , r in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (1832) erschienenen
Aufsatz, daß eine Krampfdiathese in Verbindung mit einer Psychose auftreten
kann, und empfiehlt die von ihm beschriebene reine Form von Tetanus von
der durch eine Geisteserkrankung komplizierten Form zu trennen. TonellS
urteilt übrigens auf Grund von Mitteilungen anderer Klinizisten, hat in dieser
Beziehung keine persönlichen Erfahrungen und führt auch keinerlei Kranken¬
geschichten an, die seine Beschreibung illustrieren könnten. Die Zeitgenossen
Tonellä’8 und die Arzte der zunächst folgenden Epoche interessierte die an¬
geregte Frage gar nicht und infolgedessen übergeht die Literatur im langen
Zeiträume von 1882 bis 1889 diese Frage mit Stillschweigen. Die einzelnen
am Ende des vorigen Jahrhunderts erschienenen Krankengeschichten, die wir
weiter unten anführen werden, erschöpfen die Besonderheiten dieser Erkrankung
durchaus nicht; deswegen sind auch weitere, diesbezügliche kasuistische Be¬
obachtungen durchaus notwendig; aus diesem Grunde teilen wir auch an dieser
Stelle einen eigenen Fall von Tetanie, der durch eine psychische Erkrankung
kompliziert wurde, mit
Der 13 jährige Patient St, Sohn intelligenter und vollständig gesunder Eltern,
wurde im Herbst 1905 nach Kiew gebracht, um ihn ärztlich behandeln zu lassen.
Der Patient hat sich von jeher durch einen außerordentlich schlechten Er¬
nährungszustand ausgezeichnet. Sein Längenmaß beträgt etwas über 90 cm. Körper¬
gewicht gegen 55 Pfd. (russisch). Die Haut ist von schmutziggelber Farbe und läßt
sich überall leicht in Falten hoch emporheben. Hände und Füße fühlen sich kalt
an und sind von klebrigem Schweiß bedeckt. Das Unterhautfettgewebe ist bis
zum äußersten Grade atrophiert. Die Lymphdrüsen des HalseB, des Ellenbogens
und der Leistengegend sind vergrößert. Die Schilddrüse weicht nicht von
der Norm ab. Der Brustkorb weist Spuren von Rachitis auf; er weitet sich
beim Atmen am meisten in den oberen Teilen aus, der untere Teil bewegt sieb
beim Atemholen nur wenig. Der Leib ist stark ausgedehnt, aufgetrieben, un¬
förmig verdickt und fühlt sich sehr hart an. Bei der Perkussion stellt es sich
heraus, daß sich die untere Grenze des Magens unterhalb des Nabels befindet
Die oberen Extremitäten sind willkürlich und passiv nur im Schulter- und
Ellenbogengelenk beweglich; die distalen Teile dagegen —Handteller und Finger —
weisen eine Kontraktur auf; wobei die Endphalangen aller 5 Finger einander
genähert sind; die Hand mitsamt den Fingern sieht konisch abgerundet aus und
erinnert in ihrer Stellung an die untersuchende Hand des Geburtshelfers. Patient
führt mit den Fingern keine aktiven Bewegungen aus; beim passiven Auseinander-
biegen der, wie beschrieben, gefalteten Hand entsteht ein so heftiger Schmerz,
1 Tonelle, Memoire sur wie noovelle maladie convulsive des eDfants. Gazette ined.
de Paris 4 832.
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147
daß der Versuch, der kranken Hand eine normale Stellung zu geben, aufgegeben
werden muß. Die unteren Extremitäten sind im Knie- und Fusselgelenk gebeugt,
lassen sieb aber passiv auseinanderbiegen, obgleich die Schmerzen, die Patient
hierbei spürt, recht bedeutend sind. Die Hände und Füße sind leicht ödematös
und cyanotisch. Die Schmerz- und Temperatursensibilität, sowie die taktile
Sensibilität ist normal. Der Druck auf die Nervenstämme ist schmerzhaft.
Symptome von Tbousseau und Hoffmann-Chvostek sind deutlich.
Die Sehnenreflexe sind an den oberen und unteren Extremitäten etwas ge¬
steigert Der Hautreflex der Sohle und der Kremasterreflex sind normal; die Bauch¬
reflexe fehlen. Der Pharynxreflex und der Konjunktivalreflex des Auges sind normal.
Harnlassen, Defäkation und der Schluckackt verlaufen wie beim normalen Menschen.
Sämtliche Pupillenreflexe sind unverändert Die Bewegungen der Augen
weichen naoh allen Richtungen hin nicht von der Norm ab. Die Kontraktionen
der Kinnbacken und Gesichtsmuskeln, sowie die Bewegungen der Zunge sind
normal. Der Puls ist klein und weich — 74 in der Minute. Alle diese Daten
lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß wir es mit einem Fall von Tetanie
zu tun haben. Ein hervorragendes Interesse bietet der Pat. durch den' Zustand
seiner Psyche und durch den allgemeinen Verlauf der Krankheit. In dieser Be¬
ziehung lassen sich einige Phasen und Stadien konstatieren, die einander folgen.
In einer dieser Phasen ist die Stimmung des Patienten deprimirt. Er iBt
finster, ruft beständig den Tod herbei, ist zerstreut, beachtet seine Umgebung nicht,
weint, sagt einem Grobheiten, wenn man mit ihm spricht, oder antwortet ungern
nur auf einige gestellte Fragen. Die Antworten sind klar und deutlich, woraus
sich schließen läßt, daß sein Bewußtsein nicht gestört ist.
Der beschriebene Zustand der Psyche und die tonisohen Kontrakturen halten
nicht lange an und werden nicht beständig beobaohtet. Der Zustand von Reiz¬
barkeit, Zerstreutheit, Depression usw. fällt immer mit der Zeit der Kontrak¬
turen zusammen und sistiert beim Auf hören der letzteren; die letzteren haben
einen periodischen, anfallsartigen Verlauf und verschwinden nach 2—5 Stunden,
7—15 Tagen und zuweilen nach 2—8 Wochen.
Das Verschwinden der Kontrakturen fällt gewöhnlich mit einer Veränderung
des gesamten Krankheitsbildes zusammen, die sich hauptsächlich nach zwei Rich¬
tungen hin ausBpricht und zwar tritt entweder eine allgemeine Erregung des Pat.
oder im Gegenteil eine vollständige Beruhigung im Gebiete aller Sphären ein, so
daß die Angehörigen diesen Zustand „eine Rückkehr zur Norm“ nennen.
Im enteren Falle — d. i. zweite Phase — wird der unbeweglich im Bett liegende,
finBter gestimmte, schweigsame Pat. ohne jeglichen sichtbaren Grund erregt, beginnt
zu sprechen, setzt sich im Bett auf, fuchtelt mit den Armen um sioh, steht auf,
will gehen oder sogar laufen, wobei weder in den oberen noch in den unteren
Extremitäten die geringste Spur von Rigidität und Steifheit der Glieder zu bemerken
ist, die in der vorhergehenden Periode beobachtet und soeben beschrieben wurde.
Anfangs richtet er seine Worte an die ihn umgebenden Personen; er verlangt eine
Erklärung darüber, was die Tiere zu bedeuten haben, die er sieht und deren
Brüllen er hört; die beruhigenden Antworten der Angehörigen wirken wenig auf
ihn, er gibt sich nicht die Mühe das anzuhören, was ihm gesagt wird. Mit dem
Auftreten der Halluzinationen verdunkelt sich das Bewußtsein des Pat. schnell;
er bemerkt die Gegenwart seines Vaters und seiner Mutter nicht mehr. Der Pat.
richtet seine Augen ins Leere und sieht um sich her das Erscheinen neuer Gegen¬
stände. Seine Gesichtszüge nehmen einen erschreckten Ausdruck an. Er springt
entsetzt vom Bett auf und versteckt sioh hinter einen Stuhl, augenscheinlich droht
Gefahr, der er sich ausgeBetzt sieht: er springt auf das Sofa, kriecht auf den
Tisch, stürzt durch die offenstehende Tür in das benachbarte Zimmer, wirft Möbel
um usw.
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Hierbei ruft er um Hilfe, schreit, weint und verteidigt sich. In einem
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Winkel zusammengekauert oder von Nahestehenden gehalten, zittert er vor
Angst, hört die beruhigenden Worte nicht oder reagiert wenigstens nicht auf
dieselben. Nach wie vor sieht er die Ungeheuer, die ihn so sehr in Schrecken
versetzen. Es ist möglich, daß er ihr Gebrüll usw. hört. Er flüstert oder
schreit mit lauter Stimme. Seine Sprache ist in dieser Zeit äußerst unvollständig.
Der Pat. stößt größtenteils einzelne Ausrufe aus: ,,öh!“, „Äh!“, „Ai“. Zuweilen
spricht er Hauptworte aus: „Hund“, „Blut“, „Feuer“, „Rachen“, oder fügt auch
noch Eigenschaftsworte hinzu: „schrecklich“, „rot“; selten braucht er Verba, so daß
kurze Sätze entstehen: „die Zähne klappern“, „das Blut fließt“. In seiner Sprache
ist eine finstere Stimmung ausgesprochen, und zwar Furcht, Gram, Ver¬
zweiflung und niemals Zufriedenheit oder Begeisterung. Diese Stimmung drückt
sich in einzelnen bekümmerten, ärgerlichen oder traurigen Ausrufen aus. Pat.
beschreibt nicht, was er fühlt, sieht oder hört. Die Halluzinationen des Pat.
entstehen nicht nur in der Gesichts- und Gehörssphäre, sondern auch im Gebiet
der Haut* und Muskelempfindung und des Geschmackssinnes. Hierüber läßt sich
daraufhin urteilen, daß der Pat. sich schüttelt als wenn er etwas Unangenehmes
abschütteln wollte, auch schreit er: „es schmerzt“, „es ist kalt“, so als wenn
er gebissen, gekniffen, mit heißem oder mit kaltem WasBer übergossen wird.
Halluzinationen des Geschmackssinnes lassen sich aus dem Grunde vermuten, weil
auf dem Gesicht des Pat. deutlich ein Ekelgefühl ausgeprägt ist und weil er
wütend ausspeit und dabei ausruft: „bitter, bitter“.
Auf in dieser Zeit gestellte Fragen antwortet er nicht; die vom Pat. aus-
gestoßenen Laute, die von seinen Eltern als Antworten betrachtet wurden, stellen
nur eine Reaktion auf die Halluzinationen dar und haben nichts mit Antworten
auf die gestellten Fragen gemein.
Die beschriebene Erregung und das Auftreten von Halluzinationen haben
den Charakter von Anfällen, und jeder dieser Anfalle hat seinen Kulminations¬
punkt — die Mitte des Anfalles — und zwei geringer ausgeprägte Stadien —
den Beginn und das Ende desselben. Der Kulminationspunkt zeichnet sich durch
vollständige Trübung des Bewußtseins aus; zu Beginn und zum Schluß des An¬
falles ist das Bewußtsein klar. In dieser letzteren Periode erkennt der Patient
die ihn umgebenden Personen und unterscheidet sie von den halluzinatorischen
Gestalten: er bittet seine Angehörigen um Aufklärung und um Schutz vor
dem ihn umgebenden Trubel trügerischer Sinnestäuschungen. Solch ein Anfall
dauert 2—6, zuweilen 10 Stunden lang und hinterläßt im Gedächtnis des Patienten
nur undeutliche Erinnerungen an die überstandenen Schrecken, oder dieselben
schwinden auch vollständig aus dem Gedächtnis. Zuweilen gehen einem solchen
Anfall äußerst schmerzhafte, kurze Zeit andauernde, tonische Krämpfe voran; in
einigen Fällen schließt ein solcher Anfall mit den erwähnten Krämpfen und dann
bleibt vom gesammten Anfall der halluzinatorischen Erregung nur das Anfangs-
Stadium und das Endstadium der tonischen schmerzhaften Krämpfe übrig. Niemals
wurden im Verlauf eines derartigen Anfalles, mit Verlust des Bewußtseins, irgend¬
welche Krampfanfälle beobachtet.
„Die Rückkehr zur Norm“, wie die Eltern die dritte Phase des Zustandes
ihres Sohnes nennen, besteht darin, daß der Patient über Schmerzen in den
Gliedern zu klagen aufhört und daß die tonischen Krämpfe und die Kontrakturen
verschwinden. Diese Periode kann zuweilen Monate lang anhalten. Der Patient
steht in dieser Periode auf, geht umher, kann sogar Rad fahren und lernt, wobei
sein Lehrer seine geistigen Fähigkeiten als äußerst befriedigende bezeichnet.
Patient erlernt in dieser Zeit gut Sprachen und Geschichte, löst mathematische
Aufgaben richtig, schreibt gute Aufsätze usw., nur sehen die Angehörigen auf
dem erschöpften Gesiebt des Knaben niemals ein Lächeln. Die gespannten
Gesichtszüge ^rücken Trauer aus; in allem, was er tut, fehlt die kindliche
Gesic
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ungirai Trcm
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149
Lebhaftigkeit; seine Bewegungen sind matt und apathisch. Die Stimmung ist
mutlos, finster und trübselig. Diese „Rückkehr zur Norm" kann viele
Monate hindurch anhalten, ohne daß die trübe Stimmung, die Reizbarkeit, der
Egoismus, „der zurückhaltende und verschlossene Charakter" den Patienten
verlassen und hierin zeigt sich eben die Geistesstörung des Patienten. Sein Be¬
wußtsein ist in dieser Zeit vollständig klar, seine Aufmerksamkeit ist gut und
Halluzinationen kommen nicht vor.
Dieser verhältnismäßig gute Zustand ist jedoch nicht dauerhaft.
An einem von diesen „ruhigen" Tagen treten plötzlich tonische, schmerzhafte
Krämpfe der oberen und unteren Extremitäten auf, die den Knaben auf mehrere
Stunden, zuweilen auch Tage und Wochen an das Bett fesseln, wobei von Zeit
zu Zeit in dieser Periode die beschriebenen halluzinatorischen Erregungsanfälle
mit vollständigem BewußtseinsverluBt auftreten.
Ein derartiges trauriges Dasein fährt der kleine Patient schon mehr als 5 Jahre.
Aus der Anamnese erfahren wir, daß er schon von frühester Kindheit an,
im Alter von ungefähr 4 Jahren, an einer hartnäckigen Enterocolitis zu leiden
begann, die den Patienten bis zur Gegenwart nicht verläßt. Zu den flüssigen,
äußerst übelriechenden Ausleerungen war zuweilen Blut beigemengt, was zuweilen
im Verlauf von mehreren Wochen anhielt. Diese Blutungen wichen keinerlei
lokalen oder innerlich verabreichten, blutstillenden Mitteln. Zeitweilig beruhigten
sich die Erscheinungen der Gastroenterocolitis unter dem Einfluß der angewandten
Therapie, oder auch ohne dieselbe, und verschwanden auch vollständig.
Schon viele Jahre vor der beschriebenen Epoche wurde bei dem Patienten
eine Magendilatation, Schmerzhaftigkeit des Leibes und Rigidität der Bauchdecken
konstatiert und aus diesem Grunde auch tuberkulöse Peritonitis vermutet; durch
letztgenannten Prozeß wurde auch die hartnäckige Enteritis erklärt. Mehrfach
wurde der Harn auf Eiweiß und Zucker hin untersucht und in dieser Beziehung
jedesmal als normal befunden.
Am Ende des 3. Jahres der Erkrankung deB Verdauungskanales, nachdem
durch therapeutische Mittel ein Sistieren der Diarrhöen erzielt worden war, zeigte
sich beim kleinen Patienten im Verlauf der 2. Woche der „Genesung des Darmes“
der erste Anfall von schmerzhaften, tonischen Krämpfen, die sich im Verlauf von
2 Wochen mehrmals täglich wiederholten und dann plötzlich auf hörten. Soviel
sich aus den Angaben der Eltern konstatieren läßt, traten, augenscheinlich gleich
nach dem Auf hören der Krämpfe, oder vielleicht auch 2 Tage vorher, blutige,
äußerst reichliche, dünnflüssige Ausleerungen auf. Auf dieses zeitliche Zusammen¬
treffen der Krämpfe in den Extremitäten mit der Obstipation und andererseits
des Durchfalles mit der „Rückkehr zur Norm“ war gar nicht geachtet worden.
Bei genauem Ausfragen läßt es sich jedoch konstatieren, daß die Serie solcher
Krampfatacken immer mit Verstopfung einherging und daß dem Verschwinden
der ersteren das Auftreten von Durchfall voranging, daß also Verstopfung das
Auftreten der Krämpfe begünstigte und im Gegensatz häufige Ausleerungen die¬
selben sistierten.
Während einer dieser Epochen des besonders „trägen Darmes“ wurde die
Krampfdiathese des Patienten durch halluzinatorische Verwirrtheit und durch Er¬
regtheit kompliziert. Aber auch diesesmal sintierte die plötzlich eintretende
Periode der Durchfälle nicht nur die Krämpfe, sondern auch die halluzinatorisohen
Anfälle. Im weiteren Verlauf wird ein Abwechseln der Symptome beobachtet —
Verstopfung wird von Krämpfen oder Halluzinationen begleitet; mit Durchfällen
beginnt das Aufhören der Krämpfe und der Eintritt klaren Bewußtseins. Eine
trübe Gemütsstimmung begleitet die Diarrhöen usw. Diese Symptomarten folgten
derartig beständig aufeinander, als wenn das eine Symptom die Folge des
anderen wäre~,
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S le
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150
Wenn wir diese Beobachtung kurz resümieren, sehen wir folgendes: Wir
haben eine chronische Erkrankung des Verdauungskanales vor uns, die sich
durch häufige Diarrhöen dokumentierte, wobei die Ausleerungen dünnflüssig,
übelriechend und zuweilen mit Blut vermengt waren. Zeitweilig werden (unter
dem Einfluß der therapeutischen Maßnahmen) die Durchfalle auf kurze Zeit von
Verstopfung abgelöst.
Parallel mit der Störung des allgemeinen Ernährungszustandes des Patienten
entwickelt sich eine eigenartige Affektion der motorischen Sphäre, die durch
Anfälle von schmerzhaften, tetanischen Krämpfen in den Extremitäten charak¬
terisiert wird, wobei hei der objektiven Untersuchung außer der typischen Form
der Kontrakturen der Extremitäten auch noch das Phänomen von Tboüsbeau
und Chvostek-Hoffmaxn konstatiert werden kann.
Im weiteren Verlauf der Krankheit gesellt sich hierzu noch eine zweifellose
Störung in der psychisohen Sphäre des Patienten und zwar nach zwei Richtungen
hin, je nach dem jeweiligen Zustande des Verdauungskanales.
Zur Zeit der dünnflüssigen und häufigen Ausleerungen ist das Bewußtsein
des Patienten vollständig klar und seine Perzeptionsfähigkeit ist normal. Er
konnte lernen, seine Aufmerksamkeit anspannen, sein Gedächtnis mit verschiedenen
Kenntnissen bereichern und konnte Schlußfolgerungen machen, wobei nicht die
geringsten Anzeichen von Sinnestäuschungen oder Wahnideen vorhanden waren.
Während dieser Periode hot der Patient das Bild eines vollständig gesunden
Menschen dar und nur seine Gemütsstimmung zeigte eine deutlich
ausgeprägte Abweichung von der Norm, ohne daß ein besonderer
Grund hierfür vorlag; der Patient war immer trübe gestimmt, reiz¬
bar, weinerlich; sein Charakter verschlossen und egoistisch. Mit
dem Aufhören der Diarrhöen veränderte sich der Gemütszustand.
Die Epoche der Verstopfung brachte diejenigen Motive mit sich, die heim
Patienten im vorhergehenden Stadium für die krankhafte Gemütsstimmung
fehlten. In dieser Epoche entwickelten sich bei ihm starke Schmerzen in den
kontrahierten Extremitäten, die ihm den Schlaf raubten und Stöhnen hervor¬
riefen; Tränen raubten ihm die Möglichkeit, seine Aufmerksamkeit auf irgend
etwas zu konzentrieren, was ihn von seinen unangenehmen Empfindungen ab¬
lenken konnte und brachten ihn auf die traurigsten Gedanken; als natur¬
gemäße Reaktion auf diese Schmerzen trat die niedergeschlagene, trübe Gemüts¬
stimmung auf.
In dieser Zeit konnte der Patient zweifellos seine Aufmerksamkeit nur
schlecht anspannen; die Fähigkeit, Vorgänge wahrzunehmen, war stark herab¬
gesetzt, er war zerstreut. Wünsche und Bestrebungen fehlten ihm. Der Patient
zeigte völlige Interesselosigkeit für seine Umgebung, eine indifferente Apathie
und sowohl körperliche, als auch geistige Unbeweglichkeit.
Derartig war der psychische Zustand des Patienten während des größten
Teiles der Epoche der Verstopfung. Während des kleineren Teiles der¬
selben Epoche der „trägen Darmtätigkeit“ wurde dieses monotone
Bild der Erkrankung, in dem auf allem der Stempel von Apathie
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Gougle
Original frum
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151
and Depression liegt, episodisch von einem entgegengesetzten Zustand ab¬
gelöst, in dem Symptome von körperlicher und psychischer Erregung vor¬
herrschten und wodurch die Klarheit des Bewußtseins litt Der Patient sprang
vom Bette auf, lief davon, kämpfte, versteckte sich, verteidigte sich und sprach
schnell und laut. In dieser Zeit nahm sein Bewußtsein, das in den anderen
Krankheitsstadien vollständig klar war, sehr stark an Klarheit ab. Der Patient
begriff absolut nicht, was um ihn her vor sich ging. Seine Perzeption wurde
gestört und an Stelle von faktischen Wahrnehmungen mußte er Sinnestäuschungen
verarbeiten. HaUnzinationen des Gesichtes, des Gehöres, des Geschmackes und
des allgemeinen Gefühles verdeckten die reale Wirklichkeit vor ihm vollständig.
Diese akut entstandene halluzinatorische Ver«virrtheit hielt einige Stunden hin¬
durch an, hörte ebenso schnell, wie sie sich entwickelt hatte, wieder auf und ließ
im Bewußtsein keinerlei Spuren zurück.
Wir haben es in der gegebenen Beobachtung zweifellos mit einem Fall von
Tetanie zu tun, zu dessen Gunsten die Stellung der krampfhaft kontrahierten
Finger und Zehen der Extremitäten und die Symptome von Tbousseau und
Chvostbk-Hoffmann sprechen. Zum Symptomenkomplex der Tetanie müssen
auch noch die Veränderungen der Psyche gerechnet werden, von denen beim
Patienten 2 Arten deutlich zu erkennen sind. Der zweifellose Zusammenhang
und der Wechsel dieser Störungen, die mit dem Verlauf der Tetanie vollständig
übereinstimmen, geben einen genügenden Anhalt dafür, um auch die Geistes¬
erkrankung für eine Erscheinung der Tetanie zu halten.
Man kann diese psychischen Störungen mit um so größerer Berechtigung
zur Symptomatologie der Tetanie hinzurechnen, als wir in der Literatur analoge,
wenn auch wenig zahlreiche Beobachtungen anderer Autoren besitzen.
Fbankl-Hochwabt l , der seine Aufmerksamkeit ganz besonders auf diese
Art von psychischen Störungen richtete, konnte im Jahre 1889 genau be¬
schreiben, worauf Tonellä im Jahre 1838 hingewiesen hatte. Fbankl-Hoch-
wabt beobachtete 3 Fälle einer Geisteserkrankung, die sich im Verlauf von
Tetanie entwickelt hatte.
In der ersten hierher gehörenden Krankengeschichte wird ein 18jähriger
Schneider beschrieben, der im Anfang März 1888 an typischen Tetaniekrämpfen
erkrankt war. Zum Ende desselben Monats hin nahmen die Krampferscheinungen
stark zu und es entwickelte sich gleichzeitig ein beständiges Angstgefühl; es
traten massenhafte Halluzinationen auf, das Bewußtsein war getrübt, der
Patient sprach unzusammenhängend und seine Rede war der Umgebung un¬
verständlich. Von schrecklichen Halluzinationen verfolgt, sprang der Patient in
einen Fluß, wurde aber rechtzeitig gerettet und in das Krankenhaus gebracht; im
Krankenhause kehrte sein Zustand sehr bald wieder zur Norm zurück und
gleichzeitig mit dem Eintritt des geistigen Gleichgewichtes verschwanden die
letzten Anzeichen von Tetaniekrämpfen.
Die 2. Beobachtung Fbankl-Hochwabt’s bezieht sich auf einen 16 jährigen
Schuster, der lange Jahre hindurch an Tetaniekrämpfen litt Zur Zeit, als ihn
1 Fhahkl-Hochwa
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V’AHT,
gTe
Die Tetanie. Wien 1900.
Original from
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152
der Autor beobachtete, hatten die Krämpfe an Häufigkeit und Intensität zu¬
genommen, und gleichzeitig hatte sich eine halluzinatorische Verwirrtheit akut
entwickelt, die sehr bald nach dem Aufhören der Krämpfe verschwand. Die
Folgen der überstandenen Psychose dokumentierten sich in einer Herabsetzung
der Geisteskräfte.
Der 3. Patient Fbakkl-Hoohwabt’s, ein 18 jähriger Weber, wurde in die
psychiatrische Abteilung von Meynebt eingeliefert und zeigte Symptome sehr
starker Erregung und halluzinatorischer Verwirrtheit; von Furcht geplagt,
klammerte er sich an den Arzt und bat um Schutz, gleichzeitig hielt er Reden,
deren Sinn unverständlich blieb. Nach Verlauf von einigen Tagen zeigten sich
einige typische tetanieartige Krampfanfalle; in den Zwischenräumen zwischen
denselben war der Patient vollständig normal. Dieser ruhige Zustand wurde
dann wieder von einem neuen Anfall halluzinatorischer Verwirrtheit und Er¬
regtheit abgelöst, wobei der Patient schrie, sich durch Flucht zu retten suchte,
die Wände mit Fäces beschmutzte usw. Dieser letzte Anfall halluzinatorischer
Verwirrtheit hielt nur kurze Zeit an, dann trat eine vollständige Wiederher¬
stellung des geistigen Wohlbefindens ein und gleichzeitig hörten die Krämpfe auf.
Eine diesen 3 Fällen analoge Beobachtung machte auch Schultze. 1
Seine Patientin — ein junges Mädchen — bot einige Anzeichen von Kreti¬
nismus dar. Patientin litt an einem Struma und war geistig zurückgeblieben.
Die Patientin wurde infolge von tetanieartigen Krämpfen — zugunsten der
Diagnose Tetanie sprachen die Anzeichen von Tboüsseau und Hoffmann-
Chvo8TBk — in die Klinik für innere Krankheiten aufgenommen; hier zeigte
sie starke Erregtheit, der sich Furchtsamkeit und Halluzinationen hinzugesellten.
Zeitweilig wurde dieser Zustand von grundlosem Lachen und von maniakalischer
Erregung abgelöst Die Patientin stürzte sich ohne jeglichen Grund auf ihre
Nachbarinnen, schlug sie mit Fäusten und biß dieselben. Allmählich beruhigte
sie sich, das Bewußtsein klärte sich auf, die Patientin verlangte nach Arbeit und
die Tetaniekrämpfe verschwanden, worauf sie nach Hause entlassen wurde.
Soviel sich aus den mir zugänglichen Quellen urteilen läßt, ist mit diesen
4 Fällen die Literatur in der Frage über: durch Tetanus komplizierte, hallu¬
zinatorische Verwirrtheit erschöpft. Diese Armut an kasuistischen Beobachtungen
erklärt sich augenscheinlich nicht durch das Fehlen von Interesse für derartige
Erkrankungen, sondern durch die Seltenheit derselben. Häufiger als dieses
Symptom wird bei den an Tetanie leidenden Patienten ein anderer psychischer
Symptomenkomplex beobachtet, der in trüber Gemütsstimmung, Reizbarkeit, trüber
Weltanschauung, Gedächtnisschwäche und Veränderung des Charakters besteht;
aber auch über diesen Symptomenkomplex finden wir nur äußeret kurze Auf¬
zeichnungen, was dafür spricht, daß auch dieses Symptom größtenteils unbemerkt
vorübergeht.
Trotz der geringen Anzahl von Mitteilungen in der Literatur über die uns
interessierende Frage, finden wir dennoch eine vollständige Analogie zwischen
den psychischen Veränderungen unseres Patienten und denjenigen der Patienten
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1 Schultze, Tetanie und Psychose.
Google
Berliner klin. Wockenschr. 1897.
Original frorn
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153
anderer Autoren, allerdings mit dem Unterschiede, daß die psychischen Störungen
unseres Patienten sich durch Vielseitigkeit auszeichneten. Bei ihm finden wir
beide Formen der psychischen Störungen, die bei Tetanie beobachtet wurden,
und zwar finden wir bei ihm sowohl Anfalle von halluzinatorischer Verwirrtheit
mit Erregtheit verbunden, als auch trübe Gemütsstimmnng und einen egoistischen,
reizbaren Charakter. Diese verschiedenen Gemütsstimmungen, die bei vielen Per¬
sonen, die an Tetanie leiden, gewöhnlich einzeln auftreten, sind hier in einem Indi¬
viduum konzentriert, wechseln jedoch miteinander und lösen einander ab; außerdem
zeichnete sich die halluzinatorische Verwirrtheit und die allgemeine Erregung
durch akute Entwickelung und durch einen äußerst kurzen Verlauf aus; die
trübe Gemütsstimmung und die Reizbarkeit hingegen zeichneten sich durch chroni¬
schen Verlauf aus. Die erstere trat nur in der Periode auf, in der der Patient von
Krampfanfallen befallen wurde, die 2. Form zeigte sich in der krampffreien Periode.
Die halluzinatorische Verwirrtheit entstand zur Zeit der Obstipationen. Die trübe
Gemütsstimmung fiel mit der Periode der stinkenden Durchfälle zusammen.
Der Dauer nach kam ein Anfall von halluzinatorischer Verwirrtheit der
Dauer einiger Krampfanfälle, die ohne Intervalle einander folgten, gleich. Solch
ein Anfall von halluzinatorischer Verwirrtheit kann als Äquivalent der Krampf¬
erscheinungen, z. B. analog der Epilepsie, betrachtet werden, wo ja kompensatorisch
verschiedene Stadien einer Bewußtseinstrübung, einschließlich bis zu einer hallu¬
zinatorischen Psychose, an Stelle der Krampfanfälle beobachtet wurden. Zugunsten
einer derartigen Annahme spricht der Umstand, daß die betreffende psychische
Störung nur in der Periode der häufig aufeinanderfolgenden Krämpfe beobachtet
wurde und daß während der Dauer eines Anfalles der halluzinatorischen Ver¬
wirrtheit gar keine KrampfanMe vorkamen und die Kontrakturen verschwanden,
so daß es den Anschein hatte, als wenn die halluzinatorische Psychose die Er¬
regungserscheinungen der motorischen Sphäre ersetzte. Die Annahme einer
Äquivalenz der Halluzinationen und der Krampfanfälle folgt auch noch aus dem
Umstande, daß diese beiden Symptome nur zur Zeit der Obstipation auftraten;
hierbei entstanden dieselben nicht einander parallel und nicht unabhängig von
einander, obgleich ihre Ursache die gleiche war und sie nur in einer bestimmten
Spanne Zeit auftraten, sondern sie wechselten einander ab, traten der Reihe nach
hervor und stellten jedes für sich die Folge eines krankhaften Prozesses des
Großhirnes dar.
Die besprochene Psychose zeichnet sich von den Beobachtungen der zitierten
Autoren, in denen die Erregung und die halluzinatorische Verwirrtheit einige Tage
bis viele Wochen hindurch anhielt, durch ihre kurze Dauer aus. Dennoch gibt
diese kurze Dauer der Psychose uns nicht das Recht, dieselbe für eine neue
Erscheinung im Krankheitsbilde der Tetanie anzusprechen, da erstens die Dauer
einer Krankheit nicht zur Zahl der wichtigen diagnostischen Anzeichen gehört
und da zweitens die anderen, wichtigeren Bestandteile der Erkrankung, und zwar
die Erregung, die Halluzinationen, die Trübung des Bewußtseins und das Angst¬
gefühl vollständig mit dem übereinstimmen, was von den anderen Autoren in
ihren Tetaniefällen beobachtet worden ist.
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154
Die Ätiologie der Psychose ist im Falle von Frankl-Hochwabt nicht
analysiert worden. Sohültze war offenbar geneigt, die psychischen Störungen
der gesteigerten Produktion der Schilddrüse zuzuschreiben. Hierauf läßt sich
daraus schließen, daß er seine Patientin mit Thyreoidin behandelte.
Bei unserem Patienten steht die psychische Störung offenbar im engsten
Zusammenhang mit der Anhäufung derjenigen Produkte der veränderten Ver¬
dauung im Darm, die für gewöhnlich aus seinem Organismus durch die häufigen
und flüssigen Ausleerungen entfernt wurden. Diese Annahme stimmt wenigstens
vollständig mit dem Umstande überein, daß der psychischen Störung stets
Obstipation voranging.
Schlußfolgerung: Wir erlauben es uns auf Grund des oben Gesagten
den Schluß zu ziehen, daß die psychische Störung in Form einer akuten
halluzinatorischen Verwirrtheit gemeinsam mit Erregung und Tobsucht in Form
eines akuten, kurze Zeit dauernden Anfalles dauern kann, auf den eine voll¬
ständige Klärung des Bewußtseins folgt.
Diese Attacken der halluzinatorischen Verwirrtheit werden in der Periode
der schnell aufeinanderfolgenden, krampfhaften Kontrakturen der Extremitäten
beobachtet und können teilweise als Äquivalent dieser Krampfanfälle beobachtet
werden. Der Zwischenraum zwischen den einzelnen Krampfanfällen wird durch
eine äußerst trübe Gemütsstimmung und durch eine Herabsetzung der Auf¬
merksamkeit charakterisiert; das Bewußtsein jedoch ist in dieser Periode mehr
oder weniger klar. In der von Krämpfen und halluzinatorischer Trübung des
Bewußtseins freien Periode kann eine veränderte Gemütsstimmung beobachtet
werden, das Gedächtnis hingegen, dessen Schwächung einige Autoren beschrieben
haben, kann mehr oder weniger normal bleiben.
[Ana der Abteilung für chronische Nervenkranke im Krankenhaus Praga (Warschau).]
2. Zur Phänomenologie der cerebralen Hemiplegie. 1
Von Dr. Z. Byohowski, Prim ärarat.
Wenn ein Hemiplegiker bzw. Hemiparetiker cerebralen Ursprungs sich in
Rückenlage befindend das gesunde Bein bei gestrecktem Knie H' cm und das
erkrankte entweder gar nicht oder nur H'cm (H>H') heben kann, so wird er
aufgefordert beide im Knie gestreckte Beine gleichzeitig zu heben, die Höhen
H bzw. H' nur selten erreichen. Man kann dann je nach der Dauer der
‘ Anmerkung bei der Korrektur: Dieser Aufsatz ist an die geehrte Redaktion
im Juli v. J. eingesandt worden. Inzwischen kam mir ein Aufsatz von Prof. Gkasset
und Gaussbl (Un eigne de paralysie organique du membre inferieur. Revue nenrologique.
1905) in die Hände, worin auf dasselbe Phänomen aufmerksam gemacht wird. Wenn
es mir schließlich nur angenehm Bein kann, daß Prof. Gbasset meine Beobachtung bestätigt,
erlaube ich mir doch zu bemerken, daß ich das hier in Rede stehende Phänomen, für welches
die französischen Autoren übrigens eine ganz andere Erklärung geben, schon vor 4 Jahren
auf der Abteilung meines früheren Chefs Herrn Dr. E. Ziei.inski demonstrierte. — Was nun
das Übersehen des Aufsatzes in der Revue neurologique anbetrifft, möge mir als lindernder
Umstand die Tatsache dienen, daß ich das ganze Jahr 1905 in der Mantschurei zubringen
mußte, wo ich nicht nur auf die medizinische Journalistik, sondern auch auf viele andere
kulturelle Bedürfnisse verzichten mußte.
Digitized by GOÖQ le 0r ' 9 ' ral fr ° m
^ Ö UNIVERSITY OF CALIFORNIA
155
Krankheit folgendes beobachten. Der Kranke, der vor einer Weile das gesunde
Bein allein bis auf 45—50 cm und das erkrankte entweder gar nicht oder doch
bis auf 10—15 cm beben konnte, kann jetzt, wenn er beide Beine gleichzeitig
heben will, dieselben überhaupt fast gar nicht vom Fleck bringen. Also auch
das gesunde Bein bleibt trotz verschiedener zu beobachtender Muskelspannungen
fast gänzlich auf der Unterlage liegen.
ln einer anderen Gruppe wird das gesunde Bein zwar gehoben, aber nicht
so hoch wie früher, als es allein gehoben werden sollte. Schließlich — und das
ist am häufigsten der Fall — hebt der Kranke — nach einer gewissen Anstrengung
— zwar beide Beine, er kann aber nicht die früheren B[öhen H und H' erreichen.
Bei Ausführung des Versuches muß selbstverständlich aufgepaßt werden,
daß das erkrankte Bein sich nicht an das gesunde anlehne, was gewöhnlich
instinktiv stattfindet Ich lasse also den Versuch mit leicht abduzierten Beinen
ansführen. Gesunden Menschen gelingt es leicht beide Beine gleichzeitig so
hoch wie jedes Bein besonders zu heben. Auch bei verschiedenen Rückenmarks¬
krankheiten und ablaufender Polyneuritis ist in dieser Beziehung dasselbe Ver¬
halten wie beim gesunden Menschen zu beobachten. Wie sich die hysterische
Hemiplegie dem hier in Rede stehenden Phänomen gegenüber verhält, hatte ich
leider keine Gelegenheit zu beobachten.
Wie ich schon früher angedeutet habe, gehört das hier beschriebene Phä¬
nomen nicht zu den unbedingten Attributen der cerebralen Hemiplegie. Bei
längere Zeit dauernden Hemiplegieen, die vom Anfang an rationell und syste¬
matisch behandelt worden sind, kann man es auch vermissen oder nur sehr
schwach angedeutet finden, — das ist jedoch nicht häufig der Fall. Häufig
aber, wie ich mich auf Grund eines großen Materiales überzeugt habe, kann
das Phänomen viele Monate, ja auch viele Jahre — besonders bei vernach¬
lässigten Fällen — nach dem Schlaganfalle demonstriert werden. Je frischer
die Hemiplegie, desto ausgesprochener das Phänomen. Ich habe das Phänomen
aber auch bei alten Hemiparetikern, die ziemlich leidlich mit Stock gehen
konnten, noch deutlich gefunden. Und mancher Kranke, der jedes Bein allein
ganz leicht heben konnte war ganz verblüfft, als er die Aufforderung beide
Beine gleichzeitig zu heben nicht auszuführen imstande war.
Es fragt sich nun, welche sozusagen physiologische Motive liegen diesem
Phänomen, das ich aus später folgenden Überlegungen kurz als Ersatzphänomen
bezeichnen möchte, zugrunde. Wahrscheinlich befindet sich dasselbe im engen
Zusammenhang mit den vielen anderen interessanten Erscheinungen, die wir
bei der cerebralen Hemiplegie zu beobachten letztens gelernt haben. Liegt ja
in der subtilen Analyse der cerebralen Hemiplegie, wie sie von Wbbnioke,
Mann, Rothmann, Monakow, Pbobst u. A. ausgeführt worden ist, der Schlüssel
zur Lösung vieler Grundprobleme der Gehirnphysiologie und -pathologie über¬
haupt, wie z. B. das gegenseitige Zusammenwirken beider Hemisphären, der
Ersatz einer Hemisphäre bzw. eines ihrer Teile durch die andere, das Einschleifen
neuer oder richtiger gesprochen im Laufe der Phylogenese verlassener extra-
pyramidaler Bahnen u.
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a. Überhaupt wird ein genaues Studium der bei den
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15G
cerebralen Hemiplegien vorkommenden Ausfalls- and Ersatzerscheinungen uns
Aufklärung über die Entstehung und Zweckmäßigkeit verschiedener Synergien
geben.
Indem ich mir eine ausführliche Behandlung dieses Gegenstandes än der
Hand des reichen Materials unserer Abteilung Vorbehalte, möchte ich hier nur
in groben Strichen die vermutliche Grundlage des Ersatzphänomens andeuten.
Es ist ja festgestellt, daß nach Läsion einer Hemisphäre bzw. ihrer psycho¬
motorischen Gentren, in der anderen Hemisphäre die Tendenz entsteht, für die
lädierten symmetrischen Centren vikariierend einzutreten. Je weniger indi¬
vidualisiert eine Synergie ist, je früher sie in phylogenetisoher Beziehung ent¬
standen ist, desto rascher wird sie durch die unlädierte Hemisphäre ersetzt
(Rumpf-, Bauchmuskulatur), so daß manche sich sogar genötigt sahen, für diese
und ähnliche Synergien eine beiderseitige Repräsentation in einer jeden Hemi¬
sphäre annehmen zu müssen. Auch die Tatsache, daß bei der cerebralen Hemi¬
plegie in der unteren Extremität willkürliche Bewegungen früher als in der
oberen auftaucben, hat ja höchst wahrscheinlich ihren Grund darin, daß die
zielbewußten Bewegungen der oberen Extremität individualisierter und jünger
als die der unteren sind. Bei dem Hemiparetiker fließt also der Bewegungs¬
impuls von der gesunden Hemisphäre in zwei Richtungen in die contra- und
homolaterale Seite. Wird nun an diese Hemisphäre die Forderung gestellt, den¬
selben Bewegungsimpuls gleichzeitig in beide Richtungen zu schicken — was
eben bei dem Ersatzphänomen der Fall ist — scheint sie diese Aufgabe nicht
bewältigen zu können. Der Bewegungsimpuls — bildlich gesprochen — verteilt
sich und besitzt nicht, wenn entsprechende Übung nicht vorausgegangen war,
die genügende Intensität den Bewegungseffekt auszulösen, den der nicht verteilte
Bewegungsimpuls auszulösen imstande war; arbeiten ja überhaupt die unteren
Extremitäten gleichzeitig und in derselben Richtung nur selten (beim Springen
und Schwimmen). Es ist also begreiflich, daß die einzige Hemisphäre, die hier so
zu sagen etwas Ungewöhnliches zu leisten hat, diese Aufgabe entweder gar nicht
oder nur mangelhaft erfüllen kann. Ganz anders sind ja die Verhältnisse beim
Schließen der Augen, Spannen der Bauchpresse u. a., wo die Leistungen aus
leicht begreiflichen Gründen immer synchron und bilateral sein müssen. Viel¬
leicht läßt sich auch dadurch die von mehreren Seiten konstatierte Tatsache er¬
klären, daß im Beginn der Hemiplegie auch die „gesunde“ Seite in ihrer
motorischen Leistuugsiähigkeit herabgesetzt ist. Daß hier der Shock und die
im Schädelraume eingetretenen veränderten Druckverhältnisse eine Rolle spielen,
ist ja leicht begreiflich. Es ist ja aber auch möglich, daß die in der gesunden
Halbkugel sich emporarbeitende Tendenz die Leistungen des beschädigten Nach¬
bars zu übernehmen in der ersten Zeit, wenn jene sich zu der neuen Aufgabe
noch nicht angepaßt hat, einen Teil ihrer psychomotorischen Energie ablenkt,
was eben eine transitorische Erschlaffung der kontralateralen Synergien zur
Folge hat
Ist die hier für das Ersatzphänomen vorgeschlagene Erklärung richtig, so
folgt daraus auch mancher Wink für die Behandlung der Hemiplegie. Beim
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157
Hemiplegiker soll man, was ja übrigens Leyden, Goldscheideb u. a. schon
seit langem betonen, womöglich früh — nach Abklingen der Shockerscheinnngen —
mit passiven Übungen beginnen. Also aoßer auf Massage lege ich besonderes
Gewicht aof jeden Tag vorzunehmende leichte Flexionsbewegungen im flüft-
und Kniegelenk und £xtensionsübungen im Sprunggelenk, welche Bewegungen
beim Gehen ja hauptsächlich in Betracht kommen. Dann, was mir eben sehr
wichtig scheint, lasse ich den Kranken im Bett eben dieselben Gehbewegungen
mit dem gesunden Bein ausführen und zwar in gleichmäßigem bestimmtem Tempo
abwechselnd eine aktive Bewegung mit dem gesunden Bein und eine passive
seitens des Masseurs mit dem gelähmten. Nicht selten bekommt man nämlich
zu sehen, daß, wenn man einen Hemiplegiker, der lange aus „Schonungsgründen“
im Bett gehalten worden ist, mit fremder Stütze gehen lassen will, er auch das
gesunde Bein sehr ungeschickt in Betrieb setzt. Es bleibt stramm gestreckt am
Boden haften, als wären die üblichen Gehbewegungsvorstellungen für dasselbe
gänzlich verschollen. Das Massieren, Elektrisieren usw. des gelähmten Beines
ist entschieden nicht ausreichend. Man muß also vom Anfang an daran denken,
der gesunden Halbkugel die ihr bevorstehende Aufgabe zu erleichtern. Das
geschieht dadurch, daß man 1. die für die kontralaterale Seite bestehenden
Gehbewegungsvorstellungen und die entsprechenden Leitungsbahnen immer¬
während so zu sagen auffrischt und unterhält; 2. analoge Bewegungsimpulse
für die homolaterale Seite auslöst und Leitungsbahnen für sie ausschleift und
5. die gesunde Halbkugel einübt, ihre Bewegungsimpulse rasch und rhythmisch
wechseln, d. h. sukzessiv kontra- und homolateral senden zu können, wodurch
eben das Gehen ermöglicht sein wird.
3. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer
Neugeborener.
Von Otto Banke in Wiesloch.
(Schloß.)
Aus diesem Befunde glauben wir zwei theoretisch interessante Schlüsse
ziehen zu dürfen. Einmal kommt offenbar die von Nissl postulierte „biologische
Grenzscheide“ zwischen ektodermalem und mesodermalem Anteil des Hirngewebes,
welche im erwachsenen Centralorgan nur im Falle herdförmiger, zur ausgebreiteten
Zerstörung von Nervensubstanz führender Prozesse durchbrochen wird, erst zu
einer recht späten Zeit der embryonalen Entwickelung, vermutlich sogar erst
postnatal zur völligen Ausbildung. Dann aber läßt sich auch bei frühauftreten-
den, diffus einsetzenden entzündlichen Veränderungen, die mit Emigration leuko-
zytärer Elemente einhergehen, aus der Verbreitung der Infiltrationszellen ein
Bückschluss auf die Zeit ziehen, in welcher dieser Prozeß begann. Im speziellen
glauben wir für unsere bisher untersuchten Fälle luetischer Neugeborener an¬
nehmen zu dürfen, daß der Infiltrationsprozeß erst in der letzten Schwanger-
sohaftsperiode, sichet nach dem 6. Monat eingesetzt hat, da die Infiltrate, wenn
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ö univer: ty of California
158
sie auch über die Lymphscheiden hinausgingen, sich doch an die nächste Um«
gebung der Gefäße hielten.
Viel weiter hinein in das Hirngewebe als die lenkocytäre Infiltration erstreckt
sich bei der kongenitalen Lues ein anderer, von den Gefäßen ausgehender
Prozeß: die Ablösung adventitialer Elemente aus dem Gefäßverbande, welche —
in Gestalt und Ausbreitung durchaus den „Stäbchenzellen“ Nissl’s und Alz-
heimeb’s bei der Paralyse entsprechend — sich bei mehreren Fällen in großer
Anzahl im Mark und in der Binde fanden. Daß es sich bei ihrem Auftreten
um eine pathologische Erscheinung handelt, ließ sich aus normalen Neugeborenen¬
gehirnen mit Sicherheit nach weisen; inwieweit dasselbe aber für die kongenitale
Lues charakteristisch ist, müssen erst künftige Untersuchungen lehren.
In derselben Ausdehnung, wie die bisher beschriebenen Veränderungen,
zeigte das ektodermale Stützgewebe eine ausgesprochene Proliferation:
Große, protoplasmareiche, oft auch faserbildende Gliazellen fanden sich in
großer Menge cirkumvaskulär, sandten meist ihre kräftigsten Fortsätze gegen die
Wand eines oder mehrerer Gefäße (vgl. Fig. 5); daneben kam es einige Male
zu einer diffusen Gliawucherung im Mark, besonders auch in der Nachbarschaft
der Ventrikel, und endlich wurde in 3 Fällen eine starke Gliaproliferation im
zellarmen Bindensaum und auch in tiefere Rindenschichten hinein an solchen
Stellen beobachtet, wo die Pia nachher zu beschreibende weitgehende Veränderungen
aufwies.
Fig. 5. Gewucherte, faserbildende Gliazelle aus der Mednlla oblongata, zu drei Gefäßen in
Beziehung tretend.
Neben den bisher genannten, mehr diffus verbreiteten Erscheinungen kamen
auch herdförmig begrenzte Prozesse zur Beobachtung, welche nach ihrem histo¬
logischen Verhalten sich am ehesten als bedingt durch dieselben, aber an be¬
schränktem Ort besonders heftig einsetzende pathogenetisohe Faktoren deuten
ließen.
Es handelte Bich bei ihnen um kleinste, mit bloßem Auge eben noch als
gelbliche Pünktchen erkennbare Stellen, welche unter dem Mikroskop bei geeigneten
Färbungen Bich als zusammengesetzt erwiesen, aus Plasma- und Mastzellen, den
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soeben beschriebenen stäbchenförmigen adventitialen Elementen, stark gewucherter
Glia und bröckeligen Resten aller dieser Elemente (Fig. 6).
Herd mit zahlreichen Plasmazellen ans dem Mark,
Stäbchen
zellen.
, Spongio
Masten.
•Kervenzdle
Leukozyt im,
Ocfässlumen.J^
GcfiLsse,
Herd in der Rinde, ansgehend von einem fast obtnrierten Gefäß
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Wo solche Herdchen sich in der Rinde fanden, zeigten natürlich auch die
Nervenzellen weitgehende Degenerationserscheinungen (Fig. 7 ).
Meist ließ sich im Centrum oder doch in nächster Nachbarschaft dieser
Herde ein feines Gefäß mit besonders starken Wandveränderungen nachweisen,
die unter Umständen zu einem Verschluß des Lumens geführt hatten.
Erwähnenswert erscheint mir, daß es — entgegen anderen, noch immer
wieder in der Literatur auftauchenden Angaben — niemals gelang, an den
nervösen Elementen in der Nachbarschaft dieser Proliferationsinseln irgendwelche
als aktive Reaktion aufzufassende Veränderungen nachzuweisen.
Herdförmige Bildungen ganz anderer Art fanden sich in 3 Fällen nahe dem
Ventrikel. Sie bestanden aus den dunklen, kleinkernigen Zellen der embryo¬
nalen Stützsubstanz (Spongioblasten), welche normalerweise in früherer Fötalzeit
die aus dem Plexus in die Ventrikel wand einstrahlenden größeren Venen in
Form dichter Mäntel umscheiden, ein Verhalten, das wohl gelegentlich zu der
Annahme einer „lymphocytären Infiltration“ um die Markgefäße geführt hat.
In den genannten Fällen von kongenitaler Lues, in denen diese ausgedehnte
cirkumvaskuläre Proliferationszone sich bereits — der normalen Entwickelung
entsprechend — fast völlig zurückgebildet hatte, ließen sich nun hie und da
gegen die zellreiche Umgebung wohlabgegrenzte Haufen derartiger Elemente in
der Nachbarschaft der Venen nachweisen, wie sie von mir bisher nur in einem
Falle schwerer Entwickelungsstörung des Gehirns gefunden und zur Bildung
einer besonderen Art von „Heterotopien“ in Zusammenhang gebracht worden sind. 1
Mit einigen Worten muß ferner der pialen Veränderungen gedacht werden,
die bei mehreren Fällen schon makroskopisch als eine Verdickung, weißliche
Trübung und Adhärenz der Pia mit der Dura bemerkt werden konnten. Die
häufigen pialen und snbpialen Blutungen wurden bereits erwähnt. Zweimal fand
ich eine weitgehende Bindegewebswucherung (bei zwei intrauterin abgestorbenen
reifen Neugeborenen), die zu einer starken, schwartigen Verdickung geführt hatte.
In zwei anderen Fällen ließen sich sehr schwere frischere Störungen nachweisen:
Lebhafte Fibroblastenproliferation, Infiltration des Pialgewebes mit Plasma¬
zellen, Riesenzellenbildang and an einzelnen Stellen nekrotischer Zerfall des Ge¬
webes. In eben diesen Fällen griff die piale Wucherung stellenweise auf die
angrenzende Rinde über, führte zu einem Einwandern von Fibroblasten und
adventitialen Elementen in den zellarmen Rindensaum und zu besonders hohen
Graden der oben kurz geschilderten Rindenveränderungen (Gefäßwandwucherung,
Lymphscheideninfiltration, Stäbchenzellenemigration, Gliaproliferation, Zerfall der
Nervenzellen).
Besonders interessant erscheint mir eine Infiltration der pialen Maschen
mit charakteristischen, oft mehrkernigeu „großen Rundzellen“, welche in keinem
unserer Fälle hereditärer Syphilis vermißt wurde.
1 Vgl. doa Referat über meinen bei der Jahresversammlung des Vereins bayrischer
Psychiater 1905 in München gehaltenen Vortrag: Über eine besondere Form von Entwicke-
lnngsstörnngen der menschlichen Großhirnrinde. Neurolog. Central bl. 1905. Nr. 14. Eine
ausführlichere Besprechung der betreffenden Verhältnisse erscheint im 3. Bande von Nissl’s
histologischen und biBtopathologischen Arbeiten.
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161
Die Herkunft und Bedeutung der betreffenden Elemente ließ sich bisher
nicht sicher stellen; doch stehen sie offenbar mit dem normalen Bildungsprozeß
der Pia in engstem Zusammenhänge. Sie fanden sich nämlich bei 29 Frühgeburten
aus dem 4.—7. Monat jedesmal, und zwar bis zum 6. Monat in zunehmender,
dann wieder in abnehmender Menge. Bei ausgetragenen Neugeborenen waren sie
dagegen normalerweise nicht oder doch nur in ganz vereinzelten Exemplaren
vorhanden.
Wenn wir sie nun bei reifen syphilitischen Früchten stets in großer Zahl,
öfters aber geradezu massenhaft und das histologische Bild der Pia bestimmend
fanden, so dürfen wir darin sicherlich ein pathologisches Geschehen erkennen,
das sich wohl am ehesten ebenso wie die Gefaßwucherung und die Bildung der
Spongioblastenknötchen durch das Andaaern einer in gewisser Zeit der Ent¬
wickelung normalen Proliferation infolge des luetischen Reizzustandes erklärt.
Erwähnt sei endlich, daß mehrere Fälle von kongenitaler Lues mit der
MABGHi’schen Methode und den neueren Fettfärbungen auf das Vorhandensein
lipoider Substanzen untersucht wurden. Dabei konnten weder Vibchow’s (3)
Angaben, noch deren Widerlegung durch Jabtrowitz(12) bestätigt werden.
Fettartige Körper fanden sieb, ebenso wie im normalen embryonalen Gehirn,
doch augenscheinlich in größerer Menge, in den „großen Rundzellen“, in den Ge¬
fäßwänden und in den pathologisch gewucherten Fibroblasten der Pia, außerdem
reichlich in den Gefäßwänden (Endothel und Adventitia) der cerebralen Gefäße
und massenhaft in den cirkumvaskulären Gliazellen, hie und da auch in einzelnen
gliösen und adventitialen Elementen („Stäbchenzellen“) zerstreut im Gewebe. Eine
reichliche, lokal beschränkte Anhäufung von Fettsubstanzen ließ sich nur in den
oben beschriebenen Herden von Infiltratzellen, adventitialen Elementen und ge¬
wucherter Neuroglia nachweisen.
Zum Schluß erscheint es zeitgemäß, auf die Frage des Spirochätennachweises
in unseren Präparaten kurz einzugehen. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist in
einer großen Anzahl von Fällen bei primären und sekundären luetischen Pro¬
dukten der Nachweis von Schaudinn’s Spirocbaeta pallida im Ausstrich, neuer¬
dings auch mittels Silberimprägnation nach Levaditi 1 im Gewebe gelungen, und
es ist heute, nach den Übertragungsversuchen durch Metschnikotf und Roux,
sowie durch Neisseb und Finoeb, bei denen sich auch im Allen an den Impf¬
stellen und in sekundären Eruptionen der Parasit fand, und nach den sehr aus¬
gedehnten, diagnostischen Zwecken dienenden Untersuchungen Simmonds (13)
kaum mehr möglich, an der pathogenen Bedeutung der Spirocbaeta pallida für
die Syphilis zu zweifeln. Besonders massenhaft fand man die Spirochäten in
den Primäraffekten, sowie in fast allen Organen bei der kongenitalen Lues, bei
letzterer namentlich in den Affektionen, welche man früher als den tertiären
Gummen der Erwachsenen analog angesehen hatte.
Im Centralnervensystem ist — soweit mir bekannt — der Nachweis von
Spirochäten auch bei kongenitaler Lues bisher nicht gelungen, nachdem die
Untersuchungen von Levaditi (14) (von Gehirn, Rückenmark, Spinalganglien und
1 Über die Methode vgl. E. Giebkb: Das Verhältnis zwischen Spirochäteu und den
Organen kongenital syphilitischer Kinder. Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 9.
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lpi iralfrcm
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Plexus zweier luetischer Neugeborener) und Bose (15)'(Gehirn, 1 Fall) erfolglos
geblieben waren. 1
Von meinen Fällen wurden bisher zwei, welche die weitestgehenden Ver¬
änderungen zeigten, und von denen mir am meisten Material zur Verfügung
stand, mittels der LKVADiTi’schen Methode untersucht; in beiden fanden sich
Spirochäten in großen Mengen, und zwar in einer den beschriebenen patho¬
logischen Erscheinungen durchaus entsprechenden Lagerung und Häufigkeit.
Fig. 8. Kleine Arterie der Pia mit Spirochäten, die zwischen den Endothelzelleu
in die Gefäßwand einwandern, vereinzelt in der Muskulatur und massenhaft in der
Adventitia liegen. Eindringen von Parasiten in den Rindensaum.
Fig. 9. a zwei wohlerhaltene Spirochäten in einer „großen Rundzelle“
der Pia, b drei degenerierte Spirochäten in einer mehrkernigen „großen
Ruudzelle 4 *.
Vereinzelt unter den angestauten leukocytären Elementen der Gefäße, be¬
sonders der Venen liegend, dringen sie zwischen den gewucherten und degenerierten
1 Anmerkung bei der Korrektur: Nach Abschluß dieser Arbeit faud ich in der
Münchener med. Wochenschrift vom 3. und 17. Juli 1906 (S. 1302 und 1434) zw^ei ganz kurze
Angaben über das Vorkommen der Spirochaeta pallida im Gehirn. Simmonds fand sie bei
kongenitaler Lues, Bknda (Berlin) bei einer doppelseitigen Erweichung der Großhirnhemi¬
sphären mit syphilitischer Endarteriitis und Mesarteriitis. Außerdem fand ich nachträglich,
daß Schridde bereits am 19.; VII. 1905 in einer Sitzung des ärztlichen Vereins in Marburg
über Spirochäten berichtete, deren Anwesenheit er in der Cerebrospiualflüssigkeit eines here¬
ditär luetischen Neugeborenen festgestellt hatte.
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Endothelzellen in die Gefäßwand, finden eich in wenigen Exemplaren in der
Muskularis auch der größeren Arterien, in ungeheuren Massen aber zwischen
Fig. 10. Größere Vene der Rinde. Massenhaft Spirochäten in der Lymphscheide, vereinzelte
in das Hirngewebe fiberwandernd.
Fig. 11. Gefäß in der Medulla oblongata, dessen Lymphscheide mit Spirochäten ganz
angeffillt ist. Links unten eine Kapillare mit zahlreichen Spirochäten in der Wandung.
den adventitialen Bindegewebszügen, in denen sie sich lebhaft zu vermehren
scheinen (Fig. 8). Die Pia ist an manchen Stellen ganz geschwärzt von Spiro¬
chäten, besonders dort, wo histologische Methoden Zerfallserscheinungen an den
Zellen nachgewiesen hatten.
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Selten findet man an solchen Plätzen auch intra-
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164
cellular liegende Exemplare; in einem Falle sah ich offenbare Degenerations¬
produkte von Spirochäten innerhalb einer „großen Rundzelle“ der Pia (vgl. Fig. 9),
wie sie auch von Lbvaditi und Frohwein (16) beschrieben worden sind.
An Stellen, wo die pialen Veränderungen direkt auf die Rinde übergreifen,
wandern auch vereinzelte Spirochäten ungehindert in die Gehirnsubstanz ein.
Sehr viel zahlreicher sieht man sie in den Lyraphscheiden der infiltrierten und
gewucherten Rindengefäße, aus denen sie hie und da in einzelnen Exemplaren,
selten in Häufchen von 5—7 in das Nervengewebe eindringen, wie wir es nach
den beschriebenen Erscheinungen erwarten konnten (Fig. 10). Besonders reichlich
fanden sie sich auch in den Lymphscheiden und im Gewebe der Medulla oblongata
in einem Falle, bei dem eine sehr hochgradige diffuse Gliawucherung der Medulla
nachgewiesen werden konnte (Fig. 11),
Fig. 12. Herd wie in Fig. 7, Spirochätenfärbung.
Die geschilderten Knötchen aus Gefäßwandzellen, leukocytären Elementen und
gewucherter Glia endlich sind ganz durchsetzt von Spirochäten, so daß man sie
schon bei schwächsten Vergrößerungen als dunkle Flecken in dem bräunlichen
Gewebe erkennt (Fig. 12). Und auch in den oben beschriebenen Haufen von
Elementen des embryonalen Stützgewebes nahe dem Ventrikel ließen sich ver¬
einzelte Spirochäten nachweisen.
M. H.! Ich konnte Ihnen zeigen, daß im Centralnervehsystem luetischer
Früchte sich gewisse, in ihrer Gesamtheit recht charakteristische Veränderungen
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erkennen lassen, und daß dieselben größtenteils auf die direkte Anwesenheit der
SoHAüDiNK’schen Spirochäte zurückgeführt werden können. Damit ist für die
Frage nach den Beziehungen zwischen der ererbten Lues und Nerven- und
Geisteskrankheiten noch nicht eben viel gewonnen; doch hoffe ich, daß weitere,
eingehende Untersuchungen mit unserer verfeinerten histologischen Technik auch
für die im späteren Leben bei hereditär luetischen Individuen auftretenden ner¬
vösen und psychischen Störungen eine anatomische Grundlage finden werden,
die in manchen Stücken mit den Veränderungen beim Fötus und Neugeborenen
übereinstimmen mag. Auch der Spirochätennachweis dürfte uns insofern weiter¬
führen, als er uns die durch Anwesenheit des Lueserregers selbst und durch
seine Toxine allein bedingten Veränderungen mit Sicherheit zu unterscheiden
gestattet.
Literatur.
1. Julush, Herödo-Syphilis. Archive g£n£rale de mödecine. V. 1901. — 2. Ziehen,
zitiert nach Bbksler: Erbsyphilis und Nervensystem. Scbhidt’s Jahrbücher. 1904. —
3. Vibcbow. Encephalitis congenita. Berliner klin. Wochenschr. 1883; vgl. auch Vibchow’b
Archiv. XXXVIII. 1867. — 4. Mba2bk, Syphilis haemorrhagica neonatorum. Vierteljahr¬
schrift f. Dermatologie u. Syphilis. 1887. Heft 1. — 5. Bon. Heckes, Beitrag zur Histo¬
logie und Pathologie der kongenitalen Syphilis, sowie zur normalen Anatomie des Fötus
und Neugeborenen. HabilitationBschr. 1898 u. Vorträge, gehalten auf der 16. u. 18. Ver¬
sammlung d. Gesellsch. f. Kinderheilk. (1899 und 1901). — 6. Hutinel et Hus£lo, Etüde
sur les ldsions syphilitiques du foie chez le foetus et les nouveau-nds. Archive de mdd. exp.
H. 1890. Heft 4. — 7. Kabvonbn, Die Nierensyphilis. Berlin 1901. — 8. E. Wethe,
Über die Häufigkeit von Hämorrbagien in Schädel und Schädelinhalt bei Säuglingen. Diss.
Kiel 1889. S. Salomon, Über den Zusammenhang zwischen Pachymeningitis intern, chron.
und Atrophie bei Säuglingen. Dies. Kiel 1897; vgl. auch den Vortrag Döhlb’s auf dem
internat. med. Kongr. in Berlin 1890. — 9. Bebrbnd, Deutsche Zcitschr. f. prakt. Medicin.
1878. — 10. A. Alzheimer, Histologische Studien zur Differentialdiagnose der progressiven
Paralyse. Nissl’s histolog. u. bistopatholog. Arbeiten über die Großhirnrinde. I. 1904. —
11. F. Nibsl, Zur Histopathologie der paralytischen Rindenerkrankung. Histol. u. bisto-
pathol. Arbeiten. I. — 12. Jastbowitz, Entgegnungen auf Vibchow's Anschauung einer
kongenitalen interstitiellen Encephalitis bei Lues. Berliner klin. Wochenschr. 1888. —
18. Simmonds, Über den diagnostischen Wert des Spirochätenbefundes bei Syphilis congen.
Vortrag im ärztlichen Verein in Hamburg, Sitzung vom 1. Mai 1906. — 14. Lbvaditi,
Annales de l’institut Pasteur. XX. 1906. Nr. 1. — 15. Bose, C. rend. LX. 1906. Heft 7.
— 16. Fbohwein, Spirochätenbefunde im Gewebe. Medicin. Klinik. 1906. Nr. 17.
n. Referate.
Anatomie.
1) Zur Frage von den Nervenganglien in der Gebärmutterwand, von Viktor
Stscherbakow. (Inaug.-Dissert. Berlin 1906.) Ref.: Max Bielschowsky.
In der Uteruswand der Katze fand Verf. Ganglien, welche er in drei Gruppen
sondert. Zur ersten gehören solche, die in der Serosa des Cervix liegen. Ihre
Verteilung ist je nach der genaueren Örtlichkeit variabel; die Form der Zellen
nähert sich deijenigen in den großen sympathischen Ganglien. Zur zweiten Gruppe
gehören die eigentlichen intraneuralen Ganglien in den oberflächlichsten Schichten
der Mosoularis in den seitlichen Cervixpartien und im unteren Corpusahschnitte.
Die letzte Gruppe wird von Zellanhäufungen in tieferen Schichten der Uterus-
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muskulatur gebildet. Sie liegen in der vorderen und hinteren Corpuswand, ohne
die größte Sagittalebene des Uteruskörpers zu erreichen. Einzelne Häufchen liegen
in der Nachbarschaft größerer Blutgefäße und stehen mit Nervenstämmchen von
stärkerem Kaliber in Zusammenhang. In der Mucosa und Submucosa des Organs
hat Verf. Nervenzellen nicht gefunden.
2) Das Verhalten der Nerven in der Substanz des Uterus, von Dr. Alfred
Labhardt. (Archiv f. Gynäkolog. LXXX.) Bef.: MaxJacoby (Mannheim).
Verf. faßt die Ergebnisse seiner Untersuchungen folgendermaßen zusammen:
Im UteruB des Kaninchens findet sich ein ausgebreitetes Nervensystem. Die
dickeren Stämme verlaufen zwischen den zwei Hauptmuskelschichten und geben
Zweige ab, die interfascikulär verlaufen und ihrerseits intrafascikuläre Fasern
abgeben. Die größeren Stämme enthalten neben zahlreichen blassen noch eine
kleinere Anzahl von myelinhaltigen Fasern, die jedoch innerhalb der dickeren
Stämme schon ihre Markscheide verlieren. Im Uterus des Menschen findet sich
ebenfalls ein reiches System von Nerven. Die dickeren Stämme verlaufen inner¬
halb der mittleren Muskelfaserschicht und geben von hier aus Zweige ab, die
intrafascikulär liegen und von denen intrafascikuläre Aste entspringen. Die
dickeren Stämme enthalten neben zahlreichen blassen Fasern einzelne doppelt
konturierte, die jedoch innerhalb der dickeren Nervenstämme ihre Markscheide
verlieren. Die Endigungsweise der Nerven in der Muskulatur und in der Schleim¬
haut ist weder beim Kaninchen-noch beim Menschen durch die Golgische Methode
und Methylenblau in genügender Werne darzustellen gewesen. Weder im Uterus
des Kaninchen noch dem des Menschen sind Ganglienzellen nachzuweisen. Die
Annahme eines intraneuralen Gangliensystems iet durohaus unbegründet. Die
Kontraktionen der Gebärmutter erfolgen auf neurogenem Wege durch Beizung
des Ganglion cervicale oder durch einen Beflex, auf myogenem Wege durch direkte
Beizung der Muskulatur.
3) Vergleichend-anatomisohe Untersuchungen über den Bau des Central¬
kanales bei den Säugetieren, von Paul Bi ach. (Arb. aus dem neurolog.
Institut der Universität Wien. XIII. 1907.) Bef.: Otto Marburg (Wien).
An einem Material, das Vertreter aller Vertebratenklassen enthält, zeigte sich
bezüglich des Centralkanales eine auffallende Uniformität in der Gestalt dieses,
sowie ein fast völliger Mangel pathologischer Veränderungen. Der Centralkanal
ist fast immer offen, schließt meist ein feinfädigeB Gerinnsel ein, in dem sich
deutlich bei vielen Tieren der Beissnersehe Faden abhebt. Bemerkenswert ist
ein eigentümliches Verhalten der Natautia, bei denen die Existenz eines Central¬
kanales im Cervikalmark fraglich erschiene, da dort nur Ependyminseln vorhanden
sind, wenn nicht an deren Stelle im unteren Dorsal-, im Lumbal- und Sakral¬
mark ein echter Kanal zu finden wäre.
Die Substantia gelatinosa centralis zeigt ein wechselndes Verhalten. Bald
verschwindend klein wie beim Igel, den Pinnipediern, Bodentiern und EdentateD,
bald beträchtlich entwickelt wie bei den Chisopteren, zeigt sie bei diesen letzteren
dorsale Fortsätze, die sich in einer Spitze bis in die Bolandosehe Substanz
verfolgen lassen.
Der auffallende Befund von Ganglienzellen und Nervenfasern in der centralen
gelatinösen Substanz sei gleichfalls hervorgehoben, ein Befund, der die Bedeutung
der gelatinösen Substanz als eines einfachen Stützgewebes wohl illusorisch zu
machen geeignet ist. Eine große Fülle von Details läßt sich leider in einem
kurzen Beferate nicht wiedergeben.
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167 -
Physiologie.
4) Zur Kenntnis der Variabilität und Vererbung am Centralnervensystem
des Mensehen und einiger Säugetiere, von J. P. Karplus. (Wien-Leipzig
1907, F. Deuticke.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
In weiterer Verfolgung seiner Untersuchungen, die seinerzeit das hoch bedeut¬
same Resultat der Existenz einer Vererbung der Hirnfurchen neben vielen anderen
erbrachten, zieht jetzt Verf. außer seinen 26 Menschengruppen (20 zu je 2, 5 zu
je 3, 1 zu 5 Mitgliedern) 4 Gruppen vom Macacus (Mutter und Fötus bzw. Sohn),
4 Gruppen von Hund und vier von der Katze, sowie drei von der Ziege heran.
Während beim Menschen in bezug auf die Furchen Varietäten die beiden
Hirnhemisphären beträchtlich differieren und diese Differenz auch in der Vererbung
zum Ausdruck kommt, die beim Menschen immer gleichseitig ist, fehlt eine der¬
artige Differenz beider Hemisphären bei den Macacen trotz großer Variabilität
der Furchen; es fehlt aber gleichzeitig (ein einziger Fall ausgenommen) die Ver¬
erbung von Varietäten. Letztere findet sich dagegen bei Katze und Hund, deren
Gehirne gleichfalls zahlreiche Windungsvarianten in den verschiedenen Familien
aufweisen, wobei wiederum beide Hemisphären sich annähernd gleich verhalten.
Betreffs der Ziege ist eine Entscheidung noch unmöglich.
Die Vererbbarkeit hei Hund und Katze im Gegensätze zu der fehlenden hei
Macacus ist vielleicht in dem Umstand begründet, daß Hund und Katze Gipfel¬
formen ihrer Reihe sind, der Macacus aber tief in seiner Reihe steht.
Von der größten Bedeutung für die Lehre von den endogenen Krankheiten
des Nervensystems sind die nun folgenden histologischen Untersuchungen des Be¬
obachtungsmateriales. Welche Unsumme von Arbeit darin steckt, kann man
einzig aus dem Umstande ersehen, daß 42 Rückenmarksserien zur Durchmusterung
kamen. Es fand sich dabei Asymmetrie der Vorderstänge, die auf Rechnung der
Pyramidenhahn zu setzen ist (Vater und Sohn), familiäres Auftreten von Hydro-
myelie oder überaus mächtige Entwiokelung der Stützsubstanz. In der Medulla
oblongata seien rundliche Zellanhäufungen im Hypoglossuskern, Vorkommen von
eigentümlichen Absprengungen der Suhstantia gelatinosa trigemini, familiäres Auf¬
treten eines Conductor sonorus erwähnt. Auch der Tractus peduncularis trans-
versus und die Fasciculi arcuati superiores isthmi fanden sich bei zwei bzw. drei
Geschwistern besonders gut entwickelt.
Das in nuce die Resultate eineB vieljährigen Studiums, dessen Gründlichkeit
und umfassende Kritik ganz im Verhältnis zu seiner Bedeutung steht, die kaum
trotz der bescheidenen Zurückhaltung des Verf.’s verkannt werden kann.
5) A preliminary note on the motor areas ln the cerebral cortex of mar-
supials, by J. Froude Flashraan. (Reports from the pathological laboratory
of the lunacy departement. Sydney 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Verf. hat sich die dankenswerte Aufgabe gestellt, das bisher physiologisch
wenig erforschte Gehirn der Marsupialier auf seine elektrisch erregbaren Rinden-
foci zu untersuchen. Als Versuchsobjekt diente ihm Dasyurus viverrinus, der Beutel¬
marder. Alle motorischen Punkte liegen bei ihm unmittelbar hinter einer von dem
frontalen Teile der Hirnbasis nach aufwärts und etwas nach vorn an der Kon¬
vexität verfolgbaren Furche, dem Sulcus orbitalis. Im basalsten Teile dieser
hinteren Lippe des Sulcus orbicularis liegt ein Focus für Zungen- und Kiefer¬
bewegungen.
Reizt man etwas höher dorsalwärts, dann treten komplizierte Angriffsbewe¬
gungen auf, bei denen das Tier die Schnauze nach oben bewegt und nach der
entgegengesetzten Seite hin beißt; gleichzeitig erfolgten komplizierte Schlag¬
bewegungen mit den vorderen Extremitäten in der Weise, daß sich der Fuß der
gereizten Seite mit extendierten Krallen, wie die Schnauze, nach entgegengesetzter
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UNfVERSITY OF CALIFORNIA
168
Richtung wendet; gleichzeitig erfolgen auch Vorwärtsbewegungen der kontra¬
lateralen Pfote. Etwas höher oben von diesem Gebiete liegen die Reizpunkte der
oberen und dann die der unteren Extremitäten. Beide Foci decken sich zum
Teil miteinander. Die betreffenden Bewegungen sind von den einzelnen Punkten
aus scheinbar nicht in konstanter Weise erzielt worden; jedenfalls war eine exakte
Lokalisation einzelner Mnskelgruppen nicht möglich. Das Gehirn von Dasyurus
soll für diesen Zweck zu klein sein.
6) Über das Vibrationsgefühl, von Dr. Franz Herzog. (Deutsche Zeitschrift
f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
Zur genauen Untersuchung des Vibrationsgefühles wurden Stimmgabeln von
96 Schwingungen (G) und Bolche von 256 Schwingungen (c') benutzt; letztere
eignen sich wegen des schwächeren Reizes besser zur Feststellung einer Herab¬
setzung des Vibrationsgefühles. Dasselbe kann nur dann als eine besondere
Sensibilitätsart mit eigenen Nerven aufgefaBt werden, wenn sich in pathologischen
Fällen bei im übrigen intakter Sensibilität ein isolierter Verlust desselben nach-
weisen läßt oder wenn dasselbe bei Erloschensein der übrigen Sensibilität erhalten
ist. In jedem Falle muß sich die Sensibilitätsprüfung auf Haut, Weichteile und
Knochen erstrecken. Aus kleineren Veränderungen des Vibrationsgefühles oder
der übrigen Sensibilität sind indessen keine allgemeinen Schlüsse zu ziehen, denn
solche lassen sich auch ohne die Annahme besonderer Nerven für das Vibrations¬
gefühl erklären.
Die Untersuchungen wurden durch einfaches Aufsetzen der Stimmgabel ohne
eine genauere Messung der Empfindungsdauer vorgenommen. Bei einer Anzahl
organischer Affektionen des Nervensystems entsprechen die stärksten Störungen
des Vibrationsgefühles jenen des Drucksinnes, weniger denen des Bewegungsgefühles
und bei Anästhesien der Haut war oft nur durch leises AufBetzen der Stimmgabel
eine Herabsetzung des Vibrationsgefühles zu bemerken. In einem Fall von Poly-
neuromyelitis ließ sich die Beziehung desselben zur Schmerz-, Kälte- und Wärme¬
empfindung bestimmen. Es bestanden dabei starke Ataxie, Störungen der taktilen
Sensibilität, des Drucksinnes, der Bewegungsempfindung und des Vibrationsgefühles.
An den Extremitäten war der Drucksinn fast gänzlich aufgehoben und die Vibration
vollkommen erloschen, während Schmerz-, Wärme- und Kälteempfindung normal
waren. Daraus erhellt, daß diese Qualitäten der Sensibilität mit der Vibrations¬
empfindung nicht in Zusammenhang stehen.
Diese Beobachtungen beweisen also nicht, daß das Vibrationsgefühl eine be¬
sondere Sensibilität ist, sondern sie lassen nur annehmen, daß dasselbe keine
spezifischen Nerven besitzt und von den Nerven der taktilen Sensibilität sowie
von den sensiblen Nerven der tieferen Teile fortgeleitet wird, während die der
Schmerz- und Temperaturempfindung dabei unbeteiligt sind.
Pathologische Anatomie.
7) Beiträge zur Kenntnis der Altersveränderungen der menschlichen Hirn¬
rinde, von Koichi Miyake. (Arbeiten aus dem neurolog. Institut an der
Wiener Universität. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
An etwa 30 Fällen seniler Gehirne, von denen nur einige von geistig Er¬
krankten herrührten, wurden unter besonderer Berücksichtigung der Nissl-Alz¬
heim ersehen Befunde genaue Rindenuntersuchungen vorgenommen. Sie ergaben
in allen Fällen Verbreiterung der Pia durch Wucherung des Bindegewebes, Ver¬
mehrung der zeitigen Elemente — der fixen und der aus dem Blute stammenden;
letzteres nur dann, wenn das Gehirn einem Kranken entstammte, der an einer
Infektion oder Intoxikation oder Karzinose gestorben war. Schwartenartige Ver¬
dickungen der Pia, die gleichfalls ohne Psychose bestanden, ähnlich wie Ver-
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Original fro-m
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169
wachsung der Pia mit der gliösen Rindenschicht, werden auf in der Kindheit
übentandene Prozesse bezogen.
ln der Rinde selbst ist die Glia — die faserige und die zellige — allent¬
halben vermehrt, letztere teilweise degeneriert. Plasmazellen fehlen, während
Stäbchenzellen vereinzelt Vorkommen. Gelegentliche Kernvermehrungen infiltrativen
Charakters betreffen meist diffus die Rinde, weniger die frontalen Partien und
das Kleinhirn, stärker ausgesprochen in den tieferen Rindenschichten. Die In-
flltratzelleu sind meist Leukocytoide. Dort wo sich ein Infiltrat findet (Neoplasmen,
Infektion, Intoxikation) ist es mitunter stärker als bei senilen Psychosen (Paralyse
ausgeschlossen). Die Gefäßveränderungen halten nicht Schritt mit dem Alter.
Ihnen verdanken perivaskuläre Sklerosen und eigentümliche Lichtungsbezirke im
Gewebe ihr Entstehen. Die Ganglienzellen zeigen entweder staubförmigen Zerfall
der Tigroide oder eine eigenartige Netzstruktur. Am wenigsten geschädigt er¬
scheinen die großen Pyramidenzellen und die Purkinjeschen Zellen.
Die Befunde, von denen nur ein Teil wiedergegeben ist, lassen sich auf zwei
Ursachen zurückführen: 1. auf das normale Senium (Glia- und Bindegewebs¬
wucherung, Gefäßveränderungen, event. durch Zelläsionen), 2. auf die Krankheit,
der das senile Individuum erlegen ist (Infiltration). Die Grenzen zur Psychose
sind fließende und die Differenzen jedenfalls nicht so sehr in den akuten Ver¬
änderungen zu suchen, als vielmehr in dem gesteigerten Parenchymabbau, der zur
Psychose Anlaß geben könnte.
Pathologie des Nervensystems.
8) Zar Kasuistik der knöchernen Tumoren des Schädeldaches, von Prof.
Freiherr v. Eiseisberg. (Archiv f. klin. Chir. LXXXL) Ref.: UaxJacoby.
1. Osteoma frontis. Exstirpation, wobei ein Stück des Siebbeines mit ent¬
fernt wird. Sekundäre Einlegung einer Celluloidplatte. Heilung. 7 Wochen
später akquirierte Patient einen Schnupfen, welchem eitrige Meningitis mit
Exitus folgt.
2. Multiple Exostose des Schädels, von denen eine mächtige zur Bildung
eines sogenannten Thurmschädels führte. Abtragung von Knochen in mehreren
Sitzungen. Heilung. */ 4 Jahre später Entfernung einer auf Sarkom verdächtigen
Partie hinter dem BulbuB. Später Rezidive mit Entwickelung von Drucksymptomen.
3. Entfernung einer Knochencyste, die, schnell gewachsen, Druckerscheinungen
auf das Auge erzeugte und im Anschluß an ein Trauma entstanden war. Die
Wandung der Cyste enthält an einer Stelle ein deutliches Spindelzellensarkom.
Der Ausgangspunkt des Tumors war die hintere Partie des Jochbeines und das
Sohläfenbein, sowie das Os petrosum. Pat. ist 14 Monate nach der Operation frei
von jeglichem Rezidiv und allen Beschwerden.
9) Hypertrophie, Hyperplasie und Pseudohypertropbie des Gehirns. Zu¬
gleich ein Beitrag aur Kenntnis der diffusen Hiragliome, von Otto Mar¬
burg. (Arb. a. d. neurol-Inst. a. d. Wiener Univ. XIII. 1907.) Autoreferat.
Die Mehrzahl der bisher beschriebenen Hypertrophien und Hyperplasien des
Gehirns gehören in das Gebiet der sekundären Sklerosen (Pseudohypertrophien).
Die vorliegende Beobachtung aber, die eine 38jährige Frau betrifft, ergab bei
der histologischen Untersuchung zweifellos den Befund von Vergrößerung und
Vermehrung der parenchymatösen und interstitiellen Teile. Letztere waren stellen¬
weise bo gewuchert, daß sie den Eindruck einer diffusen gliomatösen Geschwulst,
die im Pons am stärksten entwickelt war, hervorrief. Tatsächlich verlief die
Krankheit unter dem Bilde eines Hirntumors des Ponsgebietes.
Auffällig war in diesem Falle die Vergrößerung der Zirbeldrüse, deren Rolle
bei den Wachstumsstörnngen neben den anderen beim Wachstum beteiligten Drüsen
erörtert wird.
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Man könnte die ganze Affektion im vorliegenden Falle vielleicht so erklären,
daß die hypertrophische Drüse, die im embryonalen Leben und in der frühesten
Kindheit die Wachstumssteigerung des ganzen Gehirns veranlaßte und so die
Hypertrophie und Hyperplasie bedingt, postembryonal dann wirkt, wenn die
Wachstumswiderstände durch irgend einen degenerativen Vorgang (Trauma) eine
Verschiebung erfahren haben.
10) De quelques altörations du tissu cdröbral, dues a la presence de tu«
meurs (suite), par Weber. (Nouvelle Iconogr. de la Salpetriere. 1906.
Nr. 3.) Bef.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Verf. fügt den schon mitgeteilten 5 Fällen (vgl. d. Centralbl. 1906. Nr. 1)
zwei neue hinzu.
I. Ein 43jähriger Kellner, Alkoholiker. Mit 37 Jahren Pleuritis, 5 Jahre
darauf Luftröhrenkatarrh, von dem er sich nicht recht erholen konnte. Bei seiner
Aufnahme klagt er über heftige Kopfschmerzen. Wird bald bettlägerig, hat Mühe
zu sprechen, läßt Urin und Kot unter sich. Status: Sehr mager, müder, schlaffer
Gesichtsausdruck. Pupillen sehr weit, reagieren nur spurweise auf Licht. Ataxie
der Zunge, Arme und Beine. Gang spastisch, Patellarreflexe sehr stark, vor¬
geschrittene Lungentuberkulose. Stupor, ab und zu unterbrochen durch Hallu¬
zinationen. Man hat den Eindruck, daß es sich mehr um eine Verlangsamung
des geistigen Eindrucksvermögens handelt, als eine völlige Zerstörung desselben.
Späterhin bessert sich sein Zustand etwas, der Kranke wird klarer. Keine
Pulsverinngsamung, kein Erbrechen. Kann Arm und Bein nicht mehr erheben,
Pupillen werden vollständig reaktionslos. Leichte Divergenz der Bulbi, Schwierig¬
keiten bei der Konvergenz. Exitus im Marasmus. Diagnose: Tuberkel in der
Gegend der Corpora quadrigemina. Autopsie: Dura mater gespannt, beim Ein¬
schneiden entleert sich ziemlich viel Liquor cerebrospinalis. Pia verdickt. Das
Großhirn macht den Eindruck eines leeren Sackes. Die gewöhnlichen Zeichen
des Hirndruckes, Verschwundensein der Furchen, abgeplattete Windungen usw.
waren wenig ausgeprägt. In der linken Hemisphäre des Kleinhirns eine Neu¬
bildung, die erst aussah wie ein Tuberkel, sich aber bei der mikroskopischen
Untersuchung als ein Sarkom erwies. Seitenventrikel sehr stark dilatiert, von
der Gehirnmasse ist durchschnittlich 8,9 mm übrig. Die Vergrößerung der Ven¬
trikel ist hauptsächlich auf Kosten der weißen Substanz erfolgt. Von dem Corpus
callo8um ist nur noch ein Streifen von 2 mm erhalten. Das Ependym ist verdickt
und durchzogen von feinen, pinselförmigen Streifen, ähnlich wie sie Chaslin bei
Epilepsie beschrieben hat. Dann folgt eine 5 mm, stellenweise 8 mm dicke Zone,
durchsetzt von Vakuolen. In dieser Zone sieht man multipolare Zellen und mit
der Weigertsehen Färbung rosenkranzartig angesohwollene Stränge, welche nach
der Peripherie an Zahl abnehmen, ebenso sind die Fasern und Zellen der Binde
an Zahl vermindert. Aquaeductus Sylvii Rehr stark erweitert. Der linke hintere
Vierhügel ist ganz zerstört, ebenso beide Okulomotoriuskerne, während der Troch-
leariskern unversehrt iBt Das Sarkom, ausgehend vom Plexus chorioideus, hat
die umgebende Substanz nur verdrängt, nicht zerstört. Die Fasern sind voll¬
ständig normal. Der Befund deckt sich mit den Bchon veröffentlichten Fällen,
weshalb hier nicht näher darauf eingegangen zu werden braucht. Nur ist der
Mechanismus der Verdrängung dadurch etwas komplizierter, daß der Tumor im
Kleinhirn sitzt.
II. 40jähriger Mann, im Dämmerzustand ins Krankenhaus eingeliefert. Beider¬
seits Protrusio bulbi, Ptosis rechts, das rechte Auge in extremer Divergenzstellung.
Lichtreaktion beiderseits aufgehoben, Nasolabialfalten beiderseits verstrichen.
Ödem des Gesichtes. Auf Aufforderung streckt er die Zunge aus, vergißt sie aber
zurückzuziehen. Puls 100, Temperatur 38,8°. Autopsie: Dura mater gespannt,
leichte Leptomeningitis.
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Windungen abgeplattet, Furchen verwischt. Auf dem
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Längsschnitt sieht man auf dem Frontalschnitt eine gelbliche Stelle, aus der sich
beim Einschnitt ein dünner Blutfaden entleert. 16 Neubildungen, vier davon
sitzen in der Rinde und sind nur mikroskopisch zu sehen, 11 sind erbsengroß
und sitzen in der weißen Substanz, ein größerer Tumor im linken Frontallappen.
Zwei Herde im Ependym im Hinterhorn des Seitenventrikels. Sämtliche Neu¬
bildungen sind Adenokarzinome. (Weil nur die Gehirnsektion gemacht wurde,
konnte der Hanptherd nicht aufgefunden werden.) Die Metastasen sind durch die
Blntbahn erfolgt, alle Tumoren sind gegen das umliegende Hirngewebe streng
abgegrenzt, alle haben eine Vacuolenzone um sich herum. Der Tumor im Frontal¬
lappen ist von einer Hämorrhagie frischen Datums umgeben. Die Vorderhörner
der Seitenventrikel sind stark ausgedehnt, dagegen liegen die Wandungen der
Hinterhörner dicht aufeinander. Die weiße Substanz ist normal, nur links, in
der Gegend der CommisBura anterior, hatte ein Stück Kaütschukkonsistenz, das
kleine Hämorrhagien enthielt, ferner Vacuolen. Die centrale Partie färbt sich
schlecht nach Weigert-Pal, sie weist zahlreiche degenerierte Fasern auf. Da¬
zwischen große Zellen mit Fortsätzen, ähnlich den Spinnenzellen, nur viel größer.
Die Rinde ist nicht vergrößert bis nahe an den Tumor heran. Dort stehen die
Zellen nicht mehr senkrecht zur Oberfläche, sonden in kleinen Haufen zusammen
und Bind geschrumpft. Im Kleinhirn sind ebenfalls etwa 15 Metastasen. Korn-
pressionserscheinungen fehlen. Der Fall ist analog der Beobachtung III der
früheren Veröffentlichung von Weber und Papadiki.
Während die Verff. der ersten Arbeit sich sehr unbestimmt aussprechen, viel
das Wort „scheint“ gebrauchen, drückt sich Verf. in seinen Schlußfolgerungen
ziemlich sicher aus.
Von den Schlüssen, die er aus insgesamt 7 Fällen jetzt zieht, sind die Haupt¬
sachen folgende:
Die Neubildungen entwickeln sich in der weißen Substanz, sie zergliedern
sich gewissermaßen, um den Lymphstrom aufzunehmen, welcher nach den Ventrikeln
hin gerichtet ist. Die Abplattung der Vorderhöruer der Seitenventrikel gibt
ein Mittel an die Hand: Entleerung der Ventrikel. Durch eine Entleerung der
Ventrikel ist man imstande, einer Vermehrung des Druckes, welcher notwendiger¬
weise durch das Wachstum des Tumors eintreten muß, hintenanzuhalten. In der
Praxis also könnte es dahin kommen, daß es durch die Punktion der Ventrikel
gelänge, die Nebenerscheinungen eines Tumors latent zu gestalten, natürlich nur
für eine gewisse Zeit. Die Parese des Okulomotorius iBt nur eine Fernwirkung
und kann leicht zu einem Irrtum in der Diagnose führen. Die Rinde widersteht
dem Druck besser als die weiße Substanz, vielleicht weil sie eine reichlichere und
bessere Ernährung aufzuweisen hat. Das Ependym reagiert auf eine Vermehrung
des intraventrikulären Druckes durch ein Dickerwerden seiner Wandungen .und
durch die Bildung pinselförmiger Fasern (Chaslin). Vielleicht ist die Verdickung
der Wandungen als eine Verteidigung, eine Art Selbsthilfe des Organismus auf¬
zufassen.
II) Zar Diflferentialdiagnose des Gehirntumors und der Gehirnthrombose,
von Prof. Ziehen. (Med. Klinik. 1906. Nr.37.) Ref.rPaul Liss mann (München).
Verf. weist darauf hin, daß es Fälle von Tumor cerebri gibt, bei welchen
die Hirndrucksymptome, insbesondere die Stauungspapille, fehlen können, und die
deswegen auch ihrer Genese nach zu Verwechselung mit Gehirnthromhosen führen
können. Als Beispiel gibt er die Krankengeschichte einer 62jährigen Frau, bei
der infolge Fehlens der Stauungspapille bis zum Tode die Diagnose zwischen
Tumor und Thrombose schwankte. Bei der Sektion fand sich ein kleinapfelgroßer
Tumor des Occipitotemporallappens.
Umgekehrt darf aber nicht aus dem Vorhandensein einer Papillitis ohne
weiteres auf einen Tumor geschlossen werden; denn auch bei Thrombose sowie
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Nephritis findet sich nicht gar selten eine Stanungspapille. Erst die Gegenwart
anderer Hirndrucksymptome rechtfertigt die Diagnose eineB Tumors.
12) Un oas de tumeur oöröbrale aveo sommeil, par G. Maillard et Milhit.
(L'Encöphale. 1906. Mai-Juni.) Ref.: Baumann (Breslau).
Der von den Verff. geschilderte Fall von Hirntumor zeichnete sich aus durch
eine unüberwindliche Schlafsucht; es handelte sich nicht um Coma, Somnolenz
oder einen ähnlichen Zustand, sondern um wirklichen Schlaf, der vom physio¬
logischen nur durch die Länge der Dauer und die größere Tiefe geschieden war.
Die histologische Untersuchung ergab, wie bei den meisten bisher publizierten
Fällen von Hirntumor mit Schlaf, ein Gliosarkom. Als Ort des Sitzes werden
von den einzelnen Autoren die verschiedensten Hirnstellen angegeben; daraus
folgt, daß der pathologische Sohlaf nicht unter der Einwirkung eines bestimmten
Centrums steht. Auch die Hypothese, daß dieser Schlaf infolge der allgemeinen
Kompression des Gehirns entstehe, muß fallen gelassen werden, seit man Fälle
mit ganz kleinen Tumoren, welche die Schlafsucht darboten, gefunden hat. Am
wahrscheinlichsten erscheint den Verff. die Annahme, daß es sich um eine wirk¬
liche Intoxikation handelt, die duroh die Zellen des Neoplasma entsteht. Dafür
spricht die rapide außerordentliche Abnahme des Pat. nach Eintritt des Schlafes,
die bei Abwesenheit jeder anderen organischen Ursache nur auf eine Intoxikation
bezogen werden kann.
13) Zar Kenntnis der generalisierten metastatisohen Karsinose des Central’
nervensystems, von Heyde und Curschmann. (Arbeiten aus dem pathol.-
anat. Institut zu Tübingen. V.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Die Verff. berichten über folgenden klinisch und anatomisch bemerkenswerten
Fall. Ein 46jäbriger Mann erkrankt angeblich nach Influenza an allgemeinen
Beschwerden, die als Neurasthenie, später als progressive Paralyse gedeutet werden
konnten, an Kopfschmerzen, Schwindel, bisweilen Erbrechen, leichter Unsicherheit
beim Gehen, Druck und Steifigkeit im Rücken, vorübergehendem Doppelsehen und
psychischem und intellektuellem Rückgang. Weiterhin traten zn der deutlichen
Rückensteifigkeit und rechtsseitig lokalisierten Schmerzen eine ganz komplett
werdende Okulomotoriuslähmung links und eine Facialislähmung rechts, etwas später
eine leichte Hypoglossuslähmung rechts. Dabei keine Stauungspapille, nur Zeichen
einer alten Neuritis links und rechts, kein Vaguspuls. Unter langsamer Zunahme
der Hirnnervenstörungen, wachsender Benommenheit, Delirien, Koma mehrten sich
die spinal-meningitischen Symptome (Nacken* und Rückenstarre und langsamer
Schwund aller Sehnenrefiexe). Nach 7 Vs Monaten Krankheitsdauer Exitus an
Lungenödem. Bei der Autopsie fand sich ein ausgedehnter Krebs der rechten
Pleura und Lunge und ein kirschkerngroßer Tumor im rechten Lobus paracentr.,
der sich bei mikroskopischer Betrachtung als ein Gliom erwies. Die Pia mater
des Centralorganes ließ bei der Betrachtung mit bloßem Auge nur eine milchige
Trübung erkennen. Um so überraschender war der mikroskopische Befund: die
Pia war allenthalben von Geschwulstzellen durchsetzt, die meist in
drüsenartigen Bildungen ihre Maschen auBfüllten. Es konnte keinem Zweifel
unterliegen, daß es sich hier um infiltrativ wachsende Metastasen des Pleurakrebses
handelte, welche wahrscheinlich durch die Lymphscheiden benachbarter Interkostal¬
nerven kontinuierlich bis zum Rückenmark vorgedrungen waren. Da wo die
Wurzeln der Rückenmarks- und Hirnnerven die erkrankte Pia passieren, setzen
sich die Geschwulstelemente direkt auf das Perineurium derselben fort. So sind
der linke Oculomotorius und der rechte Facialis ganz von Krebszellen durch¬
wachsen. Die klinischen Symptome vonseiten dieser beiden Nerven finden somit
eine zwanglose Erklärung.
Die Verff. glauben folgende Schlüsse für die Diagnostik derartiger Fälle aus
ihrer Beobachtung ziehen zu dürfen: Wenn bei einem exquisit chronisch ver-
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laufenden Cerebralleiden mit langsam auftretenden, zu Anfang intermittierend sich
steigernden und vermindernden Hirnnervenlähmungen, das dem Allgemeinzustand
nach dem Tumor cerebii ähnelt, aber oft schwere Stauungserscheinungen vermissen
läßt, in späteren Stadien die Symptome einer allgemeinen chronischen Meningitis
cerebrospinalis auftreten, so liegt der Verdacht einer generalisierten Karzinomatose
oder Sarkomatose der Hirnhäute nahe, auch wenn der Primärtumor nicht nach*
weisbar ist.
14) Cerebral basal tumour: double white atrophy, death alter seventeen
years, by JohnR. Lunn. (Brit.med. Journ. 1906. Juni.) Ref.: E.Lehmann.
Der mitgeteilte Krankheitsfall betrifft einen Arbeiter, welcher im 27. Lebens*
jahr aufgenommen und 17 Jahre lang im Hospital beobachtet werden konnte.
Die Krankheitssymptome bestanden in Kopfschmerz, rasch sich entwickelnder
beiderseitiger Opticusatrophie, Mydriasis und träger Reaktion der Pupillen auf
Lichteinfall. Erbrechen fehlte. Später treten linksseitige Krämpfe und Parese
der linken Körperhälfte auf; kurz vor dem Tode Nystagmus. Tod nach Eintritt
epileptischer Anfälle, an die sich ein komatöser Zustand ansohloß.
Die Autopsie ergab in der Gegend des Chiasmus ein taubeneigroßes Cysto*
fibrom.
15) Fall von Kleinhirnbrückenwinkelgeschwulst , von Dr. Pöschmann.
(Deutsche med. Wocbenschr. 1906. Nr. 21.) Ref.: R. Pfeiffer.
Im vorliegenden Falle entsprach das klinische Bild im wesentlichen dem
Symptomenkomplex, wie er als typisch für die Kleinhirnbrückenwinkelgegend von
Monakow, Henneberg, Koch u. a. geschildert ist. Die Operation (Dr. Riese)
maßte abgebrochen werden, da Patient kollabierte. Die Sektion ergab zwischen
Kleinhirn, rechtem Schläfenlappen und Brücke ein Cholesteatom.
16) Zur Operation der Tumoren des KleinhirnbrüokenWinkels , von
M.Borchardt. (Berl. klin. Wochenschr. 1906. Nr.33.) Ref.: Bielschowsky.
Mitteilung einer Krankengeschichte einer wegen Fibrosarkom des Kleinhirn¬
brückenwinkels operierten Patientin. Trotz des letalen Ausganges empfiehlt Verf.
frühzeitige Operation.
17) Zur Kenntnis der gliomatösen Neubildungen des Qebirns mit be¬
sonderer Berücksichtigung der ependymären Gliome, von Kurt Hilde*
brandt. (Inaug.-Dissert. Berlin 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Den Untersuchungen des Verf.’s liegen 3 Fälle zugrunde, von denen besonders
der erste bemerkenswert ist.
Bei einem schwer belasteten Mädohen, welohes vom 7. Jahre an epileptische
Anfälle gehabt hatte, treten im 12. Jahre Kopfschmerz, Erbrechen und Schmerzen
im Unterleib auf. Seit dem 16. Jahre kommen Schwindelanfälle und taumelnder
Gang hinzu. Da allgemeine Hirndrucksymptome sich in deutlichen Stauungs¬
papillen objektiv manifestieren, wird die Diagnose Cerebellartumor gestellt (Dr.
Kurt Mendel).
Später wurde die Patientin in die Charite aufgenommen, wo folgende Sym¬
ptome notiert wurden: Blickparese nach rechts, Internusschwäche links beim Kon¬
vergieren, Parese des rechten unteren Fazialis. Die ausgestreckten Hände zeigen
ein leichtes Schütteln. Fußklonus, kein Babinskischer Reflex. Die Kranke ist
leicht deliriös verwirrt, unorientiert. Unter Temperatursteigerung bis auf 39°,
starker Pulsbeschleunigung, Cheyne-Stokesschein Atmen ging sie zugrunde.
Die VermutungsdiagnoBe lautete: Ponstuberkel, kompliziert durch tuberkulöse
Meningitis. Bei der Obduktion fand sich die Medulla oblongata mit Ausnahme
ihres distalen Endes in einen sehr derben Tumor verwandelt, welcher sich dorsal-
wärts über das Organ fortsetzt und den IV. Ventrikel fast vollkommen ausfüllt.
„Bei der Zerlegung der Hemisphären zeigen sich die Ventrikel Wandungen in sehr
merkwürdiger Weise verändert. Sie sind von einer Geschwulstmasse überzogen,
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die mit der Geschwulst im IV. Ventrikel übereinstimmt.“ In analoger Weise ist
die Wandung des III. Ventrikels affiziert, nur die Oberfläche der Thalami opt.
ist ohne sichtbare Veränderungen.
Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß es sich in den erkrankten Ge*
bieten durchwegs um gliomatöse Wucherungen handelte, deren histologischer
Charakter aber an verschiedenen Stellen ein verschiedener war. Während es sich
in der Medulla oblongatn um einen harten, faserreichen Tumor von rein infil¬
trierendem Wachstum handelte, änderte die Neubildung unter dem Ependym der
Rautengrube ihre Wachstumsart und pflanzte sich als zellreiches, weiches Glio*
sarkom durch die subependymäre Gliaschicht aller Ventrikel fort. — Verf. gibt
eine eingehende Motivierung für die Bezeichnung „Gliosarkom“ in seinem Falle.
Als Gliosarkom will er diejenigen Tumoren benannt wissen, die histologisch voll*
ständig oder teilweise den Sarkomen gleichen, deren gliösen Ursprung mau aber
aus anderen Gründen annehmen muß.
18) Oase of obsoure intraoranial tumour: meningeal sarooma with exten-
Sion to fourth ventriole, by G. H. Grant Davie. (Brit. med. Journ. 1906.
11. August.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Eine 38jährige Patientin, bei der seit etwa 2 Monaten Krankbeitserscheinungen
bestanden, klagte bei der ersten ärztlichen Untersuchung über Eingenotmnensein
der Hinterhauptgegend, von welcher Schmerzen nach den Augenhöhlen ausstrahlen
sollten. Sobald Patientin sich aus der Rückenlage plötzlich aufrichtet, wird sie
schwindelig. Beim Gehen hat die Kranke das Gefühl, als ob sie auf ihren Zehen
vorwärts laufe. Später traten dann leichte Schlingbeschwerden, sowie retardierter
Stuhlgang ein.
Augenhintergrund stets normal.
Unter Zunahme der Kopfschmerzen, welche sich nicht nur auf die linke Obr¬
und Kiefergegend, sondern bald auch auf Nacken und beide Schultern erstreckten,
trat plötzlich der Tod ein.
Bei der Sektion fand sich ein von der Pia mater ausgehendes Rundzellen¬
sarkom, welches die vordere Hälfte der unteren Fläche der linken Großhirn¬
hemisphäre umfaßte und sich bis zum Boden des IV. Ventrikels erstreckte. Letzterer
sowie die übrigen Ventrikel waren dilatiert.
19) Erfolgreiche Exstirpation eines malignen Glioms des Großhirns, von
Prof.Dr.Krönlein. (Archivf.klin.Chir. LXXXI.) Ref.: Jacoby (Mannheim).
Ausführliche Wiedergabe einer Krankengeschichte über einen diffus infil¬
trierenden Hirntumor (Glioma malignum), dessen Exstirpation zunächst einen voll¬
ständigen Erfolg errungen hat.
20) Über Schwierigkeiten der Indikationsstellung snr Operation bei Jaok-
sonsoher Epilepsie, von Dr. Vorkastner. (Berliner klin. Wochenschrift.
1905. Nr. 24 u. 25.) Ref.: Bielscbowsky (Breslau).
In klarer ausführlicher Weise bespricht Verf. die Differentialdiagnose aller
der Krankheiten, zu deren Symptomatologie rindenepileptische Anfälle* zählen
können. Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß die Epilepsie häufig Veranlassung
zur Fehldiagnose eines Tumors gibt und zur unnützen Bloßlegung des Gehirns.
Genauere Details Bind, da sich die umfangreiche Arbeit nicht zum Referat eignet,
im Original nachzusehen.
21) The operability of braln tumors from the point of view of autopsied
oases, by Dr. Walton. (Department of Neurology, Harvard medical School.)
Ref.: Bau mann (Breslau).
Verf. hat etwa 374 Fälle von Hirntumor bezüglich ihrer Operabilität studiert;
als Resultat ergab sich: Operable Tumoren (Endotheliome, Psammome und Tumoren
mit hyaliner Degeneration oder Kalcifikation) 7,6 °/ 0 ; inoperable Tumoren (Tumoren,
die weit in die Hirnsubstanz hineinwachsen, bzw. Metastasen bilden) 79,4°/ 0 ; he-
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züglich der Operabilität zweifelhafte Tumoren (Gliome, nicht verkapselte Sarkome
in zugänglicher Gegend und Cysten) 18,1 °/ 0 .
22) Über eine neue Methode der Deokung von Sohädeldefekten, von Dr.
Carl Beck. (Archiv f. klin. Chir. LXXX.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Jackson beobachtete, daß die Bindenepilepsie von ganz geringfügigen Ge¬
websveränderungen, besonders Narben, ausgelöst werden kann; durch Entfernung
von Narbenteilen oder ähnlichen Veränderungen ist es einzelnen Operateuren ge¬
lungen, Heilung bei der Jacks onschen Epilepsie zu erzielen. Verf. scheint die beste
Gewähr für eine Heilung darin zu liegen, daß nach Exstirpation des Narben¬
gewebes eine feste Wiederverwachsung verhindert wird. Verf. bedient sich zur
Deokung von Schädeldefekten eines Lappens aus dem Temporalis, den er mitsamt
dem Periost so umklappt, daß auf dem entblößten Gehirn die Fascie des Muskels
zu liegen kommt; das Periost bleibt oben, allmählich bildet sich aus ihm eine
gute Schutzdecke. Hierdurch glaubt Verf. intimere Verwachsungen mit dem Ge¬
hirn zu umgehen, zugleich aber eine gute plastische Deckung zu erzielen. Im
Auschluß hieran Bericht über einen Fall von Jacksonscher Epilepsie, der sich
im Anschluß an ein Trauma — komplizierte Schädelfraktur — entwickelte.
Heilung durch oben beschriebene Methode.
23) Caee of otitic extra-dural absoess, asaooiated with paralysis of sixth
cranial nerve and double optio neuritis, by Dr. J. Stoddart Barr.
(Glasgow Medical Journ. 1906. August.) Ref.: S. Klempner.
Bei dem 17jähr. Patienten, der über Kopfschmerzen, Sohwindel und Übel¬
keit klagt, findet sich eine rechtsseitige Mittelohreiterung, starke doppelseitige
Neuritis optica und Lähmung des rechten Abducens. Puls und Temperatur normal.
Die Aufmeißelung des rechten Warzenfortsatzes ergibt einen extraduralen Absceß,
der ausgeräumt wird.
3 Monate nach der Operation Heilung der Abducenslähmung, erst 4 Monate
nach der Operation beginnt die Opticusneuritis zu schwinden.
24) Über otitisohe Hirnerkrankung, von Heine. (Deutsche med. Wochen¬
schrift. 1906. Nr. 38.) Ref.: R. Pfeiffer.
Verf. berichtet über 3 Fälle von subduraler otitischer Eiterung aus der
Lucaeschen Klinik.
Die Diagnose der subduralen Eiterung ist vor der Operation unmöglich;-die
Erkrankung verläuft unter dem Bilde einer Meningitis oder eines HirnabscesseB.
Die Operation besteht in breiter Spaltung der Dura und Drainage mit Gaze¬
streifen, die vorsichtig in den Subduralraum vorgeschoben werden.
26) Zur Differentialdiagnose otitisoher und metastatischer Hirnabsoesse, von
Dr.ErnstOberndörffer. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr. 40.) Ref.: R. Pfeiffer.
Metastatischer Absceß im rechten Scheitellappen bei einem Patienten mit
chronischer Bronchoblennorrhoe und chronischer Otitis media purulenta dextra.
Die klinische Diagnose lautete: otitischer Hirnabsceß, wahrscheinlich im rechten
Schläfenlappen. Der Absceß wurde bei der Operation daselbst nicht gefunden.
Sektionsdiagnose: Großer Absceß im rechten Scheitellappen. Verf. hält in seinem
Falle die pulmonäre Genese des Abscesses für sicher und sucht an der Hand der
Eigenbeobachtung und der. Literatur Anhaltspunkte zu finden zur Differential¬
diagnose otitischer und metastatischer Hirnabscesse.
Nach der Ansicht des Ref. dürfte in analogen Fällen die Hauptsache sein,
überhaupt an die Möglichkeit des metastatischen Abscesses zu denken und dem¬
entsprechend bei der Hirnpunktion vorzugehen.
26) Beiträge zur Pathologie der Varol scheu Brüoke. II. Über einen
metastatischen Absceß der Brüoke, von Dr. L. Bregman in Warschau.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
Bei einem 38jährigen, früher meist gesunden Lehrer traten vor 4 Wochen
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ziemlich akut Kopfschmerz, Schwindel, Ohrensausen, Erbrechen, Kälteparästhesien
in der rechten Körperhälfte, Schwäche der rechtsseitigen Extremitäten, Sprach-
und Schluckbeschwerden, Diplopie, Harnheschwerden und erschwertes Aushusten
auf. Es fand sich allgemeine Erregung, assoziierte Blicklähmung nach beiden
Seiten bei erhaltener Bewegung nach auf- und abwärts, geringe Pupillendifferenz,
leichte Fazialisparese des linken unteren Astes, Abweichen der Zunge nach rechts,
Gaumensegelparese, bulbäre Spracho, beiderseitige Abnahme des Gehörs (1. > r.),
Schluck- und Atemstörungen, Parese der Extremitäten rechts mit vasomotorischen
Störungen, sehr deutliche Verminderung der Sensibilität für alle Qualitäten, starke
Ataxie (an der linken oberen Extremität geringer ausgebildet als rechts), Schwäche
der Rumpfmuskeln. Der Zustand verschlimmerte sich rasch, es trat noch beider¬
seitige Taubheit ein, die linksseitige Fazialisparese wurde deutlicher und am linken
Auge stellte sich Strabismus convergens ein. Nach 7 Tagen Exitus letalis. Bei
der Autopsie fand sich eine starke Vereiterung der rechten Niere, deren Gewebe
fast völlig eingeschmolzen war und ein grober Absceß der VaroIschen Brücke,
welcher im proximalsten Teil der Medulla begann und sich im distalen und
mittleren Brückenabschnitt fast auf den ganzen Querschnitt ausdehnte, sowie ein
zweiter, kleinerer Absceß im rechten ventralen Winkel der Brücke, der an einer
Stelle mit dem ersten in Verbindung stand. Da die Hauben- und Schleifengebiete
dabei stark betroffen waren, so erklären sich demgemäß die ausgesprochenen sen¬
siblen und ataktischen Störungen. Die bulbären Symptome sind nur als Folge¬
erscheinungen der Affektion der supranukleären Bulbärbahnen aufzufassen.
27) Abscöa oörebral, neorose oortioale, syndrönae möninge , per Dupre et
Devaux. (Nouv.Icon.delaSalp. 1906. Nr.3.) Ref.: Ernst Bloch(Kattowitz).
ööjähriger Sträfling, ins Hospital eingeliefert wegen vorgeschrittener Lungen¬
tuberkulose. In der Jugend Typhus, Syphilis mit 26 Jahren, vor 2 Jahren Blei¬
kolik. Status: Schwere Alteration des AllgemeinzuBtandes, Abmagerung trotz
wohlerhaltenen Appetites und trotz Fieberlosigkeit. Psychische Reizbarkeit ab¬
wechselnd mit großer Indolenz. Eines Tages treten heftige Schmerzen im Hinter¬
kopf und rechten Arm auf. Schwierigkeiten beim Sprechen. Die Schmerzen im
Arm verschwinden im Laufe des Tages, am anderen Morgen war eine leichte
Lähmung deB rechten Armes zu konstatieren. Am nächsten Tage neuer Anfall,
gefolgt von Krämpfen im rechten Arm, darauf Hemiplegie rechts mit Aphasie.
Am nächsten Tage bietet er das Bild einer schlaffen rechtsseitigen Lähmung,
Döviation conjuguöe der Augen, Status comatosus. Die Sehnenreflexe sind auf¬
gehoben. Sphinkterenlähmung. Besserung, ein paar Tage darauf eine Kontraktur
in der rechten unteren Extremität. Sehnenreflexe beiderseits gesteigert. Geringere
Empfindlichkeit gegen Nadelstiche im rechten Arm, Hals Rücken und Gesicht,
alles rechts. Babinski rechts, spasmodische Erschütterungen in der rechten Wade.
Sensorische Aphasie, keine Hemianopsie. Am folgenden Tage kahnförmig ein¬
gezogenes Abdomen, abnorme Reizbarkeit der Haut, permanente Extension der
großen Zehe rechts (Dauer-Babinski). Nach 8 Tagen Exitus im Koma.
Autopsie: Dura mäßig gespannt. Über der Fissura Sylvii und um das
Chiasma herum Leptomeningitis. Auf Frontalschnitten sieht man einen nußgroßen
Absceß in der weißen Substanz des Frontallappens, übergreifend auf die graue
Partie der Pars orbicularis dieses Lappens. Der Inhalt ist dickflüssig, grünlich.
Ein zweiter Absceß gleichen Inhaltes, von der Größe einer mäßigen Apfelsine, in
der Regio occipito-temporalis links, die Centren dieser Hemisphäre ausfüllend.
Die den Absceß umgebende Partie ist schwärzlich gefärbt. Mikroskopisch:
Die Absceßmembran hat drei Schichten: 1. Äußere Schicht. Die nervösen Zellen
unterscheiden sich nicht von denen der Rinde, die Neurogliazellen sind gewuchert
und teilweise stark verästelt. Methylenblau färbt sie sehr wenig, es sind Mast¬
zellen. Die Gefäße sind umgeben von einer Lage von runden Zellen mit stark
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vergrößertem Kern, reich an Chromatin, mit einer Protoplasmaanhäufung am Pol.
Die Zellen sind zum großen Teil im Zustand der Karyokinese. Mitten unter
ihnen zahlreiche Gitter* und Plasmazellen. 2. Die mittlere Schicht besteht aus
einem gespannten Netzwerk von Gefäßen, zwischen denen sich ein Gewebe von
großen Zellen mit dunklen Kernen befindet. Die Gefäße selbst haben embryonale
Wandungen. Im Gefäßnetz selbst viele Fibroblasten, Plasmazellen und Gitter¬
zellen. Zahlreiche polynukleäre Leukozythen. Die 3. Schicht besteht aus Schollen
und Trümmern der unter 1 und 2 genannten Zellen. Biesenzellen und Tuberkel¬
bazillen finden sich nirgends. In der ganzen Rinde sind die Zellkörper konturiert,
unregelmäßig. Der Ursprung des Achsencylinders ist färbbar mit basischen Farben,
die Kerne sind dunkel und gezackt. Die Gefäße sind dick, aber nicht infiltriert.
Die Zellen zeigen tiefgreifende Veränderungen, auf welche hier nicht eingegangen
werden kann. Die Rinde, besonders im Stirn- und Schläfenteil rechts, zeigt die
Charakteristika des Zellenunterganges. Die Veränderungen der Kerne sind nicht
so bedeutend wie die de6 Protoplasmas und der Kernkörperchen. Sie färben sich
nach Nissl schlechter als normal, besonders in der motorischen Region, wo auch
die Neurogliazellen tiefgreifende Veränderungen zeigen.
Psychiatrie.
28) Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte, von Prof. Dr.
Emil Kraepelin. Siebente, vielfach umgearbeitete Auflage. Zwei Bände.
(.Leipzig 1903/04, Joh. Ambr. Barth.) Ref.: Ar ne mann (Großschweidnitz).
Beim Erscheinen einer neuen Auflage von Kraepelins bekanntem Lehrbuch
ist man zunächst gespannt, zu erfahren, ob man wieder umlernen muß. Dos ist
nun in der vorliegenden 7. Auflage nur in geringem Maße nötig, ganz wesentlich
sind nur die letzten Abschnitte des Werkes umgestaltet worden.
Der Umfang der beiden Bände ist ziemlich bedeutend gestiegen, der all¬
gemeine Teil ist um 116 Seiten vermehrt worden, der spezielle Teil um 285 Seiten,
eine größere Anzahl von Abbildungen ist dazu gekommen, die Bilder pathologisch¬
anatomischer Präparate sind vielfach durch neue ersetzt worden.
Im ersten allgemeinen Teil ist die Anordnung des Stoffes dieselbe geblieben.
Der Hauptabschnitt, welcher die Erscheinungen des Irreseins behandelt, hat eine
wesentliche Erweiterung erfahren, eingehendste klinische Beobachtungen und
psychologische Versuche haben das Material dazu geliefert. Die ursächliche
Bedeutung des Alkohols für die Entstehung der Psychosen wird mit beredten
Worten geschildert und mit zahlenmäßigen Angaben bewiesen, zum erstenmal
finden wir auch auf die Frage, wer als Trinker zu bezeichnen ist, eine bestimmte
Angabe: Wahrscheinlich werden sich bei der Mehrzahl derjenigen Personen, welche
täglich 80 bis 100 g Alkohol zu sich nehmen, Andeutungen psychischer Ver¬
änderungen nachweisen lassen. Die Schwefelkohlenstoffpsychosen bilden
nach der Ansicht des Verf.’s keine spezifischen Krankheitsbilder, sondern ent¬
sprechen hauptsächlich der Hysterie und der Dementia praecox. Die Frage nach
der Bedeutung der Gefäßerkrankungen ist zurzeit eine noch ganz unent¬
schiedene, jedenfalls läßt sich noch gar nicht sagen, wie weit dieselben Ursachen
und wie weit sie nur Begleiterscheinungen von Psychosen sind.' Die Puerperal -
psychosen stellen kein einheitliches Krankheitsbild dar, auffallend häufig ist
allerdings die Katatonie; sehr viele Katatoniker gibt es auch unter den Ge-
fängnispsychosen, zurzeit ist es aber noch nicht möglich, alle Gefängnis¬
psychosen zu deuten, möglicherweise stellen eine Reihe derselben ganz eigenartige
Erzeugnisse der Gefangenschaft dar.
Die Auffassung, daß Sinnestäuschungen als Ursache von Wahnideen anzusehen
seien, wird als irrig bekämpft und es wird darauf hingewieseu, daß vielmehr der
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Ausbildung von Wahnideen eine allgemeine Störung des psychischen Gesamt*
zustandes zugrunde liegt. Einer besonderen Besprechung werden die Träume
der Geisteskranken unterzogen, die große Ähnlichkeit derselben mit Dämmer¬
zuständen wird erwähnt und der Ansicht de Sanctis beigepflichtet, daß Träume
bei Epilepsie und Hysterie hänfig geradezu als Äquivalent aufgefaßt werden
können. Das Kapitel, welches den Störungen des Wollene und Handelns ge¬
widmet ist, ist namentlich in Rücksicht auf die Symptomatologie der Dementia
praecox erweitert worden; Verschrobenheit und Stereotypie finden eine ausführ¬
liche Schilderung, und die Art des Bewegungsablaufes bei der Dementia praecox
wird in treffender W T eise als Verlust der Grazie gekennzeichnet.
In prognostischer Hinsicht erwartet Verf., daß sich mit der Zeit sichere
Gesetzmäßigkeiten finden lassen werden, namentlich erhofft er von einem intensiven
Studium der Endzustände der Psychosen wichtige Aufschlüsse zu erhalten. Aub
dem Abschnitt über allgemeine Therapie sei noch besonders hervorgehoben, daß
Verf. zwar die grundsätzliche Verbannung des Alkohols aus der Irrenanstalt als
Genußmittel fordert, daß er aber die Verwendung desselben als Schlafmittel bei
einer Reihe von Krankheitszuständen empfiehlt, fernerhin daß er -sich der An¬
sicht derjenigen Autoren nicht anschließen kann, welche die Einleitung des
Abortus bei Melancholie befürworten (Jolly u. a.).
Aus der Lektüre des speziellen Teiles ergibt sich, daß die Amentia in
der vom Verf. gegebenen Umgrenzung eine ziemlich seltene Krankheit ist;
nur diejenigen Erkrankungen werden dazu gerechnet, welche sich an eine Bchwere
äußere Schädigung anschließen und nicht günstigen Ausgang haben. Die Zahl
der verwertbaren Fälle schrumpft dadurch zugunsten der Katatonie und des
manisch-depressiven Irreseins auf 1 j 2 bis 1 °/ 0 zusammen. Auf die Amentia folgt
die erworbene Neurasthenie, welche als chronisch nervöse Erschöpfung be¬
schrieben wird, während die angeborene Neurasthenie oder Nervosität ihren Platz
in einem späteren Kapitel unter den originären Krankheitszuständen gefunden hat.
Eine ganz erhebliche. Erweiterung hat der Abschnitt über Alkoholismus
erfahren. Unter den Ursachen des chronischen Alkoholismus spielt die angeborene
oder ererbte Veranlagung eine nicht geringe Rolle. Neu ist die Besprechung
der Korsakowschen Psychose. Die für diese Krankheit charakteristischen Sym¬
ptome können zwar durch verschiedene Ursachen bedingt sein, Verf. empfiehlt aber
die auf dem Boden des Alkoholismus erwachsenden Krankheitsbilder grundsätzlich
von den anderen abzutrennen. Hinzugekommen ist dann noch der halluzinatorische
Schwachsinn der Trinker (Alkoholparanoia), der sich teils als Endstadium des
Trinkerwahnsinnes, teils des Delirium tremens darstellt; von dem bekannten
Eifersuchtswahn der Trinker ist er wohl zu unterscheiden. Die im Gefolge
schwerer Trunksucht auftretende Epilepsie (Alkoholepilepsie) hat gewisse klinische
Eigentümlichkeiten, welche es ermöglicht, sie von anderen Formen der Epilepsie
abzugrenzen.
Die Gruppe der Autointoxikationspsychosen wird gebildet von dem thyreogenen
Irresein, der Dementia praecox und der Dementia paralytica. Die Besprechung
der Dementia praecox nimmt nächst der Paralyse den größten Raum im ganzen
Lehrbuch ein, hebephrenische, katatonische und paranoide Formen werden, wie
bisher, unterschieden, auf einen gemeinsamen Grundzug des Krankheitsbildes der
Dementia praecox weist Verf. besonders hin, es ist dies der Verlust der inneren
Einheitlichkeit der Verstandes-, Gemüts- und Willensleistungen. Für die Diagnose
ausschlaggebend dürfen nicht vereinzelte Krankheitszeichen sein, sondern nur
das Gesamtbild; katatone Symptome sind ebenso wie hysterische oft nur Begleit¬
erscheinungen von irgend einer Psychose. Das Verhalten katatoner Kranken
macht bekanntlich vielfach den Eindruck zielbewußter Verstellung; durch weitere
Beobachtung solcher Fälle hat Verf. so häufig einen Ausgang in Verblödung fest-
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gestellt, daß er bei der Bejahung der Simnlationsfrage zur größten Vorsicht mahnt.
Bemerkenswert ist ferner, daß er neuerdings nicht selten Fälle als Katatonie mit
periodischem Verlauf bezeichnet, die er früher dem manisch-depressiven Irresein
zuwies. Neue Anhaltspunkte zur Stellung der Prognose im Einzel fall sind
noch nicht mit Sicherheit gefunden, allgemein kann nur angenommen werden, daß
bei der Katatonie akuter Beginn sowie ausgeprägte Stupor- und Erregungs¬
zustände für Neigung zu Remissionen sprechen. Da berechtigte Aussicht vor¬
handen ist, daß das Studium der Endzustände in Zukunft einige Erfahrungssätze
an die Hand geben wird, so ist zum ersten Male eine Übersicht über die ver¬
schiedenen Ausgänge der Dementia praecox gegeben worden, 9 Gruppen lassen
sich dabei unterscheiden: Heilung, Heilung mit Defekt, einfache Verblödung,
Schwachsinn mit Sprachverwirrtheit, halluzinatorischer Schwachsinn, halluzina¬
torische Verrücktheit, Dementia paranoides, faselige Verblödung und schließlich
stumpfe Verblödung. Möglicherweise sind gewisse Formen der Idiotie, bei denen
ausgeprägte katatonische Störungen beobachtet werden, als Frühformen der Dementia
praecox aufzufassen.
Bei der Paralyse wird ätiologisch der Lues die Hauptrolle zugeschrieben,
der von anderer Seite stark betonte Einfluß der Erblichkeit wird nicht anerkannt,
dagegen den gemütlichen Überanstrengungen eine gewisse Bedeutung eingeräumt;
durch Kopfverletzungen wird echte Paralyse nicht erzeugt. Zum ersten Male
werden die für die Diagnose wichtigen Erscheinungen der Drucksteigerung und
der Vermehrung der Leukozyten erwähnt. Eine sehr große Bedeutung kommt der
Abgrenzung der echten Paralyse von ähnlichen Krankheitsbildern zu, welche
neuerdings immer weitere Fortschritte macht Nach Anschauung des Verf.’s bilden
die auf luetischer Basis entstandenen Fälle wahrscheinlich eine einheitliche Gruppe,
sie zeigen pathologisch-anatomisch als wichtigste Veränderung eine Anhäufung von
Plasmazellen in den Gefäßscheiden. In Zukunft dürften viele Fälle, welche jetzt
noch zur Paralyse gerechnet werden, bei genauerem Stadium dem luetischen
Schwachsinn, der arteriosklerotischen Rindenerkrankupg usw. zuzuweisen sein.
Die Schilderung dieser Krankheitsbilder ist unter eingehender Würdigung der
Differentialdiagnose im folgenden Kapitel gegeben worden. (Irresein bei Herd¬
erkrankungen.)
Von der Dementia senilis wird eine kleine Gruppe von Fällen, welche
hauptsächlich bei Frauen zur Beobachtung kommen, als Presbyophrenie abgetrennt;
die manischen Erregungszustände des Greisenalters sind als Spätform des manisch-
depressiven Irreseins aufzufassen.
Beim manisch-depressiven Irresein ist besonderer Wert gelegt worden
auf die Kenntnis der höchst interessanten Mischzustäude, welche die nahe Ver¬
wandschaft zwischen manischen und depressiven Bildern erkennen lassen. Von
den verschiedenen vorkommenden Formen werden der manische Stupor, die zornige
Manie, die depressive Erregung, die gedankenarme Manie, die ideenflüchtige
Depression und die manische Hemmung beschrieben. Das Vorkommen einer ein¬
fachen Manie, d. h. eines einzigen Anfalles manischer Erkrankung wird zwar zu¬
gegeben, aber als äußerst seltene Erscheinung angesehen.
Die Epilepsie ist aus den allgemeinen Neurosen herausgenommen worden;
da bei ihr die krankhafte Veranlagung die Hauptrolle spielt, so wurde sie mit
dem manisch-depressiven Irresein und der Paranoia in einer Gruppe vereinigt.
Den Epilepsiebegriff faßt Verf. relativ weit, indem er das Bestehen einer selb¬
ständigen , von äußeren Einflüssen wesentlich unabhängigen Periodizität der
Störungen vom ersten Beginn der Krankheit an als maßgebend ansieht. Wahr¬
scheinlich ist es ihm, daß die Epilepsie von heute keine klinische Einheit dar¬
stellt, daß vielmehr von diesem Sammelbegriff mit der Zeit eine Reihe von Er¬
krankungen abgespalten werden muß.
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Als psychogene Neurosen werden dann zusammengefaßt: das hysterische
Irresein, die Schreckneurose und eine unter der neuen Bezeichnung Erwartuugs-
neurose beschriebene Erkrankung. Der Begriff des hysterischen Irreseins wird
im Gegensatz zu anderen Autoren erheblich eingeschränkt, nach genauer Analyse
der Symptome wird oftmals an Stelle einer psychogenen Neurose angenommen,
daß es sioh nur um psychogene Begleiterscheinungen irgend einer Psychose
handelt Die Annahme einer Hysteroepilepsie ist mit der Auflassung des Yerf.’s vom
Wesen der Epilepsie und Hysterie unverträglich. Die Schreckneurose deckt 6ich
mit dem sonst geläufigen Begriff der traumatischen Neurose; bei ihr kann durch
psychologische Versuche Klarheit darüber gewonnen werden, ob etwa Simulation
vorliegt. Die Erwartungsneurose stellt eine Gruppe von nervösen Störungen dar,
welche auf Grundlage der ängstlichen Erwartung sich entwickeln.
Die beiden nächsten Abschnitte zeigen gegenüber der letzten Auflage die
wesentlichsten Unterschiede. Während früher den psychopathischen Zuständen
(Entartungsirresein) nur ein Kapitel gewidmet war, in welchem auf etwa 40 Seiten
die konstitutionelle Verstimmung, das Zwangsirresein, das impulsive Irresein und
die conträre Sexualempfindung besprochen wurden, werden jetzt in zwei Kapiteln
auf etwa 100 Seiten die originären Krankheitszustände und die psychopathischen
Persönlichkeiten abgehandelt. Zu den ersteren gehören die Nervosität, d. h. die
angeborene Form der Neurasthenie, die konstitutionelle Verstimmung, die kon¬
stitutionelle Erregung, das Zwangsirresein, das impulsive Irresein und die ge¬
schlechtlichen Verirrungen, zu den psychopathischen Persönlichkeiten dagegen
der geborene Verbrecher, die Haltlosen, die krankhaften Lügner und Schwindler,
die Pseudoquerulanten. Eine scharfe Scheidung dieser genannten einzelnen
Gruppen ist allerdings nicht möglich, überall lassen sich Übergänge finden. Daß
die geborenen Verbrecher als besondere Gruppe angesehen und von den Haltlosen
(Instablen) geschieden werden, ist deshalb zu empfehlen, weil Bie sich wesentlich
durch ihre angeborene sittliche Stumpfheit kennzeichnen und weil sie geradezu
einen berufsmäßigen Kampf gegen Gesetz und Gesellschaftsordnung führen. Bei
der Besprechnng der Therapie des Zwangsirreseins wird die von Dornblüth
empfohlene planmäßige Opiumbehandlung ata außerordentlich bedenklich verworfen,
ferner beim impulsiven Irresein darauf hingewiesen, daß vorläufig wohl noch
manche Fälle dahin gerechnet werden, welche sich später ata zur Epilepsie gehörig
erweisen dürften.
Den Schluß bildet die Darstelung der Imbezillität und der Idiotie. Auch
die Imbezillität ist wahrscheinlich ein Krankheitsbegriff, der eine ganze Beihe von
verschiedenen Krankheitsformen umschließt. Ein großes Gebiet der Imbezillität
wird wohl dem Entartungsirresein angehören, andererseits sind gewisse Fälle, wie
oben schon erwähnt wurde, ata fötale oder infantile Erkrankungen an Dementia
praecox anzusehen.
Überblicken wir das gesamte Werk des Verf.’s, so sehen wir, daß die
Kenntnis der Psychosen eine ganz außerordentliche Vertiefung erfahren hat;
nicht zum mindesten ist dies das Verdienst des Verf.’s. Dabei war es nicht zu
vermeiden, daß da6 alte Lehrgebäude der Psychiatrie allmählich gewaltige Ver¬
änderungen erlitten hat: die reine Manie ist ganz geschwunden, reine Melancholie
wird nur bei Krankheitsfällen im Bückbildungsalter diagnostiziert, die Zahl der
Paranoiafälle ist auf 1 °/ 0 zusammengeschrumpft, die Paralyse hat sich ata Sammel¬
begriff für eine größere Anzahl von verschiedenen Krankheiten erwiesen, die zum
Teil schon mit Sicherheit abgetrennt werden können, deren weitere Erkennung
aber der Zukunft Vorbehalten bleibt; das gleiche gilt von der Epilepsie und der
Imbezillität. Im Gegensatz zu diesen gleichsam auflösenden Resultaten der
Forschung stehen die aufbauenden Resultate, denen wir in dem manisch-depressiven
Irresein und in der Dementia praecox begegnen. Fast jede Auflage von dem
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Lehrbuch des Verf.’s bringt einen weiteren Ausbau dieser beiden Krankheits¬
gruppen, mit der Zeit bat allerdings die Dementia praecox einen beängstigenden
Umfang angenommen. Bedenkt man, daß bei ihr die Zahl der atypischen Fälle
sehr groß ist, daß Frühformen, Spätformen und Formen mit periodischem Verlauf
festgestellt worden sind, so kommt sie jetzt differentialdiagnostisch fast bei jedem
Krankheitsfall in Betracht, und es ist sogar soweit gekommen, daß bei Neu*
aufnahmen von Kranken schon das Pflegepersonal die Diagnose in dubio auf
Dementia praecox stellt. Verf. gibt auch selbst die Verbesserungsbedürftigkeit
der Dementia praecox zu, jedoch weiß er vorläufig noch nichts besseres an ihre
Stelle zu setzen. Andere Autoren haben ja auch ihren „großen Topf', in dem
sie einen erheblichen Prozentsatz aller praktisch vorkommenden Fälle unterbringen,
der eine nennt ihn Amentia, der andere Paranoia usw.; es hat aber den Anschein,
als ob die Klassifikation des Verf.’s trotz der ihr noch anhaftenden Unvollkommen¬
heiten immer mehr Sympathie fände.
Hag man nun im einzelnen über die Anschauungen des Verf/s denken wie
man will, so kann dies doch das Urteil über das Lehrbuch im allgemeinen nicht
beeinträchtigen. Es ist ein Werk von allergrößter Bedeutung, das auf Grund
eigener Untersuchungen und Beobachtungen entstanden ist, es bietet nicht nur
eine Fülle von Belehrung, sondern wirkt im höchsten Grade anregend zu weiterer
wissenschaftlicher Forschung. Da außerdem die Darstellung eine Formvollendung
zeigt, wie man sie in den psychiatrischen Lehrbüchern sonst nicht findet, so ist
es nicht zu verwundern, daß die Nachfrage nach diesem Werk eine stetig zu¬
nehmende ist.
29) Sopra alcune varieta della demenza preoooe, per Sante de Sanctis.
(Riv. sperim. die Freniatria. XXXII. S. 141.) Ref.: Merzbacher (Tübingen).
Verf. in dem Bestreben eine Sichtung all des großen Materiales, das unter
der Marke Dementia praecox sich anhäuft, zu versuchen, bespricht hier einige
Gruppen von Fällen, die zunächst atypisch erscheinen. — An der Hand seiner
Beobachtungen wirft er 4 Fragen auf: 1. Gibt es eine Dementia praecox subsequens
oder comitans, d. h. eine Dem. praecox,* die sich einem bereits vorhandenen
Schwachsinn zugesellt? 2. Gibt es eine Dem. praecox, die, da sie in den ersten
Kindeijahren zur Entwickelung kommt, den Beinamen praecocissima verdient?
3. Gibt es eine Spätkatatonie, d. h. eine Dem. praecox, die erst naoh dem vierten
Dezennium zur Manifestation kommt? 4. Lassen sich in den Fällen, die unter
2 und 3 erwähnt werden, schon vor Ausbruch der Erkrankung besondere Vor¬
läufer der sich entwickelnden Erkrankung erkennen?
Sämtliche Fragen werden bejaht und durch eine Anzahl von Beispielen
illustriert Bei der Beantwortung der 3. Frage macht Verf. mit Recht darauf
aufmerksam, daß in der Mehrzahl der Fälle eine exakte Anamnese darauf hin¬
weist, daß vor Ausbruch der akuten Erscheinungen hinlänglich Anzeichen zu
finden sind, die für eine bereits seit längerer Zeit bestehende Erkrankung
sprechen, so daß der Name retardierte Dem. praecox für diese Fälle geeigneter
erscheint (und nicht Dementia praecox tarda). In einer weiteren großen Anzahl
der Fälle erfolgt die Diagnose Spätkatatonie lediglich per exclusionem, die Fälle
sollen mit besonderer Vorsicht rubriziert werden.
Der Verf. erhebt prinzipielle Bedenken, diejenigen Kranken, die aus voller
geistiger Gesundheit heraus von dem Symptomenkomplex der Dem. praecox er¬
griffen werden, in eine Krankheitsgruppe zu vereinen mit solchen Individuen, die
von jeher geistig nicht intakt erschienen sind, und bei denen dann in einer
bestimmten Entwickelungsperiode sich außerdem die Dem. praecox entwickelt hat.
Ob d ese Fälle schließlich doch nicht verschiedenen Krankheitsgruppen angehören
sollten? Auch die päthologische Anatomie der Dem. praecox scheint darauf aufmerk¬
sam zu machen, daß die Dem. praecox prädisponierte Gehirne vorzufinden pflegt.
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Forensische Psychiatrie.
30) Über Alkohol versuohe bei Beurteilung zweifelhafter Geisteszustände,
von Tomaschny. (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIII.) Ref.: Zingerle (Graz).
Verf. erläutert an 7 Fällen die hohe diagnostische Bedeutung der Alkohol¬
versuche für die forensische Begutachtung. Diese gestatten experimentell die
Wirkungen des Alkobolgenusses auf den Organismus, speziell auf die Geistes¬
tätigkeit festzustellen und ermöglichen daraus einen Schluß, ob ein der Straftat
vorausgegangener Alkoholgenuß geeignet war, einen krankhaften Geisteszustand
hervorzurufen. Durch solche gelingt es auch vielfach, das Bestehen einer Epilepsie
mit Sicherheit nachzuweiBen, was von Wichtigkeit sein kann, wenn die Tat ver¬
dächtig ist, Ausfluß einer epileptischen Bewußtseinstrübung zu sein.
Weiters sind die Alkoholversuche auch zur Entlarvung von Simulations¬
versuchen brauchbar, indem die Untersuchten in der Trunkenheit ihr abnormes
Benehmen aufgeben, die Motive desselben verraten und frühere unwahre Aussagen
richtig stellen. Im Gegensätze hierzu haben Versuche bei wirklich Geisteskranken
(Katatonie) ergeben, daß abgesehen von Pulsbeschleunigung, Vertiefung der Atmung
und Gesichtsrötung die psychischen Erscheinungen (Mutacismus, Verbigeration)
gänzlich unbeeinflußt blieben.
Ausschlaggebend ist nur der positive Ausfall des Experimentes, aber auch
der negative spricht nicht gegen das Bestehen einer pathologischen Alkohol¬
erregbarkeit bei dem betreffenden Individuum, da dieselbe oft erst bei Koincidenz
noch anderer schädigender Momente in Erscheinung tritt. Eine Simulation hält
Verf. auch beim Alkoholversuche für möglich, jedoch bieten ein zuverlässiges
Mittel für deren Erkennung die bei der pathologischen Alkoholreaktion auf¬
tretenden Störungen der Pupilleninnervation.
Infolge der schädigenden Wirkungen, die der Alkoholversuch zur Folge haben
kann, 6oll ein solcher nur bei unklaren Fällen und mit Einverständnis des zu
Untersuchenden zur Anwendung kommen.
III. Aus den Gesellschaften.
Verein für innere Medizin zu Berlin.
Sitzung vom 21. Januar 1907.
Herr Jellinek (Wien): Pathologie, Therapie und Prophylaxe der elek¬
trischen Unfälle. Die durch atmosphärische und elektrische Elektrizität ver¬
ursachten Gesundheitsstörungen sind durch eine durchgreifende Identität aus¬
gezeichnet und nehmen eine Sonderstellung in der Pathologie ein. Die technisch-
elektrischen Unfälle ereignen sich in den allermeisten Fällen derart, daß eine
einpolige Berührung den Stromübergang bei guter „Erdung“ vermittelt; in den
seltensten Fällen sind es Funkenentladungen von Hochspannungsanlagen, die zu
Unfällen Anlaß geben. Die durch Blitzschlag entstandenen Schädigungen wären
einzuteilen in falsche und echte, letztere mit der Unterabteilung von direkt
und indirekt (z. B. am Telephon usw.). Die in ätiologischer Hinsicht wichtige
Hauptfrage: „Welche Spannung ist gefährlich?“ ist nicht leicht zu beantworten, da
nicht weniger als acht Faktoren ^ g — -jy~ - AT, • K 2 j dafür verantwortlich, warum
derselbe Strom einmal tötet und das andere Mal nahezu ungefährlich; von Belang
ist die Unterscheidung von stromsicheren und stromgefährlichen (z. B. Badezimmer)
Räumen.
Die Symptomatologie hetrifft Lokalsymptome und Allgemein¬
symptome.
Zu den Lokalsymptomen gehören: Brandwunden, brandwundenartige (!)
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Veränderungen, Versengungen, mechanische Zerstörungen, Imprägnierungen, Blut*
austritte, Ödeme, Erytheme und Blitzfiguren, Pigmentierungen.
Die Allgemeinsymptome wären einzuteilen inFröh- und Spätsymptome;
su den ersteren gehören: Bewußtlosigkeit, Erbrechen, Krämpfe, Lähmungen, Albu¬
minurie, Ikterus, Fieber, Abortus usw.
Zu den Spätsymptomen gehören: Sinnesverwirrungen, Lähmungserschei¬
nungen mit Entartungsreaktion, trophoneurotische Erscheinungen, chronische atro-
phisierende ankylosierende Gelenksprozesse, Embolia cerebri, paralyseähnliche Zu¬
stände usw.
In pathologisch-anatomischer Hinsicht wären hervorzuheben die mikro¬
skopischen Befunde im centralen und peripherischen Nervensystem:
a) frische Veränderungen: Gefäßzerreißungen, Blutaustritte, Zellzertrümme¬
rungen, Kernverlagerungen usw.,
b) ältere Veränderungen: Degeneration der Seitenstränge (nach Marchi
und Weigert), der peripheren Nerven (nach Marchi), der Spinalganglien.
Zur Diagnose sind heranzuziehen: 1. charakteristische Hautveränderungen
(pathognomonischl), 2. Kleidungsstücke, 3. elektrotechnische Materialschäden,
4. äußere Verhältnisse, 5. Anamnese.
Die Prognose im allgemeinen günstig, doch Vorsicht wegen Spätformen
(in etwa 1 / 7 der Fälle!).
Die Therapie im allgemeinen exspektativ, Bettruhe, blande Diät und strenge
Überwachung wegen event. Auftretens plötzlicher Geistesstörungen, beim Unfälle
unter Beobachtung von Selbstschutz Stromkreis unterbrechen, dann künstliche
Atmung, Herzreizung (in desperaten Fällen event. neuerliche Einwirkung des töd¬
lichen Stromes), dann Lumbalpunktion; Wiederbelebungsversuche nicht zu früh
aufgeben.
Die Prophylaxe beruht außer in zweckentsprechenden Schutzvorkehrungen
vorwiegend in Belehrung der Schuljugend und der breiten Massen der Bevölkerung.
Doch muß die Ärzteschaft den elektropathologischen Forschungen ihr Augenmerk
zuwenden, da noch viele sogen, indirekte Wirkungen der Starkströme unbekannt,
wie eine Vergütung des Wasserleitungswassers beweist. Die Ergründung der
Gefährlichkeitszone bleibt weiteren Forschungen Vorbehalten. Äutoreferat.
IV. LandezkongreB der ungarischen Irrenärzte in Budapest
am 29. und 90. Oktober 1906.
I. Sitzung am 29. Oktober 1906, Vormittags.
Präsident des Vorbereitungskomitees, Otto v. Babarczi-Schwartzer, be¬
grüßt die erschienenen Mitglieder und behördlichen Vertreter. Auf seinen Vor¬
schlag werden gewählt: Präsident: C. v. Chyzer; Vizepräsident: G. Raisz;
Sekretär: C. Hudovernig; Schriftführer: J. Fischer, M. Dösai, K. D&csi,
J. Hollös, S. Telegdy, R. Fabinyi. Nach Erledigung der geschäftlichen Vor¬
bereitungen folgt die wissenschaftliche Tagesordnung.
Herr Otto v. Babarczi-Schwartzer erstattet sein Koreferat: Über die
beschränkte Zurechnungsfähigkeit. Vortr. erstreckt seinen Vortr. auf die
psychiatrischen und juridischen Beziehungen der Frage, würdigt sämtliche darauf
bezüglichen Meinungen psychiatrischer und juridischer Vereinigungen, der unga¬
rischen und ausländischen Fachliteratur und skizziert die diesbezüglichen Krank-
beitsbilder und konkreten Gesetzentwürfe. Besonders eingehend werden gewürdigt
die Verhandlungen des ungarischen Juristenvereines, der ungarischen psychiatrischen
Gesellschaften, des internationalen Kongresses für Gefängniswesen (Budapest 1905),
der internationalen strafrechtlichen Gesellschaft und der 27. Deutschen Juristen-
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Versammlung, welche zum Ausbau der aufgeworfenen Frage bedeutend beigetragen
haben. Bei Skizzierung der einzelnen Krankheitsbilder bespricht Vortr. den Ein¬
fluß, welchen Entartung, Schwachsinn, Epilepsie, Hysterie und Alkoholismus auf
den Geisteszustend ausöben, und welchen man in foro oft begegnet, als den
Ursachen der beschränkten Zurechnungsfähigkeit. Von den bisherigen Gesetz¬
entwürfen werden eingehend gewürdigt jene von Liszt, Oetker, Seuffert,
E. Balogh, Babarczi-Schwartzer, ferner die ungarischen und schweizer Ent¬
würfe. Nach dieser Einleitung geht Vortr. zur Entwickelung seines eigenen
Standpunktes über. Vorerst bezeichnet er den Ausdruck „beschränkte Zurechnungs¬
fähigkeit“ als unhaltbar vom juridischen Gesichtspunkte aus und proponiert die
Bezeichnung „geistige Minderwertigkeit“. Die diesbezügliche Reform sollte nach
folgenden drei Richtungen durchgefübrt werden: die Strafmilderung, die Durch¬
führung der Strafe und die Sicherheitsmaßnahmen nach Durchführung der Strafe.
Bezüglich der Strafmilderung ist Vortr. der Ansicht, daß diese nur insoweit obli¬
gatorisch festzustellen wäre, daß ein Individuum mit beschränkter Zurechnungs¬
fähigkeit zum Tode oder zu lebenslänglichem Zuchthause nicht verurteilt werden
kann; eine weitere obligatorische Strafmilderung aber ist nicht motiviert, und es
genügt vollkommen, die im § 92 des StrGB vorgesehene Strafmilderung anzu¬
wenden. Eine Milderung bzw. Abkürzung der Strafdauer ist für derartige In¬
dividuen meist nachteilig, da sie weder eine bessernde noch eine abschreckende
Wirkung ausübt, weil hierzu eine längere Zeit erforderlich ist, und weil der Be¬
treffende mit unveränderter Konstitution in die Gesellschaft zurückkehrt und ihm
die Möglichkeit zur Verübung neuer straffälliger Taten geboten wird. Als un¬
erläßlich aber bezeichnet Vortr., daß die Strafe solcher Individuen anders voll¬
zogen werde, als jene gewöhnlicher Verbrecher. Von diesem Standpunkte aus
wären bloß jene als beschränkt zurechnungsfähig zu bezeichnen, deren krankhafter
Geisteszustand jenem psychischen Zustande nahe steht, welcher eine Unzurechnungs¬
fähigkeit bedingt. Bei solchen kranken, irritablen Geschöpfen ist die normale
Durchführung der Strafe nur von schädlichem Einfluß und würde die Strafe selbst
so verschärfen, wie das weder Gesetzgeber noch Richter bezwecken wollten. Die
Strafe wäre demnach in einer eigenen Anstalt durchzuführen, welche keine Irren¬
anstalt, sondern eine besondere Strafanstalt ist; unter dem dominierenden Einflüsse
eines psychiatrisch gebildeten Fachmannes soll daselbst die Strafe unter Fern¬
haltung aller schädlichen Momente und bei Ausnützung aller bessernden, heilenden
Faktoren, somit unter vollkommener Berücksichtigung des abnormen seelischen
Zustandes und unter Wahrung der ganzen Strenge der gesetzlichen Bestrafung
durchgeführt werden, wobei vor Augen zu halten sei, daß die Betreffenden wo¬
möglich zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden. Bezüglich
der Maßnahmen nach vollzogener Strafe schließt sich Vortr. jener Ansicht an,
welche sowohl vom Standpunkte der Gesellschaft, als auch im Interesse der In¬
dividuen es als nötig bezeichnet, daß die gemeingefährlichen und geistig minder¬
wertigen, ebenso wie die Geisteskranken in Verwahrung genommen werden selbst
dann, wenn sie noch keine strafbare Handlung begangen haben; denn, besteht die
Gemeingefährlichkeit, wäre cs absolut unrichtig, die Begehung einer Rechts¬
verletzung abzuwarten, sondern es muß für die Vermeidung einer solchen gesorgt
werden. Andererseits aber warnt Vortr. vor der Übertreibung, daß die Furcht
vor einer etwa zu begehenden geringfügigen strafbaren Handlung zur lebens¬
länglichen Inhaftierung berechtigen würde; die Präventivverwahrung ist bloß dann
berechtigt, wenn gegründete Aussicht besteht, daß das geistig minderwertige In¬
dividuum bei seiner Belassung in Freiheit eine schwerere strafbare Handlung be¬
gehen würde: eine Gefährdung des Vermögens kann aber keinesfalls als Motiv
der präventiven Verwahrung dienen. Diese Sicherheitsverwahrung aber soll nicht
in einer Strafanstalt vollzogen werden, sondern in einer speziell diesem Zwecke
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dienenden Anstalt, welche nicht den Charakter einer Straf-, sondern den einer
Heil- und Pflegeanstalt besitzen solL Die quasi notgedrungene Vereinigung einer
solchen Verwahrung mit der Entmündigung kann Vortr. nicht als richtig be¬
zeichnen, nachdem die Bedingungen der privatrechtlichen Geschäftsfähigkeit nicht
identisch sind mit jenen der Gemeingefährlichkeit, und da es geistig Minder¬
wertige gibt, welche trotz ihrer Gemeingefährlichkeit imstande sind, ihre privat¬
rechtlichen Angelegenheiten selbständig zu führen. Als unrichtig wird ferner
bezeichnet, daß die Internierung durch den Strafrichter verfügt werde; den darauf
bezüglichen Beschluß möchte er eher den administrativen Behörden zuweisen, und
zwar in der Weise, daß die Internierung unter richterlicher Kontrolle erfolge, so
wie dies der von ihm (Vortr.) ausgearbeitete Gesetzentwurf bestimmt. Außer der
Anstaltsinternierung wünscht er noch, jeder Aufsichts- und Unterstützungsinstitution,
der weitgehendsten Patronage einen weiten Spielraum zu belassen. Die nach ver¬
büßter Strafe nötigen Bestimmungen sind nicht im Strafgesetze, sondern im Irren¬
gesetze aufzunebmen. Zur Verwirklichung seiner Konklusionen proponiert Vortr.
die folgenden konkreten Vorschläge auf Modifikation der bestehenden Gesetze:
I. Nach § 88 des StrGB (G.-A. V. 1878) wäre der folgende Paragraph einzu¬
schalten: § 88 a. Deijenige, weicherein Verbrechen oder ein Vergehen in solchem
Zustande begeht, welcher den im Sinne des § 76 die Zurechnungsfähigkeit aus¬
schließenden Zuständen nahestebt, kaum zum Tode oder zu lebenslänglichem Zucht-
hause nicht verurteilt werden. — II. Nach § 48 des Strafgesetzes ist folgender
Paragraph neu einzuschalten: § 48a. Wird das Verbrechen oder das Vergehen in
einem anhaltend krankhaften Zustande begangen, welcher den im Sinne des § 76
die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zuständen nahesteht, muß die Freiheits¬
strafe, insofern sie die Datier eines Monates überschreitet, unter Berücksichtigung
des Zustandes und der Individualität in einer diesem Zwecke dienenden Spezial¬
anstalt verbüßt werden. — III. Im projektierten Irrengesetze muß folgendes ver¬
fügt werden: 1. Jene nicht geisteskranken, aber mit dauernd krankhaftem Geistes¬
zustände behafteten Individuen, bezüglich welcher begründeter Verdacht besteht,
daß sie bei Belassung ihrer unbeschränkten Freiheit durch das Strafgesetz als
Verbrechen qualifizierte und nicht ausschließlich gegen dos Vermögen gerichtete
strafbare Handlungen begehen könnten, sind in zu diesem Behufe zu errichtenden
Heilanstalten unterzubringen und so lange in denselben zu belassen, als ihre
Gemeingefährlichkeit, bzw. ihr pathologischer Geisteszustand besteht. 2. Die Ver¬
fügungen des Irrengesetzes über Aufnahme in die Anstalt, Entlassung aus der¬
selben, insbesondere über die richterliche Kontrolle, sind auch auf diese Individuen
in entsprechender Weise anzuwenden. 3. Wurde der Beklagte wegen krankhafter
Störung der geistigen Fähigkeiten als unzurechnungsfähig erkannt und die An¬
klage rechtskräftig fallengelassen, oder aber das gegen ihn eingeleitete Straf¬
verfahren rechtskräftig eingestellt, ist die zur Irrenkontrolle berufene kompetente
Behörde hiervon zu verständigen, unter Beifügung des das Verfahren einstellenden
Beschlusses und der in der Strafsache abgegebenen Sachverständigengutachten.
4. Der Vollzug der Freiheitsstrafe ist bei solchen Individuen, welche im Sinne
des Punkt 1 in einer Anstalt unterzubringen sind, unter Beifügung der Akten
der kompetenten Irrenkontrollsbehörde zur Kenntnis zu bringen. &. Jene Ver¬
hafteten, gegen welche im Sinne des Punkt 3 das Strafverfahren eingestellt wurde,
sowie die im Punkt 4 Genannten müssen nach Vollzug ihrer Strafe der nächsten
Aufsichtsbehörde für Irrenwesen übergeben werden, welche dann bezüglich ihrer
gesetzlichen Unterbringung verfügt. 6. Die in Spezialanstalten untergebrachten
Individuen müssen unter Berücksichtigung ihrer Individualität und ihres psychischen
Zustandes, und falls dieser es erheischt, ärztlich behandelt werden. (Der Vortrag
erschien in extenso in Eime-es Idegkörtan. 1906. Nr. 4 und wird auch in deutscher
Sprache publiziert werden.)
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Herr J. Baumann als Koreferent weist aus dem Entwickelungsgange der
Frage der beschränkten Zurechnungsfähigkeit nach, daß sich der strittige
Punkt auf die Zurechnungsfähigkeit der „geistig Minderwertigen“ oder „Unvoll¬
kommenen“ bezieht. Hierher gehören die mit einem geistigen oder gemütlichen
Defekte Behafteten, die an einer Entartung der Instinkte Leidenden, schließlich
die Trinker und einige Nervenkranke. Obwohl bei keiner der genannten Kate¬
gorien eine eigentliche Geisteskrankheit nachweisbar ist, besitzen dennoch alle
eine geringere Einsicht und Widerstandsfähigkeit. Der Grad ihres Verbrecher¬
tums ist demnach geringer, hingegen ihre Gemeingefährlichkeit größer als ge¬
wöhnlich. Sodann bespricht Vortr. eingehend sämtliche Vorschläge, welche sich
mit der besonderen Lage derartiger Individuen befaßten; darunter sind solche,
welche diese Geschöpfe als Kranke bezeichnen und sie in Asylen bzw. Heilstätten
unterbringen möchten; andere wieder wollen die Minderwertigen vor den Straf¬
richter stellen, aber sie, mit Berücksichtigung des geringeren Grades ihrer Zu¬
rechnungsfähigkeit, in milderer Weise bestrafen. In neuerer Zeit fand sich in
Deutschland ein angesehener Vertreter jener Ansicht, daß beide Standpunkte ver¬
einigt werden könnten: Der minderwertige Verbrecher wäre vorerst zu bestrafen
und dann bei bestehender Gemeingefährlichkeit einer besonderen Anstalt behufs
Behandlung zuzuweisen. Demgegenüber weist Vortr. eingehend nach, daß ein
Individuum, welches für die gesetzlichen Verbote und für die Wirkung einer
Strafe empfänglich ist, seines Selbstbestimmungsrechtes nicht beraubt werden darf
bloß deßhalb, weil sein Charakter gemeingefährlich ist. Mit Berücksichtigung
dieses Umstandes empfiehlt Vortr. bei den geistig Minderwertigen eine verlängerte
Dauer der Strafe, aber eine mildere Durchführung derselben, wobei auf die ver¬
minderte Einsicht und Widerstandsfähigkeit derartiger Verbrecher Rücksicht zu
nehmen wäre.
Herr E. E. Moravcsik beantragt die Vertagung der Diskussion über die
gehörten hochwichtigen Fragen auf den nächsten Psychiaterkongreß aus folgenden
Motiven: Eine Besprechung einer so wichtigen Angelegenheit kann nicht nach
einmaligem Anhören der Referate erfolgen; die in der Kongreßdiskussion zum
Ausdrucke gebrachten Meinungen werden bei der neuen Kodifikation des Straf-
geseszbuches berücksichtigt werden, weßhalb dieselben reiflich erwogen sein müssen,
und gerade dieser Umstand läßt die Diskussion als nicht dringlich erscheinen.
Sollte aber eine dringende Notwendigkeit einer baldigen Diskussion auftauchen,
möge das Vorbereitungskomitee ermächtigt werden, einen außerordentlichen Kou-
greß einberufen zu können.
Der Kongreß akzeptiert diesen Vorschlag.
II. Sitzung, 29. Oktober 1906, Nachm.
Herr Andor v. Sölyotn hält unter dem Titel: Proseßreohtliohe Fragen
einen Vortrag, in welchem er vorerst betont, daß sich das zivile Recht und die
ärztliche Wissenschaft zumeist auf dem Gebiete des materiellen Rechtes berühren,
weil gerade hier manche Gruppen rechtlicher Verhältnisse ohne ärztliche Wissen¬
schaft überhaupt nicht geregelt werden können. Nachdem aber die Rechtsform
die Anwendungsart der materiellen Rechtsregeln bestimmt, dürften auch auf diesem
Gebiete so manche Fragen auftauchen, welche selbst dann das Interesse des Ge¬
richtsarztes beanspruchen, wenn sie auch nicht in engerem Zusammenhänge mit
der ärztlichen Wissenschaft stehen. Gerade die Rechtsverhältnisse der Geistes¬
kranken bilden jenen Weg der Rechtspflege, auf welchem Arzt und Richter nur
gemeinsam und in paralleler Tätigkeit wandeln können. Sodann bespricht Vortr.
die Prozeßfähigkeit der Geisteskranken und die Obliegenheiten des Gerichtshofes
in solchen Fällen, wenn die Anklage einem nicht unter Vormundschaft stehendem
Geisteskranken zugestellt werden muß, oder wenn das Urteil einem erst später
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geisteskrank gewordenen Angeklagten übergeben werden soll. Weiters bespricht
er den oft vorkommenden nnd bisher ungelösten Fall, wenn jemandem der proze߬
entscheidende Schwur zugesprochen wird, der Schwur aber wegen Geisteskrankheit
des Betreffenden nicht abgelegt werden kann, und für welche Eventualität die
höheren Gerichtsformen die sogen. Beglaubigung durch den Todesfall nicht an¬
wendbar sein ließen. Bei der Frage des Beweises der Geisteskrankheit weist
Vortr. aus der richterlichen Praxis nach, daß eine Revision des Sachverständigen¬
gutachtens bloß dann statthaft sei, wenn ein effektiver Irrtum der Sachverständigen
nachweisbar ist. Die analoge Berechtigung zu neuerlicher Prozeßaufnahme, bzw.
Revision desselben müßte aber auch dann möglich sein, wenn es sich herausstellt,
daß der Richter, welcher das Urteil fällte, zur Zeit der Urteilsfällung geisteskrank
gewesen ist. Schließlich bespricht Vortr. noch einige Fragen des Eberechtes und
bezeichnet es im Sinne des deutschen Reichsgesetzes als motiviert, daß die Geistes¬
krankheit in gewissen Fällen auch in Ungarn als Scheidungsgrund angenommen
werde; unerläßlich aber ist es, daß auch gegen eine geisteskranke Ehehälfte der
Scheidungsprozeß eingeleitet werden könne, wenn solche Scheidungsgründe nach¬
gewiesen sind, welche noch vor der Geisteskrankheit bestanden haben.
(Fortsetzung folgt.)
Wissensohaftliohe Versammlung der Ärzte der St. Petersburger
psychiatrischen und Nervenklinik.
Sitzung vom 10. März 1905.
Herr W. von Bechterew: Demonstration eines Kranken mit einem
8ohfideltrauma. Bei einem Kranken, der eine Läsion der centralen Windungen
der linken Hemisphäre durch eine Kugel erhalten hatte, war in der paretischen
rechten Körperseite eine Herabsetzung der Temperatur und eine vermehrte
Schweißabsonderung vorhanden. Der'mitgeteilte Fall dient zur Bestätigung
der Voraussetzung, daß das motorische Gebiet der Hirnrinde einen Einfluß ausübt
auf die Schweißabsonderung der gegenüberliegenden Körperhälfte. Derartige Fälle
sind von einigen Autoren bereits beschrieben worden. Die experimentellen Unter¬
suchungen von Gribojedow, die im Laboratorium der hiesigen Klinik aus¬
geführt sind, bestätigen ebenfalls diese Ansicht.
Herr M. P. Nikitin: Über den Xiinfluß des Gehirns auf die Ab¬
sonderung der Milch. (Vorläufige Mitteilung.) Vortr. hat 38 Versuche an
Ziegen ausgefilhrt. In die Zitzen der Tiere wurden besondere Kanülen eingeführt,
durch welche die Milch abfloß. Zur Registrierung der Quantität der abgesonderten
Milch wurde anfangs die Abzählung der fallenden Tropfen angewandt, später aber
die graphische Methode, wobei das Fallen von Milch tropfen durch Zeichen auf
dem Rotationsstreifen des Kymographen registriert wurde. Die Milch entfließt
anfangs strahlenförmig, nach 10—15 Minuten aber verbleibt die Absonderung
auf einer gewissen konstanten Norm. Nach Eintreten dieses Zeitpunktes wurde
bei dem Tiere die Trepanation des Schädels unter Kokain ausgeführt. Nach Be¬
endigung der Trepanation wurde dem Tiere etwas Ruhe gegönnt, worauf die
Reizung der Hirnrinde durch den faradischen Strom (15—11 cm Rollenabstand
des normalen Schlittenapparates) erfolgte. In einigen Versuchen wurden auch
die subkortikalen Ganglien gereizt. Die faradische Reizung dauerte 3—5 Minuten.
Bei Reizung der Hirnrinde wurde im Frontalgebiet in der Nähe des Sulcus
cruciatus eine Stelle gefunden, von wo aus eine Verstärkung der Milchabsonderung
aus der gegenüberliegenden Drüse hervorgerufen werden konnte. Von 3 Versuchen
mit Reizung der Corpora quadrigemina wurde nur in einem Falle eine vermehrte
Milchabsonderung beobachtet (bei Reizung des hinteren Abschnittes der Vierhügel).
Reizung des Thalamus opticus blieb ohne Effekt.
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Herr A. W. Bachmanow: Zar Frage über die Färbung der Neuro«
fibrillen. . Das Eigentümliche des Verfahrens besteht darin, daß bei Anwendung
desselben keine vorhergehende spezielle Bearbeitung des ganzen zur Untersuchung
gelangenden Gehirnteiles nötig ist — es werden einzelne Schnitte gefärbt. Es
können ferner bei dieser Färbung der Neurofibrillen auch die übrigen Teile der
Zellen und das übrige Gewebe mit anderen Farben gefärbt werden. Aus Gehirn¬
teilen, die in 96°/ 0 Alkohol fixiert und in Paraffin eingebettet Bind, werden
Schnitte angefertigt, welche auf gewöhnliche Weise auf die Objektträger auf¬
geklebt werden. Die Schnitte werden vom Parffin durch Xylol befreit, mit
Alkohol und Wasser abgespült und gelangen auf 24 Stunden in eine 5 °/ 0 ige
Argentum nitricum-Losung bei einer Temperatur von 35—37° C. Die Objekt¬
träger mit den Präparaten werden mit Aq. dest. durchgewaschen und mit dem
Entwickler Ubergossen. (Der Entwickler besteht aus Natr. sulforosi 40,0; Kalii
carbonici 30,0; Aq. dest. 100,0; nach Auflösung 5,0 Hydrochinin hinzufugen.
Bei Anwendung wird 1 Teil der Lösung auf 10 Teile Wasser genommen.) Nach
der Entwickelung, die —1 Mitnute dauert, werden .die Objektträger durch¬
gewaschen und in folgende Lösung getaucht: Natr. hyposulforosi 20,0; Natrii
sulforosi 10,0; Kal. chodonati 5,0; Aq. dest. 200,0. Nach dieser Behandlung
verlieren die Schnitte die bei der Entwickelung erhaltene hellgelbe Farbe und
werden bräunlich gefärbt. Es folgen Durch Waschung der Schnitte, ihre Ent¬
wässerung, Aufhellung und Einbettung in Balsam. E. Giese (St. Petersburg).
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur
vom 1. September bis 31. Oktober 1906.
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Wohlberg, Winterkuren an d. Nordsee. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 38. — Hohnbaum,
Vibriationsmassage. Hannover u. Leipzig, Hahn. 93 S.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Veit & Comp, in I^eipzig. — Druck von Mxtzgkb & Wittio in Leipzig.
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Neurologisches Cent ra lblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
Sechs Qndzw&nci gster " BwUn ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907.
1. März.
Nr. 5.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Über den Mechanismus und die Lokalisation der
psychischen Vorgänge, von Prof. Ernst Jendrässik in Budapest. 2. Zur Ätiologie und spezi¬
fischen Therapie des Morbus Basedowii nach praktischen Versuchen mit Antithyreoidin-
Moebius, von Dr. med. Hattner.
II. Referate. Anatomie. 1. Eine Methode zur Bestimmung, des Schädelinhaltes und
Hirngewichtes am Lebenden, von Beck. — Physiologie. 2. Über die Funktionen des
Kleinhirns, von Munk. 3. Further observations upon tne functions of the thyreoid and
parathyreoid glands, by Vincent and Jolly. 4. La rate du chien aprös l’ablation complöte
de l’appareil tbyröo-parathyröoidien, par Massenti. 5. Glandules parathyroidiennes et con-
vulsions, par Alquler. — Psychologie. 6. The dissociation of a personality. A biographical
study in abnormal psychology, von Prince. — Pathologie des Nervensystems. 7. Die
ätiologische Rolle des Vasomotorencentrums bei Herzneurosen, Morbus Basedowii und
Angioneurosen der Haut, von Polland. 8 . Zur Pathologie der Basedowschen Krankheit;
Basedowsche Krankheit und Halsrippen; Basedowsche Krankheit bei Eheleuten, von Bern¬
hardt. 9. Zur Pathologie der Sklerodermie und des Morbus Basedowii, von Kornfeld.
10. Über den Zusammenhang von Sklerodermie mit Morbus Basedowii, von Freund. 11. Über
die Basedowsche Krankheit, von Haikovec. 12. Der Exophthalmus bei der Basedowschen
Krankheit, von Ha&kovec. 13. Zur Kenntnis einiger seltener Störungen bei der Basedow¬
schen Krankheit, von Mosse. 14. Inflytandet af struma, särsköldt Basedowstruma, un der
pubertetsäldern pä längdtillväxt och förbeningsprocesser. Preliminärt meddelande af Holm-
gren. 15. Dägenerescence mentale et maladie de Basedow, par Dromard et Levassort. 16. Case
of exophthalmic goitre in a man treated successfully, by Sommerville. 17. Et tilfälde af
Morbus Basedowi behandlet met blöd og melk af thyreoidektomeret gjed, af Thrap-Meyer.
18. Über den heutigen Stand der Therapie der Basedowschen Krankheit, von Vermes.
19. Herzneurosen und Basedow, von Fischer. 20. Ein Beitrag zur Behandlung des Morbus
Basedowii mit Antithyreoidserum (Moebius), von Leuven. 21. Ein Fall von Morbus Base¬
dowii ohne Exophthalmus behandelt mit Antithyreoidin Moebius, von Aronheim. 22. Beitrag
zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit, von Mayer. 23. Serumbehandlung af
Morbus Basedowi, af Magnus. 24. Beitrag zur Behandlung des Morbus Basedowii mit
Antithyreoidin (Moebius), von Heinze. 25. Die partielle Exstirpation der Schilddrüse als
Heilmittel in einem Falle Basedowscher Krankheit, von v. Torday. 26. Beitrag zur Be¬
handlung Basedowscher Krankheit mit Röntgenstrahlen, von Sklodowski. 27. Angebliches
kongenitales Myxödem bei normaler Schilddrüse, von Slegert. 28. Über zwei atypische
Myxödemfalle, von Bernhelm. 29. Beiträge zur pathologischen Anatomie der Kretinengehirne,
von Scholz und Zingerle. 30. Infantilisme et degönerescence psychique. Influence de l’heredite
neuropathologique, par Lemos. 31. Über marinen Kretinismus, von v. Wagner. 32. Zweiter
Bericht über die Behandlung des endemischen Kretinismus mit Schilddrüsensubstanz, von
Wagner von Jauregg. 33. Ein Jahr Kretinenbehandlung mit Schilddrüsensubstanz, von
v. Eysselt-Klimpily. 34 Mit Thyreoideatabletten behandelter Fall von Cretinismus sporadicus.
von Deutsch. — Psychiatrie. 35. Un cas de melancolie, avec hypertrophie thyroidienne
snccödant ä la mönopause, par Parhon. 36. Über Hitzepsychosen, von Finckh. 37. Über
Robert Schumanns Krankheit, von Mtfbius. — Forensische Psychiatrie. 38. Über die
zur strafrechtlichen Behandlung zurechnungsfähiger Minderwertiger gemachten Vorschläge,
von Moeli.
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194
III. Bibliographie. Therapeutische Technik für die ärztliche Praxis. Ein Handbach für
Ärzte and Studierende, von J. Schwalbe.
IV. Aus den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein za Berlin. — WanderVersammlung
des Vereins für Psychiatrie und Neurologie in Wien.
V. Vermischtes.
I. Originalmitteilungen.
1. Über den Mechanismus
und die Lokalisation der psychischen Vorgänge.
Von Prof, firnst Jendrisalk in Budapest.
Unstreitig ist es die Lehre von der Aphasie, die uns den tiefsten Einblick
in die Werkstätte der psychischen Vorgänge eröffnet hat. Wollen wir aber den
Mechanismus der psychischen Funktionen näher erkennen, so müssen wir außer
den Ergebnissen der Aphasieforschung auch die Errungenschaften der verwandten
Forschungsgebiete heranziehen, ln der Tat können Anatomie, Physiologie,
Psychophysik, Klinik, Sprachwissenschaft auf diesem Gebiete nur Hand in Hand
zu wirklichen Fortschritten führen, um so mehr, als der sonst so verläßliche
Boden der pathologischen Anatomie in der Erforschung der Lokalisation der
Gehirnfunktionen nur allzuoft unsicher wird, da die Femwirkungen der Läsion
häufig nicht mit Bestimmtheit abgrenzbar sind.
Ein großer Teil der Kontroversen, die heute bezüglich der Auffassung dieser
Vorgänge herrschen, läßt sich auf die einseitige Betrachtung der Beobachtungs¬
tatsachen, freilich zugleich auch darauf zurückführen, daß die meisten Antoren
in der einen oder anderen Weise den alten Begriff der Seele, wenn auch in
moderner Bezeichnung, in ihre Theorien hineinverweben. Die Ausdrücke „centre
d’idöation, Begriffsoentrum, Assoziationscentrum, Centrum für das innere Wort,
innerer Befehl, Werkstätte für Begriffe, Denkorgan, Organ für abstraktes Denken,
Centrnm für geistige Konzentration“ nsw. sind, wenigstens oft in ihrer An¬
wendung, nichts anderes als das noch immer seinen Spuk treibende Gespenst
der Seele. Dieselben Autoren, die diese metaphysischen Centren annehmen,
sind nicht einig darüber, ob es wirkliche motorische oder sensorische Centren
gibt. Ja manche geben zu, daß wohl ein Sprechcentrum, aber kein Schreib-
centrum existiert. Es wäre eine große Mühe, der ich mich aber nicht zu
unterziehen gedenke, die so außerordentlich verschiedenen Ansichten der Autoren
zusammenzustellen und ihre Begründungen kritisch zu prüfen; ich will einfach
das Resultat meiner Studien in betreff der feineren Lokalisation der psychischen
Vorgänge mitteilen.
Da man boreits beginnt, diese Prozesse auf Grundlage der Fibrillenlehre
zu erklären, will ich gleich za Beginn betonen, daß meine Ansichten auf der
Neuronenlehre fußen.
Um meine Ansichten so klar als möglich darznstellen, teile ioh meine
Arbeit in drei Abschnitte, deren erster das Wahrnehmen and die Erinnerungs¬
bilder, der zweite die Erinnerung und die Assoziation, der dritte endlich die
nähere Einrichtung der Centren behandelt.
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I. Wahrnehmen und Erinnerungsbilder.
Die äußeren Eindrücke, optische wie akustische, gelangen in der aller¬
größten Mehrzahl der Fälle durch einen ganz kleinen Abschnitt der Aufnahmefläche
des betreffenden Sinnesorganes in das Gehirn. Eigentlich erkennen wir bloß das, was
durch die Fovea centralis der Retina oder im Bereich der mittleren Töne der
Hörfähigkeit aufgenommen wird; somit kommen im gewöhnlichen Leben alle
Gesichts- und Gehörseindrücke durch eine kleine, zu innerst liegende Partie des
Opticus oder Acusticus in die Rinde. Mag man sich die Aufnahmeapparate
der Retina oder des CoMi’schen Organs wie immer eingerichtet vorstellen —
unzweifelhaft ist es, daß die allerverscbiedensten Eindrücke nacheinander durch
ebendieselben Leitangselemente der Occipital- bzw. der Temporalrinde zugeführt
werden. Soweit die Kenntnis der anatomischen Wege es beurteilen läßt, und
diese Kenntnis bekräftigt es, werden die heterogensten Gesichts- und Klangbilder
nacheinander auf eben denselben, der Zahl nach relativ sehr beschränkten,
Leitungsbahnen (nach einmaliger Unterbrechung der Bahn) bis zur Occipital- bzw.
Temporalrinde geleitet Hier endigen diese Fasern aber nicht in Zellen, sondern
in einem speziellen Geflecht, das besonders im Occipitallobus als das äußerst
dichte und verbreitete Vicq n’AzT&*sche Geflecht bekannt ist 1 Die Beachtung
dieser Einrichtung, die mutatis mutandis im allgemeinen auch bei den übrigen
Sinnesgebieten angetroffen wird, ermöglicht die Erklärung der Einrichtung der
Erinnerungsbilder. Ein jeder von außen eingedrungene Reiz verteilt sich in diesem
Geflecht und erhält auf diese Weise die Möglichkeit, wahrscheinlich in der Form
eines Spannungszustandes, auf eine äußerst große Menge von diversen Nervenzellen
einzuwirken ; 1 er wird aber stets, wenigstens in wachem Zustande, bloß von einer
Nervenzelle (oder einer einheitlichen Zellengruppe) — im Wege der Induktion —
übernommen; welche Gesetze dabei den Ort der Reizübernahme bestimmen, läßt
sich auf Grund der weiter unten angegebenen Eigentümlichkeiten nach weisen. Ein
jeder neuartiger Reiz lagert sich auf diese Weise in eine Gruppe noch unbesetzter
Nervenzellen. Diese Gruppe wird durch den ersten Eindruck gestimmt und
verhält sich von da ab als ein Resonator für den aufgenommenen Eindruck;
der im ganzen Geflecht erklingende Reiz findet blos in der dafür gestimmten
Gruppe WiederbalL Die Beweise für die Richtigkeit dieser Annahme liegen
klar zutage; ich halte dafür, daß eine nähere Begründung für solche, die mit
der Lokalisationslebre der Hirnrinde vertraut sind, unnötig ist Aber auch die
psychologische Beobachtung beweist die Wahrheit dieser Theorie; eine jede
Wahrnehmung wird einzeln aufgenommen, ihr Erinnerungsbild muß einigemal
gestimmt und neugestimmt werden, bis es die Erinnerung festhält Diese Tat¬
sache ist schon ein sicherer Beleg für die materielle und sogar enge Lokalisation
eines jeden einzelnen Erinnerungsbildes, da der Erfolg der wiederholten Reizung
* An anderen Windungen wird (wie bei Cajal) dae analoge Geflecht als das Bail-
LABGsn’sche oder GBinraBi’sche (motorische Rinde) Geflecht bezeichnet.
* Man maß annehmen, daß in diesem Geflecht die Enden der einzelnen Makularfascrn
isoliert ausgebreitet sind; hierauf deuten gewisse Ausfallserscheinungen, noch mehr aber die
bis dahin gewiß isolierte Znleitnng dieser Nervenfasern.
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sonst kaum zu verstehen wäre. Als eine zweite Erscheinung der materiellen
Impression (Stimmen) ist das Vergessen zu deuten: bei einem ungenügenden
oder wenigstens für die Dauer ungenügenden Stimmen verliert die Zellgruppe
ihre Stimmung, sie kehrt wieder in ihren ursprünglichen leeren Zustand zurück.
Vom anatomischen Gesichtspunkt spricht die große Anzahl selbständiger Nerven¬
zellen ganz entschieden für die materielle Lokalisation einer jeden Wahrnehmung,
freilich können die pathologischen Befunde nur in großem als Beweise heran¬
gezogen werden; Erkrankungen, die auf Zellen oder enge Zellgruppen scharf
beschränkt sind, kommen äußerst selten vor und die klinischen sowie anatomisch-
technischen Mittel zu deren Nachweis sind gleichfalls ungenügend.
Wollen wir nun die nähere Beschaffenheit des sensorischen Erinnerungs¬
bildes klar machen, so müssen wir zunächst die wichtigen, charakterisierenden
Eigenschaften derselben von den unwesentlichen trennen.
Das Gebiet der Wahrnehmung optischer Eindrücke scheidet der geistreiche
Forscher Wilbband in zwei Abteilungen: in ein Wahrnehmungsfeld und in ein
Erinnerungsfeld. Ich denke, daß man nur durch Erinnerungsbilder wahrnehmen
kann, entweder durch Neubelebung schon vorhandener oder durch Aufnahme
neuer, sonst gibt es kein Wahrnehmen. Es ist undenkbar, daß man optische
Eindrücke zuerst in ein Wabrnehmungsfeld deponiere und dieselben erst später,
in zweiter Keihe in den Erinnerungsfeldern aufspeichere. Wilbrand sondert,
gewiß mit Recht, die Licht- und Farbenperzeption als wenigstens in der
Intensität nicht ganz wesentliche Bestandteile der Erinnerungsbilder; in der Tat
macht es uns gar keine Schwierigkeiten, auf einer einfarbigen Reproduktion be¬
kannte, in Wirklichkeit farbige Gegenstände sofort zu erkennen, ja ihre Farb¬
losigkeit stört uns nicht im mindesten. Ebenso hat die Beleuchtung, der
Schattenwurf keinen wesentlichen Einfluß auf das Erfassen der Erinnerungsbilder.
Ich glaube also, daß man diese Elemente der Wahrnehmung — ähnlich der
Tonhöhe (Höhe des Diapasons) der Gehörseindrücke — als allgemeine Eigen¬
schaften der Perzeption betrachten muß, keineswegs gehört aber in diese Kategorie
die Formempfindung. Die Form ist von den speziellen optischen und anderen
Erinnerungsbildern nicht zu trennen. Nach der LisSAUER’scben Theorie wäre
diese Formempfindung oder Raumvorstellung ein Resultat mehrfacher Faktoren,
insbesondere der Vereinigung der optischen Eindrücke mit der Tätigkeit der
Centren der Augenbewegungen. Dieses sogen. „Abtasten der Objekte mit den
Augen“ hat mit der Formempfindung nichts zu tun, erkennen wir doch auf
einen Blick, ohne Bewegung der Augen (ja trotz vollkommener externer Augeu-
muskelläbmung) die Gegenstände. Es ist ganz unnötig, den Begriff der Er¬
innerungsbilder komplizierter zu gestalten, als sie nach allen Erfahrungen er¬
scheinen. Andererseits dürfen die Erinnerungsbilder auch nicht kurzweg mit
Photographien verglichen werden, die visuellen Erinnerungsbilder besitzen
in ihrer Form eine gewisse Körperlichkeit, Dreidimensionalität, was einesteils
durch die Möglichkeit des stereoskopischen Sehens (gleichzeitige Betrachtung
eines Gegenstandes aus zwei Richtungen), andererseits aber schon durch das
sofortige Erkennen der Objekte, von verschiedenen Seiten aus betrachtet, er-
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wiesen ist Wäre es nicht so, dann müßten wir yon einem jeden Objekt un¬
zählige Erinnerungsbilder sammeln, wobei man die Identität derselben nur mit
Mühe erfassen würde. Solange man nur das stereoskopische Bild in Betracht zieht,
könnte man an die Lokalisation des Bildes in beiden Hemisphären denken und
die Körperlichkeit als durch gegenseitiges Zusammenfügen beider Eindrücke
hervorgerufen sich vorstellen (immerhin eine schwer verständliche Erklärung!);
wenn wir aber erwägen, daß wir uns bekannte Gegenstände von allen Seiten
her, obzwar sie in immer andersartiger Zeichnung (Form) vor uns stehen, sofort
erkennen, so ist die Annahme der körperlichen Lokalisierung der Erinnerungs¬
bilder in der dreidimensionalen Form der Nervenzelle vollauf begründet.
Eigentlich wäre es richtiger, von Erinnerungsfigürchen zu sprechen, als von
Bildern. Daß das stereoskopische Sehen nicht von den Augenmuskeln und vom
Gefühl ihrer Innervation abhängt, ist ja durch das Stereoskop erwiesen. In
Fig. 1 gebe ich ein schematisches Bild, wie ich mir diese Einrichtung denke.
Im Corp. genic. int würden sich die Fasern in zwei Richtungen verteilen, wo¬
durch (im Wege über das Corp. callosum) beide Hemisphären mit beiden Maculae
in Verbindung treten könnten. Weiterhin wäre im Bereich des Vicq d’Azyr-
Gefiechtes das Erinnerungsfigürchen beim Sehen mit zwei Augen in größerer
Ausdehnung (ja von verschiedenen Seiten her gereizt), wie beim Sehen mit bloß
einem Auge. Ich halte es aber für wahrscheinlich, daß die Angriflsfläche des
Vicq D’AzYB’schen Geflechtes durch wellenförmigen Verlauf, ferner durch eventuell
eingelagerte Zellsysteme und ihre Ausläufer vergrößert wird.
Fig. l.
Über die Lokalisation der optischen Erinnerungsbilder würden die Fälle von
Seelenblindheit die klarsten Begriffe erteilen, wenn dieser pathologische Zustand
gründlicher bekannt wäre. Man hat angenommen, daß Seelenblindheit bloß bei
doppelseitigen Erkrankungen des Occipitalhirns vorkommt. Oppenheim gibt an,
daß in 20 Fällen 12 mal eine doppelseitige Erkrankung gefunden wurde. Wäre
nur ein sicherer Fall nacbgewiesen, in dem bloß der eine Lappen erkrankt
war, so müßte man diese Theorie ohne weiteres aufgeben. Leider ist das Aus¬
schließen einer Fern Wirkung oft dem subjektiven Ermessen überlassen und so
könnte man lange darüber streiten, ob unter den acht zurückbleibenden Fällen (es
gibt vielleicht deren mehr) doch nicht einer als beweiskräftig anzunehmen wäre.
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Alles, was wir von den Erinnerungsbildern wissen, soheint dafür zu sprechen, daß
sie einheitlich, ja nur in einer Hemisphäre lokalisiert sind, sonst müßte ja ein jedes
Erinnerungsbild für eine jede Gesichtsfeldhälfte eigens lokalisiert sein. Man
könnte sich auch vorstellen, daß ein Teil der optischen Erinnerungsbilder in der
rechten, ein anderer Teil in der linken Hemisphäre abgelagert wäre; kaum
annehmbar erscheint hingegen eine allgemeine doppelseitige Lokalisation derselben
Bilder. Bei der Beurteilung dieser Verhältnisse darf man eben nicht aus den
Augen verlieren, daß der cerebrale hemianopische Defekt das wichtigste Wahr¬
nehmungsgebiet, die Fovea centralis, wie dies die klinische Beobachtung zumeist
ergibt, freiläßt und dieses Gebiet eines jeden Auges mit beiden Occipitallappen
verbunden bleibt, woraus der scheinbare Widerspruch gegen die einseitige
Lokalisation der Erinnerungsbilder und die angebliche Notwendigkeit der An¬
nahme doppelseitiger Läsion bei Seelenblindheit erklärbar wird, ln Munk’s
E xperimenten, in denen die Einstrahlungen der Sehbahn im Occipitallappen
beiderseitig zerstört werden mußten, um die Symptome der Seelenblindheit —
soweit dieselben am Tier erkennbar sind — zu verursachen, wurden eigentlich
nur die Verbindungen der visuellen Bahnen mit den Erinnerungscentren ver¬
nichtet, doch keineswegs allein die Gentren selbst Auch sollte man bei diesen
Versuchen, noch mehr aber bei hierher gehörigen Krankenbeobachtungen, die
Hemisphäre, ob die rechte oder die linke betroffen ist, berücksichtigen, denn,
wenn die visuellen Bilder bloß einseitig lokalisiert sind, so ist es klar, daß eine
Läsion der anderen Hemisphäre keine Seelenblindheit erzeugen kann.
Das Einstrahlungsgebiet der wichtigsten Sehbahnen des Makularbündels
scheint ziemlich groß zu sein, da der ursprüngliche Querschnitt dieses Faser¬
bündels, wie dies bereits von Monakow angegeben wird, durch Divergenz der
Fasern bedeutend vergrößert wird. Der Wirkungskreis sämtlicher Fasern breitet
sich, unserer Ansicht nach, über den ganzen Umfang des Vioq n’AzYn’schen
Streifens —, und zwar in beiden Occipitallappen aus. Handelt es sich um eine
einseitige Läsion ausschließlich der zu diesem Streifen gehörigen Fasern, so
entsteht eine cerebrale (d. h. im Sehfeld bloß periphere) Hemianopsie mit erhaltenem
centralem Sehfeld, ohne Seelenblindheit, denn die Erinnerungsbilder können
von der anderen Seite auch angeregt werden. Da aber nach unserer Auffassung
bloß die Makularbündel den Vicq D’AzYB’schen Streifen bilden, so ist es be¬
greiflich, daß bei kortikalen Hemianopien die Makulargegend gewöhnlich frei
bleibt. An Fig. 1 kann dieses Verhalten illustriert werden, die Unterbrechung
der Fasern nach ihrer Zweiteilung ruft keine Hemianopie der Makulargegend
nach sich.
Eine weitere interessante Frage wäre, wie groß der Inhalt eines Erinnerungs¬
bildes ist und in wie viele Zellen es abgelagert ist. Wenn man versucht,
durch Nachdenken optische Erinnerungsbilder zu erwecken, so findet man als¬
bald, daß ein größeres Objekt aus kleinen Stücken besteht; denkt man z. B. an
eiue Person, so kann man sich höchstens den Kopf (ja nur einzelne Teile des¬
selben) oder eine Hand oder einen anderen Teil derselben auf einmal vorstellen;
denke ich an ein Gebäude, ein Möbelstück, so muß ich mich mit einzelnen Details
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begnügen, die ich zwar austauschen, aber nicht gleichzeitig vereinigen kann. Es
scheint somit, daß die Erinnernngsbildeinheiten ungefähr die Größe eines „Blickes“
haben, und wenn wir die Objekte mit unseren Augen „abtasten“, so erhalten
wir so viele einzelne Erinnerungsbilder, als wir unsere Augen verschieden ein¬
stellen mußten. Diese Auslegung erklärt aber vollständig, weshalb wir unsere
Augen nicht gleichmäßig — wie andere Glieder — bewegen, sondern gleichsam
mit den Augen von Objekt auf Objekt, von Erinnerungsbild auf Erinnerungs¬
bild hinüberspringen. Wir erhalten kein zusammenfließendes optisches Bild,
sondern eine Art Autotypie, ein Mosaikbild in unserer Erinnerung. Die ganz
besondere Bedeutung dieser Anordnung erhellt aus der Art der Ablagerung der
Gehörsbilder, auf die wir nun übergehen.
Im großen ganzen ist die Einrichtung des Gehörsapparates eine analoge. Auch
hier finden wir, daß unser Ohr nicht im ganzen Umfange seines Hörgebietes gleich
scharf differenziert: unter und über den Tönen der Musik liegen nooh viele
Oktaven von Tönen, die zwar perzipiert werden, doch ungleich schlechter be¬
urteilt werden können. Das sichere Vermögen der Bestimmung der Tonintervalle
in den musikalischen Oktaven hört in den unter- und übermusikalisohen Oktaven
auf; diese Töne liegen sozusagen im peripheren Hörfeld. 1 Im alltäglichen Leben
(insbesondere wenn wir von der Musik absehen) gelangt die allergrößte Menge
der akustischen Eindrücke in der Form der Sprache durch verhältnismäßig
wenige Fasern des Acusticus in die Rinde (wir sehen hier von der Unterbrechung
der Bahn im Corp. gen. ext. ab, da höchstwahrscheinlich daselbst keine wesent¬
liche Vermehrung der Fasern eintritt, außer der hier ebenso wie in den
Bahnen des Opticus stattfindenden Zweiteilung der Bahnen).
Die Gehörseindrücke haben dieselben Eigenschaften, wie die optischen; die
Tonempfindung (Intensität) und die Empfindung der absoluten Tonhöhe sind
analoge Qualitäten mit der Empfindung der Lichtintensität und derjenigen der
Farben in der optischen Sphäre. Sie begleiten jeden akustischen Eindruck, auch
sind sie keine charakteristisch-wesentlichen Bestandteile der Gehörsempfindungen,
da das gesprochene Wort, die gesungene Arie sofort erkannt wird, ob sie tiefer
oder höher, stärker oder leiser erklingt. Das was uns über den Sinn der Ge¬
hörseindrücke aufklärt, ist die Klangfarbe, Harmonie und besonders die Reihen¬
folge der Intervalle oder der Geräusche (Form in der optischen Sphäre). Die
elementaren Eigenschaften (Tonhöhe, Stärke) sind also bloß die Attribute des
Gefühls, sie geben die Art an, wie die Nervenzelle gereizt wird,
bedeuten aber ni'cht das spezielle Erinnerungsbild (Form in der
optischen Sphäre, Reihenfolge in der akustischen, Wort, Tonbild). Diese
elementaren Eigenschaften dürfen nicht als auf gesonderte Gebiete lokalisiert
aufgetaßt werden, wir dürfen uns nicht etwa vorstellen, daß wir die Tonleiter
in verschiedenen Zellen abgelagert, ähnlich den Tasten am Klavier, als Er-
1 Eigentlich entsprechen den aaßermusikaliBchen Tönen die Lichtstrahlen an den beiden
Enden des Spektrums, physiologisch ist aber der Vergleich insofern möglich, als die sichere
Perseption anf beiden Gebieten sich auf die mittleren Fasern der Nerven beschränkt.
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innerungsbilder im Gehirn haben und die Arien uns als Assoziationen dieser
Elemente in Erinnerung bleiben.
Um einen richtigen Begriff von der Gestaltung der Erinnerungsbilder der
Musik zu bekommen, müssen wir die akustischen Eindrücke mit den optischen
vergleichen. Bei diesem Vergleiche erscheint es zunächst, als ob die Mehrzahl
der optischen Eindrücke simultane und in sich abgeschlossene Eindrücke wären,
während die akustischen meistens sukzessiv zusammenhängende, chronologische
sind, ja wir werden gleich sehen, daß diese Differenz eigentlich nicht besteht,
denn wir finden ebenso simultane Eindrücke im Bereich der Hörsphäre, wie
zeitliche im Sehgebiet Die Klangfarbe ist ein Beispiel für den simultanen
Höreindruck; man erkennt an der Klangfarbe z. B. ein Klavier bereits beim
Hören eines Tones, der musikalisch noch keinen Sinn hat, oder an einem Wort
eine bekannte Person; simultaner Eindruck ist ferner die Harmonie, die das
Analogon mit der Körperlichkeit, Dreidimensionalität der (perspektivischen und
binocularen) visuellen Bilder darstellt Besonders instruktiv ist aber die Be¬
trachtung der zeitlichen optischen Eindrücke. Erblicke ich ein großes Objekt,
das nicht mehr in ein Blickfeld aufgenommen werden kann, so stelle ich mir
das ganze aus einer sukzessiv gesammelten Reihe, wie dies bereits oben ange¬
deutet war, zusammen. Die einzelnen Bestandteile eines Menschen, eines Ge¬
bäudes, die Motive verschiedener Musikwerke werden in Zellengruppen aufge¬
nommen, in die sie sukzessiv, gleichsam in gewissen Intervallen eingelagert
werden; die Dimensionen dieser einzelnen Konstituenten des Erinnerungsbildes
können vielleicht noch in späteren Untersuchungen exakter bestimmt werden.
Die akustischen Erinnerungsbilder sind demnach als in Zellgruppen sukzessiv
aufgenommene Eindrücke aufzufassen. Gelangt ein akustischer Reiz in die
Hörsphäre, so wird er in eine Gruppe von Nervenzellen aufgenommen, bei
Wiederholung derselben Impression hallt dieselbe Gruppe von Zellen wieder. Der
Vorgang beim Wiedererwecken eines Erinnerungsbildes ist eigentlich ganz dem
optischen gleich; erblicke ich von weitem eine Gestalt, so muß ich abwarten,
bis mir nähere Details die Gestalt erkennen helfen; auf die gleiche Art erkenne
ich ein bekanntes Musikstück erst, nachdem mehrere Töne nacheinander er¬
klungen sind, oder einen Satz, wenn eine genügende Reihe von Worten bereits
angegeben wurde.
Am klarsten aber liegen die Verhältnisse, wenn wir die Lokalisation der
Worte betrachten. Nicht die einzelnen Konstituenten des Wortes, die Silben,
die Buchstaben machen die Erinnerungsbilder der Worte aus, hat doch der
Analphabet keine Ahnung von diesen Gliederungen — es sind vielmehr die
ganzen Worte lokalisiert, Teile der Sprache, nicht Teile des Wortes. Die Buch¬
staben sind eigentlich bloß Zeichen, die die anatomisch-möglichen einzelnen Be¬
wegungen der Sprachwerkzeuge versinnlichen. Das Alphabet ist zwar im Gehirn
des Alphabetkundigen lokalisiert als ein besonderer Erinnerungsbildkomplex,
welcher aber mit der eigentlichen Sprache nicht zusammenhängt Vergleicht
man die optischen Erinnerungsbilder mit denjenigen der Worte, so entsprechen
die Buchstaben den Linien der Form des optischen Erinnerungsbildes; die einzelnen
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Buchstaben bedeuten ebensowenig die Worte, als einzelne Linien das Wesen des
Erinnerungsbildes ausmachen.
Die optischen Erinnerungsbilder sind äußerst zahlreich, unvergleichlich zahl¬
reicher als die akustischen, dem entspricht auch die differente Organisation der
Occipitalrinde gegenüber der der Temporalrinde; in der letzteren ist bloß eine
schwache Andeutung des auffallenden Geflechtes des Vicq n’AzYB’schen Streifens
bemerkbar.
Die eigentliche motorische Rinde hat auch Erinnerungsbilder für sämtliche
erlernte Bewegungsarten; erlernt man das Klavierspiel, so hat man nicht einfach
die Fähigkeit, seine Muskeln rascher und kräftiger zu bewegen, eingeübt, —
denn sonst könnte der Klavierkünstler auch Violine spielen —, sondern man
hat die betreffenden motorischen Erinnerungsbilder in die betreffende Rinden¬
zone eingeprägt Von diesen Erinnerungsbildern aus gelangt der Reiz zu den
Endungen der Pyramidenbahnen, bzw. zu den BETz’schen Zellen.
•Eine Frage von ganz besonders prinzipieller Bedeutung ist endlich die, ob
zur Aufnahme eines jeden einzelnen Erinnerungsbildes eine eigene Zelle oder
Zellgruppe erforderlich ist, oder ob die Zellen auch mehrere solcher Einheiten
aufnehmen können. Ich meine, diese letztere Annahme widerspricht allen
unseren Erfahrungen, sie würde selbst die ganze Lokalisationstheorie über den
Haufen werfen. Die richtige Erklärung dafür, daß wir Unterschiede zwischen
den einzelnen Erinnerungsbildern bemerken, daß wir sie vergleichen, in chrono¬
logische Ordnung bringen können, kann nur in der isolierten Lokalisation ge¬
funden werden. Mit dieser Annahme stimmt aber auch die riesige Anzahl
der Rindenzellen und die beobachteten Fälle von isolierten Ausfallserscheinungen.
(Schloß folgt.)
1 Aus der Poliklinik für Nervenkranke des Herrn Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Mendel (Berlin).]
2. Zur Ätiologie und spezifischen Therapie
des Morbus Basedowii nach praktischen Versuchen mit
Antithyreoidin-Moebius.
Von Dr. med. Rattner in Berlin,
ehemaligem Assistenzarzt der Poliklinik.
Wohl selten hat es ein Krankheitsbild gegeben, dessen Genese so zweifelhaft
und bis auf den heutigen Tag so heiß umstritten wurde, als jener Symptomen-
komplex, den man gemeiniglich als Morbus Basedowii (Graves’ Disease der
Engländer) zu bezeichnen pflegt.
Da einheitliche Ergebnisse der pathologisch-anatomischen Untersuchung des
Nervensystems nicht vorliegen, so ist es erklärlich, daß die Theorien über das
Wesen und die Grundlage dieser Erkrankung weit auseinandergehen.
Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Auseinandersetzungen dürfte
es angebracht erscheinen, in Kürze die hauptsächlichsten Erklärungen hier zu
besprechen.
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Die Annahme einer Affektion des sympathischen Nervensystems
hat sehr viel für sich, insofern als sie einen großen Teil der Erscheinungen:
die Tachykardie, die Dilatation der Gefäße, die sekretorischen und vasomotorischen
Störungen, die bestehende Disposition zu funktionellen Neurosen usw. sehr wohl
zu erklären imstande ist. Der erhobene Einwurf, daß ein Teil der Symptome
auf einen Reiz, ein anderer auf einen Lähmungszustand dieser Nerven hinweise,
besteht nicht zu Recht, da die Erkrankungen des Nervensystems recht häufig
eine Kombination von Reiz- und Lähmungssymptomen in demselben Nerven¬
gebiete schaffen, ohne daß darin ein Widerspruch zu finden wäre. Gleichwohl
hat man in vielen Fällen nichts Abnormes am Sympathicus nachzuweisen ver¬
mocht und auch die pathologische Deutung der vorhandenen Befunde ist keines¬
wegs einwandsfrei, so daß eine andere Erklärung, die centrale (bulbäre)
Theorie eine Zeitlang als akzeptabeler galt
Diese Lehre verlegt den Sitz des Leidens in die jene Nervenfunktionen be¬
herrschenden Apparate in der Medulla oblongata, wie dies z. B. Herr Prof.
E. Mendel an der Hand eines pathologisch-anatomischen Präparates, das den
Hörern seines bekannten Kollegs wohl in Erinnerung sein dürfte, in einem Fall
nachgewiesen zu haben glaubt. Bei dieser Gelegenheit sei es mir überhaupt ge¬
stattet, auf die in der Literatur vorhandenen, leider sehr spärlichen und schwer
zu deutenden pathologisch-anatomischen Befunde aufmerksam zu machen, wie
sie in einer kleinen übersichtlichen Arbeit von dem eben erwähnten Autor 1 zu¬
sammengestellt worden sind.
Sehen wir von den Befunden im Hirn und in dessen Häuten (Hyperämien,
subarachnoidale Ergüsse, Verwachsungen der Dura mit der Schädeldecke, multiple
Degenerationsherde usw.), von einer abnormen Erweiterung des Centralkanals
der Medulla spinalis und sonstigen zuweilen im Rückenmark angetroffenen Ver¬
änderungen als von zufälligen, vielleicht interessanten Komplikationen, die jedoch
in eine direkte Beziehung zu der BASEDOw’schen Krankheit keineswegs gebraoht
werden können, völlig ab, so kommen nur einzig und allein die gefundenen Ver¬
änderungen in der Medulla oblongata in Frage, die ohne Zweifel eine größere
Bedeutung beanspruchen. Aufgeführt seien hier u. a. die Beobachtungen über
Erweichung der Medulla oblongata (Hammond), Erweichung der Wand des
IV. Ventrikels und der Rautengrube (Farnbr), Erweichung der von den Oliven
zu den Vierhügeln aufsteigenden Längsfasern und der Vierhügel (Naumann),
Erweichung des hinteren Teiles der Medulla (Lookhabd). F. Mülleb fand bei
seinen genauen anatomischen Forschungen in 3 Fällen am Boden des vierten
Ventrikels, auch in der Umgebung des Vagus- und Glossopharyngeuskemes
ziemlich zahlreiche kleine Blutungen bei im übrigen negativem Befund im
Centralnervensystem.
Noch auffallender und vielleicht in ihrer Wichtigkeit gar nicht genugsam
gewürdigt sind jene an Zahl freilich noch sehr geringen Beobachtungen über
Veränderungen im Corpus restiforme.
1 BASBDOw’sche Krankheit. Handbuch der patholog. Anatomie des Nervensystems,
herausgegeben von Flatau, Jaoobsohn und Minob. XXXVI. S. 1348.
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Wie schon erwähnt, sah Mendel 1 in einem von ihm behandelten Falle
von langdanernder BASEDOw’scher Krankheit eine Atrophie des linken Corpus
restiforme. Außer dem Ausfall von Fasern zeigte die histologische Unsersnchung
keine wesentlichen Veränderungen.
Ähnliche Veränderungen der Corpora restiformia sind dann noch von Leobe,
Ksdziob und Zanietowsky 2 beschrieben worden.
>
Dieser Ansicht verlieh dann noch Filehne, Dubdufi und Bienfait eine
experimentelle Stütze dadurch, daß es ihnen gelang, durch Läsion der Corpora
restiformia (der Durchgangsstation der betreffenden Nervenbahnen) beim Kaninchen
die 3 Kardinalsymptome (wenn auch nicht immer alle zu gleicher Zeit) künstlich
hervorzurufen.
Auch klinische Beobachtungen, so die im Verlaufe der Krankheit sicher be¬
obachteten nukleären Lähmungen, Ophthalmoplegien, Zuckungen, Lähmungen
und Atrophien der Muskulatur, die Meliturie usw. wurden als Stütze dieser
bulbären Theorie herangezogen.
Indessen auch die Oblongata-Theorie befriedigt keineswegs, indem einerseits
bei den verschiedensten Medulla oblongata-Erkrankungen das Fehlen von Basedow-
Symptomen geradezu Regel ist, andererseits die bisher gemachten Sektionen bis
jetzt sehr wenig positive Befunde in bezug auf anatomisch nachweisbare Ver¬
änderungen der Medulla oblongata ergeben haben.
Gleichwohl wird man — dies sind Mendel’s eigne Worte — mit Rücksicht
darauf, daß die erwähnten Befunde einmal noch die verhältnismäßig häufigsten
im Centralnervensystem sind, und daß andererseits die klinischen Tatsachen nach
unseren physiologischen Kenntnissen und nach den vorhandenen physiologischen
Experimenten zu einer Lokalisation der Krankheit in der Medulla oblongata
drängen, nicht umhin können, zu weiteren genauen Untersuchungen in bezug
auf jene Gegend dringend aufzufordern. Die häufig gefundenen Blutungen am
Boden des IV. Ventrikels scheinen jedenfalls darauf hinzuweisen, daß hier ein
Locus minoris resistentiae ist, und machen es wahrscheinlich, daß schon vor dem
Eintritt der Blutungen eine gewisse abnorme Beschaffenheit der Gefäße oder des
parenchymatösen Gewebes oder beider hier vorhanden war.
Die Annahme einer funktionellen bulbären Störung im Sinne einer Neurose,
wie man es bei Epilepsie, Chorea usw. anzunehmen sich gewöhnt hat, dürfte
uns auch nicht weiter führen und nur als eine Umschreibung für einen Zustand
Geltung haben können, den wir eben noch nicht kennen.
Gegen die Ansicht einzelner französischer Forscher, die sogar soweit ge¬
gangen sind, den Morbus Basedowii für eine Folge der Hysterie, für eine
Neurose (Chabcot) zu erklären, spricht schon, abgesehen von allem anderen,
die Konstanz der Symptome.
In neuerer Zeit ist nun von Gauthieb 3 und 1 Jahr später von
Möbius eine Theorie aufgestellt worden, die sich unter den zahlreichen Hypo-
1 Deutsche med. Wochenschr. 1892. Nr. 5.
* Xeurolog. Centralbl. 1901. Nr. 10.
* Revue de mödecine. 1900. S. 229.
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Original frum
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204
thesen, welche die Natur der BASEDOw’schen Erkrankung erklären wollen, wohl des
größten Zuspruches bei der Mehrzahl der Ärzte erfreut. Sie verlegt die Glandula
thyreoidea in den Mittelpunkt des Krankheitsbildes, von Veränderungen der
Schilddrüse und ihrer Funktionen das rätselhafte Syndrom ableitend. Nach
dieser im Jahre 1886 aufgestellten thyreogenen Theorie beruht der Morbus
Basedowii auf einer primären krankhaften Veränderung der Schilddrüsenfunktion,
sei es nun, daß gewisse reizende Stoffe in der Glandula thyreoidea abnorm
reichlich gebildet oder in ungenügender Weise neutralisiert werden.
Diese Hypothese findet ihre Stütze durch die von der Mehrzahl der Autoren
anerkannte Tatsache — nur H. Munk hat sich ihr gegenüber bisher völlig ab¬
lehnend verhalten —, daß die Schilddrüse ein für den Organismus unumgänglich
notwendiges Organ ist, welches Stoffe produziert, die er nicht entbehren kann,
bzw. die Aufgabe hat, giftige Stoffwechselprodukte zu zerstören.
Möbius selbst nimmt als Ursache eine Störung der Schilddrüsenfunktion
im Sinne einer Steigerung an, sich dabei auf die klinische Beobachtung be¬
rufend, die ihm mit Rücksicht auf den Gegensatz zwischen dem zweifellos aaf
verminderter oder aufgehobener Schilddrüsentätigkeit beruhenden Myxoedem und
der BASEDOw’schen Krankheit den zwingenden Beweis für die Richtigkeit seiner
Auffassung liefert
Diese Hypothese hat sicherlich etwas sehr Bestechendes, wenngleich man
auch hier noch die weitere Annahme machen müßte, daß die Schilddrüse
„nervöser“ Menschen leichter in diesen pathologischen Zustand gelangen kann,
und daß nervöse Erregungen besonders geeignet sind, dieses Organ zur ver¬
mehrten Arbeitsleistung anzuregen. Die experimentellen Versuche, durch Nerven-
reizung die Sekretion der Glandula thyreoidea anzuspornen, haben freilich zu
negativen Ergebnissen geführt.
Höchst auffallend ist jedenfalls der eigentümliche Gegensatz zwischen Morbus
Basedowii und dem Myxödem (Cachexia strumipriva), der dann auch den Aus¬
gangspunkt für die thyreogene Theorie gab; hier die Hypertrophie der Glandula
thyreoidea, Tachykardie, psychische Reizbarkeit, Hyperidrosis, Erhöhung der
Körpertemperatur — dort, beim Myxödem, völliger Schwund der Schilddrüse, Puls¬
verlangsamung, Indolenz bis zum Stupor sich steigernd, mangelhafte Perspiration,
subnormale Temperatur.
Als ätiologisches Moment hätten wir also bei der Basedow-Krankheit einen
Hyperthyreoidismus, beimMxyödemeinHypothyreoidismus anzusprechen.
Der sichtlich in die Augen springende Heileffekt der modernen Schilddrüsen¬
therapie bei Myxödemkranken scheint mit großer Sicherheit für die Richtigkeit
des angenommenen Hypothyreoidismus zu sprechen. Folgerichtigerweise müßten
wir nun aber auch verlangen, daß die Verabreichung von Schilddrüsenpräparaten
an Gesunde mit der Zeit die Erscheinungen des BASEDOw’schen Symptomen-
komplexes hervorzurufen imstande wäre. Dieses ist jedoch keineswegs der Fall,
indem die Fütterung mit Schilddrüsen die Symptome der Krankheit nicht hervor¬
gerufen hat.
Die ganz vereinzelt in der Literatur beschriebenen Fälle, wo nach über-
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mäßigem Genuß von Schilddrüsentabletten ein Morbus Basedowii sich einstellte,
können als wohl nicht ganz einwandsfrei kaum als Beweismittel dienen. Mir
sind Falle bekannt, in welchen die behandelnden Kollegen gerade auf die ver-
ordneten Thyreoideatabletten hin, so paradox es auch klingen mag, den Rückgang
der Basedow-Erscheinungen zu konstatieren glaubten.
Die Annahme einer einfachen (quantitativen) Überfunktion der Schilddrüse
als Ursache des BASEDOw’schen Leidens läßt sich nicht halten. Daher hat denn
auch Möbius neben einer einfachen Steigerung, der Hyperthyreoidisation, eine
qualitative Änderung der Schilddrüsentätigkeit, eine Dysthyreoidisation an¬
genommen. Man hätte dann also an ein durch die perverse krankhafte Tätig¬
keit der Thyreoidea gebildetes „Basedow-Gift“ zu denken, das, von der Drüse
her dem Blntstrom zugeführt, eine Intoxikation des Organismus, speziell des
Nervensystems, zu bewirken imstande wäre.
Der möglicherweise in dem Pons und in der Medulla oblongata gelegene
centrale Apparat, dessen ich bei Besprechung der Oblongata-Theorie Erwähnung
tat, würde dann als ein Locus minoris resistentiae für das Basedow-Gift zu
gelten haben, wodurch also eine Brücke zwischen diesen organischen Erklärungs¬
versuchen und der modernen Hypothese geschlagen wäre.
Solange wir nun keine sicheren Kenntnisse über die physiologische Be¬
deutung der Schilddrüsentätigkeit besitzen und nicht in der Lage sind, uns auf
dem Wege des Experimentes in die Wirkung jenes fraglichen Basedow-Giftes
nähere Einsicht zu verschaffen, werden wir nicht umhin können, zur Entscheidung
der ätiologischen Frage, da uns Physiologie und Anatomie im Stiche lassen, die
Therapie heranzuziehen, um ex juvantibus unsere Rückschlüsse zu ziehen und
so unsere Kenntnisse zu erweitern.
Dieser Umstand war es denn auch, der mich veranlaßt hat, die moderne
Behandlungsmethode des Morbus Basedowii mit Antitbyreoidinserum zu er¬
proben und einer Kritik zu unterziehen, nachdem mir durch meinen hochver¬
ehrten Lehrer und Chef Herrn Prof. Mendel, dem ich an dieser Stelle meinen
ergebensten Dank dafür ausspreche, aus seinem großen Material einwandsfreie
Fälle zur Nachprüfung und von der Fabrik Versuchsquanten in ausreichender
Menge zur Verfügung gestellt worden waren.
Von der Erwägung ausgehend, daß sich im Körper des thyreopriven
Menschen Giftstoffe anhäufen, deren Neutralisation durch die künstliche Zu¬
führung von Schilddrüsensubstanz einwandsfrei nachgewiesen werden konnte, war
man nach den Arbeiten von Ballet, Enbiquez, Lanz u. a. zu der Annahme
gelangt, das Kachexiegift dem Basedow-Kranken einzuverleiben, um dadurch das
übermäßig produzierte und pathologisch veränderte Schilddrüsensekret zu einer
Mehrleistung zu zwingen und so zur Bindung des Basedow-Giftes beizutrageu.
Injektionsversuche von Serum thyreoidektomierter Hunde und später Er¬
nährungskuren mit der Milch thyreoidektomierter Ziegen bei Basedow-Patienten
wurden mehrfach gemacht und gute Heilerfolge publiziert.
Die gleichen Überlegungen waren es denn auch, die Möbius veranlaßteu,
von Mebck in Darmstadt das sogen. Antithyreoidiu herzustellen, das aus dem
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Blote von Hammeln gewonnen wird, denen etwa 6 Wochen vor dem ersten
Aderlaß die Schilddrüse exstirpiert wurde. Dasselbe enthält zur Konservierung
einen Zusatz von 0,5 °/ 0 Karbolsäure und wird in verschlossenen Gläsern zu
10 ccm in den Handel gebracht.
Im folgenden gestatte ich mir nun einige Krankengeschichten aufzuführen
und die im Laufe der Behandlung gewonnenen Ergebnisse übersichtlich dar-
zustellen.
I. Frau Bertha W., 33 Jahre alt, Schlossers Ehefrau. Seit etwa 5 Jahren
bestehen bei der Patientin die ans der ersten Rubrik zu ersehenden Symptome
der BASEnow’8chen Krankheit. In den letzten 3 Jahren hatte sich das Leiden
noch erheblich verschlimmert. Besonders Herzanfälle, Zittern und ein plötzlicher
Schweißausbruch belästigen die Kranke sehr. Ein ausgesprochener Exophthalmus
ist nicht vorhanden.
Sonst ist Patientin wohlgenährt, aus gesunder Familie; die lebenswichtigen
Organe o. B. Im letzten halben Jahr angeblich 14 Pfund abgenommen.
Patentin ist lange Zeit hindurch mit Brom und Galvanisation des Halses be¬
handelt worden, ohne daß ein besonderer Erfolg zu verzeichnen gewesen wäre.
Seit 27./III. 1905 beseht die Medikation nur darin, daß Patientin jeden
3. Tag 5,0 Antithyreoidinserum per os erhält. Das Serum wurde in Himbeersaft
genommen und zwar ohne Widerwillen. Üble, auf das Medikament zurückzuführende
Einwirkung bei der Einnahme vermochte ich nicht zu konstatieren.
In der aufgeführten Tabelle I möchte ich versuchen, den Fortgang und Ver¬
lauf des Leidens während der Medikation festzulegen und übersichtlich darzu¬
stellen.
Dieser Fall bestätigt die schon von Möbius behauptete Tatsache, daß die
subkutane Methode sich nicht bewähre.
Bei der internen Darreichung — es wurden im ganzen 60 g verabfolgt —
sehen wir in der Tat eine Besserung des MABin’schen Symptoms und der
Hyperidrosis. Die Herzanfalle lassen nach und Patientin selbst hängt sehr an
der Medizin, der sie den Erfolg zuspricht
Im folgenden gebe ich eine tabellarische Übersicht über die weiteren be¬
handelten Fälle, um dann erst aus den gewonnenen Daten und Resultaten
die sich ergebenden Schlußfolgerungen zu ziehen.
II. Frau Auguste Kr., 52 Jahre alt, Postschaffners Ehefrau. Leiden angeblich
seit 1903 bestehend mit den sich allmählich entwickelnden Symptomen, nervöse
Diathese; familiäre Disposition.
III. Frau Ida Kl., 42 Juhre alt, Malers Ehefrau. Seit 10 Jahren allmählich
Hals dicker. Seit 2 Jahren Herzklopfen. Körpergewicht von 161 jetzt auf
119 Pfund zurückgegangen.
IV. Frau Wilhelmine H., 39 Jahre alt, Schuhmachers Ehefrau. Stammt aus
angeblich nervöser Familie, seit etwa 4 Jahren Dickerwerden des Halses, das der
Umgebung auffiel; mußte sehr viel Maschine nähen, was ihr die Ursache ihres
Leidens zu sein scheint. Augen sind in letzter Zeit größer geworden. Haupt*
sächlich quält sie das Herzklopfen und übermäßige Schweißsekretion.
Behandlung bisher: Brom und Galvanisatio colli. Ein 7 wöchentl. Aufenthalt
in der Klinik in Pankow hat anfänglich eine Besserung, dann aber gar noch
eine Verschlimmerung ihres Zustandes zur Folge. ‘Im folgenden gebe ich die
Symptomatologie und den Einfluß der Medikation auf diese.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
207
Tabelle I.
Frau Bertha W„ 33 Jahre alt, Schlossers Ehefran.
27./III. 3 ./IV.
3.V.
10./V.
Injektion
15./V.
Injektion , VT
16./V.
Puls
I
84 1 68
80
68
1
76
Stroma
(Halsumfang)
33 32
32
härter
32
' 31
!
Exophthalmus
Graefe
Moebios
Stellwag
— St. idem
4-
4-
4-
St. idem
St. idem
St. idem
;
Psychisches
Verhalten
unruhig ruhiger,
erregt , lebens¬
froher
Verschl.,
sehr un¬
ruhig
ruhiger,
besser
i Unruhe
nur leicht
angedeut.
Marie'sch es !
Symptom
+ besser
4-
besser
besser
Hyperidrosis
4- schlimmer
noch
schlechter
besser
besser
1
Diarrhoe
selten nicht mehr
+
besser
gut
Appetit
schlecht St. idem
St. idem
gut
schlecht
Schlaf
schlecht besser
—
gut
mäßig
Menses
sehr St. idem
schwach
seit
6 Jahren
St. idem
St. idem
St. idem
Trockenheit
im Munde
+ -f
+
4"
!
'
! ! +
|
Polydipsie
4- 4-
I _L
4- ;
i ;
1 ( .
T
Polyurie 1
i
+ 8 L. tgl. +
1
l 4-
4-
2 Liter tgl.
1
Ernährungs- .
zostand
Seit
V* Jahren
14 Pfond
abgen.
b Pfand j
zu¬
genommen :
i
, 3 Pfund
zu-
1 genommen
Besondere Bo- !
merkongen
! ■ 1
i 1 1
i
1
, i
i
i
i
i
Versuch
d. Mittel zu
injizieren
Schwell.,
Rötung,
Schmerz an
Injektions-
steUe trotz
aller anti-
u. asept.
Kautelen
Da
Schmerzen
zunehmen,
[Mittel wie¬
der per os
verabfolgt I
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google
i
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
208
Tabelle II.
Augaste Kr., 52 Jahre alt, Postschaffners Ehefrau.
!'
Nach Ge-
l
1
29.111.
brauch von
3 x 10 ccm 10./V.
3./V.
17./V.
|
— — — — -
- -- - -
— --
— -
- ----
Puls
152
112
112
116
Struma
36,5
36,5
36
35,5, Spur !
| weicher l
Exophthalmus
Graefe
Moebius
Stellwag
hochgradig
4-
4-
-1-
1 St. idem
St. idem
' St idem i
1
Psyche
Augen-
schmerzen
sehr un¬
ruhig
: St. idem
i
etwas
ruhiger
ruhiger
|
i i
Marie
4- hoch¬
gradig
1 St. idem
etwas
weniger
i St. idem
schlechter l
Hyperidrosis
+
| stärker
4-
| besser
Diarrhoe
4- 7—8 X
täglich
besser
1 x täglich
I 4—5 X
täglich
Appetit
gut
! gut
gut
1 gut
Schlaf
wechselnd
gut
i £Ut
gut
Menses
Menop.
| Menop.
Menop.
Menop.
Trockenheit im Munde
1
4-
besser
4-
4- I
1
Polydipsie
4-
besser
4-
4-
Polyurie
Ernährungszustand
4-
gut
2 Liter p. d.
i
2 Liter
i ,
2 Liter
4 Pfuud ab¬
genommen '
Besond. Bemerkungen
i
s.
Lues,
Exanthem
I
t
Subjekt.
Wohlbefin¬
den ;Pat. er¬
klärt, daß
keine Medi-i
kation bis¬
her so gnt
i getan
Injekt. 3 x
schlechter
vertragen,
auch hier
lokale Reak¬
tion
| 1
19./V.
124
2. VI.
12S
36
Obj.: Stid.
! Subj.:
I Augen¬
sehmerzen
nachgela&s.
) St. idem
St. idem
2—3 xtgl.
besser
besser
Patientin fühlt sich nach dem Qebrauoh von 5 Fläschchen per os und mehreren Serum¬
injektionen erheblioh ruhiger; die Stimmung ist besser. Herzklopfen und Zittern zeitweise
etwas nachgelassen; Nachlassen der Diarrhoe.
Tabelle III.
Frau Ida Kl., 42 Jahre alt, Malers Ehefrau.
Puls
Struma
-
- -
29./III.
6./1V.
2./V-
15./V.
128
120
112
132
32 (hart r.> 1.
Lappen) (
38,5
38
38
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
209
1
29./III. '
6./IV. 1
2 ./v. ;
i
Exophthalmus i
l — |
— ,
—
Graefe
—
— |
Moebius
| _ fehlen :
—
—
Stellwag
—
—
- i
Psyche
mäßig, erregt
St. idem etwas ruhiger!
t
Marie
+
i
St. idem
I
Hyperidrosis
4-
weniger
Diarrhoe
3—20 X tägl.
besser
Appetit
gut
gut
1
Schlaf
schlecht
besser
.
Menses ;
Klimakterium
i
Klimakterium
> St. idem 1
Trockenheit im Munde
Polydipsie
Polyurie
Ernährungszustand
Besondere Bemerkungen
+
4-
4-
schlecht
|
1
i
S Flaschen
3 Flaschen
erhalten per os
1
erhalten per ob
u. 2 Injekionen
nicht besond.
gut vertragen 1
15./V.
Tabelle IV.
Wilhelmine H., 39 Jahre alt, Schuhmachers Ehefrau.
Arbeitsfreude
St. idem
1 Flasche er¬
halten per os
i
1
1 28./III. '
41/1V.
Puls
’ 120
112
Struma
38
33
Exophthalmus
gering
]
Graefe
4-
r St. idem
Moebius
Stellwag
1 —
)
Psyche
sehr erregt,
unruhig
St idem
Marie
+
noch stärser
Hyperidrosis
4-
4-
Diarrhoe
+ 8—9 X tgl.
+ 10 X tgl.
Appetit
mäßig
1
Schlaf
schlecht
1 St. idem
Menses
, sehr stark
1
Trockenheit i. Munde
! +
+
Polydipsie
1 +
+
Polyurie
! +
U-
1
Ernährungszustand
' früher 118,
jetzt 95 Pfd.
Besondere Berner-
Il
klingen j
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»./V. j
19./V.
18./VI.
120
116
132
83 i
32,5
|
33
St. idem
!
St. idem
, deutlicher
Exophth.
etwas ruhiger
sehr unruhig
stärker
stärker ;
besser
8—10 x tgl. !
> St. idem
* St. idem j
1
|
1
Herzklopfen
besser; sonst
alles beim
alten
keine Gew.-
zunahme
Erhielt im
ganzen fünf
Flaschen äl 0,0
1 Monat lang
ohne jede
Therapie ge¬
wesen
tftiginal frcm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
210 —
Von der Aufführung zweier nachbehandelter Fälle, die einen fast analogen
Verlauf während der Verabreichung des Serums (per os jeden 2. Tag 1 Teelöffel
in Himbeersaft) bieten, dürfte hier wohl abgesehen werden können.
Vergleichen wir die behandelten Fälle hinsichtlich ihrer Reaktion auf das
genommene Serum, so ist zanächst hervorzuheben, daß die 3 Kardinalsymptome
des Leidens — Tacbycardie, Struma und Exophthalmus — in sichtbarer ein¬
schneidender Weise und dauernd von dem Medikament nicht beeinflußt worden
sind. In einem Fall zeigt der Puls wohl einen Rückgang von 152 auf 112
(vgl. Fall II), doch steigt er am Ende der Behandlung wieder auf 128 an, um
nach Aussetzen der Behandlung wieder die alte Höbe zu erreichen. Vorüber¬
gehende Rückgänge in der Frequenz, die auch bei jeder anderen Therapie
häufig zur Beobachtung gelangen, können als bedeutungslos füglich übergangen
werden.
Das Struma bleibt im ganzen auf der Höhe der anfänglichen Cirkumferenz,
wenn man ein Rückgehen um 1 cm (aber nur während, nicht nach der Be¬
handlung) nicht weiter in Betracht zieht. Eine Veränderung in der Konsistenz
des Kropfes zum Bessern konnte ich nicht konstatieren, nur in einem Fall fühlte
sich die zuvor sehr harte Schilddrüse nach einiger Zeit weicher an.
Der Exophthalmus und die 3 Augenphänomene wurden objektiv in keinem
meiner Fälle günstig beinflußt.
Die vegetativen Funktionen zeigten ein schwankendes Verhalten, bald eine
sogar recht erhebliche Besserung, bald wieder eine Verschlimmerung, wie bei
jeder anderen Medikation in gleicher Weise auch. Nur die Diarrhöe und die
Hyperidroeis schienen mir häufiger direkt auf das Medikament zurückzugehen,
als es sonst der Fall zu sein pflegte.
Günstig beeinflußt wurde in allen Fällen die Psyche der Kranken, welche
sämtlich auf Befragen angaben, sich „ruhiger, weniger erregt, zufriedener,
glücklicher“ usw. zu fühlen.
Auch das Zittern schien, abgesehen von einem Falle, nachzulassen, während
ich ein völliges Verschwinden dieses Symptoms nicht habe beobachten können.
Die Schlaflosigkeit schien sich zeitweise erheblich zu bessern; diese Besserung
hielt jedoch beim Aussetzen des Medikamentes nicht weiter an.
Eine irgendwie auffallende Tendenz zur Zunahme an Körpergewicht bei
bestehender Macies vermochte ich nicht festzustellen.
Während ich also — im Gegensatz zu der Mehrzahl der Autoren, die sich
mit dieser Materie befaßt haben — eine irgendwie nennenswerte Einwirkung auf
die objektiven Krankkeitszeichen im ganzen keineswegs habe nachweisen können,
muß eine Besserung des psychischen Zustandes, der subjektiven Erscheinungen
überhaupt, so insbesondere eine Beruhigung der Herztätigkeit, durchgängig zu¬
gegeben werden.
Wie verhält es sich nun aber mit der Bewertung des Zustandekommens des
Effektes? Und haben wir es, selbst den Rückgang organischer Symptome bei
den von anderen Autoren beobachteten Fällen zugegeben, wirklich mit einer
„spezifischen Wirkung des Antithyreoidins“ zu tun?
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
211
Bevor ich auf eine Erörterung dieser problematischen Fragen eingehe, sei
es mir gestattet, zum besseren Verständnis hier eines interessanteren Krankheits¬
falles Erwähnung zu tun.
Lange, bevor ich meine Versuche mit dem Antithyreoidin-Serum begonnen,
batte ich auf der weiblichen Abteilung der Poliklinik eine 21jährige Patientin
aufgenommen, die in wahrhaft klassischer Weise den gesamten Symptomen-
komplex des BASEDOw’schen Krankheitsbildes darbot. Die Kranke war der
Typus eines instruktiven Schulfalles, so daß Herr Prof. Mendel auch die Ge¬
legenheit wahrnahm, die Patientin den Hörern seines Kollegs vorzustellen.
Neben den organischen Symptomen ließ auch der Seelenzustand der jungen
Dame eine abnorme Erregtheit und Reizbarkeit unschwer erkennen. Sie machte
einen geradezu auffallend hastigen, vergeßlichen, zerstreut unruhigen und scheu
verlegenen Eindruck, wie er besonders im Gesichtsausdruck und in dem ganzen
Auftreten deutlich zutage trat Ihre Angaben waren widerspruchsvoll, zum Teil
ausweichend; ein unglückliches Liebesverhältnis wurde konzediert, das sie für
den derzeitigen Zustand ihrer Psyche verantwortlich machte.
Als ich nun seinerzeit die hier beschriebenen Versuche vornahm, entsanu
ich mich sofort dieser Patientin, um an ihr, als an einem einwandsfreieu
Basedow-Falle die „spezifische Kraft des Möbius ’schen Medikamentes“ zu er¬
proben. So ersuchte ich sie denn schriftlich um eine Vorstellung in der Poli¬
klinik, nachdem sie sich V 2 Jahr der Beobachtung entzogen hatte.
Doch wie groß war mein Erstaunen, als sie sich eines Tages in völlig ver¬
ändertem Zustande, bei weitem ruhiger und gesetzter, glückstrahlend und bei
frischestem Aussehen wieder vorstellte. Der früher selbst dem Laien in die
Augen fallende Exophthalmus und der dicke Hals waren erheblich (wie auch
eine vorgenommene Messung ergab) zurückgegangen. Herzklopfen sehr gebessert,
auch das Zittern hatte nachgelassen. Schon dachte ich daran, daß sie von
anderer Seite einer spezifischen Behandlung unterzogen worden wäre; doch dem
war nicht so, des Rätsels Lösung eine viel natürlichere: ein von ihr herbei¬
gesehntes, nun zur Tat gewordenes Verlöbnis unter sehr günstigen Bedingungen
hatte dieses Wunder bewirkt. Medikamente batte sie nicht genommen und
wollte es auch jetzt nicht wieder tun.
Dieser Fall redet Bände und bedarf keines weiteren Kommentars; daß er
nicht gerade vereinzelt dasteht, weiß jeder beschäftigte Arzt.
Was ich also bei meinen Versuchen trotz eifrigen Bestrebens nicht habe
voll und ganz konstatieren können, was andere Beobachter zwar gesehen haben,
nämlich den Rückgang auch objektiver Krankheitssymptome, hier geschah das¬
selbe Phänomen spontan unter dem Einflüsse der Autosuggestion, oder wie mau
sonst jenes unbekannte wirksame Agens bezeichnen mag.
Wenn es schon an und für sich schwierig ist, die Beziehungen eines
chemischen' Produktes und dessen Wirkungsweise auf dazu noch funktionelle
Krankheitserscheinungen näher zu erörtern, weil eben jeder objektive Maßstab zur
kritisch therapeutischen Bewertung fehlt, so scheint mir dies noch besonders der Fall
bei diesem so wechselreichen,an nervösen Beschwerden so überreichenKrankheitsbilde.
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Gougle
14 * i 'il frcn
UNIVER5ITY OF CALIFORNIA
212
Man muß sich ehrlich gestehen, daß man zumal bei derartigen Experimenten
vielfach im Nebel wandelt; die Eigenart der Basedow-Kranken bezüglich ihres
Status nervosus macht es oft unmöglich, die physikalisch-chemische Beinflussung
von einer, wenn auch unbeabsichtigten, psychischen, d. h. Suggestion genau zu
unterscheiden; doch theoretische Erwägungen bei diesem genial erdachten Mittel
und die vielen immerhin günstigen Berichte waren zum Experimentieren sehr
verlockend und werden es sicherlich auch noch sein.
Soviel scheint mir jedoch schon jetzt sicher zu stehen, — wenn ich mir auch
ein definitives Urteil in dieser Frage nicht gestatten möchte —, im ersten
Enthusiasmus sind wohl die meisten der Lobeserhebungen zu weit gegangen;
und bei der Kompliziertheit der in solohen Fällen mitepielenden Faktoren ist
eine irrige Deutung, insbesondere eine Verwechslung im Sinne des post hoc,
ergo propter hoc ja nur zu leicht möglich.
Inwieweit nun bei der Beurteilung der Wirkungsweise des Basedow-Serum
die direkte chemische Beinflussung des kranken Organismus, die an und für sich
erweckte Suggestion — die eigentlich ganz nie von der Hand zu weisen ist —
oder eine gerade besonders günstige Disposition des Menschen zum Erfolge ver¬
halt, dies mit Sicherheit zu entscheiden, dürfte ein Dilemma sein, über das man
sobald nicht hinwegkommen wird. Ganz richtig sagt auch u. a. Hempel , 1 daß
das subjektive Moment bei der Behandlung nicht anszuschalten sein dürfte,
wenn es sich nicht gerade um Patienten handelt, die, wie im Falle Schultes,*
in vollständig verworrenem Zustande in die Behandlung treten.
Ob, nach der bisher vorliegenden Literatur zu urteilen, die Bekämpfung
der Basedow ’schen Krankheit mit Präparaten, die von entkröpften Tieren
stammen, den richtigen Weg beschritten hat, oder ob es sich hierbei um eine
vorübergehende Suggestion von Ärzten und Patienten handelt, wage ich zwar
noch nicht endgültig zu entscheiden, wenn ich auch nach den von mir ge¬
wonnenen Resultaten mich eher der letzteren Anschauung zuneigen möchte.
Daß die von anderer Seite beobachteten zum Teil überraschend günstigen
Erfolge, die einwandsfreie Autoren uns schildern, möglich waren, ja auch
sicherlich jederzeit sich werden erzielen lassen, dürfte wohl als sicher hin¬
zustellen sein.
Aber, wenn wir, wie z. B. in dem zuletzt geschilderten Falle, im Anschluß
an begünstigende Gemütserregungen und schließlich auch im Gefolge einer
jeden anderen Therapie die nämlichen Erfolge erreichen können, so vermag ich
eine spezifische Wirkung gerade dieses Medikamentes nicht einzusehen. Eine
Klärung der umstrittenen ätiologischen Frage ex juvantibus wäre also zurzeit
leider noch nicht gegeben.
Da eine dauernde definitive Heilwirkung auch von den wärmsten Befür¬
wortern des Mittels nicht hat konstatiert werden können, somit eine über
1 Ein Beitrag zur Behandlung des Morbus Basedowii mit Antithyreoidin. Aus der
Unviversitatg-Poliklinik für Hals-, Nasen* und Ohrenkrankbeiten von Prof. Obtmamn in
Marburg. Münchener med. Wocbenschr. 1906. Nr. 1.
* Münchener med. Wocbenschr. 1902. Nr. 20.
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Gck igle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
213
Monate, ja Jahre sich erstreckende Behandlungsdaner notwendig sein dürfte,
so sei — nnd dies erscheint mir durchaus nicht so unwichtig, schon Möbius
hat 1901 darauf hingewiesen — auf die enorme Höhe des Preises (10 ccm
kosten 6 Mark) aufmerksam gemaoht, der selbst bei Bemittelten eine depri¬
mierende ßeaktion möglicherweise hervorrufen könnte.
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß Störungen durch Verabreichung des
Basedow-Serums nicht vorgekommen sind; nur die subkutane Injektion wurde,
wie Möbiu8 1 bereits beobachtet, nicht gut vertragen. Übrigens hatte schon
Möbius selbst seinerzeit aus seinem Zweifel .keinen Hehl gemacht, indem er
an einer Stelle ausruft: „Ob eine Heilung zu erreichen sei? Ich halte es für
zweifelhaft“, ein Ausspruch, den ich übrigens in der gesamten nachfolgenden
Literatur an keiner Stelle vorfand.
Irgendwelche idiosynkrasische Reaktionen kamen bei meinen Kranken nicht
vor; auch bei vorübergehenden Magen-Darmstörungen wurde das Mittel gut ver¬
tragen. Eine Beeinträchtigung des Appetits konnte ich auch nie konstatieren.
Da somit das vornehmste Postulat pharmakologischer Denkungsweise,
„primum est nihil nocere“ nicht überschritten wird, und immerhin einige Er¬
folge vorhanden sind, so kann behufs weiterer Sicherstellung der nun einmal
angeregten Frage — ob nun in positivem oder negativem Sinne — zu weiteren
Versuchen nur angeraten werden.
n. Referate.
A natomie.
1) Eine Methode sur Bestimmung des 8ohftdellnhaltes und Hirngewiohtes
am Lebenden, von Beck. (Zeitschr. f. Morphologie u. Anthropologie. X.)
Bef.: Max Bielschowsky (Berlin).
Verf. gibt eine ausführliche Darstellung der von Bieg er angegebenen Methode
der „Kephalographie“, durch welche eine annähernd genaue Bestimmung des Hirn¬
gewichtes am lebenden Menschen ermöglicht wird.
Die Methode beruht auf einer graphischen Darstellung bestimmter durch den
Hirnschädel gelegter Ebenen. Mit Hilfe eines Bingbandes werden zunächst zwei
Horizontalebenen fixiert, von denen die erste über die beiden oberen Augenhöhlen¬
ränder und die Protuberantia occipitalis externa, während die zweite 3 cm höher
genau parallel zu jener verläuft. Ferner werden die größte Sagittalebene und drei
Frontalebenen bestimmt, deren Fußpunkte in der unteren Horizontalebene an leicht
auffindbaren, stereotypen Orten liegen. Mit einem Planimeter läßt sich der
Flächeninhalt dieser sechB Ebenen leicht in Quadratzentimetern ausdrücken. Die
Summe der Quadratzentimeter mit 1,5 multipliziert ergibt, wie auf empirischem
Wege aus dem Vergleich zahlreicher Kephalogramme mit dem faktischen bei der
Sektion bestimmten Rauminhalt der Schädelhöhlen gefunden wurde, den mutma߬
lichen Schädelinhalt in Kubikzentimetern. Aus dem mutmaßlichen Inhalt erhält
man die Grammzahl des Hirngewichtes dadurch, daß man 10°/ 0 von dessen Kubik¬
zentimeterzahl abzieht.
In mehreren Tabellen vergleicht Verf. deii Kopfumfang mit dem Schädel-
1 Ober das Antithyreoidin. Münchener med. Wochenschr. 1908. Nr. 4 n. Mitteilungen
auf der Versammlung mitteldeutscher Neurologen in Jena 1901 . Schmidts Jahrbücher der
ges. Medizin. CCLXXIll. S. 45.
Digitized b'
■v Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
214
inhalt (Hirngewicht) und er glaubt aus seinen Zahlen folgende Schlösse ziehen
zu können:
1. Bei einer Zunahme des Kopfumfanges um 10 mm wächst der mittlere
Schädelinhalt um 45 cbcra, das entsprechende Hirngewicht um 40 g.
2. Derselbe Schädelinhalt und entsprechend dasselbe Hirngewicht kann sich
in Köpfen finden, die hinsichtlich ihres Umfanges eine Differenz bis zu 40 mm
aufweisen können.
3. Bei demselben Kopfumfange kann der Schädelinhalt um löOcbcm, das
Hirngewicht um 135 g schwanken. Ein Schluß aus dem Kopfumfange allein auf
das Hirngewicht ist nur möglich mit einer Fehlerquelle von 5 bis 6 °/ 0 . Um
genauere Zahlen zu gewinnen, bedarf es nicht nur der Kenntnis einer Ebene,
sondern deren mehrerer, und för diesen Zweck empfiehlt es sich, nicht aus dem
Umfange, sondern mittels der Kephalographie den Schädelinhalt zu bestimmen.
Physiologie.
2) Über die Funktionen des Kleinhirns, von Hermann Munk. II.Mitteilung.
(Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. II. 1907.) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. berichtet des weiteren über seine Versuche an kleinhirnlosen Tieren
(vgl. d. Centr. 1906. S. 611) und wendet zunächst seine Aufmerksamkeit dem
erschwerten und ungeschickten Gehen als Folge des Kleinhirnverlustes zu. Dieser
Gang ist hüpfend, sprungartig und darin begründet, daß durch die Kleinhirn»
exstirpation die Art der Gleichgewichtserhaltnng verloren gegangen ist, die beim
normalen Geben mit den normalen Gehbewegungen der Extremitäten verknüpft ist.
Neben dem erschwerten Gehen fällt bei kleinhirnlosen Affen bzw. Hunden
noch auf ein ungeschicktes Greifen, eine Schlaffheit der Extremitäten, die den
passiven Bewegungen geringeren Widerstand entgegensetzen als in der Norm,
sowie das Belassen von Wirbelsäule und Extremitäten in einigen unnatürlichen
Lagen. Mit letzterer Erscheinung befaßt sich Verf. des näheren. Er erklärt sie
so, daß er als eine Funktion des Kleinhirns eine Tonuswirkung ansieht, welche
sich auf den Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten beschränkt und nur aus¬
schließlich in der Tiefen Sensibilität (nicht in der Hautsensibilität) ihre Quelle
hat. Diese Funktion ist allerdings keine spezifische Funktion des Kleinhirns (wie
die feinere Gleichgewichtserhaltung), sondern kommt auch dem Großhirn, dem
Rückenmark, den Prinzipalcentren, den Markcentren zu. Infolge der durch
Kleinhirn Verlust bedingten Schädigung der Tiefensensibilität (d. h.
der Sensibilität der Muskeln, Sehnen, Gelenke, Knochen) werden abnorme Lagen
der Extremität, die mit abnormen sensiblen Erregungen hauptsächlich von den
Muskeln, Sehnen usw. und nur wenig von der Haut her verbunden sind, bei¬
behalten, wie z. B. das freie Herabhängen der Extremität jenseits des Tischrandee
an dem auf dem Tisch stehenden Hunde (diese Lage wird vom kleinhirnlosen
Hunde nicht korrigiert!).
3) Further observations upon the funotions of the thyreoid and para-
thyreoid glands, by Swale Vincent and W. A. Jolly. (Joum. of Physiol.
XXXIV. Nr. 4 u. 5.) Ref.: Blum (Nikolassee-Berlin).
Die Verff. haben schon in einer früheren Arbeit die Ergebnisse ihrer Unter¬
suchungen der Funktion der Schild- und Nebenschilddrüse niedergelegt (vgl. d.
Centr. 1905. S. 764).
Die vorliegende Abhandlung bestätigt noch einmal die damals gemachten
Erfahrungen. Hinzuzufügen wäre nur, daß die Verff. diesmal ihre Untersuchungen
auch auf den amerikanischen Dachs ausdehnten und fanden, daß auch bei diesem,
einem ausgesprochenen fleischfressenden Tier, die Entfernung der Schild- und
Nebenschilddrüse gar keinen Einfluß ausübte.
Digitized by Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
215
4) La rata du ohien apres l’ablation oomplete de l'appareil thyreo-para-
thyreoidien, parV.Massenti. (Arch.it&LdeBioL XLV. 1906.) Ref.: H.Levi.
Yerf. hat bei einer größeren Anzahl von Hunden, bei welchen vollständige
Entfernung der Schilddrüsen und Nebenschilddrüsen vorgenommen worden war,
die Milz einer genaueren Untersuchung unterworfen. Er kommt zu dem Schluß,
daß beim Hund nach dieser Operation konstant in der Milz eine sklerotische
Bindegewebswuoherung auftritt, die um so stärker ist, je länger das Tier die
Operation überlebt Zugleich tritt eine Atrophie des Organes ein. Von einem
vikariierenden Eintreten der Milz für die ausfallende Schilddrüse könne demnach
keine Rede sein.
5) Giandoles parathyroidiennes et eonvulsions, par Alquier. (Gazette des
höpitaux. 1906. S. 1627.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf, der selbst auf dem Gebiete der Parathyroidektomie gearbeitet hat
(vgl. auch die Inaug.-Dissertation des Verf.’s: Pathogenie de la maladie de Par¬
kinson, Paris 1903), liefert unter eingehender Würdigung der Literatur — speziell
die schönen Arbeiten der Wiener Schule von Biedl, Erdheim, Pineies u. a.
sind genau berücksichtigt — ein klares vollständiges Bild von dem gegenwärtigen
Stande unseres Wissens über die Funktion der Nebenschilddrüsen. Wer immer
sich rasch über diese Frage orientieren will, wird dem Yerf. nur vollen Dank
zollen können. Der Wert dieses gründlichen Sammelreferates wird dadurch noch
erhöht, daß Yerf. gelegentlich auch die Ergebnisse eigener Experimente einflicht.
Bemerkenswert z. B. ist folgender Versuch: Bei einer Hündin, an welcher die
Thyreoparathyroidektomia completa praktiziert hätte werden sollen, war, wie
die Obduktion zeigte, eine Nebenschilddrüse dem Messer des Experimentators ent¬
gangen. Das Tier hatte sich nach dem Eingriffe vollständig erholt, ging aber
3 Monate später, als es trächtig wurde, unter eklamptischen Erscheinungen zu-
gründe. Bei der Nekropeie erwies sich die eine Nebenschilddrüse deutlich hyper¬
trophisch. Yerf. gibt auch an, daß er selbst niemals die klassischen Erscheinungen
der Parathyroidektomie bei Tieren vermißt habe, an welchen die Operation (veri¬
fiziert durch histologische Untersuchung) als tatsächlich gelungen bezeichnet werden
konnte. Die Symptome traten stets innerhalb des 3.—5. Tages auf.
Psychologie.
6) The dissooiation of a personality. A biographleal study in abnormal
psyohology, by Morton Prinoe. (New York 1906, Longmans, Green and
Comp 570 S.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Das umfangreiche Buch behandelt die Geschichte eines einzigen Falles und
stellt die ausführliche Bearbeitung einer 1901 veröffentlichten (vgl. Ref. in diesem
Centr. 1902. S. 612) kurzen Studie dar. Es handelt Bich um eine Yerschwisterung
von drei Personen in einem Körper, die durch hypnotische Beeinflussung noch
weiter vermehrt wurden. Die junge Amerikanerin, der Gegenstand jahrelanger
mühsamer Behandlung und scharfsinnigen Studiums des Verf.’s, war durch die
drei verschiedenen Persönlichkeiten, die sie beherbergte, in einen Zustand gänz¬
licher Anarchie geraten; niemand, auch sie selbst wußte nicht mehr, welches ihr
eigentliches Ich sei. Sie wurde geheilt dadurch, daß es ihrem Arzte gelang, eine
vierte Persönlichkeit in ihr zur Entfaltung zu bringen, die die früheren sämtlich
ersetzte und sich als die wirkliche, bis dahin nicht vorhanden gewesene Miß
Beauchamp herausstellte. Das Buch liest sich wie ein spannender Roman und
gibt Szenen von einer Kompliziertheit der Situationen, Verwicklungen, psycho¬
logischen Überraschungen und Enttäuschungen, wie sie die Phantasie eines
Novellisten nicht fesselnder erfinden könnte.
Die ernste, zurückhaltende, fromme, strebsame Miß Beauchamp (B. I) begab
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sich wegen verschiedener nenrasthenischer Beschwerden in Behandlung. Hypno¬
tisiert (B. II), zeigte sie anfangs nur ein weiter ausgedehntes Gedächtnis als B. I,
bald aber enthüllte sich eine B. III, die in jeder Beziehung das Gegenteil von
B. I darstellte: ein widerspenstiger, ungezogener, boshafter und leichtsinniger
Charakter, der sich den Namen Sally beilegte, von B. I nur mit dem Ausdrucke
der Verachtung und der Mißbilligung sprach, ihr allerhand Streiche spielte und
sich zu einer echten zweiten Persönlichkeit auswuchs, die zwar alle Gedanken
von B. I kannte, daneben aber ihr eigenes Bewußtseins- und Erinnerungsfeld
hatte. Nach längerer Zeit tauchte im Anschlüsse an eine starke Gemütsbewegung
plötzlich spontan noch eine B. IV auf, die als Charakter ungefähr zwisohen B. 1
und Sally stand, mehr weibliche oder besser mädchenhafte Züge aufwies, in ihrem
Erinnerungskreise zwar die ganze Kindheit und Jugend beherrschte, aber am¬
nestisch war für die letzten 6 Jahre ihres Lebens, von dem Moment eines anderen
Erlebnisses an, das auf ihre Psyche stark eingewirkt hatte. Oie Vermutung, daß
diese B. IV die eigentliche Miß Beauchamp sei, konnte aber, obwohl manches
dafür sprach, nicht aufrecht erhalten werden, und es begann nun die „Suche
nach der echten Miß Beauchamp“, deren Schilderung den ganzen zweiten Teil
des Werkes ausmacht, und bei der die seltsamsten Überraschungen, Schwierig¬
keiten, Verwechslungen usw. eintraten, die sich im einzelnen hier nicht wieder¬
geben lassen. Die verschiedenen Ichs mit ihren verschiedenen Erinnerungen lösten
einander oft in tollem Wechsel ab und brachten die Kranke in die schwierigsten
Lagen. Manche Spur, die auf das echte Ich hinzuweisen schien, mußte als falsch
wieder verlassen werden, mancher psychische Synthesenversuch mißlang, bis
es schließlich Verf. doch gelang, mit Hilfe durch Narkose unterstützter Hypnosen
und Kombinationen von zielbewußten Suggestionen, B. zustande zu bringen, die,
von allen vorherigen B. I, B. II usw. ein Stück besitzend, doch keine von all
diesen ganz ist und nur durch Aufopferung und Auslöschung aller — eine Art
psychologischen Mordes — zu gewinnen war. Ein Beweis für die Bichtigkeit der
gefundenen Persönlichkeit ist, daß sie seit über 1 / ] Jahr konstant da ist, ganz im
Gegensatz zu dem fast unterbrochenen Wechsel der früheren Jahre, und daß sie
ohne Mühe sich in ihre Umgebung findet und mit den Verhältnissen der Außen¬
welt fertig wird, im Gegensatz zu den fortwährenden Konflikten, denen die Teil-
Persönlichkeiten auBgesetzt waren. B. ist nicht mehr neurasthenisch, nicht mehr
suggestibel, nicht mehr launisch oder wankelmütigen Temperaments, sondern trägt
den Stempel der harmonischen Einheitlichkeit und Stetigkeit, der das Merkmal
geistiger Gesundheit ist. Außer der höchst interessanten Krankengeschichte —
es ist wohl noch niemals ein Fall mit dieser Gründlichkeit beobachtet und Aus¬
führlichkeit dargestellt worden — gibt Verf. bei vielen Gelegenheiten und an die
Einzelheiten des Falles anknüpfend Betrachtungen über Halluzinationen, Bewe¬
gungsautomatismen, Amnesien, die Psychologie der Besessenheit, der plötzlichen
Bekehrungen und zahlreiche andere Tatsachen des Bewußtsei ns-Lebens, auf die
durch den Fall der Miß Beauchamp interessante Lichter fallen. Das Ganze, das
als ein Markstein in der psychologischen Literatur bezeichnet werden kann, ist,
wie Verf. zum Schluß angibt, nur die Vorarbeit für ein größeres Werk, in dem
die Psychopathologie als Ganzes behandelt werden soll und den Grenzen des
Unterbewußten, diesem wichtigsten Probleme der gegenwärtigen Psychologie, noch
weitere Untersuchungen gewidmet werden sollen.
Pathologie des Nervensystems.
7) Die ätiologisohe Rolle des Vaaomotorenoentrums bei Herzneurosen,
Morbus Basedowii und Angioneurosen der Haut, von B. Polland. Aus
der Grazer dermatolog. Klinik. (Centralbl. f. innere Medizin. 1907. Nr. 2.)
Bef.: Kurt Mendel.
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Verf. kommt auf Grund seiner Beobachtungen zu folgenden Schlußsätzen:
1. Es gibt eine Gruppe von meist chronischen Erkrankungen, deren Sym¬
ptome eine vorwiegende Beteiligung des Gefäß- bzw. Gefäßnervensystems erkennen
lassen. Hierher gehören: die Herzneurosen, die paroxysmale Tachykardie, Morbus
Basedowii, die Angioneurosen der Haut usw.
2. Die Ursaohe dieser Erkrankungen ist eine abnorm gesteigerte Erregbar¬
keit des Vasomotorencentrums in der Medulla oblongata.
3. Das Zustandekommen der Herz- und Gefäßerscheinungen erfolgt auf dem
Wege eines Reflexes, der sowohl durch periphere wie centrale (Gehirn-)Reize aus¬
gelöst werden kann.
4. Dazu ist ferner eine Sensibilisierung der Reflexbahnen notwendig; die
Reflexvorgänge können (wahrscheinlich infolge hemmender Einflüsse seitens des
Gehirns) nnter Umständen erst nach Ablauf einer gewissen Zeit aufitreten (Spät¬
reflexe) und sind nioht streng an den Ort des Reizes gebunden.
8) Zur Pathologie der Basedowsohen Krankheit; Basedowsohe Krankheit
und Halsrippen; Basedowsohe Krankheit bei Eheleuten, von M. Bern¬
hardt. (Berliner klin. Wooh. 1906. Nr. 27.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Im ersten Falle handelt es sich um eine 27 Jahre alte, 5 Jahr verheiratete
Frau, nach deren erster schwerer Entbindung eine Schwellung des Halses auftrat,
aber sich wieder besserte. Nach 2 Jahren bemerkte sie im Anschluß an eine
Gebärmuttervorfalloperation eine erneute Anschwellung. Die Schilddrüse ist ver¬
größert, Halsumfaag vermehrt, Puls 132 pro Minute, Herzdämpfung deutlich nach
rechts verbreitert, auf dem Manubrium sterni ist gleichfalls eine Dämpfung nach¬
weisbar. Gräfe, Stellwag, Moebius positiv. Leichtes Schwitzen, ausgeprägter Tremor
der Hände. Beim Abtasten der Schlüsselbeingruben fanden sich rechte und links
vom untersten Halswirbel ziemlich Bteil absteigende, bis unter die Clavicula
reichende harte Knochenleisten, die auch auf dem Röntgen-Bilde als doppelseitige
Halsrippen anzusprechen waren. Herztöne rein, keine Lähmungen oder Atrophien
der kleinen Handmuskeln.
Wenn auch Verf. keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Basedow und
Halsrippen anzunehmen geneigt ist, so verdient doch nach den Auffassungen von
Oppenheim und Marburg, die in der Anwesenheit von Halsrippen bei Syringo¬
myelie ein Degenerationszeichen sehen, dieser Fall weitere Beachtung.
Der zweite Fall zeigt neben Vergrößerung der Schilddrüse einen geringen
Exophthalmus, positiven Gräfe, Stellwag und Moebius, frequenten Puls. Herz¬
verbreiterung, Tremor der Hände; außerdem finden sich tabische Symptome:
ataktische Gehstörungen, Störungen der Blasentätigkeit, Fehlen der Patellar- und
Achillessehnenreflexe, Abschwächung der Schmerzempfindung an den unteren Extre¬
mitäten , verspätete Sohmerzleitung, Romberg, Ungleichheit der Pupillen, bei er¬
haltener Reaktion. Lues wird negirt.
Interessant ist, daß auch die Frau des Patienten, 32 Jahre alt, seit 2 Jahren
deutliche Basedow-Erscheinungen darbietet.
Verf. hält es für möglioh, daß dieselben Ursachen, Überanstrengungen und
Sorgen, bei Eheleuten das Entstehen derselben Affektion veranlaßt haben können.
9) Zur Pathologie der Sklerodermie und des Morbus Basedowii, von Korn¬
feld. (Wiener med. Presse. 1906. Nr. 14 u. 15.) Ref.: Pilcz (Wien).
31jährige, nicht belastete Frau. Beginn des Leidens vor etwa einem Jahre.
Patientin bemerkte, daß sie in den Fingerspitzen auffallend leicht fror, und daß
dieselben sich violett verfärbten unter Gefühl von Taubsein und Kribbeln. Im
Verlaufe der folgenden 2 Monate werden die Finger blaß und starr, die Haut
wurde verdickt, hart, glänzend, Beweglichkeitseinschränkung stellte sich ein;
heftige Schmerzen in den Knien und Fingern, erhöhte Reizbarkeit, Weinerlich¬
keit, die Augen traten mehr hervor. Binnen weniger Wochen entwickelte sich
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das typische Bild der Sklerodermie an den oberen Gliedmaßen bis zur Oberarm¬
mitte, an der Brost und im Gesichte. An Hals, Bauch, untere Extremitäten
normale Haut.
Stat. praes.: Hämoglobin 56. 3 s / 4 Millionen Erythrocyten. Thyreoidea
nicht vergrößert, doch fühlt man einen klein-nußgroßen Knoten in derselben.
Starrer Blick. Stellwag +, Gräfe 0. Einschränkung der Konvergenz sehr deut¬
lich (Refraktion unverändert). Links Otosklerose. Sehnenreflexe gesteigert (r. > L).
Sensibilität im allgemeinen intakt. An den sklerodermisohen Partien abgestumpfte
Tastempfindung, daselbst wird lau alB heiß empfunden, kalt nicht perzipiert. Puls
ss 100 bis 130, bei leichter Anstreugung schon bis 150. Arteriosklerose 0.
Universelles Kältegefühl, Kopfschmerzen und quälende Schmerzen in beiden Knie¬
gelenken.
Innerhalb von 10 Monaten Gewichtsabnahme um 12 kg. An den Fingern
häufig anscheinend Bpontan entstehende höchst torpide Geschwüreben.
Massage und Thyreoideatabletten (bis 2 Stück pro die), Salol und Pyramidon
brachten wesentliche Besserung. Verf. will später auch therapeutische Versuche
mit Thymustabletten und Möb'iusBchem Antithyreoidserum anstellen.
Im zweiten Teile will Verf., unter Heranziehung der Literatur, Beziehungen
zwischen der Sklerodermie und dem Morbus Basedowii finden.
10) Über den Zusammenhang von Sklerodermie mit Morbus Basedowii,
von Freund. (Wiener klin, Rundschau. 1906. Nr. 35.) Ref.: Pilcz (Wien).
39jährige, nicht belastete Frau. Beginn des Leidens mit Gelenkschmerzen,
dann eigenartige Härte und Braunfärbung der Haut. Gleichzeitig Anfälle von
Herzklopfen, Anschwellung der Schilddrüse. Gelegentlich Durchfälle.
Stat. praes.: Starke Abmagerung. Haut des Gesichtes und besonders der
Unterarme bronzefarben, ohne Verdickung. Muskulatur der Lippen atrophisch,
Pfeifen unmöglich. Stellwag 0, Gräfe 0, Moebius 0. Puls 88. Arme in Supi¬
nationsstellung fixiert, Haut an Unterarmen straff gespannt. Weiche Struma, über
welcher Schwirren zu hören ist. Herz von normaler Größe mit systolischem Geräusche
an der Spitze. Muskulatur der oberen Extremitäten stark atrophisch. Schweiße
an den nicht von der Sklerodermie befallenen Hautpartien. Lokale Anschwellung
der Halsdrüsen.
Urin hochgestellt, Rosenbachsche Reaktion positiv. HarnstoffauBscheidung
im Mittel geringer als die von Kocher bei Basedow gefundenen Zahlen.
Auffällige Besserung nach Phosphormedikation.
Verf. glaubt auch seinen Fall als Stütze für die Leubesche Theorie vom
Zusammenhang der Sklerodermie mit dem Morbus Basedowii auffassen zu können.
11) Über die Basedowsohe Krankheit, von Ha&kovec. (Wiener med. Presse.
1906. Nr. 49.) Ref.: Pilcz (Wien).
Dem Artikel liegt ein auf dem XV. internationalen Kongresse für innere
Medizin in Lissabon erstattetes Referat des Verf.’s zugrunde.
Aus den 8 Thesen des Verfi’s seien hier speziell angeführt:
2. Die Lehre von der thyreogenen Entstehung der Basedowsohen Krank¬
heit läßt sich bis jetzt durch keine bessere ersetzen.
4. Die Versuche des Verf.’s haben gezeigt, daß der Thyreoideasaft, in den
Kreislauf gebracht, Tachykardie durch Reizung der Acceleransfasern und Herab¬
setzung des Blutdruckes durch direkte Schädigung des Herzens, zum Teil durch
Vasodilatatorenwirkung auch außerhalb des Splanchnikusgebietes erzeugt.
7. An der Entstehung des Basedowschen Exophthalmus sind mit größter
Wahrscheinlichkeit mehrere Faktoren beteiligt, Dilatation der retrobulbären Ge¬
fäße, stärkere Transsudation in der Orbita uud vielleicht auch stärkere intra¬
kranielle Transsudation. Als unterstützend können Erschlaffung der Augen-
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muskeln, sowie auch eventuell eine reichlichere Ablagerung des retrobulbären
Fettgewebes in Betracht kommen.
Von größter Bedeutung sind dabei bestimmte lokale Bedingungen seitens des
Scbädelinnern und der Kommunikation mit der Augenhöhle. Aus einer Ver¬
schiedenheit dieser lokalen Bedingungen und unter Berücksichtigung des Umstandes,
daß beide Hemisphären in ihrer (Zirkulation eine gewisse Unabhängigkeit haben,
erklärt sich die Erscheinung des einseitigen Exophthalmus beim Basedow (vgl. dos
folgende Referat).
12) Der Exophthalmus bei der Basedowschen Krankheit, von Haökovec.
(UV jener klin. Rundschau. 1906. Nr. 39—42.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf. gibt zunächst einen Überblick über die bisherigen Anschauungen be¬
treffe der Genese des Exophthalmus.
Verf. erinnert des weiteren an den mächtigen Herzstoß, an die Dilatation
und Pulsation der Kopfgefäße, an die Hyperhidrosis; der Bulbus kann bei der
Protrusio zurückgedrängt werden, der Exophthalmus variiert mit dem Grade der
Tachykardie. Die pathologische Anatomie zeigt Kongestiverscheinungen im (Zentral¬
nervensysteme (in einem vom Verf. beobachteten Fall bestand auch Hydrocephalus
internus). Das Verhalten des Blutdruckes ist sehr wechselnd. Verf. bringt fol¬
gende Krankengeschichten:
I. 42jährige belastete Frau, seit 2 Jahren Menopause. Seither Vergrößerung
des Halses, Glotzauge, Schlaflosigkeit, Schweiße. Puls 130, Stellwag, Graefe,
Moebius +. Thyreoidin verschlechterte den Zustand, Arsen und Eisen brachte
ein bischen Besserung. In wenigen Woohen aber erzielte Pulv. suprarenal, (mit
Kognak) den schönsten Erfolg. Exophthalmus, Struma gingen zurück, PuIb = 84
bis 90. Blutdruck (mittels Gärtnerschen Tonometers gemessen) auf der Höhe
der Erkrankung 150 bis 145, nach der Behandlung 110 bis 100 mm Hg.
1L 41 jährige Frau, seit 3 Jahren Menses unregelmäßig, Herzklopfen, Kopf¬
schmerzen, Struma, Schlaflosigkeit, Schweiße, Reizbarkeit. Puls 120, Blutdruck
100, okuläre Symptome 0, Protrusio 0.
III. 38jährige Frau. Seit 10 Jahren Herzklopfen, Struma, Reizbarkeit, In¬
somnie, Tremores. Puls 150, Blutdruck 105, okuläre Symptome 0.
IV. 35jährige Frau. Seit 1896 epileptiforme Anfälle. Polydipsie. Seit
1902 Kopfschmerzen, Menses unregelmäßig, Schweiße, Diarrhöen, Agrypnie, Herz¬
klopfen, Struma. Tremor, Exophthalmus angedeutet, ohne andere Augensymptome.
Puls 132, Blutdruck 110.
V. 43jährige Frau klagte 1897 über Kongestionen, Unruhe, Zittern und
ganz eigentümliche, höchst quälende Sensationen in den Gefäßen. Objektiv: Auf¬
fallende Labilität der Vasomotoren. Dermographie. Mächtiger' Herzstoß bei
fadenförmigem Pulse. 1901: Struma. Puls 126, Blutdruck 85. Exophthalmus 0.
VI. 46jährige Frau. Seit 2 Jahren Unregelmäßigkeiten der Menstruation,
seit 1 Va Jahren Herzklopfen, Reizbarkeit, Insomnie, Diarrhöe. Andeutung von
Exophthalmus (1902). Bei Druck auf den linken Bulbus stärkerer Widerstand.
Puls gespannt, 132, Blutdruck 120 links (!), 85 rechts. 1903 leichter Exoph¬
thalmus und Strabismus links. Puls 106, Blutdruck 115 links, 85 rechts.
VII. 53jährige belastete Frau, seit 2 Jahren Menopause. Seither Struma,
Herzklopfen, Schweiße; vor einem Monate auch Protrusio, die später zurückging.
Objektiv: okuläre Symptome 0. Struma, Hyperhidrosis, kräftiger Herzstoß bei
filiformem Pulse (120), Blutdruck 190 bis 200.
VIII. 36jährige Frau. Allgemeine „Nervosität“, Herzklopfen, Kopfschmerzen,
Reizbarkeit, Schweiße, Tremor, mäßiger Exophthalmus. Puls 126 im Stehen, 96
im Liegen, Blutdruck 120.
Bezüglich des Blutdruckes deduziert Verf., daß die Fälle mit Exophthalmus
hohen oder seltener auffallend niedrigen Blutdruck haben, Fälle ohne Protrusio
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gewöhnlich normalen. Verf. erwähnt Tierversuche, wonach erhöhter Blutdruck
stärkere Transsudation verursacht Im Spinaschen Laboratorium sah Verf., daß
sioh experimentell durch hohen Druck und künstliche Vermehrung der Cerebro¬
spinalflüssigkeit eine Protrusio bulbi erzeugen lasse.
Von allen Erklärungsversuchen der Genese des Exophthalmus befriedigt nach
Verf. nur die Heranziehung mehrerer Faktoren, Dilatation der retrobulbären Ge¬
fäße und stärkere Transsudation in der Orbita, vielleicht auch eine stärkere
intrakranielle Transsudation. Verf. nimmt an, daß durch Dilatation der Ge¬
fäße und einen kräftigen Herzschlag (wenigstens in der ersten Zeit der
Krankheit) eine stärkere intraorbitale und intrakranielle Trans¬
sudation entsteht und durch Dilatation der Carotis, eventuell durch
Schwellung der Hypophyse, vielleicht, auch noch durob andere lokale,
angeborene Verhältnisse eine Erschwerung des BlutabfluBses aus der
Orbita, was zu einer noch stärkeren intraorbitalen Transsudation
führt
Verf. führt dann seine Experimente an, wonach intravenöse Injektion von
Schilddrüsensaft Tachykardie durch Beizung der Centren der Accelerantes bewirkte
und gleichzeitig Herabsetzung des Blutdruckes durch direkte Schädigung des
Herzens, teilweise auch durch Vasodilatatoren Wirkung. Die interne Verabfolgung
von Thyreoidin beim Menschen erzeugt Tachykardie, Schweiße, Tremor, Unruhe,
Polyurie. Der schädlich wirkende, im Blute cirkulierende Stoff der
Schilddrüse wirkt vielleicht in spezifischer Weise auf die vaso¬
motorischen Centren deB Halsmarkes und der Oblongata; er reizt die
Nn. accelerantes und die Vasodilatatoren deB Kopfes; ob direkt oder
erst mit Hilfe von in der Schilddrüse endigenden und auf chemische Reize
reagierenden, centripetalen Sympathikusfasern, ist nicht bekannt.
Eine eventuelle Herabsetzung des Blutdruckes erklärt sich durch schädigende
Wirkung des Schilddrüsensekretes auf das Herz.
13) Zur Kenntnis einiger seltener Störungen bei der Basedow sehen Krank¬
heit, von M. Moese. (Berliner klin. Wochenschrift. 1907. Nr. 1.) Bef.:
Bielschowsky (Breslau).
I. Bei einer 38jährigen Frau, die seit Jahren an Morbus Basedowii leidet,
findet sich rechtsseitiges G raefesches Zeichen, linksseitige Lähmung des Levator
palpebrae. Durch dieses Zusammentreffen erhält die Theorie, welche das
Graefesche Symptom in Zusammenhang mit dem Heber des oberen Augenlides
bringt, eine Stütze. Es ist nach derselben angenommen worden, daß eine tonische
Kontraktion dieses Muskels unmittelbare Ursache des Phänomens sei. Im vor¬
liegenden Falle läßt der Lähmungszustand des linken Muskels den Schluß zu,
daß es sich auf der rechten Seite um einen Beizzustand desselben Muskels handelt.
Vielleicht liegt in solchen Fällen eine doppelseitige Affektion der Levatorkerne
vor. Je nach dem Grade der Erkrankung kann dann ein Reiz- bzw. Lähmungs¬
zustand des betreffenden Muskels veranlaßt werden.
II. Eine 68jährige Frau zeigt starke Basedow-Erscheinungen, ohne daß eine
Struma nachzuweisen ist. Der beschleunigte Puls ist auffallend unregelmäßig
Da trotz des Alters der Patientin Zeichen von ArteriosklerosiB fehlen, ist die
Irregularität des Pulses auf eine Schädigung des Herzens durch den Morbus
Basedowii zurückzuführen. Unter 128 Frauen mit Basedowscher Krankheit hat
Verf. allerdings nur den einen Fall von hochgradiger Unregelmäßigkeit der Herz¬
tätigkeit beobachtet.
III. Verf. teilt die Krankengeschichte einer 34jährigen Frau mit, die neben
Basedowscher Krankheit an spontaner Glykosurie leidet.
14) Inflytandet af Struma, säraköldt Basedowstruma,
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un der pubertets-
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aldern p& l&ngdtillväxt och förbenlngsprooesser. Preliminärt medde-
lande af Israel Holmgren. (Hygiea. 1906. S.126.) Ref.: Walter Berger.
Bei Durchsicht des Materiales aus der medizin. Poliklinik im Serafimerlazarett
in Stockholm fiel es dem Yerf. auf, daß in fast allen Fällen von Struma, besonders
bei Basedow-Struma, bei im Pubertätsalter stehenden Kranken, diese eine für ihr
Alter ungewöhnlich große Körperlänge und, wie durch Untersuchung mit Röntgen-
Strahlen nachgewiesen werden konnte, in ungewöhnlich frühem Alter abgeschlossene
Verknöcherung der Epiphysenknorpel zeigten; in nur wenigen Fällen, in denen
keine Basedow-Symptome vorhanden waren, war die Körperlänge gering oder
nicht ungewöhnlich groß und die Verknöcherung der Epiphysenknorpel war
weniger vorgeschritten. Daß Aplnsie der Thyreoidea und aus einer anderen Ver¬
anlassung entstandene Aufhebung oder Hemmung der Funktion dieser Drüse in
der Wachstumsperiode das Längenwachstum hemmt und die Verknöcherung der
Epiphysenknorpel verzögert, ist bekannt. Daß bei vermehrter Funktion der Drüse
das umgekehrte Verhalten stattfinden mag, ist a priori zu vermuten und wird
durch die Beobachtungen des Verf.’s wahrscheinlich. Oh die vorzeitige Ver¬
knöcherung der Epipbysenknorpel direkt auf vermehrte Funktion der Schild¬
drüse zurückzuführen ist, erscheint dem Verf. deshalb als zweifelhaft, es scheint
ihm, als ob diese eher mit dem Wachstum überhaupt in einem gewissen
Verhältnisse stehe und bei großgewachsenen Individuen eher eintrete als bei
kleinen. Man könnte vielleicht annehmen, daß ohne Rücksicht auf das Alter die
Verknöcherung der Epiphysenknorpel das Längenwachstum abschließt, wenn die
Körperlänge ein gewisses Maß überschreitet.
15) Degenöresoenoe mentale et maladie de Basedow, par G. Dromard et
J. Levassort. (Arch.deneur. XXI. 1906. Nr.21.) Ref.: S.Stier(Rapperswil).
Das häufige Vorkommen von psychischen Störungen bei Morbus Basedowii
ist bekannt. Die verschiedenen dafür gegebenen Erklärungen gruppieren sich
unter folgende zwei Theorien: Nach der einen ist die Psychose Ausdruck einer
durch die Hyperthyreoidisation erzeugten Autointoxikation; nach der anderen sind
die psychopatkologischen Erscheinungen Symptome einer neben dem Morbus Base¬
dowii und unabhängig von diesem bestehenden Neurose oder Psychose. Die Verff.
weisen nun darauf hin, daß in zahlreichen Fällen keine der beiden Theorien hin¬
reichende Erklärung bietet. So ist eine Autointoxikation auszuschließen, wenn
die psychotischen Symptome zeitlich lange vor den eigentlichen Basedow-Symptomen
auftreten. Gegen die zweite Theorie spricht, daß die bekannten typischen Neurosen
oder Psychosen lange nicht so häufig bei Morbus Basedowii sind, wie psycho¬
pathische Erscheinungen überhaupt. Die Verff. erklären die häufige Koincidenz
der genannten Affektionen damit, daß beide auf dem Boden der degenerativen
Störung entstehen. Der vorliegende von ihnen ausführlich mitgeteilte Fall spricht
sehr zugunsten dieser Auffassung.
51jährige, beiderseits schwer belastete Patientin; in der Kindheit Pavor noc-
turnus und Enuresis nocturna bis zum 7. Jahr. Immer starke Emotivität und
Ungleichmäßigkeit; Phobien. Keine Hysterie, kein Alkoholismus. Später Gesichts¬
neuralgien. Allmählich exzessive Steigerung der Stimmungsanomalien, jäher
Wechsel zwischen Heiterkeit und Depression; Drang zu unvernünftigen Handlungen.
Vor etwa 6 Jahren 2 Jahre dauernde Remission mit leichten Rezidiven während
Gemütserregung oder Menses. Dann wieder 1 Jahr lang erregter und so fort fast
alljährlicher Wechsel zwischen melancholischer Stimmung und Exzitation. Etwa
6 bis 8 Monate nach dem ersten Deutlicherwerden einer psychischen Störung
kardiovaskuläre Symptome bemerkbar: Tachykardie, lebhafte Carotidenpnlsation,
Beklemmung; später Struma, Tremor manuum. Kein Exophthalmus. Allmähliche
Progression sämtlicher Basedow-Symptome.
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Interessant und für die Annahme einer degenerativen Störung von Bedeutung
sind hier folgende Momente:
1. Die psychischen Symptome traten viel früher auf als die somatischen.
2. Es bestand nicht der geringste Parallelismus zwischen den Basedow*
Symptomen, die langsam progressiv, und den psychischen Störungen, die deutlich
intermittierend waren. Beide Reihen wurden vielmehr durch die gleichen Ein¬
flüsse, Gemütserregung, Menses, verschlimmert, wie dies erfahrungsgemäß am
häufigsten bei den desequilibrierten degenerös zum Ausdruck kommt.
3. Die psychische Störung kann nicht mit irgend einer der bekannten Psy¬
chosen identifiziert werden.
4. Die Anamnese bietet deutliche Zeichen einer degenerativen Anlage.
16) Case of exophthalmio goltre in a man treated Buocesafully, by W.
F. Sommerville. (Glasg. med. Journ. LXV.) Ref.: Blum (Nikolassee/Berlin).
Verf. empfiehlt auf Grund seiner Beobachtung aufs wärmste die strenge Bett¬
ruhe in der Behandlung des Morbus Basedowii, und zwar in einer ärztlich ge¬
leiteten Anstalt, in der der Kranke dauernd beobachtet werden kann. Verf. be¬
schreibt den Fall eines 40jähr. Mannes, den er auf diese Weise bis auf geringe,
weiterbestehende Tachykardie völlig geheilt habe. Er gab nebenbei Thyrodektin.
später auch Strophantus, 2mal täglich den faradischen und alle 2 Tage 10 Minuten
lang den konstanten Strom in 5 Milliampere Stärke, Anode auf die vergrößerte
Thyreoidea, Kathode in den Nacken.
17) Bt tilfälde af Morbus Basedow! behandlet med blöd og melk af thy-
reoidektomeret gjed, af F. J. Thrap-Meyer. (Norsk Mag. for Lägevid.
1905. S. 707.) Ref.: Walter Berger (Leipzig).
Eine 41 Jahre alte verheiratete Frau, die von einer sehr nervösen Amme mit
vorstehenden Augen genährt worden war, war nach der Geburt ihres ersten Kindes,
das sie selbst stillte, im 20. Lebensjahre (im Jahre 1883) nervös geworden, hatte
Herzklopfen bekommen und schwitzte viel. Nach der Geburt des zweiten Kindes,
im Jahre 1887, begann sich der Kropf zu entwickeln und wurde immer größer:
auch der übrige Zustand wurde immer schlimmer, bis die Kranke so schwach und
hinfällig wurde, daß sie nichts mehr verrichten konnte. Verschiedene medika¬
mentöse Kuren hatten nicht geholfen. Blut von einer Ziege, der die Schilddrüse
exstirpiert worden war, brachte keine weitere Veränderung, nur die Pulsfrequenz
nahm etwas ab, aber Milch von der Thyreoidea beraubten Ziege brachte entschiedene
Besserung. Das Befinden der Kranken wurde bald besser, das Körpergewicht
nahm zu, die Pulsfrequenz nahm bedeutend ab. Am 15. Januar 1905 zeigte sich
das Herz normal, die Augen waren bedeutend weniger vortretend als früher und
die Struma war nicht mehr sichtbar. Wenn aber die Kranke die Milch einige
Tage aussetzte, wurde sie wieder unruhig und die alten Symptome begannen
wiederzukehren.
18) Über den heutigen Stand der Therapie der Basedowschen Krankheit,
von M. Vermes. (Orvosok lapja. 1906. Nr.21.) Ref.: Hudovernig(Budapest).
Nach einer kritischen Besprechung der Prinzipien, auf welchen die moderne
Therapie der Basedowschen Krankheit beruht, schildert Verf. folgende Kranken¬
geschichte:
53jährige Frau, nicht belastet, war nie gravid, wurde vor 2 Jahren wegen
Myoma uteri operiert, wobei eine Neubildung von 7500 g Gewicht entfernt wurde.
Kurz nach der Operation entwickelten sich rasch die typischen Zeichen der Base¬
dowschen Krankheit. Höhenklima ohne Einfluß; Rodagen gleichfalls. Hierauf
Darreichung von Moebiusschem Serum, Tagesdosis 30 bis 90 Tropfen. Nach
Verbrauch von 10 Flaschen teils Besserung, teils gänzliches Schwinden der Krank¬
heitserscheinungen: Abnahme deB Halsumfanges um 25 mm, des Pulses von 140
auf 80; Zittern und Hitzegefühl schwanden ganz.
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19) Herzneurosen and Basedow, von M. Fischer. (Münchener med. Wochen¬
schrift 1906. Nr. 32.) Ref.: E. Asch.
Yerf. befürwortet für die Fülle von Herzneurosen, die jeder anderen Therapie
trotzen, und in welchen eine, wenn auch ganz geringe, Vergrößerung der Thy¬
reoidea besteht eine Rodagenkur zu versuchen. Während ausgesprochene Basedow-
Fälle 8 bis 10 g pro die erheischen, kommt man bei den leichteren Graden von
Herzerregung mit 3 mal täglich 2 g vollkommen aus. In 4 Beobachtungen waren
nach 2 bis 3 wöchentlichem Gebrauch die Herzbeschwerden gebessert und es trat
ein angenehmes Rekonvalescenzgefühl auf. In 3 Fällen wurde eine Verkleinerung
der Struma konstatiert
20) Bin Beitrag sur Behandlung des Morbus Basedowü mit Antlthyreoid-
serum (Moebius), von Dr. J. M. A. Gevers Leuven. (Münchener med.
Wochenschr. 1906. Nr. 32.) Ref.: E. Asch.
Das erste Symptom bildete bei der 21jährigen, unverheirateten Dame das
Ausbleiben der vorher regelmäßigen Menstruation. Bald kamen dann auch die
übrigen Basedow-Symptome hinzu: Struma, Halsumfang 40 cm, Verbreiterung
de? Herzens nach links mit systolischen Geräuschen, Tremor des Gesiebtes, der
Zunge und Hände, Puls 135, Exophthalmus, Schweiß, Unruhe, erhöhte Patellar-
reflexe. Nach dem Gebrauch von 90 ccm Antithyreoidinserum war der Zustand
beinahe unverändert. Eine daran angeschlossene roborierende Behandlung brachte
allmähliche Besserung, der Tremor schwand, die Struma wurde weicher, der
Puls ging auf 100 zurück und der Exophthalmus nahm vielleicht eine Spur
ab; auch trat die Menstruation wieder ein. Immerhin blieb das Befinden sehr
abhängig von psychischen Einflüssen. Wieweit die Besserung eine Folge der
spezifischen Behandlung war, ist hier nicht zu entscheiden, da sie erst nach
dem Aassetzen derselben unter einer roborierenden Therapie eintrat. Schädliche
Einflüsse oder störende Nebenwirkungen von seiten des Serums wurden nicht
bemerkt.
21) Bin Fall von Morbus Basedowü ohne Exophthalmus behandelt mit
Antithyreoidin Moebius, von Dr. Aronheim. (Münchener med. Wochen¬
schrift. 1906. Nr. 32.) Ref.: E. Asch.
Während Verf. früher Bchon über zwei Beobachtungen von Morbus Basedowü
zu berichten wußte, in welchen nach Anwendung des Möbiusschen Antithyreoid-
serums deutliche Besserung erzielt wurde, teilt er jetzt einen weiteren Fall von
gleich günstigem Erfolg mit. Es handelt sich dabei um eine 30jährige Frau, bei
der seit einigen Monaten die Menstruation unregelmäßig wurde und zuletzt aus¬
blieb. Seitdem besteht Mattigkeit, Herzklopfen, Angstgefühl, Husten mit Auswurf
und nächtlichem Schweiß, kleiner, unregelmäßiger Puls (90). Halsumfang 36'/ 2 cm,
Struma. Im Sputum keine Tuberkelbazillen. Nach Gebrauch von mehreren Dosen
des Serums trat eine wesentliche Besserung ein, die nach rechts und links er¬
weiterten Herzgrenzen waren zur Norm zurückgegangen, die Herzaktion wurde
wieder regelmäßig, die Zahl der Pulse geringer (80) und die katarrhalischen Er¬
scheinungen der Lunge verschwanden. Nur die Struma blieb unverändert. Auch
nach Aussetzen des Mittels hat die Besserung angehalten.
22) Beitrag zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit, von Dr.
Mayer. (Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 49.) Ref.: E. Asch.
Bei einem 23jährigen Mädchen, welches schon jahrelang ohne Erfolg mit
den herkömmlichen Mitteln behandelt wurde, bewirkte die Darreichung des Anti-
thyreoidserums (Möbius) ein sofortiges und dauernd günstiges Resultat. Bei
einer Gabe von 3 mal täglich 10 Tropfen, steigend um 5 Tropfen bis zu 30 Tropfen,
besserte sich schon am 3. Tag das Allgemeinbefinden, die Pulszahl ging von 140
bis 150 auf 100 bis 120 zurück, der Exophthalmus nahm ebenfalls bald ab und
der Umfang der Struma verminderte sich um 2 cm. Nach 1 / 2 Jahr war der Zu-
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stand dauernd gut. Kleine, allmählich steigende Dosen haben hier in ganz kurzer
Zeit die ersichtliche Besserung hervorgerufen.
28) Serum behandling af Morbus Basedow!, af Yilhelm Magnus. (Norsk
Mag. for Lägevidensk. 1905. S. 699.) Ref.: Walter Berger (Leipzig).
In 4 Fällen von Basedowscher Krankheit hat Yerf. die Serumbehandlung
nach Möbius angewendet und hat in allen gute Erfolge damit erzielt. Er kommt
nach seinen Erfahrungen und nach den Ergebnissen in den in der Literatur be-
kennt gewordenen Fällen zu dem Schlüsse, daß diese Behandlung in allen Fällen
von Basedowscher Krankheit versucht werden m&sse. In einzelnen frischen Fällen
kann sie an Heilung grenzende Besserung bringen, in schwereren und länger be¬
stehenden Fällen bringt sie einen Teil der am meisten beschwerlichen Symptome
zum Schwinden, wenigstens solange die Behandlung fortgesetzt wird, besonders
hat sie auf das subjektive Befinden einen günstigen Einfluß. 'Wirkliche Heilung
kann man nach Yerf. nicht erwarten, wenn man nicht die Schilddrüse operativ ver¬
kleinert, aber da diese Operation schwierig und eingreifend ist, zieht er im all¬
gemeinen die Serumbehandlung vor, obgleich sie zur Zeit der Mitteilung sehr
teuer war.
24) Beitrag zur Behandlung des Morbua Basedow!! mit Antithyreoidin
(Möbius), vonHeinze. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr.19.) Ref.: R.Pfeiffer.
Die mit dem Antithyreoidin-Merk gewonnenen Resultate befriedigen so wenig,
daß die Autoren von weiteren Yersuchen Abstand nehmen wollen.
25) Die partielle Exstirpation der Schilddrüse als Heilmittel in einem
Falle Basedowsoher Krankheit, von A. v. Torday. (Wiener klin. Wochen¬
schrift. 1906. Nr. 48.) Ref.: Pilcz (Wien).
31 jährige, nicht belastete Frau. Am Tage nach dem zweiten Partus, der unter
psychischen Noxen vor sich gegangen war, bemerkte Patientin zum ersten Male
beginnende Struma und Exophthalmus, doch blieb sie im übrigen beschwerdelos,
bis sie im Anschlüsse an seelische Erschütterungen, etwa 5 Jahre später, stärker
erkrankte. Bei der Aufnahme: Schwitzen, Exophthalmus, Stellwag, Graefe, Moebius,
Struma. Puls 120. Feiner Fingertremor. Patellarsehnenreflexe >. Agrypnie.
Rodagen, Sympathicusgalvanisation ohne Erfolg. Bald traten auch Diarrhöen auf.
(Moebius’ Antithyreoidin und Röntgen-Therapie scheint nicht versucht worden
zu sein, Ref.) 30./I. 1906 Resektion beider Hälften der Schilddrüse. Seither
zunehmende Besserung.
Mitte Oktober 1906 außer ganz minimalem Exophthalmus keinerlei Basedow-
Symptome. Puls 86. Arbeitsfähig. Körpergewicht vor der Operation 45,8, stieg
im Verlaufe von 3 Monaten auf 61 kg an.
Sorgfältige Berücksichtigung der einschlägigen Literatur. Wenn das Herz
bereits angegriffen erscheint, ist die Operation nicht zu empfehlen. Unbedingt
zu operieren ist, wenn die Struma ein mechanisches Hindernis bildet. Mit der
Operation soll nicht gewartet werden, bis durch das Leiden der Allgemeinzustand
schon sehr geschwächt ist. Speziell zu empfehlen ist die Operation dort, wo auf
anderem Wege nichtB zu erzielen ist.
26) Beitrag zur Behandlung Basedowsoher Eirankheit mit Böntgenstrahlen,
von Sklodowski. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr.33.) Ref.: R.Pfeiffer.
Röntgen-Behandlung einer 15jähr. Patientin mit Morbus Basedowii. Rasche
Gewichtszunahme, Auf hören der übermäßigen Schweißabsonderung und Besserung
des allgemeinen nervösen Zustandes. Die übrigen Symptome unverändert. In
jeder Sitzung wurde nur eine Hälfte der Schilddrüse 10 Minuten lang aus 20 cm
Entfernung bestrahlt.
27) Angebliohes kongenitales Myxödem bei normaler Sohilddrüse, von
F. Siegert. (Monatssohr.f.Kinderheilk. 1906. Juni.) Ref.: Zappert (Wien).
Yerf. hatte auf der Karlsbader Naturforscher-Yersammlung eines Falles Er-
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w&hnung getan, der die Symptome des Myxödems dargeboten batte, aber bei der
Autopsie eine normale Schilddröse erkennen ließ.
Bei der prinzipiellen Bedeutung dieses Befundes veröffentlicht Verf. den Fall
noch einmal in extenso und gibt in loyaler Weise zu, daß es sich nicht um eine
Myxidiotie, sondern um einen Mongolismus gehandelt haben dürfte, bei dem das
Vorhandensein einer Schilddrüse nichts Auffallendes ist.
28) Über zwei atypische Myxödemfälle, von Doc. Dr. Bernheim. (Jahrb. f.
Einderheilk. LXIV.) Ref.: Zappert (Wien).
Der erste der beiden Fälle betrifft ein 20 monatliches Kind mit typisch myx-
ödematösem Gesichtsausdruck, mit Makroglossie, mit Hautverdickung, mit Idiotie,
aber von normaler Körpergröße, vorhandener Schilddrüse, zurückgebliebener Knochen¬
kernentwicklung.
Auf Schilddrüsenbehandlung besserte sich das Allgemeinbefinden, der Zahn¬
durchbruch, die Stuhlverstopfung, das Körperwachstum, hingegen nicht die In¬
telligenz. Die Autopsie — das Kind ging an einer Encephalitis zugrunde —
ergab eine reichlich Kolloid enthaltende, sonst normale Thyreoidea. Verf. ist
geneigt, den Fall für eine Mischform von Mongolismus und Myxödem aufzufassen.
Im zweiten Falle handelt es sich um die Kombination eines Myxödems und
einer Rachitis, die von pädiatrischer Seite (Siegert.) als unvereinbar bezeichnet
worden war.
20) Beitrüge zur pathologischen Anatomie der Kretinengehirne, von Scholz
und Zingerle. (Zeitschr. f. Heilk. 1906. S. 57 u. 97.) Ref: Otto Marburg.
Unter dem Einfluß der Störung in der Schilddrüsenfunktion kommt es bei
Kretinen zu Schädigungen des gesamten Nervensystems, wobei jedoch meist be¬
stimmte Partien stärker betroffen erscheinen, während das übrige Nervensystem
wenig Veränderungen bietet. Es zeigen sich meist Entwicklungshemmungen, aber
auch Läsionen, die auf entzündliche Veränderungen hinweisen. Die Dura ist ver¬
dickt, entzündet. Das Rindengrau tritt gegenüber dem Markweiß entschieden in
den Vordergrund, die Hirnsubstanz ist im allgemeinen derber; es besteht meist
Hydrocephalus. Ein einheitlicher Prozeß ist nicht zu finden, weshalb auch die
klinischen Erscheinungen verschiedene sein werden, die sich dann je nach den
Störungen des Nervensystems dem charakteristischen Bilde des Kretinismus ein-
fügen. Die pathologische Anatomie der Kretinengehirne zeigt eine weitgehende
Übereinstimmung mit jener der Idiotie sowohl makroskopisch als mikroskopisch.
Asymmetrien der Hemisphären, Sklerosen der Windungen, auffallende Kleinheit
des Kleinhirnes gegenüber dem Großhirn, Windungsanomalien sind die wesent¬
lichsten makroskopischen Charakteristika; mikroskopisch zeigt sich entweder die
Erscheinung hypertrophischer Sklerose oder Entwicklungshemmungen, während die
Zellveränderungen, die gelegentlich gefunden werden, wohl ins Bereich akuter
Läsionen gehören. Dies im wesentlichen das Ergebnis der auf umfassenden
Literaturstudien und Untersuchung zahlreicher eigener Fälle beruhenden überaus
dankenswerten Arbeit.
30) Infantilisme et degönörescenoe psychique. Influenoe de l’höredite neoro-
pathologique, par Lemos. (Nouveile Iconographie de la Salpetrige. 1906.
Nr. 1.) Ref.: ErnBt Bloch (Kattowitz).
Die hereditären Verhältnisse des Kranken sind etwas verwickelt. Die Gro߬
eltern väterlicherseits wie mütterlicherseits waren beide Male Vettern ersten Grades.
1. Mütterlicherseits: Ein Großonkel, zugleich Großvater väterlicherseits
starb an Apoplexie, ein anderer Großonkel hatte Paralysis agitans. Ein Sohn von
letzterem war Idiot, mit sämtlichen Degenerationszeichen behaftet, dessen Mutter
geisteskrank, eine Großtante hypochondrisch, eine andere „nervös', der Sohn einer
dritten Großtante war schwachsinnig. Der Großvater mütterlicherseits leicht reiz¬
bar, Bonderbar. Ein Großonkel hatte Vorliebe für weibliche Handarbeiten. Die
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Mutter der Kranken war hysterisch, ein Onkel starb mit 18 Jahren, war ein
Zwerg und konnte nicht gehen. Eine Tante war ein Zwillingskind, starb mit
6 Jahren, der andere Zwilling war bis zum 9. Jahre gesund, dann stellten sich
Schwierigkeiten beim Gehen ein, sie kann jetzt nicht mehr sprechen und ver¬
schluckt sich häufig. Sie muß gefüttert werden. Ein Oukel wurde nach einem
Sturz vom Pferde geisteskrank.
2. Väterlicherseits: Großmutter erkrankte an Dementia senilis. Vater
in hoher Stellung, aber verschwenderisch, hielt Maitressen usw. Wurde später
tabisch. Ein Onkel sehr intelligent, aber ebenfalls verschwenderisch, von sonder¬
barem Charakter. Eine Tante geisteskrank.
Der 30 jährige Kranke wurde mit 3 Jahren entwöhnt (!), konnte mit 5 Jahren
lesen, mit 6 Jahren lernte er englisch, wurde aber so verwirrt dadurch, daß er
seine Muttersprache, portugiesisch, vollständig vergißt. Ein vollständiger Defekt
für Sprachen stellt sich auf der Schule heraus. Gedächtnis für Namen und Daten
gut. Aufnahmefähigkeit und Urteilsfähigkeit sehr gering. Sehr pretentiöses Auf¬
treten, sehr rascher Wechsel der Stimmung. Mit 13 Jahren wog er 82 kg. Im
Jahre 1891 machte er eine Influenza durch, von der er sich sehr schwer erholte.
In der Rekonvalescenz Furcht, Angst vor der Hölle, ewigem Verdammnis usw.
Schlaf schlecht, am Tage brütet er vor sich hin. Dann erwacht er wieder aus
einer Apathie, will sich auf die Politik stürzen, glaubt sich als Redner geboren,
stellt tausend Projekte, verwirft sie wieder. Anstaltsaufnahme: Größenideen
wechseln ab mit Selbstbeschuldigungen, hätte einen Menschen getötet, hätte
onaniert usw. Er hört Stimmen und sieht Flammen. Naoh seiner Entlassung
macht er große Reisen und verschwendet viel Geld. Wird von neuem in die
Irrenanstalt aufgenommen, da er aggressiv wird. Man wolle ihn zur Rechenschaft
ziehen, da er einen Mann getötet habe. Verläßt gebessert die Anstalt wieder,
macht aber, zu Hause angekommen, sofort einen tätlichen Angriff auf einen Bruder.
Die Diagnose wurde auf cirkuläres Irresein gestellt. Die nächsten 5 bis
6 Jahre wechseln diese Zustände ab, ohne daß man sagen könnte, er wäre in der
Zwischenzeit ganz gesund.
Status: Obesitas, 166 kg Gewicht, Umfang des Schädels 66 cm, rundes Ge¬
sicht, pausbäckig, Nase wenig entwickelt, bartlos. Auf dem Handrücken Grübchen
wie bei einem gutgenährten Kinde. Genitalien wenig entwickelt, Penis entspricht
dem eines 5 jährigen Knaben. Gesellschaft von Frauen sehr angenehm, hat aber
nie den Coitus wegen Kleinheit des Gliedes ausüben können. Hat stark onaniert,
jedoch behauptet er, nie eine Ejakulation gehabt zu haben. Stimme' weiblich,
gellend. Kehlkopf wenig hervorspringend.
Pat. wurde mit roher HammelschilddrÜBe behandelt und nimmt innerhalb
2 Monaten 32 1 / 2 kg (!) ab. Zugleich wurde Polyurie, leichte Temperatursteigerung
beobachtet, der Puls stieg von 62 p. M. auf 117 p. M. Verf. stellt die Diagnose
auf Infantilismus, der kompliziert wird durch Myxödem.
31) Über marinen Kretinismus, von v. Wagner. (Wiener klin. Wochenschrift.
1906. Nr. 43.) Ref. Pilcz (Wien).
Sanitäts- und Rekrutierungsstatistiken ergaben in übereinstimmender Weise mit
den Angaben Hirschs, daß die Meeresküsten so gut wie kröpf- und kretinismus-
frei sind. (Jodgehalt der Luft? Verf.) Gelegentlich einer Studienreise auf den
quarnerischen Inseln Veglia, Cherso und Lussin fand Verf. die Richtigkeit dieser
Behauptung quoad strumam bestätigt, beobachtete aber an einem Punkte der Insel
Veglia eine größere Anzahl von zwerghaften Individuen von kretinistischem Typus,
ebenso vereinzelte des Kretinismus verdächtige Fälle an anderen Orten dieser
Inseln. Die Krankheitsgeschichten von 15 Fällen werden in extenso mitgeteilt
(5 Abbildungen im Texte).
Die Symptome, welche in den Rahmen des gewöhnlichen Kretinismus hinein-
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passen, seien hier im Referat übergangen, und nur einige, besonders bemerkens¬
werte Punkte hervorgehoben. Gegenüber dem Verhalten des endemischen
Kretinismus fallt erstens die vollständige Kropffreiheit der Gegend auf, ebenso
der Umstand, daß die 15 Fälle Beibat ausnahmslos kropffrei waren, ja eher
(wenigstens nach dem Ergebnisse der Palpation) keine oder nur sehr wenig
Schilddrüsen hatten. Die Kretins auf Veglia sind ferner alle Zwerge (113,3 cm
der größte), die Genitalien weisen Entwickelungshemmungen auf, wie sie sich
gleichfalls beim endemischen Kretinismus nicht in solcher Häufigkeit finden.
Keiner hatte Gehörs- und Sprachstörungen; die Beeinträchtigung der Intelligenz
war verhältnismäßig gering oder überhaupt nicht vorhanden.
Aus all diesen Gründen deduziert Verf., daß es sich hier nicht um echten
endemischen Kretinismus handelt, sondern daß das gehäufte Vorkommen der¬
artiger Fälle an einem Orte anders zu erklären sei. Genauere Nachforschungen
haben nun als ätiologisches Moment für die Häufung gerade auf diesen Inseln
Inzucht ergeben. Das gleichzeitige endemische Vorkommen von Albinismus,
das Verf. gleichfalls an diesen Orten beobachtete, spricht auoh für diese Annahme.
Inzucht spielt gerade beim eohten endemischen Kretinismus keine Rolle; Kinder
von Eingewanderten sind viel mehr gefährdet.
Anhangsweise erwähnt Verf. die sehr interessante Tatsache, daß auf der
Inäel Sansego Inzucht in hohem Maße gleichzeitig mit starkem Alkoholismus seit
jeher herrscht (die Kinder trinken Wein, sobald sie aufhören Milch zu trinken);
gleichwohl fand Verf. daselbst einen kräftigen, gesunden Menschenschlag; kein
Kretin, kein Zwerg, kein Epileptiker, kein Geisteskranker ist laut Angabe des
Pfarrers auf der Insel.
33) Zweiter Bericht über die Behandlung des endemlsohen Kretinismus
mit SehilddrüsensubBtans, von Wagner von Jauregg. (Wiener klin.
Wochenschrift. 1907. Nr. 2. S. 33.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf., dem bekanntlich die Thyreoidintherapie beim endemischen Kretinismus
zu verdanken ist, berichtet nun, nachdem die Beobachtungsdauer einzelner der
behandelten Fälle auf 5 bis 6 Jahre, bei vielen auf 3 bis 4 Jahre sich erstreckt,
unter Beibringung zahlreicher detaillierter Krankheitsgeschichten über die Er¬
gebnisse dieser Therapie.
Zunächst seien die allgemeinen Thesen angeführt, zu welchen Verf. auf Grund
seiner Beobachtungen gelangt.
Was die Wachsturaserfolge betrifft, so ergibt eine übersichtlich gehaltene
Tabelle folgendes:
In der großen Mehrzahl der Fälle ist eine Wachstumsstörung vorhanden, ein
Zurückbleiben hinter der durchschnittlichen Körperlänge des betreffenden Alters.
Diese Wachstumsstörung ist um so beträchtlicher, je älter das Individuum ist.
(Vom 5. Jahre abwärts findet man sogar einen Überschuß der erreichten über die
zu erwartende Körperlänge, woraus hervorzugehen scheint, daß die Wachstums¬
störung in der Regel nicht das erste Symptom des Kretinismus ist, sondern sich
häufig erst später (4. bis 5. Jahr) einstellt.)
Das Längen wachstum übertrifft im ersten Jahre der Behandlung fast aus¬
nahmslos das durchschnittliche normale Wachstum, häufig sogar sehr bedeutend.
Die Wachstumsenergie nimmt zwar in den späteren Jahren der Behandlung
ab, ist aber meist auoh dann noch übernormal oder erreicht wenigstens die Norm.
Das Wachstum ist in den späteren Jahren nicht immer gleichmäßig; es scheint,
daß gegen die Pubertätsentwickelung zu ein neuerlicher Anstieg des Wachstums
Vorkommen kann. Einige weniger günstige Resultate dürften von unregelmäßigem
oder unterlassenem Einnehmen der Tabletten herrühren, oder von mangelhaften
Präparaten. (Es kommen auch bei Schafen Kröpfe vor; Schafschilddrüsen, deren
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• al frei”.
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einzelne Lappen mehr als 3 bis 4 g wiegen, sollten nicht zur Tablettenerzeugung
verarbeitet werden.)
Die Ergebnisse der Behandlung führen Verf. zu folgenden Schlußsätzen:
Der Kretinismus wird in allen Graden und auch noch in vorgeschrittenem Alter
(Beobachtungen bis zum 27. Lebensjahre, wie z. B. obs. Nr. 57) durch die Be¬
handlung mit Schilddrüsensubstanz günstig beeinflußt.
Der Erfolg ist um so besser, je früher mit der Behandlung begonnen wird.
In den leichteren Fällen von (wohl meist erworbenem) Kretinismus, ohne be¬
trächtlichere Schädigung des Gehörorganes, kann volle Heilung erzielt werden,
wenn die Behandlung frühzeitig, d. h. zwischen dem 2. bis 3. Jahre einsetzt.
Dieser Erfolg ist ein bleibender, d. h. auch dann fortbestehend, wenn nach längerer
Behandlung die Thyreoidinmedikation eingestellt wird.
Bei einer Anzahl von schweren Fällen von Kritinismus (meist dürfte es sich
um angeborenen Kretinismus handeln) gelingt es auch bei frühzeitigem Beginne
der Behandlung (1. biB 3. Jahr) nicht, einen vollen Heilerfolg zu erzielen. Ob in
solchen Fällen ein noch früherer Beginn der Kur (mit 6 Wochen, wie bei zwei
mitgeteilten Fällen, deren einer außerordentlich günstig beeinflußt wurde) zu
einem vollen Erfolg führen wird, kann Verf. bei der Kürze der Beobachtungsfrist
noch nicht sagen.
Sowohl die auf Mittelohr- als auch die auf Labyrintherkrankung beruhende
Schwerhörigkeit der Kretins wird durch die Behandlung gebessert. Jedoch ist
dieses Symptom widerspenstiger als die anderen Symptome, und höhere Grade
der Gehörsstörungen können auch bei Beginn der Behandlung im 2. oder 3. Jahre
nicht behoben werden.
Die Behandlung soll also so früh als möglich begonnen werden. Betreffs
der Diagnose des Kretinismus im 1. Lebensjahre legt Verf. für den angeborenen
Kretinismus großes Gewicht auf die MakrogloBsie und, wo er vorhanden, auf den
angeborenen Kropf. Die eigentümliche Nasenbildung ist weniger charakteristisch;
auch die Kriterien der Hautschwellungen und der bleichen Gesichtsfarbe lassen
im Stich, da sie, wie sich Verf. überzeugte, in einigen Fällen erst am Ende des
1. Lebensjahres sich einstellen können. In den Fällen von erworbenem Kretinis¬
mus liefern Anhaltspunkte für die Diagnose das Ausbleiben des Geben- und
Sprechenlernens, später sichern die charakteristische blasse Gesichtsfarbe, die
Hautschwellungen, die eigenartige Apathie, da6 Ausbleiben bzw. die Verspätung
des Verschlusses der Fontanelle, des Durchbruches der Zähne, die typische Nasen¬
bildung und die Wachstumsstörung die Diagnose.
Verf. betont, wie ungemein wichtig es wäre, daß die Eltern selbst möglichst
frühzeitig die Kinder der Behandlung zuführen; die Bevölkerung in Gegenden,
wo Kretinismus endemisch ist, sollte aufgeklärt werden über die Möglichkeit einer
Behandlung.
Aus der reichen Kasuistik, welche Verf. bringt (in der Tabelle findet sich
z. B. ein Fall Nr. 69 vermerkt) seien, um den Rahmen eines Referates nicht
zu überschreiten, nur einige wenige, besonders instruktive Fälle hier kurz angeführt.
Obs. 8. Knabe, zu Beginn der Behandlung sprachunfähiger 2 jähriger Kretin.
1 Jahr hindurch jeden 2. Tag 1 Tablette. — Schon nach 3 Monaten begann das
Kind zu sprechen. 1 j i Jahr später sprach es schon so ziemlich seinem Alter ent¬
sprechend, war magerer geworden, konnte nach 1 jähriger Behandlung in den
Kindergarten geschickt werden, war in 4 Jahren um 26 cm gewachsen. Gegen¬
wärtig (4 Jahre nach Beginn der Behandlung) frischer, aufgeweckter Knabe, bietet
absolut nichts Kretinistisches mehr; der Erfolg blieb dauernd, obwohl die Schild*
drüsenmedikation nur etwas über 1 Jahr fortgesetzt worden war.
Obs. 52. 2 ] / 2 jähriger sprachunfähiger Kretin, mit weit offener Fontanelle.
Nach 3 monatlicher Behandlung ( J / 2 Tablette pro die) war die Fontanelle fast ge-
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schlossen. Das Kind wurde lebhafter, aufmerksamer, begann zu sprechen. Nach
1 jähriger Behandlung Sprachentwickelung dem Alter entsprechend, — lebhaft,
gesunde Gesichtsfarbe. 3 3 / 4 Jahre nach Beginn der Behandlung (welche seit un¬
gefähr l 1 /, Jahr ganz ausgesetzt worden war) um 32 cm gewachsen, sprioht
tadellos, ist feinhörig, flink, bietet keinerlei somatische Erscheinungen des Kre¬
tinismus (ähnlich lauten die Berichte über obs. 63, 64, 22, 58).
Obs. 60. 2*/ 4 jähriger Knabe, der noch fast gar nichts spricht. Somatisch
für Kretinismus wenig Anhaltspunkte (das Kind hört speziell anscheinend gut).
*/ 2 Jahr nach der Thyreoidinkur konnte das Kind alle Gegenstände seines Ge¬
sichtskreises benennen. Nach einem weiteren Jahr sprach der Knabe, wie die
Hutter meinte, „schon zuviel“. (Es hatte darum auch seit Monaten keine Tablette
mehr bekommen.) Wachstum während dieser Zeit 3 bis 5 cm (also wenig mehr, als
em Durchschnitte entspricht).
Dieser bezüglich seiner Zugehörigkeit zum Kretinismus zweifelhafte Fall gibt
Verf. zu der praktisch wichtigen Bemerkung AnlaB, daß man auch in derartigen
Fällen, wenn sie im Bereiche der Endemie sich ereignen, die Schilddrüsentherapie
anwenden soll, da duroh dieselbe einerseits nie ein Schaden gestiftet werden kann,
da andererseits das Ausbleiben der Sprachentwickelung das erste Symptom eines
schleichend auftretenden Kretinismus sein kann, dem sich später — ohne Be¬
handlung — andere Erscheinungen desselben angeschlossen hätten. Der Kretinismus
ist nur in der Minderzahl der Fälle eine angeborene Erkrankung, erst im 1. bis
2. Jahre, ja manchmal noch später, kommen die Symptome des Kretinismus zum
Vorschein.
Obs. 7. Beginn der Behandlung erst im Alter von 7 */* Jahren, hatte erst
1 1 / 3 Jahr vorher zu sprechen begonnen, sprach sehr mangelhaft artikuliert, hörte
schlecht, links 103 cm (10 cm < Durchschnitt). Im Laufe der 2 jährigen Behandlung
ward das Gehör normal, die Sprache artikuliere. Trotz Aussetzens der Behandlung
machte der Knabe geistig bedeutende Fortschritte; die Wachstumszunahme (während
der Behandlung 21 cm) betrug (nach Anssetzen der Schilddrüsentabletten) in den
3 folgenden Jahren nur 13 cm (ähnlich die Fälle 55, 59, 40, 45).
Die Gehörsstörongen der Kretins, auf welohe Verf. zuerst aufmerksam gemaoht
hatte, sind nach den Untersuchungen von Alexander (über welche Verf. be¬
richtet) durch adenoide Vegetationen, verbunden etwa noch mit Tubenkatarrhen,
durch Mittelohraffektionen, dann aber auch durch Labyrintherkrankungen be¬
dingt Erstere sind viel häufiger; es handelt sich aber um spezifische (duroh
Thyreoidin beeinflußbare) adenoide Vegetationen, nicht um die banalen, allerwärts
bei Kindern zu findenden. Viel schwerer und weniger beeinflußbar, wenn auch
nicht ganz aussichtslos für die Schilddrüsentherapie, sind die Labyrintherkrankungen.
(Überraschende Besserungen auch in dieser Hinsicht boten die obs. 3, 1, viel¬
leicht 61.)
Einige der mitgeteilten Fälle sind besonders erstaunliche Beispiele für die
Wachstumssteigerung, namentlich mit Rücksicht auf das Alter, in dem de norma
das Wachstum sohon fast ganz abgeschlossen ist. So wuchs obs. 56, bei Beginn
der Behandlung 19 Jahre alt, in den folgenden 3 Jahren der Behandlung um 15,
7 und 6, also im ganzen um 28 cm; ja das Mädchen hat im letzten Halbjahr
noch um 2 1 / 2 cm zugenommen. (In diesem Falle ist auch die Entwickelung in
der Sexualsphäre unter dem Einflüsse der Behandlung sehr bemerkenswert.) In
einem anderen Falle (obs. 6), der zu Beginn der Behandlung 23 Jahre (!) alt war,
konnte in den ersten 2 Jahren der Medikation noch eine Zunahme der Körperlänge
um 8,5, 0,5, 3 und 0,5, also im ganzen um 12,5 cm erzielt werden; ein besonders
schwerer Fall (auch in psychischer Hinsicht, mit eigenartigen Zwangsvorstellungen,
unrein mit Urin, im 19. Lebensjahre noch eine bedeutende Versohlimmeruug des
von Haus ans kretinistischen Individuums) wurde im Alter von 27 Jahren (!)
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in Behandlung genommen, und wuchs bis zu seinem 29. Jahre noch um 4 cm;
ebenso war eine Besserung im psychischen Verhalten zu verzeichnen.
Zwei Fälle (Geschwister) mit kongenitalem Kretinismus, die im Alter von
2 Jahren, bezw. 10 Monaten der Behandlung zugeführt worden waren, reagierten
zwar darauf (Beförderung der Zahnung, Fontanellenschluß, Schwinden der Haut-
schwellung und der Makroglossie), wurden aber psychisch nicht im mindesten be¬
einflußt; bei einem 6 Wochen alten Kinde von der Mutter der eben erwähnten
beiden Fälle, das auch mit Makroglossie zur Welt gekommen war, das die bleiche
Gesichtsfarbe und die extrem kurze Sattelnase aufwies, wurde sofort die Behandlung
eingeleitet ( 1 / 1 Tablette pro die). Als das Kind 2 1 / 2 Jahre alt war, hatte es nichts
Kretinistisches mehr an sich.
Interessant, nicht allein wegen der günstigen Erfolge der Behandlung, sondern
auch in ätiologisober Hinsicht sind die obs. 9, 10 (Brüder) und 11, welche das
Gemeinsame haben, daß die Wachstumsstörung und andere Erscheinungen des
Kretinismus erst nach Infektionskrankheiten aufgetreten waren. (Bei obs. 9 und
10 Scarlatina im 1 1 / a ., bezw. 3. Lebensjahre, bei obs. 11 Keuchhusten im 3. Jahre.)
Bezüglich zahlreicher, anderer interessanter Einzelheiten, welche die ausführlich
mitgeteilten Krankheitsgeschichten enthalten, muß auf die Originalarbeit ver¬
wiesen werden.
33) Ein Jahr Kretinenbehandlung mit Sohilddrüsensubstanz, von v.Eysselt-
Klimpöly. (Wiener med. Wochenschr. 1907. Nr. 1—3.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf. steht ein Material von 46 Fällen (27 Männer, 19 Weiber) zur Verfügung,
aus einem mährischen Amtsbezirke, woselbst endemischer Kretinismus herrscht.
Die Fälle, von v. Wagner selbst untersucht, wurden der Schilddrüsentherapie unter¬
worfen, in vierteljährigen Intervallen untersucht, und Verf. publiziert nun nach
1 jähriger Beobachtungsfrist die Ergebnisse der Behandlung (gleichfalls von
v. Wagner selbst kontrolliert).
Die verabfolgten Dosen waren 1 Tablette pro die; in einigen Fällen nur wurde
nach 6, bezw. 9 monatlicher Behandlung die Dosis auf l 1 /* (in 2 Fällen auf 2)
Tabletten erhöht. Unangenehme Nebenerscheinungen wurden nur in den wenigsten
Fällen in Form vorübergehender Diarrhöen und Erbrechens, zweimal mäßigen
Zitterns beobachtet; niemals traten Erscheinungen auf, wie sie Scholz gesehen hat.
Als auffallendstes Symptom war das gesteigerte und rasche Längenwachstum
hervorzubeben, welches auch noch in Fällen zu konstatieren war, wo, entsprechend
dem Alter de norme das Knochemvachstum schon als abgeschlossen erachtet werden
durfte. Diese Erscheinung war gewöhnlich schon in den ersten 3 Monaten der
Behandlung besonders evident (in einem Falle 5,5 cm; bei einem 22 jährigen Kretin
betrug die Wachstumszunalmie nach dem Jahre 7,5 cm, bei einem 28 jährigen (!)
2cm, usw.; siehe die genaue Tabelle im Texte). Übrigens konnte Verf., wie
v. Wagner seinerzeit in Steiermark, auch bei seinem Materiale eigentümliche
regionäre Verschiedenheiten der Behandlungserfolge beobachten. Verf. erwähnt
ferner den gesteigerten Appetit der Kranken, wodurch die anfängliche rasche Ab¬
magerung derselben ( herrührend von dem Schwinden der myxödematösen Symptome)
nachträglich wieder ausgeglichen wird, die Behebung der bei Kretinen habituellen
Obstipation, das Auftreten einer gesunden Gesichtsfarbe, Durchfeuchtung der vorher
trockenen schilferigen Haut, das Schwinden der Kröpfe, vor allem die besonders
markante Änderung des apathisch-torpideu Temperamentes der Kranken.
Bei 14 bis 18jährigen Kretinen waren noch Milchzähne vorhanden, und in
einem dieser Fälle trat während der Behandlung der Zahnwechsel ein Die
Makroglossie ging zurück, die Störungen der Sprache und des Gehöres wurden
günstig beeinflußt (nur bei schweren, beinahe den Grad der vollständigen Taubstumm¬
heit erreichenden Sprach- und Gehörsstörungen zeigte sich ein ganz unbedeutender
oder ü
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iberhaupt kein BehandlungserfoleV Bei zwei 18, bezw. 24jährigen Mädchen
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war die unter der Thyreoidinmedik&tion auf tretende Entwickelung in der Sexual-
Sphäre auffallend. (Die Menses stellten sich zum ersten Uale ein, die Bräste ent¬
wickelten sich, ebenso die crines.) Die Eltern mancher Kinder gaben an, daß
dieselben infolge der Behandlung öfters urinierten als vorher. Temperaturmessungen
konnten aus äußeren Gründen nicht in systematischer Weise angestellt werden,
ebensowenig kann Verf. über das Verhalten der Fontanellen genauere Angaben
machen, da die meisten seiner Fälle Kretinen in vorgerückterem Alter betrafen.
(Der Altersstufe nach umfaßt das Material des Verf.’s Fälle von 3 1 bis 28 Jahren.)
Verf. vergißt auch nicht, die besonders elenden Ernährungsbedingungen zu er¬
wähnen, in welchen gerade die Bevölkerung seines Wirkungskreises lebt.
Verf. führt aus, daß, wo die Schilddrüse vollständig fehlt, die Behandlung
lebenslänglich fortgesetzt werden müßte; beim endemischen Kretinismus aber, wo
gerade häufig Beste der Thyreoidea vorhanden sind, kann die Medikation sogar
später ansgesetzt werden. Die gestörte unzureichende Funktion kann durch die
Behandlung in dem Maße hergestellt werden, daß dieselbe eben für den Bedarf
des Organismus des Kretins ausreicht. [Bekanntlich wurden auch beim Myxödem
Dauerheilungen, d. h. solche, welche auch nach Aussetzen der Schilddrüsentherapie
anhielten, beobachtet, vgl. einen Fall des Ref. usw. (Bef.)].
Verf. betont schließlich die Notwendigkeit einer möglichst frühzeitigen Be¬
handlung, sowie die Art derselben: kleine Dosen (1, höchstens nach einiger Zeit
1 Vj bis 2 Tabletten pro die) und lange fortgesetzte Medikation.
34) Mit Thyreoideatabletten behandelter Fall von Cretinismus sporadious,
von E.Deutsch. (Orvosi Hetilap. 1906. Nr. 12.) Ref.: Hudovernig.
Bericht über die therapeutischen Erfolge bei einem an Cretinismus sporadicus
leidenden Säugling von 4 Monaten, welche sich in Gewichtszunahme (5700 auf
7600 g) und Aufhören der trophischen Störungen zeigten.
Psychiatrie.
35) Un oas de mölanoolie, aveo hypertrophie thyroidienne sucoedant a la
menopause, par C. Parhon. (Rev. neur. 1906. Nr. 14.) Ref.: E. Stransky.
Verf. berichtet über einen Fall von Involutionsmelancholie bei einer Person,
bei der sich seit dem 2 Jahre vor Beginn der Psychose eingetretenen Klimakterium
eine strumöse Halsanschwellung entwickelt hat. Er glaubt mit anderen Autoren,
die Kropfbildung auf eine Art antagonistischer Korrelation zwischen Ovarien und
Schilddrüse beziehen zu sollen; auf die Thyreoideahypertrophie bezieht Verf. dann
wiederum gewisse basedowähnliche Symptome des Klimakteriums. Auf das Er¬
löschen der Ovarienfunktion ginge nach Verf. auch das Auftreten der melancho¬
lischen Geistesstörung zurück; sonach wäre eine Beziehung zwischen Struma und
Psychose hergestellt. Diese Annahme erscheint dem Verf. um so plausibler, als
auch beim veritablen Basedow häufig melancholische (aber auch manische) Bilder
beschrieben werden; Verf. sieht darin eine Stütze der Kräpelinschen Ansicht
von der Einheitlichkeit des manisch-depressiven Irreseins (vergißt aber scheinbar,
daß Kräpelin die Rückbildungsmelancholie von jenem strikte scheidet; Ref.).
Auch die Prädilektion der Melancholie und des manisch-depressiven Irreseins für
das weibliche Geschlecht scheint dem Verf. im Sinne der Thyreoideahypothese zu
sprechen, aus der er auch Hoffnungen auf eine rationelle Therapie ableitet.
30) Über Hitzepsyohosen, von Finckh. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. LXIII.j
Ref.: Zingerle (Graz).
Aus der Bearbeitung der vorhandenen Literatur und des Materiales der
Tübinger Klinik kommt Verf. zu folgenden Ergebnissen: Akute, nach Art der
Fieberdelirien verlaufende Psychosen treten infolge intensiver und akuter Wärme¬
einwirkungen auf, wobei als unterstützende Momente hereditäre Belastung, körper-
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liehe Überanstrengungen und psychische Affekte in Betracht kommen, ln den
gemäßigten Klimaten sind diese Psychosen nicht häufig, nehmen aber mit Steigerung
der natürlichen und künstlichen Wärme zu. Es ist nicht gelungen, spezifische
Hitzepsychosen von längerer Dauer nachzuweisen. Dagegen kann die Hitze Ge-
legenheitsursaohe oder eine der zu psychischen Erkrankungen disponierenden
Schädlichkeiten werden und der durch andere Faktoren mitbedingten Psychose
einige charakteristische Züge aufprägen, die in der Neigung zu schweren Erregungen,
impulsiven Gewaltakten und einer Reihe vasomotorischer Störungen bestehen und
die auch bei den akuten deliranten Zuständen Vorkommen. Nach Einwirkung
hoher Wärmegrade sind ferner Lähmungserscheinungen, sowie psychische Defekt-
zustände beobachtet worden, die in Herabsetzung der Widerstandskraft bei körper¬
licher Arbeit und Krankheit, gegen Alkohol und gemütliche Einflüsse, in einer
Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit, der Gedächtniskraft und des sittlichen
Niveaus und endlich in Reizbarkeit und Willensschwäche bestehen. Möglich, aber
bisher nur in vereinzelten Fällen zuverlässig beobachtet ist endlich die Epilepsie,
wahrscheinlich als Folge organischer und durch Hitze Wirkung entstandener cere¬
braler Schädlichkeiten. Etwas häufiger dürfte die Wärmebestrahlung als direkte
erregende Ursache des ersten epileptischen Krampfanfalles fungieren.
37) Über Robert Schumanns Krankheit, von P. J. Möbius. (Halle 1906,
Carl Marhold.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Verf. versucht in der vorliegenden Pathographie, in der äußeren Form eines
Gutachtens die Frage auf Grund der über Schumann vorliegenden Literatur zu
beantworten, ob der Komponist an progressiver Paralyse gestorben sei oder nicht
Das Gutachten kommt zu folgendem Ergebnis: R. Schumann war von vornherein
ein von der Art Gewiohener, erblich belastet (beide Eltern „nervös“, die männlichen
Familienmitglieder kurzlebig, eine Schwester schwer geisteskrank) und abnorm
veranlagt. Schon mit 23 Jahren begann die erste psychische Erkrankung, von
Schumann selbst klar als Bolche erkannt, in Form von Angstanfällen, an die sich
Zustände von Melancholie und Hypochondrie anschlossen. In einzelnen Schüben,
die in Abständen von Jahren aufeinander folgten und von Remissionen und auch
Zeiten abnorm gesteigerten Wohlbefindens unterbrochen waren, entwickelte sich
das Leiden weiter, um erst nach 23jähriger Dauer in der Irrenanstalt Endenich
bei Bonn zu enden. Nach der anfänglichen Angst und Verstimmung bildeten sich
einzelne wunderliche Manieren und Stereotypien heraus, eine Neigung zu Stumm¬
heit, Mißtrauen, zunehmende, lange Zeit fast ununterbrochen bestehende Gehörs-
täuschungen, Erschwerung der Sprache, allmähliche Abnahme der Geisteskräfte.
Die Schrift veränderte sich, aber auffallenderweise in dem Sinne, daß an Stelle
der früheren Leichtigkeit, ja Flüchtigkeit und Unleserlichkeit die Buchstaben
fester, klarer wurden und einen starren Ausdruck annahmen. Verf. rechnet
Schumanns Krankheit zu der Form, die heute Dementia praecox genannt wird,
hebt aber dabei hervor, daß dieser Name, ursprünglich von den schweren Fällen
in den Irrenhäusern abgeleitet, für viele Kranke, die niemals eigentlich dement
werden, nicht recht zutreffend ist. Von dem Arzte, der Schumann in Endenich
behandelte, ist bekannt, daß er die Diagnose auf „die melancholische Form der
Paralyse“ gestellt hatte; Verf. führt aber überzeugende Momente an, die ihn
veranlassen, die Annahme, daß sich etwa auf das „Jugendirresein“ noch eine
Paralyse aufgepflanzt habe, abzulebnen, d. h. die Diagnose des behandelnden Arztes
zu korrigieren. Das Ergebnis ist also, daß Rob. Schumann auf Grund ererbter
Anlage geisteskrank war, daß er sein Talent mit seiner Krankheit bezahlt hat.
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Forensische Psychiatrie.
38) Über die zur strafrechtlichen Behandlung zurechnungsfähiger Minder*
wertiger gemaohten Vorschläge, von Prof. C. Möli. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. XXXIX. 1905.) Ref.: G. Ilberg.
Die sogenannten vermindert Zurechnungsfähigen fallen nach Prof. Kahls
Untersuchungen ausschließlich in das Gebiet der Personen, die jetzt bei Verübung
eines Deliktes bestraft werden, sie sind Zurechnungsfähige mit geistiger Minder*
Wertigkeit und müssen die Merkmale der Deliktsfähigkeit ganz deutlich haben,
sonst sind sie überhaupt nicht zurechnungsfähig. Möli erörtert einschlägige Ver¬
handlungen des 27. deutschen Juristentages und der in Stuttgart abgehaltenen
Sitzung der internationalen kriminalistischen Vereinigung und bringt einige Bei¬
spiele bei, wo von erfahrenen Psychiatern gesagt worden ist: wäre eine ver¬
minderte Zurechnungsfähigkeit gesetzlich anerkannt, so würde diese Person un¬
zweifelhaft darunter fallen.
Ein Überblick über die von verschiedenen Seiten gemachten Vorschläge ergibt
nun nach des Verf.’s Darlegung, daß über die Notwendigkeit der Berücksichtigung
leichter psychischer Abweichungen Übereinstimmung herrscht: Grundsätzlich ist
die allgemeine Berücksichtigung psychischer Mängel oder Schwächen auch bei
als zurechnungsfähig Betrachteten erforderlich, und zwar sowohl beim Urteil wie
beim Strafvollzug; namentlich müssen Sonderbestimmungen für die Behandlung
jugendlicher Verbrecher ausgearbeitet und Geisteskranke unter ihnen müssen aus¬
gelesen werden. Bei den zurechnungsfähigen Minderwertigen handelt es sich aber
nicht nur um die individuelle Berücksichtigung beim gewöhnlichen Strafvollzug,
auch die Möglichkeit ihrer Überführung in eine am besten bei der Strafanstalt
befindliche Abteilung für gemilderten Strafvollzug ist anzustreben. Nach
der Strafverbüßung bieten Bewahranstalten mit gradweiser Abstufung des
Verschlusses und der Freiheitsbeschränkung die zweckmäßigste Form sichernder
Versorgung für anders nicht genügend zu beaufsichtigende gemeingefährliche Zu¬
rechnungsfähige mit psychischen Mängeln oder Schwächen. Durch räumliche
Trennung von den Strafanstalten sollten diese Bewahranstalten den Unterschied
zwischen Strafe und sichernder Verwahrung zutage treten lassen; für Beschäftigung
im Freien sollten hier Einrichtungen getroffen werden. „Gemeingefährliche“ ohne
psychische Schwächen und Mängel bieten endlich nach den Ausführungen des
Verf.’s nur in der Minderzahl der Fälle (chronische Vergiftungen, Ernährungs¬
störungen) Aussicht auf erfolgreiche Behandlung in Krankenanstalten. Die
Anstalten für Geisteskranke, Nervenkranke usw. können zur sichernden Verwahrung
nach der Strafverbüßung bis zum Wegfall der Gemeingefährlichkeit im allgemeinen
nicht herangezogen werden; diese Anstalten würden manchen „Gefährlichen“
gegenüber wenig leisten, weil sie Zwang weder zur Beschäftigung noch zur Dis¬
ziplin anwenden, mit den Schutzmaßregeln allein aber durchaus keinen Einfluß
auf die schlimmen, längerer oder gar dauernder Verwahrung bedürftigen Elemente
ausüben können. Eine solche Aufgabe muß — auch hierin wird jeder Irrenarzt
dem Verf. lebhaft zustimmen — von den lediglich zur Gesundheitspflege be¬
stimmten Krankenanstalten abgewandt werden, da sie von ihrem eigentlichen
Zweck wesentlich abweicht.
III. Bibliographie.
Therapeutische Technik für die ärztliche Praxis. Bin Handbuch für Ärzte
und Studierende, von J. Schwalbe. Erster Halbband. (Leipzig 1906,
Georg Thieme. 352 S.) Ref.: Adler (Pankow-Berlin).
Das vorliegende Handbuch, welches sich nur an den praktischen Arzt
und den Studierenden wendet, will durch eingehende Darstellung in Wort
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und Bild gleich einer Demonstration im Lehrkursus eine genaue Anleitung zur
Ausführung der praktisch wichtigen Methoden der therapeutischen Technik geben
und so den Praktiker ohne Hilfe eines Lehrers in den Stand setzen, sich mit
diesen Methoden vertraut zu machen. Der bis jetzt erschienene erste Halbband
erörtert die Technik der Massage, Gymnastik und mechanischen Orthopädie (Hoffa),
der Hydro- und Thermotherapie (Vierordt), der Radiotherapie (E. Schmidt) und
der Arzneibereitung (Kobert). In einem besonderen Abschnitt werden die wich¬
tigsten Kapitel der allgemeinen chirurgischen Technik abgehandelt (Hildebrand).
Eine eingehende Würdigung des Handbuches behalten wir uns vor, sobald das¬
selbe vollendet vorliegt. Soviel kann aber schon jetzt gesagt werden, daß Schwalbe
mit Herausgabe dieses Werkes unter Mithilfe namhaftester Autoren sich ein un¬
bestrittenes Verdienst erwirbt, da gerade die technischen Maßnahmen in unserer
Therapie einen immer breiteren Raum einnehmen, da ferner die gebräuchlichen
Handbücher dieser Tatsache bisher nicht genügend Rechnung getragen haben und
ein Handbuch der praktisch wichtigen Technik der gesamten Therapie bisher
überhaupt nicht existiert.
IV. Aus den Gesellschaften.
Psychiatrischer Verein su Berlin.
Sitzung vom 19. Januar 1907.
1. Herr van Vleuten: Einseitige motorische Apraxie (Demonstration
von Frontalsohnltten). Vortr. berichtet über einen Fall von linksseitiger mo¬
torischer Apraxie, welcher ein Tumor zugrunde lag, der in langgestreckter zylindrischer
Form der ganzen Balkenseite anliegend, den linken Gyrus fomicatus, Teile des
medianen Stirnhirns und besonders den Balken selbst fast in seiner ganzen Aus¬
dehnung zerstört hatte, ohne jedoch weder klinisch noch anatomisch erheblichere
Drucksymptome hervorzurufen. Die Hirnrinde sowie, abgesehen von medianen
Stirnhirnpartieu, auch das Mark war überall verschont, wie an einer größeren
Anzahl von Frontalschnitten demonstriert wurde. Nach einer Skizzierung der Ent¬
wickelung der klinischen Erscheinungen wurde der Fall mit den bisher veröffent¬
lichten anatomischen Befunden bei Apraxie verglichen und unter anderem hervor¬
gehoben, daß das Lehrreiche des Falles besonders darin liege, daß eine Dyspraxie
der linken Hand aufgetreten sei bei einem Herd, der, summarisch gesagt, nur
Balkenfasern zerstört habe. Weder sei das Sensomotorium der linken Hemisphäre
im Geringsten betroffen, noch sei die Rinde oder das Mark vom Scheitelschläfen¬
hinterhauptslappen irgendwo außer Funktion gesetzt. Die in Liepmanns Arbeit:
Die linke Hemisphäre und das Handeln ausgesprochene Annahme, daß eine Balken¬
unterbrechung ohne Schädigung der rechten Seite linksseitige Apraxie hervor¬
bringen könne, werde durch den demonstrierten Befund in überzeugender Weise
bestätigt. (Eine eingehende Veröffentlichung wird in der Allg. Zeitschrift für
Psychiatrie erfolgen.) Autoreferat.
In der Diskussion bemerkt Herr Liepmann, daß der Fall nach drei Richtungen
hin Bedeutung habe: 1. zeige er, daß die rechte Hemisphäre nur ungenügend
leistungsfähig sei, 2. beweist er, daß bei alleiniger Unterbrechung der Balkenleitung,
wenn die linke und rechte Hemisphäre erhalten sind, Dyspraxie der linken Hand
auftreten kann. Er habe einen 2. Fall, bei welchem die gleiche Störung vorhanden
sei. Hier handle es sich um eine Erweichung im Balken. Es sei der linke Arm
gelähmt, der rechte apraktisch gewesen; 3. beleuchte der beschriebene Fall die
Bedeutung des Balkens, dessen Funktion noch nie einwandfrei dargestellt worden sei.
2. Zur Diskussion über den Vortrag des Herrn Reich: Über Alogie
bemerkt Herr Liepmann, daß Fälle wie der vorliegende vom Psychiater nicht
so selten gesehen werden. Sie werden aber meist nicht so gut analysiert, sondern
zur Demenz gezählt. Bedenken, den Fall zur transkortikalen Aphasie zu rechnen,
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hat L. nicht. Das Nachsprechen sei erhalten, das Wortbild und das Wort-
bewegungsbild ebenfalls, gestört seien aber die Beziehungen vom Wort zum Begriff,
es liege daher eine transkortikale Aphasie im Sinne Wernickes vor, gleichgültig,
ob die Verbindungen oder die Begriffe selbst als gestört gedacht würden. Freud
hat für die vorliegende Sprachstörung die Bezeichnung agnostische Aphasie vor¬
geschlagen. Was Vortr. als Alogie bezeichnet, habe man bisher als Dissoziation
der Begriffe aufgefaßt; die Störung wäre also eine dissoziative Asymbolie, das was
W T ernicke Asymbolie durch Störung der sekundären Identifikation genannt bat.
Es sei für die Verständigung von Wert, daß die einzelnen Fälle zu den schon
eingeführten Begriffen in Beziehung gebracht würden. Daß in dem Falle des Vortr.
die Einzelerinnerungsbilder erhalten, und nur ihre Assoziation zum Begriff auf¬
gehoben sei, lasse sich nicht strikte beweisen, insbesondere nicht aus der fehlenden
Ratlosigkeit und dem erhaltenen Sortieren. Das Fehlen aller Herdsymptome mache
die Annahme aber wahrscheinlich, daß es sich im wesentlichen um eine Lockerung
der Bilder gehandelt habe. In der Tat findet sich nun eine überraschende Über¬
einstimmung des anatomischen Befundes mit der klinischen Analyse, wenn die
Flechsigsche Lehre von den Assoziationscentren zugrunde gelegt werde. Ganz
vollständig sei die Übereinstimmung aber nicht, da die hier gut erhaltene Kon¬
vexität des Hinterhauptlappens von Flechsig zu den Assoziationscentren ge¬
rechnet werde. Aber auch ohne die Annahme der Assoziationscentren Flechsige
habe sich ein ähnlicher Befund erwarten lassen. Nach Wernicke haben das
Brocasche Centrum, die Centralwindungen, der hintere Teil der ersten Schläfen¬
windung, die Fissura calcarina, und, wegen der Erhaltung der Formerkennung
auch die Konvexität des Hinterhauptlappens intakt sein müssen, dagegen habe die
Parietooccipitalgegend und der Rest des Schläfenlappens befallen sein müssen,
da hier die Verbindungsbahnen gelegen seien. Es wäre demnach die Läsion auch
nach der Auffassung Wernickes u. a. ähnlich zu lokalisieren, nur daß dann der
Hauptwert auf die Atrophie des Markes und nicht wie bei Flechsig auf die
Atrophie der Rinde zu legen wäre. Zn schwer wiegende prinzipielle Schlüsse
möchte L. aus dem äußeren Bilde der Atrophie in einem Falle nicht gezogen wissen.
L. zeigt Photographien von Gehirnen, bei denen sich bei ähnlichen klinischen
Bildern wie im vorliegenden Fall eine andere Ausdehnung des atrophischen Pro¬
zesses fand.
Herr Moeli betont die Schwierigkeiten, welche die schwankenden Ergebnisse
der klinischen Prüfungen zu verschiedenen Zeiten der Deutung des Falles bereiteten.
Auffällig war ihm, daß der Kranke imstande war, bestimmte Gegenstände, deren
Erkenntnis besonders durch die Form gegeben war, zu sortieren, also eine Ope¬
ration vorzunehmen, bei der eine Tätigkeit relativ aufeinanderliegender Gehirn¬
bezirke vorausgesetzt werden muß. Trotz der Übereinstimmung nach manchen
Richtungen bleiben in diesem und ähnlichen Fällen noch viele Fragen zu lösen.
Erwünscht wäre es besonders, wenn Fälle zur Beobachtung kämen, in denen die
Ausdehnung der Atrophie eine wesentlich geringere wäre als im vorliegenden Falle.
Herr Reich sieht als das Wesentliche im vorliegenden Falle an, daß hier tat¬
sächlich eine Störung vorliegt, welche sich dadurch dokumentiert, daß trotz Er-
haltenseins der kortikalen Regionen durch eine Schädigung der Verbindungen
derselben das Erkennen eine schwere Störung erfahren hat. Es würde sich fragen,
ob eine neue Bezeichnung sich vernotwendigt. Es sei zuzugeben, daß es sich um
einen dissoziativen Prozeß handelt: um ihn aber als etwaB Besonderes hervorzuheben,
habe er einen besonderen Namen gewählt. Die transkortikale Aphasie treffe hier
nicht zu, da diese einen besonderen Herd voraussetzen lasse. Den Heubnerschen
Fall halte er nicht für beweisend für die Flechsigsche Theorie. Fälle, in denen
Andeutungen von aphasischen und asymbolischen Störungen vorhanden sind, seien
nicht selten. Es gehöre aber nicht jeder Fall zu denen einer systematischen Form
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von Atrophie. So gebe es einzelne Fälle, an denen die Atrophie nur an einzelnen
Stellen lokalisiert sei. Dies beweise ein Fall, in welchem, wie Vortr. auf einem Bilde
demonstrieren kann, nur das Stirnhirn atrophisch war. Als interessant würde auch
Vortr. Fälle ansehen, bei denen eine geringere Atrophie vorhanden sei. Als sehr
wichtiger Befund des Falles sei endlich noch zu erwähnen, daß danach zu schließen
sei, daß die rechte Hemisphäre keinen Anteil an der Begriffsbildung hat.
Herr M o e 1 i hält es fiir möglich, daß die gleichen Zustandsbilder auch durch
die Beteiligung des Markes hei Intaktbleiben des Bindengebietes zustande kommen
könnten. Er fragt, ob Unterschiede festzustellen seien, ob der Prozeß im Mark«
lager oder in der Binde statthabe.
Herr Beich bemerkt dazu, daß Schlaganfälle auf Erweichungen im Marklager
hinweisen. In seinem Falle seien Schlaganfälle nicht vorgekommen.
Herr Liepmann weist noch auf die Wichtigkeit der Untersuchung des Hirn-
stammes hin mit Rücksicht auf das Vorhandensein von sekundären Degenerationen.
Herr Juliusburger: Zur Behandlung der forensisohen Alkoholisten.
Vortr. will mit seinen Ausführungen einen Beitrag zur Kritik des § öl StrQB.’s
liefern. Daß enge Beziehungen zwischen den verschiedenen Kategorien des Ver«
brechens und dem Alkoholismus als erzeugendem bzw. aiulösendem Faktor be*
stehen, ist nicht zu bezweifeln. Zu unterscheiden ist das soziale Milieu und der
duroh die akute oder chronische Alkoholwirkung auf das Gehirn hervorgerufene
anthropologische Faktor. Über die Genese des Alkoholverbrechens herrscht dem«
nach Klarheit, nicht aber hinsichtlich der Behandlung der forensischen Alkoholisten,
und dies ebenso im Kreise der Juristen wie der Mediziner. Ein paar Bei¬
spiele illustrieren die Gegensätze der Anschauungen. Eine Frauensperson, welche
im Zustande außerordentlicher Erregung als Folgeerscheinung von Alkohol-
degeneration ihren Geliebten schwer verwundet hatte, wird freigesprochen. Ein
Mensch, welcher einen anderen auf einer Bierreise im Streit erschlagen hat, erhielt
in Hinsicht auf seine Alkoholisierung Freispruch. Dagegen wurden drei Schüler,
welche nach dem Genüsse von Bier und Wein einen Diebstahl bei einem Konditor
begangen hatten, mit Gefängnis bestraft. Der Psychiater hat sich dem alko-
holistischen Verbrecher ebenso wie jedem andern Verbrecher gegenüberzustellen.
Es ist deshalb der § öl ins Auge zu fassen. Vortr. plaidiert nun im Sinne
Aschaffenburgs dafür, daß die Irrlehre von der Willensfreiheit aus der Wissen«
schaft verschwindet Vortr. erinnert daran, daß von Spinoza, Hume, Kant,
Schopenhauer, Priestley die Willensunfreiheit gelehrt wurde. Mit der Willens¬
freiheit fällt auch die Lehre von der moralischen Verantwortlichkeit in sich zu¬
sammen. Dafür hat die soziale Verantwortlichkeit zu treten, bzw., da Vortr. das
Wort Verantwortlichkeit vermieden wissen will, die soziale Inanspruchnahme, da
der Mensch ein soziales Wesen ist und Solidarität die Grundlage des Menschen¬
tums ist. Vortr. ist mit dem Aschaffenburgschen Vorschlag in bezug auf die
Änderung des § öl im allgemeinen einverstanden. Er wünscht aber noch mehr,
nämlich daß auch nicht mehr mit dem Begriff Krankheit und der gradweisen
Abstufung gearbeitet wird. Nicht darüber soll man sich den Kopf zerbrechen,
ob krankhafte Geistesstörung vorliegt oder nicht, sondern man soll prüfen, welche
antisoziale Handlung vorliegt, welche soziale Funktion gestört ist, in welcher
Richtung die soziale Parafunktion des Individuums liegt, aus welcher psycho¬
logischen Wurzel sie gewachsen ist, welches soziale Milieu auf das Individuum
eingewirkt hat, welche anthropologischen Faktoren es determiniert haben. Nach
Beantwortung dieser Fragen ist der jeweiligen Individualität entsprechend die
entsprechende Anstalt auszuwählen, um in dieser die soziale Inanspruchnahme des
Individuums vorzunehmen, entweder derart, daß eine Heilerziehung zum sozialen
Wohlverhalten gelingt oder daß hei ihrem Versagen eine dauernde Ausschaltung
aus der menschlichen Gesellschaft erfolgt. Es soll also die planvolle Berück-
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sichtigung der ganzen Persönlichkeit im Hinblick auf ihre Fähigkeit, das soziale
Getriebe wenigstens nicht zu stören, treten. Damit ist der ätiologische Faktor
in den Vordergrund gerückt. Für alle antisozialen Handlungen, die auf das Konto
Alkoholgenuß zu setzen sind, ist prinzipielle Straflosigkeit zu fordern, aber
keinerlei Freispruch, sondern Unterbringung auf unbegrenzte Zeit in passende
Anstalten, ln Ermangelung von Spezialanstalten haben die Irrenanstalten die
alkoholistischen Delinquenten aufzunehmen; hier hat aber das Prinzip der Trinker*
rettungsvereine zu herrschen. Auch in den Strafanstalten hat dies Prinzip sich
geltend zu machen. Bei der Entlassung hat die Anstalt mit Enthaltsamkeits-
Vereinen Hand in Hand zu gehen. Diesen könnte sogar die Beaufsichtigung der ent¬
lassenen Sträflinge, sobald sie Mitglieder der Vereine werden und es bleiben, über¬
tragen werden, damit die Polizeiaufsicht vermieden wird. Als ganz besonders wertvoll
ist zu erachten, daß jedermann, auch der notorische Trinker, sobald er in den
Kreis der Gemeinschaft eingetreten ist, brüderlich empfangen wird. Die Ver¬
gangenheit wird zugedeckt und der neue Freund erfährt keine moralischen Vor¬
würfe; dagegen wird ihm stete Mahnung und dauerndes Beispiel zuteil. Es sind
die Vereine deshalb im Kampfe gegen das alkoholistische Verbrechen unent¬
behrlich. A s o h e r (Berlin).
Wanderversammlung des Vereins für Psychiatrie und Neurologie in Wien.
II. Sitzung am 5. Oktober 1906.
Herr Oskar Fischer (Prag): Über hysterisohe Dysmegalopsie. Eine
an Makropsie und Mikropsie leidende Hysterica zeigte im makropischen Zu¬
stande Mikrographie und umgekehrt bei intaktem Akkommodationsapparat. Schuf
man künstliche Dysmegalopsie (Homatropin, Eserin, Brille), so addierte sich die
so erhaltene der bestehenden; erst Atropin ließ die Dysmegalopsie verschwinden,
woraus Vortr. den Schluß zieht, daß die Störung der Größenwahrnehmung nur
im Akkommodationsvorgange seine Ursache habe, und zwar in einem sensiblen,
dem motorischen angegliederten Akkommodationscentrum. Da während der Dys-
megalopsie Patientin in normaler Größe halluzinierte, so spricht dies für eine
psychische Genese der Halluzinationen, die transkortikal im Sinne Wernickes
seien. — Ein zweiter Fall von Sehstörung betrifft einen traumatischen Hysteriker,
der alles was links war wesentlich größer sah als das rechts befindliche. Hier
zeigte das Stereoskop keinerlei Störung des Akkommodationsapparates. Zudem
waren die Halluzinationen gleichfalls verzerrt, so daß diese Dysmegalopsie im
Gegensatz zur ersten, der kortikalen, als transkortikale zu bezeichnen ist.
Herr Infeld verweist auf eine Selbstbeobachtung von Dysmegalopsie, die
auch unter physiologischen Umständen vorkommt.
Herr Jan Piltz (Krakau): Sensibilitätsstörungen bei progressiver Para¬
lyse. Vortr. berichtet über Untersuchungen, die insofern eine Gesetzmäßigkeit
ergaben, als bei 14 Paralytikern eine kragenförmige hyperalgetische oder normal
empfindende Zone am Halse, bei acht eine gtirtel- und korsettähnliche am Rumpfe,
bei vier eine nicht näher bestimmte im Gesichte bestand, während sonst schwere
Hypalgesie oder Analgesie vorhanden war. Die Untersuchungen werden fortgesetzt.
Herr Anton weist auf Unterschiede in der Haut-, Nerven- und Plexus¬
empfindlichkeit hin.
Herr H. Schloss: Zur Kenntnis der Ätiologie der angeborenen und
frühaeitlg erworbenen geistigen Defektzustfinde. Auf Grund von 300 sorg¬
fältig erhobenen Anamnesen kommt Vortr. zum Schlüsse, daß Heredität und
Blutsverwandtschaft ätiologisch keine so wesentliche Rolle spielen, als z. B. intra¬
uterine Schädigungen der Frucht durch physische und psychische Schädigung der
schwangeren Mutter. Diese führen einerseits zu angeborener physischer Schwäche,
andererseits zu Eklampsie. Solche Kinder werden häufig bydrocephal geboren.
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Ebenso sind Frühgeburt, protrahierte Geburtsakte, Asphyxie ätiologisch wichtig.
Hereditäre Lues fand sich nur einmal, dagegen Hydrocephalien häufiger. Ferner
sind Schilddrüsenmangel, überstandene Meningitiden, die prädisponierend wirken,
Infektionskrankheiten, letztere direkt oder indirekt durch Vermittlung epileptischer
oder eklamptischer Anfälle, erwähnenswert Diese Bind überhaupt ein häufig in
Frage kommendes Moment, sei es, daß eine Rhaohitis oder die Impfung bei dazu
Prädisponierten die Anfälle auslöst. Operationen, Schädeltraumen, Alkoholismus
seien gleichfalls genannt Doch am häufigsten ist die Eklampsie Ursache des
Schwachsinnes, wobei oft erst eine Gelegenheitsursache die Anfälle auslöst, am
häufigsten zwischen 6. und 8. Lebensjahr.
Herr v. Wagner weist darauf hin, daß Konsanguinität auch abgesehen von
aller Heredität zur Idiotie führen könne. Bezüglich des Alkoholismus verweist
v. W. auf die Insel Sansego im adriatischen Meere, wo alles, auch die Kinder,
nur Wein (2 Liter täglich) trinken, ohne daß Degeneration der Bevölkerung
wahrzunehmen war.
Herr Arthur Schüller spricht sich gegen eine ätiologische Bedeutung der
Rhachitis, sowie des Impfens aus, wohingegen „Alterskinder“ eher für Schwach¬
sinn prädisponiert seien (Geburt bei vorgeschrittenem Alter der Eltern).
Herr Pilcz macht auf Defektzustände bei Kindern aufmerksam, die nach
langem Intervall nach den früheren Schwangerschaften geboren wurden.
Herr Karl Liebscher (Brünn) berichtet über einen eigenartigen Fall von
„Ganser*', bei dem er durch gewisse Maßnahmeu (Einträufelung von Atropin, Eserin
oder destilliertem Wasser in ein Auge) eine Art von Halbseitigkeit gewisser dem
Ganser zugehöriger Erscheinungen zeitweise hervorzubringen vermochte. Diese
Erscheinungen bestanden darin, daß Pat. angab, an Stelle von Buchstaben und
farbigen Abbildungen andere zu sehen, welche gewöhnlich zu den vorgezeigten
in einer gewissen gegensätzlichen Beziehung standen. Der Pat. war sich dieser
Störung bewußt. Außerdem bestand eine eigenartige Störung der Stereognose
mit ähnlichen Fehlreaktionen. Durch den psychischen Einfluß der Einträufelung
wurden diese Störungen korrigiert, und zwar derart, daß dieselben nur halbseitig
vorhanden waren. Daneben bestand noch Dysmegalopsie psychischen Charakters.
Herr Hartmann (Graz): Zur Pathologie der motorischen. Großhirn-
funktionen. Auf Grund eigener klinisch und anatomisch untersuchter Fälle mit
Störungen des Handelns kommt Vortr. zum Schlüsse, daß das Stirnhirn und der
Balken beim Ablaufe komplizierter Bewegungsakte der Extremitäten wesentlich
beteiligte Hirngebiete sind. Die linke Hemisphäre präponderiert (Liepmannj.
So erzeugt Läsion des linken Stirnhirns der Seelenlähmung nahestehende Be¬
wegungsstörungen mit Verlust der Eigenleistungen des Sensomotoriums bezüglich der
gegenüberliegenden Körperhälfte, läßt aber auch das Bewegungsgedächtnis und
die Bewegungsintention der gleichseitigen Körperhälfte geschädigt erscheinen. —
Durchtrennung des Balkens von den Ebenen der vorderen Kommissur nach hinten
läßt scharf den Ausfall der Tätigkeit des linken Gehirnes erkennen, die für die
rechtshirnigen Leistungen nötig ist. Während Eigenleistungen erhalten bleiben,
sind Nachahmen, Objekthandlungen und Bewegungsgedächtnis stark beeinträchtigt.
Trotz der nur leichten Beteiligung der rechten Extremitäten war das zweihändige
Manipulieren mit Objekten fast ganz unmöglich. Daneben fand sich eine Störung,
die als statisch-lokoinotorische Apraxie bezeichnet werden muß. Läsion im rechten
Stirnhirn zeigt trotz relativ geringen Umfanges Störungen der Objekthandlungen
und des Bewegungsgedächtnisses der linken Extremitäten. Vortr. schließt mit
der Ansicht, daß sich gewisse (noch näher zu bestimmende) Partien des Stirnhirns
zur Extremitätenzone der Centralwindungen so verhalten, wie die Brocasche
Windung im motorischen Sprachmechanismus zu den motorischen Feldern der
Hirnnerven am Fuße der Centralwindungen.
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239
Herr Alessandro Borgherini (Padua): Über Myasthenia gravls. (Er*
scheint unter den Originalmitteilungen dieses Centralblattes.)
Herr Harburg fand gleichfalls in 2 Fällen Vermehrung von Sarkolemm-
kernen, daneben vereinzelte Leukocyten und Lymphocyten. Doch fanden sich
auch die Muskelfibrillen verändert, indem sich (nach Marchi) fettiger Zerfall,
und zwar diskontinuierlich, zeigte. Danach hat man das Recht, die Muskel*
Veränderung bei Myasthenie als Myositis parenchymatosa zu bezeichnen etwa im
Sinne der Neuritis parenchymatosa. Etwas spezifisches scheint der diskontinuier¬
liche Zerfall (nach Marchi) nicht zu haben, da er sich in einem Falle von
amyotrophischer Lateralsklerose des Herrn Piloz gleichfalls fand.
Herr Stransky bemerkt, daß er ein gleiohes auch bei einem Paralytiker
mit spinaler progressiver Muskelatrophie beobachtete.
Herr A. Fuchs bemerkt, daß er die Kombination atrophischer bzw. pseudo¬
hypertrophischer Prozesse mit Myasthenie wiederholt gesehen habe. Die Unter¬
suchungen nach myasthenischer Reaktion bei reinen Fällen Erbscher Dystrophie
blieb resultatlos. Daß die Anode nach Erschöpfung der Kathode noch Zuckung
erzeugt, konnte F. nie beobachten. Eichte myasthenische Reaktion hat F. bisher
nur bei Myasthenia gravis finden können.
Herr A. Schüller fand faradische Zuckungsträgheit auch in einem Falle
von Myositis universal».
Herr Ernst GrosBmann: Die Behandlung der Ischias mit perineuraler
Kochsalsinflltration. Als Resultat dieser Methode sei vor allem eklatante Schmerz¬
stillung gleich nach der Injektion erwähnt. Nebenerkrankungen fanden sich nie.
Dagegen traten gelegentlich neuerlich Schmerzen auf, die einer kombinierten Be¬
handlung (Injektion, Einpackungen, Heißluft) wichen. So wurden 11 Patienten
geheilt, drei wesentlich gebessert, einer ungebeilt entlassen. ■ Die Heilung war,
soweit es an 5 Patienten eruiert werden konnte, eine dauernde. Man hat also
in der perineuralen Infiltration ein Verfahren, das wohl kein absolutes Heilmittel
der Ischias vorstellt, aber mit anderen physikalischen Methoden kombiniert in den
meisten Fällen Heilung bringt.
Herr Bum wendet jetzt nur Kochsalz zur Infiltration an, da er meint, daß
mechanische Vorgänge die wirkenden Faktoren seien. B. injiziert etwa 100 ccm
Kochsalzlösung in den Ischiadicus an jener Stelle, an welcher der untere Rand
des Glutaeus maximus den lateralen äußeren Rand der Bicepssehne kreuzt. Hier
ist der Nervenstamm am leichtesten in nioht allzu sehr forzierter Knieellbogen¬
lage des Patienten zu treffen.
Sitzung am 6. Oktober 1906, 9 Uhr Vormittags.
I. Beschäftigungstherapie bei Geisteskranken. Referent: Herr Star linger.
Aus den Ausführungen des Referenten geht hervor, daß die Beschäftigung für
die Geisteskranken unschädlich und ungefährlich ist. Die meisten Arbeiter liefert
der angeborene Schwachsinn und die primäre Verrücktheit; ferner Epileptiker und
Alkoholiker. Am geringsten ist die Beschäftigungsmöglichkeit bei Hysterie und
Paralyse, während Manie, Melancholie, Paranoia, Epilepsie und Neurasthenie die
Hälfte der zu Beschäftigenden stellen. Auffällig ist die geringe Beteiligung der
Kopfarbeiter. Die Erfolge der Beschäftigung sind weitreichend, indem sie materiell
die Verpflegung verbilligte, das Anstaltswesen ethisch hob und die Kranken ab¬
lenkte. In der Beschäftigung ist ein nicht hoch genug anzuschlagender Behand¬
lungsfaktor der Irrenanstalten gegeben.
II. Beschäftigungstherapie für Nervenkranke. Referent: Herr Max Laehr
(Berlin). Statt Beschäftigungsbehandlung ist besser Arbeitsbehandlung zu sagen,
da nicht einfach ablenkende Beschäftigung, sondern tieferwirkende ernste Arbeit
nötig ist, um ein Ziel zu erreichen. Allerdings gibt es Grenzen dafür, die in
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240
der psychischen Entwickelung der einzelnen Kranken, sowie in der Krankheit
seihst liegen, da Defekte nicht beseitigt werden, d. h. von Hause aus arbeitsscheue
Menschen nicht zu arbeitsamen gemacht werden können. Außerdem ist sie nicht
die einzige Behandlungsart Nervenkranker, sondern tritt erst dann recht in
Wirksamkeit, wenn sie mit anderen Behandlungsmethoden kombiniert wird. Bei
der Wahl der Arbeit ist streng zu individualisieren; eine ständige ärztliche Über*
wachung und sachgemäße Anleitung ist nötig, wie sich das am besten in einer
Heilstätte organisieren läßt.
IV. Sitzung am 6. Oktober 1906, 3 Uhr Nachmittags.
Herr Schüller: Über die Beziehungen zwischen Keimdrüsen und den
nervösen Centralorganen bei Bohwaohsinnigen. (Erscheint später ausfürlich.)
Herr Ernst Sträußler: Zur Frage der nervösen Regeneration im
Rückenmark. In zwei Fällen fanden sich im Anschluß an ein Wurzelneurom
Nerven von typisch peripherem Bau im Bückenmark selbst (centrale Neurome);
im ersten Falle handelt es sich um eine Schußverletzung des Rückenmarkes, im
zweiten um Tabes mit Erweichung. Das spricht für weitgehende Regeneration
von Nervenfasern der Wurzeln, so daß man berechtigt ist, bei Wiederkehr einer
Funktion auch die Regeneration von Fasern dafür verantwortlich zu machen.
Herr 0. Fischer: Ein weiterer Bericht über den fleokweisen Markfiaser-
ausfall bei der progressiven Paralyse. Vortr. demonstriert weitere Präparate
mit den bereits beschriebenen (vgl. d. Centr. 1907. S. 36) marklosen Flecken, die
man auch am Hämatoxyl in-Eosin präparate als Lockerung des Gewebes erkennen
kann. Man findet mit der Weigertschen Gliamethode Verdichtungen. Dies alles
nur bei Paralyse (in 65°/ 0 ). Bei seniler Demenz und arteriosklerotischer Hirn¬
atrophie fehlten die Flecken.
Herr Marburg bemerkt, daß Dr. Mycake in einigen Fällen seniler Hirn¬
veränderung ähnliches fand wie Fischer bei der ParalyBe. Auch sei das heute
Demonstrierte dem früheren nicht identisch, sondern gleiche eher einer perivasku¬
lären Sklerose.
Auch Herr v. Wagner und Herr Redlich geben ihren Zweifeln Ausdruck,
während Herr Anton meint, daß das Areal der Fibrae propriae sich in der Er¬
nährung von anderen Rindenteilen abhebt. Man trifft sehr häufig glasige Auf¬
hellungen bei Senilen und Arteriosklerotikern. ,
In der Erwiderung gibt Herr Fischer seinem Zweifel Ausdruck, ob unter
den senilen Gehirnen Mycakes nicht Paralysen unterlaufen sind, die derartige
Befunde erklärten.
Die folgenden Vorträge: Fräul. Leonowa: Über das Verhalten der Rinde
der Calcarina bei Mikrophthalmie und Amelie, Herr Maier (Graz): Experi¬
mentelle Beiträge zum bistologisohen Verhalten der nervösen Systeme im
Rüokenmark und Herr v. Wagner: Über marinen Kretinismus sind bereits
anderweitig erschienen oder werden in extenso publiziert (bezüglich des letzteren
Vortrages vgl. das Referat auf S. 226 in dieser Nummer). Marburg (Wien).
V. Vermischtes.
[Die Gesellschaft Deutscher Nervenärzte wird ihre erste Jahresversammlung
im September d. J. in Dresden abbalten. Die Eröffnungssitznng fällt voraussichtlich auf
den 14. September. Die Referate (Krause-Berlin, BrunB-Hannover, Neisser-Stettin,
L. K. Müller-Augsburg) beziehen sich in erster Linie auf die chirurgische Therapie der Nerven¬
krankheiten. Vorträge haben übernommen: A.Pick-Prag, Nonne-Hamburg, A. Schüller-
Wien u. a. Weitere Vorträge sind rechtzeitig anzumelden bei Prof. Oppenheim-Berlin.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Vbit & Comp, in I<einzie. — Druck von Mrtzokr & Wtttio in Leipzig
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igiral frcm
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Neurologisches Centralbutt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
SeehsaiidjEW&iuiggter " Berlln ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 16. März. Nr. 6.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Horizontale Bulbusschwingungen bei Lidschluß,
eine bisher nicht beschriebene Art von Mitbewegungen, von Prof. Dr. Hermann Schlesinger
in Wien. 2. Zur Pathologie der kontinuierlichen rhythmischen Krämpfe der Schlingmusku¬
latur (2 Fälle von Erweichungsherden im Kleinhirn), von Privatdozent Dr. Klien. 3. Über »
den Mechanismus und die Lokalisation der psychischen Vorgänge, von Prof. Ernst Jendrlssik
in Budapest. (Schluß.) 4. Ein Fall von Landry'scher Paralyse kombiniert mit Hysterie,
das Bild eines ascendierenden Bückenmarkstumors vortäuschend, von Dr. L. Jacob.
II. Referate. Anatomie. 1. Über die intrabulbären Verbindungen des Trigeminus
zum Vagus, von Grossmann. — Physiologie. 2. Über den Einfluß des Bindencentrums
für Speichelsekjetion auf die reflektorische Tätigkeit der Speicheldrüsen, von Belitzki.
3. Über Hemmungen des Centralnervensystems unter der Wirkung des galvanischen
Wechselstromes, von Tschagowez. — Psychologie. 4. Das Kind, seine geistige und
körperliche Pflege von der Geburt bis zur Keife, von Biedert. 5. Experiences collectives
sur le tdmoignage, par Claparäde. 6 . I. Kriminalpsychologie und Psychopathologie in
Schillers Räubern. IL Ibsens Nora vor dem Strafrichter und Psychiater, von Wulften. —
Pathologische Anatomie. 7. Beitrag zur pathologischen Anatomie der Bomaschen
Krankheit, von Oppenheim. — Pathologie des Nervensystems. 8 . Über Plattenepithel¬
geschwülste der Hypophysengegend (des Infundibulums), von Bartels. 9. Un cas d'acro-
megalie sans hypertrophie du corps pituitaire avec formation kystique dans la glande, par
WMal, Roy et Froin. 10. Un cas d’acromögalie avec lesions de l'hypophyse et de la seile
turcique, par Gaussei. 11 . Über Akromegalie, von Witte. 12. A peculiar form of acromegaly,
poasibly resulting from injury, by Perry. 13. Acromegalie partielle avec infantilisme, par
Pal. 14. Ein Fall von Gigantismus infantilis, von Redlich. 15. Experimentelle Versuche
zur parathyreoidealen Insufficienz in bezug auf Eklampsie und Tetanie, mit besonderer Be¬
rücksichtigung der antitoxischen Funktion der Parathyreoideae, von Frommer. 16. Tetania
par&thyreopriva, von Erdheim. 17. Kindertetanie und Epithelkörperchen, von Stoeltzner.
18. Über die Beziehungen der Tetanie zum weiblichen Sexualapparat, von Gross. 19. Bei¬
trag zur Lehre von der Tetanie bei Magenerweiterung, von Richartz. 20. Zur Kenntnis
der Tetanie intestinalen Ursprunges, von Quosig. 21. Tetanie im Verlaufe der Magenkrank¬
heiten und des Abdominaltypnus, von Starf. 22. Die Kindertetanie (Spasmophilie) als Calcium¬
vergiftung, von Stoeltzner. 23. Tetaniestar — Zuckerstar — Altersstar, von Plneles. 24. Über
Behandlung der Tetanie mittels Nebenschilddrüsenpräparaten, von Loewenthal und Wiebrecht.
25 Beobachtungen über kuhmilchfreie Ernährung bei dem Laryngospasmus, der Tetanie
und Eklampsie der Kinder, von Mendelsohn und Kuhn. 26. Degeneration of nerve-cells of
the rabbits superior cervical syrapathetic ganglion as the result of interfering with their
btood snpply, by Tuckett. 27. Über die Rolle des Sympathicus bei der Erkrankung des
Wurmfortsatzes, von Hönck. 28. Beitrag zur Erkenntnis der Pathogenese der Raynaud'schen
Krankheit, von Hnätek. 29. Ein Fall von symmetrischer Gangrän (Raynaud) auf hereditär-
luetischer Grundlage, von Schiff. 30. Symmetrische Gängrän der Fingerkuppen, von Pelnär.
31. An unusual case of Raynauds disease, by Milner. 32. Ein Fall von Er^rthromelalgie,
von Hirose. — Psychiatrie. 33. Zur angeblichen Entartung der romanischen Völker,
speziell Frankreichs, von Nicke. 34. La demence, par Marie. 35. Klinische Betrachtungen
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bei Entweichungen Geisteskranker, von Albrecht. — Forensische Psychiatrie. 36. Les
devoirs et les droits de la socigtl vis-a-vis des alienea, par Grasset.
III. Vermischtes. — IV. Berichtigung.
Adalbert Tilkowsky f
I. Originalmitteilungen.
[Aus dem K. K. Kaiser Franz Josef-Spital in Wien.]
1. Horizontale Bnlbnsschwingungen bei Lidschluß,
eine bisher nicht beschriebene Art von Mitbewegungen.
Von Prof. Dr. Hermann Sohlesinger in Wien.
Im Laufe des verflossenen Sommers hatte ich während mehrerer Wochen
Gelegenheit, ein Phänomen zu beobachten, das anscheinend bisher nicht be¬
schrieben ist und dessen wesentliche Charaktere in der Titelüberschrift angegeben
sind. Die Bewegungsanomalie gelangte bei einem jungen (27jährigen) Manne
zur Beobachtung, als derselbe auf meiner Spitalsabteilung einen außerordentlich
schweren Typhus mit vielen Komplikationen durchmachte. Der Kranke war
bereits seit mehreren Monaten leidend, hatte wiederholte schwere Darmblutungen,
eine Bauchdeckenphlegmone überstanden und hatte im Anschlüsse an letztere
eine Vereiterung der Parotis akquiriert Zu gleicher Zeit hatte auch eine tiefe
Halsphlegmone in der Gegend des Unterkieferrandes zu wiederholten tiefen In¬
zisionen genötigt Schon beim Einsetzen, noch deutlicher aber beim Abklingen
der Parotisvereiterung wurde eine Parese des rechten Mund- und Stirn facialis
festgestellt Eine atrophische rechtsseitige Hypoglossusparese wurde erst ent¬
deckt, als die wochenlang anhaltende entzündliche Kieferklemme schwand. Die
rechte Zungenhälfte war stark verschmälert, dünner, gerunzelt. Die Zungenspitze
wich beim Vorstrecken der Zunge erheblich nach rechts ab; in der rechten
Zungenhälfte waren deutliche fibrilläre Zuckungen zu sehen und Entartungs¬
reaktion nachweisbar.
Zur Zeit des Abklingens der Parotisvereiterung wurde von mir das Bulbua-
phänomen zum ersten Male beobachtet: Forderte man den Kranken auf, die
Augenlider sanft, wie zum Schlafen, zu schließen, so bemerkte man das sofortige
Einsetzen langsam schwingender Bewegungen der Bulbi in der Horizontalebene.
Die Bulbusbewegungen konnten durch die sehr dünnen Augenlider (und bei
dem vorhandenen rechtsseitigen Lagophthalmus) gut beobachtet werden; die
Exkursionen waren erheblich und näherten die Cornea sowohl dem äußeren
als auch dem inneren Augenwinkel ganz erheblich.
Die Art der Bulbusschwingungen läßt sich, wie mich Kollege Sachs auf¬
merksam machte, noch am ehesten mit der vergleichen, die man bei Blinden
beobachten kann.
Einmal sah ich auch bei dem schlafenden Patienten die Bulbusschwingungen
in ganz analoger Weise wie im wachen Zustande. Im auffallenden Gegensätze
zu der motorischen Unruhe bei intendiertem Lidschlusse stand das Verhalten
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Original frum
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'iw Bulbi bei geöffneten Augen. Die Bulbusbewegungen waren vollkommen frei,
keine Andentang von Nystagmus oder Bulbossohwingimgen.
Das Phänomen war während einiger Wochen deutlich, konnte auch in dieser
Zeit in einer Ante-Vorlesung demonstriert ward«). Mit zunehmender Erholung
des Kranken und parallel mit der Rückbildung der Facialislähmung trat aber
eine Modifikation des Phänomens auf. Es wurde nicht mehr durch ruhigen
Lidschlnß, sondern nur durch forcierten Lidschluß ausgelöst Schon nach wenigen
Tagen aber rief der forcierte Lidschluß nicht mehr horizontale langsame Bulbus¬
schwingungen hervor, sondern es wurden wild ausfahrende Bulbusbewegungen
ausgelöst, die ganz regellos bald nach oben oder unten, außen oder innen erfolgten.
Allmählich wurden die Baibusexkursionen kleiner und spärlicher und zessierten
mit zunehmender Kräftigung des Kranken bei weiterem Rüokgange der Faoialis-
lähmung vollkommen.
Bekanntlich wird beim Lidschluß der Bulbus nach oben oder nach oben und
außen oder endlich nach oben und innen gewendet und verharrt in dieser
Stellung, so lange der Lidsohluß audauert Diese unter der Bezeichnung des
„BELLSchen Phänomens“ gekannte Bulbusbewegung ist besondere bei Facialis-
lähmungen studiert und zum Gegenstände von Publikationen gemacht worden.
Bernhardt bespricht diesen Gegenstand ziemlich ausführlich und betont aus¬
drücklich, namentlich gegenüber einigen französischen Autoren, daß es sich um
eine bei allen gesunden Menschen nachweisbare Erscheinung handle; eine dia¬
gnostische Bedeutung für die Facialislähmung komme ihr nicht zu. Das Phänomen
ist mitunter bei sanftem Lidschi usse nicht nachweisbar, stellt sich aber regel¬
mäßig bei stärkerer Innervation des Orbicularis orbitae (Zukneifen) ein. Ände¬
rungen des Phänomens sind bisher offenbar nur sehr selten zur Beobachtung
gelaugt Zwei Autoren, Bouchaud und Coppez, haben beim Lidschi usse den
Bulbus nach unten sich bewegen gesehen. Die anderen Autoren, die sich mit
diesem Phänomen beschäftigten, u. a. Köster, Nagel, Miohel, Mann, heben
ausdrücklich die Drehung des Bulbus nach oben hervor; auch finde ich er¬
wähnt, daß der Bulbus sich manchmal erst nach oben und innen und dann
erst nach oben und außen wende (Bernhardt).
Eine Art von Augenbewegungen bei forciertem Lidschluß beschrieb Stranskt
unter dem Namen des „assoziierten Nystagmus“. Dieses Phänomen bestand
darin, „daß nach vorsichtigem Offnen der Lidspalte der Versuch, letztere gegen
den duroh den Finger des Untersuchen gesetzten Widerstand langsam zu
schließen, von deutlichen, den krampfhaften Innervationsstößen in den Lid-
sohließern parallel gehenden feinsoblägigen nystaktischen Zuckungen des Bulbus
begleitet war“. Sämtliche von Stranskt beobachteten Fälle wiesen Zeichen
von funktioneller Neurose auf, ebenso ein Fall von Binswanger mit denselben
Symptomen.
Daß das in unserem Falle beobachtete Phänomen nicht dem „assoziierten
Nystagmus“ von Stranskt entspricht, ist sicher. Denn in unserer Beobachtung
handelte es sich um horizontale langsame Bulbusschwingungen und nicht um
feinschlägige Bewegungen; es traten weiter die Bewegungen nur nach erfolgtem
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lÖffgi nal fro-m
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sanftem, kompletem oder inkompletem Lidschiaß oder im Schlafe auf, während
der assoziierte Nystagmus sich zeigt, wenn der Lidschlnß intendiert wird und
auf einen mäßigen Widerstand stößt Der assoziierte Nystagmus entspricht also
einer früheren Phase der Augapfelbewegung beim Lidschlusse, nämlich der
Bulbusbewegung nach oben, die horizontalen Bulbusschwingungen hingegen
treten an Stelle der bereits eingenommenen Schlaf- und Ruhestellung der Bulbi
(nach oben).
Auch mit dem von Bebnheixeb und Baer beschriebenen „reflektorischen
Nystagmus“ bat das Phänomen der horizontalen Bulbusschwingungen nichts zu
tun, zumal lokale Schädigungen der Cornea oder des Bulbus fehlten.
Eine vollkommen befriedigende Erklärung des sonderbaren Phänomens ver¬
mag ich nicht zu geben. Daß dasselbe durch die Facialis- bzw. Hypoglossus-
lähmung veranlaßt war, ist mir sehr unwahrscheinlich, trotzdem Rückgang der
Facialislähmung und Schwinden des Phänomens annähernd parallel gingen.
Man müßte doch sonst schon das Symptom beobachtet haben, zumal gerade bei
Faoialislähmungen die Bulbusbewegungen von vielen Autoren studiert wurden.
Auch ein direkter Zusammenhang mit der Hypoglossuslähmung ist nicht
gut anzunehmen. Allerdings fehlen darüber Angaben bzw. Beobachtungen voll¬
ständig, da periphere Hypoglossuslähmungen, an und für sich selten, kaum je
infolge einer tiefen Halseiterung zur Beobachtung gelangten. Jedoch würde die
Hypothese einer solchen Einwirkung einer peripheren Hypoglossuslähmung auf
die Bulbusbewegungen einer tatsächlichen anatomischen Grundlage entbehren.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Auftreten der horizontalen Bulbus¬
schwingungen auf centrale Innervationsstörungen zu beziehen. Sohon die Störung
der sehr innig miteinander verknüpften Mitbewegungen des Lidschlusses und
der Augapfeldrehung weist auf centrale Störungen hin, da der ganze komplizierte
Apparat, der bei diesen (normalen) Bewegungen funktioniert, nur im Centrum
und nicht peripher gedacht werden kann (vgl. die Beobachtungen von Margdlies
und Hering-Kohn von Störungen dieser Mitbewegungen bei centralen Er¬
krankungen).
Das Symptom war an beiden Augen in gleicher Weise wahrzunehmen; sein
Auftreten setzt die Auflösung sehr festgefügter Mitbewegungen voraus und die
Möglichkeit, zu gleicher Zeit einen Teil der Augenmuskulatur in sehr intensiver
Weise zu beanspruchen und einen anderen Teil vollkommen ruhig zu belassen.
Vielleicht könnte man sich vorstellen, daß die schwere und erschöpfende
Krankheit, während welcher das Phänomen beobaohtet wurde, vorübergehend
schwächend auf die Augenmuskelkerne und vor allem auf das hintere Längsbündel
gewirkt hat; motorische Impulse, die unter normalen Verhältnissen immer wieder
die gleichen assoziierten Lid-Augapfelbewegungen zur Folge hatten, könnten infolge
gestörter Innervation das Zusammenwirken anderer Muskelgruppen des Auges
bewirken. Vielleicht trug auch der Versuch, auf den gelähmten Facialis durch
stärkere Innervation einzuwirken, mit dazu bei, die gewöhnlichen Mitbewegungen
aufzuheben und andere herbeizuführen.
Das Schwinden der Erscheinung mit der Kräftigung des Kranken spricht
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für die nur vorübergehende Schädigung der centralen Apparate und gegen die
Annahme grober anatomischer Läsionen.
Literatur.
E. Sträubst, Assoziierter Nystagmus. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 786. — Ders.,
Zur Kenntnis des assoziierten Nystagmus. Ebenda. 1906. Nr. 1. — Bbrkhbuibb, Reflek¬
torischer Nystagmus. Monatsbl. f. Augenheilkunde. - Ophthalmologenkongreß 1901. — Bla,
Archiv f. Augenheilkunde. XLV. — Binswanges, Die Hysterie. 2. Aufl. Nothnagel's Hand*
buch. Wien 1906. — Bernhardt, Die Erkrankungen der peripheren Nerven. 1. Teil. 2. Aufl.
Wien 1902. Kapitel: FaciaUslähmung. — Coppkz, Signe de Bell. Journ. m4d. de Bruxelles.
1902. Nr. 20. — Bouchaod, A propos du signe de Beil dans la paralysie faciale pdripMrique.
Journ. de neurol. 1901. S. 488. — Kohn-(Hbring), Ein Fall von Pseudobulbärparalyse*
Prager med. Wochenschrift 1900. Nr. 17. — A. Margouss, Über das sogen. Bsu.'sche
Phänomen bei centraler Facialisläbmung. Wiener med. Wochenschrift. 1900. S. 209. —
Nagel, Über das BELi/sche Phänomen. Archiv f. Augenheilkunde. XLIII. Heft 3.
[Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Leipzig. (Dir.: Prof. Flechsig).]
2. Zur Pathologie der kontinuierlichen
rhythmischen Krämpfe der Schlingmuskulatur (2 Fälle
von Erweichungsherden im Kleinhirn).
Von Privatdozent Dr. Klien.
In der Deutschen med. Wochenschrift 1904. Nr. 17 u. 18 habe ich 2 Fälle
von eigenartigen kontinuierlichen rhythmischen Krämpfen der Schlingmuskulatur
beschrieben. Beide Fälle sind inzwischen zur Sektion gekommen und über den
interessanten Befund soll im folgenden berichtet werden. Vorher ist der klinische
Verlauf der Fälle bis zum Tode nachzutragen.
Im ersten Fall handelt es sich um einen 53 jährigen Arbeiter, bei dem nach
mehreren apoplektischen Insulten, von denen nichts als eine leichte, nicht
spastische Parese der linksseitigen Extremitäten zurückgeblieben war, ein apo-
plektischer Anfall erfolgte, als dessen unmittelbare Folge sich eine
Erschwerung des Sehlingens und Sprechens und ein fortgesetztes
Zacken im Kehlkopf eingestellt hatte. Die genauere Untersuchung dieser
Krämpfe eigab, daß alle beim Schluckakt successive innervierten
Muskeln synchron zuckten und zwar nur die Muskeln der linken Körperhälfte.
Außerdem beteiligten sich an den Zuckungen noch in sehr geringem Grade
die oberen Augenlider. Die Krämpfe erstreckten sich nicht auf einzelne Nerven¬
gebiete, sondern es handelte sich um eine elektive Beteiligung fünktionell
zusammengehöriger Muskeln weit auseinander liegender Nerven¬
gebiete (V, X, XI, XII, cerv. III u. IV). Aus diesem Gründe konnten die
Krämpfe nicht auf Reizzustände im Bereich der Nervenwurzeln oder Kerne
zurückgeführt werden, sondern sie konnten nur supranukleär sein, nur von
einem Zentrum — dem Schlingzentrum — ausgehen.
In dem Zustand des Kranken trat in der folgenden Zeit keine wesentliche
Änderung ein. Patient fühlte sich durch die fortgesetzten Zuckungen im Halse
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hochgradig belästigt. Teils aus diesem Grund, teils infolge unangenehmer Vor¬
kommnisse in seinem Privatleben, beging er am 19. Juni 1904 Selbstmord.
Die Leiche wurde der Leipziger Anatomie zugeführt und mit gütiger Erlaubnis
des Herrn Geheimrat His erhielt ich das Gehirn.
Der Patient batte sich durch Schuß in den Mund getötet. Folge davon
war, daß der für die Untersuchung wichtigste Teil des Gehirns, die Medulla
oblongata, teilweise zertrümmert war und daß ferner ein erheblicher Teil des
Kleinhirnwurms zerstört war. Trotzdem halte ich es für nötig, den Befund
genauer wiederzugeben, da einmal anatomische Befunde für die von mir be¬
schriebene Form von Schlingkrämpfen noch nioht vorliegen und da ferner dieser
erste Fall durch den zweiten ergänzt wird.
Das Großhirn wurde in Frontalschnitte von */s — S U cm Dicke zerlegt Die
erhaltenen Teile des Kleinhirns, der Medulla oblongata und des obersten Kücken¬
markes sowie der übrige Hirnstamm wurden in Serienschnitte zerlegt und nach
Wbigkbt auf Markscheiden behandelt; nur wenige Schnitte wurden nach anderen
Methoden gefärbt
Im Großhirn fand sich nur in der inneren Kapsel der linken Hemisphäre
ein kleines keilförmiges, im Maximum etwa 12 mm langes Herd eben, ln Brücke
und Oblongata fand sich trotz genauester Durchforschung nirgends ein Erweichungs¬
herd; es ist aber natürlich nicht unmöglich, daß in dem zertrümmerten Teil
ein Herd gesessen hat und ich muß deshalb die Ausdehnung der Zerstörung
etwas genauer beschreiben. Bereits dicht unterhalb der Striae acusticae befand
sich im lateralsten Teil der rechten Bautengrubenhälfte ein ganz minimaler,
durch den Schuß hervorgerufener Defekt. Diese Zertrümmerung erstreckte sich
nach unten immer mehr nach der Mediane zu und umfaßte schließlich im Be¬
reich der X- und XH-Kerne den ganzen dorsalen Quadranten eines Frontal¬
schnittes. Im untersten Teil der XH-Kerne war das ganze Mark quer durch¬
getrennt und zum Teil zertrümmert.
An der dorsalen Fläche der linken KleinhimhemiSphäre fand sich eine
ziemlich tiefe, von einem alten Herd herrübrende Einziehung, welche vom
Sulcus horizontal» magnus bis in die zertrümmerten Teile des Oberwurms reichte.
Am Sulcus horizontal» umfaßte der Herd etwa das zweite vordere Viertel des
hinteren konvexen Bandes und von hier verlief er parallel dem vorderen geraden
Band noch dem Wurm. Er durchsetzte den Lobus superior posterior und
medialis und die hinterste Partie des Lob. sup. ant In der Tiefe be¬
traf die Herderkrankung das gesamte Mark seitlioh, vorn und oben vom
Xucleus dentatus; der dorsalste Teil des Nucleus dentatus war mit zer¬
stört, in den tieferen Partien war nur der mittlere Teil desselben erweicht,
während das vordere und hintere Ende intakt war.
An der Basis der rechten Kleinhirnhemisphäre befand sich ein zweiter
Herd, welcher den Lobus inferior posterior und medialis quer durchsetzte.
Dieser Herd hatte an der Oberfläche die Gestalt eines schmalen Streifens von
maximal 1 j 2 cm Breite. Er durchsetzte das Mark der Windungen, ohne das tiefe
Mark zu erreichen.
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Eine genaue Schilderung der sekundären Degenerationen hat bei dem defekten
Gehirn keinen Sinn, nur folgendes sei hervorgehoben: Von dem Herd im Nucleus
dentatus ging eine kompakte Degeneration des Bindearmes aus, die im Quer¬
schnitt desselben etwa das zweite und dritte dorsale Sechstel betraf. Der kontra¬
laterale rote Kern, in welchen sie führte, war atrophisch. Der mittlere Klein¬
hirnschenkel war links teilweise stark degeneriert Das Corpus restiforme zeigte
links starke, rechts keine deutliche Degeneration; links waren insbesondere die
Traetus cerebello-olivares bis auf schwaohe Beste geschwunden. Höchst auf¬
fällig war das Verhalten der rechten Olive: Vließ und vor allem Hilms waren
hochgradig degeneriert; letzterer enthielt stellenweise nur ganz spärliche Faser¬
reste. Durch diesen Schwund der dem Olivenband anliegenden Fasern muß
dasselbe natürlich breiter erscheinen, doch war auf allen Querschnitten die
Gegend der Olive so hervorgetrieben, daß es sich um eine wirkliche Schwellung
der Olive mit Substauzvermehrung zu handeln schien. iBdes läßt sich hier¬
über in diesem Fall nichts näheres sagen, da die Oliven teilweise zertrümmert
waren, also kein durchgehender Vergleich möglich war, und da eine Vortreibung
der Olivengegend in diesem Fall auch durch die Quetschung bedingt sein konnte.
Soviel ließ sich jedoch mikroskopisch feststellen, daß die Stützsubstanz beträcht¬
lich vermehrt war, und daß die Zellen zum größten Teil hochgradig atrophisch
waren. Nur in unregelmäßigen Abständen waren einzelne Zellen wohlerhalten.
Die Zahl der auf eine Raumeinheit fallenden wohlerhaltenen Zellen verhielt sich
bei Vergleich beider Oliven wie 1:25, d. h. es war in der erkrankten Olive nur
etwa der 25. Teil der Zellen erhalten.
Bemerkt sei, daß die centrale Haubenbahn beiderseits gleich gut entwickelt
war und daß sich im Rückenmark keine Degeneration des HEULWBo’schen
Bündels nachweisen ließ. Auch sonst waren im Rückenmark an Weägert-
Präparaten keine Degenerationen zu sehen, so daß auch auf diese Weise kein
Anhaltspunkt für die Annahme eines Herdes in dem zertrümmerten Teil der
OUongata gewonnen werden konnte. Immerhin kann es natürlich nicht als
ausgeschlossen angesehen werden, daß in dem zertrümmerten Teil ein klein»
Herd gesessen hat
Im zweiten Fall handelte es sich um eine 52jährige Frau, bei der eben¬
falls im Anschluß an einen apoplektischen Insult Krämpfe ganz des gleichen
Charakters, nur doppelseitig, aufgetreten waren. Außerdem beteiligten sich
hier noch alle Atemmuskeln und die Maskein des rechten unteren Faeialis-
gebietes an den Zuckungen. Links bestand eine sehr erhebliche Gaumensegel-
lähmuog und eine schwache Zungeapamse, rechts eise spastische Parese der
Gliedmaßen. Es wurde deshalb ein Herd unterhalb der X. und XII. Kreuzung
vermutet
Aus dam weiteren Verlauf des Falles ist noch folgendes bervorzubeben:
Am 18./V. 1204 bekam Patientin einen epileptischen Anfall, der nach
Bericht 4er Pflegerin mit Verziehung des rechten Mundwinkels begann. Naoli
dem Anfall bestand beiderseits eine beträchtliche Zungen- und Facialis&hmung,
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die sich nach einigen Tagen wieder bis anf den früheren Zustand behob. Die
rhythmischen Krämpfe der Schlingmuskulatur wurden durch diesen Anfall nicht
beeinflußt
14./VIII. 1904 Schwindelanfall. Patientin stürzt zu Boden.
20. /VIII. Apoplektischer Anfall. Konjugierte Augenablenkung nach rechts
mit' fortgesetzten nystaktischen Zuckungen nach rechts. Bewußtsein dabei
nicht erloschen. Patientin kommt einfachen Aufforderungen nach, kann aber
den Blick nicht nach links wenden. Die Zunge kann nicht über die Zähne
gebracht werden; im Mund deviiert sie ein wenig nach rechts. Wie früher,
sind die Sehnenreflexe rechts stark gesteigert, links schwach und die Muskeln
der Gliedmaßen rechts rigid, links ziemlich schlaff. Rechts sehr ausgesprochener
Babinski, links anfangs undeutliche Beugung, später — etwa s / 4 Stunde nach
Beginn des Anfalles — Babinski.
Durch Schmerzreize werden von allen Stellen des Körpers aus schüttelnde
Bewegungen des rechten Armes hervorgerufen, öfters treten dieselben auch
spontan auf. Auf schmerzhafte Reize im Bereich der reohten Körperhälfte tritt
lebhafte mimische Reaktion auf, bei Reizung der linken Körperhälfte nicht Nur
im Gesicht ist dieser Unterschied nicht sehr deutlich. Die Lageempfindung
ist jetzt im linken Arm erheblich gestört Zeitweise treten anhaltende Kau¬
oder vielmehr eine Art Schmeckbewegungen auf. Öfters starker Singultus.
Pupillen weit, reagieren auf Licht Sympathische Reaktion enorm ausgiebig.
Stärkere Benommenheit, zeitweise wieder länger anhaltende Schmeck¬
bewegungen mit sehr starker Salivation. Erbrechen; danach plötzliche starke
Verengerung der Pupillen ohne Änderung der Reaktionsverhältnisse. Das rechte
Auge kehrt aus der konjugierten Ablenkung zeitweise zurück in Mittelstellung,
die Zuckungen der Augen bestehen fort
21. /VIII. Mäßige Benommenheit. Deviation geschwunden. Dagegen jetzt
links deutliche Abducenslähmung. Linke Gliedmaßen jetzt spastisch-paretisoh,
linke Lidspalte weiter, Konjunktivalreflexe r. = 1. Pupillen miotisch. Licht¬
reaktion nur minimal. Sympathische Reaktion nicht mehr deutlich zu erzielen.
Hypästhesie und Hypalgesie der linksseitigen Extremitäten.
22. /.VIII. Völlige Bewußtlosigkeit, Schluckpneumonie. Abends Exitus.
Während der ganzen Dauer dieses sch weren apoplektischen
Insults haben die rhythmischen Krämpfe der Schlingmuskulatur un¬
verändert angehalten. Noch im Zustand der tiefsten Agonie be¬
standen sie fort und hörten erst ganz zuletzt mit dem Verlöschen
des Atems und der Herztätigkeit auf.
Von dem Sektionsresultat interessiert hier nur der Gehirnbefund. An
den Gefäßen der Basis fanden sich zahlreiche sklerotische Plaques, am zahl¬
reichsten und ausgedehntesten im Gebiet des Circulus arteriosus Willisii, wo sie
mehr als die Hälfte des Arterienareals, einnahmen. Relativ weniger betroffen
vom sklerotischen Prozeß waren die Arteriae vertebrales und basilaris, sehr stark
dagegen wieder deren kleinere Äste. Äußerlich waren am Gehirn keine Zeichen
von Herderkrankung zn erblicken,
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Das Gehirn wurde als ganzes gehärtet, dann wurde der Hirnstamm mit
dem Kleinhirn in Serienschnitte zerlegt und nach Weigbbt auf Markscheiden
gefärbt Nur wenige Schnitte wurden nach anderen Methoden behandelt
Das Großhirn wurde durch Zerlegung in Vs— 3 / 4 cm dicke Scheiben auf
Herde untersucht: es war im Gegensatz zum ersten Fall der Sitz außerordentlich
zahlreicher kleiner Herde. So fanden sich links frischere und ältere Herde von
einem Durchmesser von maximal 1 / 2 — s / 4 cm: im vorderen Schenkel der inneren
Kapsel (2), im Nnoleus caudatus (2), im Linsenkem (3), in der Capsula
externa (1), im Mark der vorderen Centralwindung und der zweiten Temporal¬
windung. Im Gyrus angularis zeigte sich dicht unter der Rinde, nicht ins tiefe
Mark reichend, ein flacher, größerer Herd. Das Gehirn wurde daraufhin nicht
weiter zerschnitten, da die von diesem Herd ausgehenden sekundären Degene¬
rationen untersucht werden sollen. Es ist auch der weitere Befund im Gro߬
hirn für den vorliegenden Fall — wie wir sehen werden — nicht von Belang.
Es genügt, festgestellt zu haben, daß sich in dem untersuchten Teil des Gro߬
hirns in diffuser Verbreitung eine große Zahl kleiner Herde fand, und es ist
anzunehmen, daß dies auch in dem nicht untersuchten Teil der Fall war.
Die Untersuchung des Hirnstammes ist nun leider auch in diesem Fall
keine absolut vollständige. Von dritter Seite wurde versehentlich vom untersten
Teil der Medulla oblongata ein schmales Stück zu Kontrollpräparaten verwendet
und war mir später nicht mehr zugänglich. Doch betrifft dieser Defekt eine
Region, welche als vermutlicher Sitz des Herdes wohl nicht mehr in Betracht
kommen konnte, da der erhaltene Teil der Oblongata bis unterhalb des Schlusses
des Centralkanals reichte, also bis zu einer Stelle, die wesentlich tiefer liegt
als das Schlingcentrum. Als Sitz des letzteren wird eine Stelle außen-oben von
den Spitzen der Alae cinereae im Boden des IV. Ventrikels angenommen (Maäk-
wald u. a.).
Bei Abtragung des Hirnstammes zeigte sich, daß der Aquaeductus Sylvii
uud die Ventrikel ausgedehnt und mit frischen Blutgerinnseln erfüllt waren.
An den Folgen dieser Ventrikelblutung war Patientin gestorben. An den Schnitten
sah man in der Umgebung des Aquaeductus Sylvii multiple frische Blutungen,
von denen aus ein Durchbruch in den Ventrikel erfolgt war.
In der Brücke zeigte sich ein kleiner alter Herd, welcher in der Höhe des
hinteren Vierhügelpaares begann und bis in die Gegend des V. Austritts herab¬
reichte. Auf Frontalschnitten erreichte er eine maximale Ausdehnung von
etwa 2 mm Höbe und 5 mm Breite; er lag lateral-dorsal von den Pyramiden¬
bahnen (vgl. Fig. 1). Im übrigen fand sich auch in diesem Fall überraschender
Weise in Brücke und Oblongata nirgends ein Herd!
Dagegen fanden sich im Innern beider Kleinhimheinisphären Herde. In
den vordersten Sohnitten des mit der Brücke frontal geschnittenen Kleinhirns
war das Mark beiderseits völlig gleichgut entwickelt, nirgends zeigte sich Degene¬
ration oder Atrophie. In den nächsten Schnitten begann sich das Mark zu
lichten und dicht vor Beginn des Nuoleus dentatus fing ein großer, von einer
alten Haemorrhagie herrührender Herd an, der sich in der folgenden Weise weit
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nach hinten erstreckte: er durchsetzte den ganzen Nucleus dentatus von seinem
proximalen zum distalen Ende in der Weise, daß der dorsalste und in den
proximalen Abschnitten auch ein ventraler Anteil dieses Kerns erhalten blieb.
Fig. l.
In seiner seitlichen Ausdehnung durchsetzte er stellenweise das ganze Klein¬
hirnmark vom Ventrikel bis fast an die Rinde, von ihr nur durch eine ganz
dünne Schicht von Markfasern (nur Bogenfasern?) getrennt (Fig. 2). Dicht hinter
Fig. 2.
dem Nucleus dentatus war der größte Teil des Kleinhirnmarkes zerstört Schlie߬
lich erstreckte sich der Herd bis in das Mark des Lobus superior medialis und
posterior, ohne jedoch dessen Rinde ganz zu erreichen.
Von diesem großen Herd aus ging von der Region des zerstörten Nucleus
dentatus eine kompakte Degeneration aus, deren Fortsetzung in dem Bindearm
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in Fig. 1 zu sehen ist Desgleichen sieht man hier die von dem Herd aus¬
gehende Degeneration im mittleren KleinhirnsohenkeL
Im Kleinhirn fanden sich nach vorn zu von dem Herd fast gar keine
Degenerationen; in gleicher Frontalebene und nach hinten zu war das Hark
überall mehr oder weniger stark gelichtet Ganz hochgradig war der Zerfall
des Markes im mittleren nnd hinteren oberen Lappen, namentlich in
deren hintersten Teilen: hier war nur ein, ganz spärliche Markfasem enthalten¬
des Konvolut des Bindenbandes ächtbar. Relativ gut erhaltenes Mark fand sich
in der Flocke.
Etwa in derselben Hohe wie in der rechten Hemisphäre begann in der
linken ein Herd, doch war derselbe von viel geringerer Ausdehnung. Br er¬
streckte sich nicht in den Nueleos dentatus, sondern lag demselben nur dicht
außen an (vgl. Fig. 2). Seine Grüße im transversalen Durchmesser betrug nur
etwa Vs cm > doch genügt das hier, um fast das ganze Mark zwischen Binde
nnd Nucleus dentatus zu durchsetzen. Im dorsoventralen Durdunesser erreichte
er eine maximale Ausdehnung von fast */ 4 cm; in seiner Längsausdehnung er¬
streckte er sich fast längs des ganzen Nucleus dentatus. Hinten endete
er schließlich im Fuß des Lobus superior medialis. Von diesem Herd
gingen Degenerationen nach oben, hinten und unten aus; die oberen (Fig. 2)
ließen sich bis in den Oberwurm verfolgen, die anderen verloren sich im Marie.
Sie waren hier nicht näher zu verfolgen, da sich hier noch andere Degenerationen
fanden, die von einigen weiteren kleinen Herden ausgingen. Im Faß des Lobus
inferior medialis lag ein etwa 1 ( t cm im Durchmesser betragendes Herdchen,
ferner fanden sich im Mark, welches den Fuß des oberen nnd unteren
hinteren Lappens bildet, zwei kleine Herdchen.
Vom den sekundären Degenerationen im Hirnstamm ist bereits die des
Bindeannes und mittleren Klemhirnschenkels erwähnt (Fig. 1). Der rote Kern,
in welchen der degenerierte Bindearm führte, war atrophisch. Die Pyramiden-
bahnen waren beiderseits etwas blaß, links blasser als rechte. Es sind dies
Folgen der multiplen Großhirnberde. Rechts waren die Tractus cerebelloolivares
hochgradig degeneriert. Die linke Olive zeigte die gleichen Veränderungen wie
die rechte m Fall I. In den Frontalschnitten jeder Höhe war die Gegend
der linken Olive im Vergleich zu der entsprechenden Partie der anderen Seite
stark vorgetrieben (vgl. Fig. 2). Vließ und vor allem Hilas waren höchst faser-
arm. Wie in Fall I, war auch hier die Stützsubstanz vermehrt und die Zellen
waren zum größten Teil schwerster Atrophie verfallen. In unregelmäßigen Ab¬
ständen sah man auch hier gut erhaltene Zeilen, die sich scharf von den degene¬
rierten abhoben und völlig den Zellen der gesanden Olive glichen. In einem
Baum, auf welchen in der kranken CHive 1 Zelle fiel, fanden sich in der ge¬
sunden 18. Es «rar also etwa der achtzehnte Teil der Zellen gut erhalten. In
der rechten Olive erschienen Vließ und Hilus auch etwas heller ate normal, doch
ist dies, da die andere Olive nicht als Vergleichsobjekt dienen kann, natürlich
schwer ta enteoheiden.
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Im übrigen sei
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ans dem anatomischen Befund nur noch hervorgehobeu,
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daß die centrale Haubenbahn beiderseits gleich gut entwickelt war und daß im
Kückenmark eine Differenz im Markgehalt der HsLLWEG’schen Bündel nicht zu
entdecken war. Die rechte Pyramide war im Rückenmark, entsprechend dem
Befund in der Brücke, etwas blässer. Im übrigen waren Degenerationen an
den Weigert-Präparaten vom Rückenmark nicht nachweisbar.
Beiden Fällen gemeinsam ist also im klinischen Bild in erster
Linie das Symptom der kontinuierlichen rhythmischen Krämpfe der Schling*
muskulatur, im anatomischen Bild die Herderkrankung des Kleinhirnes und
die Intaktheit der Medulla oblongata. Die in beiden Fällen erkrankte Stelle
des Kleinhirnes ist die Region außen und in der Mitte vom Nucleus
dentatus, sowie das Mark des Lobus sup. post und medialis, und zwar
ist die Stelle lateral vom Zahnkern und im Mark der genannten Lappen in dem
Fall von doppelseitigem Krampf doppelseitig, in dem Fall von einseitigem Krampf
einseitig erweicht.
Ganz verschieden war in beiden Fällen der Befund im Großhirn: in dem einen
Fall multiple kleine Erweichungen, in dem anderen eine einzige kleine Erweichung
in der inneren Kapsel der zu dem einseitigen Krampf homolateralen Hemisphäre.
Dieser Herd kann natürlich für die Krämpfe nicht verantwortlich gemacht werden.
Nach unseren jetzigen Anschauungen über die Funktionen des Kleinhirnes
können wir indes die Krämpfe in den vorliegenden Fällen nicht erklären. Hier
kommt jedoch in Betracht, daß unsere sicheren Kenntnisse über die Funktionen des
menschlichen Kleinhirnes nur recht dürftige sind. Die Ergebnisse der Tier¬
experimente sind aufs menschliche Gehirn nicht ohne weiteres anwendbar; unsere
den klinischen Beobachtungen entnommenen Kenntnisse beruhen aber zum
größten Teil auf dem Studium von Tumoren, Atrophien und Aplasien, während
die Zahl der genauer studierten Erweicbungsherde eine recht geringe ist. Beim
Studium von Tumoren kann man indes nie mit der wünschenswerten Bestimmt¬
heit sagen, inwieweit die Symptome auf Fernwirkung zurückzuführen sind, wie
sie vor allem durch Druck auf die Oblongata und durch Vermittelung von
Hydrocephalus bedingt werden kann. Mit einer anderen Schwierigkeit haben
wir bei den Atrophien und Aplasien zu rechnen. Dieselben sind nicht selten
in recht beträchtlichem Grade beobachtet worden, wenn sich intra vitam nur
relativ geringe Symptome oder gar keine gezeigt hatten. Zur Erklärung dieser
Tatsache hat man angenommen, daß die Funktionen des Kleinhirnes bei an¬
geborenen oder langsam sich entwickelnden Defekten in weitgehendem Maße
durch die Central Windungen übernommen werden können.
Von vorn herein kann die Möglichkeit, daß die Krämpfe in den beiden
beschriebenen Fällen eine Folge gestörter Kleinhirnfunktion sind, nicht ausge¬
schlossen werden. Da aber — wie oben erörtert — die Möglichkeit, daß in beiden
Fällen in dem fehlenden kleinen Stück der Oblongata ein Herd gesessen haben
könnte, nicht mit aller Sicherheit auszuschließen ist, will ich nicht genauer auf die
in der Literatur beschriebenen Fälle eingehen, in welchen bei Kleinhimerkrank¬
ungen, in denen eine Fern Wirkung nicht angenommen werden konnte, Störungen
in den hier in Frage kommenden Muskelgebieten hervorgerufen wurden. Nur
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folgendes sei hervorgehoben: Unter den Fällen von Kleinhirnherden und «Atro¬
phien, welche Adler 1 in seiner Monographie über die Symptomatologie der
Kleinhimerkrankungen referiert, findet sich eine beträchtliche Zahl, in denen
Schlackstörung, Sprachstörung oder Erbrechen beobachtet wurde, ohne daß von
Femwirkung die Bede sein konnte. Es wäre wenigstens sehr willkürlich und
nicht dem Begriff der Femwirkung entsprechend 2 , solche Symptome, welohe
nach Abklingen der akuten Erscheinungen als Folge einer Hirnblutung oder
-Erweichung dauernd Zurückbleiben, aus einer Femwirkung erklären zu wollen.
Dasselbe gilt für die durch Cerebellaratrophie entstehenden Symptome. Unter
dem von Adleb gesammelten Material sind folgende 2 Fälle besonders be¬
merkenswert. Batst et Collbt 3 sahen in einem Fall von Cerebellaratrophie
,»Zittern der Stimmbänder“ und Sepilli 4 beobachtete in einem Fall von Klein¬
hirnatrophie neben Erschwerüng der Sprache „klonische Kontraktionen der
Gesichtsmuskulatur, abwechselndes Schließen und Offnen des Mundes und Be-
traktionen der Zunge.“
Aus der späteren Literatur erwähne ich einen von Anton 6 beschriebenen
Fall, in welchem nach einer Cerebellarapoplexie unter anderen Symptomen
heftiges Erbrechen, lallende, näselnde Sprache und Schlingbeschwerden entstanden
und außerdem eine auffallende Verminderung des Mienenspiels zurückblieb, ln
einem Fall Touches 6 trat als einziges Symptom einer Blutung im Corpus
dentatum heftiges Erbrechen ein. Madeb 7 beobachtete in einem Fall, in dem
sich 2 kleine Herdchen im Kleinhirn fanden, sehr starke Brechneigung beim
Aufsetzen und überhaupt bei jeder Bewegung. (Siehe Krankengeschichte meines
zweiten Falls!) Lannois und Paviot 8 sahen bei Kleinhirnatrophie skandierende
Sprache, wie sie sich auch in fast allen bei Adler zusammengestellten Fällen
von Kleinhiraatrophie fand.
von Monakow 9 sagt in der neuesten Auflage seiner Gehirapathologie:
„Sicher ist das Kleinhirn bei den lebenswichtigen Bewegungen (Schlucken,
Bespiration) ganz unbeteiligt“ Auch das Brechen beruht nach von Monakow
auf Femwirkung. Angesichts der oben erwähnten Beobachtungen kann man
dieser so bestimmt geäußerten Meinung von Monakows nicht beipflichten.
Wir können vielmehr nur sagen, daß wir über Beziehungen des Kleinhirns zu
diesen Funktionen nichts sicheres wissen, daß aber durch eine größere Zahl von
1 Breslau 1899.
* Unter Femwirkung verstehen wir die Wirkung einer Lokalerkrankung des Gehirns
auf dem Herd fernliegende Gehirnteile durch Vermittlung mechanischer oder chemischer
Momente (vasomotorische, toxische Wirkung, Ödeme, Druck usw.), nicht durch Ver¬
mittlung der spezifischen Nervenleitung.
* Nr. 46 bei Adlkb.
4 Nr. 47 bei Adlbb.
* Neurolog. Centralbl. 1901. S. 63.
* Soc. de neurol. Paris. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 917.
7 Neurolog. Centralbl. 1903. S. 685.
* Neurolog. Centralbl 1904. S. 33.
» 1905. 8.1015.
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254
Fällen die Vermutung nahegelegt wird, daß das Kleinhirn auf die motorischen
Kerne und Centren der Oblongata irgend einen Einfluß — etwa regulatorischer
Art — hat. Es würden in diesem Fall physiologischer Weise diesen Central
Erregungen vom Kleinhirn aus zufließen und es wäre verständlich, daß bei Er¬
krankungen des Kleinhirns abnorme Erregungen derselben zustande kommen
könnten.
Die Frage, ob kontinuierliche rhythmische Krämpfe der Schlingmuskulatur
vom Kleinhirn aus hervorgerufen werden können, kann indessen nur an der
Hand weiterer positiver Fälle beantwortet werden. Negative Fälle, ich meine
Fälle von Kleinhirnherden ähnlicher Lokalisation ohne solche Krämpfe sind für
die Entscheidung nicht zu verwerten. Denn einmal können schon sehr geringe
Differenzen in der Lokalisation des Herdes je nach dem Ergriffensein der oft
sehr nahe aneinanderlaufenden funktionell verschiedenen Fasersysteme zu er¬
heblichen Verschiedenheiten des klinischen Bildes führen und zweitens sehen
wir auch bei Herden in der vorderen Centralwindung manchmal epileptische
Krämpfe und manchmal nicht Die näheren Bedingungen, unter denen es zu
Krämpfen kommt, kennen wir nicht. Vermutlich ist eine besondere Disposition
dazu erforderlich. Ähnlich können die Verhältnisse auch bei den kontinuier¬
lichen rhythmischen Krämpfen liegen. Schließlich muß auch die Möglichkeit
zugegeben werden, daß Krämpfe dieser Form von verschiedenen Stellen aus¬
gelöst werden können. Auf eine Diskussion der übrigen Symptome und ihrer
Beziehungen zum anatomischen Befund gehe ich nicht ein, obwohl die Fälle
auch in dieser Beziehung manches Interessante bieten.
Herrn Geheimrat Flechsig sage ich für gütige Überlassung des Materiales
meinen verbindlichsten Dank.
3. Über den Mechanismus
und die Lokalisation der psychischen Vorgänge.
Von Prof. Ernst Jendrässik in Budapest.
(Schluß.)
II. Erinnerung, Assoziation.
Die Erweckung eines Erinnerungsbildes kann vom Sinnesorgan und auf
assoziativem Wege erfolgen.
Im ersteren Falle heißt das Eintreten des Beizzustandes in Zellen, die
das Erinnerungsbild bereits aufgenommen haben, Wahrnehmen, im zweiten
Falle: Vorstellen, Erinnern. Zwischen beiden besteht ein großer Unterschied;
wir sahen bereits den Unterschied beim Wahrnehmen eines Gegenstandes mit einem
Auge und beim binokularen Sehen und konnten diese Differenz durch die
größere Ausdehnung des Angriffes am Erinnerungsbilde erklären.. Die Er¬
weckung des sensorisohen Erinnerungsbildes auf assoziativem Wege ist aber
wesentlich anders, ja dieselbe geschieht bestimmt nicht durch die Endausbreitung
der direkten Sinnesleitung (Vicq d’Azyi-, Baillarger- usw. Geflecht), da sonst
auf diesem Wege wirkliche Sinneseindrücke, Halluzination entstehen würden,
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255
sondern, soweit dies überhaupt möglich ist, durch ein ähnliches, doch unab¬
hängiges, sehr unvollkommenes Geflecht
Dieses Erwecken der Erinnerungsbilder der sensorischen Bezirke auf dem Wege
der Assoziation ist eben nur in ganz beschränktem Maße möglich. Stellt man
Versuohe in dieser Richtung an, z. B. in der Weise, daß man jemand plötzlieh
auffordert, an eine Person, an einen Gegenstand zu denken und dabei zu ver¬
suchen sich denselben vorzustellen, so gelingt es zwar manchmal, eine ganz kurz
dauernde Vorstellung von einem Teile dee betreffenden Objektes hervorzurufen,
doch ist es kein wirkliches optisches oder akustisches Bild, das auf diese
Weise entsteht, sondern nur ein einigermaßen dem optischen oder akustischen
Bild ähnliches Phänomen, das sehr kurz anhält, und es gelingt nur in den
seltensten Fällen dieselbe Vorstellung zum wiederholten Male neu zu erwecken.
Bei diesen Versuchen überzeugt man sich, wie blaß die optische Erinnerung
ist Noch seltener gelingt das Hervorrufen eines akustischen Erinnerungsbildes,
vielen Menschen fehlt diese Fähigkeit ganz; hier hilft man sich aber durch
motorische Erinnerungsbilder aus, ja diese Substitution betrifft auch das optische
Gebiet: anstatt uns Gegenstände, Personen, Handlungen vorzustellen, begnügen
wir uns mit ihren Namen.
Diese Versuche beweisen, daß die sensorischen Erinnerungsbilder eigentlich
bloß durch die vom peripherischen Sinnesorgan direkt zugeleiteten Erregungen
erweckt werden können, die so erweckten Reize strömen weiterhin den motorischen
Feldern zu, bis sie dann durch die motorischen Bahnen wieder der Peripherie
zugeleitet werden.
Man stellt sich vor, daß dieses Weiterleiten der Erregung von einem Ge¬
biete auf das andere durch assoziative Bahnen geführt wird. Es ist wichtig,
daß man sich einen recht klaren Begriff von diesen „Bahnen“ mache. Der
allgemein gebrauchte Ausdruck von Verknüpfungen zwischen den einzelnen
Erinnerungskomponenten ist nicht glücklich gewählt, denn man könnte sich auf
diese Weise solche Bahnen vorstellen, die in jeder Richtung fahrbar and. Dies
widerspricht schon der Neuronenlehre, aber auch der Erfahrung: die Worte
eines Satzes in umgekehrter Reihenfolge herzusagen gelingt schwer, das ver¬
kehrte Vorsingen oder Vorspielen einer Arie schon ganz und gar nicht Lernt
man die Worte einer fremden Sprache auf die bekannte Art, daß man auf der
einen Seite eines Papierstreifens die Worte der Muttersprache niederschreibt,
und auf der anderen Seite daneben die entsprechenden Worte der zu erlernenden
fremden Sprache anfügt, so kann man beobachten, daß, wenn man bereits die
Worte der fremden Sprache bei Betrachtung derjenigen der Muttersprache ganz
perfekt angeben kann, der Versuch die Bedeutung der Worte der fremden
Sprache in der Muttersprache anzugeben nur bei einem Teil der Worte gelingt.
Dieser Versuch ist ein schlagender Beweis, da es sich hier nicht nur um Auf¬
nahme neuer Wortbilder in das sensorische Gebiet, sondern gleichzeitig auoh in
das motorische handelt. Es besteht dabei eigentlich keine ..Bahnung“ zwischen
den beiden Wortbildern, sondern beim Erwecken des einen Wortbildes klingt
das andere, immer in der Reihenfolge der Aufnahme, harmonisch an.
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Ich werfe nun die Frage auf, in welcher Weise die Erinnerungsbilder
motorisch, wie man sagt, durch den Willen angeregt werden können. Um diese
Frage beantworten zu können, müssen wir vor allem den Grundsatz der Neuronen¬
lehre betonen, daß die Erregung immer zellulifugale Richtung hat. Dieser
Grundsatz hat auch für jene Zellen Geltung, die wie z. £. die Interspinalganglien
auch einen zuführenden Pol haben, da diese Zellen auch nur in zellulifugaler
Richtung auf andere Nervenzellen einwirken. Die Übertragung des Reizes von
einem Neuron auf das andere geschieht durch Induktion, die, ähnlich den
Induktionserschemungen des elektrischen Stromes, bloß eine kurze Dauer hat. 1
Ein von außen einwirkender Reiz ruft einen von Zelle zu Zelle fortschreitenden
Reiz hervor, das Fortschreiten dieses Reizes innerhalb der Hirnrinde wird durch
die Konsonanz (d. h. das vorhergehende Zusammenstimmen durch Lernen, durch
Erfahrung) der erreichbaren Zellen geleitet. Der Reizzustand in der Zelle
bedeutet einen stofflichen Wechsel, den die erhaltene Reizung auslöst; der Vor¬
gang beansprucht eine gewisse, doch kurze Dauer; diese Dauer ist, wie wir dies
sofort klar machen werden, nicht einfach von dem erhaltenen Reiz abhängig,
sondern von der Möglichkeit der Übertragung des Reizes an harmonisch ge¬
stimmte Zellen. Eine neue Erscheinung fassen wir viel schwerer, langsamer
auf; es scheint, daß die Zellen einer neuen Erscheinung gegenüber resistent sich
verhalten; der noch unbekannte Reiz wird von den leicht ansprechenden, ge¬
stimmten Zellen nicht angenommen, der Spannungszustand im Sinnesgeflecht
wird allmählich stärker, bis der Reiz von einer noch ungestimmten Zelle über¬
nommen wird.
Die Zeitdauer eines weiter assoziierten Reizes ist die bekannte psycho¬
physische Assoziationszeit; es ist bekannt, daß sie variiert, nur hat man die
Ursache dieser Schwankungen in der Dauer nicht ganz erklärt Die kürzeste
Zeit, die man bei der Messung erhielt, betrug ungefähr 0,3 Sekunden. Dies
wäre also die Zeitdauer einer unbehinderten Übertragung der Assoziation. Die
Dauer des Abklingens der Erregung eines Erinnerungsbildes habe ich durch
folgenden Versuch zu bestimmen versucht. Ich schrieb 50 gleich lange (zwei¬
silbige, vier bis fünf Buchstaben enthaltende) Worte (Namen von Gegenständen
oder sinnlose Kombinationen) leicht leserlich auf ein Blatt Papier und beauftragte
die Versuchsindividnen, die Worte mit großer Aufmerksamkeit still oder laut
zu lesen und dabei zu beachten, welches Wort im Texte zweimal vorkommt.
Der Beginn und Schluß des Lesens wurde zeitlich notiert, die Zeitdauer des
Lesens betrug, fast immer ganz gleich, 18 Sekunden; somit entfielen auf ein
Wort 0,36 Sekunden. Dies stimmt fast genau mit der oben verzeichneten, kürzesten
Reaktionszeit Hierbei zeigte es sich, daß das wiederholte Wort, wenn es weiter
als am 4. bis 6. Platze war, nicht mehr erkannt wurde, d. h. nach 1,44 bis
2,16 Sekunden war das nicht assoziierte Erinnerungsbild bereits gänzlich ab¬
geklungen.
1 Meine Ansichten Ober diese Induktionswirkang werde ich in einer späteren Arbeit
mitteilen.
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257
Der Vorgang beim Sprechen nnd beim Schreiben illustriert in ganz aus¬
gezeichnetem Maße diese Verhältnisse. Die Gesetze der Syntax erfordern, daß
man den vorzutragenden Stoff in Sätze bringe, selbst diese Sätze durch Neben¬
sätze weiter gliedere. Die physiologische Erklärung dieser Art der Redaktion
der schriftlichen und mündlichen Mitteilung liegt darin, daß wir durch stärkere
Betonung des Subjektes dessen Erinnerungsbilder kräftiger ertönen lassen, ja
durch Additamente (Geschlechts-, Eigenschafls-, Umstands- usw. Worte), be¬
sonders aber durch rückbezügliche Fürwörter noch schärfer und von neuem au-
regen und so sein Nachklingen bis znm Erscheinen des Verbums oder des
Objektes wach erhalten. Die Ansnützung dieser Verlängerung des Reizzustandes
nennen wir die Aufmerksamkeit; sie hat ihre natürlichen Grenzen. Den Sinn
des gelesenen (gehörten, gesprochenen) Satzes aber ergibt die successiv abtönende,
doch noch gleichzeitig bestehende Erregung der Reihe der Erinnerungsbilder;
wir verlieren den Sinn des Zusammenhanges des Wahrgenommenen, sobald die
Synchronizität erlischt. Dieses Nachklingen der Erregung ermöglicht das logische
Denken. Will ich z. B. 4 und 6 addieren, so gelangt der Reiz von 4 zu ü nnd
dann nur dadurch zu 10, daß die Erregung in 4 und 6 gleichzeitig besteht und
mit dieser kombinierten Erregung blos 10 harmoniert (diese Harmonie ist eine
erlernte).
Der Begriff der Assoziation bedeutet die Möglichkeit der gegenseitigen Be¬
einflussung der heterogensten Erinnerungsbilder. Es ist also nicht anzunehmen,
daß im Gehirn zwisohen allen den einzelnen Erinnerungsbildern isolierte
Verbindungen existieren, sondern es muß angenommen werden, daß die einzelnen
Erinnerungsbilder, die isolierten Stätten der Begriffe, durch ein ziemlich all¬
gemeines Geflecht miteinander verkehren können, wobei die einander folgenden
Erregungen sich so lange gegenseitig beeinflussen, bis das Gefühl des Abschlusses
— eigentlich auch eine Eigentümlichkeit der ganzen Einrichtung — entsteht.
Dasselbe Gefühl, das ein unvollendeter Satz verursacht, verspüren wir bei dem
Anhören einer unaufgelösten Disharmonie. Je mehr Nebenerscheinungen das
Auflösen des Akkordes, das Beendigen des Satzes zurückhalten, wenn dabei die
primäre Erregung durch Rückbeziehungen, Wiederholungen usw. erhalten wird,
um so höher steigt in den betreffenden Elementen die Spannung und um so
größer wird bei der Auflösung das Berubigungsgefühl.
Derart gestaltet sich der Prozeß der Assoziation. Für die Annahme eines
Assoziationszentrums, eines Zentrums f ür das abstrakte Denken usw. liegt nicht
der mindeste Grund vor. Die Assoziation hat kein Centrum, sie ist ermöglicht
durch ein, vielleicht mit Hülfe von eingelagerten Zellen vervielfältigtes Geflecht
im Bereiche der Erinnerungsbilder; den Weg, den der Reiz in seinem Lauf
durchmacht, schreibt ihm nicht eine „Bahnung“, ein verminderter Leitungs¬
widerstand vor, sondern blos die Harmonie in der Stimmung der Erinnerungs¬
bilder, die Wege sind alle stets offen.
Ich bin mir woblbewußt, daß nichts leichter ist, als schematische Abbildungen
zu verfertigen. Da aber diese zum Verstehen des Vorgetragenen sehr beitragen,
erlaube ich mir in Fig. 2 eine schematische Darstellung des Assoziationsgeflechtes
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zu geben. Eigentlich können wir in der Erforschung der Fasernetze nur dann
weitere Fortschritte machen, wenn wir uns auf Grund von anderweitig gewonnenen
Erkenntnissen über die Gestaltung der Netze eine Hypothese aufstellen; ihre
Richtigkeit könnte dann an den Präparaten nachgeprüft werden, was leider
einstweilen noch mit zu großen Schwierigkeiten verbunden ist In Fig. 2 kann
ein Reiz von a durch d zu b, c usw. gelangen, von b hingegen durch e nach
a kommen. Unsere derzeitigen Kenntnisse über die Struktur der Rinde
sprechen sehr zugunsten dieser Annahme.
111. Die Einrichtung der Centren.
Die Ergebnisse der Forschungen der letzten Dezennien beweisen, daß die
Hirnrinde weder anatomisch, noch — was eigentlich dasselbe heißt — funktionell
einheitlich ist. Die ab- und zuführenden langen Bahnen langen an verschiedenen
Stellen der Rinde an. Die motorischen Bahnen haben an der Stätte ihrer Ent¬
stehung ihre Ursprungszellen, die BETz’schen Riesenpyramidenzellen, und die
Gruppe dieser Zellen in der vorderen Zentralwindung bildet das primäre moto¬
rische Centrum. Aus unseren früheren Annahmen folgt, daß analoge primäre
Centren für die sensorische Funktion der Rinde nicht vorhanden sind.
Die Abgrenzung des primären motorischen Centrums ist, wenn auch zurzeit
noch nicht völlig erforscht, schon anatomisch durch das Austreten der Pyra¬
midenfasern aus ihren Entstehungszellen gekennzeichnet. Eine Reibe höchst
wertvoller Forschungsergebnisse legt klar, daß innerhalb dieses primären Zentrums
eine mustergültige Ordnung herrscht; die Funktionseinheiten der einzelnen
Glieder können bis in die kleinsten Details bestimmt und aufgefunden werden.
Eigentlich ist aber diese Anordnung leicht erklärbar, da sie doch blos die Reihen¬
folge der motorischen Zellen im Rückenmarke, wenn auch anders geschichtet,
wiederholt. Die klinischen Erfahrungen lehren schon seit langer Zeit, daß die
Bewegungen der einen Körperhälfte in die andersseitige motorische Rindenzone
lokalisiert sind, mit Ausnahme der zumeist bilateralen gleichzeitigen Bewegungen,
welche auch in der Rinde bilateral vertreten sind.
Enthalten diese Ausgangszeilen der Pyramidenbahnen zugleich die Erinnerungs¬
bilder sämtlicher erlernter BewegungsVorstellungen? Ganz bestimmt nicht, und
wenn sie auch nur einige nicht enthalten, da ist die Folgerung logisch, daß sie
überhaupt keine führen. Sie übernehmen die Anregungen in der betreffenden
Form von den sekundären motorischen Centren, die um sie gelagert sind, und
vermitteln sie an die Pyramidenbahnen. Enthielten diese Riesenpyramiden der
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motorischen Zone Erinnerungsbilder eines Bewegungsaktes, so würden sie immer
dieselbe Bewegungsform weiter vermitteln, es hat wirklich keine Wahrscheinlich¬
keit an sich, daß der Willensentschluß der intendierten Bewegung hier erfolgt.
Der größte Teil der heutigen Forscher wird diesen Satz akzeptieren, da die Lehre
von der speziellen Lokalisation der Sprache von den Meisten angenommen wird.
Diese Annahme folgt schon daraus, daß das Rindengebiet, das von der patho¬
logischen Anatomie als zu der Sprachfonktion gehörend angegeben wird, sich
bedeutend über die Grenze hinaus ausdehnt, die die Physiologie als das
Gebiet der Lokalisation der Bewegung der Sprechwerkzeuge erforscht hat
Hinsichtlich der Schreibbewegong sind die Autoren weniger einig. Gegen
das Vorhandensein eines solchen Zentrums führt ein Autor sogar an, daß es
wenig Wahrscheinlichkeit an sich trüge, daß der liebe Gott einen leeren Platz
im Gehirn für diese Konst geschaffen hätte! Auf diese Weise freilich darf man
ein Centrum nicht auffassen. Die Beobachtnngstatsachen sprechen aber sehr
für ein besonderes Schreibzentrum, da doch der isolierte Verlust dieser Fähig¬
keit bereits öfters beobachtet wurde. Dejbiune will diese Fälle durch die An¬
nahme erklären, daß bei denselben die Verbindung zwischen dem Gyros angu¬
laris — als Lesecentrom — und dem motorischen Armzentrum unterbrochen
wäre. Auf Grund dieser Ansicht müßte man doch des Schreibcentrom in den
Gyros angularis verlegen, denn es ist kaum anzunehmen, daß die motorische
Zone sich für eine jede Innervation um Rat an das sensorische Centrum des
Gyrus angularis wenden könnte; auch könnten die Fälle, in denen der Patient
der Fähigkeit des Lesens verlustig wurde, ohne im Schreiben behindert zu sein,
nur gekünstelt erklärt werden.
Es gibt aber auch andere manuelle, erlernte Fähigkeiten, die einer Erklärung
bedürfen. Beim Spielen eines Instrumentes ist doch das visuelle Bild der Noten
ganz anders, als dessen Ausführung; wird man da vielleicht auch annehmen, daß
das visuelle Bild der Noten die Impulse direkt auf die motorische Bahn der
Arme und Finger übermittelt? Oder, daß besonders beim Auswendigspielen die
geordneten Impulse von dem visuellen Centrum der Noten ansgehen? Und das
Spielen der Notenonkundigen? Der liebe Gott hat wahrlich keine leere Stelle im
Gehirne Adams mit der Bestimmung erschaffen, daß einst ein recht ferner
Urenkel durch die Funktion dieser Stelle eine Stradivariusgeige zum Tönen
bringe, aber die Evolution des menschlichen Gehirnes hat es mit sich gebracht,
daß in der Nachbarschaft der Ursprungszellen der motorischen Bahn eine Menge
von Zollsystemen sich entwickelt hat; diese sind bereit zur Annahme und
Fixierung gewisser motorisober Impulse als Erinnerungsbilder und können die
Impulse auf die motorische Bahnen übertragen.
Wer das Vorhandensein eines Sprechcentroms anerkennt, kann logischer¬
weise eio Sohreibcentrum nicht negieren. Beiden Zentren kommt doch die Auf¬
gabe zo, gewisse Muskeln, die auch bei Tieren vorhanden sind, zur Ausführung
spezieller Bewegungsformen zu befähigen.
Die Unabhängigkeit der motorischen und sensorischen Centren voneinander
zeigt sich an vielen Eigentümlichkeiten. Sensorisch etwas zu erlernen, ist
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wesentlich leichter als motorisch, sensorisch sich etwas vorstellen, ist kaum
möglich, hingegen dies motorisch zu tun, mit der größten Präzision ausführbar.
Ich kann mir sinnlich nicht gut vorstellen, wie die Instrumente eines Orchesters
klingen, obzwar ich die Instrumente an ihrem Klang sofort erkenne; ich vermag
aber sehr wohl eine mir bekannte Arie, ein Tonstück, die ich durch Gesang
oder auf einem Instrumente vorführen kann, mir vorzustellen. Seine sensorischen
Centren einüben, heißt etwas ganz anderes, als die Befähigung zur Exekution
auf motorischem Gebiete zu erlangen. Kritisieren ist leichter als produzieren.
Eine weitere Eigentümlichkeit dieser Centren ist die höchst interessante
Anordnung der Erinnerungsbilder in ihnen. Die Beobachtungen häufen sich,
in denen durch einen pathologischen Prozeß die Tätigkeit nicht eines ganzen
Centrums aufgehoben wurde, sondern blos eines Teiles desselben und in diesen
Fällen waren zumeist zusammengehörige Erinnerungsbilder ausgefallen.
Ich will hier nicht alles, was diesbezüglich in der Litteratur aufgefunden
werden könnte, zusammenstellen; es genügt einstweilen, auf einige Beispiele
hinzuweisen; die Beispiele dürften sich häufen, sobald einmal die Aufmerksamkeit
der Beobachter diesen Erscheinungen sich zuwenden wird. Als eine solche, in
der Lokalisation abgesonderte Kategorie, kann das Lesecentrum von den optischen
Centren angeführt werden. Aber auch innerhalb dieses Centrums gibt es Unter¬
abteilungen: hat doch Chaboot den äußerst lehrreichen Fall eines seiner Kollegen
angeführt, der infolge einer Rindenläsion ausschließlich die Fähigkeit, Noten zu
lesen, cinbüßte. Ich habe einen Kaufmann beobachtet, der im Laufe einer be¬
ginnenden Paralyse plötzlich die Fähigkeit verlor, stenographische Notizen, deren
er sich bis dahin immer bediente, zu lesen; nach einigen Wochen kehrte die
verlorene Fähigkeit zurück.
Mehrere Autoren nehmen auf Grund von Beobachtungen ein besonderes
Buchstabencentrum im Scheitellappen an. Ein Kranker von Oppenheim konnte
blos die Hauptworte gut lesen, dagegen Zeit- und Bindeworte nicht. In der
Hörsphäre gibt es auch eine einheitliche Gruppe für die Auffassung der Worte,
aber auch ein abgesondertes Centrum für die musikalischen Erinnerungsbilder,
wofür bereits einige interessante Beobachtungen Bürgschaft leisten. In betreff
der Lokalisation der erlernten Bewegungsformen der Hände kann man außer
der Agraphie die kaum anders als kortikal entstehenden Bewegungsstörungen
der Schreib- und anderen Berufskrämpfe anführen, bei denen bloß die betreffen¬
den Berufsbewegungen behindert sind. Diesbezüglich äußerst interessant und
lehrreich ist der Fall von Gbassbt, in dem ein Taubstummer, der sich der
Fingerzeicbensprache bediente, diese Fähigkeit infolge einer Erkrankung der
linken Hemisphäre verlor, obzwar er dabei keine Lähmung der Armbewegungen
erlitt.
Analog den Berufskrämpfen ist auch das Stottern eine Störung der Funktion
des kortikalen Sprechgebietes. Jüngst beobachtete ich einen italienischen Jüng¬
ling, der die ungarische Sprache vollkommen beherrscht, doch bei einem Worte
(tanitö = Lehrer und dessen Abkömmlinge, die dem deutschen Lehr — tan ent¬
sprechen) stark stottert, während er sonst die Worte mit ta... beginnend ohne
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Schwierigkeit rein ansspricht. Tantalus ungarisch kann er bloß mit leichtem
Stottern anssprechen, während italienisch: Tantolo ihm nicht die geringste Be¬
hinderung verursacht In diesem Falle ist also das Stottern nicht, wie gewöhn¬
lich, an die Übertragung des Wortes auf die motorische Bahn gebunden, sondern
auf einige bestimmte Worte, also auf die Erinnerungsbilder derselben. — Die
innere Organisation des Sprechgebietes erweckt unser größtes Interesse, da doch
in diesem Gebiete alle unseren höheren Denkprozesse ablaufen. In den Annalen
unserer Wissenschaft sind Fälle verzeichnet, in denen Patienten, die mehrere
Sprachen beherrschten, infolge einer Gehirnläsion die Fähigkeit, sich einer der
erlernten Sprachen zu bedienen, verloren. — Einige interessante Beobachtungen
führten zur Annahme einer sogen. Akataphasie, Agrammatismus, die bereits
Kussmadl eingehend berücksichtigt In den hierhergehörenden Fällen fehlt
zumeist eine Art der Redeteile, in manchen die Eigennamen (Centrum von
Bboajdbent und Mills), in anderen die Hauptworte, in anderen wieder die
Verben; für die letztere Art ist der von Kussmaul zitierte Fall Steinthal’s sehr
bezeichnend: Der Kranke konnte außer „ist“, „kann“ kein anderes Verbum an¬
wenden, während die Hauptworte ihm ganz geläufig waren. Eine hierher¬
gehörende Beobachtung machte ich vor einigen Jahren an einer Dame, die an
einem Gehirntumor litt. Noch prägnanter war der Verlust der Verben in einem
Falle, den ich seit l 1 /, Jahren in der Klinik sehr genau beobachtete und der dem¬
nächst ausführlicher veröffentlicht werden soll. In diesem Falle fehlte außer den
Hilfsverben, die aber auch bloß in einigen wenigen Formen vorhanden waren, das
Verständnis für sämtliche Verben und Verhältnisworte; der Patient konnte be¬
sonders die letzteren nicht richtig anwenden, und wenn man das Richtige ihm
vorsagte, so war er doch nicht gewiß, ob es richtig sei; bei Wiederholungen war
er ebenso unsicher. Die Verben kehrten zum Teil allmählich in seine Sprach-
fähigkeit zurück, doch ist sein Vocabularium an Verben noch immer äußerst
arm, der Gebrauch der Verhältnisworte besserte sich kaum. Die Konjugierung
der Verben war ebenso schlecht, wie der Gebrauch der Verhältnisworte. — Das
Vermögen, mit Zahlen zu operieren, scheint gleichfalls von den übrigen Fähig¬
keiten abtrennbar zu sein, hierher gehört ein Fall von Oppenheim; ebenso ein
Fall, den ich vor mehreren Jahren länger beobachtet habe: Ein sehr intelligenter
Mann (Maler) bekam nach Endokarditis schwere Embolien, infolge deren er
nicht nur das Sprechvermögen, sondern auch das Wortverständnis und das Ver¬
mögen, zu lesen und zu schreiben, verloren hatte; nebstbei bestand eine schwere
rechtsseitige Hemiplegie. Es war ganz unmöglich, mit dem Kranken zu ver¬
kehren, bloß eine Fähigkeit blieb ihm zurück: wenn man ihm ein Rechen¬
exempel vorlegte, so löste er es richtig (mit der linken Hand die Zahlen auf¬
zeichnend). Buchstaben, Worte konnte er auf diese Weise nicht schreiben.
Alle diese Fälle sind so mannigfaltig, so klar in ihrer Erscheinung, die
Unfähigkeit in gewisser Richtung mit den noch vorhandenen Fähigkeiten in
anderer Richtung so scharf kontrastierend, daß eine andere Erklärung, als die
Annahm e gewisser begrenzter Centren kaum denkbar ist.
Freilich sind nicht alle Beobachtungen geeignet, auf diese Verhältnisse ein
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Liebt zu werfen. Den meisten Beobachtern sind solche Fälle aufgefallen, in
denen trotz sonst allgemeiner Sprechunfähigkeit der Patient einige Worte, zu¬
meist einen Fluch, oder irgend eine Art des Jammerns („Jessus Maria“), oder
sinnlose Silben (ta-ta...) noch aussprechen konnte. Versuchen solche Patienten
eine Frage zu beantworten, so kommt nur dieser eine Satz aus ihrem Munde
hervor. Es ist klar, daß in diesen Fällen keine Assoziationssprache vorliegt und
höchstwahrscheinlich kommt solchen Affektsätzen eine differente Lokalisation
von derjenigen der eigentlichen Sprache zu; möglicherweise sind solche Sätze
bilateral lokalisirt. Diese Sätze erscheinen schon physiologischerweise nicht als
Teile der Assoziationssprache; es ist bekannt, wie schwer derjenige, der an sie
gewöhnt ist, sich von denselben abhalten kann: ehe er es vermerkt, sind sie
schon laut geworden. Ferner schien die bekannte Reihenfolge, nach welcher
Aphatisohe bei der Besserung ihres Zustandes oft zuerst die Fähigkeit des Sprechens
in ihrer Muttersprache erlangen und erst später in den weniger geübten Sprachen,
manchen Beobachtern schwer mit der Lokalisation der Worte vereinbar, da die
anatomische Ursache der Aphasie, die Blutung, doch an verschiedenen Stellen
zustande kommt. Man darf aber nicht vergessen, daß in diesen Fällen weder das
Sprachcentrum, noch weniger die einzelnen Centra der Worte zerstört sind —
sonst käme die Fähigkeit des Sprechens nicht zurück —, es ist bloß der
diffuse Druck, der diesen Gehirnteil in der Funktion behindert. Es ist kein
Wunder, wenn bei allmählicher Entlastung die leichtesten Funktionen am
raschesten wiederkehren.
Eigentlich kann aber die Annahme besonders lokalisierter Centren uns nicht
befremden. Schon die Betrachtung der physiologischen Verhältnisse zwingt uus
zu einer solchen Auffassungsweise. Die Talente, die in so mannigfaltigen, doch
begrenzten (vererbbaren) Fähigkeiten erscheinen, deuten doch an, daß an dem
Betreffenden gewisse Teile der Rinde vollkommener entwickelt sind, als bei
anderen. Die Talente betreffen häufig ganz genau umschriebene Fähigkeitskreise,
wie kannten diese anders als durch bessere Entwickelung gewisser Rindenteile
(nicht Schädelteile!) entstehen? Ebenso beweisend ist die Talentlosigkeit für
bestimmte Fähigkeiten. Das Vorhandensein bestimmter Talente genügt an und
für sich, um die speziellen Fähigkeiten in umschriebene Gebiete zu lokalisieren.
Für die engere Lokalisation und gruppenweise Anordnung der Erinnerungs¬
bilder innerhalb der Centren kann man eine Reihe unserer sonstigen Fähigkeiten
anführen. Folgender Ideengang mag diese Verhältnisse näher beleuchten. Nach
unserer Auffassung wird ein von uns schon früher beobachtetes Objekt dadurch
neuerdings erkannt, daß sein Erinnerungsbild beim Erscheinen der Erregung in
dem betreffenden Sinnescentrum harmonisch erklingt. Kommen ähnliche, aber
nicht identische Reize in dieses Sinnesgebiet, so erklingt zunächst das ähnlich
gestimmte Erinnerungsbild, aber nur leiser; es wirkt gewissermaßen anziehend
auf den Reiz, der aber beim näheren Anlangen doch nicht zu dem vorhandenen
Bilde paßt, und deshalb wird er in der Nähe in eine andere noch freie Zelle
deponiert. Geschähe dies nicht so und würde die Ähnlichkeit durch leise
Resonanz nicht attrahierend wirken, dann könnten wir kaum Begriffe sammeln,
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wir würden vielleicht eine Menge von einzelnen Objekten, z. B. von Hunden,
kennen, ohne die Verwandtschaft unter denselben zu bemerken.
Diese Theorie des harmonischen Anklingens der Erinnerungsbilder erklärt
unsere Befähigung zum logischen Denken; sie erklärt zugleich die ordnungs¬
gemäße Aufspeicherung der Erinnerungsbilder in die betreffenden anatomischen
Lager. In den sensorischen Centren finden nur die durch die Sinnesorgane ein-
geführten Eindrücke ihren Platz; die allgemeinen, abstrakten Begriffe entsprechen
eigentlich dem Komplex einer nahezu harmonisch gestimmten Erinnerungsbilder¬
gruppe; dieser Komplex wird einfach durch ein Wort substituiert Diese Art
der Substitution spiegelt sich auch in unseren mathematischen Formeln wieder.
Der Vorgang beim Denken und Handeln ist ein ganz passiver; die von
außen durch die Sinnesorgane eihströmenden Reize erregen harmonisch gestimmte
Erinnerungsbilder. Nun ist aber hiermit der Denkprozeß nicht beendet, es gibt
ja keine Nervenzellen ohne Achsenzylinder, der Reiz wird sonach auf andere
Erinnerungsbilder übertragen, wobei mehr oder weniger harmonische erklingen,
was teilweise davon abhängt, welche anderen simultanen Reize den Vorgang
beeinflussen. Diese weitere Übertragung der Reize nenuen wir Denken. Ein
Denkprozeß ist wie ein Satz: kommt er zurück zum Ausgangspunkt, zum Sub¬
jekt, so klingt er harmonisch ab, ebenso in der Sprache, wie in der Musik, ja
wir finden selbst in der Architektur (Symmetrie, Wiederholung, bekannte, ge¬
wohnte Motive) und anderen Künsten dasselbe Bestreben nach einheitlichem
Abschluß. In pathologischen Fällen, bei allgemein gesteigerter Erregbarkeit,
fehlt dieser harmonische Abschluß der Erregung, hierdurch entstehen der Denk¬
zwang der Neurasthenischen, die Ideenflucht gewisser Geisteskranker.
Ein Teil dieser Sinneserregungen ruft harmonisch auch solche Erinnerungs¬
bilder an, die im motorischen Gebiet liegen; hierdurch entstehen entsprechende
Bewegungen, sie sind ebensowenig von einem unmateriellen Willen abhängig,
als die sensorischen Eindrücke; die durch sie herbeigeführten neuen sensorischen
Erregungen täuschen uns das Gefühl des Wollens vor. Da wir alle außer uns
erfolgenden Bewegungen aus fremder Einwirkung entstehen sehen, so bekommen
wir das Gefühl, als ob unsere Bewegungen auch durch etwas von unserem
Körper Unabhängiges verursacht wären. Dieses Etwas nennen wir den Willen.
Eigentlich ist er nur die Erscheinungsform eines durch unser Denkorgan ge¬
gangenen Reizes, sehr nahe verwandt mit den noch nicht genügend erforschten
sogen. Tropismen der Pflanzen und Tiere, im Grunde ein einfacher Reflexprozeß
eines äußeren Eindruckes.
Zum Schluß komme ich noch einmal auf die Centren zurück. Die primären
motorischen Zentren der vorderen Zentralwindung sind scharf begrenzt, da sie
die Ursprungsstätten der Pyramidenbahnen darstellen. Eine solche scharfe Be¬
grenzung kommt weder den sensorischen, noch den sekundären motorischen
Zentren zu. Sie schließen sich räumlich an die Endigungen der betreffenden
Leitungsbahnen an, durch welche sie mit der Außenwelt verkehren, sie sind
nur im Großen an bestimmte Gebiete gebunden, die auch anatomisch der be¬
treffenden Tätigkeit dienlich sind. Die klinische Forschung muß sich in der
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Zukunft mehr als bisher mit den partiellen Ausfallserscheinungen beschäftigen,
die pathologische Anatomie hingegen darf nicht für einen jeden Teilausfall eine
eng umgrenzte und in jedem Falle vollkommen identisch lokalisierte Läsion er¬
fordern. Immerhin haben solche Fälle viel mehr Beweiskraft für die Lokali¬
sationstheorie, als die Fälle mit gänzlichem Verlust gewisser Fähigkeiten, da in
diesen zumeist die Leitungsbahnen vernichtet sind (sogen, reine Ausfalls¬
erscheinungen im Sinne Dejebine’s).
Außer den erwähnten und zu ihnen zählbaren sensorischen und motorischen
Centren gibt es keine anderen, namentlich keine speziellen, die bloß dem „Denk¬
prozesse“ zugrunde lägen. Die wichtigen Elemente dieser Funktion sind bloß
die Nervenzellen; die sogen. Assoziationsbahnen sind einfache Leiter, die den
Verlauf der Erregung beim Denken nicht dirigieren.
Endlich glaube ich, daß für die weitere Erforschung der Tätigkeit des Ge¬
hirnes man mehr, als das bisher geschehen ist, die Gesetze der Lehre von der Logik,
besonders auch alle Formen unseres Wissens in Erwägung ziehen muß; denn ebenso
wie alle Erfahrung bloß in unseren Empfindungen fußt, ist die Form und der
Inhalt unseres Wissens ein Ausdruck der Organisation des Gehirnes. Wir können
keine anderen Gedanken haben, als solche, die der Organisation unseres Nerven¬
systems entsprechend zustande gekommen sind. Die Gesetze des Denkens sind
die Gesetze der Organisation des Denkorganes.
[Aus der Nervenabteilung des Allgem. Krankenhauses Hamburg-Eppendorf.]
(Oberarzt: Dr. M. Nonne.)
4. Ein Fall von Landry’scher Paralyse
kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascendierenden
Rückenmarkstumors vortäuschend.
Von Dr. L. Jacob, Assistenzarzt.
Ich möchte im folgenden einen Fall mitteilen, der in seinem klinischen
Verlauf große Schwierigkeiten für die Beurteilung bot und von allgemeinem
Interesse sein dürfte, weil er einen interessanten Beitrag zum Kapitel der Diffe-
rentialdiagnose der LANDBY’sohen Paralyse darstellt Diese ist im allgemeinen
nicht schwierig zu erkennen, denn es kommen differentialdiagnostisch nur wenige
Erkrankungen in Betracht. In unserem Falle lag jedoch eine Kombination mit
einer funktionellen Erkrankung, der Hysterie, vor, die bekanntlich fast jede
organische Affektion des Nervensystems nachahmen kann und daher der Diagnose
oft unvermutete Schwierigkeiten bereitet.
Es handelt sich um eine 32jährige Patientin M. W., Dienstmädchen, die am
27./1X. 1905 hier aufgenommen wurde. Sie ist hereditär nicht belastet, hat
mehrere Kinderkrankheiten durchgemacht, auch vielfachanDrüsenschwellungen
gelitten, die einmal eine Operation nötig machten. Hit 22 Jahren lag
eie wegen „Rheumatismus“ 15 Monate im Krankenhaus, 3 Jahre später wegen
„Bauchfellentzündung und Blasenkatarrh“ 1 Jahr lang. 1902 hatte sie Lungen¬
entzündung, seitdem angeblich oft Husten und Nachtschweiße.
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Vor 2 Jahren (1903) traten zum ersten Mal gürtelförmige Schmerzen
t »m unteren Abdomen auf, „ein strammes, schmerzhaftes Gefühl, als wenn sie
zusammengeschnürt würde“. Seit dieser Zeit stellte sich auch der „Rheumatismus“
wieder ein, Reißen im rechten Bein, besonders im rechten Oberschenkel,
Steifigkeit der Hüfte, dann Ziehen in den Armen und im Rücken. Außer¬
dem auch Blasenbeschwerden, häufiger Drang zu Urinieren.
Seit 5 bis 6 Wochen vor der Aufnahme spürt Patientin Schmerzen im
Rückgrat, so daß ihr das Bücken unmöglich wird, und bei jeder kleinen An¬
strengung, besonders beim Husten und Niesen schneidende Schmerzen in
beiden Beinen.
Patientin will mehrere Male im Tag und besonders nachts Exazerbationen
dieser Schmerzen haben, dabei heftige Kopfschmerzen, Kribbeln, Stechen
und Schneiden im ganzen Körper. Sie bemerkte auch eine Schwellung und
zunehmende Schmerzhaftigkeit der rechtsseitigen AchseldrÜBen. Seit sechs
Wochen fühlte sie, daß mehrmals am Tage beide Beine eingeschlafen
und kalt waren. Dann wurde der linke Fuß schwach und das linke
Bein, allmählich zunehmend. Einige Tage später trat das Gleiche beim
rechten Fuß auf, ebenfalls langsam aufsteigend. Bis vor 14 Tagen
konnte Patientin noch mit Unterstützung gehen, knickte dabei aber häufig ein.
Sie war während dieser letzten Wochen im Krankenhause in B., wo aber für
ihre Beschwerden kein objektiver Befund zu erheben war.
Am 19./IX. 1905 brach Patientin plötzlich zusammen (während einer
Reise von Bremen nach Hamburg) und kann seitdem die Beine nicht mehr
bewegen. In diesem Zustande wird sie in das Krankenhaus aufgenommen.
Das eingehende Befragen der Patientin ergab keinen sicheren Anhalts¬
punkt für luetische Infektion. Die Patientin ist defloriert, hat vor 7 Jahren
einen Partus durchgemacht; das Kind starb an Brechdurchfall. Die Menses sind
regelmäßig.
Status (l./X. 1905):
Mittelgroße Frau von schwächlichem Körperbau, in reduziertem Ernährungs¬
zustand, mit blasser Hautfarbe und ziemlich blassen Schleimhäuten; keine Ödeme,
keinerlei Zeichen frischer oder abgelaufener Lues. Kein Fieber. In der rechten
Achselhöhle ein ziemlich großes Packet mäßig weicher Drüsen, auch
links einige kleinere, weiche Drüsen. Hals-, Clavicular- und Leistendrüsen sind
nicht zu fühlen.
Herz und Lungen sind ohne bemerkenswerten Befund.
Das Abdomen ist in den unteren Partien etwas aufgetrieben, im linken
Hypocbondrium druckempfindlich. Leber und Milz sind nicht vergrößert.
Urin normal.
Am Rumpf deutliche Dermographie.
Pupillen sind beiderseits gleich, rund, reagieren auf Lichteinfall und Kon¬
vergenz gut.
Augenbewegungen normal; nur bei seitlicher Endstellung der Bulbi leichte,
nystagmusartige Zuckungen.
Augenhintergrund ohne Befund.
Corneal- und Rachenreflexe abgeschwächt.
Zunge zeigt leichten Tremor.
Hirnnerven im übrigen bei eingehender Untersuchung ohne Störung.
Motilität:
Untere Extremitäten: es besteht schlaffe, vollkommene Lähmung
beider Beine. Keine Atrophie, keine fibrillären Zuckungen.
Patellarreflexe: fehlen beiderseits.
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Achillessehnenreflexe: sind beiderseits lebhaft, rechts findet sich Andeutung
von FuBklonus.
Plantarreflexe: beiderseits schwach.
Elektrische Untersuchung:
Faradisch und galvanisch, direkt und indirekt in allen Gebieten sehr prompte
Erregbarkeit.
Obere Extremitäten: Parese aller Muskelgebiete, rechts aus¬
gesprochener als links, keine vollkommene Lähmung. Die Strecker sind im all¬
gemeinen mehr betroffen als die Beuger. Keine Atrophien, keine fibrillären
Zuckungen.
Alle Reflexe sind beiderseits gleioh, ziemlich lebhaft.
Elektrische Untersuchung: alles normal.
Rumpf:
Die Bauchmuskeln sind nicht merklich geschwächt, es besteht keine segmen¬
täre Lähmung. Die Bauchdeckenreflexe (obere und untere) beiderseits sehr
lebhaft.
Elektrisches Verhalten: normal.
Beim Aufsitzen sinkt Patientin nach vorn oder nach der Seite, kann sieb
nicht gerade halten.
Sensibilität (die Prüfung wird durch das apathische Verhalten der Patientin
sehr erschwert):
Es findet sich totale Anästhesie beider unteren Extremitäten bis
zur Mitte der Oberschenkel für alle Qualitäten.
Hypästhesie und Herabsetzung der Lage- und Bewegungsempfindung und der
Stereognosie im Bereich der oberen Hälfte beider Oberschenkel und beider Arme
(links bis zur Schulter, rechts bis zur Ellenbeuge). (Fig. 1.)
Fig. 1.
Am Abdomen ist eine druckempfindliche, wenig scharf begrenzte Stelle im
linken Hypochondriutn.
Blase und Rectum:
Patientin gibt an, sie habe häufigen Harndrang, könne jedoch nur
mühsam urinieren.
Stuhlgang ohne Beschwerden.
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Im Bereich der oberen Lendenwirbel besteht erhebliche, nach oben
nicht abgrenzbare Druckempfindlichkeit.
Das Röntgen-Bild ergibt keinen Aufschluß über eine Erkrankung der Wirbel¬
säule.
Verlauf:
In den ersten Tagen der Beobachtung: Patientin macht einen sehr apathischen
und hinfälligen Eindruck, klagt über starke Rückenschmerzen, ziehende
Schmerzen im linken Arm und rechter Hüfte.
Die Parese der oberen Extremitäten nimmt zu, besonders links.
Die Grenze der Anästhesie der Beine rückt herauf und geht auf
den Rumpf über. Die linke Bauchseite wird deutlich hypästhetisch, die Bauch¬
reflexe sind links stark herabgesetzt, rechts unverändert.
Nach Tuberkulininjektion (alt Tuberkulin 2 / 10 mg):
Temperatursteigerung auf 38,3, Kopfschmerzen, allgemeines Unwohlsein.
Es traten heftige Schmerzen in beiden Armen auf, einmal Erbrechen.
Nach 10 Tagen zunehmende Parese der Arme, Herabsetzung der Schraerz-
und Temperaturempfindung der linken Rumpfseite; dann Pupillendifferenz
(rechts weiter als links bei prompter Reaktion auf Licht und Konvergenz).
3 Wochen nach der Aufnahme ist die Parese der oberen Extremitäten
links bis zu totaler sensibel motorischer Lähmung fortgeschritten
rechts sind nur noch Fingerbewegungen möglich, bei prompt auslösbaren Sehnen¬
reflexen beiderseits. Die Bauchpresse ist schwach, starker Meteorismus be¬
hindert zeitweise die Atmung; es besteht Retentio urinae.
Fig. 2.
Die Sensibilitätsstörung hat sich beträchtlich ausgedehnt (s. Fig. 2); es findet
sich totale Anästhesie für alle Qualitäten, auch für starke Schmerzreize
an der Vorderseite des Rumpfes mit Ausnahme der Labia majora et minora,
rechts bis zur Mamilla und zum Oberarm, links über Brust und Hals bis zum Ohr.
Hinten starker Druckschmerz der unteren Lendenwirbel; rechte
Hälfte des Kopfes, Halses, Rückens, rechter Oberarm, die Sakral- und Glutäal-
region beiderseits für Schmerz- und Berührung empfindlich, sonst wie vorn für
alle Qualitäten anästhetisch.
Diese auffallende Sensibilitätsstörung läßt auf das Vorhandensein einer
psychischen Störung schließen.
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In weiteren 10 Tagen treten zu dem bisherigen Bilde starke Schmerzen
im Hinterkopf, Schwindelgefühl, paretischer Nystagmus beim Blick
nach rechts und links, zuweilen Doppeltsehen.
Jetzt auch Schwäche der Nackenmuskeln.
Mehrfaches Erbrechen, Pulsbeschleunigung. Speichelfluß. Der
Mund kann nur wenig geöffnet werden; schlaffe, energielose Funktion der
K aumuskeln.
Starke Gürtelschmerzen, anfallsweise; dabei starke beiderseitige Hyper-
idrosis. Meteorismus. Urinretention. Vollkommen schlaffe Para¬
plegie der oberen und unteren Extremitäten.
Der Zustand bleibt von da an für die folgende Zeit im allgemeinen konstant.
14 Tage später werden die früher nicht auslösbaren Patellarreflexe
prompt auslösbar gefunden, während die Achillessehnenreflexe leicht ge¬
steigert sind (Andeutung von Fußklonus).
Die totale schlaffe Lähmung aller vier Extremitäten ist unverändert. Es
besteht starke Parese der Hals- und Bumpfmuskeln und der Bauchpresse. Der
Kopf kann kaum vom Kissen erhoben werden; das Kauen ist äußerst schwach,
die Zunge wird kaum über die Zahnreihe gebracht, der Mund nur wenig
geöffnet. Der Facialis wird energielos, aber beiderseits gleich und in allen
Zweigen innerviert.
Puls etwa 100, regelmäßig.
Reflexe: obere Extremität beiderseits prompt.
Untere Extremitäten wie erwähnt.
Plantarreflexe beiderseits schwach.
Oberer Bauchdeckenreflex beiderseits deutlich vorhanden, unterer
fehlt.
Korneal- und Rachenreflex fehlen.
Sensibilität (s. Fig. 3):
Fig. 3.
Anästhesie am ganzen Körper inkl. Gesicht mit Ausnahme des Hinterkopfes
und einer nur für stärkere Schmerzreize empfindlichen Zone, die beiderseits an
der Lendenwirbelzone über das Gesäß und die Dammgegend sich erstreckt.
In etwa 4 Wochen ändert sich die Sensibilitätsstörung wieder in der Weise,
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daß die BerührungBempfindung am ganzen Bumpf bis zur Schenkelbeuge wieder
vorhanden ist, ebenso Schmerzempfindung bei starken Reizen. Die anderen Quali¬
täten fehlen.
Die Extremitäten sind noch ganz anästhetisch (s. Fig. 4).
Fig. 4.
Dieser Zustand bleibt etwa 9 Wochen bestehen (nur die Sensibilitätsstörungen
ändern sich, wie beschrieben), dann tritt allmählich erhebliche Besserung ein.
Die Schwäche und die Gurteischmerzen verschwinden.
Da seit Wochen kein Symptom aufgetreten ist, das nicht ausschließlich durch
Hysterie bedingt sein könnte, wird in der Therapie zu energischer psychischer
Behandlnng and Isolierung übergegangen (Suggestionstherapie, Vibration, Elektri¬
sierung, subkutane Injektionen von Aqua destillata).
Nachdem schon vorher leichte Bewegungen im rechten Arm bemerkt worden
waren, bildet sieb jetzt die motorische Störung in umgekehrter Reihen¬
folge wie sie entstanden war zurück. Zunächst gelingt es, die Patientin
zu ziemlich ausgiebigen Bewegungen des rechten Armes zu veranlassen, wobei zu¬
nächst eine Unstetigkeit der Innervation, das Unterbrechen des verlangten Impulses
durch zahlreiche, kurze, entgegengesetzte Impulse zutage tritt.
Nach 3 Tagen kann Patientin den rechten Arm über den Kopf heben,
während in dem linken zunächst nur Fingerbewegungen sich geltend machen und
die Beine noch total paraplegisch sind.
Die Sensibilität bessert sich nicht in demselben Maße, denn zunächst bleiben
noch alle vier Extremitäten völlig anästhetisch und am Rumpf besteht wieder
teilweise Hypästhesie für Berührung, Schmerz- und Teuiperaturempfindung. Un¬
gefähr 8 Tage nach Herstellung der aktiven Beweglichkeit des rechten Armes,
dem allmählich der linke gefolgt ist, können die ersten willkürlichen Bewegungen
im rechten Bein hervorgerufen werden; auch hier treten wieder störende, ent¬
gegengesetzte Impulse von ganz hysterischem Charakter auf. Patientin kann das
rechte Bein schließlich bis zum rechten Winkel beugen, während das bisher ab¬
sichtlich von der Suggestion ausgeschlossene linke noch völlig gelähmt bleibt.
Subjektiv treten vor und bei Eintritt der Beweglichkeit lebhafte Schmerzen in
den Gelenken auf und in der Muskulatur.
(Schluß folgt.)
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270
II. Referate.
Anatomie.
1) Über die intrabulbftren Verbindungen des Trigeminus sum Vagus, von
Prof. Dr. M. Grossmann. (Arbeiten aas dem neurolog. Institut an der Wiener
Universität. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
Nach Durchsobneidung der drei Äste des Trigeminus beim A£fen knapp vor
ihrem Eintritt in den Pons und gleichzeitiger Exstirpation des Ganglion Gasseri
ergab sich — abgesehen von der Degeneration der spinalen Trigeminus wurzel —
die Entartung eines etwas von letzterer abgesonderten Fasersystems. Es sitzt der
spinalen Trigeminuswurzel dorsomedial auf, empfängt von ihr Fasern und entsendet
solche in einen begleitenden Kern. Dieser, dessen Ähnlichkeit mit der Substantia
gelatinosa unverkennbar hervortritt, wird wegen seiner Form Nucleus ovalis ge¬
nannt. Er sowie die begleitenden Fasern lassen sich bis in die spinale Glosso-
pharyngeuswurzel verfolgen, in der sie verschwinden.
Dem Verf. ist es bei dieser Untersuchung hauptsächlich darum zu tun ge¬
wesen, eine Verbindung zwischen Trigeminus und Vagus im primären Reflexcentrum
zu zeigen, eine Verbindung, die bei niederen Tieren wiederholt gefunden, für
den Affen und Menschen bisher negiert wurde. Die physiologische Seite der Frage
(Geschmacksbahn) wird vorläufig nur gestreift.
Physiologie.
2) Über den EinfluB des Rindepoentrums für SpeioheUekretipn »uf die
reflektorisohe Tätigkeit der Speicheldrüsen, von Belitzki. (Obosrenije
psich. 1906. Nr. 1.) Ref.: Wilh. Stieda (St. Petersburg).
Es ist eine altbekannte Tatsache, die in neuerer Zeit vor allem durch
J. Pawlow und seine Schüler genauer untersucht worden ist, daß die Speichel¬
sekretion durch sensorische Reize angeregt wird. Verf., der im Bechterewschen
Laboratorium in Petersburg arbeitete, unternahm es, den Einfluß, den die Gro߬
hirnrinde, speziell das Centrum für Speichelsekretion, bei diesen reflektorischen
Vorgängen hat, zu untersuchen. Zu dem Zweck studierte er an dressierten Hunden,
bei denen der Speichel durch eine Fistel der Gl. sublingualis aufgefangen und
gemessen werden konnte, die Bedingungen der Speichelsekretion bei verschiedener
sensorischer Reizung vor und nach Entfernung der kortikalen Speichelcentren.
Zum Zweck der sensorischen Reizung ließ er die Hunde Zucker und Fleisch
riechen, sehen und schmecken und schmatzende Eßlaute hören. Dabei stellte er
fest, daß bei intaktem Großhirn die Gesohmacksrpize am stärksten wirkten; an
zweiter Stelle kamen die Geruchsreize, an dritter die optischen; am schwächsten
wirkten die akustischen Reize. Bei Wiederholung eines und desselben Reizes in
gleicher Form wurde der Effekt der Reizung geringer bis zu vollkommenem Er¬
löschen desselben. Bei faradischer Reizung der kortikalen Centren steigerte sich
die Sekretion der kontralateralen Drüse. Die Kontraktion verschiedener Muskel¬
gruppen bei Reizung der motorischen Felder ergab keine Steigerung der Sekretion
(entgegen der Meinung Eckhards), wohl aber einen Anfall von epileptischen
Krämpfen. Die Versuche nach Entfernung der Centren und vollkommener Ver¬
heilung ergaben ein gänzliches Versagen der Reaktion auf optische und akustische
Reize bei Intaktbleiben der Reaktion auf Geruchs- und Geschmacksreize. Verf.
schließt daraus, daß die optischen und akustischen Reize die Speichelsekretion in
physiologischen Verhältnissen nur auf dem Wege über das kprtikale Centrum be¬
einflussen, während die Geruchs- und Geschmackscentren, ohne die Rinde zu be¬
rühren, direkt über die im Himstamm gelegenen Centren niederer Ordnung wirken.
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271
3) Über Hemmungen des Centralxprvenaystjqms unter der Wirkung des
galvanischen Wechselstromes, von Tschagowez. (Obosrenije psichiatrii.
1906- Nr. 1.) Ref.: Willi. Stieda (St. Petersburg).
Verf. berichtet über seine Ergebnisse bei Wiederholung der Ledn6sehen
Versuche. Bekanntlich hat Ledn& 1902 in der Pariser Akademie der Wissen¬
schaften mitgeteilt, daß ein galvanischer Wechselstrom, der den Körper des Ver¬
suchstieres vom Kreuz zum Gehirn aufsteigend durchläuft, in einer gewissen Strom¬
stärke einen schlafähnlichen Zustand mit Erhaltensein der Befiele und der normalen
Atmungs- und Herztätigkeit erzeugt. Verf. konnte diese Angaben voll und ganz
bestätigen. Der galvanische Wechselstrom ruft bei einer gewissen Stromstärke
eine tetanische Anspannung der gesamten Muskulatur hervor. Vermindert man
nun die Stromstärke bis eben unter den Grad, wo sie noch einen Tetanus erzeugt,
so tritt eine vollkommene Erschlaffung und ein schlaf ähnlicher Zustand ein, der
von hochgradiger Reflexerregbarkeit für taktile Reize und kompleter Analgesie
begleitet wird. Dieser Zustand hält während der ganzen Dauer der Stromwirkung
an und verschwindet spurlos bei Öffnung des Stromes. Der konstante Strom
kann dieselben Erscheinungen erzeugen, jedoch in geringerem Maße. Bei ab¬
steigender Richtung des Stromes ist keine derartige Wirkung zu bemerken.
Verwehe an Fröschen ergaben das gleiche Resultat, das auch nach vorheriger
Entfernung des Großhirns eintrat.
Während Ledn6 für die beschriebenen Erscheinungen keine Erklärung gab,
sucht Verf. sie durch eine bei starkem tetanisierendem Strom entstehende Para-
biose, d. b. Hemmung durch Überreizung (Wedensky), des Großhirns zu erklären.
Indem durch diese Parabiose die Wirkung des Großhirns inhibiert wird, tritt
eine Lähmung der willkürlichen Muskulatur und Verlust des Bewußtseins ein und
die niederen Centren gelangen zu ungehemmter Tätigkeit.
Psychologie.
4) Das Kind, seine geistige und körperliche Pflege von der Geburt bis
zur Reife, von Ph. Biedert. (Stuttgart 1906, Ferdinand Enke. 615 S.)
Ref.: Horstmann (Treptow a/R.).
Das Bestreben, unsere Kinder durch zweckmäßigste Ausbildung von Leib und
Seele widerstandsfähig und wohlvorbereitet in das Leben mit eigener Verantwortung
einireten zu lassen, führt zu schwierigen Aufgaben auf weit auseinanderliegenden
Gebieten. Den diätetischen, hygienischen, psychologischen, pädagogischen und
sozialen Problemen, auf die man hierbei stößt, hat man gerade in den letzten
Jahren in allen Kulturstaaten eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt
Da bildet das vorliegende hübsch ausgestattete Buch eine willkommene zeitgemäße
Erscheinung.
Eine Reihe von Schulmännern und Ärzten verschiedener Disziplinen hat sich
zu der Aufgabe verbunden, Eltern und Angehörigen einen Wegweiser in allen
Fragon der Pflege und Erziehung in die Hände z,u legen, einen Berater, der, ohne
den Anordnungen des Arztes vorzugreifen, den Laien bei Erkrankung des Kindes
zweckmäßig unterweist und ihn zur Unterstützung ärztlicher Verordnungen vor¬
bildet Dem Arzte will es Winke und die Möglichkeit rascher Orientierung in
diätetischen, prophylaktischen und therapeutischen Fragen bringen. Den Einzel-
beitragen eine gemeinsame Richtung zu geben, sie passend einzugliedern und sie
zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen, stellt die wohlgelungene Arbeit
des Herausgebers dar. Die Berücksichtigung, welche die Schädigungen des
Nervensystems, die Entwickelung des kindlichen Seelenlebens und dessen Anomalien
in dem Buche erfahren, mpg den Hinweis auf dasselbe in einem neurologischen
Fachblatt rechtfertigen.
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Über Inhalt und Anordnung des Stoffes unterrichten einigermaßen die Ab¬
schnittsüberschriften.
Der erste Abschnitt (Dr. Gernsheim-Worms) handelt von der normalen
Entwickelung des Kindes im 1. und 2. Lebensjahre, der zweite (Dr. Reinach-
München, Dr. Cramer-Bonn, Dr. Rey-Aachen, Dr. Würtz-Straßburg, Dr. Siegert-
Köln) von der Verhütung von Erkrankungen, von Pflege und Ernährung in diesem
Alter. Der dritte Abschnitt (Dr. Selter-Solingen) behandelt die Pflege und Er¬
nährung vom 3. Lebensjahre ab, während im vierten (Dr. Selter, Dr. Quint,
Dr. Kronenberg — drei Solinger Spezialärzte) die Verhütung und Pflege von
Erkrankungen in diesem, dem sogen, neutralen Kindesalter besprochen werden.
Im 5. Abschnitt mit der Überschrift: Erziehung, Pflege und Erkrankung während
der Schulzeit, Schulhygiene bringt Lehrer Börl in -Solingen Aufklärungen über
geistige Pflege und Erziehung vor und während der Schulzeit und Dr. Rends¬
burg-Elberfeld solche über Schulkrankheiten, ihre Verhütung und Pflege. Im
6. Abschnitt, die Reife betitelt, widmen Prof. Fleyler-Bensheim dem Ausbau der
Volksschulbildung und Dr. Rey-Aachen der Reife, dem Übergang zu Beruf und
Ehe je eine Abhandlung.
Manchen nützlichen und beherzigenswerten Ratschlag bringt das Buch dem
Laien auch besonders da, wo es sich um psychopathologische Dinge handelt. Die
Eröffnung, daß manche Formen von Idiotie (syphilitische, myxödematöse) thera¬
peutischen Maßnahmen zugänglich sind, wird Angehörige und Eltern den Weg
zum Arzte leichter finden lassen und bei ihm die bisher vermißte Erkenntnis,
daß auch der Idiot ein Kranker ist, dessen Behandlung dem Arzte und nicht dem
Laien zusteht, befestigen. Besonders lesenswert erscheinen mir die Ausführungen
über geistige Pflege und Erziehung während der Schulzeit, über Kunstpflege in
Schule und Haus und namentlich über sexuelle Pädagogik. Die Stellungsnahme
in der Alkoholfrage ist diejenige, die jeder moderne Arzt einnehmen muß. Aber
eine so eindringliche Erörterung gerade in einem derartigen Buche kann auch
im allgemeinen Kampfe gegen den Alkoholmißbrauch nur von größtem Nutzen sein.
Die Abfassung ist auf den Bildungsgrad des gebildeten Laien eingestellt.
Zuweilen werden die Abhandlungen rein medizinisch und dadurch auch dem ge¬
bildeten Laien unzugänglich. Ungeeignet ist m. E. die Berufung eines Arztes auf
Beobachtung eines Laien in rein ärztlichen Fragen, wie bei der Betrachtung von
krankhaften' Trieben, Neigungen und Stimmungen (S. 417). In der Abhandlung
der Nervenkrankheiten des Schulkindes erschien mir eine ausgiebigere Besprechung
der hysterischen Symptome und Zustände wünschenswert. Gerade auf diesem so
sehr wichtigen Gebiete der Psychopathologie des Kindes findet man nur zu häufig
bei Eltern, Lehrern und auch bei Ärzten Unkenntnis bzw. falsche Auslegungen,
die dem Kinde sehr zum Nachteil geraten können.
Diese Ausstellungen sollen aber keineswegs den Wert des guten Buches
herabsetzen. Zweifelsohne wird es sich bald viele Freunde und dankbare Leser
erwerben und einen HauBSchatz in mancher Familie bilden.
6) Experiences oolleotives sur le tömoignage, par Ed. Claparede. (Arch.
de psychol. V. 1906. 20. Mai.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
In den hauptsächlich an Studenten angestellten Versuchen wurde Verf. darauf
geführt, daß neben den Eigenschaften des Befragten bei der Zeugenaussage auch
die Eigenschaften des Objektes Berücksichtigung verdienen. Er schreibt den Ob¬
jekten einen verschieden hohen Grad von Bezeugbarkeit (testabilitö) und Merk-
barkeit (mömorabilitö) zu, je nachdem sie ihrer Natur nach in höherem oder ge¬
ringerem Maße Gelegenheit zu einer Zeugenaussage geben. So hatten u. a. von
54 Studenten 44 die Existenz eines Korridorfensters bestritten, das gegenüber
der Portiersloge der Universität lag und an dem jeder unzählige Male schon
vorübergegangen war. Dieses Beispiel zeigt, daß unter Umständen eine kleine
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Minorität von Aussagenden gegenüber einer großen Majorität, die das Gegenteil
behauptet, im Rechte sein kann. Bei der Aussage mehrerer Personen über die
gleiche Gruppe von Gegenständen ist die richtige Antwort nicht diejenige, auf
die die relative Mehrheit der Aussagen fällt.
Bei einem Versuche, der in dem unerwarteten Erscheinen einer maskierten
Person im Auditorium bestand, über deren Außeres die Studenten dann auszusagen
hatten, stellte sich heraus, daß weniger die genaue Erinnerung als vielmehr die
Wahrscheinlichkeit, daß dies oder jenes Merkmal existierte, für die Aussage be¬
stimmend war. Bei der nachträglichen Vorlegung von 10 verschiedenen Masken
wurde von 23 Zeugen nur 8 mal die richtige, vorher gesehene, und auch die nur
mit Zögern herausgefunden; also auch bei diesem, der Konfrontation nachgebildeten
Versuche war die richtige Aussage nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die
Experimente, die den „natürlichen“ Verhältnissen nachgebildet waren, d. h. den
Zeugen unvorbereitet trafen, und ohne daß er sofort wissen konnte, daß es sich
um einen Versuch handle, geben bei weitem ungünstigere Resultate als die vor¬
bereiteten: bei letzteren schwankte der allgemeine Koefficient der Zeugnistreue
zwischen 80 und 90°/ 0 , bei ersteren überstieg er kaum 60°/ o , blieb oft unter
30, ja 20%. Gewisse allgemeine Irrtunistendenzen ließen sich festlegen, so die,
räumliche Erinnerungen zu vermindern, verkleinern, oder die, das Ungewohnte zu
vernachlässigen und im Sinne des Wahrscheinlichen Zeugnis abzulegen.
6) I. Krimlnalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern. —
IL Ibsens Nora vor dem Strafrichter und Psyohlater, von Dr. E. Wulffen.
(Halle 1907, C. Marhold.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Der Versuch, vom Dichter erdachte Persönlichkeiten so zu behandeln und
zu analysieren, als ob man es mit lebenden Menschen, mit juristischen und klini¬
schen „Fällen“ zu tun hätte, wird stets ein Wagnis bleiben. Mag der Dichter
seine Figuren noch so treu nach dem Leben gezeichnet haben, die Natur wird
ihn stets, sowohl was Folgerichtigkeit als auch was Überraschungen in der Hand¬
lungsweise anlangt, überbieten oder widerlegen. Der Eindruck von etwas Er¬
künsteltem, das Gefühl, den zweiten Aufguß eines Kunstwerkes vor sich zu haben,
ist nicht immer zu verbannen. In der ersten der genannten Schriften hat Verf.,
ein bekannter Dresdener Jurist, die Schwierigkeit nicht ganz überwunden. Er
kommt in seiner Analyse darauf hinaus, Franz Moor als einen Degenerierten,
wenn auch nicht als moralischen Idioten, darzustellen, der nach dem heutigen
Standpunkte der Wissenschaft strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen
werden könnte; in Karl Moor erkennt er die Züge des Paranoikers und originär
exzentiischen Weltverbesserers, dessen überspannte Phrasen und Größenideen seinem
abnormen geistigen Zustande ausgezeichnet angepaßt sind. Auch der unwahr¬
scheinliche Karl Moor halte vor der modernen Wissenschaft Stand; die „Räuber“
sind ein naturalistisches Drama im modernsten Sinne des Wortes! So lehrreich
und interessant die Hinweise des Verf.’s auf Schillers Stellung zu Kriminal¬
psychologie, Medizin und Psychologie sind, so will es doch nicht ganz überzeugend
erscheinen, daß er in den beiden Helden seiner „Räuber“ bewußtermaßen patho¬
logische Charaktere habe zeichnen wollen, deren unwahrscheinliche und übertriebene
Charakterzüge von diesem Gesichtspunkte aus gerade den Stempel der echtesten
Wirklichkeit trügen. Weit instruktiver und einleuchtender ist die Analyse von
Ibsens Nora und die Erklärung ihrer verschiedenen wunderlichen Einzelzüge aus
einem hysterischen Charakter. Das Widerspruchsvolle, die eigentümliche Mischung
von Egoismus und überspanntem Altruismus, das etwas Theatralische ihres Wesens,
die Lügenhaftigkeit verbunden mit der Sucht nach einem gewissen Märtyrertume
u. a. m. sind in der Tat am besten aus der Annahme einer Hysterie abzuleiten.
Die Analyse des Verf.’s läßt dabei doch auch das Tragische der Gestalt und die
Sympathie, die wir für diese Frau empfinden, nicht verloren gehen, ebenso wie
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die strafrechtliche Seite des Problems und die Frage, ob Notstand im juristischen
Sinne bei Noras Urkundenfälschung vorlag, scharfsinnig erörtert wird. Für die
Darstellung auf der Bühne werden die Analysen des Verf.’s auf alle Fälle nutz¬
bringend sein und damit vielleicht doch den und jenen, der dem Theater ob seiner
Unwahrscheinlichkeiten den Rücken gewendet hat, diesem wieder zuführen.
Pathologische Anatomie.
7) Beitrag zur pathologischen Anatomie der Bornaaohen Krankheit, von
Prof. Dr. H. Oppenheim. (Zeitschr. f. Infektionskrankheiten der Haustiere.
II. S. 148.) Ref.: Dexler (Prag).
Dem Verf. wurde von Prof. Ostertag Gehirn und Rückenmark eines noto¬
risch an Bornascher Krankheit zugrunde gegangenen Pferdes zur Untersuchung
übergeben. Yerf. charakterisiert den pathologisch-anatomischen Prozeß als „eine
nicht diffuse, sondern partielle, lokalisierte oder disseminierte Meningoencephalitis
acuta non purulenta“ und gelangt hiermit zu dem völlig gleichlautenden Resultat,
das Ref. zuerst in seiner Publikation über dasselbe Thema (Zeitschr. f. Thiermed.
IV. 1900. S. 110) in die Worte kleidete, daß es sich bei der fraglichen Krank¬
heit um „eine disseminierte, ganz rezente Entzündung der Meningen handelt, die
sich auf eine gewisse Distanz in die Substanz des Gehirns und des Halsmarkes
fortsetzte“. Nunmehr dürfte wohl in Übereinstimmung mit der Auffassung Ma¬
reks endgültig mit der Lehre Johnes gebrochen werden, wonach die Bornasche
Krankheit keine Entzündungsform, sondern eine reine Intoxikation sein sollte.
Pathologie des Nervensystems.
8) Über Plattenepithelgesohwülste der Hypophysengegend (des Infun di-
bulums), von Privatdozent Dr. Martin Bartels in Marburg. (Zeitschrift f.
Augenheilk. 1906.) Ref.: Fritz Mendel.
Es handelt sich um ein 2ljähriges männliches Individuum, das sich bis zum
14. Jahr normal entwickelte und dann im Wachstum stehen blieb. Zugleich ent¬
stand eine allgemeine Adipositas der Haut, Typus femininus mit verkümmerten
Genitalien. Dabei stellte sich eine unter allgemeinen cerebralen Symptomen stärker
werdende Sehstörung ein, welche auf dem rechten Auge schnell zu hochgradiger
Amblyopie führte mit konzentrischen Einschränkungen des Gesichtsfeldes und
relativem centralem Skotom, auf dem linken Auge zu Herabsetzung auf 1 / 3 mit
geringer peripherer Einschränkung de6 Gesichtsfeldes. Das Sehvermögen besserte
sich dann, um plötzlich wieder nach einjähriger Ruhe sich zu verschlimmern und
nach 4 Monaten war der Patient auf beiden Augen erblindet. Eine Hemianopsie
war niemals deutlich, einmal bestand links eine temporale Einschränkung, und
wurde zuletzt Lichtempßndung nur nasal vermerkt. Die Pupillen waren anfangs
normal, zum Schluß amaurotisch starr. Eine hemianopiscbe Reaktion war nicht
deutlich. Im Augenhintergrund zeigte sich zuerst Atrophie mit leicht neuritiechen
Erscheinungen, dann reine Atrophie und zum Schluß eine hochgradige Stauung
der atrophischen Papille mit starker Prominenz.
Von allgemeinen Hirnsyroptomen bestand eigentlich nur mäßiger Kopfschmerz,
Schwindel und Erbrechen. Der Puls war beschleunigt und die Temperatur zeit¬
weise subnormal. Hin und wieder Ohrensausen, ziehende Nackenschmerzen und
Ziehen in den Extremitäten. Eine Trepanation des Scheitelbeines blieb erfolglos.
Di6 Sektion ergab eine hübnereigroße Plattenepithelgeschwulst über der
Hypophyse, die Stelle des Infundibulums innerhalb des Circulas arteriosus Willisii
einnehmend. Nach oben füllte der Tumor den III. Ventrikel aus, eine leere Cyste
lag ihm auf und bildete den Boden des Ventrikels. Am meisten geschädigt
waren die Tractus optici, das Chiasma und die Nervi optici, teils durch Druck
platt gedrückt, teils von den Arterien durchgeschnürt.
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9) Un cas d’acromegalie saus bypertrophie du oorps pituitaire avec for-
mation kystique dass la glande, par Widal, Roy et Proin. (Revue de
medecine. 1906. Nr. 4.) Ref.: W. Seidelmann (Breslau).
Die Verff. teilen ausführlich die Krankengeschichte und den Obduktionsbefund
eines eigenartigen Falles von Akromegalie mit. Es handelt sich um einen 66jiihr.
Mann mit den für jene Krankheit typischen Deformitäten besonders in den Ge¬
sichtspartien und den vier Extremitäten.
Die Sektion ergab hinsichtlich des Befundes der seit den Untersuchungen
von Pierre Marie für die Ätiologie der Krankheit verantwortlich gemachten
Hypophyse insofern etwas Besonderes, als sich in diesem Falle keine Hyper¬
trophie jenes Organes fand, die Pierre Marie als die Ursache annahm. Die
histologische Untersuchung des bei oberflächlicher Betrachtung nicht nennenswert
veränderten Organes ließ vielmehr eine cystische Degeneration erkennen.
Die Ycrff. kommen daher zu folgendem Schluß: Das Vorhandensein eines
Tumors der Hypophyse bei der Akromegalie ist nicht konstant; denn es gibt
auch Fälle, die, wie der mitgeteilte, keine makroskopischen Veränderungen der
Glandula pituitaria aufweisen, sondern lediglich histologische Abweichungen, die
nur bei sorgfältiger Untersuchung gefunden werden.
10) Un cas d’aeromegalie aveo lesions da l’hypophyse et de la aelle tur-
oique, par Gaussei. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriere. 1906. Nr. 4.)
Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
69jähriger Kranker, wird aufgenommen wegen allgemeinen Ödems, besonders
an den Armen, Dyspnoe und Oligurie. Diese Erscheinungen sollen allmählich
eingetreten sein, sich aber infolge einer Erkältung verschlimmert haben. Im Urin
Albumen, Diagnose: Schrumpfniere. Nach ein paar Tagen wird folgender Status
erhoben: Fliehende Stirn, Unterkiefer im Längsdurchmesser vergrößert, Prognation.
Die Unterlippe überragt die Oberlippe. Nasenlöcher sehr groß. Handgelenk bis
Spitze des Zeigefingers 22 cm lang. Breite der Hand nicht vergrößert. Finger
haben ein gepolstertes, wurstförmiges Aussehen. Füße ebenfalls groß, aber nicht
in dem Muße wie die Hände. Körpergröße 1,81m. Kyphose der Brustwirbel,
Unmöglichkeit, dos Bett zu verlassen. Keine Hemianopsie, keine Störungen der
Sensibilität usw. Keine Heredität. Wird gebessert entlassen, jedoch nach 1 / 2 Monat
in einem Zustande von Urämie wiedergebracht, in dem er stirbt. Autopsie:
Zahlreiche Adhärenzen der Dura in der Umgebung der Sella turcica. Nach ihrer
Durchschneidung sieht man auf der oberen Seite, in der Gegend der Proc. clinoidei
ant. einen rötlichen Fleck von ungefähr Zweifrankstück Größe. Die Knochen-
apophysen sind mit Bindegewebe durchsetzt. Man 6ieht nach ihrer Entfernung
ein dünnes Häutchen, darunter eine breiige Masse, die die ganze Sella ausfüllt.
Mit Mühe gelingt es zwei etwa bis linsengroße Stücke zu konservieren. Der Knochen
besitzt an seinem Körper eine Aushöhlung, daß man die Spitze des Zeigefingers
hineinlegen kann. Mit dem Sinus sphenoidalis ist jedoch keine Verbindung, der
Stil der Glans pituitaria ist noch vollständig erhalten. Die mikroskopische
Untersuchung der übrig gebliebenen Stücke ergab eine glanduläre Hyperplasie.
Es existiert eine junge Bindegewebsinfiltration mit verlängerten Zellen, welche
sich längs der intraalveolären Kapillaren ausbreitet, in die Alveolen eindringt und
sie zerstört. Man kann an eine ödematöse Umwandlung der Drüse denken. Das
übrige Großhirn und Rückenmark bietet nichts Besonderes.
Aus der Symptomatologie kann man auf den anatomischen Befund schließen:
Wenn keine bitemporale Hemianopsie vorhanden ist, so erfolgt auch keine Kom¬
pression des Chiasmus auf der hinteren Seite, also kanu die Drüse nicht nach
vorn vergrößert sein. Uber die Art der Veränderung sagt uns das Nichtbestehen
der Hemianopsie nichts.
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11) Über Akromegalie, von Dr. Witte. (Deutsche med. Wochenschr. 1906.
Nr. 8.) Ref.: R. Pfeiffer.
Im Düsseldorfer Ärzteverein demonstrierte Verf. einen Fall von Akromegalie,
bemerkenswert durch die geringe Körperlänge des Kranken (149 cm), welche zum
Teil auf einer Verkrümmung der Wirbelsäule beruht, ferner durch starke Wucherung
des weichen Gaumens und durch lebhafte Beteiligung der distalen Gelenkenden.
Das Leiden begann mit hemiopischen Störungen und führte zu psychischen Ano¬
malien. Pat. ist apathisch, schlafsüchtig, ängstlich, hat Verfolgungsideen und
leidet an Gesichts- und Gehörstäuschungen, Parästhesien sowie einem heftigen,
zeitweise mit Kopfschmerzen und Übelkeit verbundenen Schwindelgefühl. Diagnose:
Hypophysistumor.
12) A peouliar form of aoromegaly, possibly resultlng from injury, by
Kaptain J. C. Prittle Perry. (Brit. med. Journal. 1905. 30. Dezember.)
Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Ein 20 jähriger Mann (Kreole), welcher als Kind sich eine Depressionfraktur
des Stirnbeines zugezogen hatte, zeigte seit 6 Jahren eine zunehmende Vergrößerung
der Zehen und Finger mit trommelstockähnlicher Verdickung der Endphalangen.
Sonst waren keine auf Akromegalie zu deutende Krankheitssymptome vorhanden.
Vielleicht hat die Schädelverletzung krankhafte Veränderungen in der Hypophysis
hervorgebracht.
13) Acromögalie partielle aveo infantilisme, par Pal. (Nouv. Iconogr. de 1 a
Salpetrifere. 1906. Nr. 1.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Ein 16jähriger Knabe, bei dessen Geburt man schon auf die Größe seiner
Hände und Füße aufmerksam wurde. Er wuchs regelmäßig, aber an Händen und
Füßen stärker. Fiel immer durch eine bläuliche Farbe seiner Haut auf und
mußte immer eigens für ihn gefertigte Holzschuhe tragen. Seit frühester Jugend
blitzartige Schmerzen und Parästhesien. Nach einer fieberhaften Erkrankung soll
das enorme Wachstum seiner Extremitäten noch mehr zutage getreten Bein. Zwei
Geschwister sind taub, ebenso ein Bruder des Vaters, Großmutter starb an Apo¬
plexie, Mutter an Tuberkulose.
Status: Abnahme der Muskelkraft, Intelligenz wenig entwickelt, starker
Schweiß, am ganzen Körper Wollhaare. Kopf klein, Augäpfel groß, am linken
Ohr ein Darwinsches Knötchen. Die ganze Figur des Kranken entspricht der
eines 10jährigen Kindes, abgesehen von den sehr langen uud sehr großen Extre¬
mitäten. Mittlere Schneidezähne sehr groß, Thyreoidea palpabel. Beide Seiten
des Thorax stark eingedrückt, Genitalien infantil, Schamhaare fehlen. Die Skapulo-
lmmeralgelenke stehen stark vor. Vorderarm sehr dünn, dagegen die Ellbogen,
Unterarme und Hände stark hypertrophisch. Muskulatur Behr schlaff, in sämt¬
lichen Gelenken spürt man einen gewissen Widerstand. Länge des Zeigefingers
ist 10 cm, des Mittelfingers 11cm, des Ringfingers 8 cm. Umfang des Oberarmes
18 cm, des Unterarmes 20cm, Ellbogens 27 cm. Breite des Daumennagels 2cm.
Die Knie werden in leichter Beugestellung gehalten, als Grund werden Schmerzen
angegeben, Die Ober- und Unterschenkel sind beide hypertrophisch. Die Länge
des Fußes beträgt 31 cm, Nagel der großen Zehe 3 cm, ihr Umfang 10 cm. Sehnen¬
reflexe stark erhöht, Puls 90, steigt bei der geringsten Anstrengung auf 120.
Temperatur subnormal. Oedema linearis angio-neurotica (Dermographie). Der
Kranke kann sich nur mit großer Mühe außerhalb des Bettes bewegen. Die
Radiographie ergibt, daß die Hypertrophie besonders in den Knochenepiphysen
ausgesprochen ist. Sella turcica normal.
Verf. kommt in einer längeren Erörterung zu dem Resultate, daß es sich
hier um einen Fall von Infantilismus kombiniert mit Akromegalie handelt. (Auf¬
fällig ist die geradezu haarsträubende, zum Teil vollständig sinnlose Wiedergabe
deutscher Zitate; d. Ref.)
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14) Ein Fall von Glgantlamus infantilis, von Redlich. (Wiener klin. Rund¬
schau. 1906. S. 489.) Ref.: Piloz (Wien).
31 jähr. Mann, von jeher schwachsinnig, bis zu seinem 20. Jahr normales Wachstum;
während des folgenden Jahres soll er stark gewachsen sein, niemals sexuelle Regungen.
Stat. praes.: Imbecillitas hohen GradeB. Körpergröße 182,5, Spannweite
190,5, Gesicht völlig bartlos, nur ganz feine Lanugohärchen aufweisend. Gesichts¬
haut von senilem Aspekte. Gesichtsfeld normal. Stimme auffällig hoch, nicht
mutiert, knabenhaft, Kehlkopf nur wenig vorspringend. Rechter Schilddrüsen-
lappen deutlich zu fühlen, der linke und mittlere nicht, ln den Achselhöhlen
reichlich dunkle Haare, sonst Haut vollständig haarlos, auch das Genitale und
Linea alba, nur an der Wurzel des Penis findet sich ein schmaler Kranz dicht¬
stehender Haare. Penis sehr kurz, dünn.
Radiologischer Befund: Kein Anhaltspunkt für eine abnorme Kleinheit
des Herzens oder für persistierende Thymus. Mehr minder vollständig Offen¬
stehen der Epiphysenfugen an den Skeletteilen der oberen und unteren Extremi¬
täten, aber auch der Apophysen; ferner hochgradige, „chronische“ Atrophie des
Skeletts, d. h. sehr weitmaschige Spongiosa und Mißverhältnis zwischen Längen-
und Breitenentwickelung der epiphysären Anteile zuungunsten der letzteren. An
der Sella turcica nichts Pathologisches. Also gigantisch angelegtes Skelett von
schwächlichem innnerem Aufbau mit relativ unentwickelten Epiphysen und einem
Ossifikationszustande, der einem Alter von 15 bis 16 Jahren entspricht.
4 Abbildungen im Texte veranschaulichen den Befund, namentlich das über¬
wiegende Wachstum speziell der unteren Extremitäten, während Stamm und Kopf
nicht abnorm groß sind.
Anhangsweise berichtet Verf. noch über folgenden Fall: öOjähr. Paralytiker,
186 cm lang, obere Extremitäten schlank, Hände und Füße nicht auffällig groß.
Weiblicher Typus des Crines pubis, Haut glatt, fettreich, Mammae stark, hervor¬
springend. Stimme knabenhaft. Penis infantil, Testikel sehr klein. Anamnestische
Angaben: Während der 23jährigen Ehe anfangs gelegentlich Verkehr, ohne Erek¬
tionen. Ejakulation sehr spärlich und wasserhell, später fehlte auch überhaupt
jegliche sexuelle Betätigung.
16) Experimentelle Versuche zur parathyreoidealen Insufflcienz in bezug
auf Eklampsie und Tetanie, mit besonderer Berücksichtigung der
antitoxischen Funktion der Parathyreoideae, von Dr. V. Frommer.
(Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. XXIV.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Verf. stellt folgende Schlußfolgerungen auf: Die Beischilddrüsen, Gebilde von
epithelialem Charakter mit reichlichen Blutgefäßen und besonderer zellreicher
Struktur, haben ontitoxiscbe Funktion, deren Ausfall Tetanie zur Folge hat; die
Schwangerschaft und die Geburt haben auf letztere einen wesentlichen Einfluß.
Die partielle Parathyreoidektomie verursacht bei Kaninchen keine besonderen
Störungen, die totale kann mit letaler Wirkung verbunden sein. Komplete Para-
tbyreo- and Tbyreoidektomie kann bei Kaninchen eine letal verlaufende Tetanie
erzeugen. Bei gleichzeitiger partieller Insufflcienz verursacht Implantation der
Placenta bedeutende Störungen in dem Organismus und erzeugt anscheinend Stoff-
wecbselprodukte giftiger Natur.
16) Tetaola parathyreopriva, von J. Erdheim. (Mitth. aus den Grenzgeb. der
Med. u. Chir. XVI.) Ref.: Kurt Mendel.
Experimente und Klinik (Verf. selbst beobachtete drei tödlich verlaufene
Fälle von Tetanie nach partieller Kropfexstirpation und fand bei allen dreien,
daß sämtliche Epithelkörperchen zugrunde gegangen waren) ergeben, welch große
Bedeutung den Epithelkörperchen beizulegen ist. Die Behauptung, daß die
Thyreoidektomie bei* Karnivoren Tetanie, bei Herbivoren Kachexie zurfolge habe,
kann nicht mehr als richtig gelten. Die Tetanie tritt selbst bei Karnivoren auf
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reine Schilddrüsenexstirpation nicht auf; dagegen kann man bei Pflanzenfressern
Tetanie ebenso wie bei Fleischfressern erzeugen, indem man die Epithelkörperchen
exstirpiert.
Bei Strumektomien kommt es zur Vermeidung der Tetanie nicht auf die
Menge und Lage des Schilddrüsenrestes, sondern darauf an, wie viele Epithel¬
körperchen in oder außerhalb desselben unversehrt geblieben sind.
17) Kindertetanie und Epithelkörperchen, von W. Stoeltzner. (Jahrb. f.
Kinderheilk. LXtV.) Ref.: Zappert (Wien).
Für die Tetanie der Erwachsenen ist die ätiologische Bedeutung des Aus¬
falles der Epithelkörperchenfunktion nahezu ßicherges teilt. Einige Autoren, so
namentlich Pineies, wollen auch die Kindertetanie auf diese Weise erklären.
Dagegen polemisiert Verf. auf Grund der klinischen Verschiedenheiten der kind¬
lichen Spasmophilie und der experimentellen Tetania parathyreopriva. Ferner
reagieren die operative Tetanie und die Spasmophilie verschieden auf die Nahrung.
Während erstere sich auf Milchzufuhr besserte, auf Fleischbrühe verschlechterte,
zeigte die kindliche Tetanie eine Zunahme der Symptome bei Steigerung der
Milchzufuhr. Verf. zieht aus diesen Argumenten den Schluß, daß die alltägliche
Spasmophilie der Rachitischen mit den Epithelkörperchen nichts zu tun habe.
Ref. glaubt nicht, daß damit das letzte Wort in dieser interessanten Frage
gesprochen ist.
18) Über die Beziehungen der Tetanie zum weiblichen Sexualapparat,
von Dr. E. Gross. (Münchener raed. Wochenschr. 1906. Nr. 33.) Ref.: E. Asch.
Bei einer 39jährigen, anämischen, schlecht genährten Frau wird wegen un¬
vollständigen Aborts eine Ausräumung des Uterus ohne Narkose vorgenommen.
Während derselben Paräsihesien, Kribbelgefühl sowie Steifigkeit in den Fingern,
schließlich charakteristische Krämpfe in beiden Händen sowie Steifigkeit in den
Füßen, Zuckungen im Gesicht, Steigerung der mechanischen Erregbarkeit im Gesicht.
Während der nächsten Zeit keine abnormen Sensationen. Bei der zweiten Auf¬
nahme (9 Monate später) wird angegeben, daß zur Zeit der Menstruation stets
Zuckungen in den Händen und Füßen aufgetreten seien. An der Schilddrüse
findet sich ein median sitzender, derber Knoten, die seitlichen Lappen sind nicht
tastbar. Sensibilität und Reflexe normal, kein Chvosteksches und Trousseau-
sches Phänomen. Als Vorbereitung einer Abrasio mucosae wird Laminaria ein-
geführfc und die Vagina tamponiert. Daraufhin treten Parästhesien in den Fingern
auf. Bei der Entfernung der Mucosa tritt ein typischer, tetanischer Anfall ein,
der sich sofort einstellte, als bei der Ausspülung der Uteruskatheter an den
Fundus uteri anstößt. Dabei ist das Facialisphänomen beiderseits leicht vor¬
handen und die galvanische Erregbarkeit erhöht. Es dürfte sich somit um einen
Fall latenter Tetanie gehandelt haben, die reflektorisch vom Uterus ausgelöst
wurde. In zwei weiteren Beobachtungen wurden die tetanischen Krampfanfalle
während der Schwangerschaft (2. und 5. Monat) im Gefolge von Gemütserregungen
hervorgerufen. Sämtliche Kranke waren Mehrgebärende, gehörten der ärmeren
Klasse an und in den beiden Fällen von Tetanie in der Gravidität bestand
außerdem beiderseitige Cataracta incipiens.
19) Beitrag zur Lehre von der Tetanie bei Magenerweiterung, von Dr.
Richartz. (Zeitschr. f. klin. Med. L1U.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
32jährige Landwirtsfrau, die stets an Sodbrennen und leerem Aufstoßen ge¬
litten hatte, erkrankte März 1903 mit Gefühl von Völle und Schwere in Magen¬
gegend und häufigem saurem Aufstoßen nach der Mahlzeit. Seit Oktober 1903
Erbrechen, das zuletzt fast täglich auftrat und wobei stets die große Menge und
dünne Beschaffenheit des Erbrochenen auffiel. Trotz regelmäßiger Spülung rapide
Abnahme der Körperkräfte und des Gewichts. Die Untersuchung im Januar 1904
weist eine sehr beträchtliche Dilatation des Magens nach. Der Magensaft ist frei
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von freier HCl, enthält reichlich Milchsäure. Gegen Ende der Magenspülung
änderte sich auf einmal das Verhalten der Patientin, die, an die Spülung gewöhnt,
bisher ganz ruhig gewesen war: zunächst bog sie ganz langsam den Kopf nach
Muten über die Stuhllehne, dann hoben sich beide Unterschenkel, bis sie mit den
Oberschenkeln eine Linie bildeten, dann streckte sich ebenso langsam der Rücken.
Der Vorderarm stellte sich zum Oberarm in halbe Beugung, die Finger hatten
die typische Trousseausche Explorationsstellung angenommen. Im Gesicht nahm
man keine deutliche Veränderung wahr. Finger und Hände waren eisigkalt und
auffallend cyauotisch.
Diese Anfälle, bei welchen das Ch vostekeche Phänomen Btets fehlte, das
Trousseausche später vorhanden war, traten in der Folge bei jeder Spülung
auf, bis die Stauung auf operativem Wege durch Exstirpation eines klein¬
hühnereigroßen Carcinoma gelatinosum am Pylorus und Anlegung einer Gastro¬
enterostomie beseitigt war. Auch bei nachherigen Spülungen fehlten die Krampf¬
erscheinungen.
Da die Patientin nach der Operation weder per os noch per clysma Flüssig¬
keiten zu sich genommen hat, so spricht diese Tatsache unbedingt gegen jene
Theorie, welche das Auftreten der Tetanie bei Magenerweiterung auf Blutein¬
dickung zurückführen will. Eher begreift sich der heilende Erfolg der Gastro¬
enterostomie vom Standpunkt der Intoxikationslehre: der chirurgische Eingriff
leerte den Magen vollkommen, hob dann jede Stagnation in demselben und damit
die Möglichkeit weiterer Bildung von toxischen Substanzen. Das Auftreten des
einzelnen Anfalles ist jedoch durch diese Theorie auch nicht erklärt; es bleibt
vor allem unverständlich, warum das Auftreten von Krämpfen sich so häufig an
Magenentleerungen durch Spülung oder Erbrechen anschließt. Keine Theorie kann
hier auf die Idee eines Reflexyorganges ganz verzichten.
20) Zur Kenntnis der Tetanie intestinalen Ursprunges, von Dr. Karl Quosi g.
(Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 10.) Ref.: E. Asch.
Es handelt sich um einen Fall von Tetanie bei einem 46jährigen Herrn,
die nach einer wohlcharakterisierten Störung der Darm Verdauung auftrat, ohne
daß sich zu gleicher Zeit starke Wasserverluste bemerkbar gemacht hätten. Verf.
glaubt, daß die Fälle von „Darm“-Tetanie, einschließlich der Fälle Fleiners,
eher geeignet sein dürften, die Autointoxikationslehre zu stützen, als einen Beleg
für die von Fleiner aufgestellte Ätiologie der Wasserverarmung abzugeben.
21) Tetanie im Verlaufe der Magenkrankheiten und des Abdominaltyphus,
von Dr. A. Star^. (Casopis ces. lek. 1905. S. 268.) Ref.: Pelnär (Prag).
Beobachtung eines Falles von Magenkrebs mit Erweiterung des Magens,
Achylia gastrica und Milchsäure im Mageninhalt (Klinik des Prof. Thomayer
in Prag), wo jede Einführung der Sonde einen Tetanieanfall auslöste, außerdem
aber keine spontane Anfälle beobachtet werden konnten. Die Rigidität der be¬
troffenen Muskeln dauerte noch einige Minuten nach Entfernung der Sonde. Im
zweiten Falle erschienen spontane Tetanieanfälle in Extremis bei einer 37jährigen
Frau, die auch an Magenkrebs mit Erweiterung des Magens litt Bei dieser
Kranken waren auch die übrigen stabilen Symptome der Tetanie anwesend. Bei
Besprechung der sogen. Tetanie gastrique kommt Autor zum Schlüsse, daß die
pathogenetischen Ansichten viel daran leiden, daß man die Tetanie gastrique sehr
exklusiv behandelt und keine Rücksicht darauf nimmt, daß es sich nur um eine
Form aus der Gruppe der symptomatischen Tetanie handle, die nicht nur bei
Magenkrankheiten, sondern auch — und zwar unter demselben Bilde — bei
Intoxikationen, Infektionskrankheiten Vorkommen. Als Beispiel dazu dient ein
klinisch beobachteter Fall, wo im Laufe von Typhus abd. am Ende der 3. Woche
eine typische Tetanie mit Rigidität der Extremitäten, main d'accoucheur, und mit
den stabilen Symptomen der tetanischen Übererregbarkeit erschien und in der
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Kekonvalescenz wieder allmählich verschwand. Nur was die Prognose anbelangt,
steht die gastrische Tetanie mit ihrer großen Mortalität (über 50°/ o ) beiseite,
indeß die übrigen symptomatischen Tetanien die Prognose nicht verschlimmern.
22) Die Kindertetanie (Spasmophilie) als Calcium Vergiftung, von Dr.
W. Stoeltzner. (Jahrb. f. Kinderbeilk. LXIII.) Bef.: Zappert (Wien).
Von der Erfahrung ausgehend, daß spasroophile Symptome fast ausschließlich
bei künstlich genährten Kindern Vorkommen und daß Entfernung der Kuhmilch
die Tetanie oft rasch zum Schwinden bringt, hat Verf. Versuche über die Beein¬
flussung der Tetanie durch Kalkfütterung angestellt. Es gelang bei mehreren
Kindern mit Tetaniesyroptomen, deren Rückgang auf Mehldiät erreicht worden
war, durch Hinzufügen von Kalk zur Nahrung diese Krankheitssymptome wieder
zu erzielen. Allerdings waren nicht alle Fälle so beweisend. In geistreicher
Weise verwertet Verf. diese Beobachtungen für die Entstehung der Spasmophilie
bei künstlich genährten sowie bei rachitischen Kindern. Wird durch die Kuh¬
milch schon an sich ein großes Kalkquantum dem kindlichen Körper zugeführt,
so steigert sich diese Menge, wenn der aufgenommene Kalk nicht genügend zum
Knochenaufbau verwertet wird, ja wenn durch Knocheneinschmelzung noch direkt
Kalk im Körper frei wird. Eine Zeit lang bewältigt der Darm die gesteigerte
Kalkausscheidung, schließlich wird er aber insuffizient und damit ist eine Kalk¬
retention und Spasmophilie veranlaßt. In Fällen einer angeborenen (hereditären)
durch Infektionskrankheiten bedingten, individuellen Darmschwäche kann die Spasmo¬
philie ohne Rachitis und auch besonders frühzeitig auftreten. Daß die Nerven-
und Muskelerregbarkeit durch Calciumsalze erhöht wird, ist durch Versuche an
Froschnerven bzw. an durchströmten Herzen erwiesen. Selbst ein dem laryngo-
spastischen Herztod analoger Herzstillstand ist durch große Kalkdosen am Tier¬
herz erzielt worden. Hingegen ist das tatsächliche Vorhandensein einer Kalkretention
bei spasmophilen Kindern nicht nachgewiesen; ja Quest nimmt geradezu einen
abnorm geringen Kalkgehalt als Ursache der Spasmophilie an.
Sicherlich werden die interessanten Schlußfolgerungen Verf.’s in den beteiligten
pädiatrischen Kreisen Anlaß zu weiteren Untersuchungen auf diesem Gebiete abgeben.
23) Tetaniestar — Zuckerstar — Altersstar, von Pineies. (Wiener klin.
Wochenschrift. 1906. S. 691.) Ref.: Pilcz (Wien).
Der Gedankengang dieses vom heuristischen Standpunkte höchst bemerkens¬
werten Aufsatzes ist folgender: ,
Bei allen verschiedenen Typen der menschlichen Tetanie (Tetania strumipriva,
Arbeitertetanie, Schwangerschaftstetanie, auch vereinzelt bei der Kindertetanie)
wird Star beobachtet, was ein wichtiges unterstützendes Moment für die patho¬
genetische Zusammengehörigkeit aller Typen der Tetanie bildet. Alle Tatsachen
der Klinik (ebenso die neuerlichen Experimente Erdheims an Ratten) sprechen
dafür, daß der Tetaniestar dem Ausfall der Epithelkörperfunktion, d. h. dem
supponierten „Tetaniegift“ seine Entstehung verdankt, also dem Ausfall einer
Blutdrüse. Von Interesse ist, daß bei der menschlichen Tetanie die entwicklungs¬
geschichtlich zusammengehörigen ektodermalen Gebilde: Centralnervensystem, Haare,
Nägel und Linse erkranken.
Desgleichen entseht der Zuckerstar auf dem Boden des Diabetes, der zu
manchen Blutdrüsen (Pancreas, Thyreoidea, Nebennieren) Beziehungen aufweist.
Überblickt man nun alle für das Senium halbwegs charakteristischen Er¬
scheinungen, so springt eine als die typische hervor: die Abnahme der Funktion
der Geschlechtsorgane. Dieses Merkmal teilt das Alter mit allen Erkrankungen,
welche enge Beziehungen zu Blutdrüsen haben (Akromegalie, Myxödem, Morbus
Basedowii usw.); mit der Schilddrüseninsufficienz hat aber das Senium noch
mancherlei Erscheinungen gemeinsam (Abnahme der Blutbildung, runzelige, ver¬
witterte Haut usw.).
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Eb erscheint daher gerechtfertigt, bei Untersuchungen über den Altersstar
auch die Beziehungen zu den Blutdrüsen zu berücksichtigen.
24) Über Behandlung der Tetanie mittele Nebenschilddrüsenpr¶ten,
von Dr. Loewenthal und Dr. Wiebrecht. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk. XXXI. 1906.) Re£: E. Asch.
Es handelt sich um eine 47jährige Frau, in deren Familie mehrfach Ver¬
größerungen der Schilddrüse bemerkt wurden. Sie selbst wurde schon als Kind
wegen ihres dicken Halses mit Jod behandelt. Wenige Monate nach der Ver¬
heiratung (1887) schwere Melancholie von einjähriger Dauer. Nach deren Ab¬
klingen öfters Steifwerden der Hände. 1889 Geburt von Zwillingen; beim
Stillen derselben macht sich eine Schwellung der Schilddrüse bemerkbar, gebt
aber bald wieder zurück. Im Jahre 1896 beim Verlust eines Kindes wiederum
Starrwerden von Händen und Füßen. Im übrigen von 1889 bis 1898 Befinden
recht gut. ln diesem Jahre Geburt des jüngsten Kindes, starker Blutverlust post
partum und von da an Gesundheit stark geschwächt. Seit dieser Zeit nach
psychischen Erregungen tonische Krumpfe und Herzstöruugen. 1902 zur Be¬
seitigung unmittelbarer Todesgefahr Entfernung des rechten Schilddrüsenlappens,
danach Besserung der Tachykardie und des Allgemeinbefindens. In den nächsten
Jahren Steigerung der tetanischen Beschwerden, Anfälle von Praecordialangst und
chronisch vorhandene Diarrhöen, auf welche der Gebrauch von Rodagen einen
günstigen Einfluß hat. 1905 voll ausgebildeter Tetanieanfall. Von da an
schwerer Krankheitszustand, der sich als eine Mischung von Basedow-Symptomen
(Zittern, HyperhidroBis, Tachykardie, Struma) und von Tetanieerscheinungen
(tonische Krämpfe, sensorische und sensible Reizerscheinungen, Angst, Trousseau-
•ches Phänomen, Andeutung des Chvostekschen Facialisphänomens, Herabsetzung
des galvanischen Leitungswiderstandes der Haut) charakterisiert. Nach Darreichung
von frischer Schilddrüse und Nebenschilddrüsen Besserung der tetanischen Anfälle,
während die übrigen Störungen unbeeinflußt bleiben. Bei sehr häufigen Diarrhöen
verschwinden die ausgeprägten Anfälle ohne Gebrauch von DrÜBenpriiparaten von
selbst, was auf eine Ausscheidung der Krampfgifte durch den Darm hin weist.
Während eines 14tägigen Zeitraumes wird die Dosis des Drüsenpulvers auf
0,75 g pro die erhöht; daher treten die Krampfanfälle vollkommen zurück und
die objektiven Tetaniesymptome sind zum Teil auch nicht mehr nachweisbar,
kommen aber zeitweise wieder, sobald die Tagesdosis herabgesetzt wird. Im
April 1906 wird 10 Tage lang reine Nebenschilddrüse (0,02—0,04 pro dosi) ver¬
abreicht und sind während dieser Zeit keine Anfälle zu bemerken. Von da an
erhält Patientin Schilddrüsentabletten (Engelhard) ä 0,3, wobei erst bei dem
Gebrauch von 7 Stück pro Tag die Anfälle unterdrückt werden. Die englischen
Tabletten (Borrough, Wellcome u. Co.) wirken bei gleicher Dosis in derselben
Weise. Während eines leichten Rezidivs bewirkt die Verabreichung von reiner
Schilddrüsensubstanz ohne Epithelkörper von der Thyreoidea des Rindes in der
Dosis von 0,6 pro die eine Verstärkung der Krampferscheinungen, während nach
Genuß von 0,15 des DrüBenpulvers aus Thyreoidea und Parathyieoidea die An¬
fälle verschwinden.
Von Jodothyrintabletten sind während einer 5 tägigen Versuchsperibde
mindestens 6 Stück erforderlich, um das gleiche Resultat wie l 1 /, Tabletten un¬
veränderter Schilddrüsensubstanz zu erzielen. Trotz der zum Teil sehr hohen
Dosen dieser Substanz wurde eine langsame Steigerung des Körpergewichtes und
Verminderung der Tachykardie beobachtet.
Aus dieser eingehenden Mitteilung geht hervor, daß die günstige Beein¬
flussung der Tetanie ausschließlich auf den Gebrauch von Nebenschilddrüsen¬
substanz zurückzuführen ist. Das hier erzielte Resultat fordert zu weiteren Ver¬
suchen in dieser Hinsicht auf.
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25) Beobachtungen über kuhmilohfreie Ernährung be! dem Laryngoepasmua,
der Tetanie und Eklampsie der Kinder, von Dr. Ludwig Mendelsohn
und Dr. Philipp Kuhn. (Archiv f. Kinderheilk. XXIV 7 .) Ref.: Zappert.
Die seinerzeit so sehr in den Vordergrund gestellte therapeutische Beein¬
flussung der spasmophilen Erkrankungen des Kindes durch Nahrungsänderung
findet in vorliegenden Untersuchungen nur eine teilweise Bestätigung. Bei Laryngo-
spastnus ist die Wirkung der Milchentziehung und des Überganges zur Mehldiät
in einigen Fällen dauernd oder vorübergehend von Erfolg, fehlt aber in anderen
Fällen vollständig.
Hingegen läßt sich bei Tetanie ein solcher Einfluß nicht konstatieren. Immer¬
hin glauben die Verff. auf Grund ihrer Beobachtungen bei Stimraritzenkrampf
wenigstens zu einem Versuch der Milchentziehung raten zu können.
26) Degeneration of nerve-oells of the rabbits aaperior oervioal sympathetio
ganglion as the result of interferlng with their blood supply, by Jvor
Tuckett. (Journ. of physiology. XXXIII. Nr. 1.) Ref.: Blum (Nikolassee).
Verf. stellte in Analogie mit den Ehrlich-Briegerschen Untersuchungen
am künstlich anämisierten Rückenmark den Versuch an, welche Veränderungen
in den Nervenzellen des Ganglion supremum des Sympathicus auftreten, wenn die
Blutzufuhr unterbunden wird. Er erreichte dies dadurch, daß er das Ganglion
aus seinem Verband mit der Umgebung bis auf den zuführenden Nerven völlig
loslöste. Als Versuchstier wählte er das Kaninchen. Bei der infolge dieses Ein¬
griffes eintretenden Degeneration der Nervenzellen unterscheidet er drei Stadien.
Im ersten Stadium, ein Tag nach der Operation, färbt sich der Kern völlig,
also nicht nur das Chromatingerüst, jedoch ist noch das Kernkörperchen zu unter¬
scheiden. Zelle und Kern zeigen leichte Schrumpfung; um den Kern bildet sich
ein blasser Hof. Nach 2 Tagen, zweites Stadium, hat die Schrumpfung weiter
zugenomraen, das Kernkörperchen ist in dem nun tief dunkel gefärbten Kern ver¬
schwunden. Das dritte Stadium, das nach 5 Tagen etwa zu beobachten ist,
zeichnet sich aus durch einen Wechsel im Chemismus der Zelle und ihres Kernes.
Während dieser vorher basophil war und sich mit Methylenblau oder Toluidin-
blau färbte, wird er nunmehr eosinophil und erscheint rot; das Protoplasma der
Zelle zeigt das umgekehrte Verhalten.
Zum Unterschied von diesen Versuchen brachte Verf. ein herausgescbnittenes
Ganglion suprem. in die Peritonealhöhle des Tieres, wo es in Osmose mit der
Körperlymphe blieb. Infolge dieser teilweisen Ernährung trat die Degeneration
der Nervenzellen erst später ein, so daß nach 3 Tagen noch das erste Stadium
sichtbar war.
Das Material wurde in Sublimat gehärtet und die Schnitte mit Toluidin-
oder Methylenblau im Kontrast mit Eosin oder mit Lyoner Blau und Safranin
gefärbt.
Die beigegebenen farbigen Zeichnungen sind sehr übersichtlich und klar.
27) Über die Bolle des Sympathious bei der Erkrankung des Wurmfortsatses,
von E. Hönck. (Jena 1907, Gustav Fischer. 180 S.) Ref.: Adler (Berlin).
Die Vermittlerrolle des Sympathicus bei Entstehung von Erkrankungen im
Gefolge der Epityphlitis stellt ein äußerst interessantes, wenn auch noch vielfach
strittiges Gebiet dar. Das vom Verf. mit großem Fleiß zusammengestellte klinische
Material, insbesondere die von ihm selbst beobachteten Fälle, bieten in der Tat
in ihrer Entwicklung sehr gravierende Hinweise auf das Bestehen eines kausalen
Zusammenhanges zwischen der Epityphlitis und später aufgetretenen Erkrankungen
der Nase und des Rachens, der Brust- und Bauchorgane, der Gelenke, der Haut usw.
und auf das Zustandekommen dieser sekundären Erkrankungen unter Vermittlung
des Sympathicus. Die Basis der Untersuchungen des Verf.’s bilden die Arbeiten
von Buch, Fließ, Bidder, Volkmann, Gaskell, Langley u. a. Die von
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Fließ beschriebenen Erscheinungen an der Nasenschleimhaut bei der Menstruation
sind zu erklären als konsensuelle Gefäßreflexe, ausgehend von den sympathischen
Nerven der Geschlechtsorgane, welche während der Menstruation in einen Reiz¬
zustand geraten. Die von der Nasenschleimhaut aus zu beseitigenden dysmenor-
rhoischen Beschwerden mußten auf einer Rückwirkung der durch Schwellung ge¬
reizten sympathischen Nerven herrühren. Ebenso können umgekehrt Erkrankungen
der Nase die dysmenorrhoischen Beschwerden auf demselben Wege nuslösen. Die
bei entzündeten Mandeln beobachteten Schmerzen in der Magengegend, welche
man nach Buch in den Plexus solaris verlegen muß, bilden gleichfalls ein inter¬
essantes Analogon.
Wenn aber nun nach Verf. alle Krankheitserscheinungen im Gefolge der
Epityphlitis eingeleitet werden durch eine mehr oder weniger ausgedehnte „Reizung
de3 sympathischen Systems, welche zu Störungen des Blutumlaufes und Herab¬
setzung der Widerstandsfähigkeit der Gewebe führt“, so muß demgegenüber doch
betont werden, daß viele der beschriebenen Fälle auch andere Deutungen zulassen,
und daß mit der Auffindung von Schmerzpunkten in der Blinddarmgegend die
Diagnose Epityphlitis doch nicht hinreichend gesichert ist, zumal beim Fehlen
einer spontanen Schmerzhaftigkeit. Verf. sagt selbst: „Da es kein Organ gibt,
das nicht dem Sympathicus unterworfen ist, so folgt daraus, daß es auch kein
Organ gibt, das nicht gelegentlich durch den Wurmfortsatz erkrankt.“ Wenn
sich nun die pathologisch-anatomischen Untersuchungen Oberndorffers bewahr¬
heiten sollten, wonach alle über 20 Jahre alten Menschen mit seltenen Ausnahmen
blinddarmkrank (sc. vom Standpunkte des pathologischen Anatomen) sind, so kann
man sich ungefähr ein Bild davon machen, wie die bedeutsame Rolle, welche der
Sympathicus nach Ansicht des Verf.’s bei der Vermittlung von Erkrankungen
nach Epityphlitis spielt, geeignet ist, unsere bisherigen pathologischen Anschauungen
von Grund aus zu reformieren. Es steht zu befürchten, daß dann dem Sympathicus
dieselbe Rolle zufällt, wie einst den Säften zur Zeit, als noch die Humoralpatho¬
logie das Feld beherrschte.
28) Beitrag zur Erkenntnis der Pathogenese der Raynaud sehen Krankheit,
von Hnätek. (Wiener klin. Rundschau. 1906. Nr. 43 u. 44.) Ref.: Pilcz.
26jährige belastete, von jeher neuropathische Frau, vor 2 1 /^ Jahren im An¬
schlüsse an kaltes Bad „Weißwerden“ der Finger und Zehen. Seither Anfälle
folgender Art: Herzklopfen, Beengung in der Herzgegend, Kälte und Parästhesien
der Finger, Hände und Füße werden wachsartig blaß, nach Minuten treten rote
Flecke auf, deren Farbe in Blau übergeht. Die Flecke konfluieren allmählich.
Anfangs waren die Anfälle nur auf die Finger und Hände beschränkt, später
breiteten sie sich bis zum Radiokarpalgelenke aus. Dauer l / 2 bis 3 / 4 Stunden.
Die Anfälle traten angeblich durch Aufregung oder Kältewirkung auf, konnten
indessen experimentell (z. B. Atherspray) nicht hervorgerufen werden. In der
Zwischenanf&llszeit sind die Hände und Füße rötlich (wie „erfroren“). Status
nervosus ira übrigen normal, bis auf Steigerung der Patellarsehnenreflexe. Puls
= 80. Blutdruck 90 (Gärtner), 135 nach Rocci (im Stehen).
In der Folge wurden zahlreiche Anfälle beobachtet, die in extenso mitgeteilt
werden. Blutdruck erhöht. Riva Rocci 184 bis 175. Während des Anfalles
Herabsetzung der Temperaturempfindung, Patientin kann auch Kopf und Spitze
nicht unterscheiden. Stich wird als Schmerz empfunden, blutet nicht. Einmal
(Anfall nur auf rechte Hand beschränkt) Hauttemperatur über der Fingerbeere
rechts 21°, links 27°, in der Mitte des Handtellers rechts 25°, links 32°.
Allmähliche Besserung nach etwa Ömonatl. Spitalsbehandlung.
Trotz 3jähr. Dauer des Leidens war es noch nicht zur Gangrän gekommen.
Verf. erörtert nun zunächst die Zugehörigkeit dieses Falles zur Raynaufi¬
schen Krankheit, betont in der Epikrise besonders die Blutdrucksteigerung, zu
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deren Eiklürung gewiß nicht die regionäre Kontraktion in einigen Fingern ge¬
nügt, erinnert an die kardialen Symptome, und kommt zum Schlüsse, daß die
Raynaudsche Krankheit auf einer gestörten Innervation des ganzen Cirkulations-
apparates beruhe, wobei ein von der Peripherie ausgehender Reiz hinzntreten
müsse, bei dem ein Reflex von bestimmter Intensität und bestimmter spezifischer
Energie eine Rolle spiele.
20) Ein Fall von symmetrischer Gangrän (Raynaud) auf hereditär-luetischer
Grundlage, von Dr. Ernst Schiff. (Jahrb. f. Kinderb. LXIV.) Ref.: Zappert.
Bei der Seltenheit der Raynaudschen Krankheit im Kindesalter und der
Unklarheit der Ätiologie dieses Leidens ist der vorliegende Fall wegen seines
zweifellos hereditär-luetischen Ursprunges von doppeltem Interesse. Bei dem Kinde
trat im Alter von 1 J / 2 Jahren eine Gangrän beider Füße auf, die rechterseits so
hochgradig wurde, daß die Zehen und ein Teil des Uittelfußes entfernt werden
mußten. Trotzdem machte die Gangrän auf diesem Fuße nicht Halt, sondern
zeigte sich beiderseits progredient. Eine eingeleitete Inunktionskur hatte frap¬
panten Erfolg; nach 20 schwachen Einreibungen war Heilung eingetreten. Außer
diesem existiert nur ein Fall einer hereditär-luetischen Raynaudschen Krankheit
in der Literatur (Krisowski).
30) Symmetrisohe Gangrän der Fingerkuppen, von Privatdozent Dr. Josef
Pelnär. (Öasopis öes. lek. 1906. S. 211.) Autoreferat.
Der beschriebene Fall war dadurch interessant, daß Verf. die Patientin einige
Monate vor dem Erscheinen des klassischen Raynaudschen Syndromes beobachtete.
Die 34jährige, bis dahin immer gesunde Frau, die einer vollkommen gesunden
Familie entstammt, erkrankte mit einer ekzematoiden Affektion des Gesichtes, die
jeder Therapie trotzte. Nach 14 Tagen erschien ein enormes Ödem des Gesichtes,
das sich im Laufe von 2 Wochen wieder verlor. Bald darauf bekam die Patientin
spontane Anfälle von Parästhesien in den Unterarmen und Händen, ohne jegliche
objektive Veränderungen. Die Kälte, die Nässe hatte keinen Einfluß und riefen
keine Anfälle hervor. Nach einigen Tagen schwollen beide Hände und beide
Füße an — wieder ohne Schmerzen und ohne objektive Veränderungen. Nach
einigen Tagen verschwanden alle Ödeme ziemlich rasch. In diesen paar Tagen
verspürte die Patientin zum ersten Male eine typische lokale Synkope an den
Fingerspitzen, sobald sie mit den Händen in kaltes Wasser kam. Seit der Zeit
wiederholte sich die lokale Synkope nach jedem Einflüsse der Kälte auf die
Hände und nur auf die Hände. Ein Monat später begann die Gangrän in typischer
Reihenfolge der Erscheinungen: Kälte der Finger, Parästhesien, Cyanose, dann
heftige, den Schlaf störende Schmerzen, nach einer Woche erschien eine sanguino¬
lente schwarzbraune Pustel, die die Patientin aufmachte; am folgenden Tage wurde
die Fingerkuppe 6chwarzblau, dann schwarz, trocken; dann erschien ein Demar¬
kationssaum; so wiederholte Bich die Geschichte auf mehreren Fingern, jedoch
nicht streng symmetrisch. Im Laufe von 5 l j 2 Monaten heilte alles mit auffallend
geringen Substanzverlusten. Das skiagraphische Bild zeigte eine Rarefikation an
den distalen Enden der zweiten und an der ganzen dritten Phalange. Therapie:
Natrium salicylicum 3 bis 4 g pro die.
In einem anderen, ambulatorisch beobachteten Falle konnte sich Verf. über¬
zeugen, daß es sich bei der sogen, lokalen Asphyxie gewiß auch um einen Krampf
der Arterien handeln muß: im Anfalle der Asphyxie, wo die Fingerspitze tief
cyanotisch war, wurde wiederholt folgendes Experiment gemacht: der betreffende
Finger wurde durch den beim Gärtnerschen Tonometer benutzten Gummiring
entblutet; nachdem der Ring weggenommen worden ist, blieb der Finger einige
Minuten vollkommen weiß und erst nach und nach wurde er wieder blau; dieser
Zustand würde unmöglich sein, wenn die Cyanose nur durch einen Krampf größerer
Venen verursacht wäre; übrigens zeigt schon die abnorme Kälte der Fingerspitze
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bei dem Anfalle von lokaler Asphyxie, daß sich hier der Krampf der Arterie mit
dem Erschlaffen der Kapillaren oder kleinsten Venen summiert.
31) An unusual oase of Raynauds disease, by J. A. Milner. (Brit. med.
Journ. 1906. 8. Dezember.) Ref.: E Lehmann (Oeynhausen).
Der mitgeteilte Fall von Raynaudscher Krankheit interessiert besonders
durch das gleichzeitige Bestehen eines Herzklappenfehlers und betrifft ein 14jähr.
Mädchen, bei welchem die Krankheit im 10. Lebensmonat ausgebrochen war.
Bei der Aufnahme fand man: die unteren Extremitäten endeten in narbigen
Stümpfen, welche auf Druck schmerzhaft waren. Die Spitzen der Finger der
rechten Hand atrophisch. Über der Spitze des mäßig dilatierten Herzens hört
man ein systolisches Geräusch. Innerhalb des folgenden Jahres war lokale Asphyxie
des linken Ohres und vorübergehende Cyanose der rechten Finger notiert.
Nachdem Patientin nach einem Jahr in gutem Allgemeinbefinden entlassen
war, überstand sie eine Pneumonie mit Endokarditis und wurde dann ihres
leidenden Zustandes wegen zum zweiten Male aufgenommen. Die Herzdämpfung
ging jetzt bis zur Mamillarlinie; das systolische Geräusch hatte an Intensität zu¬
genommen und war weit verbreitet.
Es entwickelte sich Cyanose und dann Gangrän der Nasenspitze und der
Ohrläppchen; sodann wurden die Finger beider Hände cyanotisch und schmerz¬
haft Unter Husten und Dyspnoe trat der Tod ein.
Die Sektion ergab eine hochgradige Vergrößerung des Herzens, Dilatation der
Ventrikel, geringe Mitralstenose, Mitralklappe stark verdickt („halb-knorpelartig“).
32) Ein Fall von Erythromelalgie, von Dr. M. Hirose. (Xeurologia. IV. 1905.
3. Juni.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
26jähriger Lokomotivführer; hat mehrmals Malaria tertiana, zweimal Beri-
Beri, Lues, Epididymitis gonorrhoica durchgemacht. Während der letzten Beri-
Beriattacke vor einem Jahre Beginn des jetzigen Leidens: erst heftige nächtliche
stechende Schmerzen in beiden Knien, später brennende Schmerzen in beiden
Zehen, Zehenballen und vorderer Hälfte des Fußrückens, begleitet von Röte und
Anschwellung im selben Gebiete. Anfangs traten diese Störungen auch nur in
nächtlichen Anfällen auf, in der Folgezeit bestanden sie fast ununterbrochen auch
den Tag und zeigten sich auch in leichterem Maße in den Fingern der linken
Hand. Bei der Untersuchung dehnte sitli das Brennen zugleich mit der Schwellung
und Rötung bis fast zum Knie hinauf aus, ohne sich an das Ausbreitungsgebiet
bestimmter Nerven zu halten. Die Haut fühlt sich in diesem Gebiet heiß an,
Pat. steckt zur Linderung die Füße fast dauernd in kaltes Wasser; auf dem Fu߬
rücken finden sich zahlreiche, erhabene, stellenweise konfiuierende und zu Blasen¬
bildung neigende Knötchen, zwischen denselben ist die Haut verdünnt und glänzend.
An der vorderen Hälfte der Fußrücken und der Dorsalseite der Zehen besteht
totale Anästhesie, an den Unterschenkeln und den Zehen Hypästhesie. Die Arterien
pulsierten früher beim Anfall stärker, später war das durch die Schwellung ver¬
deckt. Zuletzt stellte sich dunkel bläuliche Verfärbung und Gangrän der Füße
ein. Therapie war machtlos.
Psychiatrie.
33) Zar angeblichen Entartung der romanischen Völker, speziell Frank¬
reichs, von Näcke. (Archiv f. Rassen- u. Gesellschafts-Biologie. 1906.
S. 373.) Autoreferat.
Es gibt so manche, darunter auch bedeutende Männer, z. B. Plötz, die die
romanischen Völker und auch die Franzosen als im Niedergange begriffen dar¬
stellen. Dagegen wendet sich nun energisch der Verf. und sucht nachzuweisen,
daß vorläufig kein Grund zu einer solchen Annahme vorliegt, am wenigsten für
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286
Frankreich. Man hüte sich vor allem Paris mit dem übrigen Frankreich zu
identifizieren! Die Abnahme der Geburtenziffer findet überall statt, wenn auch
am meisten in Frankreich. Dies ist zwar immerhin bedenklich, doch macht ein
sog. Stigma noch lange nicht die Entartung eines ganzen Volkes aus!
Nur dann wäre es gefährlich, wenn die Geburtenabnahme Abnahme der Frucht¬
barkeit bedeutet, was aber erst zu beweisen wäre. Die Sittlichkeit steht in Frank¬
reich im ganzen, wie des näheren ausgeführt wird, kaum unter der deutschen,
auch sind die unehelichen Geburten dort nicht häufiger. Als einen Grad¬
messer für die Geschlechtsmoral glaubt Verf. am ehesten noch die
Abnahme der Wertung des Weibes zu betrachten und sicher ist die
Frau in Frankreich diesbezüglich nicht schlechter bestellt, als bei uns. Auch
Psychosen, Nervenkrankheiten, Selbstmord, Verbrechen sind dort nicht häufiger,
im ganzen wohl auch nicht der Alkoholismus. Gewisse Kasseneigentümlich¬
keiten, oder besser gesagt: Gewohnheiten, darf man nicht mit echter
Entartung verwechseln. Verf. empfiehlt endlich die Kassenmischung von
Komanen und Deutschen, weniger von Deutschen und Slaven, dagegen ist die
Mischung von Ariern mit ganz blutsfremden Kassen durchaus von Übel, da alles
darauf hinweist, daß es eine Kassengleichheit nicht gibt.
34) La ddmesoe, par A. Marie. (Paris 1906. 492 S.) Kef.: Näcke.
Obiges höchst interessante und originelle Werk, das einer deutschen Über¬
setzung wohl wert wäre, bildet ein vollkommenes Supplement zu jedem psychiatri¬
schen Lehrbuche, da es speziell die verschiedenen Blödsinnsformen: Dementia
praecox, Imbezillität, den paralytischen, senilen oder sonstwie entstandenen Blöd¬
sinn behandelt, und zwar weniger nach der rein klinischen Seite, als vielmehr,
und das in sehr feiner Weise, nach der psychologischen hin. Überall sind fremde,
meist französische, und eigene Krankengeschichten mitgeteilt, und die pathologische
Anatomie ist besonders berücksichtigt, vielleicht etwas zu stark betont, da wir
doch hier noch zu wenig wissen. Auch wird gern mit Hypothesen gearbeitet,
die doch zu wenig fundiert sind, wie z. B. mit dem Entstehen von senilen Phäno¬
menen nach Metschnikoff oder der Kontraktibilität der Protoplasmafortsätze
der Ganglienzellen. Überall werden interessante Streiflichter geworfen und feine
klinische Bemerkungen kennzeichen den guten Beobachter. Der 3. Teil behandelt
die sozialen und juridischen Folgen der Blödsinnszustände. Für uns nicht am
wenigsten bedeutend ist die Beleuchtung der ganzen Materie in französischer Be¬
leuchtung, die uns nicht selten fremd dünkt. Die französische Literatur — und
das ist für uns gleichfalls wertvoll — ist ausgiebig benutzt, die fremde dagegen
leider, wie bei den Franzosen so häufig, nur ungenügend.
35) Klinische Betrachtungen bei Entweiohungen Geisteskranker, von
Albrecht. (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIII.) Ref.: Zingerle (Graz).
Der Arbeit liegen 150 Entweichungen bzw. Entweichungsversuche aus der
Anstalt Treptow a. d. Kega zugrunde.
Zu einem Teile der Fälle trugen diese durch ihre gänzlich unzureichende
Motivierung und den Mangel eines klaren Zieles den Stempel des vorgeschrittenen
Schwachsinnes oder katatoner Krankheitszüge an sich, charakterisierten sich also
als ein planloses Davonlaufen. Bei den mit Überlegung ausgeführten Flucht¬
versuchen war das Freiheitsbedürfnis höchstens in einem Viertel der Fälle das
einzige veranlassende Moment. Viel größer war die Zahl der Entweichungen aus
krankhaften Motiven, im Affektzustand, unter dem Einflüsse von Sinnestäuschungen,
Wahnideen, Zwangsvorstellungen usw.
Die Fluchtversuche geisteskranker Verbrecher, die niemals aus krankhaften
Motiven, sondern aus Sehnsucht nach Freiheit erfolgten, unterschieden sich von
denen gewöhnlicher Geisteskranker durch die Neigung zur Komplottbildung und
die häufige Anwendung von Gewaltmitteln.
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287
Forensische Psychiatrie.
36) Los devoirs et les droits de la societe vis-a-vis desalienes, par J. Grasset.
(Revue des Idees. 1906. Nr. 31; vgl. auch dieses Centralbl. 1906. S. 771.)
Ref.: H. Haenel (Dresden).
Verf. unterzieht die französische Irrengesetzgebung, die auf einem Gesetze
aus dem Jahre 1836 beruht unJ. bisher trotz verschiedener Anläufe noch nicht
reformiert worden ist, einer eingehenden Kritik. Er zeigt, daß der damals ma߬
gebende Gesichtspunkt: „Wie wird die Gesellschaft am besten gegen die Irren
geschützt?“ heute gänzlich veraltet ist, daß in diesem Gesetze das Recht des
Kranken nicht genügend gewahrt ist. Er stellt ihm einen Gesetzentwurf gegen¬
über, der, vom Senat schon 1887 angenommen, den Kammern als der Entwurf
Dubief vor 10 Jahren vorgelegt, aber noch nicht angenommen worden ist. Er
tritt diesem Entwurf foBt in allen Punkten bei und erklärt es für notwendig, daß
derselbe ohne weitere Verzögerung zum Gesetze erhoben wird. Im einzelnen
stellt er folgende Forderungen, die heute in Frankreich noch nicht oder nur
mangelhaft erfüllt sind:
1. Unter gewissen gesetzlich zu bestimmenden Bedingungen und in gewissen,
von einem Arzte zu entscheidenden Fällen sollen Geisteskranke in ihrer Häuslich¬
keit verpflegt werden können.
2. In der Mehrzahl der Fälle ist eine Behandlung nur in einer Anstalt
möglich. Eine Verzögerung der Aufnahme ist für die Kranken wie die Gesell¬
schaft meist gefährlicher als eine Beschleunigung. Die Anstalten sind Kranken¬
häuser, die eine große Zahl ihrer Pfleglinge geheilt oder sehr gebessert wieder
entlassen, aber nicht sie lebendig begraben; die Unheilbaren befinden sich in der
Anstalt ungleich besser als zu Haus.
3. Aufnahme, Aufenthalt und Entlassung müssen von ärztlichem Gesichts¬
punkte aus geregelt werden, unter Überwachung durch richterliche und Verwaltungs¬
organe; bei der Bestimmung der zu treffenden Maßnahmen ist künftig der Gesichts¬
punkt der Heilung des Kranken in erster Linie zu berücksichtigen.
4. Um diagnostischen Irrtümern möglichst vorzubeugen und trotzdem die
Anstaltsbehandlung nicht zu verzögern, sind, womöglich im Anschluß an medi¬
zinische Fakultäten, Beobachtungsstationen einzurichten, in denen die Entscheidung
über AnstaltBbedürftigkeit getroffen wird.
5. Während des Anstaltsaufentbaltes darf der Arzt Urlaube und vorläufige
Entlassungen verfügen.
6. Die forensisch-psychiatrischen Beobachtungen müssen stets außerhalb des
Gefängnisses in speziellen Abteilungen vorgenommen werden.
7. Wenn einem Angeklagten die Verantwortlichkeit abgesprochen worden ist,
so soll er durch dasselbe richterliche Urteil für geisteskrank erklärt sein und als
Kranker ärztlicher Behandlung überwiesen werden; die Überwachung und Ent¬
lassung solcher Geisteskranker soll besonderer Regelung unterliegen.
8. Epileptiker, Alkoholisten, Idioten und Kretinen sollen in Spezialanstalten
verpflegt werden, ebenso sollen die öffentlichen Anstalten zur Erziehung zurück¬
gebliebener Kinder und Idioten vermehrt werden.
Wie man sieht, sind die Mehrzahl dieser Forderungen des französischen
Autors in Deutschland schon verwirklicht.
III. Vermischtes.
Vom 2. bis 6. April d. J. finden in Berlin wissenschaftliche Kurse zum Studium
des Alkoholismus im Baracken-Auditorium der Universität (Eingang Kastanienwäldchen)
statt. Die den Neurologen nnd Psychiater interessierenden Vorlesungen sind:
Dienstag, den 2. April, 11 bis 12 Uhr: Behandlung von Alkobolkranken. Geh. Med.-
Kat Prof. Dr. Moeli, Direktor der städt. Irrenanstalt iu Herzberge-Berlin.
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Donnerstag, den 4. April, 11 bis 12 Uhr: Alkohol und Zurechnungsfähigkeit. Prof.
Dr. Puppe, Königsberg.
Sonnabend, aen 6. April. 10 bis 12 Uhr: Psychologie des Alkohols. Hofrat Prof. Dr.
Kräpelin, München.
Vom 2. bis 7. September 1907 findet in Amsterdam ein internationaler Kongreß
für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege statt. Das allgemeine
Organisatiouskomite* besteht aus: Dr. G. Jelgersma, Professor der Psychiatrie und Neuro*
logie an der Universität, Leijden, Vorsitzender. — Dr. W. P. ßuijsch, Haupt-Inspektor der
Volksgesundheit, Haag, Vizevorsitzender. — Dr. J. van Deventer Szn., Staatsinspektor des
Irrenwesens, Amsterdam und Dr. G. A. M. van Wayenburg, Privatdozent der Pedologie
au der Universität, Amsterdam, Allgemeine Sekretäre. — Dr. L. Bouman, Direktor der
Irrenanstalt „Bloeniendaal“, Loosduinen, Sekretär. — Dr. A. Th. Moll, vorm. Direktor der
Irrenanstalt, Utrecht, Allgemeiner Kassenführer. — Dr. J. H. Schuurraans-Stekhoven,
Staatsinspektor des Irrenwesens, Utrecht, Kassenführer. — Dr. C. Winkler, Professor der
Neuropathologie und Psychiatrie an der Universität, Amsterdam. — Dr. J. K. A. Wertheim
Salomonson , Professor der Neuropathologie an der Universität, Amsterdam. — Dr. G. Hey-
mans, Professor der Philosophie und Psychologie an der Universität. Groningen.
Die zulässigen Sprachen sind: Deutsch, Englisch, Französisch.
Kongreßmitglieder, die Vorträge halten wollen, werden dringend geboten, eine Inhalts¬
übersicht vor 1. Mai 1907 den Schriftführern einzusenden; diese werden dafür sorgen, daß
sämtlichen anwesenden Kongreßmitgliedern ein gedrucktes Exemplar des Vortrages eingehändigt
werden kaun.
Schriftführer sind Dr. J. van Deventer Szn. und Dr. G. A. M. van Wayenburg,
Amsterdam, Priosengracht 717.
Ein ausführliches Programm über alle Einzelheiten, Arbeit, Statuten und Festlichkeiten
wird später erscheinen.
IV. Berichtigung.
Auf S. 168 d. Centr. ist für den Namen des Korreferenten statt J. Baumann „J. Baum¬
garten“ zu lesen. — In der Diskussionsbemerkung des Herrn Liepmann auf S. 234,
Zeile 7 und 8 v. u. muß es heißen*, „der rechte Arm gelähmt, der linke apraktisch.“
Adalbert Tilkowsky f
Am 22. Februar d. J. verschied plötzlich der Direktor der Landesirrenanstalt in Wien,
Regierungsrat Dr. Adalbert Tilkowsky. Der Verblichene, der ein Alter von 66 Jahren
erreicht hat, trat 1874 in den niederösterreichischen Landesdienst ein, war zunächst Arzt in
der Wiener Anstalt, leitete dann die Anstalten in Klosterneuburg und Ibbs und kehrte end¬
lich 1896 iu die Wiener Irrenanstalt zurück, der er von da ab als Direktor Vorstand. Til¬
kowsky hat sich namentlich auf dem Gebiete der öffentlichen und praktischen Irrenfürsorge
in Österreich große Verdienste erworben, die seinem Namen ein dauerndes Andenken sichern
werden. Speziell zu der Frage der Versorgung der Kriminellen und Alkoholiker hat er in
Wort um! Schrift oft und entschieden Stellung genommen. Mit Fug und Recht ein prin¬
zipieller Gegner der Überweisung solcher Elemente in Irrenanstalten, war er einer der
energischsten und unentwegtesten Vorkämpfer für die Schaffung eigener Asyle und Be¬
stimmungen für derartige Elemente in Österreich. Er war auch Experte in der vor mehreren
Jahren von der österreichischen Regierung einberufenen Enquete zur Schaffung eines Irren¬
gesetzes. Au dem eben erscheinenden Handbuch der gerichtlichen Saehveiständigentätigkeit
erscheint der buchstäblich bis zum letzten Augenblicke rüstige und schaffensfreudig gewesene
Mann noch als Mitarbeiter.
Tilkowsky war ein lauterer, unbeugsamer, aber bei aller ihm eigenen vornehmen
Zurückhaltung liebenswürdiger Charakter. Seinen Ärzten gegenüber, auch jeuen der juugen
Generation, war er immer der selbstlose, hilfbereite, wohlwollende Kollege. Alle, die ihn
kannten, werden sein Andenken stets in Ehren halten. Erwin Stransky (Wien).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mrtzqrr & Wittio in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kart Mendel)
Seehsiudzwaiuigster " B * rihL Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Seichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1901 2. April. Nr. 7.
Inhalt I. Originalmitteilongen. 1. Über nur unter besonderen Bedingungen eintreten¬
den statischen Tremor, von A« Pick. 2. Über einen weiteren Fall von zeitweisem Fehlen
der Patellarreflexe bei Hysterie, von Dr. Wigand. 8. Ein Fall von Landry'scher Paralyse
kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascendierenden Rückenmarkstumors vortäuschend,
von Dr. L. Jacob. (Schluß.)
II. Referate. Anatomie. 1. A study of tbe brain of the late Major J. W. Po well,
bj Spitzka. — Physiologie. 2. Zur Fuuktion des Schläfenlappens des Großhirns. Eine
neue Hörprüfungsmethode bei Hunden; zugleich ein Beitrag zur Dressur als physiologischer
Untersuchungsmethode, von Kalischer. S. I* neuronopbagie, par Laignel-Lavastine et Voisin.
— Pathologie des Nervensystems. 4. Reflexepilepsie nach Schweifamputation, von
Krameil. 5. Über Reflexepilepsie, von Urbantschitsch. 6. Reflexepilepsie bei Ohren- und
Nasenerkrankun^en, von Frey und Fuchs. 7. Bemerkungen zur Ätiologie der Epilepsie, von
Redlich. 8. Statistischer Beitrag zur Ätiologie der Epilepsie, von Siebold. 9. L/epilepsie
et la migraine, par Kovalevsky. 10. On the association of epilepsy with muscular conditions
fitting best into the cadre of the myopathies, by Onufrowlcz. 11. Certain aspects of the
differential diagnosis between epilepsy and hysteria, by Putnam and Waterman. 12 . Recherches
microbiologiques sur l'dpilepsie, par Bra. 13. I. Blutserum der Epileptiker, von Cent.
II. Blutserum der Epileptiker, von Bssta. III. Blutdruck, Puls und Temperatur der Epi¬
leptiker, von Besta. 14. Untersuchungen über Isolyse bei Hysterischen und Epileptischen,
von Todde. 15. Witterungseinflüsse bei Epileptischen, von Lomer. 16. Über Halbseiten¬
erscheinungen bei der genuinen Epilepsie, von Redlich. 17. Epileptiforme Krämpfe bei Dia¬
betes mellitns, von Stauder. 18. Hyperchlorhydrie avec epilepsie, von Robin. 19. Katameniale
Epilepsie, von Levi-Bianchfni. 20. Grossesse et puerperalite chez une epileptique atteinte
de enorde ancienne, par Arsimoles. 21. Geburtsstörungen und Epilepsie, von Volland.
22. Note but les röves epileptiques, par F<r4. 23. Crises de petit mal epileptique avec aura
( »aramnesique. Illusion de fausse reconnaissance, par S6glas. 24. Beitrag zur Symptomato-
ogie des Petit mal, von Bresler. 25. A case of somnolentia (sleep drunkeness), by Taylor.
26. Weitere Beiträge zur Poriomanie, von Donath. 27. Über den Bewußtseinszustand
während der Fagues, von Woltlr. 28. Intelligenzprüfungen bei epileptischem Schwachsinn,
von Noack. .29. Zur Symptomatologie des epileptischen Irreseins, insbesondere über die
Beziehungen zwischen Apnasie und Perseveration, von Raecke. 30. Epileptiker als Auto¬
fahrer, von Thalwitzer. 31. Epileptischer Mörder, von Audenino. 32. Merkwürdige Anomalie
hei einem epileptischen Mörder, von Masini. 33. Die Behandlung der Epilepsie, von Redlich.
84. Über einige neuere Methoden der Epilepsiebehandlung, von Eulenburg. 35. The diet in
epilepsy, by Rosanoff. 36. Le traitement dechlorurö de l’öpilepsie, a propos de 37 cas, par
Gerden. 37. Nouvelles recherches sur le traitement de Pöpilepsie par la bromuration avec
on sans ddchloruration, par Jules Voisin, Roger Voisin et Rendu. 38. Les poisons de l’intelli-
gence. Les coefflcients psychiques du brorae, par Vaschide. 39. Beitrag zur Opium-Brom-
hehandlung der Epilepsie nach Flechsig (Ziehen sehe Modifikation), von Schirbach. 40. Pro-
K al bei der Behandlung von Epileptikern, von Hoppe. 41. Anstaltsbehandlung der Epi-
„ iker, von v. Wosinski. 42. Operative Behandlung der genuinen Epilepsie, von Rinne.
43. Kasuistischer Beitrag zur operativen Therapie der Epilepsie, von Jedlitka.— Psychiatrie.
44. Les anthipaties physiques et morales dans les familles de dlgdnerde, par F4re. 45. Con«
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19 Origiralfron
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tribution a l’dtude des form es mixtes (vds&mes), par 8erbshy. 46. Was sind Zwangsvorgänge,
von Butnke.
III. Aus den Gesellschaften. Sooidtd de nenxologie de Paris.
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. November bis Sl. Dezember 1906.
V. Vermischtes. — Ernst von Bergmann t
I. Origmalmitteilungen.
1. Ober nur unter
besonderen Bedingungen eintretenden statischen Tremor.
Von A. Piok.
Wohl jedem dürften schon Klagen, insbesondere Neurasthenischer, über
Zittern vorgekommen sein, denen nach den üblichen Prüfnngsmethoden nichts
tatsächliches zugrunde zu liegen schien und die, vielleicht deshalb, anscheinend
berechtigtem Zweifel begegneten; ich möchte nun im nachfolgenden zeigen, daß
es gelegentlich zum Nachweise solcher Störungen einer von einem besonderen
Gesichtspunkte ausgehenden Untersuchung bedarf; ich werde aber weiter in der
Lage sein, nachzuweisen, daß sich aus der gleichen Prüfungsart auch bei an¬
deren, nicht bloß funktionellen, Nervenaffektionen Resultate ergeben, die für die
Diagnose von ausschlaggebender Bedeutung sein können.
Wir unterscheiden bekanntlich (Babinski, Föbsteb) zweierlei Muskel¬
funktionen; zuerst diejenigen, welche der sich unwillkürlich vollziehenden Ruhe¬
stellung der einzelnen Skeletteile zu einander dienen; diese Funktion tritt in
Aktion sowohl beim Stehen, wie bei Bewegungen, als Begleiterscheinung in den,
den bewegten Gelenken benachbarten, unabsichtlich fixierten Gelenken; zweitens
die willkürlich ausgelöste statische Funktion, die zur Fixierung eines Muskel¬
gebietes in irgend einer, willkürlich gegebenen Stellung dient; auf einen bei
dieser letzteren unter besonderen Bedingungen vorkommenden Tremor möchte
ich nun die Aufmerksamkeit lenken.
Zumeist wird die zuletzt erwähnte Form der statischen Muskelfunktion so
geprüft, daß der betreffende Körperabschnitt, also z. B. der Arm oder die Hand
vollständig ausgestreckt gehalten wird; geschieht dies ohne Schwankungen, wird
statischer Tremor als fehlend angenommen. Diese Annahme erweist sich nun,
wenn man sich nicht damit begnügt, den betreffenden Körperteil in extremer
Streck- oder Beugehaltung zu prüfen, sondern ihn auch intermediäre Stellungen
annehmen läßt, nicht selten als irrtümlich; es zeigt sich nämlich in diesen
letzteren ein gelegentlich ganz auffälliger Tremor, der aber alsbald aufhört, wenn
wieder eine extreme Endstellung eingenommen wird . 1
Besonders prägnant ist mir die Erscheinung in den Klagen eines Neur-
asthenischen über einen Tremor entgegen getreten, der dann eintrete, wenn er
1 Babinski selbst, dem wir ja so wichtige Tatsachen aus der Pathologie des willkür¬
lichen statischen Gleichgewichtes verdanken, prüft gelegentlich gleichfalls in intermediären
Stellungen (s. Revue neurolog. 1902. S. 470), aber auch bei ihm finde ich nichts von der
hier besprochenen Differenz bezüglich des Einflusses von solchen und Endstellnngen.
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entweder isoliert oder bei irgendwelcher anderen motorischen Leistung z. B. beim
Fassen oder Heben eines Körpers den Damnen in halbgebeugter Stellung halten
müsse; Patient, Träger einer außerordentlich gut entwickelten Muskulatur zeigte
außer einer noch später zu erwähnenden Erscheinung keinerlei Tremor, auch
nicht am Daumen, solange dieser in extremen Stellungen gehalten werden durfte;
so wie er ihn, auch unbelastet, in halbgebeugte Stellung bringt, tritt ein mittel¬
rascher, grober Tremor auf, der erst dann sistiert, bis der Daumen entweder
relaxiert oder in extreme Streck- oder Beugestellung gebracht wird.
Es ist weiter eine von Neurasthenischen nicht allzuselten gehörte Klage,
daß, wenn sie genötigt sind, den Kopf in einer bestimmten, an sich gar nicht
schwierigen Lage für einige, selbst kurze Zeit zu halten, z. B. um nach oben
zu schauen, sehr bald, sichtlich als vorzeitige Ermüdungserscheinung, ein oft nur
ihnen selbst peinlich zu Bewußtsein kommendes Zittern, gelegentlich aber auch
von der Umgebung bemerktes, auffälliges Schütteln des Kopfes eintritt (Hier¬
her gehört wohl auch die von Binswakqeb in seiner Monographie der Neur¬
asthenie erwähnte Schwäche der Kopfhaltung.)
Der schon erwähnte Umstand, daß der beschriebene Tremor nur bei ge¬
wissen Stellungen eintritt, ist auch der Grund, daß er ebenso auch nur bei
gewissen Funktionen zur Beobachtung kommt, bei denen eben jene von Tremor
begleitete Fixation des betreffenden Teiles Verwendung findet; von dem Falle
des jungen Mannes habe ich das schon zuvor berichtet; ebenso habe ich be¬
obachtet, daß sich bei einem anderen Kranken, der über einen, beim Schreiben
auftretenden, sonst nicht vorhandenen und auch nicht nachweisbaren Tremor
klagte, ergab, daß die leichte Beugung des Zeigefingers es war, die jedesmal
den Tremor anslöste.
Als Beispiel dafür, daß der hier besprochene Tremor auch an den unteren
Extremitäten vorkommt, möchte ich die Beobachtung anführen, daß ich eiu
ausgesprochenes Schütteln bei der Kniebeugung in einem Falle gesehen, das
nnr dann auftrat, wenn dabei die Kniebeuge nicht vollständig war, sondern der
betreffende eine Mittelstellung dabei einnahm. Etwas hierher gehöriges be¬
obachtet man endlich gelegentlich auch an den Augen; gewisse leichte Formen
nystaktischer Bewegungen treten nur auf, wenn die Augen nicht in den End¬
stellungen, sondern intermediär fixiert werden. Daran möchte ich nun den
Hinweis knüpfen, daß natürlich die hier besprochene Form des Tremors der
Aufmerksamkeit der Beobachter nicht entgangen ist, aber ich glaube, daß auch
solchen, die ihn erwähnen, für das eigentliche Wesen desselben nicht das richtige
Verständnis gekommen ist 1
Ich habe schon zuvor gewisser Beziehungen des in Rede stehenden Tremors
zur Ermüdung gedacht; ich möchte aber doch besonders hervorheben, daß schon
1 So berichten, wie ich nachträglich finde, Blocq und Onanoff (Maladics nerveuses,
slmiologie et di&gnostic. 1892. S. 237) von einem Tremor, zu dessen Entdeckung ,,il de-
▼ient meine ndcessaire de placer les membres dans une position particuliere propre ä deve-
lopper les oscillations: attitude dn aerment pour les membres superieurs, extension de la
jambe ponr les membres inferieurs“.
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die Tatsache des Verschwindens desselben bei Endstellnngen dagegen spricht,
einfach die Ermüdung im allgemeinen für den Tremor verantwortlich zu machen;
dafür spricht vor allem das alsbaldige Auftreten des Tremors, noch ehe von
Ermüdung die Rede sein kann; allerdings nur von einer solchen im allgemeinen,
denn es wäre recht wohl denkbar, daß es sich um eine ungewöhnliche Er*
müdbarkeit eines bestimmten Locus minoris resistentiae handeln könnte; und
dafür sprechen allerdings die im folgenden mitzuteilenden Tatsachen.
Bei all den bisher besprochenen Fällen handelte es sich um statischen
Tremor, der eintrat, wo es sich um die Fixierung von Gelenken mittels rezi*
proker Innervation von Agonisten und Antagonisten handelt; es läßt sich aber
leicht zeigen, daß, freilich wenig beachtete, Erscheinungen von ähnlicher,
klinischer Bedeutung auch in Muskelgebieten zustande kommen, wo es sich
nicht um solche Hebelwirkungen handelt, also z. B. an der Gesichtsmuskulatur.
Eine Anwendung bei der Untersuchung gewisser Teile der Gesichtsmuskulatur
bat allerdings die hier besprochene Berücksichtigung statischer Funktionen bei
intermediären Stellungen schon gefunden; es ist die bekannte Erscheinung, daß
das bei festem Augenschluß oft nicht merkbare Flimmern der Lider sofort
deutlich wird, wenn der Augenschluß ein leichter ist. Auf andere Teile der
Gesichtsmuskulatur hat jedoch diese Methode der Prüfung keine Anwendung
gefunden und doch ergibt sie ebenso prägnante und diagnostisch noch wichtigere
Resultate.
Wir besitzen nämlich in der so modifizierten Prüfung auf statischen Tremor
ein feines Reagens für einschlägige Störungen, die bisher, soweit ich sehe, nicht
genügend beachtet worden bzw. durch die gewöhnlich geübte Methode der Prüfang
einfach verdeckt werden.
Läßt man zur Prüfung etwaigen fibrillären Tremors oder auch gröberer
Störungen, z. B. der Bewegungsunruhe, einen Paralytiker die Zunge vorstrecken,
so kommt es nicht selten vor, daß, unzweifelhaft infolge intensiver Kontraktion
der betreffenden Muskeln, an der jetzt ganz spitz und mit voller Energie vor¬
gestreckten Zunge keine der erwähnten Tremorformen nachweisbar ist; fordert
man aber jetzt oder auch vorher den Kranken auf, die Zunge breit und schlaff
vor die Zahnreihe zu bringen, dann sieht man, zuweilen alsbald, die Zunge in
oft ganz auffälligen Tremor und Unruhe geraten.
Und ganz das gleiche gilt auch bezüglich des für die Diagnose der Para¬
lyse so wichtigen Lippentremors; zieht der zu Prüfende seine Lippen mit voller
Kraft auseinander, dann tritt der Tremor oft erst dann hervor, nachdem infolge
von frühzeitiger, auch schon als pathologisch anzusehender Ermüdung die Stärke
der Innervation nachläßt; wartet man diesen Zeitpunkt nicht ab, dann kann
einem der Tremor sehr leicht entgehen; läßt man den Kranken aber von vorn¬
herein die Lippen nur leicht, nicht bis zu extremer Hebung bzw. äußerstem
Herabziehen innervieren, dann tritt der Tremor, wenn vorhanden, meist alsbald
hervor; durch den so beschriebenen Kunstgriff, den ich nirgends erwähnt ge¬
funden, gelingt es, das verräterische Zittern der Lippen oft schon in einem
früheren Stadium unter den Prodromen der Paralyse nachzuweisen. Natürlich
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handelt es sich dabei, das möchte ich zur Vermeidung von Mißverständnissen
speziell bemerken, nicht um etwas für Paralyse Spezifisches, vielmehr kann man
die gleiche Form statischen Tremors ebenso auch bei Neurasthenischen ge¬
legentlich finden z. B. wenn ihnen aufgetragen wird, den Mund in einer ge¬
wissen mittleren Weite geöffnet zu halten, wobei dann die Umrahmung desselben
in deutliches Beben gerät.
Auf die ffir eine Erklärung der hier besprochenen Erscheinungen in Be¬
tracht kommenden physiologischen Tatsachen möchte ich nioht eingehen, weil
dieselben trotz den in den letzten Jahren gemachten Fortschritten meines Er¬
achtens noch nicht so sicher gestellt sind, um als Grundlagen für die Erklärung
pathologischer Erscheinungen dienen zu können. Man könnte zu diesem Zwecke
gewiß auf die von Shebhington begründete Lehre von der reziproken Inner¬
vation ebenso rekurrieren, wie auf die neuen Feststellungen von Botazzi oder
Joteyko bezüglich der differenten funktionellen Bedeutung der fibrillären und
sarkoplasmatischen Anteile der Skelettmuskeln; nichts wäre leichter als sich,
etwa analogähnlichen seither auf dem Gebiete der Muskel-Nervenpathologie ge¬
machten Versuchen, eine solche Deutung zurechtzuzimmern; aber ich halte
solche Ableitungen des Pathologischen aus dem noch so wenig geklärten Physio¬
logischen für keine Bereicherung unseres Wissens von diesen Dingen.
[Ans dein Allgemeinen Krankenhaase Hamborg-Eppendorf (Abteilung Oberarzt Dr. Nohne).]
2. Über einen weiteren Fall
von zeitweisem Fehlen der Patellarreflexe bei Hysterie.
Von Dr. Wigand.
In dem NoxHKAOEL’schen Handbach der speziellen Pathologie und Therapie
stellt Binswangeb in dem die Hysterie behandelnden Werke den Satz auf:
„Ein Verlust der Sehnenphänomene kommt bei der hysterischen Lähmung
nicht vor. Wir halten diese Feststellong trotz gegenteiliger Angaben in der
Literatur (Nonne, Mabee, Souza-Leite, Dejebtne u. a.) für völlig gesichert.
Ist das Kniephänomen trotz aller Kautelen bei mehrfach wiederholten Unter¬
suchungen (Ablenkung der Aufmerksamkeit) und trotz Anwendung des Jen-
DBASsnc’schen Kunstgriffes nicht za erzielen, so tritt sofort der Gedanke an
die Komplikation mit einer organischen Erkrankung des Rückenmarks in sein
Recht“
Dabei geht aber Binswangeb weder auf die ausführlich mitgeteilten, ein¬
wandsfreien beiden Fälle von Nonne, noch auf mehrere andere, von Nonne
aus der französischen Literatur sorgfältig zusammeugestellte einschlägige Fälle
kritisch weiter ein. Speziell verdient auch die Beobachtung von Piebbe Mabie
und Souza-Leite 1 eine bessere Bewertung, eine Beobachtung, die — weil in
* Revue de medecine. 1885.
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UMIVERSITY OF CALIFQRNIA
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einem ein anderes Thema behandelnden Aufsatze versteckt — Nonne bei seiner
Zusammenstellung einschlägiger Fälle entgangen war.
Die beiden ausgezeichneten französischen Forscher erwähnen gelegentlich
einer Zusammenstellung einiger Fälle von hysterischer Lähmung ohne Kon¬
trakturen auch einen Fall, bei dem zuerst bei einer bestehenden leicht spastischen,
hysterischen Lähmung der Beine — der Fall zeigte keinen Anhalt für die
Annahme einer Kombination mit einer organischen Erkrankung des Nerven¬
systems — die Patellarreflexe nicht ausgelöst werden konnten (si on percute
les tendons patellaires, les röflexes ne se manifestent pas). Aber auch nachdem
die spastische in eine schlaffe übergegangen war, fehlten die Kniesehnenreflexe:
„quoi qu’il en soit, les röflexes de toute nature sont abolis“.
Binswangeb übergeht ferner völlig einen Fall, der schon früher ebenfalls
von einem guten Untersucher, Steines in Köln, beobachtet war. 1 Hier fehlten
bei einem zweifellos hysterischen Manne die Kniereflexe, ohne daß eine kom¬
plizierende organische Erkrankung des Nervensystems sich irgendwie er¬
weisen ließ.
Als „unaufgeklärt“ erwähnt Binswangee einen wohl nicht ganz einwands¬
freien Fall von Fehlen der Patellarreflexe bei vorhandener Hysterie von Dejerine.
Die Kranke kam zum Exitus; die Autopsie ergab Pleuropneumonie, Myo¬
karditis, starke Arteriosklerose der Aorta mit Insuffizienz der Aortenklappen.
Makroskopisch war das Centralnervensystem zwar intakt, doch fehlt leider
das Wesentliche, die mikroskopische Untersuchung.
Es stehen nun nicht alle Autoren, die noch keine Gelegenheit hatten, ein
zeitweises, durch Hysterie bedingtes Fehlen der Patellarreflexe zu beobachten,
auf dem gleichen völlig ablehnenden Standpunkte Binswangeb’s. So äußert sich
unter anderen Oppenheim in der neuesten Auflage seines Lehrbuches der
Nervenkrankheiten über diesen Punkt wie folgt:
„Die Kniephänomene fehlen (sc. bei Hysterie) nie. Aus der letzten Zeit
liegen allerdings zwei Beobachtungen von Nonne vor, welche zeigen, daß unter
außergewöhnlichen, sich einstweilen der Beurteilung entziehenden Verhältnissen
das Kniephänomen schwinden kann. Nonne verweist auch auf ein paar ähn¬
liche, von anderen Autoren beschriebene Fälle.“
Die oben zitierte, von meinem Chef, Herrn Dr. Nonne, gemachte Beobach¬
tung betrifft 2 Fälle: einen, bei dem die Patellarreflexe etwa 2 Monate, während
der Dauer einer hysterischen Astasie-Abasie, auch unter allen Kautelen, nicht
auszulösen waren, um dann mit Eintritt der Gehfahigkeit sofort wieder in die
Erscheinung zu treten. Bei demselben Manne verschwanden die Patellarreflexe
bei einer neuen hysterischen Lähmung beider Beine — und zwar wiederum nur
für die Dauer derselben — von neuem. Bei 3 Nachuntersuchungen, und zwar
nach 6 Monaten, 18 Monaten und jetzt vor 3 Monaten, also nach 6 Jahren
waren beide Patellarreflexe prompt auszulösen. Auch sonst bot der Mann
ebenso wie früher bei eingehendster Untersuchung nicht die leiseste Andeutung
einer organischen Rückenmarkserkrankung.
1 Münchener med. Wocbenschr. 1902. Nr. 30.
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Der zweite Fall war ebenfalls genügend als reine Hysterie charakterisiert;
auch hier konnten die Patellarreflexe nur zeitweise ausgelöst werden; anch
hier fehlte bei eingehenden Untersuchungen jeder Anhaltspunkt für die An¬
nahme einer Kombination von hysterischer und organischer Erkrankung.
Es muß noch besonders betont werden, daß bei diesem Falle unabhängig
von uns der gleiche negative Befund hinsichtlich einer organischen Erkrankung
des Nervensystems bei zeitweisem Fehlen der Patellarreflexe in zwei anderen
hiesigen Krankenhäusern, nämlich dem Allg. Krankenhause St Georg bzw. der
Irrenanstalt Friedrichsberg erhoben wurde.
Es kam nun im letzten Jahre auf der Abteilung von Dr. Nonne wieder
ein Fall von „grande hystörie“ zur Beobachtung, bei dem trotz aller Kautelen
zeitweise das Kniesehnenphänomen nicht auszulösen war, ohne daß der geringste
Hinweis auf eine Erkrankung des Rückenmarkes oder der peripheren Nerven
vorhanden gewesen wäre. Da der Fall längere Zeit in stationärer Beobachtung
und Behandlung war und oft und eingehend untersucht wurde, so muß er als
ein gut beobachteter gelten.
Der jetzt 35jähr. Former H. aas Harburg kam zum ersten Mal am 22./IX. 1906
ins Eppendorfer Krankenhaus.
H. stammt aus gesunder Familie, ist in Hinsicht auf Nervenkrankheiten
nicht belastet, will früher auch stete gesund gewesen sein. Er hat nie mit Blei
zu tun gehabt, hat auch sonst keine Intoxikationen oder Infektionskrankheiten
durchgemacht. Er negiert jede venerische Infektion; hat keinen Abusus spiri-
tuosorum getrieben, hat müßig geraucht. Frau und 3 Kinder sind gesund. H.
ist seit seinem 17. Lebensjahre in einem Eisenwerk als Former beschäftigt. Im
Jahre 1899 fiel in der Nähe seines Arbeitsplatzes ein angeblich 60 Zentner
schwerer Formkasten aus etwa 1 m Höhe herunter und zwar auf eine der Kanten;
er riß im Fall den danebenstehenden H. mit zu Boden; H. fiel in eine Ver¬
tiefung und wurde hierdurch vor dem Zerquetschwerden bewahrt. Die Last
drückte nur auf seine Beine, ohne daß es zu schwererer Verletzung der Weich¬
teile oder Knochen gekommen wäre. So trug er nur eine verhältnismäßig leichte
Quetschung der Oberschenkelmuskulatur davon; wurde aber infolge des Unfalls
bettlägerig, da er nicht gehen konnte. Volle 7 Monate befand er sich in ärzt¬
licher Behandlung; 14 Wochen war er ganz ans Bett gefesselt, dann trat all¬
mählich eine gewisse Besserung ein, doch blieb stets eine leichte Funktionsschwäche
in den Beinen und Knieen zurück.
Inzwischen hat H. mit Unterbrechung gearbeitet; stand jedoch verschiedent¬
lich wieder längere oder kürzere Zeit in ärztlicher Behandlung.
Den wechselnden Verlauf ausführlicher zu verfolgen, ist ohne Interesse. Er¬
wähnt werden muß nur, daß bei einem Aufenthalt im Marienkrankenhause (1908)
laut Krankengeschichte eine funktionelle Störung in beiden Beinen konstatiert
wurde; von der Leistenbeuge bis zu den Zehen herab war die Sensibilität gestört
(Analgesie, nicht ganz sichere Anästhesie) Patellarreflex ist links nur
schwach, rechts nicht auszulösen.
Die erste hiesige Untersuchung ergab: Wohlgenährter Mann mit gesunder
Hautfarbe und stark neuropathisohem Gesichtsausdruck.
Pupillen r.al., rund, auf Lichteinfall und Konvergenz prompt reagierend.
Der Augenhintergrund ist normal, das Gesichtsfeld weder für weiß noch für
Farben eingeschränkt, Sehvermögen normal. Hörfähigkeit ebenfalls normal.
Seitens der Gehiranerven bestehen außer völliger Aufhebung des Ge-
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rucheVermögens und Herabsetzung des Geschmacksvermögens für alle
Qualitäten auf den vorderen 3 /, der Zunge keinerlei Störungen.
Die inneren Organe sind gesund; der Urin ist frei von Eiweiß und Zucker.
Es besteht eine Paraplegie beider Unterextremitäten: beide Beine
liegen schlaff da; die Muskeln sind gut entwickelt, doch fehlt jede
Spur von Tonus.
Bei energischer Aufforderung, Beuge* und Streckbewegungen im Knie aus¬
zuführen, macht er mit Anspannung aller Kraft ganz leichte Bewegungen, die
jedoch bei dem geringsten passiven Widerstande unmöglich werden.
Im Hüftgelenk können die gestreckten Beine spontan etwas gehoben werden.
Es besteht keine Atrophie der Muskulatur oder Druckempfindlichkeit
der Nervenstämme.
Das Verhalten der Muskeln und Nerven ist der elektrischen Beizung
gegenüber absolut normal.
Im Gegensatz zu dieser hochgradigen schlaffen Paraparesis
inferior ist die Möglichkeit zu gehen und zu stehen keineswegs
aufgehoben; nur zeigt der Gang das typische Bild der hysterischen Gehstörung
ohne jede Andeutung von Ataxie.
Die Sensibilität ist für alle Qualitäten von der Leistenbeuge
abwärts bis zu den Zehen im ganzen Gebiete der Unterextremitäten auf¬
gehoben; in allen Gelenken der beiden Beine besteht ausgeprägte Hypotonie.
Während nun bei Prüfung der Sehnenphänomene der Achillessehnenreflex
beiderseits prompt auszulösen war, fehlt auch bei JxNBBASsiK’schem Hand¬
griff der Patellarreflex beiderseits. Babinski, Oppenheim und Strümpell
fehlen; Kremaster- und Bauchdeckenreflex sowie die üblichen Reflexe an den
Armen sind in normaler Stärke vorhanden; der rechte Gaumenreflex, beide Kon-
junktivalreflexe sind stark herabgesetzt, der Plantarreflex ist völlig erloschen.
Eine gut gelungene Röntgen-Photographie der Wirbelsäule, speziell des unteren
Dorsal- und Lendenteils zeigt normale Verhältnisse.
Die Blasen- und Mastdarmfunktionen sind in Ordnung.
Der Zustand des Patienten änderte sich hier nicht wesentlich.
Die oftmals ausgeführten Untersuchungen der Patellarreflexe ergaben:
30./IX. rechts und links vorhanden,
rechts ohne, links mit Jendrassik.
1. /X. Beiderseits unter allen Kautelen bei Schlag auf die
Patellarsehne keine Kontraktion im Quadrioeps.
2. /X. Beiderseits leichte Kontraktion ohne Jendrassik.
5./X. Beiderseits bei allen Kautelen keine Kontraktion.
9./X. Beiderseits schwach positiv.
14./X. Beiderseits fehlend.
19./X. Beiderseits positiv.
21.'X. Beiderseits schwach, aber positiv.
26 /X. Beiderseits schwach, aber nur bei JENDBASSix’schem Handgriff.
H. wurde am 26./X. 1905 auf seinen Wunsch von hier entlassen. Das Be¬
finden war dann nach seiner Angabe wechselnd — meist war er, der „Lähmung“
seiner Beine wegen, arbeitsunfähig. Auch die anderen nervösen Beschwerden
nahmen ganz wesentlich zu.
Am 20./XI. 1906 wurde H. zum zweitenmal hier aufgenommen.
Der Körperbefund hat sich nicht wesentlich geändert: das Geruchs- und
Gesell macksvermögen ist jetzt wohl normal, sonst im Bereich der Hirnnerven
keine Veränderung. Die Untersuchung der inneren Organe ergibt auch jetzt
normale Verhältnisse; der Urin ist auch jetzt frei von Eiweiß und Zucker.
Im Bereich der beiden unteren Extremitäten ist nirgends ein atrophischer
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Muskel zu finden, dabei besteht jetzt eine völlige Paraplegie beider Beine:
die Muskulatur beider Unterextremitäten ist absolut schlaff, ohne die aller*
geringste Andeutung von Tonus.
Elektrisch geprüft sind auch diesmal die Muskeln normal.
Aktive Bewegungen sind nur in ganz beschränktem Maße mit Hilfe des
Ileopsoas möglich, sonst wird spontan überhaupt keine einzige Muskelgruppe
innerviert
Trotzdem kann H. mit Hilfe eines Stockes gehen, auch jetzt trägt
die Gehstörung wieder ausgeprägt hysterischen Charakter. — Ataxie fehlt, ebenso
jeder Hinweis darauf, daß es sich um eine organische Erkrankung des Rücken¬
marks oder der peripheren Nerven handeln könne.
Der Patellarreflex kann rechts eben andeutungsweise ausgelöst
werden, links fehlt er völlig; dabei sind, wie auch das letzte Mal, die
Achillessehnenreflexe beiderseits prompt auszulösen. Im Verhalten der Sensibilität
ist gegen früher ebenfalls keine Veränderung eingetreten: in Form der Ampu¬
tationsgrenze erstreckt sie sich für alle Qualitäten von den Leistenbeugen hzw.
Nates bis zu den Zehenspitzen.
Während des Aufenthaltes gelang es einmal, durch suggestive Beeinflussung
eine spontane Bewegung der Zehen und ganz leichte Beugung im Kniegelenk
zu erzielen; irgend welche dauernde Besserung wurde nicht erreicht
Auch diesmal wechselte das Verhalten der Patellarreflexe.
24./XI. Rechts angedeutet, links Zuckung in den Adduktoren.
26./XI. Das gleiche Verhalten. *
30./XI. Beide Reflexe sind mit Jendrassik auszulösen, nach einer Strychnin¬
injektion (0,0075) sind beide auch ohne Jendrassik vorhanden.
Gegen Ende dieses Aufenthaltes trat noch eine vorübergehende Geistes¬
störung auf, die im wesentlichen in Gesiohts- und Gehörshalluzinationen sich
dokumentierte und von einem Erregungszustand begleitet war: H. glaubte plötz¬
lich seine Frau und einen Wagen zu sehen und zu hören, mit dem er nach
Hause gebracht werden sollte, hörte die ihn zur Eile auffordernden Worte der
Frau und das Peitschenknallen des ungeduldig werdenden Kutschers und geriet
in Wut, daß man ihn zurückhalten wollte, begann plötzlich auf die Arzte und
die ganze Behandlung, die ihm doch nichts helfen könne, zu schimpfen. H. be¬
ruhigte Bich dann in einer kühlen Packung, hatte hinterher keine deutliche Er¬
innerung und keine Einsicht für das Vorgefallene. Die gleichen Erscheinungen
wiederholten sich 2 Tage später in etwas höherem Grade, sodaß EL auf die Ab¬
teilung für Unruhige gebracht werden mußte.
Diese psychische Störung, welche bekanntlich in dieser Form bei Hysterischen
hier und da auftritt und als hysterische Geistesstörung bekannt ist, bildete sich
nach Isolierung und durch völlige Ruhe prompt zurück, um dann nich wieder
auizutreten. Es soll noch besonders hervorgehoben werden, daß die Untersuchung
der Psyche und Intelligenz, abgesehen von einer erhöhten Reizbarkeit, keine Ano¬
malie ergab.
Bei seiner Entlassung war der vorher im Bett ganz paraplegische H. im
Stande, den Weg von Beinern Pavillon bis zur Trambahn vor dem Eingangsportal,
zu dem ein Gesunder etwa 5 Minuten gebraucht, ohne fremde Hilfe mit einem
Stock zurückzulegen.
Bei einer Nachuntersuchung, die ich Mitte Januar 1907 in Harburg vor¬
nahm, fand ich keine Veränderungen gegenüber dem oben geschilderten Körper¬
befund, hingegen gelang es mir nicht, den rechten Patellarreflex — unter
allen Kautelen natürlich — auszulösen, links erhielt ich auch ohne Jen¬
drassik eine deutliche Kontraktion des Quadrioeps.
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Überblickt man den ganzen Kranbheitsverlanf, so kann es nicht zweifelhaft
sein, daß es sich um eine rein funktionelle Erkrankung bei H. handelt Das
schwere psychische Trauma, das H. traf, wurde bei dem offenbar schon vorher
neuropathischen Manne die Ursache zum Ausbruch der Hysterie; der ständige
Kampf um die Bente, vielleicht auch die Sorge um seine Familie taten anch
hier, wie ja so überaus häufig, das ihre, um eine Heilung nicht eintreten
zu lassen.
Wenngleich auch unsererseits zuerst natürlich angenommen wurde, daß,
des Fehlens der Patellarrefiexe wegen, eine Kombination von hysterischer und
organischer Erkrankung vorläge, so mußten wir uns doch nach eingehender Be¬
obachtung des Falles und Kritik des vorhandenen Befundes zu der Annahme
einer ausschließlich funktionellen Störung entschließen.
Daß es sich um einen Hysteriker mit „hysterischen Stigmata“ handelte,
dafür sprach neben der Psyche die Art und Begrenzung der Sensibilitäts¬
störung, die Anosmie und Geschmacksstörung, das Verhalten der Schleim¬
hautreflexe.
Daß die Lähmung und das zeitweise Fehlen der Patellarrefiexe „funktionell“
und nicht „organisch“ bedingt war, dafür sprach erstens der Umstand, daß
sich diese Lähmung durch Suggestion beeinflussen ließ, zweitens das absolut
normale Verhalten der Nerven und Muskeln bei der elektrischen Prüfung,
drittens das voll’ge Fehlen von Atrophien, die doch bei organisoh bedingter
schlaffer Lähmung in den 7 Jahren hätte eintreten müssen; viertens das völlige
Fehlen von Störungen in der Blasen- und Mastdarmfunktion, die doch bei einer
Erkrankung des Rückenmarks in den für das Verschwinden der Patellarrefiexe
wesentlichen Partieen hätte eintreten müssen.
Es sprach schließlich für die funktionelle Grundlage vor allem der sich
aus obigen Daten ergebende Wechsel im Vorhandensein und Fehlen der
Patellarrefiexe. Denn es ist kein Anhaltspunkt dafür gegeben, das zeitweise Fehlen
der Patellarrefiexe auf eine andere Ursache zu beziehen als auf die funktionell
bedingte Hypotonie der Muskeln, welche seinerzeit schon von Nonne als wesent¬
lich hervorgehoben worden ist.
In Betracht käme nur Lues cerebrospinalis, Sarkomatose oder Karzinose
des Rückenmarks und chronisch-urämische Zustände; von allen diesen kann aber
mangels jeglichen für eine von diesen Erkrankungen sprechenden Symptoms
nicht die Rede sein, und man muß entgegen der von Binöwangee aufgestellten
These daran festhalten, daß auch bei der Hysterie und durch Hysterie be¬
dingt in seltenen Fällen vorübergehender Mangel des Kniesehnen¬
phänomens zur Beobachtung gelangen kann.
Wir zweifeln nicht, daß, wenn die allgemeine Aufmerksamkeit hierauf ge¬
lenkt sein wird, weitere Fälle unsere Ansicht bestätigen werden. Daß diese
Fälle eine außerordentliche Seltenheit bilden, erhellt schon aus der Tatsache,
daß Nonne bei seinem gesamten Material bisher nur dreimal in der Lage ge¬
wesen ist, einschlägige Fälle zu beobachten.
Ich glaube, daß auch in diesem Falle wieder genügend auf die Skepsis,
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die man solchen Beobachtungen gegenüber walten lassen muß, hingewiesen
worden ist.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Chef, Herrn
Oberarzt Dr. Nonne, an dieser Stelle für die Anregung und Unterstützung bei
dieser Arbeit meinen besten Dank auszasprechen.
[Aas der Nervenabteilung des Allgem. Krankenhauses Hamburg-Eppendorf.]
(Oberarzt: Dr. M. Nonne.)
3. Ein Fall von Landry’scher Paralyse
kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascendierenden
Rückenmarkstumors Vortäuschend.
Von Dr. L. Jaoob, Assistenzarzt.
(Schluß.)
Nach 7 Wochen hat sich die Sensibilität insofern gebessert, als totale An¬
ästhesie nur noch an der linken unteren Extremität besteht, sonst nur Hypästhesie,
Analgesie und Thermanästhesie (s. Fig. 5).
Fig. 5.
ln den folgenden 7 Wochen macht die Motilität weitere Fortschritte. Patientin
kann allein essen, sich anzieben usw. und auch ohne Unterstützung das Bett ver¬
lassen und eine kleine Strecke gehen. Dabei werden eine Reihe unzweckmäßiger
Bewegungen gemacht (Patientin wippt z. B. jedesmal beim Vorschieben des Beines
mit dem ganzen Körper auf und ab).
Schließlich geht Patientin ganz allein, wenn auch noch mühsam; klagt nur
über Schmerzen in den Beinen. Von den SenBibilitätsstörungen ist nur Hypästhesie
und Analgesie der Extremitäten zurückgeblieben (Fig. 6).
In den nooh folgenden 3 Monaten der Beobachtung macht die Sensibilität
xnnäohst unter der Behandlung mit dem faradischen Pinsel weitere Fortschritte,
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so daß nur noch üypalgesie der oberen Extremitäten! Hypästhesie und Hypalgeeie
der unteren besteht (Fig. 7).
Fig. 6.
Dann* traten aber wieder deutliche Störungen auf, halbseitige Hyp-
ästhesiefund Analgesie der ganzen linken Körperhälfte mit Ausnahme
Fig. 7.
von Hals und Kopf, auch Hypalgesie des Gaumens links (s. Fig. 8). Ge¬
sichtsfeld links eingeschränkt. Kornealreflex links stark herab¬
gesetzt, Rachenreflex fehlt.
Sonst keine Störungen mehr. Nur noch allgemeine Schwäche.
Nach 8monatlicher Behandlung wird Patientin geheilt und arbeitsfähig ent¬
lassen.
Das Wesentliche des Krankheitsbildes ist also folgendes:
Ein 32jährige8 Mädchen, das schon mehrere schwere Krankheiten durch-
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gemacht hat, erkrankt allmählich mit Schmerzen im Röcken und in den Beinen,
Farästhesien im ganzen Körper, besonders in den Beinen, zunehmender Schwäche
zuerst des linken Fußes, dann des linken Beines, des rechten Fußes und rechten
Beines. Während eines vierwöchigen Aufenthaltes im Krankenhause in B. werden
keine nennenswerten objektiven Befunde für ihre Klagen erhoben. Auf einer
Reise, die sie gleich nach der Entlassung unternimmt, bricht sie plötzlich zu¬
sammen und ist seitdem an beiden Beinen völlig gelähmt Bei der darauf
Fig. 8.
folgenden ersten Untersuchung findet sich eine totale schlaffe Lähmung beider
unteren Extremitäten mit fehlenden Patellar- und lebhaften Achillessehnen¬
reflexen, Parese aller Muskelgruppen der beiden oberen Extremitäten mit er¬
haltenen Reflexen, Parese der Rückenmuskulatur und Druckempfindlichkeit der
oberen Lendenwirbel. Bis zur Mitte der Oberschenkel (von den Zehen aufwärts)
besteht totale Anästhesie für alle Empfindungsqualitäten, im Bereich der oberen
Hälfte beider Oberschenkel und der Arme bis zur Schulter (links) und bis zur
Ellenbeuge (rechts) Hypästhesie für alle Qualitäten. Blase und Rectum er¬
scheinen frei (bestehender häufiger Harndrang wird auf ein altes Blasenleiden
zurückgeführt). Die Temperatur ist afrebril. Auffallend ist ein Paket schmerz¬
hafter, vergrößerter Drüsen der rechten Achselhöhle. Die Lungen sind nicht
nachweislich affiziert Auch sonst findet sich ebensowenig ein Anhaltspunkt
für Tuberkulose wie für floride oder abgelaufene Syphilis. Im weiteren Verlauf
der Erkrankung schreitet die Parese der oberen Extremitäten innerhalb 4 Wochen
unter heftigen Schmerzen im Rücken, Gürteischmerzen, Kopfschmerzen, zeit¬
weisem Erbrechen und Schwindelgefühl langsam fort bis zu völliger Paraplegie
aller vier Extremitäten und hochgradiger Parese der Rücken- und Bauchmuskeln.
Es tritt Schwäche der Bauchmuskeln, Herabsetzung der Bauchdeckenrefiexe,
paretischer Nystagmus beim Blick nach der Seite, Doppelsehen, Schwäche der
Nackenmuskeln und Kaumuskeln hinzu. Die anästhetische Zone ist ebenfalls
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nach oben vorgerückt. Es besteht totale Anästhesie für alle Qoalitäten am
ganzen Körper mit Ausnahme eines größeren, unregelmäßig begrenzten Gebietes
an der Rückseite des Rumpfes. Speichelfluß, starke Hyperidrosis, Meteorismus,
völlige Urinretention, Pulsbeschleunigung vervollständigen das Bild. Nachdem
dieser voll ausgebildete Symptomenkomplex eine Reihe von Tagen bestanden,
werden plötzlioh die Patellarreflexe wieder auslösbar gefunden. Nach einiger
Zeit werden auch leichte Bewegungen im rechten Arm bemerkt, und schließlich
bilden sich unter energischer Suggestionstherapie die motorischen Störungen in
umgekehrter Reihenfolge, wie sie aufgetreten waren, langsam wieder zurück.
Auch die Störungen der Sensibilität bilden sich allmählich zurück. Es
tritt dann eine, längere Zeit bleibende, halbseitige Hypästhesie und Analgesie
der ganzen linken Körperhälfte auf. Nach über 9 monatlicher Behandlung wird
Patientin geheilt und arbeitsfähig entlassen.
Die mehrmalige elektrische Untersuchung hatte immer normales Verhalten
der Nerven und Muskeln ergeben. Die Pupillen wurden längere Zeit different
gefunden (rechts weiter als links), reagierten aber stets prompt auf Licht und
Konvergenz.
Diagnostisches: Zunächst mußten zwei Krankheiten differentialdiagnostisch
in Frage kommen: 1. ein aszendierender Tumor des Rückenmarkes, 2. Landby-
sche Paralyse.
Im folgenden will ich zunächst darlegen, welche Symptome für die erstere
Annahme sprechen, welche Erscheinungen nicht mit ihr in Einklang zu bringen
waren, und wie weit sie im Laufe der Beobachtung aufrecht erhalten werden
konnte.
In unserem Falle waren der langsam sich entwickelnden Paraplegie
lange Zeit Gürtelgefühl und häufig exacerbierende, besonders in die Beine aus*
strahlende Schmerzen vorausgegangen, d. h. als Wurzelsymptome zu deutende
Erscheinungen. Die Druckempfindlichkeit der oberen Lenden- und unteren Brust¬
wirbel wies auf einen Prozeß im Bereich des Lendenmarkes hin, und die totale
Paraplegie der unteren Extremitäten mit Aufhebung der Patellarreflexe und
Anästhesie bis zur Mitte der Oberschenkel stimmte gut zu dieser Lokalisation.
Die bestehende Blasenstörung war ungezwungener in diesen Symptomenkomplex
einzureihen, als auf ein über 6 Jahre zurückliegendes Blasenleiden zu beziehen.
Eine wertvolle Stütze gewann die Diagnose in dem Befund an den rechtsseitigen
Achseldrüsen, die geschwollen und schmerzhaft waren. Man konnte daran
denken, daß hier menigomyelitische Prozesse auf luetischer Basis eine Um¬
schnürung des Lendenmarkes und folgende Nekrose im Querschnitt hervorgerufen
hatten, oder eine Thrombosierung von Rückenmarksgefäßen mit sekundärer
Nekrose des versorgten Abschnittes vorlag. Dagegen sprach aber der aszendierende
Charakter der Erseheinungen.
Nach den anamnestischen Angaben hatte sich die Krankheit allmählich aus¬
gebildet, die völlige Paraplegie jedoch war ganz plötzlich aufgetreten; die
Patientin hatte vorher mit Unterstützung noch ziemlich gut gehen können.
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Gerade diese schubweisen Verschlimmerungen sind bei Rückenmarkstumoren nicht
selten (s. v. Leyden 1 ).
Die Ausbreitung des Tumors konnte man sich so vorstellen, daß derselbe
im Bereich des unteren Dorsal- und oberen Lendenmarkes den größten Teil der
hinteren Wurzeln komprimiert und außer Funktion gesetzt hatte, und dann in
das Rückenmark selbst vorgedrungen war und dieses, intramedullar in die Höhe
wachsend, diffus durchsetzt hatte. Oder man mußte annehmen, daß der Tumor,
röhrenförmig das Lendenmark umschließend, die vorderen und biDteren Wurzeln
komprimierte und dadurch die Reiz- und Ausfallserscheinungen hervorrief, ohne
in die Medulla spinalis selbst vorgedrungen zu sein.
Für die Höhenlokalisation der Rückenmarkstumoren kommt bekanntlich be¬
sonders das Verhalten der Sensibilitätsstörung in Betracht Häufig ist eine
hyperalgetische Zone vorhanden, die den vom Tumor direkt gereizten, aber nicht
zerstörten hinteren Wurzeln entspricht Sie liegt höher, als der anästhetische
Bezirk, weil erst dann in einem Gebiet volle Anästhesie eintritt, wenn auch die
höchst gelegenen, für dasselbe in Betracht kommenden Wurzeln zerstört sind,
ln unserem Falle fehlte die hyperalgetische Zone.
Nonne* hat einen sehr lehrreichen, auch für die Beurteilung unseres
Symptomenkomplexes wichtigen Fall beschrieben, bei dem die hyperalgetische
Zone stets fehlte. Dort hatte sich der Tumor rein intramedullar nach oben
ausgedehnt, so daß es nicht zu Reizerscheinungen der Wurzeln kommen konnte.
Ein wichtigeres, in der Folge ausschlaggebendes Symptom fehlte jedoch
völlig im ganzen Krankheitsbilde: eine Änderung der elektrischen Erregbarkeit
der gelähmten Extremitäten und jegliche Andeutung von Atrophie der gelähmten
Muskelgebiete. Diese durfte nicht fehlen, denn man mußte ja bei der Totalität
der motorischen und sensiblen Lähmung als das Wahrscheinlichste annehraen, daß
der Querschnitt in toto und somit auch die graue Substanz ergriffen war.
Im Verlauf der nun folgenden 20 Beobachtungstage änderte sich das Bild
wie oben im einzelnen beschrieben wurde. Die gekennzeichneten Widersprüche
im Symptomenkomplex, zu denen sich noch das auffallende Verhalten der
Sensibilität gesellte, hatten immer mehr Zweifel an der Diagnose Rückenmarks¬
tumor erweckt Diese gewann jedoch plötzlich wieder an Wahrscheinlichkeit, als
die Bulbärsymptome auftraten. Es ist bekannt, daß gerade bei intramedullären
Tumoren des Rückenmarkes Bulbärerscheinungen auftreten und zwar als „Fern-
Symptome“, d. h. Ausfallserscheinungen, denen keine makroskopisch und mikro¬
skopisch nachweisbaren Veränderungen der Medulla oblongata zugrunde liegen.
Ich verweise auf die oben zitierte Arbeit von Nonne, in der ausführlich auf
diese Tatsache eingegangen ist und wo auch die von anderen Autoren
(Sohlbsinoeb, Qppenheim, Sbnatob, Bbüns, Hennebebg u. a.) mitgeteilten
Beobachtungen angeführt sind. Als nun aber in unserem Falle die Bulbiir-
symptome sich allmählich wieder zurückbildeteu, mußte bei dem bekannten,
; v. Lbtdem, Erkrankungen des Röckenmarkes. Nothnagels Handbuch. X.
* Nomhk, Ober einen Fall von intramedullärem ascendierendem Sarkom. Archiv ffir
Psychiatrie. XXXIII. Heft 2.
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304
einen Bäckgang anschließenden, malignen Charakter der intramedullären
Tumoren diese Diagnose endgültig fallen gelassen werden.
Es traten die vom Krankheitsbilde des Tumors abweichenden Symptome
mehr in den Vordergrund und damit die Frage, ob es sich nicht um eine
andere Erkrankung handle, die einen dem hier vorliegenden Symptomenkomplex
gauz ähnlichen hervorruft, nämlich um eine LANDBY’sche Paralyse.
Das Krankheitsbild der LANDRY’schen Paralyse hat im Laufe der Zeit die
verschiedensten Wandlungen durchgemacht Man hat dem von Landry zuerst
gezeichneten einfachen und klaren, freilich nicht erschöpfenden Bilde die mannig¬
fachsten Zöge hinzugefügt und die Theorien über Ätiologie und Wesen der Er¬
krankung waren so verschieden, wie die im ganzen geringfügigen pathologisch¬
anatomischen Befunde. Ich kann hier nicht näher auf diese verschiedenen
Auffassungen und ihre Begründung eingehen, sondern muß auf zwei neuere
Arbeiten von Gorbep 1 und von Hartogh* verweisen (aus der Nomns’schen
Abteilung des hiesigen Krankenhauses), in denen sie zusammengestellt und er¬
örtert sind. Es soll hier nur untersucht werden, ob der vorliegende Fall als
LANDRY’sche Paralyse aufgefaßt werden muß, ob er eine reine Form derselben dar¬
stellt oder mit Symptomen anderer Störungen des Nervensystems kombiniert war.
Gerade die Diskussion des letzten Dezenniums über LANDBY’sche Paralyse
hat gezeigt, daß die Beurteilung des Krankheitsbildes nur erschwert wird, wenn
man seine Grenzen zu weit steckt. Und besonders so lange man noch so weit
von einem Einblick in das Wesen dieser Erkrankung entfernt ist, ist es not¬
wendig, im klinischen Bilde an den Grundzügen festzuhalten und nur diejenigen
Fälle als zugehörig anzuerkennen, die keine diesen widersprechenden Symptome
aufweisen. Landry beschrieb als Gharakteristica der Erkrankung die aufsteigende,
unaufhaltsam vordringende Lähmung mit fehlenden oder geringen Schmerzen,
Fehlen von Störungen des Sensoriums, von Atrophien der Muskeln, von Blasen-
und Mastdarmstörungen und normales Verhalten der elektrischen Erregbarkeit,
negativen Sektionsbefund; andere Autoren fügten hinzu: fast ausnahmsloses
Fehlen der Patellarsehnenreflexe, nur geringe Störungen der Sensibilität, mast
rascher Verlauf und in der Mehrzahl der Fälle tödlicher Ausgang. Außerdem
wurden noch weniger konstante und weniger hervortretende, verschiedenartige
Einzelbefunde erhoben, wie z. B. Störungen der Augenmuskeln, der Sensibilität,
endlich Milzschwellung.
Vergleicht man mit diesem Krankheitsbilde das hier vorliegende, so ergibt
sich folgendes:
Der Beginn der Erkrankung, ihr langsames Fortschreiten nach oben, ihr
Übergang auf Nackenmuskeln und Kaumuskeln, dann der Rückgang in um¬
gekehrter Reihenfolge, entspricht genau dem Verlauf bei in Heilung ausgehender
LANDBY’scher Paralyse. Ebenso stimmt dazu das Fehlen von Atrophien trotz
1 Gokbbl, Über LaNDRT'sche Paralyse. Münchener med. Wochen sehr. 1898. Nr. 82.
* Habtooh, Beitrag zur Ätiologie der LAHDBT'sehen Paralyse. Mitteilaogen aas den
Hamboig. Staatskrankenanstalten. VII. 1899/1900.
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etwa 12 wöchiger Dauer der Lähmung, das Fehlen jeglicher Störung der
elektrischen Erregbarkeit, der fieberlose Verlauf, das Freibleiben des Sensoriums.
Alle hauptsächlichen, für das klinische Bild der LANDBY’schen Paralyse
charakteristischen Symptome waren also vorhanden. Dazu gesellten sich aber
andere Erscheinungen, die nur teilweise mit jener Auffassung der Erkrankung
za vereinigen waren, teilweise ihr aber völlig widersprachen.
Die schon bei der ersten Untersuchung konstatierten leichten Bläsen-
Störungen, die nur in häufigem Harndrang bestanden, verschlimmerten sich
allmählich, bis völlige Hamretention eintrat, die fast 4 Wochen lang auf der
Höhe der Erkrankung bestand, ln der Mehrzahl der Fälle fehlen bei Landby’-
scher Paralyse alle Störungen der Blase und des Bectums. Es liegen aber
mehrere Beobachtungen vor, nach denen auf der Höhe der Erkrankung oder
schon früher sich Blasenstörungen einstellten; so z. B. trat in dem Falle von
Goebel Incontinentia urinae auf, in einem Falle von Habtogh Incontinenz und
dann Urinretention.
Augenmuskelstörungen und Veränderungen der Papillen sind mehrfach
beobachtet (Westphal, Goebel u. &.). Die Lebhaftigkeit der Achillessehnen-
reflexe, die Andeutung von Fußklonus ist ein Symptom, das nicht in das Bild
der LANDBY’schen Paralyse gehört. Die Sehnenreflexe sind bisher nie gesteigert
gefunden worden, sondern waren meist herabgesetzt oder erloschen.
Auffallend ist auch, daß die Sehnenreflexe der oberen Extremitäten stets
prompt auslösbar waren, während die Patellarsehnenreflexe fehlten, aber wieder
aaftraten, nachdem der Höhepunkt der Krankheit überschritten war, während
die Achillessehnenreflexe lebhaft waren und blieben. Plantar- und obere Bauch¬
deckenreflexe waren abgeschwächt, untere Bauchdeckenreflexe, Korneal- und
Bachenreflexe fehlten zeitweise.
Der Diagnose LANDBY’sche Paralyse widersprach aber völlig das Verhalten
der Sensibilität
Zu Beginn und während des ganzen Verlaufes der Krankheit bestanden
Schmerzen. Zuerst traten Gürtelschmerzen auf, lange bevor sich Lähmungs-
erscheinungen geltend machten, dann Schmerzen im Bücken, ausstrahlend in
beide untere Extremitäten, dabei heftige Kopfschmerzen und Parästhesien im
ganzen Körper. Dem Aufsteigen der Lähmung gingen heftige Schmerzen beider
oberen Extremitäten voran. Erst nachdem der Höhepunkt der Krankheit über¬
schritten war, traten auch die Schmerzen zurück, um dann nach einiger Zeit
ganz zu verschwinden, während die Lähmungen noch längere Zeit fortbestanden.
Die totale Anästhesie beider unteren Extremitäten, die schon bei der ersten
Untersuchung konstatiert war, folgte anfangs der aufsteigenden Lähmung. Dann
aber zeigte sie im weiteren Verlauf die verschiedensten Ausbreitungsbezirke, einen
typisch hysterischen Charakter annehmend. Es sind bisher in allen sicheren
Fällen von LANDBY’scher Paralyse keine oder nur geringe Störungen der Sensi¬
bilität festgestellt worden, Parästhesien der gelähmten Glieder und leichte Ver¬
änderungen der Schmerz-, Tast- und Temperaturempfindung. Rumpf hat einen
Fall beschrieben, in dem eine totale Anästhesie der unteren Extremitäten bis
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4 cm oberhalb der Kuiee und darüber eine hypästhetische Zone sich fand, bei
erhaltenen Patellar- und Achillessehuenreflexen, fehlenden Plantar- und ab¬
geschwächten Bauchdecken- und Kremasterreflexen. Die Sensibilitätsstörung
blieb aber auf das angegebene Gebiet beschränkt, während die Lähmung aszen-
dierte und schließlich auch Bulbärersoheinungen hervorrief. Mit dem allmählichen
Rückgang der Lähmung verschwand auch die Sensibilitätsstörung.
Auch die konstanten heftigen Schmerzen gehören nicht zum gewöhnlichen
Bilde der Lande r’schen Paralyse. In einzelnen Fällen (Westphal , 1 Habtoöh , 2
Kahlek und Pick 3 ) verlief die Krankheit unter starken Schmerzen im Rücken,
Nacken und den Extremitäten; in der Mehrzahl aber litten die Kranken nicht
unter spontanen Schmerzen, höchstens traten solche auf bei Bewegungen oder
bei Druck auf die peripheren Nervenstämme.
Ausgang in Heilung ist bei der LANDBv’schen Paralyse mehrfach beobachtet
Von Landby’s eigenen Fällen starben nur zwei. Freilich endete von den später
von anderen Autoren veröffentlichten die Mehrzahl letal, so daß Wbstphad in
seiner zusammenfassenden Arbeit dies als die Regel hinstellte. Die Zahl der
geheilten Fälle, selbst solcher, bei denen schon Bulbärsymptome aufgetreten
waren, ist aber jetzt relativ so groß, daß Ausgang in Heilung nicht mehr eine
sonst gesicherte Diagnose umzustoßen vermag.
Das Verhalten der Sensibilität führt uns dazu, das Krankheitsbild noch
von einer anderen Seite zu betrachten. Die Art der Ausbreitung der Anästhesie
und noch einige andere Symptome deuten auf eine zweifellose hysterische Störung
hin. Und es führt dies zu der Frage: Ist das Gesamtbild unseres Falles auf¬
zufassen als LANDBY’sche Paralyse kombiniert mit Hysterie, oder
als reine Hysterie, die nur das Bild der aufisteigenden, motorischen Lähmung
vortäuschte?
Außer der bereits gekennzeichneten typischen Sensibilitätsstörung sprechen
noch andere wichtige Merkmale des Verlaufes für die Diagnose Hysterie. Die
Druckempfindlichkeit der Lendenwirbel ist wohl als hysterische Rachialgie auf¬
zufassen. Wichtig ist, daß es gelang, durch Suggestion die Lähmung zu be¬
einflussen. Nachdem der Höhepunkt der Krankheit überschritten und Stillstand
der motorischen und sensiblen Lähmung eingetreten war, wurde beobachtet, wie
die Patientin in einem Augenblick, wo sie sich ungesehen glaubte, plötzlich Be¬
wegungen mit dem rechten Arm machte, während bisher dauernd die völlige
schlaffe Lähmung aller Extremitäten weiterbestanden hatte. Es wurde eine
energische suggestive Behandlung eingeleitet und nach 4 Wochen war die Läh¬
mung soweit beseitigt, daß die Patientin allein essen, sich anziehen und das
Bett verlassen konnte. Dabei erlangte sie ihre Bewegungsfähigkeit wieder, dem
Gang der psychischen Beeinflussung entsprechend; das von dieser anfangs aus-
1 Westphal, Über einige Fälle von akuter tödlicher Spinalläbmaog. Archiv f. Psych.
VI. 1886.
* Goebbl, L. c.
* Kahler und Pick, Zur Lehre von der akuten aufsteigenden Paralyse. Archiv Für
Psych. X. 1880.
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geschlossene linke Bein blieb gelähmt, bis auch hier die Suggestionstherapie
einsetzte. Störende, den verlangten willkürlichen Bewegungen entgegengesetzte
Impulse von deutlich hysterischem Charakter beeinträchtigten anfangs die Rück¬
kehr zur normalen Bewegungsfreiheit, und nachdem diese in einem gewissen
Grade wiedererlangt war, traten charakteristische hysterische Störungen des
Ganges auf. Die Sensibilitätsstörungen blieben noch längere Zeit bestehen, nach¬
dem die motorischen Störungen bereits völlig geheilt waren. Dabei zeigten sich
immer deutlicher die psychischen Stigmata der degenerativen Form der Hysterie.
Sind nun alle im Lauf der Erkrankung aufgetretenen Symptome als hyste¬
rische zu erklären, oder zwingen das zeitweise Fehlen der Patellarreflexe, die
Pupillen- und Augenmuskelstörungen zur Annahme einer organischen Erkrankung,
bzw. der LANDBv’schen Paralyse?
Popillenveränderungen und Augenmuskelstörungen sind bei Hysterie in
einer größeren Reihe von Fällen beobachtet (Nonne-Beselin, Welbband und
Sasnobb, Neurologie des Auges, Zusammenstellung); es ist allgemein ihr Vor¬
kommen anerkannt Anders ist es mit dem Fehlen der Patellarreflexe. Bins-
w anqeb 1 schreibt: „Ein Verlost der Sehnenreflexe kommt bei der hysterischen
Lähmung nicht vor. Wir halten diese Feststellung trotz gegenteiliger Angaben
in der Literatur (Nonne, Mabee, Dejebine, Sternbebg u. a.) für völlig ge¬
sichert“ Den Beweis für diese apodiktische Behauptung vermag er aber nicht
zu führen. Denn er versucht nur die nicht einwandfreien Fälle von Dejebine
und von Stebnbebg zu widerlegen; auf die vollkommen klaren und eindeutigen,
gar nicht widerlegbaren Befunde, die Nonne und später Steines (Köln)' er¬
hoben, geht er nicht ein. Nonne hat in dem ersten dieser beiden Fälle, der
das Bild der „grande hystörie“ mit Astasie-Abasie und später mit totaler Para¬
plegie der beiden unteren Extremitäten bot, die Patellarreflexe 8 Wochen lang
nicht auslösbar gefunden. Sie waren dann sofort wieder da, nachdem die hyste¬
rische Paraplegie sich im Verlauf weniger Wochen zurückgebildet hatte, und
fehlten 1 Jahr später bei einer von neuem aufgetretenen hysterischen Paraplegie
wieder kürzere Zeit (10 Tage). Da also zweifellos ein Fehlen der Patellarreflexe
bei Hysterie, wenn auch sehr selten, vorkommt, glaube ich nicht, daß in unserem
Falle auf dieses Symptom allein hin eine Kombination der Hysterie mit einer
organischen Erkrankung angenommen werden muß.
Fasse ich die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung zusammen, so ergibt
sich also: eine schwere, unter den Erscheinungen der akuten aufsteigenden
Lähmung verlaufende Erkrankung zeigt, nachdem sie ihren Höhepunkt über¬
schritten, charakteristische hysterische Symptome, die immer mehr das Bild be¬
herrschen und schließlich den Gedanken nahelegen, ob nicht auch die Erschei¬
nungen der ersten Hälfte der Krankheit schon als hysterische aufznfassen sind,
somit ein Fall von zwar durchaus ungewöhnlich verlaufender Hysterie, aber eben
doch nur von Hysterie vorliegt. Es findet sich im ganzen Krankheitsverlaufe
1 Die Hjsterie. S. 623.
1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXV.
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kein einziges Symptom, das nicht als durch Hysterie bedingt angesehen werden
könnte; allerdings ist ein Befand, das längere Fehlen der Patellarrefleze, wenn
auch in anderen Fällen zweifellos konstatiert, so selten, daß er unbedingt zur
Vorsicht in der Diagnose „reine Hysterie“ mahnt Auffallend nnd besonders za
betonen ist dabei, daß im vorliegenden Falle, ebenso wie in dem von Nonne
beschriebenen, die Patellarrefleze unvermittelt wieder prompt da waren, nachdem
sie kurz vorher nicht mehr ansgelöst werden konnten. Andererseits erscheint
aber die Diagnose „Landet 'sehe Paralyse kombiniert mit Hysterie“ durch¬
aus gerechtfertigt Abgesehen von dem pathologisch-anatomischen Befund, der
bei dem Ausgang in Heilung nicht zu erheben war, fehlte keines der Kardinal.
Symptome der LANDBY’sohen Paralyse. Von dem ursprünglich von Landet
gezeichneten, von Wbstphal schärfer umrissenen Bilde, weicht das vorliegende
nur in einem Punkte wesentlich ab: im Verhalten der Sensibilität, das als
hysterische Störung erklärt war. Alle übrigen, nicht ganz dem typischen Ver¬
lauf der LANDET’schen Paralyse entsprechenden Symptome, die Blasenstörungen,
die Augenmuskelstörungen, die starken Schmerzen, sind auch von anderen Autoren
in einzelnen Fällen beschrieben.
Als Resultat unserer differential-diagnostischen Erwägungen ergibt sich also,
daß die Annahme einer geheilten LANDBT’schen Paralyse kombiniert
mit Hysterie die größte Wahrscheinlichkeit für sioh hat
Herrn Dr. Nonne erlaube ich mir für die Überweisung des Materiales und
die liebenswürdige Förderung der Arbeit auch an dieser Stelle bestens zu danken.
IL Referate.
Anatomie.
1) A study of the brain of the late Major J. W. Powell, by E. A. Spitzka.
(American Anthropologie! V.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Major Powell, ein hervorragender Geologe, Ethnologe, Forsohnngsreisender,
Philosoph und Soldat, war besonders gekennzeichnet durch die Fähigkeit, Ana¬
logien zu sehen und Vergleiche zu ziehen, Beobachtungen und Gedanken mit
einander zu verknüpfen, die für Andere der Beziehungen zu einander entbehrten.
Scharfe Erfassung der Wirklichkeit stand im Gleichgewicht mit klarem abstraktem
Denken. Er besaß einen ausgebildeten musikalischen Sinn, dem eine bedeutende,
wenn auch nicht außergewöhnlich starke Entwicklung der Gebiete, die der Gehörs¬
region benachbart liegen, entsprach. Die bedeutende Fähigkeit, seine Gedanken
zu verknüpfen, zu verallgemeinern und in Worte zu kleiden, muß nach Ansicht
des Verf.’s „ohne Zweifel“ in das hintere Assoziationsfeld Flechsige verlegt
werden, und tatsächlich ist in seinem Gehirn diese Gegend außerordentlich ent¬
wickelt, besonders auf der rechten Seite; Verf. hält sich demnach für berechtigt
zu sagen, daß hier ein somatischer Ausdruck besonderer geistiger Fähigkeiten in
der Gehirnbildung gefunden worden ist. Die genaueren makroskopisch-anatomischen
Einzelheiten eignen sich nioht zum Referat.
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Physiologie.
2) Zur Funktion des Sohl&fenlappena des Großhirns. Eine neue Hörpräfangs-
methode bei Hunden; nigleioh ein Beitrag sor Dressur als physio¬
logischer TJntersuohungsmethode, von Dr. Otto Ealischer. (Sitzungs¬
berichte d. Egl. Akad. d. Wissensch. X. 1907.) Ref.: Paal SchuBter (Berlin).
Aaf Beine schönen Arbeiten über Großhirnexstirpationen bei Papageien hat
Verf. jetzt eine ausgezeichnete Arbeit über die Funktion des Schläfenlappens folgen
lassen, welche — auch wenn sich nicht alle vom Verf. gezogenenen speziell-
physiologischen Folgerungen bewahrheiten sollten — anf allgemein physiologischem
Gebiet höchst befruchtend wirken wird. Denn der Verf. hat eine neue und in¬
geniöse Untersuchungsmethode erdacht, durch welche ee gelingt, die bisher stummen
Versuchstiere zum Reden zu bringen.
Während man bisher hei Erforschung sensibler und sensorischer Vorgänge
beim Tiere darauf angewiesen war, auf Reaktionen seitens des Versuchstieres zu
achten, welche entweder von Zufällen und Nebenumständen mit abhängig waren,
oder welche (ich erinnere an den Munk sehen Tastreflex) an die Unversehrtheit
der Großhirnrinde gebunden waren, kam Verf. auf die Idee, eine jedesmalige
prompte Antwort dadurch vom Tiere zu erzwingen, daß er den zu beantwortenden
Reiz mit dem stärksten Trieb, dem Hunger, auf dem Wege der Dressur ver¬
kuppelte. Verf. dressierte Hunde derart, daß sie ein vorgehaltenes Stück Fleisch
nur beim gleichzeitigen Ertönen eines ganz bestimmten Orgel- oder Klaviertones
erfaßten, während sie nicht nach dem Fleisch griffen, wenn irgend ein anderer
Ton als der „Freßton“ angeschlagen wurde. Diese Dressur gelang ziemlich schnell,
in der Regel innerhalb von etwa 14 Tagen. Interessant ist es, daß das Gros
der Hunde — und nicht etwa nur einzelne — sich in der geschilderten Weise
dressieren ließen. Die Dressur war so perfekt, daß der Hund selbst die kleinsten
musikalischen Intervalle, halbe Töne, unterschied und demnach nicht Zugriff, wenn
der angeschlagene Ton um einen halben Ton höher oder tiefer als der „Freßton“
war. Auch aus den grellsten Dissonanzen, in welohen der „Freßton“ enthalten
war, wurde er prompt erkannt. Hieraus ergab sich zu allererst schon die höchst
merkwürdige Tatsache, daß der Hund im allgemeinen das absolute Tongehör hat,
eine Eigenschaft, die bekanntlich nur sehr wenigen musikalischen Menschen zu¬
kommt. Es muß noch erwähnt werden, daß alle Nebenumstände, welche etwa zu
Täuschungen bei Anstellung der Untersuchungen hätten führen können, sorgfältig
ausgeschaltet wurden, daß also zeitweise bei der Dressur die Sehfunktion aus¬
geschaltet wurde und dergL Um noch sicherer zu gehen, zerstörte Verf. bei
dressierten Hunden die Schnecken. Wenn nur eine Schnecke zerstört war, so
zeigte sich keine Änderung in dem Verhalten des dressierten Tieres; waren jedooh
beide Schnecken zerstört worden, so war die ganze Dressur verschwunden.
Nunmehr schritt Verf. zur Zerstörung des Schläfenlappens. War auch das
Erhaltensein der Dressur nicht auffällig, wenn nur ein Schläfenlappen entfernt
war, so ergab sich weiterhin das höchst auffällige Resultat, daß auch nach Ent¬
fernung beider Schläfenlappen der „Freßton“ noch von anderen Tönen unter¬
schieden wurde, und daß die Tiere schon von der zweiten Woche nach Entfernung
des zweiten Schläfenlappens an wieder das alte Verhalten und die alte Dressur
zeigten. Ja, Verf. war sogar noch imstande Hunde, welchen beide Schläfenlappen
entfernt waren, nach der Operation noch auf einen anderen „Freßton“ umzu¬
dressieren.
Im Gegensatz zu dem Resultat der genannten Prüfungen standen nun bei
den doppelseitig des Schläfenlappens beraubten Tieren die Resultate, welche bei
der Untersuchung mittels der gewöhnlichen Hörprüfungen erhalten wurden. Die
den „Freßton“ noch hörenden Tiere reagierten auf Anruf oder auf gegebene
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Kommandos weder durch Ohrenspitzen, noch durch Kopfbewegungen, noch sonst
irgendwie. Erst nach einiger Zeit traten ganz geringe Reaktionen auf die ge¬
nannten Reize auf.
Den Gegensatz zwischen dem Resultat bei Untersuchung mit den alten
Methoden und dem 'Resultat bei Untersuchung mit seiner neuen Methode erklärt
sich Verf. durch die Annahme, daß beim Hunde schon unterhalb der Großhirn¬
rinde Hörreaktionen zustande kommen. Alle diejenigen Reaktionen, welche an
ein Erwecken der Aufmerksamkeit der Tiere, an eine Verbindung des gehörten
mit dem übrigen funktionellen Großhirninhalt gebunden sind, erfolgen nicht mehr,
wenn die Schläfenlappen entfernt sind. Anders lag die Sache bei den Hörreizen
des Dressurverfahrens. Hier brauohte die Aufmerksamkeit des Tieree nach Verf.
nicht geweckt zu werden, sondern der Hörreiz diente nur zur Hemmung oder
Förderung des schon bestehenden Bewegungsvorganges des Fressens.
Weitere Experimente mit Zerstörung der Vierhügel ergaben, daß der der
Dressur zugrunde liegende Hörvorgang noch unterhalb der Vierhügel stattfindet
Inwieweit das Bewußtsein bei jenen Hörvorgängen eine Rolle spielt, läßt Verf.
dahingestellt.
In einem Anhang zn der Arbeit macht Verf. noch darauf aufmerksam, daß
seine Methode auch zur Feststellung des Kälte- und Wärmegefühles, sowie des
Tastgefühles verwendet werden kann.
3) La neuronophagie, par M. Laignel-Lavastine et Royer Voisin. (Revue
de m6d. 1906. Nr. 11.) Ref.: Eduard Müller (Breslau).
Der gelegentliche Befund, daß kleine runde perivaskuläre Kerne mit dem
Protoplasma der Ganglienzellen in Beziehung zu Btehen und sogar in dasselbe
einzudringen scheinen, hat zu der Vermutung geführt, daß dieser Vorgang der
bekannten Metschnikoffschen Phagocytose durch Leukocyten analog, ist, und
daß die genannten Gebilde als Neuronopbagen (Marinesco) bezeichnet wurden.
Carrier hat jedoch nachgewiesen, daß die um die erkrankten Ganglienzellen ge¬
lagerten Zellen das spezifische Nervengewebe nioht zerstören, sondern nur passiv
die Lücken ausfüllen, die sie bei der Ganglienzellendegeneration finden. Es
kommen nach ihm höchstens ungünstige mechanische Rückwirkungen der peri¬
zellulären Gebilde durch Druck in Frage. Gegen diese Auffassung machen dis
VerfE folgenden Ein wand: Wenn das Protoplasma der Ganglienzellen nur durch
mechanischen Druck verdrängt würde, so müßte es an der Stelle des Druckes
viel dichter und demgemäß Btärker gefärbt sein. Um die genannten Neurono-
phagen herum bilde sich aber immer ein lichter Hof — ein Zeichen von Proto*
plasmaschwund (warum nicht „Druckatrophie“? Ref.).
Die Verff. meinen im Einklang mit anderen Autoren, daß wenigstens einzelne
Zellen eine gewisse zerstörende Wirkung auf die Ganglienzellen haben. Gegen
die Annahme, daß die Neuronophagen echte Phagocyten sind, bestehen allerdings
starke histologische Bedenken. Man hat in den Neuronophagen niemals Zell¬
oder Dendritenreste gesehen, ganz im Gegensatz zu den Befunden Metschnikoffs
(abgesehen von der Verschiedenheit der Größe der Neuronophagen und der eigent¬
lichen Phagocyten). Die Neuronophagen (die Bezeichnung ist eine recht unglück¬
liche) sind teils ektodermale (Gliazellen), teils mesodermale Gebilde. Sie sind
oft schwer voneinander zu unterscheiden. Die Gliazellen spielen nur bei der
Ersatzwucherung eine Rolle; die „Lymphocyten“ können vielleicht eine „Neurono-
lyse“, nicht aber eine eigentliche „Neuronophagie“ verursachen.
Eine echte Neuronophagie gibt es also nicht.
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Pathologie des Nervensystems.
4) Reflexepilepsie nach Sohweiflunputatlon, von Kramell. (Zeitschrift für
Veterinärkunde. 1906. S. 498.) Ref.: Dexler (Prag).
Verf. berichtet über epileptiforme Krämpfe bei einem Hünde, die reflektorisch
von einer schlecht heilenden AmputationBwunde des Schwanzes ausgelöst wurden.
Stieß das Tier damit an oder berührte man die Wunde Unsanft, so traten Zähne¬
knirschen, heftiges Zittern und am Kopf beginnende Muskelzuckungen ein. Dann
fiel der Uund um, zappelte heftig und atmete angestrengt. Die Anfälle dauerten
etwa 5 Minuten und kehrten nach sachgemäßer Behandlung des Schwanzstummels
nicht wieder.
5) Über Beflexepllepsie, von Urbantschitsoh. (Wiener klin. Wochenschrift.
1906. S. 1160.) Ref.: Pilcz (Wien).
Nicht jeder reflektorisch ausgelöste „epileptische Anfall“ ist der „Reflex¬
epilepsie“ beizuzählen. Man muß scharf unterscheiden zwischen echter Epilepsie,
bei der die Anfälle von einer entfernten Körperstelle ausgelöst werden, und
zwischen epileptiformen Anfällen, die durch eine periphere Affektion zur Auslösung
gelangen. Nur Anfälle letzterer Art gehören zur „Reflexepilepsie“, welcher Aus¬
druck überhaupt besser durch die Bezeichnung „reflektorisch-epileptiforme Anfälle“
ersetzt werde. Selbstverständlich gibt es aber auch bei der echten Epilepsie Fälle
mit „epileptogenen Zonen“. Die Unterscheidung ist nicht immer leicht.
Verf. berichtet über folgenden Fall:
30jähriger, nicht belasteter, nicht neuropathischer Patient leidet seit dem
15. Lebensjahre an anscheinend klassischer Epilepsie. Gelegentlich wurde eine
Karies des Felsenbeines mit Cholesteatombildung entdeckt. Nach der Radikal*
Operation zessierten die Anfälle etwa 4 Jahre völlig. Als sich wieder eine Krampf¬
attacke eingestellt hatte, konnte ein Rezidiv der Karies konstatiert werden.
Operation brachte wieder vollständiges Wohlbefinden.
Verf. bemerkt bei der Epikrise dieses Falles, daß gerade das Fehlen irgend¬
welcher belastender Momente oder einer neuropathischen Veranlagung für die
Differentialdiagnose: Epilepsie oder reflektorisch-epileptiforme Krämpfe von Be¬
deutung sei.
Verf. berichtet ferner über einen Fall von Epilepsie, der durch die günstige
Beeinflussung von Laxantien auf das Leiden bemerkenswert erscheint, ferner durch
den Umstand, daß während der Heilnngsdauer einer Armfraktur (etwa 4 Monate)
die Anfälle völlig zessiert • hatten.
Reichliche Literatnrangaben mit epikritischen Bemerkungen machen diesen
auch für den Praktiker, nicht nnr für den Fachkollegen s. str. wichtigen Aufsatz
noch lesenswerter.
Verf. schließt, indem er besonders eindringlich auf die Wichtigkeit genauester
Erhebung des Gesamtstatus somaticus hinweist.
6) Beflexepllepsie bet Ohren* und Nasenerkrankungen , von Dozent Dr.
Hugo Frey und Dozent Dr. Alfred Fuchs. (Arbeiten aus dem neurolog.
Institut an d. Wiener Universität. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
Es ist dankenswert, daß die Autoren ihr in Lissabon erstattetes Referat auch
weiteren Kreisen zugänglich machen; basiert es doch auf einer gründlichen uni¬
versellen Kenntnis der einschlägigen Literatur (92 Einzelbeobachtungen), sowie
3t) eigenen Fällen dieser Art. Der strengen Kritik der Autoren halten nur eine
beschränkte Zahl der Beobachtungen Stand (10 fremde, 4 eigene). Aber diese
gestatten die Annahme, daß bei Kindern und Individuen, deren Gehirn eine
Schädigung erlitten, welche eine Disposition für Epilepsie schafft, oder die an
Epilepsie leiden, Nasen* und Ohrenerkrankungen wie andere peripherische Reize,
vielleicht etwas leichter Anfälle auslösen. Durch entsprechende Behandlung können
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demnach Anfälle sistiert werden (längate Wirksamkeit bisher 4 Jahre). Geheilt
ist die Epilepsie damit nicht
Wichtig ist jedoch in allen Fällen, naohznforschen, ob nicht solche Anfall
auslösende Momente in Nase, Ohr und Rachen vorhanden sind, da sie offenbar
leichter wirken als andere periphere Reize.
7) Bemerkungen zur Ätiologie der Epilepsie, von Redlich. (Wiener med.
Wochenschr. 1906. Nr. 22 u. 23.) Ref.: Pilcz (Wien).
I. 31jährige, nicht belastete Frau, nie Fraisen, Schädeltrauma 0. Im achten
Monate der ersten Schwangerschaft erster Anfall von Krämpfen mit Bewußtlosig¬
keit Während der Geburt kein Anfall. In der Folge seltene Anfälle, dann
häufigere Attacken von Petit mal. Allmählich typisch-epileptische Charakter¬
veränderung.
ü. 40jährige, nicht belastete Frau. Vor 10 Jahren Schwangerschaft, während
derselben Anfälle von Bewußtlosigkeit ohne Konvulsionen; ähnliche leichte An¬
fälle später (meist menstruell). Vor 9 Jahren erster klassischer Anfall, seither
häufig (auch meist menstruell) epileptische Attacken (das Kind aus jener Gravi¬
dität auch epileptisch).
III. 29jährige Frau. Am Schlüsse einer Gravidität erster Anfall, seither
epileptisch.
IV. 30jährige Frau, wieder in der ersten Schwangerschaft erster epileptischer
Anfall; seither häufigere Attacken.
V. 31jährige Frau, 5 Wochen nach der Geburt (3. Schwangerschaft) erster
Anfall; seither häufig; meist menstruell. Charakterveränderung.
In diesen 5 Fällen ließ sich irgend ein anderes ätiologisches, disponierendes
oder auslösendes Moment nicht nachweisen.
VL 39jährige Frau, bis zum 7. Jahre Fraisen, die dann zessierten. Im Be¬
ginne der 4. Schwangerschaft epileptische Anfälle, welche in der Folge immer
schwerer wurden. Wiederholt irrenanstaltsbedürftig.
VII. 41jährige Frau, bis zum 5. Jahre Fraisen, dann frei davon. Während
der Schwangerschaft manchmal leichte „Schwindelanfälle“. Am 9. Tage nach der
Geburt Anfall von Bewußtlosigkeit (ohne konvulsive Elemente). Seither öfters
Anfälle, Charakterveränderung.
Niemals Bah Verf. eine zweifellose Eklampsie nachträglich in Epilepsie über¬
gehen. In der Frage der Indikation des Abortus bei Epilepsie während der
Schwangerschaft steht Verf. durchaus auf dem v. Wagnersohen Standpunkte.
VIII. 33jährige, nicht belastete Frau. Vor Uber 4 1 / a Jahren gravid; damals
auch bandwurmleidend. 4 Monate post partum Bandwurmkur. Einige Tage später
typische Attacke von haut mal (aber vielleicht, wie Patient angibt, schon früher
leichte Schwindelanfälle). Seither nach mehr minder langen Pausen Anfälle, öfters
durch eine Magenindisposition oder den Genuß eines Glases Bier ausgelöst.
IX. 50jährige Frau, seit vielen Jahren an cirkulärem Irresein und neuraler
Muskelatrophie leidend (vom Verf. schon seinerzeit publiziert; Wiener klin. Rund¬
schau. 1900. Nr. 13 u. 14), bekommt, anscheinend spontan, epileptische Anfälle.
3 Jahre nach der ersten Attacke wurde ein Bandwurm bei der Patientin entdeckt
und abgetrieben.
Verf. nennt, gewiss mit Recht, einen Zusammenhang zwischen den beiden
Affektionen recht wenig glaubwürdig, und rangiert diesen Fall zu jenen, wobei
sich bei jahrelang bestehender Geisteskrankheit Epilepsie entwickelt (Näcke,
Redlich u. a.).
X. 62jähriger Mann, Vater mit 60 Jahren an Epilepsie erkrankt, Sohn des
Pat. nach Schädeltrauma epileptisch. Mit 66 Jahren erster Anfall, die in sehr
langen Zwischenräumen sich wiederholten. Einmal nachts, ob Anfall voraus-
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B13
gegangen nicht eroierbar, erwachte Pat. mit eigentümlichen Fremdheitsgefühle;
hatte die Empfindung, als hätte er total das Gedächtnis verloren osw.
XI. Hann, Ende der 60 er, mit 67 Jahren, nachdem konvulsive Anfälle schon
seit Ende der 40er aufgetreten waren, erster „psychischer“ Anfall; wieder, wie
bei Obs. X, Gefühl der Fremdartigkeit, des merkwürdig Veränderten, Un¬
bekannten usw. Ein konvulsiver Anfall vor oder naoh diesem Traumzustande
liefi sich ausschließen.
XII. 30jährige Frau, ätiologisch nichts eruierbar. % Jahr nach der Impfung
enter Anfall, seither Epileptika. Verf. nimmt hier einen Zusammenhang zwischen
Vaccination und Fallsucht nicht an.
Xm 9jähriger Knabe, mit 11 Monaten Zuokungen mit Bewußtlosigkeit.
Seither sehr seltene und ganz leichte Anfälle. 8 Tage naoh der Impfung, im
7. Jahre, schweres Fieber mit 6tat de mal. Seither regelmäßig häufige Anfälle.
Hier kann angenommen werden, daß die Vaccination, bzw. die Infektion bei
derselben eine Verschlimmerung herbeigeführt; freilich — setzt Verf hinzu —
kann auch ohne ein solches Vorkommnis spontan eine gleiche Verschlimmerung
im Verlaufe einer Epilepsie sich einstellen. Ref. möchte in Anbetracht der nie
aussterbenden Impfgegner, diese Bemerkung besonders begrüßen.
Zahlreiche interessante Einzelheiten und epikritische Bemerkungen mögen im
Originale nachgelesen werden.
8) Statistisoher Beitrag nur Ätiologie der Epilepsie, von K. Sieb old. (Psych.-
neur. Wochenschr. 1906. Nr. 16 bis 18.) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. kommt zu folgenden Schlüssen aus seinen Erhebungen:
1. In der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Uohtspringe (Prof. Alt) sind vom
1. April 1899 bis 1. April 1906 913 Epileptiker neu aufgenommen word^; hier¬
von gehören 59,2 % dem männlichen und 40,8 °/ 0 dem weiblichen Geschlecht an.
2. 83 % sämtlicher Epileptiker erkrankten vor dem 20. Jahre. Im ersten
Dezennium ist das männliche, im zweiten dos weibliche Geschlecht mehr beteiligt.
3. Bei einem Viertel des Gesamtmateriales war kein ursächliches Moment
angegeben; von den übrigen lag bei 55,2% erbliche Belastung vor; diese ist
für das männliche Geschlecht verhängnisvoller als für das weibliche und scheint
häufiger im Sinne der gekreuzten Vererbung in Erscheinung zu treten. Belastete
Individuen erkrankten früher an Epilepsie als Unbelastete. Die Belastung von
seiten der Mutter ist häufiger und gefährlicher alB die vom Vater ausgehende.
4. Neuropsychopathische Belastung fand sich bei 34,8%, nur % häufiger
beim männlichen als beim weiblichen Geschlecht (21,8% gegenüber 13,6%).
Konsanguinität der Eltern (bzw. Großeltern) lag in 3% der Fälle vor; die Bluts¬
verwandtschaft in der Ascendenz scheint für den männlichen Nachwuchs gefähr¬
licher zu sein als für den weiblichen.
In 42 % der Epileptiker bestand die gleichartige Erkrankung in der nächsten
Blutsverwandtschaft, und zwar bei Weibern häufiger als bei Männern.
6. Alkoholabusus der Eltern ist in 18,8% der Epileptiker nachgewiesen; in
der männlichen Nachkommenschaft doppelt so häufig wie in der weiblichen.
Alkoholismus der Erzeuger ist als Ursache der Epilepsie ungleich verhängnisvoller
als eigene, erworbene Alkoholvergiftung (18,8% gegenüber 2,9 %).
6. Erworbene Ursachen fanden sich in 30% der Fälle, und zwar fällt hier
den Infektionskrankheiten (16%) große Bedeutung zu; es berechtigt diese Tat¬
sache zu der Hoffnung, daß hier die Serumtherapie Erfolge zeitigen wird. Ein
körperliches Trauma wurde in 10% der Fälle gefunden, und zwar wiederum zu
ungunsten des männlichen Geschlechtes. Dem Alkohol fällt als selbständig Epi¬
lepsie erzeugendem Faktor nur eine unwesentliche Bedeutung zu (2,9% der Ge¬
samtzahl).
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7. Den ersten Anfall auslösende Ursachen wurden gefunden in 27,5°/ 0 sämt¬
licher Epileptiker.
0) I/dpilepsle et la migraine, par Prof. P. Kovalevsky. (Arch. de neurolog.
XXI. 1906. Nr. 125.) Bef.:- S. Stier (Rapperswil).
Verf., der bereits in einer vor 8 Jahren erschienenen Monographie öber die
Migräne für die genetische Verwandtschaft zwischen Epilepsie und Migräne ein-
getreten ist, teilt hier einen Fall seiner Beobachtung mit, der auch außer der
Kombination von Migräne- und Epilepsieattacken Interessantes bietet.
37jährige Patientin, schwer belastet, in der Kindheit Eklampsie; seit dem
8. Lebensjahr typische Migräneanfälle, zunächst etwa 3 bis 4 mal jährlioh sich
wiederholend. Gute Intelligenz; eigentümlicher Charakter. Mit 20 Jahren Heirat.
Keine Kinder. Sexuell sehr erregbar. Vom 30. Jahr an unmotivierte Wutanfälle.
Im 32. Jahr während eines Coitus fühlte sich Patientin plötzlich ganz von blutig-
rotem Licht umgeben; dies etwa 1 Sekunde, dann traten epileptische Krämpfe
ein, darauf Amnesie. Nach 3 Tagen Wiederholung des gleichen Vorganges.
2 Jahre Bpäter neues Phänomen; Migräneanfälle häufiger, endigten stets mit
Vomitus und Schwindel. Im Moment des Schwindelgefübles rote Lichterscheinung
wie früher, dann Konvulsionen mit Bewußtseinsverlust und nachfolgender Amnesie.
Später Lichterscheinungen spontan auftretend, 2 bis 3 Minuten dauernd, endigten
im epileptischen Anfall. In folgenden Jahren Lichterscheinungen bisweilen spontan
und ganz isoliert oder mit nachfolgenden Konvulsionen.
Verf. kommt zu folgenden allgemeinen Schlüssen:
1. In gewissen Fällen können Migräne und Epilepsie kombiniert und für
einander auftreten.
2. Diese Kombination selbst zeigt ihre Gleichartigkeit und nahe Verwandt¬
schaft. f
3. ln gewissen Fällen tritt der epileptische Anfall in engem Zusammenhang
mit dem Sexualakte auf; er kann am Schluß des Coitus an Stelle der Wollust¬
empfindung eintreten.
4. Unvollständige epileptische Anfälle kommen bisweilen allein in Form der
Aura vor, die sonst bei dem betreffenden Patienten den Anfall einleitet.
5. Die bisweilen ganz unmotiviert auftretenden Zorn- und Wutausbrüche der
Epileptiker können epileptische Äquivalente darstellen.
10) On the association of epilepsy with musoular oonditions Atting best
into the oadre of tbe myopathies, by Onuf Onufrowicz. (Journ. of
Nerv, and Ment. Dis. 1906. Januar.) Bef.: M. Bloch (Berlin).
Gelegentlich einer Untersuchung der Cirkulation und der Magenverdauung
bei idiopathischer Epilepsie fand Verf. unter 14 Fällen, die bei oberflächlicher
Prüfung als idiopathische Epilepsie imponiert hatten, bei 6 Patienten auffallende
Störungen von seiten der Muskulatur, die, wenn auch in manchen Punkten ab¬
weichend, doch am besten zu den primären Myopathien gerechnet werden mußten.
Nur in 2 Fällen ließen sich mit Wahrscheinlichkeit hereditäre Momente für die
Auffassung der Störungen in genanntem Sinne feststellen.
Eine Zusammenstellung der aufgefundenen Symptome ergibt folgendes:
1. Flügelförmiges Abstehen der Scapulae, hauptsächlich bedingt durch
Schwäche der Cucullares, möglicherweise auch der Serrati, Bhomboidei und des
Levator anguli scapulae.
2. Atrophien der Supra- und Infraspinati, gelegentlich auch der Deltoidei
und anderer Muskeln des Schultergürtels.
3. Lordose der Lendenwirbelsäule beim Stehen, die beim Sitzen ausge¬
glichen wird.
4. Pes valgus.
5. In 2 Fällen Beteiligung der Gesichtsmuskulatur.
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6. Elektrische Veränderungen, am häufigsten in Form einer Umkehr der
Zuckung8fbrmel, besonders am Deltamuskel.
7. In 2 Fällen fibrilläre Zuckungen.
Grad und Ausdehnung der genannten Störungen wechselten bei den ver¬
schiedenen Patienten. Das Krankheitsbild paßt trotz der 4 mal nachgewiesenen
qualitativen elektrischen Veränderungen und der fibrillären Zuckungen bei zwei
Patienten am besten zum Bilde der primären Myopathien.
Das interessanteste Moment bei den Beobachtungen des Verf.’s ist die Kom¬
plikation mit Epilepsie, und es entsteht die Frage, ob letztere unter diesen Um¬
ständen als idiopathische bezeichnet werden darf; Verf. bejaht die Frage für den
Fall, daß spinale Prozesse auszuschließen sind. Eine weitere Frage ist, ob die
Störungen des muskulären Apparates Folgen der Epilepsie sind. (Ref. hat während
seiner Tätigkeit an der Mendel sehen Poliklinik einen Fall beobachtet, bei dem
sich nach jahrelangem Bestehen einer Dystrophie schwere Anfälle — allerdings
hystero-epileptischen Charakters — entwickelten, deren erster nach Einleitung
einer Hypnose aufgetreten war.) Spratling hat dem Verf. eine Beobachtung
mitgeteilt, die das Auftreten einer Myopathie im Gefolge einer schweren Epilepsie
betrifft.
11) Oertain aspeota of the differential diagnosis between epilepsy and
hyBterla, by Dr. Putnam and Waterman. (Department of Neurology,
Harvard medical School. 1906.) Ref.: Baumann (Breslau).
Die Verff. publizieren eine Anzahl von Fällen, um den Nachweis zu führen,
wie schwer oft eine Differentialdiagnose zwischen Epilepsie und Hysterie ist.
Namentlich bei den Kranken mit Anfällen von Petit mal ist die Differential¬
diagnose oft schwer. Häufig muß dabei die Freudsche Explorationsmethode
bzw. die Hypnose entscheiden. Verschiedene Autoren von namhaftem Ruf be¬
haupten zwar, daß auch epileptische Anfälle durch Hypnose therapeutisch gut
beeinflußt werden könnten. Crocq hingegen leugnet diese Möglichkeit ab und
erklärt die Erfolge damit, daß es sich eben nicht um genuine Epilepsie, sondern
um hysteriforme Erscheinungen gehandelt habe. Wir kennen eben zu wenig die
Physiologie des epileptischen Anfalles in seinen verschiedenen Formen, um im¬
stande zu sein, eine scharfe Unterscheidung zwischen solch einem Anfall im Ver>
lauf einer Hysterie und einem anderen bei genuiner Epilepsie zu treffen. Misch-
formen mag man zulassen in dem Sinne, daß ein und derselbe Patient Epilepsie
und Hysterie zu gleicher Zeit hat, aber man darf keinen eigentlichen Zwischen-
zuatand annehmen: teils Hysterie, teils Epilepsie.
12) Beoherohes mierobiologiques zur l’öpilepsie, par M. Bra. (Arch. de
neurolog. XX. 1905. Nr. 120.) Ref.: S. Stier (Rapperswil).
Verf. hat in einer vor 3 Jahren veröffentlichten Arbeit (vgl. d. Centralblatt.
1903. S. 367) im Blute Epileptischer die von ihm als Neurokokken bezeichneten
Mikroorganismen nachgewiesen und denselben pathogene Bedeutung für den epi¬
leptischen Anfall zugesprochen. Seine Entdeckung ist seither von Besta, Lan-
nois und Lesieur, Ghiliarowsky, Tirelli und Brossa nachgeprüft worden,
fast durchweg mit negativem Resultat. In der vorliegenden Arbeit unterwirft
Verf. diese Nachprüfungen einer eingehenden Kritik. Er sieht die Ursache der
negativen Ergebnisse in Fehlern der Technik und beschreibt seine Untersuchungs-
anordnung, deren Einzelheiten im Original eingesehen werden müssen, in ausführ¬
licher Weise.
13) I. Blutserum der Epileptiker, von C. Ceni. (Riv. sper. di Freniatr. XXXII.)
II. Blutserum der Epileptiker, von C. Besta. (Rif. med. XXII. Nr. 43.)
III. Blutdruck, Puls und Temperatur der Epileptiker, von C. Besta.
(Riv. sperim. di Freniatr. XXXII.) Ref. nach der Revue neurol. 1907. Nr. 3
von Kurt MendeL
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ad 1: Im Blutserum der Epileptiker befinden sich Präzipitine, welche spezifisch
zu sein scheinen. Mit diesem Serum gelingt es allerdings nicht beim Tiere epi-
leptiforme Krämpfe zu erzeugen.
ad II: Bei Epileptikern ist das Fibrinferment des Blutes stark vermindert.
Da dasselbe aber eine starke Wärmemenge besitzt, so vermag diese, da vermindert,
beim Epileptiker nicht den gewöhnlichen besänftigenden Einfluß auf die Nerven*
zellen auszuüben. Die Veränderung des Blutserums bei Epilepsie scheint demnach
dank der Wärmeverminderung die notwendige Bedingung zur Erzeugung der
Krämpfe zu Bein. Es handelt sich aladann um abnorme Reaktionen seitens des
Cortes auf die Wärmeherabsetzung.
ad III: Bei den Epileptikern werden der Blutdruck, Puls und Temperatur
nicht merklich beeinflußt durch die physiologischen Momente (Verdauung, Buhe,
Sohlaf usw.) oder durch die Anfälle, und zwar weder bei der Jacksonsehen oder
traumatischen, noch bei der genuinen Epilepsie. Vor dem Anfall sind merkliche
Änderungen des Blutdruckes nicht zu konstatieren. Die Anfälle können daher
nicht die Funktion haben, eine Anhäufung cirkulierender Toxine zu zerstören
oder zu eliminieren.
14) Untersuchungen Aber Isolyse bei Hysterisohen and Epileptischen,
von C. Tod de. (Arch. di Psichiatria, Neuropatologia, Antropologia criminale.
XXVII. 1906.) Bef: E. Oberndörffer (Berlin).
Die an 6 Hysterischen und 15 Epileptischen ausgeführten Studien ergaben,
daß bei der enteren Krankheit die Hämolyse der Erythrocyten etwas leichter
eintritt als beim Gesunden, und zwar vielleicht im Zusammenhang mit dem Auf¬
treten von Anfällen. Das gleiche Verhalten in noch stärkerem Grade zeigte das
Blut der Epileptiker, doch war hier kein Einfluß der Anfälle nachweisbar. Das
Serum dieser Kranken hatte in 9 von 15 Fällen eine geringe isolytische Wirkung
auf normale Erythrocyten. Diagnostisch kann dieser Befund, wie Verf. selbst
betont, zunächst nicht verwertet werden.
15) Witterungseinflüsse bei Epileptischen, von Dr. G. Lomer. (Archiv für
Psychiatrie. XLL 1906.) Bef: G. Ilberg.
Verf. hat in einer nur wenige Meter über der Seehöhe gelegenen Anstalt
während der Monate Mai, Juni und Juli die epileptischen Krampf- und Sohwindel-
anfälle gezählt und festgestellt, wie sich die Anfälle auf die einzelnen Stunden
des Tages und der Nacht verteilten. Auch hat er die Luftdruckziffern am Aneroid¬
barometer 4 mal in 24 Stunden abgelesen. Mit Vorliebe traten die Anfälle immer
dann auf, wenn ein Steigen oder Fallen des Luftdruckes einsetzte; gerade zu
diesen Zeiten wuchs auch die Zahl der Anfälle.
16) Über Halbseitenersoheinangen bei der genuinen Epilepsie, von Prof Dr.
Emil Redlich in Wien. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.)
Bef.: Heinicke (Großschweidnitz).
Um zur Klärung der Frage beizutragen, ob für alle oder einen Teil der
Fälle sogenannter genuiner Epilepsie eine anatomische Läsion des Gehirns vor-
auszusetzen sei, untersuchte Verf., da anatomisches derartiges Material in ge¬
nügender Zahl und genügend gründlicher Untersuchung nicht leicht beizubringen
ist, klinisch eine große Reihe derartiger Fälle. Er ging dabei von der Erwägung
aus: „Liegt der genuinen Epilepsie wirklich eine anatomische Läsion zugrunde,
dann müssen sich bei derartigen Kranken auch Anzeichen einer cerebralen Läsion
nachweisen lassen.“
Verf. fand seine Vermutungen bestätigt; er nimmt für Fälle genuiner Epi*
lepsie mit ausgesprochenen hemiparetischen Zeichen, mögen sie nun vorwiegend
als Erschöpfungssymptome auftreten oder unabhängig von den Anfällen als
dauernde, intervalläre Erscheinungen sich behaupten, eine anatomische Läsion in
der Nähe der motorischen Hirnrinde der einen oder selbst beider Hemisphären an.
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Bei den negativen Fällen liegt nach Ansicht des Verf.’s die zu supponierende
Hirnläsion nicht in der motorischen Hirnrinde, sondern in anderen Partien des
Gehirns, z. B. in der Sprachgegend da, wo bloß aphasische Störungen sioh zeigen,
in sensorischen Rindenpartien, wo z. B. Hemianopsie vorübergehend zurückbleibt
oder in stummen Gegenden, dies sind solche, deren Läsion uns mit Hilfe unserer
heutigen klinischen Untersuchungsmethoden noch nicht nachweisbar ist.
17) Epileptiforme Krämpfe bei Diabetes mellitus, von Dr. Alfons Stauder.
(Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 35.) Ref: EL Asch.
Bei einer 53jährigen Näherin bestand sehr heftiger Pruritus vaginae, der
auf einen sehr hohen Zuckergehalt des Urins (6,6 °/ 0 ) zurückgeführt werden
konnte. Unter geeigneter Behandlung Besserung des Durstes und Juckreizes und
Verminderung des Zuckers. Aceton und Acetessigsäure fehlten dauernd. Später
heftige Schwindelanfälle mit Stirnkopfschmerz und halbseitigen Krämpfen in Hals-,
Schulter- und Oberarmmuskeln. Während eines beobachteten Anfalles, der drei
Minuten dauerte, stockte die Sprache, war das Bewußtsein erloschen und standen
die Augen starr im linken Augenwinkel. Dabei wurde der linke' Arm plötzlich
rechtwinklig gebeugt, proniert und bis zur Horizontalen erhoben. An dem gleichen
Tag wiederholten sich die Anfälle unter großen Schmerzen noch 5mal, insgesamt
traten innerhalb einer Woche 13 Anfälle auf. Nach 8 Tagen 2,8 °/ 0 Zucker,
ferner Aceton und Acetonessigsäure und minimale Spuren von Eiweiß im Urin.
Eine neurologische Untersuchung ergab ein im großen und ganzen negatives
Resoltat. Unter großen Alkalimengen gingen die Krämpfe zurück. Offenbar
waren dieselben durch starke Vermehrung des Acetongehaltes des Blutes hervor¬
gerufen. Meist sind derartige Fälle prognostisch ungünstig und sind dieselben
wahrscheinlich als beginnendes Koma anzusehen und demgemäß zu behandeln.
18) Hyperohlorhydrle aveo dptlepsie, par A. Robin. (Journ. de mödeoine et
de chir. pratiques. 1906. 10. Nov.) Refer. nach der Revue neurol. 1907.
Nr. 3 von Kurt Mendel.
Verf. beschreibt einen Fall von Epilepsie, welcher durch Hyperohlorbydrie
kompliziert war. Die Behandlung der Dyspepsie hatte eine deutliche Besserung
der Epilepsie zur Folge.
18) Katameniale Epilepsie, von M. Levi-ßianchini. (Arch. di Psiohiatria,
Neuropatolog., Antropolog. crimin. XXVII. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer.
Eine 3ljähr. Frau, welche im Anschluß an eine starke Gemütserschütterung
die Menstruation plötzlich verlor, erkrankte unmittelbar darauf an epileptischen
Anfällen, welche bezüglich des zeitlichen Auftretens und der Dauer genau der
Periode entsprachen. Diese letztere wird also bei der Patientin durch nervöse
Reaktionen substituiert, welche infolge der vorangegangenen psychischen Alteration
einen krankhaften Charakter angenommen haben.
20) Grosseue et puerpöralitö ohez nne öplleptique atteinte de ohoröe an-
eienne, par Dr. Arsimoles. (Arch. de neurologie. XXI. 1906. Nr. 128.)
Ref.: S. Stier (Rapperswil).
Der Fall betrifft eine 35 jährige Primipara, welche, ohne nachweisbare Here¬
dität, von Jugend auf schwachsinnig, im 13. Jahre während der ersten Menstruation
einen typischen epileptischen Anfall erlitt. Bald darnach traten choreiforme Be¬
wegungen auf, die ganz der von P. Blocq gegebenen Definition der Chorea
electrica entsprachen: unwillkürliche, stoßweise auftretende klonische Muskel¬
kontraktionen, von allgemeiner Ausbreitung mit Bevorzugung des Gesichtes, ohne
Rhythmus, in unregelmäßigen Intervallen sich wiederholend.
In etwa 14 tägigen Zwischenräumen folgten weitere epileptische Attacken;
stets 2 bis 3 Tage vor Eintritt derselben Steigerung der choreatischen Zuckungen,
die während 4 bis 5 Tagen nach dem Anfall wieder schwächer waren.
ln der Gravidität trat nun Häufung der Krisen ein ohne sonstige Änderung
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in Ablauf und Form derselben. Während des 2 Tage dauernden, im übrigen
ganz normal verlaufenden Geburtsaktes Aufhören aller Erampfbewegnngen, die —
von seltenen leichten ticartigen Zuckungen im Facialis abgesehen — auch 3 bis
4 Tage nach der Geburt anhielt. Am 5. Tage allmähliches Ansteigen der chorea¬
tischen Agitation, am 6. Tage wieder epileptischer Anfall. Danach laufen Epilepsie
und Chorea wieder genau in der früher beobachteten Weise ab.
Der Fall ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einmal durch die Kom¬
bination von Chorea electrica mit Epilepsie, welch letztere gewissermaßen den
Höhepunkt der motorischen Erregung darstellt. Dann durch das Zusammentreffen
mit Gravidität und Puerperium und dessen mildernden Einfluß auf die chorei¬
formen Bewegungen (im Gegensatz zu den bei der Chorea gravidarum gemachten
Erfahrungen).
Verf. erklärt diese günstige Einwirkung dadurch, daß die ständige Über¬
erregbarkeit der motorischen Centren durch die physiologischen Krampfbewegungen
in der Genital- und Abdominalmuskulatur eine vorübergehende Ableitung erfährt.
21) Oeburtsstörungen und Epilepsie, von Vollend. (Allg. Zeitschr. f. Psych.
LXI1I.) Ref.: Zingerle (Graz).
Zur Untersuchung der Frage, ob Störungen im normalen Geburtsverlaufe
einen prädisponierenden Faktor für die Entstehung der Epilepsie bilden, hat
Verf. 1600 Fälle der Anstalt für Epileptische in Bethel einer Bearbeitung unter¬
zogen und ist dabei zu folgenden Resultaten gekommen: Im Vergleiche zu der
großen Häufigkeit der Epilepsie spielen bei der Ätiologie derselben die Geburts¬
störungen nur eine untergeordnete Rolle. Aber in einer kleinen Anzahl von
Fällen sind die Geburtsstörungen als vorbereitende Ursache für die spätere Epi¬
lepsie anzuschuldigen. Durch die traumatischen Schädigungen des Kopfes während
der Geburt kann der Boden für den gesteigerten ErregbarkeitszuBtand des Ge*
hirnes geschaffen werden, der sich in Form des epileptischen Leidens äußert. Die
Entwickelung kann sich in der ersten Kindheit normal vollziehen, bis plötzlich
mit oder ohne Gelegenheitsursache der epileptische Anfall sich einstellt. Besonders
disponierend hierfür sind die Zeiten, in denen sich physiologische Umwälzungen
im Organismus vollziehen, namentlich die Zeit der Dentition und Pubertät, und
ist in diesen in Hinsicht auf die Prophylaxe der Epilepsie eine besondere hygie¬
nische Überwachung des Kindes erforderlich.
22) Note sur les rövea öplleptiquea, par Ch. F6rö. (Revue de m6d. 1905.
S. 670.) Ref.: Eduard Müller (Breslau).
Der Schlaf der Epileptiker wird häufig durch schreckhafte Träume gestört.
Außerdem gehen den nächtlichen Anfällen nicht selten stereotype Träume voran.
Einem Kranken des Verf.'s träumte z. B. vor jedem Anfall, daß er in einen Ab¬
grund stürzt; beim Erwachen bemerkte er Zungenbiß und Bettnässen, hatte aber
Amnesie, von dem Traum abgesehen. Angstträume können epileptische Äquiva¬
lente darstellen. Eine sichere Entscheidung darüber ist aber schwierig, weil sie
sich in derselben Weise auch bei hysterischen, neurasthenischen Zuständen finden
können. Manchmal verbinden sich die epileptischen Träume mit Schwindel und
Zeichen postparoxysmaler Erschöpfung.
23) Crises de petlt mal epileptique aveo aura paramnösique. Illusion de
fausse reoonnaissanoe, par J. Säglas. (Revue neurologique. 1907. Nr. 1.)
Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Mitteilung eines Falles, in dem es zu anfallsweisem Auftreten identifizierender
Erinnerungsfälschung kam; diese Anfälle sollen unvermittelt zu kommen pflegen,
und zwar besonders in ermüdetem, hypnagogem und schlaftrunkenem Zustande,
nach Emotionen, auch bei brüskem Innehalten nach schnellem Gehen. Meist sind
diese Anfälle von Paramnesie Vorläufer einer Absence vom Typus der epilep¬
tischen, mit nachfolgender Amnesie (zweimal waren die Anfälle auch begleitet
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von Zusammenstürzen und schwerer Bewußtseinstrübung). Keine hysterischen
Stigmen. Konvulsionen in der Kindheit. Zeichen allgemeiner minderwertiger
Veranlagung. Verf. steht nicht an, die Anfälle als epileptische und speziell die
Episoden identifizierender ErinnerungBfälschung als Äuraerscheinung zu deuten
und bringt seinen Kasus in eine gewisse Parallele mit einem von Hughlings
Jackson. (Bef erinnert auch an die einschlägige Mitteilung von Pick. Ein
weiterer derartiger — nicht publizierter — Fall wurde übrigens von Pilcz im
Ambulatorium der I. psychiatrischen Klinik in Wien beobachtet.)
24) Beitrag nur Symptomatologie des Petit mal, von Bresler. (Psychiatr.-
neurolog. Wochenschr. 1906. Nr. 21.) Bef.: Kurt Mendel.
Patientin, 33 Jahre alt, stammt von trunksüchtiger Mutter mit ebensolchen
Großeltern mütterlicherseits. Von Kindheit an Krämpfe, allgemeiner Tremor,
Ataxie und Schwachsinn. Schon in früheren Jahren hochgradige Häufung der
Absencen, einmal wurden ihrer 1000 an einem Tage und 270 in der darauf«
folgenden Nacht gezählt, an den nächsten Tagen 800, 800 und 500. Dauer
10 Sekunden bis 1 / 2 Minute. Zeitweise auch vollentwickelte epileptische Anfälle.
Bei diesen Absencen Zuckungen und Schüttelbewegungen der Arme und Beine
und Wendung der Bulbi nach links oben; ruft man die Patientin an, so vermag
sie während der Zuckungen sofort den Fragenden anzublicken. Bei intensiveren
Anfällen leichte Gesichtsrötung, Pupillenerweiterung und Pulsbeschleunigung. Auf*
gefordert zu zählen, erfährt Patientin bei 11 eine Absence, zählt noch „12“,
trotz Anrufen mit „weiter“ aber hört sie etwa 2 Sekunden auf und fährt dann
mit „11, 12“ einsetzend richtig fort. Elin zweites Mal gelingt es unter Anrufen
mit „weiter“, daß sie während des Anfalles von 15 bis 18 weiterzählt. Im Her*
sagen des Vaterunser wird Patientin durch den Anfall nicht unterbrochen, ebenso¬
wenig im Zeichnen von Grundstrichen auf das Papier, das sie im Anfall weiter
fortführt. Das Ticken der während des Anfalles an das Ohr gehaltenen Taschen¬
uhr nimmt sie während des Anfalles nicht wahr. Dagegen dreht sie sich noch
innerhalb der Absence um, als hinter ihren Kopfe an einen Lampenschirm ge¬
klopft wird.
Durch diese Untersuchungsresultate dürfte wohl erwiesen sein, daß Absencen
eine Handlung, wenigstens eine einfache mechanische, nicht notwendig unter¬
brechen müssen, ebensowenig eine Wahrnehmung.
26) ▲ oase of somnolentia (sleep drunkeness), by Dr. Taylor. (Department
ofNeurology, Harvard Med. School. 1906.) Bef.: Baumann (Breslau).
Der beschriebene Patient verließ eines Nachts, getrieben von einem unwider¬
stehlichen Impulse, sein Bett, ging zum Fenster und kletterte an der Dachrinne
herab. Unten angekommen, begriff er sofort seine Situation und wunderte sich,
wie er heruntergekommen sei. Alle Einzelheiten vermochte er jedoch gut zu er¬
zählen. Derartige Vorkommnisse ereigneten sich bei dem Pat. öfter. Interessant
ist dabei der zweckmäßige Charakter aller Handlungen unter dem Einfluß von
Furoht. Verf stellt die Diagnose auf „Sleep-drunkeness or somnolentia“. Ähn¬
liche Zustände sind die Nachtfurcht der Kinder, die hysterischen Zustände mit
Verdoppelung des Bewußtseins. Manohe Autoren haben derartige Vorkommnisse
als epileptisches Äquivalent bzw. als Zwischenstufe von Somnambulismus und
hysterischen Zuständen aufgefaßt.
26) Weitere Beiträge zur Poriomanie, von Docent Julius Donath. (Archiv
f. Psych. u. Nervenkrankh. XLII. 1907.) Bef.: Heinicke (Großschweidnitz).
Verf. macht uns mit drei Krankengeschichten vertraut, in denen uns jedes¬
mal als besonders auffälliges Symptom Poriomanie entgegentritt.
Dieselbe ist im ersten Fall als Teilerscheinung einer durch ein schweres
Kopftrauma erzeugten Epilepsie aufzufassen. Der zweite Kranke ist wohl auch
Epileptiker; er hat zwar nie Krämpfe gehabt, aber nach vorausgegangenem Kopf-
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schmerz und Saasen führte er eine 3 tägige Wanderung ans, bezüglich welcher
eine vollständige Amnesie bestand, nnd dieselben Erscheinungen wiederholten sich
auch noch einmal.
Im dritten Fall ist der Wandertrieb nicht auf eine epileptische Grundlage
zurüokzuführen; die Eirinnerung an die Wanderung mit ihren kleinsten Details
erscheint vollständig lückenlos; die Poriomanie ist hier bedingt durch einen
psychasthenischen Zustand, der sich nach Ansicht des Verf.’s auf degenerativer
Basis entwickelt hat.
27) Über den Bewußtseinszustand während der Fugnee, von Woltär. (Jahr¬
bücher f. Psych. u. Neur. XXVII. 1906.) Ref.: Pilcz (Wien).
Am 20. Februar 1905 wurde ein 25jähriger, wegen Brandstiftung gerichtlieh
belangter, auf Grund eines gerichtsärztlichen Gutachtens aber exkulpierter Patient
der Klinik übergeben. Bei Aufnahme gab derselbe korrekte sinngemäße anam¬
nestische Angaben, bot somatischerseits nichts Abnormes, speziell keine Stigmen.
Er erzählt, daß er bis 13./I. d. J. bei der Bahn gearbeitet habe; in der letzten
Zeit gefiel ihm der Dienst nicht, er habe auch Streit mit der Schwester gehabt,
ging davon, verdiente sich seinen Unterhalt als Hilfsarbeiter bei Kutschern; einmal
ward er von einem Bauer', den er um ein Nachtlager angegangen hatte, ab¬
gewiesen, was ihn so auf brachte, daß er einen Strohschober anzündete. Er stellte
sich selbst der Polizei.
Am 3. Tage des Spitalsaufenthaltes Besuoh seitens der Schwester. Pat. wollte
davon nichts wissen, er sage sich von seiner Schwester los nsw. An den Vater
schrieb er einen Brief, in dem er wegen der Brandlegung um Verzeihung bat.
Am 27./II. 1905 wieder Besuoh der Schwester, vom Pat. freundlich empfangen.
Befragt, warum er das erstemal so abweisend war, erklärt er, nichts davon zu
wissen, die Schwester sei doch zum erstenmal hier. Am näehsten Tage stellte
sioh nun heraus, daß der Kranke vollkommen amnestisch war für sämtliche Vor¬
gänge von der Entfernung aus dem schwesterlichen Hause an biB zur Einlieferung;
für die Vorgänge während des Spitalsaufenthaltes nur höchst summarische Er¬
innerung, wußte auch nicht, wie und warum er zur Polizei gekommen sei; den
Brief an seinen Vater agnoszierte er als von seiner Hand geschrieben, aber konnte
sich nicht erklären, was für einen „Unsinn“ er da geschrieben.
In der Hypnose stellte sich volle Erinnerung wieder her und blieb nun auch
(posthypnotisch) dauernd erhalten. Anamnestisch ergab sich noch, daß Pat. auch
schon 1904 einen ähnlichen Dämmerzustand mit Fugue durchgemacht hatte.
Der Fall ist nicht nur höchst bemerkenswert ob der ungewöhnlich langen
Dauer des Dämmerzustandes (13. Januar bis 28. Februar), sondern vor allem
wegen des Umstandes, daß während der Psychose (oder wenigstens während des
größten Zeitabschnittes derselben) so wenig Auffälligkeiten an dem Patienten sich
bemerkbar machten, daß die Gerichtsärzte die Fugue für abgelaufen hielten, daß
andererseits Untersuchungsrichter und Kerkermeister den Mann als geistig voll¬
kommen normal betrachteten.
Die vorliegende Publikation, die schon an sich als Kasuistik ein hohes Inter-
esse gewiß beanspruchen darf, gewinnt noch mehr Wert durch die ungemein
feinsinnige psychologische Analyse des Falles, auf die im Rahmen eines Referates
nicht weiter eingegangen werden kann.
Gewiß wird man Verf. auch in der Auffassung des Falles als einer hysteri¬
schen (und nicht epileptischen) Fugue vollständig beipflichten.
28) Intelllgensprüfungen bei epileptischem Schwachsinn, von Dr. Erioh
Noack. (Inaug.-Dissert. 1905.) Ref.: Bratz (Wuhlgarten).
Verf. hat auf Anregung von Ziehen in seiner Dissertation bei 10 Epilep¬
tikern Intelligenzprüfungen angestellt. Dieselben sind nach dem von Seiffer im
Archiv für Psychiatrie XL beschriebenen Schema ausgeführt. Die Untersuchungen
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verdienen durch ihre sorgfältigen Ausführungen wie durch ihre knappe, aber
exakte Darstellung unser Interesse. Folgerungen lassen sich, wie auch Verf.
hervorhebt, aus einem kleinen Materiale nicht in jeder Richtung ziehen. Verf.
deutet als seine Meinung an, daß der Intelligenzausfall bei Epileptischen, die
schon während des Schulunterrichtes erkranken, relativ geringer sein wird, weil
hier der Schulunterricht immer wieder die Lücken ausfülle, welche die Krankheit
hervorbringt. Die Richtigkeit dieser Meinung möchte ich bezweifeln, da der
Unterricht doch nur Material an Sohulkenntnissen wieder ausfüllen kann. Alle
Fnnktionen des Intelligenzlebens, wie Gedächtnis, Assoziation usw. aber werden
durch die Epilepsie im sohulpfliohtigen Alter um so schwerer geschädigt, als nicht
nur Lücken gerissen, sondern auch die Entwicklung gehemmt wird.
Aus dem Fall eines seit. 12 Jahren epileptischen Akademikers ersieht Verf.,
daß eine gute Intelligenz durch zahlreiche Attacken in langen Jahren zwar auch
geschädigt wird, daß aber diese Schädigungen nicht den Erwartungen entsprechend
groß sind.
Wenn Verf. zusammenfassend nur die Defekte berücksichtigt, die bei mehr
als der Hälfte seiner Kranken sich finden, so ergeben sich folgende bemerkens¬
werte Resultate: Fehler bei der Prüfung der Ideenassoziation &2mal, der Er¬
innerung für jüngstvergangene Empfindungen und Empfindungskomplexe 20mal,
der einfachen konkreten Erinnerungsbilder 15 mal, der Aufmerksamkeit 7 mal und
der zusammengesetzten und abstrakten Vorstellungen 6 mal.
28) Mar Symptomatologie des epileptischen Irreseins, insbesondere über
die Bestehungen zwischen Aphasie and Perseveration, von Dr. Raecke.
(Archiv f. Psycb. u. Nervenkr. XLI. 1906.) Ref.: Hei nicke (Großschweidnitz).
Verf. kommt an der Hand von vier Krankengeschichten epileptischer Patienten
zu dem Resultat, daß bei dem epileptischen Irresein Aphasie und Perseveration
keineswegs in engem ursächlichem Verhältnis zueinander stehen, und daß man
nicht aus dem Nachweis des einen auf das Vorhandensein des anderen mit Sicher¬
heit schließen dürfe.
Die amnestische Aphasie kommt zweifellos sehr häufig beim epileptischen
Irresein vor; doch genügt ihr Nachweis nicht, um dasselbe zu diagnostizieren;
man muß noch nach anderen epileptischen Symptomen fahnden.
Erwähnenswert aus den Krankengeschichten sind folgende somatische Einzel¬
heiten: In einem Falle waren die Pupillen während der postparoxysmalen Ver¬
wirrtheit different und träge, um später zur Norm zurückzukehren; in einem
anderen Falle ließ sich Lichtstarre bis zu 3 Tagen konstatieren; ferner war zwei¬
mal der Babinskische Reflex vorhanden, eine Erscheinung, die naeh epileptischen
Krämpfen nicht selten ist, und die praktische Wichtigkeit besitzt.
30) Epileptiker als Autofahrer, von Dr. Franz Thalwitzer. (Münchener
med. Wocbensebr. 1906. Nr. 37.) Bei: E. Asch.
Kurze Mitteilung von 2 Fällen, in welchen der Automobilunfall offenbar
darauf zurückgeführt werden konnte, daß der Wagenführer Epileptiker war. Es
erscheint nach diesen Erfahrungen notwendig, auf gesetzlichem Wege derartigen
Kranken das Steuern von Kraftfahrzeugen zu verbieten.
31) Epilaptlsoher Mörder, von E. Audenino. (Arch. di Psichiatria, Neuro-
patologia, Antropol. criminale etc. XXVII. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer.
Ein 26jähriger Mann, der von einem Trinker abstammt und verschiedene
schwere Krankheiten, sowie eine Kopfverletzung durchgemacht hat, erschießt aus
Eifersucht seine Geliebte und verwundet sich selbst sehr schwer. Die klinische
Untersuchung und Beobachtung zeigt neben verschiedenen körperlichen Degene¬
rationszeichen einen hochgradigen Schwachsinn und es ergibt sich, daß der Mörder
seit der Kindheit an epileptischen Anfällen und psychischen Äquivalenten von
■olehen (Halluzinationen, Erregungszustände) gelitten hat; auch im Moment der
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Tat war das Bewußtsein getrübt und nachher fehlte jede Erinnerung. Der Täter
wurde freigesprochen.
32) Merkwürdige Anomalie bei einem epileptischen Mörder, von M.U.Masini.
(Arch. di Psich., Neuropatol., Antropolog. criminale. etc. XXVII. 1906.) Bef.:
E. Oberndörffer (Berlin).
Bei einem schwer belasteten Epileptiker, der in einem Erregungszustand einen
Kord begangen hatte, fand sich eine abnorme Beweglichkeit der Finger und der
Zehen in ihren Grundgelenken; sie konnten fast bis zum rechten Winkel über¬
streckt werden. Außer einer besonderen Sohlaffheit des Bandapparates glaubt
Verf. auch eine vollständige Verknöcherung der Epiphysen der Phalangen als
Ursache annehmen zu müssen.
33) Die Behandlung der Bpilepsie, von Prof. Bedlich. (Deutsche med.
Wochenschr. 1906. Nr. 87.) Bef.: B. Pfeiffer.
Bedlichs Vortrag gibt einen guten und erschöpfenden Überblick über unser
therapeutisches Büstzeug gegen die Epilepsie. Die Anzeigen zur Anwendung der
einzelnen Kurmittel hätten stellenweise noch schärfer präzisiert werden können.
Der Nutzen einer möglichst salz- und gewürzarmen Diät erscheint dem Befer,
fragwürdig, zum mindesten erscheinen die Vorschriften von Toulouse und
Bichet ungenügend fundiert. Strümpells Standpunkt in der Bromfrage wird
von Bedlich bekämpft, mit Becht, doch gebührt Strümpell das Verdienst,
gegen die kritiklose Anwendung von Brom ad infinitum Front gemacht zu haben.
Wichtiger als Brom ist nach des Bef. Ansicht eine sorgfältige Begelung der ge¬
samten Lebensweise und Tätigkeit, die um so größeren Erfolg verspricht, je früher
sie zur Anwendung kommt. Die Disziplinierung der Patienten kann, wie auoh
Verf. betont, zweckmäßig in Sanatorien erfolgen. Über den Nutzen operativer
Behandlung spricht sich Verf. mit berechtigter Beserve aus: die Trepanation hat
spärliche Indikationen, die Sympathektomie ist ganz zu verwerfen.
34) Über einige neuere Methoden der Epilepsiebehandlung, von A. Eulen-
bürg. (Therapie d. Gegenwart. 1906. H. 11) Bef.: Max Jaooby (Mannheim).
Gute Erfolge hat die von Bälint angegebene Bromopankur erzielt; sie hängt
mit dem von Toulouse und Biohet proklamierten Prinzip der kochsalzarmen
Diät und der Chlorverdrängung durch das ihm substituierte Brom eng zusammen.
B&lint verabfolgt den Epileptikern bromhaltiges Brot „Bromopan“; dasselbe ent¬
hält auf 100 g 1 g NaBr; das zu seiner Herstellung verwandte Mehl heißt Bromo-
farina. Dieses Brot bildet den Hauptbestandteil der Epileptikerkost, so daß die
Behandlung eine gemischte, medikamentös-diätetische ist. Es werden dabei täglich
3 bis 4 g NaBr dem Körper zugeführt. Bromopan eignet Bich besonders für
frischere und leichtere Fälle. Sehr zufrieden war Verf. mit Bromipin, das in 10 °/ 0 iger
und 83 1 / s °/ 0 iger Flüssigkeit hergestellt wird. Neuerdings kommt es in Tabletten
in den Handel (eine Tabletteenthält 1,2 g des 33 1 /,°/ 0 igen Bromipins). Es bewirkt
keine Verdauungsstörungen, noch Akne. Die Ausscheidung erfolgt sehr langsam.
Es dürfen nicht zu geringe Dosen angewandt werden, durchschnittlich 3 bis
4 Eßlöffel des 10°/ o igen Präparates, bei Kindern 2 bis 4 Theelöffel; bei rektaler
Anwendung 15 bis 40 g des 33 1 / 2 °/o*F en Präparates vor dem Schlafengehen in 4 bis
5 tägigen Intervallen. Seit 4 x / 2 Jahren wendet Verf. das Cerebrin, innerlich und
subkutan, an. Es ist ein nicht ganz unwirksames und beachtenswertes Hilfsmittel,
besonders wenn die Brombehandlung im Stich läßt. Man verordnet es innerlich
in Tabletten von 0,3 täglich 3 bis 4 bis 6 Stück oder subkutan als Cerebrinutn
Poehl pro injectione subcutanea — eine 2°/ 0 ige sterilisierte, in Glasfläschchen
eingeschmolzene Lösung.
35) The diet in epilepsy, by A. J. Bosanoff. (Journ. of Nerv. and. Ment Dis.
1905. Dezember.) Bef.: M. Bloch (Berlin).
Verf. hat 11 Fälle von genuiner Epilepsie bei Bettruhe und Enthaltung von
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Medikamenten jedesmal eine längere Zeit hindurch nach fünf verschiedenen Diät¬
formen ernährt (gewöhnliche gemischte Kost, vegetarische Diät, Diät mit un¬
genügender Eiweißmenge, gemischte Diät mit überreicher Eiweißmenge und Dia¬
betikerdiät). Die aus der Zahl der Anfälle und dem sonstigen Verhalten der
Patienten zu ziehenden Schlüsse sind folgende: Gemischte und vegetarische Diät,
soweit sie die gleichen Mengen Eiweiß, Kohlehydrate und Fett enthalten, lassen
Unterschiede in ihrer Wirkung auf die Kranken nicht erkennen. Steigt oder
sinkt die Menge der eingeführten Eiweißstoffe über oder unter das normale
Minimum, so tritt eine Verschlimmerung ein; hochgradig wird letztere, sobald bei
starker Steigerung der Eiweißzufuhr die Zufuhr von Kohlehydraten sehr gering
ist, wie bei der Diahetikerdiät. Die praktische Schlußforderung aus den Ver¬
suchen ist dahin zu präzisieren, daß der Epileptiker soviel Kohlehydrate und
Fett erhalten soll, als er ohne Schwierigkeit assimilieren kann, und weiter das
Minimum von Proteiden, das mit dem Sticksoffgleichgewicht verträglich ist.
36) Le trattement ddohlorurd de l’öpilepsle, 4 propos de 37 oas, par
A. Gordon. (New York med. Journ. 1906. Nr. 1465.) Ref. nach der
Revue neur. 1907. Nr. 3 von Kurt Mendel.
Von 26 erwachsenen Epileptikern zeigte sich bei 20 eine deutliche Besserung
des Leidens mit der salzlosen Diätbehandlung, bei den Sündern waren die Erfolge
weniger günstig.
37) XTouvelles recherohes sur le traitement de l’epilepsie par la bromu-
ratlon aveo ou saus döohloruration, par Jules Voisin, Roger Voisin
etA.Rendu. (Arch.de neur.XXII. 1906.Nr. 129.) Ref.: S.Stier(Rapperswil).
Die Verff. gaben 12 erwachsenen Epileptikern zunächst 10 Tage lang 4 g
Bromkali bei gewöhnlicher Diät, dann 10 Tage 10 g bei der gleichen Diät, daranf
10 Tage kein Brom und chlorfreie Diät. Dies Regime wurde in fünf aufeinander
folgenden Perioden fortgesetzt. Die in übersichtlicher Tabelle zusammengestellten
Resultate (die eine Verminderung der Anfälle um 70°/ o ergaben) führten sie zu
folgenden Schlüssen:
1. In Fällen von genuiner Epilepsie mit häufigen Anfällen gibt die Dar¬
reichung von Brom in steigender Dosis und darauffolgender Entziehung von Brom
bei chlorfreier Diät sehr gute Resultate.
2. In den kurzen Perioden der Dechlorisation ruht der Organismus aus, ohne
daß dabei die Störungen ausgelöst werden, die man sonst bei plötzlicher Brom¬
entziehung erfährt. Eine Bromanhäufung im Körper wird dabei vermieden.
3. Andauernde chlorfreie Diät mit geringen Bromgaben ist nicht zu empfehlen.
Steigerung der Bromdosis bei gewöhnlicher Diät gibt die gleichen Resultate.
4. Dagegen empfiehlt es Bich, abwechselnd kurze Perioden von gewöhnlicher
und chlorfreier Diät einander folgen zu lassen, etwa in der von den Verff. er¬
probten Reihenfolge. Diese bei Erwachsenen erprobten Dosen eignen sich eben¬
falls für jugendliche Patienten über 16 Jahre.
38) Lm poisons de l'intelligenoe. Lee ooefüeients peyohiquee du brome,
par N. Vaschide. (Areh. de neur. XXII. 1906. Nr. 130.) Ref.: S. Stier.
Die Arbeit enthält ausführliche Wiedergabe und Kritik der Untersuchungen
Loewalds über die psychischen Wirkungen des Broms, die analog den Unter¬
suchungen der Kraepelinschen Schule über die psychischen Wirkungen des
Alkohols, Tees usw. durchgeführt und in den Psychologischen Arbeiten I. 1896.
S. 489 bis 566 niedergelegt sind.
39) Beitrag zur Opium-Brombehandlung der Epilepsie nach Flechsig
(Ziehensohe Modifikation), von Dr. Schirbach. (Archiv f. Psychiatrie u.
Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz).
Die sehr voneinander abweichenden Urteile über den Wert der Flechsig-
schen Opium-Brombehandlung waren die Veranlassung, daß Verf. eine Reihe von
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Epileptikern nach der von Ziehen vorgeschlagenen Modifikation dieser Kor be¬
handelte. Diese Behandlungsmethode wurde derart durchgeftibrt, daß innerhalb
51 Tagen mit 0,15 Op. pulv. täglich beginnend bis zu 0,9 gestiegen wurde. Vom
52. Tage ab wurde nach Aussetzen des Opiums 6 g Bromgemisch (Kal. und Natr.
bromat. & 2,0, Ammon, bromat. 1,0) verabreicht. Jeden zweiten Tag wurde um
1,0 g Brom bis 9,0 g gestiegen, wobei man dann fürs erste stehen blieb. (Die
mitgeteilten Dosen sollen nur annähernde Anhaltspunkte geben; selbstverständlich
wurden dieselben in den einzelnen Fällen, den Umständen entsprechend, indivi¬
dualisiert.) Von Anfang an gab man, um die verminderte Salzsäureausscheidung
des Magens, die eine Folge des Opiums ist, auszugleichen, Acid. mur. 1,5:200,0
eßlöffelweise. Mit der medikamentösen Behandlung verband man Bäder und Diät¬
regelung, Bettruhe, unter sorgfältiger Kontrolle von Puls, Atmung, Temperatur
und Körpergewicht
Auf Grund seiner Versuche kam Verf. zu folgendem Schluß:
Die Opium-Brombehandlung kann bei sorgfältiger Auswahl des Materiales
noch günstige Resultate erzielen, in Fällen, wo die Brombehandlung allein ver¬
sagte. Die mit der Kur verbundenen Gefahren lassen sich bei sorgsamer, im
Krankenhause durchgeführter Beobachtung sehr einsohränken. Die öfteren nega¬
tiven und schlechten Erfolge einzelner Autoren Bind zum Teil auf ungenügende
Auswahl der Fälle zurückzuführen; günstige Resultate wurden erzielt bei Kranken
ohne stärkere psychische epileptische Degeneration.
40) Proponal bei der Behandlung von Epileptikern, von J. Hoppe. (Psycb.-
neur. Wochenschr. 1906. Nr. 6.) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. löste Proponal für die Zwecke des Einlaufes in einer physiologisch-
alkalischen Lösung (auf 1 Liter Aq. destill. etwa 4 g NaOH), er ließ bestimmte
Proponalmengen (bei Kindern im Status epilepticus 0,2 bis 0,3, bei Erwachsenen
0,8 bis 0,6 g Proponal) in 200 bis 300 ccm der auf 38° erwärmten Flüssigkeit
zum Einlaufen verwenden. Ein solcher Einlauf wurde 7 mal im Status epilepticus
und einige Male in schwereren Verwirrungszuständen gemacht. Stets prompte
Wirkung. Sie entsprach etwa der von 3 g Amylenhydrat und trat in 15 bis
30 Minuten ein. Keinerlei Reizerscheinungen am Mastdarm.
41) Anstaltsbehandlung der Epileptiker, von Stefan v. Wosinski. (Gy6-
gy&azat. 1906. Nr. 31 bis 34.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
Epilepsie kann nioht im voraus als unheilbar bezeichnet werden; Heilerfolge
können zumeist nur in Spezialanstalten erreicht werden, wo namentlich das Milieu,
dann die genane Hygiene, Diät, Roborierung zur Wirkung kommen. Aus den
vielen therapeutischen Bemerkungen des Verf.’s sei nur hervorgehoben, daß er
große Bromdosen perhorresziert und angeblich die besten Erfolge dann sah, wenn
er täglich zweimal 0,5 bis 1,0 g Bromsalz reichte. Die Bromwirkung kann durch
Belladonna gesteigert werden: Dosis täglich zwei Tropfen der Tinktur.
42) Operative Behandlung der genuinen Epilepsie, von Prof Rinne. (Deutsche
med. Wochenschr. 1906. Nr. 36.) Ref.: R. Pfeiffer.
Seit dem 11. Lebensjahre epileptische Krämpfe, ausgehend vom rechten Arme.
1894 der Zustand des 27jährigen Patienten trostlos. Sehr häufige Anfälle, all¬
gemeiner Marasmus, lallende Sprache, hochgradige Amnesie, Lähmung des Ge¬
sichtes und rechten Armes. Von Eulenburg Operation angeraten. Die vom
Verf. zuerst gemachte Dehnung des Plexus brachialis war erfolglos, daher Trepa¬
nation mit Rindenexzision im Juli 1894. Elektrische Reizung des freigelegten
Gehirnes. Von einem scharf umgrenzten Gebiet der vorderen Centralwindung
wurde jedesmal eine Bewegung des Zeigefingers und Daumens ausgelöst. Der
Fazialis reagierte nicht. Exzision dieser Partien. Verzögerte Wundheilung durch
Randnekrose an dem aufgemeißelten Knochenlappen. Auch jetzt, zurzeit des Be¬
richtes, besteht zwischen dem Knochenlappen und dem Schädelknochen keine
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knöcherne Vereinigung. Zunächst Lähmung des rechten Armes und Fazialis. ln
den ersten 7 Monaten nach der Operation kein einziger Krampfanfall, dann
leichte, gelegentliche Anfälle. Leichte Schwäche der rechten Hand. Das All*
gemeinbefinden gut. Pat. ist durchaus arbeitsfähig und unterhält sich und seine
Familie selbständig. Bemerkenswert ist, daß durch Alkohol und Tabak Anfälle
ausgelöst werden.
43) Kasuistischer Beitrag zur operativen Therapie der Epilepsie, von
Dozent B. Jedliöka. (Bev. v. neur. a psych. IU. S. 5.) Bef.: Peln&r (Prag).
Die Beobachtung ist sehr eigentümlich: ein 56jähriger, immer gesunder und
einer gesunden Familie entstammender Mann bekam am 13. Mai 1905 plötzlich
bei vollem Bewußtsein einen heftigen klonischen Krampf in der linken oberen
Extremität, der nach 5 Minuten wieder plötzlich verschwand und ein peinliches
brennendes Gefühl in den Fingern hinterließ. Eine Woche später kam ein zweiter
ähnlicher, aber kürzerer Anfall mit folgender allgemeiner Mattigkeit. Am 27. Mai
1905 ein dritter Anfall, der ähnlich anfing, im Laufe dessen aber das Bewußtsein
einige Minuten trübe war, und bei welchem es zu einem Zungenbiß kam. Ende
Juli 1905 kam es nach typischem Anfänge zu allgemeinen klonischen Krämpfen
mit Bewußtseinsverlust. Seit der Zeit hatte der Kranke keine großen Anfälle
mehr, aber jeden Tag und später auch 2 bis 3 mal täglich bekam er einen klo¬
nischen und dann tonischen lokalisierten Krampf in der linken Hand, die endlich
im Laufe des Oktobers 1905 einer beständigen krampfhaften Adduktion des linken
Daumens wichen. Als sich zu diesem Krampfe nooh große Schmerzen in der
rechten Schläfenbeingegend zugesellten, kam der Patient zu dem Verf., um duroh
irgendwelche Operation am Schädel von den Schmerzen befreit zu werden. In
der rechten Temporalgegend wurde eine flaohe Hautnarbe konstatiert, über deren
Ursprung Pat. keine Erklärung geben konnte. Durch die vom Verf. angestellte
Nachforschung zeigten sich sehr überraschende Momente: der Pat. ist hei der
Geburt von einem Arzte perforiert worden, blieb aber zum großen
Erstaunen desselben sowie der Eltern am Leben, die Wunde ist nach
längerer „Entzündung“ geheilt. Diese Ereignisse blieben dem Pat. von den über
das weitere Leben des Kindes besorgten Eltern verschwiegen und erst jetzt er¬
zählte der 85jährige Vater alles seinem 56jährigen Sohne, der indessen wieder
fünf gesunde Kinder hat. Pat. spürte sein ganzes Leben hindurch außer wieder¬
holten mäßigen Kopfschmerzen, an die er schon gewöhnt ist, gar keine Beschwerden,
besuchte mit gutem Erfolge eine Mittelschule und ist zurzeit ein tüchtiger Be¬
amter. Verf. machte eine Trepanation, fand keine anatomische Abweichungen am
Schädel, aber einen Varixknoten, der in die motorische Zone der rechten Hemi¬
sphäre eingepreßt war. Nach dem Unterbinden des Knotens verschwand augen¬
blicklich der tonische Krampf des linken Daumens, sowie der Kopfsohmerz, und
der Pat hat zurzeit der Publikation — 3 Monate naoh der Operation — gar
keine Beschwerden. Verfi erwähnt ans der Literatur einen einzigen Fall von
Pernice (Centralbl. f. Gynäkol. 1903. S.919), wo das Kind auch die Perforation
überlebte. Interessant ist, daß sich hier erst nach 56 Jahren Symptome zeigten,
die doch als Folge des Traumas bei der Geburt erklärt werden müssen.
Psychiatrie.
44) Lea anthipaties physiques et morales dass les familles de ddgdndrös,
par F6re. (Bevue de möd. 1906. Nr. 7.) Bef.: Eduard Müller (Breslau).
Fall L 16jährige Dame, stark belastet. Die neuro- bzw. psychopathische
Matter wurde während der zweiten Gravidität (die älteste Tochter litt in der
Kindheit an Eklampsie) duroh eine unerklärliche, unüberwindliche Abneigung
nicht nur gegen ihren Gatten, sondern auch gegen ihren eigenen Vater beunruhigt.
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32ß
Nach der Geburt verschwand diese Antipathie. Als sie aber ihr Kind stillen
wollte, erbrach dasselbe unter gleichzeitiger Abmagerung stets, so daß eine Amme
für sie eintreten mußte. Nach der Meinung der Mutter war nun die Antipathie
während der Schwangerschaft Schuld daran, daß das Kind die Muttermilch nicht
vertragen konnte. Daraus entstand krankhaftes Schuldbewußtsein mit nächtlichen
AngBtanfällen. 10 Jahre alt, erkrankte die älteste Tochter an trauriger Ver¬
stimmung, sowie an gelegentlichen Überschätzungs- und Beeinträchtigungsideen
(ist „eine Gottheit“, der man nicht genügend Huldigungen entgegenbringt, ist
„Fräulein Barmherzigkeit“). Besserung des psychischen Zustandes im 13. Lebens¬
jahr, aber Auftreten von Weinkrämpfen, die mit Eintritt der Regel verschwanden.
Die jüngere, jetzt 16jährige Schwester, war bis zum 12. Jahre frei von nervösen
Krankheitserscheinungen. Seit dieser Zeit vornehmlich morgens auftretende, kurz¬
dauernde, plötzlich kommende und gehende migräneartige Anfälle mit nach¬
folgender unwiderstehlicher Schläfrigkeit. Mit Beginn der Pubertät merkwürdige
psychische Veränderungen während der Regel (altkluge, rasche Sprechweise,
Widerwille gegen die eigene Mutter, Streitigkeiten mit der Schwester). In der
Zwischenzeit zwischen den Menses dumpfes Krankheitsbewußtsein für die Störung«!
während derselben und Verschwinden der Antipathien, aber interkurrente Wein-
krämpfe. Körperlich: gehäufte Degenerationszeichen.
Fall IL 18jährige, weibliche Zwillinge, keine nachweisbare neuro- bzw.
psychopathische Prädisposition. Eines der Mädchen zeigte schon in früher Kind¬
heit eine ausgesprochene Antipathie gegen den etwas „ausgelassenen“ Stiefbruder,
die andere neigte sehr zu Absonderung und Einsamkeit. Trotz körperlicher Un¬
ähnlichkeit stellten sich die Menses bei den Zwillingen genau zur Belben Zeit ein.
Angeblich wurden beide beim Mittagessen von Stirnkopfschmerzen und An¬
schwellungen der Warzenhöfe befallen, 'worauf in der folgenden Nacht die blutige
Sekretion begann (!! Ref.). Seit dieser Zeit auch plötzliche psychische Verände¬
rungen bei beiden Geschwistern. Die eine Schwester, die sich sonst mit ihrem
Stiefbruder vertrug, begann ihn zu hassen; sie wurde aber gegen andere mitteil¬
samer und zeigte im Gegensatz zu früher Liebe zu Sang und Tanz. Die ZwillingB-
schwester wurde umgekehrt einsamer, interesselos, wortkarg und vertrug sich
wieder mit dem Bruder.
In der Epikrise ein Hinweis auf die Entstehungsweisen solcher psychischen
Antipathien, die sich mit körperlichen Vorgängen verknüpfen können, und auf
die Tatsache der somatischen Antipathie, der Unbekömmlichkeit der Milch nur
gewisser Frauen (auoh der eigenen Mutter) für den Säugling.
46) Oontrlbution 4 l’dtude des formes mixtes (vdsanies), par Serbsky.
(Ann. möcL-psychoL 1906. Mai /Juni.) Reh: E. Meyer (Königsberg).
Verf. will außer den typischen Krankheitsformen, der Melancholie, Manie,
Paranoia usw., noch Mischformen derselben anerkennen, nicht etwa im Sinne der
neuerdings wieder öfter diskutierten kombinierten Psyobosen, sondern es sollen
solohe Krankheitsformen sein, die die Symptome der verschiedenen Krankheiten
gemischt enthalten. Gemäß der Einteilung, welche die neurologisch-psychiatrische
Gesellschaft zu Moskau vorgeschlagen hat, rechnet Verf. diese Krankheitsformen
zu den „formes miztes“ oder „v&anies“. Als erste behandelt er die „vesania
melancholica“. Symptome der Melancholie und Paranoia, zum Teil auch der Ver¬
wirrtheit vereinigen sich zu ihr. Nach einem kurzen unbestimmten Vorstadium
brioht plötzlich heftige Angst aus, dann treten Versündigungs- und Verfolgungs¬
ideen auf, nicht immer in engerem Zusammenhang, viele hypochondrisch gefärbt.
Außerdem bemerkt man Sinnestäuschungen des Gehöres, aber auch des Geruches
und Geschmackes. Das äußere Verhalten ist verschieden. Sehr stark ist die
Neigung zum Selbstmord! Ein Teil der Fälle geht in 6 bis 9 Monaten in Heilung
aus, nicht wenige enden mit einem geistigen Schwächezustand. Von der typischen
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Melancholie meint Verf. die Vesania melancholica durch das Auftreten von Wahn*
ideen vom Beginn der Erkrankung an, ferner durch das Vorhandensein von Ver¬
folgungsideen und Sinnestäuschungen vor allem trennen zu können, während sie
sie sich von der Paranoia durch den starken Angstaffekt und die Selbstanklagen usw.
unterscheide, sowie durch den Mangel an Systematisierung. Auch in chronischer
Art kommt übrigens, wie Verf hinzufügt, eine Mischung melancholischer und
paranoischer Symptome vor.
Kurz geht Verf. auf eine andere Mischform, die akute Halluzinose oder Vesania
hallucinatoria ein, die sich durch zahlreiche Sinnestäuschungen auf verschiedenen
Gebieten, die dauernd bestehen, auszeiohnet mit vielen Wahnideen phantastischer
Art, die nicht eigentlich systematisiert Bind usw. Verf. sieht darin eine Übergangs¬
form zwischen „Paranoia aigue“ und der „Confusion mentale aigue“. Mit wenigen
Worten streift Verf. endlich noch die „Vesanie neuralgique“ und„V6sanie maniaque“.
Die Annahme von Mischformen verschiedener Psychosen im Sinne des Verf.’s
ist uns fremd. Die Vesania melancholica, die nach Verf. im vorgerückten Alter
meist zur Entstehung kommt, findet ihre Erklärung in der Eigenart der Er¬
krankungen des Klimakteriums und der entsprechenden Jahre heim Manne —
Involutionspsychosen —, die ja oft paranoisohe und melancholische Züge vereinen
(klimakterielle Melancholie, präseniler Beeinträchtigungswahn). Im allgemeinen
scheint mir die Heranziehung solcher Mischformen nicht unbedenklich, da es nach
unserer Auffassung von dem Wesen und den Grundlagen der Psychosen derartige
fast beliebige Übergänge nicht gibt, ganz abgesehen von den Bezeichnungen des
Verf.’s, die vielfach Widerspruch erfahren werden. Oh etwa in brauchbarer Weise
zweifelhafte Fälle durch die Annahme von Mischformen Aufklärung erfahren
können, das kann nur durch kasuistische Mitteilungen klargestellt werden.
46) Was sind Zwangsvorgftnge P von Bumke. (Halle a/S. 1906, Marhold;
vgl. d. Centr. 1905. S. 1122.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Klares, übersichtliches Referat über den heutigen Stand der Lehre von den
„Zwangsvorgängen oder Zwangserscheinungen'*, in dem Verf. zuerst eine Schilderung
über die Entwicklung derselben gibt. Bei der näheren Besprechung geht Verl
von der Westpbalschen Definition der Zwangsvorstellungen aus, deren einzelne
Komponenten erörternd: die Unverdrängbarkeit der Vorstellungen und das sub*
jektive Gefühl des Zwanges, die Abwesenheit eines Gefühles oder affektartigen
Zustandes und das Erhalten bleiben der Kritik. Wie Verf. ausführt, ist es die
Summe dieser Eigenschaften, welche die Zwangsvorstellungen charakterisiert, eine
derselben etwa allein genügt dazu nicht. So kommt das Gefühl des Zwanges,
die Immobilität, auch vielen Wahnideen, den überwertigen Ideen Werniokes
wie manchen Vorstellungen Gesunder zu; erst durch die weitere Kennzeichnung,
daß der Zwang nicht durch einen besonderen Affekt oder eine Anomalie der
Stimmung bedingt ist, wird die Abgrenzung eine vollständigere. Aber auch das
reicht noch nicht aus, so den autochthonen Ideen Wernickes gegenüber, das
Erhaltensein der Kritik darf nicht fehlen. Verf. will auf diese nach wie vor ein
besonderes Gewicht legen, was m. E. auch durchaus notwendig ist Verf. geht
weiterhin auf die Zwangsvorgänge ein, unter denen er Zwangsvorstellungen und
alle die psychischen Vorgänge, die aus diesen unmittelbar entstehen, versteht.
Er wendet sich dabei mit Recht gegen die uferlose Anwendung der Bezeichnung
„Phobien", die ja gegenüber den Zwangsvorgängen durch das primär auftretende
Angstgefühl ausgezeichnet sind. Auch „Zwangshandlung" sollte man nur die¬
jenigen Vorgänge benennen, die auf zwangsartigen Antrieben mit starker moto¬
rischer Tendenz beruhen, sonst läuft man Gefahr, heterogene Dinge zu vereinigen.
So führt Verf’s gesamte Betrachtung zu dem Ergebnis, daß auoh heute noch
die Westphalsche Definition die Grundlage der Lehre von den Zwangserschei¬
nungen bildet.
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III. Aus den Gesellschaften.
Sooiötö de neurologie de Paris.
Sitzung vom 10. Januar 1907.
Herr Lejonne und Herr Chartier: Syringomyelie naoh einer Zer*
qnetsohnng eines Fingers. Ein 44jähriger Arbeiter an einer Biskuitfabrik
wurde in die Klinik von Prof. Raymond mit Riickenschmerzen, Schmerzen im
rechten Arm und Muskelatrophie auf derselben Seite aufgenommen. Keine Here¬
dität. Mit 21 Jahren schwerer Typhus. Mit 24 Jahren weicher Schanker. Mit
87 Jahren während eines Monats Bronchitis mit starker Abmagerung. Gibt
leichten Alkoholmißbrauch zu. Vor 4 Jahren wurde ihm in einer Maschine der
Zeigefinger der rechten Hand zerquetscht. Nach der Amputation dieses Fingers,
trotz der Ausheilung der Wunde, verspürte der Kranke so heftige Schmerzen im
Stampfe, daß er erst nach 14 Monaten seine Arbeit wieder aufnehmen konnte.
Ein gewisser Grad von Schmerzen besteht noch jetzt im Stumpfe. 7 bis 8 Monate
nach dem Unfall bemerkt der Kranke, daß sein rechter Arm abmagert. Einige
Monate später stellen sich auch Schmerzen in der rechten Schulter ein. Diese
Schmerzen greifen allmählich auf den oberen Teil des Räckens und selbst auf
die linke Schulter über. Bei der Untersuchung findet man bei dem sonst kräf¬
tigen muskulösen Mann eine sehr ausgesprochene Atrophie der reohten Schulter
und des rechten Armee. An den Fingern dieser Hand außer des Fehlens des
Zeigefingers nichtB Abnormes, namentlich keine Muskelatrophie. Die Beweglichkeit
der Finger ist gut erhalten. Die Beugung und Adduktion der Hand ist normal.
Die Streckung und Abduktion ist Behr geschwächt. Die Beugung des Vorder¬
armes wird kaum ausgeführt. Die Streckung, obwohl schwach, geht doch besser.
Die Hebung des Armes ist unmöglich. Deltoideus nnd Supraspinatus sind voll¬
ständig gelähmt. Die Adduktion der Schulter geht ziemlich gut von statten.
Entartungsreaktion im Deltoideus, im Biceps und im Coraco-braobialis. Im
Triceps und im Dorsalis magnus ist die elektrische Erregbarkeit einfach geschwächt.
Im linken Oberarm keine Muskelatrophie und nichts Abnormes. Fibrilläre
Zuckungen sowohl in den atrophierten Muskeln, wie auch in den Muskeln der
linken Schulter. Die Sebnenrefieze sind an beiden oberen Extremitäten sehr leb¬
haft. Der Kranke leidet besonders nach Ermüdung und gegen Abend an tiefen
dumpfen Schmerzen in der cervico-dorsalen Gegend des Rückens und in der rechten
oberen Extremität. Seit zwei Monaten beklagt sich der Kranke über Prickeln
und Ameisenlaufen in den Fingern und bis zum Vorderarm hinauf auch in der
linken oberen Extremität. Objektiv sind nur leichte Sensibilitätsstörungen in der
Deltoideusregion und der äußeren Oberfläche der Oberarme, d. h. in der Gegend
der 4. und 5. Cervikalwurzel vorhanden. Die Berührung ist normal. Es besteht nnr
leichte Hypalgesie und Thermohypästhesie. Diese Sensibilitätsstörungen sind auf der
rechten Seite mehr ausgesprochen, als auf der linken. Außerdem besteht in der
äußeren Hälfte der rechten Hand mehr an der dorsalen als an der volaren Fläche
eine ausgesprochene allgemeine Hauthypästhesie. Die Nervenstämme sind auf
Druck nioht schmerzhaft. Keine trophischen und keine vasomotorischen Störungen;
Seit einigen Wochen spürt der Kranke leichte Ermüdung und Einknicken der
Beine. Patellarreflexe lebhaft. Kein Fußklonus. Kein Babinski. Oppenheim¬
scher Reflex jedooh rechts vorhanden. Niohts Abnormes an den Nackenmuskeln,
an den Muskeln des Gesichtes, des Rumpfes, des Bauches. Fibrilläre Zuckungen
an der Zunge. Sphinkteren intakt. Sinnesorgane ebenfalls. An der Wirbelsäule
besteht eine cervico-dorsale Skoliose mit der Konvexität nach rechts. Das Rück¬
grat ist schmerzlos und normal beweglich. Der Beginn der Skoliose ist dem
Kranken unbekannt Es handelt sich offenbar um den Beginn einer Syringomyelie.
Es ist nur schwer zu sagen, in welchem Zusammenhang diese Krankheit mit der
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Verletzung des Fingers stehen kann. Die Vortr. lassen in dieser Beziehung die
Frage offen.
Herr Leopold Levi und Herr Henri de Rothschild: Schilddrüsen*
neurasthenle. Die Vortr. stellen ein 21jähriges Mädchen vor, welches gleich*
zeitig an Neurasthenie leidet: Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Sehstörungen,
Schwindel, dyspeptische Erscheinungen, Gedächtnisschwäche, Melancholie, Suizid*
▼ersuche und außerdem Erscheinungen von chronischer Hypothyreoidie da»
bietet: Appetitlosigkeit, Kältegefühl, Ausfall der Haare, Stomatitis, Hämorrhoiden,
Krachen der Gelenke usw. Unter dem Einflüsse von Schilddrüsenbehandlung
gingen alle diese Erscheinungen allmählich zurück und verschwanden vollständig
nach einem Gebrauch von 61 Oblaten. Ein späterer Rückfall verschwand von
neuem nach dem Gebrauch von Thyreoidin. Die Eiranke wuchs dabei um 5 cm.
Die Kranke wurde vorher allen möglichen Kuren erfolglos unterworfen. Darunter
auch eine Isolierung von 2 1 / 2 Monaten. Dieser Fall steht nicht einzig und
allein da. Die Vortr. zitieren noch zwei andere Fälle von Claisse. Es existiert
also entschieden eine Form von Neurasthenie, die im Zusammenhang zu stehen
soheint mit ungenügender Funktionierung der Schilddrüse. Dies festzustellen ist
nicht nur von theoretischem Wert, sondern auch von großer praktischer Wichtig*
keit. Die ausführliche Arbeit über diesen Gegenstand wird demnächst in der
„Revue d’hygiöne et de mödecine infantile“ erscheinen.
Herr Albert Charpentier: Kleinsohrittgang (hysterische Gehphobie).
Vortr. stellt eine 60jährige Frau vor, die wegen Lähmung der Beine ihm zu-
gefÜhrt wurde. Vor 15 Jahren erlitt die Kranke eine heftige moralische E»
schütterung und seit dieser Zeit wurde ihr Gang unsicher und beschwerlich. Ihr
Gang wurde immer schlimmer und schließlich konnte sie nur mit Mühe in kleinen
Schritten und auf jemand gestützt ein paar Schritte gehen. Bei der Untersuchung
wurde Hysterie diagnostiziert und Psychotherapie angeordnet. Nach einigen
Sitzungen von Psycho* und Elektrotherapie besserte sioh der Zustand der
Kranken in ganz bedeutender Weise. Die Kranke konnte wieder allein und in
Schritten von normaler Weite gehen. Bei der Vorstellung der Eiranken kann
man konstatieren, daß dieselbe jetzt eine fast normale Gehart bietet.
Herr H. Grenet und Herr L. Tanon: Akromegalie und Diabetes. Die
Vortr. teilen aus der Klinik des Herrn Prof. Brissaud einen interessanten Fall
von Assoziation der Akromegalie mit Zuckerharnruhr mit Diese beiden Krank*
heiten sind hei der Patientin zufällig in der Klinik entdeokt worden, wo sie
wegen eines apoplektischen Insults aufgenommen wurde. Nach 24 Stunden ver¬
schwand jede Spur des Insults und da konstatierte man bei der Kranken fol¬
gendes: 50jährige, kleine Frau, keine Wirbelsäuleverkrümmungen. Die Hände
sind übermäßig groß, die Finger kurz und breit. Patientin hat oft ihre Ringe
erweitern lassen müssen. Sie findet schwer einen Fingerhut für ihre Finger.
Die Füße sind breit und dick, besonders die großen Zehen. Ihr Mann, der
Schuhmacher ist, muß immer die Schuhe für seine Frau breiter machen, die Länge
bleibt dieselbe. Der Larynx ist vorgewölbt, die Stimme rauh und tief. Die
Atmung geräuschvoll. Die Lippen sind dick und wulstig, ebenso die Nase. Die
Augenspalten sind verlängert. Strabismus divergens am rechten Auge. Bei der
Untersuchung des Augenhintergrundes findet man doppelseitige — rechts kom-
pleto, links inkomplete — Sehnervenatrophie. Keine Augenmuskellähmungen.
Die Untersuchung des Harns ergibt 66 g Zucker pro Liter. Urinquantum
8 Liter in 24 Stunden. Die Kranke klagt über starken Durst schon seit einigen
Monaten. Der Appetit ist gut, aber nioht übertrieben. Diese Glykosurie soheint
ent seit kurzer Zeit aufgetreten zu sein, da die Untersuchung des Urins vor
7 Monaten auf der Augenklinik keinen Zucker ergab. Die verschiedenen Reflexe
und die allgemeine Sensibilität sind normal. Bei Bettruhe, antidiabetischer Kost,
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Antipyrinen und Bromsalzen wird der Zucker auf 17 g pro Liter herunter-
gedrückt. Sobald die Kranke aber wieder zuckerreiche Kost bekommt, so steigert
sich der Zucker im Harn.
Herr Babinski: Die Wirkung von Soopolamin bei der Chorea von
Sydenbam. Vortr. hat außerordentlich günstige Wirkungen beobachtet von
subkutanen Injektionen von Scopolamini hydrobromioi in der Dosis von */ l0 bis
s /io P ro die. Die choreatischen Bewegungen ließen darauf sehr rasch nach.
Vortr. hat mit dieser Methode 4 Kranke behandelt. Darunter eine Patientin, bei
der alle üblichen Mittel (Antipyrin, Arsenik, Chloral) fehlgeschlagen hatten,
und die besonders durch die Schlaflosigkeit erschöpft war. Vortr. rät zu weiterem
Gebrauch dieses Mittels.
Herr E. Bonniot: Die elektrischen Reaktionen bei geheiltem Tetanus.
Vergleich mit der Tetanie. Vortr. hat Gelegenheit gehabt, in einem Fall von
ausgeheiltem Tetanus, 14 Tage nachdem die Konvulsionen sistiert hatten, eine
elektrische Untersuchung der Muskeln und Nerven vorzunehmen. Es stellte sieb
dabei folgendes heraus: Die faradische Erregbarkeit ist dieselbe, wie in normalen
Zuständen. Die galvanische Untersuchung ergibt die Unmöglichkeit, den
Schließungstetanus bei mittleren und normalen Stromstärken zu produzieren. Die
anderen galvanischen Reaktionen sind ebenfalls verspätet. Man beobaohtet also
bei geheiltem Tetanus das Gegenteil von dem, was man bei der Tetanie sieht,
bei welcher bekanntlich die galvanischen Reaktionen sehr lebhaft und gesteigert
sind. Der Tetanus hat also einen gewissen Grad von Erschöpfung des peripheren
Nervensystems und der Muskeln zur Folge.
Herr L. Alquier und Herr W. Anfimow: Das Vorhandensein und die
Bedeutung von den kleinen Blutungen unter der Pia oerebralis bei der
Epilepsie. Die Vortr. haben 10 Gehirne von Epileptischen, die in der Klinik
von Prof. Raymond gestorben sind, untersucht und konstant kleine Hämorrhagien
unter der Pia mater cerebralis gefunden. Diese Blutungen sind manchmal zer¬
streut auf der ganzen Gehirnoberfläche; sie sind immer von ganz kleinem Volumen.
Manche davon sind schon mit dem bloßen Auge zu sehen. Manche können nur
mikroskopisch festgestellt werden. Sie befinden sich dicht unter der weichen
Hirnhaut und zerstören an dieser Stelle die kortikale Hirnsubstanz, ohne jedoch
weit in die Tiefe einzudringen. Sie überschreiten selten die Schicht der tangen-
tiellen Fasern. Die Vortr. haben verschiedene Stadien dieser Blutungen verfolgen
können, von frischen Blutungen ab bis zu kleinen oberflächlichen Herden von
Sklerose, die genau die Form und die Dimensionen der durch die Blutung zer¬
störten Hirnsubstanz reproduzierten. Diese Untersuchungen ergaben, daß an den
Stellen der Blutungen die tangentiellen Fasern unterbrochen sind. Solche Unter¬
brechungen der Fasern sind in manchen epileptischen Gehirnen sehr zahlreich
und erklären das progressive Zunehmen der psychischen Störungen bei solchen
Kranken. Die sklerotischen Läsionen, die man an der Oberfläche des Gehirn»
von Epileptikern findet, sind oft sicher nicht die Ursache, sondern die Folge der
Epilepsie, und rühren von der Vernarbung der eben besprochenen zahlreichen
punktförmigen Hämorrhagien her. Die Zahl, das Alter und die Intensität dieser
Hämorrhagien war immer in Zusammenhang mit den epileptischen Anfällen, deren
Folge sie auch sind.
Herr C. Parhon und Herr S. Florian (Bukarest): Ein Fall von chro¬
nischem Trophödem. Es handelt sich um einen typisohen Fall von chronischem,
nicht familiärem Trophödem bei einem 19jährigen Mädchen. Beginn im Alter
von 13 Jahren, gleichzeitig mit der Pubertät. Zunächst Schmerzen in der linken
Hüfte und im linken Schenkel. Gleichzeitig Fieber. Die Schmerzen verbreiten
sich über das ganze Bein. Der linke Schenkel schwillt an, später auch das ganze
Bein. Es zeigen sich auf diesem Bein disseminierte Bläschen von öligblutigem
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Inhalt. Mit dem Verschwinden dieser Pusteln schwinden auch die Schmerzen.
Die Schwellung allein bleibt dauernd bestehen und nimmt sogar dermaßen zu,
daß die Beweglichkeit des Beines behindert wird. Nichts am Herzen, nichts an
den Nieren. Sensibilität und Beflexe normal. Intelligenz ebenfalls normal. Das
Ödem ist fest, elastisch, hinterläßt keine Delle. Der Druck ist schmerzlos. Die
Haut ist von normaler Farbe. Keine Varicen. Die Leistenfalte bildet die obere
Grenze des Ödems nach vorn, nach hinten die Glutaealfalte. Nach unten hört
das Ödem an der Basis der Zehen auf, die nicht geschwollen sind. Der Umfang
des linken Schenkels ist in seiner Mitte um 17,5 cm größer als der Umfang des
rechten Schenkels und die linke Wade ist um 16 cm weiter als die rechte. Die
Untersuchung des Blutes ergab keine Filarien. Es handelt sich somit um einen wohl
charakteristischen Fall von chronischem Trophödem, wie es Henry Meige be¬
schrieben hat. Das eigentümliche dieses Falles ist die absteigende Entwicklung
des Ödems: zunächst an der Hüfte, dann abwärts bis zum Fuß. Was die Ursache
der Krankheit anbetrifft, so glauben die Vortr. nicht, daß es sich dabei um eine
Läsion der Schilddrüse handelt, sie neigen eher der Meinung von Meige zu, der
an einer Alteration des trophiscben Centrums des subkutanen Bindegewebes glaubt.
B. Hirschberg (Paris).
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur
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Wohlfahrtsstellen f. Alkoholkranke. Med. klin. Nr. 36. — Syphilis: Homtn, Lues bered,
tarda. Arb. aus dem Path. Inst, zu Helsingsfors. I. Heft 3. — de la Chapelle, Lues
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Ztg. Nr. 24. — Yoshikawa, Traumat. Hirnblut Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Ergänz. —
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VjUUglC UNiVERSITY OF CALIFORNIA
335
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de Babinski dans la par gen. Rev. neur. Nr. 21. — Rodiet et Cans, Troubles cörebr. dus
ä Pale, et au tabac et par. gen. Ann. möd.-psych. LXIV. Nr. 3. — Forens, Psyhiatrie:
Siefert, Geistesstör, der Strafhaft. Halle a/S., C. Marhold. 233 S. — Kornfeld, Psych.
Gutachten und richterl. Beurteilung. Jur.-psych. Grenzfr. V. Heft 1. Halle a/S., C. Mar¬
hold. — Bresler, Greisenalter und Kriminalität. Jur.-psych. Grenzfr. V. Heft 2—3. —
Mercklin, Sittlichkeitsvergehen. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 23. — Spaet, Gemeingefährlichkeit.
Zeitschr. f. Mediz. Nr. 21. — Kreuser und Schmoller, Testamentserrichtung. Jur.-psych.
Grenzfr. IV. Heft 7—8. — Hegler und Finckh, Latente Geistesstör, bei Prozeßbeteiligten.
Ebenda. — v. Schwab, Verminderte Zurechnungsfäh. Ebenda. — Hess, Geschäftsunfähig,
heiml. Geisteskr. Psych-neur. Woch. Nr. 35. — Weber, L. W., Der Hauptmann von
Köpenick. Psych.-neur. Woch. Nr. 39. — Wulffen, Ibsen 1 s Nora. Halle a/S., C. Marhold.
59 S. — Wulffen, Kriminalpsychologie in Schillers Räubern. Ebenda. 80 S. — Petrdn,
Gutachten vom Standpunkt des Gefängnisarztes. Hygiea Nr. 12. — Roncoroni, Anomalies
dans les erirainels et öpilept. Arch. di psych. XaVII. Facs. 6. — Tovo e Rota, Döve-
loppement de la criminalite. Ebenda. — Marlani, Criminaloide semi-passion. Ebenda. —
Audenino, Paresies mimiques chez les fous et criminels. Ebenda. — Lombroso. Eshibizion.
e cleptoman. Ebenda.— Therapie der Geisteskrankheiten: Brower, Behandl. akuter
Geistesstörungen. Brit. med. Journ. Nr. 2395. — Westhoff, Freiluftliegekur bei Geistes¬
kranken. Psych.-:
tubercul. ReV? de
Digitizedby
Psych.-neur. Woch. Nr. 38. — Marie et Rolet, Infirmiers d’asiles d’alienes et
ReY?de 12. — Strobl, Proponal bei Geisteskranken. Pesfftjii med. chir.
V " □£ I-i iMiurnr n tu rtr tai i r i
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
336
Presse Nr. 62. — Hockauf, Anstalten Nordamerikas. Psych.-neur. Woch. Nr. 40. — Hsgar,
Arbeitsentlohnung in Anstalten. Alle. Zeitschr. f. Psych. LXIII. Heft 6. — Albrecht,
Entweichungen Geisteskranker. Ebenda.
VII. Therapie. Carusi, Isopral. Rif. med. Nr. 45. — Fisher, Behandl. der Schlaf¬
losigkeit. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 22. — Rosenthal, F., Kephaldol. Wiener klin. Rund¬
schau. Nr. 48. — Shoemaker, Electricity. Med. Record. Nr. 1879. — v. Holst, Elektrolyt.
Therapie. Petersb. med. Woch. Nr. 47. — Cohn, T., Elektrotherapie. Ther. d. Gegenw.
Heft u. 12. — Frankenhluser, Elektrotherapie. Stuttgart, F. Enke. 120 S. — Heumann,
Elektromedikament Ther. Deutsche med. Woch. Nr. 44. — Jellinek, Elektrizität. Mün¬
chen-Berlin, R. Oldenburg. 468 S. — Üblich, Hydrother. Deutsche militärärztl. Zeitschr.
Heft 11. — Schwalbe, J., Therap. Technik. Leipzig, G. Thieme. 352 8. — Laehr, Be-
sohäftigungsther. f. Nervenkr. Wiener klin. Woch. Nr. 52. — Colombo, Röntgenstrahlen
und Centralnerrens. Zeitschr. f. phys. u. diät Ther. Heft 9. — Moll, A., Hypnotismus.
4. Aufl. Fischers med. Buchh. 642 S. — Pauli, Seereisen. Zeitschr. f. phys. u. diät Ther.
X. Heft 7 u. 8. — Friedrich, Die Seereisen. Berlin, Vogel u. Kreienbr. 825 S.
V. Vermischtes.
Für den vom 16. bis 18. April 1907 zu Wiesbaden stattfindenden XXIV. Kongreß
für innere Medizin sind folgende den Neurologen bzw. Psychiater interessierende Vor¬
träge angcmeldet:
Sigm. Gard (Pistyan): Über ein bisher unbekanntes pathognomostisches Symptom der
Ischias. — H. Gutzmann (Berlin): Zur Behandlung der Aphasie. — Honigmann (Wies¬
baden): Über Eriegsneuro8en. — Huismans (Köln): Zur Nosologie und pathologischen Ana¬
tomie der Tav-Sachasehen familiären amaurotischen Idiotie. — Paul Krause (Breslau): Zur
Röntgen- und Injektionstherapie bei Trigeminusneuralgie und Ischias. — Pel (Amsterdam):
1. Paroxysmale Hämoglobinurie und Hrperglobulose. 2. Myasthenia pseudoparalytica und
Hyperleukozytose. — Ratner (Wiesbaden): Untersuchungen zur pathologischen Anatomie
der Paralyse.
Am 15. April findet eine Festsitzung zur Feier des 25 jährigen Bestehens des Kongresses
statt Eröffnung durch Herrn ▼. Leyden (Berlin). Vorträge: Neuralgien und ihre Behandlung.
Referat: Herr Schnitze (Bonn). — Erfahrungen über medikamentöse Injektionen bei Neu¬
ralgien. Herr Schlösser (München).
Der XV 11. Kongreß der Irrenärzte und Neurologen Frankreichs und der
französisch sprechenden Länder findet vom 1. bis 7. August d. J. zu Genf nnd
Lausanne statt Folgende Referate stehen auf dem Programm: 1. Die periodischen Psy¬
chosen. Referent: Dr. Antbeaume (Paris). — 2. Definition und Wesen der Hysterie.
Referenten: Dr. Claude (Paris) und Dr. Schnyder (Bern). — 8. Die Zurechnungsfähigkeit.
Referent: Dr. Gilbert-Ballet (Paris).
/
Emst von Bergmann i*
Am 25. M&rz starb zu Wiesbaden Ernst von Bergmann im 71. Lebens¬
jahre. In ihm verliert die medizinische Wissenschaft einen ihrer hervorragendsten
Vertreter, die dentsche Ärzteschaft den ausgezeichnetsten Kollegen nnd ihren
besten Freund. Was er der Chirurgie gewesen, werden Berufenere verkünden,
aber auch die Neurologie hatte au seinen reichen Gaben teil: seine Unter¬
suchungen über den Hirndruck, seine Arbeiten über die chirurgische Behand¬
lung bei Hirnkrankheiten, insbesondere bei Hirngeschwülsten, über plastische
Operationen bei Hirnverletzungen, über Meningitis, seine „Lehre von den Kopf¬
verletzungen“ waren bahnbrechend.
Alle, die ihn kannten, verehrten aber in ihm nicht bloß den Gelehrten,
den genialen Chirurgen und Arzt, sondern auch vor allem den ausgezeichneten
Menschen mit den trefflichen Charaktereigenschaften.
Sein Andenken wird nicht erlöschen!
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel.
__ Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlage von Veit A Comp, in Leipzig. —- Druck von Mrtzgeb A Wittig ji^J^eipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) '
Seehsandzwsiiugster “ BerliIL Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
alle Bachhandlangen des In* and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbachhandlung.
1907.
16. April.
Nr. 8.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Bemerkungen über die Fibrillogenie and ihre Be¬
ziehungen zur Myelogenie mit besonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri, von K. Brod-
mann. 2. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren der motorischen Region des Gro߬
hirns nebst Beiträgen zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis cerebri
und bei genuiner Epilepsie, von Dr. G. Stertz.
II. Referate. Physiologie. 1. Untersuchungen über die Erweiterung der Pupillen
auf psychische und sensible Reize nebst einigen allgemeinen Bemerkungen über Pupillen¬
reaktionen, von HUbner. 2. Über willkürliche Erweiterung der Pupillen, von Bloch. —
Psychologie. 3. Conception psychologique du nevrosisme, parZbinden. — Pathologische
Anatomie. 4. Klinische Beobachtung eines Falles von Spina bifida lumbosacralis (Myelo-
cystocele), von Bernhardt. — Pathologie des Nervensystems. 5. Über die Ursachen
der Neurasthenie und Hysterie bei deu Arbeitern, von Schünhals. 6 . Bemerkungen über
Neurasthenie und ihre klimatische und balneotherapeutische Behandlung, von Romborg.
7. Über das Wesen der Neurasthenie, von Dunin. 8 . Über Störungen motorischer Funktionen
durch die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit, von Pick. 9. Neurasthenia and neuro-hyper-
aesthesia of Grocco, by Timpano. 10. Über die Ätiologie und Therapie der neurasthenischen
Kopfschmerzen, des neurasthenischen Schwindels und der Migräne, von Peritz. 11. Nerven¬
krankheit und Lektüre. Nervenleiden und Erziehung. Die ersten Zeichen der Nervosität
des Kindesalters, von Oppenheim. 12. Accidents hysteriques d’imitation, par Terrien. 13. Globus-
gefühl und Aura, von Buch. 14. Hypesthesia and hypalgesia and their significance in
ranctional nervous disturbances, by Angell. 15. Anestnesia associated with hyperalgesia
sharply confined to areola-nipple area of both breasts; a new and apparently constant
stigma of hysteria, by Graves. 16. Le ptosis paralytique dans Physterie, par Sauvineau.
17. La mydriase hystdrique n’existe pas, par Sauvineau. 18. Über Pupillenstarre im hyste¬
rischen Anfall, von Bumke. 19. Über einen Fall plötzlicher Erblindung im Kindesalter,
von Hasenknopf. 20. Über die psychisch bedingten Einengungen des Gesichtsfeldes, von
Klien. 21. Beitrag zur Kenntnis hysterischer Sprachstörungen, von Maas. 22. Hysterik
afoni med enkelsidig recurrensförlamning, af Tür ne. 23. Über eine Epidemie von hysterischem
Laryngismus, von Haase. 24. Le vomissement acetonemique et Physterie infantile, par
Fisch!. 25. Ständige Incontinentia urinae infolge infantiler Hysterie, von Bauer. 26. Fiävre
hysterique chez Penfant, par Comby. 27. Ictere eraotif chez une femme enceinte, par Lam-
brior. 28. Über gehäufte kleine Anfälle, von Heilbronner. — Psychiatrie. 29. Des phobies,
S ar Terrien. 30. Clinical observation on a rare case of „phobia“, per Timpano. 31. Über
ie Angstzustände, von Kräl. 32. Sur la nyctophobie chez les enfants, par Senet. 33. Coming
of psychasthenia, by Blumer. 34. Ein Beitrag zar Kasuistik der hysterischen Geistes¬
störungen, von Bihler. 35. Zur Kasuistik eigenartiger Fälle hysterischer Psychoneurosen,
von Soukhanoff und Fdlicine. — Forensische Psychiatrie. 36. Geistesschwäche bei
psychogener Neurose mit bezug auf § 6,1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, von Sommer
37. Kasuistischer Beitrag zur Frage über die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit der
Hysterischen, von Hösel. 38. Omicidio commesso uello „stato secondo di Azam“, per Bian-
Cone und Majano. — Therapie. 39. Recent experiences in the study and treatment of
hysteria, with remarks on Freuds method of treatment by psycho-analysis, by Putnam.
40. Wie sichern wir den Heilerfolg der Anstalten für Nervenkranke, von Laehr.
III. Bibliographie. 1. Die Röntgen-Strahlen im Dienste der Neurologie, von FUrnrohr.
2. Lectures on neurasthenia, by Savill.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
's on neurasuien
Google
338
IV. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrank¬
heiten. — Psychiatrischer Verein zu Berlin. — XXXVI. Kongreß der Deatschen Gesell*
schaft für Chirurgie in Berlin vom 3. bis 6. April 1907.
V. Vermischtes.
I. Originalmitteilungen.
[Aus dem neurobiologiBchen Laboratorium der Universität Berlin.]
1. Bemerkungen über
die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur Myelogenie
mit besonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri.
Von K. Brodmann.
Daß die Silberreduktionsmethoden für die elektive Darstellung neuro-
fibrillärer Elemente auch im embryonalen Centralnervensystem geeignet sind,
haben bereits Cajal(I) und Biblschowsky (2), ersterer an höheren, letzterer an
niederen Vertebraten erwiesen. Es lag daher nahe, an Silberpräparaten die
Fragen zu untersuchen, einerseits wie sich die erste Anlage von Nervenfasern
im Embryo vollzieht und andeiseits, ob die Ausbildung der nervösen Leitungs¬
bahnen nach gewissen einfachen und feststehenden Gesetzen vor sich geht, etwa
wie sie für die Myelogenie behauptet worden sind.
Mit der histogenetischen Seite des Problems hat sich hauptsächlich
Held (3 und 4) beschäftigt Im Gegensatz zu ApAthy und Bbthb, welche be¬
haupteten, daß die Neurofibrillen nicht in den Granglienzellen, sondern in sog.
„Nervenzellen“ gebildet werden und erst sekundär in jene eindringen, zeigte er
an einem vielseitigen Tiermaterial in überzeugender Weise, daß der Prozeß der
Neurofibrillation in denjenigen Zellen, welche His als Neuroblasten bezeichnet
hat, also in den späteren Ganglienzellen selbst beginnt, indem sich innerhalb
des Protoplasmas an der sog. fibrillogenen Zone der Neuroblasten (der basalen
Zellregion Rabls) ein Neuroreticulum bildet, das ein primäres Fibrillenhaupt-
bündel, den späteren Neuriten, aussendet und sich ziemlich gleichzeitig über den
ganzen Zellleib, die Kernregion und die Plasmodesmen, d. h. die protoplasmatischen
Interzellularbrücken, welche eine Zelle mit der andern verbinden, ausbreitet.
Er lehrt also mit His einen unizellularen Ursprung der Nervenfortsätze, im
Gegensatz zu His, welcher ein freies Auswachsen der Fasern in Gewebe¬
lücken annahm, das Vorhandensein eines embryonalen Syncytiums und das
Vordringen der Neurofibrillen in den persistierenden Interzellularbrücben bzw.
den Zellkörpern dieses Syncytiums. Er behauptet damit einen intraplasmatisch
fortschreitenden Prozeß der Neurofibrillation und zwar sowohl für die Axone
wie für die Dendriten. „Kurz gesagt, — resümiert Held — entsteht also die*
Nervenleitung durch die Umwandlung von Plasmodesmen in Neurodesmen,
durch einen Prozeß, der in der neurofibrillenvortreibenden Tätigkeit der Neuro¬
blasten begründet ist.“
Von anderen Gesichtspunkten aus habe ich selbst das Studium der Ent-
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Wicklung der Neurofibrillen im Centralnervensystem in Angriff genommen.
Mir kam es weniger auf histogenetische Fragen im engeren Sinne als vielmehr
darauf an, zu untersuchen, in welcher Reihenfolge Neurofibrillen in den ver¬
schiedenen Abschnitten des Centralnervensystems auftreten und ob etwa eine
gesetzmäßige Beziehung zwischen dieser Reihe und der Myelogenie, d. h. der
zeitlichen Reihenfolge, in der die Nervenfasern sich mit Mark umhüllen, sich
nach weisen lasse. In einem Vortrage vor der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie
und Nervenkrankheiten (Juli 1»05) habe ich an mensohlichen Föten das sehr
frühzeitige Auftreten von Neurofibrillen im Rückenmark und in verschiedenen
Windungsabschnitten der Großhirnrinde demonstriert und gezeigt, daß in mehr
als einer Hinsicht eine Divergenz mit der Myelogenie besteht;
namentlich konnte ich schon damals an meinen Präparaten vom Cortex cerebri
darauf hinweisen, daß sich überall in der äußersten Rindenschicht Tangential¬
fasern, also unzweifelhaft Assoziationsfasern in großer Anzahl zu einer Zeit finden,
wo die ersten Radiärfasern die innersten Rindenschichten vielfach noch gar
nicht erreicht haben (5). Dieser Nachweis steht in unvereinbarem Widerspruch
mit einem der Fundamentalgesetze der FLECHBiG’schen Myelinisationslehre, nach
dem die Assoziationsfasern der Rinde überall erst dann ihr Mark erhalten, wenn
die Projektionsfaserung vollständig entwickelt ist
Auf Grund erweiterten Materiales, besonders von jüngeren menschlichen
Stadien, aber auch von Katzenembryonen (letztere von Dr. Hafsahl in unserem
Institut bearbeitet), konnte ich später (6) die Gegensätzlichkeit zwischen Fibrillogenie
und Myelogenie noch schärfer präzisieren und den Satz aufstellen, daß ein ein¬
facher Parallelismus zwischen Myelogenie und Fibrillogenie, wie ihn kurz vorher
Bbook vom Schwein behauptet hatte, für den Cortex cerebri des Menschen
sicherlich nicht besteht, geschweige denn, daß letztere eine Bestätigung der sog.
FLECHSiG’scben Lehren darstellt
Bbock (7) hatte nämlich, ohne meinen vorher veröffentlichten gegensätzlichen
Standpunkt zu erwähnen, in einer Abhandlung über die Entwicklung der Neuro¬
fibrillen des Schweinefötus, die Ansicht vertreten, daß im CxjAL’schen Fibrillen¬
präparat „die Reihenfolge der Imprägnierung der einzelnen Bahnen
im ganzen der Reihenfolge der Markscheidenentwicklung ent¬
spreche“ (1. c. S. 477). 1 Allerdings bringt die Arbeit Bbock’s selber tatsächliche
Angaben, welche damit nicht in Einklang stehen. So schreibt Bbock — um
nur einige Punkte herauszugreifen —, daß bei einem Sohweinefötus von 280 mm
die Marksubstanz des Großhirns überall inprägnierte Fibrillen enthält, „aber be¬
deutend reichlicher in den nach dem Frontalpol zu gelegenen Windungen“
(7, S. 476). Also, nach den eigenen Worten des Verfassers, in den Stirn¬
windungen eine bedeutend reichlichere Faserentwicklung, als in anderen Win¬
dungsabschnitten, was ungefähr gleichbedeutend ist mit einer Umkehrung der
myelogenetischen Reihe, in der das Stirnhirn ziemlich an letzter Stelle steht
* Diese Ansicht ist von Zibhbn ohne weiteres in seine vergleichende Entwickelonga-
geschichte des Siagetiergehirnes fibernommen worden.
Angina! frcm
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Ferner schreibt er (7, S. 477), daß „einzelne Bahnen sogleich in ihrer ganzen
Ausdehnung imprägniert“ erscheinen, während die Imprägnationsfähigkeit bei
anderen, gleichviel ob es sich um centrifugal- oder centripetalleitende handelt,
„von dem im anatomischen Sinne peripherischen Ende nach dem centralen fort¬
schreitet“ (Beispiele: Facialis, Trigeminus), eine Angabe, die wiederum mit dem
obigen Satze sich nicht vereinigen läßt, wenigstens wenn man ihn im Sinne der
FLEOHBio’schen Lehre nimmt, da nach dieser die Markreife der Bahnen im
Sinne der Leitungsrichtung fortschreitet.
Und schließlich berichtet Bbook von seinem zweitjüngsten Stadium (Schweine¬
fötus von 24 mm) über die Bahnen des Rückenmarkes, daß der Vorderstrang
sehr zahlreiche Fibrillen enthält, daß im Seitenstrang die Zahl der imprägnierten
Fibrillen bedeutend geringer und über das ganze Gebiet des Seiten-
Stranges in den einzelnen Abschnitten des Querschnittsbildes gleichmäßig
verteilt ist (7, S. 469), und daß der Hinterstrang in den kaudalen Abschnitten
noch gar nicht angelegt i 9 t! — Befunde, welche ebenfalls, mögen sie sich später
als richtig oder unrichtig erweisen, allen Tatsachen der Myelogenie widersprechen,
da hier das Pyramidenareal gegenüber den anderen Balmen weit in der Ent¬
wicklung zurückbleibt.
Wie der Verfasser diese inneren Widersprüche seiner Arbeit lösen will,
muß ihm selbst überlassen bleiben.
Vorsichtigere, wenn auch in Einzelheiten, teils wohl durch das Material,
teils durch Mängel der Methode bedingt, sachlich ebenso unrichtige Aufstellungen
macht Gieblioh (8). Seine Untersuchungen, die an menschlichen Föten vom
8. bis 10. Monat angestellt sind, beschränken sich auf „die Entwicklung der Neuro¬
fibrillen in der Pyramidenbahn“ und haben zu höchst überraschenden Ergeb¬
nissen geführt. Bezüglich des peripheren motorischen Neurons bestätigt er zu¬
nächst die Angabe Bbock’s, „daß die fibrilläre Anlage der extra- und intra¬
spinalen Wurzeln der Fibrillenbildung in den Vorderhornzellen vorangeht“ (8,
S. 103); er stellt sich damit auch auf den Standpunkt, daß die Entwicklung
der motorischen Nerven des Rückenmarkes von der Peripherie naoh der Zelle
zu fortschreite. Ganz ähnlich verhält es sich naoh Gieblioh mit dem cerebro¬
spinalen motorischen Neuron. „Die Bildung der Neurofibrillen in der Pyramiden¬
bahn beginnt etwa im 6. Monat in Rückenmark und Hirnstamm gleich¬
mäßig. ... Die Pyramidenzellen haben zu dieser Zeit noch keine Fibrillen“
(8, S. 106). Also auch hier eine Reifung der Nervenbahn centripetalwärts,
nach der Ursprungszelle zu.
Diese Befunde sind nun zweifellos unrichtig und durch die oben erwähnten
älteren HELD’schen Untersuchungen an niederen Säugetieren, die der Verfasser
nicht gekannt zu haben scheint, bereits widerlegt. Für den Menschen habe ich selbst
Befunde erhoben, welche jenen ebenfalls entgegenstehen. Während Gieblioh be¬
hauptet, daß im dritten fötalen Monat, zu einer Zeit, wo er die intra- und extra¬
spinalen Wurzeln kräftig entwickelt fand, von Fibrillenbildung in den Vorderhorn¬
zellen noch nichts zu sehen ist, konnte ich bereits bei einem einmonatlichen
menschlichen Embryo „zarte fibrilläre Strukturen innerhalb des plasmatischen
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Syncytiums“ des Vorder horns nach weisen (6, S. 288) und Neuroblasten mit einem
ausgedehnten Neuroretäculum und aus demselben hervorgehenden Wurzelfasern,
ganz wie es Hbld beschrieben hat, demonstrieren. Und ferner: Während
Gisbuch den Beginn der Neurofibrillation in der motorischen Hirnrinde in
den 8. bis 9. Monat verlegt, die Fibrillenbildung in der cerebroepinalen moto*
rischen Bahn (Pyramidenbahn) im 6. Monat beginnen läßt, habe ich ffir die
Großhirnrinde „das erste Auftreten differenzierter Fasern beim Menschen im
fünften fötalen Monat“ (5, S. 289) (neuerdings an frischerem Material schon im
4. Monat) also weit früher als Giehlich in der Pyramidenbalm, beobachtet
Wodurch diese gewaltige Differenz von vier und mehr Monaten zwischen den
GiEBLiCH’schen und meinen Befunden zu erklären ist, kann ich hier nicht ent¬
scheiden. 1 Sie mahnt aber jedenfalls zu äußerster Vorsioht in der vorzeitigen
Aufstellung allgemeiner Schlüsse und Gesetzmäßigkeiten, von denen sich ja
auch Gublich im allgemeinen ferngehalten hat
Nicht so Döllkkn, welch«: die Fibrillenentwicklung der „Maus“ unter¬
sucht bat Er glaubt aus seinem immerhin recht einseitigen Material sofort
bedeutungsvolle allgemeingültige, entwicklungsgeschichtliche Gesetze ableiten zu
können.
Als Hauptthese stellt D., ohne frühere einschlägige Arbeiten oder ent¬
gegenstehende Anschauungen (Hbld, Bhodmann, Bbook, Gieblicb) auch mir
mit einem Wort zu erwähnen, die Behauptung an die Spitze, „daß die Leitsätze
Flechsig’ s über den Bauplan des Gehirns, welche er aus der Markreifung ab¬
leitete, auch für die frühesten Reifungsvorgänge ihre Geltung haben“ (9, S. 956).
Auf keiner Entwicklungsstufe habe er im Rückenmark, Hirnstamm
oder Großhirn Befunde erhoben, die dem FLEOH6iG’schen Gesetz
widersprechen (10, S. 3). Daraus ergibt sich für Döllken als selbsverständ-
liche Folge der Kardinalsatz „daß das myelogenetische Grundgesetz
sich zum allgemeinen hirnentwicklungsgeschichtlichen Grund¬
gesetz erweitert“ und alles dies auf Grund von 250 Mäusegehirnen, „außer
anderen Wirbel- und Säugetieren“, die allerdings nicht genannt werden!
Es sollen nun die für unsere Frage prinzipiell wichtigsten Befunde und
Angaben der vorgenannten Autoren, namentlich Döllkkn ’s, im einzelnen auf¬
geführt und ihnen meine Befunde am Menschen (teilweise auch der Katze)
namentlich vom Cortex cerebri entgegengestellt werden. Dabei muß ich mich
auf die Erledigung einiger Hauptgesichtspunkte beschränken und kann nur
1 leb möchte nur nochmals anf das hin weisen, was ich bereits in meinem Vortrng
1906 bezüglich der Methoden aasgeführt habe(5). Die Bm.scHOwsKT’sche Methode liefert
in den frühesten Embryonalstadien des Menschen (1. and 2. Monat) bei Totalimprägnation
Bilder von ausgezeichneter Klarheit and Eleganz. In den späteren Stadien, bis es gelingt,
Gefrierschnitte herznstellen, versagt sie; hier kommt nach meinen Erfahrungen hauptsächlich
Cajal's H. Modifikation in Betracht. Am jugendlichen und erwachsenen Gehirn ist dagegen
die Gefrierschnittversilberung nach Biblsohowskt wieder anbedingt überlegen, ganz abgesehen
von pathologischem Material, wo sie allein in Anwendung kommen sollte. Ähnlich spricht sich
auch Edimbb in seiner Arbeit „über das Gehirn von Myzine glntinosa“ aus.'
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wenige Details bringen. Von den subkortikalen Leitungsbahnen sehe ich in
der Hauptsache ab, da es mir nur darauf ankommt, festzustellen, inwieweit die
Fibrillogenie des Cortex einen Parallelismus mit der Myelogenie aufweist, und ob
die Behauptung berechtigt ist, daß die Flechsig ’schen Hauptgesetze der Myelini-
sation auf die Fibrillenentwicklung der Großhirnrinde Anwendung finden.
Um etwaigen Einwänden zuvorzukommen, darf nicht unerwähnt bleiben,
daß ich mich nur ungern und entgegen meiner ursprünglichen Absicht zu dieser
Veröffentlichung entschlossen habe. Mein Plan war, Material zu sammeln und
so lange zu warten, bis eine erschöpfende systematische Darstellung der Fibrillo¬
genie des Menschen und gleichzeitig eine positive Formulierung von Schlu߬
folgerungen möglich war. Dazu halte ich die Zeit noch nicht für gekommen.
Die Sachlage ist aber jetzt durch die jüngsten Arbeiten derart geworden,
daß mir eine Pflicht zur Entgegnung, selbst wenn diese hauptsächlich negativer
Art ist, vorzuliegen schien, da zu befurchten steht, daß die vorerwähnten apo¬
diktischen Sätze von der Mehrheit in Bausch und Bogen gutgläubig biu-
genommen und, wie es in ähnlichen Fällen meist ist, von phantasiebegabten
Theoretikern im Sinne bequemer Hypothesen ausgebeutet werden. Einer solchen
Verwirrung der wissenschaftlichen Anschauungen durch rechtzeitigen Wider¬
spruch vorzubeugen, halte ich für geboten.
I. Hauptsatz Dollken’S: „Zuerst entwickeln sich die Projektionssysteme
und dann die Assoziationsfaserungen“ im Gehirn wie im Bückenmark. Die
Assoziationsfasern treten zunächst in den innersten Schichten der Rinde und immer
nach den Projektionsfasern auf. Die Kommissurenfasern kommen am spätesten.
Dem ist folgendes entgegenzuhalten:
1. Über die ganze Großhirnoberfläche, in früh- und spätmarkreifen Gebieten
gleichermaßen, findet sich bei menschlichen Föten von 4 bis 5 Monaten (Katzen¬
fötus von 10 mm) innerhalb der äußersten Bindensohicht, der späteren Lamina
zonalis, eine ausgebreitete und dichte Tangentialfaserung, welche nirgends mit
Radiärfasern (Projektionsfasern) in Zusammenhang steht, deren Fasern vielmals
innerhalb dieser Schicht selbst aus mächtigen, multipolaren und bipolaren Zellen als
deren fibrillär differenzierte Fortsätze hervorgehen. Es handelt sich also zweifel¬
los um intrakortikale Assoziationsfasern, und diese werden an vielen
Orten gebildet, bevor irgend eine Projektionsfaser die Rinde
erreioht hat.
Von Döllkbn (und Gibrlioh) sind diese Elemente ganz übersehen worden,
möglich auch, daß die Präparate Döllkbn’s sie nicht erkennen lassen, da die von
ihm angewandte CaJAL’sche Methode nach meinen Erfahrungen sehr leicht die
äußersten Schichten ganz überschwärzt oder durch den Ammoniakalkohol derart
zu Schrumpfung bringt, daß Strukturelemente nicht mehr zur unterscheiden Bind.
Auch Cajal hat diese interessanten Zellformen, welche offenbar den von
Rbtzius am Golgi-Präparate entdeckten und von Köllikeb und Cajal bestätigten
embryonären Phasen der Spezial- oder Horizontalzellen in der plexi¬
formen (zonalen) Schicht entsprechen, in seinen Fibrillenpräparaten nicht gesehen,
dagegen erwähnt er sie bei der Analyse der Rinde im Golgi-Bilde (1). Diese
mächtigen embryonalen Zellen, welche zum Teil ganz monströse Formen zeigen und
oft zahllose Fortsätze aussenden (Mensch und Katze), konnte ich in der er¬
wachsenen Hirnrinde nicht mehr nachweisen.
2. Die ersten Assoziationsfasern treten demnach nicht, wie Döllkbn behauptet,
in der von ProjektionBfasern eben erreichten innersten Schicht auf, sondern ich
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finde sie im 4. Fötalmonat innerhalb der äußersten Schicht, namentlich
auch in Kindengebieten, die sonst noch faserfrei sind; diese Tan-
gentialfaserung entwickelt sich ganz unabhängig von den Pro*
jektionsfasern und ist auch da, wo Radiärfasern die tiefen Rinden-
schichten erreicht haben, ohne Zusammenhang mit diesen.
3. Der Satz, daß die Rommissurenfasern — natürlich in Übereinstimmung mit
einem Flechsig ’schen Hauptgesetz — zuletzt, also nach den Assoziationsfasern
und ent wenn die Projektionsfasern die 2. Zellschicht erreicht haben, auftreten,
entbehrt jeder tatsächlichen Unterlage.
Wie in aller Welt will Döllken in einer bereits faserreichen Rinde eine
Rommissurenfaser von einer Projektions* oder Assoziationsfaser unterscheiden? Es
▼erhält sich damit ebenso, wie wenn Döllken an auderer Stelle — wiederum
um das Flechsig ’sche Gesetz zu retten — „aus der Zahl und Anordnung“ innerer
Assoziationsfasern den Schluß zieht, „daß sie erst entstanden sein können un¬
mittelbar nachdem die Projektionsfasern in der Rinde angekommen sind“ (10, S. 6).
Solche Behauptungen schweben vollständig in der Luft und haben nicht die
mindeste Beweiskraft für oder gegen eine Theorie.
4. Aber auch auf das Rückenmark läßt sich der obige Satz,
wenigstens in den frühesten Stadien, nicht ohne weiteres anwenden.
Man betrachte die von Held beschriebenen ersten Fibrillationsprozesse an der
grauen Substanz des Rückenmarkes, die ioh an menschlichen Embryonen von 4
und 6 Wochen in ganz ähnlicher Weise beobachtet habe. Gleichzeitig mit der
Entstehung des Neuroreticulums in dem fibrillenbildenden Neuroblastenleib und
dem Fibrillenhauptbündel, dem Neuriten, entstehen andere fibrillenhaltige Fase¬
rungen der grauen Substanz, die späteren Dendriten, Neurodesmen, welche eine
Zelle mit den Nachbarzellen verbinden, in sehr großer Anzahl. Und in der Tat
findet sich bereits bei den genannten Stadien die ganze Masse des VorderhornB
▼on den dichtesten Fibrillenzügen und -büscheln durchsetzt. Die Zahl der intra¬
spinalen Fasern des VorderhornB ist, wie ich im Gegensatz zu Bbook und Gibklioh
mit Bestimmtheit behaupten muß, schon um diese Zeit beim menschlichen Embryo
entschieden weit größer als die der extraspinalen Fasern und so reichhaltig, daß
es unmöglich ist, etwa unterscheiden zu wollen, was Projektionsfaser und was
AssoziationBfaser ist. Neben den gegen die Wurzelaustrittszonen zu konver¬
gierenden Wurzelfaserbündelchen finden sich schon deutliche „Bogenfasern“, welche
in der grauen Substanz zwischen Vorder- und Hinterhorn sich ausbreiten, und auch
Rommissurenfasern.
loh finde also, daß der Prozeß der Nervenbildung auch beim Menschen in viel
früheren Entwicklungsstufen beginnt, als sie Gieblioh (3. Monat) untersucht hat.
Und zweifellos sind, nach den Feststellungen von Held, auch die Stadien von
Bbock (14 mm Föten) und Döllken zu alt, um eine sichere und eindeutige Ent¬
scheidung über die Histogenese der Nervenleitung und die zeitliche Reihen¬
folge der ersten Faserbildung herbeizuführen oder gar mit Bestimmtheit be¬
haupten zu können, „daß die AssoziationBfasern sich stets nach den Projektions¬
fasern entwickeln“ (10, S. 3).
IT. Hauptsatz: „Die Markscheidenmethode und die Silbermethode ergeben
ganz analoge Resultate und eine Bestimmung von umschriebenen Centren im
Großhirn ist mit beiden schärfer möglich als mit dem Studium der Rinden¬
zellen“ (S. 11).
Obwohl der erste Teil dieses Satzes sehr diplomatisch und allgemein gefaßt
ist, kann er, im Zusammenhang der übrigen Ausführungen, nur bedeuten, daß die
fibrillogenetische und myelogenetische Reihe sich decken. Döllken selbst gibt
über die topographische Differenzierung der Hauptfelder an, daß sich „Schmeck-
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syetem“, „Bewegungsrinde“ und „untere Riechrinde“ gleichzeitig entwickeln (Em¬
bryo von 10 Tagen), später Ammonshorn, dann „Sehrinde“ und zuletzt „Hörrinde“.
Dazu ist zunächst zu bemerken: Physiologische Begriffe, wie Sehrinde, Hör¬
rinde, Bewegungsrinde usw. sind als topographische Bezeichnungen so lange un¬
zulässig, als wir über die physiologische Lokalisation derartiger Centren, wie dies
in hervorragendem Maße bei der „Maus“ der Fall ist, gar nichtB wissen; sie
führen nur irre und machen eine Verständigung — z. B. über das ganze hypo¬
thetische „Schmecksystem“ — unmöglich. Anatomische Arbeiten erfordern ana¬
tomische, morphologische, topographische Bezeichnungen.
Sachlich sind folgende Punkte hervorzuheben:
1. Eine streng gesetzmäßige Reihe, wie sie Flechsig für seine 42
myelogenetischen Rindenfelder konstatiert hat, läßt sich auf Grund
der Fibrillogenie für den menschlichen Oortex nicht aufstellen (auch
nicht für die Katze), schon aus dem Grunde nicht, weil in dem Begriff
der Fibrillogenie ganz verschiedenartige Entwioklungsvorgänge
enthalten sind, welche nebeneinander herlaufen und sich in ver¬
schiedenen Rindenabschnitten komplizieren. Es ist in jedem Rindengebiet
durchaus zu unterscheiden zwischen der Fibrillation der Ganglienzellen, d. h. der
fibrillären Differenzierung des protoplasmatischen Zellleibes mit seinen Fortsätzen
und dem ersten Auftreten extrazellulärer Assoziations- und Projektionsfasern.
Diese verschiedenen Kategorien fibrillärer Elemente entwickeln sich keineswegs
überall gleichartig und nach gleichen Gesetzen; ihre gegenseitigen Beziehungen
sind vielmehr außerordentlich verwickelte und territoriell sehr verschiedenartige.
Feste Gesetze dafür zu formulieren, halte ich noch für verfrüht.
2. Demnach muß eine große Anzahl fibrillogenetisch diffe¬
renter Rindentypen unterschieden werden, welche sich nicht ohne
weiteres in eine bestimmte Reihe bringen, geschweige denn in das
myelogenetische Schema pressen lassen. Ich möchte nur einige Haupt-
gesichtspunkte herausgreifen:
a) Zunächst gibt es Rindentypen mit relativ frühzeitiger intra¬
zellulärer Fibrillation. Dazu gehört in erster Reihe das Ammonshom, daun
die Regio Rolandica und die Insel — also ganz früh und ganz spätmarkreife
Bezirke in bunter Reihe. Schon im vierten fötalen Monat zeigen die Pyramiden¬
zellen der Ammonsrinde mächtig entwickelte Fortsätze mit dichter Fibrillation, so
daß die ganze Rinde mit zarten Fibrillenbüscheln übersät scheint; die anderen
Fasern sind noch viel weniger entwickelt. Vereinzelte fibrillär differenzierte
polymorphe Zellen finden sich etwas später auch in der Fatcia dentata. Der
Alveus enthält im Vergleich zu den Rindenzellen spärliche, das Stratum zonale
und lacunosum etwas reichlichere imprägnierte Fasern. Gewisse regionäre Diffe¬
renzen bestehen aber auch schon im dorsalen ventralen und Endblatt des Ammons¬
horns, so daß, wenn man ganz genau sein will, jeder Abschnitt für sich betrachtet
werden müßte. Später, etwa im 6. Monat, finden sich in der Insel und um die
gleiche Zeit auch in der Gegend der Centralwindungen größere Zellen mit ver¬
einzelt beginnender Fibrillation in den Apikaldendriten in der 4. und 5. Schicht.
Die Insel hat um diese Zeit bereits ziemlich reichliche kurze Qorizontalfasern, da¬
gegen radiär einstrahlende Fasern nur in verschwindender Zahl, während in der
Regio Rolandica Horizontal- und Radiärfasern ziemlich gleich mächtig und bereits
sehr dicht — erstere fast zahlreicher — entwickelt sind.
Dieser Befund ist um so wichtiger, als Döllkrn schreibt, daß beim
10 tägigen Mäuseembryo das Ammonshorn „noch völlig undifferenziert“ ist, während
die Bewegungsrinde und untere Riechrinde schon zu reifen begonnen haben. 1
1 Was Cajal ttber die Fibrillation der Kindenzellen zeitlich aogibt, ist unrichtig. Er
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b) Andere fibrillogenetische Bindentypen sind solche mit vorwiegender
Anlage von Badiärfasern in dem Fröhstadium. Hierher ist in erster Beihe
das sehr frühmarkreife Subiculam zu rechnen, dann die ganz spätmarkreife Begio
parietalis, ferner die ziemlich frühreife Gegend des Oocipitalpols und des Gyros
temporalis superior. Charakteristisch ist für alle diese Gebiete, daß sie außer
dem Tangentialfaseratreifen in der Lamnia zonalis keine Horizontalfasern enthalten.
Bei zwei menschlichen Föten von 4 bis 4 1 / 8 Monaten und einem von 22 Wochen
finde ich übereinstimmend das ganze Subieuhm von sehr zahlreichen und diohten
Faserbüscheln durchzogen, welche aus dem gleichfalls sehr faserreichen subkortikalen
Marklager die Binde in ganzer Breite durchziehen und bis in die Lamnia zonalis
Vordringen. Neben langen zarten Fibrillenbündeln kommen ganz kurze schräg ge¬
troffene, aus dickeren Fasern bestehende Bündel vor, namentlich in den inneren
Schichten und im Bandgebiet. Bei den gleichen Stadien finden sich in der regio
parietalis und im Gyrus temporalis superior lange, aus zartesten Fibrillen bestehende
Faserbündel, welche aus dem unmittelbar unter der Binde gelegenen Marklager bis
in die Lage der 5. und 6., stellenweise sogar der 3. Schicht Vordringen. Die
tieferen Lagen des Markes enthalten keine imprägnierten Fibrillen. (Methode?)
Die Binde um den Occipitalpol zeigt um dieselbe Zeit ebenfalls nur radiär
angeordnete Faserbündel, welche sich teilweise bis in das sagittale Marklager
verfolgen lassen. An der Medianfläche kommen mehr kurze, halbschräg getroffene
Büschel feinster radiärer Fibrillen vor (Calcarinatypus?), während an der Konvexität
lange Radii derberer Fasern vorherrschend sind (Occipitaltypus?).
Bezüglich des Faserreichtums dieser verschiedenen Gebiete läßt sich nur so¬
viel sagen, daß das Subiculum in der Entwicklung zweifellos am weitesten fort¬
geschritten ist, während ein wesentlicher Unterschied zwischen den spätmarkreifen
Parietallappen und dem frühmarkreifen Occipitalpol in meinen Stadien nicht nach¬
zuweisen ist. Bei einem Gehirn ist die Binde des Parietallappen sicher faser-
reicher, doch könnte dies auch in Mängeln der Methode begründet sein oder man
muß daran denken, daß die Fibrillenentwicklung, wie es auch für die Markreifung
behauptet wird, großen Schwankungen unterliegt.
c) Wieder einen anderen Entwicklungsmodus ihrer fibrillären Faserung lassen
jene Bindengebiete erkennen, welche im Gegensatz zu den vorgenannten zuerst vor¬
wiegend Horizontalfasern bilden. Dazu muß ich einstweilen die Insel und gewisse
Teile deB Gyrus cinguli rechnen. Hier treten sehr früh zwischen den großen
frühreifen Zellen der 5. Schicht kurze, derbe Fasern, wenn auch in spärlicher
Zahl, auf, welche sicherlich nicht extrakortikalen Ursprungs sind. Abzusehen
ist bei dieser Betrachtung von der auch hier bereits mächtig entwickelten Tan¬
gentialfaserung der 1. Schicht.
d) In der Gegend der späteren Centralwindungen treten zu gleicher Zeit mit
den früh einstrahlenden Badiärfasern sehr zahlreiche Horizontal- und Schrägfasern
in den innersten Schichten auf, so daß hier im Gegensatz zu den andern Haupt¬
typen ein dichtes, wirres Geflecht von Fasern entsteht. Zu entscheiden, welche
von den beiden Faserkategorien zu allererst da ist, dürfte wohl ganz unmöglich
sein. Ich sehe in meinen frühesten Stadien (4. Monat) gleich viele. Aus der
„Zahl und Anordnung“ der Horizontalfasern schließen zu wollen, wie es Döllkbn
tut, daß diese nach den Projektionsfasern entstanden sind, ist geradezu sinnlos.
Wichtiger scheint mir zu sein, daß die Fasern dieser Begion bei Maus und Katze
sich von vornherein durch ein grobes Kaliber auszeichnen, wie auch im Subi-
eulum. Wenn sich dies als gesetzmäßig erweisen sollte, so läge darin eine prin-
bebauptet, daß die Neurofibrillenbildung des Cortex cerebri bei Kaninchen, Katze nnd Hand
erst nach der Geburt beginne. Nach meinen Beobachtungen treten fibrilläre Differen¬
zierungen in den großen Protoplasmafortsätzen des Ammonshorns und der Begio sigmoidea
auch bei der Katze viel früher auf.
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zipiell bedeutungsvolle Übereinstimmung mit der von Vogt bezüglich der Mye-
linisation gemachten Feststellung, daß frühreife Gebiete diejenigen sind, welche
dauernd, d. b. auch nach abgeschlossener Entwicklung, durch derbere Fasern und
gleichzeitig einen größeren Reichtum an Fasern ausgezeichnet sind
3. Was die zeitliche Reihenfolge der Fibrillenentwicklung in
verschiedenen Rindenabschnitten betrifft, so geht aus vorstehendem hervor,
daß es sich keinesfalls um einen Btrengen Parallelismus mit den
myelogenetisch abgrenzbaren Territorien — weder im Sinne der
Flechsig 'sehen Darstellung, noch nach der seiner Gegner — handeln kann.
In der Myelogenie stehen nach der allgemeinen Auffassung die Central Windungen
an erster Stelle und erst später (nach Flechsig als 4. Gebiet) folgt das Subi-
culum, noch später das Ammonshorn. In der Fibrillogenie verhält es sich gerade
umgekehrt Am frühesten tritt im Subiculum die Faserung auf, dann folgt an
Faserreichtum das Ammonshorn mit seiner sehr zeitig beginnenden intrazellulären
Fibrillation und an dritter Stelle kommt die spätere Regio Rolandica. Aber,
wie bereits erwähnt, ist überhaupt die Berechtigung zur Aufstellung
einer fibrillogenetisohen Reihe — etwa nach Analogie der myelo-
genetischen — zu bestreiten, da in den Begriff der Fibrillogenie
ganz verschiedenartige Vorgänge und verschiedenartige Elemente
(die Entwicklung von fibrillären Strukturen in den Protoplasmafortsätzen und im
Körper des Zellleibes in das primäre Neuroreticulum, den Neurodesmen Held 's, das
erste Auftreten von freien [centrifugalen und centripetalen] Fassermassen) ein¬
begriffen sind.
III. Hauptsats Döllken’s: „Die Rindenfelder sind vom ersten Tage ihres
Bestehens an scharf umgrenzt und haben relativ dieselbe Größe wie beim er¬
wachsenen Tier“ (9, S. 957).
Diesem Satze stelle ich folgende Befunde beim Uenschen gegenüber:
1. In keinem der von mir untersuchten Gehirne finde ich scharf umschriebene,
fibrillogenetische Felder — wenn von solchen nach den ohigen Ausführungen
überhaupt gesprochen werden kann —, abgesehen vielleicht von dem sehr früh
faserreichen Subiculum. Die Typen verschiedener Fibrillenentwicklung
verlieren sich und gehen fließend ineinander über. Lineare Grenzen,
wie sie die cytoarchitektonisohe Lokalisation allerorts zeigt, ergibt die Fibrillo¬
genie nirgends — ebensowenig übrigens wie die Myelogenie. Das gleiche
gilt von der Katze. Ich habe gerade solche Stellen, welche im Zellbild scharfe
Übergänge zeigen, wie die Regio calcarina, die Regio centralis daraufhin durch¬
gesehen; weder im 4. noch im 6. Monat ist in der Umgebung des Occipitalpols eine
scharfe strukturelle Grenze zu finden, welche etwa der überaus charakteristischen
und deutlichen Umgrenzung des Calcarinatypus entsprechen könnte. Ebensowenig
läßt sich ein fibrillogenetisches Feld in der Regio Rolandica scharf umschreiben,
geschweige denn, daß es möglich ist, vordere und hintere Centralwindung, die ja
im Zellbild strukturell streng geschieden sind, auseinander zu halten.
Gerade in letzterer Tatsache ist allerdings ein gewisser Parallelismus zur
Myelogenie zu sehen, insofern auch sie die vordere und hintere Centralwindnng
nicht zu trennen erlaubt. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Arbeiten von
O. Vogt, namentlich seine jüngste über den Wert der myelogenetischen Felderder
Großhirnrinde (Anat. Anz. IXXX. Heft 11 u. 12, Fig. 1 bis 6). Aber auch im
übrigen haben ja die Gegner Flechsig ’s (Dejebikb, Vogt, Siemeblihg, Monakow)
immer bestritten, daß sich die Myelinisation des Cortex nach scharf abgegrenzten
Feldern oder gar nach einer bestimmten Zahl (7, 42, 36, wie Flechsig abwechselnd
Angibt) funktionell ungleichartiger Felder vollzieht. Speziell hat Siekerling nach¬
gewiesen — und auch 0. Vogt hat immer den gleichen Standpunkt vertreten —,
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daß Anfänge der Myelinisation sich nicht nur an ganz distinkten Regionen,
sondern schon sehr früh an den verschiedensten Stellen der Hirnrinde nnchweisen
lassen. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Entwicklung der ersten Neuro*
fibrillen bzw. faserigen Elemente in der Hirnrinde. Sie findet ebensowenig
wie die Uarkumhiillung streng felderweise statt, sondern es findet
eine Art zeitliche (und räumliche) Überlagerung statt, wenn auch zu-
zugeben ist, daß einige wenige Hauptregionen (wie die bereits genannten) an
Faserreichtum voraneilen, andere relativ Zurückbleiben.
2. Damit wird die von vornherein biologisch sehr unwahrscheinliche Be¬
hauptung Döllkens, daß die relative Größe der Rindenfelder dauernd dieselbe
bleibe wie beim Erwachsenen, von selbst hinfällig.
IV. Hauptsatz: Die Abgrenzungen der Bewegungs- und Sehrinde (der Maus)
„stimmen mit den von Bbodmann an Nissl-Bildern gefundenen überein“ (9, S. 957).
Dazu entgegne ich:
1. Ich habe überhaupt nie eine Maus auf die topische Lokalisation von
Rindenfeldern untersucht, sondern von Rodentieren nur Ziesel.
2. Wenn Herr Döllken meinen lokalisatorischen Arbeiten die Ehre erweist,
sie als Stütze seiner schwach fundierten Ansichten heranzuziehen, so hätte
er vor allem daraus entnehmen müssen, daß man niemals in loknlisatorisoher
Hinsicht von einem Tier auf ein anderes schließen darf, mögen diese auch noch
so nahe verwandt sein. Dafür finden sich zahlreiche Belege in meinen angezogenen
Untersuchungen. Es ist also auch nicht angängig, die Lokalisation eines Feldes
kurzweg vom Ziesel auf die Maus zu übertragen, — namentlich wenn gar nicht
angegeben wird, um welche Art von Mäusen (Rodentier, Insektivoren) es sich
handelt.
3. Außerdem ist es aber auch gar nicht richtig, daß das von Döllken mit
der Fibrillenmethode bestimmte „Bewegungscentrum“ sich mit dem von mir beim
Ziesel abgegrenzten Rindenfeld, der Area gigantopyramidalis räumlich deckt.
Man vergleiche nnr Bein Oberflächenschema (etwa Fig. 18 oder 44) mit meinem
Schema (Jonrn. f. Psych. u. Neur. YI. Ergb., Fig. 195), um zu erkennen, daß das
Döllken 'sehe Feld viel weiter kaudalwärts reicht, als mein Rindenfeld. Dies geht
noch deutlicher aus einem Vergleich der Horizontaldiagramme hervor. Der Unter¬
schied ist für die vorliegende Frage ein sehr wesentlicher, da Döllken’ s Feld
sich bis nahe an die dorsokaudale Ecke der Mantelkante erstreckt und also für
ein „Sehrindenfeld“ von annähernd der Ausdehnung meiner Area striata garnicht
mehr Raum auf seinem Schema vorhanden ist.
Weder die Bewegungs- noch die Sehrinde Döllken’s fallen daher
mit einem meiner cytoarchitektonischen Felder zusammen. Die
diesbezüglichen Angaben Döllken’s sind ganz ungenau und unhaltbar. Die ganze
Argumentation Döllken’s bezüglich seines „Bewegungscentrums“ gründet sich auf
einen offenkundigen Circulus vitiosus. D. will beweisen, daß das frühest fibrillen¬
reife Gebiet mit dem motorischen Rindenfeld zusammenfällt; er stellt fest, inner¬
halb welches Bezirkes zuerst Fibrillen auftreten und schließt dann: das ist das
„Bewegungscentrum“. Der Schlußsatz setzt also voraus, was erst zu beweisen war.
Y. Hauptsatz: „Die Befunde decken sich mit denen der Physiologie“ (9)
sc. bezüglich des Bewegungscentrums der „Maus“.
Da über die Physiologie des Mäusegehirns noch nie etwas bekannt war und
alles, was wir über die physiologische Lokalisation überhaupt, speziell des
kortikalen Bewegungscentrums, an gesichertem Wissen zu haben glaubten, durch
jüngere Forschungen stark in Frage gestellt ist, so entbehrt auch dieser Satz
jeder tatsächlichen Unterlage.
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348
Ich fasse das Wesentliche meiner Ausführungen zusammen.
Die Entstehung der centralen Nervenfasern, die Fibrillogenie, ist schon in
ihren ersten Anfängen ein so komplizierter histogenetischer Vorgang, daß er mit
dem viel späteren Prozeß der Markreifung nicht in eine einfache Beziehung ge*
bracht werden kann. Es gibt, speziell in der Großhirnrinde, ver¬
schiedene Arten der Neurofibrillenreifung, während es nur eine
Art der Markreifung gibt
Streng zu unterscheiden ist in jedem Rindenabschnitt, wenn man von
Fibrillogenie redet, zwischen der Entwicklung von fibrillären Strukturen in den
Ganglienzellen und deren Fortsätzen einerseits, d. h. der Neurofibrillation der
Zellen, und dem ersten Auftreten von Fasern außerhalb der Zellen anderseits.
Beide Prozesse sind ganz verschiedener Art, verlaufen zeitlich un¬
abhängig voneinander und vollziehen sich auch territoriell in ganz
verschiedener Weise. So gibt es Rindenbezirke, in denen die intrazelluläre
Fibrillenbildung sehr früh einsetzt, während die Entwicklung der übrigen
Faserung relativ zurückbleibt, und umgekehrt treten in anderen Gebieten ver¬
hältnismäßig früh zahlreiche freie Fasern auf, während die Zellen lange un¬
entwickelt bleiben.
Ebenso verhält es sich mit den Assoziations- und Projektionsfasern in ver¬
schiedenen Rindengebieten; in manchen treten erst diese, in anderen erst jeue
auf und bezüglich der Projektionsfaserung wird man Territorien, welche zuerst eine
kortikopetale Projektionsfaserung erhalten, unterscheiden müssen von solchen,
welche früher kortikofugale Fasern — beides mit oder ohne gleichzeitiges Auf¬
treten von Assoziationsfasern — bilden. So erklärt es sich, daß man in früheren
Entwicklungsstufen Großhimabschnitte beobachten kann, deren Fasergehalt in
der Rinde selbst schon recht groß ist, während das betreffende subkortikale
Mark infolge des Fehlens kortikopetaler Projektionsfasern noch wenig reife
Fibrillen zeigt und umgekehrt.
Es geht daraus hervor, daß die Entwicklung der Neurofibrillen
territoriell eine große Mannigfaltigkeit und Verschiedenartigkeit
zeigt, und daß es nicht angängig ist, kurzweg von der Fibrillenreifung eines
Rindenabschnittes zu sprechen und den Gesamtgehalt der fibrillären Elemente
als Maßstab für den Reifungsgrad desselben zu nehmen.
Aus den gleichen Gründen muß der Versuch, die Fibrillogenie in Parallele
zur Myelogenie zu setzen und den myelogenetischen Centren Fleohbio’s eine
entsprechende Zahl übereinstimmender „fibrillogenetischer Felder“ an die Seite
zu stellen, nicht nur als verfrüht, sondern auch als im Prinzip verfehlt zurück¬
gewiesen werden. Beide in eine einheitliche entwicklungsgeschichtliche Reihe
bringen zu wollen, steht in Widerspruch mit den Tatsachen.
Ich stehe daher nicht an zu erklären, daß das „allgemeine hirnent¬
wicklungsgeschichtliche Grundgesetz“ Döllken’s, welches eine Be¬
stätigung und Erweiterung des „myelogenetischen Grundgesetzes“ von
Flechsig darstellen soll, eine voreilige und durch die Tatsachen nicht be¬
gründete Konstruktion ist. Es findet keine Anwendung auf dasjenige
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340
Säugetier, auf das es in erster Reihe anwendbar sein muß, wenn es
Allgemeingültigkeit beansprucht, auf den Menschen, und es stimmt
nicht ffir den Cortex cerebri, für den es ausnahmslos Geltung be-
sitzen muß, wenn es überhaupt einen Sinn haben soll.
Literatur.
1. S. B. Cajal, Stadien über die Hirnrinde de« Mensehen. 1906. Heft 5. — 2 . Biel-
schowsrt, Die Silberimprägnation der Neurofibrillen. Journ. f. Psychol. u. Neorol. III.
1904. 8. 169. — 8. Held. Die Entstehung der Neurofibrillen. Neurolog. Centralbl. 1905.
Nr. 16. S. 706. — 4. Derselbe, Zur Histogenese der Nervenleitung. Anat. Anzeiger. XXIX.
1906. Erginzungsh. S. 185. — 6. Bbodmann, Demonstration von Fibrillenpräparaten zur
Histogenese des Centralnervensystems. Neur. Centrbl. 1906. Nr. 14. S. 669.' — 6. Derselbe,
Demonstration zur Entwicklung der Neurofibrillen im Centralnervensystem. 20. Versammlung
der anat. Ges., Juni 1906. Anat. Anzeiger. XXIX. Ergänznngsh. S. 288. — 7. Brock,
Untersuchungen über die Entwicklung der Neurofibrillen des SchweinefStus. Monatsschr. f.
Psych. u. Neur. XVIIL 1905. Heft 5. S. 467. — 8. Gibblxch, Über die Entwicklung der Neuro¬
fibrillen in der Pyramidenbahn des Menschen. Vortrag auf der Versamml. südwestd. Neuro¬
logen, Mai 1906. Deutsche Zeitscbr. f. Nervenheilk. XXXII. S. 97. — 9. Döllkrn, Ver¬
schiedene Arten der Reifung des Centralnervensystems. Versamml. deutscher Naturforscher,
September 1906. (Neur. Centralbl. 1906. Nr. 20. S. 966.) — 10. Derselbe, Beiträge zur
Entwicklung des Säugergehirns. Lage und Ausdehnung des Bewegungscentrums der Maus.
Ebenda. 1907. Nr. 2.
[Aus dem Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf (Abteilung Oberarzt Dr. Nonne).]
2. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren
der motorischen Region des Großhirns nebst Beiträgen
zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis
cerebri und bei genuiner Epilepsie.
Von Dr. G. Sterte, Assistenzarzt.
Während nach Jackson’s Untersuchungen zunächst eine Scheidung zwischen
kortikaler oder partieller Epilepsie, als deren Ursache man eine circumskripte
Läsion der motorischen Rinde einer Seite fand, einerseits — und zwischen der
genninen Epilepsie, bei welcher beide Körperhälften, ohne daß eine anatomische
Ursache hierfür sich nachweisen ließ, gleichzeitig von den Krämpfen ergriffen
wurden, andererseits — aufrecht erhalten wurde, zeigte es sich späterhin, daß
fließende Übergänge zwischen den beiden Formen, die sich klinisch darstellen,
vorhanden sind. Es wurde beobachtet, daß einmal auch ein kortikaler Herd zu
generalisierten Krämpfen führen, und daß ebenso die genuine Epilepsie ge¬
legentlich in partieller Form auftreten kann , 1 daß znm wenigsten einzelne An¬
fälle im Verlauf der genuinen Epilepsie diesen Charakter haben können. Auch
dem Status hemiepilepticus symptomaticus konnte Leo Mülleb 2 an der Hand
1 BurawANQKE, Nothnagel’« Pathologie und Therapie.
1 Lzo Müller, Über Statns hemiepilepticus idiopathicus. Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬
heilkunde. 1905.
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einer Reibe von Fällen von Dr. Nonne ’s Abteilung einen Status hemiepilepticus
idiopatbicus gegeuüberstellen.
Die Kasuistik des letzteren möchte ich dnrch einen interessanten Fall 1 be¬
reichern:
Fall I. Status hemiepilepticus bei genuiner Epilepsie. Es handelte
sich um einen 40jährigen Malermeister, der seit Jahren ohne nachweisbare Ursache
an echten epileptischen Anfällen und psychischen Äquivalenten litt. Am 1,/V.
1905 wurde er in einem Status hemiepilepticus aufgenommen. Er war völlig
bewußtlos; die Untersuchung ergab außer einer Abschwächung der Hautreflexe
der rechten Seite keinen Anhalt für eine organische Erkrankung des Gehirnes.
Hautabschürfungen an der rechten Stirnseite deuteten auf einen Fall auf diese
Seite. In den nächsten 4 Tagen wurden 413(1) typische JACKSON’sche Anfälle
beobachtet, die im rechten Fazialis begannen und sich auf die rechte obere und
untere Extremität fortsetzten, während die linke Seite frei blieb. Die Anfälle
folgten sich znm Teil Schlag auf Schlag, dazwischen blieb Pat. völlig bewußtlos.
Da sich das Allgemeinbefinden nicht wesentlich verschlechterte, und da sichere
Zeichen eines organischen Leidens, insbesondere schwere hemiplegisohe Symptome
und Zeichen von Hirndruck auch weiterhin fehlten, wurde von einem operativen
Eingriff abgesehen. Vom 5. Tage an blieb Pat. von Anfällen frei und kam
wieder zu sich. Späterhin wurde er dann wieder von doppelseitigen Krämpfen
Bowie mehrfach von epileptischen psychischen Äquivalenten heimgesucht.
Indessen bewahren die kortikalen Formen, ganz abgesehen davon, daß nicht
alle Anfalle partieller Konvulsionen den typisch Jackson ’schen Charakter tragen,
doch dadurch eine Sonderstellung, daß in ihrem Geleit Paresen, in den von den
Krämpfen befallenen Muskelgebieten zunächst Monoplegien, später selbst Hemi¬
plegien auftraten, die dauernd bestehen bleiben und daher nicht bloß als
„Erschöpfungssymptom“ der Rinde, sondern als Ausdruck einer organischen Läsion
derselben anzusehen sind.
Nach neuesten Forschungen 2 freilich könnte auch in dem Vorhandensein
dauernder hemiplegischör Symptome ein prinzipieller Unterschied zwischen
„genuiner“ und „kortikaler“ Epilepsie nicht mehr gefunden werden, da nach
den Untersuchungen Rbdlichs solche in Gestalt von Fazialis- und Hypoglossus-
parese, in Gestalt einer leichteren Ermüdbarkeit homolateraler Extremitäten oder
einer Extremität, schließlich in Gestalt von Reflexdifferenzen im Sinne einer
Hemiplegie in einem großen Prozentsatz von Fällen (mindestens 40 °/ 0 ) genuiner
Epilepsie sich nachweisen ließen. Andererseits aber wurden gerade in letzter
Zeit Fälle bekannt, 3 bei welchen typische jACKSON’sche Anfalle mit nachfolgenden
dauernden Lähmungserscheinungen das Vorhandensein einer organischen Affektion
der Hirnrinde — eines Tumors — voraussetzen ließen, während bei der Trepanation
bzw. Autopsie die entsprechenden Teile der Rinde intakt gefunden wurden.
1 Der Fall wurde von Herrn Oberarzt Dr. Nonnb am l./V. 1906 im ärztlichen Verein
zu Hamborg vorgestellt; vgl. die Sitzungsberichte.
1 Redlich, Über Halbseitenerscheinongen bei der genuinen Epilepsie. Archiv f. Psycb.
u. Nervenkrankh. XLI.
* Nonnb, Über Fälle vomSymptomenkomplex: Tumor cerebri mit Ausgang in Heilung nsw.
Fall VI. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1904 u. Hknnbbbbo, Fehldiagnosen in operativ
behandelten Fällen von JxcKSON'scher Epilepsie usw. Fall I (II). Charite-Annalen. 1905.
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351
Entsprechende Symptome, zum Teil in Verbindung mit allgemeinen Tumor-
ersoheinungen lagen auch in den Beobachtungen Oppenheim’s 1 vor, während hier
der Aasgang in Heilung die Diagnose „Tumor“ als unzutreffend erscheinen ließ.
Solche Erfahrungen sind natürlich geeignet, die Indikationsstellung zur
Operation in Fällen jACKsoN'scher Epilepsie nicht wenig zu erschweren, zumal
der Hinweis der letzteren auf eine operativ angreifbare Affektion auch noch
durch ihr Auftreten bei einer Reihe anderer Krankheiten wesentlich einge¬
schränkt wird.
Ich sehe hier ab von den ätiologisch und klinisch mehr oder minder leicht
erkennbaren Ursachen jACKBON’scher Epilepsie wie Trauma, Lues, progressive
Paralyse, sowie Krankheiten, die abgesehen vom Trauma zu paohymeningitischen
Blutungen Veranlassung geben, und möchte hier nur zweier Fälle Erwähnung
tun, in denen die Arteriosklerose zum Auftreten nicht bloß JACKsoN’scher
Anfälle, sondern sogar eines Status hemiepilepticus Veranlassung gegeben hat.
Fall II. Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis cerebri. In
dem ersten derselben handelte es sich um eine 83jährige Frau, die früher nie
ernstliche Krankheiten, auch keine Anfalle oder Insulte irgendwelcher Art gehabt
hatte. Sie ließ sich am 20./VI. 1905 wegen heftiger Schmerzen im rechten Fuß
ins Krankenhaus aufnehmen. Bei der geistig relativ regsamen Patientin fanden
sich die Zeichen allgemeiner Arteriosklerose und als Ursache der Schmerzen eine
lokale Asphyxie in den Zehen des rechten Fußes bei nicht fühlbarem Dorsalpuls,
Hemiplegische Symptome waren nicht vorhanden. Im Urin waren 3°/ 0 Zucker.
Der Augenhintergrund war wegen beiderseitigen Katarakts nicht zu untersuchen.
Im Laufe der Behandlung besserten sich die lokalen Zirkulationsstörungen.
Patientin fühlte sich ganz gesund, als am 20./VIII. eine leichte Temperatur¬
steigerung mit Erbrechen auftrat. 3 Tage darauf wurde ein Krampfanfall von
jACKSON’scbem Typus beobachtet: Beginn der erst tonischen, dann klonischen
Krämpfe im rechten Fazialisgebiet, Fortschreiten derselben auf die rechte obere
und die rechte untere Extremität, dabei leichte Bewußtseinstrübung. Hemiplegische
Symptome wurden bei der erst später erfolgenden Untersuchung nicht festgestellt.
Am Abend desselben Tages trat ein zweiter Anfall derselben Art auf, und in der
Nacht vom 23. zum 24./VIIL wiederholten sich die halbseitigen Anfälle in un¬
unterbrochener Reihe, es trat schließlich totaler BewußtseinBverlust sowie eine
Generalisierung der Krämpfe hinzu. Am 24./VIII. war Patientin völlig komatös
und ganz reflexlos. Puls klein und frequent. In diesem Zustande trat unter
hohem Temperaturanstieg der Exitus ein.
Bei der Oduktion fanden sich die üblichen Organveränderungen des Seniums,
eine schwere allgemeine Arteriosklerose, Degeneration des Herzmuskels. Besonders
schwere arteriosklerotische Veränderungen fanden sich an den Arterien der Hirn-
basis. Am Hirn selbst waren leichte leptomeningitische Trübungen nachweisbar.
Im Gebiet der Stammganglien fanden sich beiderseits encephalomalacische, zum
Teil gelb pigmentierte Herde und Cysten verschiedenen Alters und verschiedener
Größe, die größten derselben waren etwas mehr als erbsengroß, die meisten viel
kleiner. Im Centrum semiovale und in der Rinde selbst waren erkennbare Herde
nicht vorhanden, doch machte das ganze Gehirn einen etwas atrophischen Eindruck.
Ich lasse es dahingestellt, ob die hier bei der Obduktion gefundenen ence-
1 Oppbhhsui, Beitrag zur Prognose der Gehirnkrankheiten im Kindesalter. Berliner
kiin. Wochenschr. 1901. S. 805.
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phalomalacisohen Herde oder eine neu hinzukommende, anatomisch noch nicht
nachweisbare Ernährungsstörung die Ursache des zum Tode föhrenden Status
hemiepilepticus gewesen ist. Ersteres ist deshalb unwahrscheinlich, weil die
Veränderungen zum Teil wenigstens älteren Datums waren und weil sie gleich¬
mäßig auf beide Hirnhälften verteilt waren.
Anfälle von Epilepsie — auch halbseitiger — sind besonders bei embolisch
bedingten Ernährungsstörungen durchaus nichts ungewöhnliches, immerhin aber
dürfte das Auftreten eines Status hemiepilepticus dabei zu den seltenen Er¬
eignissen gehören.
Dem zweiten, günstig verlaufenden Fall dieser Art, der in der Tat Schwierig¬
keiten bezüglich einer eventuellen Indikation für die Trepanation gemacht hatte,
möchte ich hier aufügeu. 1
Fall III. Status hemiepilepticus bei Epilepsia tarda (Arterio-
sklerosis). Der 62jährige Mann, der früher, abgesehen von Variola im Jahre
1870, stets gesund gewesen war, erkrankte 14 Tage vor der Aufnahme (3./XII.
1905) mit allgemeinem Unwohlsein, das er fttr „Influenza“ hielt. Er boII dann
am 30./XI. 1905 2 1 / 2 Stunde in bewußtlosem Zustande gelegen haben unter
krampfhaften Zuckungen und Augenverdrehen. Seitdem litt er beständig an in
ganz kurzen Zwischenräumen sich wiederholenden Krampfanfällen ohne Bewußt¬
seinsverlust Pat bot, abgesehen von den Zeiohen einer peripheren Arteriosklerose,
(geschlängelte, rigide Radialarterien, wesentlich erhöhter Blutdruck, Accentuatioo
des II. Aortentones) keinen krankhaften Befund dar, insbesondere war das Sensorium
frei, und es fanden sich keinerlei Andeutungen hemiplegischer Störungen. Fast
alle 2—3 Minuten bekam er Antälle folgender Art: krampfhaftes Ballen der
linken Hand, dann tonischer Krampf im linken Arm, sodann im linken Bein.
Nach wenigen Stunden wurden die tonischen Krämpfe durch klonische abgelöst.
Die Gesamtdauer eines Anfalles, bei dem das Bewußtsein erhalten blieb, betrug 1 j i
bis 1 Minute. Der Facialis blieb unbeteiligt. Die Lumbalpunktion ergab einen
normalen Druck.
Die Anfälle werden am 2. Tage seltener, nehmen aber an Intensität zu.
Insbesondere beteiligt Bich auch der linke Facialis und die linksseitige Rumpf¬
muskulatur an den Krämpfen, die Dauer derselben beträgt nun etwa 2 Minuten,
gegen Ende derselben geht das Bewustsein verloren. In den anfallsfreien Zeiten
besteht eine gewisse Somnolenz bei erhaltenem Bewußtsein. Im ganzen wurden
vom 2.—6. Tage 104 solcher Anfälle, die übrigens stets in der linken Hand ihren
Anfang nahmen, beobachtet. Gegen Ende des Status, der mit dem 5. Tage der
Beobachtung sein Ende nahm, stellte sich eine traumhafte Bewußtseinstrübung
ein, die nach einigen Tagen vorüberging. Dauernde hemiplegische Symptome
wurden nicht beobachtet. Patient erholte sich später sehr gut und wurde am 3./V.
1906 geheilt und völlig beschwerdefrei entlassen.
Wir hatten hier bei einem 62jährigen Mann, der, abgesehen von den Sym¬
ptomen peripherer Arteriosklerose, keinen krankhaften Befand bot, Anfälle von
typisch jACKsoN’schem Charakter vor uns, welche sich za einem Status hemi¬
epilepticus verdichteten. Der Umstand, daß die Anfalle an Intensität, Dauer
und Ausdehnung Zunahmen und schließlich mit Bewußtseinsverlust einhergingen,
legte mehr als einmal den Gedanken an eine Trepanation nahe, da das Vor-
1 Der Fall wurde ebenfalls in der Sitzung des ärztlichen Vereins zu Hamburg vom
1. Mai 1906 von Dr. Nonne vorgestellt.
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handensein eines die Binde reizenden, übrigens gut lokalisierbaren Krankheits¬
prozesses wahrscheinlich war.
Indes mit Rücksicht anf das gute Allgemeinbefinden und das Fehlen
schwerer dauernder Ausfallssymptome, sowie mit Rücksicht darauf, daß Zeichen
intracranieller Drucksteigerung fehlten, wurde die Möglichkeit eines Status hemi-
epilepticus idiopathious in Betracht gezogen und die Trepanation immer noch
hinausgeschoben. Der weitere Verlauf, der die Auffassung des Zustandes als
Status hemiepilepticus bei Epilepsia tarda (arteriosklerotischer Genese) wahr¬
scheinlich machte, da er in Heilung ohne jeden Defekt überging, rechtfertigte
dieses Zögern um so mehr als nach unseren in Eppendorf gemachten Erfahrungen
und auch anderweitigen neueren Publikationen 1 die Gefahren der Trepanation
nach wie vor nicht zu unterschützen sind.
Während wir uns hei Fällen, wie die erwähnten, auf dem Boden älterer Er¬
fahrungen befinden, sind wir in ungleich schwierigerer Lage gegenüber den oben
erwähnten, von Oppenheim, Nonne, Hennebebg mitgeteilten Beobachtungen,
bei welchen die klinischen Erscheinungen zur Annahme eines organischen Pro¬
zesses im Gebiet der motorischen Centren hindrängen, während die Autopsie
in vivo bzw. die Obduktion denselben vermissen lassen.
Indessen sind diese Fälle offenbar außerordentlich selten, besonders unter
Berücksichtigung des anerkannten Vorkommens idiopathischer jACKSON’scher
Epilepsie, und man wird sie jedenfalls nur dann in das bisher noch unaufgeklärte
Gebiet des „Pseudotumor cerebri“ (Nonne) einreihen können, wenn — wie auch
von Nonne betont wird — ausgesprochene Tumorerscheinungen, die nicht durch
eine der gewöhnlichen Ursachen bedingt sind, in Heilung übergehen, oder
wenn bei letalem Ausgange genaueste mikroskopische Untersuchung
das Vorhandensein entsprechender pathologischer Veränderungen
ausschließen läßt. Daß die Beurteilung der histologischen Verhältnisse dann
wesentlich erschwert ist, wenn sich zu dem ursprünglichen Bilde eine eitrige
Meningoencephalitis bzw. vereiternde und erweichende Himprolapse hinzugesellt
haben, hebt auch Hennebebg an der Hand seines Falles I und II hervor.
(Schloß folgt.)
II. Referate.
Physiologie.
1) Untersuchungen über die Erweiterung der Pupillen auf psyohisohe und
sensible Beize nebBt einigen allgemeinen Bemerkungen über Pupillen¬
reaktionen, von Arth. Herrn. Hübner. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
XLI. 1906.) Ref.: G. Ilberg.
Methode: Der Kranke wurde vor die Längsseite eines etwa lm langen
Tisches vor die Westiensche Lupe gesetzt, mußte einen 3m entfernten, hinter
dem Beobachter angebrachten schwarzen Vorhang ansehen, erhielt dann zunächst
einige einfache Fragen vorgelegt und wurde schließlich durch Händeklatschen
1 Vgl. z. B. Hennbbkbg, 1. c. Fall I n. II.
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23 • i al frcm
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neben dem Ohr oder dergl. ersohreckt. Die Lichtquelle von etwa 7 Meterkerzen
Lichtstärke befand sich in einem Winkel von 45° ungefähr 50 cm weit von dem
zu untersuchenden Auge. Hierbei zeigte sich, daß in der Norm jedes psychische
Geschehen von einer Erweiterung der Pupillen begleitet ist (PBychoreaktion). Im
allgemeinen bringen diejenigen Reize, welche plötzlich starke Affekte erzeugen
(Schreck, Angst), größere Dilatationen hervor, als einfache Fragen. — Sensible
Reize (einfacher Nadelstich oder mehrere Stiebe schnell hintereinander in Hand*
rücken, Fingerspitze oder Nasenseptum) bewirken ebenfalls eine Erweiterung. —
Beobachtet man bei mäßig starker künstlicher Beleuchtung mit der Lupe den
Pupillensaum, ohne der Versuchsperson experimentell irgendwelche akustische,
sensible oder sonstige Sinnesreize zuzuführen, dann sieht man bei jedem Ge*
sunden, daß der Pupillensaum selten und dann auch nur für ganz kurze Zeit
stille steht. Laquer nannte dieses Phänomen: Pupillenunruhe.
Verf. prüfte diese Pupillenreaktionen nach dem Vorgang Bumkes bei ver¬
schiedenen Geisteskranken. Bei der Dementia praecox fehlten die Psycho*
reaktion, sowie die sensible Reaktion und die Pupillenunruhe bei 75°/ 0 (Bumke
fand dasselbe bei 69°/ 0 ). Einige Male waren die Reaktionen normal, einige Male
fehlte die Psychoreaktion, während die sensible Reaktion vorhanden war. Bei
einigen Kranken war die Diagnose noch unsicher, psychische und sensible Reaktion
sowie Pupillenunruhe fehlten; der weitere Verlauf zeigte, daß Dementia praecox
bestand. Bei Imbecillen fehlten manchmal psychische und sensible Reaktion,
einmal fehlte nur die sensible Reaktion, meist waren beide vorhanden. Bei
Paralytikern, Tabikern und Hirnluetikern, deren Lichtreflex normal war,
waren die in Rede stehenden Pupillenphänomene ebenfalls normal, gleichviel
ob es sich um tief oder wenig verblödete Kranke handelte. War der Lichtreflex
bei ihnen völlig erloschen, so trat keine Erweiterung der Pupille auf psychische
oder Hautreize mehr ein, auch fehlte die Pupillenunruhe. Handelte es sich be¬
reits um ganz erhebliche Beeinträchtigung der Verengerung auf Licht, so waren
sensible und psychische Reaktion häufig noch vorhanden, während die Pupillen¬
unruhe in solchen Fällen fast regelmäßig fehlte. Fehlen der Pupillenunruhe bei
noch vorhandenem Lichtreflex und erhaltener sensibler und psychischer Reaktion
muß also den Verdacht einer organischen Hirnerkrankung erwecken. Zum Studium
aller dieser Verhältnisse eignen sich besonders solche Paralytiker oder Tabiker,
bei welchen die Störung des Lichtreflexes nur einseitig ausgebildet ist. Bei
einigen Altersschwachsinnigen fand Verf. normale Verhältnisse. Meist waren
Licht- und Konvergenzreaktion minimal, Schreckreiz und Nadelstich riefen jedoeh
reichliche Pupillenerweiterung hervor; hie und da fehlte nur die Pupillenunruhe.
Bei einem kleinen Teil waren weder Pupillenunruhe noch psychische oder sen¬
sible Reaktion nachweisbar. Auch bei alkoholisierten Personen wurden
Untersuchungen angestellt: Hatten normale Menschen, die weder Alkoholiker noch
Luetiker waren, mäßige Quantitäten Alkohol erhalten, so ergab die Prüfung vorher
und nachher die gleichen Verhältnisse. Erhielten die Studenten, die Alkoholiker
waren, nüchtern größere Alkoholquanten, so war die Papillenunruhe nachher be¬
deutend stärker als vorher, auch waren die übrigen Reaktionen im angetrunkenen
Zustand sämtlich ausgiebiger als im nüchternen. Alkoholgeisteskranke Personen,
die kurz nach der Aufnahme untersucht wurden, zeigten meist erhebliche Herab¬
setzung der Reaktionen. Patienten mit Unfallneurose endlich verhielten sich
in 57°/ 0 betreffs der Pupillenphänomene normal. Bei 30 °/ 0 trat der Lichtreflex
sehr schnell (schießend) ein und war sehr ausgiebig, psychische, sensible Reaktion
und Pupillenunruhe waren gesteigert. Verf. bemerkt, daß diese Steigerung
namentlich dann vielleicht von diagnostischem Wert sein könnte, wenn es sieh
um starke Trinker oder um alte Personen handle.
Übrigens hat Ernst Leitz nach des Verf.’s Angaben eine monokuläre Ein-
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355
richtung za Papiilenuntenaohnagen geschaffen, welche 40 Mark kostet; am seit¬
lichen Arm eines Stativs ist hier ein Ablesemikroskop montiert. Die sogenannte
Westiensche Lupe ist eine binokulare Präparierlupe, welche derselbe Optiker
für 60 Mark verkauft.
2) Über willkürliche Erweiterung der Pupillen, von Ernst Blooh in Katto-
witz. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 44.) Bef.: B. Pfeiffer.
Einwandsfreie Feststellung willkürlicher Erweiterung der Pupillen unter Zu¬
hilfenahme der Zwischenvorstellung „jetzt will ioh meine Pupillen erweitern“.
Sollte sich die Kasuistik häufen, so müßte man ein kortikales Centrum für
Pupillenbewegung postulieren, auch wäre durch den Nachweis willkürlicher
Pupillenbewegung der ohnehin stark erschütterten Lehre von der willkürlichen
(quergestreiften) und unwillkürlichen (glatten) Muskulatur der Boden entzogen.
Psychologie.
3) Conoeption psyohologique du ndvrosisme, par H. Z bin den. (Arch. de
psychol. V. 1906.) Bef.: H. Haenel (Dresden).
Eine vortreffliche, warmherzig und klug zugleich geschriebene Abhandlung
über die Nervosität; Verf. zeigt sich als der verständnisvolle Schüler von Duhois
in Bern, dessen Psychotherapie auf jeder Seite, in der Wahl der praktischen
Beispiele, in den feinsinnigen und treffenden, begleitenden Bemerkungen u. a. ihm
als Vorbild gedient bat. Nur einige solcher Sätze seien hier angeführt, die seine
Auffassung charakterisieren: Die Gewohnheit des verkehrten und unzweckmäßigen
Denkens ist ebenso unheilvoll wie die, sich Morphium oder Alkohol zuzuführen.
Allen Nervösen ist diese Eigenschaft des unrichtigen Denkens gemeinsam; um sie
zu verstehen und zu heilen, ist es erst nötig, eine „Gleichung“ ihres Denkens
aufzustellen; diese ist ja oft kompliziert und wechselt je nach dem einzelnen Falle,
sie iBt aber mit etwas Zeit und Geduld meist nicht sohwer „aufzulösen“. Das
meiste ist schon gewonnen, wenn es gelungen ist, das Grundsymptom der Ängst¬
lichkeit durch sein Gegengift, das Vertrauen, zu ersetzen. Weiter kommt alles
darauf an, das seelische Leiden oder seelische Trauma, das den allermeisten Fällen
von „Nervosität“ zu Grunde liegt, aufzudecken; allerdings kann und darf nur der¬
jenige Psychotherapeut sein, der die gesamte Medizin zum mindesten diagnostisch
beherrscht und alle anderen Krankheitsursachen mit Sicherheit auszuschließeu
versteht.
Nach einer mit manchen instruktiven Beispielen aus dar eigenen Praxis —
ein Hauptvorzug der Abhandlung! — bereicherten Darstellung der Ursachen,
Symptome und Folgen der Nervosität kommt Verf. schließlich auf die Heilmittel
zu sprechen. Nach dem ganzen Grundton seiner Auffassung dieser Krankheit
ist es nur folgerichtig, daß dieselben für ihn heißen: Deterministische Weltan¬
schauung, Herzensgüte, — zwei Dinge, von denen der Arzt so viel haben muß,
daß er davon allen seinen Patienten abgeben kann — und die Kunst, eine Er¬
ziehung bzw. Neuerziehung — reäducation — dem Kranken angedeihen zu lassen,
die ihn zur Herrschaft über sich selbst und damit zur Heilung zurückführt.
Pathologische Anatomie.
4) Klinisohe Beobachtung eines Falles von Spina bifida lumbosaoralis (Myelo-
oystooele), von M.Bernhardt (Deutsche Ärzte-Zeit. 1907.) Bef.: KurtMendel.
5 Jahre alter Knabe. Schwester starb an tuberkulöser Hirnhautentzündung.
Eltern gesund. An der oberen Partie des Kreuzbeins und in der Gegend des
untersten Lumbalwirbels kleinapfelgroße, kugelige, von narbiger Haut bedeckte
Geschwulst, haarlos. Druck auf den Tumor hot Ohnmachtsanfälle zur Folge.
Pat. ist für sein Alter intelligent. Hirnnerven und obere Extremitäten ohne
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Sonderheit. An den unteren Gliedmaßen vollkommener Verlost der Sensibilität,
ebenso am Damm, an der Afterkerbe, am Anus, dem PeniB. Diese absolute An¬
ästhesie reicht bis zu einer halbhandbreit oberhalb der Regio pubis beginnenden
Partie. Urin und Stuhl kann nicht gehalten und nicht willkürlich entleert werden.
Reohter Fuß in Equinovarus-, linker in Valgusstellung. 2. und 3. Zehe beider¬
seits schwimmhautartig zusammengewachsen. Dauernde unwillkürliche Bewegungen
der Zehen. Aktive Bewegungen an Füßen und Zehen nicht möglich. Patellar¬
und Achillesreflexe fehlen. Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit.
Diagnose: Spina bifida.
Bemerkenswert ist die Stärke der Sensibilitätsstörungen. Es ist anzunehmen,
daß die hinteren Wurzeln der Sakral- und der Lendennerven bis zum I. N. lum-
balis und vielleicht XIL N. dorsalis hin durch abnormen Verlauf oder besondere
Dehnung und Zerrung schwer geschädigt Bind.
Schließlich zeigt Verf., warum er seinen Fall den Myelocystocelen, nicht den
Myelocelen oder Meningocelen zurechnet. Besonders bestimmend hierfür ist die
starke Störung der Sensibilität.
Pathologie des Nervensystems.
6) Über die'Ursachen der Neurasthenie und Hysterie bei den Arbeitern,
von Paul Schönhals. ((Inaug.-Diss. Berlin 1906.) Ref.: S. Klempner.
Zusammenstellung der Ursachen, welche für die Entwicklung der nervösen
Allgemeinerkrankungen bei den männlichen Arbeitern verantwortlich zu machen
Bind, an 200 Fällen aus der Nervenheilstätte Haus Schönow (Zehlendorf). Es
ergaben sich als Ursachen: Heredität in 9,5°/ 0 , Trauma 45°/ 0 , körperliche Über¬
anstrengung 22,5 °/ 0 » psychische Irritation 1,5 °/ 0 , Toxine ll°/ 0 , akute und chro¬
nische Krankheiten 5 ü / 0 , gemischte Fälle 5,5°/ 0 . Stellt man die Handwerker
und gelernten Arbeiter den ungelernten Arbeitern gegenüber, so ergibt sich das
Verhältnis von 74:26. 21°/ 0 der Erkrankten war im Kleinbetrieb beschäftigt,
36 °/ 0 in Fabriken.
6) Bemerkungen über Neurasthenie und ihre klimatische und baineo¬
therapeutische Behandlung, von Prof. Romberg in Tübingen. (Deutsche
med. Wochenschr. 1906. Nr. 38.) Ref.: R. Pfeiffer.
Der gut geschriebene Aufsatz verdient die weitgehende Beachtung der Prak¬
tiker. Nach Verf. ist die Neurasthenie eine exquisite Erschöpfungsneurose. Thera¬
peutisch ist zunächst weitgehende Schonung und ausreichende Erholung erforderlioh,
darauf ist durch entsprechende, vorsichtige Übung der Kranke so leistungsfähig
zu machen, wie er nach seiner konstitutionellen Beschaffenheit und nach der für
die Behandlung verfügbaren Zeit werden kann. Nach des Ref. Ansicht ist in
jedem Fall ausgesprochener Neurasthenie eine sorgfältige klinische Behandlung
und Schulung einzuleiten und eine Nachkur im Gebirge, Bäder usw. erst dann
anzuraten, wenn der Pat. unter der ärztlichen Leitung gereift und selbständig
genug geworden ist, die Weiterführung der Verordnungen in eigene Hände zu
nehmen.
7) Über das Wesen der Neurasthenie, von Dunin. (Gazeta lekanka. 1906.
Nr. 5 u. 6. [Polnisch.]) Ref.: Edward Flatau (Warschau).
Verf. bespricht in seiner Arbeit das Wesen der Neurasthenie. Verf. bemerkt
zunächst, daß es keine pathognomonischen Erscheinungen dieser Krankheit gebe.
Kopfschmerzen, Schwindel, Ermüdbarkeit, Parästhesieen usw. können sowohl bei
verschiedenen organischen Krankheiten, wie auch bei psychischen Erschütterungen
und auch bei Medikamenten auftreten. Diese Symptome werden durch Blut¬
zirkulationsstörungen oder feine Reaktion seitens der Nervenzellen bedingt. Es
existiert ferner eine Krankheit, nämlich die periodische Depression (die von Verf.
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beschriebene periodische Neurasthenie), welche alle Symptome der Neurasthenie
darbieten kann und sich trotzdem wesentlich von dieser unterscheidet (plötzlicher
Beginn und dann plötzliches Aufhören, apathisches Wesen, geringes Eingehen auf
die quälenden Erscheinungen u. a.). Bei der Neurasthenie stellen somit die
Symptome als solche kein spezifisches Zeichen der Krankheit dar. Der Grundriß
dieser letzteren stellt der psychische Zustand der Kranken und namentlich die
grüblerische Selbstbeobachtung, die sich fein zuspitzende Selbstanalyse und die
außergewöhnliche Beachtung jeder, auch der geringsten Krankheitserscheinung,
oder der physiologischen Sensation. Ferner spielen bei der Psyche der Neur-
astheniker auch Reminiszensen aus dem früheren Leben eine Rolle, wobei der
jemals anfgetretene anangenehme Gefühlston, welcher das Geschehene begleitet
bat, bewußt oder unbewußt anftritt und einen Angstzustand hervorruft. Die
Neurastheniker, die stets ihre eigene Person analysieren, haben kein Gefühl da«
für, was um sie geschieht. Daraus folge dann Willensschwäche, das Gefühl der
leichten Ermüdbarkeit (es fehlt nämlich die Reaktion des Kranken auf die stär«
keren Impulse seitens der Umgebung). Als eine weitere Folge dieser Ermüd¬
barkeit und Willensschwäche erscheint dann völlige Interesselosigkeit, die Kranken
verlieren den Glauben an sich selbst, werden mutlos u. a. Mit einem Worte, Verfi
vertritt die Ansicht, daß der Grundzug der Neurasthenie ein hypochondrischer
ist (die übermäßige Selbstbeobachtung). Zwischen der Neurasthenie und der
Hypochondrie besteht somit kein grundsätzlicher Unterschied und die Neurasthenie
selbst stellt eine Psychose sui generis dar. Die eigentliche Therapie der Krank¬
heit kann nur in Psychotherapie bestehen.
8) Über Störungen motorischer Funktionen duroh die auf sie geriohtete Auf¬
merksamkeit, vonPick. (Wiener klin.Rundsch. 1907. Nr. 1.) Ref.:Pilcz(Wien).
Verf. geht von der bekannten Erfahrung aus, „daß willkürliche, später auto¬
matisch gewordene Bewegungen bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit wesentlich
schlechter ausfallen, gelegentlich überhaupt nicht ausgeführt werden können und
erst gelingen, wenn durch einen Kunstgriff die Aufmerksamkeit wieder ausge¬
schaltet werden kann' 1 . Verf. weist auch darauf hin, daß die gleiche Encheinung
auch dort zu finden ist, wo die willkürlichen Funktionen durniederliegen, die
Kranken gleichwohl manchmal dieselben Funktionen unwillkürlich korrekt zustande
bringen (wie z. B. manche Aphasiker), erinnert an das „Harnstottern" (Paget), an
die psychisch bedingten Störungen der DefÜkation (Pick), an die Dysphagia
amyotactica (Rossolimo), an die jedem Praktiker bekannten Schwierigkeiten
mancher Patienten beim PillenBchlucken, und betont, daß die Fachliteratur im
auffallenden Gegensätze zu der Häufigkeit derartiger Störungen über Analogie im
Gebiete der willkürlichen Muskulatur nahezu nichts aufweist. (Verf. zitiert hier
einen Fall Wernickes.) Merkwürdigerweise enthält diesbezüglich gerade die
belletristische und psychologische Literatur viel mehr, wie die hübsch vom Verf.
herangezogenen Beispiele beweisen. (Ausübende Musiker könnten davon auch ein
Kapitel erzählen, wie Ref. selbst am eigenen Leibe des öfteren erfahren. Interessante
Beispiele finden sich in dem Werke des Musikgelehrten Wallaschek: Psycho¬
logie und Pathologie usw. Leipzig, 1905. Barth.)
Verf. teilt nun in extenso die Krankheitsgeschichten von folgenden zwei
Fällen mit:
L Hypochondrischer Neurastheniker bemerkt rasches Ermüden der Beine,
auffallende Unsicherheit in denselben. Pat. schildert den Zustand: „Ich kann
nur gehen, wenn ich meine Füße schleudere, der Gang ist fortwährend unsicher
und schwankend . . .; auf einem Pflaster, welches viele Unebenheiten aufweist,
kann ich überhaupt nicht gehen...." Außerdem klagt Patient, der über Tabes
gelesen hatte, über „Gürtelgefühl", Parästhesien; er habe eine förmliche Manie,
jedem auf die Füße zu schauen, auch meint er, daß ihm jeder auf die Füße
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schaue. Ähnliohes empfinde er neuerdings auch beim Sprechen. — Objektiver
Befand vollkommen negativ. Der Kranke hebt, wenn er vor den Ärzten die
Gangstörung demonstrieren will, die Beine in den Oberschenkeln and zwar zu¬
nehmend in einer Weise, die mit tabischer Ataxie nichts gemein hat, sondern
deutlich als gewollt erkennbar ist. — Verf. macht auf die rein psychische Be¬
dingtheit der Erscheinungen aufmerksam, auf den überwertigen Charakter, den
die betreffenden Vorstellungen genommen haben, und auf die Beziehungssucht,
die sich daraus entwickelt.
II. 41 jähriger Sprachlehrer, an dem, wie er erzählte, schon verschiedene
Diagnosen verübt worden waren (darunter auch Pseudotabes durch Nikotinver¬
giftung), leidet seit seinem 17. Jahre an zeitweilig auftretenden „Schwindel¬
anfällen“; (taumelnder GaDg, Gefühl des Stürzens), außerdem bestehen eine Beihe
neurasthenischer Beschwerden. Objektiver Befand wieder durchaus negativ, ab¬
gesehen von stärkerem Heben der Beine in den Oberschenkeln (vom Pat. als
„Schleudern“ bezeichnet), das bei Fortsetzung der Gehversuche zunimmt
Verf. fuhrt nun aus, daß es nahe liegt, zur Erklärung dieser psychisch be¬
dingten Erscheinungen das Verhältnis zwischen Hemmung und Beizung, Prota¬
gonisten und Antagonisten ins Auge zu fassen. Differentialdiagnostisch sind aas¬
zuschließen (abgesehen natürlich von irgend einer organischen Affektion), die
verschiedenen Phobien professionellen Charakters (v. Bechterw, Slansky u. a.).
— die Möglichkeit von Übergangsformen erwähnt übrigens Verf. ausdrücklich —,
ferner die Abasie, die Jaccoudsche „ataxie par döfaut de coordination automa-
tique“, Verf. präzisiert die Stellung der vorliegenden Störung im Rahmen der
„Hypochondrie“ und betont schließlich die Wichtigkeit der richtigen Erkenntnis
derartiger Zustände in Hinsicht auf die einzuschlagende Therapie.
9) Neurasthenie and neuro-hyperaesthesia of Grocoo, by Timpano. (Journ.
of ment, pathol. VII.) Refi: Meyer (Königsberg).
Grocco hatte die Ansicht ausgesprochen, daß von der eigentlichen Neur¬
asthenie mit Erschöpfung des Nervensystems eine Erkrankungsform mit neur-
asthenischen Symptomen abzugrenzen sei, bei der eine Steigerung der nervösen
Funktion vorhanden sei. Verf. wendet sich gegen diese Anschauung. Es seien
nur gradweise Unterschiede zwischen diesen beiden Formen, deren gemeinsame
Grundlage eine Schwächung des Nervensystems sei. Auch der therapeutische Be¬
weis Groccos sei nicht stichhaltig, da exzitierende Mittel keineswegs immer günstig
auf die Neurasthenie einwirkten.
10) Über die Ätiologie und Therapie der neurastheniaohen Kopfschmerzen,
des neurasthenisohen Schwindels und der Migräne, von Dr. G. Peritz.
(Med. Klinik. 1906. Nr. 44 bis 46.) Refi: Max Jacoby (Mannheim).
Als Ursache der eben angeführten nervösen Affektionen führt Verf. Myalgien
im Gucullaris und Sternocleidomastoideus entweder einseitig oder doppelseitig an.
Die Beschwerden werden durch Einspritzen von geringen Mengen Kochsalzlösung
(0,2/100 sterilisiert) in die abnorm schmerzhaften Muskelstellen beseitigt. Di»
Therapie ist eine vollkommen lokale, sie wirkt nur auf diejenige Stelle, die be¬
handelt ist. Es müssen daher so oft Einspritzungen vorgenommen werden, als
sich erkrankte, schmerzhafte Stellen vorfinden. Als Erklärung für den Zusammen¬
hang der Myalgie und der nervösen Affektionen führt Verf. den Umstand an,
daß am Schädel eine große Anzahl von Nerven auBtreten, daß ferner infolge der
annähernden Kugelgestalt des Schädels die Übertragung von Zug und Zerrung
von der Rückseite des Schädels auf die frontale viel eher und stärker stattfinden
kann, als an anderen Stellen des Körpers.
11) Nervenkrankheit und Lektüre. Nervenleiden und Erziehung. Die
ersten Zeiohen der Nervosität des Kindesalterz, von H. Oppenheim.
(Drei Vorträge. Berlin 1906, Karger. 115 S.) Refi: Neter (Mannheim).
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Die Themata, die in der Broschüre behandelt werden, lassen den Inhalt der¬
selben erkennen; zu einem kurzen Referat eignen sich die Vorträge nicht. Je¬
dem aber, der sich über die vorstehende Uaterie informieren will, bietet die
Broschüre eine außerordentliche Fülle von Material und gibt wertvolle Anregungen.
12) Acoidents hysteriques d’imitation, par Dr. Terrien. (Progrös medical.
1906. Nr. 10.) Ref.: Viktor Lippert (Wiesbaden).
In der Ätiologie der Hysterie spielt neben der psychopathischen Konstitution
die Nachahmung eine große Rolle. Ein Diabetes, eine Tabes, ein Fall von
Vomitus gravidarum, eine Meningitis in der Familie, im Bekannten-, im Nach-
barenkreise gesehen, veranlaßt den hysterischen Patienten zur oft naturgetreuen
Nachahmung der charakteristischen Symptome der betreffenden Krankheit, so daß
selbst der Arzt sich oft täuschen läßt.
Verf. führt verschiedene, sehr markante Fälle aus seiner Praxis an, welche
zum Teil schon früher publiziert worden sind. Ein Bauer von 35 Jahren litt an
einer hysterischen Astasie und Abasie 4 Jahre lang, konsultierte alle möglichen
Ärzte, verbrauchte die verschiedensten Medikamente und wurde vom Verf. psycho¬
therapeutisch binnen 5 Minuten von seinem Leiden befreit, so daß er, der mühsam
aus dem Wagen ins Sprechzimmer getragen worden war, nach der kurzdauernden
Behandlung seiner Arbeit nachging. Er hatte das Leiden an einer Nachbarin,
welche an einer organischen Krankheit litt, vorher gesehen und sich die feste
Idee gebildet, an einer gleichen Lähmung zu leiden.
Ferner hatte Verf. ein Mädchen von 19 Jahren, welches ebenfalls aus dem¬
selben Bezirke des Departements Vendee Btammte, wie der eben erwähnte Kranke,
und an einer Coxalgie litt, behandelt; im Laufe der nächsten Zeit kamen aus
demselben Orte und dessen Umgebung nach einander 6 Mädchen, alle über die
Hüfte klagend, hinkend, sich mühselig daherschleppend: es waren hysterische
Pseudocoxalgien mit naturgetreuer Nachahmung der charakteristischen Er¬
scheinungen.
Bei einem weiteren Falle handelte es sich um eine Paralyse beider Beine
bei einem Kinde nach schwerer Diphtherie; dasselbe wurde vom Verf. einer täg¬
lichen elektrischen Behandlung unterzogen, bei welcher Gelegenheit auch der Hals
aller anderen im Hause befindlichen Kinder einer eingehenden Untersuchung unter¬
zogen wurde. Zu Verf.’s nicht geringem Erstaunen zeigte der 11jährige Bruder
des Kranken eines Tages, ohne vorhergegangenes Fieber, ohne HalBrötung dieselbe
Bewegungsstörung des Beines. Geeignete Psychotherapie half auch dieser imi¬
tierten Lähmung bald ab.
Eine andere Patientin trank täglich 10 bis 15 Liter Wasser und entleerte
10 bis 12 Liter Urin; sie batte, da ihr Vater an DiabeteB mellitus litt, die Er¬
scheinungen desselben kennen gelernt und Durst und vermehrte Urinausscheidung,
wenn man so sagen soll, kopiert.
Wieder eine andere, ebenfalls aus der Vendäe, bekam einige Zeit nachdem
sie von einem Kranken mit schwerer Angina pectoris und Cheyne-Stokesscher
Atmung gehört hatte, sehr getreu nachgeahmte Anfälle der letzteren während
eines hysterischen Dämmerzustandes; die Respiration setzte während 45 bis
80 Sekunden ganz aus.
Auch ein derartiger Fall von unstillbarem Erbrechen ist bemerkenswert.
Eine Freundin der Kranken (gravida) war an diesem Leiden gestorben, und von
da ab litt die Kranke, ebenfalls gravida, daran, so daß sie sehr herunterkam;
kleiner fadenförmiger Puls, starke Abmagerung, große Schwäche, Leichenblässe,
absoluter Appetitmangel ließen das Schlimmste befürchten; Verf. und zwei andere
Ärzte entschlossen sich zum künstlichen Abort. Das Resultat war ein negatives,
da sie nicht abortierte. Die Patientin verfiel immer mehr. Da hatte Verf., ob-
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wohl er selbst von der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens überzeugt war, die
glückliche Idee, die Kranke, welche ihm als sehr nervös bekannt war, „psycho¬
therapeutisch“ zu beeinflussen. Gr fingierte die wiederholte Einleitung des künst¬
lichen Abortes, zeigte der Patientin angebliche Eiteile, Embryo usw. an der Sonde.
Die Kranke war überzeugt, daß mit der Entfernung der Ursache auch das Leiden
sein Ende haben müsse; sie, die seit einem Monat keinen Löffel Wasser sehen
konnte, nahm */ 4 Stunde danach Milch und in der folgenden Zeit dauernd Nahrung;
nach 6 Monaten gebar sie ein kräftiges Kind. Das Erbreohen war nicht wieder
aufgetreten.
Von Interesse ist, daß die meisten dieser Kranken auB demselben kleinen
Bezirke des Departements Vendöe stammen; es ist dort ein ziemlich großer, aber
recht scharf zu umgrenzender, von Bauern bewohnter Bezirk, welcher von Nervösen,
Hysterischen und Neurasthenikern dicht bevölkert ist, deren leichte Suggestibilität
so rasche psychotherapeutische Erfolge ermöglichte.
Im Anschlüsse an die Besprechung dieser Fälle sucht Verf. auch das ma߬
lose Überhandnehmen angeblicher Fälle von Appendicitis zu erklären. Er hält
einen großen Teil derselben für hysterische Pseudoappendicitis, was ja auch
der Umstand beweise, daß man bei manchen auf solchen Fehldiagnosen aufgebauten
Eingriffen anatomisch normale Verhältnisse finde.
13) Qiobusgefühl and Aura, von Dr. Max Buch (Helsingfors). (Arch. f. Psych.
u. Nervenkrankh. XL; vgl. d. Centralbl. 1905. S. 714.) Ref.: G. Ilberg.
Verf. macht zunächst darauf aufmerksam, daß Globus nicht selten mit Oeeo-
phagismus verwechselt wird. Globus iBt ein schmerzloses, unangenehmes Gefühl
eines Fremdkörpers, das eventuell stundenlang anhält und allmählich schwindet.
Der Fremdkörper soll meist von runder Gestalt sein (Kugel eventuell von Faust¬
große, ein sich bewegender Kern, Stein, Wurm). Der Globus entsteht meist im
Epigastrium — zuweilen im Hypogastrium — und bewegt sich in der Mittellinie
des Körpers hinter dem Sternum bis in den Hals, wo er sich in der Höhe des
Jugulum oder höher noch festsetzt. Kurz bevor der aufsteigende Globus den
Hals erreicht, besteht oft kurzdauerndes Herzklopfen. Das Aufsteigen dauert
einige Sekunden. Manchmal wird nur der Ursprungspunkt im Unterleib und der
Globus im Halse empfunden, nicht aber der dazwischen liegende Weg. Der
Oesophagismus ist ein Krampf, der an jeder beliebigen Stelle der Speiseröhre
auftreten kann und keine Prädilektionsstelle am Halse hat. Er wird hervor¬
gerufen durch den Versuch einen Bissen herunterzuschlucken und ist begleitet von
einem lästigen Einschnürungsgefühl, das sich bis zu Schmerzen steigern kann.
Der Schmerz bewegt sich weder auf- noch abwärts, sondern sitzt an einer Stelle
des Oesophagus hinter dem Sternum fest. Über das Gefühl eines Fremdkörpers
wird bei den Schlingbeschwerden, in denen der Oesophagismus besteht, nicht
geklagt.
Verf. teilt alsdann 22 Krankengeschichten mit und kommt zu dem Resultat,
daß bei den Kranken, die an Globus litten, stets der gesamte der Untersuchung
zugängige Grenzstrang des Sympathicus und die prävertebralen Geflechte des¬
selben , häufig auch die Beckengeflechte eine meist beträchtliche Hyperalgesie
zeigten. Dieser Reizzustand gab sich auch durch spontane Schmerzanfälle im
Lendensympathicus oder in den Halsstörungen zu erkennen; er äußerte sich zu¬
dem in einer pathologischen Erhöhung oder Herabsetzung verschiedener Sym-
pathicusfunktionen (nervös - dyspeptischer, vasomotorischer und sekretorischer Art).
Durch Druck auf den Sympathicus in der Gegend der spontanen Schmerzanfälle
erzeugte man stets einen Schmerz, welcher nach Art und Beschaffenheit dem
spontanen gleich war, und etwa in der Hälfte der Fälle wurde zunächst das
Globusgefühl ausgelöst. In einem Falle von Epilepsie wurde durch Druck auf
den hyperalgetischen Sympathicus die epileptische Aura hervorgerufen.
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Ala Grundleiden begegnete Verf. bei Globus meist chlorotischen und an*
ämisehen Zuständen. Oft waren die letzteren durch Krankheiten in der Genital¬
sphäre herrorgerufen und mit einem Beizzustand des Sympathicus: Sympathi-
cismus verbunden. Bei allen diesen chlorotischen Zuständen, auch bei den
Schwangerschafts* und Endometritisohlorosen leisteten Eisen oder Arsenik vor¬
treffliche Dienste.
Der OesophagismuB kommt vor bei Hysterie, Epilepsie, Chorea, Tetanus,
Hydrophobie, Erkrankungen der Speiseröhre, Polypen des Pharynx und Pharyn¬
gitis granulosa.
14) Hypeatheeia and hypalgesia and their algnifloanoe in fnnodonal ner-
vous disturbanoes , by E. B. An gell. (Journ. of Nerv, and Ment. Disease.
1906. Mai.) Bef.: M. Bloch (Berlin).
Yerf. hat bei einer Anzahl von Patienten mit funktionellen Neurosen dort,
wo die Beschwerden sich auf bestimmte Organgebiete lokalisierten (speziell bei
unangenehmen Sensationen in den Beckenorganen, Blase usw.), Storungen der
Sensibilität in den darüberliegenden Hautpartien konstatiert, die sich als Hyp-
ästhesien und Hypalgesien charakterisierten. Durch systematische Behandlung der
Haut mit Sensibilitätsreizen in Form von Elektrizität usw. gelingt es, die normale
Sensibilität wieder herzustellen und dadurch auch eine wesentliche Besserung der
ursprünglichen Beschwerden, bisweilen sogar Heilung zu bewirken. Verf. glaubt,
daß es sich bei den festgestellten Tatsachen um sehr häufige und typische Be¬
funde handelt; er stützt seine Ansicht durch Hinweis auf die bekannten Arbeiten
von Head und verwandte Beobachtungen von Janet, Eichet u. a.
15) Anesthesia assoolated with hyperalgesia sharply oonflned to areola-
nipple area of both breasts; a new and apparently oonstant Stigma
of hyateria, by William W. Graves. (Journ. of Nerv, and Ment. Disease.
1905. Oktober.) Bef.: M. Bloch (Berlin).
Eine mehr zufällig gemachte Beobachtung veranlaßte Verf., eine größere
Zahl von Untersuchungen der Sensibilität des Warzenhofes der Brustdrüse vor¬
zunehmen. Während bei Gesunden und anderen Nervenkranken sich keinerlei
Störungen der zu schildernden Art nachweisen ließen, fand er hei 30 Fällen von
Hysterie (24 Frauen und 6 Männern) ganz konstant eine Herabsetzung der Be¬
rührungsempfindung mit gleichzeitiger Hyperalgesie, streng begrenzt durch den
pigmentlosen Hautrand, am ganzen Warzenhof. Seine Beobachtung wurde von
Fry und Schwab durch eigene Untersuchungen bestätigt, so daß er vermutet,
daß es sich bei dem genannten Symptom um ein konstantes Symptom der Hysterie
handelt.
10) l>e ptosis paralytique dans l’hysterle, par Sauvineau. (Bevue neuro-
logique. 1907. Nr. 3.) Bef.: Erwin Stransky (Wien).
Mitteilung zweier Fälle von Hysterie, die durch das Bestehen einer im Aspekt
an den paralytisohen Typus erinnernden Ptosis ausgezeichnet waren; in beiden
Fällen handelte es sich um noch kindliche weibliche Individuen. In dem einen
der beiden Fälle war die Ptose doppelseitig, in dem anderen einseitig (mit Ble¬
pharospasmus auf der Gegenseite); Verf. macht gegenüber der Annahme einer
Verwechslung mit spastischer Ptosm, abgesehen von dem Fehlen anderer Begleit¬
umstände, insbesondere auch auf das Fehlen von Krampferscheinungen in den
korrespondierenden unteren Lidern aufmerksam. Nach Entstehung und Beaktion
gegen therapeutische Eingriffe (Suggestivbehandlung) erwies sich die Erscheinung
in beiden Beobachtungen als eine hysterisch bedingte; in dem einen der Fälle
kam die Ptosis im Anschlüsse an eine Lokalaffektion und schien aus einer be¬
stehenden Befraktionsanomalie Nahrung zu schöpfen. Verf. reiht seine Fälle der
von Parinaud und Charcot beschriebenen pseudoparalytischen Form an (trotz
des^ Fehlens des Tiefstandes der Braue auf der betroffenen Seite).
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17) La mydriase hysterique n'existe paa, par Ch. Sauvineau. (Revue neuro*
logique. 1906. Nr. 22.) Re£: Erwin Stransky (Wien).
Verf. beatreitet das Vorkommen einer mit reflektorischer Starre der Pupille
einhergehenden Mydriasia auf rein hysterischer Grundlage und teilt 3 Fälle mit,
in denen trotz des Vorhandenseins dieser Erscheinung die Diagnose auf hysterische
Sehstörung von dritter Seite gestellt ward, eine Diagnose, die dann alsbald durch
den weiteren Verlauf desavouiert wurde, indem sich eine organische Opticusaffektion
entwickelte (in allen 3 Fällen einseitige Affektion, zweimal eine traumatische Ent¬
stehung, jedesmal ein ziemlich plötzliches Einsetzen mit ziemlich kompletter ein¬
seitiger Amaurose, die in einem Falle anfangs sich ruckbildete und so eine
vorübergehende Heilung vortäuschte; von dem intakten Auge her war immer kon-
sensuelle Reaktion zu erzielen). Auch eine paralytische, nicht — wie in diesen
Fällen — centripetal bedingte Mydriase bestreitet Verf. als hysterisch zu werten*
des Symptom; derartige Annahmen konnten nur auf Beobachtungs- oder Aus-
legungsfehlern beruhen.
18) Über Puplllenstarre im hysterisohen Anfall, von Priv.*Doc. Dr. Bumke.
(Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 16.) Ref.: E. Asch.
Ein 18jähriger Mann, von Kindheit an imbezill und an Krämpfen leidend,
war deshalb seit Jahren in Epileptikeranstalten untergebracht. Auch der erste
Anfall, welchen Verf. beobachten konnte, machte den Eindruck eines epileptischen.
Bald ließen sich indessen in den Intervallen deutliche hysterische Stigmata —
linksseitige Anästhesie und einseitiger, durch Suggestion beeinflußbarer Spasmus
des Orbicularis oculi — feststellen. Auch machten die gehäuft auftretenden An¬
fälle trotz der Pupillenstarre durch die theatralische Art ihres Eintrittes, den
halbwillkürlichen Charakter der Zuckungen und das rasche Nachlassen der Be¬
wußtlosigkeit auf Anrufen den Eindruck hysterischer Entstehung. Und dies wurde
sicher, als es gelang die Anfälle suggestiv eintreten und verschwinden zu lassen
und dieselben derartig zu modifizieren, daß der Kopf ruhig und die Augen offen
gehalten wurden. Bei jedem derartigen Krampfanfall werden die vorher 4 bis
5 mm weiten und gut reagierenden Pupillen etwa 7 mm weit, wobei auch die
intensivste Belichtung keine Reaktion mehr hervorbringt. Auch war die Akkom¬
modation dabei vollständig entspannt (Untersuchung mit dem Refraktionsspiegel).
In der Weise, in welcher die Bewußtlosigkeit schwindet, stellt sich die Tätigkeit
der Pupillen allmählich wieder her.
Um nun den mydriatischen Charakter der offenbar hysterischen Pupillenstarre
zu erhärten, wurden vor der experimentellen Erregung der Anfälle an einem Tag
2 Tropfen einer l°/ 0 igen Lösung von Homatropin, an einem anderen eine solch«
von Kokain eingeträufelt. Es zeigte sich alsdann jedesmal, daß sich die Kokain¬
wirkung zu der im Anfall auftretenden Erweiterung hinzuaddierte, während sich
die durch Homatropin erweiterte Pupille im Anfall nicht mehr veränderte. Um
alle Zweifel zu unterdrücken, wurde in das Auge, dessen Pupille durch Homatropin
erweitert war und dessen PupillendurchmesBer der ausgelöste Anfall nicht mehr
erweiterte, noch 2 Tropfen Kokain geträufelt, welche den übriggebliebenen Iris¬
saum noch weiter verkleinerten. Hierdurch ist wohl die Annahme einer vor dem
Anfall bestandenen Reizung des Dilatator iridis ausgeschlossen.
Es bildet also in diesem Falle kein Dilatatorspasmus, sondern eine Inner¬
vationsstörung im Sphinkter die Ursache der hysterischen Pupillenstarre. Alle
diese Erscheinungen von reflektorischer Erweiterung der Pupille nach nervösen
Reizen sind durch einen nicht näher bekannten Einfluß der Hirnrinde auf das
Sphinkterencentrum bedingt.
19) Über einen Fall plötzlioher Erblindung im Kindesalter, von Hasen-
knöpf. (Charitö-Annalen. XXX. 1906.) Ref.: Martin Bloch (Berlin).
Mitteilung eines interessanten Falles von rezidivierender hysterischer Amaurose
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bei einem 10jährigen Knaben mit Astasie-Abasie und hysterischem Vomitus. Die
Heilung trat das erste Mal nach einer zu diagnostischen Zwecken vorgenommenen
Lumbalpunktion, das zweite Mal nach einem nur zum Schein vorgenommenen sub¬
kutanen Einstich der Kanüle in der Wirbelsäulengegend auf.
20) Über die psyohieoh bedingten Einengungen des Gesichtsfeldes, von
Priv.-Doz. Dr. H.Klien. (Archivf.Psych.u.Nervenkr. XLII.) Bef.: Heinicke.
Nach einem sehr ausführlichen Referat über die Entwicklung der Lehre von
der konzentrischen Gesichtsfeldeinengung, weist Verf. auf einige Eigenschaften des
normalen Gesichtsfeldes hin, die für den Vergleich mit dem konzentrisch einge¬
engten von Belang sind. Er bespricht dann die besonderen Eigenschaften der
konzentrischen Gesichtsfeldeinengungen, wenn sie im wesentlichen durch Störung
der Aufmerksamkeit, wenn sie durch die Vorstellung des Schlechtsehens, und wenn
sie durch Funktionsstörung im Bereich der peripheren Nerven bedingt sind; ferner,
welche Eigenschaften des Gesichtsfeldes bei einer einfachen Herabsetzung der
kortiko-sensorischen Erregbarkeit zu erwarten sind.
Im weiteren schließt er an der Hand der gewonnenen Resultate aus den be¬
sonderen Eigenschaften der Gesichtsfeldeinengungen, wie sie bei den verschiedenen
Krankheiten Vorkommen, auf die Art ihrer Genese, worauf er zur Untersuchung
der Frage über den Entstehangsmodus der konzentrischen Gesichtsfeldeinengung
bei Hysterie übergeht, deren Beantwortung überhaupt das Ziel seiner Arbeit ist.
Ein besonderes Kapitel widmet Verf. der hysterischen konzentrischen Gesichtsfeld¬
einengung bei Unfallkranken und bei Kriminellen in Untersuchungshaft und im
Strafvollzug; ein weiterer Abschnitt behandelt die konzentrische Gesichtsfeld¬
einengung bei Hysterie unter Ausschluß krimineller und Unfallskranker.
In einem letzten Kapitel beantwortet Verf. die Frage, ob man sich eine Vor¬
stellung vou der Lokalisation der psychischen Prozesse machen kann, die der
hysterischen Sehstörung zugrunde liegen.
Ref. mußte sich bei der umfangreichen hochinteressanten Arbeit leider nur
darauf beschränken, die ihr zugrunde liegende Disposition zu skizzieren, da es
unmöglich ist, in einem Referat auch nur annähernd die Fülle des in dieser Arbeit
enthaltenen Wissenswerten zu bringen. Es sei mit Nachdruck auf die Original*
arbeit hingewiesen.
21) Beitrag zur Kenntnis bysterisoher Sprachstörungen, von 0. Maas.
(Berliner klin. Wochenschr. 1905. Nr. 48.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Verf. beschreibt einen schon früher von Treitel (1893) und Remak (Ber¬
liner klin. Wochenschr. 1894) wegen ähnlicher Störungen beschriebenen Fall von
Sprachstörung, der nach Vorgeschichte, Befund und Verlauf als Hysterie anzu¬
sehen ist. Die 58jähr. Patientin zeigt drei verschiedene Symptome: I. Stammeln,
d. h. undeutliche Aussprache der einzelnen Laute; dieselbe ist beim Spontan¬
sprechen deutlicher als beim Nachspreclien. Nur 1 und m konnten überhaupt
nicht nachgesprochen werden außer in der Mitte des Wortes. II. Stottern. Dieses
Symptom hat sich seit Tr eit eis und Remaks Untersuchungen geändert, insofern
als jetzt der krampfhafte Charakter und die für das Stottern typischen Mit¬
bewegungen fehlen. Das Stottern tritt intermittierend auf und kann suggestiv
beeinflußt werden. Als III. Symptom zeigte die Patientin Agrammatismus, d. h.
sie sprach nicht in grammatikalisch gebildeten Sätzen, sondern reihte ohne Kon¬
jugation alle Verben als Infinitiv aneinander.
Alle diese Störungen gingen ohne spezielle Behandlung zurück.
22) Hysterisk afoni med enkelsidig recurrensförlamning, af F. V. Törne.
(Hygiea. 1906. S. 258.) Ref.: Walter Berger (Leipzig).
Eine 49 Jahre alte Lehrerin war früher zweimal zu verschiedenen Zeiten
ganz plötzlich aphonisch geworden und hatte ebenso plötzlich ihre Stimme wieder
gewonnen und am 24. März 1904 wieder. Die laryngoskopische Untersuchung
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ergab Kadaverstellung des linken Stimmbandes und Beweglichkeit des rechten.
Die Unbeweglichkeit des linken Aryknorpels konnte nur auf einseitiger Rekurrens¬
lähmung beruhen, die, wie sich aus der weiteren Untersuchung ergab, nicht nur
funktionell, sondern organischer Natur war, während die Innervation des reehten
Stimmbandes keinerlei Störung zeigte und vollständiger Anschluß an den Band
des linken möglich war und die Bewegungsstörung desselben nur funktioneller
Natur sein konnte. Die Affektion des linken Rekurrens war den Symptomen nach
sicher nicht innerhalb der Schädelhöhle, sondern im Verlauf des Nerven außerhalb
derselben zu suchen, weil die Lähmung ganz isoliert war, und es lag nahe, an
eine Neuritis zu denken, die durch eine mechanische Beschädigung entstanden sein
mußte. Eine Narbe am Halse konnte darauf hindeuten, daß es sich um Narben¬
schrumpfung nach einige Jahre vorher ausgeführter Exstirpation eines großen
Lymphoms handelte. Eis war Schwierigkeit zu schlucken in gleicher Höhe mit
dem Kehlkopfe vorhanden, die Verf. für eine Parästhesie hielt, wie sie bei ner¬
vösen Patienten (meist infolge von Atrophie der Pbarynxschleimhaut) oft vor¬
kommt. In bezug auf das rechte Stimmband nimmt Verf. eine Überanstrengung
desselben durch die vermehrte Arbeit desselben beim Glottissohluß an, die eine
funktionelle Schwäche zur Folge hatte. Unter suggestiver Behandlung besserte
sich der Zustand rasch, so daß die Patientin nach 6 Tagen so gut sprechen konnte,
wie vorher.
Seitdem hat Patientin noch zu drei verschiedenen Malen gleiche Anfälle ge¬
habt, die ebenfalls plötzlich auftraten und binnen wenigen Tagen beseitigt wurden.
23) Über eine Epidemie von hysterischem Laryngismus, von Haase. (Wiener
med. Presse. 1906. Nr. 22.) Ref.: Pilcz (Wien).
In einem Waisenbause erkrankten in rascher Aufeinanderfolge 36 Mädchen
im Alter von 6 bis 16 Jahren zunächst an eigentümlichen Hustenanfällen, die
eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Pertussis darboten. Bald aber änderte sich
die Form der Hustenattacken und machte einem konvulsivischen tierischen Husten,
Bellen und Brüllen Platz.
Auf entsprechende psychische Behandlung schwanden die Erscheinungen ebenso
schnell wie sie aufgetreten Waren.
Bei zweien der Kinder kam es noch etwa 14 Tage später zu einer plötz¬
lichen hysterischen Aphonie, welche auf Faradisation gleichfalls prompt zurückging.
24) Le vomissement aoetonemique et l’hystörte infantile, par Prof. Rudolf
Fischl. (Revue mens, des malad, de l’Enfance. 1906. Juli.) Ref.: Zappert.
Für die Zusammengehörigkeit des periodischen Erbrechens größerer Kinder
mit Hysterie spricht dessen vornehmliches Auftreten in wohlsituierten Familien,
die nervöse Belastung, die psychische Übertragbarkeit, das plötzliche Auftreten
und rasche Schwinden. Dagegen muß das Auftreten einer Acetonurie während
des Anfalles geltend gemacht werden, die aber auch sonst bei hysterischen Kindern
zur Beobachtung gelangt. Verf. bringt drei Beispiele für diesen Zusammenhang.
Doch muß Ref. gestehen, daß er trotz manch treffender Beweisführung sich den
Schlußfolgerungen des Verf.’s nicht anzupassen vermag.
25) Ständige Inoontinentia urinae infolge infantiler Hysterie, von K. Bauer.
(Budapesti orvosi ujs&g. 1906. Nr. 27.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
Bei einem 11jährigen Mädchen entwickelte sich im Anschlüsse an eine Poly¬
arthritis ein Zustand von fast vollständiger Astasie-Abasie mit ununterbrochenem
Urinträufeln. Keine somatischen Veränderungen, keine Stigmen. Naoh mehr¬
wöchentlichem Bestände plötzliches Sistieren der Inkontinenz mit gleichzeitig ein¬
getretener Geh- und Stehfähigkeit.
26) Fievre hystörique ohes l’enfant, par Dr. J. Comby. (Archives de mödecine
des enfants. IX. Nr. 6.) Ref.: Zappert (Wien).
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Krankengeschichte eines 13jährigen Mädchen mit unbestimmten peritonealen
Symptomen und mit Temperatursteigerung bis 45°(!) bei völligem Wohlbefinden
und gutem Kräftezustand. Heilung durch Ortsveränderung.
27) Ictere emotlf ohez une femme enceinte, per A. A. Lambrior. (Revue
de med. 1906. Nr. 7.) Ref.: Eduard Müller (Breslau).
Eine 28 Jahre alte Ehefrau, „die weit entfernt war, am Schleier der Pene¬
lope zu weben“, wurde während der mehr als einjährigen Abwesenheit ihres Hatten
schwanger. Großer Sohrecken, als sie unerwartet die Nachricht von der Rück¬
kehr ihres Mannes erhielt. Beim Lesen seines Briefes Erstickungsanfall, allge¬
meines Zittern, Erregungszustand und bald darauf intensiv gelbe Verfärbung der
Haut und der Skleren. Mutter litt an Gallensteinen. Bei der sonst nicht hyste¬
rischen Patientin, die über starke, aber nioht durch Wehen bedingte und von
Diarrhöen begleitete Leibschmerzen klagt (vornehmlich in der Lebergegend), fand
sich eine fortgeschrittene Gravidität (Uterus drei Querfinger über dem Nabel).
Im Urin Gallenfarbstofireaktion. Die Diagnose wurde auf „emotionelle Gelbsucht“
bei Schwangerschaft im 7. oder 8. Monat gestellt (Cholelithiasisanfall im Gefolge
der psychischen Erregung? Ref.) Am nächsten Tage Schmerzen geringer und
die diarrhöischen Stühle bald gefärbt, bald farblos. 3 Tage darauf Gelbsucht
abnehmend, Heilung nach einer Woche.
Skizzierung der Anschauungen über den Zusammenhang zwischen Ikterus und
Gemütserregung.
28) Über gehäufte kleine Anfälle, von Karl Heilbronner. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
Gestützt auf eine Reihe von Beobachtungen, die zum Teil Kinder in dem
Alter betreffen, in welchem die Erlernung der Sprache schon abgeschlossen war,
die sich aber auch auf Personen zwischen 16 und 24 Jahren beziehen, wird die
Differentialdiagnose zwischen Epilepsie und Hysterie erörtert. Die zuerst von
Gelineau und Friedmann beschriebenen kleinen Anfälle können sich in Form
komplizierter motorischer Entladungen äußern und aus narkoleptischen in solche
verwandeln.
Einen derartigen Fall beobachtete Verf. bei einer 24jährigen Modistin, die
seit 10 Jahren an Anfällen litt, bei deren Auftreten sie hinfiel, während es sich
jetzt mehr um Stöße handelt, von denen bis zu 50 an einem Tage Vorkommen
und welche an tikartige Zustände erinnern. Häufiger als derartige, etwas un¬
gewöhnliche Formen, sind motorische Entladungen, die mehr den abortiven epi¬
leptischen Anfällen entsprechen. Dieselben sind meist außerordentlich kurz und
zeigen nicht die Vielseitigkeit der hysterischen Zuckungen. Das Vorhandensein
sicherer hysterischer Symptome erbringt häufig nicht ohne weiteres den Beweis
für die funktionelle Natur unklarer Fälle und noch schwieriger ist es gar oft mit
hinreichender Sicherheit die epileptische Natur der Anfälle festzuBtellen. Besonders
schwer ist die Differentialdiagnose derjenigen Fälle, in welchen nach einer längeren
Periode gehäufter kleiner Anfälle ein oder mehrere, anscheinend epileptische An¬
fälle vereinzelt auftreten. So bestanden in einer Beobachtung die kleinen Anfälle
seit mindestens 11 Jahren und nach 7jähr. Dauer kam ein nächtlicher, offenbar
epileptischer Anfall zum Ausbruch. Seitdem sind 4 Jahre ohne einen weiteren
derartigen Anfall verstrichen, obwohl dabei die kritische Zeit der Pubertät in
Betracht gezogen werden mußte. Scheidet man die kleinen Anfälle, wie sie Verf.
beobachten konnte, aus der Epilepsie aus, so ist dann deren Zugehörigkeit zur
Hysterie im engeren Sinne immer noch nicht erwiesen. Bestehen die Anfälle
schon seit vielen Jahren und fehlen schwere Anzeichen epileptischer Degeneration,
$o ist die Diagnose schon wesentlich erleichtert. Eine ungewöhnlich schnelle
Entwicklung mit außerordentlich rasch innerhalb kurzer Zeit auftretenden Anfällen
ist diagnostisch von großer Wichtigkeit und spricht gegen Epilepsie. Handelt
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es sich außerdem um besonders intelligente Kinder, so wird die Diagnose Hysterie,
wenn auch nicht gesichert, so doch immerhin erleichtert.
Psychiatrie.
29) Des phobies, par Dr. Terrien. (Progres mddical. 1906. Nr. 32.) Ref.:
Viktor Lippert (Wiesbaden).
Nachdem Verf. an einem sehr drastischen Beispiele von Gewitterangst den
Begriff der unter „Phobien“ zu verstehenden Beklemmung»* und Angstzuständen
zu erläutern versucht hat, bespricht er die verschiedenen Arten und Typen der
Phobie, die Situationsphobien (z. B. Platzangst), die FunktionBphobien
(betreffend den Schluckakt, die sexuelle Funktion usw.), sowie die sensorischen
Phobien, welche den Gehörs-, Geschmacks-, Gesichtssinn usw. zum Ausgangs¬
punkte haben.
Verf. spricht die Phobien als ein sehr wichtiges Charakteristikum der Dege¬
nerierten au, höchstens fand er sie noch hie und da bei Hysterischen, obwohl
dies von Psychiatern und Neurologen bestritten worden ist. Zwischen Phobien
bei Degenerierten und denen bei Hysterischen konstatiert Verf. verschiedene Unter¬
schiede; so ist bei letzteren im Gegensatz zu ersteren der Beginn meist abrupt,
die Heilung relativ leicht.
Die Entstehungsursachen sind verschiedener Art: seelische Erregungen,
Traumen, Ungliicksfälle auf der Eisenbahn (phobie du chemin de fer), mit dem
Wagen (phobie de la voiture) u.s.f. Auch der Nachahmung von bei Bekannten,
Verwandten bestehenden Phobien gedenkt der Verf.
Die Prognose ist im allgemeinen nicht sonderlich günstig quoad restitutionem,
wenn auch viele Heilungen Vorkommen.
Mit der Anführung von 6 Fällen hysterischen Charakters, von 6 Fällen,
welche Degenerierte betreffen, sohließt die interessante Abhandlung. Von den
12 Kranken sind 7 (und zwar hysterischen Charakters mit oder ohne sonstige
Degenerationszeiohen) geheilt worden, ein einziger Degenerierter ohne hysterische
Symptome ebenfalls, die übrigen blieben ohne Besserung ihres Leidens trotz Be¬
handlung.
30) CUnioal Observation on a ran aase of „pbobia“, per Timpano. (Journ.
of ment pathology. VII. 1905.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr'.).
Patientin bekam, als sie während der Rekonvalescenz von einer Gastroenteritis
ein Buch las, mehrere Anfälle von Erbrechen. Seitdem trat jedesmal, wenn sie
irgend etwas zu lesen versuchte, die Furcht auf, daß Erbrechen auftrete, so daß
sie jegliches Lesen aufgeben mußte.
31) Über die Angstsustände, von Dr. J. Kr41. (Casopis ces. 14k. 1905. S. 1339.)
Ref.: Pelnar (Prag).
Verf. konnte aus dem Materiale des psychiatrischen Ambulatorium der böh¬
mischen Poliklinik in Prag (Priv.-Doz. Heveroch) 22 Fälle zusammenstellen, die
sich in das Bild der Angstpsychose Freuds einreihen ließen. Als ätiologische
Momente wurden festgestellt: eine hereditäre Belastung, verschiedene sexuelle Ano¬
malien (Onanie, psychische Impotenz), einige somatische Krankheiten (CholelithiasiB,
chronische Nierenentzündung), Trauma und in einem Falle eine psychische In¬
fektion. In diesem interessanten Falle handelte es sich um zwei Schwieger¬
schwestern; die erste war hereditär belastet und erkrankte zuerst, die andere er¬
krankte nach ihrem Übersiedeln zu der ersteren und heilte wieder, nachdem die
erstere durch Suicidium starb.
32) Bur la nyotophobie chez les enfants, par M. Rodolfo Senet. (Aroh.
de psychol. IV. 1905. März.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Statistische Erhebungen, die in der Normalschulc zu Dolores (Argentinien)
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angestellt wurden, ergaben, daß von den Kindern der eraten Schuljahre alle ohne
Ausnahme Furcht vor der Nacht hatten; von 519 Knaben und Mädchen im Alter
von 7 bis 14 Jahren hatten 472 nächtliche und 8 Tag- und Nachtphobien. Die
Nyktophobie ist nicht eine Erscheinung emotiven, sondern intellektuellen Ursprunges,
das Ergebnis von Überlegungsakten: die Nacht begünstigt das Verstecken von
Feinden und deren unerwartete Angriffe, und deshalb, nicht um ihrer selbst willen,
wird sie gefürchtet. Die Nyktophobie ist also nur eine „collaterale Phobie“, und
auch wenn sie zu Zwangszuständen führt, nur die krankhafte Steigerung des
Selbsterhaltungstriebes. Bei der Bekämpfung der Nyktophobie muß man demnach
den Gegenstand der primären Furcht aufsuchen, die sie veranlaßt hat, und diese
zu beseitigen trachten.
Einige eigene Beobachtungen bestätigen diese Betrachtungsweise des Verf.’s.
33) Coming of psyohasthenia, by G. Alder Blumer. (Joura. of Nerv, and
Ment. Dis. 1906. Mai.) Bef.: M. Bloch (Berlin).
Verf. teilt ausführlich 11 Fälle von Zwangsvorstellungen, Zwangshandlungen,
Phobien usw. mit, die alle das Bild nervöser Erschöpfung darbieten bei gut er¬
haltenem Intellekt, Gedächtnis usw.; Verf. belegt diese Krankheitszustände nach
dem Vorgänge von Janet mit dem Namen „Psychasthenie“, indem er aber aus¬
drücklich betont, daß dieser Name nicht eine Krankheit an sich bedeutet, sondern
nur die Bezeichnung für einen funktionellen Erschöpfungszustand des Nerven¬
systems, bisweilen auf angeborener Schwäohe beruhend, der sich durch bestimmte
Erscheinungsformen charakterisiert.
34) Ein Beitrag zur Kasuistik der hysterlsohen Geistesstörungen, von Emil
Bihler. (Friedreichs Blätter f. gerichtl. Med. u. Sanitätspolizei. V. 1906.)
Bef.: Bluib (Nikolassee/Berlin).
Die kleine Arbeit enthält 2 Fälle von hysterischer Geistesstörung bei jungen
Mädchen — 16 Vs und 23 Jahren —, die sich verschiedener Vergehen schuldig
gemacht hatten und in Anklagezustand versetzt wurden.
In beiden Fällen erfolgte Freisprechung auf Grund des § öl.
Es handelte sich jedesmal um den sogenannten hysterischen Charakter ohne
Mitbeteiligung der körperlichen Sphäre.
36) Zur Kasuistik eigenartiger Fälle hysterischer Psyohoneurosen, von Dr.
Soukhanoff und Fölicine. (Psych.-nenr. Wochenschr. 1907. Nr.43.) Bef:
Kurt Mendel.
24jähriger Soldat mit Prädisposition zu hysterischen Erkrankungen, welcher
dann nach Unfällen, Aufregung und Furcht während der Schlacht an Lähmungen
und Kontrakturen der Beine, Blindheit, Taubheit und Anfällen von Wahnideen
erkrankte. Sein Charakter und Benehmen waren eigentümlich: er zeigte ein
übertriebenes höfliches Wesen, ostentative Beligiosität, Kokettieren, machte große
Ansprüche in bezug auf persönliche Bequemlichkeit usw. Heilung. Es blieben
nur einige Anomalien im Charakter zurück. Seh- und Hörvermögen kamen wieder,
der Gang wurde völlig frei.
Die Verff. zeigen, wie das Hauptmoment der Erkrankung auf psychogene
Momente verlegt werden muß und wie zum Zustandekommen der hysterischen
PsychoneuroBe ein geeigneter Boden, eine angeborene hysterische Organisation,
welche lange Zeit latent verblieb, eine notwendige Voraussetzung ist.
Forensische Psychiatrie.
36) Geistossohwäohe bei psyohogener Neurose mit bezug auf § 6,1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches, von Sommer. (Klinik f. psych. u. nerv.
Krankheiten. I. 1906.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Verf teilt ein Gutachten betreffend die Entmündigung einer Hysterischen mit.
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In der abnormen Beeinflußbarkeit der Hysterischen liegt eine gewisse geistige
Schwäche, die event. die Anwendung des § 6, Abs. 1 des B.G.B. rechtfertigt.
37) Kasuistischer Beitrag sur Frage über die strafrechtliche Zurechnungs¬
fähigkeit der Hysterischen, von Hösel. (Vierteljahrsschr. f. ger. Med. u.
offentl. Sanitätswesen. XXXII. 1906.) Bef.: Blum (Nikolassee/Berlin).
Die Arbeit bringt ein Gutachten aber eine erblich stark belastete Hysterika,
die wegen schweren Diebstahls angeklagt ist und wegen Verdacht einer bestehen¬
den Geisteskrankheit beobachtet wurde.
Die zuerst angenommene Diagnose Moral insanity mußte wieder umgestoßen
werden, da die Untersuchte viele Zeichen von Hysterie sowohl körperlich wie
psychisch darbot. Folgt sehr genauer Status.
Verf. spricht sich dahin aus, daß nicht mit Sicherheit angegeben werden
kann, ob dieser von ihm beobachtete Zustand von hysterischem Irresein zurzeit
der Begehung der Tat schon bestanden bat; jedenfalls aber sei mit „großer Wahr¬
scheinlichkeit“ anzunehmen, daß die Inkulpatin in einem Zustand von Unzurech¬
nungsfähigkeit gehandelt habe.
38) Omioidio oommesso nello „stato secondo dl Aiam", per G. Biancone
e N. Majano. (Riv. sper. di Fren. XXXI. S. 169 u. 518.) Bef.: Merzbacher.
Die Verff. teilen die Krankengeschichte eines Mannes mit, der in einem Zu¬
stand von Verdoppelung der Persönlichkeit einen Mord begeht. Es handelt sich
um einen 20jährigen Hystericus, der früher schon an hysterischen Krämpfen ge¬
litten hat und im Anschluß an eine starke psychische Erregung (Nachricht von
der Verführung seiner Schwester) eine ganz auffallende Veränderung seines
Charakters erfährt. Im Anschluß an eine neue Erregung, die ihren Ausgangs¬
punkt von der Termins Verschiebung des Prozesses gegen den Verführer der
Schwester nimmt, sucht der Betreffende den Verführer auf und erschießt ihn.
Bei der Verhaftung gibt er noch geordnete Auskunft über seine Handlung, ver¬
fällt während seiner Überführung in das Gefängnis in Krämpfe, an die sich Hann
ein schwerer, klassischer hysterischer Dämmerzustand anschließt. Während dieser
Zeit, die 4 Monate anhält, besteht Halbseitenlähmung und Hemianästhesie. Starke
Erregungszustände, in denen jedoch nie Erinnerungsanklänge an die Tat selbst,
wohl aber an die Motive zur Tat wieder erscheinen. Nach 4 Monaten Verschwinden
des Dämmerzustandes mit gleichzeitigem Abklingen der somatischen Erscheinungen.
Es besteht vollkommene Amnesie, die sich auf die 4 Monate erstreckt; die Er¬
innerung setzt an die Vorgänge wenige Tage vor dem Morde ein. In der Hypnose
nun gelingt es leioht die Vorbereitungen zum Morde, die Ausführung der Tat
selbst bis in die feinsten Details aus den Aussagen des Kranken zu rekonstruieren.
Im Wachzustände schwindet die Erinnerung an alle diese Dinge wieder vollkommen.
Es handelt sich also in diesem Falle um zwei ganz verschiedene Zustände: ein¬
mal um eine Verdoppelung der Persönlichkeit; während dieses Zustandes, der der
Umgebung nicht als krankhaft aufzufallen braucht, geschieht der Mord; und
zweitens um einen richtigen, leicht erkennbaren pathologischen Zustand — einen
Dämmerzustand mit Halluzinationen, Erregungszuständen, Lähmungen usw. In
der Hypnose läßt sich der Zustand, der der Verdoppelung der Persönlichkeit ent¬
spricht, fortsetzen.
Die genaue Wiedergabe der sorgsam geführten Krankengeschichte, eine Ana¬
lyse der verschiedenen Zustände, die Abgrenzung der Erkrankung anderen Pro¬
zessen gegenüber bilden eine willkommene Ergänzung zu dem an und für sich
nicht uninteressanten Falle.
Therapie.
39) Reoent experiences in the study and treatment of hysteria, with
remarks on Freuds method of treatment by psyoho-an&lysis, by
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J. J. Putnam. (Journ. of Abnormal Psychology. 1. 1906. 1. April.) Bef.:
H. Haenel (Dresden).
Nach einer Darstellnng der- Grnndzüge der Freud sehen „kathartischen“
Methode stellt Verf. sieb die Frage, ob dieselbe wesentlich und grundsätzlich
besser ist als andere psychotherapeutische Methoden und ob sie sich wesentlich
von denselben unterscheidet. Eine Beihe von günstigen Beobachtungen, die er
unter den gewöhnlichen Verhältnissen eines normalen Krankenhauses machen
konnte, führt ihn su der Ansicht, nicht daß die Freudsohe Methode nutzlos ist,
aber daß sie bei ihren großen Schwierigkeiten oft weniger notwendig ist als man
denkt, und daß sie sich prinzipiell nicht viel von anderen „substitutiven“ Methoden
unterscheidet. Wenn es gelingt, das Gemüt des Patienten zu erleichtern, indem
man sein Vorstellungsleben mit vorteilhaften Ideen erfüllt, die krankhaften Asso¬
ziationen beiseite drängt, ihm die Prinzipien seines falschen Denkens, nicht die
irritierenden Details aus der Vergangenheit vor Augen führt, ihm direkte nütz¬
liche Suggestionen gibt, so ist damit dasselbe erreicht wie mit der katbartischen
Methode. Ein vertrauliches Gespräch im wachen Zustande kann dann ebenso
nützlich sein wie eine Exploration im hypnoiden Zustande. Verf. hegt auch
Zweifel, ob die Tatsachen, die im hypnoiden Zustande aus des Kranken unter¬
bewußtem Gedächtnis hervorgezogen werden, immer die Bedeutung für den vor¬
liegenden Krankheitszustand haben, die dann der Arzt ihnen beizulegen geneigt ist.
vielleicht gewinnen sie erst für den Kranken diese Bedeutung in dem Momente,
wo er merkt, welches Gewicht der Arzt seinerseits auf sie legt. Besonders für
die sexuellen Beminiscenzen scheint Verf. dieses Verhalten des öfteren zuzutreffen.
40) Wie siohern wir den Heilerfolg der Anstalten für Nervenkranke? von
Max Laehr. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XL.) Bef.: G. Ilberg.
Der Anregung des verstorbenen, trefflichen Moebius verdanken wir es, daß
sich auch weitere Kreise für die Errichtung von Nervenheilstätten für wenig Be¬
mittelte interessieren. Verf. berichtet nun aus der Praxis dieser Heilstätten
heraus, daß die geringen Aussichten der gebessert entlassenen Kranken auf ein
sofortiges, festes Arbeitsverhältnis ein Haupthindernis des Dauererfolges der Kur
sind: der Gebesserte ist noch ohne Selbstvertrauen und kann keine unzweideutigen
Beweise der Arbeitsfähigkeit beibringen, der Arbeitgeber ist nioht geneigt den
Entlassenen zu beschäftigen. Deshalb muß den ehemaligen Kranken Gelegenheit
gegeben werden, die wiedererlangte Arbeitskraft praktisch zu beweisen. Dies
könnte in Arbeitsstätten geschehen, in die ein Teil der Kranken sofort nach
dem Ausscheiden aus der Heilstätte ein treten würde. Hier könnte die Gesund¬
heit noch weiter befestigt, das Selbstvertrauen erhöht, der Krankenbauserfolg zu
einem wirtschaftlichen Heilerfolg gesteigert werden. Für die Arbeit müßte ein
materieller Lohn gegeben werden, der die Kosten der Verpflegung deckt und
womöglich noch eine Ersparnis für später zuläßt, wenn sich der Drang nach voll¬
ständig freier Selbstbetätigung regen wird. In der Arbeitsstätte soll eine Art
von Familienleben herrschen, an der Spitze soll ein fachmännisch gebildeter
Arbeitsleiter stehen. Gärtnerei, Landwirtschaft, Tischlerei und anderes Handwerk
würden das Arbeitsfeld bilden. Ein eventuell notwendiger Berufswechsel könnte
mit Vorteil in solcher Arbeitsstätte eingeleitet werden. Die Anlage der Arbeits¬
stätten würden weniger kostspielig sein als die der eigentlichen Heilstätten; nicht
immer ist eine Neugründung nötig, oft dürfte die Entwicklung der Arbeitsstätten
aus schon bestehenden Betrieben möglich sein. Durch die Arbeitsstätten hofft
Verf. eine Entlastung der Heilstätten; eventuell könnte auch mancher leicht Ner¬
vöse direkt von außen in die Arbeitsstätte aufgenommen werden, wenn es nur
auf Einhaltung geordneter Tageseinteilung, Zuteilung gesunder körperlicher Arbeit
und Entfernung aus der gewohnten Umgebung ankommt (Alkoholfrei müßte die
Arbeitsstätte natürlich auch gehalten werden.) Mit Becht warnt Verf. vor der
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Aufnahme schwerer Psychopathen, die die Nervenheil* wie Arbeitsstätte beunruhigen
und stören würden.
Für weibliche Nervenkranke (Lehrerinnen, Komptonstinnen, Verkäuferinnen,
Telephonistinnen usw.) empfiehlt Verf. beachtlicher Weise zur Erzielung eines
Dauererfolges weniger eine besondere Zwisohenstation, als die Schaffung einer Art
von Pension, in welcher Wohnung, Verpflegung und gemütlicher Anschluß an
gleichempfindende Genossinnen gewährt wird.
In Dösen bei Leipzig hat man den glücklichen Gedanken der Arbeitsstätten-
errichtung auch für die Trinkerbehandlung nutzbar gemacht.
1H. Bibliographie.
1) Din Böntgen-Strahlen im Dienste der Neurologie, von Dr. Wilhelm
Fürnrohr. Mit einem Vorwort von Prof. H. Oppenheim. (Berlin 1906,
S. Karger. S75 S.) Bef.: Kurt Mendel.
Verf. schildert in dieser fleißigen Arbeit die Dienste, welohe die Böntgen*
Durchleuchtung der Neurologie ' leistet; er benutzt zu diesem Zweck die bisher
vorhandene Literatur (ein reichhaltiges Literaturverzeichnis ist der Arbeit bei*
gefügt), sowie eigene an der Oppenheimschen Poliklinik gemachte Beobachtungen.
Es wird die Anwendung der Böntgen-Strahlen zu diagnostischen Zwecken be¬
sprochen bei den Krankheiten des Gehirns und Schädels, des Büokenmarkes, der
Wirbelsäule, den Krankheiten der peripheren Nerven, den Neurosen, der Akro¬
megalie, Hemiatrophia facialis, der Basedowschen Krankheit, dem Myxödem, der
hereditären Syphilis usw. Als besonders dankenswerte Dienste, die uns seitens
der Böntgen-Untersuchung in praktischer Hinsicht geleistet werden, sind erwähnt:
der Nachweis der erweiterten Sella turcica für die Diagnose der Akromegalie,
die Vorführung der verlangsamten Entwicklung des Knochengerüstes bei Myxödem,
der Nachweis der Veränderung desselben unter dem Einwirken von Schilddrüsen*
Präparaten, die Klarlegung von Fremdkörpern, Knochensplittern, Geschossen, die
auf bestimmte Gehirn- oder Bückenmarksteile oder periphere Nerven drücken.
Der wissenschaftliche Wert der Böntgen-Strahlen für die Neurologie liegt aber
darin, daß wir die Vorgänge an den Knochen bei Arthropathien so genau und
noch bei Lebzeiten des Kranken studieren, bei Lähmungen uns über das Ver¬
halten der Knoohen orientieren können usw.
2) Leotures on neorazthenia, by Thomas D. Savill. (3. Aufl. London 1906,
J. Glaisher.) Bef.: Kurt Mendel.
In acht Vorlesungen bespricht Verf. die Pathologie der funktionellen Nerven¬
krankheiten im allgemeinen, die Symptomatologie, Ätiologie und Pathogenese,
Pathologie und Varietäten, Therapie und Prognose der Neurasthenie, sowie die
psychischen Symptome dieser Krankheit und die Abgrenzung derselben von den
Psychosen.
IV. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 11. März 1907.
1. Herr Cassirer: Krankenvorstellung. 56jähriger Mann, aus gesunder
Familie, gesund bis zum Jahre 1895. Damals zuerst taubes, kribbelndes Gefühl
in den Fingerspitzen und Unsicherheit beim Gebrauch der Werkzeuge (Pat. ist
Tischler). Er muß nach 5 Jahren seine Tätigkeit deswegen aufgeben; allmählich
Unsicherheit auch in den Beinen, wodurch die Gehfahigkeit erheblich beein¬
trächtigt wird; später Störungen der Sprache. Lichte Urinbeschwerden. Nie
Sehstörungen,, nie Schmerzen. Status praesens: Der Gang ist sehr unsicher. Pat.
geht breitbeinig, schwankend, ptampfend; Rumpf und Kopf wackeln beim Gehen.
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Er fixiert mit den Augen den Boden; aieht er auf, so droht er sofort hinzu*
stürzen. Ähnliches Verhalten beim Sitzen und Stehen, große Unsicherheit, die
bei Angenschlnß zunimmt. In allen Einzelbewegungen des gesamten Körpers
macht sich die gleiche Koordinationsstörung bemerkbar; die Bewegungen sind
»■fahrend, unsicher, wackelig, dabei vermehrt Augenschluß überall deutlich die
Unsicherheit. Auch statische Ataxie ist vorhanden. Ansgebreitete Sensibilitäts-
Störungen, die sich, durch unscharfe Begrenzung auszeichnen. Nirgends schließen
sich die anästhetischen Zonen an bestimmte Nerven oder Einzelgebiete an; es
sind aber die Störungen in den distalen Partien der Extremitäten stärker als
in den proximalen und am Rumpf Auch das Gesicht ist mit betroffen, iiberall
ist die tiefe Sensibilität am schwersten betroffen, weniger Berührungsgefühl.
Noch weniger Schmerz* und Temperaturempfindung; leise Nadelstiche wurden
nicht schmerzhaft empfunden, etwas tiefere dagegen alsbald als sehr unangenehm
bezeichnet Alle Sehnenreflexe fehlen vollkommen (Masseter*, Triceps-, Supi¬
nator-, Knie* und Achillesreflexe). Die grobe motorische Kraft ohne Einbuße.
Keine Atrophien. Die Sprache ist monoton, ausgesprochen skandierend, mit un¬
sicherer Intonation, ein wenig näselnd. Sehapparat intakt: kein Nystagmus,
keine Papillenstarre, keine Opticusatrophie. Die Intelligenz ist intakt Die
Progression des Leidens erweist sich in mehrjähriger Beobachtung als eine stetige,
aber sehr langsame. Das Leiden wird somit durch zwei Symptome sieher charak¬
terisiert, durch die geschilderte Sensibilitätsstörung und die Koordinationsstörung.
Letztere ist nur zum Teil als sensorische Ataxie aufzufassen und auf die Störung
der Sensibilität, insbesondere der tiefen Sensibilität zurückzuführen. Zum Teil
handelt es sich um eine davon unabhängige, der cerebellaren Ataxie am nächsten
stehende Unsicherheit aller Bewegungen. Das Symptombild deckt sich mit keinem
der bekannten vollständig. Tabes ist wegen der Art der Koordination* und
Sensibilitätsstörung, des Fehlens von Schmerzen, Pupillenstörungen auszuschließen;
gegen eine (chronisch-progressive) Polyneuritis spricht das vollkommene Fehlen
aller Paresen, Atrophien, Schmerzen und jeder Druckschmerzhaftigkeit, gegen
multiple Sklerose das Fehlen der Sehnenphänomene, die normalen Zehenreflexe,
die schweren Sensibilitätsstörungen, das Fehlen aller Augensymptome. Am meisten
ähnelt der Fall der Friedreiohschen Krankheit: aber abgesehen davon, daß er
nicht familial ist, sprechen hohes Alter, Fehlen aller Deformationen, des Babinski-
schen Symptomes und vor allem die schweren SensibilitätsstÖrnngen gegen diese
Annahme, ebenso gegen eine H6r6do-ataxie familiale. Immerhin muß der Fall der
Krankheitsgruppe zugeteilt werden, zu der die Friedreichsche Krankheit und
ähnliche Affektionen, insbesondere eine Reihe von Fällen von Kleinhirnatrophie,
gerechnet werden. Es handelt sich um eine Erkrankung bestimmter spino-cere*
bellarer Fasern und Centren, und zwar um eine systematisierte, chronisch-progressive
Erkrankung. Der Unterschied gegenüber den bisher bekannten Formen beruht
offenbar auf der ungewöhnlich starken Beteiligung spinaler Systeme. Autoreferat.
Die Diskussion wird vertagt.
2. Herr M. Rothmann: Zur Symptomatologie der Hemiplegie. (Kranken*
Vorstellung). Vortr. weist auf den neuerdings auch duroh Sektionsbefunde ge*
stützten Nachweis Liepmanns hin, daß sich bei rechtsseitigen Hemiplegien eine
spr&ktische Störung in dem nicht gelähmten, linken Arm feststellen läßt. Die*
selbe ist auf die Zerstörung der von der linken zur rechten Hemisphäre ziehenden
Balkenfasern zurückzuführen und weist auf einen Vorrang der linken Hemisphäre
beim Handeln hin. Ist dieser Vorrang bei der Rechtshändigkeit der meisten
Keuschen immerhin gut verständlich, so ist es von Interesse, festzustellen, wie
sich bei Linkshändern,, die linksseitig gelähmt sind, der rechte Arm
verhält. Vortr. ist in der Lage, einen derartigen Fall voraustellen. Der jetzt
25 jährige Mann erlitt vor etwa 6 1 / s Jahren, als ihm ein Fahrstuhl auf den Kopf
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fiel, eine rechtsseitige Schädelfraktur tod etwa 10 cm Länge genau in der Höhe
des Sulcus Rolando mit Verletzung des Gehirns, das reichlich ausfloß. Es kam
sofort zu totaler linksseitiger Lähmung mit unvollständiger motorischer Aphasie,
Alexie und Agraphie. Die Lähmung ging in den typischen reaiduären Typus
über, die Sprache war nach einem Vierteljahr wiedergekehrt, das Lesevermögen
nach 1 Jahr leidlich intakt, während erst nach 1 Jahr einzelne Buchstaben ge¬
schrieben werden konnten. Die Untersuchung nach 6 1 / i Jahren zeigte neben dem
linksseitigen residuären Lähmungstypus Sprechen und Lesen bis auf eine leichte
Dysarthrie intakt; dagegen bestand eine weitgehende verbale Agraphie. Der
rechte Arm wurde frei bewegt, zu allen Verrichtungen benutzt. Dabei bestand
vollkommene motorische Apraxie für alle Ausdrucksbewegungen (Drohen, Winken
usw.). Dieselbe macht eich weitgehend auch beim Nachmachen der Bewegungen
bemerkbar mit starker Perseveration. Nach 3 Wochen (bei der Vorstellung) ist
eine beträchtliche Besserung unter andauernder Übung eingetreten. Doch fallen
ungeübte Bewegungen (Drohen mit dem Finger, Ausetschen usw.) noch völlig aus,
und stets macht sich die Perseveration der letzten Bewegung bemerkbar. Auch
die verbale Agrapbie ist im Rückgang. Zeigt der Fall bereits sicher die Ab¬
hängigkeit der rechten Hand bei Linksern von der rechten Hemisphäre bei den
von Objekten losgelösten Ausdrucksbewegungen, so kann Vortr. über einen zweiten
derartigen Fall von linksseitiger Hemiplegie beim Linkser mit schwerer moto¬
rischer Apraxie und fast totaler Agraphie der rechten Hand — ohne Alexie
und Aphasie — berichten, bei einer 65jährigen bettlägerigen Frau, 3 Jahre nach
der Apoplexie. Ist die Apraxie der rechten Hand als die direkte Folge der
Läsion der rechten Extremitätenregion zu betrachten, so muß die Agraphie auf
weitere Hirnllsionen bezogen werden. Denn auch bei Rechtshändern hebt Rinden¬
lähmung des rechten Armes nicht das Schreiben des linken Armes auf. Vortr.
stellt einen derartigen Fall bei einem 12jährigen Mädchen vor, das vor 6 Jahren
eine rechtsseitige Lähmung mit vorübergehender Aphasie nach Pneumonie akqui¬
rierte, die in Hand und Fingern total geblieben ist. Das Rind schreibt, wie
demonstriert werden kann, tadellos normale Schrift mit dem linken Arm, aller¬
dings nicht in Adduktionsschrift von links nach rechts, sondern in Vertikalschrift
von oben nach unten mit wagerecht liegenden Buchstaben. Apraxie ist im linken
Arm nioht nachweisbar, ganz in Übereinstimmung mit der weitgehenden Resti¬
tution der Aphasie im Kindesalter. (Ausführliche Veröffentlichung erfolgt an
anderer Stelle.) Autoreferat.
Die Diskussion wird vertagt.
3. Herr E. Mendel: Zar Revision des § 61 des Strafgesetzbuches. Ich
habe dasselbe Thema am 9. Januar 1905 bereits vor Ihnen besprochen (vgl. dieses
Centralblatt. 1905. S. 133). Eb kann nicht meine Absicht sein, das damals
Gesagte jetzt zu wiederholen. Es kommt vielmehr nur darauf an, der zu er¬
öffnenden Diskussion einige Sätze voranzuschicken. Die erste Frage ist die, ob
es in den Rahmen unserer Verhandlungen gehört, diese Angelegenheit zu disku¬
tieren, und welche Sohritte eventuell der Diskussion zu folgen haben. Die Ge¬
schichte unserer Gesellschaft zeigt, daß im Jahre 1869 dieselbe, welche damals
2 Jahre alt war, über den Zurechnungsfähigkeitsparagraphen des Strafgesetzbuches
für den Norddeutschen Bund verhandelte. Die damaligen Angriffe richteten sich
gegen den § 40 des Preußischen Strafgesetzbuches, nach welchem Wahnsinn
und Blödsinn entscheidend für die Zurechnungsnnfähigkeit waren. Jene Aus¬
drücke wurden nach dem allgemeinen Landrecht „als des Gebrauches der Ver¬
nunft völlig beraubt“ (Wahnsinn) oder „als Unfähigkeit die Folgen Beiner Hand¬
lungen zu überlegen“ (Blödsinn), definiert. Ferner richteten sioh die Angriffe
gegen die Einfügung des von anderer Seite in Vorschlag gebrachten Ausdrucks
„freie Willensbestimmuog“. Aus der Diskussion, welche sich über 4 Sitzungen
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B78
erstreckte, ging eine Petition an den Jostizminister hervor (Archiv für Psy¬
chiatrie. II. S. 243). Diese Petition führte im wesentlichen ans, daß das neue
Gesetz dem Arzte nur Fragen vorlegen soll, welche er auf Grund seiner speziellen
Fachwissenschaft zu beantworten imstande ist, daß an dieser berechtigten Forde¬
rung unter allen Umständen festgehalten werden müßte, and daß er eben¬
sowenig über die psychologischen Begriffe des § 40, wie über die:„freie Willens¬
beetimmun g“ ein ärztliches Gutachten abgeben könne. Eine bestimmte Fassung
für einen neuen Zurechnungsfähigkeitsparagraphen wurde nicht vorgeschlagen.
Dies geschah durch die wissenschaftliche Deputation des Ministeriums, welche sich
im wesentlichen auf denselben Standpunkt betreffs der Aufgaben des Arztes stellte.
Die Frage, ob wir jetzt nach 38 Jahren wieder die Bestrebungen aufnehmen
sollen, welche nur zum Teil ihre Erfüllung damals erfahren haben, erscheint mir
in dem Augenblicke, in dem eine Revison des Strafgesetzbuches in Aussicht ge¬
nommen ist, in ihrer Beantwortung nicht zweifelhaft Meiner Ansicht nach haben
wir nicht bloß das Recht, sondern auch die Pflicht, unsere Stimme zu erheben.
Steht die Gesellschaft nooh auf dem Boden, den sie früher eingenommen hat, so
wird man immer wieder verlangen, daß Ärzten in foro nur ärztliche Fragen
vorgelegt werden sollen. Ich sehe deshalb von vornherein von all den Vor¬
schlägen ab, welche neuerdings gemacht worden sind, und welche in den Zu-
rechnungsfähigkeitsparagraphen psychologische Begriffe als entscheidend hinein¬
bringen wollen, ohne die Krankheit überhaupt zu erwähnen. Daß eine solche
Fassung einen bedauernswerten erheblichen Rückschritt bedeuten würde, ist nicht
zu bezweifeln. Aber auch die Frage naoh der freien Willensbestimmung ist keine
ärztliche Frage. Man mag Determinist oder Indeterminist sein, die ärztliche
Wissenschaft kennt eine freie Willensbestimmung nicht. Ich wüßte nicht, auf
Grund welcher ärztlichen Untersuchungen und welcher ärztlichen Beobach¬
tungen die Frage zu beantworten sei. Man hat gesagt, es wäre ein Streit um
Worte, ich habe bereits früher bewiesen, daß dies tatsächlich nicht der Fall ist,
und daß, sobald in foro die freie Willensbestimmung zur Diskussion gestellt wird,
der Vorsitzende des Gerichtshofes, der Staatsanwalt, der Verteidiger und vor dem
Schwurgericht auch der Geschworene sich nicht selten an der Diskussion be¬
teiligen, und daß dabei oft genug der nicht der Dialektik der Juristen gewachsene
ärztliche Sachverständige den kürzeren zieht. loh habe früher Beispiele derart,
welche nicht gerade Ruhmesblätter der forensischen Psychiatrie sind, angeführt
und ich freue mich, konstatieren zu können, daß die Zahl der in foro tätigen
Arzte zugenommen hat, welche mit mir gleichen Sinnes die Beantwortung
der Frage nach dem Ausschluß der freien Willensbestimmung ablehnen. Im
übrigen sind auch hervorragende Juristen, wie Oberlandesgerichtsrat Schanz,
Professor Kahl, der Ansicht, daß der Ausdruck des Ausschlusses der freien
Willensbestimmung aus dem § 51 entfernt werden kann. Er dürfte dann aller¬
dings nicht bloß sagen: „Zustand von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung
der Geistestätigkeit,“ da man selbstverständlich nicht jeden Zustand von krank¬
hafter Störung der Geistestätigkeit mit Straflosigkeit wird decken wollen. Viele
sogenannte Phobien oder Zwangsvorstellungen und andere Zustände, welche un¬
zweifelhaft einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit ihren Ursprung ver¬
danken, würden durchaus nicht immer als Zustände zu erachten sein, welche
Zurechnungsunfähigkeit bedeuten. Ich habe vorgeschlagen, den Paragraphen in
folgender Weise zu fassen: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn
der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung bewußtlos oder geisteskrank war.“
Dieser Fassung haben auch die oben erwähnten Juristen zugestimmt, und Kahl
hat ausdrücklich bemerkt, daß eine solche kurze Fassung aus mehrfachen
Gründen (nicht etwa bloß aus dem Grunde, weil er daran die verminderte Zu¬
rechnungsfähigkeit anknüpfen will) sehr empfehlenswert sei. Die erwähnte
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Fassung würde im wesentlichen dem französischen Strafgesetz folgen: „II n'y a ni
crime ni d61it, lorsqne le prövenu ötait en ötat de dömence an temps de l'action.“
Sie würde auch einer früheren Fassung des Schweizer Entwurfes zum Zu*
rechnungsfähigkeitsparagraphen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzbuches
sich anschließen, in welchem es heißt: „Wer zur Zeit der Tat geisteskrank oder
blödsinnig oder bewußtlos war, ist nicht strafbar/* wobei nicht einsusehen ist,
warum neben dem „geisteskrank" noch „blödsinnig“ hervorgehoben wird.
Diskussion: Herr Ziehen erkennt an, daß die Gesellschaft für Psychiatrie
und Nervenkrankheiten verpflichtet ist, sich zu einer eventuellen Neufassung des
§ 51 zu äußern. Die Vermeidung psychologischer Begriffe hält er nicht für
notwendig, wohl aber die Vermeidung metaphysischer Begriffe. Insofern er*
scheint es wünschenswert, den Begriff der freien Willensbestimmung, der jeden¬
falls zu Mißverständnissen Anlaß geben kann, aus dem § 51 zu beseitigen. Da
es nun aber nicht angängig ist, einfach von krankhafter Störung der Geistes¬
tätigkeit und Bewußtlosigkeit zu sprechen, sondern ein irgendwie bestimmter, er¬
heblicherer Grad von krankhafter Störung der Geistestätigkeit bzw. Bewußt¬
losigkeit als Bedingung der Unzurechnungsfähigkeit gefordert werden muß, so
muß irgend ein einschränkender Zusatz hinzugefügt werden. Das vom Vortr. vor¬
geschlagene Wort „Geisteskrankheit" würde, wie an Beispielen erläutert wird,
den zur Exkulpation erforderlichen, erheblichen Grad nicht scharf genug bezeichnen.
Als Zusatz schlägt Z. daher vor, statt des Relativsatzes des jetzigen § 51 den
folgenden zu setzen: „durch welchen das Handeln des Kranken in ent¬
scheidendem Maße beeinflußt wird." Auch mit der seiner Zeit abgelehnten
speziellen Bezugnahme auf die Strafhandlung (statt des „Handelns** im allge¬
meinen) wäre Z. einverstanden. — Die Frage der verminderten Zurechnungs¬
fähigkeit ist mit der Frage der Neufassung des § 51 untrennbar verbunden. Z.
hält die Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit für unzweckmäßig
und empfiehlt statt dieser auch vom Standpunkt des Psychiaters Erweiterung
der Grenzen des Strafmaßes und Zulassung mildernder Umstände für
alle Strafhandlungen zu fordern. — Weitaus wichtiger endlich als die for¬
male Neufassung des §61 ist nach Z. die Änderung des Strafvollzugs. Nicht
durch Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit, sondern durch psy¬
chiatrische Beeinflussung des Strafvollzugs sollte man versuchen, den psycho¬
pathischen Konstitutionen, soweit ihre Strafhandlungen nicht unter § 51 fallen,
gerecht zu werden. § 57 des RStGB gibt einen Präzedenzfall für die Modi¬
fikation des Strafvollzugs im Rahmen der Strafgesetzgebung. Autoreferat.
Herr Moeli hat, falls die Gesellschaft sich mit der Angelegenheit beschäftigen
soll, eine von der des Herrn Berichterstatters abweichende Ansicht zu vertreten.
Die Formel: „Ausschluß der freien Willensbestimmung“ ist nicht unbedacht ge¬
wählt worden. Sie wird in den Motiven ausdrücklich als die „mindestens relativ
beste“ bezeichnet. Schon damals heißt es: „Es dürfe namentlich nicht be¬
fürchtet werden, daß dadurch die verschiedenen metaphysischen Auffassungen über
die Freiheit des Willens in philosophischem Sinne in die Kriminal Verhandlungen
gezogen werden, denn es ist damit klar ausgesprochen, daß im einzelnen Falle
nur untersucht werden soll, ob derjenige normale Zustand geistiger
Gesundheit vorhanden sei, dem die Rechtsanschauung des Volkes die straf¬
rechtliche Verantwortung tatsächlich zuschreibt.** Gegen die Beantwortung der
Frage sind Stimmen einzelner Personen angeführt worden, die dem Arzt das
Recht bestreiten, diesen Begriff zu gebrauchen (andere, die ihn auch für sich in
Anspruch nehmen wollen). Ihnen gegenüber könnte man nennen Planck: Ob
der freie Wille durch die krankhafte Störung ausgeschlossen wird (§ 104 BGB)
ist eine medizinische Frage und Kahl: Die Motive wollen dem Sachverständigen
gewiß nicht wehren, sich gutachtlich darüber (freie Willensbestimmung) zu äußern.
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Aber eine so gewährte, mehr äußerliche Kompetenz würde niemals den Arzt ver¬
anlassen, den Begriff zn benutzen, wenn er sieb sagen müßte: er könne den Sinn
der Worte nickt so erfassen, um den Begriff in der ihm obliegenden fach¬
männischen Beurteilung des Geisteszustandes verwenden zu können. Wenn die
Meinungen hierüber abweiehen, kann lediglich die Auslegung des Wortes „freie“
bei Willensbestimmung Schuld sein. Ich trete der Meinung bei, daß die Ver¬
wendung der Worte des § 51 nicht nur grundsätzlich zulässig ist, sondern das
Gutachten erst „dem besten Wissen“ des technisch gebildeten Arztes entsprechend
gestaltet. Es soll als Beweis für die innerliche, sachliche Kompetenz des
Psychiaters gegenüber dem Ausdrucke kein Gewicht darauf gelegt werden, daß
die „freie Willensbestimmung“ (im § 61) nioht nur vom Juristen, sondern auch
von den Geschworenen gehandhabt wird, denen die Frage in der Schuldfrage
mit vorgelegt werden kann. Ich halte das zwar durchaus nicht für erwünscht,
aber es zeigt doch, daß das Verständnis dessen, was mit dem „freie“ (im § 51)
gemeint ist, auch weiteren Kreisen, nicht bloß dem Juristen zugetraut wird. Die
Hauptsache ist jedoch, daß das „frei“ weder mit „Willensfreiheit“ nooh mit Deter¬
minismus oder Indeterminismus überhaupt zusammengebracht zu werden braucht.
Im § 51 ist von „Willensfreiheit“ überhaupt keine Bede. Auch das „freie“ bei
der Bestimmung des Willens steht nicht für sich allein da. Es befindet sich
in unlöslichem Zusammenhänge („durch welohen“) mit dem unmittelbar voraus¬
gehenden Ausdrucke: „Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit.“ Das
„frei“ in dieser Verbindung soll heißen (ioh habe die Motive angeführt)
„frei von“, wie frei von Zwang, frei von Fehler. Die Willensbestimmung soll
nicht von der krankhaften Störung abhängig, gebunden, (ihre „Freiheit“ er¬
läutert, als die dem gesunden Erwachsenen zukommende Beschaffenheit) nioht
durch krankhafte Bewußtseinsvorgänge beeinflußt sein. So steht § 51 unter
den Gründen, welche die Strafe ausschließen oder mildern, vor der Berücksich¬
tigung unwiderstehlicher Gewalt oder Drohung (§ 52) und vor der Notwehr (§ 58);
wie hier das Handeln nicht „frei“ ist von wichtigen Außenverhältnissen, so ist es
im § 51 der Einwirkung von innen — durch krankhafte Bewußtseinsvorgänge
unterworfen. Der Psychiater kann unbedenklich prüfen, ob ein Willensvorgang
durch krankhafte Prozesse bedingt oder beeinflußt war, auch weun es sich um
ein Gerichtsverfahren handelt. Alltäglich hat er die Willenstätigkeit und das
Handeln des Kranken bei der Beratung und bei Anordnung wichtiger Schutzma߬
regeln (Anstaltsbehandlung) auf seine Abhängigkeit von den krankhaften psy¬
chischen Vorgängen zu betrachten. Wenn er in diesem aus den Motiven abzu¬
leitenden Sinne die Abhängigkeit der Bestimmung des Willens von Krank¬
heit feststellt, so hat er bei richtiger Fassung des Gutachtens nicht einmal nötig,
den Schluß noch besonders in diesem Sinne zu erläutern. Die Bedeutung des
„freie Willensbestimmung ausgeschlossen“ ergibt Bich aus der fachmännischen Zu¬
sammenfassung des Befunds ganz von selbst: als die Benutzung der Formel des
Gesetzes für den aus psychiatrischer Arbeit gewonnenen Befund. Ob der
Richter an der „Willensfreiheit“ festhält, auf der er die Schuld aufbaut, ist für
den ärztliohen Sachverständigen, der unzweideutig den Ausdruck „frei“ im Sinne:
„nioht durch Krankheit gebunden“ verwendet, einerlei. Den urteilmäßigen
Schluß zieht der Bichter hier, wie bei Gutachten jeder Art, in freier Beweis¬
würdigung. Sollte er also annehmen, daß diese Begriffsverwendung des
„freie“ bei Willenhestimmung gegen den Sinn des Gesetzes ver¬
stoße, so müßte er die Darlegung von vornherein ablehnen. Da aber an¬
erkanntermaßen kein Gericht das tut — mag es über den Tatbestand urteilen
wie es will und aus Indeterministen zusammengesetzt sein oder nicht — so kann
in einer derartigen Verwendung der „freien Willensbestimmung“ durch den psy¬
chiatrischen Sachverständigen auch vom Standpunkte des Juristen aus kein Be-
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denken liegen. Nach alledem könnte ich die freie Willenabeetimmong ans dem
§ 51 ohne Bedauern verschwinden sehen, aber nicht etwa, weil der so benannte
Begriff dem Mediziner nicht zugänglich wäre, sondern wreil wohl eine, zweck¬
mäßigere Fassung gefunden werden kann. Ich komme damit zu der sogen, ver¬
minderten Zurechnungsfähigkeit. Schon bei Anregung der ganzen Frage des
§ 51 habe ich gesagt, daß die Behandlung der trotz psychischer Mängel Zu¬
rechnungsfähigen mit dem § 51 innerlich zusammenhinge. Ich bin nun kein An¬
hänger der bis jetzt gemachten Vorschläge über Einführung der sogen, ver¬
minderten Zurechnungsfähigkeit, so sehr mir, wie jedem, das Bedürfnis klar ist,
alle für das Handeln wichtigen, psyohischen Abweichungen in der Rechtsspreohung
zu berücksichtigen. Die Abgrenzung von zurechnungsfähigen und niohtzureeh-
nungsfähigen, psychisch Abnormen richtet sich nicht naoh der klinisohen oder
sonstigen Art der Krankheit, sondern sie liegt lediglich in der Beziehung zur
rechtlichen Stellung. Wollte man mit dem einfachen Worte „geisteskrank“ unter
Wegfall der „freien Willensbestimmung“ und ohne jedes andere Kriterium sich
begnügen, so würde dieses „geisteskrank“ bedeuten: „so geisteskrank, daß die
strafrechtliche Verantwortlichkeit wegfällt.“ Der Sinn des Wortes wäre im
wesentlichen juristisch und bo wären die, welche vor der „freien Willens¬
bestimmung“ zurückweichen, nicht besser dran. Sie wären zwar diesen Aus¬
druck los, hätten aber im „geisteskrank“ einen anderen, dessen begrifflicher
Inhalt noch viel weniger rein medizinisch sein würde, als jetzt die krankhafte
Störung der Geistestätigkeit usw. Wenn nun gesagt wurde, auoh Kahl wäre mit
dem Wegfalle des Relativsatzes im § 51 zugunsten des einfachen Ausdrucks
„geisteskrank“ einverstanden, so ist das doch nur ganz bedingt der Fall. K.
will vorher für die zurechnungsfähigen Minderwertigen ganz besondere Be¬
stimmungen treffen und zwar sollen sie völlig getrennt werden von dem § 51,
der von den nicht Zurechnungsfähigen handeln soll. Natürlich, nimmt man von
der Gesamtheit der psychisch Abnormen die trotz der krankhaften Störung in
der Bestimmung des Willens nicht erheblich Beeinflußten (Zurechnungsfähigen)
ganz weg, so bleiben nur noch die mit duroh Krankheit veränderter Willensbe¬
stimmung (Zurechnungsunfäbigen) übrig. Die Grenze zwischen den Gruppen ist dann
nicht mehr im §51 gezogen, sondern zwischen dem für Zurechnungs u n fähige
(„Geisteskranke“) bestimmten § 51 und dem neu zu schaffenden Gesetzesabschnitt
über die trotz psychischer Mängel Zurechnungsfähigen („geistigen Minderwertigen“).
Daß psychische Abnormität und Wegfall der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
sich nicht decken, wird zum Ausdruck kommen können, so daß nicht das Wort
„geisteskrank“ im Gesetz für den Begriff stehen Bollte: so geisteskrank, daß un¬
zurechnungsfähig. Die freie Willensbestimmung ist im § 104 BGB wieder auf¬
getaucht. Zugleich lehrt die Entwicklung der Rechtsprechung im Zivilforum, daß
nur rechtliche, soziale, ökonomische Beziehungen für die gesetzliche Bewertung
einer Geistesstörung gelten. Die psychische Beschaffenheit trägt die Bezeichnung
„Geisteskrankheit“, wenn sie volle Entmündigung verlangt, „Geistesschwäche“,
wenn der Schutz durch beschränkte Geschäftsfähigkeit genügt, „geistiges Ge¬
brechen“, wenn nur das Bedürfnis für Vertretung im bestimmten Kreise vorliegt.
Auoh im Strafrecht dürfte die Bedeutung der Geistesstörung für Aufhebung der
strafrechtlichen Verantwortlichkeit immer nur nach rechtlichem Begriffe, in psy¬
chologischer Beziehung zur Schuld bemessen werden. Autoreferat.
Herr Marz ist der Ansicht, daß man sich mit der Mendelschen Fassung
nicht begnügen darf. Das komme einem Verzicht auf jedwede Analyse der Tat
gleich. Und gerade die Entwicklung der Beziehungen zwischen Geistesstörung
und Tat sei der gemeinsame Boden, auf welchem Richter und Sachverständiger
sich zusammenflnden könnten. Es sei wohl auch nur der Ausdruck der „freien
Willensbestimmung“, der Herrn Mendel unsympathisch sei. Im Grunde wolle
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«ich Herr Mendel sicher nicht auf diese Analyse dar Tat und ihrer Beziehungen
zu der nachgewiesenen geistigen Störung verzichten;, und damit müsse auch er
die Notwendigkeit eines Zusatzes, der in irgend einer Weise die Beziehungen der
Geisteskrankheit zur Straftat zum Ausdruck bringe, anerkennen. Im übrigen
könne man, wie es besonders Kern neuerdings in klarer Weise dargetan habe,
mit dem Terminus der freien Willensbestimmung auch als Arzt operieren; man
müsse darunter eben verstehen eine von krankhaften Vorstellungen oder Motiven .
unverminderte und unbeeinflußte Freiheit der Entschließung. Mit Hecht habe
auch das Bürgerliche Gesetzbuch die freie Willensbestimmung aus dem Straf¬
gesetzbuch übernommen, auoh in zivilrechtlichen Füllen müßte jedesmal der Nach¬
weis des ursächlichen Zusammenhanges zwischen geistiger Störung und dem in
Frage stehenden Rechtsgeschäft wenigstens versucht werden. Wenn es auch nicht
in jedem Falle gelinge, diesen ursächlichen Zusammenhang zwischen Geisteskrank¬
heit und Straftat klar aufzudecken, so sei doch dieser Nachweis ein Postulat und
Ideal der forensischen Psychiatrie. Autoreferat.
Herr E. Mendel (Schlußwort): Ich wundere mich, daß Herr Moeli sich mit
der jetzigen Fassung des § 51 einverstanden erklären kann, nachdem er in den
veröffentlichten Gutachten der wissenschaftlichen Deputation als Mitglied derselben
es ebenso wie Westphal und Jolly abgelehnt hat, die Frage nach dem Aus¬
schluß der freien Willensbestimmung, welche vom Gerioht gestellt wurde, zu be¬
antworten. Während WeBtphal diese Beantwortung direkt als eine niohtärzt-
liehe Sache ablehnte, hat Jolly sich mit dem Ausweg beholfen: „krankhafte
Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 51.“ Mit Herrn Ziehen stehe ich
prinzipiell auf demselben Standpunkte, doch würde ich die Forderung, daß die
geistige Störung auch in der zur Verhandlung stehenden strafbaren Handlung
nachgewiesen werden muß, welche im Entwurf stand und deren Beseitigung im
Plenum des Reichstages ich für ein besonderes Verdienst Zinns halte, für recht
bedrohlich ansehen, meint doch auch Herr Marz, daß ein solcher Zusammenhang
nicht immer klar aufzudecken sei. Außerdem halte ich eine bestehende Geistes¬
krankheit für ausreichend, um die Zurechnungsfähigkeit ohne weitere Zusätze
zu begründen. Herrn Marz gegenüber darf ich bemerken, daß er in den Fällen,
in welchen ich den Vorzug hatte, mit ihm zusammen als gerichtlicher Gutachter
zu fungieren, wohl gesehen hat, daß es sehr gut ohne den „Ausschluß der freien
Willensbestimmung“ gegangen ist, und daß weder in der Form noch in der Sache
dadurch irgendwelche Schwierigkeiten entstanden Bind. Daß dadurch ein Verzicht
auf die Analyse der Tat, eine durchaus ärztliche Aufgabe, nicht bedingt
worden ist, wird er mir bezeugen müssen. Und daß ohne die freie Willens¬
bestimmung die Rechtsprechung nicht leidet, zeigt das Beispiel Frankreichs seit
100 Jahren. Was die verminderte Zurechnungsfähigkeit anbetrifft, so
habe ich dieselbe iu mein heutiges Referat nicht einbezogen, weil ich meinte,
daß wir uns zuerst über den grundlegenden Paragraphen der Zurechnungsfähig¬
keit einigen sollten. Im übrigen stehe ich hier auf dem Standpunkte der Herren
Ziehen und Moeli und begrüße es mit besonderer Freude, daß so hervorragende
Vertreter der Psychiatrie sich gegen die „verminderte Zurechnungsfähigkeit“ aus¬
gesprochen haben, während ich selbst vor 20 Jahren bei den betreffenden Dis¬
kussionen unter den Irrenärzten ziemlich allein mit meiner Bekämpfung der Auf¬
nahme der „verminderten Zurechnungsfähigkeit“ in das Strafgesetzbuch stand. Ich
habe dieselbe immer, wie Herr Ziehen, zum Teil unter die mildernden Umstände,
besonders aber in das bisher vergeblich erwartete deutsche Gesetz über den Straf¬
vollzug verwiesen. Autoreferat.
Martin Bloch (Berlin).
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Psyohiatrlsoher Verein za Berlin.
Sitzung vom 16. März 1907.
Herr Henneberg: Zur Methodik der Intelligensprüfang. Vortr. be¬
spricht kritisch die bekannt gegebenen Methoden der Intelligenzprüfung: Möllers
Fabelmethode, die Sprichwörtermethode Finckh's und Ebbinghaus’ Ergäazungs-
. methode. Bei der letzteren ist von Wichtigkeit eine zweckmäßige Wahl des
Textes. Um in dem Vorstellungskreise und in der Ausdrucksweise des Un¬
gebildeten zu bleiben, hat Vortr. Briefe von Patienten im Sinne der Ebbing¬
haus’schen Methode bearbeitet Der erste Satz darf Auslassungen nicht
enthalten, da durch ein Verfehlen derselben die folgenden Ergänzungen sehr er¬
schwert werden. Die Zahl der zu ergänzenden Silben wird nicht durch eine ent¬
sprechende Zahl von Strichen kenntlich gemacht, weil sinnvolle Ergänzungen oft
in verschiedener Weise möglich sind. Es ist zweckmäßig, den Text so zu ge¬
stalten, daß er mit leichten Ergänzungen beginnt und allmählich immer schwerere
folgen. Vermittelst eines solchen Textes läßt sich nach einem Texte die Maximal¬
leistung eines jeden Kranken gewinnen. Bei allen Intelligenzpräfungen ist es er¬
forderlich, das Interesse des Exploranden in möglichst hohem Maße zu weokeu.
Bilder rufen sehr leicht das Interesse wach. Durch Bilder läßt sich zunächst
rasch ein Einblick in das VorstellungBinventar eines Kranken gewinnen. Ge¬
eignete Bilderserien lassen sioh leicht mit Hilfe von Ansichtspostkarten zusammen-
stellen. Viele Kranke reagieren viel leichter auf Bilder als auf Fragen. Die
Ausdeutung komplizierter Bilder kann als Intelligenzprüfung benutzt werden.
Die Auswahl der zu benutzenden Bilder ist schwierig und muß dem Kranken¬
material angepaßt sein. Es empfiehlt sich, eine Reibe von Bildern zu benutzen,
die bezüglich der Schwierigkeit der Ausdeutung Abstufungen bietet. Vortr. stellte
zahlreiche Versuche an mit folgenden Bildern: L. Richter: Überfahrt am
Schreckenstein, Greuze: Mädchen trauert über den Tod eines Vogels, Jacob
Becker: Schäfer vom Blitz erschlagen, Piloty: Ermordung Cäsars. Als Bilder-
Serien wurden benutzt Münchener Bilderbogen, aus denen der Text entfernt wurde
(als leichte Aufgabe: Busch: Der hinterlistige Heinrich, als schwere: Die bösen
Buben von Corinth). Vortr. führt an der Hand von Beispielen aus, daß Schwach¬
sinnige den Zusammenhang des bildlich Dargestellten nicht oder nur mangelhaft
anftas8en und bei Betrachtung von Bildern in charakteristischer Weise zuwege
gehen. Debile z. B. zählen erst Einzelheiten, insbesondere Sachen auf, ohne
Bemerkungen über den Zusammenhang zu machen usw.. Vortr. berichtet ferner
über die Resultate, die die Untersuchung mit Bildern bei akuten Psychosen er¬
gab. Von einer Mehrleistung iBt bei Manischen nicht die Rede. Sie fassen den
Zusammenhang schlecht auf, wechseln bei der Erklärung rasch das Thema, machen
Erklärungen oft auf Grund einer nebensächlichen Einzelheit. Die Auffassung bei
Amentia ist oft weit besser, als man auf Grund des Gesamtverhaltens erwartet
Bei Amentia und Begleitdelirien kommen Eigenbeziehungen vor. Alkoholdeliranten
suchen einen Zusammenhang zu gewinnen, werden jedooh durch illusionär ver¬
änderte Eindrücke dauernd irre geleitet usw. Vortr. maoht ferner darauf auf¬
merksam, daß die Unkenntnis gewisser Fremdworte für Debile charakteristisch
ist Fremdworte stellen bei Ungebildeten kein Schulwissen dar. Im Erwerb der
Kenntnisse von Fremdworten bleiben Debile stark zurück. Vortr. legt eine Liste
von Fremdworten vor, die Bich zur Intelligenzprüfung verwertbar erwiesen hat
Eine eingehende Berücksichtigung des Krankenmaterials ist bei der Aufstellung
einer solchen erforderlich. Autoreferat
Diskussion.
HerrNeisser(Bunzlau) erwähnt, daß er selbst eine große Zahl von Bildpröfungen
ausgeführt habe, u. a. auch solche, wie sie von William Stern in seinen be-
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kannten Versuchen zur Psychologie der Aussage verwendet worden seien. Aller¬
dings habe er die Versuche nicht zu einer besondern Methode ausgebildet. Es
seien bei der Deutung vielerlei Umstände zu berücksichtigen, auch die Art des
Schulunterrichts Bei von Einfluß z. B. darauf, ob von der Versuchsperson lediglioh
die einzelnen Gegenstände, die das Bild darbiete, einzeln hergezählt oder aber in
ihrer sinngemäßen Kombination aufgefaßt würden. Befremdet habe ihn an den
von dem Vortr. mitgeteilten Beispielen, daß diagnostische Gruppen wie z. B. die
Dementia praecox, die Dementia paralytica, welche so vielerlei Formen und Zu¬
stände in sich begreifen, als geeignet für die Zusammenfassung bzw. Vergleiobung
der einschlägigen Proben angesehen würden. Die mitgeteilten Stichproben der
einzelnen Bildprüfungen bei verschiedenen Psychosen können auch nicht wohl
ohne weiteres als Intelligenzprüfungen betraohtet werden; ee handelte sich hier
anscheinend doch mehr um charakteristische Reaktionen auf bzw. assoziative An¬
knüpfungen an optische Eindrücke bestimmter Art. Mit diesen Einwendungen
im einzelnen solle aber der Wert dieser methodischen Prüfungen an sich nicht
angetastet werden; namentlich scheine ihm die Heranziehung von Bildserien,
welche eine unter sieh zusammenhängende Folge von Handlungen darstellen, ein
sehr glücklicher Gedanke zu sein.
Herr Moeli weist auf die Schwierigkeiten dieser Untersuchungen hin, bei
denen, alle erschwerenden Nebenumstände ausgeschlossen werden müssen. Es ist
auch nicht leicht, passende Probestücke zu finden. Interessant »t es, daß die
vorgezeigten Bilder so gut verstanden sind, da dazu schon ein gewisses Maß von
Kenntnissen gehört. Reich habe versucht, das Erkennen von bekannten Dingen
aus teilweise gefertigten Umrißzeichnungen hervorzurufen. Allgemein zutreffend
wird nicht eine einzige Methode sich gestalten lassen.
Herr Bernhard erinnert an eine Bemerkung von Hans Gross, welcher er¬
örtert, ob man intelligenten Kindern glauben soll. Es komme bei der Aufnahme¬
fähigkeit der Kinder weniger auf die Intelligenz an, sondern darauf, ob es sich
um ein praktisches oder um ein unpraktisches Kind handelt; dabei ist es aber
schwierig, zu bestimmen, welches Kind als praktisches, welches als unpraktisches
anzusprechen ist.
Herr Reich bat sich mit ähnlichen Untersuchungen wie der Vortragende
beschäftigt. Er hat dabei auch ähnliche Wege eingeschlagen. Es kommt bei
der Intelligenz der zu Untersuchenden in erster Linie auf die Auffassung an. Es
wurden möglichst einfache Bilder gezeigt und dann nur Teile der Bilder vor¬
gelegt. Man konnte dann beobachten, wie der Kranke auf das ganze Bild schließt.
Es wurden dadurch gute Resultate erzielt. Manche erkennen schnell, manche erst,
wenn sie das ganze Bild sehen. Auch um die Kombinationsfähigkeit zu prüfen,
wurden einfache Bilder aus dem täglichen Leben genommen. Es erwies sich ein
Bilderbuch eines Volksschullehrers praktisch. Große Geduld erfordert diese Me¬
thode. Die Prüfungen ergaben zuweilen, daß bei komplizierteren Bildern Ausfälle
waren, wie man sie nicht hatte erwarten können. In Betracht kommt ferner die
richtige Ordnung des Ideenganges. Zur Prüfung wurden Aufgaben aus dem täg¬
lichen Leben in Bild und durch einzelne Handlungen gestellt. Es ergab sich,
daß manche Leute die einzelnen Akte nicht nennen konnten. Zu prüfen ist
ferner die Ansprecbbarkeit und endlich die Störungen im Werturteil. Gerade
-diese letzteren lassen sich nicht immer durch die gewöhnlichen Prüfungen eruieren.
Herr Ziehen gibt seiner Zufriedenheit mit den vom Vortr. gegebenen Proben
Ausdruck, die mit der Methode des Schulunterrichts nichts zu tun haben. Eine
allein seligmachende Intelligenzprüfung existiere überhaupt nicht. Zu verwerten
sied alle diese Bilder nur unter der Voraussetzung, daß die Aufmerksamkeit
vorher geprüft wird. Um die Intelligenzdefekte festzustellen, bedarf man der
verschiedensten Intelligenzproben, die alle nebeneinander notwendig sind.
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Herr Henneberg betont im Schlußwort, daß die Besaitete, die man bei
akuten Psychosen gewinnt, nicht als Maßetab für die Intelligenzprüfung zu be¬
nutzen sind. Die Bilder müssen so ausgew&hlt werden, daß ihre Ausdeutung
keine bestimmten Kenntnisse voraussetzt.
Herr Birnbaum (Herzberge): ÜberdegsnerativePhantasten. Vortr.charak¬
terisiert zunächst allgemein die aus ungleicher Ausbildung der verschiedenen Vor¬
stellungsrichtungen (Überwiegen deB Phantasiespiels) und ungleicher Verteilung
der Gefühlstöne (einseitige Verknüpfung mit dem phantastischen Elemente) hervor¬
gegangene „phantastische“ Eigenart und geht dann im einzelnen auf die daraus
sich ergebenden Eigentümlichkeiten . des Gefühls- und Vorstellungslebens sowie
der Willensbetätigung ein, wobei er besonders das abnorme Persönlichkeitsgefühl
betont. Er schildert dann den ungleichmäßigen Lebensablauf und kennzeichnet
Verlaufsweise und symptomatische Eigenart jener Steigerungen des Durchschnitts¬
bildes, die als akute phantastische Wahnbildungen auftreten. Weiter erwähnt er
die sonstigen degenerativen Züge und legt die nahen Beziehungen zu anderen
Degenerierten, solchen mit unrichtig angelegten Verknüpfungen von Gefühls- und
Vorstellungselementen und Neigung zu wahnhafter Auffassung, wie den de-
generativ Verschrobenen einerseits und solchen mit überwiegender Phantasie¬
bildung wie den pathologischen Schwindlern andrerseits, dar. Sodann setzt er
das Verhältnis zur Imbezillität und Hysterie auseinander und nimmt die Ab¬
grenzung von den konstitutionell Manischen, der Dementia paranoides und be¬
sonders von der Paranoia vor. Zum Schluß weist Vortr. noch auf die allgemeine
Bedeutung einer Pathologie psychopathischer Veranlagungen hin. Autoreferat.
Herr Vorkastner: Über Kombinationen und organische Symptome.
Vortr. macht einleitend darauf aufmerksam, daß die Kombination hysterischer und
organischer Symptome, speziell auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten, noch
immer gelegentlich zu Fehldiagnosen Veranlassung gibt. Er bespricht des weiteren
die verschiedenen Entstehungsmöglichkeiten. Es werden folgende drei Möglich¬
keiten hervorgehoben: 1. entweder wird durch den Ausbruch der organischen
Nervenerkrankung eine latente hysterische Disposition zur manifesten HyBterie,
2. das das Centralnervensystem befallende organische Leiden schafft erst sekundär
den Boden, auf welchem die hysterischen Krankheitserscheinuugen entstehen (es
wird auf die Unterscheidung zwischen hysterischen und hysteriformen Erscheinungen
hingewiesen). . 3. Die Hysterie und das organische Leiden verdanken ihre Ent¬
stehung derselben Wurzel, nämlich einer kongenitalen Minderveranlagung des
Centralnervensystems (Syringomyelie). Anoh das Trauma bildet eine gemeinsame
Wurzel beider Symptomenreihen. An der Hand der Krankengeschichten wird
eine Beihe von Fällen besprochen, in denen sich ausgesprochene organische Affek¬
tionen mit hysterischen Sensibilitätsstörungen oder Motilitätsstörungen kombinierten.
Zum Schluß demonstriert Vortr. eine Patientin, bei dem sich im Anschluß an eine
schwere Influenzapneumonie einerseits organische Veränderungen (Fehlen der
Patellar- und Achillessehnenreflexe, leichte Peroneallähmung mit Veränderungen
der elektrischen Erregbarkeit) herausgebildet hatten, die wohl polyneuritischen
Ursprunges sind, andererseits schwere hysterische Symptome in Gestalt von hyste¬
rischen Kontrakturen in beiden Kniegelenken, sowie einer hysterischen Astasie-
Abasie, die auf suggestive Behandlung hin rasch verschwanden. (Der Vortrag
wird an anderer Stelle ausführlich publiziert werden.) Autoreferat.
Herr LipBchitz: Über aberrierende Bündel bei Paoializlähmung. Wenn
man bei alter, zu relativer Heilung gelangter Facialislähmung die gelähmt ge¬
wesene Gesichtshälfte mit einer sehr feinen Beizelektrode bei geschlossenem fara-
dischen Strome vorsichtig abtaBtet, so findet man, namentlich auf den freiliegenden
Knochenfläohen des Jochbogens, der Schläfe, des Unterkiefers, gewisse Punkte,
bei deren Beizung sioh einzelne Muskelbündel an ganz unerwarteter Stelle kon-
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trahieren. So erhält man bei manchen Patienten durch Reizung hochgelegener
Punkte — gelegentlich, ganz dicht der Ha&rgrenze — Kontraktionen von Muskel*
bändeln, die sonst nur auf Reizung unterer Äste reagieren, sei es im Mentalis,
sei es im Triangularis menti, Platysma oder Orbicularis oris und umgekehrt bei
anderen Patienten durch Reizung von Punkten des Unterkiefers feine Kontraktionen
im Ober- oder Unterlid. Von den bekannten blitzartigen, sogenannten ticartigen
Zuckungen der alten, geheilten Facialislähmung sind sie streng zu trennen; auch
um Stromschleifenwirkung handelt es sich nicht, da die gleichen Muskelbändel
bei gleicher Stromstärke auf Reizung von ihnen sehr viel näher gelegenen Punkten
sich durchaus nicht kontrahieren. Man erhält die Kontraktionen wirklich nur
von ganz bestimmten Punkten aus — und zwar tetanisoh, solange der faradiscbe
Strom geschlossen bleibt —, dagegen nicht, sobald man die Elektrode tun einige
Millimeter verschiebt. Öfters gelingt es, eine Reihe von solchen Punkten auf¬
zufinden, die verbunden eine etwaB unregelmäßig verlaufende Linie ergeben. Man
muß daher annehmen, daß die die betreffenden Muskelbändel versorgenden Nerven¬
faser eben selbst unter der aufgesetzten Reizelektrode verlaufen. Zu verstehen
sind solche Befunde nur, wenn man annimmt, daß beim Vorgänge der Nerven-
regeneration einige der vom centralen Stumpf her in die Peripherie auswachsenden
Achsencylinder sich verirrt und ungewöhnliche Seitenwege eingeschlagen haben.
Vortr. sieht in dem Nachweis solcher aberrierenden Bändel eine starke Stätze
der alten Lehre von der Regeneration durch Auswachsen der Achsenoylinder vom
oentralen Stumpf her, während die Bethesche Lehre von der Autoregeneration
damit unvereinbar ist. Vortr. demonstriert an fünf dem Material der Nerven-
poliklinik der Charitä entstammenden Kranken die geschilderten Befunde, be¬
merkt aber, daß sich ähnliches in fast allen Fällen alter, geheilter Facialislähmung
nachweisen läßt, sofern die Lähmung nur schwer genug gewesen ist, wofär Kon¬
traktur und Mitbewegungen einen Maßstab geben. Autoreferat.
Die Diskussionen über die drei letzten Vorträge werden vertagt.
Ascher (Berlin).
XXXVI. Kongrea der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin
vom 3. bis 6. April 1007.
Ref.: Adler (Pankow/Berlin).
1. Herr Beoker (Coblenz): Traumatisches Aneurysma arterio-venoeum
der Carotis oerebralis mit Exophthalmus pulsans. Ein Soldat erlitt beim
Abschießen eines Gewehres infolge einer Explosion der Schußwaffe Verletzungen
in der rechten Gesichtsseite und am rechten Auge. Nach 10 Tagen Protrusio
bulbi, Chemosis, Netzhautblutung; im Bereich der ganzen rechten Schädelhälfte
ein blasendes systolisches Geräusch hörbar. Röntgen-Aufnahme ergibt einen
Stahlsplitter im Stirnhirn, einen zweiten in der Gegend zwischen Thalamus
opticus und Nucleus caudatus und einen dritten auf der Sella turcica neben dem
Sinus cavernosus. Dieser letzte, am Sinus cavernosus gelegene Splitter hat wohl
zu einer Verletzung der Gefäße geführt. Dreimal täglich zweistündige Kom¬
pression der Carotis communis ohne Erfolg. Ligatur der reohten Carotis zunächst
von Erfolg, aber nach drei 'Wochen Wiederkehr des Exophthalmus pulsans, und
zwar durch kollaterale Bahnen von links, denn bei Kompression der linken
Carotis schwand die Pulsation. Nunmehr temporäre Kompression der linken
Carotis, Kompression des Bulbus mit Quecksilbersack und Eis. Erfolg 7 Monate
nach Aussetzen dieser Behandlung: keine Pulsatio bulbi, geringe Protrusion, keine
Chemosis, gute Beweglichkeit des Bulbus und gute Sehkraft
2. Herr Jordan (Heidelberg): Zar Ligatur der Carotis oommunis. Da
nach den bisherigen Erfahrungen nach Ligatur der Carotis communis in 10°/ 0
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der Fälle Hirnkomplikationen Auftreten (Hemiplegie, Erweichung usw.), empfiehlt
Vortr. als vorbereitende Operation vor'Ausführung der Ligatur eine Freilegung
der Carotis und temporäre lockere Kompression durch einen Gummi*
schlauch. Auf diese Weise können sich allmählich die Zirkulationsverhältnisse
auf dem Wege der Kollateralbahnen zum Teil wieder ausgleiohen, so daß dann
einige Tage später die Ligatur der Carotis ausgeführt werden kann. Diese
Methode hat Vortr. bei einem Falle von branchiogenem Karzinom der rechten
Halsseite mit gutem Erfolg ausgeführt: es traten nach der Ligatur der Carotis
communis keinerlei Hirnsymptome auf.
3. Herr Samter (Königsberg): Operativ gehellte Serratuslähmung.
(Krankenvorstellung.) Vortr. stellt eine 13jährige Patientin vor, welche er wegen
traumatischer Serratuslähmung operiert hatte, nachdem 11 Monate hindurch
vollständiger Funktionsausfall (Elevation bis knapp zur Horizontalen, Flügelstellung
des Schulterblattes bei allen Haltungen, Hochstand des Schulterblattes) bestanden
hatte. Zu diesem Zwecke wurden an der Leiche und am Lebenden (Mamma*
Amputationen) Feststellungen über die Genese gemacht. Im Gegensatz zu den
üblichen Angaben ergab sich, daß, wenn das Schulterblatt nach innen und vorn
gegen den Thorax gedrängt wurde, der N. thoracalis longus zwischen Proc. oora-
coideus und gegenüberliegender Rippe eingeklemmt wurde. Die Fälle Sehrwaldts
(Entstehung durch passiven Langhang, Komplikation mit Plexuslähmung) werden
hierdurch nioht berührt. Hiernaoh ist die überwiegende Häufigkeit der partiellen
Lähmungen (Steinhausen) erklärlich. Bei der vorgestellten Patientin war der
Nerv oberhalb und unterhalb des Schlüsselbeins freigelegt und elektrisch gereist.
Nur die allerobersten Zaoken reagierten. Der gelähmte Muskel zeigt starke
Steigerung der mechanischen Erregbarkeit. Es wurde sodann der kosto*
sternale Teil des M. pectoralis major vom Oberarm abgelöst und am
unteren Scapularwinkel angenäht. Binnen 12 Tagen Herstellung der
Funktion (Elevation bis zur Senkrechten, Beseitigung des Hochstandes der Scapula).
Bei gewissen Bewegungen tritt noch Flügelstellung andeutungsweise zutage.
Der verpflanzte Muskel ist elektrisch reizbar, seine Kontraktion am Ansatz fühl*
bar (Nachuntersuchung von interner bzw. neurologischer Seite). Die Operation
erscheint nicht bloß bei traumatischer Serratuslähmung indiziert, sondern auch bei
kongenitalem Serratusdefekt und bei den Fällen von angeborenem Schulterblatt¬
hochstand, welche der Serratuslähmnng klinisch gleichen. Bei nicht traumatischer
Lähmung nur unter Berücksichtigung des Charakters derselben (Dystrophia pro-
grediens z. B. erscheint nicht geeignet). Autoreferat
4. Herr ßockenheimer (Berlin): Über die Behandlung des Tetanus
auf Grund klinischer and experimenteller Stadien. Es hat sich mehr und
mehr gezeigt, daß Antitoxin, nach Ausbruch des Tetanus gegeben, selbst in großen
Dosen lokal intramuskulär, intraneural, intracerebral und intradural wirkungslos
ist. Von 1$ Fällen der v. Bergmannseben Klinik sind 16 trotz hoher Dosen
von Antitoxin gestorben. Dagegen sind klinische Fälle vorhanden mit kurzer
Inkubationszeit, wo eine prophylaktische Behandlung mit Antitoxin geholfen hat.
Bei einer lokalen frühzeitigen prophylaktischen Antitoxinbehandlung mit hohen
Dosen jedoch und öfter appliziert, haben namentlich Tierärzte eklatante Erfolge
gehabt. Für die Massenbehandlung tetanusverdächtiger Wunden, so z. B. im
Kriege, ist die Methode der prophylaktischen Antitoxinbehandlung zu kompliziert
und kostspielig. Vortr. versuchte daher durch eine Frühdiagnose tetanus-
verdächtige Wunden von tetanusinfizierten zu unterscheiden, was mit feinen
bakteriologischen Untersuchungsmethoden möglich, für die Praxis aber ebenfalls
zu kompliziert ist. Daher suchte er für die lokale Wundbehandlung Ersatzmittel
des Antitoxin und fand im Tierexperiment, daß lipoide Substanzen Tetanustoxin
binden. Am besten werden feste Substanzen, z. B. Perubalsam*Vaselinsalbe gleich
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nach der Verletzung auf die Wunde gelegt, Salben, denen pro 100 g 100 Anti¬
toxineinheiten (Behring) zugesetzt sind, wirken noch besser, indem im Tier¬
experiment soviel Toxine bei infizierten Tieren neutralisiert werden, daß dieselben
viel später erkranken, viel leichter und die Krankheit überstehen. Da nach
dem Auseprueh Böses die Prognose um so günstiger, je länger die Inkubation
des Tetanus, so wäre, wenn die Behandlung mit lipoiden Substanzen bei Tetanus¬
verdächtigen wie im Tierexperiment abläuft, ein großer Fortschritt gemacht.
Dabei ist die Behandlungsweise einfach, praktisch, im Krieg durchführbar und
billig. Nebenbei müssen günstige Wundverhältnisse geschaffen werden. Bei sehr
ausgedehnten schweren Verletzungen sowie bei dem seltenen lokalen Tetanus des
Menschen ist neben prophylaktischer Antitoxinbehandlung mit sehr hoben täglichen
Dosen — wie die Experimente dem Vortr. zeigten — die von v. Bergmann
stets empfohlene frühzeitige Amputation am Platze. Von neun ohne Antitoxin
behandelten Tetanuskranken kam einer mit dem Leben davon nach Amputation
des verletzten Gliedes. Von 19 mit Antitoxin behandelten leben drei, von denen
zwei amputiert, einer inzidiert ist. Autoreferat.
5. Herr Krause (Berlin): Zur Kenntnis der Bflokenmarkslfthmungen.
Vortr. berichtet über 8 Fälle, in welchen die Laminektomie die von berufenster
Seite gestellte Diagnose Rückenmarkstumor nicht bestätigte, ln allen diesen
Pallen war der Typus der Brown-S6quardschen Lähmung, bzw. der Paraplegie
mit Sphinkterenlähmung mehr weniger stark ausgeprägt. Es konnte nach dem
klinischen Verlauf kein Zweifel darüber bestehen, daß eine Kompression des
Rückenmarkes vorliege. Auch die Segmentdiagnose fand in der Regel ihre Be¬
stätigung. Dagegen war die Kompression des Rückenmarks in den beschriebenen
Fällen nicht durch einen Tumor, sondern durch zirkumskripte subaraohnoideale
Liquoransammlung verursacht. Die Operation ergibt in solchen Fällen einen recht
charakteristischen Befund: Nach Schlitzung der Dura quillt der Arachnoidealsack
in Form einer bläulich-violett durchschimmernden Blase aus dem Duralschlitz
hervor. Die Operation führte meist zum Rückgang der Lähmungserscheinungen.
Als Ursache der lokalen Liquoransammlung, welche Vortr. in Analogie der Menin¬
gitis seroea cerebralis als Meningitis serosa spinalis bezeichnen möchte,
können Trauma, entzündliche Prozesse, Lues usw. in Betracht kommen. Die
Symptomatologie deckt sich, wie die mitgeteilten Fälle beweisen, vollständig mit
derjenigen der Rückenmarkstumoren.
6. Herr Jenkel (Göttingerf): Traumatische Heterotopie des Rücken¬
marks. Bei einem 36jährigen Manne traten immittelbar nach einem Sturz aufs
Genick aus 2 1 / 3 m Höhe folgende Symptome auf: Paraplegie, Anästhesie von
Finger- und Zehenspitzen bis zur zweiten Rippe, Blasenmastdarmlähmung, Pria¬
pismus, fast reines Diaphragmaatmen, Reflexe erloschen, Hyperpyrexie, Hyper-
hidrosis, okulopupilläre Symptome bei freiem Sensorium. Weder Wirbelfraktur
oder Luxation, noch lokales Hämatom nachweisbar. Exitus 13 Tage post träuma.
Autopsie: Keinerlei Veränderungen an der Wirbelsäule, kein Bluterguß, auch
an dem vorsichtig herausgenommenen Rückenmark keinerlei makroskopische Ver¬
änderungen. Dagegen findet sich bei der mikroskopischen Untersuchung eine
traumatische Heterotopie der grauen und weißen Substanz: totaler Abriß der
Hinterhörner im fünften Halssegment. Das vierte Halssegment zeigt noch deut¬
liche Zerrung des rechten Hinterhornes, desgleichen das dritte Brustsegment.
Zwischen viertem Hals- und drittem Brustsegment finden sich alle Übergänge der
Läsion. Im Bereich des fünften Halssegmentes, wo die Hinterhörner total ab¬
gerissen sind, hat sich die weiße Substanz zwischen die abgerissenen Hörner ge¬
schoben; keine Hämatomyelie.
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V. Vermischtes.
Die diesjährige Wander Versammlung der südwestdeutsohen Neurologen und
Irrenärzte wird am 1. und 2. Juni in Baden-Baden stattfinden.
Das Programm der in Frankfart a/M. und Gießen vom 26. bis 28. April 1907 statt-
findenden Jahresversammlung des Deutschen Vereins . für Psychiatrie ist
folgendes:
I. Referate: 1. Die Gruppierung der Epilepsie. Ref.: Alxheimer (München) and
Vogt (Langenhagen). — 2. Der ärztliche Naohwuohs für psychiatrische Anstalten. Ref.:
Siemens (Lauenburg i/P.). — 8. Die Mitwirkung des Psychiaters bei der Fürsorgeerziehung.
Ref.: Kluge (Potsdam). Eingeleitet durch einen kurzen Bericht über die Tätigkeit der
Kommission für Idiotenforschung und Idiotenfürsorge (Tuczek-Marburg).
II. Vorträge sind angeraeldet von den Herren 1. Hübner (Bonn): Über Geistes¬
störungen im Greisenalter. — 2. Sioli (Frankfurt a/M.): Die Beobachtungsabteilung für
Jugendliebe bei der städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt a/M. — 3. Geelvink (Frank¬
furt a/M.): Die Grundlagen der Trunksucht — 4. Knapp (Halle): Körperliche Erscheinungen
bei funktionellen Psychosen. — 5. E. Meyer (Königsberg): Untersuchungen des Nervensystems
Syphilitischer. — 6. H. Liepmann (Berlin): Beiträge zur Aphasie- und Apraxielehre. —
7. Sommer (Gießen): Psychiatrie und Familienforschung. — 8. P. Nitsche (München):
Über chronische Manie. — 9. Karl Weiler (München): Untersuchungen mit dem Arbeite-
Schreiber bei Unfallkranken. — 10. Merzbacher (Tübingen): Untersuchungen über die Be¬
deutung der „Körnchenzellen“ im Centralnervensystem (mit Demonstrationen). — 11.0. Rehm
(München): Verlaufsformen des manisch-depressiven Irreseins. — 12. Friedländer (Hohe
Mark): Bemerkungen zur sozialen Stellung der Psychiatrie. — 13. Bumke (Freiburg i/Br.):
Über Pupillenstörungen bei Dementia praecox und bei progressiver Paralyse. — 14. W. Spiel¬
meyer (Freiburg i/Br.): Schlafkrankheit und progressive Paralyse. — 15. Otto Wolff
(Katzenelnbogen): Psychiatrisches aus Syrien. — 16. K. Abraham (Zürich): Über die Be¬
deutung sexueller Jugendtraumen für die Symptomatologie der Dementia praecox. —
17. M. Isserlin (München): Psychologische Untersuchungen an Manisch-Depressiven. —
18. Moses (Mannheim): Idiotenfürsorge und Fürsorgeerziehung. — 19. Wilmanns (Heidel¬
berg): Zur Differentialdiagnose der „funktionellen“ Psychosen. — 20. M. Kanffroann (Halle):
Neue Befunde bei Epilepsie. — 21. Derselbe: Der Gasstoffwechsel bei Epilepsie. — 22. Kleist
(Halle): Über die Motilitätspsychosen Wernickes. — 23. Hoppe (Uchtspringe): Die Bedeutung
der Stoffwechselstörungen für Geistes- und Nervenkranke. — 24. Haberkant (Stephansfeld):
Zur Frage der Stoffwechselstörung bei der Dementia praecox. — 25. Dannemann (Gießen):
Die Simulation von Geistesstörungen. — 26. Westphal (Bonn): Klinische Demonstration
zur Asymbolie- und Apraxiefrage. — 27. E. Hess (Görlitz): Ein Fall von krankhafter Schlaf¬
trunkenheit. — 28. W. Fuchs (Emmendingen): Zur Persönlichkeitsanalyse. — 29. Cl.Gudden
(Bonn): Über Erinnerungsdefekte und deren Ersatz bei epileptischen Dämmerzuständen.
Donnerstag, den 25. April: Gesellige Zusammenkunft von 8 Uhr abends an im oberen
Saal der Alemannia, Schillerplatz.
Freitag, den 26. April: 9 bis 12 Uhr 1. Sitzung inr Hörsaal des Neuen Senokenbergischen
Stiftungsgebäudes, Viktoriaallee an Trambahnlinie Bockenheimer Warte. 12 bis 1 Uhr: Früh¬
stück im anstoßenden Saal. 1 bis 4'/* Uhr: 2. Sitzung. 5 Uhr: Festmahl im Hotel „Eng¬
lischer Hof“ am Bahnhof.
Sonnabend, den 27. April: 3. Sitzung vormittags 9 Uhr. Gemeinschaftliches Essen im
Kaiserhof am Goetheplatz. — Herr Hofrath Dr. Friedländer ladet für Sonnabend nach¬
mittag zur Besichtigung der Heilanstalt „Hohe Mark“ bei Oberursel ein. — Die neuen Bäder
der städtischen Irrenanstalt können jederzeit besichtigt werden. — Das Senckenbergiscbe
Neurologische Institut wird während der Versammlung seino neuen Hirnmodelle, Zeichnen-
spparate, Makrotom usw. ausstellen.
Sonntag, den 28. April: Ausflug nach Gießen. IO 1 /* Uhr Sitzung in der Klinik für
psychische und' nervöse Krankheiten, Frankfurterstr. 99.
Vorträge: 1. Sommer: Über die Beziehungen von nervösen Störungen und morpho¬
logischen Abnormitäten, speziell Asymmetrien. — 2. Berliner: Hirnanatomische Demon¬
strationen. — 3. Becker: Untersuchung über Simulation bei Unfallnervenkrankheiten. —
4. Hackländer: Demonstration von neuen Apparaten zur Exposition optischer Reize. —
5. Knauer: Entstehung von Potentialdifferenzen an der menschlichen Haut
1 Uhr gemeinsames Essen im Hotel Großherzog von Hessen. 3 Uhr Besichtigung der
im Bau befindlichen Irrenanstalt bei Gießen.
Um Einsendu ng von Separatabdrflcken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
_ Pankow b. Berlin, Breiteatr. 44. ____ _
Verlag von Vnrr & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzoub & Wittig in Leipzig.
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Neurologisches Centralbutt.
• •
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
SeeJuundzw&iuiggter n B * rUn * Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 2.4 Mark.. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des ln. und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
I9ÖZ 1. MaL NtT9.
Inhalt f. OrtginalmlttoHangofi. 1. Beiträge mm intramedullären Verlauf« Von hinteren
Wurzeln des Conus medullaris, von L Jacobsohn in Berlin« 2. Über 8ehmerzempfindUeb«
keit der Gesichtsknochen bei Degener&nten, von Priv.-Doz. M. Schalkewicz. 8. Über schein»
bare Fehldiagnosen bei Tumorön der motorischen Region des • Großhirns nebst Beiträgen
zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei ; Arteriosclerosis cerebri und bei genuiner Epi¬
lepsie, von Dr. 6. Steriz. (Schluß.)
II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zur Kenntnis der Großhirnfasernng, Ton Quentel.
2. Versuch einer physiologischen Anatomie der/Vagus Ursprünge undde* Kopfsympathicns,
von Kohnstamm und Wolfsteln. — Physiologie. 3. Der Kalkgehalt des Gehirns und seine
Bedeutung, von Weigert. 4. Contributi alla fisioiogia ed all’ ahätomia dei lobi frontali, per
Polbnariti. — Pathologische Anatomie. 5. Über Turmschädel, von Oberwarth. 6. Ein
Fall von extremer Mikrocephalie mit affenähnlichen Bewegungen, von Jones. 7. Beitrag
zur pathologischen Anatomie der sogen. „Katayama-Krankheit“, zur Ätiologie der Hirn¬
gefäßembolie und der Jackson schon Epilepsie, von Tsumoda und Shlmamura. 8. Beitrag
zur pathologischen Anatomie der früh entstandenen, isoliert verlaufenden Augenmuskel-
lähmung, von Siemerling. — Pathologie des Nervensystems. 0. Über infantilen Kern¬
schwund. Angeborene Lähmung beider N. faciales, des linken N. hypoglossus and der
Blickrichtung nach links und rechts bei erhaltener Konvergenz, von Gierlich. 10. L’encd-
phalite aigtiö, par Raymond. 11. Über akute Ataxie, von Preobfaschensky. 12. Eine wahr¬
scheinlich durch die disseminierte Encephalomyelitis verursachte Ataxie bei einem Kinde,
von Pexa. 13. Über Polioencephalitis inferior, von Goldstein. 14. Diffuse gliosis of the
cerebral white matter in a child, by Bullard and Southard. 15. Hirnembolie im Verlaufe
der postdiphtheriti8chen Herzschwäche, von Escherich. 16. L’hörödifcö dans rhömorragie
cöröbrale, par Raymond. 17. Monoplegie d'origine corticale, par Grasset. 18. Gehirnblutung
beim Kinde. Eclampsia. Hemiplegia dextra. Aphasia, von Salmon. 19. Über eine eigen¬
artige Artikulationsstörung, von Maas. 20. L’ötat des muscles masticateurs dans l’hömi-
plögie, par Miralllä et Gendron. 21. Neue Beiträge zur Lehre von der Muskelatrophie bei
supranukleären Lähmungen, besonders bei der cerebralen Hemiplegie, von Steinerf. 22. Über
metamere Sensibilitätsstörungen bei Gehirnerkrankungen, von Benedikt. 23. Deux cas
d'hemorragie protuberantielle. Hyperthermie. Mort rapide, par Marie et Montier. 24. Über
die Aneurysmen der Hirnarterien, von Meczkowski. 25. Einiges über die diagnostische Be¬
deutung des Blutgehaltes und der Lymphocytose im Liquor cerebrospinalis (zugleich ein
Beitrag zur Kasuistik der basalen Hirnaneurysmen), von Ohm. 26. Wie verhalten sich die
gynäkologischen Erkrankungen zu den Neurosen? von Suftter. — Psychiatrie. 27. Ein
Fall von Idiotie mit Erweichungsherd in den Centralganglien des Gehirns, von Yoshikawa.
28. Über Zeichnungen von Geisteskranken und ihre diagnostische Verwertbarkeit, von Mohr.
29. La folie gemellaire, par Marandon de Moniyel. 30. Das Sexualleben unserer Zeit in
seinen Beziehungen zur modernen Kultur, von Bloch. 31. Geschlechtliche Enthaltsamkeit
und Gesundheitsstörungen, von Lewitt. 32. Die sexuelle Enthaltsamkeit im Lichte der
Medizin, von Jacobsohn. 33. Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Be¬
rücksichtigung der Homosexualität, von Hirschfeld. 34. Zur Frage über den Uranisraus,
von Stiedor. 35. Sexuelle Übergangszustände, von Ferenczi. 36. Ennuchisme et är.otisme,
par Mario. 37. Die forensische Bedeutung der sexuellen Perversität, von Salgö. 38. Un
cas d’exhibitionisme, par Rousset. — Therapie. 39. Über die physiologischen Grund-
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lagen der physikalischen Therapie, von Goldichsider. 40. Zur Frage der Luft* and der
Bogen. Wasser-Laftdoaeheo, von Prtngowski. 41. Therapeutisch« Erfahrungen Aber die
Verwendbarkeit des Bornyrals bei fanktionellen Beschwerden Unterleibs kranker Frauen,
von Rattner. 42. Traitement de certains cas de nenrasthenie par le fer, par Lemoias.
48. Heilung hysterischer Kontrakturen durch Lumballihmung, von Wilma.
HL dm den Gesellschaften. XXIV. Kongreß f&r innere Mediain in Wieebaden vom
16. bis 18. April 1907. — Socidtd de neurologie de Paris — IV. Landeskongreß der unga¬
rischen Irrenärzte in Budapest am 29. und 80. Oktober 1906.
IV. Vermischtes.
L Originalmitteilungen.
1. Beiträge zum intramedullären
Verlaufe von hinteren Wurzeln des Conus medullaris.
Von L. Jaoobsohn in Berlin.
Vor einiger Zeit habe ich im Sakralmark; des Menschen Fasern beschrieben,
welche bogenförmig ganz an der Peripherie verlaufen, und welohe besonders
zahlreich am ventralen, in geringerem Maße auch am lateralen Bande dieser
ßückenmarksregion anzutreffen sind. 1 Die ventralen Bogenfasern,. Fibrae arci-
formes superficiales ventrales, kommen aus der vorderen Kommissur
heraus, die Fibrae arciformes laterales scheinen Fortsetzungen einzelner
hinterer Wurzelfasem zn sein, die am Bande der LiBSAUEii’schen Zone über
letztere hinauslaufen und in den Seitenstrang einbiegen. Während nun die ven¬
tralen Bogenfasem im unteren Teil des Büokenmarke6 auch bei einzelnen Säuge¬
tieren (Affe, Hund, Kaninohen) vorhanden sind, waren die lateralen bei ihnen
nicht auffindbar. Dagegen war im Conus medullaris eines Schimpanserüoken-
markes, von welchem Serienschnitte angefertigt worden sind, ein Verlauf hinterer
Wurzeln zu beobachten, der mir bemerkenswert erscheint Wie Fig. 1 demon¬
striert, gehen die hinteren Wurzeln in dieser unteren Bückenmarksregion nicht
wie sonst bei anderen Tieren an der LissAUEa’sohen Zone entlang und münden
medial von der Substantia gelatinosa Bolando in den Hinterstrang rin, sie durch¬
queren auch nicht die Substantia gelatinosa in dorso-ventraler Richtung, um in
den Kern des Hinterhornes einzumünden, sondern die Wurzeln dringen in den
dorsalen Abschnitt des Seitenstranges ein, laufen sodann leicht geschlängelt in
fast querer Bichtung durch diesen Strang, berühren dann den Seitenstrangrand
der Substantia gelatinosa und splittern sich, wie es scheint, teils im Kern des
Hinterhornes auf, teils münden sie in die Kuppe des Hinterstranges zur Seite
der hier sich in den Hinterstrang sich ausstülpenden Schwanzkerne ein.
Dieser Verlauf der kaudalsten hinteren Wurzeln erinnert sehr an diejenigen
der Accessoriusfasern im Halsmarke, nur daß letztere, wenn sie die graue Sub¬
stanz erreicht haben, nach ventral umbiegen.
In dem vorhin zitierten Aufsatz über die Fibrae arciformes erwähnte ich,
1 L. Jacobsoun, Über Fibrae arciformes mcdullae spinalis. Neurolog. Centralbl. 1905.
Nr. 7 u. 8.
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daß man doch trotz mancher gegenteiligen Ansicht an jeder eintretenden hinteren
Warzel eine mediale und eine laterale Abteilung unterscheiden könne. Diese
beiden Abteilungen sind, wie ich mich nachträglich bei Durchsicht einer voll¬
ständigen Serie von Querschnitten durch das Rückenmark des Menschen über¬
zeugt habe, in jedem Segment nachweisbar, sie treten aber wegen der Ausbreitung
Fig. 1. Linke Hälfte eines Querschnittes vom Conus medull&ris
des Schimpanser&ckenmarkes. Verlauf der hinteren Wurzel durch
den Seitenstrang. Färbung nach Weiobbt-Pal.
der Substantia gelatinosa im Lumbosakralmark besonders deutlich hervor. Von
diesen beiden Abteilungen ist die mediale, die starke Wurzel mit dicken Fasern
auf jedem Querschnitt sichtbar, während die laterale nur ein dünnes Ästchen
mit feinen Fasern darstellt und nur auf einzelnen Querschnitten wahrnehm¬
bar ist.
Man beobachtet nun hier im unteren Abschnitt des Schimpanserücken¬
markes, daß eine allmähliche Verschiebung der medialen Abteilung stattfindet.
In etwas höheren Segmenten, d. h. in der oberen Partie des Conus medullaris,
trifft man das gewöhnliche Bild, d. h. ein mächtiger oder ein in zwei Teile ge¬
spaltener Stamm der hinteren Wurzel durchläuft in transversaler Richtung die
Li88AUEB’sche Zone und mündet in die Wurzeleintrittszone des Hinterstranges
(Fig. 2) ein. In weiter distal gelegenen Abschnitten spaltet sich die eintretende
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Wurzel in ungefähr zwei gleiche Teile, die gleich nach Eintritt ins Rückenmark
sich Y artig teilen (Fig. 3). Der eine Teil geht den gewöhnlichen Weg zur
Wurzeleintrittszone des Hinterstranges, hierbei einzelne oder zuweilen sehr zahl¬
reiche parallel zueinander laufende Abzweigungen in die Substantia gelatinosa
absendend (Fig. 4), der andere Teil läuft am Seitenstrangrande der Substantia
Fig. 2. Substantia gelatinosa Rolando mit angrenzenden Teilen des Seiten- und Hinter¬
stranges aus dem oberen Abschnitt des Conus mednllaris des Schimpanserfickenmarkes. Ver¬
lauf der hinteren Wurzel durch die LissAUKB’sche Zone. Färbung nach Wkiüebt-Pal.
gelatinosa entlang und mündet iu den Kern des Hinterhoms ein. Beide
Äste umarmen gleichsam die Substantia gelatinosa an ihrer latero-dorsalen Peri¬
pherie (Fig. 3). Je mehr man nun im Conus medullaris abwärts geht, um so
dünner wird der innere Schenkel, während der äußere in ziemlich gleicher Stärke
bleibt. Schließlich verschwindet der innere Schenkel ganz und nur der äußere
bleibt bestehen (Fig. 1). Dieser äußere Schenkel entspricht also der ganzen
medialen Abteilung der hinteren Wurzel in proximalen Segmenteu. Neben
diesem äußeren Schenkel trifft man noch hier und da ein paar feine Fasern,
die direkt in die LissAüEa’sche Zone eintreten und hier verschwinden; sie
repräsentieren wahrscheinlich den spärlichen Rest der äußeren Abteilung der
hinteren Wurzeln in höheren Segmenten, die hier nun nach innen von der
medialen liegt; im Niveau des Ventriculus terminalis gehen die gesamten Fasern
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der kokkygealen Wurzel direkt in den Seitenstrangrest, da von Hinterstrang und
von einer Substantia gelatinosa in dieser Gegend nichts mehr zu sehen ist.
Aus diesen Tatsachen ergibt sich also, daß die untersten hinteren Kücken*
markswurzeln des Schimpanserückenmarkes in den Seitenstrang eindringen und
diesen durchquerend sich wahrscheinlich in dieselben Regionen des Hinterhornes
ergießen wie es die anderen Wurzeln in höheren Segmenten tun. Es ist vielleicht
möglich, daß die Fibrae arciformes laterales, die beim Menschen bis zum Seiten¬
strang verfolgt werden konnten, einen Rest dieser den Seitenstrang durchqueren¬
den Wurzelfasern darstellen.
Fig. 3. Substantia gelatinosa Rolando mit angrenzenden Teilen des Seiten- nnd Hinter¬
stranges aus dem Conus mednllaris des Schimpanserückenmarkes; der Schnitt liegt ein
wenig weiter kaudal als derjenige der Fig. 2. Y artige Teilung der hinteren Wurzel nach
ihrem Eintritt in die LissAUE&’sche Zone. Färbung nach Wkiobrt-Pal.
Die Experimente, welche am Kaninchen unternommen wurden, um event.
die Herkunft der Fibrae arciformes superficiales zu bestimmen, haben zu keinen
einwandsfreien Resultaten geführt, weil bei der Spärlichkeit dieser Fasern am
Kaninchenrückenmarke auch die MABCHi’scben Methode im Stiche läßt.
Immerhin sind diese Experimente nicht vergeblich gemacht worden, da sie
in anderer Hinsicht mitteilenswerte Resultate ergeben haben.
Bekanntlich nimmt man an, daß jede hintere Wurzel, wenn sie in den
Hinterstrang eingetreten ist, sich in einen auf- und einen absteigenden Ast teilt,
und daß von diesen Ästen daun Collateralen in die graue Substanz des Rücken¬
markes ein biegen und hier in verschiedenen Kernregionen endigen. Während
nun alle im Hinterstraug absteigenden Fasern einer hinteren Wurzel unzweifel¬
haft in die graue Substanz einbiegen, soll ein Teil der im Hiuterstrang auf-
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steigenden Fasern einer jeden hinteren Wurzel durch die ganze Länge desselben
aufwärts laufen, um schließlich in den Kernen des GoLL’schen bzw. Bübdach-
schen Stranges ihr Ende zu finden. Die bisherigen Experimente und Beobach¬
tungen am Menschen haben im ganzen ergeben, daß die aufsteigenden Fasern
der Lumbosakral- und unteren Dorsal wurzeln in den GoLL’schen Kern, die
übrigen in den BuBDACH’sohen Kern einmünden.
Fig. 4. Substantia gelatinosa Rolando mit angrenzenden Teilen deB Seiten- und Hinter-
Stranges aus dem Conus medullaris des Schimpanserückenmarkes. Schnitt aus derselben
Region wie derjenige der Fig. 3. Färbung nach Weioert-Pal.
Die Resultate, welche ich teils nach Durchschneidungen der untersten hin¬
teren Wurzeln, teils nach Querläsionen des untersten Rückenmarksabschnittes
beim Kaninchen erhalten habe, scheinen bezüglich dieser Annahme eine Ein¬
schränkung notwendig zu machen. Die Experimente ergaben nämlich, daß,
wenn man entweder das Rückenmark unterhalb des Eintrittes der zweiten Sakral¬
wurzel durchtrennt hatte, oder aber, wenn man die kaudalsten hinteren Wurzeln
von der dritten Sakralwurzel anfangend innerhalb des Wirbelkanales durchschnitten
batte, daß dann die aufsteigende Degeneration im Hinterstrang mittels der Mabchi-
schen Methode nur ungefähr bis zum unteren Teil des Dorsalmarkes zu verfolgen
war (Figg.5 u. 6). Sobald aber diese Operation etwas höher im Bereich der zweiten
und ersten Sakralwnrzel ausgeführt wurde, wobei eine typische Peroneuslähmung
ein trat, konnte man die aufsteigende Degeneration aufwärts bis zum Kern des
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GoLL’schen Stranges verfolgen. Es erscheint mir erwähnenswert und bedeutungs¬
voll, daß in dem Rückenmarksniveau, bei dessen Durchtrennung eine aufsteigende
Degeneration hinterer Wurzeln im Hinterstrang nicht bis zu dem Kern des
Fig. 5 Querschnitt durch den Conus medullaris des Fig 6. Dorsaler Teil eines Querschnittes
Kaninchenr&ckenm&rkes. Degeneration des Hinter* desselb. Kaninchenrückenmarkes. Fehlen
Stranges nach Durchschneiuung der kaudalsten jeder Degeneration im Hinterstrang,
hinteren Wurzeln von der dritten Sakralwurzel an. Färbung nach Marcui und Alobri.
Färbung nach Marchi und Alobri.
GoLL’schen Stranges verfolgt werden kann, auch die großen motorischen Zellen
des Yorderhornes aufhören, daß also mit anderen Worten motorische Wurzeln
für die quergestreifte Muskulatur und sensible Wurzeln von eben dieser Musku¬
latur im gleichen Niveau des Rückenmarkes aus- bzw. eintreten.
Nimmt man der herrschenden Lehre gemäß an, daß die im Hinterstrang
ansteigenden und bis zu den Kernen der Medulla oblongata verlaufenden Fasern
das Muskelgefühl leiten, so würde eine solche Leitung durch die kaudalsten
Wurzeln nicht stattfinden. Ein direkter Beweis für diese Leitung ließ sich nicht
erbringen, da sowohl einerseits die Exstirpation der Muskulatur eines Unter¬
schenkels, als andrerseits die Entfernung der ganzen Haut eines Unterschenkels
bei Kaninchen, welche 4 bis 6 Wochen nach der Operation am Leben blieben,
weder Veränderungen in den zugehörigen Nerven, noch solche in den Hinter¬
strängen nach der MABcm’schen Methode ergaben.
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l'
2. Über Schmerzenipfindlichkeit der Gesichtsknochen
bei Degeneranten.
Von Priv.-Doz. M. Sehaikewicz in St. Petersburg.
Prof. Blumenau schreibt in seiner höchst interessanten Arbeit über hyste¬
rische Symptome und Entartung 1 : „Die fuuktionellen Entartungszeichen des
1 Newrologitscbeski WestDik. VII. 1899. Heft 2.
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392
Nervensystems sind zurzeit noch sehr ungenügend erforscht, viel weniger als
die anthropologischen (morphologischen) und psychischen Entartnngszeichen.
Das ist vielleicht dadurch zu erklären, daß die Frage der Entartung bisher mehr
die Psychiater als die Neuropathologen interessiert hat Die Schule der Sal*
pdtri&re, die mit so erstaunlicher Genauigkeit die Lehre von der Hysterie be¬
arbeitet hat, hat die Frage der nervösen Erscheinungen der Degeneration kaum
berührt Jedenfalls ist der Versuch, diese Erscheinungen an einem großen
Material und bei verschiedenen Arten von Degeneranten zu untersuchen, noch
nicht gemacht worden.“
Ich habe in den letzten 2‘/ g Jahren ein ähnliches Material zur Verfügung
gehabt, wie es Blumenau hatte — kranke Soldaten im Moskauer Militärhospital
— und an diesem Material unternahm ich eine Reihe von Untersuchungen der
verschiedenen Reflexe bei Degeneranten. Die Resultate dieser Untersuchungen
werden seinerzeit veröffentlicht werden, jetzt aber möchte ich auf eine Erscheinung
aufmerksam machen, die ich bei Untersuchungen der sogenannten Gesichtsreflexe
beobachtete.
Diese Erscheinung besteht in folgendem: klopft man ganz leicht mit dem
Perkussionshammer auf das Jochbein, die Mandibula (am Kinn), manchmal auch
auf andere Teile des Gesichtes bei Degeneranten verschiedener Art (auch Geistes¬
kranken), besonders bei solohen, die ausgesprochene morphologische Degenerations¬
zeichen aufweisen, so kann man oft beobachten, daß auch das leichteste Be¬
klopfen schmerzempfindlich ist. Natürlich sind dabei jegliche Erkrankungen der
Knochen und Zähne auszuschließen. Bei gesunden und mit keinen deutlich
ausgesprochenen Degenerationszeichen behafteten Individuen war das Beklopfen
bei nicht zu großer Kraft und mittlerer Stärke des Gummis gar nicht schmerz¬
haft. Je ausgesprochener die psychischen und physischen Entartungszeichen
waren, desto regelmäßiger und deutlicher trat auch diese Erscheinung auf.
Natürlich gab es auch Fälle mit ausgesprochener Entartung, wo dieses Zeichen
fehlte. Jedoch waren solche Fälle nur selten, während das Symptom bei Ge¬
sunden, wie gesagt, niemals gefunden wurde.
Nachdem ich diese Erscheinung und ihre relative Häufigkeit konstatiert
hatte, versuchte ich auch, eine Erklärung dafür zu finden. Der erste Ge¬
danke dabei wäre, daß diese Empfindlichkeit eine Folgeerscheinung der allge¬
meinen Hyperästhesie bzw. Hyperalgesie der Haut, wie sie häufig bei Degene¬
ranten vorkommt, bilde. Aber die genauere Untersuchung ergab meist keine
besonders merkliche Änderung der Hautsensibilität, die zu der Empfindlichkeit
bei Beklopfen der Gesichtsknochen hätte in Beziehung gesetzt werden können.
Interessant sind da zwei Beobachtungen, die ich zufällig machte. Unter
meinen Kranken fanden sich zwei Degeneranten mit angeborener Hysterie und
vielen Entartungszeichen. Unter anderem hatten beide eine komplette Heini¬
anästhesie des Gesichtes, des Körpers und der Extremitäten. Nun war bei ihnen
das Beklopfen der Gesichtsknochen auf der anästhetischen Seite vollkommen
schmerzlos, während es auf der gesunden Seite deutliche Schmerzempfindung
hervorrief. So hatten wir hier, scheinbar, zwei einander widersprechende Er-
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393
9<sheinungen: einerseits maß man annehmen, daß bei dem Fehlen der lokalen
and allgemeinen Hyperästhesie und Hyperalgesie die Quelle der Schmerzempfind¬
lichkeit beim Beklopfen des Gesichtes im Knochen selbst oder im Periost zu
suchen ist, umsomehr, als an den betreffenden Stellen der Knochen ganz ober¬
flächlich liegt Andererseits aber zeigen die beiden vorerwähnten Fälle, daß bei
allgemeiner Anästhesie der Haut auch diese Schmerzempfindliohkeit herabgesetzt
wird, obgleich sie auf der gesunden Seite vorhanden ist. Das beweist uns, daß
bei allgemeiner Hemianästhesie die Herabsetzung der Sensibilität auch das Periost
betrifft, das ja sowieso der Haut am nächsten steht Und so löst sich der
scheinbare Widerspruch, indem er um so deutlicher auf das Periost als die
Qnelle der beschriebenen Schmerzempfindliohkeit hinweist
Diese auf klinischen Beobachtungen und Überlegungen aufgebaute Annahme
widerspricht auch nicht dem Gedanken, den man a priori hätte fassen können,
daß nämlich degenerativ entartete Schädel auch eine degenerativ entartete
Knochenhaut haben können, die im Bau und in der Funktion Anomalien, u. a.
auch eine größere Schmerzempfindlichkeit aufweist
Werden meine Beobachtungen über die Häufigkeit dieser Erscheinung bei
Degeneranten verschiedener Typen mit physischen Anomalien des Kopfbaues
bestätigt, so glaube ich — wenn die erörterte Erklärung nicht Widersprach
findet — mit Becht sagen zu können, daß diese Erscheinung ein funktionelles
oder richtiger ein anatomisch-physiologisches Zeichen der Entartung vorstellt
Vom biologischen Standpunkte aus kann man das Symptom als eine erhöhte
Schmerzreaktion betrachten, die sich zum Schutze des bei Degeneranten unvoll¬
kommeneren und empfindlicheren Gehirns herausgebildet bat.
[Ans dem Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf (Abteilung Oberarzt Dr. Nonne).]
3. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren
der motorischen Region des Großhirns nebst Beiträgen
zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis
cerebri und bei genuiner Epilepsie.
Von Dr. G. Stertz, Assistenzarzt.
(Schluß.)
Ich möchte hier einen Fall anschließen, bei welchem das Bild der Jackson-
sehen Epilepsie zur Annahme eines Tumors geführt hatte, während die Trepanation
ein negatives Resultat hatte.
Fall IV. jACKSON’sohe Anfälle, zunehmende Parese der rechten
Körperhälfte. Trepanation mit negativem Erfolg. Später Heraus-
wachsen des Tumors aus der Trepanationsstelle, Hinzakommen beider¬
seitiger Stauungspapille. Es handelte sich um einen 27jährigen Lehrer,
dessen Anamnese nichts besonderes ergab, der insbesondere Lues und Potus in
Abrede stellte. Er wurde am 22./XI. 1905 mit der Diagnose Tumor der moto¬
rischen Hirnregion hereingeschickt. Sein Leiden hatte Weihnachten 1904 ohne
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394
nachweisbare Veranlassung mit einem Gefühl von Starre und Schwäche im
4. Finger der rechten Hand begonnen, ein Gefühl, das dann auch auf andere Ge¬
biete der rechten oberen Extremität sich ausdehnte. Nach einer Angina soll
sich der Zustand verschlimmert haben. Bald darauf stellten sich Anfalle krampf¬
hafter Zuckungen zunächst in der Hand, dann in der ganzen rechten oberen Ex¬
tremität ein. Diese Anfälle nahmen allmählich an Ausdehnung zu, dehnten sich
auf das Gesicht und das rechte Bein aus und waren von stets zunehmenden
Paresen in diesen Körpergebieten gefolgt, die auch in den anfallsfreien Zeiten
nicht ganz zuräckgingen. Der Kranke fühlte sich sonst ganz wohl, hatte weder
Kopfschmerzen noch Schwindel noch jemals Erbrechen; weder er noch seine Um¬
gebung hat eine Abnahme der psychischen Kräfte bemerkt. 2 Tage vor der Auf¬
nahme hatte er einen schweren epileptischen Anfall mit Bewustseinsverlust.
Es wurde folgender Befund erhoben: die inneren Organe des kräftig gebauten
und gut genährten Mannes waren sämtlich gesund. Der Kopf war nicht klopf¬
empfindlich. Pupillen und Augenhintergrund waren normal. Eb bestand eine
durchgehende Parese der rechten Körperhälfte von organisch-cerebralem Charakter.
Die Zunge wich deutlich nach rechts ab, die rechte Gesichtshälfte schwitzte bei
leichter Erregung. An der Zunge war eine noch frische Bißwunde zu bemerken.
Die Parese der Extremitäten war eine ausgesprochen spastische. Finger, Hand
und Arm befinden sich in leichter Beugekontraktur. An der unteren Extremität
waren die Spasmen erheblich, während die Paresen zurUcktraten und nur bei dem
ausgesprochen hemiplegischen Gang sich bemerkbar machten. Abgesehen von einer
leichten Unsicherheit im Lagegefuhl der rechten Hand waren keinerlei Sensibilitäts-
störungen nachweisbar. Die rechtsseitigen Sehnenreflexe waren durchgehend lebhaft
gesteigert (Babinski, Oppenheim 4 -), die Hautreflexe herabgesetzt. Blasen- und
Mastdarmfunktion war normal. Es waren keinerlei Symptome vorhanden, die auf
„Hirndruck“ zu beziehen gewesen wären. Psyche normal.
An diesem wie am nächsten Tage wurden eine größere Anzahl JACKSON’scher
Anfälle beobachtet, die in stets gleicher Weise verliefen. Beginn der erst tonischen,
dann klonischen Zuckungen in den Fingern der rechten Hand, Übergang auf den
Arm, dann auf den rechten Facialis, sodann auf das rechte Bein. Das Bewußtsein
blieb erhalten. Dauer etwa 1—2 Minuten.
Es handelte sich also hier um jACKSON’sche Anfälle bei einem 27jährigen
Manne, die seit etwa 1 Jahre bestanden und zu einer erheblichen, Erwerbs¬
unfähigkeit bedingenden Parese der rechten Körperhälfte geführt hatten. Aber
auch die Anfalle an sich bedeuteten — obgleich alle sonstigen cerebralen Be¬
schwerden fehlten — eine sehr schwere Beeinträchtigung der Lebensfreude.
Für die Diagnose kam in erster Linie ein Krankheitsprozeß in Betracht, der in
der Gegend der motorischen Centren der linken Hemisphäre seinen Sitz hatte.
Innere Medikation, insbesondere der wochenlange Gebrauch von Jodkali war
ohne allen Einfluß geblieben. Bei dem Fehlen jeglicher Ätiologie war ein Tumor
das Wahrscheinlichste. Auffallend war zwar das Fehlen aller Allgemeinsymptome
von „Tumor cerebri“, zumal bei der Ausdehnung der Lähmungen seine Ver¬
breitung über ein größeres Gehirngebiet zu erwarten war. Doch ist ja gerade
von den Tumoren der motorischen Region bekannt, daß sie selbst jahrelang alle
Drucksymptome vermissen lassen. Mit Rücksicht darauf und mit Rücksicht auf
das stetige Fortschreiten der Krankheit hatte der den Kranken bisher behandelnde
Arzt Herr Dr. Embden (Hamburg) die Diagnose auf Tumor cerebri und die
Indikation zur Trepanation gestellt.
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Am 4./XIL wurde von Herrn Oberarzt Dr. Sick die Trepanation in der
Gegend der linken motorischen Region ausgeführt. Die Dura zeigte sich
normal, nach Eröffnung derselben konnte auch an dem Gehirn durch¬
aus nichts Abnormes nachgewiesen werden, nur war die Pulsation
eine wenig lebhafte. Eine Probepunktion ergab klare Cerebrospinalflüssigkeit.
Reposition und Verschluß des Hautperiostknochenlappens.
Am 5./XH. hatte Pat. hohes Fieber, es hatte sich eine vollkommene motorische
und partielle sensorische Aphasie zum Krankheitsbild hinzugeeellt;
8./XIL Die Aphasie hat sich zum größten Teil wieder zurückgebildet.
Schreiben und Lesen normal (schreibt jetzt linkshändig). Rechts wird eine leichte
Stauung der Papilla nervi optici konstatiert.
Von da an ist der Verlauf fieberfrei, bezüglich Hemiparese stellt sich der
Status quo ante wieder her, Anfälle wurden nicht mehr beobachtet. Es fließt
reichlich Cerebrospinalflüssigkeit ab. Auf der Höhe der Wunde bildet sich ein
Prolaps aus.
22./XH. Pat wird im Status quo ante mit einem kleinen Prolaps entlassen.
Ist bis dabin anfallsfrei geblieben.
Am 2l./m. 1906 stellte sich Pat. wieder vor. Er hatte eine Lederkappe
für die Trepanationsstelle erhalten, die jetzt durch eine Aluminiumkappe ersetzt
werden sollte. Er gibt indeß an, daß er, sobald er die Kappe trüge, von den¬
selben Anfällen heimgesucht sei wie früher, während er sonst frei davon bleibe.
Die Hemiparese der rechten Seite ist im allgemeinen unverändert. Es besteht
eine leichte artikulatorische Sprachstörung. Nur in der rechten Hand ist der
Bewegungs- und Lokalisationssinn etwas herabgesetzt, während sonst das Gesichts¬
vermögen normal ist. Keine Zeichen von intrakranieller Drucksteigerung. Doch
hat der Prolaps etwas zugenommen. Augenhintergrund, Pupillen normal. Während
der Untersuchung trat eine 1 / s Minute dauernde Absence auf, bei welcher eine
leichte Zwangsstellung des Kopfes nach rechts eintrat, daran schlossen sich etwa
1 / 2 Minute dauernde klonische Krämpfe der Zunge, wobei dieselbe nach rechts ge¬
schleudert wurde. Der Facialis blieb unbeteiligt. Noch während dieser Zuckungen
kam das Bewußtsein wieder. Unmittelbar darauf bestand fast vollkommen
motorische Aphasie, im Laufe 1 / i Stunde war indeß der frühere Zustand wieder
erreicht. Pat. wußte selbst nichts davon, daß er kurze Zeit bewußtlos gewesen war.
Obgleich an der nach dem klinischen Verlauf so genau zu lokalisierenden
Gegend nichts Abnormes gefunden wurde, nicht einmal ein Unterschied in der
Konsistenz nachgewiesen werden konnte, würden wir uns doch nicht für berechtigt
halten, das Vorhandensein eines Tumors auszuschließen und etwa einen dem
sogen. „Pseudotumor“ entsprechenden Vorgang anzunehmen. (Hierauf ist bereits
in der Literatur hingewiesen.) Oppenheim betont gelegentlich der Besprechung
von Fall V seiner Kasuistik, in welchem ebenfalls bei der Trepanation der er¬
wartete Tumor nicht mit Sicherheit gesehen wurde, daß es Neubildungen gibt,
die sich bei Betrachtung in vivo der Feststellung entziehen können. Es sind
dies eben Tumoren, welche nur eine sehr geringe und makroskopisch nicht
deutlich erkennbare Destruktion des Gewebes hervorrufen. Darauf will ich bei
der Besprechung des nächsten Fallles näher eingehen.
Dann aber ist zu bedenken, daß auch dicht unter der Rinde sich ent¬
wickelnde, die Oberfläche aber nicht erreichende Tumoren das geschilderte
Symptomenbild hervorrufen können, da, wie nunmehr nacbgewiesen ist, auoh Herde
der subkortikalen Markschicht JAOKSON’sche Krämpfe auszulösen vermögen.
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Audi in diesem Falle findet sich natürlich bei der Trepanation an der erwarteten
Stelle nichts.
Daß wir es mit einem solchen Verhalten zn tun haben könnten, darauf
konnte vielleicht der Umstand hin weisen, daß das erste Symptom des Leidens
nicht die Krämpfe selbst, sondern ein Gefühl von Steifigkeit und subjektiver
Schwäche waren.
Der weitere Verlauf machte dies zur Gewißheit Als wir am 10./V. 1906
den Kranken wieder sahen, waren mehrere knollenartige bis apfelgroße Tumoren
auä der Trepanationsstelle herausgewachsen. Eine Probeexcision aus einem
derselben zeigte, daß es sich um ein gefäßreiches, kleinzelliges
Bundzellensarkom (Prosektor Dr. E. Fbabnkel) handelte. Der Kranke
machte einen etwas dementen, dabei euphorischen Eindruck, klagte nur zeitweilig
über Kopfschmerzen, erbrach nie und Utt auch nicht an Schwindelgefühl. Die
Paresen hatten nicht wesentlich zugenommen, nur die Sprache war noch lang¬
samer und schwächlicher als zuvor; bei schwierigen Worten machte sich eine
deutliche Störung der Artikulation geltend. Anfälle von „JACKBON’schem Typus“
waren nicht mehr autjgetreten, dagegen „Äquivalente“ in Gestalt von leichten,
schnell vorübergehenden Absencen. Es bestand ferner beiderseits eine
deutliche Stauungspapille; der Puls war etwas beschleunigt, 80 in der
Minute.
Bemerkenswert ist, daß dieser Tumor entsprechend, seinem histologisch seht
malignen Charakter (zellreiches Sarkom), in 1 1 / t Jahren zu einer so erheblichen
Größe angewachsen war und bereits zu schwereren Allgemeinerscheinungen ge¬
führt hatte — im Gegensatz zu dem jetzt zu beschreibenden Gliom. Es ist zwar
anzunehmen, daß das Wachstum des Tumors durch die Trepanation in der
Richtung nach außen wesentlich beschleunigt wurde, indessen darf man an¬
nehmen, daß die Zeichen intrakranieller Drucksteigerung durch die Trepanation
eher hinausgeschoben als befördert worden sind.
Fall V. Symptombild eines Tumors der motorischen Region:
8jähriges Bestehen. Negativer Befund bei der Trepanation. Tod
im Anschluß an die Operation. Kein sicherer makroskopischer Be¬
fund. Mikroskopisch: Gliom.
Der damals 33jährige Krämer kam zuerst im Jahre 1900 auf die Ab¬
teilung von Dr. Nonnb. Die Anamnese bot bezüglich früherer Krankheiten
nichts Bemerkenswertes. 3 Jahre zuvor war er mit Parästhesien und Schwäche¬
gefühl im rechten Bein erkrankt, während gleichzeitig häufig Zuckungen in dem¬
selben auftraten, die später auch auf den rechten Arm und die rechte Gesichts¬
hälfte übergingen. Während anfangs die Zuckungen bei erhaltenem Bewußtsein
stattgefunden hatten, waren die letzten 3 Anfalle mit Bewußtseinsverlust ver¬
bunden. Nach den Anfällen hatte die Schwäche in den befallenen Extremitäten
stets erheblich zugenommen, um sich dann allmählich wieder zu bessern. Manch¬
mal, besonders morgens, bestanden Kopfschmerzen. Ab und zu leichtes Schwindel¬
gefühl, nie Erbrechen. In letzter Zeit soll das Gedächtnis abgenommen haben.
Mit 12 Jahren hatte er ein heftiges Kopftrauma ohne Commotio. Keine Lues,
kein Potus.
Die Untersuchung ergab folgendes: Gesundes Aussehen. Psyche normal.
Innere Organe gesund.
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Der Kopf war nicht klopfempfindlich. Das OculopnpiHargebiet war intakt.
Augenhintergrund, Sprache normal, desgleichen Facialis und Hypoglossus. Die
rechte obere Extremität besaß normale Kraft, dagegen fand sich'am rechten Bein
eine Parese vom cerebralen TypuB mit entsprechender Steigerung der Sehnenreflexe
and Abschwächung der Uantreflexe, geringe Ataxie dieses Beines, sowie eine
leichte, distalwärts zunehmende Hypästhesie für adle Qualitäten.
Während der Beobachtungszeit wurden mehrere jAOKSOR'sche Anfälle be¬
obachtet, die vom rechten Bein ausgehend, rechtsseitig aufstiegen und zum Teil
unter Schwinden des Bewußtseins auch auf die andere Seife übergingen. Die
Paresen waren jedesmal nach dem Anfall stärker ausgeprägt; dann stellte rieh
der Status quo ante wieder her.
Da für Lues oder eine andere Erkrankung kein Anhalt war, wurde die
Diagnose auf Tumor der motorischen Region gestellt. Dem Patienten wurde an¬
geraten, zunächst eine Schmierkur zu machen und bei Erfolglosigkeit derselben
sich zur Operation wieder einzufinden.
Am 10./1I. 1905, also erst 5 Jahre später, ließ rieh Pat. wieder entnehmen.
Mehrfache spezifische Kuren waren ohne Erfolg geblieben. Pat. hatte sehr viel
unter seinen Anfallen zu leiden. Die Schwäche hatte sich auf die ganze rechte
Körperhälfte ausgedehnt. Von Allgemeinsymptomen machte sich zuweilen Kopf¬
schmerz und Schwindel, aber in wenig störender Weise bemerkbar. Das Ge¬
dächtnis soll gelitten haben.
Befund: Es bestand jetzt eine durchgehende Parese der rechten Körper¬
hälfte vom typischen cerebralen Charakter (übliche Auswahl der gelähmten
Muskeln, mäßige Spastik, Erhöhung der Sehnenreflexe, BABiNBKi’aches und Oppbn-
Hxoi’sches Phänomen, Abschwächung der Hautreflexe, mäßiger Grad von Ataxie,
durchgehende Herabsetzung der Sensibilität für alle Qualitäten mit Bevorzugung
der Lokalisation und Bewegungsempfindung sowie der Stereognosie).
Beim Stehen und Gehen trat Schwanken des Körpers, vorzugsweise nach
dieser auf, der Kopf war in der linken Scheitelgegend klopfempfindlich.
Es wurde ferner beiderseits ein leichter Grad von Stauungspapille
konstatiert, die zu einer wesentlicsen subjektiven Verschlechterung des Sehnes
noch nicht geführt hatte. Das Böntgen-Bild ergab zwar links einen der Scheitel¬
gegend der linken Schädelhälfte anliegenden Schatten, der rechts nicht vorhanden
war, indessen konnte derselbe als etwas Pathologisches nicht mit Sicherheit er¬
kannt werden.
In den beiden Tagen nach der Aufnahme hatte Pat. je einen im Ablauf
den früheren gleichenden jAGKSOii’schen Anfall (noch immer Beginn im rechten Bein).
Die Sprache war etwas langsam und schwerfällig, ohne artikulatorische
Störung. Zuweilen trat ein unbeabsichtigtes Lachen auf, das der Stimmung des
Pat. nicht entsprach.
Die schon früher gestellte Diagnose „Tumor cerebri“ konnte nach dem
gegenwärtigen Befunde und nach dem ganzen Verlauf nur bestätigt werden.
Der Kranke hatte jetzt den dringenden Wunsch, die Chance einer Operation
wahrzunehmen.
Operation am l./IIL 1906 (Herr Oberarzt Dr. Sick).
Nach Eröffnung des Schädels in der linken motorischen Begion
zeigte sich an der Dura mater nichts Abnormes. Nach Eröffnung der
letzteren erschienen die vorliegenden Hirnteile nach Aussehen und
Konsistenz durchaus normal. Bei Vergrößerung des Duralappens trat eine
starke Blutung aus dem Sinus longitudinalis auf, welche eine Umstechung
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desselben notwendig machte. Der Kranke erlag dem Eingriff einige Stunden
später.
Obduktion 2./III. 1905. Die Organe der Brust- und Bauchhöhle zeigten,
abgesehen von einem leichten Grad von fettiger Degeneration des Herzmuskels,
keine besonderen Veränderungen. Die Schädelkapsel war etwas dick, Verwachsungen
zwischen ihr und der Dura bestanden nicht.
Die Hirnsubstanz quoll entsprechend den großen Duralappen vor, sie war
nur in dem kleinen Gebiet der Umstechungsstelle des Sinus longitudinalis im
Zustande hämorrhagischer Erweichung. Im übrigen waren die Dura sowohl
wie die weichen Häute normal, ebenso war dem Gehirn selbst äußer¬
lich nichts anzusehen, die linke Hemisphäre erschien etwas größer
Fig. 1.
als die rechte, die Windungen waren aber nicht abgeplattet, von
einem Tumor war nichts zu sehen. Die Gefäße an der Basis waren zart-
wandig. Auch ein Sagittalschnitt durch das in 10°/ o Formalin ge¬
härtete Gehirn überraschte durch das Fehlen des erwarteten Tumors
(Fig. 1). Auf frontal angelegten Schnitten trat die Vergrößerung der linken
Hemisphäre noch etwas deutlicher hervor, es wurde auch hier kein in Farbe.
Konsistenz oder Gefäßreichtum sich von der Hirnsubstanz abhebendes Gebilde ge¬
funden, das man für einen Tumor hätte halten können. Hingegen fand sich auf
einem ungefähr durch die Mitte des Gehirns angelegten Frontalschnitt, parallel
zur Kinde des Paracentrallappens verlaufend und nur wenig von dieser entfernt,
eine schmale Zone von etwas weicherer Beschaffenheit und einem eigentümlich
wabigen Bau, die einer Encephalomalacie glich. Dieselbe erstreckte sich in senk¬
rechter Richtung fast bis zum Balken, und war in sagittaler Richtung einige
Centimeter lang. Die Rinde des Lobus paracentralis hob sich von der Mark¬
substanz nicht ganz so deutlich ab wie an anderen Stellen. Das Centrum semi¬
ovale erschien in der Nachbarschaft der erwähnten Zone vielleicht etwas weicher
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als auf der anderen Seite, ließ aber sonst ebensowenig etwas Abnormes erkennen,
wie die Zeichnung der Stammganglien, die Weite der Ventrikel, die Beschaffen¬
heit des Ependyms usw.
Aus der makroskopischen Besichtigung konnte die Diagnose eines Tnmors
auch von berufener Seite (Herr Prosektor Dr. E. Fraenkel) nicht gestellt werden.
Die Vergrößerung der linken Hemisphäre wurde auf Rechnung der großen
Trepanation und der dadurch bedingten Vorquellung der Hirnsubstanz gesetzt.
Die beschriebene „Erweichung“-ähnliche Zone wurde für den Effekt einer bei
der Operation ausgeführten Punktion bzw. des operativen Eingriffes überhaupt
gehalten.
Erst die mikroskopische Untersuchung brachte Licht in das Dunkel.
Es wurden Stücke sowohl aus den als „Erweichung“ imponierenden Partien
mit der benachbarten Rinde, als auch aus den umgebenden Teilen des Centrum
seiniovale herausgenommen, sowie zum Vergleich Stücke der anderen Hemisphäre.
Färbung mit Hämatoiylin-Eosin, nach van Gieson, Markscheidenfarbung nach
Weigert und E. Fraenkel, Gliafärbung nach Weigert.
Fig. 2.
Man erkennt, daß der Aufbau der Rinde, die Schichtung derselben im all¬
gemeinen nicht alteriert ist. Erst im Gebiet des subkortikalen Marklagers beginnt
die Infiltration des Gewebes mit großkernigen, plasmaarmen Zellen und ein ab¬
normer Gefäßreichtum. Nooh weiter nach innen beginnt das als „Erweichung“
imponierende Gebiet: Es zeigt sich, daß hier eine stärkere Gefäßneubildung
stattgefunden hat, so daß der Tumor hier das Aussehen eines Lymph- oder
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Hämangioms gewinnt mit großen moschen- und zellartigen Gebilden, die aber
nicht mit Blnt gefällt sind. Noch weiter innenwörts finden sich sehr kornreiche
Partien, hier und da Neigung zur Nekrose und zu minimalen Blutaustritten in
das Gewebe, schließlich verliert sich der Tumor ganz unmerklich im normalen
Gewebe, zeigt also ein ausgesprochen infiltratives Wachstum.
An den Markscheidenpräparaten erkennt man, daß nur im Gebiete des größten
Zellreichtums die Markscheiden stark rarefiziert sind (Fig. 2), bzw. stellenweise
ganz fehlen, während sonst zwischen den Tumorzellen sich auffallend viele Mark-
Fig. 3 .
fasern erhalten haben. Sie fallen nur dadurch auf, daß sie einen abnorm ge¬
schlängelten Verlauf und zahlreiche Varikositäten besitzen (Fig. 3). Die nach
der WuiGEBT’schen Gliamethode hergestellten Präparate zeigen, daß wir es mit
einem Gliom zu tun haben. Stellenweise tritt eine fasrige Struktur mehr hervor,
anderwärts hat das Zwischengewebe eine mehrkörnige Beschaffenheit. Zahlreiche
Zellen sind als „Stern-“ und „Pinselzellen“ zu erkennen.
Die Stücke der anderen Hemisphäre zeigten normale Strukturen.
Uin es kurz zu wiederholen, so hatte hier die Trepanation das Vorhanden¬
sein des supponierten Tumors gar nicht aufgedeckt, die Sektion des Gehirns
hatte zu einem höchst zweideutigen Resultat geführt, und erst die genaue mikro¬
skopische Untersuchung hat den Fall geklärt. Man sieht daraus, entsprechend
Nonne ’s Mahnung, wie vorsichtig mau wird sein müssen, ehe man die Diagnose
eines Pseudotumors wird stellen können. Denn mau braucht nur anzunehmen,
daß ein Tumor sich irgendwie in der Nähe der motorischen Region — in einer
an sich „stummen“ Region — entwickelt und von dort durch Fernwirkung
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jACKsoN’sohe Krämpfe auslöst, um einzusehen, daß hier eine nicht sehr voll¬
ständige mikroskopische Untersuchung ebenso wie der makroskopische Befund zu
einem negativen Resultat führen kann.
Zu ganz ähnlichen Betrachtungen gab schon Oppenheim der Fall V seiner
Kasuistik Anlaß, der in vielen Stadien eine bis in das Kleinste gehende Ähnlich¬
keit mit dem eben beschriebenen Falle darbietet.
Wir können daher nur das bestätigen, was Oppenheim S. 295 der erwähnten
Arbeit sagt, „daß es Fälle von Tumor cerebri gibt, in denen die makroskopische
Untersuchung vollständig im Stiche oder wenigstens im Unklaren lassen kann,
während das Mikroskop den Geschwnlstoharakter in unzweideutiger Weise hervor¬
treten läßt“.
Wenn wir aus dem histologischen Bild die Bedingungen herzuleiten suchen,
unter welchen ein Tumor sich dem unbewaffneten Auge entziehen und sich
so weit von dem anatomischen Bilde entfernen kann, das für gewöhnlich der
Tumor cerebri darbietet, so liegen dieselben in der geringen Destruktion des
ursprünglichen Aufbaues bzw. in der Widerstandsfähigkeit, welche das nervöse
Gewebe gerade manchen Gliomen gegenüber besitzt. Analoge Befunde dürften
bei Sarkomen oder Karzinomen kaum jemals erhoben werden.
Diese Widerstandsfähigkeit des nervösen Gewebes dem verwandten Gliagewebe
gegenüber bringt auch die außerordentlich lange Dauer, die wir .in manchen
Fällen beoachten und die durchaus nicht etwas ganz Ungewöhnliches darstellt, 1
dem Verständnis näher, 2 sowie den überraschenden Umstand, daß in der
Gegend des Centrums für den Fuß, in welchem der Tumor vor etwa 8 Jahren
vermutlich seine Entstehung nahm, auch jetzt noch die Leitung aufrecht er¬
halten ist, so daß nicht nur bis zuletzt die jACKsoN’sche Krämpfe im Fuß be¬
gannen, sondern auch die Kraftentfaltung in demselben immer noch eine er¬
hebliche war. Beide Momente zusammen, das langsame Wachstum und die
geringen Verdrängungserscheinungen, die eher eine Anpassnug des Cerebrums
an die Neubildung ermöglichen, sind vielleicht auch geeignet, ein gewisses Licht
auf das späte und unvollkommene Auftreten allgemeiner Hirnsymptome in
manchen Fällen von Tumoren zu werfen. Es wäre zu untersuchen, ob gerade
solche Fälle, in denen allgemeine Hirnsymptome sehr lange vermißt wurden,
einen ähnlichen Aufbau wie der beschriebene zeigen.
Am Schluß ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Chef
Herrn Oberarzt Dr. Nonne für die Anregung zu dieser Arbeit und für die gütige
Überlassung des Materiales meinen verbindlichen Dank auszusprechen.
1 Oppenheim, Geschwülste usw. des Gehirns. Notunaoel's spez. Pathol. u. Therapie.
II. Auflage.
* Analoges findet sich auch bei Rdckenraarkstnmoren. Ich verweise z. B. auf einen
Fall von mehr als lOjähriger Dauer eines intramedullären Glioms. Vgl. Sitzungsbericht des
ärztlichen Vereins zu Hamburg. Ref. in Neurolog. Centralbl.
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II. Referate.
A n a t o m i e.
1) Beiträge zur Kenntnis der Großhimf&serung, von Priv.-Doz. Dr. J. Quensel.
(Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XX.) Ref.: Probst (Wien).
Verf. beschreibt zunächst drei selbstbeobachtete Fälle mit Herden im sen¬
sorischen Sprachgebiete.
Eine 57jähr. Frau erlitt einen Schlaganfall und bot vorübergehende Schwäche
der rechten Hand und Sprachstörung dar. Es bestand amnestische Aphasie, Para¬
phasie, leichte Jargonaphasie, partielle Alexie und Paralexie für Buchstaben, Worte
und Zahlen, partielle Agraphie und hochgradige Paragraphie beim Spontan-Diktat-
schreiben und Kopieren. Nach zweijähriger Dauer erfolgte der Tod im Status
epilepticus.
Die Autopsie ergab eine Erweichung des Gyrus angularis in seinem vorderen
Aste, der Übergangswindungen zum Hinterhauptslappen und zum Gyrus supra-
marginalis, des hinteren Teiles der 2. Temporalwindung und im schwächeren Maße
des hinteren Astes des Gyrus angularis.
Der 2. Fall betrifft eine 65jähr. Frau von erheblicher Demenz und gemüt¬
licher Labilität und Schwerhörigkeit, welche ohne eigentlichen Insult seit 2 Tagen
eine Sprachstörung, Einengung des rechten Gesichtsfeldes und rechtsseitige Hypo-
glos8Usparese darbot. Das Wortverständnis fehlte fast vollkommen. Es bestand
Paraphasie beim Nachsprechen und Spontansprechen, sehr geringer Wortschatz,
sehr beschränktes Lesevermögen für Buchstaben, starke Alexie und Paralexie für
Worte, nahezu totale Agraphie bei Kopieren, Spontan- und Diktatschreiben.
Nach zweijährigem Bestände ergab die Autopsie einen großen Herd im
Schläfen- und Scheitellappen der linken Hemisphäre, wodurch die ganze erste
und der größte Teil der zweiten Temporalwindung, sowie Teile des Gyrus angu¬
laris und supramarginalis zerstört waren. Es bestand allgemeine Atrophie des
Gehirns.
In einem 3. Falle handelt es sich um eine 60jährige Frau, die nach einem
Schlaganfalle Verwirrtheit, transitorische rechtsseitige Lähmung und dauernde
rechtsseitige Seh- und Sprachstörung darbot. Das Wortverständnis und Nach¬
sprechen war erhalten, beim Spontansprechen bestand Verarmung des Wortschatzes,
geringe Paraphasie, litterale und verbale Alexie und Paralexie und Paragraphie.
Die Autopsie ergab einen Erweichungsherd der hinteren Hälfte der linken zweiten
Temporalwindung und deren Übergang in den Gyrus angularis.
Verf. hat diese Gehirne an großen mikroskopischen Horizontal- und Sagittal-
schnitten nach der Weigertschen Färbung untersucht und genau beschrieben
und bringt in 18 Liclitdrucktafeln die schönen Schnitte zur Anschauung.
Seine Befunde bestätigen hauptsächlich Anschauungen und Entdeckungen
Flechsige. Die übrige Literatur hat Verf. sorgfältig berücksichtigt.
Er fand, daß sich im Temporallappen Stabkranzfasern zu dem vor der
temporalen Querwindung gelegenen, wohl erhaltenen Teil der 1. Schläfenwindung,
außer unmittelbar am Fuße der Querwindung, nicht verfolgen lassen. In allen
3 Fällen fand sich hochgradige Schrumpfung des inneren Kniehöckers.
Das Türksche Bündel war in den Fällen nur teilweise degeneriert. Die
Ausdehnung der Degeneration im Türkschen Bündel entsprach der Beteiligung
der 1. Temporalwindung, wenngleich die Beschränkung auf diese Windung nicht
zu erweisen war.
Die primäre Sehstrahlung Flechsigs erschien degeneriert, die sekundär*
lediglich atrophisch. Der dorsalen Unterbrechung der Sehstrahlungen entsprach
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403
eine frontomediale Affektion des äußeren Kniehöckers. Im Pulvinar erschien der
frontal-dorsale Abschnitt degeneriert.
Bezüglich des retikulären Stabkranzfeldea von Sachs zeigten die Schnitte,
daß Faserbündel zu- und abströmen und zum Gyrus fornicatus ziehen. Über die
Beziehungen zum Stimhirn und nach unten hin erwiesen die Schnitte nichts
Sicheres.
Für das Vorhandensein direkter Bahnen zwischen der temporalen Querwindung
als Hörsphäre und der Sehsphäre lieferte die Degeneration keinen Anhaltspunkt.
Die Schnitte sprachen nicht gegen die Existenz eines vertikalen Occipital-
bündels. Der Fasciculus arcuatus enthalte auch lange Bahnen.
In der äußeren Kapsel fand er nur reichliche kurze Verbindungsfasem. Über
den Fasciculus uncinatus gestatteten die Schnitte keinen sicheren Schluß. In der
Zwinge konnten lange Degenerationen nicht nachgewiesen werden. Ein Fasciculus
occipito-frontalis kann nicht angenommen werden.
Auf Sagittalsehnitten ließen sich Fasern aus dem basalen Stirnlappen und
den vorderen Teilen der Bandwindung durch das Rostram corporis callosi zum
Kopf des Streifenhügels verfolgen.
Im Stratum subcallosum ließen sich keine langen Assoziationsfasern occipito-
frontalen Verlaufs nach weisen.
Die oberflächlichen Spleniumfasern scheinen vom Lobus limbicus auszugehen;
das Tapetum wird von Balkenfasern gebildet. Bezüglich näherer Beschreibung
der Befunde muß auf das Original verwiesen werden.
Die Arbeit ist mit Fleiß und Kritik zusammengestellt.
2) Versuch einer physiologischen Anatomie der Vagusursprünge und des
Kopfäympathious, von 0. Kohnstamm und J. Wolfstein. (Journal für
Psychol. u. Neurol. VIII.) Bef.: Warncke (Berlin).
Die Verff. haben mittels der Nisslsehen Degenerationsmethode von neuem
die Frage nach dem Muskelkern des Kehlkopfes untersucht und haben diese Frage
im Gegensatz zu van Gehuchten in dem Sinne entschieden, daß der ventrale
Vaguskern, der Nucleus ambiguus der Autoren, der eigentliche Larynxkern ist.
Für den sogen, dorsalen Vaguskern bleibt alsdann nur die Funktion, die
Eingeweide der Brust- und Bauchhöhle zu innervieren.
Die Axone des dorsalen Vaguskernes bilden die ventralen Vaguswurzeln, die
des ventralen Kernes die mittleren oder intermediären Wurzeln, während die
dorsalen Wurzeln durch zuführende Neurone gebildet werden.
Das Vagusfeld, welches vom 4. Ventrikel aus betrachtet als ala cinerea er¬
scheint, umfaßt außer dem dorsalen Kern, dessen sämtliche Zellen centrifugale
Fasern entsenden, den dorsolateral von ersterera gelegenen Kern des Solitärbündels,
sodann das lateral von diesem gelegene Solitärbündel, den wieder lateral von
letzterem gelegenen großzelligen Nucleus parasolitarius und schließlich das dorsale
Grau des Vagusfeldes.
Der Nucleus parasolitarius liefert wahrscheinlich Fasern zum Solitärbündel
und verbindet verschiedene Höhen des Solitärbündelkernes.
Es gibt centripetale Wurzeln, die sich direkt im dorsalen Kern aufsplittern,
sich also ungefähr verhalten wie Reflexkollateralen des Rückenmarkes.
Als Ursprungskern des N. subraaxillaris oder, was dasselbe heißt, des moto¬
rischen Intermedius, hat Kohnstamm früher ein System großer, in der Formatio
reticularis zerstreuter Zellen nachgewiesen, das er als Nucleus salivatorius superior
magnicellularis bezeichnete. Dessen kaudale, histologisch differente Fortsetzung
nennen die Verff'. Nucleus salivatorius inferior. Die Axone des letzteren treten
im Glossopharyngeus aus, sind für die Parotis bestimmt und verhalten sich zu den
Intermediuswurzeln wie aufeinander folgende spinale Rutni communicautes albi
des Syuipathicus.
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UMIVERSITY OF CJMFOWÜIA
404
Die Arbeit enthält weiterhin sehr interessante Ausführungen über die Kaliber*
Verhältnisse der Nerven, sowie über die Homodynomie der Nerven der Kiemen*
muskulatur, bez. derer auf das Original verwiesen sei.
Physiologie.
3) Der Kalkgehalt des Gehirne und seine Bedeutung, von Dr. R. Weigert.
(Monatsschr. f. Kinderheilk. 1906. Dezember.) Ref.: Zappert (Wien).
Von zwei Hunden eines Wurfes erkrankte und starb der eine an Krämpfen,
die auf eine Nahrungsänderung hin entstanden waren und vielleicht mit den auf
spasmophiler Basis beruhenden Kinderkrämpfen in Analogie zu bringen wären.
Die Untersuchung des Gehirns dieses und des bis dahin gesunden Kontrolltieres
auf seinen Kalkgehalt ergab, daß bei dem unter Krämpfen verstorbenen Hunde
das Gehirn relativ kalkärmer war, als bei dem gesunden. Wenn auch dieser
Befund nach keiner Richtung hin als beweisend angesehen werden kanD, so läßt
er doch, mit anderen bereits erhobenen zusammengenommen, den Schluß einer
Störung des Kalkstoffwechsels bei spasmophilen Säuglingen möglich erscheinen,
wobei aber keineswegs eine Anreicherung, sondern vielmehr eine Verarmung der
Kalksalze im Körper naheliegend erscheint.
4) Contributl alla flslologla ed all’ anatomia dei lobi frontal!, per Osv. Poli-
manti. (Tipografia nazionale di G. Bertero. Roma 1906.) Ref.: If.Rothmann.
In der umfassenden Bearbeitung der Funktion der Stirnlappen betrachtet
Verf. zunächst die motorischen Wirkungen nach ein- oder doppelseitiger Exstir¬
pation der Frontallappen. Bei einseitiger Exstirpation machen die Hunde Manöge*
bewegungen von der gesunden Seite zur Seite der Exstirpation. In den ersten
Tagen beschrieben die Tiere einen kleinen KreiB, später einen größeren. Nach
einiger Zeit verschwinden die Manägebewegungen, um so schneller, je kleiner das
exstirpierte Gebiet der Hirnrinde war. Die Kompensation wird nicht nur von
den benachbarten Gebieten derselben Hemisphäre, sondern auch von der anderen
Hemisphäre zu Stande gebracht. Bei vielen Hunden bestand ein leichter Grad
von Schwäche und Ataxie in den gekreuzten Extremitäten, vor allem der vorderen.
Auch eine Steigerung des Patellarreflexes auf der gekreuzten Seite wurde be¬
obachtet Konstant war eine Krümmung der Wirbelsäule nach der Seite der
Operation. Hals und Kopf waren nach der gekreuzten Seite geneigt. Bei beider¬
seitiger Stirnlappenexstirpation zeigte sich der Katzenbuckel. In den ersten Tagen
fand sich oft eine abnorme Augenstellung. ZusammeBfassend kann man sagen,
daß die Stirnlappen speziell den Bewegungen des Rückens vorstehen, aber auch
bei den Bewegungen des Halses, Kopfes und auch der Glieder beteiligt sind.
Der zweite Teil der Arbeit betrifft die gemeinschaftliche Exstirpation eines
Stirnlappens und einer Kleinhirnhälfte; er ist von Mingazzini und Polimanti
zusammen auch in der Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie, XX veröffentlicht
worden. Die Verff. weisen nach, daß nach Zerstörung eines StirnlappenB ähnliche
asthenische und ataktische Erscheinungen auftreten wie nach Exstirpation einer
Kleinhirnhälfte. Werden beide Operationen hintereinander an demselben Tier
auf entgegengesetzter Seite vorgenommen, so summieren sich die Folgen beider
Operationen.
Zum Studium der psychischen Störungen hat Verf. dann ö Affen beide Stirn¬
lappen entfernt. Es ergab sich kein Anhaltspunkt für die Lokalisation der In¬
telligenz oder überhaupt einer höheren psychischen Tätigkeit in den Stirnlappen.
Hinsichtlich des neuerdings auch von anderer Seite geprüften Einflusses der Stirn¬
luppen auf Atmung und Blutdruck konnte Verf. beim Hunde die Anwesenheit von
Centren nachweisen, die einen hemmenden Einfluß auf die Atembewegungen und
den Blutdruck ausüben. Am frontalen Rand der Fissura praesilviana liegen Centren
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für die Beschleunigung des Atemrhythmus, die Vergrößerung der Atembewegung
und die Steigerung des Blutdruckes. Mehr frontalwärts liegen dann Centren,
welche die Atmung anhalten, und andere, die gleichzeitig den Blutdruck steigern.
Endlich bringt Verf. einen anatomischen Beitrag zur Frage der sekundären
Degeneration nach einseitiger Stirnhirnabtragung. Er konnte eine solche beim
Hunde im Pyramidenareal durch den Hirnschenkelfuß bis zum Pons und der
Medulla oblongata verfolgen. Da aber der vordere Teil des Gyros sigmoideus
mit lädiert war, so gestattete der Befund keine sicheren Schlösse.
Die ganze, außerordentlich fleißige, unter sorgfältiger Berücksichtigung der
Literatur geschriebene Arbeit bedeutet eine wesentliche Bereicherung auf dem
Gebiete der Gehirnphysiologie.
Pathologische Anatomie.
6) Über Turmsohädel, von Dr. E. Oberwarth. (Archiv f. Einderheilk. XLII.)
Ref.: Zappert (Wien).
Verf. hat innerhalb weniger Monate 8 Fälle von sogen. Turmsohädel be¬
obachtet Diese Schädelbildung ist nicht nur wegen ihres auffallenden Aussehens,
sondern wegen der häufigen Kombination mit Sehnervenerkrankung bemerkens¬
wert. Tatsächlich bestanden bei 5 Kindern Veränderungen des Sehnerven, und
zwar zweimal beiderseitige Atrophie, zweimal beiderseits Neuritis optica und ein¬
mal rechtsseitige Stauungspapille.
Die Krankheit befällt vorwiegend Knaben; die Sehnervenerkrankung ist nicht
angeboren. Die Erklärung ffir dieses Leiden ist ausständig. Möglicherweise
spielt eine Verengerung der Foramina optica mit konsekutiver Sehnervenkompression
eine Rolle.
6) Ein Fall von extremer Mikrooephalie mit affenfthnl lohen Bewegungen,
von A. E. Jones. (British Journ. of Childrens Diseases. 1905. Mai.) Ref.: Neter.
Es handelt sich um ein 7 Jahre altes Mädchen. Mit 4 Jahren laufen ge¬
lernt; kann noch nichts sprechen. Gesicht gut geformt. Stirn sehr klein, fliehend.
Größter Schädelumfang 35 cm (wie der des Neugeborenen). Rohe Kraft gut.
Keine Anästhesie. Reflexe normal. Gehirnnerven intakt. Allgemeinbefinden un¬
gestört. Keine Lues. Die körperliche Entwicklung entspricht der eines 6 jährigen
Kindes.
Psychisch zeigt Patientin einen besseren Befund, als man erwarten sollte.
Sie zeigt eine schöne Zuneigung zu ihrer Kinderfrau, erkennt andere Kinder gut
und auch ihre verschiedenen Spielsaohen. Gehorcht einfachen Befehlen; ist nicht
launisch, dagegen gegen Fremde sehr scheu. Keinerlei Sprechversuche. Eigen¬
artig sind die blitzartigen (doch stets gewollten) Bewegungen, die Verf. mit dem
Ausdruck „affenäbnlich“ bezeichnet.
7) Beitrag zur pathologischen Anatomie der sogen. „Katayama-Krankheit",
zur Ätiologie der HirngefäBembolie und der Jackson sohen Epilepsie,
von Tsumoda und Shimamura. (Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr. 34.)
Ref.: Pilcz (Wien).
32jähriger Mann, seit 1901 an vagen gastrischen Beschwerden leidend; seit
Februar 1903 Sprachstörung, Kopfschmerzen, Gedächtnisschwäche, Zittern. Patellar-
reflexe rechtsseitig >. Seit November 1903 rechtsseitige Jacksonsche Anfälle
mit rechtsseitiger Hemiplegie. Exitus am 30. August 1904.
Obduktion ergab diffuse Verdickung und partielle Verwachsungen der Meningen,
sowie Konsistenzvermehrung der linken Hemisphäre. Zahlreiche, meist in der
Rinde sitzende keilförmige sklerotische Herde (Basis zur Oberfläche gekehrt). Im
Linsenkern, Sehhügel und der inneren Kapsel wallnußgroßer Erweichungsherd.
Rechte Hemisphäre frei. In den Herden wurden massenhaft Eier von Schistosomura
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Jsponicum gefunden, eingebettet in verdicktem Stützgewebe; ferner „Fremd-
körpercbentuberkel“ (sklerotische Herde) und Detritusmassen (Erweichungsherd).
Nervöse Elemente im Bereiche der Herde geschwunden. Also chronische Ence¬
phalitis durch Eierembolie der Hirnarterien.
Außerdem sekundäre Pyramidendegeneration im Rückenmarke. Die Gebilde
fanden sich auch im Plexus chorioideus lateralis. Ein Muttertier wurde nicht
gefunden.
4 Abbildungen im Texte.
8) Beitrag aur pathologischen Anatomie der früh entstandenen, isoliert
verlaufenden ▲ugenmuskell&hmung, von E. Siemerling. (Arch. f. Psych.
u. Nervenkrankh. XL.) Ref.: G. Ilberg.
Eine im 55. Jahr an Pneumonie verstorbene Morphinistin hatte seit ihrem
3. Lebensjahr einen bedeutenden Beweglichkeitsdefekt des rechten und — wahr¬
scheinlich ebenso lange — auch eine Beweglichkeitsbeschränkung des linken Auges.
Verf. hat sie 3 Jahre lang vor ihrem Tode beobachtet. Es handelte sich um eine
Ophthalmoplegia totalis ejct. dext. mit vollkommener Ptosis; die Beweglichkeit des
linken Auges war insbesondere nach oben, etwas weniger nach innen und unteD
beschränkt. Links war die Ptosis mittleren Grades. Die Pupille reagierte rechts
bei Lichtwechsel minimal, links eine Spur (Morphinismus!); bei Konvergenz ver¬
engerten Bich beide. Ophthalmoskopisch war der Befund normal. Sektion und
mikroskopische Untersuchung ergaben eine Vernichtung bzw. Schädigung der
TrochleariB- und Oculomotoriuskerne. Die gefundenen Veränderungen waren der
Ausdruck einer abgelaufenen Häraorrhagie in das Kerngebiet, wesentlich auf
dieses beschränkt, und zwar fanden sich die Reste einer Blutung in Gestalt einer
apoplektischen Cyste mit Überresten von Blutpigment. Die austretenden Oculo-
motoriu8wurzeln waren rechts in hohem, links in geringerem Grade degeneriert.
Die vom Oculomotorius und Trochlearis versorgten Muskeln ließen die für die
Kernerkrankung charakteristischen degenerativen Vorgänge deutlich erkennen. Am
hinteren Längsbündel erkannte man beiderseits, namentlich rechts einen hoch¬
gradigen Ausfall an Fasern. Im ganzen Krankheitsbild dieser isoliert aufgetretenen
und Jahrzehnte lang isoliert gebliebenen Augenmuskellähmung fand sich keine
begleitende Grunderkrankung, welche als Ursache für die Ophthalmoplegie ange¬
sprochen werden könnte. Verf. setzt den erhobenen Befund in Parallele mit der
spinalen Kinderlähmung: hier wie dort akute Entstehung, Hauptläsion in
der grauen Kernsubstanz und Ausgleich mit nachfolgender degenerativer Atrophie
der peripherischen Abschnitte.
Es würde somit zu den bei der frühzeitig entstandenen und unkompliziert
verlaufenden Augenmuskellähmung nachgewiesenen anatomischen Prozessen, den
kongenitalen Defekten am peripherischen Apparat, der mangelhaften Anlage des
Kerns, der Aplasie und Hypoplasie der Kernregion: die isolierte Zerstörung
des Kerns durch Hämorrhagie hinzuzufügen sein.
Pathologie des Nervensystems.
0) Über infantilen Kern Schwund. Angeborene Lähmung beider N. faciales,
des linken N. hypoglossus und der Bliokriohtung naoh links und reebts
bei erhaltener Konvergenz, von Dr. Gier lieh in Wiesbaden. (Deutsche
med. Wochenschr. 1905. Nr. 37.) Ref.: R. Pfeiffer.
Die ungewöhnliche Ausdehnung des Falles geht aus der Überschrift hervor.
Im übrigen reiht sich die Beobachtung dem Krankheitsbilde an, das nach Moebius
als infantiler Kernschwund bezeichnet wird. Ob Kernschwund oder Aplasie vor¬
liegt, ist bekanntlich strittig. Der Mangel an Degenerations- und Entzündungs-
prozessen spricht im infantilen Alter nicht ohne weiteres gegen einen abgelaufenen,
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entzündlichen Prozeß. Für einen Teil der Beobachtungen ist zeitig jedenfalls die
Annahme eines Schwundes nicht zu umgehen.
10) L’enoephalite aiguS, par Prof. F. Raymond. (Archives de medecine des
Enfants. X. Nr. 11.) Ref.: Zappert (Wien).
Ausgehend von 3 Fällen mit Dauerlähmungen im Gebiete der Hirnnerven
und Extremitäten, deren klinische Beschreibung und Diagnose eingehend gewürdigt
werden, gibt Verf. in Form eines klinischen Vortrages eine umfassende Darstellung
der akuten Encephalitis, von welcher namentlich jugendliche Individuen betroffen
werden. Verf. glaubt nicht an eine idiopathische Encephalitis, sondern hält auch
jene Fälle, die klinisch diesen Eindruck machen, für sekundär — bei Kindern
vorwiegend durch intestinale Schädigungen — bedingt.
Die anatomischen Befunde, insbesondere solche älterer, ausgeheilter Fälle,
sowie die klinischen Erscheinungsformen der akuten Hirnentzündung, finden in
dem ebenso lehrreichen als übersichtlich geschriebenen Vortrag eingehende Wür¬
digung.
11) Über akute Ataxie, von P. Preobraschensky. (Mon. f. Psych., Neurolog.
u. exper. Psychologie.) Ref.: Krön (Moskau).
Verf. berichtet über vier männliche Patienten im Alter von 18 bis 20 Jahren,
bei denen im Anschluß an eine Infektionskrankheit eine akute Ataxie auftrat.
In 2 Fällen war eine Lungenentzündung vorausgegangen, in den beiden anderen
blieb der Charakter der Infektion unaufgeklärt. Das wesentlichste Symptom bildet
die Ataxie der Sprache, des Rumpfes, der Extremitätenmuskeln. Beim Versuch
zu sprechen macht Patient eine Reihe zweckloser grimassierender Bewegungen
mit der Zunge, Lippen und Gesichtsmuskeln und stößt unartikulierte Laute aus;
gleichzeitig wird der Atmungstypus unregelmäßig. Trotz guter Kraft in den
Extremitäten sind keinerlei Bewegungen möglich. Die Schrift ist äußerst un¬
leserlich. Einige Schriftproben illustrieren diese Störung und die allmähliche
Besserung der Schrift. Sensibilität, Reflexe und Psyche sind normal. Manchmal
besteht Nystagmus, sonst sind die Hirnnnerven o. B. Der Verlauf war günstig,
nur in einem Falle war trotz 4monatl. Krankenhausaufenthaltes keine Besserung
zu erzielen. Verf. nimmt an, daß dem Leiden zerstreute encephalo-myelitische
Herde, vielleicht auch hämorrhagischen Charakters, zugrunde liegen. Verf. gibt
eine kritische Übersicht der vorhandenen Literatur.
12) Eine wahrscheinlich daroh die disseminierte Bnoephalomyelitis ver¬
ursachte Ataxie bei einem Kinde, von Dr. V. Pexa. (Casop. ces. 16k.
1906. S. 644 u. Revue v neur. 1906. Nr. 7.) Ref.: Pelnär (Prag).
Bei einem 6jährigen Mädchen, welches einer gesunden Familie entstammt
und früher immer körperlich wie geistig gesund war, erschien ohne bekannte
Ursache Erbrechen, welches sich jeden Tag nach dem Verlassen des Bettes wieder¬
holte. Nach 5 Wochen verschwand das Erbrechen, aber nach vier weiteren
Wochen bekam das Kind einen Tremor der Hände und bald darauf eine aus¬
gesprochene Ataxie aller vier Extremitäten mit gesteigerten Patellarreflexen, die
links mehr ausgesprochen waren als rechts, mit Nystagmus, ohne jede Muskel-
Bchwäche, Muskelatrophie, bei normaler Funktion der Schließmuskeln, bei normalem
ophthalmoskopischem und sonstigem neurologischem Befunde. Im Laufe eines Jahres
trat eine langsame Besserung ein. Verf. sucht per exclusionem in der von Leyden
und Westphal beschriebenen disseminierten Encephalomyelitis die anatomische
Grundlage des beobachteten Leidens, umsomehr, da Bich das klinische Bild mit
dem von Leyden und W T estphal geschilderten vollständig deckt (aus der böhm.
pädiatr. Klinik des Prof. PeSina).
18) Über Polioenoephalitis inferior, von Goldstein. (Deutsche med. Wochen¬
schrift. 1906. Nr. 37.) Ref.: R. Pfeiffer.
Verf. demonstriert einen 7jährigen Knaben, bei dem sich vom 2. Lebensjahre
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an ohne nachweisbare Ursache allmählich eine Lähmung der äußeren vom Oculo-
motorius innervierten Muskeln des rechten Auges einstellte. Dazu trat später
Parese des linken Levator palpebrae, des linken Bectus internus, Nystagmus rota-
torius et horizontal» auf dem linken Auge, in letzter Zeit Parese des rechten
Facialis, des linken Hypoglossus und geringe Schwäche beider Mm. tbyreoarythae-
noidei. Nervensystem sonst normal.
14) Diffbse glioais of the oerebral white matter in a ohild, by W. N. Bullard
and E. E. Southard. (Journ. of Nerv, and Ment. DiseaBe. 1906. März.)
Bef.: M. Bloch (Berlin).
6jähriger Knabe, der abgesehen von im 3. Lebensjahre überstandenen Masern
früher gesund war, fiel vor 6 Monaten 3 Treppenstufen hinunter, blutete aus der
Nase, vielleicht auch aus einem Ohr, war nicht bewußtlos und am nächsten Tage
wieder völlig wohl. Einen Monat später unsicherer Gang, dann fortschreitende
Hör- und Sehschwäohe, Demenz. Ophthalmoskopisoh: Optici etwas atrophisch, doch
nicht hinreichend, um die völlige Amaurose, die demnach wohl oentralen Ursprunges
ist, zu erklären. Bei der Operation wurde reiohliche Flüssigkeit aus dem Seiten¬
ventrikel entleert, sonst nichts gefunden. Tod 2 Tage p. o. Die anatomische
Untersuchung ergab eine Sklerose der weißen Substanz der Hinterhaupts-, Parietal-
und Schläfenlappen, sowie der Thalami optici und symmetrische sklerotische Herde
der weißen Substanz des Kleinhirns. Mikroskopisch erwies sich der Prozeß als
eine celluläre und fibrilläre Wucherung der Neuroglia, scharf begrenzt auf die
weiße Substanz, und zwar variiert das Bild je nach dem Überwuchern der Zell-
und der fibrillären Elemente. Dabei sind zahlreiche Markscheiden und Achsen-
cylinder zugrunde gegangen; dabei ist aber die Ernährung des Gewebes nicht
beeinträchtigt. Die Hirnrinde ist nahezu normal.
16) Hirnembolie im Verlaufe der postdiphtheritisohen Herzschwäche, von
Escherich. (Wiener med. Wochenschr. 1907. S. 474.) Bef.: Pilcz (Wien).
Verf. hatte schon seinerzeit über multiple Embolien durch Thrombenbildung
infolge postdiphtheritischer Herzschwäche berichtet und teilt nun folgende Fälle mit:
I. 2jähriges Kind. Beginn der Erkrankung angebliah am 6. Januar; am
11. Jan. wird das Kind stark kollabiert, apathisch eingeliefert. Pupillen reagieren.
Bechtsseitige Lähmung. Am 12. Jan. heftige Jaktationen, untere Extremitäten
werden in starrer Strecksteilung gehalten, der rechte Arm wird nur wenig be¬
wegt. Bewußtsein, soviel erkenntlich, erhalten. Am 13. Jan. livide Verfärbung
und Analgesie der Unterschenkel. Erst im oberen Drittel der Oberschenkel rufen
Schmerzreize Beaktion hervor, wobei das rechte Bein sich Bpastisch gelähmt er¬
weist. Augen stark nach links gerichtet. Abends Exitus.
Bei der Obduktion fand sich u. a. Embolie der linken Art cerebr. media mit
frischer weißer Erweichung der linken Großhirnhemisphäre.
II. 9jähriges Kind. 3 Wochen nach sehr schwerer Diphtherie Gaumensegel-
und Akkommodationslähmung. Strabismus. Plötzlich apoplektisoher Insult mit
allgemeinen Konvulsionen. Unmittelbar danach sollen sämtliche vier Extremitäten
gelähmt gewesen sein. Im Laufe der nächsten Monate ging die linksseitige Läh¬
mung zurück, recbterseits bestand spastische Parese fort.
Verf. nimmt an, daß es infolge der Herzschwäche zu Thrombenbildung und
dadurch zur Embolisierung von Hirngefäßen kam.
16) I/heröditö dann l'hemorragle oöröbrale, par P. Baymond. (Progrts
mödical. 1907. Nr. 13.) Ref.: Kurt Mendel.
Der 43 jährige Patient, welcher vom 8. bis 18. Jahre an Nasenbluten, bis
zum 35. Jahre an Migräne litt, ferner über Varioen, Neuralgien im Gesicht und
am Halse klagt, zeigt Arteriosklerose, systolisches Geräusch an der Aorta und
erhöhten Blutdruck. Über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert der Schreoken
einer Apoplexie, denn 9 Mitglieder seiner Familie haben, sämtlich ungefähr in
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409
dem gleichen Alter, eine solche erlitten, von ihnen erlagen die meisten der zweiten
Attacke. „Von der dritten weiß jeder, daß sie unerbittlich ist.“
In der Tat hat auch Pat. eine Hirnhämorrhagie zu befürchten. Die Therapie
maß in Diätregelung, Hygiene, Jod bestehen.
17) Monoplögie d’origine oortloale, par Prof. J. Grass et. (Province mldicale.
1906. Nr. 10.) Ref.: S. Klempner.
Ein Jockey wird Anfang 1904 vom Pferde geschleudert und stürzt gegen
eine Mauer. Ein großer Hautlappen der linken Stirn und Schläfengegend wird
losgerissen. Kurzdauernder Bewußtseinsverlust. Die Haut wurde vernarbt, bis
auf eine eiternde Stelle auf dem Scheitel, welche dem oberen Teil der vorderen
linken Centralwindung entspricht. Auftreten von wiederholten kurzen apoplekti-
formen Anfällen in der Zeit vom Dezember 1904 bis März 1905. Diesen An¬
fällen schlossen sich bisweilen solche von jacksonartigem Charakter an mit Zuckungen
im rechten Bein, besonders im rechten Fußgelenk. Außerdem bestanden kurz¬
dauernde psychische Krisen: Gefühl von Zusammengeschnürtsein des KopfeB mit
Zwangsvorstellungen, die sich vorwiegend auf seine frühere Tätigkeit bezogen.
Es besteht eine Schwäche in den Bewegungen der Zehen des rechten Fußes und
des rechten Fußgelenkes, endlich eine Hypästhesie des rechten Fußes in Schuh¬
form für Berührung, Schmerz und Temperatur, die ringförmig an der Grenze des
mittleren und unteren Drittels des Unterschenkels abschneidet. Es handelt sich
also um eine Monoplegie von kortikalem Ursprung, welche sich auf bestimmte
Gelenkbewegungen beschränkt, dazu gesellen sich korrespondierende Gefühls-
störungen in eigenartiger segmentärer Anordnung. Verf. führt die ihm bekannten
ähnlichen Fälle aus der Literatur an.
18) Gehirnblutung beim Kinde. Eclampsia. Hemiplegie dextra. Aphasie,
von Dr. J. Salmon. (Casopis ces. 16k. 1907. S. 41.) Ref.: Pelnär (Prag).
Ein 17monatl., sonst immer gesundes und gediehenes Kind, welches von einer
gesunden Familie abstammt, bekam unter heftigen Fiebererscheinungen (40 °C.)
allgemeine Muskelkrämpfe, die sich mit kleinen Pausen etwa 7 Stunden lang wieder¬
holten und von einer vollständigen Bewußtlosigkeit begleitet wurden. Den Krampf¬
anfällen folgte ein langdauernder Schlaf, aus welchem das Kind mit einer rechts¬
seitigen Hemiplegie und Aphasie erwachte. Nach 4 Tagen wiederholte sich das
Fieber (40°C.) sowie die Krämpfe. Nach 14 Tagen begann das Kind die ge¬
lähmten Extremitäten zu bewegen, nach 4 Wochen kehrte auch die spontane
Sprache zurück und nach 6 Wochen — unter fleißiger Massage und Elektrisation
— war das Aussehen sowie das Benehmen des Kindes dasselbe wie vor der
Krankheit und der Zustand blieb seit der Zeit gut. Verf. schließt nach einer
ausgiebigen Differentialdiagnose auf eine Gehirnblutung.
19) Über eine eigenartige Artikulationsstörung, von Otto Maas. (Medizin.-
pädagog. Monat8schr. f. d. ges. Sprachheilk. XV.) Ref.: Kurt Mendel.
64 Jahre alte Patientin. Vor 2 Monaten Schlaganfall mit rechtsseitiger Läh¬
mung und Sprach verlost; beides bildete sich im Verlauf der nächsten Wochen
zurück. Es blieb nur folgende ganz konstante Artikulationsstörung: an Stelle
von g sprach Patientin stets ein d und an Stelle von k ein t; ferner bestand
Sigmatismus. Die angegebene Störung bestand nur beim Spontansprechen, beim
Nachsprechen verschwand sie völlig. Bei einer späteren Untersuchung war diese
Sprachstörung nicht mehr nachweisbar. Einige Monate später dauernde rechts¬
seitige Hemiplegie ohne Sprachstörung.
Verf. hält die erwähnte Artikulationsstörung nicht für eine hysterische,
sondern für organisch bedingt, für den Rest einer in Rückbildung begriffenen
motorischen Aphasie.
20) L’ötat des musoles mastloateurs dans l’h6miplögle, par Ch. Mira Hie
et A. Gendron. (Revueneurolog. 1906. Nr. 24.) Ref.: E. Stransky (Wien).
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Die Verff. können auf Grund ihrer Untersuchungen der Anschauung, daß bei
Hemiplegikern die Bewegungen im Kiefergelenke nicht gelitten zu haben pflegen,
nicht beipflichten. Sie teilen das Resultat derselben an 14 Fällen im Detail mit.
Sie prüften die Funktion der Aufwärts-, Seitwärts- und Vorwärtsbewegung des
Unterkiefers. In der überwiegenden Zahl der Fälle fanden sich Störungen aller
oder doch einzelner dieser Bewegungen auf der gelähmten Seite. Namentlich in
Fällen, wo der N. VII (speziell der obere) mitbeteiligt war, wo die Extremitäten
beträchtlich gelähmt waren und die Paralyse noch nicht lange zurückdatierte,
trat die Beteiligung der Kaumuskulatur ganz besonders hervor. (Es wäre nun
freilich speziell betreffs des Vergleiches der Seitwärtsbewegungen naoh beiden
Seiten hin wichtig, die bezüglichen Verhältnisse an bzw. auf das event. Vorhanden¬
sein derartiger Differenzen an Normalen zu prüfen. Ref.)
21) Neue Beiträge zur Lehre von der Muskelatrophie bei supranukleären
Lähmungen, besonders bei der cerebralen Hemiplegie, von Priv.-Doz.
Steinert. (Deutsches Archiv für klin. Medizin. 1906. S. 445.) Ref.: Hugo
Levi (Stuttgart).
Verf. faßt die Ergebnisse seiner sehr dankenswerten eingehenden, auf ein
Material von 68 Fällen sich stützenden Untersuchungen in folgenden Schlußsätzen
zusammen:
1. Jede supranukleäre Lähmung der Extremitäten von einiger Intensität und
Dauer ist gerade so regelmäßig wie jede periphere Lähmung von einer Muskel¬
atrophie an den Gliedern gefolgt.
2. Speziell bei der cerebralen Hemiplegie, dem Prototyp jener Lähmungen,
ist die Atrophie vorwiegend am Arm ausgesprochen, am Bein tritt sie relativ
zurück.
3. Sie scheint in der Regel die befallene Extremität in allen ihren Teilen
zu ergreifen. Anatomische Vergleiche speziell auch zwischen dem M. biceps und
triceps des gelähmten Armes haben keine oder doch keine regelmäßige Differenz
zwischen den beiden Muskeln ergeben. Bevorzugt erscheinen in der Mehrzahl der
Fälle die Schultermuskeln und die kleinen Handmuskeln.
4. Die Muskelatrophie tritt frühzeitig ein, kann schon nach 8 oder 14 Tagen
nachweisbar sein. Sie schreitet rasch bis zu einem bestimmten maximalen Grade
fort. Ein wesentlicher Fortschritt nach Ende des zweiten Monats ist nach dem
klinischen Bilde nicht gewöhnlich und wurde nur unter besonderen Bedingungen
beobachtet.
6. Der Grad der Atrophie ist meist nicht ganz geringfügig und kann recht
bedeutend sein.
6. An den kranken Extremitäten fand sich in der Regel eine leichte Herab¬
setzung der elektrischen Erregbarkeit. In den ersten Monaten wurde häufig
Zuckungsträgheit bei direkter galvanischer Reizung ohne die übrigen Kriterien
der Entartungsreaktion gefunden, vor allem in den kleinen Handmuskeln, minder
oft in einigen anderen Muskeln an den distalen Teilen der Extremitäten. In
einigen Fällen verschwand die Erscheinung wieder, bei veralteten Lähmungen
wurde sie nicht beobachtet.
Dagegen können wir in jedem Stadium der Lähmung myasthenische Reaktion
an den kranken Extremitäten finden. An den „gesunden“ Gliedern sind An¬
deutungen von Myastheniereaktion nicht selten.
7. Das Bild der cerebralen Muskelatrophie ist ein höchst typisches und kehrt
mit geringen Variationen immer in der gleichen Weise wieder. Ob es sich um
rechte oder linke Körperhälfte, alte oder junge Patienten handelt, wie Art und
Sitz des Herdes sein mögen, ist ebenso wie das Vorhandensein oder Fehlen von
Sensibilitätsstörungen und an der Haut sich äußernden trophisch-vasomotorischen
Störungen ohne nachweisbaren Einfluß auf das klinische Bild. Selbst das Be-
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stehen der sogen. Arthropathien scheint nur von ganz untergeordneter Bedeutung
zu sein.
8. Bemerkenswert war, daß Fälle mit lange schlaff bleibenden Lähmungen
im allgemeinen höhere Grade von Atrophie zeigten als die spastischen. Sogar
teilweiser Rückgang der Atrophie unter Entwicklung einer spastischen Kontraktur
wurde beobachtet.
9. Die Faktoren der Hypotonie und des Spasmus modifizieren den annähern¬
den Parallelismus zwischen Grad der Lähmung und Grad der Atrophie.
10. In seltenen Fällen, in welchen das Bein die vorwiegende Motilitätsstörung
aufweist, kann auch die Atrophie des Armes gegenüber der der unteren Extremität
zurücktreten.
11. Wesentlich höhere Grade von Atrophie des Beines als bei reiner Pyra¬
midenläsion finden wir in den Fällen, in denen auch die reflektorischen Reiz¬
zuflüsse von der Peripherie zu den motorischen Wurzelzellen der betreffenden
unteren Extremität beeinträchtigt sind, wie bei gleichzeitig bestehender Tubes.
Ferner kommen ganz außerordentliche Grade von Atrophie des Beines unter Be¬
dingungen vor, unter denen wir eine Läsion noch anderer absteigender moto¬
rischer Bahnen als der Pyramidenbahn annehmen dürfen (z. B. Fälle von Brown*
Sequordscher Lähmung).
12. Pathologisch-anatomisch fand Verf. im 1. Monat nach dem Insult in der
Regel neben Verschmälerung der Fasern und Kernvermehrung eine sehr starke
Verfettung, gelegentlich auch wachsige Degeneration einzelner Muskelfasern. Nach
Ende des 1. Monates treten diese Erscheinungen wieder zurück, die Struktur der
Fasern ist wieder besser, ja tadellos kenntlich und Verschmälerung der Fasern
und die oft sehr bedeutende Kernvermehrung beherrscht das Bild. An den peri¬
pheren Nerven fand sich nichts bemerkenswertes, im Rückenmark in den älteren
Fällen eine mäßige Atrophie des Vorderhornes der kranken Seite.
22) Über metamere Sensibilitätsstörungen bei Gehirnerkrankuugen, von
Benedikt. (Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 66.) Ref.: Pilcz (Wien).
47jähriger Mann, vor 4 Jahren Lues, seit 2 Monaten Symptome einer orga¬
nischen Erkrankung der rechten Hemisphäre, welche im Original nacbgelesen
werden mögen. Das Interessante des Falles liegt in dem Verhalten der Sensi-
bilitätsstörungen (Analgesien), welche deutlich metameren(!) Typus erkennen
ließen. Die BonBt totale Hemianalgesie wird nämlich scharf durch vier schmerz¬
empfindliche Zonen unterbrochen. Diese betreffen das Gebiet des 3. Trigeminus¬
astes, der 1. bis 3., ferner 7. bis 9. Dorsalzone und der 4. Lumbalzone (vgl. zwei
Abbildungen im Texte).
„Es erleidet demnach keinen Zweifel, daß die Hemianalgesie bei
Lähmungen der centralen, sensiblen Elemente exquisit segmentäre
Anordnung nufweisen kann.“ Verf., welcher diesen Typus auch „pseudo¬
spinal“ nennt, erwähnt noch kurz zwei Fälle von durch cerebrale Affektion be¬
dingten Sensibilitätsstörungen mit „pseudopontinem“ Typus (nach Analogie der
Hemianaesthesia cruciata), und weist in seinen epikritischen Bemerkungen auf die
Analogien mit dem Verhalten der hemiplegisch gelähmten Muskulatur hin (un¬
gleichmäßige Verteilung).
23) Deux oas d’hömorragie protuberantielle. Hyperthermie. Mort rapide,
par Marie et Montier. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriöre. 1906. Nr. 4.)
Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
I. 86jähriger, wegen Dementia senilis aufgenommener Mann. Eines Vor¬
mittags plötzliches Erbrechen, Nachmittags Bewußtseinsverlust. Abendtemperatur
38,2. Am nächsten Tage wird eine linksseitige Hemiplegie konstatiert. Das
Gesicht nach rechts verzogen, Kopf nach rechts geneigt, keine Abweichung der
Augen (seit dem 40. Lebensjahr blind, Ursache unbekannt). Linke obere Extre-
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mität schlaff, rechts geringer Spasmus. Patellarreflexe erhöht, besonders links,
ebenso links Babinski, linker Bauchreflex aufgehoben. Bei der Lumbalpunktion
ein etwa stecknadelkopfgroßer Pfropf von roten Blutkörperchen. Reaktion anf
Nadelstiche: grimassiert, beugt den rechten Arm und die rechte untere Extre¬
mität. Temperatur dauernd über 40°. Tod im Koma. Sektion. An der Ver¬
einigung des oberen mit den unteren 2 / s des Pons sitzt eine Hämorrhagie, welche
ihren Ausgang genommen hat von der rechten Hälfte und fast ganz die rechte
Pyramidenbahn und das Septum medianum zerstört hat. Sie überschreitet dieses
Septum jedoch nicht. Das innere x / 8 des Reilschen Bandes, der Lemniscus und
der Fuß der Schleife Bind in der Höhe der Austrittsstelle des Trigeminus ganz
zerstört. Die Querbündel des rechten Pedunculus cerebelli bilden auseinander¬
gedrängte, feste Bänder, zwischen denen man feste Blutgerinnsel sieht. Der Blut¬
herd kommuniziert nicht mit den Ventrikeln, nur im Winkel zwischen den beiden
Pedunculi und dem Pons ist die Pia mater ein wenig blutig gefärbt.
U. 47jähr. Kranker ging schon vor der Krankenhausaufnahme mit kleinen
Schritten, Patellarreflexe sehr stark, Babinski rechts. Mit der rechten Hand geht
das Zuknöpfen schwerer. Verunreinigt sich. Im Krankenhaus linksseitige Hemi¬
plegie, Gesicht und Kopf nach rechts gewendet. Blinzelt unaufhörlich, so daß
eine weitere Prüfung nicht möglich ist. Miosis. Reagiert unvollkommen auf
Nadelstiche. Geringer Spasmus aller 4 Extremitäten, jedoch vorwiegend rechts.
Prämortale Temperatur 42,8. Sektion. Frische Erweichung im Gebiet der rechten
Art cerebralis ant. Arterie selbst thrombosiert. Rechte Hälfte des Pons fast ganz
von Blutgerinnsel erfüllt, besonders ist betroffen die untere Hälfte des motorischen
Stranges, ebenso 2 / 3 des Reilschen Bandes.
Auffallend ist in beiden Fällen, daß trotz der Zerstörung des Lemniscus keine
wesentliche Sensibilitätsstörung besteht. Ferner ist noch bemerkenswert die
Temperatursteigerung. Man muß bei Hemiplegien mit rasohem Verlauf, Miosis
und Hyperthermie an einen mesencephalischen Herd denken.
24) Über die Aneurysmen der Hirnarterien, von Meczkowski. (Gazeta
lekarska. 1906. Nr. 48 bis 50. [Polnisch.]) Ref.: Ed ward Flatau (Warschau).
Verf. berichtet über 2 Fälle von Aneurysma der Hirnarterien.
Im ersten Falle handelte es sich um einen 22jähr. Mann, welcher vor etwa
2 Jahren ein schweres Kopftrauma erlitt. Erst am 3. Tage fühlte Patient eineu
heftigen Schmerz im Gebiete des rechten Processus mastoideus. Am nächsten Tage
Sprache undeutlich, verschwommen (6 Wochen lang). In wenigen Tagen Atrophie
der rechten Nackengegend, Schluckbeschwerden, Atrophie der rechten Zungen-
hälfte. Während der folgenden Jahre blieb der Zustand fast unverändert (An¬
fälle von Kopfschmerzen hauptsächlich im Hinterkopf). Dann trat fast plötz¬
lich Heiserkeit auf und ein bellender Husten. Die Symptome dauerten acht
Monate lang. Vor 3 V 2 Wochen Zunahme der Intensität der Occipitalschmerzen.
Erbrechen. Niemals Krämpfe. Status: Puls 76. Pupillen ungestört. Atrophie
der rechten Zungenhälfte. Atrophie des M. cucullaris mit Entartungsreaktion und
eine geringere des rechten M. sternocleidomastoideus. Am Schädel hört man
überall ein deutliches Geräusch (am deutlichsten am Occiput, an den Stirn-, Parietal-
knochen und im Gebiete der Maxilla inferior). Das Geräusch ist ebenfalls am
oberen Teil der Wirbelsäule hörbar (bis zur Mitte der Dorsalwirbel). Beim Druck
auf' die rechte Art. carotis schwindet das Geräusch momentan. Nach 15 bis
20 Sekunden hört man aber ein sehr leises Geräusch, welches allmählich stärker
wird. Dieselbe Erscheinung merkt man bei Kompression beiderseitiger Hals¬
arterien. Druck auf die Art. subclavic. bleibt ohne Einfluß auf das Geräusch.
Die rechte Chorda vocalis unbeweglich. Seitens der Extremitäten keinerlei Er¬
scheinungen. I 111 Urin kein Zucker. Im weiteren Verlauf keine wesentlichen Ver¬
änderungen.
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Verf. meint, daß es sich in diesem Falle um ein Aneurysma der rechten
Art. vertebralis gehandelt hat, welches die Nn. X, XI und XII erdrückte. (Der
Einfluß der Kompression der Art. carotis wäre durch die Cirkulationsstörung im
Circulus arter. Willisii zu erklären.) Es wurde eine Operation vorgenommen zum
Zwecke der Unterbindung der Art. vertebralis dextra. Es zeigte sich aber, daß
die Ligatur der Vertebralarterie ohne Einfluß auf dos am Schädel hörbare Ge¬
räusch blieb. Aus diesem Grunde hat man von der Unterbindung Abstand ge¬
nommen (die Arterie wurde von der Ligatur freigemacht). Diese unerwartete
Erscheinung will Verf. dadurch erklären, daß dos Aneurysma möglicherweise nicht
in der Art. vertebralis selbst, sondern in dessen Zweig, nämlich in der Art. spinalis
anterior dextra sich befand. Da aber diese letztere ihr Blut nioht nur von der
Art. vertebralis, sondern auch von anderen Gefäßen (Art. intercostales, Art. spinalis
sinistra) erhält, so war es möglich, daß die Kompression der Art. vertebralis auf
das Geräusch ohne Einfluß blieb.
Im 2. Falle handelte es sich um einen 28jähr. Mann, welcher an Rheuma-
tiBinus und Endocarditis litt. Embolien in den Extremitäten und einmal im Ge¬
hirn (plötzlicher intensiver Kopfschmerz in der Stirngegend mit Parästhesien in
der rechten Hand; Genesung nach 6 Wochen). Nach einigen Monaten Fieber
und wiederum intensive Kopfschmerzen. Nach 4 Tagen Hemiparesis dextra, Ge¬
räusch am ganzen Schädel, besonders an den beiden Proc. mastoidei und am
Occiput. Bei Kompression der Art. carotis comm. sin. hörte dos Geräusch momentan
auf, bei Kompression der rechten Arterie wurde dos Geräusch leiser. Aphasia
motorica. Tod. Keine Sektion.
Verf. meint, daß es sich um eine Embolie und Aneurysma der linken Art.
fossae Sylvii gehandelt hat.
25) Billiges über die diagnostische Bedeutung des Blutgehaltes und der
Lymphocytose im Liquor oerebrospinalis (zugleich ein Beitrag aur
Kasuistik der basalen Hirnaneurysmen), von Dr. Ohm. (Deutsche med.
Wochenschr. 1906. Nr. 42.) Ref.: R. Pfeiffer.
Wie der mitgeteilte Fall zeigt, ist für die Diagnose eines basalen Aneurysmas
neben der Anamnese und den Drucksymptomen das Ergebnis der Lumbalpunktion
unter Umständen ausschlaggebend. Ferner verdient das Zusammentreffen von
periodischem Erbrechen mit Lymphocytose im Liquor cerebrospinalis ernstliche
Beachtung, weil das konstante Vorhandensein der Lymphocytose bei Tabes ihr
eine differential-diagnostische Bedeutung zwischen frühzeitigen gastrischen Krisen
und einfachem periodischem Erbrechen zuzusichern scheint.
26) Wie verhalten sich die gynäkologischen Erkrankungen zu den Neu¬
rosen? von Dr. H. Sutter. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkolog. XXV.)
Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Der Arbeit liegen Untersuchungen an 300 Fällen der Kgl. II. gynäkolog. und
der Privatklinik von Prof. Amann-München zugrunde. Das Material setzt sich
aus allen Schichten der Bevölkerung zusammen. Wichtig für die Differential¬
diagnose ob Neurose oder gynäkologisches Leiden, bzw. für die Feststellung, was
besonders vorherrschend ist, ist ein durch Operation gewonnener Einblick. Verf.
macht auf die Schwierigkeit der Aufnahme der Anamnese aufmerksam; am besten
läßt man die Patientin selbst ihre Leidensgeschichte erzählen, nie darf man in
sie dringen. Von Nervenkrankheiten kommen nur die Psychoneurosen in Betracht:
die Nervosität, Neurasthenie, Hysterie, Psychosen im engeren Sinne. Die Psycho¬
neurosen tragen das gemeinsame Merkmal, daß sie dem Einflüsse der Psycho¬
therapie zugänglich, also psychischen Ursprunges sind. Es sind Erkrankungen,
für die eine pathologisch-anatomische Veränderung im Gebiete des Nervensystems
sich nich nachweisen läßt. Bei den Untersuchungen wurden Feststollungen
erhoben über Intelligenz, Gedächtnis, Haltung, Gang, motorische Lähmungen.
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motorische Reizerscheinungen, Berührungsempfindlichkeit, Schmerzempfindung,
Temperatur, Parästhesien, Schmerzen, Hyperalgesie der Haut, Druckempfindlich¬
keit, Reflexe, Blasenfunktion und Rektumfunktion im normalen Zustande und während
der Menstruation. Unter den 200 Fällen fanden sich 72,1 °/ 0 geistig Gesunde
und 27,9°/ 0 psychisch Abnorme. Bei den sozial besser gestellten Kranken wurden
19,5°/ 0 Neurosen, bei den weniger gut situierten 42,6°/ 0 gefunden; bei den ersteren
fanden sich aber weit mehr schwere Neurosen. Diese Neurosen fanden sich bei
folgenden gynäkologischen Erkrankungen: Karzinomen, Myomen, Entzündungen,
Lageanomalien, Gravidität, Kystom; das größte Kontingent stellen die Ent¬
zündungen mit 28 leicht und 11 schwer nervösen Fällen. Aus der verhältnis¬
mäßig kleinen Anzahl der Neurosen bei den gynäkologischen Erkrankungen geht
hervor, daß letztere für die Entstehung der Neurosen immer mehr in Wegfall
kommen als Folge der freieren, weniger mystifizierenden Lebensanschauung.
Psychiatrie.
27) Ein Fall von Idiotie mit Erweiobnngsherd in den Centralganglien des
Gehirns, von Marine-Stabsarzt J. Yoshikawa. (Monatsschr. f. Psychiatrie
u. Neurologie. XVIII. Ergänzungsh.) Ref.: M. Probst (Wien).
Verf. beschreibt das Gehirn eines 7jährigen Idioten (ohne Sprachvermögen
und ohne Krampfanfälle), der erst mit 3 Jahren gehen lernte und gleich anfangs
einen wackelnden und schleppenden Gang zeigte. Das Gehirn zeigte eine Art
Affenspalte und einen Erweichungsherd in der rechten Hemisphäre, der den Kopf
des Schweifkernes und das Putamen des Linsenkernes und den vorderen Schenkel
der inneren Kapsel zerstörte. Der Sehhügel war verkleinert und wies im vorderen
Teile eine Fortsetzung des Erweichungsherdes auf. Die entsprechende Pyramiden¬
bahn und die Schleife waren degeneriert, die rechte Olive kleiner als die linke.
Der Erweichungsherd wird auf eine Verstopfung der lentikulo-striären Arterien
zurückgeführt, der Zeitpunkt der Entwicklung des Herdes ließ sich nicht fest¬
stellen.
Klinisch bot der Fall nur Intelligenzdefekte, Sprachstörung, Strabismus con-
vergens und Abnormität des Ganges.
Verf. nimmt an, daß die wesentliche Ursache der Idiotie eine Entwicklungs¬
hemmung ist, und daß der Erweichungsherd für die Entstehung der Idiotie eine
geringere Rolle gespielt hat.
Im medialen Teil der Schleife fand Verf. zwei kleine atrophische Bündel,
die von der Brücke bis ins verlängerte Mark zu verfolgen waren, welche wohl dem
„Bündel vom Fuß zur Schleife“ zu entsprechen scheinen (Ref.).
Der Arbeit ist eine photographische Tafel beigegeben.
28) Über Zeichnungen von Geisteskranken und ihre diagnostische Ver¬
wertbarkeit, von Fritz Mohr. (Journal f. Psychologie u. Neurologie. VIII.)
Ref.: Warncke (Berlin).
Verf. behandelt in gründlicher Weise die in der Literatur äußerst stief¬
mütterlich behandelte Frage der diagnostischen Verwertung der Zeichnungen von
Geisteskranken. Er zeigt an der Hand zahlreicher im Text wiedergegebener
Zeichnungen, wie fruchtbar die systematische Beobachtung dieser Form von ,,Aub-
drucksbewegungen“ ist oder doch sein kann.
Man unterscheidet bei der Prüfung von Kranken nach der besprochenen
Richtung zweckmäßig zwischen Zeichnen nach Vorlagen, Zeichnen nach Natur und
Zeichnen „aus dem Kopf* 4 .
Diese verschiedenartigen Leistungen können weiterhin entweder spontan
oder nach Aufforderung produziert werden.
Als besonders zweckmäßig empfiehlt es sich, auszugehen von der sehr ein-
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fachen Aufgabe des Nachzeichnens einfacher gradliniger Figuren, die doch gleich¬
zeitig affektbetonte Vorstellungsreihen anregen; z. 6. eine Kirche mit Tür und
Fenstern u. dgl.
Verf. weist auf eine Reihe von Problemen hin, die sich darbieten, wenn man
die Zeichnungen Geisteskranker studiert, z. B. den Parallelismus kindlicher und
schwachsinniger Zeichnungen, die Beeinflussung des Raum-, Farben-, Formsinnes
bei den verschiedenen Psychosen bzw. bei ihren verschiedenen Stadien, endlich
auf den Einfluß von experimentellen Intoxikationen auf die zeichnerische Produktion
und Reproduktion.
Es ergeben sich ans der anregenden Arbeit eine Menge interessanter Per¬
spektiven für weitere Arbeiten.
29) Lu folie gemellaire, par E. Marandon de Montyel. (Arch. de neurolog.
XXH. 1906. Nr. 130.) Ref.: S. Stier (Rapperswil).
Verf. diskutiert zunächst in eingehender Werne die Frage, ob überhaupt und
in welchen Fällen die Bezeichnung „Zwillingsirresein“ berechtigt sei. Die Definition
Soukhanoffs, nach welcher unter diesen Begriff sämtliche bei Zwillingen vor¬
kommenden Psychosen subsummiert werden, ist ihm zu weit gefaßt. Er schließt
sich im ganzen eng an Ball an, indem er nur von Zwillingsirresein sprechen
will, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Spontanes Auftreten der Psychose
bei beiden Erkrankten. 2. Gleichzeitiger Ausbruch bei räumlicher Trennung der
Beiden (Ausschluß des induzierten Irreseins). 3. Vollständiger Parallelismus der
Krankbeitserscheinungen bei Beiden, sowohl in Entwicklung und Verlauf wie in
allen einzelneu Krankheitssymptomen. Diesen drei Ballschen Postulaten fügt
Verf. noch als 4. erbliche Prädisposition, die auch bisher bei dieser exquisit endo¬
genen Psychose nie vermißt wurde, hinzu. Daß solche Fälle „echten“ Zwillings¬
irreseins außerordentlich selten sind, ist begreiflich. Verf. hat in einer 30jähr.
irrenärztlichen Praxis nur einen einschlägigen Fall beobachtet. Es handelt sich
um ein Schwesternpaar, das, beiderseits erblich belastet, körperlich und geistig
von frappanter Ähnlichkeit, alle Entwicklungsstadien in gleicher Weise und voll¬
ständig gleichzeitig durchmachte. Mit der Verheiratung, die am gleichen Tage
stattfand, wurden sie zum ersten Male getrennt. Im 4. Monat der Gravidität, die
auch bei beiden Zwillingen gleichzeitig auftrat, zeigte sich bei Beiden ohne nach¬
weisbare Veranlassungsursache fast zur gleichen Stunde manische Erregung, in
deren Gefolge lebhafte Halluzinationen, Wahnideen völlig gleichen Inhaltes. Selbst
die vorübergehenden Perioden von Inkohärenz, lebhafterer Agitation, Remissionen
waren bei beiden zeitlich völlig koinzidierend. Beide gebaren am gleichen Tage
und bei beiden setzte anch die Besserung direkt nach der Geburt ein. Seit der
Heirat hatten sie nichts mehr voneinander gehört; erst nach der Genesung erfuhr
jede etwas von der Erkrankung der anderen.
30) Das Sexualleben unserer Zelt in seinen Bestehungen sur modernen
Kultur, vou Dr. Iwan Bloch. (Berlin 1907, Louis Marcus.) Ref.: Toby
Cohn (Berlin).
Der auf dem Gebiete der Sexualforscbung rühmlichst bekannte Verf. gibt im
vorliegenden, für alle Gebildeten geschriebenen Werke eine Art Enzyklopädie der
gesamten Sexualwissenschaft; es ist gleichsam das Fazit alles dessen, was auf
diesem relativ jungen Forschungsgebiete in den letzten Jahren — nicht zum
wenigsten durch den Verf. selbst — geschaffen worden ist. Die menschliche Liebe
wird in allen ihren Beziehungen, nicht nur vom medizinischen, sondern vom all¬
gemein- biologischen, anthropologischen, philosophischen und kulturgeschichtlichen
Gesichtspunkte aus beleuchtet und betrachtet. Von den Elementarphänomenen der
Verschmelzung der Keimzellen und der Sexualgerüche über die Perversionen des
Geschlechtstriebes bis zu den Fragen der sozialen Formen der Liebe ( Ehe, Prosti¬
tution, freie Liebe, Malthurianismus usw.), den hygienischen Fragen der Bekämpfung
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der Geschlechtskrankheiten, der sexuellen Kurpfuscherei und den forensischen der
Sittliohkeitsvergehen, der Pornographie usw. umfaßt dos Buch des VerfL’s wohl
alles, was über das Thema überhaupt gesagt werden kann. Wohltuend berührt
dabei der wissenschaftliche Ernst, der bekanntlich nicht allen den zahlreichen, das
gleiche Thema behandelnden Werken nachgerühmt werden kann, die große Objek¬
tivität, mit der Verf. auch die seiner unumwunden ausgesprochenen Meinung
widersprechenden Ansichten gelten läßt, und die auch hier wie in anderen Schriften
des Verfc's wieder in die Augen springende erstaunliche Gelehrsamkeit und Arbeits¬
kraft Einzelne Originalmitteilungen (ein Schopenhauersches Manuskript, die
Biographie eines perversen Revolutionärs usw.) erhöhen den Wert des sehr lesens¬
werten Werkes.
31) Gesohleohtliohe Enthaltsamkeit and Gesundheitsstörungen, von Dr.
M. Lewitt (Berlin 1905, Martin Boas.) Ref: Kurt Mendel.
Verf. führt die Äußerungen zahlreicher hervorragender Neurologen, Psychiater
und Gynäkologen an, um deren Stellung der Frage gegenüber zu kennzeichnen,
ob bzw. in welcher Weise die geschlechtliche Enthaltsamkeit schädlich wirken
kann. Auf der einen Seite stehen solche Autoren (z. B. Lallemand), welohe
dauernde Enthaltsamkeit unter allen Umständen als gesundheitsschädlich ansehen,
ihnen gegenüber stehen diejenigen, welche die sexuelle Abstinenz als den allein
moralischen und hygienisch zuträglichsten Zustand bezeichnen. Die goldene Mittel-
straße dürfte in diesem Widerstreit der Meinungen der richtige Weg sein.
Für die Ansicht, daß aus dauernder Enthaltsamkeit völlige Impotenz entstehe,
fehlen stichhaltige Beweise. Abstinenz von Gesunden kann sehr wohl ohne
Schädigung des Nervensystems vertragen werden; jedoch ist nicht zu leugnen,
daß die erzwungene Abstinenz bei neuropathisch veranlagten Individuen ernste
Gefahren bezüglich der Entstehung von Nerven- und Geisteskrankheit herbeiführen
kann, zumal wenn als Teilerscheinung ihrer Belastung ein äußerst lebhafter Sexual¬
trieb vorhanden ist.
Betreffs des Einflusses geschlechtlicher Enthaltsamkeit auf die Gesundheit des
Weibes, dessen Geschlechtstrieb im allgemeinen nicht so groß wie derjenige beim
Manne ist, sind die Ansichten der Gelehrten noch sehr verschieden. Nicht selten
kommt es bei Frauen infolge sexueller Abstinenz zu nervösen Störungen, doch
dürfen auch hier — wie hei Männern — die schädlichen Folgen der Enthalt¬
samkeit nicht überschätzt werden.
Erscheint dem konsultierten Arzt im Interesse der Gesundheit des Patienten
geschlechtlicher Verkehr zweckmäßig, ist aber Heirat aus äußeren Gründen nicht
möglich, so soll er nach Verf.’s Ansicht dem Kranken die Sachlage klar machen,
auf die Gefahren der Infektion beim außerehelichen Verkehr aufmerksam machen
und ihm die Entscheidung nach seinem eigenen Gewissen und WunBche überlassen
(Stintzing).
32) Die sexuelle Enthaltsamkeit im Liohte der Medisin, von Dr. Ludwig
Jacobsohn. (Petersb. med. Woch. 1907. Nr. 11.) Ref.: Kurt Mendel.
Um die Frage zu entscheiden, ob.die sexuelle Enthaltung schädlich ist oder
nicht, schrieb Verf. an 207 Professoren der Physiologie, Hygiene, venerischen,
inneren, Nerven- und Geisteskrankheiten an russischen und deutschen Universitäten.
Er erhielt 35 Antworten. E. Pflüger-Bonn war der einzige, der sich skeptisch
verhielt zur Propaganda über die Unschädlichkeit der sexuellen Enthaltsamkeit.
Alle Autoren ohne Ausnahme erachten die sexuelle Enthaltung als unschädlich
für junge Leute bis zum 20. Lebensjahre. Auch für ältere Individuen wird von
den meisten Autoren die schädigende Wirkung verneint.
33) Jahrbuoh für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Berücksich¬
tigung der Homosexualität, von Dr. Magnus Hirschfeld. (VIII. Jahr¬
gang. Leipzig 1906, Max Spohr.) Ref.: Toby Cohn (Berlin).
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ln der bekannten, vortrefflichen Ausstattung liegt der VIII. Jahrgang des
Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen vor. Er enthält wieder eine Fülle inter¬
essanter, zum Teil bedeutsamer Arbeiten, als wichtigste eine Arbeit des Heraus¬
gebers, H. Hirscbfeld, „vom Wesen der Liebe“, die einen auf ungewöhnlich
reichhaltigem Material basierenden Beitrag zur Bisexualitätsfrage bringt, ferner
einen Aufsatz von Näoke über das gleiche Thema vom psychiatrischen Stand¬
punkte aus, einige psychiatrische Erfahrungen als Stütze für die Lehre von der
bisexuellen Anlage des Menschen. Literatur- und kulturgeschichtliche Beiträge
liefern Undine Freiin von Verschuer über die Homosexuellen in Dantes
Göttlicher Komödie, von Römer über die Uranistenverfolgung in den Nieder¬
landen 1730, Schouten über Erfahrungen des Scharfrichters Samson, 0. Kiefer
über Antinoos und Hadrian, Freimark über die russische Gründerin der theo-
sophischen Gesellschaft Helena Petro wna Blavatzky, Paul Brandt über die Knaben¬
liebe in der griechischen Dichtung, u. a. — Friedländer kritisiert in einem sehr
lesenswerten Aufsatze die neueren Vorschläge zur Abänderung des § 175. — Eine
Zusammenstellung der Literatur über Hermaphroditismus von Franz v. Neuge¬
bauer, eine eingehende Besprechung der Bibliographie und der Jahresbericht
schließen das mit 10 Tafeln geschmückte Buch. — Auf Einzelheiten kann im
Rahmen eines Referates nicht eingegangen werden. Es soll aber doch angesichts
der selbst in Kreisen der medizinischen Fachleute herrschenden Verkennung der
in diesen Jahrbüchern vertretenen Bestrebungen betont werden, daß der von vielen
bekämpfte agitatorische Charakter des wissenschaftlich-humanitären Komitees, in
dessen Namen die Bücher erscheinen, in fast sämtlichen Arbeiten völlig zurück¬
tritt hinter dem wahrhaft wissenschaftlichen Streben nach objektiver Ergründung
des Tatsächlichen, und daß man wohl in manchen Punkten anderer Meinung sein
kann als die Autoren und Herausgeber, daß aber der essentielle Wert der einzelnen
Teile des Jahrbuches und damit des Gesamtwerkes nicht bestritten werden kann.
Keiner, der Bich für Sexualwissenschaft interessiert, kann an diesen Büchern
vorübergehen.
34) Zur Frage Aber den Uranismus, von W. Stieder. (Russische medizin.
Rundschau. IV. 1906. Nr. 7.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg).
Unter Uranismus versteht Verf. die geschlechtliche Zuneigung zu Personen
des eigenen Geschlechtes, ohne Bestimmung darüber, ob wirklicher Geschlechts¬
verkehr mit Personen eigenen Geschlechtes besteht oder nicht.
Nachdem Verf. zuerst einen kurzen Überblick über die Geschichte des Ura¬
nismus gegeben hat, bespricht er die Ansichten von Krafft-Ebing, Moll,
Schrenck-Notzing, Havelock-Ellis und besonders die Theorie der bisexuellen
Embryonalanlage von Kurelia, die er verwirft. Verf. ist der Ansicht, daß, ab¬
gesehen von der neuropathischen Anlage, Lebensbedingungen und Milieu einen
nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Entwicklung der Homosexualität aus¬
üben. Zum Schlüsse plädiert Verf. dafür, daß der § 175 aufgehoben werde. Die
Päderastie sollte nach seiner Meinung nur dann gerichtlich verfolgt werden: 1. wenn
sie an Unmündigen vollführt wird, 2. wenn sie mit Gewalt vollführt wird, 3. wenn
sie die öffentliche Sittlichkeit verletzt. Eine Heilung vom Uranismus hält Verf.
mit Schrenck-Notzing für möglich. Er befürwortet infolgedessen lebhaft die
ärztliche Behandlung der Homosexuellen.
36) Sexuelle Übergangszustände, von A. Ferenczi. (Gyögyaszat. 1906. Nr.19.)
Ref.: Hudovernig (Budapest).
Das in Berlin tätige wissenschaftlich-humanitäre Komitee wandte sich an den
Orvosi-Kör mit dem Ersuchen, an dem Kampfe gegen die ungereohte Verfolgung
des Homosexuellen Teil zu nehmen. Zum Referenten in dieser Frage wurde Verf.
bestellt. Neben den primären Geschlechtscharakteren bespricht Verf. die sekun¬
dären Geschlechtscbaraktere und betont, daß diese sekundären Geschlechtscharaktere
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oft verkehrt auftreten (weibliche bei Mänuern und umgekehrt) und führt dies¬
bezüglich interessante Beispiele an. Doch müssen wir auch tertiäre Geschlechts¬
charaktere unterscheiden. Dieselben äußern Bich im Leben der Psyche. So gibt
es in jedem Manne auch sogenannte weibliche Charakterzüge, ja es gibt auch
Übergangsstadien. Die mächtigste Äußerung des tertiären Geschlechtscharakters
ist die geschlechtliche Neigung, die Liebe. Nun findet man aber bei Individuen,
an denen körperlich keinerlei Abnormität bemerkbar ist, die Perversion des Ge-
Bchlechtstriebes, und wir müssen annehmen, daß das Geschlechtscentrum des Central¬
nervensystems in entgegengesetztem Sinne organisiert ist. Es wird die Kategorie
der effeminierten und des hypervirilen Urninge besprochen. Man muß annehmeh,
daß die Homosexualität nicht erworben, sondern angeboren ist. Allerdings muß
man die Apologie Hischfelds, der das „dritte Geschlecht“ als zum Führer der
Menschheit berufen hinstellt, sehr skeptisch hinnehmen.
Wenn die Homosexuellen gesellschaftliche Interessen nicht gefährden, ist es
ein Unsinn, sie zu verfolgen. Man muß bloß die Einschränkung machen, daß die
öffentliche Sittlichkeit nicht verletzt werde, daß keine Gewalt oder Drohung an¬
gewandt werde, und daß nicht Menschen unter 16 Jahren dazu verführt werden.
Hält man diese Prinzipien vor Augen, so wird die Humanität und höheres
Verständnis gegen die Verfolgung der Homosexuellen sprechen.
30) Eunuohlsme et örotisme, par P. Marie. (Nouv. Iconogr. de la Salpetrierc.
1906. Nr. 5.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
40jähriger Eunuch, Ägypter, habitueller Haschischraucher. Größenideen in
Verbindung mit der genitalen Sphäre: Er hätte eine Prinzessin koitiert, sie sei
öfter bei ihm, er hört ihre Stimme, er solle sie heiraten usw. Obwohl er schon als
Knabe kastriert worden ist, rühmt er sich doch seiner Leistungen auf sexuellem
Gebiet. Er hätte mehrere Frauen, 1000 Kinder. Wenn er die Prinzessin koitiere,
dann dringe sie in seinen Körper ein und wohne darin (Besessenheitsideen auf
Grund wahrscheinlicher Allgemeingefühle, kombiniert mit psychischem Erotismus).
Rühmt sich seiner geistigen Fähigkeiten. Klagt oft über Krämpfe und Schmerzen
in den Beinen, die von seinen sexuellen Fähigkeiten herrühren sollen, ln die
Anstalt gebracht, tritt eine tiefe Depression ein, bis sich schließlich eine Art
Dementia paranoides mit Erregungszuständen herausstellt. Wird „mit Defekt“
geheilt entlassen. Übrig geblieben sind nur noch seine genitalen Sensationen in
Verbindung mit der eingebildeten Heirat. Status: Breites Becken, leichte Gynä¬
komastie und Ansammlung von Fett, glattes Gesicht, spärlicher Haarwuchs. Genu
valgum. Penis und Skrotum in toto kastriert.
Man kann sich nun den Orgasmus erklären entweder durch Ejakulation eines
nicht spermahaltigen Inhaltes der Samenblasen (Abbate-Pascha), oder durch Reizung
der Schleimhaut der Urethra durch Unreinlichkeit (Eunuchen, die in frühester
Jugend kastriert sind, bedienen sich nach Verf. sehr oft des Katheters), oder
durch die ammoniakalische Zersetzung des Urins in der Blase. Es kann aber
andererseits auch die Narbe Sitz von centripetalen Empfindungen sein, ähnlich
wie bei den Amputierten.
37) Die forensische Bedeutung der sexuellen Perversität, von Salgö. (Samm¬
lung zwangl. Abhandl. VII. H. 4. Hallea/S.) Ref.: E.Meyer (Königsbergi/Pr.).
Allgemeine Betrachtungen über die forensisch - psychiatrische Seite sexueller
Perversitäten mit Rücksicht bezüglich auf den § 175 deB deutschen Strafgesetzes.
Verf. weist darauf hin, daß dieser nicht nur Anwendung finde, wenn es sich um
Verletzung des öffentlichen Anstandes handele, sondern auch sonst, wenn keinerlei
Störung dadurch bedingt sei, meint aber, es sei etwas doch nicht deshalb straf¬
bar, weil es von dem Verhalten und „Geschmack“ der Allgemeinheit abweiche,
bestraft könne doch nur werden, „was die Interessen der Gesellschaft in ihren
Einheiten störe und gefährde“, während bei homosexuellen Handlungen mit freier
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Zustimmung beider Personen, die dritte Personen gar nicht störten, etwas straf¬
fälliges eigentlich nicht vorliege.
Die weiteren Ausführungen des Verf.’s, die viel Beachtenswertes bringen,
eignen sich nicht für ein kurzes Referat, nur als besonders beherzigenswert sei
hier festgelegt, daß auch nach des Verf.’s Ansicht „die Frage der sexuellen Per¬
versität als solche nicht Gegenstand der Psychiatrie ist“, daß sie das nur werden
kann, „wenn sie irgend einen psychotischen Symptomenkomplex als Begleiterscheinung
kompliziert“.
Verf. warnt eindrucksvoll vor der Neigung, die konträre Sexualempfindnng
ohne weiteres in das Gebiet psychiatrischer Begutachtung einzubeziehen, was nur
da9 Ansehen der Psychiatrie schädigen könne.
38) Un cos d’exhibitionieme , par Rousset. (Ann. m6d.-psycholog. 1906.
Mai/Juni.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Freisprechung eines Exhibitionisten, bei dem es sich um einen Zwangszustand
handelte.
Therapie.
39) Über die physiologischen Grundlagen der physikalischen Therapie, von
A. Goldscheider. (Zeitschr. f. physik. u. diäthet. Therapie. X. 1906/07.)
Ref.: Kurt Mendel.
Verf. sucht die physiologischen Grundlagen der physikalischen Therapie klar
zu legen, hierbei vor allem die Thermo-, Hydro- und Balneotherapie und Massage
im Auge habend.
Er unterscheidet:
1. die direkte (allopathische) Wirkung der physikalischen Prozeduren. Letztere
wirken wenigstens zum Teil so, daß ihre physiologischen Folgen sich direkt
fördernd in den Heilprozeß einfügen oder diesen herbeiführen. Eine derartige
direkte Wirksamkeit macht aber jedenfalls das Wesen der physikalischen Therapie
nicht aus: schon der Umstand, daß ganz verschiedene Eingriffe die gleiche thera¬
peutische Wirkung zeitigen und somit bei ein und derselben Krankheit die ver¬
schiedensten, oft diametral entgegengesetzten physikalischen Mittel nutzbringend
angewandt werden, andererseits aber das gleiche Mittel für ganz verschiedene
Krankheiteprozesse zur Anwendung gelangt, spricht gegen eine absolute Spezifi-
zität der einzelnen physikalischen Prozeduren;
2. die indirekte spezielle (isopathische) Wirkung: die physikalischen Eingriffe
lösen Regulierungsvorgänge aus und bedingen dadurch eine gewisse Übung des
Organismus in den Ausgleichungs- und Anpassungsvorgängen, welche nun auch
dem Heilprozesse zugute kommt; sie stellen zum Teil künstliche Störungen dar,
durch deren Überwindung der Organismus für die größere Aufgabe des Heil¬
prozesses „trainiert“ wird; so fördern sie den natürlichen Heilprozeß. Diese durch
die physikalischen Eingriffe bedingten natürlichen Regulierungen sind in Zukunft
in ihrem zeitlichen Verlauf zu ergründen ebenso wie diejenigen klinischen Er¬
scheinungen, welche dem Heilprozeß angehören, von denjenigen abzugrenzen sein
werden, welche zum eigentlichen Krankheitsprozeß gehören. In dieser Richtung
werden sich die Studien über die physikalischen Heilmethoden zu bewegen haben;
letztere stellen eine Art Übungstherapie für den erkrankten Organismus dar; sie
werden schädigend wirken, wenn ihre Anforderungen über das Regulierungs¬
vermögen des Organismus hinausgehen oder wenn die Regulierung zwar eintritt,
aber mit einem übermäßigen Kräfte verbrauch, einer übermäßigen funktionellen
Leistung verbunden ist; ferner dann, wenn zwar Regulierung eintritt, aber die mit
dem Eingriff verbundene Reizwirkung üble Neben- oder Fernwirkungen entfaltet;
3. die indirekte allgemeine Wirkung: sie besteht darin, daß eine allge¬
meine Anregung der Funktionen, eine allgemeine erhöhte Arbeit der organischen
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Betriebstätigkeiten ausgelöst wird, welche irgendwie dem Heilungsprozeß zugute
kommt. Diese Anregung der Funktionen, dieser Zwang der verschiedenen Organ¬
systeme zu energischerer Arbeit, fördert, unmittelbar oder mittelbar, den natür¬
lichen Heilprozeß. Die indirekte allgemeine Wirkung kommt vielen physikalischen
Allgemeinprozeduren (kalten und heißen Bädern, Seebädern, Luftbädern, Höhen*
klimausw.) zu; eine besondere Form derselben besteht in der allgemeinen Schonung,
welche die Bedeutung hat, störende Einflüsse von dem natürlichen Heilprozesse
fernzuhalten.
Es erscheint Verf. sehr wahrscheinlich, daß wir durch die funktionelle Therapie
auch auf die pathologischen Prozesse einzuwirken, anatomische Wirkungen hervor*
zubringen vermögen, da wir die Nutrition und Funktion beeinflussen können.
Für die Zukunft wünscht er, daß die Studien über die Einwirkung der
physikalischen Prozeduren beim Kranken vertieft, die Reaktion in ihrem zeit¬
lichen Verlauf eingehender registriert, die konstitutionellen und psychologischen
Faktoren und die Beziehungen zur Mechanik des natürlichen Heilprozesses ana¬
lysiert werden.
40) Zur Frage der Luft- und der sogen. Waeser-Luftdouohen, von Dr. med.
et phil. P. Prengowski. (Archivf.Psych.u.Nervenkr. XLII.) Ref.: Heinicke.
Davon ausgehend, daß schwere Neurastheniker sich oft wohl fühlen, und,
wenn sie in Erregung sind, rasch Beruhigung finden, wenn sie sich dem starken
Strom der kühlen, feuchten Luft aussetzen, führte Verf. an sich Doucheversuche
aus, um die gewonnenen Resultate eventuell später therapeutisch verwerten zu
können. Die Versuche des Verf.’s umfassen 4 Gruppen:
a) mit kalter Luft,
b) mit erwärmter Luft,
c) mit dem Luftstrome mit gewöhnlicher Temperatur,
d) mit dem Luft-Wasserstrome.
Bei jeder auf der Körperoberfläche der Neurastheniker angewandten Prozedur
handelt es sich, wenn anders sie günstig wirken soll, um die Erweiterung der
Hautgefäße, d. h. die Haut muß gerötet und erwärmt werden. Die Prozedur ist
aber schädlich, wenn das Gegenteil der Fall ist, die Haut blaß und kühl wird.
Nach dem Urteil des Verf.’s wirken die Versuche sub d in diesem Sinne am
günstigsten. Verf. fand nicht nur stets die Rötung und Erwärmung, sondern er
begegnete hier auch nicht dem schmerzhaften, stechenden Gefühl, welches bei
Versuchen sub a und b manchmal auftrat.
Nächst den Versuchen mit dem Luft-Wasserstrome sind die Resultate der
Gruppe a am günstigsten; Verf. Bah hier stets die gewünschte Hautröte.
Bei der Beströmung mit warmer Luft zeigte sich zwar die unmittelbar be-
strömte Stelle erwärmt, während die umliegenden Partien sioh abkühlten. Die
ausBtrömende Luft wurde aber sehr rasch kühl und wirkte dann schon als kühle
Luft. Die Rötung trat an der beströmten Stelle nur bei geringerer Entfernung
derselben von der Rohröffnung sowie bei höherer Temperatur der Luft auf und
war gewöhnlich nicht groß.
Man kann daher, wenn man noch berücksichtigt, daß zuweilen stechende und
brennende Schmerzen bei dieser Behandlung auftreten, ihrer Anwendung kaum
das Wort reden.
Viel mehr zu hoffen lassen die Versuche sub c.
41) Therapeutische Erfahrungen Aber die Verwendbarkeit des Bornyvals
bei funktionellen Beschwerden unterleibskranker Frauen, von Dr.
Rattner. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 41.) Ref.: R. Pfeiffer.
Verf. begrüßt das Bornyval als „ein willkommenes und dankenswertes Mittel,
das Bich in vielen Fällen als Analeptikum und Karrainativnm, als Antihysterikum
und Antineurasthenikum bestens bewährt hat“. Das aktive Prinzip des Baldrians,
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der Isovaleriansäureester, kommt chemisch rein und genau dosierbar zur An*
Wendung.
42) Traitement de oertains oas de neurasthenie par le fer, par Lemoine.
(Progris medical. 1906. Nr. 36.) Ref.: Viktor Lippert (Wiesbaden).
Das Eisen spielt eine wichtige Rolle bei der Umwandlung des Hämoglobins
in Oxyhämoglobin; es ist so der Träger der Oxydation in die Zellen der Gewebe;
das so empfindliche und gleichzeitig als Regulator aller wesentlichen Funktionen
so wichtige Nervensystem erfährt in erster Linie unter allen anderen Organen
bzw. Geweben eine Schädigung, sobald eine Änderung des Hämoglobins und
besonders eine Verringerung des Eisengehaltes desselben eintritt. Die
Störungen sind zunächst im allgemeinen leichter, intermittierender Art; hält das
Defizit an Eisen im Blut längere Zeit an, so steigern Bie sich.
Verf. hat in seiner Praxis eine ganze Reihe von Neurasthenikern be*
obachtet, bei welchen Eisen ausgezeichnete Dienste geleistet hat; allerdings be*
wirkt es seiner blutdrucksteigernden Eigenschaft wegen bei Überreizten Nervösen,
wie Paralytikern und Hysterischen, eine Verschlimmerung der Erregungszustände.
Da die Kranken, oft anämisch, fast stets an Subazidität leiden, gibt er zur
Erleichterung der Eisenaufhahme und um die Verdauung anzuregen, gleichzeitig
Salzsäure. Um die Kur zu vervollständigen, läßt Verf. noch ein eisenhaltiges
Mineralwasser nehmen, welches Kalksalze und Magnesia in genügenden Mengen
enthält, zwecks Erzielung einer regelmäßigen und leichten Defäkation.
43) Heilung hysterischer Kontrakturen durch Lumballähmung, von Prof.
WilmB. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 24.) Ref.: R. Pfeiffer.
Verf. verwandte die bei der Lumbalinjektion zugleich mit der Anästhesie auf*
tretende Muskellähmung mit positivem Erfolg zur Heilung einer hysterischen Kon¬
traktur. Die Anästhesierung geschah mit 6 ctg Stovain. Vor dem Eingriff hielt
der Patient das linke Bein im Hüfit-, Knie* und Fußgelenk straff fixiert bei
intensiv kontrahierter Muskulatur. Hüft- und Kniegelenk wurden vollkommen
frei beweglich, im Fußgelenk restierte eine geringe Fixation.
III. Aus den Gesellschaften.
XXIV. Kongreß für innere Medizin in Wiesbaden
vom 15. bis 18. April 1907.
Ref.: Dr. Gierlich (Wiesbaden).
Nach der Begrüßung des Kongresses, der heute auf ein 25jähriges Bestehen
zurückblickt, seitens der Stadt und verschiedener Behörden, gedenkt Herr v. Leyden
in einer längeren Eröffnungsrede der Entwicklung der inneren Medizin in den
letzten 25 Jahren, die uns vor allem die Entdeckung des Tuberkelbazillus, den
Aufschwung der Bakteriologie, die Serumtherapie und das Auffinden der Röntgen-
Strahlen gebracht hat. Er betont den engen Zusammenhang der Lehren der
inneren Medizin mit dem fortgeschrittenen Ausbau der Naturwissenschaften und
geht dann auf die Förderung der wissenschaftlichen Therapie in diesem Zeitraum ein.
Alsdann erstattet Herr Schultze (Bonn) ein umfassendes Referat über: Neu¬
ralgien und ihre Behandlung. Man versteht unter Neuralgien Schmerzen,
die innerhalb der die Gefühlsempfindung vermittelnden Nerven-
Substanz entstehen, dem Verlauf dieser Bahnen folgen und sich durch
große Intensität und anfallsweises Auftreten auszeichnen. Es ist da¬
bei gleichgültig, ob diesen Schmerzen nachweisbare Veränderungen der Nerven-
substanz zugrunde liegen oder nicht. Neuralgien sind nur Krankheitssymptome
und mit der Diagnose „essentielle Neuralgie“ soll man so sparsam als möglich
sein. Als Ursache der Neuralgien ist zuerst mechanischer Druck zu nennen.
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Doch führt nicht jeder Druck auf den Nerven zur Neuralgie. Es müssen hier
noch besondere Bedingungen vorliegen, die wir nicht kennen. Für die neural¬
gischen Schmerzen in den Amputationsstümpfen und dem N. trigeminus werden
Verwachsungen als Ursache angenommen, die durch Zerrung eine Summation der
Reize herbeiführen, die zur Neuralgie führt; ähnlich bei der Ischias. Gallenstein*
und Darmkoliken, die früher auf Druck zurückgeführt wurden (Nothnagel),
sollen die Folge von Ischämie der Darmwand sein; auch Zerrungen abnormer Art
sind angeschuldigt worden. Die Hauptursache für Neuralgien bildet die Ent¬
zündung des Nerven, Neuritis oder Perineuritis. Sie verläuft oft unter Erschei¬
nungen einer reinen Neuralgie, ist also klinisch von dieser nicht zu trennen.
Hierher zählen Trigeminusneuralgie infolge Zahnaffektion, die neuralgischen
Schmerzen bei Tabes, Ischias, Neuralgien bei Gicht, Diabetes, Alkoholvergiftung.
Ferner haben Infektionskrankheiten und sicher auch Erkältungen, namentlich die
Einwirkung kalter Winde auf den überhitzten Körper, Neuralgien im Gefolge,
wenn die Art der Einwirkung auch noch rätselhaft ist. Nach Ausschaltung dieser
Formen bleiben noch viele Neuralgien übrig, bei denen eine gröbere organische
Ursache nicht angenommen werden kann, so die hysterischen und neurasthenischen
Neuralgien, die BeschäftigungBneurosen, bei denen vielleicht Ermüdungsstoffe im
Spiele sind. Toxische Einflüsse spielen wohl eine Rolle bei Neuralgien infolge
von Arteriosklerose, Gicht, Schrumpfniere. Neuropathische Belastung und Anämie
wirken prädisponierend; letztere ist aber mehr die Folge der Neuralgie, als man
annimmt.
Unsere anatomischen Kenntnisse über die Veränderungen bei Neuralgie
sind sehr gering. Bei der neuritischen Form fand man Degenerationen und ent¬
zündliche Veränderungen am Nervengewebe, venÖBe Stase, sklerotische Verände¬
rungen der Gefäße. Man hat bisher nur exzidierte Stücke untersucht, nicht den
ganzen Nerv.
Der Ausgang des Schmerzes kann von jedem Punkt der Nervenbahn er¬
folgen. Je mehr dieser peripherwärts liegt, umsomehr ist der Schmerz lokalisiert
auf einen Nerven. Die psychischen und die hemiplegischen Neuralgien sind meist
diffuser Art.
Was die Symptomatologie angeht, so können Druckpunkte vorhanden seiD,
wie meist bei der neuritischen Form der Neuralgien, oder auch fehlen. Sie sind
zu konstatieren durch Miene, Abwehrbewegungen, Pulszahl und Blutdruckverände¬
rungen. Ferner fehlen oft die Sehnenreflexe, so der Patellarsehnenreflex bei Lichias.
Vortr. bespricht nun die Differentialdiagnose und warnt besonders vor
Verwechslung der Ischias mit intermittierendem Hinken und Plattfuß, so¬
wie der Brachialneuralgie mit beginnender Paralysis agitans.
Die Therapie sucht durch chemische Mittel die Schmerzen zu beeinflussen.
Hierher gehören Salicylpräparate, Arsen, Akonitin, Strychnin. Vortr. schildert
dann die physikalischen Heilmethoden, die in Anwendung kommen, und die un¬
blutige Dehnung. In neuester Zeit hat man durch Injektionen von chemischen
Substanzen in die Nervenstämme und deren Umgebung Heilung der Schmerzen
zu erreichen gesucht. Man verwandte Akonitin, Strychnin, Kochsalz, Argentum
nitricum, Osmium (dieses führte einige Male zu Lähmungen!), Kokain, Alkohol.
Besonderen Erfolg hat Schlösser, der 4g 80°/ 0 igen Alkohol einspritzt, und
Lange, der größere Mengen physiologische Kochsalzlösung injiziert, um durch
Druck zu wirken. Bei den schwersten Neuralgien schreitet man zu chirurgischen
Eingriffen: Resektion von Nervenstücken, auch Ausreißen empfohlen, und hei
Trigeminusneuralgien zur Exstirpation des Ganglion GasBeri (Krause-Berlin).
Als Korreferent sprach Herr Schlösser (München) über: Erfahrungen in
der Neuralgiebehandlung mit Alkoholeinspritaungen. Vortr. hat nach vielen
Versuchen gefunden, daß Alkohol, in 70 bis 80°/ 0 iger Konzentration an den Nerv
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gebracht, die Stelle des Nerven zur Degeneration und Besorption all seiner Teile
außer dem Neurilemm bringt. Er basierte auf diese Beobachtung eine Behandlungs¬
methode der Neuralgien, indem er 80°/ o igen Alkohol sowohl möglichst central an
den erkrankten Nerven, als an eine oder zwei näher der Peripherie liegende
Stellen desselben Nerven brachte. Die hierdurch bedingte Degeneration des Nerven
bezweckt einen Ersatz für eine ausgedehnte Nervenexzision. Das Hauptgebiet
der Behandlung betrifft Trigeminusneuralgie. Vortr. geht mit einer starken, etwas
stumpfen Nadel durch die Wange bis zum unteren Ende des großen Keilbein¬
flügels vor, tastet sioh dann in die Höhe bis zur Schädelbasis bzw. bis zum
Foramen ovale oder rotundum. Er spritzt nun kleine Quantitäten Alkohol ein
und wiederholt diese Einspritzung so oft, bis sie nicht mehr schmerzhaft ist.
Nuch Herausnahme der Nadel hat Patient nur noch ein Gefühl von Geschwollen-
und Pelzigsein in der peripheren Ausdehnung des betreffenden Nervenastes. Nach
etwa 2 Tagen kehren meist neuralgische Anfälle wieder, die dann durch Ein¬
spritzung in der oben beschriebenen Weise in periphere Teile des befallenen
Nervenastes zum Verschwinden gebracht werden. Vortr. behandelte außer dem
Trigeminus auch eine Beihe anderer Nerven. Er stellt für diese folgende Leit¬
sätze auf: Die Behandlung der rein oder vorzugsweise sensiblen Nerven bezweckt
eine möglichst ausgedehnte Vernichtung des Nerven. Bei rein oder vorzugsweise
motorischen Nerven muß ein Zustand der leichten Parese durch sukzessive Gaben
kleiner Quantitäten Alkohols erzielt werden. Die gemischten Nerven bieten die
Annehmlichkeit, daß ihr sensibler Teil wesentlich empfindlicher gegen Alkohol
ist als ihr motorischer. Sie sind gleich den motorischen zu behandeln. Vortr.
behandelte im ganzen 209 Fälle mit seiner Methode, von denen 7 als hysterische
ausscheiden. Von den übrigen betrafen 123 Trigeminusneuralgien, die bald einen,
bald mehrere Äste befallen hatten. Die Heilungsdauer bzw. Zeit bis zum Auf¬
tritt eines Bezidivs betrug 10,2 Monate durchschnittlich, bei 38 Fällen von Ischias
trat nur in 2 Fällen ein Bezidiv ein nach 3 bis 6 Monaten. Die übrigen Fälle
von Neuralgie blieben ohne Bezidiv. Auch in 2 Fällen von lanzinierenden
Schmerzen bei Tabes wandte Vortr. seine Methode mit gutem Erfolg an. Von
11 Fällen mit Fazialisklonus blieben neun ohne Bezidiv. Von üblen Zufällen
sah Vortr. zweimal Paresen im Fazialis, zweimal im Okulomotorius, die alle in
einigen Monaten zurückgingen.
Es folgt nun ein Vortrag von Herrn J. Lange (Leipzig): Neuralgiebehand¬
lung durch Injektion unter hohem Druok. Er benutzt die Injektion großer
Mengen (bei Ischias 80 bis 100 ccm) indifferenter Flüssigkeiten, z. B. physio¬
logischer Kochsalzlösung, um mechanisch eine Dehnung des Nerven zu erzielen.
Er injiziert unter hohem Druck. Er wendet die Methode seit 5 Jahren an und
hat vorzügliche Erfolge gesehen, von denen er eine Beihe anführt. Versuche am
Kaninchen ergaben, daß außer Aufquellung keine anatomischen Veränderungen an
Nerven gefunden wurden. Weshalb also der Kranke schmerzfrei wird, bleibt
rätselhaft.
Die nun folgende Diskussion über diesen Vortrag und die beiden Beferate,
in der 20 Herren das Wort nahmen, erstreckte sich meist über die therapeutischen
Maßnahmen bei Neuralgien. Bei den akuten Fällen wurden Bettruhe und Salizyl-
präparate besonders warm empfohlen, ferner die verschiedenen Formen der physi¬
kalischen Heilmethoden. Bei den chronischen Fällen wurde auch die Injektions-
tlierapie sehr gerühmt. Eine neue Methode beschreibt noch Herr Alexander
(Berlin). Er injiziert entgegen Lange kleine Mengen, aber differenter
Flüssigkeit, nämlich lOccm Kokain in Form der Schleichschen Lösung Nr. 2,
und zwar hält er sich bei den Einspritzungen an die schmerzhaften Punkte, die
oft nicht im Nervenstamm, Bondern in der ihn umgebenden Muskulatur sich finden.
Der Schmerz sei eben oft bedingt durch reflektorischen Muskelkrampf. Bei den
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schwersten Fällen muß zur Operation geschritten werden. Herr Krause (Berlin)
hat nun 56 mal das Ganglion Gasseri exBtirpiert mit nur 8 Todesfällen. Bei
völliger Exstirpation sei ein Rezidiv unmöglich.
Von der großen Menge der weiteren Vorträge haben noch folgende besonderes
neurologisches Interesse:
Herr Pel (Amsterdam) berichtet über Myasthenia pseudoparalytioa und
Hyperleukoeytose. Er glaubt, daß hochgradige langdauernde Überanstrengung
bei großer seelischer Erregung oft die Ursache der Myasthenie darstellt, indem
der Stoffwechsel der Zelle, wenn er einmal durch Überanstrengung alteriert sei,
diesen ZuBtand unter Umständen beibehalten könne. Das Verhalten der Leuko-
cythen bei solchen Patienten, welche an schlechten Tagen bis zur doppelten Zahl
gegenüber den guten Tagen anstiegen — z. B. 14000 gegen 7000 in 1 omm Blut —,
läßt auf die Anwesenheit von Giften schließen, die zeitweise im Blute kreisen.
Es sprachen ferner:
Herr v. Jaksch (Prag): Über ohronlsohe Manganintoxikation. Von dieser
seltenen Affektion sind im Ganzen nur 9 bis 10 Fälle bekannt. Im Jahre 1901
konnte Vortr. 3 Fälle beobachten, im Jahre 1902 einen weiteren. Die Haupt-
Symptome sind: ZwangBlachen, Zwangsweinen, Retropulsion, psychische Alteration
und gesteigerte Reflexe. Nach Abklingen dieser schweren Erscheinungen stellt
sich ein eigentümlicher Gang ein, der weder spastisch noch paretisch genannt
werden kann. Die Kranken treten mit dem Metatarsophalangealgelenk auf. Es
besteht keine Lähmung. Ein Mal beobachtete Vortr. auch einen Fall von Auto*
Suggestion obiger Symptome infolge Manganophobie. Von den Verbindungen des
Mangan ist das Manganoxydul als Krankheitserreger anzusprechen. Sein Eintritt
in den Körper erfolgt wahrscheinlich durch die Lunge.
Herr Fedor Krause (Berlin): Zur Kenntnis der Rüekenmarksllhmuiigen
(s. d. Centralbl. 1907. S. 383). Vortr. fand in 4 Fällen, bei denen auf Grund
der charakteristischen Symptome die Diagnose eines Rückenmarkstumors gestellt
war, anstatt des Tumors nur an der Stelle des Tumors eine cirkumskripte An*
häufung von Liquor, die infolge einer chronischen Arachnoiditis sich gebildet
und die Lähmungserscheinungen hervorgerufen hatte. Die Ursache der Arach¬
noiditis war im ersten Falle Gicht, im zweiten Lues, im dritten unbekannt, im
vierten Nekrose des Wirbels. Die Lumbalpunktion hatte normale Verhältnisse er¬
geben. Die Punktion am Orte des Druckes könnte auch leicht täuschen, da
oberhalb und unterhalb von Tumoren auch umschriebene Ansammlung von Liquor
vorkommt. Vortr. Bah dies unter 20 Tumorfällen 8 mal.
Herr Sohultze (Bonn) bemerkt hierzu, daß ihm eine Ansammlung von
Liquor bei Rückenmarkstumoren nicht bo oft vorgekommen ist.
Herr Gutzmann (Berlin): Zur Behandlung der Aphasie. Die Regel, daß
die Übungsbehandlung der Aphasie bei älteren Leuten keine günstige Prognose
habe, ist in dieser allgemeinen Fassung nicht richtig. Die Indikation für die
Übungstherapie muß sorgfältig geprüft werden. Außer manchen anderen hängt
die Indikation ab: 1. von dem allgemeinen Zustande des Patienten im
Anschluß an die Attacke. Es müssen sämtliche akute Erscheinungen abgeklungen
sein und ein chronischer Zustand relativen Wohlbehagens bestehen. Dies läßt
sich u. a. auch aus dem längere Zeit anhaltenden unveränderten Gleichbleiben
des sprachlichen Zustandes entnehmen. Vortr. empfiehlt, mit der systematischen
Übungstherapie erst zu beginnen, wenn der sprachliche Zustand mindestens V 4
bis Jahr unverändert geblieben ist. Zu früher Beginn der Übung ist wegen
der schweren Ermüdungs- und Reizzustände gefährlich. 2. Vom Zustande des
Intellektes. Bei größeren intellektuellen Defekten ist es zwecklos, die Übungs*
therapie zu beginnen, die ja von seiten des Patienten einen hoben Grad von
Aufmerksamkeit und Verständnis erfordert. Vortr. macht daher den Beginn der
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Übungstherapie stets von einer möglichst genauen und öfters wiederholten Prüfung
des intellektuellen Zustandes des Patienten abhängig. 3. Von der Affekt¬
labilität des Patienten. Wenn diese direkt abhängig ist von unlustbetonten
Vorstellungen, so handelt ob sich gerade gewöhnlich um reoht intelligente Personen,
bei denen der Gedanke an ihren hilflosen sprachlichen Zustand beständig im
Vordergründe des Bewußtseinsinhaltes steht. Dies ist besonders dann der Fall,
wenn die Erinnerung an den früheren Zustand einen starken Kontrast bildet (bei
Lehrern, Predigern). Stellen sich bei der Übung Schwierigkeiten ein, so hat man
oft große Mühe, die Patienten bei guter Stimmung zu erhalten. Es ist daher
sehr wesentlich, das Fortschreiten in der Übung dementsprechend einzuriohten.
4. Vom Alter. Es ist natürlich, daß selbst schwere Ausfallserscheinungen bei
Kindern und jugendlichen Personen sich überaus häufig spontan ausgleichen und
hier von der Übungstherapie verhältnismäßig leichte Triumphe gefeiert werden.
Man soll sich aber auch bei älteren Personen, wenn nur die Indikationen unter
1 und 2 erfüllt sind, von der systematischen Übung nicht abhalten lassen. Vortr.
erwähnt eine Anzahl von Patienten zwischen 40 und 50 Jahren, die mit gutem
Erfolge behandelt wurden; einen Prediger von 65 Jahren, der nach l 1 ^ Jahre
bestehender Aphasie (es handelte sich vorwiegend um aphatisches Stottern und
Akataphasie) wieder dienstfähig geworden ist und seit mehreren Jahren wieder
seinen Amtshandlungen obliegt; einen 74jährigen Herrn, der nach 4 Jahre lang
unverändert bestehender totaler kortiko- motorischer Aphasie wieder zum Sprechen
einfacher Worte und kleiner Sätze gebracht wurde, so daß er seinen Wünschen
Ausdruok verleihen konnte u. a. m. 5. und 6. Die Dauer des Bestehens der
Aphasie beschränkt die Indikation zur Übungsbehandlung ebensowenig wie der
Grad der aphatischen Störung. Es wurde z. B. eine 10 Jahre lang bestehende,
vollständige kortiko-motorische Aphasie bei einem 40jährigen Offizier, der zahl¬
reiche Behandlungsarten (Bäder, Sohmierkur usw.) ohne Erfolg vorher durchgemacht
hatte, noch gänzlich beseitigt.
Auf die Therapie selbst geht Vortr. nur insoweit ein, als er die systema¬
tischen Schreibübungen mit der linken Hand noch besonders hervorhebt und
darauf hinweist, wie sich die Fähigkeit der rechten Hirnrinde für die Leitung
der koordinierten Sprachbewegungen offenbar parallel der erreichten Geschicklich¬
keit der linken Hand bewege. Er legt dafür mehrere Schreibproben, u. a. eine
eines 40jährigen und die des oben erwähnten 74jährigen Patienten vor. In einem
Fall mußten die Übungen, da rechts komplette Lähmung bestand, links die Hand
aus Holz war (Hand und ein Teil des Unterarmes war in früher Jugend durch
einen Schrotschuß zerstört worden), mit dieser Holzhand gemacht werden: mit dem¬
selben günstigen Erfolg, wie die Vorlage der Schriftprobe erweist. Autoreferat.
Herr Honigmann (Wiesbaden): Über Krlegsneurosen. Neurosen nach
Kriegswunden sind noch selten beschrieben. Sie bieten einen interessanten Ver¬
gleich mit Unfallsneurosen. Vortr. konnte bei 20 im russisch-japanischen Kriege
verwundeten russischen Offizieren Neurosen feststellen. Meist handelt es sich um
hystero-hypochondrische Beschwerden allgemeiner Art, einmal um eine hysterische
Monoplegie des rechten Armes, einmal um Muskelkrämpfe bei Berührung der Haut.
Von den Unfallkranken unterscheiden sich die hier erwähnten durch ihren
Bildungsgang und Lebensstellung, durch die berufliche Ausbildung, die für den
Krieg erzieht, so daß die Verletzung nicht unvermutet kommt und durch den
Wegfall des Kampfes um die Rente. Die Symptome der traumatischen Neurosen
kommen bei beiden in gleicher Weise vor.
Erhöhte Beachtung erweckten die Mitteilungen Veraguths über eine Methode
zum objektiven Nachweis von Hyperästhesien und Anästhesien, die jedoch noch
der Nachprüfung bedarf und für die Einführung in die allgemeine Praxis noch
zu kompliziert erscheint.
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In der Diskussion machte Herr Sticker (Wien) Prioritätsansprüche geltend.
Ich lasse das Autoreferat folgen:
Herr Veraguth (Zürich) referiert über eine Methode sum objektiven
Nachweis von Sensibilitfttsstörungen , welche auf den Tatsachen des psycho-
galvanischen Reflexphänomens beruht. Wenn man eine galvanische Batterie
von niederer, aber konstanter Spannung leitend verbindet mit einem Drehspulen-
Galvanometer mit Nebenschlußwiderstand einerseits und dem menschlichen Körper
in bestimmter Kontaktanordnung andererseits, so zeigt nach Schließung dieser
Kette, und bei Vermeidung von willkürlicher Änderung des Kontaktes das Gal¬
vanometer Schwankungen, die in kausalem Zusammenhang stehen mit Vorgängen
im Körper deB eingeschalteten Menschen. Diese Oscillationen sind durch eine
zwischen Ursache und Wirkung eingeschobeno beträchtliche Latenzperiode aus¬
gezeichnet. Zu den Ursachen, welche eine solche Galvanometerdrehung provo¬
zieren können, gehören u. a. auch sensorielle Reize. Dem auf diese Weise mani¬
fest werdenden Phänomen kommt der Name psycho - galvanischer Reflex zu. Für
weitere Details muß auf die Literatur verwiesen werden. 1 Die Eignung dieses
Phänomens zur objektiven SensibilitätBuntersuchung gründet sich auf die Tat¬
sachen, daß die Galvanometerschwankungen der Willkür der Versuchspersonen
entzogen sind und daß es nicht die Reizung der sensiblen Nervenbahnen tiefer
Ordnung ist, welche die Galvanometerschwankung provoziert, sondern der Affekt-
betrag, der sich in der Psyche der gereizten Versuchsperson an den Reiz heftet.
Die Galvanometerdrehungen werden, durch Spiegel Vorrichtungen meßbar, in
Millimetern einer Skala ausgedrückt. Bei der Anwendung von sensiblen Reizen
sind, unter Beobachtung der nötigen Kautelen klare positive Resultate zu er¬
langen, indem beim Reiz anästhetischer Hautstellen keine oder kleine Galvano¬
meterausschläge, beim Beiz normaler Hautstellen größere und beim Reiz
hyperästhetischer Stellen noch größere resultieren. Dies wird an Tabellen über
Untersuchungen von Fällen von künstlicher lokaler Anästhesie, peripherer Nerven¬
durchtrennung, Plexusdurchtrennung, Syringomyelie, Druckschmerzhaftigkeit nach
Kontusionen, und Druck auf Valleixsche Druckpunkte bei Neuralgie demon¬
striert. Referent schildert auch sein photographisches Verfahren, mittelst dessen
die Galvanometerbewegungen automatisch registriert und zeitlich gemessen werden
können. Auf den Prioritätsanspruch Stickers antwortet Vortr. mit dem
Hinweis auf die Tatsache, daß dieser Autor mit einer elektrologisch grundsätzlich
anderen Methode (keine körperfremde Stromquelle, keine Metallelektroden)
negative Resultate erzielt und die Verwertbarkeit seiner Untersuchungen für die
objektive Registrierung von Sensibilitätsstörungen selbst ausdrücklich ver¬
neint hat.*
1 Veragnth, Das psycho-galvanische Reflexphänomen. Monatsschrift f. Psychiatric
n. Neurologie. XXI.
* Sticker (Wiener klin. Rundschau. 1897): „So hätte ich denn schließlich die Resultat¬
losigkeit meiner Bemühungen um eine praktische Methode zur objektiven Darstellung voo
Sensibilitätsstörungen zu beklagen.“
Sticker (Comptes rendns des Seances du II. Congres international d’electrologie et
de radiologie medicales, Bern 1902): „Genauere Beobachtung ergab, daß zu der peripheren
Anästhesie der zu reizenden Hautstelle zugleich eine krankhafte oder künstlich erzengte
Lähmung der Hautkapillaren hinzukommen muß. damit der Erregungsstrom ausbleibe euer
bedeutend abgeschwächt sei. Dadurch war die praktische Verwertung des Erregungsstromes
zur objektiven Darstellung von peripheren Sensibilitätsstörungen zwar nicht ausgeschlossen,
aber sehr erschwert." Über diese Modifikation des Experimentes berichtet Sticker schon
in der Arbeit in der Wiener klin. Rundschau (s. oben), daß durch Einwirkung von warmem
Wasser, starkem Reiben, erheblicher Abkühlung der Hant sich erreichen lasse, „daß bei
völlig, erhaltener Sensibilität“ das Phänomen ausbleibt.
Über positive Resultate und objektive Sensibilitätsuntersuchungen ist
indes auch in dem Berner Kongreßbericht keine Angabe zn finden.
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Herr Maximilian Sternberg (Wien) demonstriert einen verbesserten
Dynamometer and bespricht die Ergebnisse von damit angestellten Unter¬
suchungen, insbesondere an Hemiplegikern. Nimmt ein gesunder Mensch in jede
Hand ein Dynamometer und drückt darauf, so bleibt die Kraftleistung die gleiche,
ob er nun abwechselnd oder gleichzeitig mit beiden Händen maximal drückt.
Anders ist es beim Hemiplegiker. Hier besteht meist ein deutlicher Effekt der
gleichzeitigen Arbeit der beiden Hirnhemisphären (Simultaneffekt) und zwar wird
entweder die Kraft der gelähmten Hand bei gleichzeitigem Druck noch weiter
geschwächt oder sie ist gesteigert. Das erstere ist etwas häufiger. Auch wechselndes
Verhalten kommt vor. Die bisher allgemein angenommene Angabe von Pitres
ist nicht ganz richtig; mit ihr fallen auch einige Theorien, die sich darauf stützen.
Autoreferat.
Herr Ratner (Wiesbaden) macht kurze Mitteilungen über Untersuchungen
sur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans. Er färbte nach
Weigert-Pal, ferner mit Nigrosin und Nissl-Toluidin und fand Veränderungen
an den Ganglienzellen und den Blutgefäßen des Rückenmarkes sowie der Neuroglia
der weißen Substanz. Im Gehirn waren alteriert namentlich die tangentialen
Fasern und die Ganglienzellen der Rinde; letztere aber in geringerem Grade als
im Rückenmark. Vortr. verweist bezüglich genauerer Angaben auf die spätere
Veröffentlichung.
Herr Huismans (Köln) demonstriert die Präparate eines Falles von familiärer
amaurotischer Idiotie. Anatomisch eine Sinusthrombose und chronische Pachy-
und Leptomeningitis mit ihren Folgen, klinisch das typisehe Bild der Tay-Sachs-
schen Krankheit, bildet er den Übergang zwischen der letztgenannten und den
cerebralen Diplegien und beweist, daß es nicht angängig ist, die Tay-Saohssche
Idiotie für ein besonders charakteristisches Krankheitsbild zu halten. (Der Vor¬
trag erscheint ausführlich in den Verhandlungen des Kongresses.) Autoreferat.
Herr Kohnstamm (Königstein) lobt die Behandlung der Verstopfung
mit fleischloser Ernährung. Ersatz des Fleisches durch Milch und Butter
brachte regelmäßig nach wenigen Tagen klinischer Behandlung Heilung. Die
Methode bewährte sich auch bei spastischen Obstipationen, bei Achylia gastrica,
und Hyperazidität, die mit Verstopfung einhergeht, sowie bei Verstopfung nach
Laparotomie. Ohne Zweifel spielt der Fleischgenuß unter den Ursachen der Ver¬
stopfung eine hervorragende Rolle.
Sooidte de neurologie de Paris.
Sitzung vom 10. Januar 1907.
Herr No'ica und Herr Marbe (Bukarest): Über Dissoziation der Sehnen-
und Hautreflexe bei den spastischen organischen Hemiplegien. Die Vortr.
haben 22 Hemiplegiker untersucht, darunter 6 Kinder, 1 Fall von Diplegie und
2 Fälle von Hemiplegie nach Hemikraniektomie bei Epileptischen. Die übrigen
Fälle variierten im Alter von 31 bis 65 Jahren. Im allgemeinen fanden sie bei
allen Hemiplegikern eine Dissoziation zwischen den Haut- und Sehnenreflexen.
Die Hautreflexe sind meistens abgeschwächt auf der gelähmten Seite. Oft findet
man aber bei demselben Kranken einige Hautreflexe ganz aufgehoben, die anderen
gut konserviert und wieder andere nur abgeschwächt. Dagegen sind die Sehnen¬
reflexe auf der gelähmten Seite immer erhöht. Es besteht immer das Babinski-
Zeichen und Behr oft Fußklonus. Auf der nicht gelähmten Seite sind die Haut-
und Sehnenreflexe meistens normal. Nicht selten aber sind selbst auf dieser
Seite die Sehnenreflexe erhöht und das Babinski-Zeichen vorhanden. Je frischer
die Erkrankung war, um so mehr war die Dissoziation der Reflexe ausgesprochen.
So in einem Fall ergab die Untersuchung 14 Tage nach dem Ictus gesteigerte
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Sehnenreflexe und aufgehobene Hautreflexe. 35 Tage später waren schwache
Hautreflexe wieder vorhanden. Dasselbe wurde hei einem zweiten Kranken kon¬
statiert: 1 Monat nach dem Begiun der Krankheit Sehnenreflexe gesteigert, Haut¬
reflexe geschwunden. 5 Monate später schwache Hautreflexe vorhanden. Bei
den erwachsenen Kranken (zwischen 31 und 65 Jahren) bleiben die wiederauf¬
tretenden Hautreflexe immer schwächer als auf der nicht gelähmten Seite. Da¬
gegen sind die Hautreflexe bei Kindern nach einer gewissen Dauer der Krankheit
immer sehr gesteigert auf der gelähmten Seite. Die Resultate der Vortr. sind
in Übereinstimmung mit Dejerines Ausführungen, die dahin lauten, daß bei
organischen Hemiplegien die Hautreflexe, obwohl sie schwach bleiben, doch eine
Tendenz zur Erhöhung zeigen, wenn auch eine schwächere als die Sehnenreflexe.
Dagegen widerlegen die Resultate der Vortr. die Behauptungen von Crocq,
nach welchen die Hautreflexe mit der Zeit eine Tendenz zur Abschwächung zeigen.
R. Hirschberg (Paris).
IV. LandeskongreB der ungarlsohen Irrenärzte in Budapest
am 29. und 30. Oktober 1906.
(Fortsetzung.)
Herr Emil Moravcsik bespricht einige motorische Eigentümlichkeiten
der Geisteskranken und betont, daß die moderne psychiatrische Auffassung ihre
Grundzüge der klinischen Forschung verdankt, welche in neuerer Zeit mächtig
unterstützt wird durch psychophysiologische und psychophysische Studien. Eine
detaillierte und eingehende Analyse der klinischen Erscheinungen ist demnach
von besonderer Wichtigkeit, weil die nicht — wie manche meinen — zu einer
Verflachung der Krankheitsformen, sondern gerade zu ihrer genauen Bestimmung,
zu feineren Abgrenzungen und zur Erkenntnis prognostisch wichtiger Erscheinungen
führen wird. Im weiteren Verlaufe skizziert Vortr. die einzelnen pathologischen
Typen der motorischen Erscheinungen und befaßt sich eingehend mit den Ab¬
normitäten der Handlungen Geisteskranker. Insbesondere hebt er hervor, daß die
reine katatonische Form der Dementia praecox viele Varianten aufweist. An
photographischen Aufnahmen beweist Vortr., daß die katatonischen Erscheinungen
bei vielen Krankheitsformen Vorkommen können, immerhin aber besitzen dieselben
einen eigenartigen speziellen Zug, welcher die reine katatonische Form charakte¬
risiert. Hierher gehört u. a. die spontane oder auf äußere Reizeinwirkungen er¬
folgende Erstarrung des Gesichtes oder des ganzen Körpers (Schüles Kristalli¬
sierung) und vergleicht diese Erscheinung, „als ob Jemand das Gesicht mit Wasser
begießen würde und dasselbe sukzessive über den ganzen Körper gefrieren würde“.
Der bis dahin in lebhafter Konversation oder Bewegung befindliche Kranke bleibt
plötzlich stehen, sein Gesicht wird statuenhaft, seine Augen bleiben weit geöffnet,
die Glieder scheinen zu erstarren, doch ist diese Starrheit kataleptisch, mit einer
Flexibilitas cerea der Muskulatur. Die Extremitäten behalten ihre angenommene
oder gegebene Position, und zwar bedeutend länger, als dies unter physiologischen
Umständen möglich wäre (ein Kranker des Vortr. z. B. hielt den Arm während
30 Minuten in wagerechter Lage ausgestreckt). Charakteristisch ist ferner eine
gewisse Tendenz, die Bewegungen und Handlungen nicht gleichmäßig, sondern in
einzelnen motorischen Phasen durchzuführen (Ergoschisis), ferner eine plötz¬
liche Unterbrechung, bzw. Sistierung einer bereits begonnenen Hand¬
lung (Ergodialeipsis), welche sich aber von der Parapraxie unterscheidet. Schlie߬
lich bezeichnet es Vortr. noch als bezeichnend, daß während des ganzen Krank-
heitsVerlaufes bis zur vollkommenen Verblödung ein gewisser künstlerischer
Zug in den angenommenen Posen (Plazierung der Extremitäten und ihrer Teile)
nachweisbar ist, was bei anderen Verblödungsproeessen nicht der Fall ist. Vortr.
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konnte auch eigenartige vasomotorische Störungen beobachten. Nach täglich vor¬
genommener genauer Bestimmung der Temperatur- und Pulskurven bei verschiedenen
Geisteskranken, konnte Vortr. feststellen, daß bei den katatonischen Formen der
Dementia praecox Puls und Temperatur lebhafte Tagesschwankungen aufweisen,
daß aber Pulszahl und Temperatur nicht immer in richtigem Verhältnisse stehen.
Sodann skizziert Vortr. die motorischen Erscheinungen bei verschiedenen Krank¬
heitsformen, welche in Verblödung übergehen, und betont, daß vorgeschrittene
Paralytiker häufig im Bette liegend den Kopf vom Kissen erhoben halten und
denselben Stunden, oft Tage hindurch vorstrecken, was unter physiologischen
Umständen unmöglich ist. Bei derartigen Kranken hat Vortr. beobachtet (und
an photographischen Aufnahmen demonstriert), daß die Mm. sternocleidomastoidei
in kontrahiertem Zustande erstarrt und einzelne gerade Bauchmuskeln bretthart
angespannt waren. Seine Beobachtungen haben den Vortr. zu der Überzeugung
geführt, daß das eigenartige Auftreten gewisser motorischer Erscheinungen, ihre
Gruppierung, ihr Verhältnis zur geistigen, namentlich aber zur gemütlichen Sphäre
und zum Grade der Verblödung von prognostischer Bedeutung sein können; ferner
konnte er nachweisen, daß motorische Erscheinungen, welche in verschiedenen
Stadien der geistigen Entwickelung stets vollkommener werden, bei fortschreitender
Verblödung eine Zurückbildung zu den primitiven motorischen Akten des Kindes¬
lebens aufweisen (reflektorische und anatomische Bewegungen).
Herr Karl Schaffer: Uber die physiologisohe und forensische Be¬
deutung der Affekte. Ausgehend von . seinem über dasselbe Thema im Vorjahre
gehaltenen Vortrage (vgl. d. Centralbl. 1906. S. 335), kommt Vortr. zu folgenden
Konklusionen: 1. Bei einer bestehenden Disposition des centralen Nervensystems
beeinflussen die Affekte durch Vermittelung des vasomotorischen Systems die Hirn¬
rinde, indem sie die Tätigkeit derselben entweder durch die momentane Hyper¬
ämie oder durch eine vasomotorisch bedingte Anämie vorübergehend abnorm ab¬
ändern. 2. Da der Affekt ein solcher Übergangszustand der grauen kortikalen
Substanz ist, welche eine eigene ärztliche Beurteilung erheischt, müssen die
in solchen Zuständen begangenen Verbrechen stets einer sachverständigen Begut¬
achtung unterworfen werden.
Diskussion: Herr Salgö und Herr Schaffer.
Herr Rudolf Fabinyi schildert die in Diosöszentmarton neu eingeführte
familiale Irrenpflege, welche der erate derartige Versuch in Ungarn ist und
sich in ihren Hauptzügen an die ausländischen Muster anlehnt. Als wichtigstes
Moment wird die Auswahl einer dem Zustande der Kranken angemessene Pfleger¬
familie erwähnt. Für jeden einzelnen Kranken erhält die Familie 1 Krone pro
Tag, die weiteren Spesen eines Kranken belaufen sich auf täglich 15 Heller;
durchschnittlich werden zwei, ausnahmsweise drei Kranke bei einer Familie unter¬
gebracht. Als Centrale dient die Irrenabteilung des dortigen Komitatskranken-
hauses. Der derzeitige Krankenstand beträgt 156, welche in D. nnd in acht
umliegenden Ortschaften untergebracht sind. Die Vorteile der familialen Irren-
pflege zeigen sich nach drei Richtungen: 1. Die Kranken werden sozialer, be¬
wegen sich freier, nehmen an Körpergewicht zu; Fluchtversuche kamen insgesamt
3 mal vor; die Zahl körperlicher Krankheiten ist nicht größer als in geschlossenen
Anstalten. Die Mehrzahl der Kranken leidet an sekundärer Demenz (60 °/ 0 ). Je
13 °/ 0 bilden Paranoiker und Idioten (und Imbezille). Paralytiker und Epileptiker
können ebenfalls gut gepflegt werden; am wenigsten geeignet sind unreine Kranke
und Paranoiker. ! / 4 der Kranken sind gute Arbeiter, ebenso viele schlechte; die
Hälfte besteht aus mittelmäßigen Arbeitskräften; die Arbeitsleistung eines Kranken
entspricht */ 3 normaler Arbeitskraft. 2. Die familiale Irrenpfiege hebt den mate¬
riellen Wohlstand der Pfiegerfamilien, welche zumeist aus Landwirten besteht;
durch die Pflege der Kranken wird auch der hygienische Sinn der Bevölkerung
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gehoben. Die anfängliche Abneigung der Bevölkerung gegenüber den Geistes¬
kranken ist bereits im Schwinden begriffen. 3. Schließlich ist die familiale Pflege
auch für den Staat vorteilhaft, da ein Kranker pro Tag nur 1 Krone 15 Heller
kostet, in geschlossenen Anstalten aber um 45 Heller höher zu stehen kommt.
Vortr. proponiert die weitere Ausbildung der familialen Irrenpflege, welche zur
Regelung des ungarischen Irrenwesens viel beitragen würde.
HI. Sitzung, 30. Oktober 1906, Nachm.
Herr Eugen Konräd erstattet sein Referat über die zur Unterbringung
der Geisteskranken in Ungarn nötigen Maßnahmen. . Eine endgültige Rege¬
lung kann nur im Rahmen eines einheitlichen Planes durchgeführt werden, wozu
sich das territoriale System am besten eignet. Das ganze Land muß in
Geisteskrankenbezirke eingeteilt und die Krankenaufnahme in diese Bezirke de-
centralisiert werden. Jeder Bezirk muß in seinem Centrum ein bis zwei größere
Anstalten besitzen. Dadurch wird das Zuströmen der Kranken nach den haupt¬
städtischen Anstalten vermieden und die Aufnahme rascher und leichter durch¬
geführt, wobei auch die Kranken ihren Angehörigen leichter zugänglich bleiben.
Nach den Ergebnissen der Volkszählung im Jahre 1900 gibt es in Ungarn
16000 Geisteskranke, ohne Hinzurechnung der Idioten. Davon befinden sich der¬
zeit in Anstaltspflege 6000 und es ergibt sich (für die Anstaltsbedürftigen) noch
die Notwendigkeit 4000 neuer AnBtaltsplätze. Vortr. proponiert nun, das ganze
Land (abgesehen von der Hauptstadt) in 10 Geisteskrankenbezirke einzuteilen,
für welche insgesamt Anstalten mit 4000 Betten zu errichten wären; dadurch
würden die bestehenden BudapeBter Anstalten von den nicht hierher zuständigen
Kranken befreit werden und hier keine neuen Anstalten nötig sein. Nach diesem
Systeme könnten 7 bis 8000 Kranke untergebracbt werden; für die restlichen
7 bis 8000 Kranken könnte man durch den weiteren Ausbau der familialen
Irrenpflege genügend sorgen. Bei den Kranken, welche zur familialen Pflege ge¬
eignet sind, unterscheidet Vortr. zwei Kategorien; zur einen gehören jene Geistes¬
kranke, bei welchen die familiale Pflege eine spezielle Behandlungsart bedeutet;
für diese hat der Staat zu sorgen; zur zweiten Kategorie gehören jene, welche
im Sinne deB Gesetzes XIV. 1876 zur häuslichen Pflege geeignet sind (Verblödete,
Idioten usw.). Für die erste Kategorie müßte man versuchen, anschließend an
sämtliche bestehenden Anstalten die familiale Irrenpflege eventuell nach dem Alt-
schen System durchzuführen; auch die Irrenabteilungen der Komitatskrankenhäuser
könnten gut als Centralen verwendet werden, wie dies die Erfolge in Dicsöszent-
märton beweisen. Für die zweite Kategorie hat im Sinne des Gesetzes der Staat
nicht zu sorgen; die Fürsorge derartiger armer Geisteskranker kann nur durch
philanthropische Unterstützung der Gesellschaft ermöglicht werden. Die Durch¬
führung der erwähnten Institutionen und die Bildung des Irrengesetzes würden
zur endgültigen Regelung des ungarischen Irrenwesens führen.
Herr Ladislaus Epstein: Referat über die Aufnahmebedingungen in
Irrenanstalten. Bezüglich der Aufnahme in Irrenanstalten gehen die juristischen
und ärztlichen Gesichtspunkte nicht parallel einher, denn während der letztere
eine möglichste Vereinfachung der Aufnahme als wünschenswert erscheinen läßt,
ist der erstere gegenteiligerweise dahin gerichtet, die Aufnahme mit je mehr
Kautelen zu umgeben und jedweden Mißbrauch unmöglich zu machen. Doch kann
man beiden Gesichtspunkten gerecht werden, wenn man, wie es § 15 des Ent¬
wurfes über das Inslebentreten der bürgerlichen Prozeßordnung vorsieht, in dem
Vorgänge der Internierung zwischen Eintritt bzw. Einbringung und Aufnahme
des Kranken unterscheidet nnd das die persönliche Freiheit des Kranken sichernde
Verfahren mit dem letzteren Akte verbindet, der im Falle der Effektuierung mit
der Zurückbehaltung des Kranken gleichbedeutend ist. In dem Verhältnisse aber,
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als das letztere Verfahren verschärft wird, kann der bloße Eintritt in die Anstalt
erleichtert werden, denn die Möglichkeit einer widerrechtlichen Freiheitsberaubung
wird durch jenes beinahe ausgeschlossen. Dies vorausschickend tritt Vortr. zu¬
nächst für die Gestattung des freiwilligen Eintrittes ein, was sowohl im Interesse
der Patienten, wie auch in jenem der Anstalten gelegen ist, weil diese dadurch
im Volksbewußtsein eher den Charakter eines Krankenhauses erlangen würden.
Vortr. erörtert sodann, auf wessen Veranlassung die Unterbringung eines Kranken
auch gegen seinen Willen erfolgen könnte; hierbei kotnmen Angehörige und Be¬
hörden in Betracht. Als Basis hierzu dient ein ärztliches Zeugnis, doch sollte
nicht gefordert werden, daß dasselbe von einem behördlichen Arzte ausgestellt
werde; in dringenden Fällen, und vorausgesetzt, daß selbst der Laie die Geistes¬
störung sofort erkennen könnte, sollte man vom ärztlichen Zeugnisse absehen
dürfen. Als Gültigkeitsdauer des Zeugnisses wären 14 Tuge festzusetzen. Alle
weiteren notwendigen Dokumente sollten auch nachträglich beigebracht werden
dürfen, wie auch die Frage der Zahlungsfähigkeit selbst bei privat eingebrachten
Kranken kein Aufnahmehindernis bilden sollte. Die Frage betreffend, in welchem
Falle die Übernahme (provisorische Aufnahme) des Kranken seitens der Anstalt
erfolgen muß, meint Vortr., daß dies nur in dem Falle zu fordern wäre, wenn
der Kranke durch eine zuständige Behörde eingeliefert wird. Vortr. bespricht
dann die Fälle von Wiederaufnahme entlassener, entwichener und aus anderen
Anstalten transferierter Kranker, und schildert weiterhin jenes Verfahren, welches
der endgültigen Aufnahme vorauszugehen hätte. Dieses bestände laut dem zitierten
Paragraph darin, daß ein königlicher Bezirksrichter unmittelbar nach der Ein¬
bringung in der Anstalt erscheint, den Kranken durch einen Sachverständigen,
als welcher auch ein Anstoltsarzt herangezogen werden kann, untersuchen läßt,
und daraufhin bezügliche Aufnahme, i. e. Zurückhaltung seine Entscheidung trifft.
Vortr. möchte hierzu noch die Modifikation empfehlen, daß als Sachverständiger
nicht irgend ein Arzt der Anstalt, sondern nur der Direktor bzw. dessen Ver¬
treter verwendet werden könnte, und daß die Untersuchung nicht unmittelbar
nach der Einberufung, sondern erst nach Verlauf zumindest einiger Tage stattfinde.
Herr Ignatz Mandel: Über die Organisation und Entwiokelung der
Krankenhftuser-Irrenabteilungen. In erster Reihe wäre zu bemängeln, daß
diese Abteilangen noch kein besonderes Statut haben. Während im Auslande
man bereits vor 100 Jahren die Unmöglichkeit derartiger „Adnex-Irrenabteilungen“
erkannt hat, werden dieselben in Ungarn leider noch immer errichtet, weil sie
die mangelnden Abteilungen teilweise und provisorisch ersetzen können. Ein
großer Nachteil derselben besteht darin, daß sie nicht immer von Fachmännern
geleitet und überdies zumeist überfüllt sind; Grund der letzteren Erscheinung ist
darin zu suchen, daß die Krankenhäuser aus materiellem Interesse die Zahl der
VerpflegBtage möchlichst erhöhen wollen. Aus diesem Grunde beträgt die Morta¬
lität bis zu 30 °/ 0 . In den meisten Abteilungen herrscht ein ständiger Mangel
an Pflegerpersonal. Die Besoldung der Ärzte ist zumeist ganz ungenügend. Der
Wirkungskreis des Leiters ist so gering, daß derselbe oft nicht einmal die kleinste
Disziplinarstrafe über das Personal verhängen oder Kranke selbständig entlassen
kann. Diesen Übelständen könnte nur durch die Verstaatlichung gänzlich ab¬
geholfen werden, dooh ist eine solche in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die
bestehenden Abteilungen könnten bloß dann gehoben werden, wenn dieselben
selbständig gemacht werden würden, was freilich wieder bedeutende Investitionen
erfordert. Auch eine Abänderung der bestehenden Aufnahmsmodalitäten wäre
sehr erwünscht. Der Wirkungskreis des Leiters muß erweitert werden, nament¬
lich darin, daß demselben dos Entlassungsrecht, ebenso die Disziplinargewalt über
das Wartepersonal zukomme. Ebenso sollte die Besoldung der leitenden Ärzte
erhöht werden, und zwar bei Abteilungen bis zu 200 Betten 2600 bis 3200 Kronen,
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bei größeren Abteilangen 3600 bis 4400 Kronen; für die Sekundärärzte 1600 bis
2000 Kronen. Die Besoldung der Wärter müßte ebenfalls erhöht werden (Ober*
Wärter monatlich 60, Abteilungswärter 40 Kronen); durch Pensionsberechtigung,
Unfallversicherung, Prämien könnte das Wartepersonal angeBpornt werden. An*
schließend an die Irrenabteilungen sollten Nervenabteilungen und bis zur Regelung
des Armenwesens auch Asyle errichtet werden: sämtliche Abteilungen sollen das
Recht haben, die familiale Irrenpflege einführen zu können.
Gemeinsame Diskussion Über die Vorträge der Herren Konräd,
Epstein und Mandel.
Herr Heinrich Szigeti akzeptiert die Vorschläge KonrädB, möchte aber
bei der territorialen Einteilung die Verkehrs* und sprachlichen Verhältnisse der
Bevölkerung besser berücksichtigt sehen. In Übereinstimmung mit Epstein
wünscht er auch, daß zur Aufnahme nicht das Zeugnis eines behördlichen Arztes
erfordert werde; um aber Mißbräuchen vorzubeugen, soll das ZeugniB eines anderen
Arztes behördlich signiert sein. Schließlich beantragt Sz., daß in dem eingereichten
Gesetzentwürfe über die obligatorische Unfallversicherung auch die Arzte der
Irrenanstalten berücksichtigt werden, und daß der Kongreß ein diesbezügliches
Ansuchen an die Regierung richten möge.
Herr Sigmund Telegdy spricht sich für die Erweiterung und Ausbau der
sogen. „Adnexanstalten“ aus und hält es für wünschenswert, daß dieselben auch
weiterhin mit den Krankenhäusern vereinigt bleiben, denn die Selbständigkeit
derselben würde den Ärztemangel noch steigern.
Herr Stefan Wosinski schließt sich den Aufnahmsvorschlägen Epsteins an.
Herr Gedeon v. Raisz ist in vielem in Übereinstimmung mit Mandel und
betont, daß manche der gehörten Wünsche als Ziel dem Ministerium vorschweben,
aber die Möglichkeit der Verwirklichung deckt sich nicht immer mit den idealen
Zielen. Es ist unleugbar, daß die Irrenabteilangen der Krankenhäuser im Anfänge
gar vieles zu wünschen ließen und auch heute noch nicht ihrem eigentlichen
Zwecke, d. h. Behandlung der Geisteskranken, ganz entsprechen, immerhin aber
sind nach dieser Richtung bedeutende Fortschritte zu verzeichnen und namentlich
die neu errichteten Abteilungen sind mustergültig; so sind diejenigen in Nagy-
värad und Märraaros-Sziget eigentlich vollkommen moderne Geisteskrankenkolonien.
Eine Hauptbeschwerde Mandels, die mangelnde Selbständigkeit der Leiter, kann
eher durch kollegialen Takt, als durch Ministerialverordnungen erledigt werden.
R. betont zum Schlüsse neuerlich, daß die Regierung die Adnexanstalten bloß
als provisorisches Aushilfsmittel betrachtet und bestrebt ist, allen Anforderungen
einer modernen Irrenpflege gerecht zu werden. Der Wunsch Mandels, daß die
genannten Abteilungen einer centralen Leitung unterstellt werden, dürfte in aller*
nächster Zeit in Erfüllung gehen.
(8chluß folgt.)
IV. Vermischtes.
Am 4. Mai d. J., nachmittags 2 Uhr, findet in Hannover die 42. Versammlung
der Irrenärzte Niedersachsens und Westfalens statt. Folgende Vorträge sind ao-
gemeldet: 1. Bruns (Hannover): Beiträge znr Hirn* und R&ckenmarkschirnrgie. — 2. Cramer
(Göttingen): Über Hirncysticercns. — 3. Grimme (Göttingen): Prophylaxe von Hansepidemien
in der Anstalt. — 4. Tintemann (Göttingen): QneralatoriBche Psychose im Zusammenhang
mit der Invalidenversicherung. — 5. Bolte-Ellen (Bremen): Assoziationsversuche als dia¬
gnostisches Hilfsmittel.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
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Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel.
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Vzrr & Coiu>. in Leipzig. — Druck von Mktzokb & Wittio in Leipzig.
Original frorn
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Gck igle
Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
iq Berlin.
Sechsandzwanzigster
Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. ~ 16. Mai NrTlÖ.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Das Kausal Verhältnis zwischen Syphilis und pro¬
gressivem Nervenschwund, von Dr. Max LoewentHal in Liverpool. 2. Über Myasthenia
gravis, von Prof. Dr. Allessandro Borgherini in Padua.
II. Referate. Physiologie. 1. Über den Einfluß der Beizung des kortikalen Darm-
centrums auf den Dünndarm und Sphincter ileocoecalis des Hundes, von v. Pfungen. 2. Über
den Einfluß der peripheren Nerven auf die Wärmeregulierung durch die Hautgefäße, von
Zwonitzky. — Pathologische Anatomie. 3. Zur Kenntnis der primären Epithelgeschwtilste
der AdergeHechte des Gehirns, von Bielschowsky und Unger. 4. Das Rankenneurom, von
Strauss. 5. Contributo allo studio delle fini alterazioni della fibra nervosa nella neunte
parenchimatosa degenerativa sperimentale, per Medea. — Pathologie des Nerven*
Systems. 6. Nevrite ascendante et rhumatisme chronique, par Lejonne et Chartiar. 7. Epi¬
demie multiple neuritis of obscure origin, by Bllss. 8. Neuritis multiplex post pertussim,
von Souöek. 9. Un cas de paralysie dipht^rique, par Raymond. 10. Deux cas de paralysie
diphterique, action du sörum de Roux, par Quinon et Pater. 11. Über urämische Neuritis,
von Dünger. 12. Über kortikale Herderscheinungen in der amnestischen Phase polyneuri-
tischer Psychosen, von Kutner. 13. La psychose polynövritique et le beri-beri, par Rodriguez.
14. I fenomeni nevritici negli alienati e i fenomeni psicopatici nelle nevriti, per Medea.
15. Pruritus als Initialerscheinung des Herpes zoster, von Bettmann. 13. Notizen zur
Symptomatologie der Beri-Beri, von Miura. 17. Sur la pathogenie du tremblement mercuriel,
par Guillain et Laroche. 18. Troubles oculoinoteurs par intoxication rachi-labyrinthique, par
Bonnfier. 19. Akute aufsteigende (Landry sehe) Paralyse nach Typhus abdominalis mit Aus¬
gang in Heilung, von Schütze. 20. Landry’s paralysis, by Macnamara and Bernstein. 2t. Ein
geheilter Fall Landry scher Paralyse, von Fisch. 22. Über senile Atrophie der Augenmuskeln,
von Thiele und Grawitz. 23. Organische peripherische und hysterische Facialislähmung, von
Ziehen. 24. Die otitischen Facialisparesen, von Neumann. 25. Einseitiges, nur beim Essen
auftretendes Tränenfließen nach Facialislähmung, von Engelen. 26. Un cas de paralysie
faciale obstrtticale spontanee, par Bircel. 27. Hömispasme facial p^riphörique post-para-
lytique, par Cruchet. 28. Ein Fall von Diplegia facialis, von Panski. 29. Die periphere
Facialislähmung und ihre Behandlung, von Fuchs. 30. Facial palsy and its treatment, by
Sfowart. 31. Uber Nervenpfropfung bei peripherischer Facialislähmung vorwiegend vom
neurologischen Standpunkte, von Bernhardt. 32. Über die Rekurrenspar&lvse, von Guttmann.
33. Über die Rekurrenslähmung bei Vitium cordis, von Gantz. 34. Zur Kasuistik der
neuritischen Plexuslähmung (Plexus brachialis), von Grober. 35. Paralysie radiculaire du
S lexus brachial au cours d'une lymphadenie, von Raymond. 36. Sur un cas de paralysie
es bequilles, par Soca. 37. Mitbeteiligung des Phrenicus bei Duchenne-Erb scher Lähmung,
von Moritz. 88. Über Störungen im Gebiet des N. medianus, von Wandel. 39. Über einen
Fall von Medianusverletzung mit seltenen trophischen Störungen, von Hirsch. 40. Aclinical
lecture on a case of secondary suture of the great sciatio nerve, by Sherren. 41. Über die
Behandlung der Schußverletzungen peripherer Nerven durch Nervenlösung mit nachfolgen¬
der Tubulisation und Verlagerung der Nerven zwischen gesunde Muskelschichten, von
Hashimoto und Tokuoka. 42. Die Kondensatormethode, ihre klinische Verwertbarkeit und
ihre theoretischen Grundlagen unter Berücksichtigung der neuesten Erregungsgeßetze, von
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Drigiral frem
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Zanietowski. 43 Die anodische Übererregbarkeit der Säuglinge, von v.Pirquat.— Psychiatrie.
44. Die Entwicklung des psychiatrischen Unterrichtes in Greifswald, von Schultze. —
Forensische Psychiatrie. 45. Psychiatrische Untersuchung eines Falles von Mord
und Selbstmord mit Studien über Familiengeschichte und Erblichkeit, von Sommer.
III. Aus den Gesellschaften. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Psychiatrie
in Frankfurt a/M. und Gießen vom 26.—28. April 1907. — Verein für Psychiatrie und
Neurologie in Wien. — Psychiatrisch-neurologische Sektion des Budapester königi. Ärzte¬
vereins. — IV. Landeskongreß der ungarischen Irrenärzte in Budapest am 29. und 30. Ok¬
tober 1906. (Schluß.)
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. Januar bis 28. Februar 1907.
V. Mitteilung an den Herausgeber.
I. Originalmitteilungen.
1. Das Kauaal Verhältnis
zwischen Syphilis und progressivem Nervenschwund.
Von Dr. Max Loewenthal iu Liverpool.
Wenn ein symmetrisch gebautes Organ wie das Nervensystem von einem
Leiden befallen wird, welches pathologisch-anatomisch betrachtet von Anfang bis
zu Ende gleichfalls völlig oder nahezu symmetrisch bleibt, so darf man, wie
Gowebs betont, mit großer Sicherheit behaupten, daß ein lösliches und im Blute
kursierendes Gift die Ursache dieses Leidens ist. Solche symmetrische Anord¬
nung der nervösen Störungen findet man z. B. bei jeder Intoxikationsneuritis,
sei dieselbe nun durch Alkohol, Arsen, Blei oder andere Gifte hervorgerufen.
Welche Teile des Nervensystems von dem toxischen Agens besonders in Mit¬
leidenschaft gezogen werden, das hängt einerseits von der Natnr des Giftes,
andererseits von der Individualität des Patienten ab. Warum Blei eine besondere
Affinität für die chemische Substanz des Radialnerven besitzt, warum Alkohol¬
mißbrauch in den meisten Patienten die unteren, in anderen ausnahmsweise die
oberen Extremitäten zuerst an Neuritis erkranken läßt und in noch anderen
hallucinatorische oder Verwirrungszustände hervorruft, ist nicht bekannt. Das
aber ist allen diesen Erkrankungen gemeinsam, daß sie anatomisch und funktionell
eine symmetrische Anordnung aufweisen. Nervenleiden, welche nach akuten
Infektionskrankheiten aultreten, gehorchen demselben Gesetz. Sie bleiben sym¬
metrisch, wenn sie durch ein gelöstes Toxin verursacht werden. Wenn dagegen
eine einseitige Herderkrankung im Gefolge einer Infektion sich einstellt, so ist
es fast sicher, daß dieselbe nicht auf ein in Lösung befindliches Gift, sondern
auf Mikroorganismen, auf eine einfache oder septische Embolie oder dergleichen
zurückzuführen ist. Die am eingehendsten studierte Krankheit jener Art ist die
diphtheritische Lähmung. Sie bleibt in ihrem gauzen Verlaufe mit seltenen
Ausnahmen symmetrisch, und es ist daher anzunehmen, daß das in der Blut¬
flüssigkeit gelöste und durch den ursprünglichen Krankheitsprozeß bereitete Gift
die Ursache dieser Lähmung ist. Würde die Erkrankung eines Nerven durch
die Einwanderung des spezifischen Krankheitserregers verursaoht, wie es z. B.
bei der Lepra der Fall ist, so ist nicht einzusehen, weshalb der entsprechende
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Original frurn
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Nerv auf der anderen Seite ebenfalls mit so großer Regelmäßigkeit befallen
werden sollte. Bei der Lepra ist dies jedenfalls nicht der Fall.
Dies sind bekannte und größtenteils anerkannte Tatsachen. Die Substanz
uud die Zersetzungsprodukte des LöFFLER’schen Bacillus sind äußerst giftig, und
die Injektion einer minimalen Menge dieses Toxins tötet kleine Tiere in wenigen
Stunden. Daher glaubt man berechtigt zu sein, die diphtheritische Lähmung
auf dieses Toxin oder wenigstens auf die sekundär durch Fermentwirkung aus
dem Körpereiweiß abgespaltenen Zersetzungsprodukte zurückzuführen. Würde
das Toxin sets von neuem ohne Aufhören produziert, so wäre die diphtheritische
'Lähmung eine progressive Erkrankung und würde in der Mehrzahl der Fälle
zom Tode führen. Nach dem Aufhören des Krankheitsprozesses wird jedoch das
gebildete Toxin langsam ausgeschieden, und eine Restitution der erkrankten
Nerven zur Norm ist die Regel. Nun gibt es aber Fälle, in welchen diese Auf¬
fassung auf Schwierigkeiten stößt. Ich hatte vor einigen Jahren einen er¬
wachsenen männlichen Patienten, der angab, Ende November an Diphtherie
erkrankt zu sein und nach etwa einer Woche geheilt das Bett verlassen zu haben.
Gegen die Mitte des folgenden Monats stellten sich Accomodationslähmung und
Schwäche, sowie Paraesthesien in den Beinen ein, gefolgt von Atrophie der
Muskeln der Unterschenkel. Diese Symptome bildeten sich langsam zurück und
der Kranke war als fast genesen zu betrachten, als sich im Anfang des
Monats März, also drei Monate nach der Infektion, sensorische und motorische
Störungen mit deutlicher Entartungsreaktion in den Armen entwickelten. Wie
läßt sich eine solche Beobachtung — und solche oder ähnliche sind jedenfalls
von den meisten Neurologen gemacht worden — mit der obigen Theorie ver¬
einigen? Man müßte sich zu der Annahme entschließen, daß entweder der
Bacillus selbst oder seine Toxine sich Monate lang im Körper erhalten können.
Eine Infektion von der Mundhöhle aus war in diesem Falle ausgeschlossen, denn
ich verordne in allen derartigen Fällen behufs Tilgung etwa noch in der Mund¬
höhle vegetierender Keime desinfizierende Mundwässer. Daß sich die Krank¬
heitsstoffe eine so lange Zeit im Körper erhalten können, ist wohl möglich, aber
doch äußerst unwahrscheinlich. Daß man Monate nach einer stattgehabten
Infektion aus dem Blute noch Diphtheriebacillen züchten kann, wird wohl
niemand behaupten und die gebildeten Toxine werden sehr schnell von Anti¬
toxinen neutralisiert. Dazu kommt noch der merkwürdige Umstand, daß die
Wahrscheinlichkeit des Eintretens und die Schwere der Lähmung in gar keinem
Verhältnis zur Schwere der Infektion und der Menge der gebildeten Toxine steht.
Gelegentlich führen die leichtesten ambulanten Fälle zu den schwersten lethal
verlaufenden Lähmungen. Dies ist um so merkwürdiger, als bei den anderen
Intoxikationsneuritiden, bei denen sich die Menge der dem Körper einverleibten
schädlichen Substanz oft sehr genau feststellen läßt, die Schwere der Erkrankung
im allgemeinen der Schwere der Vergiftung parallel läuft Diese Widersprüche
lassen sich nicht durch dialektische Spitzfindigkeiten aus der Welt schaffen.
Auf der einen Seite ist es sicher, daß der diphtheritischen Lähmung eine In¬
toxikation zu Grunde liegt, auf der anderen aber ist es kaum minder sicher.
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daß das primäre Toxin nicht in allen Fällen der schuldige Teil ist. Ans diesem
Dilemma gibt es nnr einen Ausweg: die diphtherische Lähmnng wird in
einer Reihe von Fällen nicht von dem Diphtheriegifte selbst, son¬
dern von einem anderen Gifte hervorgerufen, und zwar gilt dies speziell
für die Spätformen und solche schweren Formen, welche mit der Geringfügigkeit
der ursprünglichen Erkrankung kontrastieren. Diese haben das gemeinsam, daß
sie gewöhnlich unter dem Krankheitsbild einer reinen Neuritis verlaufen. Selbst¬
verständlich kann nicht bestritten werden, daß das Toxin der Diphtherie, wie
Roux und andere experimentell nachgewiesen haben, schwere diffuse Erkran¬
kungen des Nervensystems, besonders des Rückenmarks mit Atrophie der Gang¬
lienzellen und sekundären Degenerationen der peripheren Nerven herbeiführen
kann. Wenn nun das Toxin selbst nicht für eine große Anzahl von Fällen
verantwortlich gemacht werden kann, so bleibt nichts anderes übrig, als die
Quelle der Vergiftung im Körper selbst zu suchen. Sobald man aber überzeugt
ist, daß es sich um eine Autointoxikation handelt, ergeben sich die weiteren
Schlüsse von selbst. Die gesuchte Substanz wird vom Körper des Erkrankten
produziert, und zwar nur nach einer stattgehabten Diphtherie; ergo: Die
diphtheritische Lähmung ist auf jene abnormen Stoffwechselpro¬
produkte zurückzuführen, welche von dem gegen Diphtherie immun
gemachten Körper gebildet werden. Es muß ausdrücklich betont werden,
daß neben dem Antitoxin noch andere abnorme Produkte im Gefolge der
Immunisierung auftreten und es daher vorläufig unentschieden bleiben muß,
welches von diesen Produkten, deren Gesamtheit unter dem Namen „Schutz-
stoffe“ zusammengefaßt werden möge, die causa morbi abgibt Daß bei ge¬
störtem Metabolismus giftige Substanzen im Blut auftreten können, ist eine all¬
bekannte Tatsache. Es hängt lediglich von der Art der chemischen Zersetzung
ab, ob aus dem tierischen Bioplasma harmlose oder toxische Substanzen gebildet
werden. So läßt sich durch geeignete Zersetzungsmethoden aus dem ungiftigen
Ferrocyankalium ein furchtbares Gift, das Cyan, abspalten. Übrigens wäre es
geradezu wunderbar, wenn unter den außerordentlich zahlreichen, je nach der
Art der Infektion variierenden Schutzstoffen sich nicht einige befinden sollten,
welche nicht ganz harmlos oder gar giftig sind. Die Ökonomie des tierischen
Leibes ist im Laufe seiner phylogenetischen Entwickelung sicher nicht auf alle
möglichen Schutzstoffe vorbereitet worden, ln jedem Jahrhundert fast tauchen
neue Infektionskrankheiten auf, auf welche der Körper durch die Bildung neuer,
ihm selbst ungewohnter Schutzstoffe reagiert. Daß die gebildeten Antitoxine
als fremde Substanzen wirken, folgt auch aus dem Umstande, daß sie ihrerseits
wieder oft zur Bildung von neuen Schutzstoffen, Antiantitoxinen, Anlaß geben.
Diese so nahe liegende Annahme einer Autointoxikatkm wirft ein helles
Licht auf viele bisher unerklärliche Tatsachen. Eine bald nach einer schweres
Infektion auftretende Lähmung mag bald der einen, bald der anderen Noxe zu-
zuschreiben oder gar eine Mischform sein. Die beim Menschen beobachteten
diffusen pathologischen Veränderungen des Rückenmarks nach Diphtherie sind
möglicherweise auf die Toxine, die peripheren Neuritiden dagegen auf die Schutz-
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Original fram
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Stoffe zu beziehen. Vielleicht gelingt es der Forschung, die beiden Bilder klinisch
nnd pathologisch zu trennen. Wenn aber neuritisohe Symptome sich erst einen
ganzen Monat oder gar Monate nach der Infektion einstellen, so beruhen diese
sicher auf der fortgesetzten Bildung von Schutzstoffen. Denn daß nach einem
derartigen Zeiträume noch Toxine im Körper zirkulieren können, klingt geradezu
unglaublich; daß aber Schutzstoffe gerade dann in Hülle und Fülle produziert
werden, steht fest. Vom gerichtlichen Standpunkt aus kann über den Ausfall
des Richteisprnches, auf welcher Seite die Schuld liegt, kein Zweifel obwalten:
das Toxin kann sein Alibi nachweisen und muß freigesprochen werden. So
erklären sich die späten Formen leicht und ungezwungen. Nicht minder einfach
ist die Erklärung des Umstandes, daß an eine auffallend leichte, das Allgemein*
befinden kaum störende Infektion sich eine unverhältnismäßig heftige, das Leben
bedrohende Neuritis anschließen kann. Die Diphtherie ist eben so leicht ver¬
laufen, weil die Schutzstoffe von vornherein in besonders großen Quantitäten
entwickelt wurden. Die Stärke der Reaktion auf gleiche Mengen eines injizierten
Toxins schwankt, selbst bei Tieren, in weiten Orenzen und wird durch individuelle,
vielleicht sogar durch temporäre Körperzustände bestimmt
Diese Überlegungen lassen sich mühelos auf ein viel dankbareres Gebiet über¬
tragen und sind wohl geeignet, einen wissenschaftlichen Streit beizulegen, der schon
seit einer Reihe von Jahren mit unverminderter Heftigkeit fortbesteht und noch
immer zu keinem befriedigenden Resultate geführt hat Es ist der Streit um
die exklusive Syphilistheorie der Tabes und der progressiven Paralyse, geführt
von der EaB’schen Schule gegen ihre Widersacher. Dieser Kampf ist jetzt in
ein neues Stadium getreten. Die Stimmen der Gegner sind lauter, die der erst
siegreichen Verfechter der Theorie leiser geworden. Was früher letztere den
erstereu zum Vorwurf gemacht haben, daß sie nämlich durch dialektische Aus¬
flüchte unumstößliche und unbequeme Tatsachen zu umgehen trachteten, wird
ihnen jetzt selbst zum Vorwurfe gemacht Es handelt sich darum zu ent¬
scheiden, ob die angeführten Leiden ausschließlich postsyphilitisohe Erkrankungen
sind oder nicht Die Anhänger Ebbs bejahen diese Frage; ihre Gegner be¬
haupten, daß Syphilis sich wohl oft in der Anamnese finde, aber keine viel
größere ätiologische Rolle spiele als andere Ursachen, wie Ausschweifungen,
geistige Überanstrengung usw. Was nun diese sich soharf gegenüberstehenden
Behauptungen anbelangt, so muß hier ein jeder sich nach seiner Erfahrung richten.
Diese Sache läßt sich statistisch überhaupt nicht zum Austrag bringen. Die hohe
wissenschaftliche Befähigung und das Streben nach Wahrheit der bei dem Streite
beteiligten Hauptpersonen wird von niemandem bezweifelt, spielt aber garnicht
in die Frage hinein. Bei der Feststellung der Anamnese in dieser heiklen An¬
gelegenheit kommen vielmehr diplomatische Kniffe in Betracht, die nioht jeder¬
manns Sache sind und oft nur durch den Spruch: der Zweck heiligt die Mittel,
entschuldigt werden können. Es ist keine kleine Sache, jemandem ein ängstlich
gehütetes Geheimnis wider seinen Willen durch Überredungskünste abzuringen,
und fast jedes dritte oder vierte Resultat ist ein Triumph der Diplomatie und
oft nur durch längere Behandlung eines Patienten ermöglicht. Einmal gesehene
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Original fro-m
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poliklinische Fälle haben gar keine Bedeutung, wenn das Ergebnis negativ ist.
Es ist selbstverständlich, daß jeder eifrige Anhänger der EnB’sohen Theorie, der
6ein ganzes Können in dieser Richtung auf bietet und viel Zeit opfert, sich im
Laufe der Jahre in der Aufnahme der Anamnese übt und vervollkommnet und
mehr positive Resultate erhält als anders Gesinnte. Meine eigene Erfahrung
hat mich gelehrt, daß Mißerfolge zu den größten Ausnahmen gehören. Erst
kürzlich sah ich einen Paralytiker, der mit dem äußerst geringen Reste seines
Intellektes sich .,dumm stellte“ und aufs Streiten verlegte, bis er nach Ermüdung
seines cerebralen Hemmungsmechanismus durch eine halbstündige Debatte den
Widerspruch aufgab. Wenn von verschiedenen kompetenten Beobachtern statistisch
nachgewiesen worden ist, daß mehr als 80 oder gar 90% der Erkrankten an
Syphilis gelitten haben, so kann dieses Resultat durch die Statistiken anderer,
welche viel kleinere Zahlen erhielten, nicht entkräftet werden. Vielleicht gelingt
es der Forschung über Jahr und Tag, eine Reaktion, ähnlich der Agglutinations¬
methode, zu finden, mittels deren eine abgelaufene Syphilis diagnostiziert
werden kann.
Gegenwärtig interessiert es uns mehr, zu wissen, ob die manchmal viele
Jahre zurückliegende spezifische Infektion als die Ursaohe — sine qua non —
des Nervenleidens anzusehen ist, oder ob sie nur die Disposition dafür schafft
Wir werden sehen, daß die erstere Anschauung mit einer kleinen Modifikation
die einzig richtige ist, und daß durch meine Auffassung der Sache die dagegen
erhobenen Einwände leicht widerlegt werden. Tabes und isoliert bleibende
Symptome derselben, wie Optikusatrophie, treten mit seltenen Ausnahmen sym¬
metrisch auf. Diese Symmetrie im ganzen Verlauf macht es sehr wahrscheinlich,
daß, wie bei der diphtheritischen Lähmung, eine chemische Substanz als die
Krankheitsursache zu betrachten ist Was die progressive Paralyse an betrifft,
so ist auch hier in den meisten Fällen eine ausgesprochene Symmetrie der
pathologischen Veränderungen nicht zu verkennen, dooh darf es nicht befremden,
wenn gelegentlich eine Seite tiefgreifendere Veränderungen aufweist als die andere,
denn wir wissen, daß die Funktionen der beiden Hirnhälften dem Grade und
vielleicht sogar der Art nach nicht völlig gleich sind. Ferner ist hierher ein
Teil der Fälle von kombinierten Strangdegenerationen, Bulbärparalysen, bilateralem
Kernschwund, Optikusatrophie usw. zu rechnen, bei denen Lues anamnestisch
nachgewiesen werden kann. Ich behaupte nun, daß Tabes, Paralyse und
ein Teil der anderen progressiven Zerstörungsprozesse, welche auf
eine abgelaufene Lues zurückweisen, weder durch den Krankheits¬
erreger der Lues selbst, noch durch dessen Toxine, sondern durch
die Schutzstoffe, vermöge deren der Körper immun gegen spezi¬
fische Infektion ist, verursacht werden. Überhaupt wissen wir über die
Toxine der Syphilis nichts, denen, wenn sie überhaupt vorhanden sind, nur
geringe Bedeutung beigemessen werden kann. Vor allen Dingen wird hierdurch
die Progressivität dieser Leiden erklärlich. Immunität gegen Diphtherie besteht
nur kurze Zeit, eine solche gegen Syphilis aber Dezennien, vielleicht das ganze
Leben. Viele Jahre lang werden abnorme Stoffwechselprodukte dem Blute bei-
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gemischt und üben einen nachteiligen Einfluß auf solche Gewebe aus, zu denen
sie eine chemische Affinität besitzen. Lange Zeit gelingt es den betroffenen
Zellenkomplexen, durch Adaption und vermehrte Tätigkeit ihre Rolle im Körper
weiterzuspielen, bis schließlich bei zu großer Inanspruchnahme eine Kompensations¬
störung eintritt und den Anfang vom Ende bildet; genau wie bei Herzfehlern,
chronischem Alkoholismus, geistigen oder körperlichen Anstrengungen. Im engsten
Zusammenhänge mit der Progressivität steht die Unheilbarkeit jener Leiden durch
antiluetische Behandlung. Diese feststehende Tatsache ist die Hauptwaffe der
Gegner der EsB’schen Theorie. Alle tertiären Erscheinungen der Syphilis werden
durch eine spezifische Behandlung geheilt, folglich sollten auch diese Affektionen
des Nervensystems dadurch geheilt werden. Da dies aber nicht der Fall ist,
und sogar oft eine Verschlimmerung eintritt, so wird e non juvantibus geschlossen,
daß Tabes, Paralyse usw. nichts mit der Syphilis zu tun haben. Von Zeit zu
Zeit erscheinen wohl in den Zeitungen sporadische Berichte über gelungene
Kuren durch Quecksilber- oder Jodbehandlung, doch weiß man dann nie, ob
post hoc seu propter hoc. Ein Stillstand auf Jahre gehört nicht zu den Selten¬
heiten, wie ja auch bei Herzklappenfehlern infolge von geeigneter Medikation
oder ganz von selbst eine eingetretene Kompensationsstörung wieder für einige
Zeit zurückgehen kann. Meine Auffassung zeigt, wie gegenstandslos dieser von
der Gegenpartei gemachte Einwand ist. Tabes z. B. ist keine Erscheinung der
Syphilis, sondern ein selten trügendes Indizium, daß dieselbe geheilt ist Dann
kann aber auch eine antiluetische Kur nichts helfen. Damit wird gleichzeitig
einem anderen Argument der Gegner, das sehr viel für sich hatte, der Boden
entzogen. Jederman weiß, daß untrügliche Zeichen einer bestehenden Syphilis
bei diesem Nervenleiden zu den größten Seltenheiten gehören. Diese Erfahrung
ist eine Bestätigung meiner Theorie, welche behauptet, daß postsyphilitische pro¬
gressive Nervenerkrankungen auf einer Überproduktion von spezifischen Schutz¬
stoffen beruhen. Wo der Körper prompt reagiert und solche Stoffe in besonders
großer Menge liefert, ist doch anzunehmen, daß das erkrankte Individuum
schneller des Ansteckungsstoffes Herr wird, und daß infolge der energischen
Immunisierung Rückfälle zu den Ausnahmen gehören. Oder mit anderen Worten,
der Schluß ist gerechtfertigt, daß, ähnlich wie bei der diphtherischen Lähmung,
die Schwere des Nervenleidens in gar keinem oder gar im ungekehrten Ver¬
hältnisse zur Schwere des primären Leidens steht, und dies ist in der Tat der
Fall. Eine Tabes von rapidem Verlauf kann sich an leichte, und eine solche von
mehr gutartigem, chronischem Verlauf an schwere Fälle von Lues anschließen.
Ja viele Autoritäten behaupten geradezu, daß ein leichter Verlauf des primären
Leidens bei solchen Kranken die Regel und das Gegenteil die Ausnahme ist,
daß das zweite Stadium der Syphilis gewöhnlich in abortiver Form auftritt und
das dritte ganz ausbleibt. In England, wo meist Calomel in Pillenform (0,2 bis
0,4 g pro die) ein Jahr und länger für Lues verabreicht wird, hört man oft von
Patienten, welche später Symptome von Tabes zeigen, die Angabe, daß sie nur
einige Schachteln von Pillen genommen und niemals wieder Veranlassung gehabt
hätten, einen Arzt wegen verdächtiger Symptome zu konsultieren. Dement-
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sprechend sind auoh sichtbare Zeichen von geheilten luetischen Affektionen, wie
Narben, Pigment- oder Leukodermflecken, geschweige denn von noch bestehenden
Affektionen, äußerst selten. Ein anderer gern und mit Erfolg zitierter Einwand
bezieht sich auf das lange Zeitintervall — zehn bis zwanzig Jahre und manchmal
länger —, welches zwischen dem Primäraffekt und einer Tabes oder Paralyse
liegt Daß das Chancregift so lange im Körper geschlummert habe, um dann
plötzlich wieder zu neuem Leben zu erwachen und Krankheiten zu unterhalten,
welche sich noch viele Jahre hinziehen können, klingt allerdings unglaublich.
Wenn man aber bedenkt, daß die Immunität wohl zeitlebens bestehen bleibt,
und daß ein Gewohnheitstrinker oder ein Opfer der Morphiumsucht auch erst
nach Jahren an den Folgen seines Lasters erkrankt, so wundert man sich nicht
mehr Aber das späte Auftreten des Rückenmarks- oder Gehirnschwundes. — Im
Zusammenhang mit dem vorhergehenden mag noch das bekannte Experiment
Kbafjft-Ebing’s erwähnt werden, durch welches die Immunität der Paralytiker
gegen eine syphilitische Infektion nachgewiesen worden ist; — eine wichtige
Stütze meiner Hypothese.
Wenn nun schon die exklusive Sypilistheorie trotz ihrer sonstigen Vor¬
züge diesen Tatsachen machtlos gegenübersteht, so sind in den letzten Jahren
Erfahrungen gesammelt worden, welche sicher nicht dazu beitragen, ihr durch
die angeführten Gegengründe erschüttertes Ansehen zu befestigen. Erst kürzlich
bat Näcke diese Erfahrungen zusammengestellt und durch eigene Erfahrungen
bereichert. 1 An den in seiner interessanten Darstellung aneinander gereihten
Tatsachen ist nicht zu rütteln. Von Jahr zu Jahr mehren sich die Belege dafür,
daß in vielen Rassen der alten und neuen Welt Syphilis in erschreckender Weise
grassiert, und daß trotzdem Tabes oder Paralyse bei jenen Völkerschaften zu
den größten Seltenheiten gehören. Es soll, wie ich selbst von Augenzeugen
gehört habe, in der europäischen Türkei und den angrenzenden Ländern kleine
Ortschaften geben, welche total von Syphilis durchseucht sind, so daß selbst
Kinder oft davon befallen werden; und es soheint dort die sexuelle Übertragung
nur für einen Teil der Fälle verantwortlich zu sein. Die Krankheit soll sich
dort durch Berührung, gemeinsame Mahlzeiten, manchmal sogar auf unerklärliche
Weise, wie bei uns etwa die Masern, ausbreiten. Zudem tritt sie häufiger als
bei uns in schweren Formen, mit Ulcerationen und Narbenbildung, auf. Ähnliche
Berichte kommen aus Abessinien. Und trotzdem ist der progressive Nerven-
Schwund in den Ländern, wo Syphilis in dieser kontagiösen, virulenten Form
auftritt, ein seltenes Leiden! Hier scheinen nur drei Möglichkeiten der Erklärung
gegeben zu sein. Entweder ist die Syphilis dort eine andere als bei uns, oder
die Menschen sind anders beschaffen, oder sind nicht denselben Einflüssen aus-
gesetzt wie wir. Die erste Eventualität darf wohl als ausgeschlossen angesehen
werden, denn eine in jenen Ländern von einem Nordeuropäer kontrahierte Syphilis
nimmt einen normalen Verlauf. Es bleibt also nur übrig, zwischen den beiden
anderen Möglichkeiten die Wahl zu treffen oder beide anzuerkennen. Entweder
1 Neurolog. Centralbl. 1906. Nr. 4.
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haben jene Völkerstämme ein besser konstituiertes Nervensystem als wir, oder
sie leben unter günstigeren Bedingungen. Beides wird von Näcke als fest¬
stehend angesehen. Er vertritt die zuerst von Jofpäot geäußerte Ansicht, daß
die progressive Paralyse und auch die Tabes nur in einem ab ovo labilen Nerven¬
system zustande kommen können, und daß Syphilis, aber neben und außer der¬
selben gleich wirksame Ursachen wie körperliche oder geistige Strapazen, Alko¬
holismus usw. nur prädisponierend oder auslösend wirken und den auch sonst
wohl unvermeidlichen Zusammenbruch herbeiführen. Er bestreitet, daß Syphilis
in einem von Geburt aus gesunden und niemals schädigenden Einflüssen unter¬
worfenen Nervensystem jemals jene degenerativen Prozesse auslösen kann. Wenn
die letzteren aber zu den Spätformen der Syphilis gehören, wie etwa gummöse
Neubildungen, so sollte man erwarten, daß überall ein gewisses Verhältnis
zwischen der Häufigkeit der Syphilis und der Paralyse, modifiziert durch die
Häufigkeit der Geisteskrankheiten im allgemeinen, obwaltet. Näcke glaubt, daß
in den von ihm bereisten südöstlichen Ländern Geisteskrankheiten nioht so häufig
sind als bei uns. Dies mag wohl wahr sein, doch darf man nicht vergessen,
daß es dort kaum Städte gibt, welche den Namen einer Großstadt verdienen.
Daß die dortige ackerbautreibende Landbevölkerung aber ein stabileres Nerven¬
system besitzt, als unsere Bauern, folgt daraus noch lange nicht. Irrsinn wird
vor allem im Miasma der Großstädte ausgebrütet Der Bauer längt in erster
Linie vom Wetter ab, der Stadtbewohner von seinen lieben Mitmenschen, und
das Wetter führt nicht so leicht zum Irrsinn als die Härte der lieben Mit¬
menschen im unerbittlichen Kampf ums Dasein. Um jedoch die Diskussion zu
vereinfachen, soll die relativ geringere Häufigkeit von Irrsinn z. B. in Bosnien
eingeräumt werden. Sagen wir einmal, sie belanfe sich dort auf die Hälfte der
für das übrige Europa geltenden Durchschnittsziffer. Dann sollte man wohl er¬
warten, daß auch die Zahl der Paralytiker in Bosnien relativ halb so groß als
im übrigen Europa sei; doch ist kein Grund vorhanden, weshalb das numerische
Verhältnis zwischen diesen beiden Krankheitsgruppen in Bosnien in so eklatanter
Weise verändert ist. Wenn die Irrenanstalt in Sarajewo nur 0,65 °/ 0 von
Dementia paralytica unter einheimischen, dagegen 10°/ o unter fremdländischen
Parienten aufwies, so ist dies ein Mißverhältnis, zu dessen Erklärung die von
Näoke gegebenen Gründe sicher nicht ausreichen. Seine Gründe machen es
wohl begreiflich, daß Geisteskrankheiten, Paralyse einbegriffen, in Bosnien nicht
so heimisch sind als bei uns, nicht aber warum dort die Paralyse relativ so viel
seltener ist als andere Störungen. Er führt ganz richtig an, daß in Bosnien
ein Menschenschlag lebt, dessen Nervensystem durchschnittlich widerstandsfähiger
ist als das nnsrige und dessen Gesundheit nicht durch eine durch Jahrhunderte
bestehende hohe Kultur mit dem unvermeidlich damit verbundenen Stadtleben,
Luxus, Alkoholismus u. s. w. untergraben ist. Ferner sei der Kampf ums Dasein
dort kaum zu bemerken. Auoh dies soll zugestanden werden. Etwa 80°/ 0 der
Bewohner Bosniens sind Analphabeten, wie mir persönlich bekannt ist. Die
meisten Kleinbauern leben von ihrer Scholle und haben keine Ahnung von
Börsenkursen. Alles dies mag sehr richtig sein und läßt es begreiflich erscheinen,
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warum der Irrsinn dort weniger häufig auftritt als bei uns, enthält aber nicht
die leiseste Andeutung, weshalb die Gehirnerweichung dort so viel seltener auf*
tritt, als man der Zahl der übrigen Geisteskrankheiten gemäß erwarten sollte.
Denn letztere sind doch mit größerem Recht als Paralyse, and besonders als
Tabes, als Zeichen eines minderwertigen Gehirnes anzusehen. Von Paralyse und
Tabes muß dies erst bewiesen werden. Nicra scheint gar nicht zu sehen, daß
die bosnischen Tatsachen seiner eigenen Lehre vom „ab ovo invaliden Gehirn“
der Paralytiker ebenso sehr zuwiderlaufen als der EnB’schen Lehre. Denn wenn
von 100 invaliden bosnischen Gehirnen kaum eins der Paralyse verfallt, so
spricht offenbar dieser Umstand mit derselben Überzeugungskraft gegen die
NiCKB’sche Lehre als gegen die EsB’sche das andere Faktum, daß die bosnische
Syphilis keine Paralyse hervorruft. Oder glaubt NAckb etwa, daß Paralyse oder
gar Tabes, die doch am entgegengesetzten Pol des Centralnervensystems einsetit,
eine größere Invalidität des Gehirns voraussetzt, als eine auf hereditärer Grund¬
lage basierende Epilepsie oder Paranoia? Es ist schade, daß er seine, wenigstens
in bezug auf Paralyse, völlig einleuchtende Theorie der EnB’schen entgegengesetzt
hat. Sie gewinnt dadurch weder selbst, noch schadet sie ihrer Gegnerin. Beide
Theorien schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich; denn es
ist sehr wohl möglich, daß jemand, der eine Lues durchgemacht bat, nur dann
von progressiver Paralyse bedroht ist, wenn er ein invalides Gehirn mit auf die
Welt gebracht oder später akquirirt hat; oder umgekehrt, daß ein hereditär oder
anderweitig minderwertiges Gehirn wohl anderen Geisteskrankheiten, aber nie
der Paralyse anheim fallen kann, ohne eine vorausgegangene Syphilis. Beide
Theorien reichen aber weder für sich noch kombiniert dazu aus, die in Bosnien
und anderen Ländern beobachteten merkwürdigen Tatsachen dem Verständnis
näher zu bringen.
Wir wollen nun sehen, ob sich diese widerspenstigen Fakten meiner eigenen
Theorien fügen. Sie sollen zugleich den Prüfstein abgeben, an dem diese Theorie
ihre Echtheit und Kraft erproben kann. In der Tat ist mit ihrer Hilfe die
Lösung des Dilemmas überraschend einfach. In der ersten Hälfte des 16. Jahr¬
hunderts erschien eine Abhandlung, betitelt: De Guaiaci medicina et morbo
Gallico. 1 Dieselbe ist wohl der Ärztewelt bekannt, doch verdient sie auch gelesen
zu werden. Denn sie enthält viel des Wissenswerten und stammt von keinem
Geringeren als dem Ritter, Dunkelmann, Dichter, Patrioten, Freidenker, Lebemann
und Ärztefeind Ulbich von Hutten. Er beschreibt darin in mustergiltiger
Weise die Geschichte, Symptomatologie und Therapie der Franzosenseuche and
seine eigene Heilung. Bei der Lektüre dieser hochinteressanten Schrift legt man
sich unwillkürlich die Frage vor, ob die mit der Bildung schwarzer Pusteln,
Knoten, Verschwärung, Verjauchung und ekelerregendem Geruch einhergehende
epidemische Krankheit mit unserer relativ harmlosen Syphilis identisch sei. In
dieser Form trat sie im französischen Heere auf, als dasselbe im Jahre 1498
vor den Mauern Neapels lag, verlor jedooh im Laufe von Dezennien ihren
1 Übersetzung von Dr. Heinrich Oppenheimer. Berlin 1902, Hirschwalds Verlag.
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pestilenzialischen Charakter. Sie büßte dann von einem Jahrhundert zum
anderen, wie aus geschichtlichen Berichten hervoigeht, immer mehr von ihrer
Bösartigkeit ein. Shakespeare schildert im Thimon von Athen (1623) deren
Symptome als Knochenfraß, Sattelnase, Aphonie und Haarverlust Wenn man
nun moderne Schilderungen einer epidemisch auftretenden Lustseuche liest, welche
infolge ihrer Bösartigkeit und erhöhten Kontagiosität an alte Überlieferungen
erinnert, so kann man sich nicht der Überzeugung verschließen, daß in jenen
Ländern die Seuche neueren Datums ist Bei ihrem ersten Erscheinen
auf den Sandwichinseln richtete sie, ähnlich wie die sonst so unschuldigen Masern
bei ihrem Debüt auf den Faröeinseln, unter den Eingeborenen furchtbare Ver¬
heerungen an. Gleiche Erfahrungen sind bei anderen Infektionskrankheiten ge¬
macht worden. Eisenbahnen und Dampfschiffe sorgen dafür, daß viele Seuchen,
welche früher nur eine endemische Ausbreitung hatten, in die entlegensten
Winkel der Erde verschleppt werden. Bosnien, um nur ein Beispiel zu nehmen,
lag gänzlich abseits von den großen europäischen Verkehrsadern, bis es im Jahre
1879 seine erste Eisenbahnlinie erhielt Wahrscheinlich hat auch die islamitische
Haremswirtschaft mit ihrer Isolierung der Weiber lange Zeit eine wirksame
Schranke in allen unter der Türkenherrschaft stehenden Ländern, und so auch
früher in Bosnien, gegen das Eindringen und besonders gegen die Ausbreitung
der Syphilis gebildet Syphilis ist wohl auch schon vorher in diesen Ländern
sporadisch aufgetreten, hat jedoch niemals festen Fuß fassen können. Der
Schmutz, dem Näcke für die bosnische Epidemie eine große Bedeutung bei¬
mißt, hat wohl weniger damit zu schaffen, denn in vielen ländlichen Distrikten
Polens und Irlands, wo Mensch und Schwein in rührender Eintracht zusammen¬
wohnen und reichliche Gelegenheit für die Ausbreitung der Seuche gegeben ist,
tritt sie nicht in der bösartigen Form auf.
Die Folgerungen ergeben sich von selbst Je kürzere Zeit eine Seuche ein
Land heimgesucbt bat, desto größer ist ihre Malignität und Ansteckungskraft;
denn: die Immunität der betroffenen Bevölkerung gegen die neue Seuche ist
noch gering oder fehlt ganz, und der Krankheitstoff muß erst durch eine Reihe
von Generationen hindurchgegangen sein, bevor er einen nennenswerten Wider¬
stand findet Syphilis ist wenn auch vielleicht nicht in ihrem völlig rätselhaften
Ursprung, so doch in ihrer historischen Entwickelung eine Krankheit jener
mittelalterlichen und modernen Staaten Europas, welche die höchte Zivilisation
mit der größten Bevölkerungsdichte vereinen. Diese Nationen haben durch einen
400 Jahre währenden Kampf mit der Syphilis sich einen gewissen Grad von
Immunität gegen dieselbe erworben, während andere, abseits vom Weltgetriebe
lebende Völker und Völkchen, nnter welchen diese Krankheit kürzere Zeit gehaust
hat, minder immun sind. Hieraus folgt weiter, daß die Menschen und
Menschenrassen in bezug auf Syphilis konstitutionell verschieden
sind: die einen reagieren auf eine syphilitische Infektion mehr, die
anderen weniger energisch durch spontane Produktion von spezi¬
fischen Schutzstoffen. Ob jemand sich mit Fug und Recht als von seinen
Vätern her zu den ältesten Kulturstaaten Europas gehörig betrachten darf, das
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bängt, so paradox dies auch klingen mag, von seiner größeren oder geringereu
Toleranz gegen Syphilis ab. Diese Toleranz bringt aber eine nicht zu unter*
schätzende Gefahr mit sich, denn eine Überproduktion von spezifischen Antitoxinen
kann in neurotischen, gelegentlich wohl auch in gesunden Subjekten zur Ent¬
wicklung von progressivem Gehirn- oder Rüokenmarkschwund, fahren.
Die Autointoxikationstheorie dieser Krankheiten söhnt alle Gegensätze aus
und gerät nirgends mit sich selbst und mit feststehenden Tatsachen in Wider¬
spruch. Die Rechnung geht auf, und es bleibt kein Rest öbrig, mit dem man
nichts anzufangen wüßte. Wenn Bosnien sich über Nacht in einen Kulturstaat
verwandelte, so würde unter den Einheimischen trotz Schlemmerei, venerischen
Leiden, Großstadtluft und Börsenkursen doch die Paralyse auf Jahrzehnte hinaus
eine seltene Erkrankung bleiben. Das Haupterforderais für das Zustandekommen
einer Tabes oder Paralyse ist in erster Linie ein gewisser Grad von angeborener
Immunität gegen Lues, in zweiter und dritter Linie eine luetische Infektion und
ein invalides Nervensytem, und ganz zum Schluß kommen die anderen Faktoren
wie Alkoholismus und geistige und körperliche Traumen, auf welche so viel
Gewicht gelegt wird. Die Zahl der Degenerierten in Bosnien ist viel größer, als
man nach der verschwindend geringen Anzahl der Paralytiker vermuten sollte;
die Syphilis verschont keine Altersklasse; Säufer gibt es dort wie überall. Auch
in Bosnien giebt es Mißernten, Hungersnot und seelische Bedrängnis; es treffen
dort alle Faktoren zusammen, denen gemäß man eine dem Irrsinn parallele
Häufigkeit der Paralyse erwarten sollte. Doch der Hauptfaktor fehlt: die im
Blute zirkulierenden spezifischen Schutzstoffe. Diese in einer Beziehung so
nützlichen Stoffe sind ein Danaergeschenk der Natur. Der progressive Nerven-
schwund wird in jeder folgenden Generation eine größere Zahl von Opfern
fordern. Doch was uns jetzt als eine Geißel des Menschengeschlechts erscheint,
ist vielleicht das wirksamste, wenn auch grausame Mittel, vermittels dessen
ersteres von minderwertigen Elementen gesäubert werden kann.
Einige interessante Schlüsse ergeben sich aus diesen Betrachtungen Eine
Mutter, welche von einem syphilitischen Vater ein krankes Kind zur Welt bringt,
ohne selbst infiziert zu werden, kann trotzdem an Tabes oder Paralyse erkranken;
denn sie produziert die Giftstoffe, vermöge deren sie immun ist Ferner ist es
denkbar, daß eine ausnahmsweise starke ererbte Immunität selbst ohne kongenitale
oder akquirierte Lues (wenn z. B. zufällig Syphilis unter den Vorfahren auf
väterlicher und mütterlicher Seite hervorragend häufig war) in einem neurotisch
belasteten Individium beim Hinzutreten anderer Schädlichkeiten zu jenen Leiden
disponieren kann. Ob solche Fälle je Vorkommen oder häufiger sind als man
denkt, mag dahingestellt bleiben. Vielleicht sind einige andere Spätformen der
Syphilis, vor allem die Endarteriitis auf dasselbe Gift zu beziehen. Schließlich
mag noch darauf hingewiesen werden, daß alle progressiven und symmetrischen
Erkrankungen, besonders solche, welche in Familien erblich sind, Muskelatrophien
u. dgl., an das Vorhandensein eines gelösten Giftes denken lassen. Nihil a se
potest destrui, sagt Spinoza. Andere Möglichkeiten einer Autointoxikation
sind reichlich vorhanden, denn die meisten Infektionskrankheiten regen die Ab-
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sonderung ähnlicher abnormer Stoffwechselprodukte an. Die Unheilbarkeit dieser
Leiden ist nur Erfahrungssache, nicht aber eine logische Notwendigkeit. Viel¬
leicht wird es der unaufhaltsam fortschreitenden Wissenschaft gelingen, ein jene
„Gegengifte“ neutralisierendes „Gegengift“ zu entdecken.
2. Über Myasthenia gravis. 1
Von Prof. Dr. Alessandro Borgherini in Padua.
Im Mai 1905 teilte Buzzabd der Pathologischen Gesellschaft in London 3
die Resultate seiner Untersuchungen über fünf zur Autopsie gelangte Fälle
von Myasthenia gravis mit
Diese Resultate können folgenderweise zusammengefaßt werden: keine be¬
deutende Läsion weder im peripherischen, noch im Centralnervensystem, keine
in der Thymusdrüse; dagegen erhebliche Läsionen in den quergestreiften Muskeln
in Form von Infiltration zwischen die Muskelfasern von lymphozyten-ähnlichen,
gruppenweise vereinzelten und unregelmäßig verstreuten Zellen. Diese Zellen¬
haufen nannte Buzzabd „Lymphorrhagien“. Die Muskelfasern zeigten
stellenweise den Charakter der hyalinen Entartung; in 3 Fällen fanden sioh
Lymphorrhagien auch in den Augenmuskeln; sie wurden auch in der Leber, in
den Nebennieren, in der Schilddrüse, im Herzmuskel und sogar in einem Spinal¬
ganglion beobachtet.
Nach Buzzabd stellen die muskulären Lymphorrhagien die hauptsächlichste
und konstante Läsion in der Myasthenia gravis dar; ihre Konstatierung ist jedoch
schwierig und mühevoll, so daß sie leicht einer nicht sehr aufmerksamen Unter¬
suchung entgehen können. Eine Erklärung der Ursache der Lymphorrhagien
ist vor der Hand nicht möglich, da keine gleichzeitigen Veränderungen im Blut
und in den Lymphdrüsen existieren und ihre Anwesenheit das klinische Bild
der Krankheit nicht erklärt.
Da ich Gelegenheit hatte 3 Fälle von ERB-GoLDPLAM’scher Krankheit zu
beobachten, davon einen vor ganz kurzer Zeit, habe ich versucht, einigen
diese Krankheit betreffenden Fragen näher zu treten, und vor allem interessierte
ich mich in Verfolg der BuzzABn’schen Mitteilung für das Studium der Muskel¬
fasern.
Da meine Kranken noch am Leben sind, konnte ich mir nicht anders
das Material verschaffen, als es dem noch lebenden Muskel zu entnehmen.
Es ist bekannt, wie tiefe Veränderungen in ihren histologischen Eigen¬
schaften die Muskelfasern durch die einfache Trennung vom lebenden Körper
erleiden, so daß die Muskelbioskopie, wie sie gewöhnlich angewandt wird, in der
Klinik nur gerechtem Mißtrauen begegnet
1 Vortrag, gehalten auf der Wander Versammlung des Vereins für Psychiatrie und
Neurologie in Wien am 5. Oktober 1906.
* British medioal Journal. 1905. Nr. 2616. S. 1092.
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Seit einiger Zeit habe ich gelegentlich anderer ähnlicher Untersuchungen die
Muskelbioskopie mit einer Abänderung des gewöhnlichen Verfahrens angewendet,
die mir ausgezeichnete Resultate geliefert hat. Nach dem Vorschläge des Herrn
Kollegen Dr. Ludwig Angelozzi, der in meinem Loboratorium diese Gattung
Untersuchungen vornahm, wurden die den Kranken entnommenen Muskelstücke
in die Muskeimasse eines im selben Augenblick getöteten Versuchstieres (Hund,
Kaninchen, Meerschweinchen) eingeführt, wo sie 24—38 Stunden verblieben;
nach dieser Zeit werden sie herausgenommen und mit den gewöhnlichen
Härtungsverfahren behandelt. Beim Ausschneiden der Muskeln müssen einige
Vorsichtsmaßregeln angewandt werden, d. h. nach der subkutanen lokalen
Kokalnisierung wird die Wunde nur mit physiologischer Lösung von 38 °G. ge¬
waschen; man gibt Acht, die Muskeln möglichst sorgsam zu behandeln; während
ein Operateur die Extraktion vornimmt, tötet ein anderer das Tier mit Chloro¬
form, öffnet die Muskelscheide des Rectus abdominis und deponiert tief zwisohen
den Bündel dieses Muskels die vom Menschen stammenden Stücke; die Wunde
des Tieres wird genäht und verbunden; man läßt das Tier in nicht zu kaltem
Raum 24—36 Stunden, während welcher Zeit die Totenstarre beginnt und eine
gewisse Zeit andauert
Diese Methode bezweckt den exstirpierten Muskel in die besten Umstände
zu versetzen, damit das Absterben der Zellen und der Fasern wie beim natür¬
lichen Tode stattfinde.
Mit dieser Abänderung der gewöhnlichen Methode der Muskelbioskopie
wurden an normalen und pathologischen Muskeln viele Untersuchungen von
Dr. Angelozzi ausgeführt, welchen ich mit Interesse folgte.
Das Muskelgewebe zeigt sich vorzüglich erhalten. Bei frischen Präparaten
erscheinen die Fasern etwas dicker und runder als gewöhnlich, und wie wenn
sie saftiger wären. Die Querstreifung und die Konturen treten scharf hervor.
Nach der Fixierung und Färbung sind die Kerne und das Sarkoplasma so klar
und deutlich sichtbar, wie man es in den der Leiche entnommenen Stücken
gewöhnlich nicht findet.
Ich meine daher, daß dieses Verfahren der Muskelbioskopie in der Klinik
Verbreitung finden könnte, was für die an manchen Stellen so dunkle und so
vernachlässigte Pathologie des Muskelsystems von nicht geringem Vorteil sein
dürfte.
Diese Methode wurde von Dr. Angelozzi auch beim Studium der Myasthenia
gravis angewandt Die Resultate wurden unter meiner Anleitung auf der Ihnen
hier vorliegenden Zeichnung festgehalten.
Mehrere Fasern sind verdickt und messen 76, 85, ja vereinzelte sogar
110 jx; doch gibt es einige, welche nicht über 45 p. hinausgehen. Ihre Quer¬
streifung ist im allgemeinen gut erhalten und sie sehen ganz normal aus, nur
sind die Kerne fast alle vermehrt. Aber der Umstand, der am meisten auf-
fällt, ist die Anwesenheit zwischen diesen beinahe normalen Fasern von anderen
Fasern, welche die sogen, plasmoidale Regression darstellen. In einigen ist diese
Regression central. Man sieht inmitten der Faser zahlreiche Elemente ver-
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schiedeuer Größe, die viele Chromatinküruchen enthalten und von einem Hof
aus Sarkoplasma umgeben sind, welches sich in der Längsrichtung fortsetzt, wo¬
durch die Faser geteilt wird und eine V-förmige Figur zeigt (V-förmige Faser).
Das umgebende Myoplasma verliert seine Differenzierung und kehrt wieder in
den Plasmoidalzustand zurück. Die Querstreifung hat auch in einer gewissen
Entfernung ihr klares Aussehen verloren, während die Längsstreifung mehr
hervortritt (Fig. 1 und 2). Im Querschnitt ist das sogen. ConNHEiM’sche Feld
ausgesprochener zu sehen infolge von deutlicherem Erscheinen der prmitiven
Fibrillen. — In anderen Fasern ist die plasmoidale Regression 1 total; die Faser
zeigt sich völlig in protoplasmatische Substanz verwandelt und scheint sich in
Fig. l. Fig. 2.
Centrale plasmoidale ltegression. ln den Fasern zahlreiche Elemente mit vielen Cbroraatin-
körnchen. Ringsum ein großes Feld von Sarkoplasma. Die Qnerstreifung fast verloren, die
J.angsstreifung* tritt mehr hervor. Koritska Okular 3, Objektiv homog. Immere. , Rohr¬
länge 160 mm.
hyaliner Entartung zu befiuden; man bemerkt kaum hie und da Reste vou mehr
oder weniger verändertem Myoplasma (Fig. 3). Im Innern ist die Substanz mit
chromatiureichen Kernen besät, von denen einige sich in direkter Teilung be¬
finden (Fig. 4). Zahlreiche Beobachtungen haben mich überzeugt, daß die
meisten inmitten der Muskelfasern bemerkten Elemente in situ aus den
Sarkolemmakernen entstehen und nicht in Phagozyteueinwanderung ihren Ur¬
sprung haben.
Neben den so veränderten Fasern bemerkt man Blutkapillaren, die scheinbar
mit denselben verschmelzen. Über die intramuskulären Nervenendigungen kann
ich nichts sagen, weil ich keine passenden Präparate erhalten habe.
1 Alles, was das Argument der plasmoidalen Entartung betrifft, findet sich ausführlich
in dem Manuel d’Histologie pathologique von Cornil et Ranvier. II. 1902. S. 97 u. fl’.
(Y'erfasser Dr. G. Dukante), wohin ich auch bezüglich des reichen Literaturnachweises ver¬
weise.
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Dieser Befund ist, wie bekannt, nicht charakteristisch; er wurde auch bei
anderen krankhaften Zuständen gefunden nnd hauptsächlich bei der Dystrophia
musculorum progressiva von Ebb u. a. (Lewin, Eisenlohr, Schültze, P. Marie,
Friedreich, Cohnheim, Knoll), aber gerade deswegen scheint er mir eine
große Bedeutung erlangen zu können. Ich bemerke, daß fast alle Autoren, die
sich mit der Myasthenia gravis befaßt haben, von vollkommener Integrität der
Muskeln sprechen, aber ich kann nicht anders
als mit Buzzabd hervorheben, daß die Unter¬
suchung dieser Läsionen sehr schwierig und
ttigffih mühevoll ist und frage mich, inwieweit mein
Befund mit jenem Buzzard’s übereinstimmen
IHnili ' kann, der, wie ich früher erwähnt habe, bei
seinen Fällen von Lymphorrhagien und hyaliner
,v IIIiPJI Entartung der Muskelfasern spricht. Nach meiner
Fig. 3. Totale plasm. Regres- Fig. 4. a Muskelkern in direkter Teilung begriffen,
sion in der linken Faser, die b Blutkapillaren inmitten degenerierter Fasern. (Groß«
in protoplasmatische Substanz wie in Figg. 1 u. 2.)
verwandelt ist und hyaliner
Entartung gleicht. (Größe wie
in Figg. 1 u. 2.)
Meinung ist die tTbereinstimmuug größer, als sie beim ersten Blick scheinen
könnte.
Es muß hinzugefügt werden, daß in mehreren Fällen im selben Individuum
mit der Myasthenia gravis auch Muskelatrophie einhergeht, und zwar mit dem
Typus der vorgenannten Dystrophia musculorum progressiva (Brissaud und
Lantzenbehg, Atrophie der Armmuskeln; Bernhardt und Kojewnikoff,
Atrophie der Halsmuskeln; Laquer, Atrophie der Oberarmmuskeln und der
Pectorales). Diese Vereinigung fand sich auch in meinem letzten Falle, von dem
ich die Photographie (Fig. 5) vorlege. Bei diesem bestand neben der bekannten
myasthenischen Störung der Augen- und Oberlidmuskel: Hypotrophie der Zunge,
welche beim Herausstrecken nach rechts gelenkt wurde; Hypotrophie der Lippen,
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Fig. 5.
besonders der Oberlippe, welche an den Zähnen anlag; Atrophie der Gesichts¬
muskeln , wo die normalen Falten fast verwischt waren und das ganze Gesicht
das Aussehen einer Maske hatte; Atrophie des Cervikalteiles des Cucullaris;"
Atrophie der Halsmuskeln, eingeschlossen die Steruocleidomastoidei; Atrophie
der Pectorales; Hypotrophie der Ober¬
armmuskeln. Bei allen atrophischen
Muskeln ergab die elektrische Prüfung
eine bedeutende Abnahme der indirekten
und noch mehr der direkten Erregbar¬
keit, Zunahme der mechanischen Reiz¬
barkeit, bedeutende Verminderung der
willkürlichen Zuckung. Die elektrische
wie die funktionelle Prüfung haben bei
den atrophischen Muskeln auch die ge¬
ringste Spur von Myasthenie ausschließen
lassen. Die Krankheit währt seit zwei
Jahren und begann mit neuralgischen
Schmerzen am Halse und den Schläfen¬
gegenden, die noch andauern.
Die Tatsache, daß einerseits in der
Myasthenia gravis sich histologische Ver¬
änderungen der Muskeln linden, die auch in der Dystrophia musculorum progressiva
konstatiert wurden, und daß anderseits die zwei Krankheitsbilder sich nicht
selten im selben Individuum vereinigen, erweckt die Überzeugung, daß zwischen
den beiden Krankheiten eine gewisse, jedoch nicht genau bestimmbare Ver¬
wandtschaft bestehen muß.
An meinen Patienten habe ich auch die elektrische Reaktion studiert, be¬
sonders an den Muskeln, welche Gegenstand der histologischen Untersuchung
waren.
Es ist bekannt, welcher Art das Verhalten der Muskelu gegenüber dem
direkten und indirekten faradischen und galvanischen Strom bei der Myasthenia
gravis ist. Nach Jolly 1 und fast allen, welche die elektrische Untersuchung
wiederholt haben, verhalten sich Muskeln und Nerven bei der gewöhnlichen
elektro-diagnostischen Prüfung völlig normal. Erzeugt man aber mit dem fara¬
dischen Strom die tetaniscbe Zuckung eines Muskels und wiederholt man in
kurzen Zeiträumen diesen Reiz, so erschöpft sich sehr schnell die Muskelerregbar¬
keit und nur nach verhältnismäßig längerer Zeit kann sie sich wieder einstellen..
Diese elektrische Reaktion wird von Jolly „Erschöpfungsreaktion“ genannt,
oder auch mit dem speziellen Namen myasthenische elektrische Reaktion be¬
zeichnet und wurde schon früher von Benedikt bei auderen Kraukheitsformen
beschrieben.
Nun scheint es mir diesbezüglich nicht ohne Interesse, etwas hervorzuheben,
was ich in meinen Fällen beobachtete.
1 Berliner klin. Wocbenscbr. 1895. Nr. 1.
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Bei der gewöhnlichen elektro-diagnostischen Prüfung erscheint die Erregbar¬
keit der Nerven dnrch beide Ströme quantitativ normal, hingegen ist die der
Muskeln vermindert Diese verminderte Erregbarkeit, welche ausgesprochen ist,
wenn der Muskel bis dahin funktioniert hat und ermüdet ist, zeigt sich jedoch
immerhin vorhanden, anch wenn der Muskel ausgeruht war. In den am meisten
angegriffenen Muskeln erzeugt der, wenn auch mäßige, durch den faradischen
Strom verursachte direkte Beiz eine langsame wellenartige Zuckung, die
durch den Wechsel von ungleichzeitiger Zusammenziehung und Erschlaffung in
den Faserbündeln der Muskeln hervorgerufen wird. Je länger der Beiz an¬
dauert, umso auffallender wird die wellenartige Zuckung.
Aber das wichtigste Resultat betrifft den Effekt des direkt auf den Muskel
wirkenden galvanischen Stromes. Der Kathodenschließung folgt eine Zuckung,
welche mehrmals hintereinander wiederholt, sich rasch erschöpft; es ist eine
wahre galvanische Erschöpfungsreaktion. Schaltet man den Strom um, d. b.
läßt man auf den Muskel die Anode mit derselben Stromstärke wirken, so erhält
man daduroh eine so starke Zuckung wie früher mit der Kathode; demnach
bewahrt der Muskel die Erregbarkeit durch die Anode, während die Erregbarkeit
durch die Kathode schon erloschen ist Wird gleich darauf der Strom nochmals
umgeschaltet, so daß man weder mit der Kathode auf den Muskel wirkt', dann
ergibt sich von neuem eine Muskelzuckung; es ist demnach höohst auffallend,
daß der anodische Beiz sogleich die schon verschwundene kathodische Erregbar¬
keit des Muskels erweckt und auf den früheren Grad erhöht. Demzufolge kann
also in einigen Fällen auch die galvanische Beizung, obwohl nicht bis zur Tetanus¬
zuckung getrieben, die Erschöpfung der Muskeln hervorrufen, wie die faradische,
aber während man beim faradischen Strom eine gewisse Zeit auf die Wieder¬
herstellung der Erregbarkeit warten muß, genügt bei dem galvanischen die Um-
Schaltung des Stromes zur Erreichung desselben Resultates.
Diese Beobachtungen lassen zuerst daran zweifeln, daß bei der Myasthenia
gravis die Läsionen in den intermuskulären Nervenendigungen liegen, wie anch
Tatlob letzthin behauptete. 1 Die Reizbarkeit der Nerven zeigt sich immer
normal; nur durch den direkten Muskelreiz begegnet man erhebliohen Ab¬
weichungen von der normalen Reaktion und mit so ausgeprägtem Charakter,
daß sie bis zu einem gewissen Grade wie eine spezifische Reaktion erscheint
Eine Erklärung dieser Reaktion ist jedoch schwer zu geben, auch wenn man
sich die Art der in den Muskelfasern befindlichen Läsionen vergegenwärtigt
Joteyko 2 schreibt in ihrer Mitteilung über Entartungsreaktion das Vor¬
wiegen der galvanischen Erregbarkeit in den degenerierten Muskeln dem nicht
differenzierten Sarkoplasma zu, das sich während des Degenerationsprozesses
vermehrt
Levi 3 behauptet in bezug auf die Myotonie, daß das myotonische Bild (die
1 British med. Journal. 1905. Nr. 2306. S. 517.
* Annales d’Electrobiologie et de Radiologie. 1908. Nr. 6.
* Revue neurologiqae. 1905. Nr. 15.
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myotonische Reaktion eingeschlossen) die Funktion einer sarkoplastischen Hyper¬
genese und einer Erhöhung der Tätigkeit desselben Sarkoplasma darstellt
Bei der Myasthenia gravis, wie ich oben erwähnte, existierte in vielen
Fasern eine reiche Zell- und Sarkoplasmawucherung; in anderen, die normal
schienen nnd nur verdickt waren, zeigte sich trotzdem eine Zunahme der Kerne
und die elektrische Prüfung ergab Erschöpfungsreaktion.
Das könnte nach meiner Meinung Weisen, daß nicht so sehr die An¬
wesenheit von reichlichem Sarkoplasma die spezielle elektrische Reaktion hervor¬
ruft, sondern verschiedene eigentümliche Zustände in den kranken Muskeln.
Wir wissen, daß gewisse chemische Stoffs, wie Phosphoraäurenatron, Veratrin,
Physostigmin, Digitoxin und die organischen Säfte mehrerer Drüsen (Schild¬
drüse, Thymus, Hypophysis, Eierstock, Hoden, Nebennieren) die Funktion des
Sarkoplasma erhöhen; wir wissen auch, daß noch andere Substanzen dieselbe
Funktion vermindern, wie Protoveratrin; wir wissen ferner, daß die durch lang«
dauernde und starke faradische Reizungen erzeugte Muskelermüdung eine rasch
vorübergehende Entartungsreaktion hervorrufen kann. 1 Man muß daher an¬
nehmen : in den Muskeln, in welchen sich die Entartungs- oder die myotonische
oder die myasthenische Reaktion findet, würden besondere chemische Substanzen
von den Gewebezellen ausgeschieden, die das spezielle Verhalten gegenüber dem.
elektrischen Strome bedingen. In gleicher Weise spricht sich auch Jolly be¬
züglich der Myasthenia gravis aus. Die eigentümliche Natur des Krankheits¬
prozesses liegt also gerade in diesem besonderen Vorgang im Leben der Zelle.
Zuletzt erlaube ich mir, noch einen Punkt in der Pathologie der Myasthenia
gravis zu berühren, und zwar das Verhältnis zwischen dieser und der Polio-
encephalomyelitis.
Es ist bekannt, daß Kausche»* geneigt ist, die Myasthenia gravis als ein
krankhaftes Syndrom zu betrachten, dessen anatomische Ursache gerade in der
Polioencephalomyelitis zu suchen ist
Ich habe in meiner Abteilung einen derartigen Fall beobachtet, dessen
anatomische Präparate ich Ihnen vorlege und die von einem 61jährigen Manne
herstammen. Die Krankheit batte im ganzen 9 Tage gedauert, begann mit
allgemeiner Schwäche, die immer mehr zunahm, bis am 6. Tage der Kranke
das Bett nicht mehr verlassen konnte. Am 6. Tage war die Temperatur 88,2,
der Puls regelmäßig, Dyspnoe bei jeder raschen Bewegung, Stimme rauh; jede
fortgesetzte Bewegung verursachte sofort die Erschöpfung der Muskelkraft; der
Gaumenreflex war verschwunden und so auch die Sehnenreflexe; die Hautreflexe
waren nur vermindert
Der Kranke verfiel rasch unter Zunahme aller vorgenannter Symptome,
zu denen noch Dysphagie kam, und starb in einem Anfall von Apnoö. Die
elektrodiagnostische Prüfung wurde wegen des schweren Zustandes des Kranken
nicht ausgeführt.
' Acheles, Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 27.
* Deutsche Zeitschr. f. Nerrenbeilk. IV, 1894 n. IX. 189t'. — Zeitschr. f. klin. Med.
XXXI, 1897.
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Die histologisohe Untersuchung hat eine akute Entzündung der grauen
Substanz um den Centralkanal ergeben, welche sich über den größeren Teil des
Dorsalmarkes und das ganze Cervikalmark erstreckte und nach oben bis zur
Oblongata und zur Brücke Übergriff Keine Läsion ergab sich im N. vagus und
in mehreren Muskelstücken. Bezüglich der Ätiologie ist zu bemerken, daß zu
jener Zeit eine Influenzaepidemie herrschte. Die klinisohe Diagnose lautete:
Asthenische Bulbärlähmung mit rapidem Verlauf.
Aber wenn das klinische Bild diese Diagnose auch gestattet hätte, so ist
doch der Abstand zwischen diesem Fall von akuter Polioencephalomyelitis und
der Myasthenia gravis so groß, daß ich mich in Verlegenheit finden würde, auf
Grund ähnlicher Symptome eine Annäherung zu versuchen, weil die einfache
Erscheinung der raschen Erschöpfung der Muskelkraft nicht dazu hinreichend
ist Es ist klar, daß weniger rasch verlaufende Formen von Polioeneephalo-
myelitis in mancher Beziehung noch eher eine Myasthenia gravis vortäusoben
können. Aber das genügt noch nicht, um aus den beiden Krankheitsbildem
einen einzigen Prozeß abzuleiten.
Indem ich das bisher Gesagte kurz zusammenfasse, schließe ich:
Bei meinen klinischen Arbeiten habe ich mehrfach eine Methode der Muskel¬
bioskopie angewandt, welche mir im Vergleich zur bisher geübten vorzügliche
Resultate gegeben hat, da sie gestattet, aus den Muskelfasern vortreffliche Präparate
zu gewinnen.
Bei der Myasthenia gravis habe ich mit dieser Methode sehr subtile Ver¬
änderungen der Muskelfasern feststellen können, unter denen die sogen, plas-
moidale Entartung besonders hervortritt.
Eine gewisse Verwandtschaft existiert zwischen der Myasthenia gravis und
der Dystrophia musculorum progressiva, welche in einigen gemeinsamen und
wichtigen anatomischen Veränderungen und in der häufigen Assoziation beider
Krankheiten im selben Individuum gegeben ist.
Die elektrische Muskelreaktion bei der Myasthenia gravis ist umfassender,
als sie bei der sogen, myasthenischen Reaktion zum Ausdruck kommt. Auch
auf die galvanische Reizung können die Muskeln durch Erschöpfung reagieren,
aber die Erschöpfung verschwindet bald bei Umschaltung des Stromes.
Der ganzen elektrischen Muskelreaktion liegt nicht nur einfach eine Zu¬
nahme der Muskelkerne und des Sarkoplasmas zugrunde, sondern mit großer
Wahrscheinlichkeit die Existenz besonderer chemischer Substanzen, welche das
Produkt des Zelllebens in den kranken Muskeln sind.
Das Krankheitsbild der Polioenoephalomyelitis kann sich in einigen Punkten
der Myasthenia gravis nähern, aber an der Hand der uns bekannten Fälle dürfen
wir nach meiner Ansicht nicht auf eine gewisse Verwandtschaft der beiden Krank¬
heiten schließen.
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453
II. Referate.
Physiologie.
1) Über den Einfluß der Beizung des kortikalen Darmcentrums auf den
Dünndarm und denSphincter ileoooeoaüs des Hundes, vonDr.R. v.Pfungen.
(Archiv f. d. ges. Physiol. CXIV.) Ref.: Max Bielschoweky (Berlin).
Als kortikales Darminnervationsgebiet des Hnndes bezeichnet Verf. in Über»
«instimmung mit Frankl-Hochwart und Fröhlich den Gyrus suprasilvius
anterior und G. suprasplenialis ant. in seinem frontalen Drittel. Diese Rinden¬
gebiete sind in zahlreichen Versuchen als erregbare Felder für den Dünndarm
und den Sphincter ileocoecalis erkannt worden. Aus der Reihe der speziellen
Ergebnisse seien folgende als besonders bemerkenswert hervorgehoben: 1. Die
durch faradische Reizung der Rinde am Duodenum hervorgerufenen Darmbewegungen
können alB Eontraktionswellen auftreten, welche zwischen die rhythmisch ablaufen¬
den Pendelbewegungen eingeschoben sind. 2. Die durch Rindenreizung hervor¬
gerufenen Kontraktionen können zu mächtigen Wellen ansteigen, und neben diesen
Wellen kann auch der mittlere Tonus des Darmes in ansehnlichen auf- und ab¬
steigenden Wellen schwanken. 3. Nur in einer beschränkten Zahl von Fällen
wird gleichzeitig mit kortikaler Erregung des Dünndarmes auch der Dickdarm
in Kontraktion gebracht. 4. Mit der Steigerung der kortikalen Darminnervation
<les Coecums wird ein kurzer, zuweilen auch länger währeqder Verschluß des
Sphincter ileocoecalis hervorgerufen. Lange andauernde Reizungen der Rinde
können gelegentlich zu einer Hemmung der normalen „Pendelbewegungen“ des
Dünndarmes führen; sie bedingen schließlich auch eine vollkommene Unerregbar¬
keit in ganz ähnlicher Weise, wie dies für die Rindenfelder der Skelettmuskeln
längst bekannt ist.
ß) Über den Einfluß der peripheren Nerven auf die Wärmeregulierung
duroh die Hautgefäße, von N. Zwonitzky. (Archiv f. Anat u. Phys. 1906.
Phys. Abtlg.) Ref.: Blum (Nikolassee/Berlin).
Verf. kam infolge selbstangestellter Versuche an Kaninchen zu folgenden
Ergebnissen:
1. Kälte und Wärme wirken spezifisch auf die Hautgefäße in regulatorischem
Sinoe. Durch Abkühlung kontrahieren sich die Hautgefäße und die Wärmeabgabe
wird beschränkt. Bei Erwärmung dagegen erweitern sich die Hautgefäße und
verhindern auf diese Weise eine Wärmeretention.
2. Die wichtigste Rolle bei diesem Vorgang ist den zentripetalen Nerven
zuzuschreiben, welche dafür Sorge tragen, daß der Temperatur nicht nur an ihrem
Angriffsorte, sondern auch an anderen Stellen des Körpers durch zweckentsprechende
reflektorische Erregungen der Gefäßnerven der Haut entgegengearbeitet wird.
3. An dem Angriffsort der abnormen Temperatur ist die regulatorische Vor¬
richtung verstärkt durch die Beteiligung der lokalen Gefäßcentra an den spezi¬
fischen Gefäßlumenveränderungen. Anästhetische Körperteile sind scheinbar auf
den Schutz des lokalen Gefäßmechanismus allein angewiesen.
Pathologische Anatomie.
3) Zur Kenntnis der primären Epithelgesohwülste der Adergefleohte des
Gehirns, von Max Bielschoweky und Ernst Unger. (Archiv für klin.
Chirurgie. LXXXI.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
Eine 43 Jahre alte Frau erkrankt im Anschluß an ein Schädeltrauma an
Kopfschmerz und Parese der rechten Hand. l / 2 Jahr danach leichte rechtsseitige
3Iundfacialislähmung und spastische Parese der rechten oberen Extremität mit
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Störung der tiefen Sensibilität der Hand. Stauungspapille; lokalisierter Hopf*
schmerz (linke Scheitel* und Stirngegend), Zuckungen der gelähmten Hand,
Steigerung des Hirndruckes, rechts Babinski. Infolge der Progression des Pro¬
zesses wird eine Hirnpunktion vorgenommen, die nur Blutpigment ergab. Bei
der daran angeschlossenen Trepanation wurde ein Tumor ezstirpiert, von dem
sich ein Strang zum Seitenventrikel hin erstreckte. Dieser wurde nicht mit ent¬
fernt. Nach der Operation komplette rechtsseitige Lähmung, die nur im Bein
zurüokging. Da sich neuerdings heftige Kopfschmerzen und Erbrechen einstellten,
wurde 11 Wochen nach der ersten Trepanation wieder trepaniert. Es fanden
Bich nur zwei Cysten und der oben erwähnte Strang, der als Plexus chorioideus
erkannt wurde. Eine Blutung konnte nur unvollkommen gestillt werden. Drei
Tage nach der zweiten Operation starb die Patientin.
Es fand sich im rechten Kleinhirnbrückenwinkel ein mit dem Plexus lateralis
innigst verwachsener walnußgroßer Tumor, sowie eine große Zahl kleiner Ge¬
schwülste über die ganze Binde der Hemisphären verteilt, die alle mit der Pia
zusammenhingen. Der Bau der Geschwülste, die aus Gefäßen und Epithelzellen
bestehen, ist der eines Aderhautepithelioms oder eines Perithelioms mit deutlichen
regressiven Veränderungen; da histologisch eine Differenzierung dieser beiden
Tumorarten unmöglich ist, so suchen die Autoren mit Hilfe der Lokalisation die
Annahme eines malignen Plexusepithelioms wahrscheinlich zu machen. Als Träger
der Metastasen ist der Liquor anzusehen.
Per parenthesim werden neuerliche Befunde zur Frage der Regeneration von
Achsencylindern in der Nähe von Tumoren des Gehirns erbracht. Insbesondere
sei ein Befund hervorgehoben, dreidimensionale Ellipsoide mit plasmatischer Grund¬
substanz und einem diohten Fibrillengitter, von dem feine Seitenäste in die Um*
gebung ausstrahlen. Auch diese Bildungen werden mit Regenerationsprozessen
in Verbindung gebracht.
Klinisch ist der Fall noch insofern bemerkenswert, als Symptome seitens
des Brückentumors fast völlig fehlten mit Ausnahme der „Areflexie der Cornea",
die, wie Oppenheim meint, ein wichtiges Symptom von Affektionen im Gebiete
der hinteren Schädelgrube sei.
So bot dieser wichtige Fall nach den verschiedensten Richtungen hin inter¬
essante Aufschlüsse und Ausblicke.
4) Das Rankenneurom, von Dr. Max Strauss. (Deutsche Zeitschr. f. Chirurg.
LXXXIII.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Im Anschluß an einen selbst beobachteten Fall von Neuroma cirsoideum
gibt Verf. eine ausführliche Schilderung dieser Geschwulstform, die ihn zu folgen¬
den Schlüssen führt: Das Rankenneurom bildet mit den anderen falschen Neuromen
Virchows, vor allem der Neurofibromatose eine histogenetiscbe Einheit. Unter
dem Namen Rankenneurom werden Gebilde zusammengefaßt, die man nach ihren Sym¬
ptomen, Pathogenese, Prognose, Therapie, Sitz und makroskopischem Aussehen
besser als Rankenneurom und plexiformes Neurom im engeren Sinne bezeichnen
kann. Histologisch handelt es sich bei beiden Gruppen um eine Neubildung von
Bindegewebe um meist bereits vorhandene, seltener neugebildete Nervenfasern.
Für das Rankenneurom kommt als Pathogenese der Zusammenhang mit den Ge¬
bilden des Centralnervensystems in Betracht, da sich der Sitz dieser Geschwulst
nioht allein an den Stellen befindet, wo das Centralnervensystem in pathologischen
Fällen seine knöcherne Kapsel verläßt, sondern auch in einigen Fällen der direkte
Nachweis des makroskopischen Zusammenhanges gebracht werden konnte.
5) Contrlbuto allo Studio delle fini alterazionl della flbra nervosa nslla
neurite parenohimatosa degenerativa sperimentale, per E. Medea. (Mem.
del r. istituto lombardo d. scienze e lettere. Mailand 1906.) Ref.: E. Stransky.
Verf. leitet seine wichtige Arbeit mit einem historischen Abriß über die
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Degenerationsfrage ein, wobei besonders neuere Arbeiten Berücksichtigung finden.
Sodann läßt er in gleicher Weise diejenigen Befunde, die auf die Existenz anders«
artiger Zerfallsprozesse an der peripherischen Nervenfaser hinweisen (atrophiBierende
Prozesse, wie sie Elzholz, Spiller u. a., segmentär-neuritische, wie sie vor allem
Gombault und später Pitres-Vaillard, Ref., Dopter-Lafforgue u. a. ein¬
gehender beschrieben haben, u. a.), Revue passieren.
Sodann berichtet Verf. über seine eigenen Untersuchungen. Durch Injektion
von Äther gelang es ihm, gleichwie schon früher einigen anderen Autoren, an
Tieren experimentell Neuritiden zu erzeugen. (Verf. bevorzugte den Ischiadicus
und arbeitete hauptsächlich an Kaninchen; bezüglich der histologischen Unter¬
suchungstechnik, die Verf. eingehender beschreibt, sei auf das Original verwiesen).
Von seinen Befunden und Ergebnissen seien folgende als besonders bemerkens¬
wert erwähnt: eine echte und eigentliche aufsteigende Degeneration im central«
wärt8 von der Injektionsstelle gelegenen Nervenanteil konnte Verf. nicht nach-
weisen. (Verf. bemerkt ausdrücklich, daß von einem centralen und peripheren
Nervenanteil bei diesen Versuchen natürlich nicht in dem gleichen Sinne wie
nach gröberen Verletzungen des Nerven gesprochen werden könne.) Ob sich die
ersten Veränderungen am Aohsencylinder oder an der Markscheide zeigen, kann
Verf. nicht sicher entscheiden: in vorgeschrittenen Zerfallsstadien sieht man aller¬
dings oft noch Myelinreste, wo vom Achsencylinder nichts mehr wahrzunehmen
ist; die Alterationen der Markscheide sind bezüglich ihres Beginnes unabhängig
von jenen der cellulären (Sch wann sehen Scbeiden-)Elemente; die zahlreichen,
beim Zerfall der Faser in Erscheinung tretenden cellulären Elemente leitet Verf.
gleich vielen anderen von den SchwannBchen Scheidenzellen her.
Schließlich geht Verf. auf die Frage der Regeneration ein und berichtet im
Anschlüsse an die bisher vorliegenden Untersuchungen über seine eigenen Resultate
und Schlüsse. Hier sei nur erwähnt, daß Verf. zu der Anschauung von der cen¬
tralen Herkunft der neuentstandenen Fibrillenelemente binneigt und genetische
Beziehungen derselben zu den peripheren Zellelementen nicht zu statuieren
vermag.
Oute Abbildungen und ein reiches Literaturverzeichnis sind der auch in
anderen Einzelheiten interessante Details enthaltenden Arbeit beigegeben.
Pathologie des Nervensystems.
6) Nevrite ascendante et rhumatisme ohronique, par P.Lejonne et M.Char-
tier. (Revue neurologique. 1906. Nr. 19.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
In einem Falle, bei dem sich, anschließend an ein Trauma des Mittelfingers
(offene Wunde, antiseptische Wundbehandlung), eine ascendierende Neuritis in den
Nerven der korrespondierenden Oberextremität entwickelt hatte, stellten sich auch
Schmerzen und Bewegungsstörungen in den Gelenken (vom Ellbogengelenke an
nach abwärts) ein, mit ödem und Rötung der Hand und spindelförmiger, ödema-
töser Schwellung mehrerer Finger. Das Radiogramm gab, wie die Verff. mit-
t ei len, ein dem beginnenden chronischen Rheumatismus entsprechendes Bild.
Die Verff. diskutieren die beiden Möglichkeiten einer primär-infektiösen oder
sekundären Genese der von ihnen als rheumatisch angesprochenen, auf die Neuritis
gefolgten Affektion, vermögen aber keine bestimmte Entscheidung zu treffen.
7) Epidemie multiple neuritis of obsoure origin, by M. A. Bliss. (Joum. of
Nerv. and. Ment. Disease. 1905. Dezember.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
Verf. hat in einer Irrenanstalt bei einer Belegzahl von 250 Betten im
September 1904 24 Fälle von multipler Neuritis beobaohtet, die im wesentlichen
folgende Symptome darboten: Paresen der unteren Extremitäten, nur in wenigen
Fällen auch der Arme, schnell einsetzende Muskelatrophien, Empfindlichkeit der
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Muskulatur, Fehlen der Sehnenreflexe, Ödeme der Beine, beschleunigte Herztätig¬
keit, Anämie, keine Gastrointestinalerscheinnngen. Die Krankheit nahm, soweit die
Patienten nicht an interkurrenten Affektionen starben, einen günstigen Verlauf,
Heilung trat nach etwa 8 Monaten ein. Eine Ätiologie war nicht auffindbar.
Bemerkenswert ist, daß unter den 24 Fällen sich 14 Epileptiker befanden.
8) Neuritis multiplex post pertussim, von Dr. Fr. Soucek. (Casopis ces. 14k.
1906. S. 1321.) Ref.: Pelnär (Prag).
2 l /j jähriger Patient fing an in den letzten Tagen seiner 4 Wochen dauernden
Krankheit schlecht zu gehen, fiel öfters um, bis er endlich unfähig war, sich auf
den Füßen zu erhalten. Die Paralyse traf nach den unteren Extremitäten auch
die oberen und zuletzt auch die Rückenmuskeln und Nackenmuskeln; auch die
linksseitigen Bauch* und Atmungsmuskeln waren paretisch. Schließmuskeln, Kau*
und Gesichtsmuskeln sind verschont geblieben. Die betroffenen Muskeln waren
elektrisch unerregbar. Die Nervenreflexe waren druckempfindlich. Subjektiv
klagte der Pat. über fortwährende Parästhesien im Rumpfe und in den Extremi¬
täten. Objektiv wurde eine Analgesie am Rumpfe und an den Extremitäten
konstatiert. Nach 11 Tagen kehrte die Sensibilität an den unteren, dann auch
am übrigen Körper zurück, nach 14 Tagen erschienen die ersten spontanen Be¬
wegungen der oberen Extremitäten, dann erschien die Motilität an der Rumpf¬
muskulatur, und nach 6 Wochen erst an den unteren Extremitäten. Nach
2 Monaten konnte der Pat. noch nicht auf den Füßen stehen. Verf. erklärt das
Beobachtete als eine toxische Polyneuritis und sucht dieselbe in eine Parallele
mit den postdiphtherischen Lähmungen zu setzen.
0) Un OM de paralysle dlphterique, par Prof. Raymond. (Archives gönärales
de mödecine. 1905. S. 532.) Ref.: Toby Cohn (Berlin).
Ein 30jähriger Mann wird von einer diphtherischen Angina befallen und
mit Serum behandelt. 3 Tage nach Beginn des Leidens bekommt er eine Gaumen¬
segel-, Zungen- und Lippenlähmung, die nach einigen Tagen heilen. Etwa
4 Wochen später traten nach einem anstrengenden Marsch Akkommodationslähmung,
Facialislähmung und Störung der Respiration und Herztätigkeit auf, ziemlich
schwer, aber bald vorübergehend, und nun entwickelt sich eine inkloraplette Lähmung
der unteren und eine geringere der oberen Extremitäten mit Sensibilitätsstörungen
(spontanen und Druokschmerz der Muskeln und Nervenstärame, Lagegefühls¬
störungen), Verlust der Sehnenreflexe, Muskelatrophie und partieller Entärtungs-
reaktion. Nach mehreren Wochen völlige Heilung. Durch das Diphtheriegift
wurden alle Partien des Nervensystems ergriffen. Die mit dem Toxin in direkte
Berührung kommenden, dem Krankheitsherd benachbarten Nervenstämme werden
sehr rasch und in elektiver Weise befallen. Wenn die Intoxikation länger dauert,
werden sowohl gewisse Gruppen bulbärer Ganglienzellen als die peripherischen
Nerven ergriffen. Im allgemeinen machen die Zellalterationen keine klinisch
sichtbaren Reaktionen — mit Ausnahme der bulbären Kerne —, da sie zu wenig
ausgesprochen und zu wenig ausgedehnt sind. Die eigentlichen diphtherischen
Lähmungen werden von der Läsion der peripherischen Nerven verursacht.
10) Deux om de paralysle diphtörique, aotlon du sdrum de Roux, par
L. Guinon et H. Pater. (Bull, de le Soc. de Pädiatrie de Paris 1906.)
Ref.: Zappert (Wien).
Die Verff. stellen in sehr instruktiver Form 2 Fälle schwerer diphtherischer
Lähmung gegenüber, von denen der eine trotz großer Dosen von Rouxschem
Diphtherieserum an den Lähmungssymptomen zugrunde ging, während der andere
ohne irgendwelche markante Behandlung ganz unvermittelt aus schweren Lähmungs-
ersoheinungen genas. Selbstverständlich spricht dies nicht für die Serumbehandlung
der postdiphtherischen Polyneuritis.
In der Diskussion verteidigt Coraby diese Behandlungsmethode. Netter
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empfiehlt interne Adrenalinbehandlung. Barbier tritt gleichfalls für die Serum*
Behandlung der Lähmungen ein und meint, daß namentlich Diphtheriefälle mit
später Serumbehandlung, solche mit sehr sohweren Belägen und solche mit ver-
langsamter Serumreaktion zu späteren Lähmungen neigen.
11) Über urämisohe Neuritis, von Dr. Beinhold Dünger. (Münchener.med.
Wochenschr. 1906. Nr. 16.) Bef.: E. Asch.
Im Gefolge einer schweren akuten hämorrhagischen Nephritis, die bei einem
vorher gesunden Mann (Schlosser) plötzlich einsetzte und unter hohem Fieber und
Ödemen zu leicht urämischen Erscheinungen führte, entwickelte sich im linken
Arm eine echte Neuritis. Anfangs handelte es sich um eine Plexusneuritis im
linken Plexus brachialis, die aber bald bis auf den N. medianus zurückging und
in dessen Gebiet längere Zeit manifest blieb. Nioht unwahrscheinlich ist, daß in
diesem Falle der Beruf als Schlosser eine gewisse Disposition für die Erkrankung
des Medianus abgab. Die Ursache dieser nephritischen Neuritis ist in einer Über¬
ladung des Blutes mit harnfähigen Substanzen zu suchen und den dyskrasisohen
Neuritiden (Gicht, Diabetes usw.) gleichzustellen.
12) Über kortikale Herdersoheinungen in der amnestieohen Phase poly-
neurltlsoher Psychosen, von Dr. Beinhold Eutner. (Archiv f. Psych.
u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Bef.: Heinicke (Großschweidnitz).
An der Hand von drei kürzer und vier eingehend beschriebener Fälle poly*
neuritischer Psychosen, die bald mehr, bald weniger ausgeprägt, in der amnesti¬
schen Phase kortikale Herderscheinungen, als aphasische Storung, Agraphie und
Paraphasie, ferner Hemianästhesie, Monoplegie und Jacksonsche Epilepsie, boten,
erwägt Verf., welche pathologisch • anatomische Vorgänge diesen Erscheinungen
zugrunde liegen können. Er ist der Meinung, daß zum Teil Gefäßverschlüsse
durch Intimaveränderungen, wie sie dem chronischen Alkoholismus eigen sind, in
dieser Hinsicht in Betracht kommen; weniger Blutungen, die ja überhaupt in der
Binde zu den Seltenheiten gehören; in einem Falle, wo einzelne Herderscheinungen
schnell zurückgingen, glaubt er den Grund hierfür in schwerer, aber reparabler
Schädigung des betreffenden Hirnteiles durch die alkoholische Giftwirkung suchen
zu dürfen, die sich nach der Entgiftung zurückbildet.
Die in gehäuften Anfällen sich zeigende Jaoksonsche Epilepsie führt Verf.
hypothetisch auf eine akute lokale Steigerung des chronischen Prozesses zurück.
Die aphasische Störung, Agraphie und Paraphasie faßt er als Beste ab*
gelaufener sensorischer Aphasie auf; sie ist also eine in der sensorischen Sprach-
region lokalisierte Affektion und stellt nur eine Verstärkung des allgemeinen
Hirnprozesses dar.
13) La psyohoae polynevritique et le beri-beri, par Nina Bodriguez.
(Annal. m6d.-psycb. 1906. März/April.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Manson hatte die Ansicht vertreten, man könne die Polyneuritis bei Beri-
Beri von der bei Malaria durch folgende Kennzeichen trennen: bei ersterer be¬
stehen mit Vorliebe Herzstörungen, bei letzterer Schwäche des Gedächtnisses.
Verf. weist auf Grund der Literatur und eigener ausgedehnter Erfahrung
auf das Unrichtige dieser Anschauung hin. Dabei stützt er sich besonders auf
Untersuchungen von Erico Coelko, der sohon ein Jahr vor Korsakow die
typischen Zeichen des Korsakow bei Beri-Beri-Polyneuritis beschrieb. Wie die
Polyneuritis, so tritt auch die Korsakowsche Psychose fast regelmäßig bei Beri-
Beri auf. Am häufigsten ist die reine amnestische Form ohne deliriöse Beigaben.
Mit der Besserung bzw. Heilung des Beri-Beri trat auch eine solche der
Psyche ein.
14) I fenomeni nevritioi negli allenati e i fenomenl psioopatici nelle nevriti,
per E. Medea. (Annali di nevrol. XXIV.) Bef.: Erwin Stransky (Wien).
Eine kritische Studie, in der sich Verf. einmal gegen die Annahme wendet,
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daß den bei Geisteskrankheiten verschiedenster Art mannigfach erhobenen Ver-
änderungen in den peripheren Nerven irgendein wesentlicher Einfluß auf die Ge¬
staltung des Krankheitsbildes zukomme, und in der er sich andererseits gegen
die Annahme ausspricht, als gebe es irgendwelche spezifisch gefärbten Psychosen
bei Neuritiden bzw. Polyneuritiden. Bezüglich Einzelheiten sei auf die inter¬
essante und insbesondere auf zahlreiche literarische Daten sich stützende Original¬
arbeit verwiesen.
15) Pruritus als Inltialerpohelnung des Herpes soster, von Prof. Bettmann
in Heidelberg. (Deutsohe med. Wocb. 1906. Nr. 19.) Ref.: R. Pfeiffer.
In den zwei mitgeteilen Fällen entstand ein Pruritus von zoster-ähnlicher
Lokalisation, hielt längere Zeit an, bis schließlich in dem affizierten Hautbezirk
tatsächlich ein Herpes zoster auftrat, und verschwand mit dem Ablauf des Herpes.
Verf. sieht den Zoster als direkte Ursache des Pruritus an.
16) Notizen zur Symptomatologie der Beri-Beri, von K. Miura. (Neurologia.
IV. 1905. April.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Aus der Stellung und Bewegungsfähigkeit des Fußes und der Zehen kann
man mit großer Sicherheit einen Rückschluß auf das Verhalten der elektrischen
Erregbarkeit und damit auf die Prognose ziehen: Spitzfußstellung mit schlaff
herabhängendem Fuße und plantarflektierten Zehen entspricht der kompletten Ent¬
artungsreaktion; Dorsalflexion der vier letzten Zehen im Hetatarsophalangeal-
gelenk bei Beugung im Interphalangealgelenk, Plantarrichtung der gestreckten
großen Zehe und Unmöglichkeit der Hebung des Fußes deutet auf partielle Ent-
artungsreaktion; kann der Fuß und die Zehen etwas dorsalflektiert werden, so
besteht nur einfache Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit. An der Hand
kann man, wenn in selteneren Fällen deren Lähmung überwiegt, 3 Typen unter¬
scheiden: bei schwerster Lähmung Volarflexion aller Finger, der Zeigefinger nimmt
die höchste Stelle ein, der Daumen kann nicht abduziert und gestreckt werden;
in leichteren Fällen ist der Mittelfinger noch leicht gestreckt, während alle
anderen in Beugestellung verharren; in einer 3. Gruppe bleiben II. und V. Finger
vermöge ihrer eigenen Extensoren noch gestreckt, die beiden mittleren sind volar¬
flektiert. Schließlich weist Verf. auf die Wichtigkeit hin, die einer frühzeitigen
Behandlung der Neigung zu Kontrakturen zukommt, besonders durch Massage
und passive Bewegungen, sowie der Bekämpfung der Quadricepslähmung durch
methodische aktive und passive Beuge- und Streckbewegungen, in leiohteren Fällen
Üben der Kauerstellung.
17) Bar lo p&thogönie du tremblememt merouriel, par G. Guillain et
Laroche. (Revueneurolog. 1907. Nr.4.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Die Pathogenese des Tremors bei der professionellen Quecksilbervergiftung
ist noch einigermaßen ungeklärt; die Meinungen der Autoren darüber sind geteilt
und vielfach wird die Ansicht verfochten, als schwänden die Tremores, wenn die
Noxe in Wegfall gekommen; Charcot hatte denselben für hysterischer Natur
gehalten. Die Verff. bringen zwei Fälle, senile Individuen betreffend, die früher
professionell mit Quecksilber gearbeitet, nunmehr aber seit mehr als 30 (der eine
sogar seit 42) Jahren nichts mehr damit zu schaffen hatten; gleichwohl sollen
seit jener Zeit die Tremores in den Gliedmaßen der Kranken bestehen (von der
Art wie der Intentionstremor). Bei beiden Kranken bestand auch Steigerung der
Patellarsehnenreflexe; in beiden Fällen Nystagmus, in beiden Störungen der
Diadochokinese; in einem Falle ein dem cerebellaren ähnlicher Gang.
Die Verff. glauben nicht, daß man angesichts dieser Befunde den merkuriellen
Tremor als funktioneller Natur ansprechen kann; dagegen sprechen auch die auch
von anderen Beobachtern erhobenen organischen Symptome dabei (Reflexsteigerung,
Dysarthrie), die Befunde von Raymond und Sicard im Liquor cerebrospinalis
(Quecksilber in Spuren und Lymphocytose) bei einem Kranken und die Ergeb-
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459 —
nisse der anatomischen (Wising) und experimentellen (Brauer) Untersuchungen.
DieVerff. würden am ehesten an einen der multiplen Sklerose verwandten Krank*
heitsvorgang denken, und zwar chronisch-entzündlicher Art, eingeleitet durch einen
mehr akut eingesetzten pathologischen Prozeß, vorwiegend im Bereioh des Klein¬
hirns oder seiner Verbindungsbahnen; das Hypothetisohe des letzten Teiles dieser
ihrer Annahme geben die Verff. selber zu.
18) Troubles ooulomoteurs per intoxioation raohi - labyrinthique , par
P. Bonnier. (Bevue neurolog. 1907. Nr. 6.) Ref: Erwin Stransky (Wien).
Verf. rekurriert auf die Mitteilung von L6vy und Baudouin in der Revue
neurologique, 1907, Nr. 3 (vorübergehende Augenmuskellähmungen nach Injektion
von Stovain, Alkohol usw. in den Cerebrospinalsack) und verficht die Annahme,
daß diese Störungen durch direkte Einwirkung des injizierten Ingrediens auf
die so besonders empfindlichen Labyrinthnervenenden zu erklären seien (Korn*
munikation zwischen dem Cerebrospinalraum und dem Labyrinthe), von wo aus
auf reflektorischem Wege (via Deitersscher Kern) die Augenmuskelstörungen
zustande kommen könnten. Verf. hat, wie er ausführt, schon vor mehreren
Jahren darauf hingewiesen, daß gerade Störungen im Bereich des Facialis, wie
die genannten Autoren sie beschrieben, vom Labyrinth auB besonders häufig aus-
gelöst würden. Verf. weist bei dieser Gelegenheit auch darauf hin, daß das
Gradenigosche Syndrom (Abducensparalyse bei Otitis) schon lange vor Grade-
nigo bekannt gewesen sei.
19) Akute ansteigende (Landrysche) Paralyse naoh Typhus abdominalis
mit Ausgang in Heilung, von Schütze. (Berliner klin. Wochenschrift.
1906. Nr. 7.) Bef.: Bielschowsky (Breslau).
Nach einer kurzen Zusammenstellung der für die Landrysche Paralyse ätio¬
logisch wichtigen Momente, gibt Verf. eine ausführliche Krankengeschichte seines
Falles. Es handelt sich um einen russischen Soldaten, der während des russisch¬
japanischen Feldzuges an Typhus abdominalis erkrankt war. Im Anschluß daran
entwickelte sich die Landrysche Paralyse in charakteristischer Weise. In den
unteren Extremitäten beginnend, schreitet die Paraplegie rasch zu den Armen
fort; nennenswerte Sensibilitätsstörungen fehlen, völlige Integrität der Blasen- und
Mastdarmfunktionen. Zu diesen schweren Symptomen gesellten sich vorüber¬
gehende Respirationsstörungen und Facialislähmung. Differentialdiagnostisch aus¬
schlaggebend war die Tatsache, daß niemals eine Herabsetzung der elektrischen
Erregbarkeit oder Entartungsreaktion aufgetreten war. Nach zweimonatlichem
Lazarettaufenthalt, während dessen Bewegungstherapie, Sohmierkur mit gleich¬
zeitig täglicher Darreichung von 1,2 g Jodnatrium angewendet wurde, trat völlige
Heilung ein.
20) Landrys paralysis, by Eric Macnamara and Julius Bernstein. (Brit.
med. Journ. 1906. 4. August.) Bef.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Unter ausführlicher Mitteilung eines zur Heilung gekommenen typischen
Falles von Landryscher Paralyse bei einem 30 jähr. Patienten wird die Ätiologie,
pathologische Anatomie und Prognose der genannten Affektion besprochen.
Im vorliegenden Falle hatte Bernstein das Blut und die durch Lumbal¬
punktion gewonnene Cerebrospinalflüssigkeit bakteriologisch untersucht und darin
einen Mikroorganismus gefunden, welcher dem Tetracoccus glich, den Buzzard
in einem tötlich verlaufenden Fall post mortem isoliert und beschrieben hat.
21) Bin geheilter Fall Landrysoher Paralyse, von A. Fisch. (Ärzteverein
des Biharer Komitates in Nagyvärad, Sitzung vom l.März 1906. [Ungarisch.])
Bef.: Hudovernig (Budapest).
46 jähriger Mann, kein Potator, nie luetisch infiziert, erkrankt Ende
November 1905 unter Symptomen starker Parästhesien und Schwäche der Beine,
als dessen unmittelbare Ursache eine Erkältung angegeben wird. Kein Fieber,
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Gehimnerven und Sinnesorgane normal; Druckkraft der Hände abgeschwächt;
Beine gelähmt, Muskulatur derselben schlaff, Waden druckempfindlich; Reflexe
der unteren Extremitäten nicht auslösbar; innere Organe und Sensibilität normal;
Beit zwei Tagen Obstipation. Naob einer Woche derselbe Befund, mit zunehmender
Schwäche und fehlenden Reflexen der Arme, und stärkeren Parästhesien. Nach
einer weiteren Woche Lähmung sämtlicher Extremitäten, sowie der Bauch* und
Rumpfmuskulatur; keine Veränderung der elektrischen Erregbarkeit während der
ganzen Krankheit. Im weiteren Verlaufe suocessive Abnahme der Lähmungs-
ersoheinungen, wobei dieselben in den zuletzt ergriffenen Körperpartien zuerst
verschwinden. Anfang Januar vermag Pat. bereits zu geben, nach einem weiteren
Monat Heilung. Therapie: lokale Blutentziehung, Jodkali und Eisenpräparate.
22) Über senile Atrophie der Augenmuskeln, von K. Thiele u. P. Grawitz.
(Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 31.) Ref.: R. Pfeiffer.
In einem Falle von isolierter doppelseitiger Ptosis ergab nach dem Tode der
70jähr. Patientin die mikroskopische Untersuchung eine starke Fettmetamorphose
in sämtlichen Augenmuskeln beider Seiten. Systematische Untersuchungen, daß
bei älteren Individuen beider Geschlechter die Augenmuskeln stets mehr oder
minder atrophisch sind, während sie bei jugendlichen Personen nie eine Trübung
oder gar weiter vorgeschrittene Fettmetamorphose zeigen.
23) Organlsohe peripherische und hysterische Faoialisl&hmung, von
Th. Ziehen. (Med. Klinik. 1906. Nr. 25.) Ref.: S. Klempner.
22 jährige Schneiderin bekommt unmittelbar nach einer wegen eines Ohren*
leidens vorgenommenen Aufmeißelung des rechten Warzenfortsatzes eine rechts¬
seitige Gesichtslähmung. Zugleich will Patientin bemerkt haben, daß sie auch
das linke Auge nicht vollständig schließen könne.
Es wurde folgender während der ganzen Dauer der Beobachtung sich gleich
bleibender Befand erhoben: Linke Augenbraue etwas höher stehend als die rechte.
Beim aktiven Augenschluß bleibt der rechte Augenspalt etwa 3 mm, der linke
1 mm weit offen, dabei werden beide Augäpfel regelmäßig ganz nach links
gewendet. Aktives Stirnrunzeln rechts unmöglich, links sehr schwach. Die
0rbikularisreflex8 rechts anfangs sämtlich erloschen, links der Cornealreflex schwach
erhältlich. Rechte Nasolabialfalte fast ganz verstrichen, linke stark vertieft
Linkes Nasenloch stark nach links verzogen. Aktives Mundspitzen erfolgt rechts
überhaupt nicht, links nur eine schwache Kontraktion des Orbic. oris. Backen*
aufblasen gelingt beiderseits nicht. Elektrische Erregbarkeit der Facialismuskeln
links durchaus normal, rechts starke Herabsetzung ohne qualitative Veränderungen.
Unterkiefer nach links verschoben. Zunahme dieser Abweichung bei aktiver
Öffnung der Kiefer. Im übrigen besteht lebhaftes Zittern der rechten Hand, aus¬
gesprochene rechtsseitige Hemihypalgesie. Die rechtsseitige Facinlislähmung ist
als peripherische organische aufzufassen. Die Störungen im linken Facialisgebiete
charakterisieren sich als Lähmung im linken Orbic. oris und Kontraktur im
linken Mundfacialisgebiete und sind hysterischer Natur. Außerdem besteht rechts
eine hysterische Pterygoidkontraktur. Das anscheinend so sehr zusammengesetzte
Symptomenbild klärt Verf. auf psychologischem Wege in überraschend einfacher
Weise auf. Die Grundlage bildet die hysterische Konstitution, den Ausgangs¬
punkt der hysterischen Symptome im Bereiche des Gesichts die rechtsseitige
organische, mit der Operation entstandene Facialislähmung, die Ausbreitung der
hysterischen Symptome geschieht im Sinne der Autoaggravation und wird be¬
herrscht von naiven regionären und funktionellen Vorstellungen. Die assoziierte
Seitwärtsbewegung der Bulbi beim Versuche die Lider zu schließen, ist nicht als
Flucht- oder Schutzbewegung, wie das Bellsohe Phänomen, sondern als Hilfs¬
bewegung aufzufassen.
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42) Die otitlsohen Faoialisparesen, von Neu mann. (Wiener med. Wochenschr.
1906. Nr. 25 bis 27.) Bef.: Pilcz (Wien).
Dieser Aufsatz, der vorwiegend für den Praktiker bestimmt ist, bringt u. a.
folgenden recht lehrreichen Fall aus der eigenen Beobachtung des Autors:
Ein Pat. mit einer Obrenaffektion luetischer Genese bekam bei eingeleiteter
Jodkalimedikation eine totale linksseitige Facialisparese, welche nach Aussetzen
des Mittels in kurzer Zeit völlig zurQckging, um — bei neuerlichem Jodkali*
gebrauche — abermals aufzutreten. Verf. nimmt eine duroh das Jod bedingte
entzündliche Hyperämie und seröse Durchfeuchung des Neurilemmes an, sowie der
endostalen Auskleidung des Facialiskanales.
26) Einseitiges, nnr beim Essen auftretendes Tränenfließen naoh Facialis*
lfthmung, von Dr. Engelen in Düsseldorf. (Deutsche med. Wochenschrift.
1906. Nr. 35.) Bef.: B. Pfeiffer.
Vor einem Jahr linksseitige Faoialislähmung, ohne Behandlung geheilt; jetzt
links nur beim Essen auftretendes Tränenfließen. Die Gesiohtsfaltenbildung links
leicht verschärft; beim willkürlichen Augenschluß links lebhafte mimische Mit*
bewegungen. Elektrische Erregbarkeit stark herabgesetzt. Wahrscheinlich hat
die erschwerte Beizleitung im Facialisverlauf einen Erregungszustand im Facialis*
kern hervorgerufen. Dieser sekundäre Beizzustand ist ohne galvanische Be*
handlung eingetreten.
26) Un oas de paralysie faolale obstretioale spontanee, par L. Bercel.
(Bevue mensuelle des maladies de l'enfance. 1906. November.) Bef.: Zappert.
Der beschriebene Fall ist auffallend, weil die einseitige FacialiBlähmung
gleich nach Geburt innerhalb der ersten 8 Stunden bemerkt wurde, weil keinerlei
Schwierigkeiten bei der Entbindung bestanden und weil nach anfänglicher Ver¬
schlechterung die Lähmung schließlich (6. Monat) vollkommen verschwand. Es
muß jedenfalls trotz der spontanen Geburt eine traumatische Facialislähmung an¬
genommen werden, da das Fehlen anderweitiger Mißbildungen (Ohrläppchen, Schädel)
und der günstige Verlauf eine kongenitale Facialisveränderung ausschließen.
27) Hdmispasme feoi&l pdriphdrique post-paralytique, par Cruohet. (Bevue
neurologique. 1905. Nr. 20.) Bef.: Erwin Stransky (Wien).
Die peripherisch bedingten Facialiskrämpfe unterscheide^ Verf. in primäre,
in prä* und in postparalytische; ein Fall letzterer Art wird in extenso mitgeteilt:
lljähr. Mädchen; vor 4 Jahren plötzliches Auftreten einer linksseitigen Gesichts¬
lähmung von peripherischem Typus, die später zurückging; ein Jahr darauf Auf¬
treten tonischer Krämpfe und später anfallsweiser klonischer Zuckungen in der
gelähmten Gesichtshälfte. Die genauere Aufnahme deB Status präsens ergab das
Bestehen eines tonisch-klonischen Krampfzustandes der gelähmten Seite; der
tonische Krampf nimmt zu bei mimischen Bewegungen des Gesichts; er ist haupt¬
sächlich gekennzeichnet duroh Verengerung der Lidspalte, durch Erhebung des
linken Mundwinkels, durch sohärfere Ausprägung der Furchungen in dieser Ge¬
sichtshälfte. Die klinische Analyse gestattet eine Zerlegung des Gesamtbildes
dieser tonischen Krämpfe in Detailbilder nach regionären Gesichtspunkten.
Interessant ist dabei, daß ebenso, wie willkürlicher Schluß z. B. der Lidspalte
eine krampfartige Mitbewegung im Mundfaoialis im Gefolge haben kann, das Ver¬
hältnis sich umkehren und letztere als Willkür- wieder entere als Mitbewegung
zu provozieren vermag; bei den anderen krampfartigen Synergien tritt diese Um¬
kehrung weniger deutlich in Erscheinung. Mit den tonischen Krämpfen ver¬
gesellschaftet, zuweilen aber auch unabhängig von ihnen vereinzelt und anfalls¬
weise auftretend klonische Zuckungen in den Muskeln der affinierten Gesichtsseite.
Elektrische Erregbarkeit ist normal.
Verf. läßt es dahingestellt, ob Heilung anzunehmen oder die Etablierung
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eines Kontrakturzustandes zn befürchten sei. Die Pathogenese dieser Fälle halt
er für dunkel.
28) Bin Fall von Diplegia faoialis, von Panski. (Czasopismo lekarskie. 1906.
Nr. 10. S. 642. [Polnisch.]) Bef.: Edward Flatau (Warschau).
Verf. beschreibt folgenden Fall von doppelseitiger Facialislähmung. Die
64 jährige Frau merkte zunächst leiohtes Tränen des rechten Auges, am nächsten
Tage Lähmung der rechten Gesichtsmuskulatur (gleichzeitig GeschmackBstürung
auf der rechten Zungenhälfte). Der noch 5 Tagen erhobene Status ergab typische
rechte Facialislähmung sämtlicher Äste (kein Geschmack in der vorderen Hälfte
der Zunge rechts). Nach etwa einer Woche merkte Patientin, daß das Gesicht
gerade wurde, und daß sie links den Geschmack nicht fühle. Es zeigte Bich, daß
hier plötzlich sich eine linksseitige totale Facialislähmung hinzugesellte (Masken*
gesicht mit Amimie und großen tränenden Augen). Links gesteigerte elektrische
Beaktion, rechts partielle Entartungsreaktion. Zunächst war auch rechts gesteigerte
Beaktion vorhanden. Sonst keinerlei Erscheinungen seitens des Nervensystems.
Verf. kommt per exclusionem zum Schluß, daß es sich hier um eine primäre
doppelseitige Facialislähmung handelt, wobei dieselbe Ursache rechts zu einer
schwereren Lähmungsform, links dagegen zu einer leichteren geführt hat.
29) Die periphere Faoialislähmung und ihre Behandlung, von A. Fuchs.
(Wiener med. Presse. 1907. Nr. 6 u. 7.) Bef: Pilcz (Wien).
Für den Praktiker sehr lesenswerter Aufsatz. Bemerkenswert ist, daß Verf.
auch sehr veraltete Fälle durchaus nicht so hoffnungslos erachtet und einer ge*
wissen chirurgischen Polypragmasie energisch entgegentritt.
Mehrere Abbildungen im Texte.
30) Faoial palsy and its treatment, by Purves Stewart. (Westminster
Hospital Beports. XIV. 1905.) Bef.: Toby Cohn (Berlin).
Verf. empfiehlt bei peripherischer Facialislähmung, wenn nach 6 Monaten
keine Besserung eintritt, oder wenn nachweislich der Nerv durchschnitten und
primär nicht zu nähen ist, eine Nervensutur mit dem Accessorius oder dem Hypo*
glossus. Letztere zieht er vor, weil nach seinen Erfahrungen die dissoziierte und
emotive Beweglichkeit des Facialisgebietes dabei leichter eintritt, während bei den
Accessoriusoperationen Schultermuskeln gleichzeitig innerviert werden mußten.
Er verfügt über eije Beihe so operierter Fälle. (Bef. meint aber, daß 6 Monate
zu früh sind, um einen derartigen Eingriff zu rechtfertigen. Es ist ganz sicher,
daß auch noch später Erholungen eintreten.) — In bezug auf die Nosologie der
Facialislähmung enthalten die Ausführungen des Verf.'s nichts Neues. Erwähnens*
wert ist nur seine auf den Arbeiten von Botazzi über den Muskeltonus beruhende
Hypothese zur Erklärung der sekundären Kontraktur: von den zwei, naoh Botazzi
die Muskelsubstanz zuBammensetzenden Elementen, der anisotropen Fibrillensubstanz
und dem Sarkoplasma, ist das letztere in einem dauernden Tonuszustande. Wenn
die vorher degenerierte Fibrillensubstanz (sie ist nach Verf. die einzige, die den
Degenerationsprozeß mitmacht) unvollkommen regeneriert wird, ist ein Überwiegen
des Sarkoplasma und damit eine Hypertonie die bleibende Folge.
31) Über Nervenpfropfung bei peripherisoher Faoialislähmung vorwiegend
vom neurologischen Standpunkte, von Prof. M. Bernhardt in Berlin.
(Mitt. a. d. Grenzg. d. Med. u. Chir. 1906.) Bef.: S. Klempner.
Verf. gibt eine erschöpfende Übersicht über die bisherigen Ergebnisse der
Nervenpfropfung bei Facialislähmung. Es handelt sich im ganzen um 38 Fälle:
26 von Zesas gesammelte und im Jahre 1904 veröffentlichte und 12 nach dieser
Arbeit bekannt gegebene Mitteilungen über das in Bede stehende Thema, darunter
zwei eigene Beobachtungen.
Bei kritischer Würdigung der bisher erzielten Erfolge erkennt Verf. als
zweifellos erwiesen an, daß durch die Nervenpfropfung die Asymmetrie des Ge*
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sichtes in der Bähe in mehr oder weniger vollkommener Weise gehoben werden
nnd die aktive Bewegung in der lange Zeit vollkommen gelähmt gewesenen Ge*
sichtshälfte wiederkehren kann; er hält es aber för fraglich, ob diese Resultate
dem Patienten von solchem Vorteil sind, daß man ihm deswegen zur Operation
raten kann. Denn gleichviel welchen von den beiden in Betracht kommenden
Nerven man zur Pfropfung wählte, den N. accessorius oder N. hypoglossus, die
von dem restituierten Facialis bzw. seinen ihm zugehörigen Muskeln ausgeführten
Bewegungen blieben dissoziiert, d. h. sie konnten nioht ohne Mitbewegung der*
jenigen Muskeln zustande kommen, die ihre Innervation von dem zur Pfropfung
verwendeten Nerven beziehen. Sodann ist eine Wiederherstellung der mimischen
unwillkürlichen Bewegungen, welche bei den verschiedenen Affekten und Gemüts*
bewegungen in beiden Gesichtshälften symmetrisch auftreten müssen, bisher kaum
je erzielt worden. „Kann bei einseitigen Gesichtsmuskelbewegungen der Willens*
impuls durch Übung und Lehre dahin gelenkt werden, daß er in das neue Gebiet
dee zur Operation benutzten Nerven allmählich hineingelangt und für das Gesicht
wirksam wird, so können die unwillkürlich oder reflektorisch erfolgenden Aus¬
drucksbewegungen bei der zerstörten Leitungsbahn des einen Facialis den Weg
zu ihm nicht finden.“
Verf. ist der Meinung, daß man sich im allgemeinen eher dee N. hypoglossus
als des N. accessorius zur Pfropfung zu bedienen habe (Lähmung, Atrophie, Mit¬
bewegungen offenbaren sich nicht nach außen). Ob es sich empfiehlt, den zur
Pfropfung benutzten Nerven nur anzufrischen oder gänzlich zu durchsohneiden,
kann Verf. zurzeit noch nicht entscheiden.
32) Über die Rekurrensparalyse, von Dr. V. Guttmann. (Casop. oes. 14k.
1906. S. 990.) Ref.: Pelnär (Prag).
Eine vom ätiologischen Standpunkte ausgehende Zusammenstellung von 16 Fällen,
die an der medizin. Klinik von Prof. Maizner beobachtet wurden. I3mal war
das linke Stimmband betroffen und nur 2 mal das rechte (und das noch einmal
nach einem direkten Trauma bei Strumektomie). In 6 Fällen handelte es sich
nm ein Aneurysma aortae, je 2 mal um eine Syringomyelie, Hypertrophie des
Herzens und um Struma, je einmal um Tabes, Drüsenschwellung im Thorax
(Tuberkulose, Krebs) und Diphtherie.
33) Über die Rekurrenslähmung bei Vitium oordis, von Gantz. (Medycyna.
1906. Nr. 28. [Polnisch.]) Ref.: Edward Flatau (Warschau).
Verf. berichtet über einen Fall von Herzklappenfehler mit Rekurrenslähmung.
Der Fall betraf einen 30jährigen Mann, welcher an stenosis et insufficientia valv.
mitralis gelitten hat. Es entstand bei ihm ferner ein Infarkt in der linken Lunge
und Nephritis. In der 8. Woohe des Krankenhausaufenthaltes merkte Pat, daß
seine Stimme heiser wurde. Die laryngoskopische Untersuchung zeigte, daß es
sich um eine linksseitige Rekurrenslähmung gehandelt hat. Sowohl die klinische
Untersuchung wie auch das Röntgenogramm zeigten, daß hier weder ein Aorten¬
aneurysma noch ein Mediastinaltumor bestand. Dagegen war der linke Vorhof
vergrößert.
Der Kranke verstarb und die Sektion zeigte nebst den Veränderungen der
Mitralkappen, Vergrößerung des linken Ventrikels und Vorhofes noch eine enorme
Stauungsvergrößernng der Tracheal* und Bronchialdrüsen. Diese letztere Er¬
scheinung bewirkte also die Rekurrenslähmung.
34) Zur Kasuistik der aeurlfelsohen Plexuslähmung (Plexus braohialis), von
Prof.Dr.J. Grober. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXX. 1906.) Ref.:E.Asoh.
Es handelt sich um eine 34jährige Frau, welche vor 9 Jahren an einer von
einem kariösen Backenzahn ausgehenden Periostitis gelitten hatte. Im Anschluß
daran Absceßbildung an der rechten Wange, Inzision, Kieferklemme, zurüokbleibende
Schwellung am Angulus mandibulae, Entfernung des erkrankten Molaris. Zwei
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Wochen nach der Inzision, die durch den M. masseter bis in die Parotis geführt
war, linksseitige Facialislähmung. Im Gegensatz zu dem Krankenjournal soll es
sich nach den Angaben der Patientin aber um eine Facialislähmung rechts ge¬
handelt haben (?). Frühjahr 1905 nach Influenza Bewegungshemmung des linken
Unter- und Oberarmes mit Druckempfindlichkeit verschiedener Armnerven und des
ErbBchen Punktes. Herbst 1905 Klagen über Schwindel, Kopf- und Nacken-
schmerzen, Erbrechen, Gedächtnisschwäche und leichte Benommenheit. Objektive
Störungen waren nicht festzustellen. Am meisten fielen Zuckungen im unteren
Teil der rechten Gesichtsbälfte auf, ferner eine adhärente Narbe an der Außen¬
seite des rechten Unterkiefers mit darunterliegender periostitischer Verdickung,
außerdem eine rechtsseitige, peripherische Facialislähmung mit vorwiegendem Be¬
troffensein seiner unteren Fasern und zu gleicher Zeit eine linksseitige, centrale
Facialislähmung, die normalen elektrischen Befund ergab und offenbar als die
früher überstandene Affektion angesehen werden mußte, während rechts weder
direkt noch indirekt eine elektrische Zuckung ausgelöst werden konnte. Infolge
der beiderseitigen Facialisparalyse und der erwähnten Zuckungen der rechten
Gesichtshälfte ergab sich ein sehr interessantes Bild der GesichtsbewegungeQ,
Es fanden sich weiterhin rechtsseitig Miosis, Ptosis und Volums Verringerung des
Bulbus (Hornerscher Symptomenkomplex), Anfälle von Herzpalpitationen und
Atrophien in den Mm. deltoideus, Supraspinatus, Triceps, Brachialis int, Supinator
longus, den Flexores carpi, den Handstreckem, den Interossei, Thenar und Hypo-
thenarmuskeln der linken Seite. Sensibilitätsveränderungen wurden nicht bemerkt
Es dürfte eine Affektion des Bücken markes selbst ausgeschlossen bleiben und
sich hier um eine Plexusneuritis gehandelt haben, während die beiderseitigen
Facialislähmungen nur als zufälliges Zusammentreffen anzusehen sind, wodurch
die Diagnose allerdings um ein wesentliches erschwert wurde.
36) Paralysie radioul&ire du plezua braohlal au oours d’une lymphadinie,
par Raymond (Guillain). (Progr.m6d. 1905. Nr.43.) Bef.: Viktor Lippert
Komplikationen seitens des Nervensystems im Verlaufe von allgemeinen Er¬
krankungen sind nichts Seltenes; sie sind entweder auf eine gewisse elektive
Affinität der Toxine zu diesem oder jenem Nervengebiet oder auf eine ge¬
wisse Prädisposition des Nervensystems, von bestimmten Krankheiten mit
ergriffen zu werden, ebenso wie bei anderen Organen zurückzuführen; ferner
kommen aber auch nervöse Komplikationen zustande auf zunächst rein mecha¬
nischem Wege, durch Druckwirkungen seitens benachbarter pathologisch (z. B.
karzinomatös) veränderter Organe bei einer Vergrößerung derselben. Die Schwierig¬
keit der Voraussage in diesen Fällen ist nicht durch die nervösen Erscheinungen,
sondern durch die dieselben bedingende Allgemeinerkrankung gegeben: nicht durch
die Natur der letzteren, sondern durch die Art ihres Sitzes sind sie hervorgerufen.
Verf. stellte in seiner Klinik zwei (duroh Guillain veröffentlichte) Fälle vor,
welche in dieser Hinsicht sehr interessant und lehrreich sind. Der eine Kranke
litt an Lymphadenie, in deren Gefolge starke Anschwellungen zunäohst der
Mandeln, dann der Hals- und Axillardrüsen (Hyper- und Heteroplasie) entstanden.
Im Verlaufe der Erkrankung entwickelte sich in rasoher Folge ein. Lähmung der
gleichseitigen (linken) oberen Extremität, welche alle Muskeln des Gliedes ergriff,
besonders aber die Mm. deltoides, brachialis anterior und biceps. Weitere be¬
merkenswerte Symptome waren vasomotorische Störungen des gelähmten Gliedes,
ferner Miosis, Verengerung der Lidspalte linkerseits. Nach eingehender Be¬
sprechung der Differentialdiagnostik, sowohl betreffend die Natur dee
Allgemeinleidens (Karzinom, Syphilis, Tuberkulose, Lymphadenie) als auch betreffs
der Art des nervösen Symptomes (Hysterie, Jaoksonsohe Epilepsie, Syringo¬
myelie, Hämatomyelie, Poliomyelitis aouta oder chronica, periphere infektiöse oder
toxische Neuritis) stellte Verf. die Diagnose auf Lähmung der Wurzeln des Plexus
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brachialis; dafür sprach zunächst die Topographie der gelähmten Muskeln, dann
die elektrische Prüfung, ferner die Form der Sensibilitätsstörung, außerdem die
okulopupillären (Pupille links < rechts) Symptome. Auch anatomische und physio¬
logische Erwägungen ließen Verf. zu dieser Diagnose gelangen; daß das mecha¬
nische Moment außer auf die oberen auoh in mäßigem Grade auf die unteren
Wurzeln schädigend wirkte, ergab sich außer aus den okulopupillären Symptomen
aus der gefundenen einfachen Abschwächung der elektrischen Reaktion der Muskeln
des entsprechenden Gebietes.
Im 2. Falle handelte es sich um die Entstehung derselben nervösen Störung
(Lähmung des Plexus brachialis); die Veranlassung war hier ein Messerstich in
die Fossa subclavicularis — also fast ein reines physiologisches Experiment. Die
Lähmung des betroffenen linken Armes trat sofort ein: der Zustand blieb während
der mehrmonatigen Beobachtung des Falles ziemlich unverändert. Es besteht:
Muskelatrophie, besonders der Muskeln des Schnltergürtels, Schwerbeweglichkeit der
Schulter, Erschwerung der Flexion des Vorderarmes gegen den Oberarm, im Gegen¬
satz zu der leicht auszuführenden Extension; Herabsetzung der Kraft der Hand
linkerseits, ebenso der Reflexe; die anfänglich bestehenden Sensibilitätsstörungen
sind jetzt ziemlich ausgeglichen. Die elektrische Untersuchung bestätigt die
Diagnose.
Die Vergleichung der beiden Fälle soll, wie schon eingangs erwähnt, dartun,
daß an sich verschiedene Ursachen, welche auf dieselben normalen Nerven ein¬
wirken, dieselben Wirkungen hervorrufen.
36) Sor un oas de paralyaie de« böquilles, par Soca. (Nouv. Iconogr. de la
Salpetrige. 1906. Nr. 2.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Ein 70jähriger Soldat wurde in der Schlacht bei Tupamboö durch einen
Schuß inB rechte Bein verwundet. Er mußte nach seiner Entlassung noch an
Krücken gehen. Nach wenigen Tagen hatte er das Gefühl von Ameisenlaufen im
rechten Arm, bald stellte sich eine Veränderung der groben Kraft ein. Der
Arm bot die charakteristische Gestalt der Radialislähmung. In die Lähmung
einbezogen waren Triceps und Sphinoter longus et brevis. Bei näherer Prüfung
stellte sich jedoch heraus, daß auch der Biceps, Coraco-brachialis, Levator scapulae,
Pectoralis major, kurz alle vom Plexus brachialis versorgten Muskeln betroffen
waren. Die elektrische Prüfung ergab durchweg eine Herabsetzung. ' Partielle
Entartungsreaktion im Radialis und Medianus. Anaesthesia dolorosa im ganzen
Ober- und Unterarm, ebenso herabgesetzte Empfindung für warm und kalt bei
erhaltener Berührungsempfindlichkeit. Stereognostischer und Muskelsinn o. B.
Die sensiblen Erscheinungen verschwanden nach ein paar Tagen, nur blieb das
Ameisenlaufen bestehen, die motorischen Störungen besserten sich viel langsamer.
Nach 2 Monaten völlige Wiederherstellung.
Auf Grund von Untersuchungen, die Verf. auf Veranlassung dieses Falles an
Leichen anstellte, kommt er zu einer etwas anderen Erklärung der Krückenlähmung,
als sie sich heutigen Tages Geltung erfreut. Bis jetzt hielt man sie für eine
einfache Drucklähmung, wie es für Fälle, wo es sich nur um Radialislähmung
handelt, sicher richtig ist. Verf. nimmt nun an, daß die Lähmung nicht durch
den Druck auf die Achsel hervorgerufen sei, sondern daß die Zerrung der Arm¬
nerven eine Wurzelläsion zuwege gebracht habe, wie es ja auch durch die ana¬
tomische Verbreitung der Lähmung erklärlich ist. Er erinnert daran, daß der
Zug am Arm sämtliche entsprechenden Rückenmarkswurzeln ausdehnt. Die Krücke
dient gewissermaßen nur als Flaschenzug.
37) Mitbeteiligung des Phrenious bei Duehenne-Erb scher Lähmung, von
P. Moritz. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 23.) Ref.: R. Pfeiffer,
Die Lähmung war durch Pferdebiß bedingt worden. Betroffen waren Deltoides,
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Bioeps, Brachialis internus, Supinator longus, Supra- und Infraspinatus, Levator
scapulae und Bhomboides (?). Die halbseitige Phrenicuslähmung machte nur
geringe Beschwerden. Klinisch bemerkenswert war das inspiratorische Einsinken
und die exspira torische Vorwölbung des Epigastriums und beider Hypochondrien,
verständlich bei dem liukseitigen Sitz der Lähmung die mangelnde Beeinflussung
des Standes der Lungengrenzen durch veränderte Körperhaltung, interessant die
skoliotischen Ausbiegungen der Wirbelsäule in Rücksicht auf die Experimente
von Lesser8. Im Röntgenbilde stand die linke Zwerchfelihälfte dauernd höher
und zeigte viel geringere Bewegungen als die rechte. Bei tiefer Atmung war
die inspiratorische Senkung des Zwerchfells geringer als bei oberflächlicher und
bei tiefer Inspiration trat für einen mehr oder weniger langen Teil dieser Phase
ein vollkommener Stillstand ein.
38) Über Störungen Im Gebiet des N. medianus, von Dr. 0. Wandel.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
Mitteilung von 11 Fällen, in welcher Störungen im Medianusgebiet bestanden,
welche für die Beurteilung der von diesem Nerven vermittelten Funktionen von
Wert sind. In 4 Fällen handelte es sich um Lähmungen nach komplizierten und
unkomplizierten Frakturen des Ober- und Unterarmes, in 5 Fällen um professio¬
nelle Paresen, worunter 2mal die einförmige Handhabung der Maurerkelle als
disponierendes Moment des Leidens anzusehen war. Auch konnte durch eine ein¬
malige Überanstrengung der Pronatoren des Unterarms eine so starke Schädigung
in diesem Nervengebiet hervorgerufen werden, daß sich die bestimmten Störungen
der Motilität und Sensibilität herausbildeten. Ferner stellten sich bei einer 54jähr.
Frau nach einer Neuritis im Medianusgebiet Reizerecheinungen im Bereich der
vasomotorischen (Rötung, Schwellung, Schweißabsonderung) und der trophischen
Sphäre (Grlanzhaut, Wachstumsanomalien der Nägel) ein. Hierbei dürfte es sich
wohl um eine mehr central gelegene, sich bis in die hinteren Wurzeln des 6. und
7. Cervikalstranges erstreckende Neuritis gehandelt haben. Ein weiterer Fall war
dadurch bemerkenswert, daß die Verletzung des rechten Unterarmes (Fall durch
ein Glasfenster, Schnittwunde an der Innenseite des Unterarmes) etwa 30 Jahre
zurückliegt. Jetzt besteht u. a. eine Einschmelzung des Knochengerüstes der End¬
phalangen des 2. und 3. Fingers und eine Veränderung der Haut im Bereich der
Sensibilitätsstörung, in deren Folge sie kalt, dick, hart und unelastisch geworden.
Es handelte sich dabei offenbar um eine Spätschrumpfung der vor vielen Jahren
entstandenen Narben, wodurch neuritisohe und perineuritische Veränderungen,
ähnlich denen bei Lepra und Syringomyelie, hervorgerufen wurden.
39) Über einen Fall von Medianusverletzung mit seltenen trophischen
Störungen, von Dr. Karl Hirsch in Berlin. (Deutsche med. Wochenschr.
1906. Nr. 20 u. 21.) Ref.: R. Pfeiffer.
Bei einem körperlich gesunden und kräftigen Manne führte die traumatische
Verletzung des N. medianus zur Bildung eines wahren Neuroms (Amputations-
neuroins), Störung aller Sensibilitätsqualitäten, besonders der Schmerz- und Tem-
peraturempfindung im Versorgungsgebiet des Medianus und auf der Streckseite
der Endphalanx und der distalen Hälfte der ersten Phalanx des Daumens, sowie
zur Atrophie des M. abductor pollicis brevis. Ferner bestanden dystrophische
Veränderungen au den dem Medianusgebiet zugehörenden Nägeln, vor allem aber
ein völliges Einschmelzen der beiden Endphalangen des 2. und 3. Fingers durch
Knochenresorption, unabhängig von entzündlichen Veränderungen. Exstirpation
des Neuro ms; Vereinigung der beiden kleinen Hautäste mit dem Hauptstamm.
Rasche Besserung der Sensibilität, zum Teil wohl dadurch erklärlich, daß der
Druck des Tumors die Ausbildung der Anastomosen mit der peripherischen Ver¬
einigung der übrigen sensiblen Nerven gehindert hat.
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40) A olinioal leoture on a oue of seoondary suture of the great aoiatlo
nerve, by James Sherren. (Brit. med. Journ. 1907. 16. Februar.) Ref:
£. Leb mann (Oeynhausen).
Der ausführlich mitgeteilte Fall interessiert zunächst durch die Seltenheit
einer völligen Kontinuitätstrennung des Ischiadious dicht bei seinem Austritt aus
dem Plexus sacraÜB infolge Schuß durch die rechte Sakralgegend. Bemerkens*
wert ist ferner, daß, trotzdem die Schußwunde unter größter Eiterbildung geheilt
war, doch 4 Jahre nach der Verletzung eine ausgeführte Nervennaht von Erfolg
begleitet war. Endlich bot der Fall die seltene Gelegenheit, das vom Ischiadicus
und seinen Zweigen versorgte Gebiet mittels der vom Verf. an anderer Stelle
mitgeteilten Art der Sensibilitätspriifung festzustellen. Hinsichtlich der Details
der gefundenen Gefühlsstörungen sei auf das Original verwiesen.
Bei dem betreffenden Patienten bestand 4 Jahre nach erhaltener Verletzung
Atrophie der betreffenden Muskulatur des Unter- und Oberschenkels, sowie der
Glutäalgegend; völlige Lähmung des Fußes, Equinusstellung desselben; ferner
trophische Störungen an der Ferse (Malum perforans), sowie an der Innenseite
der großen Zehe (Geschwürbildung). Die vom Ischiadicus versorgten Muskeln
zeigten partielle Entartungsreaktion. Im Bereich des Ischiadicus und Peroneus
bestand fast völlige Anästhesie für Berührungen, dagegen nickt für Druck.
Verf. entschloß Bich so lange Zeit nach der Verletzung zur Nervennaht, um
vor allem die trophischen Störungen zu beseitigen, und hatte in dieser Beziehung
vollen Erfolg. — 6 Wochen noch der Operation ferner ständige Besserung der
Sensibilität, welch letztere nach Verlauf von 6 Monaten über dem Beine eine
normale geworden ist, während der Fuß noch anästhetisch ist.
41) Über die Behandlung der Sohuß Verletzungen peripherer Nerven durch
Nervenlösung mit nachfolgender Tubulisatlon und Verlagerung der
Nerven zwischen gesunde Muskelsohiohten , von Prof. Dr. Hashimoto
u. Dr. H. Tokuoka. (Archiv f.klin.Chir. LXXXII.) Bef.: Jacoby (Mannheim).
Bericht über zwei Fälle von Nervenverletzungen, bei denen obiges Verfahren
mit recht günstigem Erfolge in Anwendung kam. In dem einen Falle handelte
es sich um eine Läsion des Ischiadicus, im anderen um eine solche des Radialis.
Die Operation besteht in Auslösung der Nervenstämme aus dem narbigen Gewebe
und Verlagerung in gesunde Muskelschichten.
42) Die Kondensatormethode, ihre klinisohe Verwertbarkeit und ihre
theoretischen Grundlagen unter Berücksichtigung der neuesten Br*
regungsgesetse, von Dr. Zanietowski in Krakau. (Zeitschr. f. Elektrother.
VIII.) Ref.: Toby Cohn (Berlin).
Mit monographischer Gründlichkeit bearbeitet Verf. in der vorliegenden
Artikelserie die für die Elektrodiagnostik so verheißungsvolle Methode der Kon-
densatorentladungen, die dem Verf. so gut wie alles verdankt, und der die Zu¬
kunft sicherlich auch seinen Namen beilegen wird. Nach historischen und tech¬
nischen Vorbemerkungen beantwortet er die Fragen nach der Entstehung des
Bedürfnisses und nach der Berechtigung der Kondensatormethode, nach den
Schwankungen und der gegenwärtig gefundenen endgültigen Form, sowie nach
dem Verhältnis der früheren Versuche zu den neueren Erregungsgesetzen. Auf
die Einzelheiten der Beantwortung einzugehen, ist im Rahmen dieses Referates
nicht möglich. Es sei nur das wesentlichste aus den Schlußfolgerungen hier an¬
geführt und im übrigen auf das Original verwiesen. Die Kondensatorentladungen
eignen sich in vorzüglicher Weise zur Reizung gesunder und kranker Nerven und
Muskeln und zur Beobachtung quantitativer und qualitativer Reaktionsanomalien.
Die direkten, d. h. nicht mit anderen Strömen kombinierten, Entladungen zer¬
fallen in solche, bei denen der Kondensator mit dem Körper in einen Kreis
verbunden ist, und solche, bei denen er durch alternative Umschaltung in den-
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468
selben entladen wird. Auf die bipolare alternative Entladungsmethode beziehen
sich die früheren (von Mann, Bernhardt, dem Ref. u. a. nachgeprüften and be¬
stätigten) Versuche des Verf.’s und auch seine neueren über Körperkapazität und
spezifischen Leitungswiderstand. Von den erregten Geweben gilt das Gesetz, daß
die im ersten Moment des Stromschlusses ziemlich konstante Körperkapazität
(das ist die wichtige, früher zu wenig berücksichtigte Eigenschaft) der Größe der
Beläge und dem spezifischen Dielektrizitätskoeffizienten des Körpers direkt, dem
Abstand der Beläge umgekehrt proportional ist. Als „Isolator“ ist nicht nur
die vom hohen Hautwiderstand geschützte Körpermasse zwischen den Belegungen
zu betrachten, sondern auch je nach der Dauer des immer tiefer eindringenden
Stromes, die konzentrischen Hüllen der spezifisch fibrillär gebauten Nerven und
Muskeln, die verschiedene spezifisch chemische und elektrolytische Eigenschaften be¬
sitzen. Während der Stromeinwirkung unterliegt die Gewebskapazität Schwankungen,
die denen des Widerstandes umgekehrt proportional sind.
Was das Maß der erregenden Entladung anbetrifft, so ist für präzise klinische
Versuche diejenige Kondensatorgröße die beste, die möglichst konstante Resultate
liefert und nicht weit vom Werte der Körperkapazität liegt. Verf. empfiehlt als
solche Größe diejenige, die das Minimum der Energie zur Hervorrufung einer
Minimalzuckung verbraucht. Die klinisch konstatierte Konstanz der optimalen
Energie steht in Einklang mit Lapicques Untersuchungen. Für die Praxis be-
nutzt er, um nicht zu hohe Spannungen zu brauchen, 1 / 2 und 1 Mikrofarad. Eis
hat sich dabei Konstanz der maßgebenden Spannungen oder doch nur Schwankungen
in weit geringeren Grenzen als bei der älteren Methode gezeigt, da die Konden¬
satorentladung wenig merkliche elektrotonische Erregbarkeitsveränderungen und
Widerstandsschwankungen hervorzurufen imstande ist. Bei Vergleichsversuchen
muß jedoch die Größe der konventionellen Normalelektroden angegeben werden.
Mit Hilfe seiner Doppelschlüsselelektrode kann man approximativ die durch
Vergleich einer kleinen Entladung mit deijenigen des Mikrofarads oder mit dem
konstanten Strom die Erregungskoeffizienten bestimmen. Über dieses und das
Verhältnis der Erregungsgesetze zu des Verf.’s Hypothesen über den spezifischen
Widerstand der Gewebe sind die entsprechenden Kapitel nachzulesen.
Eine Zusammenstellung absoluter Erregbarkeitswerte ist schwer, weil bei
jedem Kondensator verschiedene Energien und Quantitäten herauskommen. Die
für verschiedene Kondensatoren vom Verf. tabellarisch zusammengestellten Ver¬
gleichswerte ergeben jedoch, daß 1. die Zahlen seiner klinischen Optimalentladung
mit den Angaben anderer Autoren übereinstimmen, was für die Konstanz der
Methode spricht; 2. daß besonders bei Kranken und Kindern in praxi höhere
Kapazitäten als die normale anzuwenden sind; 3. daß die „Erregbarkeitsreihe“
der Nerven der üblichen galvanischen und faradisohen Tabelle analog ist. Bei
verschiedenen Krankheiten — wie Tetanie, Paralyse, Polyneuritis, Dystrophie,
Myotonie, Myasthenie — ergeben sich die schon früher beobachteten interessanten
Befunde. Verf. schließt mit der Bitte an die praktischen Ärzte, der Methode ihr
Interesse zuzuwenden.
43) Die anodisohe Übererregbarkeit der Säuglinge, von v. Pirquet. (Wiener
med. Wocbenschr. 1907. S. 14.) Ref.: Pilcz (Wien).
626 Einzeluntersuchungen an 24 Kindern.
Aus den sehr mühevollen Untersuchungen, deren Technik eingehend geschildert
wird, ergibt sich:
Das Auftreten von AÖZ unter 6 M.-A. ist das Anzeichen einer leichten, aber
doch pathologischen Übererregbarkeit. Daß dieselbe pathologisch ist, schließt
Verf., weil sie 1. den höheren Graden der Erregbarkeit vorausgeht, dieselben be¬
gleitet und ihnen nachfolgt, 2. weil sie sich, gerade wie die Kindertetanie, am
häufigsten im Winter findet, häufiger bei Flaschen- als bei Brustkindern, häufiger
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bei Rachitischen, 3. weil sie sich fast niemals sprunghaft an einzelnen Tagen
zeigt, wie die ASZ, sondern bei einem und demselben Kinde Wochen- bis
monatelang.
Die galvanische Untersuchung ergibt beim normalen Säuglinge nur Schließungen
Zuckungen unter der Grenze von 6 M.-A.
Das Auftreten von AÖZ unterhalb dieser Stromstärke bei gleichzeitigem
Fehlen von KÖZ und KSTe charakterisiert eine leichte Übererregbarkeit, für
welche Verf. den Namen „anodische Übererregbarkeit“ vorschlägt.
Diese tat eine der Unterstufen der „kathodischen Übererregbarkeit“,
welche an der Kathode durch das Auftreten von Te oder ÖZ unter 6 M.-A. er¬
kennbar tat.
Psychiatrie.
44) Die Entwicklung des psychiatrischen Unterrichtes in Greifswald, von
Ernst Sohultze. Rede zur Eröffnung der neuen psychiatrischen Klinik in
Greifswald am 13. Januar 1906. (Klin. Jahrb. XVI. 1907.) Ref.: M.
Auf eine interessante Übersicht über die Entwicklung des klinischen Unter¬
richtes an der Universität Greifswald, der erst am 1. April 1889 unter Arndts
Leitung eine psychiatrische Klinik angesohlossen wurde, folgt die Schilderung des
jetzt eröffneten Neubaues derselben, welcher aus vier einzelnen Gebäuden, dem
Hauptgebäude, dem Wirtschaftsgebäude, der Leichenkapelle und dem Direktor¬
wohnhaus besteht. Die Klinik ist für 72 Kranke eingerichtet und besitzt selbst¬
verständlich alle Hilfsmittel der modernen Therapie. Daß sie nicht bloß den
klinischen Unterricht wesentlich zu fördern imstande sein wird, sondern daß
sie auch der forensischen und sozialen Seite der Psychiatrie ihre volle Aufmerk¬
samkeit widmen wird, darauf weist außer der Person des Direktors die Aus¬
führung der Aufgaben, welche er sich gestellt hat und die er in seiner Rede
skizziert.
Forensische Psyohiatrie.
46) Psychlatriaohe Untersuchung eines Felles von Mord und Selbstmord
* mit Studien Aber Familiengeschichte und Erblichkeit, von Sommer.
(Klinik f. psych. u. nerv. Krankh. I.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Sommers Studie über einen Familienmord verdient schon wegen der origi¬
nellen und umfassenden Forschungsart gelesen zu werden. Eis handelte sich um
einen Mann, der seine Frau und Kinder tötete bzw. verletzte und darauf sich
selbst tödlich verwundete. Obwohl somit eine gerichtliche Begutachtung fortfiel,
hat Verf. diesem Falle aus kriminal-psychologischem und sozialem Interesse weiter
nachgeforscht. Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß psychiatrisch der Fall am
ehesten durch die Annahme einer Hystero-Epilepsie zu erklären sei, worunter er
„die Verbindung von epileptischen Symptomen mit starker Beeinflußbarkeit, wie
sie sich bei der psychogenen Neurose findet“, verstanden wissen will. Das epi¬
leptische Moment tritt dabei allerdings nicht in typischen Krampfanfällen, sondern
in Form einer „enormen motorischen Erregliohkeit“ hervor. Zur Stütze seiner
Vermutung über die psychiatrisch erklärlichste Grundlage der Mordtat schloß
Verf. eine Familienforschung über die Familie des Täters an. Der Stammbaum
desselben wurde möglichst weit zurückverfolgt und Verf. suchte gleichzeitig, „das
Vorkommen des Namens des Täters sowie event. psychopathischer Personen gleichen
Namens in einem größeren Umkreis festzustellen und die Verbreitungsbezirke zu
vergleichen, sowie die event. Zusammengehörigkeit untereinander und mit dem
vorliegenden Falle zu prüfen“. In welch sorgfältiger und fruchtbringender Weise
diese Untersuchung durchgeführt ist, das kann nur das Original zeigen.
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III. Aus den Gesellschaften.
Jahresversammlung des deutsohen Vereins für Psyohiatrie
in Frankfurt a/M. und Gießen vom 26.—28. April 1007.
(Ref.: Dr. Hahn .Frankfurt)
Der Vorsitzende Herr Moeli eröffnet die Versammlung. Er gedenkt der Toten
des Jahres, unter ihnen Fürstner, Moebius und v. Bergmann. Im Namen
des Regierungspräsidenten spricht Geheimrat Pfeiffer, als Vertreter der Stadt
Bürgermeister Grimm, für die Senkenberg-Stiftung Direktor Knoblauch, für
den ärztlichen Verein Professor Sippel und im Namen des Lokalkomitees
Direktor Sioli. Auf Antrag Pellmann wird Hitzig, der durch Krankheit am
Erscheinen verhindert ist und auch eine Wiederwahl in den Vorstand ablehnen
muß, zum Ehrenmitgliede ernannt.
Das erste Referat gilt der Gruppierung der Epilepsie.
Herr Alzheimer berichtet über seine anatomischen Untersuchungen an
63 Epileptikerhirnen. Der epileptische Anfall kommt bei den verschiedensten
Krankheiten (Tumor, Paralyse, Dementia praecox usw.) vor, und es ist nun die
Aufgabe, zu untersuchen, ob den verschiedenen klinischen Bildern (Ätiologie, Ver¬
lauf, Endzustände) verschiedene bestimmte anatomische Bilder entsprechen. Seit
1825 sind Veränderungen im Ammonshorn bekannt und in 40—50 °/ 0 der F&lle
nachweisbar. Weigert fand Markschwund, Nissl wies nach, daß die Zellen in
ihrer Anordnung verändert, geschrumpft und zum Teil verkalkt sind. Die Zahl
der Gliakerne ist vermehrt, die Gefäße sind verdickt. Die Veränderungen im
Ammonshorn erklären aber weder die Demenz noch die Anfälle, und es sind auch
schon von Bleuler u. a. diffuse Veränderungen in anderen Hirnbezirken nach¬
gewiesen worden. Nach Vortr. bestehen diese (chronischen) Veränderungen in
einer Verdichtung der Oberflächensohicht der Glia und damit einhergehender
Gliose der Markleisten. Die Gliazellen sind kleiner und in ihrer Anordnung ver¬
ändert. Es gehen auch Markfasem und Ganglienzellen zugrunde. In Fällen
von besonders schwerer Demenz finden sich an den Gliazellen statt der Weigert-
schen Fasern ganze Platten, die die Zellen einscheiden. Bei im Status epilept.
Verstorbenen konnte Vortr. auch frische Veränderungen nachweisen. In den
Centralwindungen finden sich besonders in der Umgebung der Kapillaren amoe-
boide Zellen, die sich mit Zerfallsprodukten (myeloiden und protagonoiden
Granula, Fettkörnchen usw.) beladen. Sie zerfallen rasch wieder und die Zerfalls¬
produkte gelangen in die adventitiellen Lymphräume. Zwischen den Gliazellen
finden sich wenig Lymphocyten, keine Plasmazellen, aber regelmäßig Mastzellen.
Die Kerne der Gliazellen teilen Bich häufig. Außerdem läßt sich der Untergang
feiner Axencylinder nachweisen. Diese akuten Veränderungen finden sich nicht,
wenn längere Zeit vor dem Tod keine Anfälle aufgetreten waren. Diese chron.
und akuten Prozesse finden sich in 60°/ 0 der untersuchten Fälle, die die große
Gruppe der genuinen Epilepsie bilden. Eine 2. Gruppe ist durch eine ungleich*
mäßige Atrophie mit schichtweisem Zerfall von Kernen und Fasern ausgezeichnet
(sog. atrophische Sklerose). Ätiologisch kommt Alkohol und Blei in Betracht
Die Anfälle haben keine einheitliche histologische Grundlage. In einer 3. Gruppe
sind die Anfälle durch luetische und arteriosklerotische Prozesse bedingt. Es
sind aber auch unter den Spätepileptikern viel genuine und andererseits kommt
es hei der genuinen Epilepsie oft früh zu schweren Gefaßveränderungen. 4. Bei
Epilepsie im Anschluß an herdförmige Erkrankungen lassen sich in den alten
Herden keine frischen Veränderungen nachweisen trotz vieler Anfälle. 5. be¬
spricht Vortr. noch Fälle von Entwicklungsanomalien. Die Prozesse setzen im
fötalen Leben ein und gehen bis zum Tode weiter. Hierher gehört das von
Ranke beschriebene Stadium verrucosum. Zum Schluß erwähnt Vortr. noch die
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tuberöse hypertrophische Sklerose, bei der es sieh um eine mangelhafte Differen¬
zierung von Ganglien- and Gliazellen handelt.
Herr Vogt (Langenhagen) hält das klinische Referat. Er führt aus, daß
die Epilepsie keine einheitliche Krankheit ist, sondern große klinische Ver¬
schiedenheiten aufweist und versucht von der genuinen Epilepsie die andern mit
ihr nur durch die Gemeinsamkeit der Anfälle verbundenen Formen abzulösen.
Besonders eng ist die Berührung mit der Hysterie, namentlich bei gehäuften
kleinen Anfällen bei Kindern ist es schwer, zu einer Abgrenzung und Prognose
zu kommen. Bei degenerativen psychopathischen Zuständen kommen epi¬
leptische Zustände vor, ohne daß sich daraus eine eigentliche Epilepsie entwickelt.
Eine eigenartige Stellung nehmen auch die Fälle ein, die vor kurzem als Affekt-
epilepsie von Bratz und Leubuscher beschrieben worden sind, wo in der
Anstalt die Anfälle aufhören, während sie Bich draußen regelmäßig bei Auf¬
regungen ein8tellen. Die von Oppenheim beschriebenen myasthenischen Krämpfe
sind als neurasthenische Erscheinung aufzufassen. Kombiniert mit Idiotie finden
sich epileptische Anfälle in besonders schweren Fällen von genuiner Epilepsie,
bei schweren degenerativen Formen, bei organischen Erkrankungen (Lues hered.),
bei Entwicklungsanomalien (Hydrocephale, Uikrocephale usw.). Vortr. bespricht
sodann noch die verschiedenen Formen, die bei Intoxikation mit Alkohol und
Blei, auf dem Boden der Lues, bei Arteriosklerose und nach Traumen auftreten,
doch ist eine ätiologische Gruppierung kaum durchzuführen. (Beide Referate er¬
scheinen an anderer Stelle ausführlich.)
Herr Binswanger (Jena) betont, daß Alzheimers Material zum größten
Teil chronisch verlaufende Fälle enthalte. Namentlich in der Privatpraxis werden
aber nicht so selten Ausheilungen genuiner Epilepsien beobachtet. Ferner be¬
weisen auch die leichteren Fälle, wo während des ganzen Lebens etwa zweimal
jährlich Anfälle auftreten, ohne daß es zu einem geistigen Verfall kommt, daß die
Störungen zum Teil ausgleichbar sind. Die von Nonne beschriebene syphilitische
Epilepsie hat auoh Binswanger beobachtet. Er warnt im weiteren davor, jeden
temporären Bewußtseinsverlnst und leichten Facialiskrampf gleich als Epilepsie
aufzufassen.
Herr Heilbronn er weist darauf hin, daß die epileptische Demenz nicht
der Häufigkeit und Schwere der Anfälle parallel gehe und er fragt den Vortr.,
ob sich eine Differenz zwischen dem Auftreten der sohubweisen Veränderungen
und den chronischen Veränderungen, die am ersten die Demenz bedingen möchten,
nachweisen lasse.
Herr Reich geht näher auf die von Alzheimer angewandten Färbemethoden
ein. Während früher nur die Nisslschen Granula, die Neurosomen Heids, die
Pigmentkörner der Ganglienzellen und die durch Marchi darstellbaren Fett¬
körner bekannt waren, gelang es Reich, vor etwa 8 Jahren weitere Körnungen
als Abbauprodukte der Markscheiden nachzuweisen. Er gewann aus Gehirn¬
substanz Cbolestearin, Lecithin, Protagon, Neurokeratin, untersuchte sie mikro¬
chemisch und mit Färbemitteln und kam so dazu, zwei Marksubstanzen nachzu¬
weisen, von denen sich die eine mit sauren Farbstoffen (myelinartige Substanz),
die andere mit basischen Anilinfarben (protagonartige Substanz) darstellen läßt.
Reich weist auf seine Publikationen im Journal für Psychologie und Neurologie
hin, wo er die Härtung und Färbung der myeloiden und protagonoiden Granula
Alzheimers ausführlich beschrieben habe.
Herr Anton (Halle) meint, daß die von Alzheimer naohgewiesenen histo¬
logischen Veränderungen nur durch die spezielle Lokalisation mit der Epilepsie
in Verbindung stehen. Für die Entstehung der Epilepsie sind nach Anton oft
Veränderungen in anderen Körperorganen ausschlaggebend. Exstirpation der
Schilddrüse unter Schonung des Epitbelkörpers führe zu reinem Zwergwuohs,
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Störung „der Korrelation der Drüsen“ zu Kretinismus, der häufig mit Epilepsie
verbunden sei, ebenso auch die Rachitis. Im weiteren schuldigt Anton die
relative und absolute Gehirnhypertrophie als Ursache der Epilepsie an. Bei wahrer
Hypertrophie sei meist Epilepsie beobachtet. Bei einem Mißverhältnis zwischen
Hirngröße und Schädel könnte nach Anton „Regulierung des Blutdrucks zum
Gehirndruck“ therapeutisch verwertet werden.
Nach Herrn Bratz (Wuhlgarten) können diffuse anatomische Prozesse, wie
sie Alzheimer schilderte, als Reizmoment für die Auslösung einer Epilepsie oder
als anatomisches Korrelat der Reizerscheinungen (Anfälle) oder als Grundlage
der dauernden psychischen Veränderungen (Verblödung) aufgefaßt werden. Er
stellt die Forderung auf, ganz ausgesuchte klinische Fälle anatomisch zu unter¬
suchen, um festzustellen, welche klinischen Eigenheiten bestimmten anatomischen
Zuständen entsprechen.
Im Schlußwort stimmt Herr Alzheimer darin mit Binswanger überein,
daß die Prognose der Epilepsie, auch der genuinen, nicht ohne weiteres ungünstig
sei. Randgliose hält er für ein sioheres Zeichen, eines alten Prozesses und ist
geneigt, die Verblödung damit in Zusammenhang zu bringen.
Herr Vogt betont im Schlußwort, daß die luetischen Prozesse zu viel¬
gestaltet seien, um bei der postsyphilitischen Epilepsie rein klinisoh zu entscheiden,
ob die Endarteriitis oder die Intoxikation als kausaler Faktor aufzufassen sei.
Vogt glaubt, daß es auf dem von Anton vorgeschlagenen Wege gelingen werde,
Anfälle mit unmittelbaren Intoxikationskoeffizienten festzustellen. Für die nächsten
Aufgaben der Klinik der Epilepsie hält Vogt die weitere Beachtung der Heil¬
bronn ersahen Fälle von genuiner Epilepsie mit Herderscheinungen, das Stoff-
wecbselgebiet und das Studium der zahlreichen Kombinationen von Idiotie und
Epilepsie.
In der Naohmittagssitzung folgen die Vorträge:
Herr L. Merzbaeher (Tübingen): Über Morphologie und Biologie der
„Körnohenzellen“. Unter dem Namen der Abräumzellen möchte Vortr. alle die¬
jenigen zelligen Elemente im Centralnervensystem zu einer Gruppe zusammen-
fassen, denen die Aufgabe zukommt, geformte oder ungeformte Abbauprodukte
des Centralnervensystems aufzusuohen, sich einzuverleiben, zu verarbeiten und
wieder abzugeben. In diese Gruppe wären die Körnchenzellen der Autoren als
ein besonderer Typus einzureihen. Gegen den bis jetzt üblichen Namen erheben
sich allerlei Bedenken, die kurz aufgezählt werden. Erst die Berücksichtigung
der Funktion der Zellen tritt dem wahren Wesen der hier in Betracht kommenden
Zellen näher. Die Abräumzellen haben als Zellen von eminent aktivem Charakter
zu gelten. Die Kennzeichen, welche auf eine Aktivität hinweisen, werden auf¬
gezählt. Gewisse morphologische Verhältnisse werden so auch in innige Be¬
ziehung gesetzt zur aktiven Tätigkeit der Zellen, so die Tendenz nach Rundung
und die Maschenbildung. Die Methoden zur Darstellung der Abräumzellen werden
ebenfalls durch die Rücksicht auf die Funktion der Zellen gegeben und gelten
vor allem der Darstellung der verschiedenen Abbauprodukte. Die stärkere oder
schwächere Ausbildung der Gesamtsumme von Kennzeichen, die auf eine Aktivität
hinweisen, können als Einteilungsprinzip bei dem ungemein reichen Formen¬
reichtum herangezogen werden. Die verschiedenen Formen der Abräumzellen,
sowie die Genese derselben wird an einer Reihe von Lichtbildern demonstriert.
Als Mutterzellen der Abräumzellen kommen die Blutgefäßwandzellen, Fibroblasten.
Blutzellen und vor allem Gliazellen in Betracht. Aus letzteren rekrutieren sich
besonders die bei sekundären Degenerationen auftretenden Abräumzellen, ebenso
wie die Abräumzellen bei der Tabes, multipler Sklerose, amyotrophischer Lateral-
Sklerose usw., während die mesodermalen Abräumzellen bei akuten Prozessen und
Zerstörungen der Substanz, bei denen es zu reparatorischen Prozessen kommt, die
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47b
größere Rolle spielen. Eine besondere Besprechung finden die „Körnchenzellen“
des embryonalen Gewebes. Die Frage nach einer Encephalitis neonatorum taucht
wieder auf. Die Körnchenzellen bei Früchten und Neugeborenen können nicht
als die Begleiterscheinung eines pathologischen Prozesses aufgefaßt werden; sie
sind vielmehr als Aufbauzellen zu betrachten. Es scheinen so beim Aufbau die¬
selben Zellen wie beim Abbau in Erscheinung zu treten. Da im Prinzip die
Funktion der Auf- und Abbauzellen die nämliche ist, so können auch die embryo¬
nalen Aufbauzellen unter dem Begriffe der Abräumzellen untergebracht werden.
Um bei diesen embryonalen Abräumzellen Physiologisches vom Pathologischen zu
trennen, muß einmal die örtliche Verteilung dieser Zellelemente, ihr zeitliches
Auftreten und schließlich die Menge und Natur der in ihnen vorhandenen Stoffe
berücksichtigt werden. Die Frage nach der chemischen Natur der in Form von
Körnchen sich abscheidenden Körper bedarf noch genauerer Untersuchungen. Die
Gliazellen spielen auch hier wieder als embryonale Abräumzellen eine wesentliche
Rolle. Zur Untersuchung standen eine Reihe menschlicher Föten und Embryonen
von Ratten, Kälbern, Mäusen, Schafen, Hühnchen zur Verfügung. Einige farbige
Tafeln, weiche der Darstellung der embryonalen Abräumzellen dienten, wurden
mit Hilfe des Epidiaskopes demonstriert. (Die Arbeit wird demnächst als Beitrag
in den von Alzheimer und Nissl herausgegeben „Histopathologischen Studien
der Großhirnrinde“ erscheinen.) Autoreferat.
Herr Liepmann (Dalldorf): Beiträge zur Aphasie- und Apraxielehre.
Vortr. demonstriert zwei Gehirne, bei denen der Balken fast ganz zerstört ist,
während die linke Hemisphäre beinah ganz, die rechte ganz intakt geblieben ist. Das
Tierexperiment hatte keinen Aufschluß über die Rolle des Balkens gegeben und die
menschliche Pathologie war zu keinen Schlüssen gekommen, weil balkenloBe Gehirne
noch andere Mißbildungen zeigten und isolierte Zerstörung des Balkens nicht beob¬
achtet war. Außer seinen eigenen Beobachtungen bespricht Vortr. noch ähnliche
Fälle von Maas, van Vleuten und Hartmann. Die linke Hemisphäre hat
wie für die Sprache so auch für die Zweckbewegungen des Handelns die führende
Rolle. Bei Linkshändern (auch den latenten, die nur durch Übung die Rechtshändig¬
keit erworben) müßte bei Zerstörung des Balkens keine Apraxie eintreten, bei den
Rechtshändern aber wird die linke Hand dyspraktisch. Wie weitgehend der Defekt
im Balken sein muß, ist noch nicht festgestellt. Bei dem einen demonstrierten Fall
des Vortr. ist der Balken vorn und in der Mitte durchtrennt, während das Splenium
erhalten ist. Das klinische Bild war durch Brückenherd bedingte totale rechtsseitige
Lähmung, gute Sprache, totale Agraphie links als Teilerscheinung einer allgemeinen
Apraxie, die sich z. B. darin zeigte, daß der Pat. den Kneifer auf die Zunge setzte, das
Streichholz in den Mund steckte usw., trotzdem er die Gegenstände gut erkannte.
Vortr. wendet sich sodann gegen Pierre Marie, der zwar die linksseitigen Herde des
Vortr. anerkennt, aber sie mehr als Nebenbefund erklärt und die Apraxie (wie auch
die Aphasien) in der Hauptsache als Teilerscheinungen eines allgemeinen Intelligenz¬
defektes auffaßt. Damit fielen wir auf den früheren Standpunkt zurück, wo man
alle Aphatiker einfach als Blödsinnige ansah, weil man eben den „Blödsinn“ nicht
analysierte, nicht einsah, was eigentlich ausgefallen ist. Die Intelligenz kann nach
dem Vortr. durch dreierlei gestört sein: 1. durch diffuse Schädigungen bei all¬
gemeiner Arteriosklerose, 2. dadurch, daß ein lokalisierter Herd eine Reihe von
Fasern aus anderen Gebieten unterbricht, 3. durch die Apraxie selbst, d. h. durch
den Ausfall von Erinnerungsbildern. Ein eigentliches Praxiecentrum nimmt Vortr.
nicht an, es gehören vielmehr zur Eupraxie viele Komponenten (Unästhetische,
optische, taktile); den Gyrus supramarginalis möchte Vortr. nur als eine Prä¬
dilektionsstelle der Störung bezeichnen.
In der Diskussion erwähnt Herr Heilbronner, daß er bei rechts Ge¬
lähmten auffällig verschiedene dyspraktische Erscheinungen im Gebrauch der
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linken Hand beobachtet habe und stellt die Forderung auf, daß solche Zwischen-
formen, die früher zur Agnosie gerechnet wurden, nicht einfach in ein Schema
gepreßt, sondern genau beschrieben werden müssen.
Herr Engelken (Alt - Scherbitz) betont die Unzweckmäßigkeit, den Kindern
den Gebrauch der linken Hand zu verbieten.
Im Schlußwort erklärt Herr Liepmann, daß es Zwisehenstörungen gäbe, bei
denen eine scharfe Grenze zwischen Apraxie und Agnosie nicht zu ziehen sei.
Herr Sommer (Gießen): Psychiatrie und Familienforschung. Die
individuelle Anlage setzt sich aus verschiedenen Teilfunktionen zusammen, die
hereditär verschieden sein können. Um das Verhältnis der angeborenen Anlagen
zur Heredität klarzulegen, wären 1. die angeborenen Anlagen vieler Personen
aus einer Blutsverwandtschaft zu untersuchen, 2. die verschiedenen Anlagen einer
Person in der Generationsreihe aufzusuohen. Zur Feststellung der Generations¬
reihen sind wir meist auf Kirchenbücher usw. angewiesen, der Vortr. fordert dazu
auf, eine wissenschaftliche Genealogie anzubabnen. Statt der verwirrenden Ver-
wandtschaftsnamen schlägt Vortr. mathematische Bezeichnungen (1. Ahnenreihe
= a 1 , 2. Ahnenreihe = a 2 usw.) vor, die bequeme Ascendenz- und DeBcendenz-
formeln aufstellen lassen. Durch ein solches planmäßiges Arbeiten müßte es ge¬
lingen. von der Psychiatrie aus durch Ursachenforschung zu einer Sozialhygiene
zu gelangen.
Am zweiten Sitzungstage wurde zunächst der Kassabericht genehmigt, der
Jahresbeitrag auf 5 Mark festgesetzt und ein Beitrag von 1000 Mark an die
Laehr-Stiftung (die damit auf 72000 Mark anwächBt) und ein solcher von 500 Mark
an die Kommission für Idiotenforschung beschlossen.
Sodann hält Herr Siemens (Lauenburg) das Referat über den Amtlichen
Nachwuchs für psychiatrische Anstalten. Das Angebot von Ärzten ist in
den letzten 15 Jahren immer geringer geworden. Auch die anderen Kranken¬
häuser suchen immer Assistenten, und die praktischen Ärzte finden schwer Ver¬
treter. Am meisten aber leiden unter dem Ärztemangel die psychiatrischen An¬
stalten. Die Zahl der Medizinstudierenden ist heute um 3000 kleiner als vor
15 Jahren, dazu absorbieren der Kolonialdienst, neuere Disziplinen wie Baktego-
logie usw. viel mehr Ärzte als früher. Um die Stellungen an Anstalten ver¬
lockender zu machen, müssen sie verbessert werden. Vortr. verlangt für Assistenten
1800 Mark, jährlich um 200 Mark steigend unter Anrechnung früherer prak¬
tischer Tätigkeit, für Oberärzte 4 bis 6000 Mark mit freier Familienwohnung
und 600 Mark Zulagen für den Vertreter des Direktors. Die Oberärzte sollen
selbständig werden, so daß der Direktor mehr Conciliarius wird. Ferner sollen
überzählige Ärzte oder Abkommandierung von Militärärzten besonders für Stell¬
vertretungen verlangt werden. Um spezialistische Ausbildung zu erlangen, sollen
Oberärzte an andere Kliniken beurlaubt werden. Unter allgemeinem Beifall
postuliert der Vortr. einen Erholungsurlaub von 6 Wochen.
An das Referat schließt sich eine äußerst lebhafte Diskussion an. Ob es
zweckmäßiger sei, mehr Oberarztstellen oder eine Zwischenstellung zwischen
Assistent und Oberarzt zu schaffen, darüber sind die Meinungen geteilt, aber alle
verlangen, daß den Anstaltsärzten eine sichere Karriere geboten werde, wie sie
die Richter und Oberlehrer bereits haben.
Auf Antrag Krae pelins wird eine siebengliedrige Kommission gewählt, um
die Angelegenheit ständig zu verfolgen.
Auf Antrag Cramer (Göttingen) stimmt die Versammlung den Bestrebungen
der Unterrichtskommission der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte
um Gleichwertung der naturwissenschaftlich-mathematischen mit den philologischen
Gymnasialfächern zu.
(Schluß folgt.)
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475
Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien.
Sitzung vom 11. Dezember 1906.
(Wiener klin. Wochenschrift. 1907. Nr. 3.)
Herr Rud. Neurath demonstriert ein 4 Jahre altes Mädchen mit angeborener
Okulomotoriuslähmung. Bald nach der völlig normalen Gehurt wurde bei dem
Kinde Schielen bemerkt und schon in den ersten Monaten linkB Ptosis, die augen¬
blicklich noch besteht und kaum durch die Stirnmuskulatur korrigiert werden
kann. Ferner starke Beweglichkeitseinschränkung des linken Bulbus nach innen,
nahezu Paralyse nach unten und oben. Pupille reagiert prompt; Fundus normal.
Rechter Facialis etwas paretiscb. Vortr. begründet seine Annahme einer angeborenen
Okulomotoriusparese und führt die entsprechenden Angaben der Literatur (Möbius,
Kann, Marfan und Armand-Delille, Rainy und Fowler, Heubner) an.
Er berichtet weiter über die anatomische Untersuchung des Falles von multiplen
Mißbildungen und einseitigem Funktionsdefekt des Facialisgebietes, der vor einigen
Monaten im gleichen Vereine vorgestellt wurde, wobei sich das centrale Nerven¬
system frei erwies, so daß am ehesten eine pränatale Entwicklungshemmung der
peripheren motorischen Organe, also kongenitaler Muskeldefekt (Muskeln nicht
untersucht) angenommen werden könnte.
Herr Obersteiner schließt sich den Anschauungen des Vortr. an und betont
gleichfalls die Intaktheit des Facialiskernes.
Herr G. Alexander fragt nach der Untersuchung des Knieganglions, und
zwar deshalb, weil in dem demonstrierten Falle Ohrveränderungen bestanden. Die
kongenitale Taubheit liefert häufig negativen Befund im Kerngebiet und in diesen
Fällen scheint es sich um Hypoplasie des Ganglion acusticum zu handeln. Da
Ganglion geniculi und acustici aus einer gemeinsamen Anlage hervorgehen, dürften
kongenitale Paresen des Facialis, die mit Störungen im Ohrgebiete einhergehen,
vielleicht auf Veränderungen des Ganglion geniculi beruhen (Ganglion geniculi
kommt als sensibles Ganglion für den motorischen Facialis kaum in Frage. An¬
merkung des Ref.).
. Herr Neurath erwidert, daß das Ganglion nicht untersucht wurde. Man
fand gelegentlich eine Aplasie des Felsenbeines und besonders französische Autoren
wollen darin den Sitz der Läsion erblicken. Allein es ist dabei nicht gut zu
begreifen, warum gerade nur gewisse Gebiete im Bereich deB Facialiskernes stärker
betroffen sind.
Herr Marburg berichtet über Untersuchungen, die Herr Miyake aus Tokio
über Altersverftnderungsn der menschlichen Hirnrinde im neurologischen
Institut ausgeführt hat. (Bereits referiert; d. Central bl. 1907. S. 168.)
Herr Feri: Zur vergleichenden Anatomie der Acustlouskerne in der
Bftugetlerreihe. (Erscheint demnächst ausführlich.)
Sitzung vom 8. Januar 1907.
(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 5.)
Herr v. Wagner stellt Hautprftparate von einem zweiten kretinisohen
Hunde vor, der aus kretinischer Gegend stammend, blödsinnig, mit plumpen,
gedrungenen Pfoten, kurzer Schnauze, niedriger als seine Verwandten sich präsen¬
tierte. Die excidierten Hautstückchen enthielten genau wie beim ersten ähnlichen
Tiere ein Gewebe, das Schleimreaktion gab. Diesem Hunde wurden nun Thyreoidea¬
tabletten verabreicht (seit September steigend von 1 bis 3 Stück). Der Hund
wurde magerer, änderte sein Temperament und neuerdings an symmetrischer Stelle
excidierte Hautstückchen ergaben Fehlen des eigenartigen Gewebes in der Haut,
woraus der zwingende Schluß folgt, daß in beiden Fällen eine durch Kretinismus
bedingte Hautveränderung, also Myxödem bestand.
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47(5
Herr A. Fuchs stellt ein lö Jahre altes Mädchen mit linksseitiger trauma¬
tischer Ptosis vor, die sich die Patientin durch Anstößen an eine Tärscbnalle
zugezogen hatte. Die Ptosis setzte gleich nach dem Trauma ein und besteht jetzt
(10 Wochen danach) unverändert. Die Lidspalte ist 2 bis 2 1 /, mm weit. Es
besteht leichter Enophthalmus links, die Pupille ist links eine Spur enger als
rechts. Die Ptosis blieb auf Kokaineinträufelung unverändert. Deshalb wird die
Frage aufgeworfen, ob es sich nicht hier um eine Sympathicusaffektion handelt.
Herr v. Frankl-Hochwart und Herr v. Wagner haben gegen letztere An¬
nahme wegen der Hochgradigkeit der Ptosis Bedenken. Letzterer benützt die
Gelegenheit eine Patientin vorzustellen, der wegen Epilepsie beiderseits der
HalsBympathious durchschnitten wurde. Dabei ist die Ptosis minimal,
genau wie in einem Falle, wo bei einer Halsoperation der Sympathicus einseitig
durchschnitten wurde. Deshalb neigt Redner der Annahme einer isolierten Levator¬
lähmung zu.
Herr Schlesinger und Herr Redlich denken an muskuläre Prozesse.
Letzterer fragt, warum der intakte Levator die Ptosis nicht beheben könne?
Herr Wintersteiner und Herr Sachs denken gleichfalls an myogene Pro¬
zesse, letzterer insbesondere an Hysterie.
In seiner Erwiderung hält Herr Fuchs an der Annahme einer Sympathicus¬
affektion fest, da alle vorgebrachten Ansichten im wesentlichen nicht dagegen
sprechen, der Kokainversuch und der Mangel irgend weloher als traumatisch
myogene oder hysterisch anzusprechender Erscheinungen spreche aber dafür.
Herr Egon Fries stellt zwei Fälle von Epilepsie mit Tetanie vor. Ein
47jähriger Mann, der in der Kindheit ein Schädeltrauma erlitten hat, bekommt
seit seinem 20. Lebensjahr typisch epileptische Anfälle. Diese, anfangs mit
längerem Intervall, häuften sich in den letzten Jahren und brachten ihn 1906
wegen eines postepileptischen Verwirrtheitszustandes in die psychiatrische Klinik;
bald darauf Klagen über Parästhesien, Schmerzen, zeitweise auftretende Krämpfe
in den Händen. In der Klinik wurden nun deutliche Epilepsieanfälle und typische
Tetaniekrämpfe beobachtet. In der anfallsfreien Zeit dauernde Pfötchenstellnng;
Andeutung von Ghvostek. Trousseau an den Ober- und Unterextremitäten. —
Im zweiten Falle handelt es sich um eine 36jähr. Frau, die vor 3 Jahren in der
Laktation den ersten epileptischen Anfall erlitt. Zweiter Anfall nach l 1 /, Jahren,
dritter */* Jahr danach. Seit Herbst alle 6 bis 8 Wochen, seit Ende Dezember
gehäufte Anfälle. Seit Beginn der Anfälle schwachsinnig, in der letzten Zeit
verwirrt. Gleich beim ersten Anfall laryngospastische Krämpfe mit leichten
Krämpfen in den Händen. In der allerletzten Zeit Abnahme des Sehvermögens.
Katarakt der hinteren Linsenrinde. Dauernde Neigung zur Pfötchenstellung.
Schilddrüse nicht tastbar.
Herr v. Frankl-Hochwart sieht in den epileptischen Anfällen ein Tetanie-
Symptom — eine Idee, die er bereits 1891 ausgesprochen hat. Unter 10 seiner
Fälle mit der erwähnten Kombination hatten vier die Epilepsie schon früher, drei
gleichzeitig, drei später als die Tetanie.
Herr R. Nepallek stellt einen 58 Jahre alten Tagelöhner mit oentmler
Typoae mit kurzen Anfällen (Kirn) vor. Belanglose Anamnese; im 20. Lebens¬
jahr Sturz bei einer Bergpartie mit nachheriger Bewußtlosigkeit. Psychisch nur
auffällig durch allmonatlich 2 tägige Reizbarkeit und Streitsucht. November 1905
angeblich aus Kränkung traurige, weinerliche Stimmung, Bewegungsdrang, Er¬
regung; anfangs über die Umgebung orientiert, gelingt es später nicht sich mit
dem Patienten in Rapport zu setzen. Halluzinationen, Delirien. Am 27. November
durchläft Pat. die Nacht, wird darauf ruhiger und ist am 7. Dezember bereits
klar, erinnert sioh der ganzen Vorgänge während der Psychose. Am 14. Dezember
1906 beginnt wiederum eine anfänglich melancholische Phase, nachdem Pat. in
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der Zwischenzeit völlig gesund war. Darauf ähnlicher Zustand wie 1905, in
photographischer Treue, nur daß die Phasen des zweiten Anfalles länger dauerten.
Vortr. faßt die früheren monatlichen Aufregungszustände als Anfälle in kleinsten
Dimensionen auf, welche im Jahre 1905 ihren Typus änderten, indem Bie an
Intensität und Dauer Zunahmen unter gleichzeitiger Verlängerung des freien Inter*
valles auf 1 Jahr, ähnlich wie Kirn es für seine centrale Typose auch annimmt.
Herr Pötzl bemerkt, daß der vorliegende Fall geeignet sei, die Frage nach
dem Wesen der Periodizität und der periodischen Psychosen neuerdings aufzu*
werfen; die Hitzigsche Definition bedürfe einer Ergänzung. Vieles von dem,
was photographische Treue genannt werde, darf nicht aus Pathologie und Klinik
allein, sondern aus rein psychologischen Problemen erklärt werden.
Herr Pilcz macht auf die Übergänge von periodischen und rezidivierenden
Psychosen aufmerksam. Doch gibt es im Rahmen des manisch-depressiven Irre¬
seins viele Fälle, die den periodischen Psychosen der Alten entsprechen. Die
günstige Prognose quoad intellectum trifft — wie auch Kraepelin bemerkt —
nicht bei allen Fällen zu, insbesondere, wie Bedner seinerzeit aufmerksam machte,
nicht bei den Periodikern mit Hirnnarben.
Herr Bedlich unterscheidet Fälle periodischen Irreseins, die sich dem alten
Typus anschließen und solche im Sinne Kraepelins — manisch-depressive. Doch
müsse diese wichtige Frage einmal ihrer Wichtigkeit entsprechend separat erledigt
werden.
Herr Stransky meint, daß eine große Anzahl von Fällen periodischen Irre¬
seins in die Gruppe des manisch-depressiven gehören, wenn man ihren Verlauf
beobachten kann. Doch gehören z. B. die periodisch bzw. rezidivierend auflreten-
den Amentiafälle nicht hierher. Schwer sei auch die Abgrenzung gegen Epilepsie,
womit der vorgestellte Fall Beziehungen haben könnte. Bedner erinnert an
Aschaffen bürg, der die periodischen Verstimmungen der Epileptiker besonders
studierte, und meint, daß der Begriff der periodischen Psychosen einer Bevision
bedarf, daß aber auch das manisch-depressive Irresein Kraepelins nicht als ab¬
geschlossene klinische Einheit aufzufassen ist.
Herr E. Raimann hält für den vorliegenden Fall die centrale Typose als
erwiesen; es finden sich alle Kriterien der sogen, periodischen Psychosen, ander¬
seits ist der Fall entschieden der Epilepsie zuzurechnen, wenn auch spezifisoh
epileptische Antezedenzien fehlen. Doch zeigt sich Analgesie während der Ent¬
wicklung der Psychose, der Vorstellungsinhalt monoton, eingeengt, Gotl- und
Majestätsnomenklatur, Perseveration und unverkennbare Aphasie. Fälle wie der
vorgestellte seien nicht gar bo häufig, und so kann man sie bald als periodische
Psychosen, bald als Epilepsie bezeichnet finden.
Herr Pilcz und Herr Pötzl schließen sich der Ansicht Raimanns an.
Letzterer meint, daß die Fälle centraler Typose die Mitte halten zwischen epi¬
leptischen und periodischen Geistesstörungen, weshalb ihre beste Benennung das
Wort Typose sei, während die Einreihung Geschmackssache bleibe.
Herr Hirschl kennt eine Anzahl von Fällen jener periodischen Psychosen
mit photographischer Treue und gleichlanger Dauer der ZuBtandsbilder. Sollten
aber letztere ihren Charakter geändert haben, bo müßte eine Veränderung der
periodischen Psychosen in den letzten Dezennien angenommen werden, etwa im
Sinne der Mendelschen Anschauung für die Paralyse.
Sitzung vom 19. Februar 1907.
(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 13.)
Herr Hirschl demonstriert einen Fall von Medianusverletiung mit Sen-
•ibilltfttMtörongen ohne aolohe der Motilität.
Herr v. Frankl-Hochwort erwähnt gleichfalls solche Fälle, z. B. einen,
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bei welchem eine kleine Verletzung mit stumpfem Messer in der Medianusgegend
typische Medianusanästhesie, Entartungsreaktion im Thenargebiete bei Freibleiben
der Motilität hervorrief.
Herr Redlich sucht dieses eigentümliche Verhalten dadurch zu erklären,
daß die Nerven für die einzelnen Gebiete nicht wirr durcheinander liegen, sondern
im Nervenstamm weit hinauf centralwärts in bestimmten Gruppen angeordnet sind.
Herr Fuchs demonstriert ein Kind mit eigentümlicher funktioneller
Sprachstörung und eine schwere Unfalleneuroee mit Gr&fesohem Symptom
ohne sonstige Basedow-Erscheinungen. Das Symptom soll vor der Neurose noch
nicht bestanden haben.
Herr Schlesinger bemerkt, daß er ähnliches bei Bleikranken fand, ohne
den Zusammenhang beider Affektionen erweisen zu können.
Herr Baranyi fand bei dem vorgestellten Kranken Erscheinungen, die einen
vestibulären Schwindel wahrscheinlich machen und sich hauptsächlich bei Traumen
finden.
Herr v. Frankl-Hochwart meint, daß das Gräfesche Symptom auch ein¬
mal bei anderen Krankheiten Vorkommen könnte als bei Basedow. So sah er es
in einem Falle mit leichten Darmsymptomen.
Herr Schlesinger hat dies häufiger gesehen.
Herr Wintersteiner zweifelt an der Echtheit dieses Gräfeschen Symptomes;
was der Kranke biete, sei erlerntes Grimmassieren.
Herr Linsmayer und Herr Fodor sprechen gleichfalls in diesem Sinne.
Herr Baranyi stellt einen Epileptiker vor, bei dem nach Sturz in einem
Anfall offenbar durch eine Blutung eine Läsion des Vestibularapparates ein¬
getreten war. Der Beweis eines frischen Prozesses konnte aus der Untersuchung
des Drehnystagmus erbracht werden; 16 Tage nach dem Unfall fand sich beim
Anhalten nach 10 Rechtsdrehungen nur sehr geringer Nystagmus, nach 10 Links¬
drehungen war dieser normal. Eine Woche später war der Nystagmus beider¬
seits sehr gering, ein Verhalten wie es nur bei frischen Labyrintbprozessen
(Eiterungen) statthat.
Herr Arthur Schüller: Über Halisterese der Sohädelknoohen bei
intrakranieller Druoksteigerung. Die bekannten Usuren des Schädels bei
Drucksteigerung (Rauhigkeiten, Defektbildungen, Vertiefung der Impressiones
digitatae) konnten bisher klinisch nicht verwertet werden. Vortr. sucht dies mit
Hilfe der röntgenographischen Untersuchung zu tun. Man kann dadurch eine Ver¬
dünnung und Verkürzung der Sattellehne und der Proc. clinoidei schon nacb-
weisen, wo die Sektion keine Form Veränderung zeigt und nur die Möglichkeit
mit einem Skalpell einzuschneiden eine Abnahme des Kalkgehaltes dokumentiert.
Außerdem demonstriert Vortr. eine Varietät am Sohädeldach, die Ausbildung eines
Sinus sphenoparietalis (Merkel).
Herr v. Wagner meint, ob es sich bei der letzterwähnten Venenfurche nioht
um einen Atavismus handelt, da bei Hunden der Abfluß des gesammten venösen
Blutes aus dem Schädelinneren durch einen Ast der Jugularis externa erfolgt,
welcher durch ein bestimmtes Foramen geht
Herr Wiesel hat öfters gefunden, daß sich die Sella turcica einschneiden
läßt; es kommt dieB sicher auch ohne endokranielle Drucksteigerung vor.
Herr Stern demonstriert Präparate zum Verlaufe und der Histologie des
Pioksohen Bündels. (Erscheint demnächst ausführlich.)
Otto Marburg (Wien).
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Psychiatrisch-neurologisohe Sektion des Budapester könlgl. Ärztevarelns.
Sitzung vom 5. Februar 1906.
Herr J. S&lgö: Über den gegenwärtigen Stand der Therapie des Alko-
holismus mit Beäug auf die Antialkoholbewegung. Die Alkoholintoxikation
äußert sich in verschiedenen pathologischen und abnormen Symptomen und
Symptomenkomplexen; die Wirkung derselben ist nicht nur von der eingenommenen
Alkoholmenge, sondern auch vom Alkoholgehalt des Getränkes und nicht minder
vom Individuum selbst abhängig. Im allgemeinen können wir typische und
atypische Symptome und Zustände der Alkoholintoxikationen unterscheiden. Die
typische Alkoholintoxikation hängt nur von der eingenommenen Alkoholmenge
ab und kann akut oder chronisch verlaufen. An erster Stelle ist die letale Alkohol¬
vergiftung zu erwähnen, hei welcher infolge der eingenommenen großen Alkohol¬
menge allgemeine Lähmungen, volle Bewußtlosigkeit, starkes Sinken der Körper¬
temperatur auftreten und innerhalb einiger Stunden oder einem Tage zum Tode
fuhren. Bei solchen Trinkern, welche längere Zeit hindurch größere Mengen von
Alkohol genießen, entwickelt sich das Delirium alcoholicum, das allgemein wohl¬
bekannte Krankheitsbild der akuten halluzinatorischen Verwirrtheit, welches inner¬
halb einiger Tage zu heilen pflegt. Die Krankheitsbilder des chronischen Alko¬
holismus entwickeln sich kaum merklich langsam, haben andere Symptome, zeigen
aber ähnlichen Ablauf wie das ’erstere Krankheitsbild. Sowohl die ohronische
Alkoholparanoia, wie die Alkoholparalyse, die Korsakoffsche Psychose und die
auf Grund von Alkoholneuritis sich entwickelnde^ Erkrankungen treten allmählig,
unter kaum bemerkbaren Symptomen auf, und äußern sich in Veränderung des
Charakters, erhöhter Reizbarkeit, Herabsinken des Arbeitswillens und der Arbeits¬
kraft; ferner in stabilem Tremor, seltener in apoplektiformen Anfällen, neuralgischen
Schmerzen, welchen sich einerseits an die Paranoia erinnernde Symptome: Geruchs¬
und Geschmackshalluzinationen, Vergiftungs- und Eifersuchtswalin; andererseits
fortschreitende Paresen, intellektuelle Ausfallserscheinungen und hochgradige Ver¬
minderung der Erinnerungsfähigkeit anschließen. Die Behandlung der durch
Alkoholvergiftung entstandenen psychischen Erkrankungen geschieht natürlich in
Irrenheilanstalten. Aber die Anstalten können diesem Zwecke auch nicht mehr
vollständig entsprechen. Die Heilung ist nämlich mit dem Schwinden des akuten
Deliriums und der notorischen Erscheinungen nicht beendigt, weil die Restitution
die zur neuen Erkrankung führende Trinksucht nicht zum Schwinden bringt.
Die derzeit bestehende Organisation der Anstalten mit dem ewigen Platzmangel
kann Bich auf die Bekämpfung der Trunksucht nicht erstrecken. Noch weniger
entsprechen die auf die Alkoholisten derzeit bezüglichen Verordnungen und Maß*
regeln denjenigen Fällen, in welchen die Alkoholintoxikation atypische Reaktion
zustande bringt und von einer eigentlichen Psychose im engeren Sinne des Wortes
nicht gesprochen werden kann. Namentlich bei für psychisohe Störungen Prä¬
disponierten, aber auch bei gesunden jungen Individuen, treten nach einem stärkeren
Alkoholexzeß oft schwere Bewußtseinsstörungen auf, welche sich in Minuten oder
auch 1 bis 2 Stunden anhaltenden gewalttätigen Ausbrüchen und gemeingefähr¬
lichen Taten äußern, dabei sehr oft früher schwinden, ehe sie noch zur
Konstatierung gelangen, und endlich bei jedem neueren Alkoholexzeß sich wieder¬
holen. Auch für diejenigen Alkoholisten, bei welchen es sich um großen Stimmungs¬
wechsel, moralische Schwäche, Depravation des Charakters, ständige Arbeitsunfähig¬
keit und nicht um eine eigentliche Geisteskrankheit handelt, sind die Anstalten
ungeeignet Nioht nur deshalb, weil ihr Zustand den gesetzlichen Anforderungen
zur Aufnahme nicht entspricht, sondern hauptsächlich aus dem Grunde, weil der¬
artige Kranke in Anstalten sich nioht nur nicht bessern oder zur Heilung ge¬
langen, vielmehr sowohl psychisch wie auch körperlich rasch verfallen. Aus der
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richtigen Erkenntnis dieser Verhältnisse und hauptsächlich aus der Erfahrung
über die individuell und sozial destruktive Wirkung des Alkohols, entwickelte
sich jene soziale Bewegung, welche sich die Bekämpfung des Alkoholismus zum
Ziel setzte. Diese Bewegung ging von dem richtigen Gesichtspunkte aus, daß
ohne Alkoholgenuß auch kein Alkoholismus entsteht. Aber gleich im Anfänge
entstanden zwei Parteien, nämlich die Partei der Abstinenten und diejenige der
Mäßigen. Erstere sieht nur die großen Schäden, die der Alkoholgeuuß verursacht
und weist darauf hin, daß der Alkohol weder ein Nahrungsmittel noch ein Roborans
(Arzneimittel) ist, und deshalb auch gemieden werden soll; die zweite Partei
aber glaubt ihr Ziel besser zu erreichen, wenn sie der Menschheit ein gewohntes
Genußmittel nicht vollständig entzieht, sondern trachtet durch Aufklärung und
Belehrung die Gefahr des übermäßigen Alkoholgenusses abzuwenden und die Ver¬
heerungen desselben zu verhindern. Uns Ärzte interessiert der dogmatische und
agitatorische Teil dieser Frage nicht. Wir konzedieren oder können konzedieren,
daß der Alkohol als Nahrungsmittel und Roborans nicht in Betracht kommt, im
Gegenteil, daß er in erster Linie die Funktion des zentralen Nervensystems
schädigend beeinflußt und auch zugrunde richtet. Von dieser Überzeugung aus¬
gehend, unterstützen wir jedes Streben, welches die durch den Alkohol er¬
zeugten Übel sanieren will, oder der toxischen Wirkung des Alkohols vorbeugt
Wir anerkennen diejenigen Erfolge, welche der Antialkoholismus bis jetzt er¬
reichte und unterstützen dieselben auch pflichtgemäß. Aber den, meiner Ansicht
nach, übertriebenen Äußerungen der Propaganda, wonach die Alkoholmenge ganz
nebensächlich sei, da der Alkoh'olgenuß auch in den kleinsten Mengen gefährlich
ist, können wir uns nicht anBchließen, denn zu dieser Annahme bietet die ärzt¬
liche Erfahrung keine Basis. Naoh meiner eigenen Überzeugung werden die¬
jenigen Apostel des Antialkoholismus, welche von absoluter Abstinenz predigen,
die Kraft der antialkoholischen Bewegung nur schwächen. Der in der absoluten
Abstinenz wurzelnde alleinseligmachende Glaube wird Bich als Utopie erweisen;
ebenso wie bei einer antiluetischen Bewegung das Verlangen nach einem voll¬
kommenen Zölibat sich als Utopie erweisen würde, obwohl es zur vollständigen
Ausmerzung der Syphilis keine sicherere Prophylaxis gäbe, als die absolute sexuelle
Abstinenz. Deshalb halte ich zur Bekämpfung des Alkoholismus für notwendig
und auch für durchführbar, daß diejenigen Individuen, welche durch Alkoholgenuß
erkrankten und sich beständig in abnormen Zuständen befinden, auf Grund der
konstatierten Trinksucht entmündigt werden, ohne Rücksicht darauf, ob ihre
Geisteserkrankung anhaltend ist, oder ob sie an einer Geisteserkranknng im engeren
Sinne des Wortes leiden oder nicht. Gleichfalls soll die Vormundschaft auch
über diejenigen verhängt werden, bei denen jeder Alkoholgenuß, auch wenn er
noch so mäßig ist, abnorme Reaktionen zustande bringt. Letztere sollen in zu
diesen Zweck errichteten Anstalten gehalten werden, und das Verweilen in den¬
selben soll nicht von der Konstatierung krankhafter oder abnormer Symptome
abhängig gemacht werden, sondern von den Erfahrungen, welche nach einer durch
längere Zeit durchgeführten vollständigen Abstinenz gemacht worden sind. Der
Anstaltsaufenthalt darf nicht kürzer als ein Jahr sein, und mit der Entlassung
soll die Aufhebung der Entmündigung nicht verbunden sein, sondern soll erst
nach Ablauf einer Probezeit von zwei Jahren versucht werden. Die Verabfolgung
von Alkohol an derartige unter Vormundschaft stehende oder minderjährige Indi¬
viduen soll als strafbare Handlung betrachtet werden. Ebenso soll als strafbar
betrachtet werden, wenn notorischen Säufern oder Berauschten alkoholische Ge¬
tränke verabfolgt oder auf Kredit gegeben werden. Eis ist zu verbieten, daß
Alkohol kontraktgemäß als ein Teil des Arbeitslohnes oder als Accessoriam des¬
selben verabreicht werde.
Herr E. E. Moravcsik freut sich, daß Vortr. die Frage der Therapie des
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Alkoholismus zur Besprechung brachte. Er hält es aueh für angezeigt, die Alkoho-
listen zu entmündigen und beruft sich diesbezüglich auf das deutsche bürgerliche
Gesetzbuch von 1900; hält aber die Beschränkung in demselben für unrichtig,
daß die Vormundschaft nur über „gemeingefährliche“ Alkoholisten verhängt werde.
Er bemängelt es, daß in dem Entwurf unseres BGB. dieser Ausdruck übernommen
wurde, denn die Gemeingefährlichkeit ist ein relativer Begriff, der AlkohoÜBt ist
nicht nur in dem Falle gemeingefährlich, wenn er aggressiv ist, sondern auch dann,
wenn er falsche privatrechtliche Verfügungen trifft. Deshalb wünscht er den
Ausdruck „gemeingefährlich“ zu vermeiden. Weiter hält er es für notwendig,
daß nicht nur den Minderjährigen, sondern auch denjenigen Großjährigen, über
welche die Vormundschaft verhängt ist, alkoholische Getränke nicht verabfolgt
werden sollen, was auch besonders hervorzuheben wäre. Er hält dies auch des¬
halb für notwendig, weil manche Eltern ihren Kindern Alkohol geben, um sie zu
„stärken“. Gegen diese falsche Ansicht des Volkes müßte man belehrend ein¬
wirken.
Herr Ph. Stein wundert sich, daß Vortr. die Abstinenzbewegung für eine
übertriebene, nicht zum Ziele führende und Erfoge nicht aufweisende Schwärmerei
hält. Er wundert sich hierüber nm so mehr, als er im Anfänge der anti¬
alkoholischen Bewegung ganz richtig die absolute Abstinenz als einzige zum Ziele
führende Methode betonte. Die Abstinenten behaupten nur, daß vom physio¬
logischen Standpunkte auch der mäßige Alkoholgenuß auf den Organismus nicht
vorteilhaft Bei und daß beim Alkoholgenuß von Mäßigkeit nicht gesprochen werden
kann, denn was dem einen noch mäßig, kann dem andern schon übermäßig sein;
die Mäßigkeit läßt sich aber zahlenmäßig nicht bestimmen. Das richtige Mittel
zur Bekämpfung des Alkoholismus ist nur die volle Abstinenz, wie das die Resul¬
tate in Canada, in den Vereinigten Staaten und in Skandinavien glänzend bewiesen
haben. Er bittet die Sektion, die Bestrebungen zur absoluten Abstinenz zu unter¬
stützen, weil wir derzeit kein besseres Mittel zur Bekämpfung des Alkoholismus
besitzen.
Herr J. Donath schließt sich den psychiatrischen Ausführungen des Vortr.
an, doch hält er es für unrichtig, daß er die Abstinenzbewegung als übertriebene
Sache hinstellt. Er weist auf die Untersuchungen Kraepelins u. a. hin, welche
auch die Schädlichkeit des mäßigen Alkoholgenusses in Ziffern ausgedrückt haben.
Solcher Art gibt es ohne Schaden für den Organismus keine Möglichkeit, und
wiederholt auch er, daß das einzige Mittel zur Bekämpfung deB Alkoholismus die
Abstinenz sei, und müssen die Ärzte hierin mit gutem Beispiel vorangehen.
Herr K. P&ndy meint, das Volk soll belehrt werden, daß es sich auch ohne
Alkohol unterhalten könne. Zu diesem Zwecke eignen sich Vorträge mit projizierten
Bildern, Tanzunterhaltungen ohne alkoholhaltige Getränke, Teeabende ohne Rum,
wie er das in Frankreich bei der familiären Pflege der Geisteskranken sah. Der
Arzt, und hauptsächlich der Nerven- und Irrenarzt, muß immer gegen den Alkohol
kämpfen und darf seinen Patienten niemals Alkohol verabreichen. Zur Bekämpfung
des Alkoholismus ist die Propangada der absoluten Abstinenz am Platze, obwohl
auch auf diese Weise die universelle Abstinenz illusorisch bleiben wird.
Herr P. Ranschburg anerkennt die Bedeutung der Abstinenzbewegung, hält
aber die Geringschätzung der Temperenzler von seiten der Abstinenten für un¬
gerecht. Denn die intelligente Klasse schließt sich lieber der Temperenzler¬
bewegung an und sieht auch die Notwendigkeit des nur mäßigen Alkoholgenusses
leichter ein. Er hält die Ansicht für falsch, daß die Grenzen der Mäßigkeit
nicht bezeichnet werden können, nachdem von einem Alkoholismus nur in dem
Falle gesprochen werden kann, wenn der Alkohol so rasch nacheinander genommen
wird, daß die Wirkung des erstgenossenen mit der des nächstfolgenden zusammen-
fällt und auf diese Weise der Organismus fortwährend unter Alkoholeinfluß steht.
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Wer täglich 1 bis 2 Deziliter 7°/ 0 igen Wein oder 1 bis 2 Glas 4°/ 0 iges Bier
trinkt, darf noch nicht als Alkoholist bezeichnet werden. Diese Mäßigkeit wird
jedermann als richtig annehmen, während, wenn behauptet wird, daß ein Deziliter
Wein gerade so ein Gift ist wie ein Liter, so wird auch der intelligente Mensch
eher mehr als weniger trinken. Der Grund, daß die Temperenzbewegung noch
keine nennenswerte Erfolge erreicht hat, liegt in der Unkenntnis der Hygiene beim
Publikum, aber diesbezüglich werden sich die Verhältnisse auch bessern.
Herr A. v. Sarbö konstatiert, daß die Verschiedenheit der Ansichten zwischen
Vortr. und Abstinenten nur scheinbar ist. Vortr. hat nämlich vom wissenschaft¬
lichen Standpunkte aus erklärt, daß die Abstinenzbewegung solange wie das
Alkoholmonopolium besteht und etwas Offizielles in dieser Hinsicht nicht geschieht,
nicht zu einer allgemeinen Abstinenz fflhren wird. Die Richtigkeit der Abstinenz¬
bewegung und die taktische Notwendigkeit derselben hat er nicht in Zweifel ge¬
zogen. Alkoholisten darf in Anstalten selbstverständlich kein Alkohol verabreicht
werden.
Herr J. Sa lg6 (Schlußwort) meint, es sei nicht richtig, daß die Mäßigkeit keine
Grenzen habe, denn die Mäßigkeit ist die Regel, der Abusus ist die Ausnahme.
Gegen die Regeln kann niemand kämpfen. Alle die Übel, welche dem Alkohol-
genuß zur Last gelegt werden, sind nur Folgen der Trunksucht, der Übermäßig¬
keit. Eine derartige deletäre Wirkung des mäßigen Alkoholgenusses kennt die
medizinische Wissenschaft nicht. Die Lues ist so gefährlich wie der Alkohol und
dennoch würde niemand ernstlich die sexuelle Abstinenz als einziges Prophylacticum
anraten: und doch würde jedermann heute einen großen Alkoholrausch lieber er¬
tragen als morgen eine kleine luetische Infektion. Auch die geistige Arbeit ist
mit großen Gefahren verbunden, dennoch würde niemand die vollständige Ent*
haltung von geistiger Arbeit der Menschheit empfehlen. Als Ärzte unterstützen
wir pflichtgemäß jedes Bestreben, welches zur Sanierung der menschlichen Leiden
führt oder die Verhinderung des Leidens bezweckt; aber durch unbefangene
Forschungen nicht begründeten Losungsworten können wir nicht zu Dienste stehen,
noch weniger können wir diese als Dogmen annehmen. Und wenn wir gegen
die durch übermäßigen Alkoholgenuß enstandene Intoleranz kämpfen, wollen wir
nioht in die durch Abstinenz entstandene Intoleranz verfallen.
Sitzung vom 5. März 1906.
Herr K. Pändy demonstriert ein Gehirn mit lobärer Sklerose. Das
Gehirn stammt von einem 15jährigen Idioten, welcher seit seiner Geburt an links¬
seitiger Lähmung mit rigiden Kontrakturen und Pes varoequinus litt. Er hatte
epileptiforme Anfälle und starb während eines Bolohen Krampfanfalles. Die
Sektion erwies, daß die Hirnschale rechts sehr verdünnt, die Schädelbasis auf der¬
selben Seite verdickt ist, die Gruben derselben enger sind und der Sulcus longi-
tudinalis sich stark nach links dreht. Die Dura ist rechts 2 mal so dick wie links,
die Pia stellenweise faserig angewachsen und über dem oberen frontalen Gyrus eben¬
falls stark verdickt, aber durchsichtig und glatt. Das Gewicht des Gehirns beträgt
1000 g. Die Partie vom Sulcus praecentralis bis zum Sulcus occipitalia transversus
der rechten Hemisphäre ist stark geschwunden. Die Länge dieser Hemisphäre beträgt
nur 13 cm, während die linke 18 cm lang ist. Der Schwund der Gehirnsubstanz
ist in der Gegend der Fissura calcarina am ausgeprägtesten. Der mittlere Gyrus
temporalis, supraraarginalis und angularis erscheinen als Querfalten bis zur Fossa
Sylvii und bestehen auB Knötchen von der Größe eines Hirsekornes. Die ganze
Umgebung der Fossa Sylvii ist stark geschwunden, ihre Struktur ist dennoch gut
erkennbar. Der Schwund der Hirnsubstanz betrifft auch den hinteren Teil des
mittleren und unteren Stirnlappens. Der obere Gyrus frontalis und temporalis,
sowie der Lobus occipitalis zeigen etwas Hypoplasie. Über enteren beiden ist
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die schon erwähnte Leptomeningitis, welche mit dem Schwund der Gehirnsubstanz
nicht in Zusammenhang steht. Der rechte Ventrikel hat die Größe einer Kinder*
faust, der linke ist bloß etwas erweitert. Das Corpus callosum bildet eine dünne
Platte. Das Ganglion habenulae ist auffallend gut entwickelt. Traotus opticus,
corpora quadrigemina, processus cerebelli ad cerebrum usw. sind rechtsseitig auf
die Hälfte geschwunden. Die rechtsseitige Pyramide fehlt, die ganze rechte Hälfte
des Bückenmarkes ist schwächer entwickelt. Die Umgebung des linken Ventrikels,
ebenso die Vierhügelkörper zeigen links frische Erweichung. Die linke Hemisphäre
ist verhältnismäßig zu stark entwickelt. Vortr. glaubt, daß diese Veränderungen
durch die intrauterine Erkrankung der rechtsseitigen Arteria carotis interna zu*
stände kamen und daß durch die ungenügende Blutzufuhr diejenigen Gehirnteile,
welche von der Arteria Sylvii versehen werden, allmählich zur Schrumpfung ge¬
langten. Tatsächlich zeigen diejenigen Gehirnteile den Schwund, welche dem
Gebiete der mittleren Hirnarterie angehören, während die Gehirnbasis, die obere
und mittlere frontale Windung, von der Arteria communicans sinistra genügend
ernährt wurden, sowie diejenigen hinteren Teile des Gehirns, welche das Blut von
der Arteria profunda cerebri erhielten, verhältnismäßig gut entwickelt sind. Zur
Rechtfertigung dieser Annahme weist Vortr. auf die bei jungen Katzen durch¬
geführten Experimente von Wagner von Jauregg hin. Auf Grund dieser An¬
nahme ist die primäre Veränderung in der Carotis gewesen, während die Ver¬
änderungen des Gehirns konsekutive Erscheinungen sind. Die Erkrankung glaubt
er auf kongenitale Lues zurückführen zu dürfen, da auch andere Organe an Lues
erinnernde Veränderungen aufwiesen.
Herr K. Schaffer findet die linke Hemisphäre zu stark entwickelt und
glaubt, daß die Vergrößerung infolge einer Dejerineschen kompensatorischen
Hypertrophie zustande kam. Der Thalamus opticus dürfte infolge der erkrankten
Arteria fossae Sylvii kleiner geraten sein. Im ganzen Gehirn sieht er eher die
Guddensche Atrophie als Hypoplasie vorliegen und glaubt, daß die sekundäre
Schrumpfung der sekundären Teile der Schrumpfung des primären Centrums folgte.
Herr J. Saig6 nimmt eine primäre Ernährungsstörung an, welche infolge
einer intrauterinen Encephalitis zustande kam.
Herr K. Schaffer demonstriert das Gehirnpräparat von einer infantilen
apastisohen Hemiplegie. Das betreffende Individuum erlitt eine infantile Hemi¬
plegie und starb nach Jahren an Bronchopneumonie. Es war geistig Btark
zurückgeblieben, der Wortschatz erstreckte sich nur auf die primitivsten Begriffe,
so daß es sich über Bein Leiden nicht ausdrücken konnte. Beim Sprechen war
die letzte Silbe des Wortes stark gedehnt. Die rechte obere Extremität war
gelähmt, die untere paretisch. Die pathologische Veränderung der linken Hemi¬
sphäre besteht in ausgeprägter Erweichung, welche, von der Seite gesehen, sich
auf die 3. Stirnwindung und teilweise auch auf die zweite ausbreitet. Die Zer¬
störung der Hirnsubstanz erstreckt sich auf die unteren */ 4 der vorderen und
hinteren Centralwindung, auf das motorische Centrum des Gesichts, der Zunge
und der oberen Extremität, während das sogen. Fußcentrum die Erweichung nur
kaum merkbar zeigt. Von hier aus geht die Malacie im Sulcus interparietalis
weiter und endet vor dem Occipitallappen. Auf diese Weise ist der ganze
Temporallappen zerstört. An Stelle der erweichten Teile befinden sich zwei große
fluktuierende Cysten, zwischen welchen eine tiefe Furche sichtbar ist, wahrschein¬
lich die Fossa Sylvii. Die Wände der Cysten weisen Gefäße auf, bestehen daher
aus der Pia mater und gehen auch glatt in die Pia der noch gesunden Win¬
dungen über. Bei Eröffnung der vorderen Cyste gewinnen wir den Einblick in
eine Höhle, welche von bindegewebigen Balken durchzogen ist, in der Tiefe der
Höhlung über den großen Centren ist auch ein fluktuierendes, wahrscheinlich in
Malacie befindliches Gewebe fühlbar. Die Basis dieser Hemisphäre ist mit Aus-
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31 *
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nähme des occipitalen Teiles in Erweichung begriffen, nur der stark geschrumpfte
Gyrus hippocampi ist noch erkennbar. Die in den Prozeß nicht eingezogeneo
Teile an der Konvexität der linken Hemisphäre sind: die erste und teilweise die zweite
Stirnwindung, der obere temporale und der Occipitallappen. An der Basis sind erste
und zweite Stirnwindung und GyruB hippocampi erhalten. Aus der Schilderung
ist ersichtlich, daß die Malacie sich auf sämtliche Äste der Art. med. cerebri a
fossae Sylvii, welche nach der Konvexität laufen, erstreckt. Da anzunehmen ist,
daß die Erkrankung der Arterie im frühzeitigen Kindesalter zustande kam, ist es
erklärlich, warum die linke Hemisphäre in ihrem Wachstum so stark zurück«
geblieben ist: sie ist nur 11 cm lang, während die rechte Hemisphäre eine lÄnge
von 14 cm aufweist; die Breite der linken Hemisphäre ist 4 cm, die der rechten
7 cm. In Zusammenhang mit der Malacie der linken Hemisphäre besteht auch
Schrumpfung des linken Corpus mamillare, des Sehhügels, der Brücke, der Obion-
gatenpyramide und bemerkenswert ist, daß die gegenüber der Erweichung ge¬
kreuzte (rechte) Hemisphäre des Kleinhirns kleiner und flacher ist wie die linke.
Das Präparat stellt das Paradygma eines experimentum naturae Guddensoher
Atrophie dar.
Herr L. Török: Uber die Analyse des Juckens. Vortr. illustriert mit
Beispielen, was er unter Jucken und Kitzeln versteht Bisher ist zwischen diesen
beiden Empfindungen kein Unterschied gemaoht worden, vielmehr sind dieselben
von vielen Autoren identifiziert worden. Das Kitzeln kommt schon bei feiner
Berührung derjenigen Körperteile zustande, welche ein empfindlicheres Tastgefühl
besitzen (Gesicht, Hohlhand, Sohle usw.) und wird gesteigert durch sanfte*
Streicheln. Das Kitzeln ist nach Goldscheider die eigentliche spezifische
Empfindung der Tastnerven, welche bei einem stärkeren mechanischen Reiz das
Tastgefübl erzeugen. Vom Kitzeln unterscheidet sich aber das Jucken, welches
nach dem Stioh mancher Insekten und auch infolge einiger Hautkrankheiten auf-
tritt. Manchmal können beide Empfindungen gleichzeitig und auf derselben Stelle
auftreten, z. B. wenn man über einer juckenden Stelle ein Stäbchen Banft bin
und her bewegt, kann man auch das Kitzelgefühl erwecken. Betrachten wir nun
näher diejenigen Verhältnisse, unter welchen das Jucken auftritt, müssen wir zur
Schlußfolgerung kommen, daß das Juckgefühl mit der Sohmerzempfindung in
irgend einem Verhältnisse steht. Diejenigen Hautkrankheiten, welohe bei größerer
Intensität Schmerz verursachen, geben ins Jucken über, sobald der Grad der Ent¬
zündung nachläßt. Dieses beweisen auch die artifiziellen Hautentzündungen. Bei
Follikulitiden sind die stark eiternden schmerzhaft, während die minder ent¬
zündeten jucken. Schmerzhafte Hämorrhoidalknoten verursachen mit Nachlaß der
Entzündung Jucken. Schmerzhafte Nasenhöhlenrhagaden jucken während des
Heilens. Auch das Volk meint: die Wunde heilt, denn sie juckt. Aus all diesem
ist ersichtlich, daß die Empfindung des Juckens mit der des Schmerzes in irgend¬
welchem Zusammenhänge steht, und zwar derart, daß diejenigen Nerven, welche
bei intensiverer Schädigung der oberflächlichen Hautschichten die Empfindung des
Schmerzes vermitteln, bei schwächeren Insulten derselben Hautschichten auoh dss
Jucken vermitteln, weshalb das eine Element des Juckgefühls durch den Reiz der¬
jenigen in den oberflächlichen Hautschichten gelegenen sensiblen Nerven gebildet
wird, deren stärkere Schädigung die Schmerzempfindung verursacht. Zum voll¬
ständigen Beweis dieser Schlußbildung sind aber noch weitere Untersuchungen
nötig, denn auch die Annahme wäre möglich, daß bei der Empfindung des Schmerzes
und des Juckens verschiedene Nerven beteiligt sind, oder daß bei den genannten
Beispielen das heftige Schmerzgefühl dasjenige des Juckens nur unterdrückt.
Vortr. machte nun mittels der Fruchthaare der Cucuma pruriens Versuche bei
solchen Individuen, bei welchen eine Dislokation der Empfindung bestand. So
wurden Personen untersucht, von denen zwei an Lepra und eine an Syringomyelie
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litten, dann worden Versuche an Hautpartien angestellt, welche durch Schleich-
sches Verfahren anästhetisoh gemacht worden waren. In allen diesen Fällen war
die Schmerzempfindung vollständig aufgehoben, die Temperatur- und die Tast¬
empfindung aber erhalten. Das Juckpulver verursachte hier auch kein Jucken,
also ist das Juckgefühl mit dem Schwund der Schmerzempfindung auch erloschen.
Infolge dieser Erfahrung hat die schon erwähnte Annahme, daß dieselben Nerven
das Jucken wie auch den Schmerz bewirken, eine siohere experimentelle Basis
erbalten. Damit jedoch diese Annahme experimentell eine vollkommene Ver¬
gewisserung erhalte, hält Vortr. es noch für notwendig, die Untersuchungen mit
Juckpulver bei solchen Personen anzustellen, bei welchen die Dislokation der
Empfindung derart besteht, daß die Schmerzempfindung erhalten, aber die Tast*
und Temperaturempfindung aufgehoben ist. Zur Untersuchung solcher Fälle hatte
Vortr. keine Gelegenheit. Vortr. befaßt sich schließlich mit der Frage: an
welchen Nervenendigungen das Juckgefiihl zustande kommt und kommt zur Kon¬
klusion, daß die freien Endigungen der interepithelialen Nerven in der Epidermis
das Jucken vermitteln. — An der Diskussion beteiligten sich die Herren L6vy,
Salgö, Oläh, Pandy und Ranschburg.
Sitzung vom 2. April 1906.
, Herr K. Schaffer: Über die klinisohe Klassifizierung und Pathohisto-
logie der familiären amaurotischen Idiotie. Vortr. erwähnt zuerst die Be¬
strebung H. Vogts, auf Grund klinischer Untersuchungen aus der großen Gruppe
der Idiotien eine besondere Gruppe auszuscheiden, welohe durch Amaurose,
Lähmung, Marasmus, progredierenden Charakter und Familiarität gekennzeichnet
ist. In dieser Gruppe unterscheidet Vogt zwei Formen, eine infantile und eine
juvenile; bei der letzteren fehlt der für die erstere charakteristische kirschrote
Fleck der Macula lutea, und beschränkt sich der Augenspiegelbefund auf eine
Atrophie der Papille. Zu dieser Einteilung bemerkt Vortr., daß dieselbe bloß
durch pathohistologische Untersuchungen bestätigt oder entkräftet werden kann.
Da die histologischen Untersuchungen Vogts noch im Zuge sind, hat Vortr. Beine
auf die Sachssche Idiotie bezüglichen histologischen Untersuchungen mit jenen
verglichen, welche jüngst Spielmayer über die juvenile familiäre amaurotische
Idiotie veröffentlicht hat. Als Resultat dieses Vergleiches betont Vortr., daß die
Befunde bei der juvenilen Form identisch sind mit jenen bei der Sach eschen,
bloß mit dem Unterschiede, daß die Veränderung der Nervenzellen bei der
Sachsschen Form intensiver ist. Als fundamentale Veränderung ergibt sich bei
beiden Formen eine Schwellung der Kortikalnervenzellen im ganzen Zentralnerven¬
system, welche sich bei der Sachsschen Form auch auf die Dendriten bezieht,
und verursacht hier die vom Vortr. zuerst beschriebene cystiscbe Entartung.
Durch diese Schwellung wird das innere Netz der Nervenzellen besser sichtbar
und die Knotenpunkte desselben erscheinen größer. In einem späteren Stadium
zerfällt das innere Netz, es kommt zur Bildung von Schollen und Körnern, welche
den ganzen Zellkörper staubartig anfüllen. Schließlich verschwinden auch diese,
und es bleibt nur das äußere (Golgische) Netz sichtbar. Diese Veränderungen
der Sachsschen Form kommen bei der juvenilen nur in ihren primitiven Stadien
vor. Dieser pathohistologische Vergleich ergibt nun, daß die infantile und juvenile
Form der familiären amaurotischen Idiotien wesentlich die gleiche pathohisto¬
logische Grundlage besitzen, weshalb der von Vogt abgegliederte Typus als histo¬
logisch motivierte selbständige klinische Gruppe angesehen werden muß; die zwei
Formen dieser großen Gruppe, die infantile und juvenile Form, unterscheiden sich
eben nur graduell, nicht aber essentiell. (Klinisch unterscheiden sich die zwei
Formen durch den erwähnten Augenspiegelbefand, und Vortr. betont jenen Um¬
stand, daß der kirschrote Fleck der Papille für die Sachssche Form ganz spezifisch
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charakteristisch ist; dieses Zeichen besitzt nosographische Wichtigkeit, erscheint
aber nach den erwähnten histologischen Untersuchungen nicht mehr so gewichtig,
daß die Sach8sehe Form der Vogtschen Gruppe nicht zugeteilt werden könnte.
Die makuläre Veränderung muß jedenfalls vorhanden sein, um eine Idiotie als
Sachs8che bezeichnen zu können.)
Im Anschlüsse an seinen Vortrag demonstriert Vortr. Horizontalschnitte durch
die ganze Hemisphäre, welche aus einem Falle amaurotischer Idiotie stammen.
Der Fall bezieht sich auf eine 24jährige Idiotin mit Kontrakturen, Amaurose und
epileptischen Anfällen. Wegen mangelnder Anamnese konnte Familiarität nicht
nachgewiesen werden, ist aber wegen des histologischen Befundes nicht wahr¬
scheinlich. Sowohl an frontalen, als an horizontalen Schnitten (Weigert-
Woltersche Färbung) fällt auf, daß die zentrale Gratioletsche Sehstrahlung
gänzlich fehlt und daß die hemisphärale Marksubstanz mangelhaft entwickelt ist,
wodurch erweitert scheinende Ventrikel vorhanden sind. Da diese Veränderungen
symmetrisch sind, kann nur angenommen werden, daß sie einer Hemmung in der
Entwickelung des Gehirnes entstammen, und müssen deshalb als teratologische
Bildungen betrachtet werden. Der Mangel der zentralen Sehstrahlung bedingt
die Amaurose, der Mangel der Marksnbstanz verursacht die Idiotie. Eben die
teratologische Entstehung schließt aus die Familiarität des Leidens, und illustriert
die Möglichkeit, daß amaurotische Idiotie auch als Entwickelungshemmung ent- %
stehen kann, vorausgesetzt, daß sie solche Stellen ergreift, deren mangelnde Ent¬
wickelung Amaurose und Idiotie verursachen kann. Somit muß neben der
familiären amaurotischen Idiotie noch eine teratologisobe amaurotische Idiotie
angenommen werden; die erstere ist cellularpathologisch charakterisiert, die
letztere durch eine Bildungshemmung des Gehirnes bedingt.
Herr Koloman Pandy: Beiträge zur Kenntnis der luetischen Psychosen
mit Demonstration veränderter Innerer Organe. Vortr. demönstriert patho¬
logisch veränderte innere Organe, welche zumeist bei progressiver Paralyse Vor¬
kommen, aber auch bei anderen Psychosen beobachtet werden können. Eis ist
wahrscheinlich, daß diese Veränderungen, als Perihepatitis, Perinephritis, Peri¬
splenitis, Wucherung des gesamten Interstitiums und die stets nachweisbare Arterio¬
sklerose luetischen Ursprunges sind, was positiv nur auf histologischem und bak¬
teriologischem Wege nachweisbar wäre. Vortr. hat bei der progressiven Paralyse
Spirochäten bereits gesucht, jedoch nur die nach Levaditi in den Bindegewebs-
septen gut sichtbaren fusiformen, manchmal kokkenartigen Bakterien gefunden;
ob diese, wie dies auch Weichselbaum bemerkt, nicht etwa Transformations¬
formen wären, muß dahingestellt bleiben. Schon nach den klinischen Unter¬
suchungen ist es zweifellos, daß die Lues die Irrenanstalten in außerordentlichem
Maße bevölkert, indem sie nicht bloß Paralyse, sondern typische Melancholie,
Manie, Amentia, Paranoia, Pseudodelirium tremens, Idiotismus, Epilepsie verursacht.
Die häufigste Form der luetischen Geisteskrankheiten ist ohne Zweifel die pro¬
gressive Paralyse, welche richtiger luetische Demenz genannt werden sollte, da
ihr Wesen eine nach der Lues auftretende Demenz ist. Vortr. betont, daß ohne
Lues keine Paralyse existiert, und daß die infantilen Paralysen beweisen, daß
Lues allein dieselbe Paralyse hervorbringt, wie die mit anderen ätiologischen
Faktoren vergesellschaftete Lues. Die neuesten Untersuchungen ergeben auch die
Häufigkeit der Paralyse unter den Prostituierten; die Behauptung, daß unzivili¬
sierte Völker, z. B. Araber, weniger an progressiver Paralyse leiden, besitzt keine
wissenschaftliche Grundlage. Der luetische Ursprung der progressiven Paralyse
wird auch duroh Inokulationsversuche bestätigt; der luetische Ursprung derselben
ist 'positiver als jener der Gummen oder der Leukodermie, deren luetischer
Ursprung auch nur statistisch nachgewiesen ist, nur mit geringeren Prozentsätzen,
als derjenige der progressiven Paralyse. Nach den neuesten Untersuchungen
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Mahaims bestätigt die Anatomie in 100°/ 0 den luetischen Ursprung der pro*
gressiven Paralyse, dies beweisen auch die ophthalmoskopischen Befunde, die
Untersuchungen von Marie, L6ri, sowie die Befunde der Cerebrospinalfliissigkeit.
Wegen der stets nachweisbaren Gefäßerkrankung bezeichnet es Vortr. als groben
Fehler, wenn bei der progressiven Paralyse Ergotin, Stypticin, Adrenalin thera*
peutisoh angewendet wird. In geeigneten Fällen wäre eine antiluetische Behänd*
lang zu versuchen, event. die Behandlung mit künstlich hervorgerufenem Fieber,
wie die Untersuchungen Picks zeigen. Die demonstrierten Organveränderungen
beweisen, daß bei der progressiven Paralyse nicht bloß das Gehirn, sondern der
gesamte Organismus erkrankt ist; hierauf muß bei der klinischen Untersuchung
und bei der Therapie Rücksicht genommen werden. Ein sicheres Verteidigungs-
mittel gegen die Paralyse ist nur die Vermeidung der Lnes; deßhalb muß gegen
den Coitus praematrimonialis und gegen den Coitus cum pluribus angekämpft
werden, und Vortr. empfiehlt allen Eltern und Jünglingen den Spruch Ricords:
„Wer Gott nicht fürchtet, der fürohte die Syphilis!“
Herr K. Minnich wünscht bloß auf die demonstrierten pathologisch*anato*
mischen Präparate zurückzukommen, von welohen nur ein einziges als tatsächliche
syphilitische Veränderung bezeichnet werden kann; die übrigen sind entweder
nicht verändert, oder aber sie sind keineswegs syphilitischer Natur. Was die
Gefäßveränderungen betrifft, so ist noch nicht geklärt, ob dieselben ausschließlich
durch Lues hervorgerufen werden, denn die gleiche ätiologische Rolle kommt auch
dem Alkohol zu (obwohl die gleiohe Arteriosklerose auch bei Abstinenten gefunden
wird); in manchen Fällen von Arteriosklerose ist auch eine gewisse Heredität
nachweisbar. Eine luetische Arteriosklerose kann nur dann angenommen werden,
wenn gleichzeitig auch in anderen Organen sichere luetische Veränderungen nach*
weisbar sind. M. erblickt in den demonstrierten Präparaten keine pathologischen
Veränderungen und sieht den Zusammenhang derselben mit der Syphilis oder der
progressiven Paralyse nicht erwiesen. M. betont nochmals, daß seine Bemerkungen
nicht gegen den Zusammenhang der Syphilis und progressiven Paralyse gerichtet
sind, sondern bloß eine pathologisoh-anatomische Kritik der demonstrierten Präpa¬
rate sein wollen.
Herr J. Salgö kennt die demonstrierten Veränderuugen bereits seit langer
Zeit und fand sie besonders häufig bei der Paralyse; doch kann er dem Vortr.
nicht beipflichten, daß dieselben luetischer Natur wären, demgemäß können sie
auch nicht für den Zusammenhang der Paralyse mit der Syphilis verwertet
werden; eben dieser Zusammenhang ist noch gänzlich unerwiesen.
Herr K. Pändy betont, daß er nicht syphilitische Veränderungen demon¬
strieren wollte, sondern solche, welche bei der progressiven Paralyse häufig vor*
kommen; die luetische Natur derselben kann bloß durch die mikroskopische Unter¬
suchung nacbgewiesen werden.
Sitzung vom 7. Mai 1906.
Herr Karl Schaffer demonstriert einen Fall von Kopftetanus. Die
Patientin hat am 22. April einen Peitschenschlag unterhalb des linken Auges er¬
litten. Am 5. Tage eiterte die Wunde, aus welcher Überreste des Peitschenendes
entfernt wurden. Am 7. Tage verzog sich der Mund nach rechts, gleichzeitig
entstand eine Lähmung der linken Gesichtshälfte und Trismus. Status am 5. Mai:
Wunde fast gänzlich vernarbt. Facialislähmung links mit geringer Beweglichkeit
der Stiriunuskeln; Lagophthalmus paralyticus mit gesteigerter Thränensekretioo.
Demgegenüber ausgesprochen Kontraktur der rechten Gesichtshälfte, welche beim
Schlingakte noch ausgeprägter wird. Wegen bestehenden Trismus können die
Zahnreihen nur auf 1 cm entfernt werden. Zunge frei beweglich. Bei jedem
Schlingakte entstehen Schling* und Atemkrämpfe, wobei die Kontraktur der rechten
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Gesichtshälfte ausgeprägter wird und auch auf das Platysma übergreift. Im übrigen
keine Kontrakturen der Extremitäten oder Körpermuskulatur. Augenbefhnd normal,
Gesichtsfeld nicht verengt, keine wesentliche Alteration der Geschmacksempfindung.
Temperatur stets unter 37 °C., Puls 82, Respiration 26. Pat. ist ständig schlaflos.
Sensorium, Intelligenz ungetrübt. Keine Veränderung der elektrischen Erregbar«
keit in der gelähmten Gesichtshälfte. Die Symptome und das Entstehen der Ver«
letzung durch einen Peitschenhieb verweisen in erster Reihe auf die Annahme
von Tetanus. Auffallend aber ist die Kontraktur der rechten Gesichtshälfte, und
fragt es sich, ob diese nicht hysterischer Natur ist, obwohl bei der Patientin keine
hysterischen Stigmen nachweisbar sind.
Herr J. Don&th schließt sich der Annahme des Tetanus an, worin ihn neben
den vom Vortr. erwähnten Umständen noch der Trismus und die Schlingkräropfe
bestärken. Jedenfalls ist in erster Reihe die Therapie gegen den Tetanus zu
richten.
Herr P. Ranschburg sieht in der Kranken nicht eine an schwerer Infektion
leidende Person, umsomehr, da sie bestrebt ist, ihre Krankheitssymptome bei der
Demonstrierung als schwerer darzuBtellen; ihr ganzes Benehmen spricht für den
psychogenen Ursprung des Leidens, obwohl die organische Beimischung auf den
ersten Blick nicht auszuschließen ist
Herr J. Salgö hält das Krankheitsbild für organisch.
Herr K. P&ndy spricht sich für die hysterische Natur aus; wäre Tetanus
vorhanden, so müßte die Kranke fiebern und eine gesteigerte Muskelerregbarkeit
bestehen.
Herr A. v. Sarbö würde sich ganz für die hysterische Natur des Falles aus¬
sprechen mit Rücksicht auf die Kontraktur der rechten Gesichtshälfte, und nur
der Peitschenhieb macht den Fall zu einen zweifelhaften.
Herr K. Schaffer (Schlußwort) schließt sich der Meinung Donaths an, daß
die Art der Entstehung durch einen Peitschenhieb entschieden für die Möglichkeit
des Tetanus spreche; eine hysterische Superposition ist aber nicht auszuschließen.
Herr K. P&ndy demonstriert 3 Fälle von frühseitigen Gehirndefekten.
Das erste Gehirn stammt von einem 56jährigen Manne mit angeborener rechts¬
seitiger Hemiparese; bei der Autopsie wird ein porencephalitiscber Defekt der
rechten Inselpartie gefunden, welche von einer Atrophie der rechten Hemisphäre
und Kleinhirnhemisphäre begleitet ist; Aplasie der linken Pyramide. 2. 16jähr.
Junge, seit seinem 9. Monate krank, hat nie sprechen gekonnt, epileptische An¬
fälle, rechte Körperhälfte schwächer entwickelt. Anatomischer Befund: Linke
Großhirnhemisphäre bedeutend kleiner, am linken Lobus frontalis meningeale
Veränderungen, linke Pyramide schwächer entwickelt, erweiterter Ventrikel links,
fast gänzlich mangelnde intrahemisphärale Assoziationsfasern. 3. 19jähriger
idiotischer Epileptiker; linke Hemisphäre kleiner, ebenda Mikrogyrie, Vertiefung
am linken Gyrus angularis, konfiuierende porencephalitische Herde, Encephalomalacie.
fast vollkommen fehlende intrahemisphärale Fasern.
Diskussion des Herrn Schaffer, Salgö, Minnich.
Herr Josef Jacobi: Über die Ätiologie der Tetanie mit Rücksicht
auf die Schilddrüse. In seinem Vortrage, welcher in deutscher Sprache bereits
erschienen ist, versucht Vortr. nachzuweisen, daß nicht bloß jene Fälle der Tetanie,
welche nach Schilddrüsenoperationen auftreten, mit der Schilddrüse in Zusammen¬
hang stehen, sondern dieser Zusammenhang auch für jene Fälle anzunehmen sei,
welche in Verbindung mit anderen Nervenleiden, dann bei den Graviden und bei
den Säugenden auftreten.
Diskussion von Herrn Donath, Ranschburg, Konrad.
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Sitzung vom 21. Mai 1906.
Herr Karl Schaffer berichtet über den weiteren Verlauf des in det* vorigen
Sitzung vorgestellten Falles von Kopftetanus. Die fortgesetzte Beobachtung hat
ergeben, daß es sich bei der Patientin um einen typischen Fall des sogen. Tetanus
bulbaris s. hydrophobicus handelt. Die traumatische Ätiologie, die Verletzung
mit der zur Tetanusinfektion überaus geeigneten Peitsche, die Gesichtslähmung
an der Seite der Verletzung, die Kontraktur der anderen Gesichtsseite (halbseitige
Facies tetanica), der Trismus, die Schling- und Atmungskrämpfe lassen keinen
Zweifel übrig an der tetanischen Natur des Falles. Inzwischen wurde das an
der Stelle der Verletzung befindliche Infiltrat operativ entfernt, worauf nach
2 Tagen die Krämpfe nachließen und auf Chloral Schlaf eintrat. Trismus besteht
derzeit noch, so daß die Nahrungsaufnahme per os unmöglich ist Aus dem
exzidierten Stücke wurden 2 Inokulationsversuche gemacht, doch mit negativem
Resultate.
Herr Stefan Hai lös demonstriert einen Fall von Pseudodelirium tremens.
Der Kranke steht derzeit zum dritten Male in Anstaltsbehandlung. Erste Auf¬
nahme 1896 mit typischen Zeichen von Delirium tremens, welche in vollständige
Heilung übergingen. Nach 6 Jahren alkoholische Psychose, Heilung in einem
Monat. Dritte Aufnahme März 1906. Pat. ist belastet, war vor Jabren Päderast;
vor 26 Jahren Lues, vor 3 Jahren sekundäre Erscheinungen, welche unter spezi¬
fischer Behandlung schwanden; früher übermäßiger Alkoholgenuß. Laut dem
Aufnahmezeugnis hat Pat. seinen Arm selbst zerbissen, ist verstört, hat Zoopsien
und hört Stimmen. Der Begleiter des Kranken gab an, daß er sich am Morgen
den Arm mit einem Messer mehrfach verletzte. Pat. selbst gibt an, daß er
schlecht schlafe, menschliche Stimmen höre, und daß ein Bär seinen Am zer¬
fleischt habe. Pupillen eng, prompte Lichtreaktion mit geringer Zusammenziehung;
normale Akkommodationsreaktion; Facialis rechts paretisch, Tremor der Hände;
Stimme, Erscheinung, gedunsenes Gesicht erinnern an Alkoholkranke. Mit Rück¬
sicht auf die früheren Erkrankungen und auf den körperlichen und psychischen
Zustand wurde ein Alkoholdelirium supponiert. Die genauere Untersuchung des
verletzten Armes ergab aber einen eigenartigen Befund. Am oberen Teile des
BicepB waren die blutunterlaufenen Abdrücke von drei Krallen sichtbar, deren
jede durch die Spur eines spitzen Nagelabdruckes abgeschlossen war. In der
Mitte des Arnes befinden sich tiefe Rißwunden, am Unterarme und an dem Hand¬
rücken wieder mehrere Stich- und Schnittwunden. Die Verletzungen sahen so
aus, als ob sie durch eine tierische Tatze und Krallen hervorgerufen worden
wären. Überdies betonte Pat. fortwährend, daß seine Verletzungen von einem
Bären herrühren, weshalb eine darauf bezügliche Anfrage an die Direktion des
zoologischen Gartens erging. Von derselben wurde die Aufklärung erteilt, daß
am Tage vor der Einbringung des Kranken, bereits nach Sperrung des zoologischen
Gartens, ein Mann Einlaß begehrte, direkt zum Bärenkäfig ging, und dort —
bevor ihn der Wärter daran verhindern konnte — seinen Am durch das Gitter
streckte, welcher von einem Bären zerfleischt wurde; nachdem ihn die Wärter
befreiten, verließ der Unbekannte schleunigst den Tiergarten. Auf diese Weise ver¬
loren die Zoopsien des Pat. ihren halluzinatorischen Charakter und auch der
psychische Zustand des Kranken ließ nicht annehmen, daß derselbe unter dem
Einflüsse seiner Zoopsien eich in den Tiergarten begeben hätte. Alle Umstände
ließen somit annehmen, daß sich unter dem Bilde einer zeitweisen alkoholischen
Geistesstörung eigentlich eine andere psychische Erkrankung verberge. Bald
darauf begann Pat. unsinnige Größenwahnideen zu äußern: er sei ein allmächtiger
Gebieter, spreche in allen Sprachen, er wäre der vorzüglichste Arzt usw. Die
weiteren Nachforschungen ergaben, daß Pat 1903 in einer anderen Anstalt in¬
terniert war, wo er analoge Wahnideen hatte. Mit Rücksicht auf das geschilderte
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Krankheitsbild, anf die wechselnde »Stimmung, auf die zunehmende Demenz und
auf die vorangegangene Lues, folgert Vortr., daß Pat. an einer Paralyse von ab¬
normem Verlauf und ungewohnter Dauer leide.
Herr E. Moravcsik hat den Pat. in seiner Abteilung längere Zeit beob¬
achtet, anfangs eine Paralyse, später jedoch eine alkoholische Paranoia angenommen.
Die Diagnose einer atypischen Paralyse sei keinesfalls einwandfrei; akute psychische
Explosionen kommen bei dem Pat. vor; M. ist der Ansicht, daß es sich um eine
kombinierte Psychose handle, unter deren ätiologisohon Faktoren dem Alkohol
eine bedeutende Bolle zufalle.
Herr A. v. Sarbö vermißt somatische Ausfallserscheinungen, und ist geneigt,
dem Alkohol die Hauptrolle zuzuschreiben.
Herr S. Hallos (Schlußwort) selbst mißt der allein bestehenden Facialisparese
keinen besonderen Wert zu; nach seiner Ansicht kann der Fall nur als langsam
ablaufende progressive Paralyse gedeutet werden.
Herr Koloman Pändy demonstriert psychiatrische Seltenheiten. I. 58jähr.
Hann, welcher vor 39 Jahren syphilitisch infiziert wurde; vor 27 Jahren erste
Zeichen der progressiven Paralyse, wegen welcher Pat. nun schon seit
23 Jahren in Anstaltspflege steht. Seit Jahren unverändert dieselben
Lähmungserscheinuugen und unsinniger Größenwahn. Vortr. verweist darauf, daß
Kraepelin die längste Dauer der Paralyse mit 18 Jahren angibt. II. Der
zweite Kranke ist ein katholischer weltlicher Priester, welcher an pro¬
gressiver Paralyse leidet. Diese Erkrankung wird bei Priestern allgemein
als Seltenheit bezeichnet, in der Anstalt Budapest-Lipötmezö wurden in den
letzten 38 Jahren 53 kath. Priester aufgenommen, unter welchen 16, also 30°/ 0 ,
an progressiver Paralyse litten. III. Ein Fall von Epilepsia tarda mit sub¬
kutanen Blutergüssen nach den Anfällen.
Herr Eugen Konr&d hält einen Vortrag über einen Fall von retrograder
Amnesie. Nach Skizzierung der verschiedenen Formen der Amnesie, schildert
Vortr. folgenden Fall: Ein neuropathisch veranlagtes, erblich belastetes junges
Mädchen erleidet einen heftigen psychisohen Shok, bekommt Weinkrämpfe und
motorische Agitationen, verfallt hierauf in einen neuntägigen Bewußtlosigkeits¬
zustand, während der Dauer desselben täglich 4 bis 5 hysterische Anfälle. Nach
Rückkehr der Besinnung besteht Amnesie für die ganze Vergangenheit, Astasie
und Abasie. Auf sensorischem Gebiete erstrecken sich die amnestischen Er¬
scheinungen über den Rahmen einer Aphasie, zeigen auch Asymbolie, hingegen
keine Spur einer motorischen Sprachstörung; intakte motorische Erscheinungen.
Nach 6 Monaten Genesung, Patientin lernt Lesen, Schreiben, die ungarische Sprache
(welohe sie gänzlich vergessen hat), Rechnen, Singen, Stehen und Gehen, und
successive Restitution sämtlicher objektiver sensorischer Assoziationen. Der
Vortr. erblickt in dem pathologischen Prozeß eine Störung des Stoffwechsels,
und erklärt die einzelnen Symptome mit Hilfe der Lipps-Vogtschen Theorie.
Nach Rückkehr der Besinnung täglich auftretende Halluzinationen; dieselben be¬
stehen im Hören solcher Worte, für welche sensorische Aphasie und Asymbolie
bestanden haben. Hieraus, sowie aus dem Umstande, daß die Patientin ständig
Stimmen hörte, aber die einzelnen Worte nicht immer zu unterscheiden ver¬
mochte, folgert Vortr., daß der Ausgangspunkt des pathologischen Reizes nicht
bloß in den Erinnerungszellen besteht, sondern es muß auch angenommen werden,
daß bei gewissen Formen der Halluzinationen auch die Perzeptionszellen sich in
primärem oder sekundärem Reizzustande befinden.
Diskussion die Herren Moravcsik, Ferenczi, Ranschburg, Konräd. *
Hudovernig (Budapest).
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IV. Landeakongreß der ungarlaohen Irrenärzte ln Budapest
am 29. und 30. Oktober 1006.
(Schiaß.)
IV. Sitzung, 30. Oktober 1906, Nachm.
Herr Melchior Pal&gyi bemerkt in seinem Vortrage über die experi¬
mentelle Analyse der Reaktionszeit, daß es den Neurologen bisher nicht ge¬
lungen ist, die Beaktionszeit in Verlaufsphasen abzugrenzen; die Dauer der sinn¬
lichen Wahrnehmung; des Entschlusses zur Durchführung der Bewegung und die
Dauer der Durchführung der letzteren lassen sich nicht einzeln messen, sondern
können bloß in toto bestimmt werden. Vortr. war nun bestrebt, die Gesamtsumme
dieser Zeiten in einzelne Phasen aufzuteilen, und es ist ihm gelungen, die Dauer
der Bewegungsdurchführung in Tausendteilen einer Sekunde festzustellen. Zu
diesem Behufe automatisiert er die Bewegungen der Hand durch möglichst rasche
und ' häufige Wiederholung und analysiert den Rythmus solcher automatisierter
Bewegungen. Die bei Reaktio'nsexperimenten gebräuchliche Einrichtung mußte
zu diesem Behufe gänzlich umgestaltet werden und Vortr. demonstriert einen hierzu
konstruierten Apparat, den „Reaktionspendel“, mit dessen Hülfe er imstande ist,
einzelne Bewegungen und deren Gegenbewegungen in vier Phasen zu zerlegen
und jede einzelne Phase einzeln zu messen. Die Gesamtheit einer Bewegung und
ihrer Gegenbewegung bezeichnet er als „motorische Reaktion“ und ist ihm durch
diese die Messung hzw. graphische Darstellung der Bewegungsermüdung gelungen.
Herr Oskar Hercz: Die forensische Bedeutung der Hysterie, Neur¬
asthenie und alkoholischen Geistesstörungen. Hysterie und Neurasthenie
werden gemeinhin gewöhnlich als Einbildung bezeichnet, die alkoholische Geistes¬
störung aber als wohlberechnete Simulierung der trinkenden Verbrecher. Bei
einer solchen Auffassung ist es für den Sachverständigen überaus schwer, gerade
in solchen Fällen eine nicht angezweifelte Meinung auszusprechen. Das geringste
Detail derartiger Zustände muß genau analysiert dem Strafrichter dargelegt werden,
damit dieser imstande sei, dieselben verwerten und den Grad der Zurechnungs¬
fähigkeit bestimmen zu können. Wird die Unzurechnungsfähigkeit ausgesprochen,
dann ist die Internierung des Betreffenden in eine Spezialanstalt erforderlich, dem
Sachverständigen aber möge daB Recht eingeräumt werden, die Dauer der Inter¬
nierung festzustellen und seinem Aussprache Geltung verschaffen zu können.
Diskussion: Herr Hudovernig, Herr Telegdy und Herr Hercz.
HerrlgnatzFischer: Über die Grenaen der Aufnahmefähigkeit moderner
Irrenanstalten. Vortr. betont vorerst die Notwendigkeit, daß Laien und Ärzte
die Geisteskranken nicht mehr als „Narren“ usw., sondern bloß als Gehirnkranke
betrachten, was auch zu einer anderen Auffassung über das Wesen der Irren¬
anstalten führen müsse. Die idealste Behandlung der Gehirnkranken könnte wohl
nur in kleineren Anstalten erfolgen, da aber die Zahl der Geisteskranken stets
zunimmt, und weil die Verpflegekosten in größeren Anstalten geringer sind, können
für die auf Staatskosten zu verpflegenden Kranken große Anstalten nicht ent¬
behrt. werden. Bei entsprechender Einteilung aber können auch die großen An¬
stalten ihrer Heilbestimmung ebenso entsprechen, wie die kleineren; es ist bloß
nötig, das ärztliche Personal entsprechend zu vermehren und innerhalb der großen
Anstalten kleinere und in ärztlicher Hinsicht selbständige Abteilungen zu er¬
richten; die Verantwortlichkeit gebührt dem Abteilungsleiter, welohem die Be¬
handlung der Kranken obliegt, während der Anstaltsleiter, welcher gleichfalls ein
Psychiater sein muß, für die ganze Anstalt zu sorgen hat.
Diskussion: Herr Pändy und Herr Fischer.
Herr Stefan Hallos bespricht die Trinkerbehandlung in den Irren¬
anstalten, deren Hauptziel die Erziehung zur Abstinenz sein muß. Zu diesem
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Behufe soll die Anstalt, Ärzte und Pflegerpersonal abstinent sein, andererseits
müssen die Kranken über die Bedeutung und Schädlichkeit des Alkohols unter*
richtet werden, schließlich sollen die Kranken alkoholfreie Zerstreuungen kennen
lernen. Die geheilten Kranken sollen nur nach einigen Beurlaubungen von zu*
nehmender Dauer definitiv entlassen werden. Von Vorteil ist es, wenn die ge¬
heilten Kranken sich außerhalb der Anstalt einer Antialkobolvereinigung anschließen,
z. B. Guttemplervereinen, welohe in jeder Anstalt eine Zweigvereinigung besitzen
sollten.
Herr Mozes Hegyi: Über die Formen der Dementia praeoox. In den
letzten 50 Jahren wurde die Frage der Dementia praecox noch immer nicht end*
gültig gelöst und beruhen unsere Kenntnisse noch immer auf der Analyse der
klinischen Beobachtungen, können deshalb auch nicht als definitiv betrachtet
werden. Selbst nach den grundlegenden Forschungen Kraepelins wird die Ein*
heit der Krankheitsbilder noch nicht einstimmig akzeptiert. Bei dem einheitlichen
Grundzuge unterscheidet Kraepelin drei Varianten der Dementia praecox: die
katatonische, die hebephrenische und die paranoide Dementia praecox. 15,4°/ 0
der Dementia praecox-Fiille in der Kolozsvarer psychiatrischen Klinik konnten
nun in keine der genannten Formen eingereiht werden; bei denselben dominierte
die auffallend rasche Verblödung oder der stuporöse Zug, wobei andere Er*
scheinungen episodenhaft auftreten konnten. Aus diesem Grunde unterscheiden
Prof. Lechner und seine Schule noch eine vierte Form der Dementia praecox:
die Dementia praecox stuporosa. Überdies kommen gemischte Formen häufig vor.
Nach Erledigung seiner wissenschaftlichen Tagesordnung geht der Kongreß
zu den eingelangten Anträgen über, und zwar
1. Antrag des Herrn J. v. Baranski, daß in Zukunft die Einladungen der
-Kongresse auch weiteren, speziell juridischen Kreisen zugestellt werden.
2. Antrag des Herrn A. Ferenczi, betreffend das Studium der Pflegerfrage
und betreffs Errichtung von Pflegerschulen neben jeder Anstalt.
3. Antrag des Herrn K. Decsi, die Regierung möge die Erlaubnis erteilen,
daß jede Provinzanstalt die familiale Irrenpflege einführen könne.
4. Antrag des Herrn H. Szigeti, die Regierung mögo ersucht werden, das
Gesetz über die obligatorische Unfallversicherung auch auf die an Irrenanstalten
tätigen Ärzte auszudehnen.
Auf Antrag des Herrn C. Hudovernig werden sämtliche Anträge angenommen
und dem Orgnnisierungskomitee zugewiesen.
Nach dem Sekretariatsberichte hält der Vorsitzende Herr G. v. Raisz eine
Schlußrede und beschließt die Beratungen des Kongresses.
Hudovernig (Budapest).
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur
vom 1. Januar bis 28. Februar 1907.
(Die als Originalia in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch
einmal angeführt.)
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Schweizer Ärzte. Nr. 2. — Henkel, Cerebrospinalflüss. bei Geistes- u. Nervenkr. Arch. f.
Psych. XLII. Heft 2. — Show, Psychoses of influenza. Practitioner. Nr. 1. — Stoenesco,
Simulation de la folie. Arch. gön. de med. Nr. I u. 2. — Angeborener Schwachsinn:
Anglade et Jacquin, Hdrddo-tuberc. et idioties. I/Encdphale. II. Nr. 2. — Schlesinger, E.,
Schwachbegabte Schulkinder. Intern. Arcb. f. Schulhyg. III. Hefts. — Bourneville et
Royer, Imbecilitö. Arch. de neur. Nr. 132. — Sdguin, Traitement des idiots. Paris,
F. Alcan. — Weygandt, Idiotenfürsorge. Münchener med. Woch. Nr. 8. — Sexuelles:
Malm, Homosexualität. Norsk. Maj. f. Laogev. Nr. 8. — Marie, Eunuchisme et drotisme.
Progr. mdd. Nh 4. — Fdrd, Peur et explosion sexuelle. Rev. de mdd. Nr. 1. — Für-
bringer, Impotenzbehandlung. Deutsche med. Woch. Nr. 7. — Funktionelle Psy-
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— Besta, Blutdr. bei Dem. praec. Rif. med. Nr. 8. — Zalplachta, Etüde anatomo-path.
de la döm. pröc. Rev. stüntelor möd. Nr. 7. — Jung. Psychologie der Dem. praecox.
Halle, C. Marhold. 179 S. — Mc Campbell, Dem. praecox. Med. Record. Nr. 1888. —
Lugiato, Dem. praecox. 11 Morgagni. Nr. 1. — Autheaume et Mignot, Periode prodroraique
de la dem. prec. L’Encephale. II. Nr. 2. — Intoxikations- und Infektions*
psychosen: Rougi, Alienatiou mentale apres fievre typhoide. Ann. möd-psychol. Nr. 1.
— Progr. Paralyse: Mario. A. und Levaditi, Syphil. Antikörper bei Par. und Tabes.
Ann. de l’lnst. Pasteur. Nr. 2. — Sokalsky, Mikroorgan, bei Par. Centralbl. f. Bakteriol.
XL11I. Heft 3. — Marie, A., Arabes syphil. et par. gen. Nouv. Icon, de la Salp. XIX.
Nr. 6. — Westphal, Differentialdiagn. der Paralyse. Mediz. Klin. Nr. 4 u. 5. — Fisbor,
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Sommer, Psycholog. Sachverständige. Jur.-psych. lirenzfragen. V. Heft 6. — Haymann,
Geborene Verbrecher. Inaug.-Diss. Freiburg. — Albrecht, Arterioskler. Geistesstör, und
Strafrecht. Viertslj. f. gerichtl. Med. XXXIII. Heft 1. — Werner, R., Geistig Minder¬
wertige oder Geisteskranke? Berlin, Fischers med. Buchh. — Therapie der Geistes¬
krankheiten: Bourdin, Regime des aliönes. Arch. de neurol. Nr. 2. — Epstein, Irren¬
anstalten und Volksheilstätten für Nervenkranke. Psych.-neur. Woch. Nr. 44. — Matthias,
Familienpflege. Psychol.-neur. Woch. Nr. 45. — Alt, Familienpflege seit 1902. Halle,
C. Marhold. 16 S.
VII. Therapie. Krüger und v. Velden, Beruhigungs- und Einschläferungstherapie.
Deutsche med. Woch. Nr. 6. — v. Merino, Malonal. Wiener med. Presse. Nr. 5. —
Dobrschansky, Malonal. Ebenda. — Wilm, Bornyval. Fortschr. der Med. Nr. 2. — Gold-
Scheider, Physiol. Grundl. der physik. Ther. Zeitschr. f. phys. u. diät Ther. X. — Herz,
Heilgymnastik. Physik. Ther. Stuttgart, F. Enke. Heft 5. 71 S. — Prengowsky, Luft-
douchen. Arch. f. Psych. XLU. Heft 2. — van Oordt, Wasserheilverfahren. Berlin-Wien,
Urban u. Schwarzenberg. 80 S. — Frankel, Mechan. Behandlung. Zeitschr. f. ärztl. Fort¬
bildung. Nr. 4. — Mann, L., Elektromed. App. Zeitschr. f med. Elektr. IX. — Witthauer,
Vibrationsmassage. Therap. Monatsh. Nr. 2. — Giachetti, Psicoterapia. Riv. di psicol.
III. Nr. 1. _
V. Mitteilung an den Herausgeber.
Die Kinematographie in der Neurologie.
Vorläufige Mitteilung.
Bloß um mir die Priorität der Methode zu sichern, erlaube ich mir schop
jetzt die Einrückung dieser Zeilen, während die entsprechende Demonstration erst
auf dem Neurologen-Kongresse zu Dresden stattfinden soll. Es ist mir gelungen,
durch kinematographische Vorführung von über 2000 Schnitten des verlängerten
Markes den natürlichen Verlauf der Faserzüge und Bahnen des Gehirns zur Dar¬
stellung zu bringen. Es überkreuzen sich vor unseren Augen die Nervenfasern,
die Gehirnnerven gehen von ihren Kernen ab, durchqueren das Gehirn und treten
aus demselben aus; kurz, die früher für den Anfänger nicht unbeträchtlichen
Schwierigkeiten, sich räumlich den Verlauf der Fasersysteme und Bahnen vorzustellen,
sind zum größten Teile behoben und in wenigen Minuten entrollt sich ein kon¬
tinuierliches, anschauliches Bild von der Anordnung der Faserzüge im Gehirn.
Weitere Untersuchungen sollen Aufschluß darüber bringen, ob diese Methode
sich bloß als didaktischer Behelf bewähren oder auch als neue Forschungsmethode
anwenden lassen wird. Bisher erfolgte die Vorführung der Bilder bloß vor Hof¬
rat Obersteiner und Dozent Marburg, welche beide ihre volle Zufriedenheit
mit dem Gesehenen äußerten. Die ausführliche Publikation der Methode erfolgt
in den Arbeiten aus Obersteiners neurologischem Universitäts-Institute zu Wien.
Dr. K. Reicher, Wien-Berlin.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel.
Pankow b. Berlin, BreiteBtr. 44.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzokb & Wittio in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
Seehsindswuuigster " Bertto ’ . Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern* Preis des Jahrganges 24 Mark« Zn belieben durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 1. Juni. Nr. 11.
Inhalt. I. OrigUialmüteHungen. 1. Die Sehnenreflexe angestrengter Körperteile. Unter¬
suchungen an Marathonläufern, von Dr. Milt. Oeconomakis. 2. Ein handliches Dynamometer,
von Prof. Dr. Maximilian Sternberg. 3. Ein Fall von Heterotopie des Nncleus arciformis,
von Dr. G. Catola. 4. Myatonia congenita, Myohypotonia, von William G. Spiller. 5. Karze
Bemerkungen über Fibrillogenie im Centralnervensystem des Menschen zur Arbeit Brod-
mann’s: „Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur Myelogenie mit
besonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri,“ von Dr. Nie. Gierlich in Wiesbaden.
II. Referate. Anatomie. 1. Von der protoplasmatischen und faserigen Stützsubstanz
des Centrainervensysteras, von Spielmeyer. — Physiologie. 2. Über den Einfluß der
Muskelerraüdung bei partiell parathyreoidektomierten Hunden, von Massaglia. — Psycho¬
logie. 3. Allgemeine analytisch synthetische Psychognosie parallel zur Physik und Physio¬
logie, von Stern. — Pathologische Anatomie. 4. Klinischer und pathologischer Beitrag
zum Studium der halbseitigen Hypertrophie, von Cagiati. — Pathologie des Nerven¬
systems. 5. Über psychoreflektorische Krankheitssymptorae, von Goldscheider. 6. Hysterie
und Invalidität, von Meyer. 7. I. Diseases of the nervous systera resulting from aecident
and injurv, by Bailey. II. La Simulation et Pinterpretation des accidents du travail, par
Sand. 8 . Prüfung nervöser Störungen auf Simulation und Übertreibung, von Erben. 9. Die
klinischen und ätiologischen Beziehungen des Hitzschlages zu den Psychosen und Neurosen,
von Steinhausen. 10. Elektrische Gesundheitsschädigungen am Thelephon, von Kurella.
11. Über Krankheiten und Unfälle im Brauergewerbe, von Laquer. 12. Über traumatische
Spätapoplexie, von Wimmer. 13. Ein Fall von traumatischer Abducenslähmung, von Isako-
witz. 14. Trauma und Arterienerkrankung. Kurze Notiz von Bernhardt. 15. Über perio¬
dische transitorische Bewußtseinsstörungen nach Trauma (Dipsomanie usw. nach Trauma),
von Pelz. 16. Fracture of the base of the skull, by Walton. 17. Symptomatologie des
fractures du eräne chez Penfant, par Gasne. 18. Zur Ätiologie plötzlich auftretender Störungen
im Hörnervenapparate, von Stein. 19. Beitrag zur Kenntnis der Beteiligung deB inneren
Ohres nach Kopferschütterungen, von Rhese. 20. La neurasthenie traumatiqne chez les
arterio-scldreux, par Regis. 21. Hysterie locale ä la suite de traumatisme de la hanche, par
Callewaert. 22. Über die ärztliche Tätigkeit auf dem Schlachtfelde und in den vorderen
Linien, von von ManteufVel. — Psychiatrie. 23. Zur Kenntnis der Ätiologie der an¬
geborenen und frühzeitig erworbenen psychischen Defektzustände, von Schlöss. 24. Bei¬
trag zur Statistik und Ätiologie der Idiotie und Imbezillität, von Kneidl. 25. Statistischer
Beitrag zur Ätiologie der Idiotie, von Heyn. 26. Vorgeschichten und Befunde bei Schwach¬
begabten Schulkindern. Ein Beitrag zur Erforschung der Ursachen schwacher Begabung,
von Schlesinger. 27. Tipi e gradi d'insufficienza mentale, per de Sanctis. 28. Types d'idiotie.
Un ca8 d'idiotie myxoccmmateuse, par Bourneville, Lutaud et Tournay. 29. Types d’idiotie.
Cas d'idiotie mongolienne, par Bourneville et Bard. 30. Beiträge zur pathologischen Anatomie
der Idiotie, von Takasu. 31. Über den Sprachsinn nebst seinen Beziehungen zur Psycho¬
logie der Aussage, von Hampe. 32. Psychologische Untersuchung schwachsinniger Schul¬
kinder, von Weygandt. 33. Die Sprachstörungen Schwachbegabter Schulkinder, von Schlesinger.
34. Die Ohrmuschel bei Schwachsinnigen, von Imhofer. 35. Oedöme des pieds chez deux
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°Ür :ii ?il frem
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498
imbdciles, par Trdpsat. 86. Traitement moral, hygiine et dduoation des idiota et des autres
enfants arridres, par Sdgrin. .
Ml. Aus den GeaelUcbaftea. Jabresverssmmluag de« deutschen Verein» für Psychiatrie
in Frankfurt a/M. und Gießen vom *6.-28. April 1807. (Schluß.) — Berliner Gesellschaft
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, Sitzung vom 13. Mai 1907. — XLU. Veiaamm-
hmg der Irrenärzte Niedersaehsens und Westfalen« am 4. Xai 1907 in Hannover.
IV. Vermischt«*. — V. Pertottalen.
L Origin&lmitteilungen.
1. Die Sehnenreflexe angestrengter
Körperteile. Untersuchungen an Marathonläufern.
Von Dr. Kilt. Oeoonomakls,
Chefarzt an der Nervenklinik der Universität Athen.
Über die Einwirkung der Ermüdung auf die Sehnenreflexe liegt uns bereits
eine nicht geringe Literatur vor; Mitteilungen über Fälle von zeitweiligem
Fehlen oder sich Steigern des Patellarreflexes insbesondere, haben nie gefehlt
Die meisten finden wir in Sternberg’s bekannter Arbeit 1 angeführt, die ge¬
wissermaßen eine Monographie über diesen Gegenstand darstellt Die Er*
scheiuongen der verschiedenen Grade der Ermüdung werden darin eingehend
untersucht und geschildert und es wird die Hypothese ein» direkten Einwirkung
der Ermüdung auf das Gehirn, wodurch die hemmende Wirkung desselben weg*
fällt, für die Erklärung des Mechanismus dieser Einwirkung aufgestellt
In jüngster Zeit ist die Frage wieder in den Vordergrund des Interesses
getreten. Edinger’s bekannte Funktions- bzw. Ersatztheorie* gab dazu den
Anstoß. Diese Theorie besagt nämlich: Es gibt eine große Anzahl von Nerven¬
krankheiten — die pathologische Gruppe der Aufbraucbkrankheiten —, welche
nicht etwa durch elektive Gifte, wie man bisher annahm, sondern durch die
Einwirkung der einfachen Funktion auf den durch Gifte geschädigten oder dorch
abnorme Anlage minderwertig bereiteten Boden entstehen. Die Bolle der in
der Ätiologie vieler Nervenkrankheiten pathogen wirkenden Noxen wird somit
verlegt: Die Funktion bzw. Anstrengung wird zom direkten, die Gifte, die
Heredität, die mangelhafte Anlage usw. zum indirekten, „nur zu Störungen des
Ersatzes für das bei der Funktion Verbrauchte“ führenden Agens gemacht
Der Funktion, je nach ihrem Intensitätsgrad, entspricht ja bekanntlich ein
Auf brauch an Material innerhalb der nervösen Gewebe, der auch anatomisch
nachweisbar ist Diesen Nachweis hat Siegmukd Mater zuerst erbracht.* Er
1 Stbbkbbbg, Die Sehnenreflexe und ihre Bedeutung für die Pathologie des Nerven¬
systeme, 1893.
* Edibgbb, Eine neue Theorie über die Ursachen einiger Nervenkrankheiten. Volk-
mann’e Sammlung Nr. 106 u. Die Anfbranchkrankbeiten des Nervensystems. Deutsche
med. Wochenschrift 1904, 1905.
' S. Mavbb, Über Vorgänge der Regeneration and Degeneration im unversehrten peri¬
pheren Nervensystem. Zeitschr. f. Heilkunde. 1881.
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40 »
fand in den Nerve* von gm aormalefi Iwdividuen echte degtaorative und
regenerative Veränderungen, die durchaus dem gewöhnlichen hiztologisohen Bilde
der parenchym*töeea Neuritis gleichen. Diese Veränderungen: Zerfall der
Markscheide, Zerstückelung des Aoksencytiadore* Vermehrung der Kerne der
SoKwjjnr’schca Scheiden osw» hat er als pbysiolegisehe Zerfallsprodukte an*
gesehen. Tbosohsb» HaMmb» TanzaoOH u.a., die mehrfach Gelegenheit gebäht
hatten, mit der ManCHfeeben UntewttchaBfwtethode su arbeiten, haben diese
Befunde bestätigt
Ist nun dieser Aufhraueh abnorm hoch, wie i. B. infolge einer Überarbeit
oder tritt dem in der Zelle und Faser verbrauchten Material kein genügender
Ersatz gegenüber, so entsteht eine der Aufbravtchkrankbeiten. Unter diese
Krankheiten reibt Bonroma folgende ein: Die Arbeitsneuritiden, die Polyneuritiden
durch Blei, Alkohol, Arsenik and die nach verschiedenen Erschöpfungszuständen
oder Infektionskrankheiten auftretenden Polyneuritiden — ausgenommen die
während der flöhe der Infektion oder Intoxikation auftretenden, die als rein
toxisch an betrachten sind. Ferner die Tabes und die progressive Paralyse,
weiche die Typen dee centralen Anfbrauohs daratellen; die hereditären Nerven¬
krankheiten, die FRiKDRmcH'sche Ataxie, die spastische Paralyse, die amyotrophische
Lateralsklerose, die primäre Optikusatrophie und die progressive nervöse Er¬
taubung. Alle diese Krankheiten entstehen erst naoh dem Einsetzen der Funktion
auf einem Boden, der durch Gifte, Toxine oder durch abnorme Anlage — alle
diese wirken als ersatzstörende Momente — abgeschwächt ist, und das pathologisch-
anatomische Bild ist für alle diese Fälle außerdem überall das gleiche: Ein
primärer Untergang der Nervenbahn, in Form einfachen Schwundes von Zelle
und Faser, und eine darauffolgende reparative Neurogliawnoherung.
Diese Theorie scheint also, durch die Anerkennung des Einflusses der
Funktion alB Symptombildners berufen zu sein, dos Verständnis jener Mannig¬
faltigkeit in dem Symptomen komplexe und der Lokalisation ein«: nnd derselben
Krankheit, z. B. der Tabes und der Polyneuritis, der wir so oft in der Klinik
begegnen, in besseres Lioht zu stellen. Zogleioh sind ihr eine Reibe von Auf¬
gaben in verschiedenen Richtungen hin entsprossen, die den „heuristischen Wert“
der Theorie zur Genüge bestätigen.
Eine der ersten Aufgaben war die, nach den Erscheinungen der Überfunktion
bzw. Ermüdung eingehender, gewissermaßen experimentell bei solchen Individuen
zu forschen, die sich übermäßigen Anstrengungen —- wie etwa die Sportlettte
— aassetzen nnd somit abnorm hohe Anforderungen an ihren Nervenapparat
stellen; und zwar auf das Verhalten solcher Nervenbahnen bei dieser Forschung
zu achten, die wegen ihrer andauernden Funktion am leichtesten erliegen.
Näher zu berücksichtigen sind daher in erster Linie die rezeptorischen Fasern
nnd die Bahnen, welche der Statik und Orientierung dienen and den Muskel¬
tonus nebst den diesen regulierenden Sehnenreflexen vermitteln. Dies sind die
meist gebrauchten Bahnen, „sie werden Tag und Nacht in Anspruch genommen,
sie sind es, duroh welche seihst im Schlafe die Außenwelt auf uns einwirkt, sie
sind es, die bewirken, daß ein Schlafender ganz anders daliegt als ein Toter“.
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500
Der Untergang dieser Bahnen gehört ja bekanntlich zu den frühesten und
häufigsten Symptomen der Tabes.
Aiterbach 1 hat im Sommer 1908 und 1904 an Radrennfahrern Unter«
suchnngen in diesem Sinne angestellt Er hat bei 89 Lernten alle Funktionen
des Nerversystems berücksichtigt, die durch diesen Sport Oberhaupt beeinflußt
werden können; so untersuchte er die FsteHar-und Achillessehnenreflexe, außer¬
dem die Pupillen weite und Pupillenreaktion, die Sensibilität in allen ihren Quali¬
täten, das BABiusKi’sche Phänomen, Nystagmus, Ataxie, Tremor, Koordinations-
Störungen, RoMBEEö’sches Zeichen und von subjektiven Störungen: Schwindel,
Parästhesien und Blasenstörungen.
Knapp und Thomas * haben ungefähr um dieselbe Zeit (1908) in Ammika
das Verhalten der Sehnenreflexe der unteren Extremitäten bei 49 Dntansläufern
untersucht Die schnellsten dieser Läufer batten den Weg von 40 km (24 eng¬
lische Heilen) von Ashland nach Boston in 2 l / a —3 Stunden zurückgelegt.
Als nun im April 1908 die olympischen Spiele wieder in Athen stattfinden
sollten, schien mir die Gelegenheit geboten, ähnliche Untersuchungen auch bei
den Marathonläufern anzustellen. Die Entfernung von Marathon bis in die
Arena dee panathenäischen Stadions betrug bei dieser zweiten Olympiade, wegen
Verlegung des Abgangspunktes, 42 km. Wenn man dazu bedenkt, daß der
Weg, eine griechische Landstraße, berganf und bergab führt, manche Uneben¬
heiten and steinige Stellen zeigt und nur in unmittelbarer Nähe von Athen
gleichmäßig chaussiert ist so kann man sich eine Vorstellung von der An¬
strengung machen, welche zur Durchführung dieser Leistung erforderlich ist.
Die Schwierigkeiten, auf denen man gelegentlich bei solchen Untersuchungen
stoßen kann, hat schon Auerbach hervorgehoben. Um diesen vorzubeugen,
beschloß ich, meine Untersuchung nur auf solobe wichtige Punkte zu beschränken,
deren Prüfung,: ohne den Sportleuten lästig zu werden, für meine späteren
Schlüsse von Bedeutung wäre. So habe ich in erster Linie den Patellar- und
Achillessehnenreflex, daneben auch: Pupillenweite und Papillenlichtreaktion be¬
rücksichtigt, d. i. diejenigen Funktionen, deren Veränderung unter die Kardinal¬
symptome der Tabes zu rechnen ist
Die Abschätzung der dabei gewonnenen Resultate konnte gewiß nicht mit
mathematischer Genauigkeit erfolgen. Die Grenze des Normalen, über die hinaus
man eine Abweichung im Verhalten der Reflexe annehmen darf, ist bekanntlich
nicht absolut und unverbrüchlich gezogen und von dem Besitze eines sicheren
und leicht zu handhabenden Reflexometers sind wir noch weit entfernt
Um eine exaktere Abschätzung der Stärke des Patellarreflexes zu erzielen,
haben Knapp and Thomas bei ihrer Untersuchung eine Abstufung der reflek¬
torischen QuadriC6p8kontraktion — knee-jerk with patellar twitch and with front-
tap contraction — benutzt. Ich glaube indessen, daß bei solchen Untersuchungen
1 Aukbbach, Neurologische Untersuchungen an Radrennfahrern. Neurolog. Centralblatt.
1905. Nr. 8.
* Knapp and Thohas, The reflexes in long distance rnnners. A study of tbe inflnence
of fatigue npon certam reflexes. Journal of nervons and mental diseases. 1904. Januar.
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Original frum
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501
die Gewohnheit immer der beete Führer ist: Wer schon mehrfach die Gelegen¬
heit hatte, die Reflexe bei einer großen Zahl von Neurasthenie-, Neuritis-, Tabes-
öder Myelitisfällen in der Klinik za untersuchen, der muß sich gewiß mit den
Begriffen des „normalen“, „schwachen“, „lebhaften“ und „gesteigerten“ genug
vertraut gemacht haben.
Die Untersuchung geschah folgendermaßen: Der Patellaraehnenreflex wurde
in üblicher Weise im Sitzen mit übereinandergeechlagenen Beinen mittels eines
gewöhnlichen Perkussionshammers und mit Aufnahme des JendbAbsik 'sehen
Handgriffes geprüft Für die Fälle, wo er zweifelhaft zu sein schien, wandte
ich zur Vergleichung noch andere Prüfungsarten, d. i. im liegen, im Sitzen auf
dem Tisch mit pendelnden Beinen usw. 1 mit an. Der Achillesreflex wurde naoh
B Abinski an auf dem Stuhlrande knieenden Läufern und die Pupillen an jedem
Auge für sich bei möglichst guter Togesbeleuohtung und unter allen üblichen
Kautelen geprüft
Im ganzen konnte ich 45 von den Teilnehmern am Marathonlauf, 43 vor
und zwei nur nach dem Bennen, untersuchen. Es waren alles meistens kräftig
und gesund aussehende junge Leute verschiedener Nationalität, im Alter von
20 bis 35 Jahren. Die Voruntersuchung fand am Vorabend des Wettlaufes im
Bureau des Ausschusses für die olympischen Spiele statt Hier hatten sioh die
Läufer versammelt, welohe sich zu Wagen nach Marathon begeben sollten, um
daselbst zu übernachten.
Es haben sich dabei folgende Abweichungen herausgestellt:
L Fehlen des Patellarreflexes.
Nr. 43 2 aus Kreta. Patellarreflex fehlt beiderseits. Er ist auf keine Weise
auszulösen. Achillessehnenreflex beiderseits vorhanden, jedoch schwach. Papillen
gleich, Lichtreaktion prompt Bei der oberflächlichen Untersuchung keine groben
Zeichen von Lues oder der in Kreta so häufig yorkommenden Lepra. Der Mann,
ein sehr kräftig gebauter Bauer, von gesundem Aussehen, gibt an, er sei 32 Jahre
alt, verheiratet und habe drei gesunde Kinder. Er hatte sich kürzlich nicht an¬
gestrengt
Nach einer luetischeu Ansteckung zu fragen oder nach anderer Richtung
hin ätiologisch zu forschen, schien mir zu jener Stunde wegen der Anwesenheit
der anderen Sportleute nicht ratsam. Ich behielt es mir daher vor, ihn später
eingehender zu untersuchen. Aber leider konnte er nicht den ganzen Weg
zurücklegen und stellte sich sonst nicht mehr zur Untersuchung.
1L Steigerung der Reflexe.
Nr. 21 aus Amerika. Patellar- und Achillesreflex gesteigert Lichtreflex der
Pupillen sehr lebhaft.
Nr. 38 aus Ägypten, ein anämisch, blaß aussehender, Bohmächtiger junger
Mann. Patellar-, Achilles- und Pupillarreflex lebhaft gesteigert Leichte klonische
Zuckungen folgten oft der ersten starken Kontraktion des Quadriceps.
1 Bkbnha&dt, Die Erkrankungen der peripherischen Nerven. Nothnagel’* Pathologie
u. Therapie. XI. S. 87.
* Es sind die Nummern, welche die Läufer bei dem Lanfe auf der Brust trugen.
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509
Nr. 39 . Grieche. AU« drei Reflexe Ober «Be Non» ged ei g o r t .
Nr. 80. Grieche, Dasselbe.
Nr. 61 . Grieche aus Maccdonieu- Steigerung de*, Patellar and AohiU««-
reflexgs beiderseits. PoyUlepweite und Idchtreuktion normal.
Ähnliche Steigerungen boten auch die Nummern 5 , 1.0 and 92 , die noch
später zur Erwähnung kommen werden.
JIL IferabauUu*g nd«i 4er BötU*«.
Nr. 6t. Grieche. Der link« Aehil l i« wh« iiig rA w int sehr eebweek, Allee
Übrige ncerm*!,
Nr, £3, Grieche, Paseelbe.
Nr. 15. Grieche. PateRarreflex beiderseits sehr schwach, er ist nur mit
Jendr&ssik schwach ausznlösen. Achiüeereflex ebenso schwach, links noch s chw ä ch e r
als recht« Pupillen nomal.
Außerdem sind noch Nummer 18, 68, 34 and 41 ktafcer su reehwe», re«
denen noch weiter nnten die Bede sein wird.
Gleich nach dem Bennen hatte ich die Gelegenheit, an 14 van diesen
vorher untersuchten Leuten in den Ankfeideiitomen des Stadions eine neue
Untersuchung vorzunehmen. Sie hatten alle den ganzen Whg znrilckgdegt und
waren in verschiedenen Zeiträumen hn Stadion angekommen. Ringe von ihnen
konnten anch — soweit es der Trubel dieser Tage zuließ — zu einer wei t eren
Nachuntersuchung herangezogen werden.
Es sind dies;
Nr. 56. Der Sieger, aas Canada. Vor dem Bennen: Alles normal. Er legte
die 42 km in 2 Stunden 61 Minute» 25 Sekunden suvttek. Gleich darauf: Patellar¬
und Achillesreflex beiderseits egal gesteigert. Pupillen normal.
Nr. 60 aus Schweden. Vor dem Beppen; Alles normal. Direkt nach seiner
Leistung (42 kp» in 2 Stunden 58 Minute« 20 Sekunden); Patellarreflex beiderseits
sehr schwach, AchiUeereßex dagegen «ehr lehbaft Pupillen norm ab Am
Tage nach dem Bennen: Patella rreßexe noch immer schwach, Aohiflesareflexe
normal.
Nr. 22 ans Amerika. Vor dem Bennen: Patellar- und Achillesreflexe sehr
lebhaft. Gleich nach dem Bennen (42 km in 3 Stunden 46 Sekunden): Patellar-
und Achilfesreflex beiderseits gesteigert. Pupillen normal. Am »weiten Tage
naeh dem Bennen: Die 3ehnenreflexe immer noch lebhaft.
Nr. 67 aus Schweden. Vor dam Benne»: Allee p qctmJ. Gleieh whkes
(42 km; über 3 Stunden): Beteller- and Ä^hillesrefle« beiderseits gesteigert
Pupillen normal.
Nr. 2. Grieche aus dem Dorf Amarussion. Vor dem Bennen: Allee normal
Gleich darauf (42 km: über 3 Stunde»): PataUarre&ox beiderseits auf keine Weise
auslösbar, fehlt vollständig. Achillesreflexe äußerst schwach. Pupillen normal.
Nach ungefähr l 1 / 2 Monat: Patellarreflex und Achillesreflex rechts etwas schwächer
als normal. Links: beide äußerst schwach. Lues negiert, auch keine Anhalts¬
punkte dafür bei der körperlichen Untersuchung. Der Mann ist Tagelöhner,
arbeitet in den Marmorbrüchen und gibt, mäßigen Gepuß geistiger Getränke za.
Sonst von blühender Gesundheit. Es gelang mir bis jetzt nicht, ihn nochmals
zu untersuchen.
Nr. 3 aus Australien. Vor dem Rennen: Alisa normal. Gleich nachher:
Patellarreflexe beiderseits schwach, nur mit Jendrässik auszuRsen. AchiMmseftem
sehr schwach. Pupillen normal
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Go, igle
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Nr. 34. Grieche an» Amarnssioa. Vor dam Roodod: PateUarrcflex link*
sohr schwach, rocht* etwa* stärker, fast noraaL Alle» ihrige normal Gleich
nachher: .Patolkmflex beiderseits völlig erloschen. Aohillesreflexo äußerst
schwach. Papillen normal. Nach 6 Tagen; Patellarreflex beiderseits vorhanden,
jedoch immer noch schwach. Achillesreflexe schwach. Der Mann ist Landro&nn.
Kein« Lue». Br trinkt nicht mehr aha die anderen Tagelöhner.
Nr. 41 ans Kreta. Vor dem Rennen: PateUarrcflex beiderseits sehr »ehwach,
aut dem J »ndsisaiksehea Verfahren etwas besser. Achillesraflaixe ebenso sehwach.
Papillen no rm al. Gleich nach dem Lauf: Patellarreflex anf beiden Seiten nicht
im. geringsten ausznlösen, erloschen. Achillesreflexe dagegen erheblich ge*
steigert. Kein echter Klonns. Klagte Ober heftige ziehende Schmerlen und
Krampfgefühle in der Wadenmnsknlatar und machte sonst den Bhidroek e in e s
hochgradig Erschöpften. Pupillen normal. Nach 2 Tagen: Er kam Arisch und
munter zu mir und gab an, die Schmerzen seien am nächsten Tage wieder ver¬
gangen. Papillen normaL Patellarreflex beiderseits sehr schwach. Achillesreflex
von normaler Stärke. Keine Anhaltspunkte für Lues.
Nr. 62 aas Kreta. Vor dem Rennen: Patellarreflex beiderseits sehwach.
Pupillen und Achiüeerefiex* normal Direkt nach dem Bema: Patellar- und
Achillesreflex beidsnsita itifig erloschen. RqaDen normal. Der Mann war
stark ermüdet. Nach 3 Tagen: PWteflar- und A dril lw refiea sehr sckwaeh.
Nr. 55 aas Frankreich. Vor dam Rennen: Alles normal Gleich nachher:
Patellar* und Achillesreflex beiderseits gesteigert. Pupillen normal. Nach zwei
Tagen: Patellar* und Achillesreflexe noch immer gesteigert. Pupillen normal
Nr. 18. Grieche ans Smyrna. Vor dem Rennes: Aehillescehnenreflex links
sehr schwach. Allee übrige normal. Gleich nachher: Patellar- and Achillesreflex
anf beiden Seiten erhefcSch gesteigert. Pupillen n or ma l
Nr. 44 aaa Kreta. Vor dam Rennen: Alka normal Direkt darnach: Patellar¬
und AchiHesreflex beiderseits sehr sohwach. Der Patellarreflex ist nnr mit
Jendr&ssik aaszulösen. Pupillen normal. Nach 3 Tag»: Die normalen Verhält¬
nisse wiedergekehrt.
Nr. 52 aus Kreta. Vor dem Rennen: Alles normal. Gleich nachher: Patellar*
reflexe beiderseits äußerst schwach, fast erloschen. Achillesreflexe sehr
schwach. Papillen normal. Nach 3 Tagen: Alles normal wie vorher.
" Nr. 8 aus Kreta. Vor dem Rennen: Alle» normal Gleich, danach: PateUkr*
seflex beiderseits gesteigert. Achillesreflexe lebhaft. Papillen normal. Nack
3 .Tagen: Die Sehnenreflexe noch immer über das Normale lebhaft.
(Schluß folgt.)
[Aus der I. med. Abteilung des K. K. Krankenhauses Wieden in Wien.]
2. Ein handliches Dynamometer.
Von Prof. Dr. Maximilian Starnberg.
<
Das Dynamometer, anf das man. vor 80 Jahren grüße Hoffnungen gesetzt
hatte, ist fast gänzlich außer Gebrauch gekommen. Die mniataa Lehrbücher
erklären es für eine unnütze Vorrichtung.
In der Tat ist die übliche Form des Instrumentes, die man als das Colli»*
sehe Dynamometer bezeichnet, zwar nach einem richtigen Prinzip konstruiert,
aber recht unzweckmäßig. Der Rand der elliptischen Feder schneidet beim
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Druck sehr unangenehm in die Hohlhand ein; hat man mehrmals hintereinander
gedrückt, ist der Schmerz schon so lebhaft, daß Serien von Messungen und ver¬
gleichende Versuche unmöglich sind. Ein weiterer Übelstand ist der, daß die
Feder zu stark ist, weil das Instrument für das Maximum der Körperkraft ge¬
baut ist Dadurch ist aber die Teilung zu eng, die Feder zu hart, die Angaben
für schwache Drücke wenig verläßlich.
Ein bestimmtes Problem, über das an einem anderen Orte berichtet werden
soll, machte eine Serie von Messungen des Händedruckes erforderlich. Ich be¬
strebte mich daher, für das Dynamometer eine handlichere Form als die bis¬
herige zu finden. Nach mancherlei Versuchen wurde das abgebildete Instrument
konstruiert, das seit 2 Jahren an meiner Spitalsabteilung im Gebrauch ist und
sich vollständig bewährt hat.
Es besteht im wesentlichen aus zwei parallelen Röhren aus Stahl, die an
den einander zugekehrten Seiten einen Schlitz haben, in den eine flache elliptisch
geformte Feder eingelassen ist, so daß die beiden Röhren dadurch federnd ver¬
bunden sind. An der einen Röhre ist der geteilte Kreisbogen, an der anderen
eine Zahnstange befestigt, welche den Druck mittels eines Zahnrades auf den
Zeiger überträgt. Die Außenfläche der Röhren ist rauh, so daß das Instrument
in der Hand nicht gleitet.
Die Skala reicht nur bis 50 kg, was vollständig genügt, da das Instrument
ja für Kranke und nicht für Athleten bestimmt ist. Man gewinnt dadurch den
Vorteil, daß auch ein Druck von wenigen Kilogrammen mit genügender Genauig¬
keit bestimmt werden kann.
Wenn man vollkommen exakte Messungen vornehmen will, muß man selbst¬
verständlich die empirische Eichung von Zeit zu Zeit nachprüfen, was einfach
iu der Weise geschieht, daß man die untere Röhre in einen Schraubstock spannt
und die obere mittels angehängter Gewichte belastet.
Die Firma H. Reiner in Wien (IX. Van Swietengasse 10) führt das In¬
strument nach dieser Konstruktion aus und liefert es zum Preise von 40 Kronen.
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[Aas dem Laboratorium der psychiatrischen Klinik za Florenz.]
3. Ein Fall von Heterotopie des Nucleus arciformis.
Von Dr. Q. Catola,
Assistenten an der psychiatrischen Klinik.
' * Wie bekannt, ist der Nüelens arciformis eine Anhäufung von grauer Sub¬
stanz, wdehe die ventrale oder medial-ventrale Oberfläche der "vorderen Pyra¬
miden umgibt undt die zwischen den zwei Schichten der Fibrae arcnatae externae
anteriores (Stratum dorsale und Stratum ventrale), welche ihn vorderseits von
der Oberfläche des Bulbns und hinterseits von Pyramidenbahnen trennen, ein*
gebettet wird. _
In der Bibliographie ist vor allem sein Wechsel an Größe bei den ver¬
schiedenen Individuen bekannt; eigentliche Anomalien kennen wir nicht Es
sind nur einzelne Fälle beschrieben worden , Wobei die Fasern des N. hypoglossus
den Kern durehschbitten (Mikgazzini, Maiiburg, VoLbi-GHiRARDiNi), oder die
Einteilung desselben in mehrere kleinere Kerne stattfand. Selten wurde irgend einer
von den letzteren an der Peripherie der Seitenstränge des verlängerten Markes
gefunden (V olpi - Ghirabdini). yan Gebuchten in der letzten Ausgabe des
Handbuches der Anatomie des Nervensystems (1906) betont, daß die anatomi¬
schen Verbindungen des N, arciformis noch unbekannt sind. So hätten die
Fibrae arcuatae externae anteriores, welche ihrer Topographie nach eng mit dem
N. arciformis verbanden zu soin scheinen, keine Ursprungsbeziehungen mit ihm,
wie die Mehrzahl der Forscher meint
Tatsächlich f&r einige würden diese Fasern von den Kernen der Hinter¬
stränge abstammen, für andere hingegen von den Zellen der retikulären Sub¬
stanz — Fibrae reticnlo-cerebellares —. Jedenfalls würden sie immerhin eine,
meistens gekreuzte, assoziative Bahn zwischen dem Bulbus und dem Klein¬
hirn bilden.
Testut bemerkt aber, daß unter den Fibrae arcuatae externae anteriores
einige mit dem N. arciformis in Verbindung treten. Diese Fasern würden in
dem bezeichneten Kern eine Unterbrechung erleiden, um nachher zum .Gehirn
aufzusteigen. Diese Begehungen sind noch nicht genügend . fe6tgestellt Es ist
aber gewiß, daß man in Weigert-Pal’ sehen Präparaten in dem N. arcifonnis
einen dichten Filz sieht, welcher aus feinen Fasern besteht, die zweifellos mit
dem Sysjtoni der Fibrae arcnatae in Verbindung stehen, deren End Verästelungen
und Ursprünge sie bilden (Mingazziki, Obebsteineb, Dejebine).
Die Forscher sind noch nicht einig über die anatomische Bedeutung,
welche diesen Kernen zuznsprechen sei, denn,. wählend einige sie als eine
homologisobe Bildung der grauen Kerne vom Pons betrachten und sie haupt¬
sächlich auf Fälle stützen, bei welchen Fortsetzung beider Bildungen stattfindet,
beachten andere dieselben als selbständige Bildungen. Zorn Beweis dieser
zweiten Meinung liegt die Tatsache vor, daß die Nuclei arciformes jenen Tieren
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fehlen, bei welchen im Gegensatz die Nuclei pontis mehr oder weniger ent¬
wickelt sind. •
Wie man ersieht, sind unsere Kenntnisse über die anatomischen Ver¬
bindungen des N. areiformis und über die morphologische Bedeutung desselben
noch unvollständig und unbestimmt Ich halte es deshalb für nützlich, einen
Fall zu veröffentlichen, welcher dazu beitragen kann, etwas Licht in diese be¬
strittene Frage zu werfen.
Indem ich die Medulla oblongata eines Kranken, der an Pabkinsok’ söher
Krankheit gelitten hatte, schnitt, bemerkte ich, daß die N. arciformes, anstatt,
wie gewöhnlich, an der Peripherie der Pyramiden gestellt zu sein, im Gegenteil
im Innern derselben sich fanden, so daß beide Pyramiden in zwei Teile getrennt
blieben; einen vorderen und einen hinteren Teil (Fig. I). . >
Fig. 1. Py Pyramide, R Kaphe, NA Nucleus areiformis, 0 Olive.
Nur in der Höhe der oberen olivären Region nimmt der N. areiformis
seinen gewöhnlichen Platz ein in Beziehung mit der Vorderoberlläche der Pyra¬
miden. Abwärts von der mittleren olivären Region ändern sich die anatomischen
Verhältnisse: der N. areiformis beginnt mehr und mehr in die Tiefe zu
wandern, so daß er durch eine Schicht von pyramidalen Fasern von der Ober»
fläche des Bulbus getrennt wird. Je weiter eT nach abwärts zieht, je mehr
entfernt sich der N. areiformis von der Oberfläche, so daß er in der unteren
olivären Region beiderseits die Pyramiden fast zur Hälfte zerteilt. Auf dieser
Höhe durchzieht der N. areiformis die Pyramiden transversal weise, und zwar einer
Linie folgend, die zwischen dem Sulcus praeolivaris und der Fissura longit. ant
gezogen wäre (s. Fig. 1). Solche Beziehungen bleiben ununterbrochen bis zum
unteren Ende de9 Nucleus.
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Was wir in unserem Befund als besonders betrachten, ist das eigentüm-
liebe Verhalten der Fibrae arcuatae eit ant Oben, in der oberen olivären
Gegend, wo der N. arciformis noch seine normale Stellung einnimmt, haben
diese Fasern mit ihm die wohlbekannten Beziehungen, aber etwas weit« nach
unten, wo der Kern nach dem Innern zu wandern beginnt, begleiten ihn die
Fibrae arc. ext ant in seiner ganzen Wanderung. So in der unteren olivären
Gegend, wo der N. arciformis die äußerste Abweichung des normalen Verhaltens
darbietet, sehen wir ihn zwischen zwei Schichten transversal gerichteter Fasern,
welche die eine ventral- und die andere dorsalwärts des Kernes liegen und die
Fibrae arc. ext. ant darstellen (Fig 2). Dagegen findet man an der vorderen
Fig. 2. XA N. arciformis, SD Stratum dorsal« der Fibrae arcuatae ext. anteriore»,
5 V Stratum ventrale derselben Fasern.
Fläche der Pyramiden, d. b. im gewöhnlichen Sitz der ventralen Schicht^ der
Fibrae arc. ext ant, nicht einmal eine dieser Fasern. Im Gegensatz zu dem,
was unter normalen Verhältnissen geschieht, werden hier keine merklichen
Unterschiede zwischen der Dicke der Fasern beider Schichten gefunden. Alle
diese Fasern, wenn sie die Mittellinie erreicht haben, kreuzen, sich meistens im
Grunde der Fissura mediana ant (Fig. 3) und richten sich dann nach'oben,
wobei sie in der iaterolivaren Schicht verloren gehen.
Die Wichtigkeit des Falles liegt neben der Seltenheit der Heterotopie des
N. areiformis vorzugsweise in dem Verhalten der Fibrae arc. ext ant Tatsäch-
lioh, da, wie man gesehen bat, diese Fasern gänzlich das Schicksal des Xucleus
arciformis erleiden, indem sie ihn in seiner ganzen Wanderung begleiten, so
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kann man schließen, daß sehr wahrscheinlich ihr Ursprung größtenteils eng
mit ihm verbunden sein soll.
Die Serienschnitte des Bulbus und der Protuberantia bewiesen auch, daß
in diesem Falle kein freier Zwischenraum zwischen der grauen Substanz der
R
Fma
Fig. 3. R Raphe, Fma Fissura mediana anterior.
■. t
Protuberantia und dem N. arciformis besteht; die letztere löst sich ohne Unter¬
brechung in die erstere auf. Wenn diese anatomischen Beziehungen nach An¬
sicht einiger Autoren dazu dienen sollen, eine enge Homologie zwischen der
grauen Substanz des Pons und des N. arciformis zu beweisen, so würde unser
Fall, wenn man die eigentümliche Lokalisation des Kernes im Innern des Organs
berücksichtigt, in ganz besonderer Weise für diese Homologie sprechen.
4. Myatonia congenita, Myohypotonia.
Von William G. Spüler, M. D.,
Professor of Neuropathology and Associate Professor of Neurology in the
University of Pennsylvania.
Prof. Bernhardt berichtet in diesem Centralblatte. 1907. Nr. 1 über den
Fall von Myatonia congenita, den ich in dem University of Pennsylvania Medical
Bulletin. 1905. Januar beschrieben habe, und bezeichnet gewisse Erscheinungen
bei dem Fall als atypisch. Soweit ich es seinem Berichte entnehmen kann, sind
dies: 1. Beginn des Zustandes im 5. Lebensmonat, 2. die Reaktion auf den
faradischen Strom, 3. die Schlingbeschwerden, 4. Blindheit, 5. Strabismus.
1. Die verständige Mutter des kleinen Patienten gibt au, daß von den
Eltern vor dem 5. Lebensmonat nichts Abnormes bemerkt worden ist Zu
dieser Zeit erst bemerkte man, daß es den Dingen nicht seine Aufmerksamkeit
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schenkte, das heißt natürlichnicht, daß die Hypotonie im 6. Monat begonnen
hat. Der Knabe war niemals imstande za stehen oder etwas in den Händen
za halten, and die Matter hat eine Zunahme dieser Schwäche seit der Geburt
des Kindes nicht beobachten können. Sie hat offenbar diese Sohwäohe bei einem
Kinde in diesem Alter nicht für ungewöhnlich gehalten.
2. Nach einem Berichte über den elektrischen Befund, der mir von einem
der Assistenten der neurologischen Klinik gegeben wurde,. antworteten die
Muskeln auf den faradischen Strom. Ich bin nicht, imstande zu sagen, ob nicht
ein stärkerer Strom als sonst üblich, angewendet wurde oder welche Muskeln
geprüft worden. •
3. Die Schlingbeschwerden zeigten sich erst nach dem Absetzen. Da man
das Kind nicht dazu bringen konnte, Kuhmilch zu .nehmen, wurde es nach
der Entwöhnung immer mit dem Nasensohlanch ernährt. Die Schlingbeschwerden
halte ich nicht für wichtig. ■ < ■ . ; :
4. Es bestehen keine Beweise, daß däs Kind blind war*, wiewohl Blindheit
weder verneint noch bejaht werden kann. Das / Kind war so schwach, daß es
nur ein oder zwei Minuten allein sitzen konnte, wenn inan es aufgerichtet hatte.
Der Kopf fiel dabei nach vorwärts. Man ist berechtigt anzunehmen, daß ein
solches Kind sich nicht darum bekümmerte, was in seiner Umgebung vorging. Ich
habe in meinem Bericht über den Fall schon erwähnt, daß bei der Untersuchung
das Kind eine Uhr, die vor seinen Augen gehalten wurde, zu bemerken schien.
In bezug auf die Blindheit and das Schielen habe ich in diesem Falle Herrn
Dr. G. E. db Schweinitz, Prof, der Augenheilkunde an der Universität of
Pennsylvania, befragt. Er konnte folgendes feststellen:
Auf Ihre erste Frage:' „Läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß das
Kind blind war“, habe ich za erwidern, daß ich leider nicht imstande bin,
Ihnen andere Angaben zu machen, als in meinem ursprünglichen Brief vom
1. November 1904 enthalten waren. Die Tatsaohe, daß die mikroskopische Unter¬
suchung keine pathologischen Veränderungen im N. opticus ergab, könQte nur be¬
weisen, daß dos Kind nicht infolge einer Opticusatrophie blind war, wiewohl
dadurch eine Blindheit ohne Veränderungen im N. opticus nicht ausgeschlossen ist,
d. b. ohne ophthalmoskopische Veränderungen, wie z. B. bei einzelnen Patienten
mit sogenanntem Turmscbädel berichtet wurde.
Ihre zweite Frage: „Wie häufig ist nach Ihrer Erfahrung der Strabismus
concomitans convergens und was ist nach Ihrer Meinung seine Bedeutung?“,
habe ich zu erwidern, daß diesö Störung recht häufig vorkommt Unter
6457 Kranken, die in der Augenambulanz des Universitätskrankenhauses in
Philadelphia vom 1. September 1902 bis 1. September 1905 untersucht wurden,
waren 189 mit Strabismus concomitans. Ich bezweifle sehr, daß diese Zahl
genau ist, da die Fälle manchmal unter die Fälle mit Strabismus concomitans
und manchmal unter die Kefraktionsanomalie, mit der sie verbunden waren,
eingereiht wurden. Nur eine genaue Durchsicht der Krankenprotokolle
würde diesen Punkt auf klären. Das durchschnittliche Alter, in dem das
konvergierende, konkomitierende Schielen auftritt, ist 3 x / 2 Jahre, aber eine
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ganze Anzahl einseitiger Erkrankungen beginnen früher. Wanrn stallte
1017 Falle einseitigen, konvergierenden Schielens and 176 Fälle alternativen
Strabismus zusammen. Von der 1. Groppe entwickelten sich 184 Fälle im
1. Lebensjahrs, 186 zwischen dem 1. und 2. and 247 zwisflhem 2. and 8.
Ton der 2. Gruppe waren entwickelt 61 vsr dem Ablauf des 1. Lebensjahres,
84 zwischen dem 1. und 2. und 23 zwischen dem 2. und 8, Jahre. Viele
Umstünde sind es, weche konvergierendes Schiden verursachen. Im allgenieinen
beruht dieses Leiden auf einer Störung der Beziehung swisohen Akkommodation
and Konvergenz, die durch Refraktionsfehler verursacht wird; ferner beruht es
auf dem Umstand, daß Länge, Dicke und Spannung der antagonistischen
Muskeln nicht im richtigen Gleichgewicht stehen. Eine Ursache ist Ungleich¬
heit in der Sehschärfe der beiden Angen, oder Amblyopie eines Auges, welche
den natürlichen Reiz entfernen, der sonst zur Vereinigung der Doppelbilder zu
einem einzigen führt. Ferner kommt als Urache in Betracht innerrationsstörnngen
und mangelhafte Entwicklung der Fähigkeit, die Doppelbilder zu einem einzigen
zu ve reell melzen (Fusion faculty). Es ist wahrscheinlich, daß letzterer Umstand,
nämlich völliger Mangel oder unvollständige Entwicklung der Fähigkeit, die
Doppelbilder za einem einzigen zu vereinigen (Fusion faculty), die wirkliche
Ursache des Schielens darstellt.
Eb ist wahrscheinlich, daß gerade die letzterwähnte Bedingung, d. h.
Koordinationsfehler, mangelhafte Entwicklung der Koordinationsfahigkeit, in
Wirklichkeit die entscheidende Ursache des Schielens ist
Ist diese Hauptbedingung gegeben, dann kann das Schielen durch ver¬
schiedene Umstände ausgelöst werden, also Refraktionsfehler, Emäagigkeit, heftige
Gemütserschütterungen, Erblichkeit usw. entsprechend der Ansicht gewisser
Forscher, besondere Worth. Priestley Smith faßt die Sache etwas anders
auf und erklärt den Strabismus oonvergens als eine Störung der Innervation,
bei welcher die Sehcentren den Akt der Konvergenz nicht mehr ganz regeln
können. Dadurch ist die Konvergenz herabgesetzt und wird automatisch. Aas
der Krankengeschichte des Falles und aus den unvollständigen Angaben der
Angenuntereuchung, die Sie erhalten haben, folgere ich, daß das Kind an einem
gewöhnlichen Strabismus convergens der eben beschriebenen Art litt, und daA
es in keiner Hinsicht ein Zeichen von Lähmung eines der äußeren Augenmuskel*
war. Soweit ich aus der Prüfung Ihrer Arbeit und den sie begleitenden Be¬
richten ersehen kann, besteht kein Zeichen dafür, daß das Kind in dem gewöhn¬
lichen Sinne des Wortes blind war. Die fehlende Aufmerksamkeit scheint mir,
wie Sie selbst angeführt haben, durch die große Schwäche, die das Kind zeigte,
durch die Haltung des Kopfes, durch die im physischen Zustand bedingte Gleich¬
gültigkeit des Kindes genügend begründet zu sein. loh glaube, es kann kein
Zweifel bestehen, schon auf Grund Ihrer eigenen Untersuchung, aber auch wegen
der Angaben, die ich dem Berichte entnehmen kann, daß die Angenstörungen
nichts Gemeinsames haben mit denen, die berichtet worden sind in Verbindung
mit der sogenannten amaurotischen, familiären Idiotie.
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5. Kurze Bemerkungen über Fibrillogenie im
Ceotraloerveosystem des Menschen zur Arbeit Brodmenn’s:
„Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen
zur Myelogenie mit besonderer Berücksichtigung des Cortex
cerebri.“
(Nearologv Cntnlblxtt. 1907. 8» SS8.)
Von Dr. Rio. OHetlioh in Wiesbaden.
Die verdienstvollen Untersuchungen B&odmann’s über die Fibrillogenie
veranlassen mich, ein offenbares Mißverständnis richtig zu stellen, welches er
betreffs meiner Ansichten über diesen Gegenstand in obiger Arbeit äußert, zu¬
mal unsere Ergebnisse nicht in der Weise voneinander abweiohen, wie er an¬
nimmt Ich habe nämlich nicht, wie Brodmann meint die Ansioht vertreten,
daß der Beginn der Fibrillogenie in der Hirnrinde des Menschen in den 8. bis
9. fötalen Monat zu verlegen sei In der von Bbodmakn zitierten Arbeit 1 kam es
mir darauf an, die Rückständigkeit der Entwicklung der Fibrillen in den Pyra¬
midenzellen der motorischen Binde gegenüber der Fibrillenbildung in der
Pyramidenbahn des Rückenmarkes und verlängerten Markes auf Grund von
Bielschowsky-Bildern an Föten von bestimmtem Alter nachzuweisen. Über die
extrazellulären Fibrillen der motorischen Rinde, die ja bei weitem nicht alle der
Pyramidenbahn angehören, äußere ich mich bei Beschreibung eines Fötus ans
dem 6. bis 7. Monat beiläufig, 1 daß solche Fibrillen sehr spärlich vorhanden
sind. Namentlich das frühe Auftreten der Fibrillen in der Regio zonalis fiel
mir gleich Bbodhakn stets auf. Wenn ich also im 6. Monat Fibrillen in der
Hirnrinde fand, Bbodmann solche bereits im 5. und auch 4. Fötalmonat ge¬
sehen hat, Stadien, die mir zur Untersuchung nicht Vorlagen, so widerspricht
das meinen Untersuchungen nicht, and es besteht vor allem keine „gewaltige
Differenz von vier und mehr Monaten" in dem ersten Auffinden der Fibrillen
in der Großhirnrinde. Betreffs einer genaueren Darstellung der Fibrillogenie
in der Hirnrinde, verweise ich auf die demnächst bei Brrgmak# erscheinende
Monographie von mir und Herxhbimeb: „Über die Neurofibrillen im Central¬
nervensystem.“
Ein größerer Unterschied besteht allerdings in unseren Befunden über das
erste Auftreten der Fibrillen in den Vorderhornzellen des Rückenmarkes.
Bbodmank konnte bei einem etwa einmonatlichen menschlichen Fötus Fasern
der vorderen Wurzeln bis in die grauen Vorderbörner verfolgen, „wo sie als
zarte fibrilläre Strukturen innerhalb eines plasmatischen Synzytiums erscheinen“. 8
Bei menschlichen Föten aus dem Beginn des 3. Monats fand ich dagegen in
1 Gebblich, Über die Entwicklung der Neurofibrillen in der Pyramidenbahn des
Meniohen. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII.
* L. c. 8.102, Zeile 9.
* Anatom. Anzeiger. Ergänzungaheft zum XXIX. Bd. 1906. S. 288. Zeile 33 ff.
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512
den bereits in Groppen geordneten, wohl abgegrenzten Zellen des Vorderhorns,
nm einen seltener dunklen, meist hellen Kern, das Protoplasma angefüllt mit
braunen vetklumpten Massen/ Irgend welche Fibrillen oder fibrilläre Struk¬
turen waren in demselben mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Der extrazellulare
Faserfilz des Vorderhorns zeigte sich dagegen bereits reichlich entwickelt, des¬
gleichen die vorderen Wurzeln und konnte man deutlich einzelne Fasern der
Wurzeln bis in den Faserfilz des Vorderhorns hinein verfolgen.
Der jdngste, von mir untersuchte menschliche Fötus gehörte der 8. bis
9. Woche an und bot in bezug auf Vorderhornzellen und vordere Wurzeln
obige Verhältnisse; jüngere Föten standen mir bisher nicht zur Verfügung.
Betreffs der angewandten Methode betone ich ausdrücklich, daß alle von mir
beschriebenen Schnitte mit dem Kohlensäuregefriermikrotom hergestellt wurden,
was bei frisch eingelegtem, gut gehärtetem Material mir stets zur Zufriedenheit
gelang. Nur in bezug auf Schnitt und Färbung gut gelungene Präparate wurden
der Beschreibung zugrunde gelegt
Ich brauche wohl nur zu bemerken, daß mir die betreffenden Arbeiten
Bbodmann’8 und Held’s bei der Abfassung meiner Mitteilung bekannt waren,
während ich allerdings eine genauere Berücksichtigung derselben auf die ge¬
meinsame größere Arbeit verschob.
II. Referate.
Anatomie.
1) Von der protoplasmatlsohen und faserigen Stütssubstana des Centrai¬
ner ven Systems, von Dr. W. Spiel meyer. (Archiv f. Psychiatrie. XLIL
1907.) Ref.: G. Ilberg.
Was die Entwicklung der Gliafasern anbetriffib, so fand Verf. die ersten
Gliafibrillen in Form feinster Körnchenreihen und Streifen im Protoplasma der
breitverästelten großen Gliazellen angelegt. An der Zellmembran, also in den
peripheren Partien des Zelleibes, war die Entwickelung der Fasern immer am
weitesten fortgeschritten. Dort scheinen sich manche Fasern „abzurollen“. In
späteren Entwicklungsstadien enthält auch der centrale Abschnitt der Fortsätze
distinkte Gliafibrillen. Da die großen Gliazellen vielfach miteinander anastomo-
sieren, so sind ihnen die protoplasmatischen Verbindungsbrücken und auch die
darin angelegten Gliafasern gemeinsam. Da es sich somit nicht entscheiden läßt,
welcher Zelle die Fasern in diesen Protoplasmakomplexen angehören, sind die Glia¬
fasern pluricellulärer Genese. Mit den Befunden am embiyonalen Stützgewebe
stimmen die Untersuchungen über die Faserentwicklung unter pathologischen Be-
dingungen durchweg überein. Die Intercellularsubstanz entsteht zunächst endo-
cellulär im Protoplasma, sie ist eine modifizierte Zelleibsubstanz. — Zweifellos
gibt es unter pathologischen Verhältnissen eine große Reihe von Gliazellen, bei
denen die Fasern dauernd in substantiellem Zusammenhang mit dem
Protoplasma bleiben (progressive Paralyse, Arteriosklerose, experimentell erzeugte
Glianarben, cerebrale Hemiatrophia). Erst bei einer guten Kontrastfärbung des
Protoplasmas kann man diese räumlichen Beziehungen einwandfrei zur Daretellung
bringen; an Weigertschen Faserpräparaten kann man oft nur das Phänomen
der Anlagerung konstatieren. — Die plasraatischen faserführenden , gebündelten“
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Fortsätze setzen sich nun breit fußförmig an den Gefäßen an. Ihr Protoplasma
verschmilzt dort mit dem der anderen Fasern bzw. mit dem Plasma der in der
Grenzschicht gelegenen Gliazellen. Auch anscheinend einheitliche Fasern teilen
sich oft an ihrem perivaskulären Ende in Einzelfibrillen auf, die durch ein feines
Häutchen eingefaßt werden. Viele Fasern, die vorher nackt erschienen, bekommen
vor ihrem Eintritt in die vaskuläre Grenzschicht eine feine saumartige Umhüllung.
An der meningealen Oberflächenzone verhalten sich die Fußstücke der Glia-
fasern ähnlich wie an den Gefäßen. An vielen Stellen der Rückenmarksperipherie,
am Großhirn, Kleinhirn und Opticus konnte eine äußere Grenzmembran nach¬
gewiesen und die kelchförmige Verknüpfung derselben mit den Gliafaserenden
erkannt werden. Auch hernienartige Vorstülpungen der Membran durch vordrängeu-
des Gliagewebe waren nicht selten festzustellen. Von einer kontinuierlichen Grenz¬
membran, welche zwischen centralem und mesodermalem Gewebe einen Grenzsaum
bildete, geben die Präparate des Verf.’s keine Anschauung.
Physiologie.
2) Über den Einfluß der Muskelermüdung bei partiell parathyreoidekto-
mierten Hunden, von A. Massaglia. (Gazzetta degli ospedali e dolle cliniche.
1906. Nr. 105.) Autoreferat.
Durch die Tierversuche von Verf. erhellt, daß man bei einem partiell para-
thyreoidektoraierten Hunde, der einer langen Muskelanstrengung unterworfen wurde,
immer einen parathyreopriven Krampfanfall erzielt.
Das bedeutet, daß der Zustand von latenter Insufficienz der parathyroidalen
Funktion augenscheinlich wird, weil die zurückgebliebene Parathyroiddrüse nicht
mehr imstande ist, durch ihre Sekretion den größten Teil der Gifte zu neutrali¬
sieren, welche sich durch Muskelanstrengung gebildet haben.
Auf Grund dieser experimentellen Angaben kommt Verf. zum Schlüsse, daß
die parathyroidale Sekretion eine neutralisierende Wirkung gegen regressive Pro¬
dukte der muskulären Arbeit haben soll. Was die parathyroidische Lehre der
Eklampsie anbelangt, so beweisen die experimentellen Resultate des Verf.’s, daß
zur Entstehung des eklamptischen Anfalles die Gifte der Muskelanstrengung mit-
wirken sollen, wie Vassale sehr richtig bemerkt hat: somit ist der Muskel¬
anstrengungsfaktor ohne Zweifel derart wichtig, um die Häufigkeit der Eklampsie
bei Primiparen zu erklären, bei denen eben die Geburt länger und mühevoller ist.
Verf. hebt noch das Verhältnis zwischen der Parathyroiddrüse und der
Niere hervor, die sich aber flüchtig erkrankt zeigt und, wie bei der Eklampsie,
nachher den normalen Zustand wieder erlangt.
Psychologie.
3) Allgemeine analytisoh-synthetische Psyohognosie parallel aur Physik
and Physiologie, von Prof. Dr. S. Stern. (Wien 1906, Dorfmeisters Ver¬
lag.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß es weniger den Philosophen als
den Ärzten bisher geglückt ist, einiges Licht in die menschliche Psychologie zu
bringen und hier den vielfach phantastischen Anschauungen reellere Tatsachen
entgegenzusetzen.
Und wieder bemüht sich ein alter, erfahrener Arzt aus seiner Erfahrung
heraus in das Dunkel des Seelenlebens zu leuchten, in jene inneren Zustände, die
der Mensch nur allein in seinem Inneren wahrnimmt, und die Ursache seiner
Leibesbewegungen werden. All das wissenschaftlich zusammengefaßt ist Psycho-
gnosie.
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Aber Verf. begnügt sieb nicht, uns seine Anschauungen über Wahrnehmungen,
Erinnerungsbilder, über Fühlen und Denken, die vielfach von den geltenden An¬
schauungen abweichen und viele originelle Auslegungen zeigen, darzulegen. Er
baut uns nicht nur das Individuum, sondern er benutzt dieses nur als Ausgangs¬
punkt, um seine Grundanschauungen der gesammten Biologie darauf zu stützen
und schließlich zu allgemeineren Gesetzen des Werdens und Lebens überhaupt
zu kommen.
Es ist nicht möglich, aus der Fülle des Materiales auch nur ein Detail
herauszugreifen und eingehender zu referieren, da die Eigenart der Auffassungen
immer eine längere Begründung voraussetzte.
Man schöpft aus dem Buche eine Fülle von Anregungen; und es ist gewiß
ein nachahmenswertes Beispiel, daß Verf. seine wissenschaftlichen Lebenserfahrungen,
anstatt sie uns in einer der landläufigen Biographien zu übermitteln, in eine
ernste, wissenschaftliche Form gebracht hat.
Pathologische Anatomie.
4) Klinischer und pathoiogisoher Beitrag zum Studium der halbseitigen
Hypertrophie, von Dr. Luigi Cagiati. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenkeilk.
XXXII. 1907.) Ref.:E. Asch.
Bei einem 11 Monate alten Kinde jüdischer Abstammung besteht von Geburt
an eine Hypertrophie der linken Körperhälfte und an einzelnen Stellen dunkle
Verfärbung der Haut mit Verdickung der Epidermis, während an den blassen
Stellen die Haut glatt und dünn erscheint. Ferner bestehen am rechten Knie
und in der Gegend des Steißbeines unregelmäßig geformte Naevi von violettroter
Farbe. Am Skelett keine rhachitischen Veränderungen. Die Stirn- und Hinter¬
kopfknochen der linken Seite springen stärker vor, der linke Nasenflügel ist mehr
entwickelt als der rechte, die linke Nasenlippenfalte ist fast ganz glatt, der rechte
Mundwinkel ein wenig nach außen gezogen. Die ganze linke Gesichtshälfte er¬
scheint fleischiger als die rechte, besonders ist der linke Unterkieferwinkel stärker
entwickelt als der der rechten Seite. Ferner ist das Zahnfleisch links dicker, die
linke Zungenhälfte erscheint größer, der Gaumenbogen tiefer, die. Mandeln links
stärker ausgebildet als rechts. Auch ergeben die genauen Messungen, daß der
Hals, die Brust, der Unterleib, das Becken, die oberen und unteren Extremitäten
auf der linken Körperhälfte eine stärkere Entwicklung erkennen lassen. Das
linke Auge ist größer alB das rechte, der Geruchssinn fehlt links, es besteht links¬
seitige Facialislähmung mit Entartungsreaktion, Neigung zu Entartungsreaktion
der Gesichtsmuskeln links und Verminderung der galvanischen Reizbarkeit in fast
allen Muskeln der linken Körperhälfte. Das Kind starb an einer Gastroenteritis.
Bei der anatomischen Untersuchung fand sich am Gehirn kein Unterschied der
Entwicklung, am Rückenmark eine Verdickung der Dura. Sämtliche Blutgefäße
der linken Körperhälfte sind stärker entwickelt als die der rechten und haupt¬
sächlich in dem der Tunica media und intima entsprechenden Teil; die. Wand des
linken Ventrikels ist verdickt, die linke Lunge und besonders die linke Niere
ist größer als die rechte. Die mikroskopische Untersuchung ergab eine Hyper¬
trophie und Hyperplasie des Stützgewebes zwischen den Muskelbündeln, dem Exo-
neurium, dem Perineurium und dem Endoneurium in den Nervenstämmen und
Ganglien des Sympathicus ohne Veränderung des Muskel- und Nervengewebes.
Verf. ist der Ansicht, daß es sich hierbei um eine Störung in der ersten
embryonalen Periode des intrauterinen Lebens handelt, welche einzig und allein
die Blutgefäße und das Bindegewebe betrifft. Über die Pathogenese der Störung
lassen sich keine sicheren Anhaltspunkte gewinnen und nur Boviel läßt sich be¬
stimmt sagen, daß auch bei höheren Tieren das Blastoderm imstande ist unter
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dem Einfluß innerer Ursachen in einer Hälfte übermäßige oder mangelhafte Ent¬
wickelung hervorzurufen.
Pathologie des Nervensystems.
5) Über p8yohoreflektorlsohe Krankheitssymptome , von Geh. Bat Gold¬
scheider. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 17.) Bef.: B. Pfeiffer.
Verf.’a Versuch, den Begriff der „psychoreflektoriachen Symptome“ zu kon¬
struieren, ist interessant und verdient, selbst wenn man in Einzelfragen dem Verf.
nicht beizustimmen vermag, allgemeine Beachtung schon in ßücksicht auf die
Fülle eingestreuter, feiner, klinischer Beobachtungen und Bemerkungen.
6) Hysterie und Invalidität, von Prof. Meyer in Königsberg i/Pr. (Deutsche
med. Wochensohr. 1907. Nr. 6.) Bef.: B. Pfeiffer.
Verf. zeigt an einer Beihe von instruktiven Beispielen, wie häufig das Wesen
der Hysterie von praktischen Ärzten noch verkannt und wie oft bei der Begut¬
achtung gefehlt wird. Mit Nachdruck betont Verf. als leitenden Grundsatz, daß
die Hysterie eine psychische Erkrankung ist, daher in erster Linie die psychi¬
schen Erscheinungen Beachtung verdienen, die körperlichen Symptome nicht über¬
schätzt werden dürfen. Verfehlt ist das Suchen nach einem körperlichen Leiden,
um der Hysterie als Haupt- oder einzigen Diagnose aus dem Wege zu gehen,
ln allen zweifelhaften Fällen ist stationäre Beobachtung angezeigt Die Kranken
zuerst ohne jede Behandlung abzuweisen, in der Annahme, daß Arbeit und Nicht¬
beobachtung das beste Heilmittel der Hysterie sei, ist völlig unrichtig. Die all*
gemeine Schaffung von Nervenheilstätten für wenig- und unbemittelte Kranke ist
auch vom Standpunkt der Verhütung und Verzögerung des Eintrittes der Inva¬
lidität Nervenkranker unbedingtes Erfordernis.
7) I. Diseases of the nervous System resulting firom aooident and injury,
by Pearoe Bailey. (New York and London 1906, D. Appleton and Company.
627 S.) — II. La Simulation et Tlnterprötation des aooidents du travail,
par Bene Sand. Pröface de Bommelaere. (Bruxelles 1907, H. Lamertin.
639 S.) Bef.: Kurt Mendel.
In aller Kürze sei auf diese beiden fleißigen Arbeiten, die sich aber für ein
Beferat nicht eignen, hingewiesen. In der enteren wird zunächst die Unter¬
suchung des Unfallverletzten besprochen, dann werden die organischen sowie die
funktionellen Nervenerkrankungen nach Trauma durchgegangen, schließlich die Über¬
treibung und* Simulation der Traumatiker abgehandelt. Speziell mit letzterem
Thema beschäftigt sich das französische Werk, dasselbe bespricht jedooh auch —
wie das englische — die Beziehungen der organischen und funktionellen Nerven¬
krankheiten zum Unfall, es zeigt den Unterschied zwischen Exaggeration und
Simulation und macht mit den verschiedenen technischen Mitteln bekannt, die
zur Entlarvung der Simulanten verwandt werden können. Sand kommt zu dem
Schlüsse, daß die Simulation nicht in ernsthafter Weise die Zukunft der Arbeiter¬
versicherung bedroht. „Je besser man die Neurosen kennen lernt, desto weniger
Simulanten sieht man.“ Die Zahl der im Literaturregister angeführten Arbeiten
beläuft sich bei Sand auf nicht weniger als 2281, die deutsche Literatur ist
in hohem Maße mitberücksichtigt.
S) Prüfung nervöser Störungen auf Simulation und Übertreibung, von E rb en.
(Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr. 13 bis 21.) Bef.: Pilcz (Wien).
Gestützt auf reiche persönliche Erfahrung und gründliche Literaturkenntnis
erteilt hier Verf. in sehr eingehender Weise dem Praktiker höchst beherzigens-
und dankenswerte Batschläge betreffs der gerade im Zeitalter des Unfallswesens
praktisch so wichtigen Frage der Simulation und Übertreibung.
Auch der Fachmann wird den Aufsatz nicht ohne Nutzen lesen.
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0) Die klinischen und fttiologisohen Bestehungen des Hitssohlages su. den
Psyohosen und Neurosen, von Dr. Steinhausen. (t. Leuthold*Gedenk*
sehrift. II.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Verf. hat aus einem 10jährigen Zeiträume 443 Fälle yon Hitzschlag in der
deutschen Armee gesammelt und sie betrachtet 1. auf die sie begleitenden, 2. die
ihnen als Nachkrankheiten folgenden Nerven* und Geistesstörungen. Unter den
ersteren trennt er die typischen Formen: Hitzschlagcoma uud -delir, von dem
atypischen Dämmerzustände, gewisse Krampfformen, organische, cerebrale und bul-
bäre Herderkrankungen, Sprachstörungen. Die große Masse der Fälle zeigt das
Hitzschlagcoma, das Delir ist indessen mit 78°/ 0 der Fälle weit häufiger als bisher
angenommen wurde; die Mortalität bei letzterem beträgt 25°/ 0 , klinisch ut es dem
Eollapsdelir am ähnlichsten. Bei den Dämmerzuständen ist hervorzuheben, daß
in ihnen Handlungen von anscheinender Absichtlichkeit und Zweckmäßigkeit aus*
geführt werden können, die erst bei näherer Untersuchung das Krankhafte er¬
kennen lassen. Unter den atypischen Krämpfen sind solche von „Chorea magna“,
tetanusartige Zustände, Ataxie und Intentionstremor geschildert. Die transi¬
torischen Aphasien tragen stets die Merkmale organischer, nicht funktioneller
Störung. In der „Erholungsperiode“ kommt es zu einer Reihe charakteristischer
nervöser Störungen: Verstimmung, ängstlich-weinerliches Wesen, OppressionsgefÜhl
auf der Brust, motorische Störungen (Zittern, tonische und klonische Zuckungen
einzelner Muskelgruppen) und vasomotorische Störungen (fleckige Rötung,
Schwellung des Gesichts, halbseitiges Schwitzen, Derinographie). Dazu kommt
in diesem Stadium eine auffallende gesteigerte Suggestibilität, gelegentlich mit
Zuständen völliger „Willenslähmung“ verbunden: Fehlen aller spontanen Reak¬
tionen, selbst Neigung zur Sistierung des Atems ohne Dyspnoe, Stupor. Die
Frage nach dem Wesen der geschilderten akuten Rekonvalescenzerscheinungen
beantwortet Verf. dahin, daß sie am besten ihre Erklärung finden, wenn man den
Hitzschlag als eine spezifische, toxische, akute Psychose auffaßt, nicht als Folge
einer einfachen Erschöpfung. Von den Störungen der Erholungsperiode haben
sicher eine Anzahl eine psychogene Entstehung, für die Mehrzahl muß aber eine
andere, tiefergreifende EntstehungsweiBe angenommen werden, weil die psycho¬
logische Erklärung bei ihnen gänzlich versagt. Verf. schlägt deshalb für dieselben
die Bezeichnung als Hitzschlaghysteroid vor, das ein wohl charakterisiertes Krank¬
heitsbild darstellt.
Unter den Nachkrankheiten herrscht an Häufigkeit die Hysterie vor, und zwar
in einer auffallenden Eintönigkeit der Symptome, der sonst bei dieser Neurose so
bezeichnende bunte Wechsel der Symptome fehlt fast ganz; diese Sonderstellung
ist wohl ebenfalls dadurch bedingt, daß die Hysterie nach Hitzschlag den
toxischen Formen näher steht, als den reinen psychogenen. Die Epilepsie ist als
genuine Form unter den Nachkrankheiten nur einmal angegeben, häufiger handelt
es sich um Mischformen, die vielleicht mit Recht ganz der Hysterie zuzurechnen
wären. Auch bei der Neurasthenie überwiegen hysterische Zöge, so daß das Ge¬
samtbild nicht Belten der „traumatischen Neurose“ ähnlich wird. Seltener sind
Kombinationen mit paranoiden Zuständen und Melancholie, von eigentlichen
sekundären Psychosen liegen nur 3 Fälle vor (eine katatonische Form der Dementia
praecox, eine „subakute hallucin. Paranoia“, eine Pseudoparalyse bzw. Paralyse mit
weitgehender Remission), ein Zeichen, daß die ziemlich verbreitete Meinung von
der Häufigkeit dieses Zusammenhanges eine irrige ist. Ein Fall von nach mehr¬
tägiger Benommenheit eintretender Hemiplegie mit Ptosis ging nach 6 Monaten
in Heilung oub. Bei der Zerstreutheit der klinischen Beobachtungen, trotz der
relativen Häufigkeit des Materials ist die Zusammenfassung des Verf.’s unter
neurologischen Gesichtspunkten eine sehr verdienstliche Arbeit.
10) Elektrische Gesundheit*Schädigungen am Telephon, von Dr. Kurelln.
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(Zwanglose Abhandlungen ans dem Gebiete der Elektrotherapie und ver¬
wandter Disziplinen der medizinischen Elektrotechnik. Heft 5. Leipzig 1905,
J. A. Barth.) Ref.: Hurt Mendel.
Verf. bringt eine Reihe von Beobachtungen, Tatsachen und Betrachtungen
über Starkstromschädigung beim Telephonieren. Im Vordergrund der Erscheinungen
stehen Dyspnoe, Tachykardie und schwere Oppression. Vasomotorische Störungen
fehlen oder sind wenig ausgeprägt. Neben mehr allgemeinen Symptomen kommen
mehr lokale vor. Für die Lokalisation der Einwirkung ist wahrscheinlich die
Art, wie man während des Starkstromshocks den Hörer hält, ausschlaggebend.
Die Veränderungen des Nervengewebes durch Starkstrom bestehen darin,
daß es in tiefen Rissen zerstört wird; zahlreiche Blutgefäße, zumal in der
grauen Substanz der Rinde und der spinalen Vorderhörner, besonders aber der
Medulla oblongata, werden zerrissen, zahlreiche Nervenzellen entweder zerrissen
oder es findet eine beträchtliche Dislokation ihres Kerns statt (Jellineks Unter¬
suchungen).
Die Individualität des Unfallssubjekts ist von großer Bedeutung für die Un¬
fallswirkung, ferner aber auch der Einfluß des vorauBgehenden berufsmäßigen
Telephonierens, welch letzteres allein schon auf die Dauer zu Gesundheits¬
schädigungen des betreffenden Organismus führen kann. In jedem Falle von Läsion
durch einen in die Telephonleitung geratenden Starkstrom ist die Prognose mit
Vorsicht zu stellen. In prophylaktischer Hinsicht ist zu verlangen eine Sicherung
der Luftleitungen der Straßenbahnen vor dem Kontakte mit Telephondrähten (zu
diesem Zwecke Bind die Telephonleitungen in unterirdischen Kabeln zu führen,
nicht oberirdisch und blank), ferner ein Blitzschutz an jedem Telephon (Kohlen¬
blitzableiter!) und schließlich ein Schutz gegen relativ geringe Überspannungen,
die induktiv im Apparate selbst entstehen können, z. B. bei zu schnellem und
anhaltendem Drehen der Induktorkurbel. (Steidles Apparat bietet solchen Schutz.)
11) Über Krankheiten und Unfälle im Breuergewerbe, von B. Laquer.
(Zeitschr. f. soziale Medizin. I. 1906. 25. Juli.) Ref.: Kurt Mendel.
Aus einer Zusammenstellung seitens des Reichsversicherungsamtes geht hervor,
daß das Brauereigewerbe auffallend viel Verletzte jährlich zu entschädigen hat.
In Frankfurt hat seit Ablösung des „Haustrunkes“ (welcher sich z. B. in München
im Durchschnitt pro Tag auf etwa 7 Liter beläuft) die Zahl der Betriebsunfälle um
ein Viertel abgenommen. Die Centren des Bier-, Wein- und Branntweinkonsums
zeichnen sich sowohl durch die meisten gewalttätigen Verbrechen (gefährliche
Körperverletzungen) wie auch durch die Höchstzahl der Unfälle aus.
Im Interesse der Brauereiberufsgenossenschaften und der großen Brauerei¬
firmen liegt es, die Unfallziffern herabzusetzen, denn damit sinkt auch die Höhe
ihrer materiellen Zuschüsse zu den Unfallberufsgenossenschaften. Ein zweites In¬
teresse haben die Arbeiterorganisationen selbst; hier kann nur die Aufklärung
wirken.
Verf. rechnet aus, daß die Arbeiterversicherung nur in der Unfallabteilung
Deutschlands jährlich 9 Millionen Mark sparen würde, wenn das Alkohol verbot
auf der Arbeitsstätte so streng wie z. B. in Nordamerika durchgeführt würde,
wo die Transportgewerbe von ihren Angestellten volle Enthaltsamkeit fordern.
12) Über traumstlsohe Spätapoplexie, von Priv.-Doz. Wimmer. (Medizin.
Klinik. 1907. Nr. 8.) Ref.: Paul Lissmann (München).
Die Tatsache, daß oft nach einem geringen Kopftrauma zunächst ein Tage
bis Wochen dauerndes Intervall ohne irgend welche Symptome, diesem aber dann
eine schwere Apoplexie folgt, ist seit Bollingers Veröffentlichungen nichts mehr
neues. Bollinger hat gezeigt, daß das Trauma eine Gewebsnekrose, diese eine
Widerstandsverminderung der Gefäße und diese eine konsekutive Hämorrhagie
erzeugt. Während nun bei jugendlichen, bisher gesunden Verletzten ein solcher
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Zusammenhang ohne weiteres angenommen werden darf, begegnet die Beurteilung
solcher Apoplexien bei alten Leuten mit Arteriosklerosis oder Scbrampfnieren usw.
in ihrem Zusammenhang mit dem Unfall großen Schwierigkeiten.
Verf. gibt nun die Krankengeschichte einer 46 jährigen Frau, die von einem
Radler überfahren, mit der rechten Kopfseite auf das Pflaster fiel, etwa eine
halbe Stunde bewußtlos war, sich aber rasch erholte und 3 Tage ungestört wie
vor dem Unfall arbeitete.
Am dritten Tage erwachte sie morgens mit einer vollständigen schlaffen
Lähmung des rechten Beines und rechten Armes, sehr geringer Sprachstörung,
Freibleiben des Facialis. Urin enthält etwas Eiweiß. Einige Tage später kam
Taubheit auf dem linken Ohre hinzu, die aber von dem Otologen für funktionell
erklärt wurde. Letzterer Umstand ließ an die Möglichkeit denken, daß es sich
im ganzen um eine traumatisch hysterische Lähmung handeln könnte. Ein posi¬
tiver Babinski auf der Lähmungsseite deckte jedoch die wahre organische Matur
der Paralyse auf. Verf. benutzt dies, um eindrücklichst auf die Wichtigkeit des
Babinskischen Phänomens hinzuweisen.
Die Hauptfrage nun, ob es sich in dem gegebenen Fall um eine echte post-
traumatische Spätapoplexie handelt, getraut sich Verf. trotz negativer Anamnese
nicht mit Sicherheit zu entscheiden, spricht vielmehr nur von deren Wahrschein¬
lichkeit und weist auf die Wichtigkeit einer derartigen Entscheidung in straf-
prozeßlioher und zivilrechtlicher Beziehung hin.
13) Bin Fall von traumatiBoher Abduceuslähmung, von Dr. J. Isakowitz.
(Zeitschr. f. Augenheilk. 1906. Juli.) Ref.: Fritz Mendel.
Es handelt sich bei dem 34jährigen Patienten um eine sekundäre, nach
einem Fall auf den Hinterkopf entstandene komplette Lähmung der Außenwender,
die völlig unkompliziert war. Verf. legt den Ursprung der Affektion nicht in die
Kemregion, sondern an die Gehirnbasis, wobei eine Basisfraktur weder aus¬
geschlossen noch bewiesen werden kann. Eine auf dem Clivus etwa an der Grenze
zwischen Keil- und Hinterhauptsbein gelegene Blutung, die aus der Art. cerebell.
inf. ant. oder post, stammt, kann die beiden Abduoenten leioht komprimieren,
ohne einen andern Nerv zu treffen.
14) Trauma und Arterienerkrankung. Kurze Notiz von Prof. Dr. M. Bern¬
hardt in Berlin. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch.
Im Anschluß an den von Erb mitgeteilten Fall von angiosklerotischer Be¬
wegungsstörung des ArmeB macht Verf. darauf aufmerksam, daß nach seinen Er¬
fahrungen bei dem Zustandekommen der Arteriosklerose dem Trauma ein größerer
Wert beizulegen sein dürfte, als dies bisher vielfach geschieht. Er hat selbst
mehrere Fälle beobachtet, in welchen sich frühzeitige Arteriosklerose im Anschluß
an traumatische Einwirkungen ausgebildet hatte, und er regt deßhalb an, bei der
Erforschung der ätiologischen Momente künftig auch stattgehabte Erschütterungen
oder Verletzungen mehr zu berücksichtigen.
16) Über periodische transitorisohe Bewußtseinsstörungen naoh Trauma
(Dipsomanie usw. naoh Trauma), von Pelz. (Monatssohr. f. Psyoh. u.
Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Fall I. Gesunder Mann (kein Alkoholismus, keine Epilepsie), 48 Jahr»
alt, zeigt nach Unfall (Überfahrenwerden) Schmerzen in Kopf und Rücken,
Schwindelgefühl, Intoleranz gegen Alkohol, Labilität des Affektes. Nachher
periodisch wiederkehrende Verstimmungen mit Hang zum Trinken (Dipsomanie).
Fall II. Gesunder, nicht belasteter Mann, nicht Alkoholiker, erleidet zwei
schwere Schädeltraumen (mit 19 und 27 Jahren). Danach spontane Schmerzen,
labiler Affekt, Vergeßlichkeit, Intoleranz gegen Alkohol, später Schwindel und
Beklemmungsgefühl. Herzklopfen. Zustände von tiefer Bewußtseinsstörung mit
Halluzinationen und schwerer Erregung, danach Amnesie.
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Fall 111. 35jähriger Arbeiter. Anamnestisch nichts Besonderes. Mehrere
schwere Unfälle. Typische posttraumatische Neurose, daneben schwere Zustände
veränderten Bewußtseins (Trübung der Auffassung, Erregung, Amnesie usw.).
Auch bei der traumatischen Degeneration kommen transitorische Störungen
der allgemeinen Bewußtseinstätigkeit vor. Der Nachweis wird nur aus dem Ge¬
samtbild, nicht aus der Form zu erbringen sein (Ausschluß epileptischer, alko¬
holischer, hereditärer Degeneration). Die Bewußtseinsstörungen können erst Jahre
nach dem Unfall und der posttraumatischen Neurose einsetzen.
16) Fraoture of the base of the skull, by George L. Wal ton. (Department
of Neurology. Annn. of Surgery. 1904. Nov.) Ref.: Baumann (Breslau).
In der Mehrzahl der Fälle resultiert die Schädelbasisfraktur von einem Stoß
in horizontaler Richtung gegen den Schädel, sei es vorn, hinten oder an der
Seite des Kopfes. Die Frakturlinie hat die Tendenz, in der dem Stoß zunächst
liegenden Grube zu beginnen und sich nach der Richtung, in der die Gewalt
wirkte, auszubreiten. Die Frakturlinien quer über die Basis verfolgen meist die
Linien des geringsten Widerstandes und in 22 von 50 Fällen entsprachen sie den
von Rawling angegebenen Linien, aber die Ausnahmen waren doch so konstant,
daß man bestimmte Regeln aufstellen kann. Der Türkensattel war in 36°/ 0 der
Frakturen betroffen. Die Sutura petro-occipitalis und mastoideo-occipitalis bildeten
gewöhnlich Linien von geringem Widerstand. Andere Frakturen wieder gehen
parallel mit der Portio petrosa des Schläfenbeins und durch die Sella turcica.
Schläge auf das Hinterhaupt verursachen gewöhnlich eine Frakturlinie, die sioh
nach dem Foramen jugulare oder über das Felsenbein erstreckt. Auch die den
Gehörapparat enthaltende Portion des Felsenbeins ist gewöhnlich der Fraktur
ausgesetzt, öfter in transversaler als longitudinaler Richtung, ln 7 Fällen war
die Fraktur beschränkt auf die Basis nach einem Stoß aufs Gewölbe in horizon¬
taler Richtung. Weder Rawlings Theorie der Übertragung der Kraft, noch die
Theorie der Rißfraktur von Wahl und anderen genügen zur Erklärung. Die Er¬
gebnisse von Experimenten mit Körpern einfacher Struktur lassen vermuten, daß
das Rißprinzip bei reiner Kompression des Schädels vorherrscht und das Prinzip
der übertragenen Kraft in Fällen von Schlägen, während beide beim Fall eine
wichtige Rolle spielen. Das Foramen orbitale war betroffen in 21,4 °/ 0 der Fälle.
Ungleichheit und Reaktionslosigkeit der Pupillen, bzw. beides zusammen, bilden
ein sehr häufiges und ungünstiges Symptom der Basisfraktur. Von den 44 Fällen,
in denen die Pupillen beobachtet wurden, waren sie normal nur in 13. Läsion
des Tractus cilio-spinalis in seinem intrakraniellen Verlauf ist für die Pupillen¬
veränderungen viel häufiger die Ursache als Läsion des Oculomotorius oder der
Rinde, obwohl eine einzelne Läsion alle diese Fälle nicht erklärt. Die Reflexe
sind meist herabgesetzt oder aufgehoben bei Basisfraktur. Andererseits können
sie aber auch gesteigert sein, wahrscheinlich mehr infolge direkten Druckes
auf die Pyramidenbahnen, als durch Blutung. Es ist wahrscheinlich, daß die erste
Wirkung des Stoßes in allen Fällen die Tendenz hat, die Reflexe herabzusetzen
oder aufzuheben. Eine profuse und anhaltende Blutung aus dem Ohr braucht
keine Meningealblutung vermuten zu lassen. In den Fällen von profuser und an¬
haltender Blutung wurde keine Meningealblutung gefunden und umgekehrt,
Blutung aus dieser Arterie kam achtmal ohne und einmal mit leichter Blutung
aus dem Ohr vor.
17) Symptomatologie des fraotures du ordne ohez l’enfant, par Dr. Ernest
Gasne. (Rev. mens, des maladies de l’enfance. XXIV. 1906. Juni.) Ref.: Zappert.
Im Anschluß an eine Inauguraldissertation wird in vorliegendem Artikel
eine Übersicht über 39 Fälle von Schädeltraumen beim Kinde gegeben. Meist
waren dieselben durch Fälle aus dem offenen Fenster, von der Stiege bedingt;
dementsprechend fällt auch die Mehrzahl der Verletzungen in die Sommer-
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monate. Charakteristisch ist für schwere Verletzungen ein mehrstündiges Coma,
dem sich dann ein Kollapszustand von mehreren Tagen anschließt. Manchmal
gibt es Konvulsionen, oft früh im Beginne der Erkrankung, ferner Erbrechen,
Obstipation, Schwellung des Gesichtes, Ecchymosen. Bei größeren Kindern treten
oft Lokalsymptome in Form einer Hemiplegie, einer Facialislähmung usw. hinzu.
Der Tod trat bei kleinen Kindern ziemlich rasch, meist unter hohem Fieber, bei
größeren oft erst nach einigen Tagen unter meningitischen Symptomen auf. Selbst¬
verständlich wechseln die Symptome und die Heilungsaussichten nach dem Sitze
der Verletzung. Im allgemeinen halten Kinder schwere Schädel träumen besser aus,
als Erwachsene. Die beste Prognose gaben Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren,
allerdings handelte es sich vornehmlich um Verletzungen des Schädeldaches. Verf.
nimmt auch bei Basalbrüchen eine größere Resistenz des Kindes an. Doch lassen
sich diesbezüglich einige Zweifel an den Schlußfolgerungen des Autors aussprechen.
Dauerfolgen in Form von Lähmungen, Meningocelen usw. sind bei den Schädel¬
brüchen des Kindes nicht selten.
18) Zur Ätiologie plötzlich auftretender Störungen im Hörnervenapparate,
von Conrad Stein. (Monatsschr. f. Ohrenh. 1906. Nr. 1.) Ref.:S.Klempner.
Mitteilung von 6 Fällen, in denen im Anschluß an eine erlittene Emotion
bzw. Trauma ein Krankheitsbild zur Entwicklung gelangte, das sich in Kopf¬
schmerzen, Schwindel, Ohrensausen und Schwerhörigkeit äußerte. Außerdem
stellten sich Störungen des Allgemeinbefindens und vor allem Verringerung der
geistigen Leistungsfähigkeit ein.
Verf. nimmt an, daß in allen Fällen die Alteration des Gehörs sowie die
subjektiven Hörempfindungen als Teilerscheinung einer latent gewesenen, auf die
psychische Erregung oder den Unfall hin manifest gewordenen Arteriosklerosis
cerebri aufzufassen sind.
19) Beitrag zur Kenntnis der Beteiligung des inneren Ohres naoh Kopf-
ersohütterungen, von Dr. Rliese. (Deutsche med. Wochenschr. 1906.
Nr. 16.) Ref.: R. Pfeiffer.
Das innere Ohr ist ein feiner Gradmesser für die Intensität von Kopf¬
erschütterungen auch dann, wenn die Hörfähigkeit für die Sprache garnicht ge¬
litten hat oder nur in einem praktisch nicht in Betracht kommenden Grade. Die
sofort nach der Kopfverletzung vorgenommene Untersuchung ergibt eine immer
wiederkehrende Symptomreihe: 1. Nystagmus beim Blick nach der nicht verletzten
Seite bzw. in stärkerem Grade beim Blick nach dieser Seite, 2. Verkürzung der
Knochenleitung, 3. Verkürzung der Perzeptionsdauer in Luftleitung für den
ganzen Tonbereich, namentlich die mittleren Töne (C 2 ), 4. tiefsten Stand des
Hörreliefs im unteren Tonbereich, langsamen Aufstieg der Kurve nach C 9 , von da
wieder Abstieg nach C 4 bzw. C 6 , nachdem vorher meist ein erheblicher Abstieg
nach einem der mittleren Töne stattgefunden hat, 5. gleichzeitiges, wenn auch
nicht immer gleich starkes Befallensein beider Ohren und auffallende Ähnlichkeit
der beiderseitigen Hörreliefs, 6. hochgradige, zu der Hörweite für die Sprache
in starkem Gegensatz stehende Herabsetzung der Hörweite für die Taschenuhr,
7. eine durch ihre Häufigkeit auffallende Ermüdbarkeit Stimmgabeltönen gegen¬
über, teils in einem auch dem normalen Ohr eigentümlichen, teils in gesteigertem
Grade, 8. positiven Rinne, 9. starke Gefäßerweiterung an der oberen Gehör¬
gangswand und zwar war eine Gruppe stark injizierter, gradlinig von außen
nach innen verlaufender Gefäße am medialsten Teil der Pars ossea des äußeren .
Gehörganges sichtbar, meist in der Mittellinie, selten an der hinteren oberen Ge¬
hörgangswand. Zuweilen kleine Petechien oder Blutkrusten im Bereich der in¬
jizierten Gefäße, selten kleine Blutergüsse im Trommelfell. Das Gesamtbild ist
charakteristisch und bleibt es im wesentlichen.
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20) La neurasthenie traumatique ohes los arterio-soldreux , par E. Regie.
(Journ. de m6d. lögale psychiatr. 1906. Nr. 1.) Ref.: Baumann (Breslau).
Die traumatische Neurose ist sehr häufig mit Arteriosklerose vergesellschaftet.
Ganz besonders wichtig ist, daß der traumatische Shock die spezifische Tendenz
hat, seine Wirkungen bei Arteriosklerotikern hervorzubringen, d. h. daß die
Arteriosklerotiker für die Entstehung einer traumatischen Neurose prädispo¬
niert sind.
Man kann drei Haupttypen aufstellen:
1. Das Trauma beschleunigt das Auftreten einer sich bereits entwickelnden
Arteriosklerose.
2. Das Trauma ruft die Neurasthenie hervor und läßt zu gleicher Zeit die
arteriosklerotischen Symptome in Erscheinung treten.
3. Das Trauma beschränkt sich neben der Erzeugung der Neurasthenie da¬
rauf, die Symptome einer bereits deutlich vorhanden gewesenen Arteriosklerose
zu verschärfen.
21) Hyztörie locale 4 la aalte de traamatlame de la hanohe, par Calle -
waert. (La Policlinique. 1907. Nr. 2.) Ref.: Kurt Mendel.
Fall von lokaler Hysterie nach Luxatio femoris. Ausschließung von tuber¬
kulöser Coxitis, Arthritis, Periarthritis und Ischias. Besprechung der atypischen
Beinhaltung. Von hysterischen Zeichen waren noch vorhanden: Herabsetzung des
Temperatursinnes am erkrankten Bein, vasomotorische Übererregbarkeit, Btarke
Dermographie, lebhafte Patellarreflexe, Fehlen des Konjunktival- und Schluck¬
reflexes, Gesichtsfeldeinengung für weiß und blau.
22) Über die ärstliohe Tätigkeit auf dem Sohlaohtfelde und in den vor¬
deren Linien, von Prof. Dr. Zoege von Manteuffel. (Archiv f. klin.
Chirurgie. LXXX.) Ref.: MaxJacoby.
Verf. bespricht hierbei die Behandlung der SchädelschüsBe; er nimmt auf
Grund seiner Erfahrungen im russisch-japanischen Kriege einen anderen Stand¬
punkt ein wie Bergmann. Diametralschüsse sind nach wie vor konservativ zu
behandeln. Shrapnellkugeln geben schlechtere Prognose als Spitzgeschosse. Ist
das Projektil stecken geblieben, so hat man ebenfalls konservativ zu verfahren,
bis Symptome auftreten und das Röntgen-Photogramm zeigt, daß das Projektil
zugänglich ist. Bei Tangentialsohüssen muß unbedingt in jedem Falle operiert
werden, und zwar so früh wie möglich. Bei Verletzungen des Rückenmarkes hat
eine Operation keinen Sinn, falls eine Verletzung mit Spitzgeschoß vorliegt. Anders,
wenn das Projektil stecken blieb oder wenn ein Splitter das Mark drückt; hier
sind oft Erfolge durch Operation erzielt worden. Von Verletzung zu trennen ist
eine Blutung; letztere erzeugt meist unregelmäßige Lähmung, die sich nach acht
bis 14 Tagen bessert, aber den Transport per Bahn schlecht verträgt; solche
Kranken sollen auf den Etappen liegen.
Psychiatrjie.
23) Zur Kenntnis der Ätiologie der angeborenen und frühzeitig erworbenen
psyohisohen Defektsustände, von H. Schloss. (Psychiatr.-neur. Wochen¬
schrift. VIII. 1907. Nr. 48 bis 60.) Ref.: Schultze.
An 100 Fällen erörtert Verf. den Einfluß der erblichen Belastung, der
Schädigung der Frucht durch physische oder psychische Schädigung der schwangeren
Mutter (dabei oft Hydrocephalus), der Anomalien der Geburt und der angeborenen
bzw. erworbenen körperlichen Erkrankungen; in einem letzten Abschnitt bespricht
er Impfung, Trauma capitis, Vergiftung usw. Selten findet sich nur eine Ursache;
insbesondere ist erbliche Belastung höchst selten alleinige Ursache. Die Kombi¬
nation bestimmter Schädigungen scheint die Kinder besonders zu gefährden. Oft
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finden sich rhaehitische Symptome bei Hydrocephalus. Viermal lag angeborener
Mangel der Schilddrüse mit Myxödem vor; auch dabei fanden sich rhacbitiscbe
Erscheinungen. In allen 4 Fällen brachte Thyreoidin Besserung in körperlicher
und geistiger Beziehung. Eklamptische Krämpfe verdienen besondere Beachtung;
sie begünstigen die Disposition zur späteren Epilepsie. Einzelne Fälle trauma¬
tischen Schwachsinnes zeigten eine relativ günstige Prognose.
24) Beitrag zur Statistik und Ätiologie der Idiotie und Imbesillit&t, von
Dr. C. Kneidl. (Revue v neurologii. 1906. S. 180.) Ref.: Pelnär (Prag).
Verf. sammelte in einem sorgfältigen Referat alles, was bei den genannten In¬
sassen der böhmischen LandeBirrenanstalt in den Jahren 1884 bis 1903 beobachtet
und ausgefragt wurde. Bei den 1328 registrierten Fällen ließ sich ätiologisch
am häufigsten eine hereditäre psychopathische Belastung, dann die Rhachitis, Lues
und mechanische Schädlichkeiten während der Geburt und während der ersten
Zeit nach der Geburt konstatieren. Alkoholismus ln der Antecedenz der Idioten
ist auffällig häufig. Von den Vermählungen zwischen Blutsverwandten scheint
die Vereinigung von einem Onkel mit einer Nichte am häufigsten zur Degeneration
zu führen. Für die Therapie und Erziehung der Idioten ist in Böhmen bis jetzt
soviel wie nichts geschehen. Außer einer kleinen Privatanstalt gibt es keine
Einrichtung für die Imbezillen. Und doch läßt sich durch Familienfürsorge und
in eingerichteten agrikulturellen Kolonien viel für die soziale Zukunft dieser
Kranken tun.
26) Statistischer Beitrag sur Ätiologie der Idiotie, von Fr. Heyn. (Psych.-
neurol. WochenBchr. 1906. Nr. 19.) Ref.: Schultze.
An der Hand des Uchtspringer Materiales (166 männliche, 124 weibliche
Idioten) gelangt Verf. zu dem Schluß, daß die Erblichkeit bei den Idioten weniger
von Bedeutung ist, als vielfach angenommen wird. Seine Zahlen bleiben um 25 °/ 0
hinter den Angaben anderer Autoren zurück. Erschreckend groß ist die Zahl
der rhachiti&chen Kinder; nach der Rhachitis sind hervorzuheben Zahnkrämpfe
und Infektionskrankheiten.
Daraus kann man schließen, daß die erworbene Idiotie sehr viel öfter vor¬
komme, als vielfach angenommen wird — ein neuer Grund für die Berechtigung
unserer Stellungnahme zur Idiotenfürsorge.
26) Vorgeschichten und Befunde bei Schwachbegabten Schulkindern. Bin
Beitrag sur Erforschung der Ursaohen schwacher Begabung, von
ScheBinger. (Intern. Archivf.Schulhyg. III. 1907. Heft3.) Ref.: H. Vogt
Die Mitteilungen basieren auf der Untersuchung von 138 Hilfssobulkindern,
die im Laufe von 4 Jahren angestellt wurde. 54°/ 0 der Kinder waren in ge¬
ringerem Grade, 33°/o stärkerem Maße debil, 13°/ 0 zeigt „beträchtliche Debi-
litas“. Die Schwierigkeiten einer klaren, allen Gesichtspunkten gerecht werdenden
Einteilung eines derartigen Untersuchungsmateriales werden mit Recht betont
Die Bearbeitung stützt sich auf den Gesundheits- und Personalbogen (über ein
hoffentlich bald für alle deutschen Hilfsschulen einheitliches Formular der letzteren
Gattung hat der V. Hilfsschulverbandstag kürzlich in Charlottenburg beraten,
die für die Hilfsschulen spezifische Einrichtung hat für die medizinische Durch¬
arbeitung dieser Krankheitsfälle große Bedeutung; Ref.). Die anamnestischen
Daten werden eingehend erörtert; Trinkerkinder fallen meist durch dreierlei auf:
mangelhafte Konstitution, zahlreiche Stigmata, Neigung zu Tics und Spasmen.
Die Kindersterblichkeit in den Familien, aus denen die HilfsBcbüler stammen,
betrug: 10°/ o Aborte, 38°/ 0 früh gestorbene Geschwister (gegenüber normaliter
5 °/ 0 und 30°/ 0 ). Die Arbeit ist reich an interessanten Einzelheiten, hier sei
noch betont: die Stelle der debilen Kinder in der Reihenfolge der Geschwister
(oft am Übergang der gesunden in die dekadente Nachkommenschaft), die große
Bedeutung der erworbenen Schädigungen, das soziale Milieu; auch der körperliche
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Status: allgemeiner Habitus, Schädelverhältnisse, Tonsillen, Strumen, neuropathische
Erscheinungen, Sprachstörungen (26°/ 0 Stammler). Beim psychischen Status ver¬
dient die auffallend späte geistige Entwicklung Beachtung (19°/ 0 ), 12°/ 0 zeigten
Hemmung oder Bückgang, die Charakterfehler bis zur Koch sehen psychopathischen
Minderwertigkeit erwecken die Aufmerksamkeit des Erziehers.
Zum Schlüsse betont Verf., daß ätiologisch die große Zahl und das Kon¬
kurrieren mehrerer schädigender Momente wesentlich sei: ererbte und erworbene
Faktoren kamen bei 88°/ 0 in Betracht, rein angeboren schienen nur 3°/ 0 , rein
erworben nur 9 °/ 0 .
27) Tipi e gradi d’insufüoienza mentale, per Sanote de Sanctis. (Anna!.
di nevrologia. 1906. S. 21.) Bef.: Hübner (Herzberge-Berlin).
In einer auf dem V. internationalen Kongreß für Psychologie gemachten
Mitteilung hat Verf. bereits darauf hingewiesen, daß bei den geistigen Schwäche¬
zuständen nicht allein der Typus, sondern auoh der Grad der geistigen Schwäche
bestimmt werden muß. Die vorliegende Arbeit hat den Zweck, seine damaligen
Ausführungen näher zu erläntern:
1. Typen: Wer die verschiedenen Arten des Schwachsinnes klinisch diffe¬
renzieren will, darf als Unterscheidungsmerkmale nicht anatomische, anthropologische
oder neurologische Befunde heranziehen, sondern er muß nach psychologischen
Unterschieden suchen. Um solche zu finden, muß er jede Funktion der Psyche
für sich sorgfältig prüfen.
Methodische Untersuchungen haben den Verf. zur Aufstellung folgender
Schwachsinnstypen veranlaßt: 1. der idiotische, 2. der imbezille, 3. der „vesanische“,
4. der epileptoide und 5. der infantile. Außerdem 6. gemischte und pasBagere
Zustände.
Die besonderen Eigenschaften jedes dieser Typen werden genau besebriebeu.
Unter dem als „vesanisch“ bezeichnten Typus würde ein Teil dessen, was
Kräpelin Dementia praecox nennt, zu rubrizieren sein. Von der Aufstellung
des Begriffes der „moralischen Imbezillität“ glaubt Verf. absehen zu dürfen, da
dieselbe häufig bei Vertretern der 2-, 3. und namentlich, wie Lombroso stets
mit Naohdruck hervorgehoben hat, der 4. Gruppe anzutreffen ist.
2. Der Grad geistiger Schwäche kann nach drei Bichtungen bestimmt werden:
nach der psychiatrischen, der pädagogischen und der sozialen.
Bezüglich der anzuwendenden psychologischen Untersuchungsmethoden sind
zwei prinzipielle Forderungen aufzustellen. Sie müssen sowohl dem Alter, wie
auch der Bildung der Kranken entsprechen. Verf. bedient sich z. B. für 7 bis
8jähr. Kinder der folgenden, durch sich steigernde Schwierigkeit ausgezeichneten
Beaktionen: 1. (Es werden 5 Glaskugeln auf den Tisch gelegt): „Gib mir eine
davon.“ 2. (Die ausgewählte Kugel wird hinter einem Tuch wieder mit den
anderen vermischt): „Welche Kugel hattest Du gezeigt?“ 3. (Es werden mehrere
Würfel, Parallelepipeda usw. auf den Tisch gelegt; dann wird ein Würfel heraus-
gegviffen): „Suche alle diesem gleiche Holzstücke heraus!“ 4. (Dem Beogenten
wird eine Tafel mit Zeichnungen der sub 3 genannten Gegenstände vorgehalten):
„Suche die dem gezeigten Holzstück entsprechenden Figuren heraus!“ 5. (Es
werden 12 Würfel verschiedener Größe über den Tisch verstreut): „Wieviel sind
es?“ „Welohes ist der größte?“ „Welcher liegt am weitesten entfernt?“ 6. (Die
Würfel werden bedeckt): „Müssen die größten Gegenstände auch die schwersten
sein?“ „Sind die von Dir entfernt liegenden Gegenstände wirklich kleiner als
die näher liegenden, oder scheinen sie nur bo?“
Die Beaktionen müssen jedesmal unter genau den gleichen Bedingungen ge¬
prüft werden. Hierzu gehört a), daß die zu benutzenden Gegenstände an passen¬
der Stelle bereit gehalten werden, der Beagent vorbereitet ist und auf die kommende
Frage durch ein Glookenzeichen aufmerksam gemacht wird, b) Zwischen den
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Fragen müssen Bubepausen von etwa einer Minute eingeschoben sein, c) Jede
Frage darf höchstens 3 mal wiederholt werden, d) In zweifelhaften Fällen muß
die Serie der Reaktionen in mehrtägigen Abständen wiederholt werden, e) Hoch¬
gradiger Schwachsinn liegt vor, wenn Reaktion 1 und 2 nicht ausgeführt werden,
mittlerer Grad beim Ausbleiben der 4. Reaktion, leichter Grad bei Unfähig¬
keit die sub 6 gestellten Aufgaben zu lösen. „Eine Versuchsperson, die alle sechs
Fragen korrekt und mit normaler Geschwindigkeit löst, ist nicht schwachsinnig. 1 *
, Eingehende, zum Teil vom Verf. selbst angestellte Versuche mit der obigen
Serie von Fragen haben ergeben, daß das Resultat der psychologischen Unter¬
suchung bezüglich des Grades der geistigen Schwäche dem entspricht, was man
nach der klinischen Beobachtung erwarten durfte.
Die Reaktionsreihe läßt sich, wie Verf. am Schluß der Arbeit ausführt, auch
bei Erwachsenen anwenden, wenn man die Versuchsanordnung entsprechend modi¬
fiziert. In welcher Weise dies zu geschehen hat, muß in der Originalarbeit nach¬
gelesen werden.
28) TypeB d’idiotie. Un oas d’idiotie myxoedemateuse, par MM. Bourne¬
ville, Lutaud et Tournay. (Revue d’hygiöne et de mödecine infantiles.
1906. Nr. 1.) Ref.: Zappert (Wien).
In vielversprechender Weise leiten die Verff. mit einem gründlichst unter¬
suchten Falle von Myxödem eine Revue über die verschiedenen Formen der
Idiotie ein.
Der beschriebene Fall kam zur Autopsie und es wurden Haut und Knochen
auch chemisch untersucht, ohne daß sich hierbei wesentliche Unterschiede von
den Befunden bei Erwachsenen ergeben hätten.
20) Types d’idiotie. Cas d’idiotie mongolienne, par Bourneville et Bard.
(Revue d’hygi&ne et de mödecine infantiles. 1906. Nr. 3.) Ref.: Zappert.
In seiner fortgesetzten Darstellung der Idiotieformen im Kindesalter bringt
Bourneville gemeinsam mit Bard diesmal die äußerst gründliche, mit guten
Abbildungen versehene Beschreibung eines Mädchens mit mongoloider Idiotie. Im
Anschluß an diese Beschreibung wird eine sorgfältige tabellarische Differential¬
diagnostik zwischen Mongolismus und Myxödem von den Autoren angeführt
30) Beiträge zur pathologischen Anatomie der Idiotie, von Takasu. (Mon.
f. Psych. u. Neur. XXL 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Fall I. 19jähriger männlicher Idiot mit Littlesoher Lähmung. Große
Apathie, Sinnesorgane und deren Gebrauch intakt. Versteht einfache Dinge.
Reinlich. Niemals Krämpfe. Seit Geburt spastisch gelähmt, Extremitäten in
Kontrakturstellung, in der Erregung treten spontane Bewegungen in den Extremi¬
täten hervor. Tod an Phthisis pulmonum. Pathologisch-anatomischer Befund:
Verdickung der Pia mit einer Verkalkungsstelle über dem linken Stirnlappen,
Verhärtung und Schmalheit der Frontal-, Central- und Ocoipitalwindungen, un¬
regelmäßige Formen und Lagerung der Ganglienzellen in den Stirn* und Central¬
windungen, vermehrte Blutgefäße und Gliakerne in der Gehirnsubstanz. (Diffuse
atrophische, sklerotische Veränderungen.) Außerdem mehrere resiBtentere, gefä߬
reiche Herde in den Centralganglien, Kleinheit der Pyramidenbahnen, Erweiterung
des Centralkanals.
Fall II. 4jähriger idiotischer Knabe, automatische Bewegungen, seit dem
2. Jahre epileptische Anfälle. Völlig stumpf, interesselos. Schlägt sich selbst,
unsauber. Tiefe Idiotie. Keine Sprache. Tod an PhthisiB pulmonum. Patho¬
logisch-anatomischer Befund: Mikrogyrie im Frontal- und Ocoipitallappen, daselbst
in der Rinde spärliche Markfasern, kleine spindelförmige, großkernige Ganglien¬
zellen, Mangel einer Schichtenanordnung der Ganglienzellen, vereinzelte Riesen¬
zellen. Gliome in den beiderseitigen Corpora striata, jene enthalten typische
Gliazellen und -fasern, zahlreiche Amyloidkörperchen („sarkomatöses Riesenzellen-
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gliom“). (Der mikroskopische Befund des Falles, besonders hinsichtlich der Gliome
erinnert an jene Befunde idiotischer Cerebra, bei denen es sehr schwer ist, die
Grenze zwischen Tumor und Mißbildung zu ziehen; manches an den histo¬
logischen Verhältnissen ist denen bei tuberöser Sklerose ähnlich. Bef.)
31) Über den Spraohslnn nebst seinen Besiehungen zur Psychologie der
Aassage, von J. Hampe. (Braunschweig 1907, Vieweg & Sohn. 80 S.) Ref.:
Neter.
Mit seinem zu einer Broschüre umgearbeiteten Vortrage will Verf. weitere
Kreise mit einer in medizinischer und pädagogischer Hinsicht aktuellen Frage
bekannt machen, um zu einer möglichst frühzeitigen Erkennung des Schwachsinns
sowie der Verhütung seiner unheilvollen Wirkungen für den Einzelnen, die Familie
und den Staat beizutragen.
Den Juristen soll die Schrift die mannigfachen Beziehungen des Schwachsinns
zur gerichtlichen Zeugenaussage und zur Strafrechtspflege klarlegen.
32) Psychologische Untersuchung schwachsinnlgerSchulklnder, von W. W ey-
gandt. (Bericht auf dem 11. Kongreß f. exper. Psychologie. Leipzig 1907;
vgl. d. Centr. 1906. S. 634.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. bespricht die Resultate der experimentell-psychologischen Untersuchung,
unter Würdigung der historischen Tatsachen und der Beziehungen des Gebietes
zur Psychopathologie und Pädagogik. Es werden die Erfahrungen, wie sie von
Sommer, von der Bleuler sehen Schule, durch die Untersuchungen von Wreschner
und anderen gewonnen wurden, erörtert, besonders auch der Merkfähigkeits¬
prüfungen von Banschburg gedacht und die Notwendigkeit hervorgehoben, die
verschiedenen Schwachsinnsstufen zu berücksichtigen. In der Verwendung des
Untersuchungsmateriales, in der Vermeidung der Autosuggestion von seiten des
Versuchsleiters (ErmüdungsmeBeung usw.) vertritt Verf. einen sehr kritischen
Standpunkt. Die Schwierigkeit des Forschungsgebietes liegt namentlich in den
leichteren Fällen: hier liegt die Aufgabe in der Feststellung deutlicher Unter¬
scheidungsmerkmale, wichtig gleicherweise für Diagnose, Behandlung, Prognose.
Hier erwachsen auch nach der sozialen und kriminellen Seite des Gebietes neue
Zielpunkte (Erforschung von Aussagetypen bei Kindern usw.). Der praktische
Weg ist ein doppelter: 1. Idiotenabteilungen bei den psychiatrischen Kliniken
(wie in München), 2. Hilfsscbullaboratorien, wie ein solches bis jetzt in Budapest
besteht unter Banschburgs Leitung (für ein ebensolches sind in Hannover jetzt
erstmalig durch das Entgegenkommen der dortigen Behörden Mittel bereit ge¬
stellt; Bef.).
33) Die Sprachstörungen sohwaohbegabter Sohulkinder, von Schlesinger.
(Straßb. med. Zeitung. 1906. Heft7.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Die Schwachbegabten Kinder Bind großenteils Stammler; dies ist ein etwa
im 3. Lebensjahr physiologischer Sprachzustand, seine Bedeutung für die Debilen
liegt weniger in dem Defekt selbst, als darin, daß die Sprachentwicklung bei
ihnen verzögert und verlangsamt ist. Diese Auffassung als eine Entwicklungs¬
hemmung der Sprache findet ihre Richtigkeit auch in der Tatsache, daß die
Kinder meist auch spät zu sprechen anfingen. Die Debilen überwinden meist im
Laufe der Schulzeit den Fehler, während die Sprachmängel der Imbezillen und
Idioten bleibende zu sein pflegen.
31 °/ 0 der eintretenden Hilfsschüler zeigten in Straßburg Sprachfehler, meist
Stammler, wenig Stotterer, vereinzelt Stumme. Die letzte Gruppe ist ein Vor¬
stadium des Stammelns als im allgemeinen von guter Prognose, die des Stotterns
von schlechter. Die Debilität ist in dem Konnex das Primäre. Von körperlichen
Symptomen verdienen Beachtung: Tonsillenhypertrophie, Schwerhörigkeit und
Zahnstellung. Anamnestisch spielt für das Stammeln der Mangel häuslicher Er¬
ziehung eine Bolle, sowie schlechte allgemeine körperliche Entwicklung.
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34) Die Ohrmuschel bei Schwachsinnigen, von Imhofer. (Zeitschr. f. Heil¬
kunde. XXVII. 1906. Dezember.) Ref.: Pilcz (Wien). t
Für die Lehre von den körperlichen Entartnngszeichen wichtige Arbeit.
Verf. verglich je 100 Imbezille mit 100 „Normalen“ auf Beschaffenheit,
Größe nsw. der beiden Ohrmuscheln. Die sehr sorgfältigen Untersuchungen führen
Verf. zu folgenden Thesen:
Eine für Idioten charakteristische Ohrform gibt es nicht. Bei Idioten kommt
eine Anzahl Abnormitäten oder, besser gesagt, Varietäten in größerer Anzahl vor
als bei Normalen, und zwar ist der morphologische Index kleiner, der hintere
untere Winkel des Embryonenohres häufiger als bei Normalen, ebenso die Satyr-
spitze, Exzesse im Bereiche des Antihelix und das Henkelohr.
Keine Bedeutung als Degenerationszeichen hat das sogen. Wildermuthsche
Ohr und das angewachsene Ohrläppchen.
Die angeführten Varietäten sind solche, welche in phylo- bzw. ontogenetischer
Hinsicht eine mindere Fortentwickelung andeuten. (Verf. berichtet u. a. auch
über eigene Untersuchungen an 25 menschlichen Embryonen.)
Bemerkenswert ist, daß Verf., wie er nebenbei erwähnt, auf 2500 Photo¬
graphien aus dem Verbrecheralbum nur eine einzige vollkommen normale Ohr¬
muschel gefunden hat.
Zwei Tafeln, eine Figur und eine Tabelle im Texte veranschaulichen die
beschriebenen Verhältnisse.
35) Oedöme des pieds ohez deux Imbeoiles, par Träpsat. (Nouv. Iconogr.
de la Salpetrige. 1906. Nr. 1.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
I. Das 17 jährige Mädchen wurde der Anstalt mit der Diagnose Imbezillität
(Unsauberkeit, Aufgeregtheit usw.) und Hydrocephalus und Paraplegie überwiesen.
Es kann nicht lesen, schreiben, ist kindisch, heiter und ohne jegliche Beschäftigung.
Kopfumfang 63 cm, biparietaler Durchmesser 17,8 cm, occipito-frontaler Durch¬
messer 20 cm. Asymmetrie des Schädels. Die Beine in Kontrakturstellung, an
den Leib vollständig herangezogen, alle Gelenke versteift, jeder Bewegungsversuch
ruft lebhafte Schmerzen hervor. Keine Muskelatrophie, Reflexe stark vermindert.
Sensibilität normal, Dermographie. Füße stark ödematös, schwammig, Fingerdruck
bleibt nicht stehen. Von den Malleolen ab eine teigige Anschwellung, welche bis
zu den Knien reicht. Haut zyanotisch, am meisten an den Zehen, mit zahlreichen
roten Flecken. Rechts über der 3. Zehe ein etwa 50 Centimes Stück großes Ge¬
schwür mit steilen Rändern und weißlichem Untergrund. An den Händen die¬
selben Verhältnisse. Am Herzen keine Veränderungen, aber es zeigt sich eine
Verminderung der weißen und roten Blutkörperchen. Linke Pupille weiter wie
die rechte. Kein Eiweiß und Zucker, keine Verminderung der Harnsalze. Tby-
reoidintabletten haben keinen Einfluß auf die Ödeme, nur werden die Patellar-
reflexe lebhafter.
II. Großvater mütterlicherseits starb an Delirium, Onkel und Tante mütter¬
licherseits verübten Selbstmord. Vater Alkoholist, Mutter imbezill. Die Intelligenz
des 14jährigen Knaben war rudimentär. Kann kaum sprechen, muß gefüttert,
an- und ausgekleidet werden. Leicht lenkbar. Strabismus convergens, Prognathie
des Unterkiefers. Mikrocephale. Subluxation der drei letzten Finger rechts,
Atrophie der rechten unteren Extremität, rechts Klumpfuß, die beiden ersten
Zehen sind subluxiert, links ebenfalls Klumpfuß. Deutliche Hämophilie. Atrophie
des rechten Deltoideus, beiderseits Atrophie des Kleinfinger- und Daumenballens.
Reflexe normal. Dermographie. Temperatur zwischen 35,4 und 36,5. Ödeme
an Händen und Füßen wie in Fall I. Gleiche Erfolglosigkeit der Thyreoidin-
behandlung, nur wurde eine Temperatursteigerung auf 39 °, eine Gewichtszunahme
um 3 kg und eine gesteigerte Lebhaftigkeit der Kranken beobachtet. Keine Ver¬
minderung der Harnsalze.
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Bei beiden Patienten erwiesen sich Herz und Nieren gesund. Es machte
Verf. den Eindruck eines Myxödems ohne Schilddrüsenveranderung. Aus der
Dermographie (bis zur Dauer von 2 Stunden), den Ödemen der unteren Extremi¬
täten, den Geschwüren und der Hämophilie bei dem einen Kranken schließt Verf.
auf eine Störung des sympathischen und vasomotorischen Gefäßsystems.
36) Traitement moral, hygiöne et öduoatlon des idiots et des autres en-
fants arriörös, par Säguin. Mit Vorwort von Bourneville. (Paris 1906,
531 Seiten.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. gibt zunächst eine klinische Darstellung der Idiotie und Imbezillität,
dabei eine neue Einteilung in idiotie profonde (chronische Affektion des Central-
nervensystemB) und idiotie superficielle (Affektion der inferioren Teile des Nerven¬
systems mit oder ohne Beteiligung deB Centralnervensystems). Ein Kapitel ist
den somatischen Störungen der Idiotie gewidmet, ferner je eines der „Physiologie“
den psychischen Erscheinungen, den Ursachen, der Diagnostik usw.
Die Darstellung stützt sich fast ausschließlich auf die Erfahrung der Bourne-
villeschen Schule. Bei der „hygiine des idiots“ wird vor allem die Prophylaxe
betont, die Rücksichtnahme auf schädigende Einflüsse, die bei der Zeugung,
während der Gravidität die Entwicklung der Frucht ungünstig beeinflussen können
(vgl. Berkhan; Ref.).
In gleicher Weise wird die Bedeutung hygienischer Erziehungsmaßregeln
mit praktischen Ratschlägen für die verschiedenen Altersperioden des Kindes biB
in das schulpflichtige Alter hinein behandelt.
Im Abschnitt Erziehung werden die verschiedenen Seiten der Aufgabe (Muskel¬
übung, Übungen der Sinneswerkzeuge, Sprechgymnastik usw.) von den einfachsten
bis zu den fortgeschritteneren Stufen eingehend erörtert (besonders sei verwiesen
auf die Kapitel „Dessin“, auf die Gedächtnisübungen und die praktischen Unter¬
weisungen wie Ankleiden, Essen, nützliche Beschäftigung). Die einzelnen Formen
der Idiotie finden hinsichtlich ihrer erzieherischen Schwierigkeiten gesonderte Dar¬
stellung. Den Schluß bildet der Abschnitt über „traitement moral de l'idiotie“.
m. Aus den Gesellschaften.
Jahresversammlung des deutschen Vereins für Psyohiatrie
in Frankfurt a/M. und QieBen vom 26.-28. April 1007.
(Ref.: Dr. Hahn-Frankfurt.)
(Sohlaß.)
Herr Tuczek (Marburg) berichtet über die Tätigkeit der Kommission
für Idiotenforsohung und Idiotenfürsorge. Er vertrat sie am letztjährigen
Berliner Kongreß für Kinderforschung und konnte dabei wieder die Erfahrung
machen, daß ein großer Teil der Theologen und Pädagogen der ärztlichen Be¬
trachtungsweise fremd gegenübersteht. Auf den Antrag des Referenten stimmt
die Versammlung der Anregung der Kommission zu, „es möchten diejenigen
Ärzte, welche an einer nicht unter ärztlicher Leitung Btehenden Anstalt für
Schwachsinnige und Epileptische Stellung zu nehmen beabsichtigen, vor Abschluß
ihrer Verträge mit dieser Kommission in Verbindung treten“. Damit soll mög¬
lichst verhindert werden, daß Ärzte in eine unwürdige Stellung gedrängt werden.
Herr Kluge (Potsdam) referiert über die Mitwirkung des Psyohiaters
bei der Fürsorgeerstehung. Von den 50000 im Jahre noch zur Verurteilung
kommenden kindlichen und jugendlichen Individuen wird ein großer Teil in
Fürsorgeerziehung hez. Zwangserziehung gegeben. Das Fürsorgegesetz hat von
einer grundsätzlichen Mitarbeit des Arztes abgesehen. Es dürfte nicht zu be¬
zweifeln sein, daß die verhältnismäßig nur wenig erheblichen Erfolge deB Fürsorge¬
gesetzes hiermit Zusammenhängen, indem in sehr vielen Fällen die wahre Natur
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des einzelnen gefährdeten und verwahrlosten Jugendlichen nicht richtig erkannt
und demgemäß eine sachgemäße Behandlung verabsäumt wird. Es ist erstens
notwendig, den Psychiater schon bei der Einleitung des Fürsorgeerziehungs¬
verfahrens offiziell zu Bäte zu ziehen. Jetzt bestehen hier nicht geringe Schwierig¬
keiten und Unklarheiten gerade als Folge davon, daß über den Geisteszustand
des betreffenden Jugendlichen nichts Zuverlässiges feststeht, und daß demgemäß
zweifellos auch oftmals Fürsorgeerziehung verfügt wird, wo die öffentliche Armen¬
pflege und die Behandlung in einer Krankenanstalt hätte eintreten müssen. In
zweiter Linie sind psychiatrische Beobachtungsstationen vonnöten, in denen alle
bei der erstmaligen Untersuchung oder auch späterhin noch als zweifelhaft eruierten
Elemente sachgemäß beobachtet werden können. Drittens hätte man sich klar
zu machen über die Einrichtungen und Anstalten, welche sich mit den defekten
und abnormen Zöglingen zu befassen hätten. Der Satz von 45 bis 50°/ 0 defekter
und abnormer Fürsorgezöglinge dürfte nicht zu hoch gegriffen sein. Das Gros
besteht aus Schwachsinnnigen von der leichten Debilität an bis zum völligen
Idiotismus. Außerdem aber kommen zur Beobachtung alle Formen jugendlicher
Neurosen und Psychosen, zumal auf degenerativer Basis. Alle schweren Schwach¬
sinnsformen und schweren Neurosen und Psychosen sind den ärztlich geleiteten
Idioten-, Epileptiker- und Irrenanstalten zuzuweisen. Diese wären auch mit den
erforderlichen Beobachtungsstationen auszustatten. Für schulmäßige Weiterbildung
und Handfertigkeitsunterricht müßte gesorgt werden. Die leichten SchwachsinnB-
formen, Neurosen und Abnormitäten sind in den Erziehungsanstalten der Päda¬
gogen zu belassen, müssen aber von den gesunden Insassen streng getrennt werden
und fachärztlich überwacht werden. Die ganz schwer erziehbaren, unverbesser¬
lichen Elemente sind in besonderen Verwahranstalten unterzubringen, in Zwischen¬
anstalten zwischen den Erziehungs- und Irrenanstalten. Sie wären am besten den
Krankenanstalten anzugliedern unter relativ selbständiger pädagogischer Leitung
und dauernder ärztlicher Kontrolle. Auf diese Weise würde eine Beihe von Be¬
handlungsmethoden geschaffen, die eine ausgiebige Individualisierung der so sehr
verschiedenartigen Degenerierten ermöglicht. In der Provinz Brandenburg sind
sie alle bereits verwirklicht. Von großem Werte wird weiter die Mitwirkung
des Psychiaters auch sein für die in Familienpflege zu gebenden abnormen Zög¬
linge, und wenn es Bich darum handelt, ein großjähriges und damit aus der Für¬
sorgeerziehung ausscheidendes Individuum daraufhin zu begutachten, ob ein solches
defektes Individuum der Freiheit zurückgegeben werden kann oder entmündigt
und eventuell dauernd der Anstaltspflege übergeben werden muß. Sehr vorteil¬
haft wäre eine Centralstelle in jeder Provinz, welche zweifelhafte Fälle zu begut¬
achten, Instruktionskurse einzurichten und vor allem die in Frage kommenden
Abnormen auf die verschiedenen Anstalten zu verteilen hätte.
Herr Sioli (Frankfurt a/M.): Die Beobachtungsabteilung für Jugend¬
liche an der Frankfurter städtischen Irrenanstalt. Vereinzelt sind Jugend¬
liche schon lange in Irrenanstalten verpflegt worden. Seit 1900 bilden sie in
Frankfurt a/M. einen regulären Bestandteil der Kranken. 1900 waren es drei,
1901 vier Kinder, 1902 bereits 7 Knaben und 3 Mädchen und 1906 13 Knaben
und 10 Mädchen. Im ganzen wurden 40 Knaben und 29 Mädchen beobachtet
und behandelt. In der ersten Periode bis 1903 waren es durchweg ausgesprochen
kranke Kinder (Chorea, Epilepsie, Schwachsinn), die von den Eltern meist auf
Anraten des Schularztes der Anstalt überwiesen wurden. Von den 17 waren 10
pflegebedürftig und erforderten keine speziellen Einrichtungen. Von 1903 an
aber werden der Anstalt durch das Armenamt und die Centrale für private Für¬
sorge Kinder überwiesen, die ein anderes Element bilden und eine eigenartige
Behandlung erfordern; es sind schw’er erziehbare Kinder, erblich degenerative
Jugendpsychosen mit Moral insanity. Diese machten die Einrichtung einer ge¬
sonderten Kinderabteilung mit Schule und speziell vorgebildeten Lehrern notwendig.
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Neben dem Unterricht werden eie mit Handarbeiten, Schnitzereien new. beschäftigt.
Von den 48 Kindern dieser zweiten Periode waren nur 16 pflegebedürftig; die
anderen worden zum größten Teil wegen Schaleschwänz«], sexueller Delikte (beide
ziemlich leicht korrigierbar), Poriomanie und Diebstählen (mit schlechterer Pro¬
gnose) eingewiesen. Daroh die Anstaltsbeobachtung soll entschieden werden, oh
die Kinder vorwiegend der Erziehung oder der Heilung und Bewahrung bedürfen.
Die richterlichen Entscheide, ob Erziehungsanstalt oder Krankenhaus, sind bei
gleichgearteten Fällen noch nioht einheitlich.
Diskussion:
Herr Seelig (Wuhlgarten) hat Bedenken gegen die Aufnahme in eine Irren¬
anstalt, weil es den Kindern mit guter Prognose später schade, einmal in einer
solchen Anstalt gewesen zu sein (Militär), und Kinder mit schlechter Prognose
den bessern zur Last fallen. Er raöohte psychiatrisch geleitete Beobachtungs¬
abteilungen im Anschluß an Erziehungsanstalten haben.
Herr Cr am er (Göttingen) will möglichst freie Behandlung, die bessere
Besultate erziele. Die Fürsorgeerziehung sollte aber länger ausgedehnt werden.
Er faud hei seinen Untersuchungen in Hannover 60 bis 75 °/ 0 pathologische Für¬
sorgezöglinge, besonders viel Imbezille. Das Fürsorgegeeetz ist aber nicht für
die Minderwertigen, sondern für das Milieu gemacht.
Herr Dannemann (Gießen) berichtet über die Verhältnisse in der holstei¬
nischen Erziehungsanstalt „rauhes Haus“, wo er bei den Pädagogen viel Ver¬
ständnis für psychiatrische Bestrebungen fand.
Herr Laquer (Frankfurt a/M.) bedauert, daß das Fürsorgeverfahren zu lang¬
sam arbeitet
Herr Meyer (Königsberg) erwähnt, daß die drei städtischen Hilfsschulen in
Königsberg der psychiatrischen Klinik übertragen wurden.
Herr Kluge (Sohlußwort): Jetzt werden noch viele pathologische Kinder in
Fürsorgeerziehung gegeben. Von vornherein sollte der Arzt entscheiden, ob Er¬
ziehungsanstalt oder Krankenhaus richtiger ist Ob die Beobachtungsstation der
Erziehungsanstalt oder dem Irrenbaus angegliedert wird, ist eine Frage für sich.
Auch Herr Sioli tritt im Schlußwort dafür ein, daß vor dem Einsetzen
jeder Fürsorgeerziehung eine psychiatrische Beobachtung und Weisung an die
Behörden notwendig ist.
Herr Spielmeyer (Freiburg): Schlafkrankheit und progressive Paralyse.
Beide führen zu psychischer Schwäche. Bei beiden werden Störungen der Sehnen¬
reflexe, Paresen, Spasmen, epileptiforme Anfälle, universeller Tremor und artiku-
latorische Sprachstörungen beobachtet. Dagegen fehlt bei der Paralyse das Fieber
und die Schlafsucht. Vortr. hat anatomische Untersuchuugen an schlafkranken
Menschen und Affen angestellt Wie bei der progressiven Paralyse fand sich
diffuse Infiltration der Meningen und Gefäße mit Plasmazellen und lymphocytären
Elementen. Vor allem Auskleidung der Bindenkapillaren mit Plasmazellen,
Wucherung der Intima- und Adventitialzellen; Gefäßsprossung; Vermehrung der
Glia und Veränderung der Ganglienzellen. Abweichend vom Bild der progressiven
Paralyse finden sich Plasmazellen in allen Körperorganen. Für das Verhältnis
der Trypanosomenkrankheiten überhaupt zur Syphilis und Metasyphilis ist es
wichtig, daß die Beschälseuche der Tiere der Syphilis nahe verwandt ist, und die
Trypanosomentabes der Hunde mit der menschlichen Tabes prinzipiell überein¬
stimmt Die zoologische Verwandtschaft der Erreger der Schlafkrankheit und
der Paralyse ist nach Schaudinn darin gegeben, daß die Trypanosomen in der
Protozoenreihe der Spirochätengruppe sehr nahe stehen. (Der Vortrag erscheint
in der Münchener med. Wochenschrift.)
Herr Weiler (Münohen): Untersuchungen mit dem Arbeitsschreiber
bei U nfhllkr a n ken. Bisher wurde mehrfach versucht, die von den Unfallkranken
immer b
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etonte Steigerung der Ermüdbarkeit mittels der von Kraepelin
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gearbeiteten Rechenmethode einer objektiven Messung zu unterziehen. Da jedoch
die Untersuchungsresultate der einzelnen Forscher voneinander abwichen, er¬
schien es angezeigt, zur Klärung der Frage andere Untersuchungsmethoden mit¬
zuverwenden. Der von dem Vortr. konstruierte Arbeitsschreiber erschien geeignet.
Der Arbeitsschreiber, ein modifiziertes Ullmannsches Dynamometer, gestattet
100 mit der Hand hintereinander ausgeQhte Pressungen aufzuschreiben, ohne daß
das Instrument aus der Hand gelegt zu werden braucht und ohne Verwendung
von berußtem Papier. Die bei jeder Pressung geleistete Arbeit kann direkt in
Kilogramm abgelesen werden. Mit diesem Apparat stellte Vortr. Versuche bei
Gesunden, Unfallkranken, körperlich Kranken und Hysterischen in der Weise an,
daß die Versuchspersonen je an 10 aufeinanderfolgenden Tagen um dieselbe
Tageszeit mit dem Instrument arbeiteten, und zwar so, daß an den ungeraden
Tagen je 60 Pressungen im Rhythmus von 2 Sekunden ausgeführt wurden; an
den anderen Tagen wurde nach der 30. Pressung eine Pause von 2 Minuten ein¬
geschaltet. Auf die Einzelheiten der so gewonnenen Arbeitskurven kann hier
nicht eingegangen werden, nur sei dos Gesamtresultat mitgeteilt. Vortr. glaubt
nach den gefundenen Werten die von ihm untersuchten Unfallskranken (18) in
zwei, bezüglich ihrer Ermüdbarkeit wesentlich verschiedene Gruppen einteilen zu
sollen. Die absolute Arbeitsleistung war bei allen Unfallkranken sehr viel ge¬
ringer als bei den Gesunden. Während nun ein kleiner Teil (5) eine deutliche
Steigerung der Ermüdbarkeit aufwies — trotz geringer Arbeitsleistung war die
Ermüdung groß und nach der Pause blieb ein großer Ermüdnngsrest, größer
wie bei den Gesunden zurück —, zeigten die anderen keine Steigerung der Er¬
müdbarkeit, vielmehr war der Ermüdungsfaktor bei diesen meist geringer wie bei
den Gesunden, und anstatt daß nach der Pause, infolge der noch vorhandenen
(bei Gesunden Btets) Ermüdung, die Leistung geringer war wie vorher, stieg sie
an. Vortr. glaubt als Ursache der Herabsetzung der Leistung bei der ersten
Gruppe, den Ermüdbaren, eine organische Störung annehmen zu müssen,
während die anderen infolge von Willensstörungen weniger leisten als die
Gesunden. In dieser Auffassung bestärkt ihn die Tatsache, daß die Unter¬
suchungen hei körperlichen Kranken (Rekonvalescenten) ähnliche Ergebnisse
lieferten wie die ermüdbaren Unfallkranken, während die bei der zweiten Gruppe
zutage tretenden Erscheinungen auch bei den Hysterischen gefunden wurden.
Auch mit Rücksicht auf die Vorgeschichte und das übrige klinische Verhalten
der Kranken unterschieden sich die beiden Gruppen. Die Kranken mit ge¬
steigerter Ermüdbarkeit hatten einerseits schwere, den Kopf treffende Traumen
mit Hirnerschütterung durchgemacht und zeigten andererseits zurzeit keine ein¬
deutig hysterische Symptome, während die anderen durchgehende nur leichtere
Verletzungen, vor allem nicht solche, die das CentralnervensyBtem direkt zu
schädigen vermochten, erlitten; bei diesen waren auch anderweitige psychogene
(hysterische) Störungen nachweisbar. Autoreferat.
Herr Hartmann (Graz): Über die unter dem Einfluß geistiger Arbeit
auftretenden Veränderungen in der Größe der Muskelarbeit. Die Unter¬
suchungen wurden mit dem Ergographen angestellt; als geistige Arbeit diente
das Zählen von kleinen Vierecken und dos Sortieren verschieden gefärbter Punkte.
Die Resultate bestätigen die Angaben von Lehmann (Kopenhagen), daß die Ver¬
minderung der Muskelleistung bei gleichzeitiger Lösung einer bestimmten geistigen
Aufgabe für das gleiche Individuum eine konstante sei, nur zum Teil. Der Satz
gilt nach Vortr. nur innerhalb kurzer Zeiträume. Nahrungsaufnahme, Ermüdung
und Übung schaffen veränderte Verhältnisse.
Herr Rehm (München): Verlaufsformen des manisch-depressiven Irre»
seine. Vortr. hat den Lebenslauf von 400 Kranken verfolgt. Die Fälle lassen
sich in 4 Gruppen einteilen: 1. periodische Fälle, 2. Ersterkrankungen bzw. ein¬
malige Erkrankung, 3. chronische, 4. subchronische; wobei die einzelnen Gruppen
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manische, depressive und cirkulüre-Formen umfassen. Über die Hälfte der Fälle
sind periodisch. Etwa 1 / 3 der zur zweiten Gruppe gehörenden Fälle fallen ins
Involutionsalter, meist Depressionen und meist Frauen. Die chronischen Fälle
haben zum größten Teil cirkulären Verlauf. Subchronische Erkrankungen sind
wenig intensiv mit rasch wechselnden Phasen und viel Mischzuständen. Die De¬
pressionen der Involutionsjahre sind durch das Fehlen stärkerer psychomotorischer
Hemmungen und durch schwachsinnige Kleinheit«- und Verfolgungsideen aus¬
gezeichnet. Die Frage, ob sie zum manisch-depressiven Irresein zu zählen sind,
läßt Vortr. offen. Sicher ist, daß auch einwandfreie cirkuläre und depressive
Formen durch senile und arteriosklerotische Züge kompliziert werden.
Herr Hübner (Bonn): Über die kllnisohe Stellung der Involutions-
melanoholle. An der Hand des Bonner Materials hat Vortr. das Verhältnis der
Involutionsmelanohohe zum cirkulären Irresein untersucht. Dafür, daß die In¬
volutionsmelancholie eine selbständige Krankheitsform sei, spricht die Seltenheit
nicht rezidivierender Melancholie im jugendlichen Alter und einmaliger Manien im
hohen Alter. Konstante klinische Unterscheidungsmerkmale gibt es nioht, auch die
„Hemmung“ ist kein solches. Es fragt sich, wie weit das Senium den Verlauf
und Ausgang depressiver Phasen des cirkulären Irreseins beeinflußt. Wenn
eine Involutionsmelancholie in Demenz ausgeht, so hat sich nach dem Vortr. eine
senile Demenz hinzugesellt. Dagegen glaubt Vortr. die Bogen, senilen Depressionen
von der Melancholie abgrenzen zu können und hält sie für eine Form der senilen
Demenz. Unterschiede bezüglich der Heredität und Ätiologie (exogene Schäd¬
lichkeiten) konnte Vortr. bei seinem Material gar nicht durchweg finden.
Herr Geelvink (Frankfurt a/M.): Über die Grundlagen der Trunksucht.
Vortr. bezeichnet als Grundlagen der Trunksucht diejenigen psychopath. Zustände
und Veranlagungen, welche vor dem Einsetzen der Trinkgewohnheiten bestanden
haben und als verminderte Widerstandsfähigkeit gegen die Alkoholwirkung oder
die Trinkneigung sich äußern. Es fanden sich unter den in den letzten 4 Jahren
in die Frankfurter Irrenanstalt aufgenommenen Gewohnheitstrinkerinnen: 12 Im¬
bezille, 13 Hysterische, 8 Epileptische, 4 Psychopathische und drei im Climak-
terium Erkrankte; zusammen 40°/ o individuell veranlagte Personen. Unter 600,
in einem Zeitraum von etwa 3 l / 2 Jahren aufgenommenen männlichen Alkoholisten
fanden sich: Imbezille 8,3 °/ 0 , Hysterische 2,8 °/ 0 , Epileptische 12 °/ 0 , Psychopathen
3,6 °/ 0 , Hebephrene 2,1 °/ 0 und Traumatiker 2,5 °/ 0 , zusammen 32,2 °/ 0 . Außer¬
dem bestand bei weiteren, individuell nicht nachweisbar, von vornherein Minder¬
wertigen erbliche Belastung unter den 100 Alkoholistinnen 4 mal durch Geistes¬
krankheit, 9mal durch Trunksucht des Vaters oder der Mutter; unter den
600 Alkoholisten 8,6 °/ 0 durch Trunksucht, 4,6 °/ 0 durch Geisteskrankheit eines
der Eltern. Mithin fand sich insgesamt individuelle oder hereditäre Veranlagung
bei 44,4 °/ 0 der männlichen und bei 53 °/ 0 der weiblichen Gewohnheitstrinker.
Zu den einzelnen Gruppen ist zu bemerken, daß als epileptisch veranlagt die¬
jenigen Alkoholisten gerechnet werden, welche nach zuverlässig erscheinenden
Angaben vor dem 20. Lebensjahre in den Schul- oder Jünglingsjahren an Krampf¬
oder Schwindelanfällen gelitten hatten, während Angaben über Krämpfe der ersten
beiden Lebensjahre nicht gezählt wurden. Als Traumatiker sind Fälle bezeichnet
worden, bei denen bis zum 20. Lebensjahre eine von den ausgesprochenen Sym¬
ptomen einer Hirnerschütterung begleitete Kopfverletzung schädigend eingewirkt
hatte und bei denen in der Anstaltsbeobachtung entsprechende Folgeerscheinungen
im psychischen Zustande hervortraten. Für die klinische Bewertung der chroni¬
schen Alkoholpsychosen nicht unwichtig ist es, daß 13 Hebephrenerkrankte als
chronische Trinker zu bezeichnen waren, da der psychotische Grundzustand nur
bei Kenntnis der Vorgeschichte und genauerer klinischer Untersuchung erkennbar
war. In der Gruppe der Psychopathen, die alle Formen der Dög6n6r6s vereinigt,
sind
mechanisch-depressivem
Irresein leichterer Verlaufsart
UNIVER8ffTr' OF CALIFORNIA
532
nntergebracbt worden. Ob bei den drei als im Clhnakterium erkrankt bezeichneten
Trinkerinnen das Involutionsalter als das den Alkoholisraus ausübende Moment
angesehen werden darf, bleibt zweifelhaft, da Angaben über den Beginn der
Trinkneignng stets unsicher sind. Unter den vor dem 36. Lebensjahre anstalts¬
bedürftig gewordenen Trinkern fanden sich wesentlich mehr psychopathisch ver¬
anlagte als in der Gesamtsumme der Trinker, nämlich 58°/ 0 ; dagegen unter den
häufiger ab 3 mal zur Anstalt zurfiekgekehrten nicht mehr ab in der GeeomrtsahL
Daß die Ursachen des Alkoholismus mit dem Nachweis der individuellen Minder¬
wertigkeit eines Teiles der ihm Verfallenen nicht erschöpft sind, wird betont.
Die Bedeutung des Milieus z. B. tritt in der Tatsache hervor, daß von den
Trinkerinnen 40 ®/ 0 ab Prostituierte, Kellnerinnen oder Gastwirtsfrauen beruflich
mit dem Schankgewerbe zu tun hatten. Autoreferat.
Herr Knapp (Halle): Über funktionelle reine WoTttaubhelt. Eine
Hysterica mit organisch bedingter Schwerhörigkeit wurde im Anschluß an eine
Untersuchung vollständig tauh und bekam eine linksseitige Facialisparese. Nach
Jahren ließ sich die Störung suggestiv beseitigen, es blieb aber eine reine sicher
funktionelle Worttanbheit zurück, die ebenfalb der suggestiven Behandlung zu¬
gängig war.
Herr Nitzsche (München): Über ohronisehe Manie. Während man früher,
gemäß einer symptomatischen Fassung dieses Krankheitsbegriffes, unter chronischer
Manie chronische Erregungszustände überhaupt verstand und dabei ganz vor¬
wiegend Endzustände von Verblödungspsychosen im Auge hatte, wies man später,
nachdem man gelernt hatte, das Bild der Manie in der jetzt noch geltenden Weise
zu umschreiben, wiederholt darauf hin, daß diese für gewöhnlich akut verlaufende
Krankheit in seltenen Fällen chronisch werden kann. Man faßte diese chronisch-
manischen Erregungen schwerer Art meist ab Ausgangsformen akuter Fälle awt
In neuerer Zeit haben einige Autoren darauf aufmerksam gemacht, daß es
chronische hypomanische Zustände gibt, die sie ab chronische Manie (Wern ieke,
Siefert, Specht) bezeichneten. Auch die von Jung beschriebene manische
Verstimmung, sowie die damit identische konstitutionelle Erregung Kraepelins
gehören hierher als hypomanisch gefärbte KraUkheitsbilder leichtester Art, die
von beiden Autoren zu den Zuständen von psychopathischer Minderwertigkeit,
bzw. unter die originären Krankheitszustände gerechnet werden. Kraepelin
nimmt an, daß es sich bei den ab chronische Manie zu bezeichnenden Fällen um
Formen des manisch-depressiven Irreseins mit verwischter Verlanfsart und unvoll¬
kommenen Intermissionen handelt. Dem gegenüber sehen Wernicke und Specht
in der chronischen Manie ein selbständiges Krankheitsbild. Der letztere Autor
rechnet sie zu den konstitutionell psychopathischen Zuständen, gibt jedoch zu,
daß sie den periodischen Psychosen nahe verwandt und durch Übergangsfermea
mit ihnen verbanden sei. Er nimmt an, daß das auch symptomatisch eigenartige
Bild zur Zeit der Ausreifung der Persönlichkeit entsteht, auf der Höhe dee
Lebens eine Verschlimmerung erfährt und erst im Alter allmählich nachdunkelt.
Vortr. erörtert nun auf Grund einiger, teils von ihm beobachteter, teils in der
Literatur veröffentlichter Fälle von chronisch hypomanischem Charakter die Frage
nach dem Verlauf und der klinischen Stellung dieser Formen. Unter den be¬
trachteten Fällen befand sich zunächst eine Gruppe von Kranken, bei denen das
Krankheitsbild dauernd das der konstitutionellen Erregung Kraepelins blieb.
Meist, aber nicht immer, ließ sich die Störung bis in die frühe Jugend zurück¬
verfolgen. Die Patienten, bei denen das möglich war, batten meist bis gegen
die zwanziger Jahre hin das Bild sanguinischer Psychopathen geboten, und es war
erst dann eine Steigerung der Erscheinungen zu der definitiven Höhe zu kon¬
statieren. Meist unterlag der Zustand Schwankungen. In einigen weiteren Fällen
zeigte sich bei konstitutionell Erregten um das 30. Lebensjahr eine schwerere
g. Ein 54jähriger Kranker dieser Art bltebj. fernerhin frei
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
538
van solches okuten Steigerungen und bot wie zuvor das Bild eines manischen
Querulanten. Bei einem andern von gleichem Alter traten im 28., 38. und
48. Lebensjahre akute manische Phasen von schwererer Art und zunehmend langer
Dauer auf, deren einer eine Depression voraufging, und es schien sich auch der
intervalläre Dauerzustand allmählich etwas zu verschlimmern. Wieder eine andere
hrroppe von Kranken zeigt zunächst, bis gegen dos 80. Jahr etwa, das Bild von
unternehmungslustiges, streitsüchtigen Psychopathen mit gehobenem Selbstgefühl;
es steigert sich dann diese Eigentümlichkeit, die Kranken bieten zunächst dos
Zustandsbild einer konstitutionellen Erregung, und in vorgeschrittenerem Alter,
gegen das 40. oder 50. Jahr hin, setzt eine deutliche Hypomanie ein, die bald
mehr stabil, bald unter Schwankungen verläuft, 1 -oder 2 Jahrzehnte dauert und
bis jetzt nicht wieder abgeklungen ist (es bandelt sich um Leute im Alter von
50 bis SO Jahren). Eine 64 Jahre alte Patientin endlich ist seit 25 Jahren
bypomanisofa, und zwar erinnert ihr Zustand symptomatisch offenbar sehr an die
Fälle, die Specht kn Auge bat. Die Hypomanie hat sieh jedoch erst im
36. Lebensjahre aus einer sohweren Depression von dreijähriger Dauer heraus-
entwickelt. Es fallt auf, daß bei diesen Fällen die ausgeprägten psychotischen
Exacerbationen erst in den späteren Jahren, frühestens gegen das 30. Lebensjahr
hin, Auftreten und daß auch, wo solche akute Steigerungen chronisch werden, es
im höheren Alter geschieht. Vortr. bespricht nun kurz die symptomatische Eigen¬
art der Fälle. Er möchte den Begriff der konstitutionellen Erregung auch auf
gewisse psychopathische Individuen ausdehnen, die für gewöhnlich unter die
Gruppe der hysterischen Charaktere gerechnet oder wohl auch als Folie raisonnante
bezeichnet werden. Den Individuen mit hysterischem Charakter gegenüber zeichnen
sie sich durch das Fehlen der Beeinflußbarkeit und durch den endogenen Charakter
der etwa vorhandenen Schwankungen aus. Die ausgeprägt hypomanisohen Zu¬
stände waren meist charakterisiert durch starkes Zurücktreten der motorischen
Erregung, durch Überwiegen räsonierender und querulierender Stimmungsnuancen.
Wo Wahubildungen vorhanden waren, erschienen die Verfolgungsideen mehr nur
episodisch, traten jedenfalls sehr zurück hinter den megslomanischen. Systemati¬
sierung fand nur vorübergehend auf Höhepunkten der Erregung statt. Eigent¬
liche Ideeuflucht fehlte sehr oft; doch zeigten die Kranken meist eine auffallende
Weitschweifigkeit. Sehr häufig waren Erinnernngsfülschungen. Erbliche Belastung
zeigten von 15 Kranken 11, und zwar 4 in Form einer gleichartigen Belastung.
Was schließlich die klinische Stellung solcher Fälle anlangt, so gilt für manche
unter ihnen dos Wort Kraepelins von Formen des manisch-depressiven Irreseins
mit verwischter Verlaufsart und unvollkommenen Intermissionen. Bei den Fällen
mit mehr stabilem Verlauf ist' diese Deutung nicht zulässig. Indessen sieht Vortr.
keinen Grand ein, nicht auch sie der großen Gruppe des manisch-depressiven
Irreseins einzureihen, auch dann, wenn der Zustand schon in der Jugend be¬
gonnen hat. Solche Fälle würden dann eigenartige manische Erkrankungen dar¬
stellen , die schon in früher Jugend eingesetzt haben. Daß die Fälle von kon¬
stitutioneller Erregung, wenn die Störung bis in die Kindheit zurückznverfolgen
ist und dauernd bestehen bleibt, Übergangsformen vom manisch-depressiven Irre¬
sein zu den originären Krankheitszuständen darstellen, liegt auf der Hand; gehen
sie doch ohne scharfe Grenze in noch innerhalb der Gesundheitsbreite befindliche
eigenartige Charaktere über. Gewisse Beobachtungen sprechen dafür, daß auch so
leichte, das Bild der manischen Erregung nur streifende Störungen, wie wir sic
zur konstitutionellen Erregung rechnen, keinesweges dauernde persönliche Eigen¬
tümlichkeiten darstellen müssen, — ein Grund mehr, solche Fälle nicht vom manisch-
depressiven Irrmein abzutrennen und in der konstitutionellen Erregung chronisch
maaisohe Erregungen leiohtester Art zu sehen. — Der Vortrag wird in er¬
weiterter Form veröffentlicht. Antoreferat.
Herr Wo!ff (Katzenelinbogen): Psychiatrisches aus Syriern,, Dementia
Digitizeaby VjU £TCT UNIVERSUM OF CALIFORNIA
Ö34
praecox and manisch-depressives Irresein kommt ungefähr gleich häufig vor, wie
bei uns. In Depressionszuständen ist der Suicidtrieb trotz des verschiedenen
Volkscharakters nicht seltener als bei unserer Bevölkerung. Die progressive
Paralyse ist nicht bo selten, wie man allgemein glaubt; sie macht etwa 6 bis 8 °/ 0
aller Geisteskrankheiten aus.
Herr E. Abraham (Burghölzli-Zürich): Über die Bedeutung sexueller
Jugendtraumen für die Symptomatologie der Dementia praecox. Freud
hat in seinen Schriften den Nachweis geführt, daß den Symptomen der Hysterie
gefühlsbetonte Eeminiszenzen zugrunde liegen, welche in erster Linie dem Gebiet
der Sexualität angehören und sich bis auf Erlebnisse der Kindheit zuröckverfolgen
lassen. Ursprünglich betrachtete Freud das sexuelle Jugendtrauma als primäres
ätiologisches Moment, neuerdings stellt er dagegen die individuelle Art der
Reaktion auf sexuelle Eindrücke in den Vordergrund und sieht das psychische
Trauma nicht als etwas unbedingt Nötiges an. Nach den Erfahrungen des Vortr.
liegen bei der Dementia praecox mindestens in einem beträchtlichen Teil der
Fälle ganz ähnliche Verhältnisse vor. Er hat eine Anzahl von Krankheitsfällen
einer genauen psychologischen Analyse unterworfen und konnte feststellen, daß
Erlebnisse sexueller Natur aus der Kindheit in den Symptomen später aus-
brechender Dementia praecox symbolisch zum Ausdruck gelangen. Sie geben den
Wahnideen, Halluzinationen, sowie anderen Symptomen einen bestimmten Inhalt.
Nur in einem Teil der Fälle lag ein schweres psychosexuelles Trauma auB der
Vorpubertätszeit vor, in anderen handelte es sich um weniger schwere Eindrücke,
die in abnormer Weise die kindliche Phantasie angeregt hatten. Vielleicht ist
diese abnorme Phantasie Bchon eine Äußerung der Psychose. Vortr. teilt ein¬
schlägiges Material aus Krankengeschichten mit. (Der Vortrag erpcheint in extenso
im Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych.) Autoreferat.
Herr Moses (Mannheim): Idiotenfürsorge und Fürsorgeerziehung.
Wenigstens die Hälfte der noch bildungsfähigen Idioten kommt noch nioht in
Anstaltserziehung, weil die Erziehungsberechtigten unwissend oder renitent sind,
und es fragt sich, ob auf Grund des Fürsorgeerziehungsgesetzes die Eltern nsw.
gezwungen werden können, die Kinder in Anstalten zu geben. In Bayern,
Braunschweig, Sachsen und Baden ist durch Gesetze und Ministerialerlasse
für die (event. zwangsweise) Erziehung der Idioten gesorgt. In Preußen fehlen
entsprechende Bestimmungen. Der Ministerialerlaß vom 19. Juli 1906 bezieht
sich nur auf taubstumme und blinde Kinder, aber nicht auf schwachsinnige und
idiotische. Die Ausführungsbestimmungen zum Fürsorgegesetz erwähnen nur die
„nicht vollsinnigen“ Kinder. Idioten sind nicht ausdrücklich erwähnt; es wäre
aber im einzelnen Falle doch möglich, auf Grund dieser Ausführungsbestimmungen,
welche Fürsorgeerziehung vorschreiben, wenn die Eltern die Gelegenheit zu Pflege
und Unterricht zurückweisen, idiotische Kinder zwangsweise zu versorgen. Bei
körperlicher Vernachlässigung von seiten der Eltern kann Fürsorgeerziehung
ebenso wie bei vollsinnigen Kindern eingeleitet werden. Auch auf Grund des
Abs. 3 des § 1 des Fürsorgegesetzes (Gefahr der völligen sittlichen Verderbnis)
läßt sich ab und zu Anstaltsversorgung durchführen. Vortr. erwartet eine baldige
gesetzliche Regelung in Preußen durch eine Novelle zum Fürsorgeerziehungsgesetz.
Herr Kleist (Halle): Über die MotilitfttspsyChosen Werniokes. Vortr.
analysiert an der Hand eines Falles zyklische (hyperkinetisch-akinetische) Motilitäts¬
psychosen mit Hilfe der W T ernickeschen Konstruktionen. Im akinetischen
Stadium bestand trotz guten Verständnisses Bewegungsunfähigkeit oder es kam zu
Fehlbewegungen. Zum Unterschied von der kortikalen Apraxie waren hier schon
einfache Muskelsynergien gestört und es wurden Veränderung der Sehnenreflexe,
Flexihilita8 und Hypotonie beobachtet. Im hyperkinetischen Stadium kam es zu
choreatischen Bewegungen, Hypotonie und Ataxie. Diese Symptome sprechen
nach K^ara ehesten für eine Störung iin kortikalen Eude der Kleinhirn-Thalumus-
’glE' UNIVERSUM OF CALIFORNIA
535
Stirnhirnbahn (Anton-Zingerle). Eine gewisse Abhängigkeit der Bewegungs¬
störung von assoziativen Komplexen zeigte sich darin, daß das imitative und das
reaktive Verhalten (Affekte) ganz ungleich betroffen waren.
Aus den geschäftlichen Verhandlungen sei noch erwähnt, daß Hitzig, Tarn-
burini, Bianchi und Magnan zu Ehrenmitgliedern des Vereins ernannt wurden.
Der 3. Sitzungstag fand in Hießen statt.
Herr Dannemann (Gießen) spraoh über psychiatrische Aufgaben bei
Heranbildung von Bioherheltswachen. Vortr. hielt in Darmstadt Vorlesungen
vor Schutzleuten. Er orientierte sie Uber die Methoden der Aussageforschung,
Uber Trugwahrnehmung, Suggestivfragen usw., die bei polizeilichen Vernehmungen
und Berichten in Frage kommen. An Hand von bekannten gerichtlich wichtigen
Fällen schilderte er Krankheitszustände und klärte über das bei Anfällen,
impulsiven Handlungen usw. nötige Verhalten auf. Vortr. glaubt, daß so vor¬
gebildete Schutzleute gute Berufsvormünder abgehen wUrden.
Herr Sommer (Gießen) besprach die im menschlichen Körper auftretenden
elektrischen Eigenströme. Sie werden durch zwei an verschiedenen Körperteilen
aufgesetzte Elektroden aufgenommen und bewirken am Spiegelgalvanometer einen
leicht meßbaren Ausschlag. Von Taschanoff, Veraguth u. a. ist festgestellt,
daß dieser von psychischen Vorgängen (Affekten) abhängig ist. Vortr. hat nun
die Handelektroden verbessert, indem er mit Stanniol überzogene Gummiballons
benutzt, die außerdem mit einem Manometer verbunden sind, um den Druck der
Hand zu messen. Nun zeigte sich, daß wir es mit zwei Strömen zu tun haben,
von denen der eine links, der andere rechts entsteht und die einander entgegen¬
gesetzt Bind, so daß bei der bisherigen Anordnung der Galvanometerausschlag
nur der Differenz der beiden entsprach und nach links oder rechts erfolgte, je
nachdem die- Versuchsperson elektromotorischer Links- oder Rechtshänder war.
Es gelang nun Vortr. durch Benutzung von einer Kohlen- und einer Aluminium¬
elektrode, die beiden Ströme in gleiche Richtung zu bringen und so einen viel
stärkeren Ausschlag zu erhalten.
Herr Hackländer (Gießen) demonstrierte Apparate zur Aufnahme
optischer Beize, darunter ein von ihm modifiziertes Spaltpendel mit Spiegel,
um beliebig große Gegenstände und beliebige Reizwörter darzubieten.
Herr Reich (Herzberge) berichtet in der Diskussion über eine Art Bilder¬
buch, mit dem sich prüfen läßt, wieviel die Versuchsperson von einem Gegenstand
sehen muß, um ihn richtig zu ergänzen.
Herr Sommer macht die erfreuliche Mitteilung, daß in Gießen und an anderen
Orten Centralstellen zur Verleihung von psychologischen Apparaten errichtet werden.
Herr Berliner (Gießen) demonstriert eine Beihe von Hirntumoren.
Herr Becker (Gießen) berichtet über Untersuchungen über Simulation
von Unfallkranken. Durch Aufnahme von Zitter-, Haltungs- und Reflexkurven
mit den Sommer sehen Apparaten ließ sich in mehreren Fällen der absolut sichere
Beweis führen, daß der Verdacht der Simulation der betreffenden Störungen
ungerechtfertigt war.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 13. Mai 1907.
Herr Oppenheim hält einen warmempfundenen Nachruf auf Ernst v. Berg¬
mann, in dem er besonders der Verdienste des Dahingeschiedenen um die Dia¬
gnostik und chirurgische Therapie der Gehirnkrankheiten hervorhebt.
1. Diskussion über die Demonstration des Herrn Oassirer (Sitzung vom
11. März; vgl. d. Central bl. S. 370).
Herr Jacobsohn fragt, ob Herr Oassirer in der Lage wäre, genaueres
über seine Ansicht, bezüglich der Lokalisation und der Natur des Krankheits-
ö 1 ^ UNIVERSITY OF CALIFORNIA
536
prozesses bei dem demonstrierten Fall mitzuteilen. Wenn er Vertr. richtig ver¬
standen habe, so nahm derselbe an, daß es sich um eine Erkrankung aller spino-
cerebellaren Bahnen handele. Es müßte sich dran um einen sehr ausgedehnten
Prozeß handeln. J. fragt, ob es nicht möglich wäre, die Erkrankung durch einen
Herd des Kleinhirns bzw. der Kleinhirnstiele zu erküren.
Herr Cassirer hält eine genauere Lokalisation nicht für möglich, die Affek-
tion durch Annahme eines Herdes zu erklären habe er aufgeben müssen; er glaubt,
daß sowohl das Kleinhirn selbst, als auch die zu diesem aufsteigenden Bahnen
beteiligt sind. Für einen systematischen Prozeß sprechen auch die rasgebreiteten
Störungen der Sensibilität, die durch eine Aflfektion der Klemhirnstiele nicht er¬
klärt werden könnten.
2. Herr Oppenheim und Herr Borchardt: Demonstration rar opera¬
tiven Behandlung der Kleinhirnbrückenwinkelgesohwületo.
Herr Oppenheim: I. 26jähriger Patient wird von ohren&rztlicher Seite mit
der Diagnose „nervöse Taubheit rechts wahrscheinlich infolge von Neubildung“
überwiesen; Beginn der Erkrankung 1904 mit Sohmerzen und Sausen un rechtem
Ohr, zunehmender Schwerhörigkeit rechts, unsicherem Gang, heftigen Kopfschmeraen
bisweilen mit Erbrechen, Nackensteifigkeit. Jnni 1906 Parästhesien in der rechten
Gesichtshälfte unter den Zähnen und Sehstörung. Status: Nystagmus beim Blick
nach links und rechts, Blickparese nach rechts, Hypo-, später Areflexie der rechten
Cornea, rechter sensibler Trigeminus < 1., rechter Facialis etwaB < 1., Parese
und Areflexie des Gaumensegels, elektrische Erregbarkeit im rechten Farial»
herabgesetzt, keine Entartungsreaktion, doppelseitige Stauungspapille, Gang oere¬
bellarataktisch. Perkussion des Schädels in der Occipitalgegend empfindlich, bia¬
weilen r. > 1., am rechten Arm geringe Bewegungsataxie und Andeutung von
Adiadokokinesis. Sensibilität und Reflexe normal. Diagnose: Tnmor wahrschein¬
lich des rechten Kleinhirnbrückenwinkels. Zweizeitige Operation durch Herrn
Borchardt am 21. und 26./1X. 1906. Es fand sich ein eigroßer Tumor, der
stumpf herausgelöst werden konnte. Mikroskopisch: gemischter Typus, im wesent¬
lichen Fibrosarkom. Zunächst p. op. Steigerung der cerebellaren Ausfallserschei¬
nungen, sonst aber erhebliche und schnell fortschreitende Besserang. Status am
26./X.: Stauungspapille wesentlich zurückgegangen, Nystagmus und Blickparese
noch deutlich, ebenso Ataxie und Tremor im rechten Arm. Am 7./XI. entlassen,
klagte er Anfang Februar 1907 über heftige Kopfschmerzen, die aber allmählioh
verschwinden. Jetzt ergibt die Untersuchung: Stauungspapille völlig zurück¬
gegangen, leichte neuritisohe Atrophie, Sehkraft gut, Gang vollkommen sicher,
Schwanken bei Augenschluß ganz gering angedeutet. Pat. arbeitet täglich acht
Stunden auf dem Lande. Cornea, Trigeminus, Facialis beiderseits gleich, Nystag¬
mus noch spurweise angedeutet, Blickparese geschwunden, keine Ataxie der rechten
Hand mehr; geringe Adiadokokinese. Laryngoskopischer Befund normal. Gehör
scheint rechts bis zu einem gewissen Grade wieder vorhanden, doch ist das unsicher.
11. Beim zweiten vorgestellten Falle bestanden viel schwerere Allgemein¬
erscheinungen: Völlige Amaurose bei neuritischer Atrophie, totale degenerative
Lähmung des linken Facialis, Taubheit links, Blickparese nach links, Gaumen¬
segelparalyse und Gaumensegelareflexie, starke linksseitige Hemiataxie. Zweizeitige
Operation durch Herrn Borchardt am 15. und 26./I. 1907. Es fand sich der
diagnostizierte Tumor deB linken Kleinhirnbrückenwinkels, der aber nur stück¬
weise mit Opferung eines Teiles der linken Kleinhirnhemisphäre entfernt werden
konnte. Bei zunächst günstigem Wundverlauf trat bald Besserung der Allgemein¬
erscheinungen ein. Am 3./II. plötzlich Zungen- und Schlinglühmung, sowie Dys¬
arthrie, Tachykardie und Anästhesie im linken Trigeminus. Pat. mußte 10 Tage
lang mit der Sonde ernährt werden. Nach 14 Tagen Rückgang der Bulbär-
erscheinungen. Seitdem bis auf die irreparablen Erscheinungen wesentliche Besse-
Jetziger Status: VII-Lähmung unverändert, V frei, geringer
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
5B7
Nystagmus beim Blick nach rechts, Blickparese nach links, starke Adiadokokinesis
sowie Ataxie der linken Extremitäten, Neigung nach links zu fallen. Gaumen«
segellähmung zurückgegangen. Von Interesse ist dos Auftreten der Bulbärlähmung,
die auf eine Blutung oder nekrobiotieche Vorgänge zu beziehen ist, besonders
interessant aber deren völliger Rückgang.
III. Demonstration eines Präparates von Tumor des Eleinhimbrückenwinkels,
von einem Patienten stammend, bei dem Blntbrechen im Vordergründe der Krank«
heitssyraptome stand. Er wurde Vortr. von L. Kuttner überwiesen und bot im
übrigen die typischen Symptome eines Tumors der genannten Region. Pat. über«
stand nur den ersten Akt der durch Krause im Januar 1907 ausgeführten Ope¬
ration; in der Nacht nach dieser trat von neuem Blutbrechen au£ Pat. ging zu
Grande. Leider mußte sieb die Sektion auf die Sehftdelhöhle beschränken, so
daß die Ursache des Blutbreohens nicht festgestellt werden konnte. Der Fall soll
an anderer Stelle ausführlich besprochen werden.
Herr Borehardt verfügt jetzt über sechs operierte Fälle von Kleinhirn¬
brückentumor, von denen drei leben, die beiden beute vorgesteüteu und der im
November 1905 hier demonstrierte Patient, der als Naturmensch in der Nähe von
Berlin lebt und psychisch wohl nicht ganz normal ist. Eime von KaÜBcher ihm
überwiesene 32jährige Patientin starb 8 Stunden nach dem zweiten Akt der
Operation, nachdem schon der erste Akt wenig günstig verlaufen war (schleohte
Narkose, starke Blutung). Die mikroskopische Untersuchung des Falles steht noch
aus. Bei den beiden heute vorgestellten Fällen war der Wundverlauf sehr günstig,
die Blutung gering, obwohl in beiden Fällen Teile des Kleinhirns sich nekrotisch
abstießen bzw. wegen Prolaps abgetragen werden mußten. Der Pat I konnte
schon am 16. Tage dos Bett verlassen. Die Prognose des Einzelfalles ist von
vornherein nicht zu stellen, es ist aber zu hoffen, daß die Resultate der Operation
mit der Zeit immer besser werden.
Herr Ziehen bat bisher 7 mal wegen Tumor des Kleinhirnbrücken winkele
operieren lassen: ein Fall wurde glücklich operiert, ging aber später an einem
zweiten intrapontinen Tumor zugrunde; in 2 Fällen reichte der Tumor zu weit
nach vorn, der vierte ging an Pneumonie nach dem ersten Akte der Operation
zugrunde, im fünften wurde trotz Stauungspapille kein Tumor gefunden, im 6. Fall
trat bei dem ersten Akt eine schwere Sinusblutung auf, so daß an den zweiten
Akt vorläufig noch nicht zu denken ist. Im 7. Fall wurde der Tumor bei der
Operation ebenfalls nioht gefunden; hier war diagnostisch sehr merkwürdig das
Auftreten einer gekreuzten V-Lähmung. Der laryngoskopisohe Befand ist meist
negativ. Schwere Sprach- und Schluckstörung hat Vortr. auch im ersten Fall
eine Woche nach der Exstirpation des Tumors beobachtet. Als Ursache davon
ist vielleicht stärkere Flüssigkeitsansamrolung im 4. Ventrikel anzusehen.
Herr Remak verweist darauf daß der zweite demonstrierte Patient das
Be 11 sehe Phänomen vermissen lasse. Es hänge dos wohl mit der Amaurose zu¬
sammen, da der Blinde heim Versnche des Angenschlumes den Sehakt nich reflek¬
torisch ausznschließen brauche.
Herr Bernhardt bemerkt, daß auch Gesunde das Bellsche Phänomen neigen.
Herr Oppenheim verfügt auch über diagnostische Mißerfolge. In einem
derartigen Fall hat es sich um Hydrocephalus aoquisitns gehandelt. Gekreuzte
V-Lähmtuag hat 0. auch einmal gesehen. Herrn Ziehens Erklärung für das
Auftreten der Bnlbärsymptome dürfte für seinen Fall, wo diese Symptome apo-
plektiform aufgetreten sind, nicht zutreffen.
2. Herr ForBter: Zur Funktion der Qlia. Vortr. berichtet an der Hand
von Demonstrationen von Präparaten über die Art nnd Weise, wie ins Kaninchen-
hirn gebrachte reizlose feine Fremdkörper (feine verriebene Tasche) aas diesem
wieder her&usgebracht werden. Es geschieht dies mittelst dreier Wege: Die Glia,
die eine ort’aa ftipU .Verbindung von den Ganglienzellen zu den Gefäß Wandungen
' ^ Vjvr -glt UNIVERSITYOF CALIFORNIA
538
bildet, tritt hauptsächlich in Aktion, um die schädigenden Stoffe aus den Ganglien*
zellen nach den Gefäßwandungen fortzuschaffen. In der Nähe der Verletzung
spielen in den ersten Tagen auch ausgewanderte Gefäßzellen eine Bolle. Sind
die Ganglienzellen einmal von der Tusche befreit, so übernehmen die neugebildeten,
aktiv beweglichen Gitterzellen die weitere Fortschaffung der anfangs in allen Zellen
gleichmäßig verteilt gewesenen Tusche, die so schließlich in den Adventitialzellen
der Gefäße abgelagert wird. Es scheint nicht unwahrscheinlich zu sein, daß die
Glia auch im normalen Zustande die Fortschafiung von StoffwechBelprodukten aus
den Ganglienzellen zu den Gefäßwandungen vermittelt. (Die ausführliche Ver¬
öffentlichung der aus Nissls Laboratorium stammenden Versuche erfolgt in
Nissls Beiträgen.) Autoreferat
3. Herr Oppenheim: Zar Differential diagnose des extra* und intra¬
medullären Tumor medullae apinalis. 23jähriger Patient, seit einem Jahre
zunehmende Schmerzen in der linken Kreuzbein* und Gesäßgegend, nach 3 Monaten
allmählich zunehmende Schwäche und Taubheitsgefübl im linken Bein, Harn¬
entleerung zeitweilig erschwert, häufig stark imperativer Stuhldrang, so daß Pat
sich bisweilen beschmutzt Objektiv findet Bich: Wirbelsäule normal, linkes Bein
wird spastisch*paretisch nachgeschleift, Steifigkeit im Fußgelenk, Fußklonus,
Babinskischer und Oppenheimscher Reflex, Patellarreflex 1. < r., Quadriceps
leicht atrophisch, quantitative Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit Spas¬
tische Erscheinungen rechts nur angedeutet. Taktile Empfindung im Saphenus-
gebiet (innerer Fußrand) herabgesetzt, Thermanästhesie und Analgesie an beiden
Füßen und Unterschenkeln, Thermhypästhesie in der rechten Glutäalgegend.
Bauohreflexe und Bumpfsensibilität normal. Diagnose: Prozeß im unteren Dorsal¬
oder oberen Lendenmark, Ursprungsgegend 3. bis 4. Lumbarwurzelgegend. Karies
auszuschließen, ob intra- oder extramedullärer Krankheitsprozeß, nicht sicher zu
entscheiden. Der Status blieb im ganzen derselbe, nur die Schwäche nahm ein
yrenig zu. Vortr. konnte sich nur schwer zur Operation entschließen, Pat selbst
gab schließlich den Ausschlag. Operation am 23. Februar durch Herrn Borchardt,
der erst nach Entfernung des 11. und 12. Brustwirbels und des 1. Lendenwirbels
eine vorn und links gelegene langgestreckte Geschwulst fand, zu deren völliger
Entfernung auch der 2. Lendenwirbel entfernt werden mußte. Der zuerst günstige
Wundverlauf wurde dann schwer gestört durch eine sohwere Cystitis und Abscesse
an den Oberschenkeln. Vorübergehend trat Pupillendifferenz und Nystagmus aut
Zunächst trat nach der Operation eine schlaffe Lähmung der Beine auf, die hier,
wie immer in günstig verlaufenden Fällen, allmählich wieder spastisohen Er¬
scheinungen Platz maohte. Seit Mitte März Besserung der Blasen* und Mast¬
darmstörungen, dann der Beflexphänome, der Sensibilitätsstörungen und schließlich
auch der Motilität. Allgemeinbefinden vorzüglich. Vortr. erläutert an dem mit¬
geteilten Falle die Schwierigkeiten, die sich der Entscheidung der Frage, ob
extra- oder intramedullärer Sitz von Neubildungen, entgegenBtellen. Der Fall
zeigt, daß für die Lokalisation ausschließlich die Druckwirkung vom oberen Pol
der Kompressionsstelle her maßgebend ist; auch hier waren die Symptome trotz
der Ausdehnung des Tumors nach unten ausschließlich von der oberen Kom¬
pressionsstelle her gegeben. Als Ursache dafür ist man berechtigt, die Tatsache
anzusehen, daß das Mark immer schwerer geschädigt ist als die Wurzeln, ferner,
daß der Tumor durch seine Verjüngung nach abwärts weniger komprimierend
wirkt. Sohwer zu beantworten ist die Frage, warum bei dem einseitigen Sitz
des Tumors und nur einseitigen Motilitätsstörungen doppelseitige Sensibilitäts¬
störungen vorhanden waren. Trotz aller Schwierigkeiten bei der topischen Dia¬
gnose, die auoh dieser Fall epikritisch erkennen läßt, wird man sich doch, wenn
nur einige Berechtigung zur Annahme extramedullären Sitzes eines Tumors vor¬
handen ist, zu operativem Eingreifen entschließen müssen.
Harr'’ B o r c h ä r-4 1 erläutert die Teohnik der Operation.
ig " Z v V30uglC (JNIVERSITY OF CALIFORNIA
589
Herr Rothmann fragt, ob Vortr. nicht Fälle von intramedullärem Sitz ge¬
sehen hat, hei denen er an ein operatives Eingreifen gedacht hat. R. haben seine
Beobachtungen über die weitgehenden Restitutionen nach experimentellen intra¬
medullären Eingriffen auf den Gedanken gebracht, auch beim Menschen das
Rückenmark selbst operativ anzugreifen. In Frage kämen zunächst natürlich nur
einseitig sitzende Tumoren des Brustmarkep. Die Sensibilitätsstörungen in dem
besprochenen Fall sind wohl dadurch zu erklären, daß der Tumor so weit nach
vorn saß. R. fragt ferner, ob ataktische Erscheinungen nachweisbar waren, da
der Vorderstrang doch jedenfalls schwer affiziert war.
Herr Förster berichtet über einen Fall von spastischer Lähmung beider
Beine, die allmählich schmerzlos entstanden war; im weiteren Verlauf Sensibilitäts¬
störungen bis zum Nabel, Schmerzen traten erst ganz zuletzt auf. Bei der Ope¬
ration fand sich ein extramedullärer Tumor, ein Psammom des 5. und 6. Brust¬
wirbels. Bei der Patientin, der es jetzt besser geht, bestehen Spasmen und
Schmerzen allerdings noch ziemlich unvermindert fort, dagegen haben sich die
Sensibilitätsstörungen gebessert.
Herr Lewandowsky erwähnt einen Fall, bei dem nach einetn lange
dauernden Vorstudium von starken Sohmerzen die Wahrscheinlichkeitsdiagnose
auf einen extramedullären Tumor gestellt worden war. Pat. starb vor der Ope¬
ration an den Folgen eines Dekubitus. Bei der Sektion fand sich am Rücken¬
mark zunächst anscheinend nichts, erst nach Zerlegung desselben in Scheiben
fand sich ein erbsengroßes Gummi in einem Seitenstrang; hier wäre der Versuch
eines intramedullären Eingriffes im Sinne der Anregung des Herrn Rothmann
ganz ausgeschlossen und Bicher ergebnislos gewesen. Doch läßt sich die Möglich¬
keit, intramedulläre Tumoren gelegentlich operativ anzugreifen, nicht ganz aus¬
schließen. L. fragt schließlich den Vortr., wie er sich zu der cirkumskripten
Meningitis Krauses stellt und ob es sich nicht in derartigen Fällen auch um
intramedulläre Tumoren handelt.
Herr SchuBter fragt nach den Ergebnissen der Röntgen-Untersuchung.
Herr Oppenheim hält die Inangriffnahme intramedullärer Tumoren vor¬
läufig für ausgeschlossen, besonders da diese meist diffusen Charakter tragen.
Die cirkumskripten sind meist entweder Gummata oder Solitärtuberkel; letztere
sind meist in der centralen grauen Substanz gelegen. Ob die Meningitis circum¬
scripta ein selbständiges Leiden ist, ist Vortr. mehr als zweifelhaft ; er bat durch
Operation hier nur Besserung, aber keine Heilung erzielt Sie kann aber das
Bild eines extramedullären Tumors Vortäuschen. Ergebnisse der Röntgen-Unter-
sncbung sind bei RückenmarkBneubildungen noch schlechter und unbefriedigender
als beim Gehirn. Martin Bloch (Berlin).
XLII. Versammlung der Irrenärzte Niedersaohsens und Westfalens
am 4. Mai 1907 in Hannover.
Vorsitzende^ Herr Gerstenberg (Hildesheim). Beginn 2 Uhr.
Herr Bruns (Hannover): Beiträge zur Hirn- und Büokenmarksohirurgie.
Vortr. stellt zuerst einen 30jährigen Landwirt vor, der im September 1906 zu
ihm kam, nachdem von augenärztlioher Seite rechts Hemianopsie und Stau¬
ungspapille festgestellt war. Dazu kamen zunehmende Kopfschmerzen,
Schwindel und Erbreohen. Da die Hemianopsie das einzige Herdsymptom
war, diagnostizierte Vortr. einen Tumor im linken Hinterhauptslappen
und schrieb an den augenärztlichen Kollegen schon damals, daß nach seiner An¬
sicht der Tumor nicht sehr tief im Marke des Hinterhauptslappens sitzen könne,
da jede Sprach- und Lesestörung fehle. Ende Oktober waren die Herderscheinungen
noch dieselben, Kopfschmerzen und Erbrechen hatten sehr zugenommen; die cen¬
trale SehfcBärfß ncliru- ab. Vortr. riet jetzt dringend zur Operation; dieue wurde
* ' 3“" UNIVERSITY OF CALIFORNIA
von Dr. Kümmell in Hamburg im Dezember 1906 ausgeführt — ein sarko¬
matöser Tumor in der linken konvexen Hinierhauptsrinde exstirpiert» Glatte
Heilung. Stauungspapille ging zurück; doch ist leiehte Sehnervenatrophie
vorhanden, so daß auch die linken Gesichtsfeldhälften eingeengt sind und die
Sehsohärfe beiderseits vermindert ist Sonst fühlt sioh der Kranke sehr wohl
und frei von Beschwerden. In den leisten Tagen vor der Vorstellung ein epi¬
leptischer Anfall — an solchen hatte der Kranke auch schon in seiner Kind¬
heit gelitten —, sonst keine Zeiohen von Rezidiv; namentlich keine erneute
Stauungspapille. Der Fall ist der erste von 15 vom Vortr. zur Operation ge¬
brachten Fällen von Hirntumor, bei dem das Resultat ein recht gutes war, obwohl
in allen Fällen die Allgemein- und Lokaldiagnose riohtig war.
In zweiter Linie zeigt Vortr. einen Fall von Peeudotumor oerebri
(Nonne). Etwa 30jähriger Lehrer. Sert langen Jahnen -epileptische Ab¬
senzen und seltener gröbere Anfälle. Vor 3 Jahren partielle epilep¬
tische Anfälle — beginnend im linken Arme —, allmähliche Lähmung
des linken Armes; Hemiparese der ganzen linken Seite — spastisch«
Erscheinungen hier. Benommenheit; leiehte Neuritis optioa. Ope¬
ration über dem lin'ken Armoentrum — starker Prolapsus cerebri —
Tumor nicht gefunden. Allmählicher Rückgang des Hirnprolapses;
Rückgang aller groben Hirnsymptome; Heilung der Knoehenwunde. Jetzt
bestehen seit längerer Zeit wieder nur noch Anfälle von kurz vorübergehender
Bewußtseinsstörung; der Patient ist wieder ganz dienstfähig.
In dritter und vierter Reihe sprieht Vortr. über zwei Fälle von Tumor
des Kleinhirnbrückenwinkels links. Vom ersten Falle, den schon Becker
in Hildesheim, der ihn operierte, publiziert hat, zeigt er von diesem angefertigte
stereoskopische Photogramme. Es handelte sioh um einen jungen Mann mit all¬
gemeinen Tumorsymptomen schwerster Art, namentlich auch mit Stauungs¬
papille und rasoh zunehmender Sehsohwäche, beides links stärker.
Dazu oerebellare Ataxie; keine halbseitige Bewegungsataxie. Links
Trigeminusneuralgie; keine Areflexie der Cornea. Links seit neuerer
Zeit Ohrensausen und rasch zunehmende Hörsehwäche; doch war hier in¬
folge alter Otitis media das Hören von früh auf schlechter. Keine Extremitäten -
Symptome. Facialis ganz frei. Nystagmus beim Blioke nach links. Dia¬
gnose: Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel oder im Kleinhirne links.
Der Tumor konnte operativ entfernt werden; der Patient starb aber am Ope-
ratioasshock.
Vom zweiten Falle kann Vortr. den Tumor demonstrieren. 29jähr.
Frau. Beginn der Symptome mit Parästhesien in der linken Gesichts¬
hälfte. Allmählich links Ohrensausen, jetzt centrale Taubheit links
(Dr. Warnecke). Mittelobr gesund. Dann Schwäche und Unsicher¬
heit der linken Extremitäten. Jetzt schwere Allgemeinsymptome,
andauerndes Erbrechen; Kopfschmerzen in der Stirn. Stauungs¬
papille sohwerer Art, links mit Retinalblutungen. Seheobärfe links
etwas herabgesetzt. Kein« Pupillenstörungen. Nystagmus nach oben,
nach rechts und nach links; nach links hin gröbere, langsame, natfh
rechts kleinere, rasche Zuckungen; beim Blicke nach unten kein Nystagmus.
Keine Abducens-, keine Facialislähmung. Aach elektrisch im linken
Facialisgebiete nichts. Areflexie der Cornea, des Nasenloches und des
Gaumens links, sonst keine Anästhesie im Trigeminusgebiete. Beim Öf&en des
Mundes geht der Unterkiefer nach links, sonst keine deutliohe Kaumuskelschwäche.
Cerebellare Ataxie; Bewegungsataxie im linken Arme und linken Beine (hier
gering). Keine Schwäche der linken Extremitäten. Diagnose: Tumor im linken
Kleinhirnbrückenwinkel.
Operation Ivrch Dr. Kredel. Entfernung der linken Hinterhaupts-
l9 " Z UNIVERSITY OF CALIFORNIA
541
schuppe Ms dicht an das Hinterhauptsdaoh. Der Tumor präsentiert
sieb sofort — er ist stumpf zu lösen —, wird sehlieflbeb von selber durch
eine große Blutung sozusagen ans der Trepanationsöffnung geboren. Kollaps; sehr
erschwerte Stilhing der Blutung. Tod 12 Stunden nach der Operation.
Vortr. hebt hervor, daß naeh seinen Erfahrungen merkwürdiger»
weise bei Tumor der Basis der hinteren SehSdelgrabe die Hirnnerven¬
lähmungen weniger ausgedehnt sind, als bei Tumoren in einer Klein-
hirnbemisphäre, die nach der Basis su wachsen. Auffällig häufig
wird von den basalen Tumoren namentlich der Facialis und Abdnoens
verschont. Sehr ausgedehnte Hirnnervensymptome machen metasta-
tische oder primäre Tumoren der Knochen der hinteren Schädel-
grübe
Schließlich stellt Vortr. einen jungen Mann vor, bei dem er die Diagnose:
Tumor der Häute am oberen Halsmarke links gestellt hatte und der von
Dr. Boegel operiert wurde. Beginn desLeidens Anfang 1906 mit Schmerzen
und krampfhafter Steifigkeit im Naoken, so daß zuerst an Karies der
Wirbelsäule gedacht wurde. Im April 1906: Atrophie und Lähmung der
rechten Schulter und BSekenmusknlatnr; Parese und Atrophie auch
in den übrigen Muskeln des rechten Armes, ebenso leiohte Atrophie
such links in Schulter- und Nackenmuskulatur. Keine ataktischen
Störungen in den atrophischen Muskeln. Rechts Miosis und Lidspaltenenge. Lage¬
gefühlsstörung und Bewegungsataxie im rechten Arme und Beine, in der rechten
Hand fehlt der stereognostische Sinn; im rechten Beine auch Patellar- und
Achillesklonus; ebenso Babinski und Oppenheim; links nur Achilles-
klonus. Gang mit dem rechten Beine paretisob und ataktisch. Im linken
Beine und unteremBumpfe Herabsetzung des Schmerzgefühles (Brown-
Söquard). Keine Bl äsen Störungen. Schmerzen sehr intensiv im linken Arm,
dem linken Nacken und Schulter; auch in der linken Schläfe. Die ganze
Halswirbelsäule auf Druck empfindlich. Diagnose wie oben angegeben. Der
Fall ähnelt fast buchstäblich einem von Auerbach und Brodnitz publizierten,
bei dem ein langausgedehnter Tumor mit Glück exstirpiert wurde. In diesem
Falle entleerte sich an der Stelle der Trepanation bei Öffnuhg der
Dura Liquor cerebrospinalis im starken Strahle: der Duralsack war er¬
weitert; ein Tumor der Meningen fand sich nicht, auch nicht bei Sondierungen nach
oben und unten. Glatte Heilung. Jetzt nach 8 Monaten — links keine Zeichen
spastischer Parese mehr — rechts noch Babinski und Achillesklonus. Gang
rechts nicht mehr ataktisch. Lähmung der Schultermuskulatur
rechts geschwunden; Atrophie geringer geworden. Keine Schmerzen mehr.
Miosis und Lidspaltenenge noeh vorhanden, das Gefühl in der rechten Hand und
die feineren Bewegungen hier noch herabgesetzt. Es hat sich also um eine einen
Tumor vortäuschende cirkumskripte Meningitis serosa spinalis gehandelt, wie sie
auch von Oppenheim, Krause und Saenger beobachtet ist.
Herr Cramer (Göttingen): Über einen Fall von Cystioerken im Gehirn.
Eine 47jährige Frau, die früher gesund war, erkrankt plötzlich mit Schmerzen
im Kopf, Schwindel, Unfähigkeit zu Gehen und einmaligem Erbrechen. Bei der
Aufnahme in die Klinik für psychische und Nervenkrankheiten Klagen über
Hämmern und Klopfen im Kopf, Schmerzen im linken Hinterkopf, die in den
Nacken ausstrahlen, Abnahme der Sehkraft und Auftreten von einem Krampf im
Kopf beim Aufrichten. Objektiver Befund: Schiefhalten des Kopfes, Klopfempfind¬
lichkeit des Kopfes, insbesondere des Hinterkopfes, Druckempfindlichkeit beider
Occipitales und des Facialis rechts. Sehnenreflexe der Arme und Beine gesteigert.
Kniereflexe r. > 1.; Hyperalgesie für Nadelstiche auf der linken Körperhälfte.
Zittern der Zunge. Sonst Befund normal; speziell keine Stauungspapille. Im
weiteren Verlanf tritt vielfach Erbrechen auf, verbunden mit starken Kopfschmerzen.
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542
.Einmal ging dem Erbrechen Kribbeln und Schmerzen in den Fingern voran«,
gefolgt von rechtsseitigen Steifwerden der Finger. Gleichzeitig war damals
Pupillendifferenz vorhanden (1. > r.). Ferner trat einmal während der Unter¬
suchung ein Krampf der Finger an beiden Händen auf. Dann trat plötzlich eine
schlaffe Lähmung des rechten Armes auf, ohne Veränderung der Reflexe. Am
folgenden Tage totale Paralyse des rechten Armes und rechten Beines, verbunden
mit Harnverhaltung. Während die Paralyse des rechten Beines nach 2 Tagen
verschwand, bestand sie in dem rechten Arm noch länger fort und ergriff auch
den linken. Dazu anfallsweises Auftreten von Tachypnoe. Die Harnverhaltung
wird von einer Blasenlähmung abgelöst. Dann tritt Aphonie auf, die ebenso
schnell wieder verschwindet. Dann wieder plötzlich auftretende schlaffe Lähmung
aller vier Extremitäten mit erhaltenen Reflexen und normaler Sensibilität. Am
folgenden Tage sind die Reflexe an den Armen und Beinen nicht mehr zu er¬
zielen. Niemals Stauungspapille. Bewußtsein immer klar. Ganz plötzlicher Exitus
nach weitgehender Besserung aller Erscheinungen. Dauer des Aufenbaltes in der
Klinik 2 Monate. Dauer der Erkrankung rund 18 Wochen. Auffällig war im
Verlauf der außerordentliche Wechsel der Erscheinungen, der in Verbindung mit
einer starken psychischen Beeinflußbarkeit der Patientin der Erkrankung einen
ausgesprochenen hysterischen Charakter verlieh. Weiterhin war bemerkenswert
eine plötzlich auftretende und ebenso plötzlich wieder verschwindende psychische
Veränderung der Patientin, bestehend in Erregung, Neigung zum Querulieren, zu
Verdächtigungen des Wartepersonals, Vergiftungsideen, Verlust jedes Schamgefühles
und Unsauberkeit. Bei der Sektion: Cysticerken auf der linken Seite zwischen
Pons und Hirnschenkel.
Herr T i n k e 1 m a n n (Göttingen): Querulatorische Psyohosen in Zusammen¬
hang mit der Arbeiterversioherung. Mitteilung von zwei Krankengeschichten,
wo im Anschluß an das Rentenstreitverfahren eine Psychose auftrat. Dieselbe
war charakterisiert durch querulatorische Neigungen, bei dem einen Kranken hatte
sich ein vollkommenes Verfolgungswahnsystem gebildet. Den Boden für derartige
Erkrankungen bildet die degenerative Veranlagung kompliziert durch einen ge¬
wissen Grad des Schwachsinns, der zu einer Einschränkung der Urteilsfähigkeit führt.
Herr Grimme (Göttingen): Über die Prophylaxe der Haueepidemien
in der Anstalt. Vortr. stellt unter den Hausepidemien in einer Anstalt die
Typhusepidemie als die wichtigste voran und berührt die übrigen (Angina, In¬
fluenza u. a.) nur ganz kurz. Er weist auf die große Bedeutung der Bazillenträger
als Infektionsquelle für die Typhusepidemie hin und erinnert daran, daß nach
Ausweis zahlreicher Anstaltsberichte gerade diese Quelle auch für die Epide¬
mien in den Irrenanstalten so häufig in Frage kommt; unter anderem war die
Epidemie in der Göttinger Anstalt im Jahre 1905 durch einen Bazillenträger
verursacht. Die Göttinger Anstalt behielt damals zwei Bazillenträger zurück;
der eine ist inzwischen wieder entlassen, doch wurde im Sommer 1906 noch ein
dritter entdeckt. Charakteristisch für die Bazillenträger ist, daß sie in der weit¬
aus größten Anzahl Frauen sind. Erklärt ist dies durch Förster, der den Be¬
weis erbrachte, daß das chronische Ausscheiden der Bazillen im Zusammenhang
steht mit einem chronischen Gallenblasenleiden. Hiermit ist gleichzeitig das
weitere Charakteristikum der Bazillenträger erklärt, daß Bie ihre Bazillen nickt
kontinuierlich ausscheiden, sondern diskontinuierlich. Es zwingt dies Symptom
zu der größten Vorsicht in der Beurteilung der Gefährlichkeit der Patienten. In
der Göttinger Anstalt konnte dies Symptom bei allen drei Bazillenträgern be¬
obachtet werden. Bei einer Kranken trat eine Pause von 9 Wochen in dem
Ausscheiden der Bazillen auf. Ein therapeutisches Einwirken auf dos Ausscheiden
der Typhusbazillen war bis vor kurzem noch nicht möglich. Bei den Kranken
der Göttinger Anstalt wurde vom Königlichen Untersuchungsamt versucht, die
iilen durch künstliche Vermehrung der Kolibakterien zum Verschwinden
Digitized b 1
urigmal Tram
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548
au bringen. Ee wurde den Kranken große Mengen Kolibakterien, die aus ihrem
eigenen Stuhl gezüchtet waren, in Form von Keratinpillen eingegeben. Die
Typhusbazillen nahmen dabei regelmäßig ab; doch war der Erfolg kein
dauernder. Jetzt ist durch den operativen Eingriff an der Gallenblase, der zum
erstenmal in diesem Jahre in der Pflegeanstalt Frankenthal allein zu dem Zwecke,
das chronische Ansscheiden der Bazillen zum Verschwinden zu bringen, ausgeflihrt
wurde, ein neues, und zwar sehr hoffnungsreiches, therapeutisches Hilfsmittel ge*
wonnen. Vortr. weist darauf hin, daß eine solche Operation sehr vielmehr im
Interesse der Kranken liegt, als in dem der Anstalt. Denn die notwendige Iso¬
lierung ist von ungünstigstem Einfluß auf das Befinden der Kranken und macht
jede Behandlung unmöglich. Außerdem ist vielfach eine Entlassung der Kranken
wegen des Ausscheidens der Bazillen in Frage gestellt. Dagegen können die
sanitären Verhältnisse der Anstalt durchaus durch die Isolierung der Kranken
einwandsfrei gehalten werden. Vortr. geht dann eingehend auf die Durchführung
der Isolierung in der Göttinger Anstalt ein und schildert weiter die Maßnahmen,
die hier zum Zwecke der Entdeckung der Bazillenträger getroffen sind. Es wird
der Stuhlgang eines jeden neuaufgenommenen Patienten untersucht, der einmal
Typhus gehabt hat oder mit Typhuskranken in engere Berührung gekommen ist;
dasselbe geschieht entsprechend der großen Verbreitung des Typhus in der Um¬
gegend von Göttingen bei jedem aus Göttingen oder seiner Umgehung auf¬
genommenen Kranken. Dies ist vor allem auch deshalb nötig, weil man sich mit
Typhusbazillen infizieren kann, ohne an Typhus zu erkranken. Hierfür dient,
abgesehen von Fällen aus der Literatur, dem Vortr. als Beweis die eine aus der
Epidemie stammende Bazillenträgerin aus der Göttinger Anstalt. Es werden
jedesmal drei Stuhluntersuchungen ausgeführt und zwar in den Zwischenräumen,
die sich durch Dauer der Untersuchung Belbst ergeben. Die Erkennung der
Bazillenträger kann nur durch die Stuhluntersuchung erfolgen, nicht durch die
Agglutinationsprobe, die bei Bazillenträgern negativ sein kann. Von frischen Er¬
krankungen wird jeder nicht sofort klar gestellte Fieberfall zunächst als Typhus
behandelt. Notwendig ist dies auoh bei jeder akuten Pneumonie und jeder mit
schweren allgemeinen Symptomen beginnenden Angina. Zum Schluß berichtet
Vortr. noch über einen Fall von Reinfektion mit Typhusbazillen aus der Gallen¬
blase, der unter dem Bilde der Cholecystitis typhosa verlief. In vivo bestand:
Ikterus, Fieber, Durchfall, Milzschwellung, Typhusbazillen im Blut und Stuhl.
Bei der Sektion wurde gefunden ein Karzinom des Pankreas mit Übergreifen auf
den Duct. choledoch; eine alte Cholocystitis mit Steinbildung. Ferner im Darm
nur ein kleines Geschwür jenseits der Ileocökalklappe. Aber in dessen Nähe
keine Schwellung der.Mesenterialdrüsen. Dagegen eine schiefrige Verfärbung und
Atrophie der Peyerschen Plaques im unteren Teil des Ileus als Reste einer
früheren Typhuserkrankung. Die Anamnese ergibt, daß Pat. im Jahre 1904 eine
typhusähnliche Erkrankung durchgemacht hat. Eis ist anzunehmen, daß sie von
damals in der bereits erkrankten Gallenblase Typhusbazillen zurückbehalten hat,
die jetzt mit der Galle wieder in das Blut übergetreten sind. Autoreferat.
Herr Bolte (Bremen): Assoziationsversuohe als diagnostisches Hilfs¬
mittel. In Anlehnung an Sommer und später an die Bleuler-Jungschen
Arbeiten wurden seit 3 Jahren alle Aufnahmen der Bremer Anstalten auf ihre
Assoziationen geprüft. Benutzt wurde ein Reizwörterschema, das dem Jung sehen
ähnlich ist, in welchem Reihenbildung nach Möglichkeit vermieden wird und immer
neue grammatische Formen auftreten. Elin Schema k la Sommer, der die Reiz¬
wörter nach Kategorien ordnet, führt zu zahlreichen Störungen infolge der Scheu,
welche intelligente Personen vor dem Perseverieren haben. Das Assoziations¬
experiment ist ein sehr einfaches Mittel, auf objektive Weise viele Symptome und
Eigentümlichkeiten des Kranken zu fixieren. Die partielle Ausschaltung der Will¬
kür, die Entfesselung unwillkürlicher Antriebe bewirkt, daß Symptome, die sonst
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544
ent bei fortschreitender Krankheit oder überhaupt nicht gefunden werden, schön
sehr früh zutage treten. Die beete Angriffsfläche für das Aseeeiationsexperimeet
in diesem Sinne gaben bisher die Imbezillität, Epilepsie, Dem. praecox, Manie,
Paralyse, deren Assoziationsbefnnde kurz besprochen werden. Völlig neue Wege
weist uns die Methode bei manchem Fall von Hysterie. Leider ist diese ganze
Frage mit der in Deutschland geächteten Freu dachen Lehre verquickt. Falls es
richtig ist, daß mittels des Assoziationsexperimentes unter Berücksichtigung der
von Jung angegebenen Merkmale affektbetonte Vorstellungskomplexe nachgewiesen
werden können, muß man dieser Methode auoh eine gewisse Bedeutung für Er¬
kennung und Behandlung der Neurosen zuspreehen, mag man im übrigen zur
Freu dachen Lehre-stehen, wie man will. In manchen Fällen, wo die eingehendste
Unterhaltung mit Patienten und Angehörigen nur eine nichtssagende Anamnese
ergibt, gelingt es mittels des Assoziationsexperimentes die entscheidenden äußeren
und inneren Erlebnisse des Kranken zu erraten. Diese psychologische Tatbestands¬
diagnostik, kriminalistisch wohl überschätzt, vermag dem Arzte, bei Beobachtung
der notigen Vorsicht und naohträglieher Kontrolle durch anderweitig erhobene
Anamnese, wichtige Fingerzeige für die Psychotherapie zu geben, wie Voatr. an
einigen Fällen zeigt, wo sich aus dem Assoziationsbogen die effektvollen Erleb¬
nisse konstruieren ließen. Die Schlüsse, welche man aus dem Assoziationsexperi¬
ment gezogen hatte, wurden nachher durch Angehörige und Patienten bestätigt.
(Der Vortrag erscheint in extenso in der Allg. Zeitschr. f. Psyeh.) Autoreferat.
BrunB (Hannover).
IV. Vermischtes.
Die erste Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte findet am
14. und 15. September 1907 in Dresden BtatL
I. Eröffnung und Begrüßung der Versammlung am Sonnabend, den 14. September
früh 9 Uhr, dnrch H. Oppenheim (Berlin). Wahl der Vorsitzenden und des Vorstandes’
Definitive Festsetzung der Statuten.
II. Referate: Chirurgische Therapie der Gehirnkrankheiten mit Ansschluß der Tumoren.
Ret: F. Krause (Berlin). — Die Hirnpunktion. Ref.: E. Neisser (Stettin). — Chirurgische
Behandlung der Rückenmarkshautgeschwülste. Ref.: L. Bruns (Hannover). — Therapie der
Erkrankungen der Cauda equina. Ref.: R. Cassirer (Berlin).
Nachmittags um 3'/« Uhr Fortsetzung der Referate und Diskussion derselben.
III. Vorträge: Nonne (Hamborg): Differentialdiagnose des Tumor cerebri. — Schüller
(Wien): Sobädel-Röntgenograpbie mit Demonstrationen. — Hartmann (Graz): Beiträge zur
Diagnostik operabler Hirnerkrankungen. — Saenger (Hamburg): Über Herdsymptome bei
diffusen Hirnerkrankungen. — A. Pick (Prag): Thema Vorbehalten.
Dritte Sitzung am 15. Sept., früh 9'/* Uhr: Aschaffenburg (Köln): Die Bedeutung
der Angst für das Zustandekommen der Zwangsvorstellungen. — v. Krankl-H och wart
(Wien): Über die Differentialdiagnose der juvenilen Blasenetörangen und über das spinale
Blasencentrnm. — Kühne (Cottbns): Die kontinuierliche Bezold-Edelmann sehe Tonreine als
Untcrsochungsmethode für den Nervenarzt. — L. R. Müller (Augsburg): Über die Empfin¬
dungen in anseren inneren Organen. — Kohnstamra (Königstein) und Warnke (Berlin):
Demonstrationen zur physiologischen Anatomie der Mednlla oblongata. — Oppenheim
(Berlin): Allgemeines und Spezielles zur Prognose der Nervenkrankheiten. — Veragnth
(Zürich):. Die Bedeutung des psycho-galvanischen Reflexphänomens. — E. Müller (Breslau):
a. ti.: Über die Symptomatologie der multiplen Sklerose. — K. Reicher (Wien) a. G.
Kinematographie in der Neurologie.
V. Personalien.
Am 22. April 1907 verschied im 55. Lebensjahre zu Paris der durch seine Arbeiten,
welche besonders das Gebiet der Epilepsie berührten, bekannte Dr. Charles Samson Förö.
Sein Werk „Les epilepsies «t les dpileptiqnes“ (Paris, F. Aloan) gehört zu den klassischen
Werken über die Fallsucht.
Um Einsendung von Separatabdrüoken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zn richten an Prof. Dr. E. Mendel.
P ankow b. Berlin, Breiteatr. 44.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Merzen & Wittiq in. Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
..
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
Seehsandzwanzigster " Berlln ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Bachhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
lWL 16. Jnni. Nr. 12.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Zar Etymologie der Ausdrücke: „Crampus" und
„Krampf“, von Medizinalrat Dr. P. Nicke in Hubertusburg. 2. Über den Schlaf, von Dr.
Paul Kronthal. 3. Die Sehnenreflexe angestrengter Körperteile. Untersuchungen an Mara¬
thonläufern, von Dr. Milt. Oeconomakis. (Schluß.)
II. Referate. Anatomie. 1. Über sogen. „Doppelbildungen“ am Gehirn, mit besonderer
Berücksichtigung der unteren Stirnwindung, von Weinberg. — Physiologie. 2. Resultate
die esperienze relative alla localizzazione di centri motori nel cervelletto per mezzo di eceita-
menti con correnti indotte unipolari, per Negro e Roasenda. 3. The conduction of sensory
impressions in the spinal cord, by Simpson and Herring. — Pathologische Anatomie.
4. Eine seltene Form der Spina bifida cystica, von Grossmann. 5. Über eine cystische Mi߬
bildung des Rückenmarkes, von Altmann. 6. Zwei für die Pathologie wichtige Entwicklungs¬
anomalien des Centralnervensystems bei zwei jungen menschlichen Embryonen, von Pollak.
7. The microscopic changes in the nervous system in a case of chronic Dourine. Or „mal
de coit“ and a comparison with those found in sleeping sickness, by Mott. 8 . Über experi¬
mentelle Rückenmarksveränderungen nach Blutinjektion, von Kentzler. 9. Rückenmarks¬
befunde bei Ampulationsfällen der oberen Extremität, von v. Orzechowski. — Pathologie
des Nervensystems. 10. Recherches sur la rögenörescence de la moölle, par Marinesco
et Minea. 11. Der Zustand der Reflexe in paralysierten Körperteilen nach totaler Durch-
trennung des Rückenmarkes, von Lapinsky. 12. Der Zustand der Reflexe in paralysierten
Körperteilen bei totaler Durchtrennung des Rückenmarkes, von Lapinsky. 13. Zur Frage
über die Wege der aufsteigenden Myelitis, von Salle. 14. Un cas de compression de la
moölle avec des phenomenes de tötrapldgie spasmodique (contracture, exageration des reflexes
tendineux; trepidation epileptoide, signe deBabinski, guerison), von Noica. 15. Über Caries
vertebralis acuta mit ICompressionsmyelitis im Verlaufe der chronisch ankylosierenden
Entzündung der Wirbelsäule, von Simon. 16. Potts disease. Treatement at a late stage.
Remarks on the pathological anatomy, by Taylor. 17. Un cas remarquable de paraplegie
pottique, par Boschi et Graziani. 18. Ein Fall von Krebsgeschwulst des Kreuzbeins, von
v. Leyden und Bassenge. 19. Ein Beitrag zur Klinik und zur Histopathologie der extra¬
medullären Rückenmarkstumoren (ein Fall von extramedullärem Rückenmarkstumor, welcher
ohne wesentliche Schmerzen verlief), von Flatau und Sterling. 20. Zwei Fälle von diagnosti¬
zierten und operierten Tumoren der Rückenraarkshäute, von Küster. 21. Über eine seltene
Rtickenmarkshautgeschwulst (Chromatophorom), von Esser. 22. Über einen operativ ge¬
heilten Fall von extramedullärem Tumor mit schmerzfreiem Verlauf, von Stursberg. 23. Ein
Beitrag zur Klinik und zur operativen Behandlung der Rückenmarksgeschwülste, von
Bregman. 24. Ein Beitrag zur Kenntnis der Rückenmarkstumoren und Höhlenbildungen
im Rückenmark, von Kling. 25. Über einen Fall von Solitärtuberkel im Rückenmark mit
Nebenbefund von sog. artefizieller Heterotopie desselben, von Rystedt. 26. Tumor mediastini
nnd des Rückenmarkes. Ein Beitrag zur Entstehung kleiner vaskulär-sklerotischer Herde
bei verschiedenen Rückenmarkskrankheiten und zur Genese der Amyloidkörperchen, von
Flatau und Koelichen. 27. Über kombinierte Strangdegeneration des Rükenmarkes, von
Salecker. 28. A case of ascending unilateral paralysis, by Newmark. 29. Amyotrophische
Lateralsklerose kombiniert mit multiplen Hirncysticerken, von Meyer. — Psychiatric.
30. Kasuistischer Beitrag: Außergewöhnliche Hypermnesie für Kalenderdaten bei einem
niedrigstehenden Imbezillen, von van der Kolk und Jansens. 31.Die hygienische Ausgestaltung
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der Hilfsschule. Versuch einer systematischen Darstellung der Hilfsschulbygiene, Von Moses.
82 . Die Wirkung der Beschäftigungstherapie bei abnormen Kindern, von Heller.
III. Ans den Gesellschaften. Socidtä de neurologie de Paris.
IV. Vermischtes. — V. Personalien. — VI. Berichtigung.
L Originalmitteilungen.
1. Zur Etymologie der Ausdrücke: „Crampus“
und „Krampf“.
Von Medizinalrat Dr. P. Nftoke in Hnbertusburg.
In einer größeren Arbeit über Wadenkrämpfe in der Monatsschr. f. Psycli.
u. Neur. XX. 1906. Heft 6 hatte ich in einer Note auf S. 559 gesagt, daß ich
das Wort: Crampus nicht in dem lateinischen Lexikon von Georges, ebensowenig
im Register der Bücher von Celsus und Caelius Aurelianus finden könne. Also
auch ich hielt das Wort für ein neulateinisches. Herr Dr. ton Oef£le, dem
ich meine Arbeit zugeschickt hatte, glaubt dagegen, daß es im Klassischen vor*
kommen müsse, wie wir gleich sehen werden, und forderte mich auf, da ich
nun einmal so viel Zeit und Mühe auf die Frage der Wadenkrämpfe verwandt
hätte, auch das Etymologische weiter zu verfolgen. Und das habe ich getan,
trotzdem ich mir wohl bewußt bin, wie wenige Neurologen und Psychiater für
sprachliche oder gar etymologische Sachen sich interessieren; und doch gehören
gerade die Ausdrücke: Crampus (im weiteren Sinne) und Krampf bei ihnen zu
den geläufigsten. Also nur für diese Minorität, denen offenbar noch die jetzt
vielgeschmähte klassische Bildung am Herzen liegt, sind folgende Zeilen ge¬
schrieben.
Aber es steckt darin noch etwas mehr, als bloß philologisches Interesse.
Wer sich nur einigermaßen mit Etymologie beschäftigt hat, wird wissen, daß
die Abstammung und weitere Geschichte eines Wortes oft auch ein
hohes psychologisches, soziales und ethnographisches Interesse dar*
bietet Hier also trifft sich der so heterogene Gegenstand der Etymologie mit
der Psychologie im allgemeinen und im besonderen. Ja, hie und da könnte man
sogar vielleicht gewisse krankhafte psychologische Züge entdecken, die dann erst
recht in das Gebiet der Psychiatrie fallen würden. Den erwähnten psycho¬
logischen Gehalt wird man aber in besonders hohem Grade in der Geschichte
der Worte: Crampus, Krampf finden, und ich darf kühnlich behaupten, daß
nirgends die Etymologie dieser Ausdrücke bisher so vielseitig beleuchtet wurde,
wie es hier geschehen soll.
Ich glaubte, daß gerade weil der Krampf in der Neurologie und Psychiatrie
eine so große Rolle spielt, eine solche Arbeit wie die vorliegende in einem Central¬
blatte für Neurologie und Psychiatrie eine Stätte finden müßte. Der wirklich
gebildete Irren* und Nervenarzt nämlich hat nicht nur seine Unter¬
suchungsinstrumente genau zu kennen, sondern, meine ich, auch
das vornehmste Instrument von allen: die Sprache zu beherrschen,
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547
nicht an letzter Stelle die Termini technici seiner Fachwissenschaft, und
zwar womöglich der geschichtlichen Entwickelung nach. Erfreulich ist es
zu sehen, wie der Sinn für Geschichte der Medizin und auch für die
der Irrenheilkunde wieder auflebt; dazu gehört aber auch die Geschichte
gewisser Ausdrücke.
Doch nun ad reml
Dr. von Oef&lb schrieb mir unter dem 28. Dezember 1906 folgendes:
„Das Wort crampaB: Es soll nach Seite 559 1 nicht altlateinisch sein. Dem
möchte ich widersprechen. Es gehört vielleicht nicht dem uns überlieferten Wort¬
schätze des Altlateinischen (also vielleicht Zufall), oder es war kein salonfähiger
Ausdruck für die Schriftsprache und ist deshalb nicht überliefert. 2 Aber in der
altrömischen Volkssprache muß es existiert haben. . .. Meine Beweisführung beruht
darauf, daß 1. mittellateinisch ein Wort crampus, 2. mittelniederdeutsch ein
Wort ram, ramme usw. für *hram und 3. dialektisch neuhochdeutsch ein Wort
gram in völlig gleicher Bedeutung vorhanden sind.
ad 1 . Dm mittellateinische Wort haben Sie selbst, brauche es Ihnen also
nicht zu belegen.
ad 2. Dm mittelniederdeutsche Wort habe ich Ihnen durch Stellen belegt,
die Sie Seite 557 bringen.
ad 3. Ich praktizierte früher in Niederbayem und erinnere mich sehr wohl
des Wortes gräm im Dialekt des unteren Botttales. Ich habe dies Wort dann
vielfach auch in angrenzenden österreichischen Gebieten gehört. Es umfaßt merk¬
würdigerweise wie dM hieroglyphische
AWW
AAAAAA
den Begriff der Geburtswehe und den des Wadenkrampfes. Die Bäuerin spricht
darum sowohl davon, daß sie den gräm in der h&xen (Bein) oder spezieller im
wädl (Wade) habe (bei Wadenkrämpfen). Auch dort schießt der gräm im
wadl ein, wie Höfleb für die Tölzer Gegend belegt. Aber niemand von jenen
Bauern, die mit mir darüber sprachen, erweckte in mir den Eindruck, daß er
an dämonische Ätiologie dabei dachte. Es spukte den Leuten vielmehr dabei
noch ein recht verschwommener alter humoralpathologischer Begriff im Kopfe
herum, den wir medikohistorisch am besten mit dem alten Begriff des Bheuma
bezeichnen können. Außerdem sprachen die Bäuerinnen auch vom Zustand der
Parturiens als grämbett, dessen Fortsetzung also dM Wochenbett ist. Die
Summen der Wehen wurde auch als der gräm bezeichnet. Und ein dritter
Begriff war der grämfuss = pes varicosus, da die Frauen glaubten, die
Varicen seien zurückgebliebene Folgen von Wehen, die sich in dM Bein ver¬
schlagen haben, ähnlich wie die verschlagenen Winde.
In den drei Belegformen wechselt der Anlaut zwischen c h g. Das iBt aber
die ganz regelmäßige Lautverschiebung nach den von den Gebrüdern Gbiun er¬
kannten Lautverschiebungsgesetzen.
1 Meiner zitierten Arbeit. Nückb.
* Gerade diese Möglichkeiten sind sicher in Anschlag zu bringen und erklären gewiß.
daß so manches nicht fiberliefert wird. NIckb.
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548
Erste Stufe hat lateinisch, griechisch, slawische Sprachen, keltische Sprachen.
Zweite Stufe haben alle nordgermanischen Sprachen, niederdeutsch, holländisch,
englisch, dänisch, schwedisch.
Dritte Stufe haben die hochdeutschen Dialekte und unsere Schriftsprache.
Kein Wort macht aber diese Lautverschiebungen durch, das nicht der ge*
meinsannen Ursprache angehörte. Somit müssen schon die Menschen, die die
westarische Ursprache sprachen * kram... (... soll die unbekannte volle Endung
bezeichnen, ein vorgesetzes * die theoretische Konstruktion des Wortes; letztere
Bezeichnung ist allgemein gebräuchlich), als Wort für Krampf gehabt haben.
Verschiedene Tochtersprachen können, wie es so häufig vorkommt, die entsprechend
weiter gebildeten Wörter und den ganzen Stamm verloren haben. Wenn aber
eine Enkelsprache das Wort wieder besitzt, so muß es die zwischenliegende
Mutter- bzw. Tochtersprache auch besessen haben. Somit muß nach der Lingua
medii aevi auch das klassische Latein ein Wort crampus besessen haben. 1 Die
hochdeutsche Schriftsprache hat wiederum ihr ererbtes Wort gräm in diesem
Sinne aufgegeben und das graekoitaÜBche (es ist damit nicht gesagt, daß es auch
griechisch Vorkommen muß) Fremdwort Krampf, das sich schon durch ein Pf
wie in Pfeil, Pferd, Pflaume, Pfeffer usw. usw., Pfau als Fremdwort ver¬
dächtig macht, aufgenommen. Darmgrimmen geht aber wohl als Ableitung
auf das alte Erbwort gräm zurück. Wenn nun die Nordwestasier und Süd-
westasier das Wort von früher her gemeinsam hatten, so kann vermutet werden,
daß es schon noch früher vorhanden war und den Urariern angehörte. Dann
wäre aber das Wort doch sehr wahrscheinlich in einer der südostasischen Sprachen
erhalten. Dahin gehören die indischen, iranischen und die armenische Sprache.
Von iranischen Sprachen ist: persisch und die Zendavestasprache zu nennen, von
den vielen indischen: Sanskrit.
Hier kommt es aber auf eine neue Scheidung an, welche aus den Wort¬
formen der westarischen Belege nicht erschlossen werden kann. Die west¬
europäischen Gutturale g, k, h sind durch Zusammenfall zweier verschiedener
Lautreihen g t k x hj und g 2 k 2 b 2 entstanden, die in den südostarischen Sprachen
sich verschieden weiter entwickelt haben. Also dies läßt sich unserem crampus,
*hram, gräm nicht ansehen. Es könnte darnach je nachdem ein Worts tamm
* kram oder *äram im Sanskrit vorhanden sein oder im Persischen mit weiterer
gesetzmäßigen Änderung des m... Vielleicht wäre es aber wegen der wichtigen
niederdeutschen Form ram for *kram gut altnorwegische und altschwedische
Arzneibücher, sogenannte Laegebücher, einsehen zu lassen. Unser Kollege Dr.
Adolf Fon ahn aus Kristiania weilt ... zu medikohistorischen Studien in Berlin
... wird ihnen gern alle Stellen über Wadenkrämpfe oder entsprechende Bezeich¬
nung von * hram aus mittelalterlichen nordischen Belegen zusammenstellen....
Es wäre doch zu interessant, wenn das von Ihnen angeschnittene Gebiet auch
historisch entsprechend klarer würde.“
Herrn Dr. von OefEle, dem ich diese klare und interessante Darlegung
verdanke, 2 gab mir verschiedene Adressen, um mich weiter zu informieren, was
ich auch tat. Zunächst schrieb ich an den berühmten Sprachvergleicher Prof.
Dr. Roscher in Dresden. Er schrieb mir am 9. Januar 1907 folgendes:
1 Ich sehe diese Notwendigkeit nicht ein. Eine bloße Entlehnung ans dem deutschen
wäre immerhin möglich. Näcke.
* Ihm, wie allen übrigen Korrespondenten war bei der Anfrage zugleich die Bitte
unterbreitet, das passend Erscheinende veröffentlichen za dürfen. Ich danke allen Herren
für ihre prompte und belehrende Auskunft.
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549
„... Aus vorstehendem Briefe des Prof. Dr. Ihm, bis vor kurzer Zeit Direktor
des großen von den deutschen Akademien in München herausgegebenen Thesaurus
Latinitatis, des grüßten Lexikons der Welt, werden Sie ersehen, daß ich mich
um „crampus“ ernstlich bemüht habe, leider ohne rechten Erfolg. Übrigens glaube
ich bestimmt, daß „crampus“, das offenbar aus franz. crampe = Krampf, Waden¬
krampf, crampon = Krampe, Klammer, wahrscheinlich auch mit italien. granchio,
grancio *= Krampf, Klammen, Krebs verwandt ist, wenn es im mittelalterlichen .
Latein Vorkommen sollte, deutschen Ursprunges ist...“ Prof. Ihm hatte ihm
aus Halle am 8./I. 1907 geschrieben: „Offengestanden glaube ich nicht, daß ein
Zeugnis für crampus (im klassischen Latein, scill. Näcke) existiert...“
Prof. Dr. Jolly, der berühmte Sanskritist in Würzburg, teilte folgendes
mit (vom 9. Jannar 1907):
„... crampus wird, da es im klassischen Latein nicht vorkommt, in den
Werken über lateinische Etymologie nicht besprochen, so z. B. auch nicht in dem
neuesten Werk: Lateinisches etymologisches Wörterbuch von Prof. Walde (Heidel¬
berg 1906), das allgemein von der fachmännischen Kritik sehr günstig aufgenommen
ist. Über Krampf sagt Kluge in seinem Etymologischen Wörterbuch der deutschen
Sprache (4. Aufl.) S. 187.. .* Kluge verweist auch auf Krapfen und Krüppel.
Unter Krüppel vergleicht er mit diesem Wort griechisch ygimoi „gekrümmt“, alt-
slavisch grübü „Bücken“, serbisch grba „Höcker“. Ähnlich urteilt Pbellwitz in
seinem Etymologischen Wörterbuche der griechischen Sprache, wo aber mit ygonlf
„gekrümmt“ in erster Linie j’gvtp „Greif“ und nhd. „kranen“ verglichen werden.
Übrigens wird in dem bekannten Glossar der mittelalterlichen Latinität von Du-
cange nur die Form crampa (nicht crampus) erwähnt und auf das deutsche „Krampf“
zurückgeführt. 3 Eine Sanskritwurzel ist mir nicht bekannt. Paul in seinem
„Deutschen Wörterbuch“ (Halle 1897) verweist unter „Krampf“ auf „Krimpen“,
d. h. Tuch, nachdem es angefeuchtet ist, zusammenpressen; von dem Tuch sagt
man dann: es ist in der Krimpe. Krimpen ist niederdeutsch-mitteldeutsche Form
für krimpfen, welches ursprünglich intransitiv war mit der allgemeinen Bedeutung
„sich zusammenziehen, einschrumpfen“. Dazu Krampf, Krampe, Krempe, Krempel,
auch krumm ist wahrscheinlich verwandt....“
Herr Prof. Lommatzsch, jetziger Generaldirektor des Thesaurus Latinitatis,
schrieb mir am 23. Januar 1907 aus München folgende Karte:
„Ihren w. Brief vom 11. er. habe ich erhalten, doch war es mir nicht eher
möglich, das Material durchzusehen, crampus kommt in der klassischen Literatur
(im weitesten Sinne bis 6. Jahrhundert) nicht vor und dürfte demnach wohl
mittelalterlich aus dem deutschen entlehnt sein.“
Ich wandte mich weiter an den Germanisten Prof. Dr. Bobchlino in Posen
und erhielt folgende Antwort:
„... Das neuhochdeutsche Wort Krampf ist sicherlich ein echt germanisches
Wort, und das mittellateinische (und romanische) crampus ist aus dem Germa¬
nischen entlehnt. Darin sind sich alle germanischen Wörterbücher und Gramma¬
tiken einig. Vgl. F. Kluge, Etymolog. Wörterbuch der Deutschen Sprache, s. v.
Krampf; Deutsches Wörterbuch der Gebrüder Geimm, Bd. V, Sp.2010f.; Jak. Gbimm,
deutsche Grammatik, Bd. II, S. 34.
1 Der Artikel Klugk’s folgt weiter unten. (Näcke.)
* Siehe meine früher zitierte Arbeit über Wadenkrämpfe, S. 559. (Näcke.)
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550
Krampf ist um so sicherer ein deutsches Wort, weil es nicht allein steht,
sondern einer größeren Sippe verwandter Wörter im Germanischen zugehört. Zu
Grunde liegt das (im älteren Hochdeutsch noch ganz lebendige) starke Verbum
krimpfen = krampfhaft zusammenziehen; Bolch ein zugehöriges starkes Verbum
ist aber stets das sicherste Kennzeichen für germanische Herkunft eines Namens.
Der Artikel bei Kluge lautet vollständig: „Krampf, Hase., mhcL ahd. krampf
(ahd. auch krampfo) *= asäcbs. kramp, ndl kramp fern., engl, cramp: die gemein¬
westgermanische Bezeichnung für „Krampf“; eigentlich substantiviertes Adj. zu ahd.
Krampf gekrümmt, anord. krapps schmal, eingezwängt. Der Name germanisch
krampa hat im deutschen eine weite Sippe: außer den niederd. mitteld. Lehn¬
worten krampe, krampe, krämpel sind aus dem Ahd. zu erwähnen: krampf,
Masc. Haken, Band, krimpfa, mhd. krimpfen krumm in krankhafter Weise
zusammenziehen — krimpf, Adj. krumm — Masc. Krampf. Auch nhd. krumm
ist verwandt, wie dessen Nebenform ahd., mhd. krumpf, gebogen, gewunden zeigt.
(Vgl. krumm, sowie ahd. chrimphan, mhd. krimpfen einziehen, einschrumpfen,
engl, to crimple zusammenziehen usw.; anord. krapps enge, dazu kreppa zu¬
drücken. Vgl. auch Krüppel, Krapfen.)“ Sie sehen also, wie groß die Sippe
ist. Das GBiHH'sche Wörterbuch bringt zur Etymologie nicht mehr bei als bei
Kluge steht. Zu beachten ist aber die Ausführung R. Hildebrajtd’s, der den
Artikel Krampf (s. Bd. V, S. 2010 f.) verfaßt hat, daß die fast regelmäßige Hin¬
zufügung des Artikels „der Krampf“ im Sprachgebrauch auf alte Personifizierung
der Krankheit schließen lasse. Er sagt: man empfand nämlich einen solchen An¬
fall, der plötzlich in das innere Leben eingreift, wie eine persönliche Macht und
„der Kr.“ konnte ursprünglich geradezu das Packen, Ergreifen (Krimpfen) des
Dämon, wie mit Klauen, sein.“ 1
Meine Belesenheit in der mittelalterlichen Medizin erstreckt sich leider nicht
viel über die mittelniederdeutschen Arzneibücher hinaus, und ist in den letzten
2 bis 3 Jahren überhaupt arg eingerostet. Die älteren Belege für Krampf in
altdeutschen Vokabularien u. a. hat Höfleb im Deutschen Krankheitsnamenbuch
Sp. 304 b gesammelt; es gilt für diese, wie für die unten angeführte Stelle aus
den Arzneibüchern, daß fast immer von Krampf überhaupt die Rede ist, nicht
speziell von Wadenkrampf.
In den mittelniederdeutschen Arzneibüchern finden sich folgende Stellen über
den Krampf:
a) Gothaer Arzneibuch des 14./15. Jahrhunderts in der sogen. Düdeschen
arstedie, Kap. 138 (abgedruckt im Niederdeutschen Jahrb., Bd. V, 1879, S. 95):
„Deu ram heten de maystere Thenasius; dar wedder stot rüden vnde feet de
vnde bynt de vp de stede. — Item eyn ander: nym anys, kamen, dillen, greke-
spik vnde berne dat tosamonde, vnde was dy de ram thuet, das loet den roek
henne ghaen, des gelik dot ok agrimonia. — Item eyn ander,: stot grekespik
kernen, polleyen, ysop vnde dust vnde menge it myt hounighe, vnde maket warm
vnde smere dat lif dar mede van nedden bet to deme ende.“
b) Wolfenbüttler Arzneibuch, Fol. XVI (zitiert bei Schiller-Lübben , Med.
Wörterbuch s. v. krampe): „isset dat by de krampe vele lydendes dedt, so
schalten dat crud (= holwort) drinken“; ähnlich Fol. XLIV (cit. ibid., s. v. rame):
„Se (= de langhe holword) is ghud myt matere ghetrunken wedder das callert
ovel ond wedder den ramen.“
Auf einem beiliegenden Zettel endlich bemerkt Prof. Borchling folgendes:
1 Vgl. damit die Volksanscbauung nach Höfleb in meiner schon erwähnten Arbeit
S. 560. Auf den dämonischen Aberglauben gründeten sich ja auch die Abwehrmittel. Bez.
des GniMM'schen Artikels siehe später. (Näckb.)
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„Bei Höfleb nicht erwähnt.
VokabuL Stralsund. (*» Nd. Vokabular, des 15. Jahrhunderts): „krampe,
ran, is ane senen sucht wen de krimpen.“ Noch heute nennen wir in Nord*
Westdeutschland den Wadenkrampf in familiärer Sprache „Ramm“ („ich hab en
Ramm im Beine“).“
Herr Dr. A. Fonahn aus Kristiania schrieb mir endlich am 9. Jan. 1901
Ton Berlin folgendes:
„... erlaube ich mich hierdurch einige vorläufige Bemerkungen über crampus
zn schicken. Über die ... Fragen kann ich heute noch nichts sagen; es erfordert
natürlich Zeit die mittelalterlichen schwedischen, dänischen, isländischen und
norwegischen (d. h. hier nur ein kleines Fragment) Bücher über Heilkunde
durchzusehen, vielmehr weil kein Inhaltsverzeichnis beigefügt ist. ... crampus
ist nach den Philologen ein neulateinisches Wort, gebildet (wann?) aus dem
germanisch-romanischen (oder vielleicht mehr korrekt romanisch-germanischen)
Wort für „Krampf“ und verwandten Wörtern.
Nach Fick kann man „Krampf“ auf einen indogermanischen Stamm Kramp
zurückführen. (Zwar habe ich weder in dem großen Sanskrit WB von Böt-
lingk, noch im WB von Monier-Williams einen Stamm kram (p) (krap) finden
können.) 1 ...
Fick: Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen, Bd. III,
‘ Göttingen 1874, S. 50 bat unter kramp zusammenziehen, krümmen, krümpfen.
an (altnordisch) kreppa (= krampja), krepfa zusammendrücken, kneifen, krümmen;
kreppa Zusammenziehung, Enge; krappr, kröpp (ausgesprochen kröpp), krept
gedrängt, eng, krumm; kropna adha sich zusammenziehen, Bteif werden vor Kälte;
kryppa f. Buckel — ahd. krimpfan, mhd. krimpten, Krampf m. ahd. cbrampb,
cramf, gekrümmt, ahd. crapho, mhd. krapfe m. Haken, Klammer, davon nhd.
Krapfen, Gebäck von gekrümmter Form. Vgl. ksl. s grübä f. Krampf; grübü m.
Rücken, Buckel, slavodentsch grab, krümmen, krampa gekrampt, gekrümmt.
Mittelneulatein. Du Cakge: Glossarium mediae et infimae latinitatiß: crampa
(sie: -us nicht zu finden bei du Cange) spasmus, sen. manuum pedumoe contractio
vel extensio. Gail, crampe a Germanico Krampf. Nach du Cange findet man
„des crombes“ in einem Briefe von 1349. Crampo gall. crampon, ausa ferrea in
einem Manuskripte in Paris (Ms. ecel.) 1381: „cum quattuor cramponini et qual-
tuor caoillis ferri.“
Angelsächsisch: hramma = ml. hrammr; für Krampf siehe unter Grimm.
Isländisch: G. Vigfusson. An icelandic — english dictionnary, Oxford
1874. hrammr m. (cfr. goth hramjam) „that with which one clutches“ (packt,
greift) „a bears paw“ (Pfote) — „the palm of the hand“. Edda.
Romanische Sprachen. Keltisch. Gust. Körting. Lateinisch-romani¬
sches Wörterbuch. Paderborn 1901. crap-, craf-, grap-, graf(f) — sowohl
im Keltischen als auch im Germanischen in zahlreichen Ableitungen sich
bekundend, dessen Grundbedeutung, wenn verbal aufgefaßt, sein muß: etwaB mit
gekrümmten Fingern fassen; auf diesem Stamm beruht eine sehr zahlreiche,
vermutlich sowohl durch keltischen als auch durch germanischen Einfluß empor-
gewachsene romanische Wortfamilie, deren wichtigste Vertreter sein dürften: ital.
graffio Haken, Kralle, graffiare kratzen, agraftare packen, grappare packen, grappa
das Anpacken, die Klammer, grappo (der hakenförmige, gleichsam wie ein krummer
1 Es scheint noch Fick, daß man dos Wort bzw. Stamm nicht im sanskritischen
gefunden hat, obwohl der indogermanische Stamm konstruiert ist ...
’ = ? Habe die Abkürzung nicht erklärt finden können.
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552
Finger packender) Traubenkamm, die Traube, dazu das Diminutio... grappolo; prov.
graffio-sHaken, Kralle, grap-s hohle Hand; frz. (norm, grapper, pic. agraper packen)
grappe (altfrz. crape), Traubenkamm, Traube, agraf (== ahd. *hräpfa oder kräpfo?)
Klammer (agrafer packen) — grappis Anker; span, agarrafar, engarrafar packen,
grapa Klammer; grapon große eiserne Krampe; ptg. grampa hakenförmiges Werk*
zeug, grampo Klammer.
Deutsch und andere Sprachen. J. u. W. Gbimm: Deutsches Wörterbuch:
1. Krampf = Haken, Klammer, 2. Krampf = sposmus; altsächsisch: cramp,
niederdeutsch und niederländisch: kramp, mittelniederdeutsch: krampe, angel¬
sächsisch: cramp, crompe (cfr. franz.: crombes), engl, cramp, düuisch: krampe
(norw. krampe; Wadenkrampf = loggekrampe), 1 schwed.: kramp (Gkimm: „vielleicht
entlehnt“). Bedeutung: 1. körperlich, ein krümmendes sich einziehen in den
Gliedern, wenn die Glieder sich krimpfen. Es heißt: der Krampf zieht, vergl.
griechisch anav/iös von anäv ziehen ... von Krampf befallen“. Man empfand
nämlich einen solchen Anfall ... wie eine persönliche Macht und der Krampf
könnte ... geradezu packen, ergreifen (krimpfen), des Dämons wie mit Klauen
sein. Ursprung, und Verwandtschaft: Krampf ist Ablaut zu krimpfen (praet.
Krampf = sich krümmen, zusammenziehen (norweg: krympe, krömpe [ö = oe]).
Statt Krampf heißt der an laut auch mhd. rampf (rimpf), nd. ramp und
ramme, ram, auch in romanischen Sprachen prov. rampa, lomb. ramf., ranf —
ital. granchio „von einem verschollenen deutschen Worte für Krampf“. Auch
Krapfe (ohne die stützende liquida), Kropf, Krüppel.
Endlich ist noch beachtenswert, wie die Begriffe Krampf und Klammer,
Haken u. a. auch Kralle oft in einer Form Zusammenstößen, so in krampf, krnmm,
klam, klamp, ... ital. granchio, Krampf und Klammer; franz. crampe, Krampf,
crampon Klammer ... spricht das nicht für die (unter 1 vermutete) persönliche
Auffassung von Krampf“ ... in die romanischen Sprachen eingewurzelt und „hier
... weit ... tief und vollständiger erhalten “ ...“
Auf einer Karte vom 31. Januar 1907 trug Dr. Fohnan noch folgendes
nach: „... Leider habe ich nicht alle skandinavischen mittelalterlichen Bücher
durchgesehen; bis jetzt habe nicht crampus oder ähnliches gefunden. O’Reilly:
Irish-English Dict. Dublin 1864: cramp and crampa a knot a clasp. Esthnisch:
kramp 1. Krampe, 2. Krampf; Friesisch: krampa = Krampf. Bei Goetz et
Gundermann: corpusglossariarumlatinorum vol.il kein Stamm fürKrampf usw.“
Aus vorstehenden Darlegungen von Sachverständigen ersehen wir also:
1. Die Wörter crampus und Krampf lasseu sich nicht im Sanskrit
nach weisen, sind aber wohl wegen ihrer weiten Verbreitung, Begriffsumwand¬
lung und Lautverschiebung ein altes arisches Sprachgut, dessen gemeinsame
Wurzel jedoch bisher nicht nachgewiesen werden konnte;
2. das Wort: crampus kommt im klassischen Latein nach dem in
Vorbereitung begriffenen Thesaurus Latinitatis bestimmt nicht vor, was freilich
nicht dagegen spricht, daß es in der Vulgär- oder Dialektsprache existierte, was
sogar wahrscheinlich ist; :
1 ( ) sind meine Zusätze, nicht Gbihm’s-
s Von der Vulgär- und Dialektsprache ist manches Dokument zwar noch vorhanden,
doch sind es sicher nur magere Überbleibsel. Und gerade diese Dialekte usw. wären so
wichtig zu kennen, da hier oft genug Worte und Stämme erhalten sind, die aus der Schrift¬
sprache schon längst ausgemerzt sind. Das sehen wir z. B. schon bei uns im Deutschen,
wo die Dialekte, besonders das Nieder- und Süddeutsche, noch wahre Fundgruben für im
Hochdeutschen verloren gegangene gute deutsche Worte sind.
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653
3. es erscheint zuerst im Mittellateiniscben (wann?) und angeblich
abgeleitet vom deutschen Krampf, welches demnach älter sein müßte;
4. crampus und Krampf scheinen ursprünglich zunächst ein Körperliches
bedeutet zu haben mit dem Allgemeinbegriff des Krummen, Zusammengezogenen.
Später erst kam der übertragene Sinn auf die Nervenwirkung;
5. crampus bedeutet sehr wahrscheinlich überhaupt wie: Krampf, nur den
Krampf im allgemeinen und hat erst später (wann zuerst?) den Sinn von
„Wadenkrampf u erlangt.
6. wegen des unerklärlichen, plötzlichen Anfalles, quasi Überfalles ward
jedenfalls anfänglich der Krampf als Wirkung dämonischer Kräfte aufgefaßt, was
noch teilweis im Volksglauben und in der Therapie sich ausspricht.
2. Über den Schlaf. 1
Von Dr. Paul Kronthal.
Wie alle Erscheinungen, so kann auch der Schlaf in verschiedener Art be¬
trachtet werden. Er kann Vorwurf etwa naturwissenschaftlicher oder philo¬
sophischer oder historischer oder dichterischer oder künstlerischer Arbeit sein.
Der Historiker untersucht, welche Vorstellungen zu den verschiedenen Zeiten
über den Schlaf herrschten; der Dichter schildert in poetischer Form seine Em¬
pfindungen beim Einschlafen und Erwachen; der Künstler wünscht den Be¬
schauer seines Werkes in gleicher Art empfinden zu lassen, wie er empfand,
als er das Werk schuf. Diese Betrachtungsmethoden können wir wohl hier ohne
weiteres ausscbließen. Es bleibt die naturwissenschaftliche und philosophische
Untersuchung übrig. Betrachten wir den Schlaf naturwissenschaftlich, so haben
wir uns an die Erscheinungen zu halten, die wir sinnlich an einem schlafenden
Organismus wabrnebmen, diese Erscheinungen zu schildern, den Gründen nach¬
zugehen, weshalb sie emtreten, durch welche Bedingungen sie geändert
werden usw., kurz, sie nach allen Richtungen mit den Mitteln der Naturforschung
zu untersuchen. Als Untersuchungsmittel erkennt die Naturwissenschaft nur solche
an, die der Sinneswahrnebmung dienen. Haben wir eine Erscheinung natur¬
wissenschaftlich soweit geprüft bzw. zurückverfolgt, als sie sinnlich wahrnehmbar
ist, so ist die Frage naturwissenschaftlich gelöst. Verfolgen wir sie weiter, über
die Grenze sinnlicher Wahrnehmungsmöglichkeit hinaus, so geraten wir auf
metaphysisches, philosophisches Gebiet, auf den Boden der Spekulation.
Eine philosophische Betrachtung des Schlafes kann von Sinneswahrnehmung
absehen. Daher bat so ziemlich jeder Philosoph, der den Schlaf zum Gegenstand
seines Denkens machte — an solchen ist kein Mangel — eine eigene Theorie
aufgestellt Die Philosophen schildern, welche Empfindungen sie beim Ein¬
schlafen und Erwachen haben, daß sie ohne Empfindungen sind während sie
1 Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten
am 5. November 1906.
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schlafen; dann machen sie jenen berühmten Schluß und setzen nach Analogie
der eigenen Empfindungen gleiche Empfindungen bei anderen voraus. Ob dieser
Schluß berechtigt oder unberechtigt ist, wollen wir heute nicht prüfen; aber
darüber wollen wir uns klar sein, daß die beiden Betrachtungsmethoden grund¬
verschieden sind. Das eine Mal betrachten wir den Schlaf bei irgend einem
Organismus, außer dem unseren, schließen also den eigenen von der Unter¬
suchung aus. Das andere Mal schildern wir lediglich die eigenen Empfindungen,
schließen also alle anderen Organismen von der Untersuchung aus. Jene Methode
ist die naturwissenschaftliche oder physikalische, diese die philosophische oder
metaphysische. Eine Untersuchung des Schlafes vorzunehmen, indem man sich
bald auf naturwissenschaftlichen, bald auf philosophischen Boden stellt, kann
sehr interessant sein, ist aber arges Hindernis für eine klare Vorstellung. Denn
indem der Untersucher zwischen der naturwissenschaftlichen und der philo¬
sophischen Methode hin- und herpendelt, bleibt er in keiner Vorstellung kon¬
sequent. Diese Inkonsequenz kann nie zur Klarheit führen. Sie finden daher
auch nicht selten in den Lehrbüchern der Physiologie das mehr und weniger
offene Zugeständnis, daß man über den Schlaf noch nicht im klaren sei.
Die ziemlich allgemein herrschende Anschauung über den Schlaf ist etwa
so auszudrücken: Wenn die Zellen der Großhirnrinde ermüdet sind, vergiftet
werden, ihre angebliche Tätigkeit einstellen, tritt Schlaf ein. Auf Grund dieser
Anschauung ist in den Physiologien der Schlaf bei der Darstellung des Gro߬
hirns abgehandelt. So schreibt Hermann 1 bezüglich des Schlafes: „Im Schlafe
selbst sind nur die Großhirnfunktionen suspendiert...“ und: „Die nähere Ur¬
sache, welche die Großhirnrinde außer Tätigkeit setzt, ist unbekannt.“ Bunge 2
schreibt: „ .... und wollen nun den Zustand der Ruhe des Gehirns, den wir
Schlaf nennen, ins Auge fassen“.
Sind diese Anschauungen richtig, nach denen der Schlaf abhängig ist vom
Zustand der Großhimrindenzellen, so muß man annehmen, daß ein Tier, dem
die Großhirnrinde in bedeutendem Umfange entfernt ist, nicht schläft oder
wesentliche Abweichungen vom normalen Schlafe zeigt Diese Annahme erweist
sich als ein Irrtum. Selbst jener bekannte Hund von Goltz, dem das gesamte
Großhirn, mit Ausnahme einiger Reste an der Basis des Schläfenlappens, ent¬
fernt war und der diese Operation um 1 1 / a Jahr überlebte, zeigte periodische
Abwechslung von Schlaf und Wachen. Sein Schlaf glich vollständig dem eines
normalen Tieres, nur waren die Perioden des Schlafens und Wachens kürzer
als bei gesunden Hunden. Im übrigen schlief das Tier wie jeder Hund nach
reichlichem Mahle ein und rollte sich im Schlaf wie ein gesundes Tier zusammen.
Wir sehen also: Ein Tier, dessen Großbirnrindenzellen fast vollständig entfernt
sind, schläft auch und zwar in der gleichen Art, in der Tiere schlafen, die im
Besitze ihrer Großhirnrindenzellen sind. Wir müssen schließen: Für den Schlaf
ist der Zustand, überhaupt die Existenz der Großhirnrindenzellen ohne Be-
1 Lehrbuch der Physiologie. 12. Aafl. S. 459 bez. 460.
3 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Auti. S. 265.
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deutang. Diesen Schluß konnten wir eigentlich ohne jedes Experiment machen.
Denn wäre der Schlaf gebunden an die Existenz bzw. den Zustand einer Gro߬
hirnrinde, so müßten notwendigerweise Organismen ohne Großhirn keinen
Schlaf haben.
Vielleicht findet sich ein Naturforscher, der dies wirklich behauptet Um
uns mit ihm zu verständigen, wird es notwendig sein, festzustellen, was man
naturwissenschaftlich unter „Schlaf“ zu verstehen hat Wir wollen die Grenzen
der Naturwissenschaft nicht überschreiten, uns mit der Schilderung dessen be¬
gnügen, was wir sinnlich wahrnehmen und zur Deutung nur solche Gesetze
heranziehen, die ihrer allgemein zugestandenen Gültigkeit wegen Naturgesetze
genannt werden.
Betrachten wir einen schlafenden Menschen. Wir sehen ein ruhig liegendes
Individuum, dessen Atmung und Pulsschlag uns sein Leben bestätigt. Atmung
und Puls sind etwas verlangsamt; die Atmung, mehr kostal als abdominal, auch
beim Manne, ist nicht ganz regelmäßig, indem sie hin und wieder, meist in
gleichen Zwischenräumen, aussetzt; der Gefäßtonus ist vermindert Leise an¬
gerufen oder berührt, reagiert der Mensch nicht; erst auf lauten Anruf oder
Stoß erfolgt eine Reaktion; hierauf verfällt der Untersuchte entweder wieder in
seinen früheren Zustand oder er kommt in einen Zustand, in dem er normal
reagiert Wir nennen diesen den wachen Zustand und jenen im Gegensatz hierzu
Schlaf. Lassen wir den Menschen ungestört in seinem Schlafzustand, so kehrt
er auch ohne besondere Reize in den wachen Zustand zurück. Die Erscheinung
des Zurückkehreus in den wachen Zustand bezeichnen wir als „Erwachen“. Das
Erwachen tritt plötzlich ein oder spielt sich in Sekunden ab. Beobachten wir
den Menschen Tage hindurch, so finden wir, daß er in ziemlich regelmäßigen
Intervallen in den Schlafzustand verfällt Das Hinübergleiten aus dem wachen
in den Schlafzustand nennen wir Einschlafen. Es kann Sekunden bis Minuten
dauern. Wir bezeichnen den Schlaf als desto tiefer, fester, je stärker die Reize
sein müssen, um das Individuum zu erwecken. Da die anderen im Schlafe vom
wachen Zustand abweichenden Erscheinungen um vieles weniger hervortreten als
die veränderte Reaktion, halten wir uns an dieses markanteste Symptom und
definieren: Schlaf ist der vorübergehende Zustand eines Lebewesens,
in dem die meisten Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind. Wir
sagen die „meisten“ Reflexe, denn daß nicht alle Reflexe aufgehoben sind, lehrt
uns ohne weiteres das Vorhandensein von Atmung und Pulsschlag. Es sind auch
andere Reflexe im Schlafe weder herabgesetzt noch aufgehoben, z. B. werden Urin
und Fäces durch reflektorischen Schluß von Blase und Mastdarm zurückgehalten.
Den unbestimmten Ausdruck „die meisten“ können wir nicht entbehren. Wir
müssen von einer naturwissenschaftlichen Definition verlangen, daß sie allgemein
gültig ist; allgemein können wir aber nicht sagen, welche Reflexe herabgesetzt,
welche aufgehoben sind, weil sich hierin eine recht bedeutende Verschiedenheit
zwischen den einzelnen Arten und sogar den einzelnen Individuen derselben
Art zeigt
Gegen unsere Definition wird der Naturforscher kaum etwas einzuwenden
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556
haben, denn sie gibt einerseits seine Beobachtung wieder und setzt ihn anderer*
seits in die Lage, den Schlafzustand zu erkennen. Ist diese Definition richtig,
dann muß man allen Organismen Schlaf zusprechen, denn wir können bei allen
Organismen konstatieren, daß sie zeitweise, unter bestimmten Bedingungen, nach
gewissen Ursachen in diesen Zustand kommen. Wir haben es also mit einer
regelmäßig wiederkebrenden, normalen, demnach mit einer physiologischen Er*
scheinung zu tun.
Als Grnnd des physiologischen Schlafes wird allgemein die Ermüdung an¬
gesehen. Das Rechte dieser Anschauung ist unschwer zu beweisen. Der Beweis
ist um so sicherer, als sich zeigen läßt, daß die Tiefe des Schlafes abhängig
ist vom Grade der Ermüdung. Wir können diesen Schlaf den Ermüdungs¬
schlaf nennen.
Reizen wir einen isolierten Froschschenkel oder auch nur ein Stückdien
Froschmuskulatur längere Zeit, so reagiert es nicht mehr. Gönnen wir ihm
einige Zeit Ruhe, so zeigt es wiederum Reaktion. Wir sehen also das Stückchen
Muskel in einem vorübergehenden Zustand aufgehobener Reaktion; da die Ur¬
sache dieser Reaktionslosigkeit zweifellos die Ermüdung des Muskels war, können
wir den Schlaf dieser Muskelzellen auch als Ermüdungsschlaf ansprechen.
Diese Muskelzellen waren von jedem Centralnervensystem freu Wir haben hier
also abermals eine Bestätigung unserer schon früher gewonnenen Erkenntnis,
nach der Schlafen nicht an die Existenz eines Nervensystems gebunden sein
kann. Wir müssen vielmehr jedem Organismus, ob Protozoon, ob Metazoon.
Schlaffähigkeit zusprechen. Demnach kommen wir zu der Überzeugung, daß
ein aus vielen Zellen zusammengesetzter Organismus, ein Metazoon, schläft, wenn
die den Organismus konstituierenden Zellen ermüdet sind, nicht reagieren. Die
Vorstellung, ein mit Nervensystem ausgestatteter Organismus schlafe, weil seine
Nervenzellen schlafen, lehnen wir ab. Jede Zelle kann müde werden, in ihrer
Reaktionsfähigkeit nachlassen. Um sich zu erholen, muß jede Zelle Ruhe
haben, schlafen.
Der Schlaf ist für die Erhaltung des Lebens notwendig. Verhindert man
Tiere um Schlafen, so gehen sie schnell zugrunde. 4 bis 5 tägige Schlaflosigkeit
tötet einen Hund. Den isolierten Froschschenkel kann man bei einer Temperatur
von 2 bis 3° und feuchter Luft tagelang am Leben, d. h. reaktionsfähig er¬
halten. Gönnen Sie dem Froschschenkel keine Ruhe, sondern reizen Sie ihn
ununterbrochen, so gerät er nach Minuten bis Stunden, je nach Reizintensität
und Reizintervall in einen zähen, teigartigen Zustand, aus dem er, wenn der
Reiz fortgesetzt wird, in den Tod übergeht, sich nicht mehr erholt. Also auch
hier wieder eine vollkommene Parallele zwischen dem hochorganisierten, mit
centralem Nervensystem versehenen Tiere und einem Stückchen MuskeL Ebenso¬
wenig wie für den Schlaf ist für den Tod durch Schlaflosigkeit das Nerven¬
system verantwortlich zu machen. Das Metazoon stirbt durch Schlaflosigkeit,
wenn die das Individuum zusammensetzenden Zellen ermüdet sind und sich
nicht erholen können.
Durch Darreichung verschiedener Stoffe, wie Morphium, Chloroform, Äther,
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557
Alkohol, können wir Lebewesen in Schlaf versetzen. Wir müssen bei der Dar¬
reichung dieser Substanzen recht aufmerksam verfahren, weil die Organismen
aus dem durch diese Stoffe verursachten Schlafzustand leicht in den Todeszustand
übergehen. Da diese Substanzen also zweifellos für das Leben gefährlich, d. h.
giftig sind, können wir den durch sie verursachten Schlaf* Giftschlaf nennen.
Die Verschiedenartigkeit des Giftschlafes und des Ermüdungsschlafes ist nicht
zu bezweifeln. Aus dem Ermüdungsschlaf ist ein. Organismus stets zu erwecken;
es kommt nur auf die Stärke des Reizes an. Aus dem Vergiftungsschlaf ist ein
Organismus auch durch die allerstärksten Beize, wie Knochendurchsägungen,
nicht zu erwecken. Sobald ein Organismus aus dem Ermüdungsschlaf erwacht
ist, reagiert er wieder in seiner früheren Intensität Nach dem Vergiftungs¬
schlaf erhält der Organismus die alte Reaktionsfähigkeit nur wieder allmählich.
Das Einschlafen beim Ermüdungsschlaf findet in Sekunden oder Minuten derart
statt, daß die Reflexe allmählich schwächer werden. Dem Einschlafen beim
Giftschlaf geht ein mehr oder weniger deutlich ausgesprochener Erregungszustand
voraus. Atmung und Herz verhalten sich im Giftschlaf auch anders als im Er¬
müdungsschlaf. Überläßt man ein Lebewesen sich selbst, so tritt der Ermüdungs-
schlaf periodisch, in ziemlich regelmäßigen Intervallen ein. Er ist eine chronische
Erscheinung. Der Vergiftungsscblaf ist eine aknte Erscheinung. Der Ermüdungs¬
schlaf ist eben ein physiologischer, der Giftscblaf ein pathologischer Vorgang.
Die Frage, ob jene, Narcotica genannten Giftsubstanzen auf das Central¬
nervensystem, speziell die Großhirnrindenzellen wirken, läßt sich leicht ent¬
scheiden. Wir brauchen diese Gifte nur auf Organismen wirken zu lassen, die
kein Centralnervensystem bzw. überhaupt kein Nervensystem haben. Da finden
wir denn, daß die Narcotica auf Organismen ohne Nervensystem genau so
wirken wie auf Organismen mit Nervensystem. Auf ein kurzes Stadium der
Erregung folgt Schlaf; nach weiterer Darreichung des Giftes folgt Tod; wird
das Gift rechtzeitig fortgelassen, so tritt Erholung bis zur restitutio ad integrum
ein. Auch vom Nervensystem isolierte überlebende Teile, wie kleine Muskel¬
stückchen des Frosches, verhalten sich diesen Giften gegenüber genau so wie
das ganze Tier. Wir schließen also mit Sicherheit: Die Narcotica wirken nicht
vergiftend auf das Nervensystem, sondern auf die das Individuum zusammen¬
setzenden Zellen. Der Vergiftungsschlaf ist auch unabhängig von einem Nerven¬
system.
Schlaf ist der vorübergehende Zustand eines Lebewesens, in dem die meisten
Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind. Wir stehen als Naturforscher auf
dem Standpunkt, Lebewesen seien den Gesetzen der Physik und Chemie in
gleicher Art unterworfen wie tote Körper. Was wir bei Organismen Reflex
nennen, nämlich das Verhalten des Organismus gegenüber der Einwirkung einer
Energie, heißt bei leblosen Körpern Reaktion. Mit veränderter Temperatur
ändern sich die Reaktionen der Körper, und zwar werden im allgemeinen die
Reaktionen durch steigende Temperatur beschleunigt, durch fallende verlangsamt.
Wir erwarten gleiches auch von Lebewesen und werfen die Frage auf, wie sich
bei erniedrigter oder erhöhter Temperatur die Organismen verhalten.
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Über die Kältewirkung auf Lebewesen berichten die Autoren, daß mit
sinkender Temperaur nach einem vorübergehenden Erregungsstadium die Reflexe
matter und matter werden und schließlich Schlaf eintritt. Als Grenztemperatur,
von der an die Mattigkeit eintritt, hat W enternitz für Kaninchen 34° fest¬
gestellt, Pflüge» 30°, Quinquaud 28°. Sinkt die Temperatur weiter oder hält
die niedrige Temperatur an, so stirbt das Tier in diesem Kälteschlaf. Steigt
die Temperatur, bevor der Organismus zu tief geschädigt ist, so treten auch
wieder die Reflexe in normaler Weise auf, d. h. der Organismus erwacht Sie
sehen also, daß sich die Lebewesen der Kälte gegenüber wie tote Substanzen
verhalten. Mit fallender Temperatur werden die Reflexe wie die Reaktionen
langsamer.
Winternitz 1 hat experimentell nachgewiesen, daß an Kanindien, deren
Körper auf 31 bis 29° abgekühlt ist, eine Lichtreaktion der Pupillen kaum noch
zu erzielen ist; auf starke Geräusche reagieren die Tiere nicht mehr regelmäßig;
sie zeigen bedeutende Schlafneigung. Wird die Abkühlung auf 26 bis 22° weiter
getrieben, so nehmen diese Erscheinungen zu, das Tier reagiert nur noch auf
wenige Reize, ist schwer schlafsüchtig. Bei Abkühlung auf 22 bis 19° reagiert
das Tier auf die meisten Reize garnicht mehr, auf sehr energische, wie tiefe
Einstiche, nur noch schwach; es ist aus seinem Schlaf nicht mehr zu erwecken.
In den üblichen Anschauungen befangen, nach denen sowohl Reflexe wie auch
Schlaf Leistung der Nervenzellen sind, sieht Winternitz den Grund für die
Leiden der Tiere in den Schädigungen der Nervenzelle durch die Abkühlung.
Zuerst sollen die wärmeregulatorischen Centren geschädigt werden, dann
Funktionen des verlängerten Markes, dann die übrigen Centren des Hirns und
Rückenmarks; schließlich leide das vasomotorische Centrum, zu allerletzt die
lebenswichtigen Centren und dann sterbe das Tier. Winternitz führt alle
Erscheinungen darauf zurück, daß die Hirncentren, d. h. die Ganglienzellen sich
abkühlen. So sehr verblendete die Hypothese von den Nervenzellen, die alles
machen, alles dirigieren sollen; wenn ein Tier erfror, deutete man die Schädi¬
gungen nicht durch das Erfrieren der Haut-, Muskel-, Sehnen-, Blasen-, Darm-,
Blutzellen, sondern aller Schaden sollte verursacht sein, weil die Nervenzellen
frieren. Als ob ein Tier ohne Nervenzellen nicht erfrieren kann!
Neben dem pathologischen kennen wir auch einen physiologischen Kälte¬
schlaf, den Winterschlaf. Eine große Reihe von Tieren, so die meisten
Reptilien, viele Amphibien und auch Homoiothermen, wie der Dachs, Igel, das
Murmeltier, die Fledermaus verfallen, wenn sie dauernd abgekühlt werden,
z. B. im Winter, in Schlaf. Dieser Schlaf ist, weil er regelmäßig, periodisch
eintritt, eine physiologische Erscheinung. Der Grund, weshalb diese Tiere, im
Gegensatz zu den meisten anderen, in den Winterschlaf verfallen, ist das
mangelnde Wärmeregulationsvermögen ihres Organismus. Dieser Mangel läßt
ihre Körpertemperatur unter Einwirkung schon geringer Kälte sinken. Die
Tiere im Winterschlaf zeigen eine auffallende Herabsetzung ihrer normalen
1 37 vergleichende Versuche über Abkühlung nsw. Archiv f. exper. PatboL XXXIII.
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Temperatur. Solange diese anhält, ist ihre Reaktion herabgesetzt bis aufgehoben;
sie schlafen. Steigt die Temperatur, so nimmt die Reaktionsfähigkeit zu; die
Tiere wachen auf. Simpson 1 hat übrigens auch Affen in eine Art Winterschlaf
gebracht, indem er sie auf 25 bis 23° abkühlte. Def Winterschlaf ist eben
Kälteschlaf. Buffon hat die Kälte als Ursache des Winterschlafes angesprochen
und zuerst exakt thermometrisch nachgewiesen, daß einerseits die Körper*
temperatur der Winterschläfer von der umgebenden Temperatur sehr abhängig
ist, z. B. bei Igeln und Fledermäusen in der Kälte sich um 10° R. hält, und
daß andererseits Winterschläfer, im Winter am warmen Orte gehalten, nicht
schlafen.
Als Ursache für den Winterschlaf mußte, wie für alles, was man nicht
erklären kann, auch wieder das Nervensystem herhalten. Gegen alle mehr oder
weniger wilden Nervensystemtheorien spricht sich am deutlichsten schon Babkow*
aus. Er weist mit Recht darauf hin, daß der Winterschlaf eine allgemeine
Erscheinung gerade bei denjenigen Organismen ist, die kein Nervensystem
haben, nämlich den Pflanzen. Der Winterschlaf dieser unterscheidet sich denn
auch vom Winterschlaf der Tiere nur soweit, als der Unterschied in der ver¬
schiedenen Organisation begründet ist Die Reflexe sind herabgesetzt bis auf¬
gehoben. Daß der Organismus nicht tot ist, beweist sein Wiedererwachen im
Frühling. Führt man der Pflanze wie dem Winterschläfer Wärme im Winter
zu, so erwachen sie vor dem Frühjahr zu neuem Leben.
Wie reagieren die Organismen bei erhöhter Temperatur? Die zahlreichen
genauen Beobachtungen über Individuen im Fieber müssen wir bei Beantwortung
unserer Frage ausschließen, da wir nicht in der Lage sind, zu unterscheiden
zwischen den Erscheinungen, welche von der Temperaturerhöhung abhängen
und denjenigen, welche durch die gleichen Ursachen wie die Temperatur¬
erhöhung bedingt sind. Aber ebensowenig wie das Wärmeregulationsvermögen
der Homoiothermen mächtig genug ist, um eine Erniedrigung der Körper¬
temperatur stets zu verhindern, reicht es aus, um eine Erhöhung der Körper¬
temperatur zu verhindern, wenn ihnen Wärme zugeführt wird. Es seien dies¬
bezüglich die Versuchsergebnisse zweier neuer Autoren mitgeteilt Pfkeffeb 1 * 3
hat halb geschorene Kaninchen an den geschorenen Stellen während 50 Sekunden
mit kochendem Wasser verbrüht; in der Subcutis erreichte die Temperatur rasch
63° und wurde dann innerhalb 10 Minuten wieder normal; im Peritonealraum
stieg das Thermometer bis 50° und kehrte innerhalb 20 Minuten zur Norm
zurück. Bubkhabdt 4 wies bei experimentellen Verbrennungen nach, daß die
Bluttemperatur im Ohre des Kaninchens der Temperatur des das Ohr ver¬
brühenden Wassers folgt, indem sie stets um 8 bis 10° hinter dieser zurückbleibt
1 Journ. of Pbysiology. XXVIII.
* Der Winterschlaf. Berlin 1846.
* Experimenteller Beitrag znr Ätiologie des primären Verbrennnngstodes. Vibcbow’s
Archiv. CLXXX. Heft 8.
4 Ober die nach ansgedehnten Verbrennnngen auftretenden hämolytischen Erscheinungen.
Archiv f. klin. Chirurgie. LXXV. Heft 4.
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560
Vollständig gegensätzlich wie sich ein erfrierender Organismus verhält, sei
es Mensch oder Tier, verhält sich ein verbrennender. Während die Reflexe des
Erfrierenden langsamer und langsamer werden, er einschläft und den Schlafenden
der Tod erlest, wird der Verbrennende lebhafter und lebhafter und kämpft
gegen sein Schicksal bis ihn der Tod ereilt. Also auch die Hitze wirkt auf
Lebewesen in genau der gleichen Art wie auf tote Substanzen. Hei Temperatur¬
steigerung werden die Reflexe bzw. Reaktionen beschleunigt. Sie sehen, wie
schön sich die Lebewesen in die allgemeinen Gesetze der Natur einfügen, gibt
man nur den unhaltbaren Standpunkt auf, für alle ihre Geschicke die komman¬
dierende Nervenzelle verantwortlich zu machen.
Während man ziemlich allgemein als Ursache für den Schlafzustand und
schließlichen Tod der Organismen in der Kälte die Wirkung dieser auf die
Nervenzellen ansieht, hält man sonderbarerweise den Verbrennungstod als nicht
verursacht durch die Hitzewirkung auf die Nervenzelle. Die Kälte soll auf
die Nervenzelle, die Hitze auf die anderen Zellen wirken!
Indem wir erkannt haben, daß erniedrigte Temperatur den Menschen in
den Schlafzustand versetzt, lernen wir zu der Ermüdung und den Giften eine
neue Ursache für den Schlaf kennen, die Kälte. Wir können somit von einem
Ermüdungs-, einem Gift- und einem Kälteschlaf sprechen. Dieser Kälteschlaf
ist insofern dem physiologischen Schlaf unähnlich und dem Giftschlaf ähnlich,
als Einschlafen und Erwachen langsame Vorgänge sind und als es durch keine
Reize gelingt, den Schlafenden aus dem Kälteschlaf zu erwecken. Der Schlafende
erwacht erst, wenn die Temperatur sich wieder der normalen nähert. Bleibt
die pathologische Temperatur bestehen, so verfällt der Organismus dem Tode;
es tritt hier also das gleiche wie beim Giftschlaf ein, wenn die Gifte im Schlafe
weiter gereicht werden. Zwischen dem Kälteschlaf und dem Giftschlaf ist aber
insofern ein Unterschied, als der au6 diesem erwachende Organismus nach
Minuten oder Stunden seine normale Reaktionsfähigkeit wiedereriangt, während
der aus dem Kälteschlaf Erwachte, abgesehen von lokalen Schädigungen, Tage
zur restitutio ad integrum gebraucht Offenbar schädigen jene Gifte um vieles
weniger schwer den Organismus als die erheblich veränderte Temperatur.
Es gibt schließlich noch einen sehr schönen und zwingenden Beweis dafür,
daß die Ansicht falsch ist, nach welcher Schlaf zustande komme, weil die Nerven¬
zellen ihre angebliche Tätigkeit einstellen. Curare wirkt nicht auf das Central¬
nervensystem, sondern lähmt periphere Apparate und Muskeln, so daß der Muskel
unbeweglich ruht. Bei derartig gelähmten Tieren ist der Stoffwechsel der gleiche
wie im Schlaf (Zuntz, A. Loewy, Cremeb und Frank, Johansson). Würden
die Nervenzellen durch Aufgeben ihrer Tätigkeit den Schlaf herbeiführen, so
müßten notwendigerweise die im Schlafe ausgeschiedeneu Stoffe sich irgendwie
von den Stoffen unterscheiden, die während des Lähmungszustandes der Muskeln
und der angeblichen Tätigkeit der Nervenzellen ausgeschieden werden. Da die
ausgeschiedenen Stoffe bei Ruhe der Nervenzellen und des Muskels die gleichen
sind, wie bei Ruhe nur des Muskels, müssen wir schließen, der Schlafzustand
sei begründet durch die Ruhe der Muskeln und nicht durch die der Nervenzellen.
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Reize wirken auf den Menschen, indem sie Sinnesorgane erregen. Die Er¬
regung leitet dos Nervensystem weiter and überträgt sie auf eine große Anzahl
oder alle Zellen des Individuums. Das Nervensystem ist eine reizleitende Ver¬
bindungskonstruktion zwischen den das Individuum konstituierenden Zellen.
Dies beweist lapidar die Beobachtung: Wo auch immer das Nervensystem ver¬
letzt wird, sei es in der Peripherie, sei es im Rückenmark, sei es Gehirn, der
Erfolg ist stets das Ausbleiben von Reflexen. Das Nervensystem hat also die
Erregungen geleitet
Schlaf ist der vorübergehende Zustand eines Lebewesens, in dem die meisten
Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind. Ist diese Definition richtig, so muß
notwendigerweise ein Individuum, dessen Reflexmöglichkeiten herabgesetzt bis
aufgehoben werden, in den Schlafzustand geraten. Die Reflexmöglichkeiten
müssen herabgesetzt sein 1. wenn es an Reizen mangelt, 2. wenn die Sinnes¬
organe nicht reagieren, 3. wenn die Reizleitung gestört ist
Alte Erfahrung lehrt, daß, wenn man alle Reize möglichst fernhält, ein
Mensch leicht in Schlaf verfallt Wünscht man Schlaf herbeizuführen, so läßt
diese Erfahrung das Zimmer verdunkeln, somit die Lichtreize abhalten; man
dämpft möglichst alle Geräusche, hält somit die Schallreize ab; man vermeidet
alle Erschütterungen, sowie alles was Ursache für Hautreize sein kann. Unsere
erste Folgerung hat sich als richtig erwiesen. Wir kennen einen Reizmangel-
schlaf. Es ist jener Schlaf, von dem man im gewöhnlichen Leben sagt, er
trete aus Langeweile, ans Mangel an Anregung ein.
Wir erwarten zweitens Schlaf, wenn die Sinnesorgane nicht reagieren. Daß
auch diese Konsequenz richtig von uns gezogen wurde, dafür gibt es mancherlei
Beweise, deren zwingendste wohl jene viel zitierten Fälle Strümpells und
v. Ziem88bns sind. Der Strümpell sehe Patient hatte keine Hautempfindungen,
war auf einem Auge blind und einem Ohr taub. Verschloß man das noch
reagierende Auge und Ohr, so verfiel der Patient in Schlaf. Bei dem
v. Ziemb8Bn sehen Patienten bestand auch komplette Anästhesie der Haut, es
funktionierten aber, im Gegensatz zum STRüMPELLschen Fall, beide Augen und
Ohren. Verschloß man diesem Kranken Augen und Ohren, so schlief er innerhalb
30 Sekunden ein. Wir haben hier also ganz deutlich einen Sinnesmangelschlaf.
Ad 3 erwarteten wir den Schlafzustand zu finden, wenn die Reizleitung
gestört ist. Wir sind uns darüber klar, daß die Störung, um Schlaf zu ver¬
ursachen, großen Umfang haben muß; denn arbeiten nur einige wenige Bahnen
nicht, so werden noch zahllose Erregungen auf den gesunden Bahnen fort¬
geleitet. Würden bei einem Menschen sämtliche peripheren Nervenstämme nicht
funktionieren, so würde er schlafen. Erkrankungen des Rückenmarkes, auch
sehr umfangreiche, werden Schlaf nicht verursachen, weil die von den am
feinsten reagierenden Sinnesorganen herkommenden Fibrillen dasselbe garnicht
oder nur zum allergeringsten Teil passieren. Das Individuum muß aber schlafen,
wenn das Gehirn in so großem Umfange erkrankt oder verletzt ist, daß die
meisten Erregungen dasselbe nicht mehr passieren, somit nicht zu den moto¬
rischen Apparaten gelangen.
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Die Schlafzustände bei allen umfangreichen Hirnerkrankungen und Hirn*
Verletzungen sind allbekannt. Schlaf kann also dnrch den Zustand der Hirn*
rinde bedingt sein. Dies ist aber stets ein pathologischer Schlaf, ein Leitungs*
unterbrechungsschlaf. Der physiologische Schlaf ist unabhängig vom Gehirn.
Der Leitungsunterbrechungssohlaf oder, me wir ihn auch kürzer nennen
können, der Gehirnschlaf oder Hirnsohlaf hat einen abweichenden Charakter
von allen anderen Scblafarten. Die Abweichungen sind bedingt durch Umfang,
Art und Ort der Leitungsunterbrechung. Es läßt sich deshalb ein allgemeiner
Typus für den Gehimschlaf nicht aufstellen. Das Individuum kehrt in den
wachen Zustand erst zurück, d. h. es reagiert erst wieder normal, wenn die
Leitungsunterbreohung behoben ist, wenn die von den sensiblen Apparaten her-
kommenden Beize das Gehirn wieder passieren, somit zu den motorischen Appa¬
raten gelangen, wenn also Beilexmöglichkeit wieder vorhanden ist
Zwei Schlafarten, von denen man öfter hört, sind bisher nicht erwähnt
worden, die nahe verwandten Zustände des Schlafes der Somnambulen und der
Hypnotisierten. Wir haben definiert: Sohlaf ist der vorübergehende Zustand,
in dem die meisten Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben Bind. Betrachten wir
einen Somnambulen oder einen Hypnotisierten, so finden wir ein Bild, nicht
ähnlich dem, das alle anderen Schlafzustände bieten. Der Mensoh liegt nicht
ruhig da, sondern bewegt sich in mehr oder weniger eigenartiger, anormaler
Weise. Die Beize der Außenwelt verursachen bei ihm, während er sich in dem
somnambulen oder hypnotischen Zustand befindet, von den normalen abweichende
Beflexe. Wir sehen also einen Menschen, dessen meiste Reflexe nicht herab¬
gesetzt bis aufgehoben sind, sondern — was uns als charakteristisch auflallt —
die Reflexe des Betreffenden sind anormal, krankhaft verändert So können wir,
wenn anders unsere Definition vom Schlafe richtig ist, den Zustand des Somnam¬
bulen, Hypnotisierten nicht als Schlaf bezeichnen.
In früheren Arbeiten habe ich Geisteskrankheit, Seelenkrankheit definiert
als die krankhaft veränderte Reaktion eines Individuums. 1 Ist diese Definition
richtig, so ist der Hypnotisierte, der Somnambule mit seinen anormalen Reaktionen
als Geisteskranker aufzufassen. Diese Auffassung stimmt mit den Ansichten der
meisten modernen Psyohiater, Nervenärzte überein. Der Zustand des Hypnoti¬
sierten, des Somnambulen ist kein Schlaf, sondern eine Geisteskrankheit
Wenn in dieser Betrachtung über den Schlaf bisher von zwei Worten ab¬
gesehen wurde, die immer auftauchen, sobald von Schlaf die Bede ist, nämlich
Bewußtsein und Traum, so geschah es aus folgenden Gründen. Nach dem ein¬
leitend Gesagten sollte eine naturwissenschaftliche Definition und Betrachtung
des Schlafes versucht werden. Demnach war nur mit naturwissenschaftlichen
Vorstellungen zu arbeiten. Sollten also Bewußtsein und Traum in die Be¬
trachtung hineingezogen werden, so waren sie physikalisch-mechanisch zu er¬
klären. Derartige Erklärungen sind möglich. Sobald der Naturforscher sich
streng an die Grenzen hält, die seiner Wissenschaft gezogen sind, ist für ihn
1 Vgl. Nervenzelle uud Psychose. Archiv f. Psych. XXXVIII; Psyche and Psychose.
n «rlincr klin. Wochensehr. 1904.
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563
Psyche die Somme der Reflexe. Bewußtsein and Traum stellen dann nur
verschiedene Reflexsummen vor, Bewußtsein eine sehr hohe, Traum eine sehr
geringe. Da Schlaf der vorübergehende Zustand eines Lebewesens ist, in dem
die Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind, kann notwendigerweise im Schlaf
Bewußtsein, eine sehr hohe Summe der Reflexe, nicht bestehen; wohl aber
kann Traum, eine geringe Summe der Reflexe, vorhanden sein. Vorbedingung
für den Traum ist dann natürlich, daß der Schlaf kein zu tiefer, sowie daß ein
leichter Reiz vorhanden ist Wie Erfahrung denn auch lehrt, treten die Träume
einerseits zumeist des Morgens, wenn der Schlaf an Tiefe nachläßt, auf; anderer¬
seits bewirkt ein Reiz, der nicht intensiv genug ist, um den Schläfer zu er¬
wecken, Träume.
Wenn schließlich von der Empfindung, die Sie auch meist zur Erklärung
des Schlafes herangezogen finden, ganz abgesehen wurde, so geschah es, weil
wir hier den Schlaf naturwissenschaftlich betrachten wollten, Empfindung aber
als etwas sinnlicher Wahrnehmung ewig Unzugängliches in den Naturwissen¬
schaften Berücksichtigung nioht finden darf. Der Naturforscher soll die Speku¬
lation über Empfindung und Empfindungsbegriffe dem Philosophen überlassen.
Speziell die Geschichte der Medizin scheint lapidar zu lehren, daß wir besser
daran tun, uns innerhalb der Grenzen zu halten, in welche Naturwissenschaft
nun einmal eingezwängt ist, als für alles eine Antwort finden zu wollen. Denn
stets, wenn Medizin die ihr als Naturwissenschaft vorgeschriebenen Grenzen
überschritt, wurden nach längerer oder kürzerer Zeit ihre Lehren als Irrlehren
verworfen.
3. Die Sehnenreflexe angestrengter
Körperteile. Untersuchungen an Marathonläufern.
Von Dr. Milt. Oeoonomakis,
Chefarzt an der NerTenklinik der Universität Athen.
(Schloß.)
Ich möchte hier noch folgende vier Beobachtungen anführen, die an vier
Läufern gemacht wurden, von denen der erste erst nach dem Rennen in den
Ankleideräumen von mir untersucht wurde, nachdem er, wie die obigen, deu
ganzen Weg zurückgelegt hatte, während die anderen drei nur einen Teil des
Weges zu machen vermochten. Zwei von diesen letzteren wurden von unserem
Assistenten Herrn Dr. Asamantides in der Nervenklinik untersucht, wohin ich
mir, da sie am Wege lag, Läufer, die die ganze Strecke nicht zu laufen ver¬
mochten und zu Wagen zurückkehxteu, hinbestellt hatte.
Nr. 45 aus Böhmen. Er wurde ent direkt nach dem Rennen untersucht:
Patellarreflex beiderseits gesteigert. Achillesreflex ebenso lebhaft. Papillen normal.
Er war sehr munter und zufrieden, ohne jegliche Zeichen von Ermüdung.
Nr. 5 ans Frankreich. Vor dem Rennen: Patellarreflex beiderseits gesteigert.
Achillesreflexe normal. Pupillen normal. Er legte nur 32 km zurück. Am ersten
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igiral fron
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Tage nach dem Bennen: Patellar- und Achillesreflex beiderseits gesteigert.
Pupillen normal.
Nr. 10. Grieche. Vor dem Rennen: Patellarreflexe gesteigert. Aohillesreflexe
und Pupillen normal. Er kam nur 33 km weit und fiel nieder, weil sich Atmungs¬
beschwerden einBtellten. Die Untersuchung in der Elinik ergab: Pupillen normal.
Patellarreflex beiderseits gesteigert. Achillesreflexe normal. Klagte • über Druck
gegen den Brustkorb.
Nr. 19. Grieche auB dem Dorf Chalandrion. Er kam ungefähr beim 32. Kilo¬
meter zu Fall, wurde dann gleich in die Nervenklinik geführt, wo die Untersuchung
ergab: Er klagte über Schwindelgefühl und Schwere am Brustkorb beim Atmen.
Pupillen normal. Patellarreflex beiderseits gesteigert. Achillesreflex rechts seht 1
schwach, links fehlt.
Zusammengefaßt, haben sich nan bei diesen meinen Untersuchungen fol¬
gende Befände ergeben.
Bei der vor dem Kennen an 43 gesund aussehenden Individuen vorgenom¬
menen Untersuchung konnte ich einige auffällige Abweichungen von der Norm
feststellen, nämlich:
Allgemeine Steigerung der geprüften Reflexe bei vier Läufern.
Steigerung der Patellar- und Achillesreflexe beiderseits bei zwei.
Nor Steigerung der Patellarreflexe bei zwei.
Herabsetzung bzw. Schwäche des Patellarreflexes beiderseits bei drei, ein¬
seitig (links) bei einem.
Schwäche des Achillesreflexes beiderseits bei drei, einseitig, nur des linken,
bei vier.
Fehlen des Patellarreflexes beiderseits bei einem.
Die beiderseitige Schwäche des Achillessehnenreflexes fiel mit der Herab¬
setzung und dem Fehlen des beiderseitigen Patellarreflexes zusammen. In keinem
Falle ließ sibh ein gleichzeitiges Vorhandensein von Steigerung und Schwäche
konstatieren.
Das Fehlen der Patellarreflexe bei einem angeblich gesunden Manne ruft
gewiß ein besonderes Interesse hervor. Der Reflex kann bekanntlich nur ganz
ausnahmsweise bei Gesunden fehlen. Pelizaeüs gibt 0,04 °/ 0 von Fällen mit
fehlendem Patellarreflex bei Gesunden au und die Beobachtungen von Schoen-
bobn , 1 der die Reflexe bei 100 Fällen nerveügesunder Personen genau unter¬
sucht hatte, stimmen mit dieser Angabe ungefähr überein. Handelt es sich nun
hier um einen solchen weißen Raben oder lag mir ein pathologischer Fall vor?
Der junge Mann sah gesund und kräftig aus, war verheiratet und hatte gesunde
Kinder. Dazu muß man bedenken, daß einer solchen Leistung nur der sich
unterzieht, der sich vollständig frisch und gesund fühlt und in der letzten Zeit
sich nicht übermäßig ermüdet hat. Außerdem ergab meine flüchtige Unter¬
suchung, die nur die Reflexe im wesentlichen berücksichtigen konnte, keine
Zeichen von Lues. Da er aber zu einer endgültigen Nachuntersuchung nicht
1 Schoenbobn, Bemerkungen zur klinischen Beobachtung der Haut* und Sehnenreflexe
der unteren Körperhälfte. Deutsche Zeitschr. £. Nervenheilk. XXL 1902. Heft 3 u. 4.
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565
mehr erschien, so muß ich mich darauf beschränken, den interessanten Befund
bloß zu erwähnen, ohne hier auf die Frage näher einzugehen.
Was die Steigerung der Reflexe betrifft, so weicht mein Resultat von dem
von Knapp und Thomas erhaltenen beträchtlich ab. Diesen Autoren fiel die
große Zahl der Fälle mit Steigerung der Patellarreflexe bei ihrer Voruntersuchung
auf. Unter 49 Fällen fanden sie die Reflexe 44 mal gesteigert, 4 mal normal
und lmal sehr schwach. Die Erklärung dafür haben sie darin gesucht, daß
sie der psychischen Aufregung, mit der die Vorbereitung- zum Wettkampf ver¬
bunden ist — considerable mental excitement — eine wichtige Rolle beimaßen.
Außerdem werfen sie noch die Frage auf, ob nicht etwa diese Reflexsteigerung
eine Eigenschaft der Läufer sei.
Ich glaube, beides ist hier nicht anzunebmen. Einmal weil ich nur bei
acht unter 43 Läufern diese Steigerung — und zwar bei vier eine allgemeine
Reflexsteigerung, wie sie häufig bei nervösen Individuen vorkommt — feststellen
konnte. Es waren alles meist gute Läufer verschiedener Nationalität und das
„excitement“ war auch da. Die psychische Aufregung war sogar in höherem
Maße in Athen vorhanden: Die Leute warteten schon sät 2 Stunden in den
Bureauräumen des Ausschusses der olympischen Spiele, daß das Signal zur Ab¬
fahrt nach Marathon gegeben werde. Dazu hatte die Menge Wagen, die vor
dem Qebäude hielten, viele Neugierige herbeigelockt, welche die Abfahrt der
Läufer sehen wollten; die Traineure gingen ab und zu, die Anwesenhät des
Arztes rief auch Beunruhigung hervor; dazu kam noch die Erwartung und die
nationale Bedeutung des Wettlaufes, vor allem für die griechischen Läufer, wegen
der geschichtlichen Überlieferung und wegen des Sieges eines Griechen bä den
Spielen der ersten Olympiade (1896y. Doch hat äch gerade bei den griechischen
Läufern eine Herabsetzung der Reflexe feststellen lassen. Andererseits sä noch
die bä den Kretensern gemachte Beobachtung hervorgehoben: Unter 9 Läufern
aus Kreta boten zwei eine Schwäche, einer Fehlen und keiner Stägerung der
Patellarreflexe; doch gelten die Bergbewohner Kretas als sehr gute und gewandte
Läufer.
Schließlich möchte ich noch auf den merkwürdigen Zufall der linksseitigen
Schwäche des Achillessehnenrefiexes bä vier Leuten hinweisen und ihn als än
Kuriosum hier erwähnen.
Die unmittelbar nach dem Rennen aufgetretenen Veränderungen konnten
bei 18 Individuen beobachtet werden. Wenn wir die vier letzten, von denen
zwei nicht die ganze Strecke zurücklegteu, die zwei anderen aber erst nach
vollendeter Leistung untersucht wurden, ausnehmen, bläben zur genauen Ab¬
schätzung der Resultate des Laufes nur 14 übrig, die vor und nach dem Laufe
.untersucht werden konnten.
Bei diesen waren nun vor dem Rennen die Sehnenreflexe vorhanden —
normal bei neue, lebhaft bei einem und schwach bei vier —, während gleich
nachher folgende auffällige Abweichungen festzustellen waren:
Steigerung des Patellar- und Achillesreflexes beiderseits bei sechs.
Erhebliche Schwäche des Patellar- und Achillesreflexes beiderseits bei drei.
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Schwäohe der Patellarrefleie verbanden mit Steigerung der Achillesreflexe
bei einem.
Fehlen der Patellarrefleie verbanden mit Steigerang der Achillesreflexe bei
einem.
Fehlen des Patellarreflexes beiderseits mit beiderseitiger Schwäche des
Achillesreflexes bei zwei und
Fehlen der Patellar- und Achillesreflexe beiderseits bei ernenn
Was also den Patellarreflex betrifft, so fand ich ihn gleich nach dem Bennen
bei sechs beiderseits gesteigert
„ vier „ schwach
„ vier „ erloschen.
Der Achillessehnenreflex war
bei acht beiderseits gesteigert
„ fünf „ schwach
„ einem „ erlosehen.
Eine Differenz in der Papillenweite oder Störung der Papilleüliohtreaktion
habe ich dagegen bä keinem einzigen feststellen können; aaoh keine nur ein¬
seitige Veränderung; kein Patellar- oder Fußklonus. Als besonders bemerkens¬
werten Befand möchte ich noch die bei zwei von diesen Leuten beobachtete
Verbindung von Fehlen bzw. Schwäche des Patellar- mit Steigerung des Achilles¬
reflexes betonen.
Daß alle diese Veränderungen im Verhalten der Sehnenreflexe bei Leuten,
die vorher in überwiegender Zahl normale Verhältnisse boten, auf die Ermüdung
infolge des Laufes zurüokzuführen sind, braucht nicht besonders hervorgehoben
zu werden. Wie hat aber diese Ermüdung eingewirkt P Wenn sie eine all¬
gemeine Wirkung auf den Organismus aasgeübt hätte, wie etwa eine Lähmung
des hemmenden Einflusses des Gehirns oder die Hervorrufung einer akuten
Toxämie, so hätte allerdings eine allgemeinere und gleichmäßigere Veränderung
aller Reflexe eintreten sollen. Außerdem ist die Toxämie gewöhnlich mit Steigerung
der Reflexe verbunden (Lion, Stevens u. a.). 1
Das trifft aber hier nicht zu.
Wir sehen dagegen, daß genannte Veränderungen gerade an jenen Körper¬
teilen auftraten, denen infolge ihrer physiologischen Funktion die größte Arbeits¬
leistung beim Laufen zufallen mußte; daß diese Veränderungen somit den Aus¬
druck einer durch Überarbeit verursachten Schädigung der entsprechenden
Reflexbögen darstellen. Und wenn wir diese meine mit den von Aubrbach
einerseits und Knapp and Thomas andererseits gewonnenen Resultaten ver¬
gleichen, so werden .wir sehen, daß sowohl der Unterschied bezüglich der ersten
als das Übereinstimmen bezüglich der zweiten gleichfalls zugunsten dieser An¬
nahme sprechen.
Auerbach konnte nach 6 Rennen von 30, 50, 100 und 250 km 89 ver-
1 Vergl. auch Gbassbt, I/exag&ation des refieies tendineux dans 1’insufRsance anü-
toxique. . Semaine medieale. 1903. Nr. 26.
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schiedene Radfahrer untersuchen and fand bei 10 eine erhebliche Herabsetzung
oder ein Erloschensein der Patellareflexe (also über 25%) und bei vier eine un¬
gewöhnliche Steigerung der Kniescheibenreflexe. Eine Schwäche oder Verlust
des Achillesreflexes war dagegen bei keinem seiner Fahrer zu konstatieren.
Die Untersuchung von Knapp and Thomas ergab nach dem Laufe unter
41 Läufern: bei 32 eine deutliche Abschwächung oder einen Verlust der Patellar-
reflexe (26 von diesen zeigten Schwäche, drei beiderseitiges und drei einseitiges
Fehlen) und bei vier eine Steigerung. Der Achillesreflex bot auch erhebliche Ver¬
änderungen dar: er war im allgemeinen vermindert und fehlte beiderseits bei
fünf und einseitig bei zwei
Neben diesen Autoren konnte ich nnn auch, im Gegensatz zu Auerbach,
bemerkenswerte Veränderungen der Achillesreflexe feststellen.
Woher kann nun dieser Unterschied kommen? Wenn man an die Muskel¬
arbeit denkt, die beim physiologischen Vorgänge des Laufens einerseits und des
Radeins andererseits geleistet werden muß, so erscheint er fast selbstverständlich.
Beim Radfahren „fällt die Hauptarbeitsleistung dem vierköpfigen Strecker des
Oberschenkels zu; in zweiter Linie stehen die Beugemuskeln des Untersohenkels,
in dritter vielleicht erst die Strecker des Hüftgelenkes“. 1 Beim Laufen dagegen
hat neben dem Qnadriceps femoris auch die Wadenmuskulatur eine beträchtliche
Leistung auszuführen, neben der Streckung des Beines geschieht die Abwickelung
des Fußes. Diese Bewegungen werden viele Tausend Male wiederholt» und wenn
man dazu den Druck des Körpergewichtes, die fortwährenden Schwankungen in
der Lage des Schwerpunktes des Körpers und die verschiedenen durch die Un¬
ebenheiten und andere Hindernisse der Straße erfolgten Zerrungen hinzurechnet,
was alles beim Radeln „wegen des festen Sitzes auf dem Sattel“ wegfällt, so
wird man leicht einsehen, welch einer beträchtlichen Strapaze neben dem
Patellar- auch der Achillesreflexbogen beim Laufen ausgesetzt sein muß. Daher
also die oben aufgezählten Veränderungen im Verhalten dieses Reflexes.
Diese durch Anstrengung verursachte Schädigung braucht gewiß nicht so
groß zu sein, daß sie sich durch auffallende Symptome kund gibt. Wir wissen,
daß eine Erkrankung einer großen Zahl von Fasern in einem Nerv vorliegen
kann, ohne daß es zu auffälligen Ausfallserscheinungen kommt; sie ruft ge¬
wöhnlich Symptome hervor, die erst gesucht werden müssen. Und man ist
dabei wohl berechtigt anzunehmen, daß es besonders der sensonsohe Teil der
Reflexbögen ist, der hauptsächlich geschädigt wird. Dieser Teil befindet sich
beim Laufen wie beim Radeln im Zustand der Überfunktion, da er dauernd
„dem Centralorgan alle von der Umgebung ausgehenden und so ungemein
häufig wechselnden Einwirkungen zu übermitteln hat“. Diese Annahme steht
übrigens mit der experimentellen Erfahrung bei Tieren im Einklang: Bei dem
unter dem Einfluß der Strychninwirkung ermüdeten Frosch werden die sensiblen
Elemente des Rückenmarkes eher gelähmt als die motorischen. 2
1 Schieferdecker, zitiert bei Auerbach.
1 Vbbwobw, Ermüdung, Erschöpfung und Erholung der nervösen Centra des Rücken¬
markes. Archiv f. Physiologie. 1900. Snpp.-Bd.
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Daß es eine Sohädigung durch Überfunktion gibt, wurde schon mehrfach
auch auf anderem Wege bewiesen. Außer den weiter oben angeführten
S. MAYBu’schen Befunden an nervengesunden Individuen, die gewissermaßen
das anatomische Substratum dieser Schädigung darstellen, liegen bereits mehrere
bejahende Resultate verschiedener Tierexperimente vor. So haben Edikgeb und
Helbing bei Ratten „einfach durch Auf hängen an den Schwänzen, wobei die
Tiere natürlich mit den Beinen sehr zappeln“, einen ausgesprochenen Nerven-
faserzerfall in den Hintersträngen des Rückenmarkes erzeugen können. Ist es
andererseits nicht schon lange bekannt, daß durch die Arbeit die NissL’sahe
Körnung in den Ganglienzellen abnimmt? Nach Holubs, der mit Strychnin¬
fröschen experimentierte, verschwindet diese Körnung fast, wenn die Tiere
Krämpfe bekommen, und bleibt dagegen erhalten, wenn man den Krämpfen
durch Auflegen der Tiere auf Eis vorbeugt. Vebwobn, 1 der die Lebensvorgänge
in den Neuronen untersuchte, hat den physiologischen Nachweis hierfür geliefert.
Bei gesteigerter Tätigkeit eines Körperteiles wird eine Menge von seinem Er¬
nährungsmaterial verbraucht, die größer ist als die im Zustand der Ruhe ver¬
brauchte, die Stoffwechselprodukte vermehren sich analog dem Verbrauch des
intrazellulären Sauerstoffs, die Assimilation kann nioht mehr gleichen Schritt
mit der Dissimilation halten, das Stoffwechselgleiohgewioht wird gestört Durch
die Ruhe wird dasselbe wieder hergestellt, die Ermüdungsstoffe werden fort¬
geschafft, es wird einer Zufuhr von Ersatzmaterial Platz gemacht und die Er¬
holung tritt ein.
Ein solches Wiederkehren des physiologischen Zustandes beobachteten auch
wir nach erfolgtem Ausruhen an unseren Läufern. Die gleich nach dem Laufe
vermindert, erloschen oder gesteigert zur Erscheinung kommenden Reflexe wichen
nach einigen Tagen einem mehr oder minder normalen Verhalten. Nur bei
Nr. 2 zögerte diese Restitution so sehr, daß der Mann noch nach l 1 /, Monaten
Spuren der überstandenen Schädigung zeigte. Worin kann die Ursache dieser
Verzögerung gelegen haben? Vebwobn konnte seine Strychninfrösche durch
Entfernung der Stoffwechselprodukte aus ihrer Cirkulation lange Zeit funktions¬
fähig halten; aber schließlich gelang es nicht mehr und die Tiere zeigten eine
dauernde Schädigung. Edingeb sah den Nervenfaserzerfall bei seinen Ratten
durch die Einwirkung der Pyrodinvergiftung viel intensiver werden und Aubb-
bach berichtet von einem mit Lues infizierten Fahrer, bei dem noch 6 Wochen
nach der Rennfahrt die Störung der Patellarreflexe fortbestand und bei dem
wegen der Anwesenheit einiger verdächtiger Symptome der Verdacht einer be¬
ginnenden Tabes nicht auszuschließen war.
Daraus sehen wir, daß durch eine lange Zeit hindurch fortgesetzte An¬
strengung oder durch die Anwesenheit eines Giftes der Auf brauch in solchem
Maße gesteigert bzw. der Ersatz so sehr gestört werden kann, daß die temporäre
Schädigung zu dauerndem krankhaften Symptom wird. Welcher von obigen
Fällen ist zur Erklärung der so langen Dauer der krankhaften Symptome bei
1 Verwohn, L. c.
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uoserm Läufer heran zuziehen? Neben dieser Frage tauchen aber noch andere
auf, die ebenfalls hier beantwortet werden müssen.
Wir sahen, daß die Anstrengung nicht bei allen Läufern dieselben Ver¬
änderungen zur Folge hatte. Einige boten Steigerung, andere dagegen Schwäche
oder Fehlen der Sehnenreflexe dar; und es ist sehr wohl zu beachten, daß die
Steigerung vorwiegend bei den Ausländern, die Schwäche und der Verlust fast
ausnahmslos bei den griechischen Läufern zur Erscheinung kamen. Die vier
mit den fehlenden Patellarreflexen und der eine mit dem Verlust des Achilles¬
reflexes waren Griechen. Ebenso waren unter den vier mit Schwäche des
Patellarreflexes zwei, und unter den fünf mit Schwäche des Achillesreflexes vier
griechische Läufer.
Worin muß die Erklärung hierfür gesucht werden?
Sthbnbebg hebt hervor, daß mäßige Ermüdung die Sehnenreflexe steigert,
während hochgradige Ermüdung sie aufhebt. Damit nun also die gleiche Er¬
müdung bei den einen mäßig, bei den andern hochgradig einwirke, muß die
Widerstandsfähigkeit der einzelnen angestrengten Körper verschiedenartig sein.
Der „individuelle Unterschied“ spielt gewiß hier auch eine bedeutende Rolle.
Als hierher gehörend sei noch der Umstand erwähnt, daß bei dreien von den
vier Läufern mit fehlenden Patellarreflexen schon vor dem Laufe eine Schwäche
derselben beobachtet wurde. Das beweist also, daß sie mit einem weniger
widerstandsfähigen Reflexbogen an dem Wettlauf teilnahmen, als die anderen.
Außerdem ist noch zu berücksichtigen, daß die Ausländer fast alle gut
trainierte Läufer waren, die griechischen dagegen sich meistens aus dem Stande
der Arbeiter vom Lande rekrutierten, welche irgend wie mit Schnelligkeit der
Füße begabt waren und von nationalem Ehrgeiz getrieben zum Wettlauf kamen,
ohne sich vorher sportsmäßig trainiert zu haben. Es waren nur wenige von
hnen einigermaßen trainierte Athleten.
Alle diese Erwägungen zwingen natürlich zu der Annahme, daß die
Steigerung der Ausdruck eines leichteren Grades der Ermüdung, einer eben be¬
ginnenden Störung im Stoffwechselgleichgewicht der arbeitenden Körperteile ist,
während die darauf folgende schwerere Schädigung bzw. Erschöpfung sich durch
eine bis zum Verlust fortschreitenden Verminderung der Sehnenreflexe offen¬
bart; daß, mit anderen Worten, die Reflexe sich steigern, ehe sie schwinden.
Für besonders interessant in dieser Beziehung halte ich das bei Nr. 41
und 60 beobachtete Vorkommen von Schwäche bzw. Fehlen der Patellarreflexe
und Steigerung der Achillesreflexe bei einer und derselben Person. Bei Nr. 41
wurde sogar außerdem noch die Steigerung des Achillesreflexes von heftigen
Schmerzen und Krampfgefühl in der Wadenmuskulatur begleitet. Steigern sich
doch die Sehnenreflexe im Anfangsstadium der Neuritis!
Die Einwirkung eines Giftes oder einer ähnlichen „ersatzstörenden“ Noxe
habe ich in der Anamnese meiner Läufer nicht feststellen können. Auekbach
war in dieser Hinsicht glücklicher, da er die Lues bei einem, wie oben erwähnt,
und die „ganz außerordentlichen Exzesse in venere“ bei einem anderen Fahrer
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feststellen konnte, bei dem „nach der für einen, trainierten Fahrer relativ ge¬
ringen Leistung von 30 km“ die Patellarreflexe völlig verschwanden. .
Man könnte gewiß bei den griechischen Läufern, als dem Arbeiterstande
meist angehörig, in erster Linie an Alkohol denken, von dem bekanntlich als
„Stärkungsmittel“ bei der Arbeit ziemlich viel genossen wird, wenn auch keiner
von ihnen übermäßigen Gebrauch zugestand. Und in der Tat konnte ich nach¬
träglich, nach den Mitteilungen, die mir nach Beendigung des Laufes wurden,
dem Mangel der Anamnese meiner Läufer diesbezüglich abhelfen; denn diese
Läufer hatten während des Laufes an verschiedenen Stationen von alkoholischen
Getränken, besonders Kognak, zum Anfachen der zu schwinden beginnenden
Kräfte ziemlich reiohlich genossen, während die Ausländer fast nur Wasser
tranken. Außerdem ist es festgestellt, daß ihre Dorfgenossen den oben unter
Nr. 2 und 34 erwähnten Läufern entgegeneilten und sie abgesehen von den
ermutigenden Zurufen noch mit ähnlichen Getränken zu stärken strebten. So
sammelten sich natürlich bis zur Beendigung des Laufes beträchtliche Quanti¬
täten von Alkohol im Organismus dieser Läufer an.
Wir sahen ja, daß außer dem ersten Nr. 2, der noch nach l 1 /, Monaten Spuren
der Schädigung seiner Keflexbögen zeigte, auoh der unter Nr. 34 erwähnte bei
der Untersuchung am sechsten Tage nach dem Laufe noch keine völlige
Restitution bot
Wenn man dabei erwägt, daß schon mehrfach tiefgreifende Störungen,
darunter Absohwächung oder völliges Fehlen der Patellarreflexe infolge des
schweren Alkoholrausches beobachtet wurden, 1 so leuchtet es ohne weiteres ein,
daß bei Mensohen, die sioh unter dem Einfluß des Alkohols befanden, wie die
obigeh Läufer, der Funktionsverbrauch ein viel intensiverer sein mußte.
Zugunsten der EmNana’schen Ersatztheorie sind nun nach dem oben Ge¬
sagten folgende Tatsachen zu verwenden:
1. Daß die Veränderungen gerade jene Körperteile augriffen, die direkt
angestrengt wurden, und
2. daß sie bei denjenigen Läufern am schwersten auftraten, die sich
schädigenden Einflüssen ausgesetzt hatten.
IL Referate.
Anatomie.
1) Über sogen. „Doppelbildungen" am Gehirn, mit besonderer Berück¬
sichtigung der unteren Stirnwindung, von Weinberg. (Monatsschr. £
Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Das Gehirn von einem normalen Mann zeigte Verdoppelung der Präcentral-
furche; die dritte (untere) Stirnwindung ist durch eine sagittale Furche in ihrem
mittleren Abschnitt der Länge nach gespalten. Die Abnormität besteht nur rechts.
Verf. fand dieses Vorkommnis als einzigen Fall im Laufe längerer Beobachtung
1 Küthes, zitiert bei EnisasB.
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571 —
und hält et für eine wirkliche Doppelbildung, in der typische Bestandteile zur
Entstehung von ihrer Anlage inadäquater Strukturen Anlaß geben. Es bandle
sich hier um eine Furche, die ihrer Lage usw. nach auf keine der gewöhnlichen
Faltungsbildungen bezogen werden kann, trotzdem aber die morphologischen Eigen¬
schaften einer typischen Furche bietet. Verf. trennt die Beobachtung daher von
den sonst mitgeteilten Verdopplungen von Furchen usw., es ist aber schwierig,
hier eine scharfe Grenze zu ziehen. (Auch hat die Charakterisierung der Ober»
flächenbildung nur sekundäre Bedeutung; sie ist zum Teil abhängig von der
inneren Gliederung und architektonischen Differenzierung; Bef.)
Physiologie.
2) Resultate die esperlenae relative alla localtaasione dl oentrl motori nel
cervelletto per mesao di eocldamenti ooe oorrentl lndutte unipolar!, per
Negro e Roasenda. (Giornale della B. Aecademia di Medicina di Torino.
XIII. 1907.) Autoreferat.
Bekanntlich hat Prof. Adamkiewiez in seinem Buche: Die wahren Cen-
tren der Bewegung und der Akt des Willens (Wien 1905, Braumüller)
den experimentellen Nachweis mittels einer eigenen, von ihm gefundenen und zu¬
erst von ihm angewandten Methode einer isolierten und sehr schonenden Zerstörung
der Centren gefunden (vgl. auch d. Centralbl. 1904. Nr. 12), daß die seit den
bekannten Versuchen von Fritsch und Hitzig (1870) für erwiesen gehaltenen
motorischen Eigenschaften der Großhirnrinde nicht existieren. Adamkiewiez hat
vielmehr den Nachweis geliefert: 1. daß die Binde des Großhirns ausschließlich
Seelenorgan ist und als solches nur die Empfindung vermittelt und das
Denken hervorbringt, und 2. daß das Kleinhirn ausschließlich als Central¬
organ der Körperbewegungen dient und als solches lokalisierte Centren
für die einzelnen Muskelgruppen besitzt. Adamkiewiez hat auch die motorische
Topographie des Elleinhirns beschrieben und als GrundpLan derselben feBt-
gestellt, daß die Muskeln jeder Körperhälfte ihre eigenen und mehr¬
fachen Centren besitzen, und daß diese Centren auf der den zu¬
gehörigen Muskeln entsprechenden Kleinhirnhemisphäre gelegen sind.
Die angeführten Autoren haben mittels der elektrischen unipolaren Methode
den Grundplan und das Grundgesetz der AdamkiewiczsehenKleinhirntopographie
bestätigt.
3) The oonduotion of seneory iatpreseions in th* spinal oord. by Suther¬
land Simpson and Percy T. Herring. (Brit, med» Journ. 1906. 22. Dez.)
Bef.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Die VerfE hielten in der 74. Jahresversammlung der Brit. med. Gesellschaft
einen Vortrag über ihre Versuche, die sie an Katzen über die sensiblen Leitungs-
bahnen im Bückenmark gemacht haben. Sie kamen zu folgenden Schlüssen:
Die Integrität der grauen Substanz ist nicht unbedingt für die Leitung von
Schmerzempfindungen notwendig.
Einige Tiere, bei denen die graue Substanz völlig zerstört war, reagierten
auf alle Formen von schmerzhaften Beizen.
Vollständige Zerstörung beider Hinterstränge beeinträchtigt die Schmerz¬
empfindung nicht. Der Einfluß dieser Verletzung auf das Berührungs- und Muskel¬
gefühl konnte nicht mit Sicherheit bestimmt werden.
Selbst eine fast völlige quere Durchtrennung des Rückenmarkes, welche je¬
doch einen vorderen Seitenstrang mit einer anliegenden dünnen Zone grauer Sub¬
stanz intakt ließ, hob die Schmerzempfindung für beide Körperhälften nicht auf.
Es bestand eine promptere Empfindung für die von der verletzten, als von der
gesunden Körperhälfte ausgehenden Beize.
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Man könnte hieraus schließen, daß
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572
die schmerzleitenden Bahnen im Rückenmark, wenn auch vorwiegend gekreuzte,
so doch auch direkte Bahnen darstellen.
Aus zwei Versuchen schien zu folgen, daß Kältereize duroh die Seitenstränge
geleitet wurden, und daß diese Leitungsbahnen direkte und gekreuzte waren.
Als wichtiges Ergebnis der Untersuchung bezeichnen die Verff. die Tatsache,
daß irgend ein spezifischer Strang für die Schmerzleitung bei Katzen nicht zu
bestehen schien, obwohl die Seitenstränge hauptsächlich als betreffende Leitungs¬
bahnen anzusehen seien.
Nur völlige Querschnittstrennung des Rückenmarkes hob die Gefühlsleitung
gänzlich auf.
Pathologische Anatomie.
4) Eine seltene Form der Spina bifida oystioa, von Dr. Emil Grossmann.
(Jahrb. f. Kinderheilk. LXI1I.) Ref.: Zappert (Wien).
Während das Zustandekommen einer Spina bifida durch Offenbleiben der
hinteren Wand des Rückgrates recht häufig ist, gehören Fälle von Spina bifida
anterior, bei welchen die cystische Geschwulst an der Vorderseite der Wirbel¬
säule heraustritt, zu den großen Seltenheiten. Der hier beschriebene Fall betrifft
ein 10monatliches, gut entwickeltes, nicht gelähmtes (Blase, Mastdarm?) Kind
mit einer weichen, anfangs durch Druck reponierbaren tauben eigroßen Geschwulst
in der rechten Gesäßgegend. Die Geschwulst machte den Eindruck eines Lipomes.
Bei der wegen deutlichen Wachstumes des Tumors notwendig erscheinenden
Operation zeigte es sich, daß die Geschwulst eine durch einen Stiel aus der
Vorderwand des Kreuzbeines entspringende Spina bifida darstellt.
Die genaue mikroskopische Untersuchung ließ eine Myelomeningocele erkennen;
an der Außenseite des Sackes war eine lipomartige Wuoherung des Fettgewebes
zu konstatieren.
Das Kind wurde vollkommen geheilt.
6) Über eine oystisohe Mißbildung des Bückenmarkes, von Karl Altmann.
(Inaug.-Dissert. Breslau 1906.) Ref.: Max Bielsohowsky (Berlin).
Bei einem 48jährigen, früher gesunden Manne entwickeln sich im Laufe
weniger Monate die Symptome einer vollkommenen Querschnittsläsion des Rücken¬
markes: spastische Paraplegie, Incontinentia urinae et alvi, Decubitus. Die Haupt¬
entwicklung des Krankheitsbildes bis zur vollen Höhe vollzog sich in wenigen
Tagen, nachdem Prodromalerscheinungeu viele Wochen bestanden hatten.
Bei der Sektion fand sich in der Höhe des 4. bis 6. Dorsalsegmentes eine
Cyste, welche die RückenmarkssubBtanz hier bis auf einen schmalen Randsaum
zerstört hatte. Die Cyste erwies sich als ein von Flüssigkeit erfüllter Epithel¬
sack. Wahrscheinlich stammte dieses Gebilde aus der embryonalen Zeit des In¬
dividuums als ein im vorderen Längsspalt sitzender Epithelkeim, in dem sich
später ein cystischer Hohlraum entwickelt hatte. Die rasche Progression der
klinischen Symptome wird darauf zurückgeführt, daß von irgendwelchen Epithel¬
elementen eine Exsudation einsetzte, die den Sack ausdehnte und das Rückenmark
erdrückte.
Diese Auffassung erfährt eine gewichtige Stütze durch eine Anzahl von
Nebenbefunden, welche sich nur auf entwicklungsgeschichtliche Störungen zurück¬
führen lassen.
6) Zwei für die Pathologie wichtige Entwioklungsanomalien des Oentral-
nervensystems bei zwei jungen menschlichen Embryonen, von Pollak.
(Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr. 5.) Ref.: Pilcz (Wien).
I. Embryo von 38 Tagen zeigt bei im übrigen normaler Organisation eine
Verdoppelung des Centralkanales, die diskontinuierlich durch einen großen Teil
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des Rückenmarkes besteht; außerdem an einer sonst normalen Stelle eine ventral*
kaudalwärts gerichtete Divertikelbildung des Rückenmarkes zum Centralkanale.
IL Embryo von 30 Tagen. In der Gegend des Abganges der unteren Extre¬
mitäten ist das Medullarrohr doraalwärts an drei Stellen offen, dem Ektoderm
nähergerückt bei Fehlen des sonst normalerweise dazwischenliegenden embryonalen
Bindegewebes. Ferner klaffen im Bereiche einer kreisförmigen Zone , die Wände
des Medullarrohres, und die dorsale Decklamelle fehlt Eine dünne Schicht von
Ektoderm spannt sich zwischen den dorsalen Kanten der Medullaseitenwände, so
daß der Centralkanal dorsalwärts gedeckt erscheint.
Yerf. verweist auf eine spätere ausführliche Bearbeitung dieser Fälle durch
Fischei (Prag).
7) The microBCople ohanges in the nervous System in a ease of chronio
Dourine. Or „mal de colt“ and a oomparison with those found in
sleeping siokness, by F. W. Mott. (Brit med. Journ. 1906. 11. August.)
Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Yerf. hatte Gelegenheit, das ihm aus Indien übersandte Rückenmark eines
infolge Beschälkrankheit eingegangenen Hengstes zu untersuchen, welcher außer
der charakteristischen Hautaffektion ausgesprochene Paraplegie gezeigt hatte und
27 Monate nach der Affektion verendet war.
Die Beschälkrankheit der Pferde wird duroh eine Infektion (beim Beschäl*
akt) mittels einer spezifischen Form von Trypanosoma hervorgerufen.
Yerf. fand in dem untersuchten Rückenmark chronische interstitielle Ent¬
zündung der hinteren Spinalganglien, besonders im Lumbosakralmark. In letzterem
fanden sich in den hinteren Strängen sklerotische Partien, besonders im Bereich
der hinteren Wurzeln.
Es fanden sich demgemäß bei der in Rede stehenden spezifischen Trypano¬
somainfektion ähnliche Veränderungen, wie bei anderen Trypanosomeninfektionen,
besonders auch bei der Schlafkrankheit des Menschen.
Eine ausführliche Mitteilung über die bei der Schlafkrankheit des Menschen
und anderen Trypanosomeninfektionen gefundenen histologischen Veränderungen
wird Yerf. in den Mitteilungen der zur Erforschung der Schlafkrankheit ernannten
Kommission veröffentlichen.
8) Über experimentelle Bückenmarksverfindernngen naoh Blntinjektionen,
von Julius Kentzler. (Zeitschr. f.klin. Med. LX.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
Yerf. bat Kaninchen in 6 bis 8 Tagen 10 com defibriniertea Blut subkutan
eingeimpft. Als konstante Folge trat eine Lähmung auf. Dieselbe begann zu¬
meist als eine leichte Parese an dem einen Hinterbein, es folgte dann eine totale
Lähmung mit Ausfallen der Reflexe; die Lähmung schritt weiter, meistens zogen
die Tiere den Hinterleib nach sich, dann war in einigen Tagen die Lähmung der
Yorderfüße wahrnehmbar, worauf dann in sehr kurzer Zeit der Tod eintrat Die
Lähmung trat nicht sofort, sondern erst zwischen dem 22. und 61. Tage ein.
Das Rückenmark zeigte makroskopisch keine Veränderung. Mikroskopisch fanden
sich schwere Veränderungen an den Nervenzellen, die ausführlich geschildert
werden. Diese Zellveränderungen sind größtenteils in den sakrolumbalen Segmenten
zu sehen. Dieselben Veränderungen traten bei Benutzung von artgleichem wie
von artfremdem Blut auf und müssen, wie weitere Versuche zeigten, auf Rechnung
der Blutzellen, nicht des Serums gesetzt werden. Sodann wurde das zur Ein¬
impfung bestimmte Blut durch ein hämolytisches Serum in vitro gelöst und so
nur die filtrierten, im Innern der Zelle befindlichen Stoffe eingeimpft, von dem
Standpunkt ausgehend, daß nach den bisherigen Versuchen die Endotoxine den
Organismus nicht zur Bildung von Gegenkörpern anregen können; wenn die
Lähmungen, die Markveränderungen sich jetzt auch einstellen würden, können
diese nicht den im Organismus neugebildeten Stoffen, sondern den eingeführten
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und so direkt toxisch wirkenden Stoffen zugeschrieben werden. Tatsächlich erlag
auch das so geimpfte Tier der Lähmung. Diese and die typischen Rückenmarks -
Veränderungen berechtigen zu der Annahme, daß der giftig wirkende Stoff sich
im Innern der Blutkörperchen befand und erst nach der Auflösung derselben in
die Girkulation geriet (Cytoendotoxine).
0) Rüokenmarkabeftmde bei AmputationifAllen der oberen Extremität,
von Dr. v. Orzechowski (Arbeiten aus dem neurolog. Institut an der Wiener
Universität. XIIL 1907.) Bef.: Otto Marburg (Wien).
7, 12 Jahre bzw. 15 Tage naoh der Amputation kamen die Rüokenmarke zur
Untersuchung. Im ersten Falle fehlten die entsprechenden Zellgruppen, und zwar
im unteren siebenten spärlich, stärker im 8. Cervikalsegment, völlig im 1. Dorsal*
segment (laterale und dorsolaterale Gruppen). Man muß also die ausgefallenen
Zellen als Centren der Vorderarm- und Handmuskulatur ansehen. Im zweiten
Falle fehlten keine Zellen. Es machte sich nur, aber auch nioht in dem ganzen
der amputierten Extremität entsprechenden Gebiet, eine eigenartige Zellatrophie
geltend, ohne daß die Veränderung die bekannten exoessiven Grade der Atrophie
erreicht hätte. Im 3. Falle war der Umfang der Veränderung hingegen größer,
als es der amputierten Extremität entspricht. Es bestanden neben der axonaleu
Zelldegeneration Vakuolisation (nur auf der kranken Seite), ferner eigentümliche,
nur als amitotische Teilungsfiguren zu deutende Kernveränderangen. Da in dem
gleichen Falle aber meningeale und perineuritisehe Erscheinungen bestanden, ist
diesen wohl ein Einfluß beim Zustandekommen der geschilderten Veränderungen
beizumessen.
Verf. kommt in seiner überaus sorgfältigen Studie zum Schlüsse, daß die
motorischen Zellen, sogar ganze Gruppen, jahrelang nach der Amputation unver¬
ändert bestehen bleiben können. Es kommen für die Mehrzahl der Fälle mit
ausgedehnten Atrophien verschiedene Bedingungen in Frage, die degenerativ
wirken oder die Reaktion verzögern, so daß die Untersuchung alter Amputations-
fälle für feinere Lokalisationen nur mit großer Vorsicht zu verwenden ist.
Pathologie des Nervensystems.
IO) Reoherohes sur la rögänöresoenoe delamoölle, parMarinesco etMinea.
(Nouv. Icouogr. de la Salpetriere. 1906. Nr. 5.) Bef.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Nach Aufzählung und Besprechung ihrer eigenen und fremder Arbeiten über
Regeneration des Bückenmarkes, veröffentlichen die Verff. ihre eigenen neuesten
Untersuchungen.
I. Ein Kranker von 38 Jahren wird mit einer Wirbelsäulenverletzung ins
Hospital eingeliefert. Status: Erloschensein sämtlicher Haut- und Sehneareflexe
unterhalb der Verletzung, schlaffe Paraplegie, Anästhesie für alle Beizqualitäten.
Tod 29 Tage später. Bei der Sektion stellt man eine Fraktur des ersten
Lendenwirbels mit Verletzung des Wirbelkörpers fest. Das Rückenmark hängt nur
noch wie eine dünne Brücke zwischen beiden gebrochenen Stücken. Die fünfte
Lumbalwurzel und erste Sakralwurzel sind komprimiert. Das Rückenmark an der
Bruchstelle ist von grauroter Farbe. Man sieht in dem oberen Stück zahlreiche
Makrophagen, teils frei, teils in den Maschen der neugebildeten Gefäße liegend.
An den Rändern finden sich geschwollene Achsencylinder in großer Anzahl. Die
Centralpartie ist ausgehöhlt, viele neugebildete Gefäße, welche Zweige in das
nekrobiotische Gewebe hinein senden.
In den Interstitien dieser Gefäße sieht man ausgewanderte Zellen von
spongiösem Charakter, mit schwarzen Granulationen erfüllt. Von verschiedenen
Punkten der erhaltengebliebenen weißen Substanz ziehen sich längs der Gefäße
nengebildete Stränge hin und dringen mit ihnen in das nekrotische Gewebe zum
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Teil ein. In diesen Strängen sind ebenfalls nengebildete Nervenfasern enthalten,
von denen einige mit Endkenlen endigen. Die intermediäre Narbe hat eine
sehr verwiokelte Gestalt. Sie ist ungefähr 1 cm groB. Man sieht an ihrem
unteren Stück ein extrem-reiches Gefäßnetz, in dessen Maschen neugebildetes Ge¬
webe steckt Eine andere Gegend ist mit Detritus angefüllt, worin sich Blut¬
körperchen, Lymphocyten und spongiöse Zellen finden. Der mittlere Teil der
Narbe enthält neugebildete Nervenfasern in großer Anzahl, welche mit den
hinteren Wurzeln, die duroh die Verletzung komprimiert sind, Zusammenhängen.
An den hinteren Wurzeln findet man nämlich aüoh schon im normalen Zu¬
stande morphologische Bestandteile, welche die Regeneration charakterisieren. Im
vorliegenden Falle sieht man nur eine Anzahl sehr feiner und dünner
Fasern, vom Charakter der Remakschen Fasern, welche man in ihrer
Kontinuität bis zu den erwähnten, neugebildeten Nervenfasern ver¬
folgen kann. Die neuen Fasern in der Narbe sind stark verdickt wegen der
Anwesenheit von Makrophagen, die in Gruppen angehäuft sind oder weiter
zerstreut liegen. Die Fasern sind mark los und von Protoplasmastreifen durch¬
zogen (Fibrillen ?). Der Kern dieses Protoplasmas ist lang, spindelförmig und
granulös.
Von der sehr ausführlichen Beschreibung der Kompressionastalle, welche am
besten in der Arbeit selbst naehgeleeen wird, sei noch erwähnt: Oberhalb der
Narbe finden sich im großen und ganzen dieselben Verhältnisse wie im untern
Teil. Es finden sich auch da Fasern, welche unzweifelhaft von gesunden Fasern
herotammen. Sie tragen Endkolben, welche alle größer als normal sind, und mit
Satellitenzellen bekleidet sind. Die neugebildeten Nervenfasern scheinen wider¬
standsfähiger zu sein als die alten Fasern. Man findet in ihnen öfter Makro¬
phagen mit Vakuolen, welche die Verff. als nioht ganz verdaute Stücke von
Aehsencylindern ansprechen.
II. 4 2 jähriger Mann, der in der Jugend eine Rückenmark Verletzung erlitten
hat, infolge deren er eine degenerative Lähmung aller vom Plexus sacralis ver¬
sorgten Muskeln mit besonderer Beteiligung des Peroneus (Minor) erlitten hat,
nur war bei dem Kranken der Patellarreflex aufgehoben. Einige Zeit vor
dem Tode traten noch heftige Schmerzen auf. Bei der Sektion fand man eine
Luxation des 1. Lumbal wirbele. Am Rückenmark fand sich zunächst niohts, aber
bei Durchsohneidung der Dura fand man das Mark vom 1. bis 4. Lumbalsegment
an Volumen vermindert und zwar so, daß das 2. und 4. Segment durch direkte
GewaltemWirkung verletzt sein mußte. Die Richtung der Wurzeln ist ganz ver¬
ändert und ihre Differenzierung sehr schwer. *
Die hinteren Wurzeln sind an der Stelle des stattgefundenen Druckes aus
feinen Fasern zusammengesetzt, an welohen oblonge und spindelförmige Kerne
sitzen. Sie verlaufen kreuz und quer, ringeln sich, einige zeigen auch Endkolben.
Zahlreiche neugebildete Aohsencylinder von Remakschem Charakter. Ebenso ist
das Verhalten der Fasern an der Stelle der Kompression, es sind ebenfalls neu¬
gebildete Fasern, die von der Stelle der Kompression herkommen. Die Narbe
setzt Bich ebenfalls aus ganz neugebildeten Fasern zusammen, die bald recht¬
winklig, bald gekreuzt verlaufen. Zwischen den Fasern eine große Anzahl von
fiämatophoren. Oberhalb der Kompressionsstelle sieht man einige nekrobiotische
und granulöse Körper, welche höchstwahrscheinlich Reste von Axencylindern sind.
In der Gegend der Hinterstränge, unterhalb der Kompressionsstelle, sieht man
schwarze Aohsencylinder, zu 3 und 4 vereinigt, rote Nervenfasern, von ganz kurzem
Verlauf, mit Anschwellung; es sind dies zugrunde gegangene Nervenfasern. In
der grauen Substanz durchgängig Zeichen von Regeneration.
Die gefundenen Zeichen von Regeneration entsprechen durchgängig denen,
welche
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Katzen und Hunden experimentell gefunden haben. Zum
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Schluß erklären die Verff. den Ausdruck „apotrophisohe Zellen“, einen Ausdruck,
den man in ihrer Arbeit öfter findet. Nach Durchschneidung eines Nerven findet
man am peripherischen Ende schon wenige Tage nach der Operation Kolonien
von spindelförmigen Zellen, welche einen ebenfalls spindelförmigen Kern besitzen,
und welche reich sind an Chromatin. Unter gewissen Bedingungen verlängern
sie sich und bekommen mehrere Kerne. Diese apotrophischen Zellen spielen
eine wichtige Rolle bei der Regeneration der Nervenfasern. Sie besitzen ohne
Zweifel chemotaktische Eigenschaften. Sehr häufig ziehen sie vermittelst
ihres Inhalts, seltener vermittelst ihrer Interstitien, die jungen Axone an und
ernähren sie.
11) Der Zustand der Reflexe in paralysierten Körperteilen nach totaler
Durohtrennung des Rückenmarkes, von Prof. Michael Lapinsky in
Kiew. (Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLII.) Ref.: Hein icke (Großschweidnitz).
Das auf der Basis der Bastianschen Lehre sich aufbauende Dogma, daß
beim Menschen, im Gegensatz zum Tierexperiment, die völlige Durchtrennung des
Hals* oder oberen Brustteiles des Rückenmarkes von einem vollständigen und
endgültigen Verlust der Reflexe im unterhalb liegenden Körperteil und einer
schlaffen Paralyse, die nie wieder vergehe, gefolgt werde, bei vollständig normalem
Verhalten aller Bestandteile der Reflexbögen, miteinbegriffen der centralen Teile
des Rückenmarkes, hauptsächlich der Teile des Lenden-Kreuzmarkes, der Rücken*
markswurzeln, der peripheren Nerven, der äußersten Verzweigungen der sensiblen
und motorischen peripheren Nerven, sowie der Muskeln selbst, die beim betreffen*
den reflektorischen Akt beteiligt sind, daß man also aus dem Verhalten der Reflexe
einen wichtigen Hinweis z. B. erhalte, ob man bei einer Wirbelfraktur operieren
solle oder nicht, veranlaßt Verf, sich mit der diesbezüglichen, in der Literatur
aufgezeichneten Kasuistik näher zu befassen; er fand, daß diese keine Stütze für
die Bastiansche Lehre bilden könne; in der Zahl der vorhandenen klinischen
Beobachtungen gibt es keinen Fall von Durchtrennung des Hals* oder oberen
Brustteiles des Rückenmarkes, in dem die Reflexe bei normalem Reflexbogen bzw.
normalen Bestandteilen desselben gefehlt hätten.
Deshalb bedarf das Bastiansche Gesetz zu seiner Aufklärung sowohl er*
weiterter klinischer Beobachtungen, als auch des Experimentes; sehr wichtig ist
es vor allem, zu ergründen, warum in dem einen Falle die Reflexe fehlen, während
sie im anderen analogen Fall gleich nach der Durchtrennung oder nach kurzer
Zeit vorhanden sind.
Verf. selbst ist in der Lage zwei hierhergehörige Beobachtungen ansuffihren.
• Im ersten Fall gelingt es, trotz totaler, traumatischer Durohtrennung des
Rückenmarkes Reflexe hervorzurufen. Dieser Fall gibt aber auch Hinweise, wie
das Fehlen von Reflexen in analogen Fällen, d. h. bei totaler Durchschneidung
des Rückenmarkes zu erklären sei; es können sioh nämlich sehr bald nach dem
Trauma organische Veränderungen der langen Kollateralen der Hinterwurzeln ent¬
wickeln, die ja so wichtig für den Reflexbogen sind.
Der zweite Fall bestätigt diesen Schluß; er weist darauf hin, daß derartige
Traumen des Rückenmarkes von bedeutenden Blutergüssen in die graue Substanz
desselben gefolgt sein können, welche einzelne Teile der Reflexbögen auf ihrem Wege
durch das Rückenmark komprimieren oder zerstören.
Der zweite Patient zeigte in vivo Paraplegie und vollständige Anästhesie,
sowie vollständiges Schwinden aller Sehnen- und vegetativen Reflexe.
Die Rückenmarksautopsie ergab komplette Durnhtrennung desselben, starke
Gefäßhyperämie der erhaltengebliebenen Teile des Rückenmarkes und Blutergüsse
ebendaselbst.
Einige derartige Blutergüsse wurden im Lendenmark auf dem
Wege des Reflexbogens gefunden.
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12) Der Zustand der Reflexe in paralysierten Körperteilen bei totaler
Durohtrennung des Rückenmarkes, von Prof. M. Lapinsky in Kiew.
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankb. XLHI.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz).
Verf. führte bei 22 Hunden in Ch 1 oroform-ÄthernarkoBe die totale Durch-
Bchneidung des Rückenmarkes, und zwar des Halsteiles desselben aus. Dieser
Operation folgte bei den Hunden eine Veränderung der reflektorischen Tätigkeit
im paralysierten Körperteil; die Sehnenreflexe der vorderen Extremitäten waren
in der Minderzahl matt, bei den meisten fehlten sie; bei zwei Hunden aber
waren sie gesteigert.
Die Sehnenreflexe der hinteren Extremitäten waren meist gesteigert; bei
einigen waren sie matt, bei sieben fehlten sie oder sie waren atypisch.
Die Hautreflexe fehlten an den vorderen Extremitäten in der Mehrzahl; der
Reflex des Kratzens der Seite konnte in keinem Falle hervorgerufen werden.
Die Hautreflexe der hinteren Extremitäten war bei 14 Tieren vorhanden
und fehlte bei acht gänzlich.
Pupillarreflexuntersuchungen wurden nur bei einigen Hunden angestellt; sie
fielen aber stets normal aus.
Harnblase und Rektum funktionierten unwillkürlich. In allen Fällen waren
die hinteren Extremitäten vollständig schlaff; die vorderen befinden sich in
leichter tonischer Anspannung.
Alle operierten Tiere magerten rasch ab.
Die elektrische Erregbarkeit war bei 8 von 13 Tieren, die länger als 4 bis
5 Tage nach der Operation lebten, normal; bei 4 Tieren war die faradische
Reaktion herabgesetzt.
Einmal kamen trophische Störungen in Form von Decubitus vor.
In anatomischer Hinsicht hatte die Operation folgende Folgen: Die Menge
der Cerebrospinalflüssigkeit war vermindert, und der Druck, unter dem sie sich be¬
fand, in 4 Fällen stark erhöht. Die Gefäße des Rückenmarkes waren anfangs
hyperämisch, später machte sich dort ein leichtes ödem bemerkbar; es finden Bioh
ferner Blutergüsse in der ganzen Ausdehnung der Medulla, am stärksten in der
Nähe des Traumas und im Lendenmark; auch das Nervengewebe war entweder
direkt in der Umgebung der Wunde oder in der Ferne mehr weniger entartet.
Von dem vielen Interessanten sei nur dies hervorgehoben: Veränderungen der
Vorderwurzeifasera und der langen Kollateralen der Hinterwurzeln wurden nur
bei den Tieren gefunden, die intra vitam entweder einen vollständigen Verlust
der Sehnenreflexe der hinteren Extremitäten oder eine veränderte Form derselben
auf wiesen; in den Fällen, wo die Reflexe der hinteren Extremitäten vorhanden
oder sogar gesteigert waren, waren die langen Kollateralen der Hinterwurzeln auf
ihrem Wege durch die graue Substanz des Rückenmarkes und die Vorderwurzel-
fasern vollständig normal.
13) Zur Frage über die Wege der auffeteigenden Myelitis, von V. Salle.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
Die Ausbreitung der schädlichen Stoffe bei der ansteigenden Myelitis ge¬
schieht auf dem Wege der Lymphbahn, des Blutgefäßsystems und des Central¬
kanals. Um die Bedeutung dieser Leitungsgebiete und ihre Abhängigkeit von¬
einander genauer festzustellen, wurden Kaninchen Lösungen von 01. terebinth., Sol.
Fowleri, Bact. coli comm., Staphylokokken und Diphterietoxin intramedullär in¬
jiziert. Die dadurch hervorgebrachten Veränderungen treten zuerst an den Ge¬
fäßen und den dazugehörigen Lymphbahnen auf und charakterisieren sich entweder
in Form von strotzender Quellung und Erweiterung der Arterien oder in klein¬
zelliger Wurzel Infiltration bzw. in einem gleichzeitigen Vorkommen beider Er¬
scheinungen. Anscheinend beteiligen sich die Leukocyten negativ an der Zer*
Störung der Ganglienzellen, wobei es unaufgeklärt bleibt, ob es sich um eine
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Phagocytose oder um ein Hinströmen der Leukocyten nach den durch Toxin¬
wirkung veränderten Zellen handelt. Auffallend stark sind die auf- und ab¬
steigenden Aste der art. centrales dabei beteiligt. Bei dem Versuch mit Ein¬
spritzung von Bact. coli war außer den allgemein entzündlichen Erscheinungen an
den Gefäßen noch die Beteiligung der perivaskulären Scheiden an der Verbreitung
des Entzündungserregers bemerkenswert, die stark erweitert und in allen Höhen
mit Kokken angefüllt waren. Bei den anderen Versuchen fanden sich, abgesehen
von der Läsionsstelle, nirgends Entzündungserreger. Es müssen die Bakterien,
welche auf dem Wege der Lymphbahnen nach aufwärts geschwemmt wurden, auf
irgend eine Weise das Rückenmark wieder verlassen haben, doch bleibt das nähere
vorerst unaufgeklärt. In 2 Versuchen konnte die Verbreitung des Virus durch
den Centralkanal nachgewiesen werden. Vermutlich wurden die Bakterien mit
der Blutbahn aus dem Rückenmark fortgeschwemmt und blieben in dem von der
reichen Blutcirkulation abgetrennten Hohlraum des Centralkanales liegen. Auch
bei den Tieren, welchen nicht bakterielle Lösungen eingespritzt wurden, finden
sich in den Wandungen des Centralkanals aufsteigende Veränderungen mit Zer¬
störungen des Parenchyms.
Sehr auffallend war die stark ausgesprochene Veränderung der Ganglienzellen
und zwar Btand dieselbe in durchaus keinem Verhältnis zu den entzündlichen
Erscheinungen der übrigen Gewebe. Offenbar bestehen innerhalb der Ganglien¬
zellen Lieblingsstellen für die Ablagerung der einverleibten, baktericiden Stoffe.
Bei den mit Diphterietoxin und mit Terpentinöl behandelten Tieren war das
Vorherrschen infiltrativer Vorgänge bemerkenswert, während dieselben bei den
mit Bakterien behandelten Tieren weniger intensiv und außerdem später auftraten.
Bei dem mit Diphterietoxin infizierten Tiere erwiesen sich außerdem die Ganglien¬
zellen besonders stark geschädigt. In den meisten Fällen war der Centralkanal
von der primären Läsionsstelle aus direkt geschädigt und trotzdem konnte nie¬
mals ein besonders heftiges Ausgehen des Prozesses von dem Centralkanal aus
bemerkt werden. Es läßt sich deshalb vermuten, daß ihm am Vergleich zu den
perivaskulären Scheiden nur eine untergeordnete Bedeutung als leitende Lymph-
bahn zuzumessen sein dürfte.
14) Un oas de compreBsion de la moölle aveo des phönomenes de tdtra-
plegie spasmodique (oontraoture, exageration des röflexes tendineux;
tröpidation epildptolde, eigne de Babinski, guörison), par Dr. Noica.
(Arch. de neurologie. XXII. 1906. Nr. 129.) Ref.: S. Stier (Rapperswil).
20jähriger Mechaniker erlitt Btarken Schlag in den Nacken. In der folgenden
Woche anhaltende Schmerzen an der Stelle des Traumas und Ameisenkriechen in
allen vier Extremitäten. Nach einer Woche Wiederaufnahme der Arbeit; dabei
bemerkte er mehr und mehr zunehmende Schwäche in den Gliedern. 3 Monate
nach dem Unfall vollständige spastische Lähmung, an den unteren Extremitäten
stärker ausgesprochen als an den oberen. Im Nacken keine Deformation der
Wirbelsäule. An den Beinen passive Bewegungen in allen Gelenken wegen der
starken Kontrakturen nur schwer möglich. Gehen und Stehen unmöglich.
Patellarreflexe und Achillessehnenreflexe gesteigert; beiderseits Fußklonus und
Babinski. An den oberen Extremitäten aktive Bewegungen in geringem Grade
möglich; Flexion > Extension; Arme in Flexionsstellung. Passive Bewegungen
bis auf Fingerstreckung gut möglich. Sehnenreflexe gesteigert. Allgemeine leichte
Herabsetzung der Sensibilität; Hypästhesie und Hypalgesie besonders deutlich
an der Planta pediB, in der Palma, an der Innenseite der Oberschenkel. Haut-
reflexe vermindert bzw. erloschen. Vorübergehend Incontinentia urinae. Neun
Monate nach dem Einsetzen der Lähmung, ein Jahr nach dem Unfall, vollständige
Heilung nach Massage und Moorbadekur.
Der Fall ist bemerkenswert, weil er einen weiteren Beweis dafür liefert,
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daß spastische Erscheinungen im klinischen Bilde nicht notwendigerweise auf
degenerative Veränderung der Pyramidenstränge zu beziehen sind. Verf. führt
verschiedene einschlägige Fälle aus der Literatur an. Als Ursache der Kompression
nimmt er eine durch das Trauma gesetzte Meningealblutung an, die allmählich
wieder zur Resorption kam.
16) Über Carlos vertebralis acuta mit Kompressionsmyelitis im Verlaufe
der ohronisoh ankylosierenden Entzündung der Wirbelsäule, von Dr.
Alexander Simon in Wiesbaden. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde.
XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch.
Es handelt sich um eine 61jährige, aus gesunder Familie stammende Frau,
welche keine schweren Erkrankungen durchgemacht hat. Die Beschwerden stellten
sich allmählich, im Anschluß an eine akute, fieberhafte Erkrankung (Influenza?),
ein. Sie begannen mit ziehenden Schmerzen in Kreuz und Hüften, wozu später
eine langsam zunehmende Steifigkeit in den Hüften und der Wirbelsäule hinzu«
kam. Bei der Untersuchung findet sich leichte Schwellung und behinderte Be¬
weglichkeit des linken Kniegelenkes, fast völlige Ankylose beider Hüftgelenke mit
mäßiger Abduktionsstellung und leichter Flexion. Wirbelsäule, vornehmlich im
Brust- und Lendenteil völlig starr und unbeweglich, was sich besonders im Liegen
bemerkbar macht. Patellarreflexe beiderseits geschwunden, an den Beinen ganz
leichte Hyperästhesie. Später wurde Zucker (2,6—3,36 °/ 0 ) festgestellt, der aber
nach Genuß von Karlsbader Mühlbrunnen und bei geeigneter Diät bald wieder
verschwand. Dagegen klagte die Patientin über sehr heftige Schmerzen im Ge¬
biet der Hinterhaupt- und des 2. bis 3. linken Zwischenrippennerven, welche
ebenso wie die Proc. spinosi der oberen Brustwirbel druckempfindlich waren.
Später kam es zu einer Paraparese der Beine mit Hypästhesie auf alle Gefühls¬
qualitäten, beiderseitigem Fußklonus (r. > 1.), klonischen und tonischen Zuckungeu
im linken Bein, Andeutung des Babinskisehen Phänomens am linken Fuß, Hyp¬
ästhesie des Bauches bis an die Regio epigastrica und das Gesäß und im Gebiet
des 4. linken N. intercostalis, Prominenz des 2. Brustwirbels, der druckempfindlich
war und dessen Dornfortsatz verschiebbar zu sein schien. Die Sektion konnte
erst nach mehr als 3 Tagen post exitum vorgenommen werden; eine anatomische
Untersuchung war infolge davon unmöglich. Es fand sich u. a. eine ausgebreitete,
akute Karies im Körper des 2. und 3. Brustwirbels und Verkalkung der Wirbel¬
gelenke. Für das Vorhandensein eines Tumors bestand nicht der geringste An¬
haltspunkt. Das Rückenmark selbst war in den dem 2. und 3. Brustwirbel ent¬
sprechenden Segmenten makroskopisch verändert, weicher als normal und zum Teil
grau verfärbt, so daß auch ohne mikroskopischen Nachweis eine Kompressions¬
myelitis angenommen werden durfte. Offenbar war die Karies durch eine akute,
von außen kryptogenetisch eingedrungene septisch-eitrige Infektion veranlaßt,
wofür außer dem Diabetes auch ein Trauma der Wirbelsäule verantwortlich ge¬
macht werden kann.
16) Potts disease. Treatement at a late stage. Bemerke on the patho-
logioal anatomy, by E. W. Taylor. (Department of neurology. Harward
medical school. 1906.) Ref.: Baumann (Breslau).
Folgende bemerkenswerte Punkte veranlaßten den Verf. zur ausführlichen
Besprechung eines Falles von Pott scher Krankheit. Die Krankheit setzte ganz
plötzlich ein bei einem 45jährigen Manne, der sonst keinerlei Anzeichen einer
Tuberkulose darbot. Die Läsion des Rückenmarkes war lokal sehr ausgedehnt,
ähnlich wie bei Myelitis. Die motorischen Symptome herrschten stark vor gegen¬
über den sensiblen trotz der ausgedehnten Degeneration der sensiblen Bahnen.
Unter der Behandlung entstand eine weitgehende Besserung trotz des sich bei der
Sektion ergebenden weit ausgedehnten anatomischen Befundes.
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17) Un oasremarquabledeparaplögiepottique, parH.Boschi et A.Graziani.
(Revue neurologique. 1906. Nr. 17.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Ein 16jähriger Patient erkrankte akut mit Parästhesien in den unteren
Extremitäten und Gangerschwerung, die alsbald von heftigen, diffusen Schmerzen
im Abdomen gefolgt ward, welch letztere freilich rasch cessierten, während eine
Paraplegie der unteren Extremitäten zurückblieb, mit taktiler und Schmerz*
Unempfindlichkeit von der Taille nach abwärts und mit Uastdarm* und Blasen¬
inkontinenz vergesellschaftet Bei der Spitalaaufnahme: Leichte Kyphoskoliose;
in der Höhe der 4. Dorsalapophyse geringe Druckschmerzhaftigkeit; Rumpf¬
bewegungen ziemlich frei; die Muskulatur der oberen Extremitäten und oberen
Körperhälfte überhaupt funktioniert normal; passive Bewegungen der unteren
Extremitäten erschwert, aktive namentlich im Unterschenkel und Fuße; Grasset-
sches Zeichen; Sehnenreflexe der unteren Extremitäten gesteigert (Klonus); Haut¬
reflexe der unteren Körperhälfte herabgesetzt; Babinski positiv; Sensibilitätsstörung
wie oben, aber nur leicht; bei Bewegungen stellt sich erheblicher Rigor in den
unteren Extremitäten ein; Stehen, Gehen unmöglich (die Lähmungserscheinungen
sollen im Beginn der Erkrankung ausgesprochener gewesen sein); bei der Lumbal¬
funktion erhebliche Albuminmengen; ziemlich weitgehende allgemeine Besserung
im Verlauf mehrerer Monate.
Die Verff. lassen dieser kasuistischen Mitteilung diagnostische Erwägungen
folgen und weisen speziell darauf hin, daß die Pott sehe Krankheit zuweilen
intra vitam wenig oder keine Symptome mache (Fälle von Saxl, Dupre-
Camus u. a.); die Verff. entscheiden sich für die Annahme einer Pachymeningitis
spinalis im konkreten Falle, mit konsekutiver Cirkulationsstörung und Entzündung
im Rückenmarke.
18) Bin Fall von Krebsgeschwulst des Kreuzbeins, von E. v. Leyden und
L. Bassenge. (Zeitschr. f. klin. Med. LX. 1906.) Ref.: H. Levi (Stuttgart).
Es handelte sich um einen 36jährigen Mann, bei dem 6 Monate vor der
Aufnahme allmählich zunehmende Schmerzen neuralgischer Art an der Hinterfläche
des linken Beines aufgetreten waren. 3 Monate später folgten ähnliche Schmerzen
an der Hinterfläche des rechten Beines und nach weiteren 2 Monaten mit CystitiB
verbundene Blasenlähmung. Als diagnostische Anhaltspunkte dienten zunächst:
Steifigkeit der Lendenwirbelsäule, Bpontane und Druckschmerzhaftigkeit im Gebiet
der Nn. ischiadici von der Austrittsstelle bis zur Kniekehle, links etwas mehr als
rechts, Unfähigkeit den Rumpf zu beugen, zu gehen oder längere Zeit zu steheu
und in Rückenlage die gestreckten Beine über 45° bzw. 60° hinaus zu erheben.
MuBkelatrophie mäßigen Grades am linken Beine, Steigerung der FußBohlenreflexe.
Andeutung von Babinski links. Steigerung und qualitative Veränderung der
Patellarreflexe. Geringfügige Sensibilitätsstörung am linken Großzehen ballen.
Incontinentia urinae und Cystitis. Diese Symptome wiesen auf eine Beteiligung
der Medulla spinalis bzw. der Cauda equina hin. Jedoch ließ sich bezüglich der
Art und des Ortes der Affektion ein bestimmtes Urteil nicht gewinnen. Es war
zunächst auffallend, daß Störungen der Motilität überhaupt nicht, der Sensibilität
nur in geringem Umfang bestanden. Blasenlähinung und Ischias konnten im
Verein mit der Sensibilitätsstörung am linken Großzehenballen auf Erkrankung
des Sakralmarkes oder der Cauda equina bezogen werden, die indessen keinerlei
typischen Charakter trug (Erhaltensein der willkürlichen Stuhlentleerung, Steige¬
rung der Patellarreflexe und Fußsohlenreflexe, Andeutung von Babinski). Die auf¬
fallende Steifigkeit der Lendenwirbelsäule entbehrte zunächst einer ausreichenden
Erklärung, da ein Wirbeltumor weder durch Perkussion noch Palpation nach¬
weisbar war und für meningeale Reizung etwa durch Peripachymeningitis oder
durch Meningitis syphilitica weder in Befund noch in Anamnese etwas sprach.
Später auftretende Sensibilitätsstörungen über der Steißbeinspitze, am Gesäß neben
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der Analöffnung, an der Hinterfläche der linken Wade, am Außenrande des rechten
Fußes sprachen sämtlich für Störung im Bereich des Sakralmarkes oder der Cauda
equina. Erst die konstant auftretende Klopfempfindlichkeit über dem 1. bis
3. Kreuzbeinwirbel lenkte die Aufmerksamkeit mehr auf den Sakralkanal. Das
Fehlen bestimmter Anzeichen einer Querschnittserkrankung, das Ausbleiben eines
auch nur angedeuteten Brown-S öquardschen Typus, die von Beginn be¬
stehende Doppelseitigkeit der Erscheinungen machten eine extramedulläre Affektion
wahrscheinlich.
Aufklärung brachte das Röntgenogramm, das einen Schatten ergab, der die
linke Hälfte des Kreuzbeins, die linke Symphysis sacroiliaca und den an¬
grenzenden Teil deB Os ilei deckte. Der Schatten röhrte von einem Knochentumor,
der partiell die Cauda equina in Mitleidenschaft gezogen hatte und von welchem
angenommen wurde, daß er sarkomatöser Natur sei. Operatives Eingreifen war
schon mit Rücksicht auf den schlechten Ernährungszustand des Kranken ausgeschlossen.
19) Ein Beitrag zur Klinik und zur Histopathologie der extramedullären
Büokenmarkstumoren (ein Fall von extramedullärem Bückenmarks¬
tumor, welcher ohne wesentliche Sohmerzen verlief), von E. Flatau
und W. Sterling. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXI. 1906.) Ref.:E. Asch.
Bei einem 30jährigen, früher gesunden Mann stellten sich vor 14 Monaten
in der Gegend des rechten Hypochondrium Schmerzen ein, die während der Nacht
am intensivsten waren. 3 Wochen später oberhalb des Nabels ein operativ er-
öffneter Absceß, nach weiteren 3 Wochen Parese der rechten und bald daraut
auch der linken unteren Extremität. Seit Beginn der Eirankheit besteht Retentio
urinae. Die Schmerzen waren niemals besonders intensiv und standen während
des langen Aufenthaltes im Krankenhaus ganz im Hintergrund. Die Parese der
unteren Extremitäten nahm allmählich zu und hatte schon zu Beginn des Leidens
einen spastischen Charakter, während damals die sensiblen Störungen nur an¬
gedeutet waren. Später ließ sich eine begrenzte Schmerzhaftigkeit des 4. Dorsal¬
wirbels nachweiBen. Es wurde eine Operation vorgeschlagen, doch verließ der
Kranke die Klinik, ohne sich einer solchen zu unterziehen. Nach 2 Monaten
kehrte er verschlimmert und beinahe unfähig zu gehen auf die Abteilung zurück.
Es fand sich ein Fortbestehen der Schmerzen und eine Sensibilitätsstörung, deren
obere Grenze Bich vorn bis zur 8. Rippe und hinten fast bis zum unteren Rand
der Schulterblätter erstreckte. Die Schmerzen bestanden weiter, waren aber nicht
sehr intensiv und hauptsächlich im rechten Hypochondrium lokalisiert. Trizeps-
und Periostreflexe, Patellar- und Achillessehnenreflexe sehr lebhaft, außerdem
Knie-, Patellar- und Fußklonus, deutliches B ab in skisches Phänomen, Priapismus.
Auch unmittelbar vor der nunmehr vorgenommenen Operation (Entfernung des 2.
bis 4. Dorsalwirbels ohne Eröffnung der Dura) stand die Diagnose nicht fest,
per exclusionem wurde eine Kompression des Rückenmarkes angenommen. Ge¬
stützt wurde diese Ansicht durch eine schon im ersten Stadium der Krankheit
festgeBtellte, totale Aufhebung des Vibrationsgefühles. Es fand sich indessen in
der operativ hervorgerufenen Höhle kein Tumor. Bemerkenswert war, daß die
Patellarreflexe, welche vorher enorm gesteigert waren, kurz vor dem Exitus nicht
mehr nachzuweisen waren, und war dies um so merkwürdiger, als die Operation
ausschließlich mit der Knochenzange, ohne Benutzung von Hammer und Meisel
ausgeführt wurde. Bei der Sektion fand sich innerhalb der Dura in der Höhe
der 6. Dorsalwurzel eine linsengroße Geschwulst, welche an der Durchgangsstelle
der Wurzeln mit der Dura verwachsen war und sich später als Fibrosarcoma
myxomatodes charakterisierte. An der Stelle des stärksten Druckes war eine
Kompression des Rückenmarkes in sagittaler Richtung, an der Peripherie des
rechten Seitenstranges eine Einbuchtung vorhanden, in welcher der Tumor lag.
Hauptsächlich handelte es sich um Veränderungen des rechten, weniger deutlich
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des linken Seitenstranges, und zwar waren dieselben auf Stauungsstörungen zurück-
zuführen, während die entzündlichen Momente nur eine nebensächliche Rolle spielton.
Entere sind offenbar als Folge rein mechanischer Erscheinungen aufzufassen.
20) Zwei Fälle von diagnostizierten und operierten Tumoren der Bücken-
markshäute, von H. Köster in Gothenburg. (Zeitschr. f. klin. Med. LXUL
1907. Henschen-Festschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
Fall I. Bei bisher gesunder, arbeitsfähiger Frau trat 1 Jahr vor Aufnahme
teils Schmerzen im Knie, teils Eingeschlafensein des rechten Oberschenkels auf
mit allmählich zunehmendem Schwächegefühl in den Beinen. Dazu Krampf¬
zuckungen und deutliches Gürtelgefühl unterhalb des Nabels, nie heftigere
Schmerzen. Zuletzt wurde auch das Harnlassen schwieriger. Bei Aufnahme Bild
einer spastischen Paralyse der unteren Extremitäten mit schmerzhaften Zuckungen
in denselben, besonders bei Bewegungsversuchen, gleichzeitig totale Anästhesie der
Unterschenkel und bedeutende Hypästhesie der unteren Rumpfhälfte bis zur
Nabelhöhe auf der Vorderseite und bis zum 8. Wirbeldom auf der Rückseite. Reflexe
hochgradig gesteigert, Kreuzschmerzen und Schmerzen und Parästhesien in den
Beinen. Die Lähmung der Beine wurde absolut, die obere Grenze der Sensi¬
bilitätsstörung ging mehr in die Höhe und erreichte zuletzt die untere Kante der
Mammae und rückseitig (Grenze weniger scharf) den 4. Dorsalwirbeldom. In¬
continentia urinae et alvi. Bei der Aufnahme Druckempfindlichkeit des 8-, 9.
und 10. Proc. spinös., einen Monat später des fünften und nach ein paar Monaten
am meisten des 4. Proc. spinös.
Die Diagnose wurde auf einen Tumor gestellt, der das Rückenmark dem
5. Dorsalsegment entsprechend komprimiere, und auf Grund des Gowersschen
Schemas wurde als Angriffspunkt an der Wirbelsäule der 3. Dorsalwirbeldom an¬
genommen. Die Lokalisierung des Tumors, der bei der Operation an der dia¬
gnostizierten Stelle gefunden wurde und sich als typisches Psammosarkom erwies,
mußte ausschließlich auf Grund der sensiblen Symptome geschehen.
Das Resultat der Operation war nicht besonders glänzend, wenn auch nicht
ohne Nutzen für die Patientin: Die Störungen der Motilität und Sensibilität
blieben bestehen, doch ist die Patientin von den sehr schmerzhaften Krämpfen
und Zuckungen der Beine befreit und ihr Zustand infolgedessen verhältnismäßig
erträglich.
Bemerkenswert ist das allmähliche Höhertreten der Anästhesiegrenzen, welches
einmal der These Schultzes von der Unveränderlichkeit der oberen Grenze als
einem der sichersten Zeichen des Tumors widerspricht, andererseits zeigt, daß
Brun8 mit seiner früher ausgesprochenen Ansicht Recht hat, daß eine Lokal-
diagnose eines Rückenmarkstumors erst dann mit einiger Sicherheit möglich ist,
wenn die Kompression des Rückenmarkes total geworden ist, weil bei erst par¬
tieller Kompression die Anästhesiegrenzen zu tief liegen können.
Fall II. 38jähriger Maurer. Erste Symptome schon 2 Jahre vor Aufnahme,
einseitig im linken Bein mit eigentümlichen Sensationen in der großen Zehe, zu¬
nehmender Schwäche und Steifigkeit des Beines. Erst ein Jahr später auch
Symptome vom anderen Bein mit langsamer Ausbreitung. Erst in allerletzter
Zeit Harninkontinenz. Heftige Schmerzen kamen nur im linken Bein vor und
nach Angabe des Patienten breiteten sich zuerst die sensiblen Symptome aus und
die motorischen folgten nach. Bei der Aufnahme spastisch-ataktische Parese
beider Beine mit hochgradiger Rigidität und gesteigerten Reflexen, weiter starke
Schmerzen in den Beinen und Herabsetzung der Sensibilität, die sukzessive nach
oben hin abnahm; am wenigsten war der Schmerzsinn gestört. Gleichzeitig Harn¬
inkontinenz, Incontinentia alvi und Decubitus über der Sakralgegend. An Wirbel¬
säule nichts Besonderes. Einige Wochen später Sensibilitätsstörung ziemlich unver¬
ändert, aber deutliche Atrophie besonders der Mm. sartorius, quadriceps, adductores
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und glutaei. Auch in diesem Falle sprach das sukzessive Zunehmen der Sym¬
ptome für eine langsam fortschreitende Kompression des Rückenmarkes.
Auf Grund von im Original nachzulesenden differential-diagnostischen Er¬
wägungen kam Verf. zur Diagnose eines Tumors mit dem Sitze an der Austritts-
Stelle des 1. Lumbalnerven im Rückenmarke. Nach dem Go wer eschen Schema
entsprach ein solcher dem 11. Wirbeldorn und hier und etwas weiter hinunter
wurde auch ein Tumor (Art desselben?) bei der Operation gefunden.
Auch in diesem Falle war das Resultat nur subjektive Erleichterung der
heftigen Schmerzen, Verschwinden der Rigidität und der Zuckungen in den Beinen
und endlich der Inkontinenz. Dagegen wurden die motorischen und sensiblen
Störungen unzweifelhaft deutlich gesteigert. Eis trat eine tiefgreifende Gangrän
auf, die zur allgemeinen Sepsis und zum Exitus letalis führte (etwa 4 Monate
nach der Operation). Die Sektion ergab eine totale Erweichung des Markes dem
Sitz des Tumors entsprechend; Ver£ hält es für möglich, daß während der Operation
eine Kompression des Rückenmarkes eingetreten ist infolge der wegen intensiver
Blutung notwendigen Tamponade.
21) Über eine seltene Büokenmarkshautgesohwulat (Chromatophorom), von
Dr. Esser. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXIL 1907.) Ref.: E.Asch.
I. 54jährige Frau klagt seit l 1 / 2 Jahr über allmählich stärker gewordene
Rückenschmerzen, welche in der Höhe der 6. bis 7. Rippe nach vorn hin ausstrahlen.
Vor 6 Monaten Schwäche beider Beine, bald darauf Zuckungen und Krämpfe in
denselben sowie Retentio und später Incontinentia urinae et alvi. 5. bis 7. Dorn¬
fortsatz der Brustwirbelsäule druckempfindlich, spastische Lähmung beider Beine
(r. > 1.) mit gesteigerten Reflexen, Fußklonus und Babinski, Verlust der Bauch¬
deckenreflexe und Herabsetzung der Sensibilität für alle Qualitäten vom Rippen¬
bogen an abwärts, links erheblicher als rechts. Die auf Tumor und Kompression
des Rückenmarkes in der Höhe des 5. bis 6. Dornfortsatzes mehr an der rechten
Seite der Medulla spinalis gestellte Diagnose wurde bei der Operation bestätigt,
indem sich bei derselben in der genannten Höhe ein taubeneigroßer Tumor
(Psammom) fand. Eis schwanden allmählich sämtliche Veränderungen und neun
Monate nach dem operativen Eingriff waren alle Funktionen wieder normal.
H. 32jähriger, bis auf eine in früher Jugend überstandene fieberhafte Er¬
krankung und eine vor mehreren Jahren akquirierte Gonorrhoe, stets gesunder
Mann. Er klagte vor 2 Monaten zuerst über Schmerzen im Nacken, den oberen
Rückenpartien und in den Armen, die sich besonders bei Bewegungen einstellten,
aber allmählich nachließen. Bald darauf Schwäche, Taubheitsgefühl und Krämpfe
zuerst im rechten und bald darauf auch im linken Bein, Gürtelgefühl und Spannung
am rechten Fußgelenk. Später vollständige Lähmung der Beine, Retentio urinae
et alvi und schließlich unwillkürlicher Abgang von Harn und Stuhl. Es findet
sich in der Gegend des Kreuzbeins ein handtellergroßer, tiefer Decubitus, schlaffe
Lähmung der Beine mit anfangs schwachen und später nicht mehr auslösbaren
Patellarreflexen. Bauchdeckenreflexe = 0, Babinskisches Phänomen anfangs r. > 1.,
nach mehreren Wochen nur schwach angedeutet und später nur noch gelegentlich
zu erzielen. Sensibilität von der 3. Rippe an für alle Qualitäten herabgesetzt
und von der 6. Rippe an völlig aufgehoben. Eis wurde ein extramedullärer Tumor
mit seinem Sitz in der Höhe des 1. bis 2. Dornfortsatzes der Brustwirbelsäule
angenommen. Bei der Operation fand sich eine in dieser Höhe sitzende, intra¬
durale, mehr auf der reohten Seite sitzende, etwa 4 cm lange und 1 1 / 8 cm breite,
schwarz gefärbte Geschwulst von weicher Konsistenz, welche nicht mit der Dura
verwachsen war, sich aber nicht vollständig von den weichen Häuten abpräparieren
ließ. Die anatomische Untersuchung ergab, daß es sich dabei um woblcharak-
terisierte und in bestimmter Richtung diffeienzierte Zellen handelte, welche Ge-
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schwulst von Ribbert als Ghromatopborom bezeichnet wird. Einen Monat nach
der Operation starb der Kranke an einer eitrigen Basilarmeningitis.
22) Uber einen operativ geheilten Fall von extramedullärem Tumor mit
sohmerafreiem Verlauf, von Dr. H. Starsberg. (Deutsche Zeitschrift für
Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch.
Ein 48jähriger Arbeiter, der abgesehen von einer vor 3 Jahren überstandenen,
linksseitigen Ischias früher gesund war, bemerkte plötzlich ein taubes Gefühl in
den Zehen beider Füße, das allmählich bis in den Unterleib hinaufstieg und von
einer zunehmenden Schwäche beider Beine begleitet war. Stuhlentleerung völlig
normal, Blasenfunktion nur einmal vorübergehend beeinträchtigt. Weder zu Be¬
ginn der Erkrankung, noch während des weiteren Verlaufes wurden irgendwelche
Schmerzen bemerkt. Bei der Aufnahme fand sich eine spastische Parese der
Beine, Steigerung der Patellarreflexe und Babinskisches Phänomen. Von den
Bauchreflexen war der obere beiderseits dauernd normal, der mittlere im Anfang
rechts herabgesetzt, links normal, später verschwand derselbe rechts vollkommen
und war links nur schwach auslösbar; der untere fehlte, ebenso wie der Kremaster¬
reflex, schon bei der ersten Untersuchung. Die unteren, seitlichen Teile des
Leibes waren etwas stärker vorgewölbt; beim Versuch zu pressen wurden die
oberen Teile der queren Bauchmuskeln gut, die unteren schlechter kontrahiert.
Sensibilität an den Beinen, besonders links, für alle Qualitäten herabgesetzt, und
zwar fand sich die obere Grenze der Störung vorn in Nabelhöhe, also im Bereiche
des 10. Dorsalsegmentes, während sie sich hinten etwas tiefer als in den für
diesen Rückenmarksabschnitt entsprechenden Linien hielt und auch nicht ganz
scharf abschnitt. Links vom Nabel oberhalb der hypothetischen Teile zeitweise
eine ganz geringe Überempfindlichkeit im Bereiche eines zwei Finger breiten
Streifens. Später ging das Anfangs noch teilweise erhaltene Gehvermögen voll¬
kommen verloren.
Das Fehlen jeglicher Schmerzen sprach zwar gegen die Annahme einer ope¬
rablen Geschwulst, doch lehren die von Fr. Schultze und Oppenheim mit¬
geteilten Fälle, daß auch Ausnahmen Vorkommen können. Es wurde deßhalb die
Laminektomie ausgeführt und fand sich unter dem Proc. spinosus des 8. Brust¬
wirbels eine Geschwulst, welche sich auf der rechten Rückenmarkshälfte entwickelt
hatte, von der Dura leicht ablösbar war und sich später als Psammom erwies.
Es stellte sich bald eine Besserung des Gesamtbefindens, des Gehvermögens und
der Gefühlsstörung ein.
Ver£ betont, daß in Fällen fortschreitender Schädigung des Rückenmarkes,
welche einen gleichbleibenden oder doch nur unbedeutend aufsteigenden Sitz der
Erkrankung annehmen lassen, auch dann eine extramedulläre Geschwulst ange¬
nommen werden kann, wenn niemals sensible Reizerscheinungen aufgetreten waren.
Auch wird durch diese Beobachtung die Annahme von drei Bauchreflexen und
deren Lokalisation bestätigt.
23) Bin Beitrag zur Klinik und zur operativen Behandlung der Rüoken-
marksgesohwülste , von Dr. L. Bregman in Warschau. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
I. Ein 44jähriger, früher gesunder Lehrer erkrankte vor l 1 /, Jahren ohne
nachweisbare Ursache unter sehr heftigen Sohmerzanfällen in der linken Lenden¬
gegend, wozu sich später ein Gefühl von Schwere im Rücken gesellte. Nach
9 / 4 Jahr Lähmungserscheinungen von langsamer Progredienz, zuerst in der linken,
später auch in der rechten unteren Extremität Es fanden Bich paretisch-spastischer
Gang mit Nachschleppen des linken Beines, leichte Parese der rechten unteren
Extremität, stark erhöhte Patellar- und AchillesBehnenreflexe, Fußklonus besonders
links, Babinski-Reflex links ausgebildet, in der linken Lendengegend entsprechend
der Crista ossis ilei, in der linken Bauchhälfte unterhalb des Nabels und — weniger
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deutlich — auf der vorderen, medianen Fliehe des Oberschenkels im Gebiet der
1., 2. and teilweise aach der 3. Lendenwurzel eine mehrere Finger breite, an*
ästhetische Zone, an der rechten unteren Extremität Brown-Söquardscher
Lähmungstypus, erschwerte Harnentleerung und ganz geringe Schwäche des Sphincter
vesicae. Es wurde ein Tumor angenommen, der das letzte Dorsalsegment kom¬
primierte und die zwei untersten dorsalen, sowie die obersten Lendenwurzeln
lädierte. Es wurden die Bogen des 8., 9. und 10. Brustwirbels entfernt und es
fand sich ein im Arachnoidealgewebe sitzender, etwa 2 1 / 2 cm langer Tumor, der
sich später als Fibrosarkom erwies. 8 Tage später Exitus infolge von eitriger
Meningitis cerebrospinalis.
II. 14jähriges Mädchen aus gesunder Familie (als Zwillingskind im 7. Monat
geboren) klagt Beit mehreren Monaten Ober starke Schmerzen im Röcken und
beiden Seiten und später über solche im Kreuz und der linken unteren, sowie
bald darauf auch der rechten unteren Extremität. Patientin war bis zum 9. Jahr
ganz gesund, bekam nach einem Schlag ins Auge Nervenanfälle von hysterischem
Charakter, die nach 3 monatlicher Dauer verschwanden. Durch seinen Beruf
maßte das Mädchen häufig schwere Packete auf den Schultern tragen.
Es bestand paretisch-spastischer Gang mit hauptsächlicher Parese des rechten
Beines, abduzierter, in Valgusstellung befindlicher rechter Fuß, spastische Lähmung
beider unteren Extremitäten, erhöhte Patellar- und Achillessehnenreflexe besonders
links, Fußklonus (r. > 1.), Harnretention, heftige Schmerzen in den Seiten und
den Beinen, sowie nicht bedeutende, objektive Sensibilitätsstörung hauptsächlich
in den distalen Teilen der unteren Extremitäten ohne Druckempfindlichkeit der
Wirbelsäule. Im Verlauf des Leidens entwickelte sich die Paraparese zu einer
vollständigen Paraplegie mit spastischer Beugekontraktur und die SenBibilitäts-
störung wurde zu einer ausgeprägten Anästhesie, die sioh aufwärts bis zur vierten
Rippe entwickelte, während zwischen 4. bis 6. Rippe eine hypästhetische Über¬
gangszone bestand. Außerdem trat Decubitus auf and die Harnretention machte
einer Inkontinenz Platz. Es wurde eine bösartige Geschwulst von extramedullärem
Sitz angenommen, deren obere Grenze in der Höhe des 2. Dorsalsegmentes gesucht
werden durfte. Bei der Operation fand sich unter dem Bogen des 2. Brustwirbels
eine unregelmäßige, höckrige Geschwulst, die mit dem Röckenmark fest verwachsen
war und nicht entfernt werden konnte. Nach 3 Monaten Exitus. Die auf das
Rückenmark beschränkte Sektion ergab das Vorhandensein einer diffusen Sarko-
matose der weichen Rückenmarkshäute, die sich also in diesem Falle mit einer
knotenförmigen, meningealen Geschwulst kombiniert hatte.
24) Ein Beitrag aur Kenntnis der Büokenmarkstumoren und Höhlen¬
bildungen im Bfiokenmark, von Karl A. Kling. (Zeitschr. f. klin. Med.
LXIII. 1907. Henschen-Festschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
30 Jahre alter Sägewerkarbeiter, seit 6. April 1904 auf der Klinik von Prof.
Henschen. Keine erbliche Belastung, Lues negiert, früher überhaupt gesund.
Von Jugend auf Stottern. Beginn September 1903 mit Schmerzen in der rechten
Hüftgegend, die sich allmählich längs der äußeren Seite des rechten Schenkels
verbreiteten, brennend, stechend, kriechend. Ähnliche Beschwerden allmählich im
unteren Teil des Bauches und in der Lendengegend. Gürtelgefühl in Nabelhöhe.
Nach einigen Wochen rechtes Bein schwächer als linkes, Hinken. Oktober 1903
ähnliche Beschwerden im linken Bein. Langsame Verschlimmerung. Von Anfang
an Störungen beim Urinieren, häufiger Drang, langsamer Abfluß, dann vorüber¬
gehend Retention. Untersuchung am 9. April ergab: Unterhalb einer Linie, die
5 cm über dem Nabel rings um den Rumpf gezogen wird, Schmerz- und Tempe¬
ratursinn völlig fehlend. Berührung wird nur wenn kräftiger wahrgenommen.
Um den Anus, über Scrotum und Penis sind die Sensibilitätsstörungen ziemlich
gering. Orts- und Muskelsinn normal. Beide Beine völlig gelähmt. Untere
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Bauch*, Kremaster- und Fußsohlenreflexe fehlen, obere Bauchreflexe dagegen bis
zur Grenze für die Sensibilitätsstörungen vorhanden. Babinski negativ. Patellar*
und Trizepsreflexe beiderseits gesteigert, kein Fußklonus. Zeitweise Spontan¬
zuckungen. Später Auftreten von Decubitus und Babinski später positiv. In¬
continentia urinae.
Klinische Diagnose (Prof. Henschen): Tumor medullae spinalis und Decubitus.
Am 21. September 1904 trat der Exitus letalis ein. Die patholog.-anatomische
Diagnose lautete ebenfalls auf Tumor medullae spinalis. Verf. schildert ausführ¬
lich den Tumor und bespricht die Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung.
Er faßt die Ergebnisse der eingehenden Untersuchung in folgenden Sätzen zu¬
sammen:
1. Dieses Bückenmark zeigt einen Centralkanal, der im ganzen Lumbalmark
ansehnlich erweitert ist, und der außerdem an der letztgenannten Stelle eine Form
aufweist, wie sie sich beim menschlichen Embryo im 5. Monat findet.
2. In verschiedenen Teilen des Rückenmarkes kommen Neubildungen vor:
a) In der unteren Partie des Dorsalmarkes findet sich eine Geschwulst, die
ich „Neuroepithelioma gliomatosum gangliocellulare“ benenne, und die ihrer Haupt¬
masse nach aus Epithel besteht, welches von dem primitiven Neuralrohr herstammt,
in seinen peripheren Abschnitten aber Differenzierung zu Gliagewebe und Ganglien¬
zellen verrät. Im obersten Teil des Tumors ist eine größere, epithelbekleidete
Höhlung zu sehen, die Epithelproliferationen in der Wandung zeigt und nach
vorn zu mit dem Centralkanal zusammenhängt;
b) im oberen Teil des Dorsal- und Lumbalmarkes werden centrale Glio-
matosen angetroffen;
c) auf große Strecken hin im Dorsalmark ist eine mehr oder weniger hervor¬
tretende centrale Gliose zu sehen.
3. Außer dem erweiterten Centralkanal sieht man wirkliche Syringomyelie¬
höhlungen, die durch regressive Prozesse in den centralen Gliomatosen ent¬
standen sind.
4. Die Syringomyeliehöhlungen kommunizieren in diesem Falle nicht mit
dem Centralkanal und entbehren einer Epithelbekleidung.
5. Das Neuroepithelioma macht sich in diesem Falle durch ein schnelleres
Wachstum früher und stärker als die gewöhnlichen Gliaproliferationen bemerkbar.
26) Über einen Fall von Solit&rtuberkel im Büokenmark mit Neben¬
befund von sog. arteflzieller Heterotopie desselben, von G. Rystedt.
(Zeitscbr. f. klin. Med. LXIII. 1907. Henschen-Festschr.) Bef.: Hugo Levi.
25jähriger Arbeiter, ohne erbliche Belastung bezüglich Nervenkrankheiten
oder Tuberkulose. Lues negiert. Früher gesund. Um den 20. April 1906 wurde Pat.
ohne bekannten Grund heiser; am 29. April merkte er zum ersten Male eine ge¬
wisse Schwäche beim Bewegen des rechten Fußes, große Müdigkeit in demselben
und die Spitze schleppte beim Gehen. Allmähliche Ausbreitung der Schwäche im
ganzen rechten Bein, ohne Schmerzen, doch trat Ameisenkriechen im rechten Bein
auf. Bei Aufnahme: Temperatur abends 38,3. Dämpfung der linken Lungen¬
spitze, laryngoskopische abgegrenzte Böte deB linken Stimmbandes. Wirbelsäule
ohne Sonderheit, nirgends empfindlich. Leichte Parese der Bauchmuskulatur.
Parese des ganzen rechten Beines. Patellarsehnenreflexe beiderseits gesteigert,
r. > 1., Fußklonus nur rechts angedeutet. Babinski positiv. Sensibilitätsstörungen,
von denen Pat. bis dahin nichts wußte: Hypästhesie am oberen Teil der Vorder¬
seite des rechten Oberschenkels. Schmerzempfindung bedeutend abgeschwächt an
der Vorderseite des rechten Unterschenkels, an der Hinterseite des ganzen rechten
Beines und über der rechten Glutäalgegend, etwas abgeschwächt am medialen
Teil der Vorderseite des linken Beines. Temperatursinn abgeschwächt oder fehlend
an der ganzen rechten unteren Körperhälfte ungefähr bis zur Nabelhöhe, auf der
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Hinterseite bis zum Proc. spin. des 12. Dorsalwirbels und etwas abgeschwächt am
medialen Teil der Vorderseite des linken Beines. Muskelsinn normal. Keine
Blasenbeschwerden. 18./V. Bauchreflexe vorhanden. Kremasterreflexe fehlen. Beide
Beine völlig gelähmt. Temperatur 39,4°. Zunahme der Sensibilitätsstörungen.
Mitunter unfreiwillige Zuckungen in den Beinen, besonders rechts. Zunehmende
Verschlimmerung auch des Lungen* und Larynxbefundes. Haminkontinenz. Exitus
am 23. Juli 1906. Die obere Grenze der Sensibilitätsstörungen wies im Verlauf
nur unbedeutende Schwankungen auf. Die Diagnose wurde intra vitam auf einen
intramedullären Rückenmarkstuberkel gestellt, mit Rücksicht auf die obere Grenze
der Sensibilitätsstörungen nahm man als Sitz desselben das 7. Dorsalsegment an.
Bei der Sektion fand sich anscheinend ein kleiner Tumor, jedoch bedeutend tiefer,
nämlich im 10. Dorsalsegment, von dem Verf. durch Serienschnitte nachweist, daß
derselbe mit der Nervenkrankheit nicht in Verbindung stand, sondern alB Kunst¬
produkt zu betrachten war, Heterotopie.
Erst beim Durchschneiden verschiedener Segmente des Dorsalmarkes zeigte
sich der diagnostizierte Solitärtuberkel, und zwar im 5. Dorsalsegment, intra¬
medullär entwickelt, deutlich abgegrenzt. Die Krankheit wurde bisher intra vitam
erst in 8 Fällen diagnostiziert
Der klinische Verlauf scheint in typischen Fällen der folgende zu sein: in
einem Falle mit anderen tuberkulösen Veränderungen tritt ohne Zeichen von
Wirbelkaries eine ausgesprochen einseitige Lähmung auf, die schnell doppelseitig
wird; anfangs zeigt sich eine dissoziierte Gefühlsstörung, an deren Stelle später
totale Anästhesie tritt. Motorische und sensible Reizerscheinungen sind im all¬
gemeinen sehr wenig hervortretend, die letzteren, wenn vorhanden, der Lähmung
nur kurze Zeit vorangehend.
26) Tumor mediasdni und des Rückenmarkes. Ein Beitrag zur Entstehung
kleiner vaskul&r-sklerotisoher Herde bei verschiedenen Rückenmarks-
krankheiten und zur Genese der Amyloidkörperohen, von E. Fla tau
und S. Koelichen. (Medycyna. 1906. Nr. 39 — 43.) Ref.: Edward Flatau.
Die Verff. beschreiben einen Fall von Tumor mediastini et Medullae spinalis
und beschäftigen Bich gleichzeitig mit der Entstehung der kleinen vaskulär
sklerotischen Herde bei verschiedenen Rückenmarkskrankheiten und mit der
Genese der Amyloidkörper. Der Fall betraf eine 42jährige Frau, welche zu¬
nächst über Dyspnoe und Brustschmerzen klagte. Es wurde auch gleich ein
Pleuraexsudat diagnostiziert und entleert. Perkutorische Dämpfung in der linken
Brusthälfte, Bronchophonie. Schmerzen im Rücken, die allmählich Zunahmen,
Schwäche der unteren Extremitäten, Lähmung derselben (innerhalb einiger Tage),
wobei das rechte Bein das Bild einer schlaffen Lähmung zeigte, das linke dagegen
sich in einer Extensionskontraktur befand. Patellarreflexe waren lebhaft, Achilles¬
sehnenreflexe fehlend, kein Babinski. Abschwächung des Tast- und Schmerzsinnes
an den Unterschenkeln. Im weiteren Verlauf beiderseitige Bchlaffe Lähmung,
lebhafte Patellarreflexe, fehlende Achillessehnenreflexe, beiderseitiger Babinski.
Sämtliche Gefühlsqnalitäten an den Beinen abgeschwächt, zum Teil fehlend.
Muskelsinn nur in den Hüftgelenken erhalten. Gefühlsstörungen hinten bis zum
Rippenrand, vorn in der unteren Bauchhälfte. Rumpfmuskulatur abgeschwächt
(kann sich nur mit großer Mühe hinsetzen). Schmerzhaftigkeit im Gebiete des
4. bis 5. Dorsalwirbels. Keine Blasen- und Mastdarmstörungen. Beginnender
Decubitus in der Kreuzgegend. Schmerzen und Kältegefühl in den Beinen.
9 Tage vor dem Tod trat ödem am Gesicht und an den Beinen auf. Dann
Schwellung auch der linken Brustdrüse. Am Tage des Todes merkte man ober¬
halb der linken Clavicula einen Tumor, augenscheinlich aus der Brusthöhle aus¬
gehend. Die Sektion ergab einen Mediastinaltumor, welcher durch die Foramina
intervertebralia (vom 3. bis zum 7. Dorsalwirbel) nach dem Wirbelkanal drang
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und hier rechts mit der Dora mater ▼erwachsen war. Der Tumor erwies sich
als ein rundzelliges Sarkom. Mikroskopische Untersuchung zeigte im Niveau des
Tumors Verdickung der Dura mater. Im Rückenmark fand man folgende Altera¬
tionen: Erstens ließen sich im gesamten Rückenmark und zwar sowohl in der
weißen, wie auch in der grauen Substanz vaskulär-sklerotische Veränderungen
(Verdickung der Gefäßwände, hauptsächlich der Media und Adventitia, perivaskuläre
Gliawucherung und zum Teil Erweiterung der perivaskulären Lymphräume) nach-
weisen, welche ihre größte Intensität im Niveau deB Tumors erreichen. Zweitens
konnte man in einem Segment, welches dem Tumor anlag, einen isolierten Herd
im rechten Seitenstrang konstatieren mit akutem Zerfall der nervösen Substanz
mit konsekutiver auf- und absteigender Degeneration. Die Verff. machen da¬
rauf aufmerksam, daß diese vaskulär-sklerotischen Veränderungen sich deutlich
von denjenigen unterscheiden, die gewöhnlich bei RompressionsprozesBen be¬
schrieben werden. Bei diesen letzteren findet man Ödem deB Rückenmarkes,
Quellung der Achsencylinder, Quellung und Zerfall der Markscheiden mit sekun¬
därer Gliawucherung, Lückenfeld. Diesem Bilde würde im obigen Falle nur der
akute Herd in einem Segment entsprechen. Die Pathogenese der zerstreuten
vaskulär-sklerotischen Herde sei eine ganz andere. Diese Herde zeigen eine ge¬
wisse Analogie mit denjenigen bei Anämie (Minnoch, Nonne), bei Septikämie im
Greisenalter, bei Parkinsonscher Krankheit (Redlich) und bei Meningomyelitis
luetica (Bikeles). Es wäre anzunehmen, daß bei allen diesen Prozessen die
Veränderungen (vaskulär-sklerotische Herde) durch Infektions- bzw. toxische Stoffe
bedingt werden. Diese Stoffe wirken durch Vermittelung der Blut- und zum Teil
der Lymphgefäße auf die umgebende Substanz, wobei unaufgeklärt bleibt, warum
gerade die weiße Substanz, speziell die Hinterstränge und der anliegende Teil
der Seitenstränge, eine Prädilektionsstelle für diese Wirkung bildet. Die Verff
besprechen noch die Amyloidkörperchen, welche in diesem Fall in einer enormen
Anzahl auftraten. Man fand dieselben im gesamten Rückenmark, dabei wuchs
ihre Anzahl mit der Entfernung vom Tumor. Am zahlreichsten erschienen die¬
selben im mittleren Halsmark (wo der ganze Querschnitt förmlich mit derselben
besät erschien) und am 12. Dorsal- und 1. Lumbalmark. Diese Körperchen lagen
hauptsächlich in der weißen Substanz (mit Bevorzugung der Hinterstränge und
der anliegenden Teile der Seitenstränge), aber auch in der grauen (hauptsächlich
in den Randabsohnitten der Vorderhörner und in der Umgebung des Central¬
kanals). Man fand sie ferner in der gliÖBen Randschicht (besonders in den Ein¬
trittsstellen der Pialsepten), im sogen. Spatium epispinale, zwischen den ependy¬
mären Zellen des Centralkanals und in einer großen Zahl in den perivaskulären
Lymphräumen. Die Amyloidkörperchen zeigten nirgends eine Anordnung entlang
den anatomischen Bahnen. Dagegen zeigten dieselben besonders an den Längs¬
schnitten mitunter eine sich deutlich den Gefäßen anschließende Säule. Nirgend
ließ sich eine Abstammung dieser Körperchen von einer Nervenfaser feststellen.
Die innere Struktur der Amyloidkörperchen ließ sich am besten an den nicht
gechromten und in Paraffin eingebetteten Stücken studieren. Färbung: Alaun-
hämatoxylin. (Jodgrün, Methylgrün, Methylblau, Safranin geben keine so klare
Bilder.) Alle diese Farbstoffe geben den Körperchen ihre eigene Verfärbung,
d. h. diese wird chemisch nicht umgewandelt. Nur nach Anwendung der Lugol-
schen Lösung (1:3 Aqua) zeigten die Amyloidkörperchen eine sich von der gelben
Umgebung scharf abhebende Färbung (stahlgrau). Bei Anwendung der Marchi-
sehen Methode fand man in den Körperchen keine Körnung. Bei Immersion
lassen sich im Innern der Amyloidkörperchen tiefer gefärbtere Kerne feststellen.
In zahlreichen Kernen erkennt man noch ein Kernkörperohen. Die Verff. be¬
sprechen die Genese der Amyloidkörperchen und meinen, daß dieselben Zellen¬
strukturen darstellen, wobei es unentschieden blieb, ob diese Körperchen aus
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Neurogliazellen (Redlich, Obersteiner) oder aus anderen Zellen abstammen.
Das eine möchten die Verff. noch betonen, nämlich daß die Amyloidkörper eine
gewisse Ähnlichkeit mit den Körnchenzellen zeigen. Die Abstammung der
Corpora amylacea von den Nervenfasern wird von den Verff. entschieden ab¬
gelehnt.
27) Über kombinierte Strangdegeneration des Rückenmarkes» von Dr.
P. Salecker. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch.
Bei einer 36jährigen, früher gesunden Frau, welche väterlicherseits psycho¬
pathisch belastet ist und welche drei normale Kinder hat, stellten sich im Anschluß
an einen Abort die Symptome einer allmählich zunehmenden spastischen Lähmung
beider Beine ein, wozu sioh nach einem Jahr leichte subjektive Sensibilitäts¬
störungen hinzugesellten. Nach 3 Jahren fand sich leichte Hypertonie der Arm¬
muskulatur mit lebhaften Reflexen, spastische Paraparesen der Beine mit ge¬
ringer Ataxie sowie an den distalen Enden der Extremitäten leichte Sensibilitäts-
störungen für alle Qualitäten und Veränderungen der Tiefensensibilität an den
Beinen. Reflexe an den unteren Extremitäten erhöht, Plantarreflexe in Babinski-
scher Form vorhanden, Strümpellsches und Oppenheimsches Phänomen beider¬
seits gut auslösbar, unterer Bauchdeckenreflex = 0. Außerdem bestand beider¬
seitige Abblassung der temporalen Papillenhälfte, ohne daß eine sichere partielle
Optikusatrophie angenommen werden konnte. Kurz nach der Aufnahme stellte
sich ein Kopferysipel ein, woran die Patientin zugrunde ging. Die Wahrschein¬
lichkeitsdiagnose schwankte zwischen kombinierter Strangerkrankuug und multipler
Sklerose. Bei der anatomischen Untersuchung fand sich im Verlauf des ganzen
Rückenmarkes eine Erkrankung bestimmter Hinterstrangbahnen, die im wesent¬
lichen im Go 11 sehen Strang verläuft, der ganzen gekreuzten sowie ungekreuzten
Pyramidenbahn und der Kleinhirnseitenstrangbahn. Und zwar handelt es sich
um eine aufsteigende Degeneration der Pyramidenseitenstränge, Pyramidenvorder¬
stränge und Kleinhirnseitenstränge und um eine absteigende der Hinterstränge.
Im Lendenmark waren auch die hinteren Wurzeln und die L iss au ersehe Zone,
wenn auch nur schwach, afflziert, doch ist es nicht sicher, ob diese Veränderungen
mit den genannten in Zusammenhang gebracht werden können. Wenn auch die
Veränderungen der Hinterstränge in mancher Beziehung mit dem tabischen Prozeß
Ähnlichkeit zeigen, so differieren sie doch in so wesentlichen Punkten, daß sie
sicher als nicht tabisch aufgefaßt werden können. Histologisch fanden sich keine
für entzündliche Prozesse charakteristische Veränderungen, so daß es sich nur
um eine primäre Degeneration der großen FaserBysteme handeln konnte. Wie in
allen bisher mitgeteilten Fällen primärer Strangdegeneration war die Intensität
der Affektion eine wechselnde, was sich ja daraus erklärt, daß die Fasersysteme
keine mathematisch begrenzten Bezirke einnehmen, und daß in deren Gebiet
auch kurze Bahnen verlaufen. Im übrigen boten die festgestellten anatomischen
Veränderungen eine große Übereinstimmung mit den klinischen Erscheinungen
dar. Nur die Affektion der Kleinhirnseitenstränge verlief, wie sonst immer,
symptomlos.
28) A oase of asoending unilateral paralysis, by L. Newmark. (Journ. of
Nerv, and Ment. Disease. 1906. März.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
23jähriger Patient klagt seit Sommer 1900 über zunehmende Schwäche im
linken Bein und bald wieder vorübergehende Schwäche im linken Arm. Vor
einigen Jahren Belten auftretende Kopfschmerzen, keine Lues. Objektiv fand sich
Parese im linken Bein, am stärksten in den distalen Partien ausgesprochen, so
daß der linke Fuß infolge der Extensorenparese etwas nach abwärts hing und
die Zehen fast völlig gelähmt waren. Reflexe 1. > r., März 1901 Fußklonus links,
Muskulatur des linken Beines schlaff und etwas atrophisch. Linker Arm gleich¬
falls etwas atrophisch. Juni 1903 sind alle Erscheinungen ausgesprochener, der
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linke Arm fast völlig gelähmt, die Finger flektiert, der Daumen eingeschlagen,
auch am Vorder- und Oberarm Extensoren wie Flexoren gelähmt, jedoch letztere
stärker befallen. Facialisgebiet frei. Am Bein kein erheblicher Unterschied
gegenüber der ersten Untersuchung. Keine Kontrakturen, aber Steigerung der
Reflexe am linken Beine, Oppenheim scher Unterschenkelreflex links positiv, da¬
gegen Abschwächung der Reflexe am linken Arm. Sensibilität, Hirnnerven usw.
normal.
Verf. sieht in Beinern Fall ein Analogon zu dem Symptomenbilde, wie es
zuerst von Mills, später von Patrick, Spiller, von diesem in Gemeinschaft
mit Mills, Potts und ganz kürzlich wieder von Mills (in der Februarnummer
des Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1906) als aufsteigende einseitige Paralyse
beschrieben ist; doch unterscheiden sich die von diesen beschriebenen Fälle mit
Ausnahme des Patrickschen Falles durch das Hervortreten von Spasmen, die
in dem des Verf.’s wie in Patricks gänzlich fehlten. Auch war kein Fall
in bezug auf die Lähmungserscheinungen so vorgeschritten, wie der hier be¬
schriebene.
Verf. glaubt, daß es sich in seinem Fall um eine systematische Erkrankung
des Rückenmarkes handelt, die die Zellen der Vorderhörner und die motorischen
Bahnen befallen hat, aber in einer von der gewöhnlichen amyotrophischen Lateral¬
sklerose abweichenden Form.
29) Amyotrophisohe Lateralsklerose kombiniert mit multiplen Hirnoysti-
oerken, von Prof. E. Meyer. (Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLI. 1906.)
Ref.: Heinicke (Großschweidnitz).
Verf. macht uns in dieser Arbeit mit der Krankengeschichte und dem Autopsie¬
bericht einer unter den Zeichen der amyotrophischen Lateralsklerose verstorbenen
Frau bekannt. Die etwa 63 Jahre alte Patientin zeigte gegen Ende ihres Lebens
außer dem für die amyotrophische Lateralsklerose charakteristischen Symptomen-
komplex Andeutungen von geistiger Störung, die in der Hauptsache in lautem
und unmotiviertem Schreien, verbunden mit psychischer Unklarheit bestanden.
Der Gang war nicht nur der bekannte spastisch-paretische, sondern zeichnete sich
noch durch die Symptome der Pro- und Retropulsion aus; ebenso bestanden Schmerzen,
die sonst bei der Lateralsklerose ebenfalls selten sind.
Die Sektion ergab multiple Cysticerken in Zotten- oder Polypenform, also in
recht eigentümlicher Anordnung, an den Hirnhäuten, dergestalt, daß die der Dura
zuerst anhaftenden Cysticerken mit der Pia allmählich verwachsen waren; die da¬
durch infiltrierte Pia haftete wieder stärker dem eigentlichen Hirngewebe an. Es
ist wohl nicht von der Hand zu weisen, daß die obenerwähnten, niobt zum Bilde
der amyotrophischen Lateralsklerose gehörenden Symptome, als abnormes psychi¬
sches Verhalten, Pro- und Retropulsion, Schmerzen, wahrscheinlich den Cysticerken
ihre Entstehung verdanken; finden sich doch bei ihnen gerade eigentümliche Gang¬
arten, wie Hüpfen, Springen, Tänzeln u.s. f.
Von den weiteren anatomischen Befunden bot die Ausdehnung der Degene¬
ration, sowie die Veränderung der Ganglienzellen nichts, was von dem gewohnten
Bilde abweicht. Dagegen war die in diesem Falle beobachtete Gefäßveränderung
wenigstens in gewisser Hinsicht neu. Man fand nämlich am Rückenmark und
noch mehr in der Medulla oblongata und der Pons eine starke adventitielle
Infiltration an den großen Gefäßen, die aus Lymphocyten und Plasma-
zellen bestand, während sie an den kleineren ausschließlich von Plasmazellen
gebildet wurde. Die Bilder ähneln also ganz und gar denen, die wir an Gehirnen
von Paralytikern gewöhnt sind.
Verf. ist der Meinung, daß diese Befunde den Ausdruck eines chronisch-
entzündlichen Prozesses auf vaskulär-toxischer Basis bedeuteten; zum Schluß
weist er noch auf die Anhäufung von Leukocyten in den Gefäßen hin; sie sind
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ein Zeichen akuter Entzündung, also unabhängig von der amyotrophischen Lateral¬
sklerose. Ob sie auf die Cysticerken zurückzuführen sind oder ob die unter¬
bliebene Sektion der inneren Organe ihre Anhäufung erklärt hätte, bleibt un¬
entschieden.
Psychiatrie.
30) Kasuistischer Beitrag: Außergewöhnliche Hypermnesie für Kalender¬
daten bei einem niedrigstehenden Imbezillen, von J. van der Kolk und
6. J. B. A. Jansens. (Allg. Zeitscbr. f. Psycb. LXII.) Bef.: Zingerle (Graz).
35jähriger Imbeziller, bei dem der Kontrast zwischen der hohen Entwicklung
des Gedächtnisses für einige nichtssagende Dinge und dem tiefen Niveau seiner
sonstigen intellektuellen Fähigkeiten merkwürdig ist.
31) Die hygienische Ausgestaltung der Hilfsschule. Versuoh einer syste¬
matischen Darstellung der Hilfssohulhygiene, von Moses. (Intern. Archiv
f. Schulhygiene. III. 1906.) Ref.: H. Yogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. gibt eine zusammenfassende Darstellung der Hilfsschulhygiene. Für die
Hilfsschule hat die Hygiene eine ganz besondere Bedeutung, da ja die körper¬
lichen Defekte, schlechter Zustand der Ernährung, Belastung und damit Prädispo-
sition zu somatischen Krankheiten aller Art gerade hei den Hilfsschülern eine
große Bolle spielen. Den daraus sich ergebenden Anforderungen ist nur auf dem
Wege der Centralisation und Selbständigkeit der Hilfsschule (anstatt der Hilfs-
klassen ein Anhang der Volksschulen) zu genügen; die bauliche Anordnung eines
entsprechenden Gebäudes wird erörtert, besondere Beachtung verdienen die wohl¬
begründeten Forderungen nach Schulbädern, Trink- und Waschanlagen, Erholungs¬
halle, Turnhalle, Handfertigkeitssälen, Kochschule und Schulgarten. Ein weiterer
Abschnitt behandelt die Unterrichtshygiene: die Heilpädagogik ist ein Zweig der
Hygiene. Die große Bedeutung des Individualisieren wird betont, hingewiesen
auf die große Ermüdbarkeit der Debilen (Beachtung der Schlafzeiten). Yerf. gibt
hier einige wertvolle Ratschläge für den Unterricht sowohl allgemeiner Art (Vor¬
mittagsunterricht, halbstündige Lektionsdauer, Pausenbemessung), als auch hinsicht¬
lich der Behandlung der Lernstoffe. Mit Recht betont Yerf., daß der Hand-
fertigkeitsunterricht immer mehr zum Mittel und Ausgangspunkt der gesamten
Erziehung und geistigen Fortbildung werden muß (dieser völlig richtige Grund¬
satz hat auch Giltigkeit für die Anstaltsbehandlung der Schwachsinnigen; Ref.);
bei den Mädchen erweist sich der Werkunterricht als eine brauchbare Vorstufe
(da er den Gebrauch der Hände usw. übt) für die Haus- und Handarbeit. Hin-
gewiesen sei auf die Ausführungen über Turnunterricht, Ferien, Berufswahl.
Schließlich bespricht Yerf. die rein schulärztliche Tätigkeit und ihre Aufgaben.
Yerf. führt hier die Wichtigkeit im Zusammenarbeiten von Arzt und Lehrer vor,
bespricht einzeln eine Reihe medizinischer Themata, besonders Tuberkulose, Hygiene
der Sinnesorgane usw., dann die Neurosen und psychischen Störungen (vom In¬
telligenzdefekt abgesehen), für die alle das Material der Hilfsschule reiche Ge¬
legenheit zur Beobachtung bietet.
Noch besonders verwiesen sei auf eine Reihe von Fragen mehr sozialer Art,
die gestreift sind, die Beziehung zur Anstaltsfürsorge, zur Fürsorgeerziehung, zur
Berufswahl, zum Heeresdienst, zur sozialen Tätigkeit charitativer Institutionen.
Die übersichtliche und interessante Schrift bietet eine vortreffliche Wiedergabe
des derzeitigen Standes der Angelegenheit in einheitlicher Darstellung und mit
der Anregung zu neuen humanitären, sozialen und hygienischen Aufgaben.
32) Die Wirkung der Beschäftigungstherapie hei abnormen Kindern, von
Th. Heller. (Verhandl. d. Ges. f. Kinderheilk. Meran 1905.) Ref.: Neter.
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Aus der großen Zahl derjenigen pathologischen Zustände, bei denen die sog.
Beschäftigungstherapie außerordentlich günstige Resultate aufweist, bespricht Verf.
nur einige Formen. Er weist auf die guten Erfahrungen hin bei hysterischen
Kindern, bei der Behandlung der Masturbation, der ticartigen Störungen und bei
der Behandlung psychasthenischer Kinder.
111. Aus den Gesellschaften.
Sooiötd de neurologie de Paris.
Sitzung vom 10. Januar 1907.
Herr Lenoble und Herr Aubineau: Mikroskopische Untersuchung des
Nervensystems und der Organe in einem Fall von Nystagmus-Myoklonie.
Die Vortr. haben im vergangenen Jahr in der „Revue de medecine“ einen eigen¬
artigen Fall von Erkrankung des Nervensystems veröffentlicht, welchen sie mit
dem Namen Nystagmus-Myoklonie getauft haben. Jetzt teilen sie der Gesell¬
schaft die Resultate der mikroskopischen Untersuchung des Nervensystems bei
diesem Kranken mit. Es ist zu bemerken, daß dieser Kranke gleichzeitig an
chronischer interstitieller Nephrit» litt. Die Untersuchung des eentralen und
peripheren Nervensystems ergab nichts charakteristisches für das Nervenleiden.
Eis finden sich ganz banale Veränderungen, die man sonst auch in allen chro¬
nischen Intoxikationen, namentlich bei Nephritis, findet. Diese Autopsie gibt also
durchaus keine Aufklärung über die Natur des Krankheitsbildes Nystagmus-
Myoklonie. R. Hirschberg (Paris).
IV. Vermischtes.
Der XV11. Kongreß der Irrenärzte und Neurologen Frankreichs und
der französisch sprechenden Linder findet vom 1. bis 7. August d. J. in Genf und
Lausanne statt. Aus dem Programm heben wir folgendes hervor:
Genf, am 1. August: Referat von M. Gilbert Ballet: L’expertise mödico-legale et la
qnestion de responsabilite. — 2. August: Referat von M. Antheaume: Les psychoses pörio-
diques.
Lausanne, am 5. August: Referat von MM. Claude et Schnyder: Nature et ddfl-
nition de l’hysterie.
V. Personalien.
Am 22. Mai d. J. starb im 56. Lebensjahre Sanitätsrat Dr. H. Wildermuth aus Stutt¬
gart. Von seinen zahlreichen Arbeiten sind besonders diejenigen bekannt geworden, welohe
sich mit der Epilepsie und der Idiotie befaßten. Die Liebenswürdigkeit seines Wesens ist
noch von der letzten Naturforscbervcrsaminlung in Stuttgart her bei allen denen in frischer
Erinnerung, welche an den neurologischen Sitzungen des Kongresses teilnahmen. Auch
dieses Centralblatt erfreute sich des öfteren seiner wertvollen Mitarbeit.
Ehre seinem Andenken!
VI. Berichtigung.
ln d. Centralbl. 1907. S. 541, Zeile 14 v. o. muß es heißen: am oberen Halsmarke
rechts statt links; Zeile 20 elektrische statt ataktische Störungen; Zeile 27 und 28
rechten Arm, rechten Nacken, rechten Schläfe statt linken.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Vbit & Comp, in I^ipzig.
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Druck von Mbtzgbb & Wittio in Leipzig.
Original fro-m
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Neurologisches Centralblatt.
• •
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel)
Sechsandzwanzigster " B * rlln_ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907.
1. Juli.
Nr. 13.
Vor gerade 25 Jahren schrieb der Herausgeber dieses Central*
blattes bei dessen Begründung in dem Programm, daß das Neuro¬
logische Centralblatt nicht bloß dem Arzte ein getreues Bild des
jeweiligen Standpunktes der Neuropathologie im weitesten Sinne
geben, nicht bloß dem Forscher ein willkommenes Hilfsmittel bei
seinen Arbeiten sein, sondern auch die Entwicklung der medizinischen
Wissenschaft überhaupt fördern solle.
Der Mann, der also schrieb und der treu und wahr, wie es
seinem Charakter entsprach, dieses sein Programm eingehalten und
erfüllt bat, ist nicht mehr. Am Vormittag des 23. Juni habe ioh,
der ich mich mit Stolz sein Sohn, Schüler und Mitarbeiter nennen
durfte, ihm die Augen für immer geschlossen, von ihm auf ewig
Abschied genommen.
Ein schweres Nieren* und Herzleiden hat seinem arbeitsreichen
Leben ein Ende gemacht. Seit mehreren Wochen, da er merkte,
daß die Krankheit seine Arbeitskraft zu lähmen begann, sehnte er
den Tod herbei, denn einem Leben ohne Arbeit zog er den Tod vor.
„Neue Nieren oder ein neues Herz kannst Du mir doch nicht er¬
setzen, laß mich also schnell sterben“, flehte er zu mir, als ich ihn
auf ein baldiges Zurückgehen seiner Beschwerden zu vertrösten suchte.
Die vorliegende Nummer des Neurologischen Centralblattes hat
der nun Entschlafene noch redigiert, er schleppte sich mühsam zum
Arbeitstisch hin und mit matten Augen überflog er schnell das ihm
Vorgelegte: er wußte, daß es das letzte Heft ist, welchem er seine
Mühe zu wenden konnte, ich ahnte es. —
Edler, guter Vater, ruhe in Frieden! Ruhe aus von Deinem
arbeitsreichen Erdenwallen! Dein Leben war ein besonders glück¬
liches. Deine Kranken haben Dich in wahrem Sinne des Wortes
vergöttert; unvergleichbar und nicht zu schildern ist aber das, was
Du den Deinen warst.
Ruhe aus, heißgeliebter Vater!
Dein treuer Sohn Kurt.
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,NIA
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Inhalt. I. Originalmitteilung. Über die Ausfallserscheinungen nach Läsionen des
Centralnervensystems, von Max Rothmann.
II. Referate. Anatomie. 1. Le faisceau longitudinal inferienr et le faisceau optique
central. Quelques considerations sur les fibres d’association du ceryeau, par La Salle*
Archambault. — Physiologie. 2. Über den Schluckreflex nach der medianen Spaltung
der Medulla oblongata, von Ishihara. — Pathologische Anatomie. 3. Contribution ä
l’dtude anatomo pathologique de la ddmence precoce, par Zalplachta. — Pathologie des
Nervensystems. 4. Zur Klinik der Rindentuberkulose. Die Tuberkulose des Nerven¬
systems und seiner Hüllen, von Hamoir. 5. La syphiiis spinale ä forme amyotrophique
(type Aran-Duchenne), par Lappois et Porot. 6 . Über Kernteilungen in den Vorderhornzellen
des Menschen, von Orzechowski. 7. Zur Klinik der Bauchmuskellähmungen auf Grund
eines Falles von isolierter partieller Lähmung nach Poliomyelitis anterior acuta, von Stras-
burger. 8 . Über die Prognose der akuten Poliomyelitis und ätiologisch verwandter Er¬
krankungen, von Wickman. 9. A case of myasthenia grayis pseudoparalytica with ade-
noma of the pituitary body, by Tilney.
III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — XXXII. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte in
Baden-Baden am 1. und 2. Juni 1907.
IV. Vermischtes.
V. Nachruf.
I. Originalmitteilung.
Über die Ausfallserscheinungen
nach Läsionen des Centralnervensystems.
Von Max Rothmann.
Je mehr sich in den letzten Dezennien die Diagnostik auf dem Gebiete der
Affektionen des Centralnervensystems verfeinert hat, je mehr sie vor allem den
Neurologen fast täglich vor die Aufgabe stellt, dem Chirurgen am Oehirn oder
Rückenmark die für einen Eingriff in Betracht kommende Stelle so genau als
möglich zu bezeichnen, um so brennender ist auch die Frage geworden, in wie
weit sich die bei Läsionen an irgend einer Stelle des Centralnervensystems auf¬
tretenden Ausfallserscheinungen für die lokale Diagnose verwerten lassen. Es
ist ja eine bekannte Tatsache, daß bei plötzlich eintretenden Blutungen oder
Erweichungen an einer Hirnpartie, noch mehr aber bei akuten Entzündungs¬
herden allgemeine Symptome von seiten des Centralnervensystems auftreten,
die niohts mit dem Sitz der Erkrankung zu tun haben. Neben diesen unter
dem Begriff des Shoks zusammengefaßten Erscheinungen kommt es aber in
der menschlichen Pathologie oft auch zu anscheinend lokalen Symptomen, die
dennoch nicht direkt von dem Erkrankungsherd abhängig sind, in vielen Fällen
aber eine richtige Lokaldiagnose verhindern können.
Will man diesen Erscheinungen beim Menschen gerecht werden, so muß
man sich zunächst stets vor Augen halten, daß die Mehrzahl der zur Beobachtung
gelangenden Herderkrankungen kein vorher absolut intaktes Centralnervensystem
betreffen. Vor allem die Blutcirkulation zeigt häufig beträchtliche Störungen,
die bei den schwereren Formen der Arteriosklerose so stark werden können,
daß bereits ohne jede Herderkrankung Ausfallserscheinungen von kürzerer oder
längerer Dauer auftreten, wie sie ja als transitorische Hemiplegien, Aphasien usw.
in der Literatur bekannt sind.
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Wird man sich diesen Ausfallserscheinungen gegenüber nicht immer vor
lokalen Fehldiagnosen schützen können, so sind doch ungleich wichtiger und
interessanter die Symptome, die bei Läsionen des vorher gesunden Nervensystems
in mehr oder weniger großer Regelmäßigkeit auftreten, um bald schon
nach einigen Tagen wieder zu verschwinden, bald auch längere Zeit an¬
zudauern. Ihnen stehen die dauernden Ausfallserscheinungen, die sogenannten
Residuärsymptome, gegenüber. Doch ist es wohl kaum möglich, zwischen beiden
Reihen eine absolut sichere Grenze zn ziehen. Denn mancher Funktionsausfall,
der sich in der Regel als ein Residuärsymptom darstellt, kann unter besonderen
Verhältnissen doch noch zum Schwinden gebracht werden, und umgekehrt be¬
obachtet man das Fersistieren in der Regel transitorischer Symptome.
Aber ganz abgesehen von der Dauer der einzelnen Ausfälle, sind die transi¬
torischen Symptome nicht als eine einheitliche Gruppe zu betrachten. Es gibt
solche, die als direkte Ausfallserscheinungen infolge der Läsion des Centralnerven¬
systems zu betrachten sind und nur allmählich durch andere Centren und
Bahnen, die zum Ersatz herangezogen werden können, kompensiert werden; es
gibt andere, die in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis von der geschädigten
Partie des Centralnervensystems stehen und nur durch Fernwirkungen, die von
dieser ausgehen, vorübergehend in die Erscheinung treten. Gerade diese
letzteren Symptome sind der Ausgangspunkt sehr verschiedenartiger Erklärungs¬
versuche gewesen.
Da man zur Aufklärung der hier obwaltenden Verhältnisse die Ausfalls¬
erscheinungen bei Läsionen eines vorher möglichst gesunden Centralnervensystems
studieren muß, so sind die Ergebnisse des Tierexperimentes, das ja ausschließlich
an jungen normalen Tieren angestellt wird, stets von besonderer Wichtigkeit
gewesen. Vor allem Goltz (1) und seine Schüler haben bei den Folgen der
Hirn- und Rückenmarksverletzungen streng zwischen den infolge der Operation
dauernd gesetzten Ausfallserscheinungen und den durch Hemmung bedingten
vorübergehenden Funktionsausfällen unterschieden. Nach einer Rückenmarks-
durchsohneidung, nach einer Großhirnexstirpation übt der Heilungsprozeß der
gesetzten Wunde eine andauernde Reizung aus, welche die tieferen Teile des
Centralnervensystems trifft und auf ihre Tätigkeit hemmend einwirkt So ist
das Fehlen der Reflexe im Lendenmark nach einer Durchschneidung des Brust¬
markes, die starke Herabsetzung derselben nach ausgedehnten Großhirnläsionen
auf eine solohe Hemmung der intakten spinalen Centren durch einen von der
Wunde aus fortgeleiteten Reiz zn erklären, nach dessen Fortfall das Lumbal¬
mark seine Funktion wieder aufnimmt
Ist diese Auffassung richtig, so muß die Reflextätigkeit des Lendenmarkes
nach Vernarbung der Hirn- bzw. Rückenmarkswunde wieder zur Norm zurück¬
gekehrt sein. Dem gegenüber hat H. Münk(2) nachgewiesen, daß die nach
Rückenmarksdurchschneidung anfänglich fast ganz erloschene Reflexerregbarkeit
des Lendenmarkes schon in den ersten Tagen nach der Operation anzuwachsen
beginnt und mit dieser Steigerung bis etwa 6 bis 8 Wochen nach der Operation
fortfährt, obwohl die Vernarbung der Wunde bereits nach 2 bis 3 Wochen er-
88*gjnal frei”.
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folgt ist Dazu kommt, daß dieses Ansteigen der Reflexerregbarkeit weit über
die unter normalen Verhältnissen zu beobachtende Größe hinausgeht Es kommt
infolgedessen bei den Hunden mit durchschnittenem Rückenmark zu ganz ab¬
normen Reflexerscheinungen, so z. B. dem von Fbeusbebg genauer studierten
Taktschlagen der hinteren Extremitäten. Münk nimmt daher an, daß das
vom übrigen Gentrainervensystem abgetrennte Lendenmark infolge der Aus¬
schaltung der nervösen Verbindungen mit dem ersteren innere Veränderungen
erleidet, die zu der abnormen Erhöhung seiner Reflexerregbarkeit führen, die
von ihm als „Isolierungsveränderungen“ bezeichnet werden. Ganz die¬
selben Verhältnisse ergeben sich dann auch bei der Totalexstirpation der Ex¬
tremitätenregion der Großhirnrinde, nur daß die Isolierungsveränderungen des
Lendenmarkes wesentlich geringere sein dürften als bei der Rückenmarks-
durchschneidung, entsprechend den ausgedehnten Verbindungen, welche jetzt
dem Lendenmark mit den höheren spinalen und den cerebralen subkortikalen
Centren noch zur Verfügung stehen. Auoh hier ließ die genauste Beobachtung
keine Beziehungen zwischen der Wundheilung und der allmählichen Steigerung
der Reflexerregbarkeit konstatieren. Hur für die erste Zeit nach der Operation,
in der die Reflexe absinken, nimmt auch Munk eine Hemmung an, welche
die Reflexcentren im Rückenmark von der Himwunde aus erfahren. In der
Norm läßt Münk die Extremitätenregionen auf die mit ihnen duroh besondere
Leitungsbahnen verknüpften Reflexcentren der gekreuzten Extremitäten einen
zweifachen Einfluß ausüben. Sie bewirken, daß die Centren auf der am un¬
versehrten Tier zu beobachtenden Erregbarkeit verharren und nicht zu der ihnen
selbständig zukommenden stärkeren Erregbarkeit ansteigen, und sie hemmen
die Tätigkeit der Centren, wenn von der Großhirnrinde her eine Hemmung der
Reflexe erfolgt.
In einer seiner letzten Arbeiten ist dann Goltz (3) auf diese Verhältnisse
zurückgekommen und hat sich der Munk’ sehen Anschauung, daß die Steigerung
der Erregbarkeit nach Großhimverstümmelung nicht durch den Fortfall vorher
bestehender Hemmung, sondern durch Änderungen in dem isolierten Rest des
Gehirns und Rückenmarkes, die mit einer Erhöhung der Erregbarkeit einher¬
gehen, bedingt ist, im wesentlichen angeschlossen.
In der Tat ist ja auoh die Vorstellung von aktiven Hemmungscentren und
•bahnen im Centralnervensystem bisher so wenig gestützt, daß wir jeder Er¬
klärung der funktionellen Verhältnisse in demselben, die ohne eine solche An¬
nahme auszukommen vermag, den Vorzug geben müssen.
Das Verhalten der spinalen Reflextätigkeit nach Hirn- und Rückenmarks¬
läsionen ist nun in der Frage der transitorischen Symptome verhältnismäßig
von untergeordneter Bedeutung. Weit wichtiger ist die Frage nach der Aus¬
schaltung und der Wiederkehr der Bewegungen, wie sie vor allem bei dem
Problem der Hemiplegie hervortritt. Es ist eine bekannte Tatsache, daß einer
ausgedehnten Zerstörung der Extremitätenregion beim Menschen, vorwiegend im
Bereich der Central Windungen, eine totale schlaffe Lähmung der gekreuzten
Extremitäten folgt. Dieselbe ist aber keine dauernde; vielmehr kommt es zuerst
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Original fram
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nach einigen Wochen im Bein, wesentlich später auch im Arm zu einer Wieder¬
kehr aktiver Bewegungen, die jedoch niemals die beim normalen Individuum
vorhandene Vollkommenheit erreichen. MuB man hier gleichfalls annehmen,
daß Centren, die vor&bergehend ihre Funktion vollständig einstellen, zu neuer
Leistung eingeübt werden, so werden die Verhältnisse noch komplizierter, wenn
wir sehen, daß bei den niederen Säugetieren die totale schlaffe Lähmung teils
überhaupt nicht, selbst bei vollständiger Exstirpation des Großhirns, eintritt
(Hund), teils nach wenigen Tagen bereits vorübergegangen ist (Affe).
In neuester Zeit hat sich nun v. Monakow (4) bemüht, alle diese tempo¬
rären Ausfallssymptome und Restitutionserscheinungen durch Einführung des
Begriffes der Diaschisis zu erklären. Er versteht darunter „eine vorüber¬
gehende (meist shokartig auftretende) Spaltung einer nervösen Leistung, die
durch eine örtliche Unterbrechung oder Ausfall eines die Funktion dirigierenden
oder wesentlich tragenden Faserzuges, bzw. Neuronengruppe neben der gesetz¬
mäßigen, residuären Spaltung erzeugt wird.“ Ist ein Erregungsbogen lädiert,
so stellen andere Erregungsbogen, die normalerweise verhältnismäßig selbständig
arbeiten können, die aber bei der Funktion des lädierten Erregungsbogens weit¬
gehend mit in Anspruch genommen werden, ihre Tätigkeit ein. Die Auhebung
der spinalen Reflexe bei der Hemiplegie infolge einer Großhirnläsion, das Fehlen
der Patellarreflexe nach frischer Unterbrechung des Dorsalmarkes, die vorüber¬
gehenden Hemianopsien bei schweren Apoplexien rechnet v. Monakow hierher.
Die Diaschisis ist für ihn eine Form der Fernwirkung, die bis zu gewissen
Grenzen den Charakter einer Gesetzmäßigkeit trägt. Neuronenverbände, die
«ft vom Sitz der Erkrankung weit entfernt liegen, stellen in elektiver Weise
and in physiologisch präformierten Komplexen ihre Tätigkeit ein.
In ähnlicher Weise erklärt Kalischeb(5) die von ihm bei Großhirn-
exstirpationen der Papageien beobachteten „nervösen Fernwirkungen“ durch eine
Störung des Gleichgewichts der tieferen Centren (Thalamus usw.) infolge des
durch größere Exstirpationen in einer Hemisphäre bedingten plötzlichen Fortfalls
vieler zuführender Reize. Diese gestörte „Balance“ der Reize muß zur Wieder¬
aufnahme der normalen Funktion der tieferen Centren wieder hergestellt werden,
selbst wenn die Großhirnreize nicht direkt für die tieferen Centren notwendig
sind. Zum Beweise dafür, daß es sich nicht um wirkliche Ausfallserscheinungen
handelt, hebt Kalischer zunächst den raschen Ausgleich der Störungen hervor,
dann die weitgehende Übereinstimmung der Störungen bei sehr großen Ex¬
stirpationen, gleichviel wo sie stattfinden. Auch den vorübergehenden Ausfall
sicherer Mittelhirnfunktionen, als deren Beispiel er die Akkomodation erwähnt,
anmittelbar nach ausgedehnteren Operationen führt er hier an, ferner die ge¬
ringeren Störungen bei partieller, sukzessiver Entfernung eines größeren Gehira-
teils als bei Exstirpation des Gesamtstückes. Endlich betont Kalibcheb, daß
die hier vorübergehenden Störungen erst nach Verletzung des Mittelbirns sich
dauernd einstellen. Er weist auf die Übereinstimmung seiner Anschauungen
mit der v. MoNAKOw’schen Diaschisistheorie hin.
Diese Diaschisis hat endlich v. Monakow (6) neuerdings auch für die Frage
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der Aphasie, die ja durch die Arbeiten Marie’ s wieder in den Vordergrund des
Interesses gerückt ist, zu verwerten gesucht Auch hier nimmt er an, daß die
residuären Erscheinungen nach Läsion der Brooa’ sehen Windung nur in einer
Verlangsamung des Sprechens und erschwerter Wortbildung bestehen, daß
ebenso nach Läsion des WERNiCKE’schen Centrums nur eine Erschwerung des
gesprochenen Wortes mit Paraphasie, Logorrhoe usw. auftritt, während die dar¬
über hinausgehenden, ihrer Natur nach vergänglichen aphasischen Erscheinungen
indirekt durch Spaltung der Funktion im Sinn der Diaschisis zustande kommen.
Die Wiederkehr der Sprachfunktion ist dann auf die Rückbildung der initialen
Diaschisis znrückzuführen, während bei stabiler, kortikaler Aphasie das Gehirn
die Diaschisis-Wirkungen nicht wieder auszugleichen vermag.
Die Berechtigung dieser Diaschisistheorie für die Lehre von der Aphasie,
welche, wenn sie zu Recht besteht, jedenfalls geeignet ist die herrschende An¬
schauung von den Sprachcentren tiefgehend zu erschüttern, ist sehr schwer zu
prüfen. Eine Lehre, welche so weit von den anatomischen Feststellungen abrückt
welche selbst die durch Diaschisis hervorgerufenen Ausfallserscheinungen bald
als dauernde, bald als transitorische hinstellt, entsprechend einem nicht genauer
zu umgrenzenden, mehr oder weniger leistungsfähigen Zustand der Großhirn¬
rinde, entzieht sich der genauen Feststellung.
Um so wichtiger ist es, daß wir imstande sind, die Lehre von der Dia¬
schisis an einem anderen von v. Monakow herangezogenen Beispiel zu prüfen,
an der durch Unterbrechung des cerebralen Pyramidenanteils hervorgerufenen
schlaffen Lähmung der gekreuzten Extremitäten, v. Monakow nimmt an, daß
bei plötzlichem Fortfall der Pyramidenbahn der zwischen cerebrospinaler Leitung
und Vorderhornganglienzellen im Rückenmark eingeschobenen Schaltzelle eine
wesentliche Erregungsquelle entzogen wird, so daß dieselbe auch auf die durch
die intakt gebliebenen motorischen Kortex-Mittelhirn-Rückenmarksbahnen über¬
mittelten Impulse nicht mehr anspricht Es kommt also zu einer akuten in¬
direkten Beeinträchtigung der Erregbarkeit der Vorderhornzellen. Erst durch
eine Neuordnung der erhaltenen Centren und Leituugsbahnen auf neuer, etwas
veränderter Grundlage tritt eine Wiederaufnahme der Funktion ein. So kommt
es anfangs zu der bekannten schlaffen Hemiplegie mit der späteren Restitution
bis zum Residuärtypus.
Wollen wir mit v. Monakow auch annehmen, daß es sich hier bei der
menschlichen Hemiplegie tatsächlich um eine Zerstörung der Pyramidenbahn bei
Erhaltensein der von der Hirnrinde über das Mittelhirn zum Rückenmark ge¬
langenden Neuronenverbände handelt — in Wirklichkeit sind fast immer Amt¬
liche, die Hirnrinde kortikofugal mit den tieferen Centren des Gehirns und
Rückenmarkes verbindende Leitungsbahnen unterbrochen — so wird man doch,
wenn das Gesetz der Diaschisis zu Recht besteht, dieselben oder doch annähernd
gleiche Verhältnisse bei den höheren Tieren erwarten müssen. Es ist hier also
die Möglichkeit einer experimentellen Nachprüfung auf die Richtigkeit der Dia¬
schisistheorie hingegeben.
In den letzten Jahren biu ich nun andauernd mit derartigen Ausschaltungen
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der Pyramidenbahnen in den verschiedensten Kombinationen bei den Affen be¬
schäftigt gewesen. Stablikgeb (7) hatte ja bei den Hunden den Nachweis ge¬
führt, daß Durchtrennung der Pyramiden von keiner motorischen Ausfalls¬
erscheinung gefolgt ist Hitzig (8) hat bereits darauf hingewiesen, wie wenig
diese Tatsache mit der Diaschisistheorie zusammenstimmt. Immerhin konnte
man bei der verhältnismäßig schwachen Ausbildung der Pyramidenleitung und
der starken Entwicklung der Mittelhim-Rückenmarksbahnen das Ausbleiben der
Diaschisis beim Hunde einigermaßen erklären. Gdfcz anders liegen die Dinge
aber beim Affen; hier sind die anatomischen und physiologischen Verhältnisse,
vor allem hinsichtlich der oberen Extremitäten, den menschlichen weitgehend
angenähert Trotzdem läßt sich, wie ich an anderer Stelle ausführlich aus¬
einandergesetzt habe (9), bei ein- oder doppelseitiger Ausschaltung der Pyramiden¬
leitung sofort nach der Operation das Erhaltensein der motorischen Funktion
bis zu den feinsten isolierten Fingerbewegungen konstatieren. Ja auch bei ge¬
meinschaftlicher Ausschaltung der Pyramidenbahn und des rubrospinalen Bündels
sind trotz starker Herabsetzung der motorischen Kraft bereits am Tage der
Operation isolierte Arm- und Fingerbewegungen an dem betreffenden Arm vor¬
handen, und das sogar, wenn die kortikale Armregion derselben Seite und damit
die Pyramidenleitung für den anderen Arm vorher ausgeschaltet worden ist.
Diese Operationen am Affen lassen also von einer Diaschisis im v. Honakow-
schen Sinne nichts erkennen; im Gegenteil, es ist erstaunlich, wie selbst bei
äußerster Einengung der Leitungsbahnen der Impuls von der Großhirnrinde
zum Bückenmark zu gelangen vermag. Es hat sich dabei herausgestellt, daß
die extrapyramidale Leitung durch den Vorderstrang allein zur Aufrechterhaltung
der Funktion genügt. Nach den mit Mabchi behandelten Präparaten mit
Vorderstrangdegeneration scheint es aber nicht, daß die in die graue Substanz
einstrahlenden Kollateralen der motorischen Vorderstrangsbahnen sich an der
Basis der Vorderhömer in der Weise aufsplittern, wie es sich bei der kortiko-
spinalen und rubrospinalen Seitenstrangsbahn konstatieren läßt. Sie scheinen
vielmehr direkt an die Vorderhornganglienzellen heran zu treten. Die Lahm¬
legung der für die Pyramidenbahn in Betracht kommenden spinalen Schalt¬
zelle dürfte daher für die Leitung durch die Vorderstrangbahn von keiner Be¬
deutung sein.
Will man also für den Menschen die Diaschisis bei Ausfall der Pyramiden¬
bahn retten, so müßte man hier ganz andere Gesetze für die Übertragung der
Funktion von der Großhirnrinde zum Rückenmark annehmen als beim Affen.
Damit würde aber gerade der physiologische Grundchatakter dieser Theorie auf¬
gegeben werden müssen.
Haben wir hier die Verhältnisse bei Unterbrechung der motorischen
Leitungsbahnen betrachtet, so sind die Schwierigkeiten nicht geringer, wenn wir
die Zerstörung der motorischen Hirnrindencentren selbst ins Auge fassen. Ein
Hund, dem eine oder selbst beide Extremitätenregionen entfernt worden sind,
zeigt den Verlust bestimmter Bewegungen; aber in der groben Lokomotion ist
er nicht gehemmt. Ja selbst der Goltz’ sehe großhirnlose Hund konnte nach
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Überwindung der ersten Prostration sich leidlich sicher fortbewegen. Beim Affen
kommt es nach Exstirpation einer Armregion allein bereits am nächsten Tage
zu schwachen Gemeinschaftsbewegungen des betreffenden Armes; nach Exstir¬
pation der ganzen Extremitätenregion vergehen höchstens einige Tage bis zum
Wiederauftreten der Gemeinschaftsbewegungen. Beim Menschen dagegen kehren
die ersten aktiven Bewegungen erst mehrere Wochen nach der Zerstörung der
Großhirnrinde wieder. Also auch hier fehlt jede auf Diaschisis zu beziehende
Störung beim Hunde; sie 0t kaum angedeutet beim Affen, während sie beim
Menschen in schwerster Form nachweisbar ist. Auch hier müßte man also für
den Menschen weit schwerere und ausgedehntere Diaschisiswirkungen annehmen
als bei den höheren Tieren, und gerade dem menschlichen Gehirn ungenügende
Fähigkeiten zur Überwindung derselben zuschreiben.
Daß bei alten, in der Ernährung ihres Gehirns bereits geschädigten In¬
dividuen nach Hirnläsionen schwerere und ausgedehntere Ausfallserscheinungen
auftreten, als bei den jungen zu Experimenten verwandten Tieren, das ist selbst¬
verständlich und von uns bereits im Beginn unserer Betrachtungen gewürdigt
worden. Mit einer gesetzmäßigen, auf physiologischer Basis aufgebauten Dia-
schisiswirkung haben diese Alterserscheinungen aber nichts zu tun; auch kann
man leicht feststellen, daß auch bei jugendlichen, vorher völlig gesunden
menschlichen Individuen dieselben schweren Ausfallserscheinungen nach Zer¬
störung der motorischen Rindencentren oder der motorischen Leitungsbahnen
auftreten.
Um diese spät einsetzende Restitution aktiver Bewegungen beim Menschen
und die weitgehende Abweichung von den bei höheren Tieren obwaltenden Ver¬
hältnissen zu erklären, hatte ich bereits vor mehreren Jahren auf die erneute
Einübung der phylogenetisch alten subkortikalen Hirncentren zu selbständiger
Funktion bingewiesen (10). Wir verdanken den grundlegenden Arbeiten
v. Monakow’ s (11) die Kenntnis, daß die unterhalb des Großhirns gelegenen
Centren des Centralnervensystems je nach ihren Beziehungen zum Großhirn in
direkte und indirekte Großhirnanteile und in Niohtgroßhirnanteile zu unter¬
scheiden sind, eine Einteilung, der nach dem früher oder späteren Auftreten der
Centren in der Tierreihe ungefähr die Trennung in phylogenetisch junge, mittelalte
und alte Anlagen entspricht. In der aufsteigenden Tierreihe vollzieht sich nun die
Entwicklung derart, daß die Nichtgroßhirnanteile, die phylogenetisch alten Centren,
mit zunehmender Entwicklung immer mehr in ihrer anatomischen Entwicklung
und ihrer physiologischen Bedeutung zurückgedrängt werden oder auch sich za
indirekten Großhirnanteilen entwickeln. Die letzteren stehen bereits in ihrer
Funktion unter dem Einfluß des Großhirns und zeigen nach Entfernung des
letzteren eine Schädigung ihres anatomischen Aufbaues. Immerhin wohnt ihnen
eine gewisse anatomische und wohl auch physiologische Selbständigkeit inne.
Sie entsprechen den phylogenetisch mittelalten Anlagen. Über sie hinaus ent¬
wickeln sich dann die direkten Großhirnanteile als die phylogenetisch jüngsten
subkortikalen Centren; sie sind in ihrer ganzen Existenz an die anatomische
Intaktheit und normale Funktion des Großhirns gebunden und gehen zugrunde,
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wenn der ihnen übergeordnete Abschnitt der Großhirnrinde entfernt ist In
diese Kategorie gehören vor allem die sämtlichen Kerne des Thalamns opticus.
Auf dem Boden dieser v. Monakow’ sehen Lehre hatte ich die Ausfalls¬
erscheinungen und die Restitutionsvorgänge nach Ausschaltung der kortikalen
Extremitätenregion beim Menschen und den höheren Tieren derart zu erklären
versucht, daß die motorischen Mittelhirncentren, die in einer phylogenetisch
alten Epoche und auch im embryonalen Stadium der höheren Säuger zu selbst¬
ständiger motorischer Funktion befähigt sind, diese Selbstständigkeit aber
weiterhin zugunsten der kortikalen motorischen Centren aufgeben müssen und
sich mehr oder weniger zu indirekten Großhirnanteilen umgestaltet haben, jetzt
aufs neue, unter dem Zwange des Fortfalls der motorischen Rindencentren, ihre
phylogenetisch alte Selbständigkeit wieder zu gewinnen vermögen. Dabei wird
nun aber zwischen den verschiedenen Tierspezies, entsprechend dem Ausbau der
Herrschaft der Großhirnrinde über das Mittelhirn, ein wesentlicher Unterschied
hervortreten. Die niederen Tiere, bei denen die Mittelhirncentren trotz der Ent¬
wicklung der Großhirnrinde zu keiner Lebensperiode aufgehört haben, selbst¬
ständige Funktion auszuüben, werden auch nach Fortfall der Rindencentren
keinen wesentlichen Ausfall erkennen lassen. Bei höheren Säugetieren, z. B.
dem Hund, arbeiten zwar unter normalen Verhältnissen die subkortikalen
motorischen Kerne im wesentlichen unter dem Einfluß der kortikalen Centren.
Aber sie haben sich doch so viel von der phylogenetisch alten Selbständigkeit
bewahrt, daß sie nach Fortfall der motorischen Rindencentren auf den all¬
gemeinen Impuls des Großhirns hin, ja schließlich sogar nach völligem Verlust
des letzteren (Goltz) sofort eine motorische Funktion ausüben können. Weit
mehr unter der Herrschaft des Großhirns stehen diese Centren bereits beim
Affen, bei dem sie nach Verlust der ganzen Extremitätenregion zunächst nicht
imstande sind, selbständig der motorischen Funktion vorzustehen. Aber bereits
nach wenigen Tagen tritt unter dem Einfluß der zuströmenden sensorischen
Reize der verschiedensten Art eine Neueinübung dieser subkortikalen Centren
ein, die mit den MuNK’schen Isolierungsveränderungen zusammenfällt, und es
kommt zur Auslösung von Gemeinschaftsbewegungen der Extremitäten. In ganz
anderer Weise wie bei allen Tieren aber hat sich beim Menschen die Herrschaft
der Großhirnrinde über die subkortikalen, phylogenetisch alten Centren aus¬
gebildet. Hier werden unter normalen Verhältnissen alle Impulse ausschließlich
von der Großhirnrinde ausgesandt; alle Mittelhirncentren, selbst diejenigen,
welche bei den höheren Tieren noch eine gewisse Selbständigkeit besaßen, sind
zu Werkzeugen der Großhirnrinde herabgesunken. Beim Menschen kommt es
daher nach Fortfall der kortikalen Extremitätenregion zu totaler schlaffer
Lähmung; die motorischen Mittelhirncentren sind auf lange Zeit hin außer¬
stande, selbst unter dem Einfluß des allgemeinen Großhirnimpulses, irgend einen
motorischen Reiz dem Rückenmark zn übermitteln, nicht weil eine ihnen nor¬
maler Weise zukommende Funktion ausgefallen ist, sondern weil sie ohne die
von den motorischen Rindencentren kommenden Impulse keine Funktion zu
leisten imstande sind. Dieses Fehlen jeder selbständigen Funktion ist für die
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Mittelhimcentren des Menschen ein so absolutes, daß es einer andauernden Be¬
einflussung dieser Centren durch sensorische Impulse und einer durch unsere
Untersuchungsmethoden nicht festzustellenden Umwandlung dieser Centren
(Isolierungsveränderungen) von Wochen bis Monate lange Dauer bedarf, bis
endlich die phylogenetisch alte Funktion dieser Centren, wenn auch nur in un¬
vollkommener Weise, wieder eingeübt worden ist. Dabei ist es fraglich, ob
diese Centren bei vollkommener Abtrennung vom Qroßhim selbst diese geringe
Funktion leisten können; der allgemeine Großhirnimpuls wird selbst nach
völligem Ausfall der Extremitätenregion hier zur Anregung der subkortikalen
Centren von wesentlicher Bedeutung sein.
Ganz anders gestalten sich bei dieser Betrachtungsweise die Verhältnisse,
wenn bei intakten Bindencentren nur die motorischen Leitungsbahnen unter¬
brochen sind. Bei allen höheren Säugetieren bis herauf zum Allen hebt die
Unterbrechung der kortikospinalen Bahnen die motorische Rindenfunktion nicht
auf, weil die intakte Leitung von der Hirnrinde über die Mittelhimcentren zum
Rückenmark zur Erhaltung der Funktion völlig ausreicht Ob beim Menschen
die isolierte Durchtrennung der kortikospinalen Bahn die motorische Funktion
der Extremitäten völlig aufhebt, ist bisher nicht sicher erwiesen. Sollte es aber
der Fall sein, so würde damit bewiesen sein, daß allein die kortikospinale Bahn
imstande ist, beim erwachsenen Menschen die Impulse von der Extremitätenregion
der Großhirnrinde dem Rückenmark ohne Unterstützung anderer Leitungsbahnen
zu übermitteln, während die über das Mittelhirn gehende, mehrfach unter¬
brochene Leitung die ihr bei den höheren Tieren bis zum Affen herauf und in
der Entwicklung des menschlichen Individuums zukommende selbständige
motorische Funktion eingebüßt hat und erst nach Ausschaltung der kortiko¬
spinalen Bahn wieder von neuem, und zwar nur in unvollkommener Weise,
erlernen kann.
Diese Theorie von der Neubahnung phylogenetisch alter Centren
und Leitungsbahnen erklärt also nicht nur den Ausfall und die Restitution
nach Zerstörung bestimmter Abschnitte des Centralnervensystems, sondern ist
auch geeignet, einen Einblick in die hier zwischen den verschiedenen Tierklassen
bis zum Menschen herauf obwaltenden Unterschiede zu gewähren.
Je mehr nun in einer Tierklasse die Herrschaft des Großhirns entwickelt
ist, desto zahlreichere und desto tiefer in der phylogenetischen Entwicklung
stehende Centren werden vom Großhirn abhängig. So kommt es, daß selbst
die letzten selbständigen Funktionsäußerungen des Rückenmarkes, die Reflexe,
in der aufsteigenden Tierreihe in eine gewisse Abhängigkeit vom Großhirn ge¬
raten. Die Patellarreflexe, die bereits bei Hund und Affe nach ausgedehnten
Hirnherden anfangs Abschwächungen zeigen, verschwinden daher bei den mensch¬
lichen Apoplexien in der Regel anfangs vollständig, um weiterhin auf der
Grundlage selbständiger oder doch nur von tieferen Hirncentren abhängiger
Rückenmarksfunktion rasch über das Maß des Normalen hinaus anzusteigen.
Die von Kalischeb (5) zugunsten der Diaschisiswirkung angeführten,
oben aufgezählten Punkte stehen mit dieser Betrachtungsweise nicht in Wider-
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sprach. Denn daß diejenigen Funktionen, deren Leitung die Mittelhirncentren
wieder selbständig erlernen können, nur vorübergehend nach Großhirnläsionen
aasfallen, erklärt sich hier ebenso wie die Tatsache, daß die Störungen nach
Totalexstirpation eines Rindencentrums weit stärkere und länger andauernde
sind, als nach mehreren Partialexstirpationen, bei denen die Mittelhirncentren
Zeit haben, allmählich die geschädigte Funktion selbständig zu übernehmen.
Auch ist es ein absolutes Postulat unserer Theorie, daß nach Verletzung des
Mittelhirns die nach Rindenläsionen transitorischen Störungen zu dauernden
werden. Was aber die Störungen nach sehr ausgedehnten Großhirnläsionen
betrifft, so ist es wahrscheinlich, daß bei sehr weitreichender Verstümmelung
des Großhirns auch die noch erhaltenen Abschnitte desselben, ob sie nun selbst
in ihrer Ernährung geschädigt sind oder nur durch Verlust fast aller Ver¬
bindungen zum übrigen Großhirn in ihrer Funktion beeinträchtigt sind, der
Herrschaft über das Mittelhim soweit verlustig gehen, daß die vorübergehenden
Funktionsstörungen unabhängig vom Sitz der Läsionen eine weitgehende Über¬
einstimmung zeigen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß es sich bei
den von Kalischee ausgeführten Operationen am Papageienhirn im wesentlichen
nicht um Läsionen der Großhirnrinde, sondern des bei den Vögeln mächtig
entwickelten Corpus Striatum handelt, wodurch möglicherweise eine größere Ab¬
hängigkeit der Mittelhirncentren von der Großhirnfunktion als bei den Säuge¬
tieren bedingt ist. Jedenfalls stehen die Resultate Kalischeb’s am Papageien¬
gehirn mit der soeben auf der Grundlage der an den höheren Säugetieren
gewonnen Ergebnisse entwickelten Theorie nicht in Widerspruch.
Hitzig (12) hat nun im Anschluß an seine an Hunden ausgeführten Unter¬
suchungen über den Mechanismus des Sehens die Anschauung entwickelt, daß
unter ungünstigen Verhältnissen die Ausschaltung eines Teils der Sehrinde eine
Hemmung der Tätigkeit des subkortikalen Ganglion geniculatum laterale be¬
wirkt, daß aber ferner bei einer im Gyrus sigmoideus, der motorischen Ex¬
tremitätenregion, gesetzten Läsion die in den motorischen subkortikalen Ganglien
gesetzte Hemmung auf die subkortikalen optischen Centren übergreifen kann,
und es derart ohne direkte Läsion der optischen Centren und Bahnen zu einer
vorübergehenden Sehstörung kommt Die Hitzig’ sehen Resultate können aber
bisher nicht als sichere gelten, da Nebenverletzungen nicht ausgeschlossen sind,
ja nach den Edingeb’ sehen Untersuchungen von Gehirnen, die Hitzig operiert
hat, sogar zweifellos vorhanden gewesen sind. Mir selbst ist es bei wiederholten
Exstirpationen im Gebiet des Gyrus sigmoideus beim Hunde nicht gelungen,
Sehstörungen festzustellen, ganz in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von
H. Munk (13). Beim Affen habe ich dieselben gleichfalls niemals bei kleineren
Exstirpationen im Gebiete der Extremitätenregionen beobachtet; bei Total¬
exstirpationen der Extremitätenregion oder doch wenigstens der Armregion konnte
ich häufig in den ersten Tagen eine Hemianopsie konstatieren. Hier reicht
aber die dorsale Grenze der Exstirpation direkt an den Gyrus angularis heran,
ist also bei ausgiebiger Herausnahme unmittelbar der Sehstrahlung benachbart.
Es handelt sich in diesen Fällen offenbar um eine direkte Schädigung der Seh-
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Strahlung durch die Operation. Eine derartige weitreichende, indirekte Be¬
einflussung der verschiedenen subkortikalen Ganglien aufeinander, wie sie hier
Hitzig annimmt, stimmt so wenig mit den sonst im Tierexperiment and in der
menschlichen Pathologie gesammelten Erfahrungen übeiein, daß sie ohne
zwingenden Grund nicht annehmbar erscheint
Ist nun aber die Vorstellung von der Abhängigkeit phylogenetisch alter
von phylogenetisch jungen Centren für die Betrachtung des Verhältnisses der
Großhirnrinde zu den subkortikalen Mittelhirncentren äußerst fruchtbar gewesen,
so ist die Frage berechtigt, wie sich denn non die Verhältnisse bei den gegen*
seitigen Beziehungen der Centren der Großhirnrinde entwickelt haben. Gerade
hier ist ja die Hirnforschung der neuesten Zeit nach dem Vorgang Flechsig’s
eifrig bemüht gewesen, Differenzen in der Entwicklung der einzelnen Rinden-
centren in der aufsteigenden Tierreihe und in dem Himaufbau des Einzel¬
individuums nachzu weisen. Flechsig (14) hat auf der Grundlage der von ihm
ausgebauten myelogene tischen Untersuchungsmethode nach der früheren oder
späteren Markreifung 36 Felder an der Großhirnrinde unterschieden, von denen
die 12 Primordialgebiete bis zur rechtzeitigen Geburt sämtlich markhaltig sind
und speziell als Sinnescentren mit reichlicher Projektionsfaserung anzusprechen
siud. Diesen stehen die Intermediärgebiete (etwa 16) und die Terminalgebiete
(6—8) gegenüber, die zum Teil erst nach der Geburt mit der Markreifung be¬
ginnen. Der größte Teil derselben gehört zu den Binnenfeldern, die der Pro¬
jektionsfasern fast ganz entbehren, dagegen frühzeitig mit Balkenfasern und
ungekreuzten Assoziationssystemen versehen sind. Unter ihnen sind die den
Primordialgebieten angelagerten Bandzonen und die im wesentlichen den Ter¬
minalgebieten entsprechenden Centralgebiete zu unterscheiden. Diese Binnen¬
felder faßt Flechsig als Assoziationscentren auf, unter denen die Terminal¬
gebiete als mnestische Centren den höchsten Rang einnehmen. Dieser Auf¬
fassung entsprechend zeigen die höheren Tiere eine weit geringere Entwicklung
der Binnenfelder.
Diese FLECHSiu’sche Lehre ist bei den Hirnanatomen vielfachem Wider¬
spruch begegnet Keinesfalls aber ist sie der experimentellen physiologischen
Nachprüfung zugänglich. Die experimentelle Forschung hat bei den Tieren bis
zum Affen herauf derartige übergeordnete, phylogenetisch jüngere Rinden-
centren, deren Ausfall etwa die Funktion der phylogenetisch alten Rindencentren
auf hebt, bisher nicht nachzuweisen vermocht (15) Wohl aber haben wir in der
menschlichen Pathologie bei den aphatischen Störungen zusammenfassende, über¬
geordnete Rindencentren kennen gelernt So hebt z. B. der Ausfall des motori¬
schen Sprachcentrums, ob wir es nun lediglich in den Fuß der 8. Stirn¬
windung oder in einen ausgedehnteren Bezirk des unteren Stirnbirns lokalisieren,
die für den sprachlichen Ausdruck notwendige Zusammenarbeit der motorischen
Centren für Zunge, Lippen, Kehlkopf usw. auf, obwohl die diesen einzelnen
Funktionen vorstehenden Centren dorsal von der 3. Stirnwindung im Oper-
culum ihren Sitz haben. Aber jeder reine Fall von kortikaler, motorischer
Aphasie zeigt aufs neue, daß das Abhängigkeitsverhältnis dieser motorischen
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Centren im Opercalnm von dem Sprachcentrum der dritten Stirnwindung kein
so weitgehendes ist, daß dieselben nach Ausfall des letzteren überhaupt funktions¬
unfähig werden. Für die einfache Phonation, für die Zwecke der Nahrungs¬
aufnahme usw. bleibt die Funktion dieser Centren völlig intakt trotz totalen
Ausfalls derselben bei dem Versuch zum Sprechen. Ist hier in der Hirnrinde
selbst eine derartige Abhängigkeit phylogenetisch alter von phylogenetisch jungen
Centren, wie wir sie beim Menschen im Verhältnis der kortikalen zu den sub¬
kortikalen Centren gerade bei der motorischen Funktion kennen gelernt haben,
nicht vorhanden, so fügt sich das obwaltende Verhältnis noch weniger den
Gesetzen der Monakow’ sehen Diaschisis. Der Ausfall eines die Funktion diri¬
gierenden Erregungsbogens (motorisches Sprachcentrum) führt hier nicht zur
Einstellung der Tätigkeit der anderen Erregungsbogen, die, obwohl sie bei der
Funktion des lädierten Erregungsbogens weitgehend in Anspruch genommen
werden, doch verhältnismäßig selbständig arbeiten können (Rindencentren für
Zunge, Kehlkopf usw.).
Nun hat aber v. Monakow dem Ausfall der Bboca’ sehen Windung
überhaupt nur die Verlangsamung des Sprechens, die erschwerte Wortbildung,
die hesitierende Sprache und nur bei großer Ausdehnung des Herdes Wort¬
stummheit ohne Agraphie zugeschrieben, während er alle anderen bei der kor¬
tikalen, motorischen Aphasie zu beobachtenden Symptome auf Diaschisis-
wirkungen bezieht Auch hier soll der Ausfall eines umschriebenen Herdes in
der Hirnrinde, indem er die von hier zu anderen für die Spraohfunktion wichtigen
Rindencentren führenden Erregungsbogen unterbricht, den vorübergehenden Ausfall
der Funktion in diesen direkt nicht geschädigten Gliedern und darüber hinaus
auch noch in anderen mit diesen wiederum in Verbindung stehenden Gebieten
herbeiführen können und so, vor allem bei herabgesetzter Restitutionskraft des
Gehirns, die schwersten aphatischen und darüber hinaus auch apraktische,
agnostische usw. Symptome zustande bringen. Kann auch einmal bei besonders
fonktionskräftigem Centralnervensystem diese Diaschisiswirkung ausbleiben, so
kann sie andererseits bei großer Debilität desselben lange Zeit andauern.
Daß die verschiedenen durch Assoziationsfasern miteinander verbundenen
Hirnrindencentren in einer gewissen Wechselwirkung zu einander stehen, so daß
der Ausfall des einen Centrums auf den Ablauf der Funktion der übrigen einen,
je nach dem Reichtum der Verbindungen wechselnden Einfluß ausübt, das ent¬
spricht den allgemeinen Anschauungen über die Tätigkeit der Großhirnrinde,
deren höchste psychische Funktionen wir uns ja von der Gesamtarbeit des ganzen
Kortex abhängig vorstellen. Bei Hunden zeigen die Versuche von Mabique(16)
und Exnsb und Paneth(17) anscheinend, daß eine vollkommene Umschneidung
der Regio sigmoidea, der Fühlsphäre der Großhirnrinde, d. h. also eine Ab¬
trennung der gesamten Assoziationsfaserung, dieselben Ausfallserscheinungen
hervorruft wie die Abtragung dieses Hirnrindenteils selbst; allerdings ist hier
der Einwand zu erheben, daß es Exneb und Paneth nicht gelungen ist, hierbei
die Projektionsfaserung der Regio sigmoidea intakt zu erhalten. Aber selbst bei
völliger Reinheit des Versuches würde es sich hier um eine totale Abtrennung
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dieses Hirnrindenteils von der ganzen übrigen Hirnrinde, also um einen Ausfall
der zuströmenden Erregungen bandeln, der mit den oben angenommenen
Diaschisiswirkungen bei Ausfall eines Bindengebietes in der Sprachregion nicht
zu vergleichen ist.
In neuester Zeit ist aber durch eine Beobachtung der menschlichen Patho¬
logie der vollgültige Beweis geführt worden, daß die weitgehende Zerstörung der
Assoziationsfaserung der selbst erhaltenen Armregion bei intakter Projektions¬
faserung keine Aufhebung der Funktion der betreffenden Extremität zur Folge
hat Es handelt sich um den klassischen Fall von Apraxie, den Liepmann( 18 )
klinisch und anatomisch in genauester Weise zu fixieren vermocht hat. Hier
hat die Autopsie gezeigt, daß ein subkortikaler Stimhirnherd die linksseitigen
Centralwindungen zahlreicher Verbindungen zur Stirnhirnrinde beraubt hatte,
während durch einen subkortikalen Herd im Scheitellappen und durch völligen
Balkenschwund die Verbindungen zum Hinterhaupts- und Schläfenlappen sowie
zur ganzen rechten Hemisphäre unterbrochen waren. Dagegen war die vordere
Centralwindung ganz intakt, die hintere verschmälert mit Verminderung des
Faserreichtums, aber ohne Herderkrankung. Die Projektionsfaserung der Central¬
windungen war nur durch einen zweiten, erst ein halbes Jahr ante exitum ein¬
getretenen Schlaganfall im hinteren Teil geschädigt, sonst intakt. Diesem ana¬
tomischen Befund entsprach nun keine Lähmung des rechten Armes, obwohl
dessen Assoziationsfasern fast allseitig unterbrochen waren, sondern die Apraxie,
deren wissenschaftliche Begründung wir der genauen Analyse dieses Falles
durch Liepmann verdanken. Ja es bestand geradezu ein Bewegungsdrang für
den rechten Arm, der die normalen Reaktionen des linken Armes ohne die
Hilfe des Untersuchers völlig verdeckte.
In diesem Fall hatte also die fast völlige Unterbrechung der Assoziations¬
faserung der linken Extremitätenregion die Bewegungsfähigkeit des reohten
Armes zu keiner Zeit, auch nicht vorübergehend, aufgehoben. Nach dieser
Erfahrung müssen wir es für unwahrscheinlich halten, daß ein kleinerer korti¬
kaler Herd allein durch Unterbrechung der von ihm zu einer anderen Him-
rindenregion führenden Assoziationsfaserung diese außer Funktion setzt, es sei
denn, daß der Ernährungszustand des Qehims letzteres bereits vorher an die
Grenze der Leistungsfähigkeit gebracht hat.
Aber gerade bei der Lehre von der Aphasie sehen wir, daß bei zwei 90
eng verbundenen Centren, wie es die Centren für die Wortklänge und für die
Lautbilder sind, die Unterbrechung des ersteren, in der ersten Temporalwindung
gelegenen, bei der sensorischen Aphasie eine, wenn auch fehlerhafte Überfunktion
des letzteren (3. Stirnwindung) unter dem Bild der Logorrhoe hervorruft. Der
Nachweis eines sicheren anatomischen Befundes bei den transkortikalen Formen
der Aphasie, die ja am ehesten der Erklärung durch Diaschisiswirkung zugäng¬
lich erschienen, wie er mir selbst bei der motorischen Form derselben (Licht-
heim’ sehe motorische Aphasie) gelungen ist (19), engt das Gebiet der rein funk¬
tioneilen durch Diaschisiswirkungen erklärbaren Sprachstörungen noch mehr ein.
Wenn tatsächlich bei genauer anatomischer Untersuchung das klinische aphatische
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Bild sich häufig nicht mit den nachweisbaren Hirnveränderungen in befriedigender
Weise deckt, so ist doch immer wieder darauf hinzuweisen, daß neben den zahl¬
reichen Rechtshändern, bei denen nur die linke Hemisphäre für die Sprache
vollkommen eingearbeitet ist, neben den selteneren Linkshändern, bei denen
trotz Erziehung zur Rechtshändigkeit die rechte Hemisphäre die gleiche Rolle
für die Sprache spielt, eine nicht geringe Anzahl von Menschen vorhanden sein
wird, bei denen zwar die angeborene Linkshändigkeit im späteren Leben durch
die Erziehung völlig verwischt wird, trotzdem aber neben der linken die rechte
Hemisphäre bei der Sprachfunktion weitgehend beteiligt und zu raschem Ein¬
treten bei Ausfall linksseitiger Sprachcentren befähigt ist. Alle verschiedenen
überhaupt möglichen Kombinationen in der Zusammenarbeit beider Hemi¬
sphären werden hier Vorkommen und sind geeignet, die rasche Restitution der
Sprache in dem einen Fall, die fast völlige Konstanz der Ausfallssymptom ein
dem anderen zu erklären.
Natürlich sind wir weit entfernt, einen schädigenden Einfluß des Ausfalls
eines Himrindenabschnittes auf andere mit ihm in funktionellem Austausch
stehende Abschnitte der Hirnrinde zu leugnen. Diese „Diaschisiswirkung“ wird
sich aber niemals bis zu völliger Funktionsaufhebung in den nur indirekt von
der Schädigung betroffenen Hirnrindencentren steigern, es sei denn, daß das
Gehirn bereits, ehe die direkte Schädigung eintritt, in seiner Ernährung schwer
beeinträchtigt ist. Unter solchen pathologischen Verhältnissen mag wohl einmal
eine geringe Läsion an einer Hirnrindenstelle genügen, um andere Centren mit
zum Ausfall zu bringen. Nur fällt das nicht mehr in den Rahmen einer physio¬
logischen, allgemein gültigen Erklärung dieser Verhältnisse, wie sie die
Diaschisistheorie v. Monakow’ s angestrebt hat.
Ob es allerdings bei dem verwickelten Bau der Großhirnrinde jemals
möglich sein wird, für die Beziehungen der einzelnen aufeinander einwirkenden
Gebiete derselben ein ähnliches gesetzmäßiges Abhängigkeitsverhältnis ent¬
sprechend dem phylogenetischen Aufbau zu entwickeln, wie es für die Be¬
ziehungen der Großhirnrindencentren zu den tieferen Hirncentren besteht, das
erscheint sehr zweifelhaft. Jedenfalls ist aber neben den Störungen, die durch Zer¬
störung assoziativer Verbindungen in dem Ablauf der Rindenfunktionen zweifellos
zustande kommen, der Ausfall bestimmter Funktionen durch Vernichtung oder
Schädigung fest umschriebener Hirnrindencentren von ausschlaggebender Be¬
deutung. Damit ist aber die topische Hirndiagnostik, welche die Grundlage für
den Ausbau der Himohirurgie bilden muß, weitgehend gesichert
Literatur.
1. Fe. Goltz, Pflüger’s Archiv. XIII n. XXXIV. — 2. H. Münk, Berichte der Kgl.
Preoß. Akad. d. Wissensch. Phys.-matb. Klasse. XXXVI. 1892. — 8. Fe. Goltz, PflügePs
Archiv. LXXVI. S. 411. — 4. C. v. Monakow, Asher-Spiro, Ergebnisse der Physiol. I.
1902. 2. Abt. S. 563 u. Gehirnpathologie. 1905. 2. Anfl. S. 240. — 5. Otto Kalisoheb,
Anhang za den Abhandl. d. Kgl. Prenß. Akad. d. Wissen ich. 1905. 8. 83. — 6. C. v. Mona¬
kow, Nenrolog. Centralbl. 1906. Nr. 22. — 7. Jos. Stabunobb, J&hrb. f. Psychiatrie. XV.
8.1. — 8. Eduabs Hitzig, Phys. u. klin. Unters. Aber das Gehirn. Berlin 1904. Teil II.
S. 587. — 9. M. Rothkann, Archiv f. Anat. u. Phys. 1907. Phys. Abt. 8. 217. — 10. Der-
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608
selbe, Berliner klin. Wochen sehr. 1902. Nr. 17 a. 18. — 11. C. v. Monakow, Qehirnp&tho-
logie. 1905. 2. Aufl. S. 228. — 12. Ed. Hitzig, L. c. S. 584. — 13. H. Münk, Yerbandl.
d. phya. Qea. za Berlin. 1901/02. Nr. 10 a. 11. S. 69. — 14. Paul Flechsig, Archiv f.
Anat. n. Phya. 1905. Anat. Abt. S. 337 u. A. Tschebmak, Die Physiologie dea Gehirns.
Nagers Handbach. IV. S. 129. — 15. H. Munk, Sitzangsber. der Kgl. Preaß. Akad. der
Wias. Phya.-math. Klasse. LII, 1899; XXXVI, 1900; XLVIII, 1901. — 16. J.M.S.Mabique,
These d’aggrdgation. Broxelles-Paris 1885. — 17. Siou. Exnbb and Jos. Pankth, PflögePs
Archiv. XL1V. 1889. 8. 544. — 18. H. Libpmamn, Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. VIII
u. XVII. — 19. M. Rothmann, Zeitschr. f. klin. Medizin. LX. S. 87.
II. Referate.
Anatomie.
1) Le falsceau longitudinal inferieur et le faisoeau optique central.
Quelques oonsideratlons sur les flbres d'assoelatlon du oerveau, par
La Salle - Archambault. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriere. 1906. Nr. 27
vgl. d. Centr. 1906. S. 271.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Es existiert ein Faserböndel, welches im Occipitallappen teils in der äußeren,
teils in der inneren Schicht verläuft. Im Lobus oocipitalis nimmt es fast die
ganze äußere Schicht ein. Dies FaBerbündel, welches fast die ganzen Stabkranz¬
fasern des Hinterhauptslappens repräsentiert, hat seinen Ursprung im Corpus
geniculatum externum und endigt in der Fissura calcarina, besonders in deren
unterem Abschnitt. Verf. schlägt für dieses Faserb&ndel die Namen vor: „cen¬
trales Opticusbündel“ (faisoeau optique central) oder besser noch „geniculo-calca-
rines Bündel“. Man muß dieses Faserbündel trennen von den Assoziationsfasern,
in deren Gebiet es verläuft. Aus Gründen der Bequemlichkeit geht der Vorschlag
des Verf.’s dahin, daß man sagt: Im Fasciculus longitudinalis inferior sind ent¬
halten 1. das centrale Opticusfaserbündel, 2. Assoziationsfasern.
Mag die Ausdehnung einer Läsion im Lobus occipitalis so groß sein wie sie
will, jedesmal gleicht sie sich aus im vorderen Teil des Lobus temporal«. Verf.
leugnet beim Menschen das Vorhandensein von langen Assoziationsfasern zwischen
Lobus temporal« und Lobus occipitalis.
Das Cingulum hat nicht die Funktion, die erste mit der zweiten Rand¬
windung zu verbinden, wohl aber verbindet es einzeln jede der beiden Rand¬
windungen mit den Windungen der medianen Fläche und der Seitenfläche der
betreffenden Hemisphäre und vice versa. Das horizontale und das untere Segment
(Beevor) des Cingulum setzen sich beide in den Lobus occipitalis fort, wo man
sie Sachssches und Vicq d’Azyrsches Bündel nennt. Diese Bündel gehören
also nicht eigentlich zum Lobus occipitalis, sondern sie gehören gleichzeitig zum
Lobus temporalis; sie sind wegen der eigentümlichen Anordnung dieser Gegenden
nicht leicht zu entdecken. Ebenso ist das senkrechte Occipitalbündel (Wernicke)
nicht eigentlich zum Occipitallappen gehörig, sondern man findet es im Temporal¬
lappen wieder.
Die hinteren Thalamusstrahlungen (parieto-ococipitale Strahlungen) und die
unteren (teinporo-occipitale Strahlungen) entspringen von allen Windungen des
Temporallappens, des Occipitallappens und von der hinteren Wandung des Parietal-
lappens.
Das Tapetum wird ganz von Balkenfasern gebildet, es enthält keine Asso¬
ziationsfasern.
Die innere, sagittal gelegene Lage des Stabkranzes im Lobus fronto-parietal«,
die Zona reticulata des Sachsschen Bündels, bildet ein Bündel von Projektions-
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fasern, welches zur ersten Randwindung geht und vom Thalamus opticus her*
kommt.
Beim Menschen existiert kein occipito-frontales Assoziations¬
bündel, keine Faser der Hinterhauptsrinde gelangt in den Full des
Hirnschenkels. Alle Fasern, welohe die hintere, untere Gegend der
Hemisphären zum Pedunculus schickt, kommen aus dem Lobus tem*
poralis heraus, besonders sind es Fasern aus der zweiten und dritten
Temporalwindung. Diese Fasern setzen das sogen. TürkBche Bündel zu¬
sammen.
Physiologie.
2) Über den Bohluokreflex nach der medianen Spaltung der Medulla ob-
longata, von M. Ishihara. (Centralbl. f.Physiol. XX. 1906. Nr. 13.) Ref.:
Kurt Mendel.
Verf. suchte festzustellen, wie der Schluckreflex an den beiden Seiten durch
die mediane Spaltung der Medulla oblongata beeinflußt wird und ob die centri-
petalen Schluckfasern sich in der Medulla oblongata kreuzen und mit dem ander-
• seitigen Centrum in Verbindung stehen. Er experimentierte an Kaninchen und
jungen Hunden und fand folgendes:
1. Wenn bei intakter Medulla oblongata die peripheren Teile vollständig
gespalten waren, so traten doch auf einseitigen Reiz reflektorisch auf beiden Seiten
synchrone Schluckbewegungen auf.
2. Wenn der Schnitt durch die Medulla oblongata die beiderseitigen Vago-
glossopharyngeuskerne vollständig voneinander getrennt hatte, so war auf ein¬
seitigen Reiz stets nur eine reflektorische Schluckbewegung der betreffenden Seite
zu erzielen. Dabei war es gleichgültig, ob die beiden Hypoglossuskerne durch
diesen Schnitt in ganzer Länge oder nur der obere Teil derselben voneinander
getrennt worden waren.
Wenn durch den Schnitt zwar die beiden Hypoglossuskerne mit dem unteren
Teile der Vagoglossopharyngeuskerne ganz getrennt wurden, der obere Teil des
letzteren jedoch davon verschont geblieben war, so waren immer noch die beider¬
seitigen und synchronen Schluckbewegungen zu sehen.
3. Wiederholt war eine Nachwirkung des Schluckreizes nach der medianen
Spaltung der Medulla oblongata deutlich zu beobachten, während eine solche vor
derselben kaum zu sehen war.
Aus diesen Versuchen folgert Verf., daß die sensiblen Schluckfasern der einen
Seite direkt in das Centrum derselben Seite gelangen, und daß auf Reizung der¬
selben auch das Centrum der anderen Seite in Erregung gerät.
Für das Ergebnis sub 3 (Nachwirkung des Schluckreizes nach der Median*
Spaltung der Medulla oblongata) nimmt Verf. an, daß eine Hemmung von der
einen Seite auf das Centrum der anderen Seite ausgeübt wird, und daß diese
Hemmung durch die Medianspaltung ausgeschaltet wird.
Pathologische Anatomie.
3) Gontribution a l’etude anatomo-pathologique de la demenoe precoco,
par Dr. Jean Zalplachta. (Revista Stintelor mSdicale. 1906. Nr. 7 bis 10.)
Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Die Untersuchungen des Verf.’s erstrecken sich auf vier Gehirne von Kranken,
welche klinisch das Bild der Dementia praecox geboten hatten. In allen Fällen
waren mit der Nisslschen Färbungsmethode Veränderungen an den zelligen
El ementen der Großhirnrinde nachweisbar, welche sich im wesentlichen im Rahmen
der bekannten chronischen Zellveränderungen Nissls hielten: Deformation der
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! al frei”.
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610
Zellumrisse mit allmählichem Verschwinden der chromophilen Substanz und Zu¬
nahme der Pigmentdepots. Stellenweise kommt es zu einem Ausfall ganzer Zell¬
gruppen bzw. zu einer starken Lichtung der einzelnen Zellschichten. Hand in
Hand mit der Destruktion der Ganglienzellen geht eine Proliferation der gliösen
Elemente, welche als Trabantzellen die erkrankten Ganglienzellen umrahmen und
um so zahlreicher auftreten, je schwerer jene verändert sind. Die Gefäße sind
von dem Prozeß nur wenig betroffen; auffällig sind Pigmentanhäufungen in den
Bindegewebszellen der Wandung, speziell im Endothel und in der Adventitia,
sowie im perivaskulären Lymphraum. Die Herkunft dieses Pigmentes ist zweifel¬
haft; möglicherweise steht es in einem Zusammenhänge mit dem Zerfall der
Ganglienzellen. In den perivaskulären Räumen wurden ferner Lymphocyten (?)
und gelegentlich auch Mastzellen gefunden.
In Übereinstimmung mit Kraepelin und seinen Schülern hält Verf. seine
histologischen Befunde für den Ausdruck einer Autointoxikation bzw. einer chro¬
nischen Infektion. Charakteristische histologische Unterscheidungsmerkmale gegen¬
über anderen organischen Psychosen sind nicht vorhanden; dagegen scheine in
der Lokalisation etwas für die Dementia praecox Charakteristisches zu liegen.
Es zeigte sich nämlich in allen Fällen, daß vorwiegend die Stirnlappen und die
Centralregionen betroffen waren, während die occipitalen Partien relativ frei
blieben. Besonders bemerkenswert sei die Tatsache, daß in den kranken Win¬
dungen nicht alle Zellschichten gleichmäßig verändert waren, sondern am
meisten diejenigen, welche am tiefsten, d. h. dem Marke am nächsten gelegen
sind, nämlich die großen Pyramiden und besonders die polymorphen Zellen.
Pathologie des Nervensystems.
4) Zur Klinik der Rindertuberkulose. Die Tuberkulose des Nervensystems
und seiner Hüllen, von M. Hamoir. (Annales de m6d. v&t. 1906. S. 232
u. 391.) Ref.: Dexler (Prag).
Verf. publiziert in einer längeren Artikelserie seine Anschauungen hinsicht¬
lich der klinischen Diagnostik der tuberkulösen Erkrankungen des Nervensystems
der Rinder, die er auf seine Beobachtungen der letzten 10 Jahre stützt. Als
Hauptmoment stellt er die Tatsache hin, daß beim Rinde fast alle chronischen
und subakuten Nervenerkrankungen tuberkulöser Natur sind. Generell lassen sich
die cerebralen Affektionen von den medullären leicht auseinanderhalten.
Bei der Mcningoencephalitis tuberculosa bovis sind die Initialsymptome sehr
variabel. Sie setzen meist ganz unmerklich, seltener auch plötzlich ein. An¬
fänglich fällt nur eine gewisse Benommenheit auf, die aber bald einem klarer
ausgesprochenen Symptomenkomplexe Platz macht. Die Tiere bewegen sich wenig
und nehmen eine gezwungene Körperhaltung an: der Kopf wird gestreckt oder
gebeugt oder seitlich verdreht gehalten. Der Umfang bestehender Gesichts- und
Hörstörungen ist gewöhnlich wegen der tiefen Somnolenz nicht genau zu erheben.
Der Gang wird unsicher, die Tiere stoßen an Objekte au, gehen schwankend und
unkoordiniert, häufig auch im Kreise; auch Konvulsionen und selbst epileptische
Krisen können Vorkommen, Diese Erscheinungen gestatten mit ziemlicher Sicher¬
heit eine richtige Diagnose zu stellen, namentlich dann, wenn in den zugänglichen
Organen des übrigen Körpers Veränderungen tuberkulöser Natur aufgedeckt werden
können oder wenn ein positiver Ausfall der Tuberkulinreaktion zur Verfügung
steht. Bei der Gehirnhyperämie sind die Symptome viel tumultuarischer und ihr
Verlauf viel rascher; auch gehen dem komatösen Stadium Aufregungszustände
voraus. Bei der nichttuberkulösen Meningitis endlich beobachtet man einen plötz¬
lichen Beginn und paralytische Erscheinungen fieberhafter Art gepaart mit Nacken¬
krämpfen.
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Bei der Myelitis bzw. Meningomyelitis tuberculosa bovis konstatiert man
zumeist den Bestand einer sogen. Kreuzlahme von spezifisch rascher Progression.
Das Zusammenspiel der Extremitäten wird hochgradig gestört und der Gang da¬
durch schwankend und unsicher. Das Aufstehen geschieht in unphysiologischer
Weise: die Binder erheben sich ähnlich wie die Pferde mit dem Vorderteile
voran. Sehr bald pflegen sich Paraplegien und Sphinkterenstörungen bemerkbar
zu machen. Es kommt zu Dekubitalgangrän, unter deren Einflüsse das Allgemein¬
befinden immer mehr zurückgeht, bis nach Wochen oder Monaten der Tod eintritt.
Vor diagnostischen Irrangen behütet uns in solchen Fällen der Nachweis
eines tuberkulösen Habitus, die Ausschließung einer traumatischen Schädigung
und die unzweifelhafte Progression der Erscheinungen. Endlich darf das Über-
wiegen der abnormen Bewegungen der Wirbelsäule nach den Seiten hin gegen¬
über jenen der abnormen Beugung und Streckung in vertikaler Richtung, wie
sie die Wirbeltuberkulose auszeichnen, nicht übersehen werden.
Bei der Tuberkulose der Wirbel hängen die Funktionsstörungen zunächst
von der Ausdehnung der Erkrankung, dem Grade der Bückenmarkskompression
und der Dignität des lädierten Wirbels ab. Fast stets ist die Lumbar- oder die
Thorakalwirbelsäule betroffen, wodurch übrigens in symptomatischer Beziehung
kein wesentlicher Unterschied hervorgerufen wird. Der Beginn de& Leidens ist
nur sehr schwer zu erfassen. Gewöhnlich entdeckt man etwaige motorische
Störungen erst bei kurzen Wendungen der Kranken. Später konstatiert man
wieder Kreuzschwäche, schlotternden Gang, starke Druckempfindlichkeit und eigen¬
tümliches Schwanken der Wirbelsäule, die hier weniger in seitlicher, als in dorso-
ventraler Richtung oscilliert. Auch solche Kranke nehmen zuweilen eine hunde-
sitzige Stellung ein und verharren oft längere Zeit in ihr. Die objektive Fest¬
stellung von Sensibilitätsstörungen mißlingt meist, wenn auch die Gegenwart
solcher aus Analogien erschlossen werden muß. Als besonders wichtig hebt Verf.
die hundesitzige Stellung hervor, die die Tiere beim Harnen einnehmen. Die
Binder lassen sich fast ganz auf die Sprunggelenke nach Art urinierender junger
Hunde nieder und verharren in dieser ganz auffallenden Haltung auch längere Zeit.
6) La Syphilis spinale a forme amyotrophique (type Aran-Duohenne), par
M.Lappois et A.Porot. (Rev.demed. 1906. Nr.7.) Ref.: Müll er (Breslau).
Interessanter Sektionsfall der „amyotrophischen Form“ spinaler Syphilis.
Beginn des Leidens 1899 mit Wurzelschmerzen, zuerst im linken, dann im rechten
Arm. Muskelatrophie an der Hand (links stärker als rechts; Entartungsreaktion).
Sehnenreflexe an den Armen fehlend, ebenso rechter Patellarsehnenreflex; der
linke schwach. Achillessehnenreflexe auslösbar. Schwerhörigkeit durch Labyrinth¬
affektion. Orchitis fibrosa, tertiär-syphilitische narbige Zungenveränderungen.
Spater Fortschreiten der Handatrophie auf den Oberarm, außerdem vasomotorische
Störungen, encephalitiscbe Symptome, Lähmung des 4. Hiranerven rechts. Nach
autisyphilitischer Behandlung Besserung, bzw. Stillstand des Leidens. In den
letzten 4 Jahren leider kein genauer neurologischer Status; Autopsie im Jahre
1905. Es fand sich vornehmlich eine Meningomyelitis specifica (namentlich im
Bereich des unteren Halsmarkes), eine chronische Konvexitätsmeningitis mit einer
Narbe in der vorderen Centralwindung. Die Verteilung der anatomischen Läsion
im Bückenmarke erklärt gut das klinische Bild. Die Lokalisation im unteren
Halsmark erklärt die Muskelatrophie an der Hand; in Übereinstimmung mit dem
klinischen Bilde war die Meningomyelitis hier links stärker als rechts. Die
Atrophie kam daher, weil die Meningomyelitis vorn und seitlich am stärksten war
und demgemäß die vorderen Wurzeln in Mitleidenschaft zog.
In Höhe der Lendenregion führte die Meningomyelitis zu Veränderungen der
hinteren Wurzeln. Der Fall illustriert gut das Vorkommen einer fortschreitenden
Muskelatrophie spinal-syphilitischen Ursprunges auf Grund einer besonderen Lokali-
* Go. gle universTtTofuufornia
’uuiv oi/tuui-oj Ui
Go gle
612
sation der Meningomyelitis, die zur sekundären Beteiligung der entsprechenden
▼orderen Wurzeln führt.
6) Über Kernteilungen in den Vorderhornzellen des Menschen, von ▼. 0 rze-
chowski. (Arb.a. d.neur.Inst.d.WienerUniv. 1907.) Ref.: Marburg(Wien).
Seinen eigentümlichen Befunden schließt Verf. eine Übersicht über die gesamte
das in Rede stehende Thema behandelnde Literatur an, die er kritisch sichtet.
Nach den Ansichten des Verf.'s gibt es trotz vieler diesbezüglicher Annahmen
bisher keinen überzeugenden Beweis, daß typische, progressive Vorgänge, sei es
in den motorischen Vorderhornzellen oder den großen Pyramidenzellen und viel*
leicht auch den Purkinjesohen Zellen, Vorkommen, während das für die ganz,
kleinen Nervenzellen eher wahrscheinlich ist.
Leider ist bei der Fülle von Details ein näheres Eingehen in diese Arbeit
nicht möglich, zumal sie sicherlich die umfassendste dieser Art und die am
meisten kritische ist.
7) Zur Klinik der Bauohmuakellähmungen auf Qrund eines Falles von
isolierter partieller Lähmung nach Poliomyelitis anterior acuta, von
Priv.-Doz. Dr. Julius Strasburger in Bonn. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬
heilkunde. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
Ein 14jähriger Gymnasiast aus gesunder Familie erkrankt plötzlich unter
anscheinend erheblichem Fieber und unbestimmten Allgemeinerscheinungen. Nach
8 Tagen Klagen über große Schwäche und Mattigkeit, aber an den inneren Organen
keine Abnormitäten. Einige Wochen später fällt eine eigentümliche Körperhaltung
auf und es findet sich eine ganz isolierte, schlaffe Lähmung eines Teiles der
Bauchmuskeln von symmetrischer Anordnung. Ernährung, Reflexe, Motilität und
Sensibilität im wesentlichen normal. Eine Beschränkung der Lähmung auf die
Bauchmuskulatur ohne Beteiligung der Extremitäten* und Rumpfmuskeln ist in
jeder Beziehung ungewöhnlich und äußerst selten. Für die spezielle Diagnose
einer derartigen Lähmung wird sowohl die Funktion der Bauchpresse als die
Statik von Thorax und Becken untersucht und kritisch erörtert. Letztere Fähig*
keit wird von den senkrecht wirkenden Muskeln ausgeführt, während die Regu¬
lierung der Bauchpresse vornehmlich den horizontal verlaufenden Muskelfasern
zukommt. In dem vorliegenden Falle handelte es sich offenbar nur um eine
Lähmung der s.enkrechten Muskeln.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß es sich um eine Polio¬
myelitis anterior acuta gehandelt hat. Es können zwei Arten von Bauchmuskel¬
lähmung Vorkommen, je nachdem die transversalen Muskeln betroffen Bind und
dadurch die Bauchpresse geschädigt ist oder die senkrecht wirkenden Muskeln
gelähmt sind und dadurch die Funktion der Beckenstatik, sowie des Körper-
aufrichtens erschwert ist. Wahrscheinlich haben die senkrechten und die queren
Muskeln gesonderte und räumlich weit auseinander liegende Kerne im Rücken¬
mark, so daß deren isolierte Zerstörung möglich ist.
8) Über die Prognose der akuten Poliomyelitis und ätiologisch ver¬
wandter Erkrankungen, von IvarWickman. (Zeitschr. f. klin. Medicin.
LXIII. 1907. Henschen-FeBtschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
Verf. hat eine Epidemie der Krankheit im Sommer und Herbst 1906 in
Schweden beobachtet und wurde dann von der schwedischen Medizinalverwaltung
mit der Bearbeitung des aus ganz Schweden eingelaufenen Materiales beauftragt.
Die vorliegende Arbeit ist ein Teil einer später erscheinenden größeren Arbeit.
Das Virus, das die spinale Kinderlähmung verursacht, ruft auch mehrere andere
Krankheitszustände hervor, deren Zusammengehörigkeit mit der akuten Polio¬
myelitis nur unter epidemischen Verhältnissen klargelegt werden kann. Eine
besonders vom epidemiologischen Standpunkt aus überaus wichtige Form bilden
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613
die abortiven Fälle, die in wenigen Tagen zu voller Genesung führen ohne Läh-
tnungen darzubieten. Verf. tritt, ohne selbst einen neuen Namen vorzuschlagen,
für Namensänderung der Krankheit ein.
Das Material besteht aus mehr als 1000 Fällen. Die Erfahrungen in Schweden
haben gezeigt, daß die bisherige Anschauung über die Prognose der Krankheit
(quoad vitam günstig, quoad sanationem completam ungünstig) nicht aufrecht
erhalten werden kann.
Die Prognose quoad vitam gestaltet sich naoh Verf. bei der akuten Polio¬
myelitis in nicht geringem Maße ungünstiger als man früher annahm und bei
älteren Kindern und Erwachsenen ist sie viel schlechter als in den früheren
Kinderjahren.
Dagegen ist die Prognose quoad sanationem completam weit besser als all¬
gemein angenommen wird, sowohl in bezug darauf, daß zahlreiche Fälle ganz
ohne Lähmungen verlaufen (abortive Formen), als auch in der Hinsicht, daß nicht
wenige Fälle, bei denen Lähmungserscheinungen auftraten, zur völligen Genesung
gelangen. Am 4. Krankheitstage ist das Leben am meisten bedroht. Haben die
Kranken nur erst einmal die erste Woche überstanden, so ist auch große Aus¬
sicht vorhanden, daß sie mit dem Leben davonkommen.
9) ▲ aase of myasthenia gravis pseudoparalytioa with adenoma of the
pituitary body, by Frederick Tilney. (Neurographs. I. 1907. Nr. 1.)
Ref.: Kurt Mendel.
Fall von Myasthenie, in welchem die Muskeln einen geringen Grad von
Degeneration zeigten und wo ein Adenom der Hypophysis, und zwar im Lobus
posterior derselben, gefunden wurde. Der Ursprung dieser Geschwulst war aber
im Lobus anterior der Hypophysis zu suchen. Es fragt sich, ob nicht eine ge¬
wisse Beziehung besteht zwischen der Muskulatur einerseits und der Funktion der
Hypophysis andererseits.
III. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psyohiatrie und Nervenkrankheiten.
• Sitzung vom 10. Juni 1907.
1. Diskussion über den Vortrag des Herrn Förster (Sitzung vom 13. Mai,
vgl. S. 537 d. Central bl.):
Herr Jakobsohn bedauert, daß Herr Förster nur Zeichnungen seiner
Präparate und nicht eine Anzahl von diesen Belbst demonstriert hat, besonders
da es sich um verschiedene Phasen eines Prozesses handelt. J. fragt den Vortr.
nach seiner Stellung zu der Frage der Existenz der perivaskulären hzw. peri-
cellulären Räume, von deren Existenz er sich ebenso wie Nissl und Held, die
sie für artefiziell hielten, nie habe überzeugen können, während Obersteiner,
Schmauss, His u. a. sie für Lymphräume hielten. Er fragt, ob Vortr. in ihnen
Tuschepartikelchen gesehen habe, die später fortgeschwemmt worden seien. Es
interessiert ferner, die Ansicht des Vortr. über die Natur der etwas mysteriösen
Gitterzellen zu hören. Handelt es sich bei ihnen um Körnohenzellen, die alles
fremdartige entfernen, oder um nervöse Elemente? Von der Entscheidung dieser
Frage hängt es ab, ob die Entfernung fremder Körper erst durch die Glia und
dann die Gefäße vonstatten geht.
Herr Förster glaubt, daß die Existenz perivaskulärer Räume jetzt wohl
allgemein als nicht erwiesen angesehen werde. Die Gitterzellen stammen seiner
Meinung nach nur aus Gefäßsprossen.
2. Herr A.Leppmann: Die forensische Bedeutung der Zwangsvorstellungen.
Zwangsvorstellungen schließen in den meisten Fällen die strafrechtliche Verajfr-
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Qrigsiraal from
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614
-wortlichkeit nicht aus, da selbst dann, wenn sich die von ihnen Befallenen von
dem durch sie erzeugten quälenden Drange durch Handlungen entlasten, diese
Handlungen immer noch eine gewisse Wahl der Entschließungen und eine ge¬
wisse Hemmung bekunden. Es werden also die Fälle, wo die GesamtperBÖnlich-
keit durch die Macht der Zwangsvorstellungen so überwunden wird, daß die freie
Willensbestimmung als ausgeschlossen angesehen werden muß, so selten 6ein, daß
der einzelne über wenig Beobachtungsmaterial verfügt und die besonderen Um¬
stände, aus denen auf eine willensausschaltende Macht der Zwangsvorstellungen
geschlossen werden kann, am ehesten durch Zusammentragen der Erfahrung vieler,
namentlich auch in nicht kriminellen Fällen, umgrenzt werden können. Die
drängende Macht der Zwangsvorstellungen erreicht immer nur für kurze Zeit
einen gewissen Höhepunkt, so daß zur Feststellung der Unzurechnungsiähigkeit
nur solche Taten in Betracht kommen, welche kurzzeitig ausgeführt werden.
Nach den Erfahrungen des Vortr. ist unter solchen Voraussetzungen von krank¬
haften Zuständen, auf deren Boden Zwangsvorstellungen eine willensausschließende
Wirkung ausüben, keiner so wesentlich, wie die Epilepsie. Hier bilden Zwangs¬
handlungen, die aus Zwangsvorstellungen hervorgehen, bisweilen das Äquivalent
einzelner Anfälle oder zeigen sich in einer längeren anfallsfreien Periode. Sodann
kommen die schweren konstitutionellen Neurasthenien in Betracht^ aber
diese doch nur selten und am ehesten dann, wenn sich die Kranken im Alter
der Bückbildung, in der zuweilen früh einsetzenden Vergreisung befinden.
Ähnlich ist es mit der Hysterie, welche in dieser Frage merkwürdigerweise
aber eine geringere Bolle spielt. Alle anderen psychopathischen Zustände treten
in dieser Frage völlig in den Hintergrund, namentlich auch die Imbezillität.
Der Alkoholismus zeigt am ehesten noch dann seine Wirkung, wenn der Alko¬
holmißbrauch dazu dient, Zwangsgedanken zu betäuben. Vortr. erörtert dann noch
die Frage, welche Bolle der Zwangsvorstellungskranke als wirklich Angeschul¬
digter spielt, ob er durch die Art seines Benehmens geschädigt wird. Er ver¬
neint dies im allgemeinen. Viel wichtiger sind die Nachteile, welche dem Kranken
daraus erwachsen, wenn er ein gerichtliches Zeugnis ablegen muß. Es entstehen
dann oft Unruhezustände, deren Rückwirkung auf das Individuum meist in keinem
Verhältnis zu der Wichtigkeit des Zeugnisses 6teht. Hier wäre zu wünschen, daß
zukünftige Prozeßordnungen mehr als die bisherigen auf derartige gesundheitliche
Beeinträchtigungen Bücksicht nehmen. In zivilrechtlicher Beziehung ist zu er¬
wägen, ob nicht bei letztwilligen Verfügungen Zwangsvorstellungen, die von einer
eigensüchtigen Umgebung geschickt benützt werden, eine Bolle spielen. (Der Vor¬
trag wird in der Ärztlichen Sachverständigen Zeitung veröffentlicht werden.)
Autoreferat.
Die Diskussion wird vertagt.
3. Herr S. Salomon: Ein Fall von Hemlatrophia faoialis progressiva
mit Augennervensymptomen. (Aus der Augenabteilung der Dr. H. Neumann-
schen Kinder-Poliklinik.) Bei dem jetzt 9jährigen Mädchen wurde vor 3 Jahren
von der Mutter die Ungleichheit der beiden Gesichtshälften bemerkt, die im
letzten Jahre bedeutend fortgeschritten ist. Anamnestisch ist von Krankheiten
nichts festzustellen, es hat auch angeblich kein Trauma stattgefunden, und es be¬
steht keine neuropathische Belastung. Dagegen hat die Mutter 3 mal abortiert,
drei Kinder Bind in den ersten Lebensmonaten gestorben, drei Kinder leben. Die
Hemiatrophie, die die linke Gesichtshälfte einnimmt — die Mundhöhle zeigt nichts
Abnormes —, besteht im wesentlichen in der Atrophie der Haut, des Fettgewebes
und der beiden Kieferknochen. Die Gesichtsmuskeln sind auch in Mitleidenschaft
gezogen, aber , funktionsfähig. Sensibilität ist völlig intakt; nirgends eine
qualitative Veränderung der elektrischen Erregbarkeit in den Muskeln. Von
Au gen Symptomen fällt eine starke Parese des rechten Abducens auf. Links
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ist absolute Pupillenstarre fiir Licht und Konvergenz, ebenso ist links die Ak¬
kommodation gelähmt, demnach Paralyse der inneren Äste des linken Oculo-
motorius. Die Retina ist links diffus pigmentiert, besonders in der Makulargegend.
Tension beiderseits normal, Sehschärfe rechts = 1, links = */ 3 . Auffallend ist
einmal das völlige Fehlen von Sympathicussymptomen, die fast stets in den bisher
beschriebenen spärlichen Fällen beobachtet wurden. Im vorliegenden Falle ist
durch die Beteiligung des rechten Abducens und der inneren Äste des linken
Oculomotorius mit Sicherheit anzunehmen, daß die Hemiatrophie neurogenen
Ursprunges ist und wahrscheinlich auf Erkrankung der trophischen Fasern des
linken Trigeminus beruht. Dieses isolierte Befallensein der trophischen Trigeminus-
funktion und der nur inneren Äste des linken Oculomotorius deutet mehr darauf
hin, daß nicht die peripheren Nerven an der Basis, sondern die Centren und
intrabulbären Bahnen der beteiligten Nerven ergriffen sind, und zwar weist die
Beteiligung des rechten Abducens auf eine diffuse Ausbreitung oder mehrfache
Lokalisation des Krankheitsprozesses hin. Schließlich muß für die Ätiologie der
sehr seltenen Erkrankung im vorliegenden Falle wohl sicher Lues angenommen
werden. Dafür sprechen erstens die Geburten der Mutter und dann der Befund
des Augenhintergrundes. Autoreferat.
Herr K. Mendel demonstriert im Anschluß hieran einen mit sehr gutem
Erfolge mit Paraffininjektionen behandelten Fall von Hemiatrophia faciei.
4. Herr L. Loewe: Über eine Methode, von der Nase ans an die Hypo*
phyeia heranaugelangen. (Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieses
Centralblattes.)
Herr Bernhardt macht darauf aufmerksam, daß Schloffer kürzlich einen
nach dieser Methode mit Glück operierten Fall von Hypophysistumor mit¬
geteilt hat.
5. Herr G. Flatau stellt einen Kranken vor, 66jähriger Gürtler, früher
starker Potator. Die Erkrankung entstand apoplektiform vor 10 Wochen; früher
bestanden Zeichen von Störung der Herztätigkeit. Plötzlich trat Doppeltsehen
auf, Störung der Sprache, Schwäche im rechten Arm und Bein. Es besteht: Läh¬
mung des linken Oculomotorius, Hängen des rechten Mundwinkels, rhythmischer
langsamer Tremor der rechten Hand, Bewegungsataxie des rechten Armes, Hypo¬
tonie des rechten Beines (Kniephänomen rechts < links), Stampfen beim Gehen
mit dem rechten Bein. Motorische Kraft nicht deutlich herabgesetzt. Also
alternierende Störung. Oculomotoriuslähmung der einen Seite mit Hypotonie
der anderen, Tremor und Ataxie der kontralateralen oberen Extremität. Das
Achillesphänomen fehlt beiderseits, wahrscheinlich ist das nicht auf das jetzige
Leiden zu beziehen, sondern erklärt sich aus dem Alter des Pat., dem Pes planus,
wohl auch dem vorangegangenen Potus. Die Störungen weisen auf eine Blutung
in die Gegend des roten Kernes und der Haube links, Beteiligung der in den
Bindearmen verlaufenden Kleinhirnbahnen. Die Dysarthrie würde schließen lassen,
daß der Herd auch auf die andere Seite hinübergreift, indessen sind die Extre¬
mitätenstörung streng einseitig; ähnliches ist von Benedikt und Bonnhöfer
unter anderen beschrieben worden. (Der Fall wird an anderer Stelle ausführlich
veröffentlicht werden.) Autoreferat.
Diskussion: Herr Oppenheim würde bei der Diagnosenstellung im vor-
gestellten Fall nicht weiter gehen, als eine Haubenerkrankung anzunehmen. Es
geht nicht an, einige der Symptome auf die Bindearme zu beziehen, auch die
Hypotonie läßt sich nicht einfach lokalisieren. Diese wie die Reflexphänomene
sind vielleicht auf eine begleitende Alkoholneuritis zu beziehen.
Martin Bloch (Berlin).
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XXXII. Wonderversammlung südwestdeutscher Neurologea- und Irrenärzte
in Baden-Baden am I. und 2. Juni 1907.
Ref.: L. Mann (Mannheim).
I. Sitzung:
Die Versammlung wird durch Herrn Wollenberg (Straßburg) eröffnet. Er
gedenkt der im Laufe des letzten Jahres verstorbenen Mitglieder der Versamm¬
lung Möbius, Wildermuth und Thomas, deren Andenken die Versammlung
durch Erheben von den Sitzen ehrt. Unter dem Vorsitz von Prof. Moritz (Stra߬
burg) beginnt die Erledigung der Tagesordnung mit den Demonstrationen:
1. Herr Weygandt (Würzburg): Zur Frage der amnestischen Aphasie.
Der Fall Voit ist in der Literatur als Grasheyscher Fall oder amnestischer
Aphasiefall bekannt, eine stattliche Reihe von Arbeiten befaßt sich mit ihm,
darunter zwei Habilitationsschriften. Auch in der Badener Versammlung wurde
vor zehn Jahren über ihn vorgetragen durch Wolff. Am 11. November 1883
erlitt der damals gesunde Mann einen Unfall durch Sturz von der Treppe. Er
wurde bewußtlos mit einer Kopfwunde fortgetragen, eine Basisfraktur mit Ver¬
änderung der 3. Stirnwindung und größerem Kontusionsherd wurde angenommen
und eine sich darun anschließende Paralyse als wahrscheinlich angesehen. Klinisch
am auffallendsten war die mangelhafte Artikulation, ferner war zu bemerken träge
Zuckung im rechten Facialisgebiete, die Zunge war rechts schmäler, der rechte
M. orbic. war gelähmt; rechts bestand Hypalgesie. Das Gesichtsfeld war eingeengt,
das Gedächtnis schwach, die Intelligenz schien abzunehmen. Unter den lokali-
satorischen Deutungen sei die von Wernicke hervorgehoben, der einen Herd in
der optischen Sphäre annahm, und die von Freud, der einen Herd in der
akustischen Sphäre vermutete. Grashey unterzog den Fall eingehenden Prüfungen.
Er stellte fest, daß Voit Gesehenes erkannte, also sein Centrum für Objektbilder
intakt war, daß er ferner Gesprochenes verstand, also das Centrum für Klang¬
bilder intakt sein mußte. Der Patient fand zum Klangbild das Objektbild, aber
nicht zum Objektbild das Klangbild. Eine Unterbrechung dieser Verbindungs¬
bahn würde sich nur in gekünstelter Weise annehmen lassen. Zur Erklärung
wurde vielmehr darauf hingewiesen, daß jedes sukzessive entsteht und jeder Buch¬
stabe eine gewisse Zeit, etwa 0,06 Sekunden nötig hat, während die Objektbilder
relativ fertig sind. Das Klangbild erfordert somit mehr Zeit, dazu aber reicht
bei Voit das kurze Gedächtnis nicht aus. Jedoch unterstützt er das Gedächtnis,
indem er schreibend das Klangbild fand. Dieser eigenartige Befund, daß der Patient
sich erst das Wort hinschreiben mußte, ehe er es aussprechen konnte, veranlaßte
dann Sommer zu weiteren detaillierten Untersuchungen. Er stellte fest, daß Voit,
wenn man ihm die rechte Hand festhielt, mit der linken Hand zu schreiben suchte:
wenn man ihm auch diese festhielt, mit den Beinen; ja wenn auch diese festgehalten
wurden, mit der Zunge; wenn auch die Zunge fixiert wird, im Zustande totaler
Fesselung, konnte Voit sich kein Klangbild in das Bewußtsein rufen. Vorgesprochene
Teile eines Wortes, z. B. Freu statt Freund, vermochte er noch nicht zu erkennen.
Wolff hat später darauf aufmerksam gemacht, daß zunächst eine Schriftvorstellung
auftaucht, da Voit sofort richtig F, V oder Ph zu schreiben beginnt, je nachdem
man ihn veranlaßt, die Bezeichnung Fisch, Vogel oder Photograph mit ihrem
gleichen Anlaut und ihrer verschiedenen Sprechweise wiederzugeben. Fernerhin
wies Wolff darauf hin, daß Voit Eigenschaften nicht schreibend zu finden
vermochte. Die Fragen: welche Farbe haben die Blätter? wie viel Beine hat das
Pferd? ist der Zucker bitter? schreit der Hahn miau? usw. wußte er zunächst
nicht zu beantworten. Erst dann, wenn er sich die Eigenschaften anschaulich
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gemacht hatte, konnte er sie schreiben und daraufhin aussprechen. Auf die Frage:
wie siud die Blätter? ging er ans Fenster, sah sich erst Blätter an und sagte
dann schreibend: grün. Auf die Frage: sind die Menschen auf der Straße nackt?
sah er wieder zum Fenster hinaus, sah sich Leute an und sagte dann „nein,
Kleider“. Anf die Frage nach der Farbe des Blutes, drückte er sich erst eine
Aknepnstel auf nnd sagte dann schreibend: rot. Bei nicht sinnlichen Eigen«
schäften, gab er richtige Antworten, besonders wenn er in frischer, guter Stirn«
mang war. Auf die Frage: was ist der, der alles vergißt? sagte er: dumm, faul.
Gefragt „sind Sie ein elender Lump? 4 wehrte er lachend ab. Es wurde somit
eine allgemeine Schwäche der Reproduktion von Erinnerungsvorstellungen fest*
gestellt. Voit erschien als der Mensch der sinnlichen Anschauung. Die
Annahme eines Apperzeptionscentrums in Sinne von Wnndt würde die Haupt«
Sache dieses Befundes erklären. Von den übrigen Autoren, die sich mit dem
Falle abgegeben haben, sei nur noch v. Monakow hervorgehoben, der unter der
nicht ganz zutreffenden Annahme, daß der Fall in Genesung übergegangen sei,
den Nachdruck auf die verzögerte Perzeption legte und die Erklärung als eine
funktionelle Aphasie zweifellos traumatisch «hysterischen Ursprungs suchte. Der
heutige Status zeigt einen blühend aussehenden, etwas fettleibigen und leicht
kongestionierten Mann, der eben jünger aussieht, als seinem Alter von 60 Jahren
entspricht. Der Fazialis rechts ist paretisch, besonders in dem oberen Teile, doch
besteht keine Entartungsreaktion mehr. Häufig zeigt sich Tic convulsif. Eine
leichte Struma findet sich. Die Pupillen und Angenbewegungen sind normal.
Tremor besteht nicht. Der Händedruck ist beiderseits kräftig. Die Herztätigkeit
ist langsam, 48 bis 60 Schläge in der Minute. Die Patellarreflexe sind zeitweise
ein wenig lebhaft, der rechte dann stärker als der linke. Der Fußsohlenreflex ist
lebhaft. Babinski und Fußklonus liegen nicht vor. Voit erklärt nun, daß er
sprechen könne, nur in der Aufregung falle es ihm etwas schwer. Er sagt, er
könne auch ohne Mühe das öffentliche Telephon benützen. Ausführlich erzählt er
von seinem wechselvollen Schicksal, in fließender Rede, wenn auch manchmal ein
Anakoluth vorkommt oder Unsicherheit bei einem Namen besteht. Das Sprechen
ist wohl begleitet von einigen Mitbewegungen im Gesichte und an den Fingern,
manchmal werden Flickwörter benützt wie Dings-da, aber von dem früher mehrfach
beschriebenen Schreiben ist jetzt nichts mehr zu finden. Der Patient gibt wohl
an, anfänglich sei ihm das Sprechen schwer gefallen, so daß er sich alles auf«
schreiben mußte, dann habe sich das aber gebessert, bis es nach einem weiteren
Unfälle wieder schlimmer geworden wäre, jetzt aber sei wieder Besserung ein¬
getreten. Das Fingerschreiben habe er gewöhnlich nur angewendet, wenn er
ängstlich war, was allerdings bei den ärztlichen Untersuchungen früher der Fall
gewesen sei. Treffend betont er, die Stadt Würzburg hätte ihm 1889 gewiß
nicht das Bürgerrecht gegeben, wenn er damals durch sprachliche Mängel arbeits¬
beschränkt gewesen wäre. Auffassungsreaktionen mit Zeitmessung, die ich bei
Voit angestellt, ergaben, daß er Gegenstände und Bilder der verschiedensten Art
ganz richtig zu benennen versteht und nur wenig langsamer reagiert als ein
andauernd gesunder Mensch; 1,4 bis 1,5 Sekunden beträgt seine Auffassungsreaktions*
zeit im Durchschnitt. Ferner ist zu konstatieren, daß Voit jetzt auch sinnliche
Eigenschaften richtig anzugeben weiß. Etwas schwierig fiel es ihm einmal,
auf den Ausdruck bitter zu kommen. Er bildet auch Begriffe höherer Ordnung
und kann subsumieren usw. Er ist durchaus besonnen, geordnet, über Ort und
auch Zeit orientiert, er berechnet das Datum über acht Tage, findet sich im
Kalender zurecht. Er rechnet mittelmäßig, hat allerdings gegenwärtig auch
keinerlei Übung darin. Immerhin bringt er Aufgaben wie den Zinsertrag von
400 Mark zu 4 x / 2 °/ 0 oder schriftliche Additionen vierstelliger Zahlen fertig. Er
weiß heute noch das Aussehen mancher seiner ärztlichen Untersucher, so von
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Grashey und Sommer, anzugeben. Zur Klärung seiner auffallenden Angabe,
daß seine anfänglichen Störungen besser, dann nach einem weiteren Unfälle aber
wieder schlechter geworden Beien, während sie heute geringfügig erscheinen und
die damals charakteristische Sprachstörung gar nicht mehr vorliegt, muß man die
Beziehungen zwischen Unfall und Entschädigung bei Voit berück¬
sichtigen. Der erste Unfall von 1883 geschah durch eigenes Verschulden, ein
Entschädigungsanspruch bestand nicht, nur eine einmalige Unterstützung von
200 Mark wurde gewährt. Nach geraumer Zeit trat Erholung von den damaligen
Unfallfolgen ein. Voit nahm wieder Arbeit an, war bei mehreren Firmen tätig,
meist als Brauer und leistete volle Arbeit Ein Obermälzer sagte, als Zeuge ver¬
nommen, aus, daß gerade zu wichtigeren Arbeiten Voit verwandt wurde. Ein
Brauereidirektor erklärte, daß bei Voit von auffallender Störung des Sprachver-
mögens oder Gedächtnisschwäche nichts zu bemerken war. Voit zeigt heute noch
sein Arbeitsbuch vor, nach dem er mit dem Versand von Bierwagen beschäftigt
war; er hatte dabei schriftliche Kontrolle zu führen und die versandten Quan¬
titäten rechnerisch zu bestimmen. Mittlerweile heiratete er und zeugte gesunde
Kinder. Der zweite Unfall vom 17. Januar 1893 brachte einen Schlüsselbein¬
bruch mit zunächst 40 °/ 0 Erwerbsfähigkeitsherabsetzung, doch trat bald Heilung
ein. Am 21. Januar 1896 erlitt Voit einen dritten Unfall: Quetschung durch
einen Eisenbahnwagen, Bruch des linken Vorderarmes, ferner der Rippen rechter-
seits, und Zerreißung der Pleura und Verletzung der Lunge rechts. Hierauf war
das Befinden in jeder Hinsicht schlecht, auch die Sprachstörung trat wieder auf
und Voit erhob UnfallentschädigungBansprüche an die Eisenbahn. 15 Gutachten
wurden bisher von der Bahn eingeholt. Bei einer Untersuchung in der inneren
Klinik 1904 wurde festgestellt, daß Voit langsam antwortet, erst den Wortlaut
suchen muß, dabei Hände und Finger benützt und auch mit den Gesichtsmuskeln
zuckt. Zeitweise erschien auch die Orientierung gestört. Die Patellarreflexe
waren lebhaft gesteigert. Ferner zeigte sich* eine abgelaufene Pleuritis mit
Schwartenbildung und Verwachsung des komplementären Sinus. Auch Störung
von Geruch, Geschmack, Gehör, sowie Parese des rechten Armes und der Hände
wurde festgestellt und auf Grund des Zustandes volle Arbeitsunfähigkeit an¬
genommen. Die Rentenfrage wurde nun von seiten der Bahn dahingehend gestellt:
Ist der Verletzte schon vor der dritten Verletzung infolge seiner Sprachstörung
arbeitsunfähig oder erwerbsbeschränkt gewesen, oder war er zur Zeit der Verletzung
im Besitze voller Erwerbsfähigkeit, so daß er dann lediglich durch die Folgen
der schweren Verletzung vom 21. Januar 1895 heute erwerbsunfähig wäre? Somit
hat Voit selbst das größte Interesse daran, daß die Folgen der ersten Verletzung
recht geringfügig erschienen, weil er ja für die erste Verletzung mit der damaligen
Sprachstörung keine Entschädigung beanspruchen kann. Wie wir sehen, spricht
Voit in der Tat ausreichend gut, so daß er dadurch nicht erwerbsvermindert wäre.
Wir haben also im Verlaufe der Krankheitsgeschichte einen auffallenden Wechsel
der Erscheinungen: 1. nach Unfall I Erschwerung der Auffassung, Assoziation
und Reproduktion, besonders in der Erregung; 2. Besserung bis zur völligen Er¬
werbsfähigkeit und Heirat; 3. Verschlechterung nach dem dritten, den Thorax
treffenden Unfall; 4. gegenwärtig nur geringe Schwierigkeit beim Wortfinden,
aber doch immerhin ein Sprechen ohne die Hilfe des Schreibens und ohne Versuch,
sich die Eigenschaften erst anschaulich zu machen; dabei etwas schwerfällige Auf¬
fassung. Würde die Sprachstörung Bich lediglich einmal zurückgebildet haben,
so könnte man daran denken, daß für den verletzten Hirnteil ein anderer
vikariierend eintritt. Hier aber, wo Störung, Besserung, Störung und wieder
Besserung aufeinander folgten, ist jene Erklärung ganz unzureichend. Wir
müssen vielmehr zu einer Erklärung des Phänomens Beobachtungen aus der
normalen Psychologie heranziehen. Wir müssen denken an die normalen Diffe-
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renzen in der Auffassung und Reproduktion, vor allem an jene mannigfachen
individuellen Unterschiede, wie sie besonders auf dem Gebiete des Melodie*
gedächtnisses existieren, das zu seiner Betätigung ja auch vielfach motorischer
Hilfen bedarf. Schulkinder finden auch vielfach die richtige Orthographie
schreibend. Es gibt zahlreiche Personen, die beim Sprechen malende Gesten zu
Hilfe nehmen, vor allem in der Ermüdung. Das Versagen der Sprache läßt sich
durch Hemmungen erklären, die bei Normalen auch nicht selten eine Rolle spielen
in momentaner psychischer Erregung, bo, daß manche gelegentlich ihren eigenen
Namen nicht zu nennen vermögen. Auch die sinnlichen Hilfen sind im normalen
Leben verbreiteter, als es zunächst scheinen möchte. Wenn wir nach der Farbe
einer weniger gebräuchlichen Briefmarke gefragt werden, etwa einer 30 Pfennig*
marke, so suchen wir es uns anschaulich zu machen, indem wir etwa einen Eil¬
brief aus der Tasche ziehen, oder auf Umwegen suchen wir es zu erreichen, indem
wir bei der Frage nach einer 20 Pfennigmarke etwa an eine Postanweisung
denken. All dieses tritt in verstärktem Maße auch bei pathologischen Fällen auf,
bei denen eine Commotio cerebri nicht eine lokalisierte Störung in der Sprach*
region, sondern eine allgemeine psychische Hemmung hervorgerufen hat.
Die eigenartigen Hilfen sind wohl gelegentlich auch weiter ausgebildet worden
durch eine gewisse Dressur infolge der vielen Untersuchungen; ferner kann die
Suggestion des interessanten Falles dazu beitragen, daß sich der Patient gar
nicht mehr bemüht, seine Beschwerden zu überwinden. Vor allem einflußreich
war aber bei Voit gewiß die erwähnte Vorstellung der Rentenrücksicht. Früher
wollte er recht krank erscheinen, weshalb er bei Untersuchungen sehr zurück¬
haltend im Sprechen überhaupt war. Jetzt hat er alles Interesse daran, gut zu
sprechen, und er kann es. Eine Basisfraktur oder eine anderweitige organische
Alteration ist gewiß nicht in Abrede zu stellen. Deren Äußerungen wurden jedoch
zweifellos bald überlagert durch funktionelle Störungen. Gerade die auffallende
Sprachstörung bei Voit ist daher nicht durch Herd- und Leitungsunterbrechuug
bedingt, Bondern lediglich funktionell.
2. Herr Becker (Baden): Demonstration eines Falles von Sklerodermie.
Während 5 Jahren auf die verschiedenartigste Weise behandelt u. a. mit Thio-
sinaminiujektionen, Massage, Schwitzbäder, Tallermann, Fango, Salol, Bier scher
Stauung, Schilddrüsentabletten. Damit nur geringe Besserungen erzielt, die der
heimatlichen Winterkälte nicht Stand hielten und das Fortschreiten der Krank¬
heit nicht zu hindern vermochten. Im letzten Sommer durch eine gründlichere
Massage, massige Fangobehandlung, Sonnenbäder, Sajodin, Halbbäder (unter steter
Berücksichtigung des Allgemeinzustandes der Kranken) ganz wesentliche all¬
gemeine Besserung, die durch einen Winteraufenthalt im Süden festgehalten bzw.
gefördert wurde.
3. Herr Starck (Karlsruhe): Zur Pathologie der Hirngesohwülste (mit
Demonstration). Vortr. berichtet über eine 60jährige Patientin, die seit
10 Jahren an einer Gehstörung, seit 3 bis 4 Jahren an Schwindel und Kopf¬
schmerz leidet, seit etwa 3 Jahren am Stock gehen muß und seit mehreren
Jahren recht schwerhörig ist. Familienanamnese ohne Besonderheit. Befund bei
der Aufnahme am 21. März 1906: Sensorium klar, Intelligenz, Sprache gut.
Gang steif, spastisch paretisch mit Vorherrschen der spastischen Erscheinung.
Beiderseits Babinski und gesteigerte Patellarreflexe. Sensibilität normal. Beider¬
seits Stauungspapille r. > 1. Gehirnnerven: Rechts Parese des mittleren und
unteren Facialisastes, nervöse Schwerhörigkeit, Taubheit, rechte Zungenhälfte
atrophisch; links Lähmung des Trigeminus (linke Gesichtshälfte gerötet, ver¬
mehrter Turgor, Sensibilität für alle Qualitäten herabgesetzt, motorischer Ast
normal). Verlauf: anfangs Kopfweh, das später verschwand, öfters Erbrechen,
Gang bald unmöglich. Puls dauernd erhöht, allmählich eintretende Atrophie der
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rechten Papille, rechte Facialis in allen drei Ästen paretisch, linke Gesichtshälfte kom-
plette Anästhesie auch der Cornea. Atrophie beider Zangenhälften. Zunehmende
Schwäche, zunehmende Arteriosklerose, am 2. April 1907 Exitus. Diagnose: Da
allgemeine Tumorsymptome (Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Stauung*-
papille) und Herdsymptome (links Erkrankung der Nn. V und XII, rechts
der Nn. VII, VIII und XII), ferner Pyramidenbabnerkranknng (Spasmen beider
Beine, Babinski, gesteigerte Patellarreflexe) wurde die Diagnose auf Pons-Oblon-
'gntatumor gestellt. Auffallend war dabei doppelseitige Hirnnervenerkrankung.
Dreimal wurde Lumbalpunktion gemacht. Bei der ersten kein vermehrter Druck,
keine Leukocytose, bei der zweiten Punktion: Kein vermehrter Druck, Leukocytose,
bei der dritten Punktion: Kein vermehrter Druck, bernsteingelbe, triibe, gelatinöse,
dick absetzende Flüssigkeit, die große Massen Oxalsäuren Kalkes in Briefkouvert-
form enthält, ferner Fetttröpfchen. Dicke Gerinnung beim Kochen. Anfang
November 1906 begann aus dem rechten Nasenloch eine klare Flüssigkeit abzu¬
tröpfeln von V4 *Voo Albumen, spec. Gewicht 1011 bis 1012, reichliche Lympho-
cytose und Leukocytose. Täglich aufgefangene Menge 50 bis 60 ccm. Nasen-
befund normal. Diagnose: Cerebrospinale Flüssigkeit. Injektion von Methylen¬
blau in den Duralsack (in Lnmbalgegend). Die Flüssigkeit ändert ihre Farbe
nicht. Keine Kommunikation. Die Dura mußte also durch den Tumor an einer
Stelle geteilt sein und letzterer den Duralsack in zwei nicht kommunizierende Ab¬
schnitte teilen. Sektion: Kleinapfelgroßer Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel, der
die rechte Pyramide und die Decke der Dura zerstört hat! Träufelt man an dieser
Stelle des Schädels Wasser auf, so läuft dasselbe durch die Nase ab. Der Tumor
hat die Pons-Oblongatagegend zur Hälfte vollkommen komprimiert. Facialis und
Akustikus sind in demselben aufgegangen, der Trigeminus ist in einem schmalen
Bande zwischen Pons und Tumor komprimiert. Ein Teil der rechten Kleinhirn¬
hälfte ist in den Tumor aufgegangen. Das Bild deckt sich vollkommen mit
einem von Oppenheim 1889 in der Gesellschaft der Charit&irzte demonstrierten
Tumor, der sich als AkuBtikustumor erwies. Auch in diesem Falle handelt es
sich um einen AkustikuBtumor. Daß der Tumor vom Nerv, nicht vom Kleinhirn
oder Dura ausgebt, beweist ein kleiner kirschkerngroßer, zweiter Tumor, der im
Ursprung des linken Trigeminus, diesen in sich aufnehmend, gelegen ist. Mikro¬
skopisch handelt es sich um ein Gliosarkom. Bemerkenswert ist in dem Fall
1. die Multiplizität der Nerventumoren, 2. der Abfluß der Cerebrospinalflüssigkeit
durch die Nase, 3. der Oxalgehalt der bernsteingelben Cerebrospinalflüssigkeit
und 4. die Zweiteilung des Duralsackes durch den Tumor. Antoreferat
4. Herr Dinkler (Aachen): Über den klinteohen Verlauf und die ana¬
tomischen Veränderungen bei progressiver, pernioiöser Anämie mit
spinalen Störungen. Vortr. schlägt vor, die Fälle dieser Erkrankung je nach
den klinischen Erscheinungen und der anatomischen Grundlage in drei Gruppen
einzustellen, und zwar rechnet er zur ersten Gruppe diejenigen Fälle, welche
klinisch gar keine oder nur sehr geringe Rückenmarkssymptome darbieten und
post mortem trotzdem anatomische Veränderungen, allerdings geringfügiger Art
erkennen lassen. In die zweite Gruppe reiht er diejenigen Fälle ein, welche
klinisch ausgesprochene Rückenmarkserscheinungen zeigen und anatomisch die be¬
kannten, von Lichtheim, Nonne und anderen geschilderten herdweisen Ver¬
änderungen im Rückenmark zeigen; die dritte Gruppe besteht aus denjenigen,
welche im Laufe der progressiven perniciösen Anämie ausgesprochen nervöse
Störungen (mit spinalem Symptomenkomplex) zeigen, aber zur vollen Ausheilung
gelangen. Für die erste Gruppe teilt er folgenden Fall als Paradigma mit:
Frau X, 42 Jahre alt, von Oktober 1899 bis Oktober 1900 als stationäre Kranke
beobachtet. Heredität fehlt, Patientin hat viel an Kopfweh, Übelkeit und Er¬
brechen gelitten. Seit einem Jahr sind Durchfälle hinzugetreten, Abmagerung,
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Herzklopfen, Kurzatmigkeit, Flimmern vor den Augen, Ohrensausen und Schwindel;
seit einem halben Jahre Ödeme der Beine, in den letzten Wochen vor der Auf¬
nahme sehr intensive Durchfälle mit Leibschmerzen, so daß die Kranke bettlägerig
wurde. Status: Die Kranke ist schlecht genährt, Haut und sichtbare Schleim¬
häute von blaßgelber Färbung. Herzgrenzen etwas erweitert, systolisches Geräusch
an der Herzspitze. Im Urin eine Spur Eiweiß ohne mikroskopischen Befund.
Nervensystem frei von Erscheinungen außer einer angeborenen Ptosis. Puls¬
frequenz 96, Blut enthält 25°/ 0 Hämoglobin (nach Fleisch), 1,06 Millionen rote
Blutkörperchen mit ausgesprochener Poikilocytose und kernhaltigen roten Blut¬
körperchen (Megalob]asten). Die weißen Blutkörperchen betragen 7500, vor¬
wiegend Lymphocyten. Unter geeigneter Behandlung Besserung, so daß die Kranke
mit nahezu normalem Blutbild nach 3 Monaten anscheinend frei von Störungen
entlassen werden konnte. 4 Monate später Rezidiv, 15°/ 0 Hämoglobin, 950006
rote Blutkörperchen, 5600 weiße. Viel Megaloblasten. Unter zunehmenden
Ödemen, enormer Blässe der Haut und nach Eintreten entzündlicher Prozesse im
Munde (Zunge und Zahnfleisch) erfolgt nach etwa 5 Monaten der tötliche Aus¬
gang. Von nervösen Erscheinungen war nur eine Überempfindlichkeit gegen
Wärmereize und eine Hyperalgesie im Bereiche der ganzen Körperoberfläche, so¬
wie eine mäßige Steigerung der Sehnenreflexe in den unteren Extremitäten vor¬
handen. Bei der Autopsie zeigt die Leber eine ausgesprochene Siderose, die Milz
war geschwollen, vergrößert, das Knochenmark von roter Farbe und weicher, fast
flüssiger Konsistenz. Im Bereiche der Cervikalanschwellung des Rückenmarkee
sind bei der mikroskopischen Untersuchung in 4 Segmenten herdförmige Degene¬
rationen von spindelförmiger Gestalt und mittlerer Größe in den Keilsträngen
nachweisbar. Der zweite Fall betrifft einen 40jährigen verheirateten Gärtner,
welcher vom 6. Juli 1904 bis 10. Februar 1905 klinisch beobachtet wurde. In
seiner Familie auffallend viel Magenkrankheiten. Patient war stets gesund bis
vor 13 Jahren, wo er als Soldat ein Geschwür aquirierte, danach Bubonen. Keine
weiteren spezifischen Erscheinungen. Seit 10 Jahren verheiratet, hatte er drei
Kinder, von denen eins an Lungenentzündung, eins an Hirntumor (cystisches Gliom)
gestorben ist, ein drittes lebt und ist gesund. Abortus sind nicht vorgekommen.
Patient ist seit 10 Jahren magenleidend. Druck in der Magengegend, Appetit¬
losigkeit, Obstipation. Seit 2 Jahren ab und zu Kribbeln in den Beinen, be¬
sonders in letzter Zeit, anhaltend. Gleichzeitig auch Kribbeln in den Armen.
Großer Wechsel dieser Beschwerden, bald besser, bald schlimmer; erhebliche
Besserung unter anderem durch eine subkutane Arsenikbehandlung. Erst im Laufe
des letzten Halbjahres wieder Verschlimmerung. Feste Speisen werden meist er¬
brochen, so daß Patient fast ausschließlich mit flüssigen Speisen ernährt werden
muß. Abmagerung, Parästhesien stärker und anhaltend. Status: Pat. ist ein
auffallend blaß aussehender, stark abgemagerter Mann, das Herz ist anscheinend
von normaler Größe, kein systolisches Geräusch an der Herzspitze. Druckempfind¬
lichkeit in der Magengegend ohne abnormen Befund. Leber und Milz nicht ge¬
schwollen, Nervensystem anscheinend normal. Im Urin Eiweiß ohne mikro¬
skopischen Befund. Blut 47°/ n Hämaglobin, 2,1 Millionen rote, 6100 weiße
Blutkörperchen, Poikilocytose, Normo- und Megaloblasten. Nach vorübergehender
Besserung starke Diarrhöen, wieder Verschlimmerung mit subfebrilen bzw. leicht
febrilen Temperaturen. Leber- und Milzschwellung, taktile Hyperästhesien am
linken Fuß, Öhnmachtsanfalle, Spannung an den Unterschenkeln, Schwäche in den
Armen und Beinen, Steigerung der Sehnenreflexe (Fußklonus), Thrombose der
linken Vena femoralis, Harnverhaltung. Ende Dezember 1904 heftige Schmerzen
in beiden Beinen, verbunden mit Zuckungen, anhaltende Parese, incontinentia
urinae et alvi mit starken Krampferscheinungen in den Waden, komatöser Zu¬
stand, tödlicher Ausgang.
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Bei der Autopsie zeigt sich das Herz verfettet, die
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Leber groß, von Lymphomen durchsetzt, erhebliche Siderose, Siderose der Milz,
in Leber und Milz aus lymphocytenähnlichen, großen Zellen bestehendes (Myeloid)
Gewebe, desgleichen in den Lymphdrüsen und in der Muskulatur des Kückens
und der Extremitäten. Das Knochenmark ist durchgehends rot und besteht aus
den eben genannten großen lymphocytenähnlichen Zellen mit spärlicher Granula*
bildung, zahlreichen Normo- und Meglaoblasten. Im Kückenmark, welches makro¬
skopisch nach Härtung in Müllerscher Flüssigkeit eine Systemerkrankung der
Pyramidenbahnen vortäuscht, finden sich herdförmige, regellos über den Querschnitt
verstreute Degenerationen, welche in den verschiedenen Höhen eine außerordentlich
wechselnde Häufigkeit und Größe zeigen, und zweifellos eine Abhängigkeit von
den Blutgefäßen erkennen lassen. Die anscheinende Systemerkrankung erweist
sich bei der mikroskopischen Untersuchung als hervorgerufen durch Konfluieren
von regellos verstreuten herdförmigen Prozessen, ganz in dem Sinne, wie es außer
anderen von Nonne betont worden ist. Blutungen sind in keiner Höhe des
Rückenmarkes nachweisbar; Oblongata und Gehirn scheineu nicht verändert. Der
dritten Gruppe gehört der folgende Fall an: 44jähriger Weber, vom 6. Juni bis
7. November 1903 klinisch beobachtet. Tuberkulose in der Familie. Patient
leidet seit 12 Jahren an Durchfällen, welche zuletzt Blutbeimengungen zeigen.
Seit 3 Monaten Schmerzen in beiden Füßen, in der großen Zehe, beginnend und
bis zum Knie hinaufgehend, sowohl in Ruhe wie in Bewegung. Erhebliche
Schwäche, Patient kann kaum noch 10 Minuten gehen, häufige Zuckungen in den
Beinen, besonders in der Oberschenkelmuskulatur mit nachfolgender Beugung im
Hüftgelenk. 4 Monate vor der Aufnahme mehrere Wochen Harntriiufeln; 5 Tage
vorher Ohnmachtsanfall mit Erbrechen. Status: Untersetzter Mann mit blaßgelb
gefärbten Schleimhäuten und Hautdecken und dürftig entwickelter Muskulatur;
besonders auffallend ist der Schwund der Wadenmuskulatur. An den Unter¬
schenkeln zahlreiche Suggillationen und Hautabschürfungen. Leichtes Lungen¬
emphysem, Herz etwaB vergrößert, Herztöne rein, Leber palpabel, vergrößert,
Milz nicht fühlbar, Leib aufgetrieben, nicht schmerzhaft. Gehirnnerven frei.
Spastische Parese der Beine, Gang typisch spastisch, Muskelspannungen, ab und
zu Zuckungen in den Beinen (während der Untersuchung), Sehnenrefiexe lebhaft,
kein Babinski, Sensibilität intakt. 4 Tage nach der Aufnahme Ohnmachtsanfall,
Patient ist dabei ganz steif, sehr blaß, Pupillen weit, links weiter als rechts. Die
Reaktion ist träge. Sehnenrefiexe sind gesteigert, Fußklonus und Patellarklonus;
die Spasmen sind stärker, so daß die Beine kaum gebeugt werden können. Bis
zu den Knien Hyperästhesie gegen Druck und Stich, Babinski beiderseits aus¬
gesprochen. Blut 40 °/ () Hämoglobin, 2,3 Millionen rote Blutkörperchen, Poikilo-
cytose, Megaloblasten. Lymphocytose bei normaler Zahl der weißen Blutzellen.
Weiterhin Schwellung der Leber, die Milz palpabel, Ödem des Gesichtes, schwere
Netzhautblutungen mit Zerstörung der linken Makula. Allmählich Besserung bis
zur vollständigen Heilung. Am längsten war von den nervösen Erscheinungen
der Babinskische Fußsohlenreflex nachweisbar. Die Netzhautblutungen werden
vollkommen resorbiert, die Sehschärfe des linken Auges bleibt stark herabgesetzt
wegen der makularen Lokalisation der Blutung. Blutbefund 80°/ 0 Hämoglobin,
6,3 Millionen rote Blutkörperchen bei normalem Blutbild, lö 1 /« kg Gewichts¬
zunahme. Die Heilung ist bis jetzt (Anfang 1907) bestehen geblieben. Man irrt
wohl nicht, wenn man diesen Fall der progressiven perniciösen Anämie zurechnet,
trotzdem eine vollkommene Heilung der Bluterkrankung und der durch dieselbe
bedingten schweren nervösen Störungen eingetreten ist. (Ausführliche Publikation
der Fälle erfolgt an anderem Ort.)
5. Herr W. Erb (Heidelberg): Über Diagnose und Frühdiagnose der
syphilogenen Erkrankungen des Centralnervensystems. Nach. einleitenden
Bemerkungen über das noch immer steigende Interesse, welches die Beziehungen
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der Tabes bzw. der Paralyse und anderer syphilogener Nervenleiden erwecken,
▼ersucht Vortr. an der Hand zahlreicher Beobachtungen einzelne noch schwebende
Fragen auf diesem Gebiet zu erörtern. Bei der großen Wichtigkeit der frühen
Diagnose der Tabes ist besondere Aufmerksamkeit auf die beginnenden,
leichten inkompletten Formen dieses Leidens zu richten, und aus den ersten An*
fangen die allmähliche Entwicklung desselben zu verfolgen. Kein Symptom ist in
dieser Beziehung wichtiger als die reflektorische Pupillenstarre mit Hiose oder
Mydriasis, Akkommadationsparese usw. Die Franzosen behaupten, daß die reflek¬
torische Pupillenstarre stets ein Zeichen vorhandener Lues sei; Moebius, daß sie
ein Zeichen bereits beginnender Tabes wäre; beide Ansichten haben wohl in der
Hauptsache recht. Vortr. skizzierte kurz fünf typische Fälle mit spinaler
Miosis, bei welcher er das frühere oder spätere Auftreten anderer tahischer
Symptome im Laufe der Jahre verfolgen konnte; bei allen war die Syphilis mit
Sicherheit nachgewiesen, leider die Lumbalpunktion nicht möglich gewesen; sie
würden für beide Ansichten zu verwerten sein. In einer zweiten Gruppe (5 Fälle)
besteht die Lichtstarre schon längere Zeit ohne alle andere Symptome der
Tabes, es bleibt abzuwarten, ob und wann sie kommt; bei gewissen ist die Lumbal¬
punktion mit negativem Ergebnis gemacht worden. Hinweis darauf, daß in allen
solchen „initialen Fällen“ die sorgfältigste Untersuchung auf alle objektiven Sym¬
ptome der Tabes angeBtellt werden muß, unter welchen Vortr. besonders auf die
relativ wichtige und häufige Kältehyperästhesie am Rumpf, das Fehlen ein¬
zelner Sehnenreflexe, die verschiedene Intensität symmetrischer Sehnenreflexe u. a.
hinweist. Als ein besonderes wichtiges Hilfsmittel hat sich die Lumbalpunktion
für die Frühdiagnose der Tabes (und der Paralyse) erwiesen; sie ergibt fast
konstant eine ausgesprochene Pleocytose (Oskar Fischer), speziell Lympho-
cytose. Vortr. will dies hier nicht eingehender erörtern; ihr Wert ist groß,
steht aber noch nicht in allen Details fest, muß noch eingehender und viel¬
seitiger untersucht werden, besonders das zeitliche Auftreten der Pleocytose im
Laufe der Syphilis und der Tabes, ihre Beziehungen einzelner Symptome, ge¬
wisse anatomische Veränderungen usw. Vortr. belegt mit einigen kasuistischen
Beispielen den Wert der Lumbalpunktion, besonders mit drei Fällen, in welchen
dieselbe das demnächstige Auftreten der Tabes vorhersagte, dann aber auch mit
3 Fällen, in welchen bei vorhandener spinaler Miosis das Ergebnis negativ war
und Unsicherheit hinterließ. Er weist eingehender darauf hin, daß die drei Tat¬
sachen: die Pupillenstarre, die Tabes und die Pleocytose, die wohl zweifellos mit
der Syphilis Zusammenhängen, in ihrem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang
und ihrer anatomischen Begründung noch genauer studiert werden müssen; der
von Oskar Fischer gelieferte Nachweis, daß die Pleocytose hauptsächlich auf
einer lumbalen oder lumbosakralen meningealen Zellinfiltration beruht, ist wichtig;
sie scheint die Vorbedingung und der Vorläufer der Tabes zu sein. Die drei ge¬
nannten Tatsachen können alle gleichzeitig vorhanden sein, sie können aber
auch getrennt und zu verschiedenen Zeiten erscheinen; die Pupillenstarre
kann für sich allein ohne Pleocytose und ohne Tabes bestehen; oder sie kann
bereits mit Pleocytose verbunden sein, aber noch ohne sonst nachweisbare Tabes;
und Tabes mit Pleocytose kann bestehen, ehe die Pupillenstarre eintritt. Alles
dies wohl abhängig zu denken von den launenhaften und wechselvollen Lokali¬
sationen der SyphiliB, und nur durch wiederholte und häufige Lumbalpunktionen,
denen sich aber doch erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellen, ist hier eine
tiefere Einsicht zu gewinnen. Vortr. erwähnt noch 2 Fälle, in welchen die Lumbal¬
punktion mit positiver Pleocytose zunächst die Diagnose irrefuhrte und für Syphilis
verwertet wurde, während sich schließlich ein Hirntumor und ein Neoplasma an
den obersten Halswirbeln herausstellte. Der Wert der Lumbalpunktion für die
Aufklärung der Fälle, in welchen Syphilis anamnestisch und objektiv nicht nach-
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weisbar ist, wird gebührend betont und dann die Frage erörtert, ob sie auch für
andere syphilogene Affektionen des centralen Nervensystems als Tabes und Para¬
lyse von so großer Bedeutung und so konstant ist. Diese Afiektionen (syphilitische
Spinalparalyse, Meningitis cerebrospin. luetica, die cerebrospinale Lues, die End»
arteriitis luet. u. a.) werden ja gewöhnlich nur aus der Anamnese, dem eigentüm¬
lichen Symptombild und ex juvantibus diagnostiziert. Kann auch hier die Lumbal¬
punktion die Diagnose sichern? Das ist noch nioht hinreichend feBtgestellt. Es
werden 2 Fülle angeführt, bei welchen die klinische Diagnose vollkommen
sicher erschien und doch die Lumbalpunktion keine Pleocytose ergab. Nach
einigen erläuternden Bemerkungen wird auch hier auf den notwendig weiteren
Ausbau der Lumbalpunktion in dieser Richtung hingewiesen. Zum Schluß weist
Vortr. noch auf die höchst bedeutungsvolle und vielversprechende Ergänzung
unserer diagnostischen Hilfsmittel hin, welche sich neuerdings in der serodiag¬
nostischen Untersuchung in bezug auf die Syphilis gefunden hat. Es hat
sich eine spezifische serodiagnostische Reaktion auf die Syphilis, ihre
Antigene und deren Reaktionsprodukte, die Antikörper, herausgestellt. Der
Nachweis dieser Antikörper ist auch in der Lumbalflüssigkeit möglich und bedeutet,
nach Ansicht der maßgebenden Forscher (Wassermann, Neisser, Plaut,
Schmoht, Bruck, Schnitze, Morgenroth usw.) mit Sicherheit, daß das
betreffende Individuum zu irgend einer Zeit von Syphilis durch¬
seucht war oder es noch ist. Das Gelingen dieses Nachweises bei Paralyse und
Tabes spricht sehr dafür, daß die Krankheiten direkt von der Syphilis abhängen!
Vortr. führt die bisher erzielten sehr bedeutsamen Ergebnisse dieser Unter¬
suchungen bei Paralyse, Tabes und anderen syphilogenen cerebrospinalen Affek¬
tionen aus und betont, daß diese Ergebnisse besonders wichtig sind, weil sie die
oft unüberwindlichen Schwierigkeiten des Nachweises einer früheren syphilitischen
Durchseuchung beseitigen. Und es ist zu hoffen, daß sie auch die lang umstrittene
Frage des Zusammenhanges der Tabes und Paralyse mit der voraus¬
gegangenen Syphilis einer endgültigen Entscheidung im bejahenden
Sinne entgegenführen; und das wäre ein nicht geringer Trumpf dür die An¬
hänger der Fournier-Erbschen Lehre. Autoreferat.
6. Herr Nonne (Hamburg) legt mikroskopische Präparate von 2 Fällen vor,
in denen es sich um das klinische Bild der spaetlsohen Spinalparalyse bei
luetisch Infiziert gewesenen Personen gehandelt hat. Im ersten Fall handelte
es sich um einen 41jährigen Bahnbeamten, welcher mit 26 Jahren syphilitisch
infiziert war und bei dem sich 6 Jahr nach der Infektion die ersten Zeichen des
Rückenmarksleidens zeigten. Pat. war fünfmal auf der Abteilung von Nonne im
Eppendorfer Krankenhause und starb schließlich an einer Apoplexia cerebri. Eis
fand sich anatomisch eine primäreDegeneration inPyramidenseitensträngen
des Rückenmarks, vom mittleren Dorsalteil aufwärts bis ins HalBmark hinein, an¬
schließend eine schmale Randdegeneration bis an die Medianfissur, außerdem eine
Leptomeningitis posterior im -Cervikal- und Dorsalmark sowie eine
Endarteritis proliferans in den hinteren Wurzeln des Cervikal- und
Lumbalteils. — Im zweiten Falle handelte es sich um ein 40jähriges weib¬
liches Individuum, welches 14 Jahre vor ihrem Tode extragenital (Lippenschanker)
infiziert war. Erstes Auftreten des Rückenmarksleidens 4 Jahre nach der Infektion,
vorübergehende Besserung nach einer Quecksilber- und Jodkur, dann Zunahme
der spastischen Erscheinungen. Tod im Krankenhause an Decubitus und sekundärer
Sepsis. Rückenmarksbefund: Primäre Sklerose in den Pyramidenseiten¬
strängen mit äußerst geringer Randdegeneration im Cervikalmark, geringeLepto-
meningitis posterior im Cervikal- und Dorsnlteil. — Im ersten Falle
reichte die Pyramidendegeneration bis in die Medulla oblongata hinein und
verlor sich weiter aufwärts; im zweiten Falle hörte die Degeneration gleich ober-
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halb der Pyramidenkreuzung auf. Das Gehirn zeigte im ersten Falle eine Arterio-
sklerose der Arterien, war im übrigen normal. Im zweiten Falle zeigte sich am
Hirn überhaupt keine Anomalie. Im ersten Falle Orchitis fibrosa duplex, glatte
Atrophie des Zungengrundes. Im zweiten Falle keine Residuen von Syphilis an
den inneren Organen.
II. Sitzung, Nachmittag 2 Uhr. Vors.: Herr Romberg (Tübingen). Es
erstattet das Referat: 7. Herr Hoche (Freibürg) über: Die klinischen Folgen
der Unfallgesetzgebungen. Vortr. führt zunächst aus, wie sich im Laufe der
Vorbereitung des Referates das Thema verschoben hat; die „klinischen Folgen“
erwiesen sich als viel weniger der Diskussion bedürftig, als die Mittel, ihnen
abzuhelfen; das hauptsächlichste Material erwuchs auch nicht aus einer ver¬
gleichenden Betrachtung verschiedenartiger Gesetzgebungen, sondern aus Tat¬
sachen der Deutschen Unfallversicherung nnd aus Daten, die dem Gebiete der
in- und ausländischen Haftpflicht und der Privatunfallversicherung entstammten.
So stellte sich die Frage ganz allgemein: welche klinische Folgen hat bei Un¬
fällen die Tatsache des Versichertseins und was kann geschehen, um diese in
Wirklichkeit vorhandenen Folgen einzudämmen, ohne die Segnungen der Ver¬
sicherung preiszugeben? Die wichtigste Unfallsfolge ist in diesem Zusammen¬
hänge die Erzeugung traumatisch nervöser, funktioneller Zustände, deren Um¬
grenzung nicht mehr besonders vorgenommen zu werden braucht, da in dieser
Hinsicht kaum Differenzen der Meinungen bestehen; in der Geschichte der Medi¬
zin wird das, was wir vor unsern Augen in großem Maßstabe sich abspielen
sehen, die Erzeugung einer psychisch-nervösen Epidemie durch ein staatliches
Gesetz, ein sehr merkwürdiges Kapitel bleiben; auch rein zahlenmäßig handelt
es sich um keinen gleichgültigen Vorgang, wenn man bedenkt, daß zurzeit in
Deutschland ca. 20 Millionen Menschen der staatlichen Unfallversicherung angehören.
Die absolute und relative Zunahme der Zahl der Fälle von traumatischer Neu¬
rose wird nicht bestritten; ebensowenig der darin gleichzeitig gegebene Faktor
der moralischen Degeneration zahlreicher Arbeitskräfte. Der Vortr. stellt die
Beweise für die Abhängigkeit dieser Fälle von der Tatsache des Versichertseins
zusammen und erörtert die psychologischen Zusammenhänge. Die „Begehrungs¬
vorstellungen“ allein geben keine Erklärung, wenn sie auch als Motiv eine starke
Wirkung entfalten; es kommen dazu die Zwischenglieder der Suggestion, der
konzentrierten gefühlsbetonten Aufmerksamkeit, der Kränkung empfindlichen
Rechtsgefühls, vor allem aber der Wegfall des sonst Nervöse erziehlich beein¬
flussenden Faktors der Not, des Zwanges, alles dieses auf dem Untergründe be¬
stimmter sozialer Strömungen, die Rechte fordern, ohne Pflichten im gleichen
Maße anzuerkennen. Versuche, dem Notstände des Überwucherns der traumatischen
Neurosen entgegenzuwirken, liegen schon vor; zum Teil finden sie ihre Grenzen
oder ihre Unmöglichkeit in den nun einmal bestehenden gesetzlichen Bestimmungen;
einzelne andere, vom Reichsversicherungsamt unternommene Schritte, auf dem
Wege der Auslegung Remedur zu schaffen, sind unhaltbar, weil sie von ärztlich
falschen Voraussetzungen ausgehen. Da das Gesetz natürlich bleiben muß, handelt
es sich um einzelne Änderungen des jetzigen Modus, die man in „kleine“ und
„große“ Mittel ein teilen kann. Zu jenen würde gehören: Abkürzung des Ver¬
fahrens, Reduktion der Untersuchungen und Verhöre, Übernahme der Behandlung
Unfallverletzter vom ersten Tage an, eventuell durch besonders geschulte Ärzte,
Vermeiden bureaukratischer Chikanen, Beseitigung der Kostenlosigkeit der Be¬
rufungen (für den Fall der Ablehnung), Gewährung längerer Schonzeiten (während
deren Renten nicht angefochten werden können) u. a. m. Als „große“ Mittel
wären zu bezeichnen: einmal die Regelung der Erziehung zur Arbeit, durch Ein¬
richtung von Arbeitsnachweisen eventuell auch Einstellung von Teilinvaliden zum
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▼ollen Lohn, und, was die einschneidendste Änderung wäre, zweitens eine be¬
deutende Ausdehnung der Möglichkeit der Kapitalabfindung; die vom Vortr. ge¬
sammelten Tatsachen über die Wirkung der Kapitalabfindung lassen gar keinen
Zweifel darüber, daß wir in ihr das wirksamste Mittel zur Heilung eines großen
Teils der traumatischen Neurosen und zur Besserung eines weiteren Teiles
derselben bekämen. Die praktisch und theoretisch vorzubringenden Bedenken
wären bei gutem Willen zu beseitigen, wenn das Prinzip anerkannt würde. Es
ist an der Zeit, die ärztlichen Erfahrungen mit Energie, auch in der Öffentlich¬
keit, zu vertreten; hat man s. Z. das Gesetz ohne ärztliche Mitwirkung gemacht,
so wird die Reform desselben, die notwendig ist, sich erfolgreich nur auf die
Beihilfe der Ärzte stützen können.
8. Herr Windscheid (Leipzig): Die klinischen Eigentümlichkeiten der
Unflallnenrosen mit besonderer Berücksichtigung der in der Unfallnerven-
kllnik „Hermann-Haus" in Stötteritz bei Leipzig gesammelten Erfahrungen
über Beobachtung und Behandlung der Unfallhysteriker. Vortr. versteht
unter Unfallneurose, der erst in moderner Zeit durch das Gesetz hervorgerufenen
Krankheit, Neurosen, die nach Unfällen entstanden, sich in die drei Gruppen der
Hysterie, der Neurasthenie und der Hypochondrie teilen, abgesehen von den
Mischformen. Die Erscheinungen dieser drei Krankheitsgruppen sind bei den
durch Unfall erzeugten dieselben wie bei den auf andere Art entstandenen Formen,
gemeinsam ist ihnen allen nur das eine, daß ihre Existenz mit dem Unfälle fallt
und steht. Vortr. glaubt daher, daß man mit Recht als die Grundlage der
Unfallneurosen eine besondere Reaktion des GehirnB auf den Unfall annehmen
dürfe, die er die spezifische Unfallreaktion nennt und die sich in einer absoluten
Konzentration der Vorstellungen und Empfindungen auf den Unfall und seine
Folgen körperlicher und geistiger Art zeigt, der Unfallkranke sieht alles durch
die Brille des Unfalls, er bezieht alle Störungen, die nach dem Unfälle aufgetreten
sind, auf diesen, so auch Krankheiten, die bereits vor dem Unfall vorhanden
gewesen sind. Das Gehirn des Unfallkranken reagiert also auf den Unfall ein¬
seitig und in qualitativ und quantitativ erhöhter Weise. Aus der spezifischen
Unfallreaktion erklärt es sich, daß nicht nach jedem Unfall eine Neurose ein-
zutreten braucht, und daß es auf die Intensität des Unfalls gar nicht ankommt.
Eine besondere Disposition für die Unfallreaktion läßt sich nicht nacbweisen, die
Belastung spielt nach Vortr. Erfahrungen kaum eine Rolle, auch der Alkoholis¬
mus ist nicht so wichtig, wie es bisher gemeint worden ist. Vortr. weist nur
auf die häufiger bei Unfallnervenkranken als bei andern Nervenkranken sich
finden den körperlichen Degenerationszeichen hin. Die Unfallreaktion ist also eine
noch nicht näher bekannte psychogene Veränderung. Sie wirkt nur auf dem
Umwege der Rente, denn die Rente oder die Entschädigung ist der Gedanke,
der den Patienten beherrscht, in den Fällen, wo es keine Rente gibt, fehlt die
Unfallneurose, darum gab es auch vor Erlaß des Unfallversicherungsgesetzes keine
derartige Krankheit! Vortr. betrachtet diese krankhaften Vorstellungen, die er
mit Strümpell Begehrungsvorstellungen nennt, als ein direktes Krankheits-
Symptom der Unfallneurose, gleichberechtigt mit andern, er wünscht nur, daß mit
dem Worte „Begehrung" nicht der Begriff des Unrechtmäßigen verbunden wird.
Simulation hält er für sehr selten. Die spezifische Unfallreaktion erklärt auch
die Eigentümlichkeit der sogen, lokalen Hysterie, die an dem Orte des Unfalls
nach Abheilung des lokalen Traumas sich in bleibenden subjektiven Empfindungen
zeigt. Vortr. geht auf die Frage der Berechtigung besonderer Unfallkranken¬
häuser ein, betont, daß man gerade Unfallnervenkranke sehr gut in nioht zu
großen Unfallnervenkliniken zur Beobachtung unterbringen kann und erblickt ein
großes Hilfsmittel zur Vermeidung der Gefahr der gegenseitigen Beeinflussung in
dem Arbeitsprinzip, das im Hermann-Hause eingeführt ist, sowie in einer nioht
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za langen Beobachtungsdauer, ferner in einer richtigen psychischen Behandlung
der Kranken seitens des Arztes — keine Debatten über die Berechtigung der
subjektiven Klagen. Eis besteht in der Klinik völlige Alkoholentziehung, die
Vortr. gleichfalls flir sehr wichtig hält zur Beurteilung der Unfallfolgen. Die
Ergebnisse dieser Beobachtungen sind gute, der Kreis der zuweisenden Berufs¬
genossenschaften und Schiedsgerichte steigt. — Weniger günstig ist das Ergebnis
der Behandlung, weil die Unfallnervenkranken nur ungern eine Besserung zugeben
und oft sie ganz leugnen, weil infolge der Unfallreaktion ihr ganzer Gedanken¬
kreis auf die Rente gelenkt ist und sie meistens diese höher stellen als die
Wiedererlangung der Gesundheit. Die Behandlung derartiger Kranken erfordert
daher von seiten des Arztes eine große Entsagung in bezug auf Heilerfolge;
immerhin erscheint aber Vortr. es einer Lebensaufgabe wert, sich in das hoch¬
interessante Gebiet der Unfalloeurose zu vertiefen.
Zur Diskussion äußert sich:
Herr Ho ff mann (Düsseldorf), der an Stelle der Rentenhysterie eine Ab¬
findungshysterie fürchtet, wenn statt Renten einmalige Abfindungen eingeführt
würden. Es entstehe daun eben statt des Kampfes um die Höhe der Rente ein
solcher um die Höhe der Abfindung.
Herr Egger (Basel): Es hat den Anschein, als ob man in Deutschland von
ärztlicher Seite der Rentenabfertigung überdrüssig geworden sei. In der Schweiz
dagegen sieht der Entwurf zu einem neuen Unfallversicherungsgesetz Abschaffung
der Kapitalabfindung und Einführung der Renteneutschädigung vor. Ich habe
in praxi beide Systeme kennen gelernt. Ihr Herr Referent war der Meinung,
daß ich Ihnen heute meine Erfahrungen über das schweizerische System der
Kapitalabfindung mitteilen sollte. Leider kam mir diese Aufforderung zu spät,
als daß ich noch mein ganzes Material hätte sichten können. Die Arbeit ist in
Angriff genommen worden und Sie sollen in möglichst kurzer Zeit von dem Er¬
gebnis in Kenntnis gesetzt werden. Einige Erfahrungen, die sich nicht auf Zahlen,
sondern mehr auf allgemeine Eindrücke stützen — ich möchte sie deshalb immer
noch mit einiger Reserve wiedergehen —, fasse ich in folgende Sätze: 1. Ich
kenne eine große Zahl von Neurasthenikern, welche dieselben subjektiven Be¬
schwerden haben, wie die Mehrzahl der Unfallneurastheniker, und welche das
ganze Jahr hindurch ihre Arbeit versehen. 2. Ebenso kenne ich eine Anzahl
von Neurasthenikern, welche ihre Beschwerden auf einen Unfall zurückführen, der
aber außerhalb des Bereiches unserer Haftpflichtgesetzgebung liegt. Auch diese
arbeiten hei vollem Lohn das ganze Jahr hindurch, sie sind, wie die erste Kate¬
gorie, gezwungen, von Zeit zu Zeit ärztlichen Rat in Anspruch zu nehmen. 3. Von
den Unfallneurasthenikern hat selten einer die Arbeit voll wieder aufgenommen,
ehe sein Fall definitiv erledigt war. 4. Unfallkranke, bei denen die definitive
Erledigung der Angelegenheit nach dem ärztlichen Gutachten auf 1 bis 2 Jahre
zurückgestellt wurde, weil innerhalb dieser Frist eine Besserung des Leidens
vorauszasehen war, haben nie eine Besserung zugegeben; im Gegenteil, sie ver¬
sicherten durchwegs, daß sich ihre Beschwerden verschlimmert hätten. 5. Bei
einer Anzahl von Kranken, welche hei uns Renten erhielten (unser Haftpflicht¬
gesetz sieht diese Art der Entschädigung bei Eisenhahnunfällen vor), habe ich
nie Besserung eintreten gesehen. 6. Bei einigen Unfallkranken, die eine große
Entschädigungssumme erhalten hatten, sah ich nachher prompte Heilung. 7. Un¬
fallkranke, denen das Gericht eine kleine oder gar keine Entschädigung zugesprochen
hatte, heilten nicht, bis sie alle Gerichtsinstanzen durchlaufen hatten. Wurde
die erste Entscheidung von den oberen Instanzen bestätigt, so nahmen sie die
Arbeit wieder auf und heilten. — Diese und ähnliche Erfahrungen bekräftigen
mich in meiner schon vor 11 Jahren ausgesprochenen Meinung, daß das Unfall¬
versicherungsgesetz einen erheblichen Einfluß auf den Ablauf der traumatischen
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Neurosen habe, und daß gewissermaßen eine Korrektur dieser Schädigung zu er¬
reichen sei durch rasche Erledigung der EntschädigungBfrage und Zubilligung
einer kleinen definitiven Entschädigungssumme. Was den klinischen Verlauf be¬
trifft, so fand ich keinen wesentlichen Unterschied bei den deutschen und schweize¬
rischen Unfallkranken. Ich erhielt den Eindruck, daß bei letzteren das Queru-
lantentum weniger hervortrat — wahrscheinlich als Folge der rasohen und end¬
gültigen Erledigung der Fälle.
Herr Nonne (Hamburg) berichtet über 5 Fälle von schweren Kopfverletzungen
ohne Unfall, die er seit einem Jahre gesammelt hat, und die trotz der schweren
Verletzungen keine Unfallneurose, sondern Heilung zur Folge hatten. Bei zweien
handelte es sich um Hämatom der Duta, drei gingen mit doppelseitiger Stauungs¬
papille einher. Die beiden ersteren wurden trepaniert, der eine, der 20 Mark
pro Tag verdiente, arbeitete nach 4 Wochen, der andere nach 3 Wochen wieder.
Die drei anderen erreichten gleichfalls wieder ihre Arbeitsfähigkeit, anscheinend
weil sie nicht bei einer Unfallversicherung waren. Elin weiterer Fall, ein Lehrer,
der sich bei Schießversuchen eine schwere Schußverletzung des Hirns beibrachte
und noch */, Jahr arbeitsfähig war, bekam später nach einem leiohten Schrot-
schuß durch einen Jäger eine typische Unfallneurasthenie. N. hat auch Renten¬
sucht bei ganz Gesunden gesehen. Ein Matrose hatte nach einem Unfall von
seiner Rhederei eine Abfindung von 12000 Mark bekommen, später bekam er
infolge eines neuen Unfalles noch 40°/ 0 Rente. Als er nach l 1 / 2 Jahren noch
Beschwerden hatte, brachte N. heraus, daß der Maon viele Morgen Land, die er
sich für die Abfindungssumme gekauft hatte, selbst bebaute, also schwere Arbeit
leistete. Nach Bericht einiger weiterer Fälle offensichtlicher Simulation, sprach
sich Vortr. zur Therapie dahin aus, daß auch er der Ansicht sei, daß das Appellations¬
verfahren nicht kostenlos sein dürfe, für eine höbe Anfangsrente sei er nicht. Trotz
alles Pessimismus sei er doch der Ansicht, daß es Fälle gebe, in denen es Besserung
gebe, wenn diese auch selten seien.
Herr Bäumler (Freiburg) berichtet über einen Fall von Knochendepression
und Duraverwachsungen, der auf einen späteren Unfall geschoben wurde, aber
offenbar von einem im Kindesalter erlittenen herrührte. Die Kranken seien ge¬
neigt, alles, was sich je an Symptomen an ihnen zeige, auf den Unfall zurück¬
zuführen. Bei ihm selbst sei nach einem vor Jahren erlittenen schweren Unfall
erst später eine Knoehendepression an der Stelle der Verletzung eingetreten. Die
Verletzung habe nur eine kurze Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt.
Herr Cramer (Göttingen) ist ein Freund einmaliger, aber definitiver Ab¬
findung. Er habe wiederholt die Erfahrung gemacht, daß vernünftige Kranke
auf den Rat, die Rente fahren zu lassen und lieber gesund zu werden, wirklich
ihre volle Arbeitsfähigkeit wieder erlangten. Als Therapie habe sich auf der
„Rosenmühle“ die Beschäftigung sehr bewährt, nachdem jeweils die ersten Schwierig¬
keiten überwunden waren. Die Traumatiker halte er für schwer erziehbar zur
Arbeit. Heilungen habe er nur wenig gesehen.
Herr Gaupp (Tübingen) hebt im Gegensatz zum Referenten hervor, daß er
der Disposition eine große Rolle zuschiebe; er halte sie für wesentlich. Das
wäre dadurch wahrscheinlich, weil gleichschwere Wirkung sowohl durch leichte
wie große Unfälle hervorgerufen werde. Er sei der Ansicht, man solle jetzt
schon an die Behörden mit Vorschlägen herangehen.
Herr Beyer (Rotherbisken) berichtet kurz über Erfahrungen in der Volks¬
heilstätte für Nervenkranke.
Herr Moriz (Straßburg) meint, man solle die Erfahrungen über Simulation
nicht verallgemeinern. Vorhandene Körperkräfte seien kein Kriterium für vor¬
handene oder vorgetäuschte Erkrankung. Es gebe Hysteriker, die über ansehn¬
liche Körperkräfte verfügen und doch arbeitsunfähig seien. Für Verallgemeinerung
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der Abfindung sei er nicht. Ein größeres Kapital sei eine große Verlockung zur
Übertreibung.
Herr His (Göttingen) ist für die einmalige Abfindung. Er schlägt vor, be¬
stimmte Thesen aufzustellen.
Herr Weygandt (Würzburg): In der Frage der Simulation von Unfall¬
kranken stehe ich mehr auf dem Standpunkte von Nonne. Wir dürfen freilich
bei Simulation nicht an Fälle denken, wie sie den Juristen vorschweben, die eine
Simulation in bezug auf § 51 StrGB. annehmen und sich vorstellen, daß viele
Untersuchungsgefangene den wilden Mann spielen möchten. Unfallsimulanten
haben doch eben einmal einen Unfall, ein gesundheitserschütterndes Moment ge¬
habt. Unsere große Zurückhaltung in der Annahme von Simulation oder bewußter
Übertreibung ist freilich begründet genug, weil wir oft genug auch bei ganz un¬
verdächtigen Fällen sehen, wie sich nervöse Störungen beträchtlicher Art unserem
objektiven Nachweise entziehen. Die Sektion oder auch manchmal Erfahrungen
am eigenen Körper können uns hier belehren. Mancher Unfallkranke mit seiner
Klage über konstante Schmerzen in irgend einer Körperregion erinnert mich an
ein Erlebnis vor etwa 12 Jahren, als ich auf einem Ausfluge einen Stoß erhielt
und sofort darauf die heftigsten Beschwerden im Kreuz verspürte, während
die von Geheimrat Erb freundlichst vorgenommene Untersuchung nichts Objektives
feststellen konnte. Aber jetzt noch spüre ich bei gewissen Körperstreckungen den
damaligen charakteristischen intensiven Schmerz angedeutet. Trotzdem kann ich
nach den Erfahrungen an dem Material in Unterfranken durchaus Simulation als
vorkommend und Übertreibung als häufig erklären. Die wichtigste Frage ist nun,
wie der Arzt in vielen Fällen feststellen soll, ob nicht doch zu Hause noch mehr
oder weniger gearbeitet wird, während die Unfallkranken selbst erklären, sie
können nichts oder nur ganz wenig leisten. Ich muß mich offen dahin aus¬
sprechen, daß zu einer Feststellung in allen Fällen die ärztliche Untersuchung
nicht ausreicht. Tatsächlich ist der Wunsch des einzelnen, sich auf Kosten anderer
in irgend einer Weise zu bereichern, gerade durch die Unfallgesetzgebung erheb¬
lich gestiegen. Nicht nur das Verlangen nach Unfallrente wächst zusehends,
sondern auch auf anderen Gebieten sind die Entschädigungsprozesse in raschem
Ansteigen begriffen, so Ansprüche gegen den Tierhalter usw. Aber nioht nur die
Neurologie und Psychiatrie leidet unter dieser Kalamität, auch andere Disziplinen
maohen ähnliche Erfahrungen. Während früher ein Radiusbruch in kurzer Zeit
glatt zu heilen war, klagt jetzt der Unfallkranke noch nach Jahr und Tag über
angebliche Schmerzen oder unangenehme Gefühle an der Stelle seiner Radius¬
verletzung. Erschwert wird die ärztliche Untersuchung durch die Unterstützung
und Verhetzung, die dem' Verletzten häufig in heimischen Verhältnissen zuteil
wird. Die Arzte auf dem Lande sind vielfach geneigt, möglichst günstig über
einen Verletzten auszusagen, da sie eben nicht nur die Gutachter, sondern weit
mehr noch die behandelnden Ärzte sind. Geradezu abenteuerliche medizinische
Behauptungen werden dabei manchmal aufgestellt, so das Auftreten einer Korsa-
kowschen Psychose nach Verletzung durch einen Stoß einer Kuh. Die An¬
gehörigen, aber unter ländlichen Verhältnissen auch die ganze Ortschaft, pflegen die
Neigung des Verletzten, sich gehen zu lassen und sich in die Vorstellung des
Krankseins möglichst hineinzuleben, durchaus zu unterstützen und zu verstärken.
Auf dem Lande sind die Bargeldrenten gesucht und Rentenempfänger erfreuen
sich besonderen Ansehens, so daß es z. B. vorkommt, daß sich ein solcher auf
seine Visitenkarte als Beruf das Wort „Rentenempfänger“ drucken läßt. Inwieweit
solche Elemente noch arbeiten oder nicht, das zu entscheiden vermag die ärzt¬
liche Untersuchung vielfach nicht. Es wäre dringend notwendig, in dieser Hin¬
sicht eigene Kontrolleure anzustellen, die in unverdächtiger Weise Informationen
beschaffen über die Art und Weise, wie ein Rentenempfänger sich hinsichtlich
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seiner Beschäftigung tatsächlich verhält. Einzelne Privatversicherungsgesellschaften
haben schon damit den Anfang gemacht. Ärzte selbst werden sich zu einer
solchen Rolle nicht eignen, aber in Fühlung mit den Gutachtern sollten jene
Kontrolleure treten. Als Gutachter selbst sollten möglichst wenig behandelnde
Ärzte herangezogen werden, sondern eher die Spezialisten außerhalb des Wohn¬
ortes des Verletzten. Leider ist die Gelegenheit, Unfallkranke klinisch zu be¬
obachten, vor allem in einem Milieu, in dem sie nicht weiteren ungünstigen
Suggestionen ausgesetzt sind, und auch nicht noch durch zahlreiche andere Un¬
fallkranke geradezu angeleitet werden in der Auffassung ihrer eigenen Störungen,
noch keineswegs in ausreichendem Maße zu finden. Der Vorschlag der einmaligen
Abfindung hat vieles für sich, aber bedenkliche Momente schließt er doch ein.
Zunächst ist die Möglichkeit, durch Übertreibung den Arzt zu täuschen, dann viel
leichter, wenn es auf eine oder zwei Untersuchungen ankommt, als bei den aller¬
dings umständlicheren Wiederholungen der ärztlichen Untersuchung alle 1—2 Jahre
oder längere Zeiträume hindurch. Fernerhin wird mancher Unfallverletzte, wofür jetzt
schon Erfahrungen vorliegen, nach dem ersten Unfälle und seiner Abfindung als¬
bald trachten, abermals einen Unfall zu erleiden, ja manche Leute eignen sich eine
gewisse Routine an, Unfälle zu provozieren. Etwas anderes ist es, wenn der
einmal durch Abfindung erledigte Fall dann auch aus der Versicherung überhaupt
entlassen würde, wie es von seiten mancher Privatversicherungen ja geschieht.
Ärztlicherseits bleibt uns nichts übrig, als jeden Fall exakt zu untersuchen, die
Möglichkeit der Übertreibung, vor allem bei der Augenuntersuchung und elek¬
trischen Prüfung, zu berücksichtigen, und die Einschätzung der Erwerbsfähigkeits¬
herabsetzung nur mit größter Vorsicht vorzunehmen. Auch wir müssen uns
hüten, zu freigebig umzugehen mit den Mitteln der Gesamtheit, wenn wir in jedem
Falle gerecht sein wollen, selbst auf die Gefahr hin, dem einzelnen gegenüber
hart zu erscheinen.
Herr Feldmann (Stuttgart) betont die sozialen Gesichtspunkte bei der ein¬
maligen Abfindung, die für die Privatversicherungen als Geschäftsunternehmen
weit mehr in Frage kommt. Der Staat wolle kein Geschäft mit seiner Versicherung
machen, sondern die Arbeiter schützen. Der plötzliohe Besitz eines größeren
Kapitals könne einen einfachen Arbeiter leicht ins Unglück bringen. Durch Mangel
an Erfahrung und Fähigkeit werde das Geld meist bald fort sein und dann sei
der betreffende übler dran als vorher.
Herr Grund (Heidelberg): Unter den Momenten, die zur Entstehung der
traumatischen Neurose führen, spielt die zu große Nachgiebigkeit des begutachten¬
den Arztes eine Rolle, die der größten Beachtung wert ist. Das Fehlen der Not
ist von dem Herrn Referenten mit Recht in den Mittelpunkt der Entstehungs¬
ursachen gestellt worden. Wenn derselbe aber richtig sagt, daß der Arzt die
Not nicht verordnen dürfe, so kann andererseits der begutachtende Arzt mit der
Wirkung der Not als mit einem objektiven Faktor rechnen und diesen bei der
Begutachtung einstellen. Der Begutachter ist nicht verpflichtet, zu sagen, wie viel
der Patient im Momente der Beobachtung arbeiten kann, wo er unter dem Ein¬
fluß eines abnormen Mangels an Not steht, sondern er hat zu begutachten, wie
viel Prozent Arbeitsfähigkeit der Patient besitzt, wenn gleichzeitig der bei der
entsprechenden Rente wirkende wirtschaftliche Zwang zur Arbeit seine Psyche
beeinflußt. Unter den Mitteln, welche die traumatische Neurose einzuschränken
imstande sind, darf eine stärkere Befolgung dieses Grundsatzes nicht vergessen
werden.
Herr Hellpach (Karlsruhe): Auch auf dem Lande spiele die Rentenfrage
eine große Rolle. Der Rentenempfänger sei eine angesehene und begehrte Per¬
sönlichkeit. Er halte die ländlichen Arbeiter aus kleiner Landwirtschaft für
gieriger. Eine größere Untersuchung über diese Frage stelle er z. B. bei den
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Textilarbeitern an. Sicher scheine ihm, daß die Entstehung der Rentenhysterie
mit dem den Unfall begleitenden Schreck nichts zu tun habe, was er speziell im
Hinblick auf die Kräpelinsche Schreckneurose betone.
Herr La quer (Frankfurt) ist für eine Resolution nach Vorschlag einer zu
ernennenden Kommission.
Herr Schnitze (Bonn) widerspricht der Aufstellung von Thesen und Reso¬
lutionen. Dazu seien noch zu viel Meinungsverschiedenheiten vorhanden. Von
der Einführung der einmaligen Abfindung fürchte er eine Häufung der Unfälle.
Seiner Ansicht nach spiele die Simulation eine große Rolle.
Herr Erb (Heidelberg) widerspricht mit Rücksicht auf die Statuten und die
ungeklärte Sachlage einer Resolution. Man sei vielleicht Bchon nächstes Jahr
anderer Meinung.
Herr Ho che (Freiburg) erwähnt in seinem Schlußwort, es sei schwer, auf
die Einzelheiten der Diskussion einzugehen. Zur Frage der Abfindung bemerke
er, daß die Summe natürlich nicht so hoch sein dürfe, daß ihre Zinsen der Rente
entsprechen würde. An eine absichtliche Häufung der Unfälle glaube er nicht.
Immerhin sei man ja heute in vielen Punkten einig, z. B. daß das Gesetz die
Ursache der Erkrankung, das Verfahren schlecht sei. Dem Begehren eines Teiles
der Versammlung nach einer Resolution oder Thesen werde er durch einige
Schlußthesen zu seinem gedruckten Referat entgegenkommen.
9. Herr Trendelenburg und Herr Bumke (Freiburg i. B.): Zur Frage
der Baohsohen Pupillenzentren in der Medulla oblongata. Bach und
Meyer waren durch Experimente an Katzen zu dem Ergebnis gekommen, daß
doppelseitige Durchschneidung der Medulla am spinalen Ende der Rautengrube
sofortige Lichtstarre beider Pupillen zur Folge hätte; ein einseitiger Schnitt
sollte Lichtstarre der gekreuzten Pupille, Freilegung der Rautengrube oft Licht-
starre und Miosis (Tabespupillen 1) hervorrufen. Bach erklärte diese Ergebnisse
durch die Annahme von Hemmungszentren am spinalen Ende der Raute. Diese
bisher nicht einwandfrei nachgeprüften Experimente haben die Vortr. wiederholt,
und zwar wurde viermal genau entsprechend den Bachschen Versuchen bei künst¬
licher Atmung an der typischen Stelle total durchschnitten, außerdem aber vier¬
mal nur die eine Hälfte der Medulla durchtrennt und das Tier am Leben ge¬
lassen (bis 3 Wochen). Die Vollständigkeit der Schnitte wurde anatomisch
(Marchipräparate) kontrolliert. Der Erfolg war in keinem Falle der von Bach
und Meyer beschriebene; es trat niemals Lichtstarre ein, sondern stets nur
(unmittelbar nach dem Schnitt) Pupillenerweiterung und dementsprechend erfolgte
dann sogar ein größerer Ausschlag des Lichtreflexes. Niemals wurde bei Frei¬
legung der Medulla MioBis beobachtet. Bei den am Leben gehaltenen Tieren mit
Halbseitendurchschneidung bestand eine geringe Pupillendifferenz, deren Erklärung
die Vortr. noch offen lassen. — Die Vortr. können somit die Bachschen Resul¬
tate nicht bestätigen und glauben, daß die Hypothesen dieses Autors aufgegeben
werden müssen. (Die ausführliche Veröffentlichung wird in den Klinischen Monats¬
blättern für Augenheilkunde erfolgen.) Autoreferat.
10. Herr Georges L. Dreyfus (Heidelberg): Die Melancholie, ein Zu-
gtandsbild dea manisoh-depressiven Irreseins. Vortr. hat das in den Jahren
1892—1906 unter der Diagnose Melancholie in der Heidelberger Psychiatrischen
Klinik aufgenommene Material katamnestischen Untersuchungen unterzogen. Nahezu
die Hälfte aller Fälle konnte er persönlich nachuntersuchen. Von allen in Be¬
tracht kommenden Kranken konnte Vortr. direkt oder indirekt Nachricht erhalten.
Die Resultate seiner Ergebnisse decken sich nicht mit den bisherigen Anschau¬
ungen über das Wesen und Verlauf der Melancholie des Rückbildungsalters wie
Kräpelin ihn schildert. Vortr. gelangt zu folgenden Schlüssen: Die Melancholie
des Rüokbildungsalters muß ihrer Symptomatologie nach als manisch-depressiver
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Mischzustand aufgefaßt werden. Sie bat die gleiche günstige Prognose wie alle
zirkulären Depressionszustände. Diese wird nur einigermaßen getrübt durch die
schweren, körperlichen Schädigungen, welche nicht allzuselten den Tod an inter¬
kurrenten Krankheiten bedingen, und durch die Möglichkeit des Hiuzutretens
einer arteriosklerotischen Hirnerkrankung, die als Ursache des etwaigen Ausgangs
der Melancholie in Schwachsinn angesprochen werden muß. Der Ausgang in
einen geistigen Schwächezustand ist im Gegensatz zu den bisherigen Anschauungen
recht selten. Sehr häufig wird ein Schwachsinn aber vorgetäuscht. Dies erklärt
sich durch die lange Krankheitsdauer der Melancholie. Geheilte Fälle mit
5—12jähriger Krankheitsdauer sind keineswegs Belten. Die Melancholie tritt
sehr häufig nicht, wie man bisher annahm, zum ersten und einzigen Male im
Rückbildungsalter auf. Depressionen können ihr vorangehen und folgen. Auch
Manien nach Abklingen der Melancholie kommen vor. Vortr. hat seine An¬
sichten über die klinische Stellung der Melancholie und die Ergebnisse seiner
Untersuchungen in einer im Juni 1907 im Verlag von Gustav Fischer in
Jena unter obigem Titel erschienenen Monographie niedergelegt.
IIL Sitzung. Vorsitzender: Herr Hoche (Freiburg).
11. Herr Becker (Baden); Zur Kenntnis der Neuroglia. Vortr. hat mit
einigen neuen Methoden die Gestaltung der Glia untersucht. Als Farbstoff ver¬
wandte er u. a. die Leukobase des Methylenblau, die verschiedene Vorzüge vor
dem Salz hat, teils allein mit der von ihm früher geschilderten minimalen Ent¬
färbung, teils in Verbindung mit primären und sekundären Beizen (Tannin,
Tonerdesalzen usw.). Vortr. streift kurz die Frage der Gliagrenzen und Ver¬
bindungen mit den nicht ektodermalen Elementen, (die Grenzschichten, die super¬
ficialen und perivaskulären Grenzbänke, die Gliafüße Heids u. a. kann er
bisher nicht bestätigen); hier schließt er sich mehr Weigert an, während er in
bezug auf das Verhältnis der Gliafasern zu den Gliazellen sich dem Standpunkte
Heids nähert und kommt hinsichtlich der Beziehungen der Glia zu den Nerven¬
fasern zu folgender Auffassung: 1. Die Glia bildet das Gerüst der Markscheide.
2. Sie bildet ein Gerüst im Achsencylinder, das identisch ist mit den bisher als
Neurofibrillen bezeichneten Elementen und in welchem der Fortsatz der Nerven¬
zelle liegt. 3. Die Glia des Centralnervensystems Betzt sich auf die peripheren
Nerven fort. Die Sch wann sehen Zellen sind Gliazellen und bilden wie die
centralen eine Faserunghülle um die Markscheiden (Schwannsche Scheide) und
das Stützgerüst der Markscheide und des Achsencylinders. Dergestalt Bind sowohl
Nerven wie Gliazellen „Neuroblasten“. Die geschilderten Verhältnisse werden an
Zeichnungen und Präparaten demonstriert.
12. Herr Bethe (Straßburg): Über f&rberisohe Differenzen verschiedener
Fasersysteme (mit Demonstration). Wie von dem Vortr. schon 1903 gezeigt
wurde, färben sich mit neutraler Toluidinblaulösung im Rückenmark nach
Fixierung mit reinem Alkohol außer Ganglienzellen und Kernen nur die moto¬
rischen Nervenfasern. Die Strangfasern bleiben ganz ungefärbt und die Fasern
der hinteren Wurzeln färben Bich nur in ihrem extramedullären Verlauf. Nur in
der Wurzeleintrittszone nehmen auch die letzteren in der Regel etwas Farbe an.
Die Achsencylinder der peripheren Nerven, der hinteren und vorderen Wurzeln
und der intramedullären motorischen Fasern besitzen also die Fähigkeit, sich
primär zu färben, während allen übrigen Nervenfasern des spinalen Nerven¬
systems eine primäre Färbbarkeit nicht zukommt. In einer späteren Arbeit
wurde gezeigt, daß alle Fasern des Rüokenmarkes durch Behandlung der Schnitte
mit verdünnten Säuren färbbar werden. Eb blieb noch zu untersuchen, ob der
prinzipielle Unterschied zwischen motorischen Fasern einerseits und sensiblen und
intracentralen Fasern andererseits auch im Gehirn zu konstatieren ist. Die Unter-
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633
suchungen sind noch nicht ganz beendigt, gestatten aber schon jetzt den Sohluß,
daß der am Rückenmark festgestellte Unterschied unter Einhaltung gewisser
K&utelen auch für das Gehirn des Kaninchens, Hundes und Menschen zutrifft.
Die sensiblen Hirnnerven verlieren ihre primäre Färbbarkeit beim Eintritt in den
Hirnstamm (Opticus und Olfactorius zeigen besondere Verhältnisse, die von
anderer Seite untersucht werden). Die Fasern der motorischen Hirnnerven bzw.
die motorischen Fasern der gemischten Hirnnerven nehmen in der Regel sehr
stark die Farbe an und Bind bis zu den Ursprungszellen verfolgbar. Besonders
schön gelingt die Färbung der motorischen Trigeminusfaserung und des Abducens-
verlaufs. Pyramidenfasern, Brückenfasern, Großhirn* und Kleinhirnfasern usw.
bleiben stets ungefärbt, so daß die Verfolgung der motorischen Fasern nicht ge¬
stört wird. Außer den sicher motorischen Fasern des Hirnstamms gibt es aber
noch einige andere Fasersysteme, welche stets die Farbe anzunehmen scheinen.
Zu diesen gehören gewisse Fasern des Trapezkörpers. Ob die Methode der
primären Färbung für das Studium des Faserverlaufes nutzbringend Bein wird,
läßt sich zur Zeit nicht entscheiden.
13. Herr Curschmann (Mainz): Über des funktionelle Verhalten der
Gefäße bei vasomotorischen und trophiaohen Neurosen. Vortr. betont ein¬
leitend, daß die bisherige Systematisierung und Nomenklatur der vasomotorischen
und trophischen Neurosen nicht in allen Punkten befriedigt. Nicht selten hat
man über den symptomatologiBchen Standpunkt den funktionellen (biologischen)
vernachlässigt. Die Rolle des vasomotorischen Verhaltens bei den Akroparästhesien,
das Verhältnis der Akroparästhesien zum Morbus Raynaud, das des Morbus
Raynaud zur angiosklerotischen Dyskinesie, die Beziehungen der vasokonstrikto-
rischen zur vasodilatatorischen Neurose (Akroparästhesie, Erythromelalgie), alle diese
Dinge bedürfen noch weiterer Klärung, die sich vor allem auf das Verhalten der
Gefäße bei diesen Neurosen erstrecken muß. Vortr. hat darüber nach dem Vor¬
gang 0. Müllers (Untersuchungen bei normalen arteriosklerotischen Individuen)
die kranken Extremitäten der betreffenden Patienten plethysmographisch unter¬
sucht. Zugleich wurde Herz und Kreislauf physikalisch-diagnostisch und mittels
Blutdruckmessung (in und ohne Anfall) untersucht. Die Versuche wurden angestellt
an 6 Fällen von Morbus Raynaud, an 2 Fällen von Dysbasia angiosclerotica, an
1 Fall von Sklerodermie mit Raynaud-Symptomen, an 3 Fällen von Akroparästhesien
(1 mit Erythromelalgie gemischt), 1 Fall von polyneuritischen Akroparästhesien und
1 Fall von angioneurotischem Ödem. Die Resultate waren: bei zwei schweren
Fällen von Morbus Raynaud fehlten alle normalen Gefäßreflexe in Plethysmo¬
grammen, dafür fanden sich bisweilen paradoxische Wärmereaktionen (Vaso¬
konstriktion bei Wärmeapplikation). Bei drei mittelschweren bis leichten Raynaud-
Fällen fehlten alle Temperaturreaktionen stets; dafür bisweilen Rudimente von
Affekt- oder Schmerzreaktionen. Bei Sklerodermie mit Raynaud-Symptomen eben¬
falls Fehlen aller Gefäßreflexe (Temperatur, Schmerz, Affekte). Auch bei 2 Fällen
von intermittierendem Hinken (mit Fehlen der Fußpulse) wurden stets und in jeder
Phase sämtliche Gefäßreaktionen vermißt. Vasomotorische Akroparästhesien zeigten
gleichfalls — trotz des Fehlens objektiver vasomotorischer Symptome bei den im
Intervall untersuchten Kranken — meist Fehlen oder hochgradige Herabsetzung
aller Gefäßreflexe; dagegen zeigte die polyneuritische Akroparästhesie normales
plethysmographisches Verhalten. Beim angioneurotischen ödem zeigte sich normale
Kältereaktion, Fehlen der Wärmereaktion. Das Fehlen aller Gefäßreflexe bei Morbus
Raynaud und Sklerodermie (auch bei Jugendlichen) spricht also für eine dauernde
(nicht nur paroxysmale) Vasokonstriktion. Dasselbe aber müssen wir — wenn
auch in geringerem Maße — für die Akroparästhesien nach ihrem plethysmographischen
Verhalten annehmen; ein Hinweis auf die nahe Verwandtschaft der malignen und
benignen Neurose. Bei der angiosklerotischen Dysbasie genügt schon die Arterio-
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sklerose zum Erlöschen der Gefäßreflexe. Vortr. betont zum Schluß noch den
Wert der Methode zur Differentialdiagnose und Prognose und fordert zu Nach¬
untersuchungen auf. Autoreferat.
14. Herr Pfersdorff (Straßburg): Über dialogisierenden Rededrang
(nicht zum kurzen Referat geeignet).
15. Herr M. .Rosenfeld (Straßburg i/E.): Über einige Formen der
vasomotorischen Neurose. Im Anschluß an eine frühere Publikation über
eigentümliche Verlaufsformen der vasomotorischen Neurose berichtet der Vor¬
tragende über eine weitere Gruppe von Fällen, in welchen ein bestimmter
Symptomenkomplex von vasomotorischen Störungen, verbunden mit bestimmten
psychischen Störungen, anfallsweise auftritt und nach einiger Zeit wieder
verschwindet. Bei von Hause aus leicht erregbaren Menschen von meist sehr
guter Intelligenz treten akut ohne sicher nachweisbare äußere Ursache fol¬
gende Störungen auf: Akrocyanoee, Akroneurose, Farben Wechsel, Dermographie,
Herzklopfen ohne nennenswerte Pulsbeschleunigung, gelegentlich Pulsverlang¬
samung, unangenehme Herzsensationen; starke Schweißproduktionen, Brechneigung,
Schwindelgefühl beim Liegen und namentlich beim Stehen und Gehen bis
zu eigentlicher Gangstörung (vasomotorische Ataxie), heftige Parästhesien in
einzelnen Extremitäten mit Störung des LagegefÜhlB und einer Art Tastlähmung;
sehr auffällige Schwankungen der Urinmengen und plötzliche starke Abnahme des
Körpergewichts. Zu diesen Symptomen auf körperlichem Gebiete gesellen sich
folgende psychische Störungen: Müdigkeit, leichte Ermüdbarkeit, lebhafte optische
ängstliche Träume, Illusionen im Halbschlaf, lebhafte Angst und Krankheitsgefühl
ohne Neigung zu hypochondrischen Gedankengängen und Erklärungsversuchen über
die Art des Leidens. Eine eigentliche Wahnbildung fehlt. Es besteht nur eine
gewisse Neigung zu Eigenbeziehungen. Selbstvorwürfe finden sich nur insofern,
als die Kranken ihre frühere angebliche unzweckmäßige Lebensweise als die Ur¬
sache ihres Leidens bezeichnen. Auf motorischem Gebiete finden sich lebhaft
gesteigerte Ausdrucksbewegungen; keine psychomotorische Hemmung, keine Denk¬
hemmung, keine Monotonie der Sprache und der übrigen Bewegungen. In den
meisten Fällen besteht der lebhafte Antrieb trotz aller Beschwerden zu arbeiten.
In einzelnen Fällen kann sich das Angstgefühl zu lebhaften Paroxysmen steigern,
so daß auf der Höhe der Erkrankung kurz andauernde deliriöse Erregungszustände
auftreten. In dem akuten Stadium ist die Diagnose dieser Fälle insofern schwer,
als die Symptomenkomplexe möglicherweise das Initialstadium anderer psychischer
oder nervöser Erkrankungen darstellen könnten. Die mehljährige Beobachtung der
Fälle lehrte aber, daß die . geschilderten Symptome nach einiger Zeit wieder
schwinden, daß der Allgemeinzustand der Kranken wieder derselbe wird wie vorher
und daß derartige Eirankheitsepisoden sich öfters in unregelmäßigen Abständen
wiederholen. Zur Differentialdiagnose dieser Fälle ist folgendes zu sagen: In
denjenigen Fällen, in welchen die körperlichen Symptome bestimmte Formen an¬
nehmen, wie z. B. Gleichgewichtsstörungen, rasch vorübergehende Augenmuskel¬
störungen, Sehstörungen usw., Lagegefühlsstörungen in den Extremitäten, wird an
den Beginn einer multiplen Sklerose zu denken sein. Die früher von dem Vortr.
mitgeteilten Fälle dieser Art sind aber auch nach Jahren nicht in die genannte
Erkrankung übergegangen. Die körperlichen und psychischen Symptome erinnern
ferner an die Begleitsymptome der Basedowschen Erkrankung. Aber keines der
Kardinalsymptome der genannten Erkrankung ließen sich nachweisen, weder im
akuten Stadium, noch im späteren Verlauf. Gegen die Zuordnung dieser Fälle
zur Hysterie sprechen zahlreiche Gründe und zwar: die freien, nicht hysterisch
gefärbten Intervalle, das Fehlen der hysterischen Stigmata, der hysterischen
Charakterveränderung und die völlige Unzugänglichkeit für suggestive Therapie.
Obwohl die Kranken für zwekmäßige Behandlung sehr empfänglich sind, und
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namentlich Bettruhe, leichte Beruhigungsmittel und Digitalispräparate sehr gute
Dienste leisten, gelingt es doch nicht, die Störung rasch zu kupieren. Sehr lehr¬
reich sind in dieser Beziehung solche Fälle, in welchen während einer längeren
Spitalbehandlung die genannten Symptomkomplexe allmählich schwinden und nach
Wochen wieder auftreten, ohne daß in den äußeren Lebensbedingungen der Kranken
irgend welche Änderungen vorgenommen wurden. In ihrer Verlaufsform erinnern
solche Fälle am meisten an die Cyclothymien bzw. an die leichtesten Formen des
manisch-depressiven Irreseins. Aber alle psychischen Kardinalsymptome der ge¬
nannten Psychose fehlen oder kommen nur andeutungsweise zum Vorschein. Nach
alledem scheint es berechtigt, die genannten Fälle zu einer besonderen klinischen
Gruppe zusammenzufassen, obwohl die Ätiologie unbekannt ist. Die Abgrenzung
dieser Fälle hat nach der Meinung des Vortr. nichts Gekünsteltes, sondern ent¬
spricht einem praktischen klinischen Bedürfnis. Vortr. schlägt vor, mitBücksicht auf
die bereits vorliegende Nomenklatur die Fälle als periodische vasomotorische
Neurose zu bezeichnen.
16. Herr Cohnstamm (Königstein i/T.): Über hypnotische Behandlung
von Menstruationsstörangen. Die hypnotische Beeinflußbarkeit der Menstruations¬
störungen hat trotz der Mitteilungen von Forel u. a. bisher weder die verdiente
praktische, noch theoretische Würdigung gefunden. Es kann unter Umständen
von vitaler Bedeutung Bein, einer Frau auf diesem Wege ihr Blut zu sparen,
anstatt Bie den Unannehmlichkeiten und den unsicheren Heilungschancen des
Kurettements unter Narkose auszusetzen. Für den internen und neurologischen
Praktiker wiegt die menstruelle Blutsparung häufig so viel, wie eine ganze Mast¬
kur. Ich zweifle nicht daran, daß auch Menorrhagien bei hypnotisierbaren
Myomkranken auf diesem Wege erfolgreich zu behandeln sind. Theoretisch ge¬
nommen iBt dieser Vorgang ein Prototyp für die seelische Bedingtheit autonom
vegetativer Organsysteme oder, wie man auch sagen könnte, für das unbewußt
psychische Eigenleben derselben. Von großer Wichtigkeit ist auch die aus unseren
Erfahrungen zu ziehende Lehre, wie außerordentliche Vorsicht geboten ist, wenn
man die physiologische Wirkung von Maßregeln beurteilen will, die gegen
Menstruationsstörungen gerichtet sind. Nun gilt dies sowohl für medikamentöse,
als für physikalische Elinwirkungen. Auch die „Blutstopfung“ nach Kussmaul-
Fleiner-Klemperer, die nicht nur den Blutverlust, sondern menstruelle Leib¬
und Kopfschmerzen, sowie die damit einhergehende Übelkeit mit Erbrechen in
geradezu wunderbarer Weise zu bekämpfen vermag, habe ich im Verdacht, daß sie
neben ihrer mechanischen Wirkung (im Sinne Kussmauls) in noch viel höherem
Maße eine suggestive „argumentatio ad uterum“ bedeutet. Statt weiterer Worte
verweise ich auf die folgende Krankengeschichte: Schon 3 Wochen nach der letzten
Periode, also eine Woche vor dem regelmäßigen Termin, fühlt unsere Patientin Schwere
in den Gliedern und Verstimmung. Dann treten Magenkrämpfe, Kopf- und Kreuz-
schmerzen hinzu. Der Zustand wird fast unerträglich, bis nach 7 bis 9 Wochen
unter Erbrechen die Blutung beginnt, die mehrere Tage ohne übermäßige Stärke
andauert. Ich gab also ungefähr am 30. Tage in tiefer Hypnose die Suggestion,
daß am nächsten Morgen die Periode eintreten sollte, was zu meiner Überraschung
prompt geschah. Eine Woche vor der nächsten Periode wurde sie zu Hause im
Einverständnis mit mir von gynäkologischer Seite mit bimanueller Massage und
lokalen Blutentziehungen behandelt. Dies blieb ohne Erfolg, während meine
hypnotische Suggestion wieder sofort zum Ziel führte. Dies wiederholte sich
mehrere Male. Um die Patientin unabhängig von Hypnose und Hypnotiseur zu
machen, gab ich am 30. September 1905 die Suggestion, daß am 1. Oktober und
in Zukunft immer am ersten jeden Monats die Periode eintreten sollte. Die
Suggestion wurde fünfmal genau realisiert, ohne daß zwischendurch eine Hypnose
nötig war. Im Februar 1906 äußerte die Patientin mir ihr Erstaunen über diese
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kalendrige Regelmäßigkeit, von deren suggestiver Ursache ihr waches Bewußtsein
nichts wußte. Doch fing sie offenbar an, den Zusammenhang zu ahnen, und es
schien, als ob der suggerierte Mechanismus den Lichtschein des Wachbewußtseins
nicht vertrüge. Denn am 1. März 1906 zum erstenmal blieb die Periode wieder
aus und kam von da an erst nach jedesmaliger Suggestion. Erwähnenswert ist
noch ein Mal, wo die Patientin mir nahelegte, erst am zweiten Tage nach der
hypnotischen Sitzung unwohl werden zu wollen. Auoh diese Suggestion wurde
zur freudigen Überraschung der Patientin prompt realisiert. Etwa 4 Wochen später
wurde ich wieder von der Patientin konsultiert, mit der Klage, daß sie seit
14 Tagen blute. Ich gab die hypnotische Suggestion, daß die Blutung sofort
stehen sollte. Nach dem Erwachen veranlaßte ich sie, die blutige mit einer neuen
Menstruationsbinde zu vertauschen, von deren absoluter Blutfreiheit ich mich nach
mehreren Stunden überzeugen konnte. Dieser Fall, dem ich noch andere — aller¬
dings weniger überraschende — anschließen könnte, zeigt, daß die verspätete und
die zu langdauernde Menstruation durch tief hypnotische Suggestion in erwünschtem
Sinne beeinflußt werden kann. In anderen Fällen zeigte sich auoh die zu starke
Blutung derselben Behandlung zugängig. Voraussetzung ist natürlich Hypnotisier-
barkeit und Suggestibilität, die in meinen Fällen gelegentlich hypnotischer Be¬
handlung der Schlaflosigkeit festgestellt wurden.
17. Herr Knauer (Gießen): Stoffweohselstörungen Io einem Fell von
Pseadotumor. 19jähriger junger Mensch erkrankte akut unter leichten gastri-
tischen Prodomalerscheinungen an einer furibunden katatonischen Erregung. Von
Anfang an leichte paretische Zeichen auf der linken Körperhälfte. Nach etwa
4 Wochen plötzlich, 24 Stunden lang, 434 schwere epileptiforme Anfälle, teil¬
weise von Jacksonsohem Charakter, mit Pupillendifferenz und linksseitiger Ptosis.
Am nächsten Tage Lähmungen verschwunden und wieder typischer funktionell-
katatonischer Bewegungsdrang bis zu dem am vierten Tage nach dem Status erfolgen¬
den Exitus. Die Urine des Kranken zeigten dauernd hohe spezifische Gewichte,
enthielten nie Albumen, nie Traubenzucker, dagegen stieg am Anfallstage die
Phosphatausscheidung enorm an, um mit dem Abklingen der Krämpfe wieder
zurückzugehen. Vortr. konnte nachweisen, daß ein Teil der Harn-Phosphorsäure
als Glycerin-Phosphorsäure erschienen war, fand ferner im Blut große Mengen
Cholin. Die Harne zeigten dauernd intensive Indigoblau- und -rot-, sowie Diazo-
reaktion, dagegen keine Gallenbestandteile und kein Aceton. Die Mineralschwefel¬
säure zeigte hohe Werte, während die Ätherschwefelsäure sich trotz der einseitig
vermehrten Indoxylschwefelsäure in normalen Grenzen bewegte. Die N-Aus¬
scheidung stieg auf Kosten des Körperstickstofles ebenfalls enorm. Patient verlor
in 8 Tagen 20 Pfund an Körpergewicht ohne Abstinenz. Von den N-haltigen
Harnbestandteilen erwiesen sich die Hippursäure und die Harnsäure leioht, das
Ammoniak mit 9,6 °/ 0 des Gesamtstickstofifes stark vermehrt. Nach dem Aufalls¬
tage große Mengen Fleischmilohsäure in Harn und Blut. Diesen Körper sieht
Vortr. aber mit Hoppe-Seyler nur als intermediäres Produkt einer mangel¬
haften Oxydation des Muskelglykogens an, die durch den übermäßigen O-Konsum
im Kraftstoffwechsel sich erklärt. Daher während der Attacken nie Temperatur¬
steigerungen. Die Paramilchsäure ist pathogen nur in Verbindung mit den
andern Säuren als Teilursache der starken Acidose. Die Sektion förderte makro¬
skopisch nur eine leichte MeBenterialdrüsenschwellung zutage. Leber und Darm
insbesondere waren ganz intakt. Mikroskopisch fand sich als Ursache der Phos-
phatidüberschwemmung im Zentralnervensystem, besonders im Pons und Rücken¬
mark, ein ausgedehnter diseeminierter Markscheidenzerfall, ähnlich den Bonnhöfer-
sehen Bildern bei Delirium tremens.
18. Herr Gierlioh (Wiesbaden): Über einen Fall von neuraler Muskel¬
atrophie mit Beginn in frühester Kindheit und Veränderungen der grauen
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und weißen Substanz des Bückenmarks, namentlich in den Hinterstrftngen.
Patient, der im Alter von 7 Jahren an Bronchopneumonie nach kurzem Kranken¬
lager starb, war anscheinend gesund bis zum Ende des 1. Lebensjahres. Als er
dann anfing zu laufen, stellte Bich allmählich eine Lähmung der Dorsalflektoren
beider Füße ein mit konsekutiver Verkürzung der Achillessehne, so daß im
3. Lebensjahre außer Krallenstellung der Zehen ein Pes equino-varus bestand, der
das Gehen fast unmöglich machte. Durch Tenotomie wurde für einige Zeit eine
Besserung erzielt, die aber beim Fortschritt des Leidens, das auch die Waden¬
muskeln befiel, wieder nachließ. Im 4. Lebensjahre begannen auch die kleinen
Handmuskeln atrophisch zu werden, so daß Spreizen der Finger und Händedruok
allmählich behindert waren. Die Muskeln des Oberschenkels, des Beckens, Rumpfes,
Schulter und Arme ohne abnormen Befund. Die elektrische Untersuchung ergab
starke Herabsetzung der Erregbarkeit für beide Stromesarten in den befallenen
Muskeln. Die Patellar-Sehnenrefleze fehlten; keinerlei SenBibilitätsstörungen, keine
Blasenstörung, keine Ataxie. Pupillenreaktion normal. Die mikroskopische Unter¬
suchung des Bückenmarks ergab Degeneration in den Hintersträngen, die im
unteren Lendenmark fast den ganzen Querschnitt derselben einnahm, weiter oben
sich auf die Gollschen Stränge beschränkte. Es befand sich ferner Degeneration
leichten Grades in den hinteren lateralen Teilen des Seitenstranges, des Lenden-
und Brustmarks. Lissauersche Bandzone, hintere und vordere Wurzeln normal.
Dagegen fanden sich Veränderungen in den Clarkeschen Säulen und der hinteren
lateralen Zellgruppe der Lendenansohwellung. Hirnstamm, Gehirn und Kleinhirn
nicht verändert. Vortr. vergleicht diesen Befund mit den bisher veröffentlichten
einschlägigen Untersuchungen (Virchow, Friedreich, Dubreuilh, Mari-
nesco, Siemerling, Sainton), die im allgemeinen gute Übereinstimmung zeigen.
Vortr. betont die Schwierigkeiten, die anatomischen Befunde mit dem klinisohen
Krankheitsbilde in Einklang zu bringen und erinnert bezüglich der Bückenmarks¬
befunde an die Ähnlichkeit mit der Friedreichschen Ataxie. Ein 1 Jahr
älterer Bruder des Patienten litt an einer Muskelatrophie von gleichem Verlauf.
Er starb 8 Tage früher als Patient. Zwei jüngere Geschwister sind gesund.
19. Herr van Oordt (St. Blasien): Solerosli multiplex oder Lues cerebro¬
spinalis obronioaP (Erscheint in diesem Centralblatt als Originalmitteilung.)
20. Herr Edinger (Frankfurt a/M.): Zur Kasuistik des Nervenauf-
brauoh.es. Die Überzeugung, daß die Lokalisation der meisten peripheren und
centralen Nervenkrankheiten durch die Funktionen selbst bedingt wird, ist keines¬
wegs eine allgemeine. Es verlohnt deshalb durchaus, immer wieder Fälle bei-
subringen, welche besonders klar in diesem Sinne sprechen. Für den, der auf
dem eingangs erwähnten Standpunkt steht, bedarf es allerdings solcher Fälle
nicht mehr. Die Praxis fuhrt ihm täglich Beweise zu, wenn er, und das kann
nicht intensiv genug hervorgehoben werden, bei jeder einzelnen Beobach¬
tung untersucht, aus welchen Gründen ein etwaiger Ausfall so und
nicht anders lokalisiert ist. Ohne solohe spezielle Nachforschung bleibt
die Mehrzahl der Beobachtungen steril. — 1. Seit meiner letzten ausführlichen
Mitteilung sind auf meine Veranlassung wiederholt die Sehnenreflexe nach
schweren Anstrengungen untersucht worden. Existiert der postulierte Auf¬
brauch, so mußten sie gelegentlich schwinden. In der Tat fand S. Auerbach,
von 39 Badfahrern 10 die Kniesehnenreflexe nach einem Bennen vorüber¬
gehend verloren. Viermal waren sie ungewöhnlich gesteigert. Diese Steigerung
tritt, wie ich selbst an Läufern gefunden, sehr bald auf und ist wahrscheinlich
ein Vorläufer des Unterganges. Von 12 Teilnehmern eines Hundert-Kilometer-
marsches konnte Schilling bei acht eine hochgradige Abschwächung, bei einem
totalen Verlust konstatieren und Oekonomakis, welcher auf meine Bitte
18 Marathonläufer bei den olympischen Spielen untersucht hat, sah bei fünf die
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Sehnenreflexe verschwunden, bei den anderen Erhöhungen. Ähnliches hatten
übrigens schon vor Jahren Knapp und Thomas bei einem Vierzig-Kilometerlauf
iu Amerika festgestellt. 2. Über deutlichen Aufbrauch eines peripheren Nerven
konnte aus meiner Beobachtung Lilienstein berichten. Bei einer blutarmen
Telephonistin erlahmte und schwand hochgradig die Handmuskulatur, welche den
schweren Hörer viele Stunden lang halten mußte. Nach Einführung von Kopf¬
hörern trat Heilung ein. 3. Schon in meiner ersten Mitteilung glaubte ich Blei¬
lähmungen als funktionellen Aufbrauch bei durch Blei geschädigtem Boden an¬
sprechen zu dürfen. Den dort beigebrachten Tatsachen kann ich heute zwei
durchaus in gleichem Sinne sprechende, beifügen. Einmal den bereits von
Lilienstein veröffentlichten Fall einer LetternBchleiferin. Hier war Ulnaris-
und nicht Radialislähmung eingetreten. Als Ursache konnte nachgewiesen werden,
daß die Letternschleifer wesentlich die Ulnarismuskulatur anstrengen. Und dann
sah ich einen Fall, der fast die Beweiskraft eines Experimentes hat. In unserer
Poliklinik wurde in langer Kur ein bleikranker Anstreicher von seiner rechts¬
seitigen Radialislähmung geheilt. Noch zu schwach in der Hand, um den Öl¬
farbenpinsel zu führen, welcher beim Streichen fast ausschließlich durch die
Radialismuskulatur dirigiert wird, nahm er das Anstreichen mit Wasserfarben
auf. Dabei wird eine schwere besenartige Bürste mit der Hand festgehalten
— keine geringe Kraftleistung — und mit ihr im wesentlichen aus dem Schulter¬
gelenk gestrichen. Bei diesem Mann trat nun bald Parese und ziemlich hoch¬
gradige Atrophie der ganzen Handmuskulatur ein. Bei einem Bleikranken war
also zuerst die Radialismuskulatur erlahmt, solange sie stark angestrengt wurde.
Sie war geheilt. Es waren aber dann Ulnaris- und Medianuslähmungen aufgetreten,
als an diese Nerven besondere Anforderungen gestellt wurden. 4. Die Augenärzte
sind bekanntlich ätiologisch befriedigt, wenn sie in einem Falle von Pupillar-
lähmung vorausgegangene Syphilis nach weisen können. Ich habe schon früher
darauf hingewiesen, daß die Syphilis allein ätiologisch nicht ausreicht, und ein
im Dezember 1906 mir vorgekommener Fall, den mehrere Augenärzte gesehen
hatten, beweist, daß neue Fragen und präzise Aufklärungen erwachsen, wenn man
sich auf den Standpunkt der Aufbrauohtheorie stellt. Es ergab sich nämlich, daß
ein Patient, der außer seiner fast totalen Pupillenlähmung ohne Verengerung
keine Nervenstörungen bot, am Tage bevor die Erkrankung aufgetreten war
viele Stunden auf hellglitzernden Schneefeldern der Jagd obgelegen hatte. Die
Pupillen des Syphilitischen haben dieser enormen Kontraktionsanstrengung nicht
Stand gehalten. Über ähnliche Fälle habe ich früher berichtet und ich zweifle
nicht, daß bei richtiger Art des Fragens ihre Zahl sich rasch mehren wird.
5. Auch auf dem Gebiete des centralen Aufbrauchs sind mir wieder eine große
Anzahl interessanter Beobachtungen vorgekommen; ich will sie aber zurückstellen,
um hier im Aufträge von Dr. Loewenthal in Braunschweig zwei Fälle von ein¬
seitiger Ataxie bei Tabes zu erwähnen. Es sind typische Tabiker mit allen Er¬
scheinungen. Der eine, ein Kapellmeister, steht täglich mehrere Stunden beim
Dirigieren mit der Körperlast auf dem rechten Beine. Jetzt kann er wegen
hochgradiger Ataxie desselben auf diesem überhaupt nicht mehr stehen. Links
ist die Ataxie nur unbedeutend. Auch die sonst typischen Sensibilitätsstörungen
sind am rechten Beine viel stärker als links. Der zweite, ein Bahnbeamter, hat
mehrere Jahre vor Ausbruch der Tabes sein rechtes Knie gequetscht und schont
dieses. Jetzt, wo er typisch tabisch ist, ist der Sehnenreflex auf der Seite des
geschonten Beines noch vorhanden; er ist also nur auf dem linken, das überwiegend
benutzt wurde, geschwunden. 6. Schließlich darf ich es als eine vollkommene
Bestätigung der Aufbrauchtheorie bezeichnen, daß vor kurzem Wittmaak durch
fortgesetzte Geräusche bei Tieren das klinische und anatomische Bild der pro¬
gressiven nervösen Ertaubung erzeugen konnte. Dieses Leiden, welches
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639
bekanntlich familiär auftritt, batte ich früher schon za den Aufbrauchkrankheiten
bei angeborener zu schwacher Entwicklung eines einzelnen Nerven gestellt.
21. Herr Link (Freiburg i/B.): Über Muskelton. In Ergänzung eines
Vortrages über den gleichen Gegenstand auf der WanderVersammlung 1904
(vgl. d. Centralbl. 1906, Nr. 2) berichtet Vortr. über Untersuchungen des Muskel¬
tons, des tiefen Tons, den man über jedem willkürlich tetanisch kontrahierten
Muskel, z. B. dem Interosseus primus, mit dem Hörrohr hört, und demonstriert
zunächst eine vermittelst einer graphischen Methode aufgenommene Kurve von
11,8 Oszillationen pro Sekunde (nach v. Kries). Bei genügender faradischer
Beizung hört man beim Menschen einen lauten dauernden Ton, entsprechend der
Unterbrechungszahl des Hammen, und zwar nur über einem sich kontrahierenden,
nicht über einem gelähmten, sich nicht zusammenziehenden Muskel, woraus folgt,
daß es sich hierbei um innere Vorgänge im Muskel selbst handeln muß, nicht
um bloße Übertragung von Schwingungen. Bei KaSTe ist ein lauter Ton wahr¬
nehmbar, entsprechend der physiologischen Tatsache, daß dabei eine große Zahl
von Aktionsströmen den Muskel durchsetzen. Die langsame Zuckung der Ent¬
artungsreaktion gibt dagegen keinen Ton, dementsprechend zeigt die Kurve der¬
selben keinerlei sekundäre Erhebungen (Demonstration). Diese Tatsache ent¬
spricht der Theorie der Entartungsreaktion, die in derselben die Reaktion des
entnervten Muskels sieht; es ist dazu auch nicht das Vorhandensein der anato¬
mischen Veränderungen erforderlich, die man früher für nötig hielt. Hierfür
sprechen die anatomischen Befunde von Jam in und namentlich die Untersuchungen
von Achelis, welcher mit der von Schenk angegebenen Methode der tripolaren
Nervenreizung am Präparat, das durch Tetanisieren mit dem faradischen Strom
ermüdet war, alle Erscheinungen der Entartungsreaktion hervorrufen konnte.
Vortr. faßt sie auf als bedingt durch die Ermüdung der Nervenendorgane. Er¬
müdung hebt auch, wie aus physiologischen Untersuchungen hervorgeht, die
Fähigkeit der Muskeln zu tönen auf, ebenso wie sie einen langsamen Ablauf der
Zuckungskurve bedingt. Bei Myotonia congenita, bei der ebenfalls ein langsamer
Ablauf der Zuckungskurve beobachtet wird, hört man nach Herz anfangs keinen
Ton; erst wenn die Starrheit, die im Beginn der willkürlichen Bewegung ein
Hindernis entgegensetzt, weicht, hört man allmählich den Muskelton zu seiner ge¬
wöhnlichen Höhe anschwellen. Über den spastischen kontrahierten Muskeln bei
Hemiplegie hört man keinen Ton; bei Registrierung erhält man eine gerade Linie.
Da die meisten Autoren diese Spasmen für bedingt halten durch einen Reizzustand
des niederen Centralnervensystems veranlaßt durch die Fortdauer der sensibeln
centripetalen Einwirkungen und den Ausfall der Pyramidenbahn, so scheint aus
der angeführten Tatsache hervorzugehen, daß der Innervationstypus der niederen
Centren ein anderer ist als der willkürliche vom Cortex aus. Die Diskontinuität,
die letzterem sicher zukommt, ist bei diesem nicht vorhanden. Autoreferat.
22. Herr Fischler (Heidelberg): Über Erfolge und Gefahren der Alkohol-
Injektionen bei Neuralgien und Neuritiden. Schlossers Erfolge der Be¬
handlungsarten chronischer Reizzustände der peripheren Nerven mit Alkohol¬
injektionen veranlaßte die Anwendung seiner Methode bei Fällen von Ischias und
Neuralgien. Die anfangs im ganzen sehr günstigen Erfolge bei Ischias (Injektion
von 1 bis 2 ccm 70 bis 80 °/ 0 Alkohol an die Austrittsstelle der Nerven) wurden
abgebrochen, als nach einer Injektion von 1 ccm 70 °/ 0 Alkohol an dem N. peroneus
eine komplette Lähmung eintrat, die bis zur völligen Heilung ein Jahr dauerte;
Erb sah von Alkoholinjektionen, die von anderer Seite gemacht waren, drei
weitere üble Folgen: 1. Eine komplette Facialislähmung mit Entartungsreaktion, die
nach 7 Monaten noch nicht völlig geheilt war. 2. Lähmung im Gebiete des N. tib
mit Entartungsreaktion in den kleinen Fußmuskeln, die gleichzeitig mit starken
sensorischen Reizerscheinungen einherging und nach ®/ 4 Jahren noch nicht völlig ver-
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schwanden war. 3. Lähmung der Unterschenkel mit Entartungsreaktion, Anästhesie
und heftigen Parästhesien, die ca. 5 Monate bis zur Heilung brauchte. Es wird
sich daher empfehlen, Alkoholinjektionen bei rein motorischen oder gemischten
Nerven nur als ultimum refugium zu betrachten und sie auf die sensorischen
Nerven, wo sie offenbar sehr gute Erfolge haben, zunächst zu beschränken.
IV. Vermischtes.
Id der Zeit vom 4. bis 23. November d. J. findet in der psychiatrischen Klinik in
München ein psychiatrischer Fortbildungskurs statt. Es sind folgende Vorlesungen
in Aussicht genommen: l. Alzheimer, Normale und pathologische Anatomie der Hirnrinde
(27 Stunden). — 2. Gudden, Anatomie des Centralnervensystems (6 Stunden). — 3. Katt¬
winkel, Neurologische Demonstrationen (9 Stunden). — 4. Kraepelin, Klinische und foren¬
sische Demonstrationen (28 Stunden). — 5. Nitsche, Methodik der klinischen Kranken-
nntersuchung (5 Standen). — 6. Plant, Serodiagnostische Untersuchungen (3 Stunden). —
7. Rehm, Cytodiagnostik der Cerebrospinalflüssigkeit (3 Stunden). — 8. Rüdin, Tatsachen
und Probleme der Entartung (6 Stunden). — 9. Specht, Kriminalpsychologie (8 Stunden).
— 10. Specht, Klinische Experimentalpsychologie (8 Stunden). — 11. Weiler, Physikalisch¬
klinische Untersuchungsmethoden (5 Stunden). — 12. Besichtigungen von Anstalten.
Der Kursus wird täglich die Stunden von 8 bis 12 und von 4 bis 6 Uhr in Anspruch
nehmen. Teilnehmerkarten 60 Mark. Anmeldungen bis zum 1. September erbeten.
Der H L internationale Kongreß für Irrenpflege findet unter dem Präsidium
des Herrn Hofrat Prof. Dr. Obersteiner vom 7. bis 11. Oktober 1908 in Wien statt.
Beitrittserklärungen zu demselben, sowie Anmeldungen von Vortragen wollen bis
spätestens 1. Juli 1908 au den Generalsekretär Dozent Dr. Alexander Pilcz in Wien IX,
Lazarettgasse 14 eingeschickt werden, welcher auch nähere Auskünfte zu erteilen bereit ist.
Das genauere Programm wird seinerzeit veröffentlicht werden.
In St.Blasien im Schwarzwald wurde am 15. Juni das ErholungsheimFriedrioha-
haus eröffnet, das den Zweck verfolgt, minderbemittelten Nervenkranken, Magen-
Darmleidenden, Stoffwechselkranken und Erholungsbedürftigen, insbesondere
des gebildeten Mittelstandes in dem herrlich gelegenen Kurort hygienische Unterkunft, diäte¬
tische Verpflegung, Luftkur, Hydrotherapie, Elektrotherapie, Massage, Liegekur, Terrain-
kur U8W..zu mäßigem Preise zu verschaffen. Das durchweg modern eingerichtete Sanatorium
wurde von Einwohnern St. Blasiens unter weitherziger Mithilfe einer großen Anzahl seiner
Kurgäste ins Leben gerufen. Überschüsse werden zur Tilgung langfristiger unverzinslicher
Darlehen, zur weiteren Herabsetzung des Prtegesatzes und zur höchstens 4 °/qigen Verzinsung
größerer Gründungsanteile verwandt mit Ausschluß eines Unternehmergewinnes. Die ärzt¬
liche Leitung liegt in den Händen des Herrn Medizinalrat Dr. Baader, dem die Herren Hof¬
rat Dr. Determann und Dr. van Oordt ihre Unterstützung zugesagt haben.
Der Herausgeber des „Neurologischen Centralblattes“
Herr Geh. Medizinalrat Professor Emanuel Mendel
ist am 23. Juni d. J. uns völlig unerwartet aus diesem Leben abberufen worden.
Tief erschüttert von dieser plötzlichen Lösung einer ftinfundzwanzigjährigen Verbin¬
dung, werden wir das Gedächtnis des Entschlafenen stets in Ehren halten.
Veit & Comp.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Pankovr b. Berlin, Breitestr. 44.
Verlag von Vbit 4 Comp, in Leipzig. — Druck von Mrtzobb 4 Wirrro in Leipzig.
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Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet von Pro£ E. MendeL
Heraasgegeben
Ton
Dr. Kurt Mendel.
Sechsnndzwanzigster Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 16. Juli. - Nr. W.
Inhalt. 1 . Originalmitteilungen. 1 . Zum Andenken an Emanuel Mendel, von Th. Ziehen.
2. Ein Fall von dauernder hysterischer „Retentio urinae“, von Dr. J. Raimist. 3 . Über
Reizungen des Kleinhirns, von A. Lourie. 4. Beitrag zur Frage der „sukzessiven“ Kom¬
bination von Psychosen, von Dr. Blum.
II. Referate. Physiologie. 1. Neue Versuche über die Regeneration von Nerven¬
fasern, von Bethe. 2. Le radcanisme de la regenörescence nerveuse, par Marinesco. 3. Die
Neutralzellen des centralen Nervensystems, von Kronthal. 4. Die Neuronlehre, von Bloch.
— Pathologische Anatomie. 5. A case of orbital encephalocele with unique malformation
of the brain and eye, by Parsons and Coats. — Pathologie des Nervensystems.
6. Die Pathogenese und Therapie der Eisenbahnkrankheit des Rindes, von Schmidt. 7. Klinische
Kasuistik aus der Praxis, von Erb. 8. fitude clinique et anatomo-patbologique d'un cas
de poliomyölite diffuse subaigue de la premiere enfance (amyotrophie chronique d'origine
spinale d’Hoffmann), par Armand-Delille et Boudet. 3. Muskeltransplantation bei Behandlung
der Kinderlähmung, von Sachs. 10. Erweichungsherde in der Medulla oblongata mit retro¬
graden Degenerationen in Pyramidenbahn und Schleife, von Kölpin. 11. Über Bulbärpara-
lyse bei Lipomatose, von Osann. 12. Deux observations cljniques de paralysie pseudo-
bulbaire sans paralysie des membres, par Lamy, 13. I. Über die ErVsche Krankheit
(Myasthenia gravis), von Albertoni. II. Klinischer Beitrag zur Kenntnis der Erb-Goldflam-
schen Krankheit, von Levi. 14. Über die „myasthenische Paralyse“ im Anschluß von zwei
Fällen, von v. Kelly. 15. Deux cas de myasthenie bulbospinale, par Raymond et Lejonne.
16. Myasthenia gravis pseudo-paralyti ca, von Sitsen. 17. Eine Serie mißbildeter Knaben
von einem Elternpaar, von Sippel. 18. Ein Fall von angeborener familiärer Ankylose der
Fingergelenke, von Goldflam. 19. A case of family atrophy of the peroneal type, by Walton.
20. Beiträge zur Nosographie und Histopathologie der amaurotisch-paralytischen Idiotie¬
formen, von Schaffer. 21. A contribution to the study of amaurotic family idiocy ; by
Poynton, Parsons and Holmes. 22. Familiäre, paralytisch-amaurotische Idiotie und familiäre
Kleinhirnataxie des Kindesalters, von Higier. 23. Ein Fall von Tay -Sach’scher familiärer
amaurotischer Idiotie, von Huismans. 24. A family form of progressive muscular atrophy
beginning late in life, by Browning. 25. Pathologisch-anatomischer Befund in einem weiteren
Falle von familiärer spastischer Paraplegie, von Newmark. 26. Un cas de myotonie con¬
genitale, par Meeus. 27. Fall von Myotonie, von Mann, 28. Über atypische Formen der
Thorasen'schen Krankheit (Myotonia congenita), von Pelz. 29. Psychische Störungen bei
Thomsen'scher Erkrankung, von Wedenski und Sachartschenko. 30. Nystagmus essential
familial, par Apert et Dubuse. 31. Erbliches Zittern, von Neisser. — Psychiatrie. 32.. Bi-
drag tili kännedomen om sinessjuk domarnas familiära uppträdande, afVestberg. 33. Über
die Abgrenzung und die Grundlagen der Zwangsvorstellungen, von Friedmann. 34. Gicht
und Psychose, von Mendel.
III. Biblographie. 1. Die Trunksucht und ihre Abwehr. Beiträge zum gegenwärtigen
Stande der Alkoholfrage, von Baer und Laquer. 2. Arthur Schopenhauer. Seine wirklichen
und vermeintlichen Krankheiten, von W. Ebstein. 3. Chr.D.Grabbes Krankheit, von E. Ebstein.
4. Der Schmerz. Eine Untersuchung der psychologischen und physiologischen Bedingungen
des Schmerzvorganges, von Meyer. 5. Verdeutschungsbücher des Allgemeinen Deutschen
Sprachvereins. VIII.: Die Heilkunde. Verdeutschung der entbehrlichen Fremdwörter aus
der Sprache der Ärzte und Apotheker, bearbeitet von Kunow.
IV. Aus den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein zu Berlin.
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I. Originalmitteilungen.
1. Zum Andenken an Emanuel Mendel. 1
Von Th. Ziehen.
Hochgeehrte Kollegen! Unsere Gesellschaft und mit ihr die Wissenschaft
hat einen schweren Verlust erlitten. Emanuel Mendel ist am 23. Juni von
einem qualvollen Leiden durch den Tod erlöst worden.
Sein Andenken ist in den letzten Tagen vielfach gefeiert worden, dabei ist
vor allem mit Recht seiner Persönlichkeit gedacht worden. Heute UDd an dieser
Stelle ist es angebracht, vorwiegend des Forschers zu gedenken.
Schon sehr frühe hat er sich unserer Wissenschaft zugewandt Er ist nie¬
mals wie die meisten von uns Assistent einer Klinik gewesen, sondern aus kleinen
Anfängen hat er sich als selbstgeschaffener Mann allmählich hinaufgearbeitet zu
seiner wissenschaftlichen Höhe.
Als er im Jahre 1860 seine Studien vollendet hatte, siedelte er sich in
Pankow an und war hier und in den umliegenden Dörfern als Landarzt tätig.
Damals schon war seine ganze freie Zeit der Neurologie und Psychiatrie gewidmet,
und diesem Streben ist er Zeit seines Lebens treu geblieben.
In erster Linie beschäftigte er sich mit der Psychiatrie — und sie ist stets
sein Lieblingskind geblieben. Sie verdankt ihm seine größten Leistungen. Um
seine Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Psychiatrie zu verstehen,
muß man die Lage unserer Wissenschaft zu der Zeit, wo Mendel zum ersten
Male wissenschaftlich auftrat, in Betracht ziehen. Mit Gbiesingeb war die
Psychiatrie plötzlich zu ungeahnter Höhe gefördert worden, aber nach dieser
Hochwelle trat eine starke Ebbe ein.
Es war der Zug der Zeit, daß man sich mehr der Neurologie zuwandte.
Es schien, als sollte die Rückenmarksseele die Gehirnseele verdrängen. Die
Arbeiten aus der damaligen Zeit betrafen wesentlich die Anatomie, die Physio¬
logie und die Pathologie des Nervensystems, die Psychiatrie wurde etwas stief¬
mütterlich behandelt. Da war es Mendel, der die Kontinuität der Entwicklung
der Psychiatrie aufrecht erhielt
Gerade zu der Zeit, in der die Neurologie etwas einseitig vorherrschte, bat
er seine größten und grundlegendsten psychiatrischen Arbeiten geschrieben. Ich
erinnere Sie namentlich an seine beiden großen Monographien: diejenige über
die progressive Paralyse und diejenige über die Manie.
Es war in Deutschland damals geradezu unerhört, daß klinische Monographien
über Psychosen geschrieben wurden.
Fast nur die Illenauer Schule, Schule und Kbafft-Ebing wagten sich
an solche Aufgaben. Für Norddeutschlaud war diese klinische Behandlung
1 Gedenkrede, gehalten am 8. Juli 1907 in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie
und Nervenkrankheiten (abgekürzt nach einem Stenogramm).
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einzelner Psychosen, wenn wir von Kahlbaum absehen, etwas ganz Neues. In
den älteren psychiatrischen Arbeiten sucht man meist vergebens nach einer
sorgfältigen Besprechung der Differentialdiagnose, der pathologischen Ana-
tomie usf.
Wir können sagen, Mendel hat die psychiatrische Monographie für Deutsch¬
land erst geschaffen.
Ich will nur mit einigen Worten auf die erste dieser Monographien, die
Progressive Paralyse der Irren aus dem Jahre 1880, zurückkommen. Freilioh
war diese Krankheit schon sehr lange bekannt, aber ein so umfassendes Studium
war dieser Krankheit bislang noch nicht gewidmet worden; es gab viele einzelne
Arbeiten, aber eine zusammenfassende Monographie fehlte. Mendel hatte
300 Fälle und 60 Sektionen zur Verfügung, und wie hat er diese 300 Fälle ver¬
wertet! Unendlich bereichert ging die Symptomatologie der Krankheit aus seinen
Beobachtungen hervor! Nicht weniger förderte er die pathologische Anatomie
der Paralyse. Allerdings hat auch Mendel mit seinen pathologischen Forschungen
noch nicht die volle Aufklärung über das Wesen der Krankheit gebracht. Es
ist Ihnen bekannt, daß er als das wesentliche Substrat der Krankheit eine diffuse
interstitielle kortikale Encephalitis mit Ausgang in Hirnatropliie annahm. Diese
Auffassung ist allerdings nachträglich durch die späteren Forschungen berichtigt
worden, sie enthielt nur einen Teil der Wahrheit; aber jedenfalls hat er eine
wichtige Seite des pathologisch-anatomischen Prozesses zum ersten Male gründ¬
lich und exakt geschildert und in ihrer Wichtigkeit zur Geltung gebracht. Was
die Ätiologie der Dementia paralytica anbelangt, so hatte schon Kjelbebg vor
Mendel behauptet, daß die Syphilis für die Entstehung der Paralyse eine
ätiologische Bedeutung habe. Im Jahre 1880 gab es indes noch viele Gegner
dieser Meinung, Kjelbebg’s Ansicht stieß bei Foubnieb, Westphal u. a. auf
lebhaften Widerspruch; da war es Mendel, der in überzeugender Weise sein
Material zugunsten der KjELBERG’schen Lehre vorbrachte. Damals stand das
Zünglein der Wage sehr schwankend, erst Mendel’s Arbeiten haben der richtigen
Anschauung Bahn gebrochen.
Auch in der Darstellungsweise bedeutete die MENDEL’sche Monographie einen
Fortschritt. Wenn Sie die Arbeiten der Jahre 1860 bis 1880 betrachten, so
finden Sie vielfach ein Überwuchern unklarer Vorstellungen und Phrasen. Mendel
war es, der mit diesen scheinbar geistreichen Vergleichen aufräumte und den
schwierigen Stoff mit klaren einfachen Worten natürlich und sachlich behandelte,
ich möchte sagen in naturwissenschaftlicher Sprache.
Dasselbe gilt von seiner Monographie über die Manie aus dem Jahre 1881.
Gbiesingeb, der in vielen Beziehungen Mendel’s Vorbild war, hatte schon
die Manie in übersichtlicher Weise skizziert, aber es war Mendel Vorbehalten,
das von Gbiesengeb geschaffene Bild auszugestalten. Die Fixierung des Be¬
griffes der Manie, wie er jetzt in Deutschland feststeht, verdanken wir zu einem
großen Teil Mendel.
Es sei mir gestattet, aus der Fülle seiner psychiatrischen Arbeiten noch
einen kleinen unscheinbaren Aufsatz herauszugreifen, weloher in der 1. Auflage
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644
der Eulen bdRG’ schen Real- Ency klopädie erschienen ist. Ich meine den Artikel
über die Paranoia.
Seine Darstellung dieser Psychose deckt sich im wesentlichen mit derjenigen,
wie sie Westphal und Griesinger vor ihm bereits gegeben hatten, aber er
war es, der das, was über diese Krankheit bereits veröffentlicht war, zusammen-
faßte und den Begriff der Paranoia zum ersten Male des genaueren umschrieb.
Vogel hatte das Wort Paranoia bereits im Jahre 1764 verwandt, Hein-
both hatte 1818 versucht, eine genaue Definition zu geben. Später verlor sich
dieser Begriff, und man half sich mit anderen Ausdrücken, wie „Verrücktheit“,
„Wahnsinn“ usf. Keiner dachte sich dasselbe darunter wie der andere. Bei
dieser verworrenen Lage hat Mendel unserer Wissenschaft einen großen Dienst
geleistet, indem er nicht nur eine sehr präzise Darstellung der Krankheit gab,
sondern auch mit sicherem Sprachgefühl und historischem Takt einen zweck¬
mäßigen Namen vorschlug. Sein Verdienst ist hier kaum geringer als dasjenige
Waldeyeb’s bei der Schaffung des Neuronbegriffes. In beiden Fällen lagen
zahlreiche Vorarbeiten vor, aber die Zusammenfassung der Vorarbeiten in einem
glücklich gewählten Terminus stand noch aus.
Es gibt kaum ein Gebiet der Psychiatrie, welches Mendel nicht in kleineren
Abhandlungen bearbeitet und gefördert hätte. Sein Name ist mit der Ent¬
wicklung der klinischen Psychiatrie in den letzten 30 Jahren untrennbar ver¬
wachsen.
Und nun zur forensischen Psychiatrie!
Diese hat als Gebiet aus dem praktischen Leben ihm als Praktiker be¬
sonders nahe gestanden. Er hat ihr eine große Anzahl von Einzelarbeiten ge¬
widmet, welche von größter Bedeutung für die Entwicklung dieses Spezial-
faches waren.
Auch um das Verdienst dieser Arbeiten zu würdigen, muß man sich in die
damalige Zeit zurückversetzen. Der Philosoph Lange hat einen sehr bemerkens¬
werten Aufsatz in der Zeitschrift für Staatsarzneikunde im Jahre 1858 ver¬
öffentlicht, in dem er auseinandersetzt, wieviel unklare metaphysische Begriffe
sich in die damalige forensische Psyohiatrie eingeschmuggelt hatten. Mit dem
Kant 'sehen Begriff der Willensfreiheit wurde ein Unfug getrieben, den Lange
als „juristisches Pfaffentum“ mit den schärfsten Worten geißelt. Gbiesinger
und Westphal kamen über anderen Arbeiten nicht zu einer eingehenden Be¬
schäftigung mit der forensischen Psychiatrie. Mendel war es, der es zuerst
aussprach und immer wiederholte, daß metaphysische Begriffe wie freier Wille usf.
nicht in die Psychiatrie hineingehören.
Und diese Arbeit war nicht vergeblich. Wenn wir heute auch auf forensisch-
psychiatrischem Gebiete naturwissenschaftlich denken und uns kaum mehr in
die Denkweise eines Ideleb und anderer zurückversetzen können, so verdanken
wir dies zum guten Teil dem Wirken und Lehren Mendel’s.
Erhebliche Verdienste hat sich Mendel auch auf dem Gebiete der Neuro¬
pathologie erworben. Größere neuropathologische Werke hat er allerdings
nicht geschrieben. Er verstand es aber wie kein anderer mit knappen Worten
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ein klares Bild einer Nervenkrankheit zu entwerfen. Seine Arbeiten über Hemi-
atrophia facialis, seine Epilepsiearbeiten, insbesondere diejenigen über Epilepsia
tarda, seine Abhandlungen über diphtherische Lähmungen, Hirnhämorrhagie
and viele andere sind fast durchweg Kabinettstücke klinischer Darstellung.
In erste Linie möchte ich namentlich die Arbeiten über Epilepsie nennen,
mit denen er auf seine Doktorarbeit aus dem Jahre 1860 zurückgriff, die den
Titel trug: „De operationibus ad sanandam epilepsiam adhibitis.“ So bat er
allenthalben eingreifend, allenthalben fördernd auch der Neuropathologie große
Dienste geleistet.
Schließlich ist noch ein Gebiet zu nennen, auf dem er ganz besonders
segensreich gewirkt hat, es ist das Gebiet der Himanatomie. Es sind allerdings
keine großen anatomischen Entdeckungen gewesen, die sich an den Namen
Mendel’s knüpfen, aber didaktisch hat er die Hirnanatomie uns eigentlich erst
eröffnet Meynebt hatte schon ein geniales Bild des Hirnbaues gegeben, aber
in fast hieroglyphischer Dunkelheit. Webnicke hatte einen breiten klaren Weg
in dies unbekannte Gebiet gebrochen. Aber wenn auch ein Weg gebahnt war,
vielen fehlte doch der Führer. Mendel hat in seinen Vorlesungen über Hirn¬
anatomie unzählige junge Forscher auf dem Weg der Hirnanatomie geführt.
Viele von Ihnen werden sich der Vorlesungen von Mendel erinnern! Mit
welch wunderbarer Klarheit und Anschaulichkeit hat er diese verwickelten
Tatsachen vorgetragen! Ohne wohlfeiles Prunken mit gelehrten Einzelheiten
wußte er das Wesentliche klar und interessant darzustellen und durch Demon¬
strationen auch den bequemsten Zuhörer zum Mitarbeiten zu zwingen.
Ich habe noch ein Werk nicht genannt, das ist seine „Psychiatrie“. Sie ist
im Jahre 1902 zuerst erschienen und ist nach dem Urteil vieler Forscher, auch
nach meinem eigenen, nicht in dem Maße bekannt geworden, wie sie es verdient
Gewiß, es ist anders geschrieben als die meisten anderen psychiatrischen Lehr¬
bücher. Es dient nicht einer neuen Idee und damit einer bestimmten Tendenz,
sondern es ist ein Buch, das den Stand unserer gegenwärtigen Kenntnisse in
der Psychiatrie knapp und bestimmt darstellt. Sehr kurz ist manche Krank¬
heit abgehandelt, aber man könnte nicht sagen, daß etwas Wesentliches fehlt,
höchstens ist die Dementia praecox etwas zu kurz gekommen, einige Namen
können Sie vielleicht beanstanden, wie das Delirium hallucinatorium oder die
Paranoia rudimentaria, aber hiervon abgesehen gibt es kaum ein einziges Lehr¬
buch, welches den Studenten die psychiatrischen Tatsachen so korrekt und so
sachlich vorführt.
Alle die genannten Gebiete umfaßt eine Schöpfung Mendel’s, welche er
uns im Jahre 1882 gegeben und zu langem Fortbestehen hinterlassen hat, das
Neurologische Centralblatt. Vielen von uns ist es ein Führer in der ersten Zeit
der wissenschaftlichen und praktischen Tätigkeit gewesen. Viele von uns haben
an ihm mitgearbeitet und sind stolz auf diese Mitarbeit
Es war in Deutschland Unsitte geworden, daß literarische Vorarbeiten,
namentlich solche des Auslandes, kaum erwähnt, geschweige denn berücksichtigt
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646
wurden. Mendel bat durch Schaffung des Centralblatts Gelegenheit gegeben,
die psychiatrische und neurologische Literatur fortlaufend zu verfolgen.
Schließlich darf ich noch gedenken, daß Mendel auch dieser Gesellschaft
angehörte, und daß er in fast 40 Jahren treu der Gesellschaft, auch in schweren
Zeiten, zur Seite gestanden hat Als Mitglied und als Vorsitzendem schuldet
ihm die Gesellschaft ganz besonderen Dank.
Und non kann ich meinem Vorsatz doch nicht treu bleiben und kann
an der Persönlichkeit Mendel’s auch hier nicht ganz vorübergehen. Unsere
intellektuellen Leistungen umfassen nur eine so kurze Strecke Wegs; was wir
selbst leisten und von Leistungen anderer kennen lernen, ist im Vergleich zu
dem, was zu leisten ist und was geleistet werden wird, so wenig, daß es wirklich
nicht lohnen würde, diesen kleinen Weg überhaupt zu gehen, wenn nicht
unsere intellektuellen Leistungen, unser Forschen und Arbeiten von Gefühlstönen
der Begeisterung, Freundschaft, Frohsinn begleitet wären. Und dies war bei
Mendel reichlich der Fall. Die gemütvolle, gefühlswarme Persönlichkeit machte
uns die Leistungen des Forschers doppelt lieb.
So soll er auch in unserer Erinnerung stehen und fortleben, nicht nur als
der bedeutende Forscher, sondern auch als der edle und treue Kollege und Freund.
2. Ein Fall von dauernder hysterischer „Retentio urinae“.
Von Dr. J. Baimist,
dirigierender Arzt der Nervenabteilung des
Jüdischen Krankenhauses in Odessa.
Die kurzdauernde Retentio urinae, als Symptom der Hysterie, gelangt nicht
selten zur Beobachtung; dagegen tritt sie als eine langdauernde Erscheinung
nicht so häufig auf.
Bins wangeb, der in seiner Monographie: „Die Hysterie“ die Frage, ob
„ein Zustand von Ischurie auch infolge einer Parese des Detrusor vesicae Vor¬
kommen kann“ für fraglich hält, 1 äußert sich bei der Besprechung über den
Blasenkrampf, der in schweren Fällen von Hysterie zu völliger Retentio urinae
führt, folgendermaßen: 1 „Bei hartnäckigen inveterierten Fällen kann dieser
Blasenkrampf wochenlang* bestehen, und kann der Urin nur durch regel¬
mäßiges Katheterisieren entfernt werden.“
Dejebine 3 behauptet, daß in den meisten Fällen die hysterische Retentio
urinae ein oder zwei Tage dauert 2 ; er erinnert aber an einen Fall von
Zuckebkandl, wo es sich um eine hysterische Kranke handelte, bei der Retentio
urinae im Krankenzimmer während 1 x j t Jahren beobachtet wurde; die Kranke
wurde mehrmals täglich katheterisiert, und allein die ausgesprochene Drohung,
sie einem operativen Eingriffe auszusetzen, genügte, um dieses Symptom in
wenigen Stunden zu beseitigen.
1 Binswangeb, Die Hysterie. Nothnagels Handbuch. S. 574.
4 Im Original nicht gesperrt.
3 Traite de pathologie generale. V. S. 1075.
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Infolge der schon erwähnten geringen Häufigkeit der Fälle von langandauernder
hysterischer Retentio urinae sei es mir gestattet, folgende Beobachtung zu ver¬
öffentlichen.
Am 18./VI. 1906 wurde in der Nervenabteilung des Israelitischen Kranken¬
hauses zu Odessa ein Kranker R. aus Kischinew aufgenommen, ein 16jähriger
Jude, einziger Sohn von gesunden Eltern. (Die Eltern hatten sonst keine Kinder
mehr.) Während der Metzeleien in Kischinew (April 1903) versteckte sich der
Kranke zusammen mit anderen 13 Glaubensgenossen in einem Keller, wo er
ebenso wie alle anderen 3 Tage ohne Nahrung und Getränk verbrachte. Der
Patient stieg in ein Faß, welches er von Zeit zu Zeit verließ, um durch eine
Spalte auf die Straße hinauszusehen. Voll Angst fürs Leben, hörte er öfters
(ebenso wie alle anderen) die Annäherung der Plünderer. Der Kranke behauptet,
während dieser 3 Tage nicht geschlafen zu haben und soll auch weder uriniert,
noch Stuhlgang gehabt haben. Eine Woche später, nachdem er den Keller ver¬
lassen hat, fing er an, über Schmerzen und Lastgefühl in den Beinen zu klagen.
Das Gehen wurde zuerst erschwert, dann erschienen an den Beinen Krämpfe,
schließlich verloren nach 2 Wochen die Beine vollkommen ihre Bewegungsfähig¬
keit. Den Beschreibungen des Kranken und seiner Mutter nach sollen die Beine
in allen Gelenken gebeugt gewesen sein. Die Lähmung und die von Zeit zu Zeit
entstehenden Schmerzen an den unteren Extremitäten dauerten 2 Jahre und vier
Monate lang. Im Verlaufe dieser Zeit verbrachte der Patient 5 Woohen in einer
der therapeutischen Abteilungen des Odessaer Jüdischen Eirankenhauses, welches
er (seiner und seiner Mutter Behauptung nach) in unverändertem Zustande ver¬
ließ (das Journal war leider nicht aufzufinden). Nach Ablauf der obenerwähnten
Zeit (2 1 / 3 Jahre) fingen die Schmerzen und die Beugestellung der Beine an nach¬
zulassen, die willkürlichen Fußbewegungen kehrten wieder zurück und 2 Monate
später konnte der Patient wieder schmerzlos und frei laufen.
Im August 1904, als die Lähmungserscheinungen noch bestanden, und als er
eines Tages im Garten zu Bett lag, fühlte er plötzlich starkes Herzklopfen. Drei
Stunden später versuchte er den Urin zu entleeren, der Versuch aber war ihm
mißlungen. Erschrocken suchte er einen Arzt auf, nach dessen Rate er sofort
ins Krankenhaus transportiert wurde. Während Beines 4 monatlichen Aufenthaltes
wurde er 2 mal täglich katheterisiert. Nach dem Verlassen des Krankenhauses
katheterisierte der Patient sich selbst mehrmals täglich (den Behauptungen des
Kranken und seiner Mutter nach). Als ich den Katheter mir zeigen ließ, zog
der Patient aus der Tasche ein schmutziges Taschentuch, in welchem er den
Katheter aufbewahrte; er erklärte dabei, daß er den Katheter immer in der
Tasche in einem Tuche trägt, und daß er jedesmal vor dem Gebrauche ihn mit
Öl zu beschmieren pflegt.
Der Kranke ist von mittlerem Wüchse und in mittlerem Ernährungszustände.
Das Gesicht und seine Figur machen fast immer den Eindruck von Ängstlichkeit
und Zerstreutheit. Jedesmal, wenn der Arzt sich ihm zum Untersuchen oder zum
Sprechen nähert, prallt der Patient oft und (seiner Behauptung nach) ganz un¬
willkürlich bald gänzlich zurück, bald zieht er den untersuchenden Körperteil
zurück. 1
Die rechte Schädel- und Gesichtshälfte ist kleiner, als die linke; auch sind die
rechten Extremitäten ihrer ganzen Länge nach 1—1 l / i cm dünner, als die linken;
1 Ein solcher Ausdruck des Gesiebtes und der Figur und ein ähnliches Reagieren auf
Untersncbangsversuche sind in Rußland nicht selten zu beobachten bei den kranken Juden
(besonders während der letzten Jahre und vorzugsweise bei Einwohnern der kleinen Städte).
Das kann meiner Meinung nach teilweise wenigstens erklärt werden: 1. durch das Gefühl
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1
so mißt beispielsweise die Mitte des rechten Unterarmes 18cm, linkB 19cm.
Das linke obere Augenlid ist etwas tiefer gesunken, als das rechte; der linke
Augapfel ist etwas höher als der rechte, was besonders auffallend ist bei Be¬
wegungen der Augen nach oben und unten.
Bei der Konvergenz erweist sich eine Insufficienz bald des einen, bald des
anderen Rectus internus. Die Pupillen sind etwas weiter als in der Norm, sie
reagieren auf Licht gut, bei Akkommodation träge. Der obere innere Teil der
Iris ist bedeutend schmäler, als der untere äußere; am rechten Auge ist das mehr
ausgesprochen als am linken. Der Konjunktival- und Kornealreflex +; der
Pharyngealreflex gesteigert, die Sehnen* und Periostalreflexe an den oberen and
unteren Extremitäten normal. Die Bauch- und Kremasterreflexe gleich, auf
beiden Seiten sehr gesteigert. Der Plantarreflex fehlt rechts, links äußert er sieb
zuweilen in Form eines schwachen BiegenB der Zehen, mitunter fehlt er gänz¬
lich. Deutliche Dermographie. Das Tastgefähl ebenso wie die Schmerz- and
Temperaturempfindung in normalen Grenzen. Die Lage der Extremitäten and
deren passive Bewegungen werden vom Kranken an den Fingern und Zehen nicht
empfunden; die Empfindung verbessert sich in der Richtung zu den großen Ge-
O.S. o.d.
Gesichtsfeld für Weiß (das Gesichtsfeld für die anderen Farben unterscheidet sich nur
wenig von dem für Weiß). £•
lenken. Die Untersuchung des stereoguostischen Gefühles erweist keine Ab¬
weichungen. (Die Untersuchung aller erwähnten Empfindungsarten wurde mehr¬
mals mit denselben Resultaten ausgeführt.) Die rohe Kraft der Muskeln bietet
nirgends Abweichungen dar. Der Gang ist regelmäßig. Steifigkeit nicht vor¬
handen. Centrale Sehschärfe normal. Augenhintergrund normal. Für die Unter¬
suchung der Sehschärfe des Augenhintergrundes ist es mir eine willkommene Pflicht,
Herrn Dr. L. Rosenfeld meinen Dank hier auszusprechen.
Indem ich die tabellarischen Ergebnisse der Untersuchungen des Gesichts-
der beständigen Unsicherheit zu Hause und auf den Straßen, 2 durch die, dank diesem, er¬
zeugte Notwendigkeit, immer mit jenen Gefühlsorganen zu arbeiten, die eine annähernde Un¬
annehmlichkeit anzuzeigen vermögen, und durch die Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit dem¬
gemäß zu zerstreuen, 3. durch das Immerbereithalten des leicht erregbaren Apparates, der
ihm der drohenden Unannehmlichkeit zu entweichen verhelfen soll.
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feldes anführ©, halte ich für notwendig zu bemerken, daß dem Kranken aus¬
drücklich erklärt wurde, was er zu notieren hat. Es wurden wiederholte Unter-
A.
Die Ergebnisse der kampimetrischen Untersuchung in Centimetern gemessen
bei Abstand des Auges des Patienten vom Kampimeter *= 30 cm,
B.
Dieselben Ergebnisse in Winkeln gemessen.
suchungen vorgenommen, und alle ergaben mit geringen Abweichungen dieselben
Resultate.
Bei der Untersuchung des Gesichtsfeldes mit weißer Farbe ließ sich der
Moment notieren, wo der Patient den Eindruck von irgend etwas sich Bewegenden
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650
bekam; bei Untersuchungen mit anderen Farben der Moment, wann die ent¬
sprechende Farbe im Gesichtsfelde erschien. Der Durchmesser des Perimeters
betrug 70 cm, die Oberfläche des Probierpapiers 1 qcm (s. die Tabellen).
Außer der perimetrischen Untersuchung wurde auch die kampimetrische
Untersuchung ausgeführt (mit weißer Farbe), deren Ergebnisse im allgemeinen
mit denen der perimetriBchen übereinstimmen; sie werden hier angeführt. Zuerst
wurde die Untersuchung nach Schmidt-Rimplee 1 bei großem Abstand des Auges
vom Kampimeter (30 cm) ausgeführt und dann bei kleinerem (20 cm). Die Tat¬
sache, daß bei Verminderung der Entfernung des Auges vom Kampimeter das
Gesichtsfeld enger wird, veranlaßt nicht, an Täuschungen seitens des Kranken zu
denken. Die konstatierte konzentrische Gesichtsfeldeinengung möchte ich als
hysterische betrachten.
Schon die obenerwähnten Angaben über die Ursache, die Art der Entstehung
und des Verlaufes der Lähmung der unteren Extremitäten veranlassen die An¬
nahme, daß man es mit einem hysterischen Symptom zu tun gehabt hat. Auch
die schon am ersten Tage des Aufenthaltes im Krankenhause entdeckte Gesichts¬
fel deinengeung an beiden Augen (bei grober Untersuchung) machten die Voraus¬
setzung wahrscheinlich, daß beim Pat. noch eine Reihe funktioneller Symptome
auftreten kann. Deshalb und auf Grund der Entwickelungsart der Retentio urinae
hielt ich auch dieses Symptom für funktionell.
Es wurde dem Kranken mitgeteilt, daß er am nächsten Tage elektrisiert
werden muß, und daß er sogleich imstande sein wird, den Urin zu lassen. Unter¬
dessen schlug ich ihm vor, er möchte demonstrieren, in welcher Weise er sich
zu katheterisieren pflegt. Es wurde ihm mit gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln
ein Katheter aus dem Krankenhause gegeben (sein eigener wurde ihm selbst¬
verständlich weggenommen), und sofort führte er diesen ohne jede Schwierigkeit
oder Klagen über Schmerzen fast gänzlich ein und entfernte den Urin.
Am nächsten Tage, während des beharrlich von Hrn. Assistenzarzt Dr. Schapero
mittels eines Pinsels ausgeführten Faradisierens des Dammes und der Regio
suprapubica, versuchte der Kranke mehrmals in den ersten 15 Minuten Urin zu
lassen (mit sichtbarer Anstrengung und mit Klagen über Schmerzen der Harn¬
röhre entlang), aber erfolglos. Alsdann während der übrigen 15 Minuten des
Faradisierens fing er an in den Pausen Urin zu lassen teils tropfenweise, teils
in größeren Mengen; das Gesicht ließ dabei starke Schmerzen erkennen, die der
Patient in die Harnröhre lokalisierte. Im ganzen entleerte er willkürlich 300 ccm
Urin (zum ersten Mal seit 1 Jahr 10 Monaten). Bei folgendem täglichem Fara-
disieren genügte es schon 15—10 und sogar 3 Minuten, um nach etlichen Ver¬
suchen das spontane Urinablassen hervorzurufen. Eine Woche später, während
der folgenden Sitzungen, wurde nur des Pinsels auf die erwähnten Gebiete an¬
gelegt, ohne daß der Strom ihn durchlief; der Patient hörte nur das Geräusch
des vibrierenden Plättchens des Apparates, und das genügte, um den gewünschten
Erfolg zu erreichen. Noch 2 1 / 2 Wochen später fing der Patient an in Gegen¬
wart des Arztes ohne Anwendung des Pinsels Urin zu lassen, nur bei der Drohung,
das schmerzhafte Faradisieren anzuwenden. In den letzten zwei Wochen (der
Patient verließ das Krankenhaus am 20./VII. 1906) urinierte er 2—3 mal täglich,
zuweilen auch des Nachts unabhängig von der Anwesenheit des Arztes, und nur
der Notwendigkeit den Harn zu entfernen gehorchend. Während der ersten
3 Wochen spannte der Kranke beim Urinieren stark die Bauchdecken, das Ge¬
sicht wurde rot und mit großen Tropfen Schweiß bedeckt; nach einigen An¬
spannungen träufelte bald der Urin, bald floß er 10—15 Sekunden, dann folgten
von neuem etliche vergebliche Versuche, es zeigten sich wiederum Tropfen usw.
1 Bisswangbr, op. cit. S. 208.
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Während des Urinierens äußert das Gesicht intensive Schmerzen, die der Patient
in die Harnröhre lokalisiert; spricht man aber während des Urinierens mit dem
Kranken, so läßt er den Urin bei geringerer Spannung und ohne Klagen, auch
das Gesicht bleibt dann ganz ruhig. Mit der Zeit nahmen die Spannung und
die Schmerzen an Intensität mehr und mehr ab, und die letzte Zeit fehlten sie
BOgar gänzlich.
In den ersten Tagen erreichte das Quantum des während einer Sitzung des
FaradisierenB entleerten Urins 300—400 ccm, dann fing es an zuzunehmen und
schwankte zwischen 600 und 700 ccm. (Dieselbe Zahl innerhalb 24 Stunden blieb
auch, wenn man aufhörte den Patienten zu elektrisieren.) Versuchte manchmal
der Arzt nach dem Elektrisieren den Patienten zu katheterisieren (vollständig
schmerzlos), so gelang es ihm nie Urin zu erhalten. Der Patient wurde einer
strengen Aufsicht, ohne daß er davon wußte, ausgesetzt, und es erwies sich, daß
er außerhalb der Sitzungen weder willkürlich noch unwillkürlich urinierte. Zu¬
weilen fühlte der Kranke während des ganzen Tages kein Bedürfnis Urin zu
lassen, und zwar sagte er dann: „ich habe heute keinen Harn“; er pflegte sehr
erstaunt zu sein, als er nach der Sitzung urinierte. Dagegen erwartete er manchmal
mit Ungeduld die Zeit des Elektrisierens, behauptend, er habe viel Urin und
fühle Bedürfnis ihn zu entleeren. Diese Behauptungen waren unabhängig vom
Quantum des Urins.
Während des Tages pflegte der Patient 3 Glas Milch, eine Tasse Bouillon,
2 Glas Tee und manchmal noch 1—2 Glas Selters zu trinken. Während der
ersten Woche seines Aufenthaltes im Krankenhause war die Reaktion des Urins
bald neutral, bald schwach alkalisch, während der übrigen Zeit neutral oder etwas
sauer.
Das spezifische Gewicht schwankte zwischen 1006 und 1015. Eine Abhängig¬
keit des spezifischen Gewichtes vom Harnquantum gelang es nicht festzustellen. Die
chemische Untersuchung des Urins erwies am ersten Tage von pathologischen Be¬
standteilen nur schwer bemerkbare Spuren von Eiweiß; bei den folgenden Unter¬
suchungen fehlten auch diese. Die mikroskopische Untersuchung zeigte nichts
Besonderes.
Am 5./X. 1906 teilte mir der Patient aus Kischinew schriftlich mit, daß
er jetzt frei und schmerzlos uriniert, ohne den Katheter zu gebrauchen.
Die Art und Weise der Entstehung und des Verschwindens der geschilderten
Retentio urinae gestattet mir dieses Symptom als hysterisches anzusehen.
Der beschriebene Fall bietet meiner Meinung nach in folgenden Punkten
Interesse dar:
1. in der Dauer der hysterischen Retentio urinae;
2. in dem schnellen Verschwinden dieses Symptoms;
3. in der Abwesenheit einer Erkrankung der harnableitenden oder harn-
secernierenden Wege trotz des wiederholten Katheterisierens während l l / 2 Jahren
mittels eines schmutzigen Katheters (die 4 Monate, welche der Patient im Kranken¬
hause verbrachte, wo er selbstverständlich mit gewissen Vorsichtsmaßregeln
katheterisiert wurde, rechne ich nicht mit);
4. in der Verminderung des täglichen Harnquantums, und
5. in der konzentrischen Gesichtsfeldeinengung, die in solcher Intensität
nicht häufig zur Beobachtung gelangt.
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3. Über Reizungen des Kleinhirns.
Von Ä. Lourie.
Das Großhirn ist bis heute noch Gegenstand zahlreicher Untersuchungen
und Forschungen und immer noch ein Gebiet, das der Aufklärung und näherer
Erläuterungen bedarf; doch ist es eine feststehende Tatsache, daß wir im Gro߬
hirn Centren, ganz genau bestimmte Lokalisationen für die Bewegungen von
Arm, Bein usw. haben.
Nun wollen einige Forscher, besonders in der letzten Zeit, das Kleinhirn,
über dessen Funktion unsere Kenntnisse in noch fast völliges Dunkel gehüllt
sind, und über dessen Bedeutung und Bestimmung wiederholt die mannig¬
faltigsten Hypothesen aufgestellt wurden, als das Hauptorgan für die Bewegungen
ansprechen. Sie suchen auf Grund ihrer experimentellen Forschungen den Be¬
weis zu liefern, daß wir auch hier eben solche Centren, genaue Lokalisationen
für die motorischen Funktionen der Arme, Beine usw. haben. Die ersten
experimentellen Untersuchungen auf diesem Gebiete hat Renzi 1 im Jahre 1864
angestellt, indem er versucht hat, das Kleinhirn der Vögel mittels einer Nadel
zu reizen, bzw. einzelne Teile des Kleinhirns zu entfernen. Seine Resultate waren
jedoch wenig grundlegend und ebensowenig ausschlaggebend; denn bei der
mechanischen Reizung fand er nichts Gesetzmäßiges. Nur bei der Exstirpation
von gewissen Teilen, mit der er sich vorwiegend beschäftigt hat, berichtet er
über Drehungen des Kopfes, des Halses bald nach der einen, bald nach der
anderen Seite, ab und zu über Nystagmus, ohne irgend etwas Positives oder
Feststehendes sagen zu können, wie er sich selbst auBdrückt „Die Seite, auf
der die Störung der Bewegungen eintritt, ist bald die entgegengesetzte, bald die¬
selbe Seite, an der die Kleinhirnsubstanz weggenommen wird, bald die eine,
bald die andere Seite abwechselnd.“
Anders lauten die Ergebnisse des folgenden Forschers. Nothnagel* war
es, der im Jahre 1868 zum erstenmal an die Reizung des Kaninchenkleinhirns
auf mechanischem Wege herangegangen ist. Er stach eine Nadel zwischen
Furche und Hemisphäre ein und fand dabei, daß der Kopf sich nach der ent¬
gegengesetzten Seite drehte, ebenso drehte sich die Wirbelsäule konkav nach
der entgegengesetzten Seite mit wechselnder Intensität, bisweilen so stark, daß
die Schnauze den hinteren Teil des Körpers berührte, auch Bewegungen der
Extremitäten, und zwar der gereizten Seite, will er beobachtet haben. Diese
Versuche hat Nothnagel an etwa hundert Kaninchen angestellt, und zwar immer
mit demselben positiven Erfolg, nur daß die einzelnen Erscheinungen stärker
und schwächer auftraten, immer 1—2 Minuten anhielten, nachdem die Nadel
eingestochen war, und wieder verschwanden, ohne bei den Tieren irgend eine
Störung ihres motorischen Apparates hinterlassen zu haben. Die Tiere waren
1 Annali uuiversali di medizina. 18G4.
* Virchow’s Archiv. 1868.
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653
nach dem Versuch, wie Nothnagel bemerkt, eben so munter wie vor der
Operation.
Diese Versuche von Nothnagel habe ich an mehreren Kaninchen nach¬
gemacht, dabei die peinlichste Sorgfalt beobachtet, in derselben Weise zu ver¬
fahren, wie es Nothnagel angegeben hat. Daß im Versuch immer dieselben
Stellen getroffen wurden, die Nothnagel angegeben hat, bestätigte die nach¬
folgende Sektion jedes einzelnen Tieres.
Bei diesen Versuchen wurden auch bei allen Kaninchen dieselben Resultate
erzielt, wie sie Nothnagel erhalten hat
Auch Lewandowsky 1 bestätigt in seiner Arbeit die Versuche von Noth¬
nagel und teilt seine eigenen Beobachtungen mit über die Wirkung der elek¬
trischen Reizung des Kleinhirns an Händen nach der Ewald sehen Methode,
wie sie dieser Autor am Großhirn angewandt hat Er setzte nämlich einen
Knopf mit Elektroden zwischen linker Kleinhirnhemisphäre und Wurm ein und
erzielte dabei mit starken Strömen eine Zwangsstellung des Hundes nach der
der Reizung entgegengesetzten Seite, d. h. wenn links gereizt wurde, so krümmte
sich die Wirbelsäule mit der Konkavität nach rechts, ferner Heben des linken
Vorderbeins und einige Male horizontalen Nystagmus. Bewegungen im Facialis-
gebiet wurden auch dabei beobachtet. Obgleich man bei dieser Reizung auf
Stromschleifen, bzw. Reizung der Kerne des Acusticus Rücksicht nehmen muß,
so stellte er immerhin fest, daß stärkere Ströme in allen Fällen Zwangshaltung
nach der der Reizung entgegengesetzten Seite bewirken. Ich will hier gleich
bemerken, daß ich auch die Versuche mit dem Ewald sehen Knopf angestellt
habe, und glaube behaupten zu dürfen, daß die Resultate dieser Reizungen kaum
maßgebend und stichhaltig sind, um daraus einen positiven Schluß für die eine
oder andere Seite ziehen zu können, denn die Erscheinungen sind dermaßen
verschiedenartig und unregelmäßig geartet, daß dadurch jegliche Einheitlichkeit
verloren geht. Die Verschiedenartigkeit der Reizerscheinungen erstreckt sich
auch auf die jeweils betroffenen Muskelgruppen. Was mir aber bei diesen
meinen Versuchen aufgefallen ist, und worauf ich später noch einmal zurück¬
kommen werde, ist der Umstand, daß sobald der Strom geschlossen wurde, der
Hund stutzende Bewegungen des Kopfes machte, in der Richtung nach unten,
die im Sinne des Tic rotatoire zu deuten sind. Dieses Symptom trat bei allen
meinen Versuchstieren auf und war in allen meinen Versuchsanordnungen in
derselben exakten und regelrechten Weise zu sehen, während die anderen
Symptome, das Heben des linken Beines, horizontaler Nystagmus, nur einmal
zur Beobachtung kamen. Die Bewegungen des Kopfes, die Krümmung der
Wirbelsäule traten auch nicht immer auf. Speziell sei darauf hingewiesen, daß
die Drehungen des Kopfes und der Wirbelsäule einem dauernden Wechsel der
Erscheinungen unterworfen waren und bald nach der einen, bald nach der
anderen Seite auftraten.
Bevor wir dazu übergehen, unsere weiteren Beobachtungen und Erfahrungen
1 Die Verrichtungen des Kleinhirns. Archiv f. Anatomie u. Physiologie. 1903.
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mitzuteilen, wollen wir die zwei nächsten und. letzten Autoren anführen, die
besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben.
Im Jahre 1901 veröffentlichte Pbuss 1 eine Arbeit über die Lokalisationen
der motorischen Centren der Kleinhirnrinde. In der Tat will Pbuss bei seinen
Versuchen an Hunden festgestellt haben, daß es ganz genau bestimmte Stellen
im Bereiche der Kleinhirnrinde gibt, die für entsprechende Teile des Körpers
maßgebend sind, daß also im Kleinhirn exakte Lokalisationen bestehen, die
sich speziell auf die betreffenden Glieder beziehen. Er faßt seine Resultate mit
den Worten zusammen: „In der rechten Hälfte des Vermis und in der rechten
Kleinhirnhemisphäre liegen die motorischen Centren für die entsprechende
Muskulatur dieser Körperhälfte, in der linken Hälfte für die entsprechende
Muskulatur der linken Seite. Bei Reizung der Pyramis vermis wird der Kopf
und das Auge nach der Reizseite und nach unten gedreht, wobei gleichzeitig
auf derselben Seite eine Pupillenerweiterung, Hebung der Schulter, des Ellen¬
bogens und Spreizung der Finger eintritt. Bei Reizung des Tuber vermis lassen
sich homolaterale Drehung des Kopfes nach der Seite und unten, Exophthalmus,
Mydriasis und Muskelkontraktionen des Nackens, Rückens und der homolateralen
vorderen Extremität konstatieren. Im Declive liegt das Centrum für die Musku¬
latur des Rückens, Lumbalteils und der Extensoren der hinteren Extremität
Im Lobulus semil. infer. findet man Centren, die das Auge nach unten drehen,
ferner die Augenlider schließen und die Schulter bewegen. Der Lobus semil.
sup. beeinflußt die Extensoren der Vorderpfote. Im Lob. quadrang. liegt das
Centrum für die Muskulatur der hinteren Extremität“
Endlich sei noch der letzte Forscher, Adamkiewicz, zitiert, der bezug¬
nehmend auf seine ausführliche Arbeit vom Jahre 1889 2 an der Hand seiner
vierjährigen, mühevollen Experimente dem Großhirn jede andere Funktion außer
der seelischen abspricht. Nur das Kleinhirn sieht er einzig und allein als das
Hauptorgan der Bewegung an.
Unter dem Titel: „Die wahren Centren der Bewegung“ publiziert Adam¬
kiewicz in einer vorläufigen Mitteilung die Ergebnisse seiner in Bälde aus¬
führlich erscheinenden Arbeit, wo er angibt, daß die Oberfläche des Kleinhirns
Sitz der motorischen Funktion sei und Ceutren für die Bewegungen des Kopfes,
Rumpfes und der Extremitäten enthalte. Doch bestimmt er nicht genauer, wo
eigentlich die wahren Centren liegen. Er faßt es kurz folgendermaßen zu¬
sammen:
Auf der Oberfläche des Kleinhirns gäbe es eine Lokalisation der motorischen
Funktionen, und zwar Centren für die Bewegung des Kopfes, Rumpfes und der
Extremitäten. Die Centren hätten eine bestimmte und wohlgeordnete Lage und
befänden sich auf derselben Seite der von ihnen innervierten Muskelgruppen.
1 Prüss, Über die LokalisalioneD der motorischen Centren in der Kleinhirnrinde. Poln.
Archiv f. d. med. u. biolog. Wissenschaft. 1901.
* Die Pathologie der Gehirnkompression. Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissenschaften
zu Wien. Math.-naturwissenschaftl. Klasse. LXXXVIII. S. 113.
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Die Extremitäten seien mit dreifachen Centren bedacht, jede vordere und hintere
Extremität habe ihr eigenes, die beiden vorderen und die beiden hinteren Extre¬
mitäten hätten je ein besonderes und alle vier Extremitäten zusammen noch
ein gemeinschaftliches Centrum. Die vier Extremitäten zusammen seien mit
sieben motorischen Centren ausgerüstet.
Der Vollständigkeit halber seien an dieser Stelle noch die Versuche van Ryn-
berk’s 1 angeführt, der sich mit der Exstirpation von Teilen des Kleinhirns be¬
schäftigt hat, um auf diese Weise die Anwesenheit von Centren festzustellen.
In diesen Versuchen will er ein Centrum für die Halsmuskulatur gefunden
haben und auch eine bestimmte abgegrenzte Stelle im Kleinhirn, von der Be¬
wegungen des Kopfes ausgelöst werden können.
van Rynberk exstirpierte nämlich einen Teil des Kleinhirns beim Hunde,
und zwar denjenigen, der nach dem Schema von Bolk 2 als Lobulus simplex
bezeichnet wird. Aus dem Effekt, den die teilweise Exstirpation dieser Stelle
hervorbringt, schließt er, daß hier die obengenannten Centren liegen.
Das Resultat meiner Reizungsversuche steht nicht im Einklang mit denen
van Rynberk’s, denn bei meinen Reizversuchen mit dem EwAim’schen Knopfe
habe ich die Bewegungen des Kopfes und den Tic rotatoire von einer ganz
auderen Stelle aus bekommen (s. Protokolle), und zwar von dem Gyrus semi-
lunaris inferior aus, wie oben bereits angeführt wurde. Der Lobulus simplex,
von dem aus van Rynberk experimentierte, entspricht dem oberen Teil des
Vermis mit der alten Bezeichnung.
In einer späteren Arbeit 8 sucht van Rynberk nachzuweisen, daß nach
Entfernung des Crus primum des Lobus ansiformis (nach Bolk) Reizerscheinungen
auftreten in Form von Heben des Armes wie zum Gruß (Saluto militare) und
nimmt, auf dieses Ergebnis gestützt, hier ein Centrum für die vordere Extremität
an. Ich habe auch in zahlreichen Reizversuchen Bewegungen der vorderen
Extremität erhalten, wenn auch nicht von einer solchen Intensität, daß sich das
Vorderbein des Hundes bis in die Höhe des Ohres erhob.
Aber nicht nur diese Stelle allein ist spezifisch für die Auslösung dieser
Bewegungen der vorderen Extremität, sondern ich konnte sie auch am Lobus
semilunaris inferior erhalten, wo dieser aus der horizontalen in die vertikale
Partie übergeht und auch von demjenigen Teil des Wurms, der dieser Partie
gegenüberliegt.
Im folgenden Teile der Arbeit mögen die Versuche Platz finden, die aus¬
schließlich an Säugetieren, und zwar vorwiegend an Hunden, wenige auch au
Katzen und Kaninchen angestellt wurden. Die Technik und Anordnung der
Versuche war folgende: In Morphium-Äthernarkose wird das Tier in Bauchlage
auf dem Operationsbrett in der Weise festgebunden, daß die Nackenmuskulatur
1 van Rynbebk, Tentativi di localisazz. fnnzionali nel cerveil. Arch. di Fis. 1904.
* S. van Rynbebk, S. 569.
* van Rynbebk, Tentativi localisazz. funz. nel cervell. Archiv, di Fis. 1904.
November.
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656
gespaunt ist. Nach einem Hautschnitt wird die Nackenfascie freigelegt, die an
der Protuberantia occipitalis beginnt und sich bis zum 3. Halswirbel hinzieht.
Nach Spaltung der Fascie in der Mittellinie wird die Nackenmuskulatur der
einen Seite dem Knochen entlang zur Seite abpräpariert und mit dem Baspa-
torium der Knochen freigelegt, so daß die Schuppe des Hinterhauptbeines frei*
liegt. Von der Mittellinie des Hinterhauptbeines aus wird nun der Knochen
aufgebrochen und zwar so, daß der Wurm and die Hemisphäre sich frei präsen¬
tieren. Beim Aufbrechen der Knochenlamellen stellen sich große Schwierig¬
keiten ein, und zwar in Form intensiver Blutungen, deren Stillung sehr zeit¬
raubend und mühevoll ist Oft gelingt es nur mittels einer lange fortgesetzten
Tamponade der blutenden Stelle, der Blutung Herr zu werden. Zeigt sich nun
auf dem Operationsfelde kein fließendes Blut mehr, so wird zor Spaltung der
Dura mater geschritten, unter der dann das Kleinhirn freiliegt Nun erst wird
die Narkose unterbrochen. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß die Beizung
des Kleinhirns dann erst vorgenommen wurde, wenn das Tier völlig aus der
Narkose erwacht war. Die Fesseln wurden nun von den Gliedern abgenommen,
während der Kopf in seiner ursprünglichen Lage verblieb. Die Beizung wurde
mit dem Induktionsstrom vorgenommen, bei verschiedenem Schlittenabstand, und
zwar mit relativ schwachen Strömen. In erster Linie wurde unipolar gereizt,
um dadurch ein exaktes Abtasten der einzelnen Punkte und Stellen zu ermög¬
lichen. Die zweite Elektrode wurde abwechselnd auf den Oberarm der anderen
nicht gereizten Seite, manchmal auf das äußerste Ende der Wirbelsäule appliziert,
je nachdem Bewegungen der Wirbelsäule bzw. der Extremitäten zu erwarten
waren, um auf diese Weise jede Störung bzw. zufällige Mitbeteiligung der
einzelnen Körperteile zu vermeiden:
V ersuch sprotokolle.
Versuch I. Hund. Reizung unipolar.
Gyrus semilunaris inferior links.
Rollenabstand 90 mm. Bei 1Hochheben der linken Schulter.
R.-A. 85 mm. Hochheben der linken Schulter, Vorderbein nach vorn ge¬
streckt, die Wirbelsäule krümmt sich mit der Konkavität nach der reohten ent¬
gegengesetzten Seite.
R.-A. 80 mm. Dieselben Erscheinungen stärker ausgeprägt.
Gyrus semilunaris inferior rechts.
R.-A. 90 mm. Bei 1: Rechtes Vorderbein in Streckung nach links abgelenkt.
R.-A. 80 mm. Rechtes Vorderbein nach rechts abgelenkt, die Wirbelsäule
krümmt sich mit der Konkavität nach der linken entgegengesetzten Seite.
Versuch III. Hund. Reizung unipolar.
Gyrus semilunaris inferior links.
Bei 1: R.-A. 90 mm. Linke Schulter hoch, Adduktion des linken Oberarmes,
dabei Heben der Brust.
1 Die jeweiligen Rettungsstellen sowohl am Gyrus wie auch am Wurm werden in den
Protokollen mit Zahlen bzw. Buchstaben bezeichnet, die in der beigegebenen Figur ihre Er¬
klärung finden.
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65?
B.-A. 80 mm. Adduktion und Heben der linken Schulter (Vorderbein wird
nicht nach vorn gestreckt).
R-A. 70 mm. Adduktion und Heben der linken Schulter stärker, rechtes
Vorderbein gestreckt nach der rechten Seite abgelenkt, linkes Vorderbein eben*
falls gestreckt und nach rechts abgelenkt. Die Wirbelsäule krümmt sich stark
mit der Honkavität nach der rechten entgegengesetzten Seite, zu gleicher Zeit
Schwanz nach links.
R-A. 80 mm. Wenn der Hopf beweglich ist, dreht er den Hopf nach der
linken, d. i. gereizten Seite, die Hebung der Schulter ist schwächer.
Bei 4: R-A. 80 mm. Linke Schulter hoch, die Wirbelsäule krümmt sich
mit der Konkavität nach der rechten entgegengesetzten Seite, linkes Hinterbein
nach vorn, Schwanz nach links. Bei längerer Dauer rechtes Vorderbein in
Streckung nach rechts abgelenkt, das linke Vorderbein wird adduziert und ge¬
hoben , geht aber nicht nach vorn.
R- A. 90 mm. Linke Schulter hoch, linker Oberarm adduziert, linker Vorder¬
arm nach vorn.
R-A. 70 mm. Linke Schulter stark hoch, linker Oberarm stark adduziert,
linkes Vorderbein in Streckung stark nach rechts abgelenkt, rechtes Vorderbein
schwächer, starke Krümmung der Wirbelsäule nach der rechten entgegengesetzten
Seite, linkes Hinterbein stark nach vorn gestreckt, rechtes Hinterbein in Bube
(macht nur die Bewegungen des Beckens mit. Schwanz nach links.
Bei a) R-A. 70 mm. Linke Schulter adduziert und gehoben.
GyruB semilunaris inferior rechts.
Bei 1: R-A. 80 mm. Heben der rechten Schulter, Adduktion des rechten
Oberarmes, rechtes Vorderbein in Streckung nach links abgelenkt.
R-A. 70 mm. Bechtes Vorderbein in Streckung stark nach links abgelenkt,
die linke Schulter wird dabei gleichzeitig mitgehoben, sonst nichts. Ist der Hopf
beweglich, so geht er nach rechts.
Versuch VIII. Kaninchen. Beizung unipolar.
Oyrus semilunaris inferior links.
R-A. 110 mm. Bei 1: Anziehen der Halsmuskulatur links.
Bei 2: Anziehen der Halsmuskulatur und der Schulter links.
Bei 3: Anziehen der Halsmuskulatur, der Schulter und des Vorderbeines
links.
Bei 4: Dieselben Erscheinungen stärker und dazu noch Krümmung der
Wirbelsäule mit Konkavität nach der rechten entgegengesetzten Seite.
Bei diesem Kaninchen mußte von der Beizung der symmetrischen Stellen
rechts Abstand genommen werden, da das Tier die Operation nicht überlebte.
Versuch XX. Katze. Beizung unipolar.
Oyrus semilunaris inf. links.
Bei 1: R-A. 120 mm. Anziehen der Halsmuskulatur links.
Bei 2: Dieselben Erscheinungen und Anziehen der linken Schulter.
Bei 3: Anziehen der Halsmuskulatur, der Schulter und des Vorderbeines
links.
Bei 4: Dieselben Erscheinungen noch stärker und Krümmung der Wirbel¬
säule nach der rechten entgegengesetzten Seite.
Oyrus semilunaris inf. rechts.
Bei 1: B.-A. 120 mm. Anziehen der Halsmuskulatur rechts.
Bei 2: Anziehen der Halsmuskulatur und der Schulter rechts.
Bei 3: Dieselben Erscheinungen und Vorwärtsstrecken des rechten gereizten
Vorderbeines.
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42 : nal from
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Bei 4: Dieselben Erscheinungen stärker und Krümmung der Wirbelsäule
nach der linken entgegengesetzten Seite.
Cerebellum des Hundes von hinten und oben.
1 Pyrainis, 2 Declive, 3 Monticulus, 4 Lob.
postero-superior.
Oyrus semilunar, infer. links.
Gyrus seinilunaris des Hundes (von der Seite
gesehen) nebst anliegendem Teile des Wurms.
I . linker, r. rechter Wurm.
Reizungsversuche am Wurm.
Versuch XXV. Hund. Reizung unipolar.
I. Rechte Seite des Wurms.
Bei l': R.-A. 100 mm. Nichts.
R.-A. 90 mm: Beide Vorderbeine etwas nach rechts, Zuckungen an denselben,
rechts stärker als links. Bei längerer Reizung krümmt sich die Wirbelsäule mit
der Konkavität nach der linken entgegengesetzten Seite.
Bei 2': R.-A. 80 mm. Beide Vorderbeine in Streckung nach rechts abgelenkt,
rechis stärker als links, bei längerer Reizung krümmt sich die Wirbelsäule nach
der linken entgegengesetzten Seite.
Bei 3': Dieselben Symptome stärker ausgeprägt.
Bei 4': Dieselben Erscheinungen, sehr stark.
II. Linke Seite des Wurms.
Bei 1': Beide Vorderbeine etwas in Streckung nach links abgelenkt, Zuckungen
an denselben links stärker als rechts.
Bei 2': R.-A. 80 mm. Beide Vorderbeine in Streckung nach links abgelenkt,
die Wirbelsäule krümmt sich mit der Konkavität nach der rechten entgegen¬
gesetzten Seite.
Bei 3': Dieselben Erscheinungen stärker ausgeprägt.
Versuche mit dem EwALD’schen Knopf. 1
Versuch XXXVIII. Hund. Sitz des Knopfes links.
R.-A. 80 mm. Im Moment der Reizung stutzt der Hund und dreht sich
bald nach links, bald nach rechts.
R.-A. 75ram. Stutzen mit dem Kopfe und Zucken an der linken Schulter
und Halsmuskulatur.
R.-A. 70mm. Drehen des Kopfes nach links, Stutzen mit dem Kopfe im
Sinne des Tic rotatoire, Strecken des linken Vorder- und Hinterbeines und Zucken
der Halsmuskulatur links.
R.-A. 60 mm. Dieselben Symptome stärker * ausgeprägt.
Bei 50 mm. Dieselben Resultate und dabei krümmt sich die Wirbelsäule
bald nach rechts, bald nach links.
Dasselbe Tier am nächstfolgenden Tage untersucht
1 Die Versuchsanordnung war dieselbe, wie bei Lewandowsky: s. Die Verrichtungfn
des Kleinhirns. Archiv f. Anat. u. Phys. 1903.
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659
R.-A. 70 mm. Drehen des Kopfes nach links und Stutzen im Sinne des Tic
rot&toire.
R.-A. 60 mm. Bei längerer Reizung Krümmung der Wirbelsäule mit der
Konkavität bald nach der rechten, bald nach der linken Seite. Kopf auch nach
rechts.
R.-A. 50 mm. Dieselben Erscheinungen stärker, auch bei kürzerer Reizung.
Bevor wir zur Besprechung unserer Versuche übergehen, möge hier die
Bemerkung eingefügt werden, daß wir nur einen Teil unserer zahlreichen Ver¬
suche anführen können und daß nicht alle Versuche iu derselben ausführlichen
Weise durchgeführt werden konnten, da die Tiere durch die lange Dauer der
Versuche allzusehr mitgenommen waren.
Zu Anfang unserer Versuche war es vorgekommen, daß die Wirbelsäule
sich mit der Konkavität bald nach der gereizten, bald nach der entgegen¬
gesetzten Seite drehte, während in anderen Versuchen die Wirbelsäule sich mit
der Konkavität ausschließlich nach der entgegengesetzten Seite drehte. Was die
Ursache dieses wechselnden Verhaltens war, konnte trotz peinlichster Beobachtung
and sorgfältiger Versuchsanordnung nicht eruiert werden.
Nach zahlreichen mühevollen Versuchen konnten wir endlich den Grund
für dieses paradoxe Verhalten der Wirbelsäule feststellen. Wenn man nämlich
bei der Beizung mit der Elektrode zu sehr nach der Seite und nach unten
kommt, so passiert es leicht, daß nicht nur die Hirnsubstanz, sondern auch die
Dura gereizt wird. Die Reizung der Dura muß für das Tier sehr schmerzhaft
sein, denn es schreit sofort und macht allerlei Abwehrbewegungen, die eben
nicht als Resultat einer reinen Gehirnreizung aufzufassen sind. Ein einseitiges
konstantes Resultat dagegen erhält man nur, wenn man die Hirnsubstanz reizt,
die absolut entblößt ist von der Dura. Dagegen hat sich bei allen Reizungen
an unseren Versuchstieren ergeben, daß die Extremitäten und Halsmuskelgruppen
stets auf der gereizten Seite erregt werden.
Nach allen unseren Versuchen kann gar keine Rede davon sein, daß im
Kleinhirn abgegrenzte Centren für die Muskulatur des Stammes vorhanden sind.
Denn wir haben bei allen unseren Tieren einen nur verhältnismäßig kleinen
Teil des Kleinhirns gereizt und trotzdem Bewegungen in fast sämtlichen Muskel¬
gruppen des Körpers erhalten. Mit dem Resultat. dieser Versuche steht in
grellem Widerspruch die Angabe von Pbuss, der im Kleinhirn eine ganze An¬
zahl von Centren festgestellt hat So verlegt er z. B. in den von uns gereizten
lobus semilunaris inferior das Centrum für die Muskeln, welche das Auge nach
unten drehen, die Lider schließen, und für die Muskulatur der Schulter und die
Extensoren der Vorderextremitäten.
Auch eine andere Erscheinung, die in unseren Versuchen zutage tritt,
spricht gegen die Annahme bestimmter Centren im Kleinhirn, wie
es im Großhirn der Fall ist. Nehmen wir z. B. Versuch III heraus, so
ergibt sich bei Punkt 1 und R.-A. 80 mm eine Adduktion und Heben der linken
Schulter. Bei Punkt 4 dagegen mit demselben R.-A. dasselbe Resultat und
außerdem noch eine Krümmung der Wirbelsäule mit der Konkavität nach der
42*
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660 —
entgegengesetzten Seite, eine Hebung des linken Hinterbeins und des Schwanzes.
Ähnliche Beobachtungen ergaben sich auch in zahlreichen anderen Versuchen,
d. h. mit anderen Worten, es ergibt sich eine Zunahme der Erscheinungen
bei Reizung mit derselben Stromstärke von Funkt 1 nach Punkt 4
hin. Diese Zunahme der Erscheinungen erhielten wir auch, wenn wir die
Elektrode an ihrem Platze beließen, dagegen die Stromstärke erhöhten, z. B. in
Versuch I. Während wir bei der Reizung des Punktes 1 mit R.-A. 90 mm
ein Hoehheben der linken Schulter erhielten, bekommen wir an denselben
Punkten mit R.-A. 80 mm dasselbe Resultat, aber außerdem noch eine
Krümmung der Wirbelsäule. Bei Reizung symmetrischer Stellen der beiden
lobi semilunares inf. erhielten wir dasselbe Resultat. Bei Reizung der rechten
Seite des Worms erhielten wir im allgemeinen dasselbe Ergebnis, wie wir es
bei Reizung des rechten Gyros semilunaris inf. erhalten haben. Bei Reizung
der linken Wurmseite dieselben Erscheinungen, die wir bei Reizung der linken
Seite des lobus semilunaris inf. erhalten haben. Wäre, wie die oben angeführten
Autoren behaupten, die Oberfläche des Kleinhirns Sitz lokalisierter Centren, so
müßte bei Reizung eines bestimmten Punktes mit stärkeren Strömen ein und
dieselbe Bewegung nur mit verstärkter Intensität eintreten, was, wie oben bereits
erwähnt, nicht der Fall ist
Was die EwALD’schen Knopfversuche betrifft, so können wir, wie bereits
oben erwähnt, die Angaben Lewandowxt’s nicht vollauf bestätigen. Es
zeigte sieh nämlich in unseren Versuchen, daß bei Reizung links bald Muskel¬
groppen der linken, bald der rechten Körperhälfte erregt wurden. Aus unseren
Versuchen können wir ebenso gut schließen, daß bei Reizung links Muskel¬
gruppen der linken Körperhälfte erregt werden, da dieses Resultat ebenso häufig
beobachtet wurde. Nach unseren Erfahrungen, die wir bei den Elektroden-
reizungen gemacht haben, dürfte es überhaupt fast unmöglich sein, bei den
Reizungen am Kleinhirn mit dem EwALD’schen Knopf ein einwandfreies Re¬
sultat zu erhalten. Denn die Möglichkeit, neben der Hirnsubstanz gleichzeitig
die Dura mitzureizen, ist hier in noch viel höherem Maße gegeben, als bei den
Elektrodenreizungen, wie bereits oben erwähnt wurde. Eine Erscheinung, die
sich in allen unseren Knopfversuchen zeigte, war die, daß das Tier, sobald der
Strom geschlossen wurde, stutzende Bewegungen des Kopfes in der Riehtung
nach unten machte, die im Sinne des Tic rotatoire zu deuten sind; daß wir sie
nur bei den Knopfversuchen erhielten, mag vielleicht auf den Umstand zurück¬
zuführen sein, daß bei diesen Versuchen der Kopf des Tieres freie Beweglichkeit
hatte, während bei den Elektrodenreizungen der Kopf gefesselt war.
Im Anschluß an unsere Arbeit wollen wir noch über einige Versuche be¬
richten, die wir angestellt haben, um darüber zu entscheiden, ob man von be¬
stimmten Punkten des Kleinhirns aus Augenbewegungen bekommen kann, wie
sie Fbbbieb 1 angegeben hat. Febbibb fand nämlich bei Reizung der Pyramis
Bewegungen beider Augen nach links und rechts, je nachdem er an der linken
1 D. Frrrier, The functions of fche brain. 1886.
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661
oder rechten Seite der Pjramis reizte. Am Deklive erhielt er von der Mitte
aas Bewegungen der Augen nach abwärts, von der linken Seite nach abwärts
und nach links, von der rechten Seite nach abwärts und nach rechts. Vom
lobulus posterior sup. rechts erhielt er Bewegungen der Augen nach aufwärts
und rechts, um ihre Achse rotierend. Vom Flocculus rechts Rotations¬
bewegungen der Augäpfel um ihre antero-posteriore Achse, bisweilen nach rechts,
bisweilen nach links.
Wir haben auch Versuche in dem von Fkrbieb angegebenen Eieinhirn¬
gebiete angestellt, deren Ergebnis folgendes war:
Versuch V. Hund. Alle Punkte werden wiederholt gereizt
Bei a) B.-A. 70 mm.
1. Das rechte Auge geht ein wenig nach oben und innen.
2. Das rechte Auge geht ein wenig nach oben, erst nach der Beizung.
3. Das rechte Auge ging nach unten, nach der Beizung.
4. Während der zweiten Hälfte der Beizung rückt das gleichzeitige Auge
ein wenig nach unten.
5. Zuerst nichts, als das Tier zu zittern anfängt, geht das gleich¬
zeitige Auge ruckweise nach unten.
6. Das gleichseitige Auge ganz schwach nach unten und außen, das andere
Auge niohts.
7. Linkes Auge nach unten links, rechtes Auge unregelmäßig nach unten.
8. Beide Augen nach links.
9. B.-A. 65 mm. Beide Augen nach oben hinten.
Bei c) wiederholte Beizung B. A. 70 mm.
1. Nichts, 2. nichts.
3. Linkes Auge schwach nach unten.
Declive links:
1. Linkes Auge etwas nach außen, rechtB nichts.
2. Beiderseits nichts, 3. nichts, 4. nichts.
5. Linkes Auge schwach nach links.
Declive rechts:
1. Beide Augen etwas nach rechts, rechts mehr als links.
2. Minimale Bewegungen in demselben Sinne.
3. Nichts.
4. Linkes Auge stark nach unten, etwas nach links, rechtes Auge etwas
nach unten.
5. Nichts.
6. Beide Augen langsam nach unten.
7. Beide Augen sehr spät etwas nach unten.
Pyramis links. Wiederholte Beizung.
1. Beide Augen spur weise aufwärts.
2. Nichts.
3. Beide Augen spurweise aufwärts.
4. Dasselbe.
Versuch VIII. Hund.
Bei a) links B.-A. 90mm.
1. Baddrehung des rechten entgegengesetzten Auges, entgegengesetzt dem
Uhrzeiger.
2. Dasselbe.
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• Bei c) links:
1. Spur von Bewegung beider Augen nach oben.
2. Bei 80 mm dasselbe nicht stärker.
Pyramis rechts. R.-A. 90mm.
1. Beide Augen nach oben.
2. Ebenso.
Pyramis links. R.-A. 80 mm.
1. Beide Augen deutlich aufwärts.
2. Ebenso.
Wenn wir unsere Resultate mit denen Febrier’s vergleichen, so finden wir
wenig Übereinstimmendes in beiden. Der einzige Punkt, in dem die Reizung
dasselbe Resultat ergeben hat, ist das Deklive rechts, wo wir wiederholt Augen¬
bewegungen nach außen rechts erhielten, manchmal aber auch gar keinen
Effekt erzielten. Auch in anderen unserer Versuche vermissen wir jede Gesetz¬
mäßigkeit, indem die Versuchsresultate bei Reizung derselben Stelle nicht immer
die gleichen waren. Außerdem konnten wir bei wiederholter Reizung desselben
Punktes überhaupt keinen Reizeffekt erzielen. Im Gegensatz zu Fekbier fanden
wir sehr häufig auch einseitige Augenbewegungen, während Febbieb in allen
Fällen regelmäßig doppelseitige Bewegungen der Augen hatte. Die Deutung
der erzielten Resultate wird noch dadurch erschwert, daß wir es hier mit einem
Organ zu tun haben, das außerdem auf alle möglichen geringfügigen Reize, wie
Schmerz, Kopfbewegungen usw., die das Tier treffen, reagiert.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle Herrn Geheimrat
Prof. Dr. H. Münk meinen herzlichsten Dank auszudrücken für das rege
Interesse an meiner Arbeit und für die überaus liebenswürdige Unterstützung
und Kontrolle meiner Versuche.
Zu Dank bin ich auch Herrn Prof. Dr. dü Bois-Reymond verpflichtet, der
eiuen Teil der Versuche mit mir beobachtet hat.
4. Beitrag zur Frage
der „sukzessiven“ Kombination von Psychosen.
Von Dr. Blum,
Oberarzt der Privat-Heil- und Pflegeanstalt Wald haus b/Wannseo.
Im Anschluß an die in diesem Centralblatte 1 von Pelz veröffentlichte
Arbeit: „Ein Fall von genuiner Epilepsie mit darauffolgender Dementia para-
lytica“ sei es mir gestattet, einen fast gleichen Fall mitzuteilen, einesteils, um
zu zeigen, daß das Vorkommen von Paralyse bei einem früheren Epileptiker
doch nicht so selten ist, wie Pelz behauptet, und andererseits, um einen weiteren
Beitrag gegen die WATTENBEBG’sche Ansicht zu schaffen, daß Paralyse und
Epilepsie ähnliche Ätiologie haben und nicht durch Syphilis hervorgerufen werden.
1907. Nr. 1.
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Die Anamnese sei in Kürze mitgeteilt
D. ist ein uneheliches Kind; mütterlicherseits nicht belastet, väterlicherseits
ist über Heredität nichts zu erfahren.
Im 12. Lebensjahr wurde Patient etwa 1 j i Jahr lang von einem Päderasten
mißbraucht Im Anschluß an die Entdeckung erfolgte der erste Anfall. Von
da ab traten diese täglich auf bis zum 13. Jahr und sistierten dann plötzlich.
Der früher brave Junge wurde seitdem mürrisch, reizbar und gewalttätig. In
der Lehre hielt er nirgends lange aus.
Mit 16 Jahren erste Aufnahme in die Charitö, wo er zwar keine Anfälle
hatte, aber öfters Verwirrtheitszustände beobachtet wurden.
Die damaligen Begutachter, von denen ich Moeli, Oppenheim und Boedekek
herausgreife, sprechen sich sämtlich für Epilepsie aus.
Nach seiner Entlassung war er in verschiedenen Geschäften tätig, konnte
sich aber wegen dummer Streiche und verschiedener Eigentumsvergehen in
keiner Stellung halten. Vom 16. Lebensjahr schon ab ergab er sich dem Trünke,
vertrug jedoch nicht viel und bekam pathologische Rauschzustände, in denen er
sehr roh und gewalttätig wurde, selbst gegen die eigene Mutter.
Er wurde damals verschiedener Vergehen, Diebstahl, Unterschlagungen,
Drohung und versuchter Brandstiftung angeklagt, mußte jedoch auf Grund eines
kreisärztlicben Gutachtens, das sich dahin ausspracb, daß D. an epileptischen
Anfällen, bzw. deren Äquivalenten litte, freigesprochen werden. Wurde wegen
Gemeingefährlichkeit mit 25 Jahren von neuem interniert, nachdem er sich in
den 9 Jahren so ziemlich gehalten und zeitweise mit ziemlich gutem Erfolg
eine Buchhalterstelle bekleidet hatte.
Bei seiner damaligen Aufnahme gab er freiwillig an, er habe im Jahre
vorher (1890) einen Schanker bekommen, eine Schmierkur durchgemacht, und
es sei danach nichts mehr gekommen.
Nach 4 monatlichem Aufenthalt in Dalldorf wurde D. in Pflege gegeben.
Im Oktober 1903, also 12 Jahre später, wird D. mit den ausgesprochenen
Zeichen der Dementia paralytica in die Charitö eingeliefert und von da nach
Dalldorf überführt. Von körperlichen Symptomen werden in der Kranken¬
geschichte erwähnt: Pupillen entrundet, reagieren nicht' auf Licht, aber auf
Konvergenz, Patellar- und Achillessehnenreflexe sind aufgehoben. Analgesie an
den Unterschenkeln, artikulatorische Sprachstörung.
Psychisch besteht starke Demenz, Unorientiertheit über Ort und Zeit,
Negativismus und vorübergehend Mutazismus.
Seit Februar 1904 wird Patient in der hiesigen Anstalt verpflegt und be¬
findet sich zurzeit im paralytischen Endstadium.
Die Ähnlichkeit dieses Falles mit dem von Pelz ist unverkennbar. Hier
wie dort Epilepsie im Pubertätsalter, baldiges Sistieren der Anfälle nach dem
Beginn der Krankheit und epileptische Charakterveränderung, Hinzutreten von
Alkoholismus, Infektion mit Syphilis, dann ziemlich langdauerndes Intervall von
relativ normalem Verhalten — 12 bzw. 8 Jahre —, schließlich Ausbruch der
Paralyse.
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Auch im vorliegenden Falle ist juvenile Paralyse mit Sicherheit auszu¬
schließen.
Besonders zu betonen ist, daß die beiden zumeist als ursächliches Moment
für Paralyse angeschuldigten Schädlichkeiten, Alkoholismus und Syphilis, hier
zusammen vorliegen.
Es ist wahrscheinlich, daß D. in absehbarer Zeit zur Obduktion gelangt;
vielleicht wird es alsdann möglich sein, auch pathologisch-anatomisch die beiden
Psychosen auseinanderzuhalten, und ich behalte mir vor, darüber spater noch
zu berichten.
n. Referate.
Physiologie.
1) Neue Versuche über die Begeneration der Nervenfasern, von Albrecht
Bethe. (Arch. f.d. ges. Phys. CXVI. 1907.) Bef.: Max Bielsohowsky(Berlin) <
In seiner bekannten „Allgemeinen Anatomie und Physiologie des Nerven¬
systems“ hat Verf. auf Grund zahlreicher eigener, zum Teil schon früher ver¬
öffentlichter Beobachtungen die zuerst von Philipeau und Vulpian ausgesprochene
Lehre mit Entschiedenheit verteidigt, daß ein von seinem Centrum abgetrennter
Nerv unter günstigen Umstanden sich aus sich selbst heraus histologisch und
physiologisch regenerieren kann. Gegen diese Lehre von der „autogenen Rege¬
neration“ ist von zahlreichen Autoren heftiger Widerspruch erhoben worden. Verf.
unterzieht in dieser neuen Publikation die Argumente seiner Gegner einer sorg¬
fältigen Kritik, wobei er die Fragestellung in folgender Weise präzisiert:
Geht die Regeneration eines durchtrennten Nerven allein von den Central¬
organen (nutritorischen Centren, Ursprungszellen) aus: kommt sie als ein rein
autogener Prozeß durch Selbstdifferenzierung der Reste des alten Nerven zustande
oder beruht sie auf einem Zusammenwirken centraler Einflüsse und peripheriseher
Vorgänge? Von besonderem Interesse sind in dieser groß angelegten Arbeit die
neuen Versuche, welche auf die Beantwortung der ersten Frage gerichtet sind.
Verf. sagt mit Reoht, wer die reine Auswachsungslehre beweisen will, hat zu
zeigen, daß eine ihres Neuriten vollkommen beraubte Ganglienzelle einen neuen
Neuriten von normaler Länge und mit einem Markmantel umgeben zu bilden
vermag. Dieser Beweis sei nie angetreten worden, weil ihn die vorgefaßte Meinung
unnötig erscheinen ließ. Mit Hilfe von Durchschneidungsversuchen und durch
Ausreißungen motorischer Wurzelfasern hat Verf. objektiv festzustellen versucht,
was die multipolare Vorderhornzelle nach Verlust ihres Axons regenerativ zu
leisten vermag. Die genaue histologische Untersuchung seines experimentellen
Materiales zeigte, daß bei einer Trennung des Aohsencylinders im Bereiche des
Rückenmarkes selbst, also in der unmittelbaren Nähe der Ursprungszelle, eine
Regeneration des centralen Stumpfes nicht stattfindet. Ganz anders aber gestalten
Bich die Dinge, wenn die Wurzeln extraspinal in den Häuten durchreißen, wo
sie bereits von Schwannschen Zellen begleitet werden. „Sowie auch nur kleine
Mengen Schwannscher Zellen mit den Ganglienzellen in Verbindung stehen,
kommt es zum Auswachsen der Nervenfasern; die entstehenden Produkte haben
aber den Charakter des Pathologischen an sich, wenn die Menge der zu Gebote
stehenden Schwannschen Zellen gering ist. Dies deutet darauf hin, daß die
Regeneration, d. h. die Produktion neuer Nervenmasse in erster Linie Funktion
der Schwannschen Zellen ist.“
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665
Die übrigen Versuche beziehen sich auf Regenerationserscheinungen am peri¬
pherischen und centralen Stumpf durchtrennter peripherischer Stämme und an
hinteren Wurzeln und enthalten Erweiterungen und Ergänzungen seiner früheren
Mitteilungen. Der Wert dieser originellen Arbeit macht es notwendig, ihre Haupt¬
resultate in der vom Verf, selbst gefaßten Form wiederzugeben.
1. Ihres Neuriten vollständig beraubte Ganglienzellen zeigen in meinen Ver¬
suchen nicht die Fähigkeit, einen neuen Neuriten zu regenerieren.
2. Die Auswachsungsfähigkeit eines centralen Nervenstumpfes ist abhängig
von der Länge desselben. Kurze Stümpfe bilden weniger neue Nervenmasse
als lange.
3. Die großen „Wachstumskolben“ Cajals bleiben an der Stelle ihrer Bil¬
dung liegen und umgeben sich mit Mark. Sie sind nicht als wachsende Enden
anzusehen. Die Fibrillen bilden in diesen Kolben keine Netze.
4. Junge, vom centralen Stumpf auswachsende Achsencylinder sind stets mit
Schwannschen Zellen, besonders am Ende, besetzt. Es ist daher nicht zu ent¬
scheiden, ob das Auswachsen von der alten Faser oder von den Schwannschen
Zellen ausgeht.
5. Isolierte Nervenstümpfe junger Hunde können sich autogen bis zur Leitungs-
fähigkeit regenerieren. Die regenerierten Fasern zeigen auch bei dem Versuchs¬
verfahren von Langley und Anderson keinen physiologischen und nutritorischen
Zusammenhang mit dem Rückenmark.
6. Isolierte periphere Stümpfe, besonders die in ihnen enthaltenen Axial¬
fasern, können nahezu ebenso stark auswachsen wie centrale Stümpfe.
7. Vom centralen Stumpf auswachsende Fasern dringen, wenn sie den peri¬
pheren Stumpf erreichen, stets durch die „Schnittpforte“ in diesen ein. Ein Ein¬
dringen markhaltiger Fasern konnte an dieser Stelle bei einigen autogen regene¬
rierten Nervenstümpfen mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
8. Die Zahl der Markfasern kann in autogen regenerierten Nerven die Normal¬
zahl nahezu erreichen.
9. Axialstrangfasern, die sich nach allgemeiner Anschauung ohne Beihilfe
des Centrums aus den Resten der degenerierten Fasern bilden, degenerieren bei
erneuter Durchschneidung in ähnlicher Weise wie normale Nervenfasern. Nur
das periphere Ende wird von der Veränderung (Aufquellen und Kernvermehrung)
ergriffen; der centrale Teil bleibt erhalten.
10. Danach ist die bestimmt gerichtete Degeneration normaler peripherer
Nerven als Eigentümlichkeit der Schwannschen Zellen anzusehen. Es kann also
nicht befremden, daß autogen regenerierte Nerven in derselben Weise auf Durch¬
schneidung reagieren wie normale.
11. Hintere Wurzelfasern können eich aus sich selbst heraus regenerieren.
12. Die Hinterstrangsfasern besitzen entweder die Fähigkeit, sich nach Durch¬
schneidung hinterer Wurzeln zu regenerieren, oder sie verfallen wenigstens bei
jungen Tieren nicht mit Sicherheit der Degeneration.
13. Die primäre Vereinigung der Stümpfe eineB durchschnittenen Nerven
kommt durch bestimmt gerichtetes Wachstum des perineuralen und endoneuralen
Bindegewebes zustande. Die Nervenfasern folgen erst sekundär dieser Bahn.
14. Die Unmöglichkeit, motorische und reoeptorische Fasern und präganglio¬
näre und postganglionäre FaBern miteinander zur funktionellen Vereinigung zu
bringen, spricht dafür, daß die Reste der Nervenfasern nach Ablauf der Dege¬
neration ihre Spezifität bis zu einem gewissen Grade behalten. Dies spricht gegen
den von der Auswachsungslehre angenommenen, indifferenten Charakter der
Sohwannsehen Zellen.
2) Le möcanlsme de la rögönörescence nerveuse, par Dr. G. Marinesco.
(Revue g6n6rale des Sciences. 1907. Nr. 4 u. 5.) Ref.: Hai ff (Basel).
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Verf. berichtet über Beobachtungen am durchschnittenen Nerven, am trans¬
plantierten Nervenstück, sowie an der transplantierten Ganglienzelle (Ganglium).
Am peripheren Stumpfe des einfach durchschnittenen Nerven konnte er fest¬
stellen, daß Markscheide und Achsencylinder (Axolyse des Verf.’s) erst aufquellen,
dann körnig zerfallen und zuletzt verschwinden, indem zu gleicher Zeit die Zellen
der Schwannschen Scheide wuchern und sich in hauptsächlich longitudinal ver¬
laufenden Zügen anordnen (apotrophische Zellen des Verf.’s).
Verf. hält es für wahrscheinlich, daß Markscheide und Achsencylinder durch
Fermente „verdaut“ werden, die von den „apotrophischen Zellen“ geliefert werden.
In späteren Stadien sah Verf., wie vom centralen Stumpfe herkommende,
neugebildete Achsencylinder zwischen den Zügen der „apotrophischen Zellen“ peri-
pherwärts ziehen; dort, wo die „apotrophischen Zellen“ nicht longitudinal, sondern
quer oder schräg gelagert waren, fand er „üindernisbildungen“ wie Endkolben
der neugebildeten Achsencylinder, Umwicklung und spiralige Umwindung der
alten Achsencylinder durch die neugebildeten; die neugebildeten Achsencylinder
stammen nach den Bildern, die Verf. am centralen Stumpfe des durchschnittenen
Nerven sah, von hypertrophierten Achsencylindern dieses Stumpfes.
Die Transplantationsversuche führte Verf. an Hunden, Hasen, Kaninchen,
Baben usw. aus und er spricht dabei von Homotransplantation bei Transplantation
von Hund zu Hund, Hase zu HaBe usw., andererseits von Heterotransplantation
bei solcher von Hund zu Hase, Hund zu Kaninchen usw.; dio Transplantation
selbst bestand darin, daß ein ausgeschnittenes Nervenstück in den anderen durch¬
schnittenen Nerv eingesetzt wurde.
Bei der Homotransplantation fand sich im transplantierten Stück ein erst
nach etwa 10 bis 15 Tagen einsetzender und vom proximalen zum peripheren
Ende fortschreitender Zerfall von Markscheide und Achsencylinder ähnlich wie im
peripheren Stumpfe des einfach durchschnittenen Nerven.
„Atrophische Zellen“ konnten entweder gar nicht festgestellt werden oder
fanden sich nur in geringer Zahl im Bereich des centralen Endes des transplan¬
tierten Stückes und rühren nach Verf. von den Zellen der Schwannschen Scheide
von vereinzelten im centralen Stumpfe deB durchtrennten Nerven degenerierten
Nervenfasern.
Neubildung von Achsencylindern fand sich dabei nirgends.
Verf. nimmt an, daß es bei der Homotransplantation infolge des Fehlens der
„apotrophischen Zellen“ nicht zu einer Neubildung von Achsencylindern kommt,
indem die „apotrophischen Zellen“ die alten Achsencylinder des centralen Stumpfes
zur Neubildung anregen und durch ihre Lagerung in longitudinale Züge den neu¬
gebildeten Achsencylindern den Weg zur Peripherie bahnen sollen.
Bei der Heterotransplantation sah Verf. das transplantierte Stück auf die
Weise verschwinden, daß es zur Einwanderung von mehrkernigen Leukozyten kam,
welche die zerfallenen Nervenelemente in sich aufnahmen und fortschafften; zur
Bildung von atrophischen Zellen oder neuen Achsencylindern kam es dabei in
keiner Weise.
Zum Studium der Vorgänge bei Transplantation von Ganglienzellen trans¬
plantierte Verf. Nervenganglien unter die Haut oder in einen Nerven.
Veränderungen stellten sich schon nach 5 Stunden ein und betrafen alle
Elemente: die Ganglienzellen zerfielen und verschwanden, die markhaltigen Nerven¬
fasern lösten sich unter Schwellung und Ampullenbildung des Achsencylinders
auf, auch die marklosen zerfielen, wenn auch etwas später alB die markhaltigen.
An die Stelle der geschwundenen Elemente traten Haufen von Zellen —
teils eingewanderte mehrkernige Leukozyten, teils proliferierte Bindegewebszellen,
teils Gitterzellen, teils gewucherte Begleitzellen — und neugebildete Gefäße.
Das Wuchern der Begleitzellen, während die Ganglienzellen doch schwinden,
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Original fram
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667
spricht nach Verf. dagegen, daß Ganglienzellen und Begleitzellen in einem sym¬
biotischen Verhältnis zueinander stehen.
3) Die Neutralzellen des oentralen Nervensystems, von Dr. P. Kronthal.-
(Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke.
Verf. erklärt in dieser Arbeit die Existenz des Neurons, der aus Nerven¬
zelle, Nervenfaser und somatischer Zelle bestehenden Einheit, auf der sich die
Vorstellung vom Sitz der Geistestätigkeit im Gehirn aufbaue, für falsch. Das
Neuron sei nicht zu retten, es sei eine bequeme Hypothese gewesen, die unter
neuer wissenschaftlicher Erkenntnis zusammengebrochen sei.
An seine Stelle setzt er die Neuromuskelzelle: ein sensibler Apparat und ein
»notorischer sind durch eine reizleitende Nervenfaser verbunden. Dies sei die
anatomisch nachweisbare Nerveneinheit. Werden mehrere Neuromuskelzellen zu¬
sammengefügt, so finden sie sich entweder derart beieinander, daß sie räumlich
für sich abgegrenzt sind, oder daß sie mit den den sensiblen mit dem motorischen
Apparat verbindenden Fasern räumlich zusammengefaßt werden. Diese Fasern
passieren dann gemeinsam, eingeschobene Zellen, die Nervenzellen. Diese leisten
weiter nichts, als daß sie die Isolierung der sie durcheilenden Fasern aufheben.
Verf. nimmt an, daß die Nervenzellen aus den sogen. „Neutralzellen“ ent¬
stehen. Darunter versteht er in der weißen Hirnsubstanz spärlich, in der grauen
zahlreich vorhandene, verschieden große, meist kleine, großkernige, protoplasma-
arme Zellen, die verschiedene, den amoeboiden Zellen gleichende Formen zeigen
und Wanderfähigkeit haben. Sie Bind aus dem Blut und der Lymphe in die
Masse des centralen Nervensystems eingewandert, können dort in ihrer ursprüng¬
lichen Form weiter bestehen oder mit anderen, ihnen gleichen Zellen verschmelzen
oder allein, oder verschmolzen, von Nervenfibrillen oder Gliafasern oder Nerven¬
zellen festgehalten, zur Nerven- oder Gliazelle werden.
Wenn nun die centralen Nervenzellen aus den Neutralzellen, und diese aus
Wanderzellen entstehen, muß man Fremdkörper in ihnen finden, die man z. B.
dem Tier einverleibt, sofern diese Partikelchen von den weißen Blutkörperchen
oder Lymphzellen aufgenommen werden. Dieser Versuch gelingt z. B. mit aufs
feinste pulverisierter Lindenkohle.
Führt man nun einem Tier Fremdkörper ein, die nachweisbar von den
Wanderzellen nicht aufgenommen werden, so dürfen sich diese Körper auch nicht
in den Nervenzellen finden.
Die Lymphzellen nehmen nun Karmin nicht auf; es hat sich gezeigt, daß
auch die Nervenzellen frei von Karmin sind.
Die Frage, ob und wieweit die aus den Wanderzellen hervorgehenden Neutral¬
zellen mit den Zellbegriffen der verschiedenartigen Leukozyten, Lymphocyten,
farblosen Blutkörpern, Lymphzellen und Wanderzellen zusammenfallen, läßt Verf.
ganz offen; er nennt sie gerade um deswillen „Neutralzellen“.
4) Die Neuronlehre, von Dr. E. Bloch. (Medizin. Klinik. 1907. Nr. 11.)
Ref.: Paul Lissmann (München).
Die Neuronlehre hat sich bis jetzt auf drei Füße gestellt: Entwicklungs¬
geschichte, pathologische Anatomie und Physiologie. Während nun aber die
ersten beiden sichere Stützen darstellen, setzt sich die angewandte Anatomie, die
Physiologie der Neuronlehre, immer noch aus mehr oder weniger geistreichen
Theorien zusammen, die wegen ihrer Unsicherheit die ganze Neuronlehre diskre¬
ditieren können. Die Erklärung der anatomischen Begriffe Neuron, Neurit und
Dendrit mit ihren komplizierten Verknüpfungen untereinander lassen den Verf.
das Centralnervensystem mit einer Centralweichenstellung vergleichen, dessen Hebel
die Neurone, dessen Drähte die Neuriten und dessen Signale die Dendriten dar-
stellen.
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Bas Wallersehe Gesetz, ferner die Tatsache, daß bei Durchschneidung auch
motorischer Nerven der Körper des centralen Ganglions gewisse Veränderungen
durchmacht, die sich beim Zusammenheilen des Nerven wieder zuriickbilden, all
das beweist, daß das Neuron als entwicklungsgeschichtliche und funktionelle Ein»
heit aufzufassen ist. Die Fortpflanzung der Erregubg im Nervensystem geschieht
nach der Neuronlehre durch Überschreitung der „Reizschwelle“, id est die der
Nervenzelle innewohnende, bei verschiedenen Individuen verschiedene latente Er»
regbarkeit. Den Übergang zur Pathologie bildet die außergewöhnliche Steigerung
oder Verminderung dieser Reizschwelle, deren Verhalten wir bei der Therapie zu
berücksichtigen haben.
Verf. streift kurz die von Duval aufgestellte Hypothese des Sohlafes — Ein»
engung des Bewußtseins durch die Retraktion der beweglichen Dendriten bei
Tage und Wiederherstellung des Kontaktes derselben durch den Schlaf — und
geht dann auf die Gegner der Neuronlehre ein. Insbesondere ist es Apäthy,
der mit seiner Neurofibrillenlebre die Neuronlehre angreift. Nach ihm spielen
nicht die Ganglienzellen, sondern die Neurofibrillen die Hauptrolle. Diese kommen
von der Peripherie, durchziehen die Ganglienzelle, wo sie nur den von der Peri¬
pherie empfangenen Reiz umladen, und kehren wieder zur Peripherie zurück.
Auch Bethe griff die Neuronlehre an und zeigte mittels Tierexperiments am ge¬
meinen Taschenkrebs, daß z. B. zum Zustandekommen eines Reflexes die Ganglien¬
zelle nicht unbedingt notwendig sei. Als dritter Hauptgegner trat Held auf, der
die Vereinigung der Neuriten und Dendriten im Innern der Zellen aufstellte und
den von der Neurontheorie aufgestellten Zwischenraum zwischen ihnen negierte.
Ein versöhnender Hinweis auf die Möglichkeit, daß, da sich die Natur nicht
schematisieren lasse, Anhänger und Gegner der Neuronlehre recht haben könnten,
schließt die sehr interessanten und lehrreichen Ausführungen.
Pathologische Anatomie.
5) A oase of orbital enoephalooele with unique malformation of the brain
and eye, by Parsons and Coats. (Brain. CXIV. 1906.) Ref.: Bruns.
Die Verff. geben die genaue klinische und anatomische Beschreibung einer
orbitalen Encephalocele. Die interessanten Mißbildungen am Auge und Gehirn
können in einem Referate nicht beschrieben werden. Es sei auf das Original
verwiesen. Die Diagnose war nicht leicht; man mußte auch an eine Orbitalcyste
mit Mikrophthalmie, an ein plexiformes Neurom und ein Angiom denken.
Pathologie des Nervensystems.
6) Die Pathogenese and Therapie der Eisenbahnkrankheit des Rindes, von
J. Schmidt. (Berliner tierärztliche Wochenschr. 1906. S.775.) Ref.: Dexler.
In einer größeren Abhandlung über die sogen. Eisenbahnkrankheit des Rindes
bespricht Verf. seine Erfahrungen über das Wesen dieser merkwürdigen Affektion.
Sie befällt fast ausschließlich Kühe, und zwar solche, die hochtragend sind und
bis zum Beginn des Transportes als Weidetiere gehalten wurden. Der Beginn
der Erkrankung datiert in der Regel von dem Zeitpunkte des Eintreffens des
Transportes im Stalle. Die ersten Symptome äußern sich in einer gewissen Er¬
regbarkeit, Unruhe des Blickes und der Bewegungen. Die Beine werden oft
überkreuzt, der Schwanz gestreckt vom Körper abgehalten. Der Gang wird un¬
sicher, schwankend, so daß die Tiere auch hinstürzen können. Sie legen sich oft
nieder, sind aber sehr bald nicht mehr imstande sich zu erheben. Namentlich
die Nachhand erscheint paraplegisch. Mit der Zunahme der Bewegongs»
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Unfähigkeit machen sich Bewußtseinsstörungen bemerkbar. Die Kühe werden
schlafsöchtig und liegen mit gebeugten Gelenken, eine ähnliche Haltung wie beim
Halbefieber einnehmend. Die Augen sind geschlossen, reizunempfindlich, Pupillen
erweitert, der Glanz der Kornea ist geschwunden.
Die Temperatur bleibt normal. Die Atmung geschieht oberflächlich und mit
merklicher Beschleunigung; nicht selten wird sie von Stöhnen, Brummen oder
Röcheln begleitet Wird eine zweckentsprechende Behandlung nicht eingeleitet,
so wird der komatöse Zustand immer tiefer und die Kranken verenden nach 24
bis 48 Stunden. Ganz ausnahmsweise soll auch eine spontane Heilung gesehen
worden sein.
Anatomischer Befand völlig negativ.
Therapeutisch bat sich am verläßlichsten einzig und allein die Aufpumpnng
des Euters mit Luft erwiesen, ähnlich wie dies bei der GebärpareBe vorgenommen
wird. Ein Heilerfolg ist umso sicherer zu erwarten, je früher diese Therapie
eingeleitet werden kann. Eine zweckmäßige Prophylaxe ist zurzeit nicht bekannt.
Das Wesen der Krankheit ist noch nicht festgestellt. Richter nimmt eine
durch den Transport bedingte Gehirnanämie als Grundlage der Eisenbahnkrank*
heit an und eine damit verbundene ungünstige Beeinflussung der Vasomotoren,
freilich ohne greifbare Beweise für diese Voraussetzung geben zu können.
7) Klinische Kasuistik aus der Praxis, von Wilh. Erb in Heidelberg.
(Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 47.) Ref.: R. Pfeiffer.
I. Poliomyelitis anterior acuta superior, d. h. Fälle von akuter Polio¬
myelitis mit vorwiegender Lokalisation im Cervikalmark bis hinauf zu den obersten
Cervikalsegmenten und zum Teil bis hinein in die Oblongata mit Beteiligung
einzelner Hirnnerven.
Wie Verf. unter Mitteilung eigener Fälle hervorhebt, kann die Diagnose der
Poliomyelitis superior besonders gegenüber der Polyneuritis schwer sein, zumal
auch bei der Poliomyelitis in den initialen Stadien Schmerzen, Blasenstörungen
und leichte Sensibilitätsstörungen auftreten können. Entscheidend ist die genaue
Beobachtung und der weitere Verlauf.
IL Zum Kapitel der angioneurotischen Störungen der unteren
Extremitäten („intermittirendes Hinken“ usw.).
Die Kenntnis dieser Störungen ist in der Ärztewelt noch gering, die Mehr¬
zahl der vom Verf. beobachteten Fälle war vorher nicht erkannt. Die recht¬
zeitige Diagnose ist aber für eine wirksame Therapie unbedingt erforderlich.
8) Etüde olinique et anatomo-pathologique d'un oas de poliomyelite
diffuse subaigue de la premiere enfanoe (amyotrophie ohronique
d’origine spinale d’Hoffmann), par Armand-Delille et Boudet. (Nouv.
Icon, de la Salpetrige. 1906. Nr. 6.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Ein 6 Monate altes Brustkind, dessen Eltern an keiner nervösen Erkrankung
litten. Als es 2 Monate alt war, bemerkte die Mutter, daß es den Kopf nicht
mehr halten kann, daß er ihm immer wieder auf die Schulter fällt. Um dieselbe
Zeit sollen die Bewegungen der Glieder nach und nach schwächer geworden sein,
bis es im 4. Monat nur noch mit Mühe die 4 Extremitäten rühren konnte. Im
3. Monat gesellten sich Atembeschwerden hinzu. Das Kind bewegt sich gar nicht
bei der Untersuchung, nur ganz gering Vorderarme, Hände und Zehen. Auf¬
gesetzt, fällt es sofort zurück. Beim Trinken wird konstatiert, daß die Inspira¬
toren, sowie die Interkostalmuskeln gelähmt sind. Die Kontraktionen des Zwerch¬
felles geschehen ebenfalls stoßweise. Der Thorax verflacht sich an den Seiten,
die Sehnenreflexe sind erloschen. Eine elektrische Reaktion nur zu erzielen an
den Muskeln des Vorderarmes, und zwar trat die galvanische Öffnungszuckung am
rechten Vorderarm erst bei 30 M.-A. ein. Die Haut bat eine Spannung wie beim
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Myxödem, Facies myopathica. Mund halb offen, unbewegliche Gesichtszüge, selbst
die Augen sind starr. Puls fast unzählbar. Geht nach 8 Tagen an Broncho*
pneumonie ein.
Sektion: An den Muskeln fand sich eine einfache Atrophie, einzelne Cohn*
heimsche Felder erhalten. Die motorischen Nerven, die untersucht wurden, zeigen
die Myelinscheiden im Zustand der Degeneration, einzelne Fasern sind normal,
aber blaß. Von den zugrunde gegangenen sieht man nur noch leere Scheiden.
Atrophie der vorderen Wurzeln. Es wurden untersucht das 5. Cervikalganglion,
das 2. Dorsal- und das 2. Lumbalganglion, vom Rückenmark das 6. Cervikalsegment
und das 2. Lumbalsegment. Die weiße Substanz wurde vollkommen intakt ge¬
funden, die Zellen der grauen zeigten sich in verschiedenen Stadien der Atrophie.
Die Neuroglia zeigt Sklerose, jedoch ohne die Gefäßveränderungen, die man bei
Poliomyelitis anterior acuta zu sehen gewöhnt ist. Clarkesche Säulen
vollständig intakt. Die Vorderhornzellen sind einfach an Zahl vermindert.
9) Muskeltransplantation bei Behandlung der Kinderlähmung, von Dr.
A. Sachs. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 37.) Ref.: R. Pfeiffer.
Ersatz des gelähmten M. deltoides durch den Pectoralis major nach dem
Hildebrandschen Verfahren mit gutem funktionellem Erfolg.
10) Erweiohungsherde in der Medulla oblongata mit retrograden Dege¬
nerationen in Fyramidenbahn und Schleife, von Dr. 0. Kölpin. (Archiv
f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz).
56 Jahr alter Bureauvorsteher, Potator strenuus, leidet an Glykosurie und
bekommt plötzlich Ptosis duplex, die links bald zurückgeht, rechts bleibt. Einige
Wochen später Schlaganfall mit motorischer und sensibler Lähmung links; ferner
besteht erschwerte Sprache; die rechte Zungenhälfte atrophiert. Nach 9 Monaten
Tod. Die Hirn* und RückenmarksautopBie ergab: in der rechten Hälfte der
Medulla oblongata mehrere Erweichungsherde, von denen einer die Pyramidenbahn
total, andere die mediale Schleife zum größten Teil zerstört und den Hypoglossus-
kern ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen hatten. Die Pyramidenbahn zeigt
unterhalb des Herdes die typische Wall ersehe Degeneration; oberhalb ist eine
retrograde Degeneration dieser Bahn in allmählich abnehmender Stärke bis ans
proximale Ende des Pons zu beobachten. Die mediale Schleife zeigt aufsteigend
die übliche Degeneration; retrograd ist eine Degeneration der zu den gekreuzten
Hinterstrangkernen ziehenden inneren Bogenfasern festzustellen. Auch die Zellen
dieser Hinterstrangkerne sind vielleicht etwas affiziert.
Bemerkenswert ist der Fall besonders wegen seiner retrograden Pyramiden¬
degeneration, die schon zu den Seltenheiten gehört, während Degenerationen retro¬
grader Art in der Schleife häufiger beschrieben sind. Warum die retrograde
Entartung in dem einen Fall eintritt, in dem anderen nicht, ist zurzeit noch
nicht geklärt; soviel scheint aber festzustehen, daß die Natur des Prozesses bei
Wallerscher und retrograder Degeneration spezifisch nicht verschieden ist; nur
ist die letztere eine weniger schnell und intensiv verlaufende Form der Faser¬
entartung.
Es geht noch aus der Arbeit des Verf.'s hervor, daß die Fasern des inter¬
mediären Bündels erst unterhalb der Pyramidenkreuzung sich den Pyramiden¬
seitenstrangbahnen zugesellen.
11) Über Bulbärparalyse bei Lipomatoae, von E. Osann. (Archiv f. Psych.
u. Nervenkrankh. XLII. 1906.) Ref.: G. Ilberg.
Eine 38jährige Kaufmannsfrau, die als Mädchen öfters Lachkrämpfe hatte
und von Kindheit an einer großen Geschwulst am rechten Unterschenkel litt, war
nach und nach nervös geworden, konnte im Frühjahr 1905 nicht mehr gehen
und die Beine überhaupt nicht mehr bewegen. Als sie das Wasser nicht mehr
halten konnte und starke Kreuzschmerzen bekam, brachte man sie im Mai in die
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psychiatrische Klinik zu Straßburg. Im rechten Hypochondrium fand sich ein
faustgroßer Tumor, die Zunge wich nach reohts ab und war atrophisch. Beine
gelähmt und atrophisch. Patellarreßexe schwach, links Babinskischer und
Oppenheimscher Reflex dorsal. Blasen- und Mastdarm lähm ung. Schmerzsinn
an den Beinen abgestumpft; in Wadenmuskulatur links und den Unterschenkel*
beugern beiderseits und in der rechtsseitigen Zungenmuskulatur Entartungsreaktion.
Nach 4 Wochen schwanden Babinski und Oppenheim, die Sensibilität war bis
zur Nabellinie herauf gestört. Sehr starke Schluckbeschwerden, bulbäre Sprache,
remittierendes Fieber. Ende Juni 1905 Tod. Bei der Sektion fanden sich zahl¬
reiche multiple Lipome in Brust* und Bauchhöhle und peridurale Lipome
im unteren Dorsalteil des Wirbelkanales, ebenso im Sakralkanal. Mikroskopisch
wurde Degeneration des Hypoglossuskernes und besonders der rechten Hypoglossus*
fasern, sowie des Nucleus ambiguus vagi festgestellt. Im 10. bis 12. Dorsal*
segment 'bestand Kompressionsmyelitis mittleren Grades. Vom untersten
Sakralmark an waren die Hinterstränge bis zu den Kernen in der Medulla
degeneriert. Die Vorderhornzellen des untersten Lenden* und Sakralmarkes zeigten
Chromatolyse.
12) Deux observations oliniques de paralysle pseudo-bulbaire sans para-
lysie des membres, par H. Lamy. (Revue neurologique. 1907. Nr. 4.)
Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Zwei Kranke, mit Arteriosklerose behaftet, boten die Erscheinungen der
Bulbärparalyse in leichtem Grade, hauptsächlich Dysarthrie und Dysphonie (Krank*
heitsbeginn in beiden Fällen ziemlich akut), ohne anderes objektives Zeichen als
eine einseitige Facialisparese bei Intaktheit des Platysma. Keine Atrophie der
Zungen- und Gesichtsmuskulatur, keine Anomalie der elektrischen Reaktion.
In beiden Fällen Tendenz zu explosiven Lachausbrüchen. In einem Falle leichte
gleichseitige Hemiparese der Glieder, in dem anderen gleichseitige Sehnenreflex*
Steigerung. Verf. nimmt für beide Fälle eine unilaterale Herdläsion an (im
äußeren Anteil des Linsenkernee); für die Annahme mehrerer Herde beständen
nicht hinreichend Anhaltspunkte. Als auffällig wird ferner die starke Dysarthrie
trotz geringer anderer objektiver Symptome im Sprachinnervationsbereiche registriert.
Für die Annahme eines Sitzes der Läsion in einem Territorium, welches lediglich
der hier fast allein gestörten Artikulation und Phonation vorsteht, spräche nach
Verf. auch die Beschränkung der Facialisparalyse auf die peribukkale Region.
13) I. Über die Erbsohe Krankheit (Myasthenia gravis), von P. Albertoni.
(Bologna 1906. 64 S.; vgl. d. Centralbl. 1906. S. 719.) — II. Klinischer
Beitrag zur Kenntnis der Brb*Qoldflam sohen Krankheit, von E. Levi.
(Rivista di Patologia nervosa e mentale. 1906. Fase. 9 u. 10; vgl. dieses
Centralbl. 1906. S. 722.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin).
Albertoni hat an zwei ziemlich typischen Fällen von Myasthenie inter¬
essante Untersuchungen angestellt. Bei dem ersten Kranken ergab die Spirometrie
eine HerabBetzuug der Vitalkapazität um fast 50°/ o . Die Atmungskurve verlief,
entsprechend der größeren Respirationsfrequenz, flacher als beim Gesunden; nach
geringen Anstrengungen folgte auf einige tiefe Atemzüge eine Periode völliger
Apnoe, hierauf wieder allmähliches Ansteigen der Kurve, so daß ein dem Cheyne-
Stokes sehen Typus ähnliches Bild zustande kommt. Die vasomotorische Erreg¬
barkeit war wesentlich gesteigert, die elektrokutane Sensibilität normal, aber
schnell ermüdbar. — Bei der zweiten Patientin bewirkte die Injektion von Atropin
keine oder eine sehr geringe Pulsbeschleunigung, woraus Albertoni auf einen
verminderten Vagustonus schließt. Die elektrokutane Sensibilität war gleichfalls
sehr erschöpfbar, ebenso der Drucksinn. Die Tagesschwankungen der Temperatur
waren erhöht (0,95° im Durchschnitt), weshalb eine Hypotonie der thermoregu-
latorischen Centra angenommen wird. Schließlich gelangt der Autor zu dem
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Ergebnis, daß das Wesen der Krankheit in einer raschen Erschöpfbarkeit der
nervösen Apparate mit intermittierender Tätigkeit und in einer Hypotonie and
dauernden Ermüdung derjenigen mit kontinuierlicher Tätigkeit besteht. Bezüglich
der Ätiologie schließt er sich der Toxinhypothese an.
Levi gibt eine genaue klinische Darstellung von nenn selbstbeobachteten
Fällen. Bei einigen derselben ist der überaus chronische Verlauf (16 bis 22 Jahre)
hervorzuheben; drei zeigten deutliche Muskelatrophien. Die Untersuchung mittels
Röntgen-Strahlen ergab bei keinem Patienten eine Vergrößerung des Herzens
nach Anstrengungen; eine verminderte Exkursion des Zwerchfelles zeigten zwei
von 6 Patienten. Bezüglich der Sensibilität hat der Autor Albertonis Versuche
wiederholt, konnte sich aber nicht von der Ermüdbarkeit des sensiblen Systems
überzeugen; ebenso bestreitet er Albertonis Behauptung, daß Schmerzen ein
Initialsymptom der Krankheit seien. Über die Differentialdiagnose wird nichts
Neues gesagt; bezüglich der Ätiologie legt Levi den Hauptwert auf das kon¬
genitale Moment; von seinen Kranken zeigte eine deutliche Schwimmhautbildung
am Fuß, eine andere angeborene Sehschwache, alle bis auf zwei waren jüdischer
Abstammung. — Die Arbeit enthält ein Verzeichnis der seit Oppenheims Mono¬
graphie erschienenen Literatur.
14) Über die „myasthenische Paralyse“ im Ansohluß von zwei Fällen,
von Dr. Ladislaus v. K6tly. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde.
XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
I. 23jähr Arbeiter, der in der Jugend an Typhus und Werlhofscher Krank¬
heit gelitten hatte, später aber gesund war. Lues und Potus werden in Abrede
gestellt. Beginn der Affektion im 20. Jahre während der Militärdienstzeit mit
Erschwerung des Gehens und Erschlaffung beim Heben des Gewehrs. Diese
Störung wiederholte Bich alle 1 bis 2 Wochen, in der Zwischenzeit fühlte er sich
wohl. Bald darauf Beschwerden beim öffnen und Schließen der Augen, beim
Schlucken und Atmen. Bei der Aufnahme bestehen leichtes Erröten des Gesichtes
mit vermehrter Schweißsekretion, Schluckbeschwerden, Puls 104, nach Gehübungen
136, Funktion der Muskeln gut, aber rasche Ermüdung besonders beim Schlucken,
Spreohen, Gehen und Stehen. Sämtliche Reflexe nehmen nach mehrmaliger Aus¬
lösung an Intensität ab und verschwinden dann vollkommen, myasthenische Reaktion
vorhanden. Bald darauf Doppelsehen, häufiges Verschlucken, Sprachstörung, Ab¬
nahme der vorher gesteigerten sexuellen Potenz und Libido. Bei der 1 / 2 Jahr
später erfolgten neuen Untersuchung fanden sich Tremor der Zunge, deren Spitze
nach aufwärts gekrümmt war, Schluckstörung (besonders am Abend), Puls in der
Ruhe 80, nach dem Gehen 120, Differenz zwischen In- und Exspiration anfangs
1,4, nach mehreren Atembewegungen auf 0,7 bis 0,3 reduziert, von ventralem
Typus, rechter Ober- und Unterarm schwächer als links, Erschwerung der moto¬
rischen Funktion des rechten Fußes besonders im Liegen, Zuckungen und Kon¬
traktionen in einer großen Anzahl von Muskelgruppen, Differenz der beiden Augen¬
spalten, Ptosis, eigentümlich schläfriger Gesichtsausdruok infolge von geschwächter
Mimik, Abschwächung der faradiBchen Erregbarkeit nach mehreren Reizen und
Verschwinden dieser Ermüdung nach kurzer Ruhepause. Im Hinterhaupt und
nach den Augen zu ausstrahlende Schmerzen, teilweise Herabsetzung des Haut¬
gefühles und der Schmerzempfindung an den Armen, Beinen, Brust und Rücken,
Strabismus convergens alternans mit eigentümlichen inkoordinierten Augen¬
bewegungen, zeitweilig kleiner Nystagmus, Bauchdeckenreflexe lebhaft, Kremaster¬
reflexe schwach, Patellarreflexe sehr gesteigert, Achillessehnenreflexe stark klonisoh.
Im Urin anfangs 0,5, später 0,8°/ 0 Eiweiß. Exitus. Die Untersuchung des
Centralnervensystems und einzelner Muskeln erbrachte ein fast ganz negatives
Resultat. Die perivaskulären Räume waren etwas erweitert und um den Arterien
des Rückenmarkes fanden sich kolloide Massen. Die in dieser Beobachtung nach-
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gewiesenen Störungen der Sensibilität fährt Verf. auf eine Komplikation des
Leidens mit Hysterie zurück.
II. 23jähriger Kaufmann, war sohwächliches Kind, aber später gesund. Seit
mehreren Jahren bemerkt er eine Erschlaffung der Armmuskeln bei der Arbeit,
später Doppelsehen und Herabsinken des linken Augenlides, Schwäche in den
BeineD, Zuckungen im linken Bein, Schmerzen in den Knien und Waden, Wider*
stand in den Muskeln beim Berg- und Treppensteigen. Es findet sich Verkleinerung
der linken Augenspalte, rechtsseitige Facialisschwäche, rasche Ermüdung in den
Muskeln der Augen, Arme und Beine, Auftreten des Jol ly sehen Myasthenie-Phä¬
nomens, gesteigerte Patellarreflexe, lebhafte Dermographie.
An der Hand dieser beiden Beobachtungen gibt Verf. eine eingehende Über¬
sicht über die Literatur der myasthenischen Paralyse.
15) Deux oas de myasthenie bulbosplnale, par F. Raymond et P. Lejonne.
(Revue neurologique. 1906. Nr. 16.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Während die Symptomatologie des Erb sehen Syndroms derzeit bereits ziem¬
lich gut bekannt ist, bietet seine Ätiologie und Pathogenese noch verschiedenes
Unbekannte dar. Die Verff. bringen zwei Fälle, die in symptomatologischer Hin¬
sicht mancherlei Besonderheiten haben und auch hinsichtlich der Pathogenese
mancherlei besagen könnten. Die Krankengeschichten werden ausführlich mit¬
geteilt und die Differentialdiagnose detailliert besprochen. Die Symptomatologie
entspricht so ziemlich der in den Beschreibungen von Erb, Oppenheim und
Goldflam fixierten; die myasthenische Reaktion allerdings fehlte, ein Moment,
dem aber die Verff. im Gegensatz zu anderen Autoren keine prinzipielle Bedeutung
beilegen wollen. Bemerkenswert war in beiden Fällen die relativ geringe Be¬
teiligung der Muskulatur des Auges; ferner wäre hervorzuheben, daß die Asthenie
der Hals- über jene der Nackenmuskeln überwog. In einem der Fälle bestand
eine ausgesprochene andauernde Lähmung bzw. Parese der Stimmbänder. Hervor¬
zuheben ist ferner noch der remittierende Verlauf in beiden Fällen. In ätio¬
logischer Hinsicht betonen die Verff. den Faktor der Surmenage in beiden Fällen;
in dem einen derselben schloß sich die Erkrankung unmittelbar an eine Gonor¬
rhoe an, ein Moment, dem die Verff. eine gewisse Bedeutung beimessen. Die
ausgesprochene Herabsetzung der arteriellen Spannung, die die Verff. in beiden
Fällen konstatierten, scheint ihnen in pathogenetischer Hinsicht von Bedeutung
(hypothetischer Hinweis auf die Nebennieren).
Surmenage und Infektionen würden nach den Verff. teils direkt, teils auf
dem Umwege der inneren Sekretion als wesentliche ätiologische Faktoren in Be¬
tracht kommen. Allerdings handelt es sich da zurzeit um eine nur hypothetische
Annahme: doch wären die Befunde Goldflams (Toxicität des Urins) zu be¬
achten und in größerem Maßstabe Exkrete und Körpersäfte zu untersuchen. In
ihren beiden Fällen ergab den Verff. die Blutuntersuchung Abnahme der Erythro-
cyten und besonders der polynukleären und der jüngeren mononukleären Leuko¬
cyten; auch dieser Befund spräche in dem Sinne, daß es sich bei der Myasthenie
nicht um eine reine nervöse Affektion handle.
16) Myasthenia gravis pseudo-paralytica, von Sitsen. (Berliner klin. Wochen¬
schrift. 1906. Nr. 53.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Die Sektion eines von Pell als Myasthenia gravis pseudoparalytica beschriebenen
Falles ergab folgende geringfügigen Veränderungen: kleine frische Blutergüsse,
mit Hämatin gefärbte Schollen in den perivaskulären Lymphräumen im Pons,
Anhäufungen von Leukocyten in der Leber, geringe Milzvergrößerung, Vergrößerung
der Nieren, Kolloidstruma, vermehrte Leukocyten im Blut. Im ganzen wurden
bis jetzt 30 Fälle von Myasthenia gravis seziert. Die im Original in einer Tabelle
aufgeführten Befunde sind als sehr unvollständig anzusehen, da mikroskopische
Untersuchungen fehlen. Am häufigsten wurde das lympathische System verändert
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gefunden. Es muß gefordert werden, daß bei zukünftigen Sektionen alle Körper*
organe sowohl makro- wie mikroskopisch aufs genaueste untersucht werden.
17) Eine Serie mißbildeter Knaben von einem Elternpaar, von Albert
Sippel. (Centralbl. f. Gynäk. XV. 1906.) Ref.: MaxJacoby.
Ein gesunder, kräftiger Mann, vollkommen abstinent gegen Alkohol und
Tabak, erzeugte in erster Ehe 5 Knaben und 7 Mädchen, sämtlich wohlgebildet
und gesund. In zweiter Ehe mit der Schwester der ersten Frau erzeugte er ein
Mädchen und 4 Knaben, dann noch 2 Mädchen. Die Mädchen waren wohlgebildet
und gesund, die Knaben alle mißbildet; der erste hatte eine Spina bifida, der
zweite eine persistierende Thymus, der dritte kam tot zur Welt, der vierte besaß
angeborenes Myxödem. Verf. nimmt an, daß die Mißbildungen der Knaben einer
Einwirkung seitens der Mutter ihre Entstehung verdanken, will aber eine nähere
Ursache nicht angeben.
18) Bin Fall von angeborener familiärer Ankylose der Fingergelenke, von
Goldflam. (Medycyna. 1906. Nr. 50.) Ref.: Edward Flatau (Warschau).
Verf. fand obige Erscheinung bei zahlreichen Gliedern einer Familie, wobei
vier Mitglieder dieser Familie von ihm persönlich untersucht wurden. Von
46 Gliedern von drei Generationen dieser Familie waren 26 mit der Ankylose
behaftet. Sie waren alle gracil gebaut. Die Hand klein, aber proportionell dem
Gesammtbau. Die Endphalangen sind leicht volar gebeugt (bei dem V. Finger
leiohte Varusstellung). Die Fingerenden sind zugespitzt, die glatte Haut umkleidet
fest die Endphalange. Sowohl aktive wie passive Bewegungen fehlen in diesen
Gelenken (nur eine minimale Flexion erhalten). Dagegen sind die Bewegungen
in den übrigen Fingergelenken frei. Sonst sind sämtliche Muskelfunktionen in
den Händen erhalten. Sensibilität, Reflexe ungestört. Außerdem fand Verf. bei
drei Mitgliedern der Familie beschränkte Extension der Hand und der Ellbogen¬
gelenke (in diesen letzteren auch die Supination). Bei einer Person war auch
Hallux valgus vorhanden. Auch eine verminderte Kopfgelenkigkeit, Skoliosis und
Plattfuß waren beobachtet. Das Röntgenogramm zeigte, daß die Gelenke auch
zwischen den End- und Mittelphalangen gut ausgeprägt waren, es war also weder
eine Synostose noch Synchondrose oder Syndesmose vorhanden. Die partielle
Ankylose war wahrscheinlich durch eine unbekannte kongenitale Änderung der
weichen Teile der Gelenke (Sehnen, Ligamente, vielleicht auch die Haut) bedingt.
Verf. zitiert analoge Fälle von Aderholdt, Paulicky und Hoffmeyer.
19) A oase of family atrophy of the peroneal type, by G. L. Walton.
(Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1905. September.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
15jähriger Knabe hat seit seinem 11. Lebensjahre allmählich zunehmende
Gehstörungen ohne Schmerzen und Parästhesien. Die Untersuchung ergibt eine
Atrophie aller Fuß- und Zehenmuskeln, am stärksten der Peronealgruppe; Ober¬
schenkelmuskeln intakt, kräftig entwickelt, Gesäßmuskulatur weniger gut ent¬
wickelt; Füße kühl, der rechte cyanotisch. Keine fibrillären Zuckungen, Achilles¬
sehnenreflex fehlt beiderseits, Patellarreflex sehr schwach, Sensibilität intakt, keine
qualitativen elektrischen Veränderungen.
Von Familienangehörigen des Pat. soll ein Großonkel mütterlicherseits das¬
selbe Leiden gehabt haben; drei Brüder des Pat. (von 25, 18 und 12 Jahren)
haben das gleiche Leiden; bei dem ältesten hat es gleichfalls im 11. Jahre be¬
gonnen, ist sehr langsam vorgeschritten und hat zuletzt auch die Handmuskeln
ergriffen, doch ist der Pat. noch arbeitsfähig; bei den beiden anderen Brüdern
sind bis jetzt nur die Beine in der gleichen Weise wie bei dem mitgeteilten Fall
affiziert.
20) Beiträge zur Nosographie und Histopathologie der amaurotisoh-para-
lytisohen Idiotieformen, von Prof. Karl Sohaffer. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. XLII. 1906.) Ref.: G. IIborg.
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Verf. bespricht die von ihm und anderen Forschern bei amaurotischer Idiotie
erhobenen Befunde und beschreibt einen neuen Fall von amaurotisoh- spastischer
Idiotie. Die Kranke starb im 24. Jahr. Im Leben hatte sie spastische Para*
parese der vier Extremitäten, hochgradige Abnahme der Sehkraft, psychische
Defekte und fortschreitenden Marasmus dargeboten. Das Gehirn bot äußerlich
keine bemerkenswerten Anomalien in der Furchung und Windungsbildung dar.
In der inneren Struktur fielen namentlich zwei Abnormitäten auf: 1. fehlte das
temporo-occipitale Sagittalmark in seiner Hauptmasse, so daß weder
Flechsige primäre noch sekundäre Sehstrahlung sichtbar war; 2. machte sich
ein nicht unbedeutender Mangel an den centralen Markmassen und
zwar hauptsächlich im frontalen und temporo-parietalen Lappen bemerkbar. Die
Amaurose war also durch die fehlende Sehstrahlung, die Idiotie durch den mangel¬
haften Assoziationsapparat bedingt Interessanterweise blieb die Markfaserung
der Hirnrinde, mit Normalpräparaten eines Erwachsenen verglichen, bezüglich der
Struktur, sowie des Reichtums der Markfasern hinter letzterem nicht zurück. —
Verf. betrachtet den anatomisch teils an Frontal- und teils an Horizontalschnitten
genau untersuchten und ausführlich beschriebenen Idiotiefall für eine hoch diffe¬
renzierte Mißbildung, für eine Bildungshemmung. — Die Pyramidenbahn war
anatomisch vollkommen intakt, Kontrakturen bestanden. Die Muskeln waren in
ihrer Entwicklung hochgradig zurückgeblieben und verhielten sich elektrisch normal.
Eine Erklärung für die intra vitam beobachteten epileptiformen Anfälle wurde
nicht gefunden.
21) A oontribution to the study of amaurotio family idiooy, by Poynton,
Parsons and Holmes. (Brain. CXIV. 1906. S. 180.) Ref.: Bruns.
Die Verff. bringen zunächst die Krankengeschichten von 3 Fällen amauro¬
tischer familiärer Idiotie. In allen 3 Fällen handelte es sich um Kinder aus
jüdischen Ehen. Es bestand Blindheit — in allen 3 Fällen der kirschrote Fleck
mit blassem Hof in der Maculagegend —, in 2 Fällen Sehnervenatrophie. Dazu
in allen 3 Fällen große Schwäche der Rücken- und Nackenmuskeln; einmal
spastische Erscheinungen in den Beinen, einmal in den Armen. Tod in frühester
Kindheit. Im 2. Falle konnten das Nervensystem und die Augen genau unter¬
sucht werden. Es handelte sich um eine offenbar primäre und eigenartige Erkran¬
kung der Ganglienzellen im ganzen Centralnervensystem, sowie auch in den Spinal¬
ganglien und denen der Retina. Die Nervenfasererkrankungen waren sekundär; es
bestand hochgradige Sehnervenatrophie und leichte Degeneration der Pyramiden¬
bahnen. In der Netzhaut zeigte sich außer der Erkrankung der Ganglienzellen
ödem und Atrophie in der Maculagegend, das letztere namentlich im Centrum
dieser Gegend, so daß hier die Chorioidea durchschien, kirschroter Fleck; das
ödem bewirkte die weißliche Verfärbung um diesen Fleck. Von den Diplegien
ist die Tay-Sachsche Krankheit scharf zu trennen. Die Verff. nehmen an, daß
das Leiden auf einer inhärenten biochemischen Eigenschaft des Zellpiotoplasmas
beruht.
22) Familiäre, paralytisoh-amaurotisohe Idiotie und familiäre Kleinhirn-
ataxie des Kindesalters, von H. Hi gier in Warschau. (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
In derselben Familie, in welcher Verf. vor mehreren Jahren zwei Geschwister
mit genuiner Opticusatrophie beobachten konnte, kamen zwei weitere Fälle in
Behandlung, welche manches Licht auf die Frage der seltenen hereditären und
familiären Nervenaffektionen werfen. Sie entstammen einem jüdischen, nicht
luetischen, aber nahe blutsverwandten Ehepaar. Es handelt sich:
L um ein 9jähr. Mädchen, das sich bis zum 4. Lebensjahr scheinbar normal
entwickelte und vom Ende des 4. Jahres an veränderte. Die Sprache wurde müh¬
samer, unverständlicher, das Gehen ungeschickter, das Laufen wackelig, die Be-
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wegungen der Arme and Hände langsam und unsicher, die Sehkraft schwächer.
Der Hinterhauptssohädel ist auffallend klein, die Zunge wird etwas zitternd hervor*
gestreckt, die Sprache ist jetzt näselnd, langsam, bei rasohem Sprechen krampf*
haft mit explosivem Herausschleudern und Verschlucken der Worte, die Bewe¬
gungen der oberen und unteren Extremitäten sind unsicher, zitterig, das Stehen
ist breitspurig, balanzierend, der Gang taumelnd, stolpernd-stampfend. Bei größerer
Anstrengung ergeben sich Merkmale der cerebellaren und spinalen Ataxie und
des Intentionstremors. Der Muskeltonus ist erhöht, die Sehnenrefiexe sind abnorm
lebhaft, außerdem besteht Fußklonus und das Babinskische Symptom. Seh¬
schärfe herabgesetzt, genuine Atrophie beider Optici, Nystagmus ohne bestimmten
Typus, sonst an den Augenmuskeln keine Abnormitäten. Intelligenz und psychi¬
sches Verhalten entsprechen dem Alter eines um 2 bis 3 Jahre jüngeren Kindes.
II. 13 Monate alter Knabe, der sich nach normaler Geburt bis zum 7. Monat
gut entwickelte, von welcher Zeit an er geistig und körperlich zurückblieb. Es
fällt auf, daß das Kind fast bewegungslos daliegt, aber auf äußere taktile und
akustische Reize ziemlich lebhaft reagiert. Beine beinahe vollständig gelähmt,
Muskeltonus erhöht, sämtliche Reflexe gesteigert, BabinBkisches Symptom aus¬
geprägt. Keine Spur von Neigung zum Spreohen, Bulbi divergent, nicht fixierend,
keine Parese der Muskeln des Bulbus, kein Nystagmus. Sehkraft anscheinend
Btark herabgesetzt. Beide Papillen deutlich atrophisch ohne Neuritis, in der
Gegend der Macula lutea ein ziemlich großer, ovaler, weißer Fleck mit einem
kirschroten, kreisrunden Punkt in der Mitte.
Verf. rechnet den ersten Fall zu den hereditären Ataxien (Mariesche Form)
und die zweite Beobachtung zu den familiären cerebralen Diplegien (Tay-
Sachs sehe Form).
23) Ein Fall von Tay-Saohssoher familiärer amaurotischer Idiotie, von
L.Huismans. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr.43.) Ref.: R.Pfeiffer.
Typischer Fall amaurotischer Idiotie auB christlicher Familie. Kurze
Darstellung des Krankbeitsbildes.
24) A family form of progressive musoular atrophy beginnlng late in life,
by W. Browning. (Neurographs. I. 1907. Nr. 1.) Ref.: Kurt Mendel.
3 Fälle von progressiver Muskelatrophie in gleichem Alter, mit gleicher
Symptomatologie, gleichem Verlauf und gleicher Dauer, und zwar handelt es
sich um zwei Schwestern und ihre Kousine. Der Vater der Kousine bietet der
Beschreibung nach das gleiche Krankheitsbild, eine Verwandte dieses Vaters
mütterlicherseits, wahrscheinlich seine Kousine, starb an einem ähnlichen Leiden.
Es gibt eine familiäre Form der Poliomyelitis anterior chronica adultorum
mit typischem und rapidem Verlaufe und erst in späterem Lebensalter einsetzend.
25) Pathologisch-anatomischer Befund in einem weiteren Falle von fami¬
liärer spastischer Paraplegie, von Dr. L. Nowmark in St- Francisco.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch.
Nachdem Verf. früher schon über den mikroskopischen Befund im Rücken¬
mark des an dem gleichen Leiden verstorbenen Bruders berichten konnte
(vergl. dieses Centralblatt. 1906 S. 618), ergänzt er seine Ergebnisse durch
Mitteilung der anatomischen Veränderungen im Rückenmark eines 20jährigen
Mitgliedes derselben Familie. Es handelte sich dabei um einen Fall spas¬
tischer Erkrankung, welche von Kindheit an bestanden hatte, trotzdem aber
nicht wesentlich über das Anfangsstadium fortgeschritten war. Es fand sich
eine Degeneration, besonders in der dorsalen Hälfte der medialen Hinter¬
stränge, welche besonders in der Höhe von C. IV ausgebildet war, und außerdem
eine schwache Veränderung der Pyramidenseitenstränge in der Gegend des unteren
Lendenmarkes. Dabei hält es Verf. für nicht unmöglich, daß bei Anwendung
neuerer Methoden (Cajal oder Bielschowsky), die zurzeit der Untersuchung
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noch nicht so allgemein waren, ein besseres anatomisches Resultat erzielt worden
wäre. Immerhin hat sich doch so viel ergeben, daß die Markscheiden in den
medialen Hintersträngen stärker ergriffen waren, als in den Seitensträngen.
26) Un oas de myotonie oongönitale, par Dr. F. Meeus. (Arch. de neurolog.
XXL 1906. Nr. 122.) Ref.: S. Stier (Rapperswil).
Der 19jährige Patient, der sich vorher nie krank gefühlt, ersuchte Verf. um
ein Attest zur Befreiung vom Militärdienst und kam dadurch zum ersten Male
in ärztliche Beobachtung. Der Vater ist Alkoholiker; in der Familie der Mutter
waren mehrfach Psychosen. Pat. gibt an, immer etwas steife Bewegungen gehabt
zu haben; erst seit dem 14. Jahre habe sich dies aber mehr verschärft. Die
Steifigkeit tritt besonders im Anfang jeder Bewegung in allen beteiligten Muskeln
hervor; sie schwindet, sobald die Bewegung einmal im Gange ist. Die Summe
der geleisteten Arbeit (Pat. ist Tischler) ist gleich gut wie bei Beinen Arbeits¬
genossen. Er kann schnell und lange gehen; aber er muß zuerst kleine Schritte
nehmen und dann allmählich den Gang beschleunigen. Sobald er versucht, das
Tempo brüsk zu ändern, kommt er zu Falle. Jede Störung während des Gehens,
eine Emotion, Anrufen usw. kann plötzlich die tonische Starre hervorrufen.
Status: Maskenartige Physiognomie. Beim Sprechen arbeitet hauptsächlich
die Zunge. Lippen wie übrige vom Facialis innervierte Muskulatur fast un¬
beweglich. Beginnt Pat. zu marschieren, so zeigt sich zuerst — aber nicht
immer — deutliche Hemmung; nach den ersten 2 bis 3 Schritten hält er etwa
10 Sekunden an, dann setzt er den Gang ohne sichtbare Störung fort. Bei Be¬
wegung der Hände die gleiche Störung, Sensibilität normal. Nie Schmerzen.
Die Prüfung der Motilität ergibt außer den oben geschilderten keine Störungen
der willkürlichen Muskulatur. Normale Kraft. Schrift gut. Bei passiven Be¬
wegungen bisweilen starker Widerstand. Reflexe an Knien, Armen, Planta und
Pharynx aufgehoben; Kornealreflex schwach; Pupillenreflex normal. Elektrische
Prüfung wurde nicht ausgeführt. Pat. ist von normaler Intelligenz, klagte nie
über Beschwerden seitens des Nervensystems; nie bestanden Phobien. Die Muskeln
sind gut entwickelt, nicht hypertrophisch; die Waden gegenüber den Arm-
muskeln verhältnismäßig stark entwickelt. Idiomuskuläre Kontraktion am Arme
gleich Null, an der Wade leicht angedeutet; Herzaktion etwas erregt; Puls 100,
irregulär. Sonst innere Organe normal. Guter Ernährungszustand.
Der Fall bietet außer den charakteristischen Symptomen seitens der Muskel¬
aktion noch besonderes Interesse durch das Fehlen jeder homologen Heredität,
das Fehlen der Hauptreflexe und auch dadurch, daß Pat. trotz der beträchtlichen
Bewegungshemmung seiner Berufsarbeit ungestört nachgehen konnte.
27) Fall von Myotonie, von L. Mann. (Allgem. med. Central-Zeitung. 1907.
Nr. 2.) Ref.: S. Klempner.
Es handelt sich um ein 10jähriges Mädchen, bei welchem seit dem 2. oder
3. Lebensjahre das anfallsweise Auftreten einer Versteifung der gesamten Musku¬
latur beobachtet worden ist. Keine hereditäre Veranlagung.
Eis besteht Hypertrophie der Schultergürtelmuskulatur, der Oberarmmuskulatur
und der Glutaei maximi. Maskenartiger Gesichtsausdruck, Gräfesches Phänomen
(durch tonische Kontraktion des Levator palpebrae). Nachdauer der Kontraktion
besonders beim Handschluß; die Öffnung der kräftig geschlossenen Hand erfolgt
äußerst langsam. Charakteristische myotonische Kontraktion eines großen Teiles
der Muskulatur. Außerdem besteht in gewissen Muskeln eine Parese von eigen¬
tümlicher Art, wie sie Verf. bereits in einem früheren Falle beschrieben hat, sie
zeigt sich nur im Anfang der Bewegung, während bei wiederholten Bewegungen
die Muskeln immer mehr an Kraft zunehmen.
Diese Störung findet sich, wie in dem früheren Fall, in den Beugern des
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Oberschenkels, den Beugern des Unterschenkels und den Dorsalflektoren des Fußes,
entsprechend den hei Pyramidenläsionen betroffenen Muskelgruppen.
Verf. möchte daraus schließen, daß es sich bei der Myotonie nicht um ein
primäres Muskelleiden, Bondern um eine vom System der Pyramidenbahn abhängige
Affektion handelt.
28) Über atypisobe Formen der Thomsen sehen Krankheit (Myotonia
congenita), von Dr. A. Pelz. (Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLII. 1907.)
Bef.: Heinicke (Großschweidnitz).
Nach genauer Berücksichtigung der in der Literatur erwähnten Fälle atypi¬
scher Thomsenscher Krankheit, macht uns Verf. mit zwei eingehend beschriebenen
eigenen derartigen Beobachtungen bekannt. Es handelt sich um zwei Brüder.
Der eine leidet an typischer Myotonia congenita, die allmählich in die Myotonia
congenita atrophica und somit in die atypische Form übergeht; von weiteren Be¬
sonderheiten des Falles ist zu erwähnen zunächst Nystagmus; er ist in der Lite¬
ratur hei Myotonie erst einmal beobachtet worden; auch da handelte es sich um
die atrophische Form; ferner fehlten die Hautreflexe; es bestand weiter allgemeine
Hyperalgesie der Haut, der großen Nervenstämme, der Muskulatur, während sonst
bei der ThomBenschen Krankheit die Sensibilität zumeist ungestört ist. Verf.
bringt die Steigerung der Schmerzempfindlichkeit mit der allgemeinen gesteigerten
Beizbarkeit der Psyche des angeboren schwachsinnigen Kranken in Verbindung.
Der Hauptwert der vom gewöhnlichen Krankheitsbild abweichenden Erschei¬
nungen ist allein auf die Eigenart der Bewegungsstörung und die ausgesprochenen
Paresen zu legen.
Der zweite Fall ergab, trotz genauester Prüfung sämtlicher willkürlicher Be*
wegungen, nichts von myotonischer Veränderung. Um so überraschender war
aber der Befund der elektrischen und mechanischen Erregbarkeit, der fast völlig
dem für Myotonia congenita typischen Erbschen Befund entsprach. Verf. geht
also auch hier nicht fehl, diesen Fall unter die atypischen Verlaufsarten der
Thomsen sehen Krankheit einzureihen, um so mehr, als auch Fälle aus der
Literatur bekannt sind, die unzweifelhaft zur Myotonie gehören, wo aber in ge¬
wissen Begionen die willkürliche Bewegungsstörung fehlte.
Verf. schließt seine Arbeit mit dem Hinweis, daß nach seiner klinischen
Untersuchung die Zahl und Mannigfaltigkeit der Abweichungen sowohl des Ge*
samthildes nach Entstehung, Verlauf, Verteilung u.s.f., als auch der einzelnen
Hauptsymptome eine überraschende sei.
Die wichtigste Abweichung von dem Typus der elektrischen Störung ist die
sogen, „inkomplette“ myotonische Reaktion nach Hu et. Ebenso wichtig ist die
Tatsache, daß die myotonische Störung überhaupt fehlen kann; es gibt also eine
Myotonia sine tonu. Als weitere Abweichung der Bewegungsstörung nennt Verf.
noch die paramyotonische; sie besteht in einer unter dem Einfluß der Kälte sich
einstellenden Steifigkeit; schließlich gibt eB auch statt des tonischen starren
Krampfes nur eine elastische Spannung.
Heredität und der kongenitale Beginn in früher Jugend können ebenfalls
fehlen.
Der Verlauf des Leidens ist kein gleichmäßiger, mit nur geringen Schwan¬
kungen unverändert fortdauernder, es kann periodisch sein; es braucht nicht den
ganzen Körper zu ergreifen; Kombination mit anderen Nervenkrankheiten kommt
vor, wenn auch selten. Die symptomatologisch den willkürlichen myotonischen
Störungen ähnlichen, hei verschiedenen Nervenkrankheiten, besonders hei Tetanie
und Neurosen, vorkommenden Erscheinungen, möchte mit Becht Verf. als Inten¬
tionskrämpfe zur Unterscheidung genannt wissen.
29) Psyohisohe Störungen bei Thomsen scher Erkrankung, von Wedenskiund
Sachartschenko. (Korsakoffsches Journ. 1906. Nr. 3.) Ref.: Krön (Moskau).
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Die Verff. bringen die Krankengeschichte einer 38jährigen Patientin, welche
an kongenitaler Myotonie litt und zugleich das Bild einer hysterischen Psychose
darbot. Die Psychose war im Anschluß an ein psychisches Trauma aufgetreten.
Beide Krankheitszustände kamen bei der hereditär belasteten Patientin unabhängig
voneinander in Erscheinung, wurden aber in ihrer Intensität gegenseitig beeinflußt.
30) Nystagmus essential femilial, par MM. E. Apert et Dubuse. (Bulletins
de la Sociäte de Pädiatrie. 1906. Oktober.) Bef.: Zappert (Wien).
Eine Mutter und 4 Kinder zeigen mehr oder weniger ausgesprochenen Nystagmus
ohne sonstige Störungen vonseiten des Nervensystems. Die an Nystagmus leiden¬
den Kinder stammen sämmtlich aus der zweiten Ehe der Mutter.
Mit Berufung auf Arbeiten von Lenoble und Aubineau halten die Verff.
ihre Fälle für Formen der Nystagmus-Myoklonie, womit diese Autoren ein
durch allgemeine Zitterbewegungen charakterisiertes, oft familiäres Leiden be¬
zeichnen, das manchmal auf die Augenmuskeln beschränkt sein kann.
Eigentümlicherweise scheint die Bevölkerung der Bretagne besonders zu dieser
Affektion zu neigen.
31) Erbliches Zittern, von Neisser. (Wiener klin. Bundschau. 1906. Nr.42).
Bef.: Pilcz (Wien).
10jähriger Knabe, enormer rhythmischer Tremor der Hände, besonders wenn
Pat. einen Gegenstand fassen soll. Zittern der Zunge. 0 Nystagmus. Spasmen
in den unteren Extremitäten und Patellarsehnenreflexe >.
Der 54jährige Vater bot dasselbe Zittern, gab aber an, daß er noch beim
Militär ein guter Schütze gewesen. Der Großvater väterlicherseits gleichfalls
Zitterer, doch war bei ihm der Tremor in noch höherem Alter aufgetreten. Auch
eine Tante väterlicherseits leidet an Zittern.
Verf. verweist 1. auf die anderen nervösen Erscheinungen bei dem Pat. hin
(auf deren Fehlen z. B. Oppenheim aufmerksam machte), 2. darauf, daß das
erbliche Zittern hier bei den Vertretern der einzelnen Generationen in immer
jüngerem Alter sich störend bemerkbar machte.
Psychiatrie.
32) Bidrag tili k&nnedomen om sinessjuk domarnas familiftra uppträdande,
af Edvard Vestberg. (Hygiea. 1906. S. 289, 416 u. 504.) Bef.: Walter
Berger (Leipzig).
Verf. teilt 37 Fälle mit, die aus 9 Gruppen von ebensoviel Ascendenten mit
ihren 13 Kindern und 18 Geschwistergruppen bestehen. Bei der Anordnung des
Materiales hat Verf. unter einer Hauptabteilung alle Gruppen mit Homomorphismus
zusammengestellt, d. h. in denen die Krankheitsformen bei den Familiengliedern
übereinstimmen, und in einer anderen Hauptabteilung die Fälle mit Hetero¬
morphismus mit verschiedenen Krankheitsformen. Die erste Hauptabteilung zer¬
fällt in zwei Unterabteilungen, Gruppen mit manisch-depressiver Geistesstörung
und Gruppen mit Dementia praecox. Im Anschluß an die letztere Gruppe hat
Verf. eine Gesohwistergruppe angefügt, deren Psychosen mit keiner der Formen
Kraepelins recht übereinstimmen. Die zweite Hauptabteilung zerfällt in vier
Unterabteilungen: drei Gruppen mit Dementia praecox und manisch-depressiver
Geistesstörung; eine Gruppe mit Melancholie und Dementia praecox, eine mit
Dementia praecox und Idiotie und schließlich eine Familie, in der der Vater an
einer Alkoholpsychose litt, die Kinder Dementia praecox zeigten. Jedem einzelnen
Falle ist eine Epikrise beigefügt, in der die Diagnose des Falles besprochen wird.
Die meisten Psychosen, die sich vorfanden, gehören entweder der Kategorie
der Dementia praecox oder der manisch-depressiven Geistesstörung an, Krank-
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heitsformen, die wegen der beschwerlichen Behandlung und der Gemeingefährlich*
keit der Kranken häufiger als andere in Anstaltsbehandlung kommen, ln den
-Gruppen, in denen manisch-depressive Geistesstörung auftrat, bestand in sieben
Homomorphismus (vier Asoendenten-Descendentenpaare, drei Geschwistergruppen).
In einer Familie litt die Tochter an manisch-depressiver Geistesstörung, die
Mntter und der Bruder an Dementia praecox, doch findet sich Grund zu der
Annahme, daß vom Vater her manisch-depressive Belastung stammte. Bei zwei Ge¬
schwistergruppen trafen beide Formen zusammen, ohne daß entsprechende doppelte
Heredität bekannt, aber doch möglich war, die manisch-depressive Geistesstörung
war übrigens nicht ganz feBtgestellt
Bei Dementia praecox zeigten zwei Ascendenten-Descendentengruppen und
11 Geschwistergruppen Homomorphismus, doch war in einem Falle wegen der
vorliegenden mangelhaften Mitteilungen nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose über
das Leiden der Mutter möglich. In einer Familie litt die Tochter an Dementia
praecox, während das Leiden der Muttei; am meisten der Melancholie glich, es
ist indeß nicht undenklich, daß der Vater ebenfalls an Dementia praecox gelitten
hat. In einer aus zwei Schwestern bestehenden Gruppe zeigte die eine Dementia
praecox, die andere Idiotie, die aber wahrscheinlich durch äußere Verhältnisse
bedingt war. Unter den Gruppen mit Heteromorphismus hat Verf. eine auf¬
genommen, in der der Vater wahrscheinlich an Geistesstörung durch Alkohol litt,
die Kinder an Formen von Dementia praecox, die auch bei der Großmutter vor¬
handen gewesen zu sein schien. — Von Interesse ist das verhältnismäßig seltene
Vorkommen von Geistesstörung bei den Vorfahren der an Dementia praecox
Leidenden; unter 35 derartigen Kranken hatten nur 17 psychopathische Väter
oder Mütter.
Positive Schlußsätze ergaben sich in Verf.’s Untersuchungen nur in bezug
auf manisch-depressive Geistesstörungen und Dementia praecox, die beide in der
Regel auf Erblichkeit beruhen, aber nicht darauf beruhen müssen.
33) Über die Abgrenzung und die Grundlagen der Zwangsvorstellungen,
von Friedmann. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H.Vogt
Im ersten Teil wird unter eingehender Würdigung der Literatur die Ab¬
grenzung erörtert. Die wesentliche Charakteristik der Zwangsidee liegt in dem
ihr eigenen Denkzwange. Sie wird abgegrenzt von den verschiedenen Störungen,
denen ein psychischer Zwang beiwohnt, bei welchen aber die anderweitigen Eigen¬
schaften wichtiger sind alB jenes zwaDgsmäßige Auftreten; als die wichtigste Auf¬
gabe stellt sich dabei die Abgrenzung zwischen Zwangsidee und überwertiger Idee
heraus. Die Begriffsbestimmung der Zwangsvorstellung lautet (S. 237): Wir finden
eine Vorstellung bestimmten individuellen Inhaltes, welche im logischen Sinne
von ihrem Träger als unvernünftig oder doch schlecht begründet anerkannt wird,
über welche er nicht weiter reflektiert, die aber dennoch gleichzeitig (pein¬
licher Gefühlston, ferner Unabgeschlossenheit usw.) den Träger belästigt und be¬
herrscht (erstes Stadium), und welche sich weiterhin trotz seines Widerstrebens
fort und fort in sein Denken eindrängt.
Der zweite Teil erörtert die psychologischen Grundlagen der Zwangsvorgänge.
Der Vorgang beruht auf normalen Eigenschaften der Psyche (S. 381): „einmal
übt die stärkere Gefühlsbetonung einen gewissen bestechenden Einfluß auf die
Urteilsbildung aus und zweitens hält ein peinlicher Affekt, sowie der Tatbestand
der logischen UnabgeBohlossenheit die Vorstellungen im Bewußtsein fest; am
stärksten aber geschieht dies, wenn diese beiden Momente in der Gestalt einer
Befürchtung, eines Bedenkens oder einer peinlichen Erwartung zusammen ver¬
einigt auftreten.“ Die krankhaften Zwangsvorgänge sind eine pathologische
Steigerung dieser normalen Verhältnisse.
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34) Gioht und Psychose , von Prof. E. Mendel. (Deutsches Archiv f. klin.
Medizin. 1906. Ebstein-Festschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
Unter Berücksichtigung mehrerer eigener Beobachtungen und der Literatur
bespricht Verf. in der Festschrift für Wilh. Ebstein den Zusammenhang zwischen
Gioht und Psychose.
Die Ergebnisse faßt er selbst in folgenden Sätzen zusammen:
1. In sehr seltenen Fällen tritt nach einem schweren mit Fieber verbundenen
Gichtanfall eine akute Psychose auf, welche mit Trübung des Bewußtseins und
ausgedehnten Halluzinationen einhergeht und klinisch als Delirium hallucinatorium
zu bezeichnen ist.
2. In seltenen Fällen ersetzt eine akute Psychose den Gichtanfall und ver¬
läuft meist in kurzer Zeit.
3. In äußerst seltenen Beobachtungen zeigt sich, daß ein auftretender Gicht¬
anfall eine Psychose zur Heilung bringt, welche lange, selbst Jahr und Tag, un¬
verändert bestanden hat.
4. Das Zusammenvorkommen von einer Psychose mit Gichtanfällen ist ein
ungemein seltenes Vorkommnis und man ist nach den bisher vorliegenden Er¬
fahrungen nicht berechtigt, von einer Gichtpsychose zu sprechen.
Das Wort Griesingers: „Über die Entstehung von Seelenstörungen unter
dem bestimmenden Einfluß der Gicht läßt sich nichts Positives sagen“ besteht
auch heute noch zu Recht.
III. Bibliographie.
1) Die Trunksucht und ihre Abwehr. Beiträge zum gegenwärtigen Stande
der Alkoholfrage, von Dr. A. Baer, Geh. Med.-Rat in Berlin, und Dr.
B. Laquer, Arzt in Wiesbaden. 2. Aufl. (Berlin u. Wien 1907, Urban u.
Schwarzenberg. S. 242.) Ref.: M.
Das klassische Werk von Baer, welches im Jahre 1890 in erster Auflage
erschien, hat nun unter Zuziehung Laquers eine neue Bearbeitung erfahren.
Baer konnte sich keinen besseren Mitarbeiter verschaffen, als Laquer, welcher
mit Wort und Schrift gegen den Alkoholmißbrauch gekämpft und durch Reisen
und eigene Beobachtungen sich ein selbständiges Urteil gebildet hat.
Dabei und wohl auch dadurch iBt vermieden worden, sich auf jenen doktri¬
nären Standpunkt zu stellen, welcher den Alkohol nur als Gift betrachtet (S. 25)
und welcher in der Durchführung der absoluten Abstinenz die einzige Waffe gegen
das Übel des Mißbrauches sucht.
Nach einer Besprechung der physiologischen und pathologischen Wirkungen
des Alkohols wenden sich die Verff. zu der Erörterung des Einflusses der Trunk¬
sucht auf Krankheit und Sterblichkeit, auf das geistige Leben, auf Verbrechen,
Selbstmord usw. Hier werden die Statistiken der einzelnen Kulturländer aus¬
führlich beigebracht und gestatten dem Leser, ein eigenes Urteil über die ver¬
heerenden Wirkungen des Alkohols sich zu bilden.
Das wichtigste Kapitel ist der 3. Teil: die Abwehr der Trunksucht. Es
werden nacheinander erörtert, was die Gesellschaft, was der Staat zur Bekämpfung
der Unmäßigkeit tun kann.
Nur einzelnes kann hier aus dem Ergebnis der Untersuchungen hervorgehoben
werden: Ale ein im höchsten Grade nachahmenswertes Mittel hat sich das Gothen¬
burger System bewährt, dessen Erfolge ziffernmäßig naohgewiesen werden. Im
ganzen Königreich Schweden mit 5 Millionen Einwohnern existieren weniger
Branntweinverkaufsstellen, als in Königsberg mit 180000, Bremen mit 150000
oder Stettin mit 140000 Einwohnern.
Die Bestrafung der Trunkenheit, welche in einer Anzahl von Ländern statt-
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findet, hat einen wesentlichen Einfluß nicht ausgeübt. Man wird den Verff. nur
beistimmen, wenn sie sagen:
„Ein Gesetz zur Bestrafung der Trunkenheit kann nach allen Erfahrungen
Bich nur dort wirksam erweisen, wo gleichzeitig der Trunksucht in präventiver
Weise mit strengem Ernst entgegengetreten wird. Dort hingegen, wo der Brannte
wein zu äußerst billigen Preisen und auf jedem Schritt zu haben ist, wo die
Besteuerung des Branntweins sehr gering und die Zahl der BranntweinBtellen
übergroß ist, scheint es beinahe Zeit, die öffentliche Trunkenheit zu bestrafen."
Die Entmündigung des Trinkers, die Trinkerasyle, die Einwirkung, welche
der Staat auf die Beamtenschaft, der Alkohol in der Armee und in der Schule
ausübt, werden am Schluß noch eingehend erörtert.
Keinem Sozialpolitiker, keinem Arzt und speziell keinem Nervenärzte darf
das Buch in seiner Bibliothek fehlen, aus dem er nicht bloß reiche Anregung
und Belehrung erhalten wird, sondern das ihm auch zum Nachschlagen in bezug
auf bestimmte Fragen, welche den Kampf gegen den Alkoholismus betreffen, un¬
entbehrlich sein wird.
2) Arthur Schopenhauer. Seine wirklichen und vermeintlichen Krank¬
heiten, von Wilhelm Ebstein. (Stuttgart 1907, Enke.) Bef.: M.
Verf. behandelt in 5 Kapiteln die Frage, 1. ob Schopenhauer geisteskrank
und ob und inwieweit seine Psychose als die Ursache seiner Lebensauffassung,
seiner Philosophie und seines Charakters anzusehen ist, 2. über die vermeintliche
Syphilis Schopenhauers, 3. über die gichtische Erkrankung Schopenhauers und
deren Einfluß auf seine Philosophie und seinen Charakter, 4. ob Schopenhauers
letzte Krankheit seine wissenschaftliche Tätigkeit und sein psychisches Verhalten
beeinflußt hat und 5. das geistige Verhalten Schopenhauers in seinen letzten
Lebensjahren.
Die Frage ad 1 wird gegenüber anderweitigen Behauptungen mit vollem
Recht verneint, ebenso die nach der Syphilis auf Grund sehr eingehender Unter¬
suchungen besonders mit Rücksicht auf die Tatsache, daß in dem Notizbuch
Schopenhauers eine genaue Beschreibung seiner Schmier- und Sublimatkur sich
fand. Verf. macht darauf aufmerksam, daß zu der fraglichen Zeit jene Mittel
auch sehr häufig als Antiphlogistica und Resorbentia angewendet wurden.
Seine terminale Krankheit war ein Herzleiden. Die geistige Dekrepidität
Schopenhauers in seiner letzten Lebenszeit ist auf eine prämature psychische
Senescenz (Sch. wurde 72 Jahre alt) zurückzuführen.
Die vorliegende Schrift ist ein wichtiger kritischer Beitrag für die Patho-
graphien hervorragender Männer und sei zur Lektüre sowie zum Studium
bestens empfohlen.
3) Chr. D. Orabbes Krankheit, von Dr. Erich Ebstein (München). Seinem
Vater Wilhelm Ebstein zum 70. Geburtstag gewidmet (München 1906, Rein¬
hardt.) Ref.: M.
Grabbe, welcher, noch nicht 35 Jahr alt, starb, ist, wie Verf. in seiner
mit ungemein großem Fleiß und scharfer Kritik geschriebenen Arbeit nachweist,
an Tabes zugrunde gegangen. Derselbe hat Syphilis gehabt, hatte lanzinierende
Schmerzen, ataktischen Gang, gastrische Krisen.
Grabbe war ferner ein Degenerierter und chronischer Alkoholist. Der Alko-
holismus war wohl auch die Ursache, daß die Krankheit einen verhältnismäßig
schnellen tödlichen Verlauf nahm.
Die verschiedenen und einander widersprechenden Urteile über Grabbes Krank¬
heit dürften unserer Ansicht nach mit der vorliegenden Schrift einen endgültigen
Abschluß erfahren haben.
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4) Der Böhmen. Eine Untersuchung der psychologischen und physio¬
logischen Bedingungen des Schmerz Vorganges, von Dr. Semi Meyer in
Danzig. (Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens. VII. S. 79. Wiesbaden 1906,
Bergmann.) Bef.: M.
Wir geben auf die Psychologie des Schmerzes hier nicht näher ein; heben
dagegen hervor, daß nach Ansicht des Verf.’s der Schmerz kein Sinnesorgan hat,
nnd daß er durch Beizung der dem mechanischen Sinn dienenden Nervenfasern
entsteht. Diese geben bei ihrem Eintritt in das Bückenmark einen feinen Seitenaßt
ab, welcher die Schmerzvermittlung übernimmt.
So erkläre sich, daß der peripherische Nerv bei starker Beizung einen ex¬
centrischen Schmerz hervorbringt, welcher sich mit der Soheinempfindung an der
betreffenden Stelle verbindet, während bei Bückenmarksveränderungen eine Trennung
der Schmerzfunktion von der Empfindung beobachtet wird.
6) Verdeut8chungsbüoher des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins. VIII.:
Die Heilkunde. Verdeutsohung der entbehrlichen Fremdwörter aus
der Sprache der Ärzte und Apotheker, bearbeitet von Dr. Otto Kunow,
Generaloberarzt in Mainz. (Fünfte vermehrte Auflage. Preis 60 Pfg. Berlin
1907. 103 S.) Bef.: M.
Den Zweck und Inhalt deB Büchleins gibt der Titel an. Wenn auch im
wissenschaftlichen, besonders im internationalen wissenschaftlichen Verkehr die
lateinischen und griechischen Ausdrücke sich so eingebürgert haben, daß ihr Er¬
satz durch deutsche kaum einen Vorteil bringen dürfte, so ist der Arzt häufig
genug, besonders in seinen gerichtlichen Attesten, wie vor allem in den Gutachten
im Dienste der sozialpolitischen Gesetzgebung, genötigt, statt der fremdländischen,
für die Beteiligten unverständlichen deutsche Ausdrücke zu gebrauchen — das
Beichsversicherungsamt spricht in jedem Fall einen dahin gehenden Wunsch aus.
Ganz besonders aus diesem Grunde sei die sehr vollständige und gewissenhafte
Arbeit den Ärzten auf das Beste empfohlen.
IV. Aus den Gesellschaften.
Psychiatrischer Verein su Berlin.
Sitzung vom 22. Juni 1907.
1. Diskussion zum Vortrag des Herrn Lipschitz in voriger Sitzung (vgl.
d. Centr. S. 380).
Herr Beich (Herzberge): Der Versuch des Vortr. ist von großer Bedeutung
für die Lehre von der Begeneration der Nerven. Wenn die neugebildete Nerven¬
faser, wie der Versuch zu ergeben scheint, einen von dem des ursprünglichen
Nerven völlig abweichenden Verlauf nehmen kann, so ist damit erwiesen, daß die
neue Nervenbahn nicht unbedingt durch Begeneration des peripheren Stumpfes
entstehen muß, sondern daß sie auch durch Auswachsen von Nervenfasern aus dem
centralen Stumpfe entstehen kann. B. glaubt sich aber trotzdem der Annahme
des Vortr., daß durch seinen Versuch alle Einwände gegen die Neuronenlehre,
insbesondere die aus den Beth eschen Begenerationsversuchen sich ergebenden,
durchaus beseitigt sind, nicht anschließen zu sollen. B. ist selbst ein An¬
hänger deijenigen Anschauung, die man als Zellkettentheorie bezeichnet. Die
Zellkettentheorie ist zunächst auf geschichtlichem Boden erwachsen. Sie ist hier
von ebenso namhaften Forschern vertreten, wie bestritten worden. Den Grund
dafür, daß entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen keine sichere Entscheidung
geliefert haben, sieht B. darin, daß es an den embryonalen Organen nicht recht
möglich ist, die verschiedenen Zellarten, da sie noch keine charakteristischen
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□ rigiral frorn
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Unterschiede aufweisen, stets richtig ansein&nderzuh<en. Ganz anders ist es bei
den vollentwickelten Organen. R. ist durch seine mikro-histiochemischen Unter¬
suchungen zu der Anschauung gekommen, daß ebenso wie der quergestreifte
Muskel, auch der reife, periphere Nerv eine charakteristische zellartige Struktur
besitzt. Naoh seinen Befunden gehört der sogen. Kern der Schwannschen Scheide
gar nicht zu dieser, d. h. zum Bindegewebe, sondern er ist ein Bestandteil der
markhaltigen Faser selbst, ebenso wie auch die Sarkolemmkerne der quergestreiften
Muskelfaser zu dieser selbst gehören, und steht zu demjenigen albuminoiden Teil
der Faser, den man als Neurokeratingerfist bezeichnet, in Beziehung. Er ist um¬
geben von einer, für die Nervenfaserzelle spezifischen Granulation, die für die
Nervenfaserzelle ebenso charakteristisch ist, wie die NisBlsche Granula für die
Ganglienzelle, und die R. als «-Granulation bezeichnet. Sie ist eingebettet in
eine netzartige, mit der Kernmembran zusammenhängende Zellsubstanz, die direkt
in das sogen. NeurokeratingerÜBt der Zwischentrichter und des Achsencylinders
übergeht. Das Territorium der einzelnen Nervenfaserzelle entspricht einem Inter-
annularsegment. Die der Neuronenlehre aus der Zellkettentheorie heraus er¬
wachsenden Schwierigkeiten könnte der Versuch des Vortr. nur dann völlig ent¬
kräften, wenn gleichzeitig der Nachweis geführt würde, daß die aus dem centralen
Stumpf herauswachsenden Fasern nicht durch ein Auswachsen der Zellkette nach
der Peripherie, sondern nur allein durch Auswachsen des Achsencylinders der
Ganglienzellen zustande kommt. Es wird also auch hier schließlich die Anatomie
das letzte entscheidende Wort sprechen müssen. R. hat lange gezweifelt, ob
nicht, wenn schon das Axoplasma, das Neurokeratin und das Mark der Faser
als Produkt und Bestandteil der Nervenfaserzellketten anzusehen ist, wenigstens
die Neurofibrillen, die von vielen Seiten als der eigentlich leitende nervöse Be¬
standteil erklärt wird, durch Auswachsen aus der Ganglienzelle entsteht. Er
glaubt aber auf Grund der Untersuchung eines Nerventumors, der sich als fast
vollständig aus mehr oder weniger gestreckten, spindelförmigen, neurofibrillhaltigen
Zellen bestehend erwies, die alle Übergänge zu myelinhaltigen Nervenfasern zeigten
— wenn auch aus pathologischen Befunden auf das Verhalten im normalen Zu¬
stande nur mit Vorsicht Schlüsse gezogen werden dürfen —, daß tatsächlich die
Annahme die wahrscheinlichste ist, daß auch die Neurofibrillen auB den Zellen
der Nervenfaser ihren Ursprung nehmen. (Es werden die entsprechenden nach
Bielschowskys Methode hergestellten Präparate demonstriert.)
Im Anschluß daran bespricht R. noch das von ihm seiner Zeit am meisten
benutzte Verfahren zur Darstellung der «-Granula und der //-Granula der Nerven¬
faserzelle und bemerkt dabei, daß sich zur Darstellung der //-Granula nicht nur
das saure Fuchsin, sondern auch das basische Fuchsin und das Methylenblau, also
auch basische Anilinfarbstoffe eignen. Autoreferat.
2. Herr Vorkastner stellt einen 18jährigen Seminaristen vor, welcher sich
längere Zeit in Behandlung der Poliklinik befunden hatte. Bis bestand bei ihm
eine vasomotorische Neurasthenie. Im Vordergrund der Beschwerden standen
Kopfschmerzen, die eigentümlich stechend und pulsierend waren, so daß er sich
vor stärkeren Schmerzparoxysmen fürchtete. Es bestanden dabei Kongestionen
nach dem Kopfe mit flammender Röte im Gesicht. In letzter Zeit traten auch
Nasenblutungen auf. Für diese war eine lokale Ursache nicht zu finden. Ferner
bestand häufig stärkeres Herzklopfen und quälendes Angstgefühl in der Herz¬
gegend. Bücken war ihm peinlich. Diesen subjektiven Beschwerden entsprach
der objektive Befund. Das vasomotorische Nachröten war gesteigert. Leichte
Körperanstrengungen bewirkten eine Steigerung der Pulsfrequenz. Die Gefäße
des Augenhintergrundes waren Rtark gefüllt. Ferner bestand eine deutliche Rigi¬
dität der Radialarterie. Der Blutdruck war normal. Die Rückstoßelevation war
auf dem Sphygmogrannn stark ausgeprägt. Sehr interessant war der Herzbefund.
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Auskultation und Perkussion ergaben zwar keine Abweichung, durch Röntgen*
Aufnahme zeigte sich aber eine Anomalie. Man sah nämlich, daß sich das Herz
mehr vertikal einstellte, eine Andeutung dessen, was von Kraus als Tropfenherz
beschrieben ist. Die Sehnenreflexe waren lebhaft. Die Gefäßnervenschwäche war
konstitutionell bedingt, indem der Vater Potator war und die Geschwister an
nervösen Erscheinungen litten. Nachdem die Beschwerden in letzter Zeit zu-
genommen hatten, trat eine schwere akute psychische Störung auf. Es hatte sich
der Pat. an einem Ausflug beteiligt und am Tage 3 Glas Wein und am Abend
2 bis 8 Glas Sekt zu sich genommen. Er war danach heiter, aber durchaus
normal. Im Eisenbahnkoupee wurde ihm unwohl und er bekam Nasenbluten. Er
benahm sich wie ein Unsinniger und wollte die Coupätür öffnen. Er schrie,
tobte und wollte die Notbremse ziehen, griff aber statt dessen an die Wärme*
leitung, welche er dafür ansah. Sein Gesicht war rot, die Augen blutunterlaufen.
Auf Anreden reagierte er nicht Für diesen Zustand fehlte nachher vollkommen
die Erinnerung. Es handelte sich um einen kongestiven Dämmerzustand, wobei
das Interessante ist, daß der Zustand sich an die vasomotorischen Störungen an¬
schloß. Es erinnert das Bild an die Mania transitoria der alten Psychiater.
Differentialdiagnostisch kommen in Betracht der pathologische Rauschzustand und
die Epilepsie, die aber beide auszuschließen sind. Letztere insbesondere deswegen,
weil in der Vergangenheit keine Anhaltspunkte für Epilepsie bestanden, trotzdem
bleibt die Diagnose der Epilepsie diskutabel, für Hysterie ergab sich nichts.
Dieser Fall beweist, daß sich auf dem Boden der einfachen vasomotorischen
Neurasthenie ein Dämmerzustand entwickeln kann. Für die Prognose ist wichtig,
daß sich ein solcher Zustand nicht zu wiederholen braucht. Die Therapie hat
für vollkommene Alkoholabstinenz zu sorgen, in zweiter Linie für die Behandlung
der vasomotorischen Störungen.
3. Herr Rosenberg berichtet über hiatologisohe Untersuchungen aus
dem Laboratorium des Herrn Geheimrat Ziehen. Mit Hilfe von projizierten
Mikrophotogrammen und Aquarellzeichnungen und unter Hinweis auf ausgestellte
Nissl-Präparate weist er auf folgende Merkmale hin, durch die sich die Cyto-
architektonik der Heschlschen Windungen von der ersten Temporalwindung
unterscheidet:
1. Die gemeinsame Tiefe der Schichten der mittelgroßen und großen Pyra¬
midenzellen ist nur halb so groß.
2. In der letzterwähnten Schicht sind die Riesenpyramidenzellen in ungefähr
doppelter Anzahl vorhanden.
3. Es besteht ein Mangel an tiefen Pyramidenzellen.
4. Die SpindelzellenBchicht ist mehr als doppelt so tief. Sie ist im oberen
Teil zellreicher, sie zeigt keine deutliche Reihenbildung und ist gegen das Mark
weniger scharf abgesetzt.
Die Differenzen beziehen sich im wesentlichen auf die Kuppen der ver¬
glichenen Windungen. Da Flechsig auf Grund seiner Studien über die Mark-
reifung der Gehirnbahnen feststellte, daß besonders die Heschlschen Windungen
kortikale Endstationen des N. cochlearis enthalten, und da nach Campbell diese
Windungen durch eine eigenartige Rindenfaseranordnung charakterisiert sind, so
bringt auch die Cytoarchitektonik eine neue Stütze dafür, daß diese Windungen
die Hörsphäre darstellen. Von weiteren Autoren wurden zitiert Meynert, Betz,
Hammarberg und Cajal. Autoreferat.
Herr Brodmann bemerkt in der Diskussion: 1. Auch Siemerling hat be¬
reits vor Jahren in einem Vortrage an der Hand von Markscheidenpräparaten
gezeigt, daß die G. temp. transversi durch eine besondere Struktur von der übrigen
Temporalrinde ausgezeichnet sind. Campbells Untersuchungen beziehen sich
nicht nur auf die Faser, sondern gleichzeitig auf die Zelltektonik und geben
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außerdem eine topische Lokalisation der verschiedenen Strukturtypen des Schläfen-
lappens, welche der Vortr. vermissen läßt. 2. Es ist nicht bewiesen und auch
nicht ohne weiteres beweisbar, daß der vom Vortr. demonstrierte Typus die Rinde
der Hörsphäre darstellt Derartige physiologische Termini sollten bei rein ana¬
tomischen Rindenuntersuchungen vermieden werden, da sie zu lokalisatorischen
Schlußfolgerungen verleiten, welche irreführend sind. Cytoarchitektonische Rinden¬
felder und physiologische Bezirke fallen nicht notwendig zusammen, wie vor allem
das Beispiel der ezcitomotorischen Zone und der Area gigantopyramidalis beweist
3. Lokalisatorisch ist ein besonderer tektonischer Typus nicht genau auf die
Heschlschen Querwindungen beschränkt, er greift vielmehr nach eigenen Unter¬
suchungen einerseits darüber hinaus, andererseits läßt er einen Teil frei (vgl. auch
das Campbell sehe Schema). Windungen und Furchen sind aber nicht maßgebend
für die Umgrenzung anatomischer Rindenfelder. 4. Im einzelnen bestreitet B.
das Vorkommen von „Riesenpyramiden *•, wie überhaupt von spezifischen Zell¬
formen (nach Nissl-Färbung) in den Querwindungen. Auch die Schmalseite des
Querschnittes ist nicht charakteristisch für die „Hörrinde“. Die relativ geringe
Breite der I. bis III. Schicht, verglichen mit der der IV. bis VI. Schicht, kommt
der ganzen Temporalrinde zu, ganz zu schweigen von anderen Windungsbezirken.
Autoreferat.
Herr Jacobsohn fragt, ob die Untersuchungen des Vortr. im wesentlichen
eine Differenz des Schichtenbaues der Rinde des Hörcentrums gegenüber anderen
Rindenregionen ergeben haben, oder ob sich eine besonders charakteristische Zell¬
form im Hörcentrum gefunden hat, wie Cajal es angegeben hat. Ferner möchte
J. darüber Auskunft haben, ob sich ein Unterschied in der Zellstruktur der linken
ersten Schläfenwindung, besonders im Bereich des Wortklangcentrums gezeigt hat
gegenüber der rechten Schläfenwindung, und schließlich fragt J., ob der Vortr.
die Rinde dieser Rindenregion nur von erwachsenen Personen oder auch von
Rindern untersucht hat. Namentlich die Untersuchung dieser Rindenteile vor und
nach der Sprachbildung könnte eventuell Bedeutsames hinsichtlich der Zellverhält¬
nisse zutage fördern. Autoreferat.
Herr Ziehen weist darauf hin, daß bei diesen Untersuchungen nur die Frage
gestellt war: existiert ein Unterschied zwischen den Temporalwindungen und den
HeschIschen Windungen?
In seinem Schlußwort betont Herr Rosen borg, daß der Sohichtenbau in
den Heschlschen Windungen charakteristisch sei und spezifische Zellen nicht
gefunden Beien.
4. Herr Schulze stellt ein 12jähriges Mädchen vor, das seit dem 23. März
1907 in Behandlung der Klinik ist. Von der Mutter her ist das Kind nervös
belastet. Es hat zur rechten Zeit sprechen und laufen gelernt. Mit 6 Jahren
kam es in die Schule, kam später in die Nebenklassen. Vor 2 Jahren überstand
es Scharlach und im Anschluß daran Nierenentzündung; im vorigen Jahr Masern.
Später traten Fieberzustände bis 40° auf, nach Angabe der Stiefmutter bestand
damals Lungenschwindsucht und Pleuritis. Im Dezember 1906 erholte es sich,
nachdem es durch die Krankheiten zum Skelett abgemagert war und konnte im
Januar die Schule wieder besuchen. Es fiel dort nach 14 Tagen auf, daß das
Kind vor sich hinstarrte und ins Leere blickte und sich allmählich ein Zustand,
wie das Kind bei der Vorstellung bot, entwickelte. Es blieb stehen, wo es hin¬
gestellt wurde, und antwortete nicht. Der Gesichtsausdruck war indifferent. Die
Eltern merkten nichts von Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Nach der
Aufnahme in die Klinik wurden Intelligenzprüfungen vorgenommen. Es ergab
sich, daß das Kind das kleine Einmaleins beherrschte und Divisiönsaufgaben teil¬
weise richtig rechnete. Monate und Jahreszeiten kannte Patientin; sie wußte den
Namen des Kaisers und der Kaiserin. Sie kannte den Unterschied zwischen
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Wasser und Eis, zwischen Irrtum und Lüge. Diese Prüfungen erforderten viel
Geduld. Das Kind lag stets resigniert im Bett, ohne den Ausdruck der Angst.
Es verhielt sich vollkommen teilnahmlos gegen die Vorgänge in der Umgebung.
Beim Eissen blieb es mit dem Löffel auf dem Wege zum Munde Btehen. Gelegent¬
lich gab es über seinen Zustand einige Auskunft: ich weiß nicht, warum ich nicht
geantwortet habe. Eis konnte sich anscheinend seinen Zustand nicht erklären.
Es sagte, ich habe keinen Trieb zum Spielen, äußerte ferner, es sei nicht traurig
und habe keine Angst. Halluzinationen und Wahnvorstellungen wurden auch in
der Klinik nicht festgestellt. Anfallsweise bekommt das Eind starken Speichel¬
fluß, welchen es auch während der Demonstration hat. Es hat sehr schlechte
Zähne und das Zahnfleisch ist mit hartnäckigen Geschwüren besetzt. Hierauf
wird vom Vortr. die Ursache des Speichelflusses zurückgeführt. Der abgesonderte
Speichel wird nicht geschluckt, da auch der Schluckakt gehemmt ist. Das Eind
äußerte dazu: ich kriege es nicht herunter. (Während der Demonstration beugte
sich das Eind dauernd mehr und mehr nach vorn über, um den Speichel besser
aus dem Munde herauszukriegen.) Mehrere Male wurde Einuässen beobachtet.
Daun weinte das Kind und sagte, es habe es zu spät gemerkt. Während der
Demonstration ist eine Antwort vom Kinde nicht zu erhalten. Über Zeit und
Ort ist das Eind orientiert; es freute sich auf diese Vorstellung, da es sowie bei
der kürzlich stattgehabten klinischen Vorstellung sich jetzt wieder ordentlich aus¬
speicheln könne. Aus einzelnen Momenten — es wurde beim Ballspielen getroffen
und erzählte einer Mitpatientin spontan, daß es Zahnschmerzen habe — ist zu
schließen, daß ein Nachlassen der Krankheit einzutreten scheint. Zornaffekte hat
das Kind nie gezeigt. Einmal schien Flexibilitas cerea vorhanden zu sein; einige
Tage später fragte das Eind die Wärterin, wie lange es den Arm hochhalten
müsse. Im vorliegenden Falle handelt ob sich um Hemmung des gesamten Vor-
stellungsablaufs. Die Melancholie ist bei fehlender Angst auszusohließen. Gegen
Paranoia spricht das Nichtvorhandensein von Wahnvorstellungen und Halluzina¬
tionen. Für Epilepsie und Hysterie fehlen Anhaltspunkte. Am meisten erinnert
das Krankheitsbild noch an Dementia praecox. Die Krankheit hat sich an starke
Erschöpfung angeschlossen. Gegen die Demenz spricht das Fehlen der Intelligenz¬
defekte, das Fehlen der Perseveration und der impulsiven Handlungen, ferner das
Auftreten der Krankheit vor der Pubertät.
Nach Jolly würde das Krankheitsbild zweckmäßig als Anoia benannt. Nach
dem Vor bilde der französischen Autoren möchte Vortr. die Diagnose auf Stupidität
stellen. Ein endgültiges Urteil ist erst nach Ablauf der Krankheit zu geben.
Die Prognose ist eine gute.
Herr Försterling bezweifelt, daß die Hebephrenie so leicht von diesem Bilde
abzuzweigen ist, er glaubt in der Haltung des Kindes und in seinem Benehmen
Stereotypie zu sehen. Ein intellektueller Defekt braucht noch nicht zunächst
nachweisbar zu sein. Wegen der Hemmungen seien zurzeit Intellektprüfungen
unmöglich. Es ist unmöglich jetzt zu sagen, daß nicht Hebephrenie vorliegt
Die Prognose könnte infaust sein.
Herr Liepmann weist auf das Verharren des Kindes in abnormer Stellung
hin und auf die Art, wie das Kind das Gleichgewicht hält. Es erinnert an das
Bild der Katatonie.
Herr Möller führt hinsichtlich der Methode der Intelligenzprüfungen aus,
daß es wertvoller ist angewandte Rechenaufgaben zu wählen, anstatt nackter
Zahlen, ferner unbekannte Geschichten zur Prüfung der Auffassungsfähigkeit.
Herr Ziehen hat solche Fälle von Stupidität gesehen und zur Heilung
kommen sehen. Auch im vorliegenden Falle erwartet er Genesung. Gegen die
Dementia praecox spricht das gute Auffassungsvermögen, für dessen Nachweis die
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Intelligcnzprüfungen einen großen Wert haben. Man ist erstaunt au sehen, wie
die Kranke die Hemmung überwindet und gut kombiniert.
Herr Schulze führt noch im Schlußwort an, daß der Speichelfluß nur an¬
fallsweise auftritt je nach dem Zustande dee Mundes. Beschäftigt man sich mit
dem Kinde, hört der Speichelfluß auf. Auf Erfordern hebt das Kind den rechten
und linken Arm hoch und befolgt dann noch zwar zögernd, aber sachgemäß einige
Aufforderungen des Vortr.
5. Herr Boedeker bespricht einen Fall, welcher eine aus äußeren Gründen
nicht vorstellbare 50jährige Deutsch-Bussin betrifft Sie war seit 1 J / a Jahren im
Klimakterium. Die Krankheit begann mit melancholischer Verstimmung. Patientin
wurde zunächst in Rußland als psychisch krank behandelt und kam alsdann in
eine süddeutsche Anstalt. Sie zeigte sich ungebärdig, klagte über Schmerzen im
Leib, Magen und Darm. Wegen der angeblichen Schmerzen schrie sie beständig.
Das dauerte etwa ein Jahr. Jede Behandlung ihrer Beschwerden war erfolglos.
Alsdann kam sie in die Anstalt des Vortr. Sie betrat dieselbe mit einem schon
von weitem hörbaren monotonen Schreien, weswegen sie isoliert werden mußte.
Die Diagnose wurde auf Paranoia hypochondriaca gestellt. Da die Patientin nach
einiger Zeit eine Operation verlangte, wurde eine Scheinoperation ausgeführt, die
in einem Schnitt in die Bauchhaut bestand. Nach dem Erwachen aus der Narkose
begann schon wieder das Geschrei. Nachdem die Kranke bei Mitkranken Sonden¬
fütterung gesehen hatte, verlangte sie das gleiche. Sie wurde auch mit der Sonde
gefüttert und die Patientin wurde ruhiger, da sie sich der unangenehmen Mani¬
pulation entziehen wollte. Sie konnte nun auf die ruhige Station gebracht werden.
Sie sagte, sie habe das Gefühl, als ob sich im Magen etwas losreißen wolle und
beim Stuhl, als ob sich etwas aus dem After nachziehe. Aus Verzweiflung schreie
sie. Der Stuhlgang wurde mehrere Male untersucht. Im Mai wurde ein 40 cm
langes Stück geformten Schleims gefunden. Spezialistischerseits wurde die Dia¬
gnose nun auf Colitis mucosa gestellt. Seitdem ist eine entsprechende Behandlung
eingeschlagen und eine Besserung auch in dem psychischen Verhalten bereits zu
bemerken. Bei dem Fehlen von Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen und
jeglichen geistigen Defektes ist anzunehmen, daß es sich um eine krankhafte
psychische Reaktion auf einen vorhandenen somatischen Krankheitsprozeß handelt.
Ascher (Berlin).
Mitteilung.
Den geehrten Mitarbeitern und Abonnenten machen wir die ganz ergebene Mit¬
teilung, daß wir dem bewährten Mitarbeiter des verstorbenen Hrn. Prof. Mendel,
Herrn Dr. Kurt Mendel,
die Redaktionsführung des Neurologischen Centralblattes übertragen haben.
Leipzig. Veit & Comp.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in I3erlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzghb & Wittib in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet von Prof. E. Mendel*
Herausgegeben
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Dr. Kurt Mendel.
Sechsundzwanziggter Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 1. August. Nr. 15.
Inhalt. I. Originalmitteilungen. 1. Der Doppelmotor im Gehirn, von Prof. Dr. Albert
Adamkiewicz in Wien. 2. Über Bahnung der Patellarrefiexe, von Dr. Karl Kroner.
II. Referate. Anatomie. 1. Die Großhirnrinde des Menschen in ihren Maßen und
in ihrem Fasergehalt, von Kaet. — Physiologie. 2. The grouping of the afferent im-
pulses within the spinal cord, by Head and Thompson. 3. Untersuchungen über die Sensi¬
bilitätsleitung im Rückenmark des Hundes, von Schuster. — Pathologische Anatomie.
4. A study of the various changes which occur in the tissues in acute diphtheric toxaemia,
more especially in reference to acute cardiac failure, by Dudgeon. 5. On some of the ner-
vous complications of the specific fevers, by Bachon. — Pathologie des Nervensystems.
6. Über Vorkommen und Bedeutung markhaltiger Nervenfasern in der menschlichen Netz¬
haut vom neurologischen Standpunkt, von Bernhardt. 7. Die transkortikale Tastlähmung,
von Kutner. S. La fonction gnosique, par Egger. 9. Agnosie et asymbolie, ä propos d’un
soi disant cas d’aphasie tactile, par Clapar&de. 10. A propos d’un cas d’aphasie tactile, par
NoTca. 11. La vraie aphasie tactile, par Jones. 12. Recherches sur la psycnologie des apna-
siques. Le „souvenir“ chez les aphasiques, par Vaschide. 13. Revision de la question de
Paphasie. Que faut-il penser des apbasies sous-corticales (aphasies pures)? par Marie.
14. Revision de la question de Paphasie. L’aphasie de 1S61 ä 1866, par Marie. 15. La
fonction du langage et la localisation des centres psychiques dans le cerveau, par Grasset.
16. La fonction du langage. Rectifications ä propos de Particle de M. Grasset, par Marie.
17. Presentation d’un cerveau senile avec atrophie simple des circonvolutions simulant une
lesion en foyer dans la region de la parietale ascendante et de la 3 mi frontale ä gauche, par
Marie. 18. Nouveau cas d’aphasie de Broca sans lesion de la troisieme frontale gauche,
par Marie et Montier. 19. Sur un cas de ramollissement de la circonvolution frontale
gauche chez un droitier, sans aphasie de Broca, par Marie et Montier. 20. Nouveau cas
d’aphasie de Broca dans lequel la troisieme circonvolution frontale gauche n’est pas atteinte,
par Marie et Montier. 21. Aphasie motrice sans lesion de la troisieme circonvolution fron¬
tale, par Souques. 22. Mutisme, aphonie, amnesie, aphasie — aphasie motrice, amusie,
surdite musicale, surditö verbale, cecite verbale, cecite psychique, agraphie — chez un
hysterique recemment gueri d’uue monoplegie brachiale droite, remontant ä huit ans, par
Raviart et Dubar. 23. Über Agrammatismus und die Störung der inneren Sprache, von
Neilbronner. 24. Zur Frage der amnestischen Aphasie und ihrer Abgrenzung gegenüber
der transkortikalen und glossopsychischen Aphasie, von Goldstein. 25. Über Apraxie des
Lidschlusses, von Lewandowsky. 26. Zur Frage der Abgrenzung der ideatorischen Apraxie,
von Marguliös. 27. Kortikalejiunervatorische) Apraxie, von Kleist. 28. Beiträge zur Apraxie¬
lehre, von Hartmann. 29. Über eine direkte Leitung vom optischen zum kinästhetischen
Rindencentrum der Wort- und Buchstabenbilder, von v. Mayendorf. 30. Über die anatomisch¬
histologische Grundlage der sogen. Rindenblindheit und über die Lokalisation der kortikalen
Sehsphäre, der Macula lutea und der Projektion der Retina auf die Rinde des Occipital-
lappens, von Wehrli. — Psychiatrie. 31. Automatisches Schreiben und sonstige auto¬
matische Zwangsbewegungen als Symptome von Geistesstörung, von v. Bechterew. 32. Re¬
marques sur la Stereotypie graphique, par Antheaume et Mignot. 33. Vergleichende Unter¬
suchung einiger Psychosen mittels der Bildchenbenennungsmethodc, von v. Schuckmann.
34. Häufigkeit und Ursachen seelischer Erkrankungen in der deutschen Marine unter Ver¬
gleich mit der Statistik der Armee, von PodestA. 85. Die Inanition im Verlaufe von Geistes-
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Oi44ral fr cm
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krankheiten und deren Ursachen, von Dreyfus. 36. Erkrankung der Nebennieren bei perio¬
dischem Irresein, von Muratoff. 37. Über periodische Paranoia und die Entstehung der
paranoischen Wahnideen, von Qierlich. 38. Zur Klinik der arteriosklerotischen Hirn¬
erkrankungen, von Eisath. 39. Die arteriosklerotische Geistesstörung und ihre strafrecht¬
lichen Beziehungen, von Albrecht. — Forensische Psychiatrie. 40. Zur Lehre vom
angeborenen Verbrecher, von Haymann. 41. Zur Frage der Subsumption unter § 2 des
Strafgesetzes, von Berze.
III. Bibliographie. Epilepsy, a study of the idiopathio disease, by Turner.
IV. Aut den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft fQr Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg.
V. Personalien.
I. Originalmitteilungen.
1. Der Doppelmotor im Gehirn.
Von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz in Wien.
[Aus meinem Laboratorium.]
Die bekannten Versuche von Fbitsch und Hitzig aus dem Jahre 1870
haben, indem sie zeigten, daß man von gewissen Stellen der Großhirnrinde
aus Muskeln des Körpers elektrisch erregen könne, eine bedeutungsvolle Tatsache,
aber auch einen verhängnisvollen Irrtum in die Wissenschaft eingeführt
Wichtig war der Nachweis gewisser Beziehungen der Großhirnrinde zur
Bewegung, weil er den Grund zur Erforschung der Großhirnrindenfunktionen
überhaupt gelegt hat. Aber falsch und verhängnisvoll war die Deutung, welche
man der erwähnten Tatsache gab, indem man sie als einen Beweis für die
motorischen Eigenschaften der elektrisch erregbaren Teile der Großhirnrinde
ansah.
In meiner Arbeit: Die wahren Centren der Bewegung und der Akt
des Willens, 1 habe ich gezeigt, auf welche Abwege dieser Irrtum die Wissen¬
schaft geführt hat und dargelegt, wie sich dieselbe allmählich von ihm frei ge¬
macht und zur Wahrheit durchgerungen hat.
Schon meine Untersuchungen über den sogen. „Hirndruck“ haben bewiesen,
daß die durch die FBiTscH-HiTziG’schen Experimente angeregte Vorstellung,
die vorderen Abschnitte der Großhirnrinde seien „motorisch“, die hinter den
Central Windungen gelegenen, wie dies die Arbeiten von Munk noch besonders
zu bestätigen schienen, seien „sensorisch“, der Wirklichkeit nicht entsprach.
Denn wenn es auch richtig ist, daß die vorderen Großhirnrindenabschnitte
zur Bewegung, die hinteren zur Funktion des Sehens und des Hörens in ma߬
gebender Beziehung stehen; so konnte ich doch sicherstellen, daß im
Hinterhauptslappen nicht nur das Sehen, sondern auch alle auf den Sehakt und
sein Organ bezüglichen motorischen Funktionen zustande kommen, ebenso
wie in den vorderen Gehirnrindenabschnitten neben der Bewegung auch alle
diese Funktion begleitenden centripetaleu Erregungen ihre seelische Erledigung
1 Wien 1905, W. Braumüller.
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finden. Und so war der Schluß berechtigt, daß die Großhirnrinde nicht von¬
einander getrennte „motorische“ und „sensorische“ Abschnitte, sondern für die
einzelnen Organkomplexe des Körpers gesonderte „Seelenfelder“ besitze,
die demnach den Gesamtangriffspunkt der Seele für alle die ein¬
zelnen Organkomplexe zusammensetzenden Einzelerregungen dar¬
stellen.
Es kommt also in den „Seelenfeldern“ und folglich in der Großhirn¬
rinde überhaupt nur die Seele zu Worte, d. h. das rein Gedankliche oder
das geistige Moment Und dieses „Gedankliche“ besteht entweder nur in
„geistigen Bildern“, wie sie die Großhirnrinde im „inaktiven Zustand“, so bei¬
spielsweise im Traum, automatisch und unbewußt hervorbringt Oder es bildet
den „Gedanken“, wenn die Großhirnrinde durch die Reize der Wirklichkeit
angeregt diese Wirklichkeit widerspiegelt und erkennt und auf Grund dieser
Erkenntnis aktiv und bewußt Begriffe und Vorstellungen und logische
Schlußfolgerungen bildet
Motorisch aber ist die Großhirnrinde nirgends. Man kann einem Tier,
beispielsweise einem Kaninchen, den gesamten Hirnmantel, also die gesamten
Hirnhemisphären bis zu den Hirnhöhlen entfernen, ohne daß es die geringste
Einbuße in der Funktion seiner Muskulatur erleidet Körperhaltung und Körper¬
bewegungen bleiben auch nach der Entfernung der Hirnhemisphären tadellos.
Das operierte Tier sitzt nur stumpf und still da, weil es nach dem Verlust
der Großhirnhemisphären seine Seele, also Intelligenz und Willen, verloren
hat und daher von seiner Muskulatur keinen Gebrauch mehr zu machen in der
Lage ist.
Setzt also der elektrische Strom, indem er die vorderen Abschnitte der
Großhirnrinde erregt, Muskeln in Bewegung, so beweist das nicht, daß die
vorderen Abschnitte der Großhirnrinde motorisch sind, sondern daß diese Ab¬
schnitte zu den Körperbewegungen in Beziehung stehen, und daß
auch der elektrische Strom imstande ist, diese Beziehungen zu er¬
weisen, indem er den Reiz der seelischen Erregung, speziell den
des Willens, ersetzt und ausübt
Der Motor der Körperbewegungen, d. h. das Organ, in welchem die Körper¬
bewegungen geordnet sind und erregt werden, ist dagegen, wie ich es erst
kürzlich nachgewiesen habe, das Kleinhirn. 1 Und das Kleinhirn entwickelt
nicht nur die Kraft, welche sich in den Muskeln in Bewegung verwandelt,
es enthält auch für jede Bewegungskomponente einen eigenen Angriffspunkt,
ein besonderes Centrum, für alle also eine Art Tastwerk, auf welches der Wille
ebenso ein wirkt, wie der Musiker auf die Tasten, wenn er Klavier spielt. In
meinem eben zitierten Werk habe ich die Anordnung der Bewegungsklaviatur
im Kleinhirn genau beschrieben und damit ist gleichzeitig zum erstenmal ge¬
zeigt worden, daß das Kleinhirn als Organ der Bewegung eine analoge
Topographie der Bewegungen aufweist, wie es die Großhirnrinde
1 Adamkibwicz, Die wabreu Centrcn der Bewegung und der Akt des Willens. Wien
1905, W. Braumüller.
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für die seelische Erregung der einzelnen Organgruppen in ihren
Seelenfeldern besitzt Die Turiner Akademie hat vor kurzem eine Bestätigung
meiner Resultate mitgeteilt. 1
Auf Grund dieser Befunde habe ich von der Willensfunktion und
ihrem physiologischen Apparat folgende Beschreibung* gegeben:
„Die Großhirnrinde ist ausschließlich Organ der höheren Seelen-
funktionen. Als solches erzeugt sie im inaktiven Zustand und unbewußt
traumhafte geistige Bilder, im aktiven Zustand und bewußt den auf der Er¬
kenntnis der Wirklichkeit beruhenden Gedanken mit seinen Begriffen, Vor¬
stellungen und zu Willensintentionen führenden Schlüssen. Die Willens¬
erregung ist mit der Entwicklung elektrischer Ströme verbunden und diesen
verdankt der Wille seine motorische Kraft und seine physiologische Wirkung.
Der Wille ist ebenso wie die ihm kongruente Intelligenz das Produkt der
gesamten Großhirnrinde, hat aber für die einzelnen, den Gesamtorganismus zu¬
sammensetzenden Organkomplexe bestimmte, auf der Rinde gelegene, zwar
lokal getrennte, aber physiologisch gleichwertige Felder, die „Seelenfelder“. 8
Von diesen umfaßt das der Körperbewegungen die vorderen Partien
der Großhirnhemisphären, zumal die Centralwindungen. Hier setzt der Wille
ein, welcher durch die grobe Muskulatur des Körpers wirken will. Und von
hier aus setzt er auch diese Muskulatur in Bewegung.
Um das zu tun, muß der Willensimpuls Centren erregen, die der groben
Bewegung vorstehen. Wie der Musiker Tasten anschlagen muß, wenn erden
den Ton erzeugenden Mechanismus in Aktion setzen will.
Die Wissenschaft hat bis vor kurzem angenommen, dieser Mechanismus
befinde sich auf der Hirnrinde selbst — in den Central wind ungen —, meinem
Seelenfeld der Bewegung.
Meine Untersuchungen: „Über die wahren Centren der Bewegung und den
Akt des Willens“ haben jedoch diese Ansicht widerlegt.
Sie haben ergeben, daß, wie die Großhirnrinde überhaupt, so auch deren
vordere Partien, reines Seelenorgan bilden und als solches nur Vor¬
stellungen, Gedanken und Willensimpulse, niemals aber direkte Bewegungen
auslösen.
Die eigentlichen Centren der Bewegung selbst, die Bewegungs¬
klaviatur mit ihren Tasten, auf die der Wille von der Großhirnrinde aus wirken
muß, um Körperbewegungen hervorzubringen, befinden sich in einem besonderen,
nur der Bewegung dienenden Organe, dem Kleinhirn. Und erst durch die
Einwirkung des auf das Kleinhirn wirkenden, aber im Großhirn
entstehenden Willens kommt die intendierte Bewegung zustande.
An die Bewegungscentren des Kleinhirns gelangt der Wille von der Rinde
des Großhirns durch Fasern des Stabkranzes und wahrscheinlich der Brücken-
1 Giornale della R. Academia di Uedicina di Torino. XIII. 1907.
* Adamkibwicz, 1. e.
* In meinem Buch: Die Funktionsstörungen des Großhirns (Berlin 1898, Hans
Th. Hoflmann) sind diese Seelenfelder zur leichteren Orientierung bildlich dargestellt.
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arme. Und die Centren des Kleinhirns tragen ihre dnrch den Willensimpuls
freigemachte motorische Kraft auf dem Wege der Kleinhirnseitenstrangbahnen
zu den großen Ganglien der grauen Yorderhömer, von wo aus sich der (auf
der Großhirnrinde entstehende) Willensimpuls durch die motorischen Nerven
der vorderen Wurzeln auf den bewegenden Apparat selbst, die Muskeln,
fortsetzt.
Das ist ein ganz anderer Weg, als derjenige, welcher bisher als aus«
schließliche Bahn der Willensimpulse gegolten hat. Danach sollte der Wille
durch den Stabkranz, die innere Kapsel, den Großhirnschenkelfuß und die
Pyramidenbahnen an die multipolaren Ganglienzellen der großen Vordersäulen
treten.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Wille beide Wege zugleich
einschlägt und daß die von ihm erregten doppelten Innervationswellen in den
multipolaren Ganglienzellen der Vorderhörner Zusammentreffen, um durch ver¬
einte Kraft von den letzten Stationen aus den Bewegungsmeohanismus an¬
zutreiben.
Erhält durch diesen Nachweis einerseits die Tatsache ihre Erklärung, daß
die Durchscbneidung der Pyramidenbahnen die Bewegungsfunktion nicht aufhebt,
so erfährt durch sie anderseits die Tatsache, daß das Kleinhirn zur Bewegung
noch in einer ganz besonderen und längst erwiesenen Weise in Beziehung steht,
eine fundamentale Begründung.
Im Jahre 1881 habe ich 1 darauf hingewiesen, daß das Kleinhirn dnrch
tonisierenden Einfluß auf die Muskulatur die Willensbewegung reguliere und
präzisiere. Und die hier genauer wiedergegebenen Untersuchungen lehren im
Kleinhirn überhaupt den eigentlichen und wahren Motor der Bewegungs¬
maschine kennen, — den Apparat, welchen der Maschinist, die Großhirnrinde,
in Bewegung setzt und dirigiert, damit er seine Aufgabe erfülle.
So folgt ans allem, daß, sobald der Wille entsteht und den Bewegungs¬
apparat in Funktion setzt, gleichzeitig drei Erregungswellen wachgerufen
werden, von welchen die eine die Maschine antreibt und in Bewegung erhält,
die beiden anderen aber dazu dienen, die in Bewegung gesetzte Maschine in
richtigem Gange zu erhalten, von der Masse und der Trägheit derselben zu eman¬
zipieren 3 und so dem Willen auf den Wink gehorsam zu machen.
Die erstere erreicht auf der Bahn von Stabkranzfasern und der Brücken¬
arme das Kleinhirn, greift in die hier gelegenen Centren des Bewegungs¬
apparates ein und erreicht durch diese auf dem Wege der Kleinhirnseiten-
strangbahnen und der grauen Yorderhömer die Muskeln.
Die andere gelangt durch die innere Kapsel und die Pyramidenbahnen
gleichfalls an die grauen Vorderhörner und vereinigt sich hier mit der vorigen.
Die dritte endlich vermittelt die Erregung tonisierender Centren des
Kleinhirns auf der Bahn der Hinterstränge gleichfalls den Yorderhörnern und
1 Die normale Muskelfunktion betrachtet als das Resultat eines Gleichgewichtes sweier
antagonistischer Innervationen usw. Zeitschr. f. klin. Medizin. III. 1381. Heft 3.
* Ygl. auch meine Arbeit: Die pathologische Schwere. Wiener med. Presse.
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vereinigt sich zu dem bereits genannten Zwecke mit der Erregung der beiden
anderen Innervationen.
Die Erkenntnis, daß die Großhirnrinde den Maschinisten, das Kleinhirn
aber den Motor und Regulator und die Muskeln das Achsen- und Räderwerk
der Maschine bilden, würde uns den Apparat der Willensfunktion klar, ver¬
ständlich und lückenlos erscheinen lassen, bliebe in diesem System nicht doch
noch eine Tatsache unaufgeklärt und also unverständlich —, und zwar die
Tatsache, daß der Willensimpuls auf der einen Seite sich eines Motors in Ge¬
stalt des Kleinhirns bedienen, auf der andern Seite aber durch Stabkranz, Gro߬
hirnschenkelfuß und Pyramiden ohne Vermittelung eines Motors direkt in das
Räder- und Achsenwerk der Maschine eingreifeu soll. Das wäre doch so,
als ob der Musiker einmal in die Tasten und ein andermal in die Saiten des
Klaviers griffe, um Melodien hervorzubringen, oder der Lokomotivführer nicht
nur vom Kessel aus, sondern auch durch direktes Erfassen der Lokomotivräder
den Zug in Bewegung bringen wollte.
Ich habe deshalb die Ansicht ausgesprochen, dem Apparat der Willens¬
funktion stehe auch auf der Pyramidenseite ein Motor, also neben dem Klein¬
hirn ein zweiter, für seine Zwecke zur Verfügung und aus bekannten Tat¬
sachen (Apoplexien) der menschlichen Gehirnpathologie geschlossen, daß die in
der Substanz der Großhirnhemisphären gelegenen, aber mit der Großhirnrinde
durch eigene Bahnen in Verbindung stehenden Großhirnganglien — Linsen¬
kern, Sehhügel und Schweifkern — dieser zweite, gewissermaßen aus drei Kesseln
bestehende Motor der Körperbewegungen sei, der, wie in einer großen Fabrik
der Reservekessel, dann eingreife, wenn der Hauptkessel — das Kleinhirn —
schadhaft oder gar funktionsunfähig geworden sei.
Es schien mir von Wichtigkeit, diese durch die klinische Erfahrung wohl¬
begründete Ansicht durch das Experiment zu einer wissenschaftlich unanfecht¬
baren Tatsache zu erheben, um so mehr, als die Tierpathologie Blutungen in
die Großhirnganglien und daraus resultierende Hemiplegien, wie sie beim
Menschen Vorkommen und auf motorische Eigenschaften der menschlichen
Großhirnganglien hinweisen, nicht zu kennen scheint und es daher wissenschaft¬
lich noch nicht sicher feststeht, daß der zweite Motor für die Körper¬
bewegungen sich unterhalb der Rinde des Großhirns befindet.
Um diese Lücke auszufüllen, bin ich folgendermaßen verfahren.
Daß die Großhirnrinde selbst keine motorischen Eigenschaften besitzt und
folglich wahre Centren der Bewegung nicht enthält, das habe ich bereits an
anderer Stelle 1 ausführlich bewiesen.
Es genügt daher, hier noch einmal kurz zu erwähnen, daß die Entfernung
der Großhirnrinde beim Kaninchen den Bewegungsapparat des Tieres ganz un¬
berührt läßt und nur dessen psychischen Einfluß auf denselben aufhebt.
Den allgemeinen Beweis für die Tatsache, daß die Großhirnhemi¬
sphären in der Tiefe ihrer Substanz motorische Apparate für die
1 Die wahren Centren der Bewegung usw.
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Körperbewegungen enthalten, habe ich gleichfalls bereits vor längerer Zeit
geliefert.
Bei meinen Versuchen über den Hirndrnok 1 habe ich gezeigt, daß man
durch Einführung von Laminaria in die Schädelhöhle von Kaninchen die Hemi¬
sphärensubstanz komprimieren und durch diese Kompression die Läh¬
mung der der gedrückten Hirnhälfte entgegengesetzten Körper¬
seite herbeiführen kann.
Da die Großhirnrinde keinen direkten Einfluß auf die Muskulatur des Körpers
ausübt, so kann die lähmende Wirkung einer Großhirnhemisphärenkompression
auf die Bewegungsfähigkeit einer Körperhälfte nur dadurch erklärt werden, daß
die durch ihre Kompression die Hemiplegie herbeiführenden motorischen Appa¬
rate unterhalb der Großhirnrinde liegen.
Diesen Schluß galt es nun durch das Experiment zu einer sicheren und
unanfechtbaren Tatsache zu erheben.
Ich trug zu dem Zweck bei Kaninchen nach Entfernung des Schädeldaches
die Großhirnrinde in möglichst größter Ausdehnung ab. Nachdem sich die
Tiere von diesem schweren Eingriff erholt hatten, wurden sie auf das sorgfältigste
auf ihre Motilität geprüft.
Sie zeigten das von mir an anderen Stellen 2 genau beschriebene Verhalten
vollkommener psychischer Adynamie, während ihr Bewegungsmechanismus
intakt war.
Ich verfuhr nun nach dem von mir zur Feststellung der Funktionen des
Kleinhirns benutzten und beschriebenen Verfahren, 2 indem ich mit einer
feinen Lanzette die nach der oben beschriebenen Operation zutage liegenden
großen Hemisphärenganglien verletzte und die Wirkungen dieser Verletzungen
studierte.
Diesem Studium stellten sich große, und wie es bald klar wurde, unüber¬
windliche Schwierigkeiten entgegen. Der Stich mit einer feinen Nadel erwies
sich für die Großhirnganglien als ein zu geringer Eingriff, um dauernde
Störungen zu veranlassen, — solche, die nicht nur festgestellt, sondern auch
analysiert werden könnten. — Und größere Verletzungen dieser Organe riefen,
wenn nicht sofort den Tod, ein Chaos von Reiz- und Lähmungserscheinungen
der Muskulatur hervor, die mehr oder weniger schnell in allgemeine Paralyse
übergingen mit vorzugsweiser Beteiligung der der verletzten Hemisphärnesubstanz
gegenüberliegenden Extremitäten. Bei der Autopsie der Gehirne zeigte es sich,
daß die schweren Folgen ihren Grund in Blutungen hatten, welche von den
Orten der blutreichen verletzten Organe ausgingen und in die benachbarten
Höhlen gedrungen waren.
Immerhin bestätigten auch diese Versuche die Tatsache, daß Centren für
die groben Körberbewegungen sich innerhalb der Hemisphärensub¬
stanz und unterhalb der Großhirnrinde befinden.
1 Die Lehre vom „Hirndruck“ und die Pathologie der Hirnkompression. Sitzungsber.
der K. Akad. der Wi6aenaeh. zu Wien 1883 u. 1884.
* Die wahren Centren der Bewegung usw.
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Nun kam es darauf an, diese Bestätigung einer durch meine Gehirn¬
kompressionsversuche bereits bekannt gewordenen Tatsache in ihre Elemente auf¬
zulösen, d. h. die eine Hemiplegie zusammensetzenden Lähmungskomponenten
genau zu lokalisieren. Zu dem Zwecke mußte die Versuchsanordnung geändert
werden. Es durfte einerseits das Gehirn durch den Eingriff nicht mehr, als
durchaus nötig war, verletzt werden und anderseits mußte dafür gesorgt werden,
daß das Versuchstier auch imstande und in der Lage war, den durch
den Eingriff hervorgerufenen Ausfall seiner Funktion zu produzieren.
Da nun die Versuchstiere zum Zwecke der Ausschaltung der unterhalb der
Großhirnrinde gelegenen Großhirnganglien des Großhirnmantels beraubt werden
mußten, diese Operation sie aber gleichzeitig in geist- und also auch willenslose
Maschinen verwandelte, die zur Prüfung feinerer Bewegungsstörungen nicht zu
verwerten waren, so habe ich mir folgendes Verfahren zurecht gelegt.
Damit nach Verletzung der unter der Großhirnrinde gelegenen Hemisphären¬
massen die Versuchstiere im Vollbesitz ihrer geistigen und seelischen Kräfte
blieben und mit deren Hilfe die Folgen der an ihnen vorgenommenen Ver¬
letzungen der subkortikalen Ganglien demonstrieren könnten, mußte ihnen die
Integrität der Großhirnrinde gewahrt werden. Und damit bei voller Integrität
der Binde die unter derselben gelegenen Großhirnganglien an gewissen voraus¬
zubestimmenden Stellen verletzt werden konnten, habe ich die Großhirnhemi¬
sphäre der Kaninchen, wie bei meinen Gehirnkompressionsversuchen 1 , in fünf
hintereinander gelegene Felder geteilt. Am herausgenommenen Kaninchengehirn
konnte ich durch Präparation und Abheben der Rinde leicht feststellen, welchen
darunterliegenden Hemisphärenmassen diese Felder entsprachen. In gleicher
Weise verfuhr ich mit dem knöchernen Schädel. Die quer durch den Schädel
laufende Sutura corronaria fiel mit der Teilungslinie zwischen Feld 1 und den
anderen 4 Feldern zusammen. Und es ergab sich, daß Feld 1 des Schädels das
Corp. striatum, Feld 2 und 5 den Thalamus und die darunterliegenden Teile,
Feld 4 die Corpora quadrigemina deckte. 2
Trepanierte ich an dem Kaninchenschädel diese genau bestimmten Stellen,
so mußte ich mit einer feinen Lancette, die in ihrem Gebiet die Großhirnrinde
durchdrang, an vorausbestimmte Teile der tiefen Großhirnhemisphärenmassen
gelangen, während der Stich durch die Großhirnrinde eine viel zu unbedeutende
Verletzung für diese war, um „Seele und Geist“ des Kaninchens irgendwie zu
beeinträchtigen. Verletzte aber die Nadel gleichzeitig unter der Rinde gelegene
motorische Centren, so mußten bei der großen Empfindlichkeit derselben
Lähmungen auftreten, die das im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindliche
und daher in seinen Willensintentionen nicht beeinträchtigte Versuchstier
dem Experimentator selbst orführte.
Diese Versuche fielen indessen nicht so prompt und exakt aus, wie es die
Anordnung derselben zu erwarten erlaubte. Und der Grund hierfür scheint mir
1 Wiener Akad. Sitzungsberichte. LXXXVIII N. F. III. 1883.
1 Vgl. Abbildungen in den Wiener Akad. Sitzungsberichten: LXXXVIII. 1SS3. Abt. 3.
Taf. VI u. VII; C. 1891. Abt 3. Fig. 1.
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darin zu liegen, daß es trotz der angeführten Einteilung der Großhirnrinde in
Felder nicht leicht ist, durch Stich einer feinen Lancette die winzigen Centren
zu treffen, die zu einer Extremität gehören. Vergrößert man aber die Ver¬
letzung, indem man die Stiche auf einzelne Stellen wiederholt einwirken läßt
oder mit der Nadel mehr oder weniger große Zerstörungen ausführt, so erhält
man wieder zuviel des Guten, — stürmische Reizerscheinungen, auf welche
schwere und komplizierte Lähmungen folgen, die den ganzen Versuch verderben.
Trotzdem gelang es, mit der erforderlichen Geduld, Ausdauer und Opfer
an Versuchstieren festzustellen, daß in den subkortikalen Ganglien die
isolierten Centren für die Vorder- und die Hinterextremität der ent¬
gegengesetzten Körperseite tatsächlich liegen.
Und zwar scheint das Centrum für die entgegengesetzte Vorderpfote
beim Kaninchen im vorderen Gebiet des Talamus opticus, zwischen ihm und
dem Corpus Striatum, das Centrum für die Hinterpfote der anderen Seite im
hinteren Gebiet des Talamus, zwischen ihm und dem Corp. quadrigeminum sich
zu befinden.
Jedenfalls scheint es mir sicher, daß Verletzung des Corpus Striatum (beim
Kaninchen) keine motorischen Lähmungseffekte hervorbringt.
Bei Verletzungen des Thalamus an den bezeichneten Stellen habe ich da¬
gegen wiederholt, aber nicht konstant Schwächen oder Lähmungen der bezeichneten
Extremitäten eintreten gesehen.
Paresen der Vorderpfoten geben sich dadurch zu erkennen, daß sich das
Tier im Kreise und zwar in der Richtung der kranken Extremität bewegt.
Offenbar geschieht dies dadurch, daß die gesunde Pfote über die kranke über¬
wiegt und so den Körper nach der kranken Seite hin drängt.
Gewöhnlich ist gleichzeitig auch der Kopf nach der kranken Seite gedreht
und geneigt.
Die Drehung des Tieres im Kreise zeigt gewissermaßen den geringsten
Grad von Schwäche der betreffenden Pfote an.
Höhere Schwächegrade äußern sich darin, daß die Pfote sich nach innen
umbiegt, oder nach außen ausgleitet, oder endlich beim Laufen des Tieres von
Zeit zu Zeit umknickt.
Bei vollkommenen Lähmungen gibt das Tier alle Versuche, sich zu be¬
wegen, auf, liegt auf der kranken Seite und ist aus derselben nicht mehr
herauszubringen. Gibt man dem Tier künstlich eine andere Lage, legt man es
beispielsweise auf die gesunde Seite, so stoßen es die gesunden Extremitäten sofort
wieder auf die kranke Seite.
In ähnlicher Weise äußern sich die in der angegebenen Weise künstlich
erzeugten Schwäche- und Lähmungszustände der hinteren Pfote.
Auch hier beginnt die Reihe der Erscheinungen mit Kreisbewegungen des
Tieres nach der kranken Seite hin. Dann zeigt es die Neiguug, mit der
kranken Beckenseite einzuknicken oder auf die kranke Beckenseite zu fallen.
Endlich gibt es alle Gehversuche auf und bleibt auf der kranken Seite liegen.
Außer den angeführten bringen die hier beschriebenen Experimente noch
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mannigfache andere, darunter höchst interessante Lähmnngsformen hervor, die
auf der Verletzung gewisser zufällig getroffener, aber absichtlich nicht leicht zu
findender Stellen beruhen, und von denen mir besonders eine der genauen Be¬
schreibung wert erscheint.
Die paretische Hinterpfote rotiert sich nach innen und hebt die Ferse nach
oben, eine Stellung, die durch Überwiegen der Adduktoren des Oberschenkels
und der Plantarflexoren der Pfote erklärt werden kann, folglich durch Parese
der Abduktoren des Oberschenkels und der Extensoren der Pfote zustande kommt
und so eine Art Pes valgo-equinus beim Kaninchen darstellt Bei Geh¬
versuchen bewegt sich das Tier mit dieser verkrüppelten, mit dem Oberschenkel
nach innen rotierten, mit der Ferse nach auswärts gerichteten, auf die Zehen
gestellten Pfote ähnlich wie ein Mensch mit einem Pes valgo-equinus.
Ich habe diese charakteristische Lähmungsform bei Verletzung des vorderen
Endes und gerade am Rande des entgegengesetzten Talam. opticus erhalten, —
also der Gegend, deren Verletzungen gewöhnlich Paresen der entgegengesetzten
Vorderpfote ergeben.
Auf die beschriebene Lähmung der Hinterpfote ist dann in der Tat auch
bald eine Parese der der gelähmten Hinterpfote gleichnamigen Vorderpfote ganz
von selbst gefolgt.
Bin ich nach alledem auch nicht in der Lage, eine ganz genaue und sichere
Lokalisation der motorischen Centren in den großen Ganglien der Großhirn¬
hemisphären zu geben, so steht doch soviel absolut fest, daß die unter der
Großhirnrinde liegenden grauen Hemisphärenmassen in und am Seh¬
hügel getrennte Angriffspunkte für die beiden Extremitäten der
entgegengesetzten Körperseite enthalten.
In meiner Monographie: „Die wahren Centren der Bewegung und
der Akt des Willens“ 1 habe ich den experimentellen Nachweis geliefert, daß
das Kleinhirn die Körperbewegungen insofern souverän beherrscht, als es sie
direkt innerviert und so die motorische Triebkraft des Körpers entwickelt.
Als Motor aber ist es vollkommen unselbständig, und es steht unter der Herr¬
schaft des Großhirns, in dem die Seele ihren Sitz hat und aus Eindrücken und
Vorstellungen die Willensimpulse erzeugt, welche den Kleinhirnmotor erregen
und durch ihn erst die Bewegungen des Körpers hervorbringeu.
Die hier mitgeteilten Versuche vervollständigen das Schema der Körper-
bewegungsinnervationen und lehren, daß neben dem Kleinhirn auch das Gro߬
hirn centrale Motoren für die Körperbewegungen besitzt.
Es ist zwar seit langem klinisch bekannt, daß die Großhirnhemisphären
zur Körperbewegung in Beziehung stehen; und ebenso hat man gewußt, daß
jede der beiden Hemisphären die Bewegung der ihnen entgegengesetzt gelegenen
Körperhälfte beeinflusst, aber man hat diesen Einfluß der Rinde, speziell den
Centralwindungen der beiden Hemisphären, zugeschrieben und ist in dieser An¬
sicht noch durch die Arbeiten von Fbitzsche und Hitzig bestärkt worden,
denen es gelungen war, durch elektrische Reizung der Centralwindungen des
1 Wien 1905, W. Braumüller.
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Hundes die Muskeln der gegenübergelegenen Körperhälften zur Kontraktion zu
bringen. Durch meine Arbeiten ist indessen der Nachweis geliefert worden, daß
die Centralwindungen ebensowenig als die Großhirnrinde überhaupt motorische
Eigenschaften besitzt, und daß daher die Zerstörung weder der Centralwindungen
noch der Großhirnrinde überhaupt irgend einen Ausfall in der Funktion der
Körpermuskulatur zur Folge hat. Wenn daher auch die elektrische Erregung der
Centralwindungen beim Hunde kontralaterale Muskelzuckungen hervorbringt, so
geschieht dies nicht, weil die Centralwindungen motorisch sind, sondern weil der
elektrische Strom bei diesen Versuchen den Willensimpuls ersetzt, der unter
physiologischen Verhältnissen hier allein herrscht und allein die Körpermuskeln
erregt, um durch sie die natürlichen Körperbewegungen hervorzubringen.
Fassen wir non die durch die hier mitgeteilten neuen Versuche vervoll¬
ständigte Kenntnis des gesamten Bewegungsapparates beim Menschen (und
Säugetier) zusammen, so ergibt sich für ihn folgendes Schema:
Der Wille und sein motorischer Impuls entstehen auf der ganzen
Großhirnrinde, für die Bewegungen im Gebiete der einzelnen Sinnesorgane
in deren Seelenfeldern, für die Bewegungen der groben Muskulatur in den
Centralwindungen, dem Seelenfeld der Körperbewegungen.
Die Willensimpulse für die Körperbewegungen gelangen an zwei voneinander
getrennte Gruppen motorischer Centren, erregen diese und bringen erst durch
sie die Muskelbewegung zustande, wie das Anschlägen der Tasten den Ton¬
mechanismus erregt und den Ton hervorbringt.
Diese beiden Gruppen motorischer Centren liegen einerseits in den sub¬
kortikalen Ganglien der Großhirnhemisphären und anderseits im Kleinhirn.
Vom Kleinhirn gelangen die motorischen Erregungen auf dem Wege des
Rückenmarkes auf die Muskeln derselben Körperseite, von der centralen
Großhirnhemisphärensubstanz gleichfalls auf dem Wege des Rückenmarkes,
aber mit Hilfe anderer Bahnen auf die Muskeln der entgegengesetzten Seite
des Körpers.
Der Sinn dieser doppelten Innervation kann kein anderer sein, als der, daß
sie dem mächtigen Apparate des Willens zur Ausführung seiner Befehle eine
doppelte, also wohl besonders starke und präzis wirkende motorische Erregungs¬
quelle zur Verfügung stellt.
Wenn auch nach der ganzen Organisation des Kleinhirns, der Verteilung
und der Zahl seiner Centren und der Art seines Einflusses auf die Bewegung
nicht daran gezweifelt werden kann \ daß es physiologisch als das centrale Haupt¬
organ der Muskelfunktion und der Lokomotion angesehen werden muß, so kann
es doch anderseits auch keine Frage sein, daß die motorischen Centren der
Großhirnhemisphären beim Menschen stets pathologisch hervortreten.
Denn sie sind es, die beim Menschen durch mannigfache Erkrankungen der
Großhirnhemisphären, zumal ihrer Blutgefäße, zu den beim Menschen so häufigen
1 S. Kapitel „Hirndruck und Hirnkompression“ in meinem Buch: Die Funktions¬
störungen des Großhirns.
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700
Hemiplegien den eigentlichen Grund legen. Sie sind es auch, die, wie ich das
längst nachgewiesen habe 1 , den Sitz für einen eigenartigen krankhaften Sym-
ptomenkomplex abgeben, die sog. „JACKsoN’sche Epilepsie“.
In meinen Arbeiten über die Kompression des Großhirns 9 habe ich
bereits experimentell den Nachweis geführt, daß dieser Symptomenkomplex, der
in anfallsweise auftretenden Zuckungen der Muskeln einer Körper¬
hälfte ohne jede Benachteiligung des Bewußtseins beruht, mit einer
„Epilepsie“ auch nicht das geringste zu tun hat und daß er auf einfacher
mechanischer Reizung der in der Großhirnhemisphärensubstanz gelegenen Be-
wegungscentren beruht.
Hier möchte ich nur noch hinzufügen, daß die Kompression des Klein¬
hirns nur zu Lähmungen, niemals dagegen zu halbseitigen Krämpfen führt,
eine Tatsache, welche geeignet ist, ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel zur
lokalen Differentialdiagnose bei intracraniellen Tumoren abzugeben.
[Aua der I. inneren Abteilung des atädt Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin.]
(Direktor: Geb. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheidrb.)
2. Über Bahnung der Patellarreflexe.
Von Dr. Earl Kroner,
Assistenzarzt.
Seit Jendkässik seine bekannte Methode angegeben hat, um schwache
Patellarreflexe deutlicher hervortreten zu lassen, hat es an Modifikationen sowie
an Versuchen, auf anderem Wege dasselbe Ziel zu erreichen, nicht gefehlt. Fast
alle Autoren benutzen dabei das nämliche Prinzip, durch Ablenkung und Aus¬
schaltung von Hemmungswirkungen die zur sicheren Auslösung des Reflexes
nötige Erschlaffung des M. quadriceps herbeizuführen, so z. B. auch Kboenig
mit der jüngst angegebenen Methode, den Untersuchten während des Schlages
auf die Patellarsehne tief einatmen zu lassen.
Eine Erschlaffung der Streckmuskulatur des Oberschenkels wird auch da¬
durch schon erreicht, daß man das Bein in Stellungen bringt, bei denen die
Kontraktion der Strecker erschwert ist. So läßt man die Beine übereinander-
legen oder beugt sie und unterstützt dabei Ober- und Unterschenkel (Güttmann)
oder — was wohl das sicherste ist — man läßt das stark nach außen rotierte
und dabei im Hüft- und Kniegelenk gebeugte Bein der Unterlage aufliegen.
Beim sitzenden Patienten läßt man ein Knie über das andere legen oder man
läßt bei stumpfwinklig gebeugtem Knie die Fußspitze nach abwärts drücken:
Die hierbei nötige Anspannung der Beuger läßt die Strecker erschlaffen.
Diesen sozusagen mehr passiven Methoden, die alle das gemeinsam haben,
1 L. c.
* Die Lehre vom „Hirndruck“ und die Pathologie der „Hirnkompression“. Sitzungsber.
der K. Akad. der Wissensch. in Wien.
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daß sie den Reflexablauf hemmeDde Momente auszuschalten suchen, stehen
andere gegenüber, die nicht nur die für die Auslösung des Reflexes geeigneten
Bedingungen schaffen, sondern auch aktiv eine Bahnung des an und für sich
schwachen Reflexes hervorzurufen suchen. Hierher gehören alle Maßnahmen,
die bezwecken, durch mechanische Einwirkung auf die Haut des Oberschenkels
(Bäder, faradischer Pinsel usw.) oder durch Kneten der Muskulatur den sen¬
siblen Anteil der Reflexbahn zu reizen. Auch die Versuche, durch wiederholtes
Auslösen des Reflexes eine Bahnung bzw. eine Verstärkung hervorzurufen, sind
an dieser Stelle zu erwähnen. Hierbei wird die gesamte Reflexbahn in einen
Zustand erhöhter Erregbarkeit gebracht
Es lag demgemäß nahe, zu untersuchen, ob nicht auch eine Bahnung des
motorischen Anteiles der Reflexbahn allein zu erzielen sei.
Dies gelingt nun anscheinend sehr leicht.
ln einer Reihe von Fällen habe ich einen mit den üblichen Maßnahmen
nicht auslösbaren Patellarreflex dadurch deutlich hervortreten sehen, daß ich
den Untersuchten eine Anzahl von Schritten gehen oder einige Kniebeugen aus¬
führen ließ.
Hier könnte nun zunächst der Einwand gemacht werden, daß durch die
willkürliche Kontraktion der Muskeln die intramuskulären sensiblen Nerven ge¬
reizt werden, daß eine weitere sensible Reizung durch die Verschiebung der
Haut, die Bewegung der Gelenke zustande komme, daß ferner durch die beim
Gehen unvermeidlichen Stöße auf die langen Röhrenknochen eine weitere sen¬
sible Bahnung erfolgte — kurz, daß die Verstärkung des Reflexes nur eine
Folge sensibler Reizung sei.
Was die beiden ersteren Punkte anbetrifft, so ist es klar, daß beim Gehen
eine Reizung sensibler Nerven zustande kommt. Es ergab sich jedoch, daß das
Gehen auch nach vorheriger Erregung der sensiblen Fasern (Kneten von Haut
und Muskulatur) eine Steigerung des Reflexes hervorrief.
Um den Einfluß der mechanischen Erschütterung beim Gehen abschätzen
zu können, ging ich so vor, daß ich den Untersuchten einmal im Bette aktive
Beugungen und Streckbewegungen ausführen ließ, während bei einer späteren
Prüfung diese Bewegungen passiv ausgeführt wurden. Es zeigte sich, daß nur
die aktiven Bewegungen eine reflexsteigernde Wirkung ausübten. Der Einfluß
der mechanischen Reizung dürfte überdies bei dieser Anordnung kaum ins Ge¬
wicht fallen. Denn brüske Stöße kommen beim Ausführen von Kniebeugen
kaum in Betracht, während anderseits die bei dieser Übung in die motorischen
Bahnen geschickten Willensimpulse infolge der damit verbundenen Anstrengung
besonders stark sind, jedenfalls stärker als bei den mehr automatisch erfolgenden
Gehbewegungen.
Es kann daher nur zugegeben werden, daß bei der willkürlichen Bewegung
wohl eine Reizung sensibler Nerven stattfindet, die sich aber sicherlich in dem
gleichen, wenn nicht in höherem Maße durch Kneten und Drücken der Musku¬
latur erreichen läßt — Maßnahmen, die, wie bereits oben erwähnt, den beab¬
sichtigten Effekt nicht ausüben.
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702
Es wäre ferner möglich, daß die Verstärkung des Reflexes nur eine Folge
der durch das Gehen verursachten Ermüdung sei.
Wie wir wissen, sind ja die Reflexe bei mäßiger Ermüdung lebhafter als
in der Norm, während sie bei starker Ermüdung schwächer werden oder gar
fehlen. Und in der Tat zeigte sich die Verstärkung des Reflexes besonders bei
Tabikern, denen das Gehen schwer fällt, die also bei jedem Schritt einen
stärkeren Impuls aufwenden müssen als Gesunde: Die nach dem Gehen auf¬
tretende Steigerung beruhte demnach auf einer Ausschaltung der beim nicht
ermüdeten Menschen einwirkenden, kortikalen Einflüsse, wäre also einfacher
durch Anwendung des J endrässi K’schen Handgriffes zu erreichen.
Es zeigte sich nun aber, daß auch ein mittels des JENDBAsaiK’schen Hand¬
griffes nicht auslösbarer Patellarreflex nach dem Gehen deutlich wurde; dies
allein würde freilich nur bedeuten, daß in gewissen Fällen durch die Ermüdung
die vom Großhirn kommende Hemmung besser ausgeschaltet wird, als die durch
den Handgriff bewirkte Ablenkung. Es fand sich indessen weiter, daß ein durch
Gehen verstärkter Reflex durch die JENDBÄssiK’sche Modifikation noch mehr
gesteigert wurde; ebenso wurde ein durch Jendrässik und Gehen allein nicht
auslösbarer Reflex nach Anwendung beider Methoden nacheinander noch sichtbar.
Dieser Umstand weist darauf hin, daß die Ursache der Reflexverstärkung bei
den beiden Versuchsanordnungen eine verschiedene ist.
Es kann die Reflexsteigerung nach vorheriger Reizung der sensiblen Bahnen
und Ausschaltung der von den höheren Centren kommenden hemmenden Ein¬
flüsse nur darauf beruhen, daß durch das Gehen der motorische Anteil des
Reflexbogens in einen Zustand erhöhter Erregbarkeit versetzt wird. So erklärt
sich auch die Beobachtung, daß gerade bei Tabikern mit schwachen oder eben
angedeuteten Reflexen eine bedeutende Steigerung stattfindet: Bei diesen Patienten
ist der in den motorischen Nerven geschickte Bewegungsimpuls ohne Zweifel
stärker als bei Gesunden; diese stärkere Willensanspannung führt auch im
Verein mit stärkeren motorischen Entladungen (durch ausfahrende Bewegungen,
Anspannung der Antagonisten usw.) zu der stärkeren Ermüdung, die somit
nicht die Ursache, sondern ein der Reflexsteigerung koordiniertes Symptom ist
Dieses Ergebnis deckt sich auch durchaus mit unseren jetzigen Anschauungen,
daß bis zur Grenze der Erschöpfung jede Durchströmung einer Nervenbahn
ihren inneren Leitungswiderstand herabsetzt. Ob wir diesen Widerstand haupt¬
sächlich in die Ganglienzellen verlegen oder ihn als Übergangswiderstand zwischen
Nervenendplatte und Muskelfasern auffassen, ist für die vorliegende Betrachtung
gleichgültig. Wichtig ist nur die Frage: Bahnt ein willkürlich durch ein ner¬
vöses Element geschickter Reiz auch den Weg für folgende, unwillkürliche, bzw.
von der Peripherie in dieselbe Bahn gelangte Reize?
Diese Frage ist nun meines Erachtens längst entschieden.
Bei der Übungstherapie der Tabes suchen wir willkürliche Bahnen (mit
Hilfe der Sehcentren) so abzuschleifen, d. h. ihren inneren Widerstand so herab¬
zusetzen, daß sie nachher auf schwächere Reize ohne erhebliche Beanspruchung
des Willensimpulses fast automatisch reagieren: Noch häufiger schlagen wir den
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umgekehrten Weg ein. Bei peripheren und centralen Lähmungen ist es unser
Bestreben, adäquate Reize (z. B. elektrische Ströme) durch die dem Willen ent¬
zogenen Nervenbahnen hindurch zu schicken, um so dem willkürlichen Impuls
den Weg zu bahnen. (Daß hier noch andere Momente in Frage kommen, wie
das Hervorrufen von Erinnerungsbildern un die ausführende Bewegung, ändert
an der vorliegenden Auffassung im Prinzip nichts.)
Ein vollkommenes Analogon indessen findet die oben dargelegte Methode in
den Versuchen Exneb’s. Exneb fand, daß eine uuterwirbsame Reizung einer
Reflexbahn an den Extremitäten einen Effekt hatte, nachdem eine an sich eben¬
falls unterwirksame Reizung der motorischen Bahnen von der Hirnrinde aus
stattgefunden hatte (Bahnung im engeren Sinne).
Ich weiß nun sehr wohl, daß meine Beweisführung nur eine indirekte ist,
insofern ich versucht habe, die übrigen in Betracht kommenden Faktoren, wie
gleichzeitige Reizung sensibler Nerven, Beseitigung von Hemmungswirkungen
seitens des Centralnervensystems u. dgl. m., durch meine Versuchsanordnung
nach Möglichkeit auszuschalten. Jedenfalls glaube ich, daß meine Erklärung
sich den bisher bekannten Tatsachen über Reizung und Bahnung von Nerven¬
bahnen ungezwungen einfügt.
Für die praktische Anwendung ergibt sich demnach, daß ein durch ein¬
faches Beklopfen der Patellarsehne nicht auszulösender Kniereflex erst dann als
erloschen gelten darf, wenn ein Eflekt auch nach Erregung der motorischen
Bahnen durch Gehen usw. ausbleibt.
Über die Dauer der so erzielten Erregbarkeitssteigerung konnte ich nur
wenige Untersuchungen anstellen. Es ist hierbei auch zu bedenken, daß wieder¬
holte Auslösung des Reflexes, wie sie hierbei nötig wird, gleichfalls reflexverstärkend
wirkt und somit das Resultat beeinflußt. Es scheint, als ob die Verstärkung
des Reflexes nur kurze Zeit, höchstens einige Minuten anhält
Das Optimum der Bahnung, d. h. das Maß der zum Hervorrufen einer
möglichst intensiven Reflexverstärkung nötigen Bewegung, ist anscheinend indi¬
viduell sehr verschieden; die Erzeugung einer stärkeren Ermüdung ist, wie sich
dies bei der praktischen Prüfung überdies von selbst verbietet, jedenfalls zu
vermeiden.
II. Referate.
Anatomie.
1) Die Großhirnrinde des Menschen in ihren Maßen und in ihrem Faser¬
gehalt. Ein gehirn-anatomischer Atlas mit erläuterndem Text und schema¬
tischer Zeichnung, 16 Tabellen, 15 Kurven und 79 farbigen Tafeln, von
Theodor Kaes. (Jena 1907, Fischer.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Eine große Arbeit von hohem wissenschaftlichem Werte ist hier geleistet
worden. Die Aufgabe, welche sich Verf. gestellt hatte, ging dahin, an den Gehirnen
einer größeren Zahl von Individuen das Wachstum der Hirnrinde an Weigert-
schen Markscheidenfärbungen durch exakte Messungen mit dem Okularmikrometer
zu zeigen und den wechselnden Markfasergehalt der Rinde von seinem Entstehen
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704
beim Säugling bis zu seinem allmählichen Ersterben beim Greise graphisch in
Kurven und bildlich in Tafeln darzustellen. In diesen Kurven steckt eine Un¬
summe von Fleiß, denn sie beziehen sich nicht nur auf die Gesamlbreite der
Windungen auf der Kuppe, der seitlichen Fläche und dem Windungstale, sondern
auch auf die einzelnen Schichten. Ja naturgemäß mußte die Messung der Schichten,
bei der sich an den Gehirnen verschiedenen Alters sehr bald bestimmte Gesetz¬
mäßigkeiten herausstellten, den Schwerpunkt der Untersuchungen bilden. Verf.
unterscheidet in der Rinde eine innere und äußere Hauptschicht. Die erstere
beginnt am Außenrande dos äußeren Baillargerschen Streifens und reicht bis
zum Rande des Marklagers; die letztere umfaßt den Rest, also die zweite und
dritte Meynertsche Zellschicht, die sogen, zellarme und die Zonalschicht. Aus
der vergleichenden Betrachtung der Kurven geht hervor, daß die innere Haupt¬
schicht in der Regel unentwegt bis zu einer bestimmten Höhe sich mit Fasern
bedeckt und fortwächst, um sodann ganz oder nahezu ganz zu stagnieren. Mit
ihrem fortschreitenden Wachstum wird die äußere immer schmäler, und die
geringste Wachstumshemmung macht sich sofort durch ein Innehalten dieser Ver¬
schmälerung bemerkbar, ja sogar durch einen Rückfall in frühere Breiten. Verf.
glaubt damit ein Moment gefunden zu haben, das uns die größere Breite
funktionell minderwertiger Rinden erklären kann. Die entwickeltere
und faserreichere Rinde ist also auch die schmälere.
Ob dieser Leitsatz in vollem Umfange richtig ist, möchte der Ref. noch be¬
zweifeln; zum mindesten wird man erst die Ergebnisse vergleichend-anatomischer
Untersuchungen abwarten müssen, ehe man so schwerwiegenden Schlußfolgerungen
beipflichten kann, denn das Problem der Rindendifferenzierung und der Bewertung
ihrer Schichten kann ohne die phylogenetische Methode kaum in Angriff ge¬
nommen, viel weniger entschieden werden. Es lassen sich noch andere Einwände
erheben; dem großen Wert der objektiven Feststellungen, welche Verf. erbracht
hat, tun sie aber keinen Abbruch, und unbestreitbar bedeuten diese Kurven, so
schwer sie stellenweise zu lesen sind, einen großen Fortschritt unserer Kenntnisse.
Auf gleicher Höhe Btehen die Tafeln, welche den wechselnden Markfasergehalt
der Rinde bildlich zur Darstellung bringen. 39 Gehirne hat Verf. an 12 Stellen
des Palliums auf beiden Hemisphären genau untersucht und die foserreiohsten
Schnitte zur Reproduktion verwandt. Die Abbildungen sind im allgemeinen recht
gut und geben dem Beschauer eine klare Vorstellung von den Wandlungen,
welche besonders die tangential verlaufenden Assoziationsfasern der verschiedenen
Regionen im Laufe der Jahre nehmen. Fast noch deutlicher als aus den Kurven
spricht aus den Bildern die Tatsache, daß in den ersten Monaten der psychischen
Entwicklung (neben den Meynertschen Bogenfasern) ausschließlich die Tangential¬
fasern der inneren Hauptschicht als intrakortikale Assoziationsbahnen in Be¬
tracht kommen, während die äußere Hauptschicht um diese Zeit noch völlig faser¬
leer erscheint. Vom 8. Monat wird zunächst der äußere Baillargersche, bzw.
Gennarische Streifen und alsdann ganz allmählich die äußere Hauptschicht in
die Leitungsbahn mit eingeschlossen. Die innere Hauptschicht erreicht nach
ihren Maßen und ihrem Fasergehalt bereits im 19. Jahre ihren Höhepunkt, die
äußere schreitet bezüglich ihres Fasergehaltes noch bis zum 45. Jahre und
vielleicht noch darüber hinaus in ihrer Entwicklung fort. Verf. ist der Über¬
zeugung, daß die höhere geistige Entwicklung des Menschen ohne die Mitwirkung
der in der äußeren Hauptschicht gelegenen Bahnen nicht eintreten kann, während
die niedere, primitive mit den Leitungswegen der inneren auszukommen vermag.
— Ein ganz besonderes Interesse beanspruchen die Bilder, welche sich auf Idioten
und Verbrecher beziehen. Bei den Idioten handelt es sich um zwei Mikrocephale
mit sehr niedrigen Gehirngewichten und um eine makrocephalische Zwergin, deren
Gehirn 1373 g bei entsprechender Oberflächenentfaltung wog. Trotz der enormen
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Gewichts- und Flächendifferenzen bietet aber die Anordnung und Dichtigkeit
der Markfasern in der breiten Rinde des schweren Gehirnes weitgehende Ana¬
logien mit den Faserrerhältnissen in der kümmerlich entwickelten Rinde der
Hikrocephalen.
Von Verbrechern standen Verf. 5 Gehirne zur Verfügung; drei davon ge¬
hörten Gewohnheitsverbrechern an, welche durch das Fallbeil zum Tode gebracht
worden waren. In allen diesen Fällen fanden sich mehr oder weniger ausgesprochene
Abweichungen von dem normalen Bilde, bei einigen von den Kriminalverbrechern
sogar sehr schwere Veränderungen, welche teils auf eine Entwicklungshemmung
der Markfasern, teils auf einen vorzeitigen Verfall derselben hindeuteten. (Da¬
neben waren allerdings in einem Falle auch noch multiple Erweichungsherde
vaskulären Ursprunges vorhanden.) Trotz der relativ geringen Zahl seiner Be¬
obachtungen an Verbrechergehirnen glaubt Verf., daß seine Befunde ein grelles
Schlaglicht auf die Frage des Zusammenhanges von Verbrechen und Gehirn-
organisation werfen und daß die Lösung dieses Problems in allererster Linie von
gehirn-anatomischer Seite zu erwarten ist.
Einen Ausdruck des Bedauerns kann Ref. bei aller Anerkennung für dieses
schöne Werk nicht unterdrücken. Es ist sehr schade, daß Verf. in der Be¬
zeichnung der Regionen, denen er seine Präparate entnommen hat, nicht genau
genug gewesen ist. Er spricht z. B. von vorderer und hinterer Stirn, von vorderer
und hinterer Schläfe, von oberem und unterem Scheitel, ohne auch nur an einem
Oberflächenschema die von ihm so benannten Punkte zu markieren. Damit wird
späteren Bearbeitern dieses Gegenstandes, welche seine Befunde event. ergänzen
und erweitern wollen, die Arbeit naturgemäß sehr erschwert. Außerdem hätte
der Atlas bei ganz exakter Lokalisierung der untersuchten Rindengebiete sehr
gut noch einem anderen Zwecke dienstbar werden können: er hätte den patho¬
logischen Anatomen einen wertvollen Ersatz für normale Vergleichspräparate der
einzelnen Rindengebiete in den verschiedenen Lebensaltern bieten und ihnen da¬
mit gelegentlich viel Arbeit ersparen können. Unter den gegebenen Verhältnissen
ist dies leider nicht der Fall, denn das Zell- und Faserbild ändert sich auf der¬
selben Windung an vielen Stellen innerhalb ganz enger Grenzen, so daß man
sehr leicht in Irrtümer verfällt, wenn man es mit der Lokalisation nicht pedan¬
tisch genau nimmt
Physiologie.
2) The grouping of the afferent Impulses within the spinal cord, by Henry
Head and Theodore Thompson. (Brain. CXVI. 1906.) Ref.: Bruns.
Die Verff. haben in einer umfassenden Arbeit (vgl. d. Centralbl. 1906. S 808)
nachgewiesen, daß die Gefühlsempflndungen in den peripheren Nerven- und spinalen
Wurzeln in bestimmten Faserzügen geleitet werden, die sie als protopathische, epi¬
kritische und Tiefenempfindungen bezeichnen. Diesen Bahnen entsprechend Bind
dann bei peripheren Verletzungen die Sensibilitätsstörungen gruppiert. Nach dem
Eintritt in das Rückenmark tritt nun eine Umlagerung dieser Bahnen zu ganz
anderen Gruppen ein. So kann bei peripheren Verletzungen bei Fehlen jeder
sonstigen Schmerzempfindung tiefer Druck noch schmerzhaft sein, da er durch
Fasern der Tiefensensibilität geleitet wird, die mit den Muskelnerven verlaufen;
die tiefe Druckschmerzhaftigkeit fehlt hier nur bei gleichzeitigem Fehlen des
Gefühles für leichten Druck, passive Bewegungen und Vibrationen; bei Rücken¬
marksaffektionen fehlt die tiefe Druckschmerzhaftigkeit zugleich mit allen anderen
schmerzhaften Empfindungen, während Berührung, leichter Druck und passive
Bewegungen empfunden werden.
Bei peripheren Verletzungen und solchen der Wurzeln kann die Empfindung
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für starke Kälte* und Hitzereize (protopathisches System) oder für kühle und
leicht warme Reize (epikritisches System) getrennt fehlen, Wärme* und Kälte¬
störungen finden sich hier aber immer zusammen; bei spinalen Läsionen fehlt die
Temperaturempfindurig gleichzeitig für alle Intensitäten, aber hier können wieder
Kälte- und Wärmeempfindungen getrennt fehlen. Auch hier kann gleichzeitig
Tastgefühl und Lokalisation noch vorhanden sein.
Bei peripheren Verletzungen kann das Gefühl für Berührung fehlen, leichter
und tiefer Druck aber empfunden werden; bei spinalen fehlt bei dem Verlust der
Berührungsempfindung auch die für tiefen Druck. Schließlich kann bei spinalen
Läsionen jede übrige Gefühlsstörung fehlen, nur ein Verlust der Lageempfindung
und für die Unterscheidung zweier Zirkelspitzen (taktile Diskrimination) vorhanden
sein, während bei peripheren Verletzungen diese Störungen gebunden sind an
gleichzeitigen Verlust der Empfindung für Berührung bzw. leisen Druck und
Druckschmerzhaftigkeit.
Wie die Störungen bei halbseitigen Läsionen im Marke lehren, sind die
Bahnen für Schmerz, auch tiefen Druck und Temperaturempfindungen in der
Hauptsache gekreuzt gelagert, Kälte- und Wärmebahnen aber getrennt; die für
Tastempfindungen liegen zuerst beiderseitig, ebenso die für leichten Druck und
Tastlokalisation; die für Bewegungsempfindungen und für taktile Diskrimination
bleiben aber bis zu den Hinterstrangskernen auf der gleichen Seite.
Die Umlagerung der Bahnen für die einzelnen Gefühlsqualitäten muß gleich
nach dem Eintritte der hinteren Wurzeln ins Mark erfolgen; denn die gleich¬
seitigen Gefühlsstörungen im Gebiete halbseitiger Läsionen zeigen den Charakter
der spinalen und nicht der peripheren Gruppierung. Auch die spinale Gruppierung
sowohl auf der gekreuzten wie gleichen Seite kann segmentären Charakter zeigen;
es werden dann aber erst immer Segmente ziemlich tief unter der Läsion gestört
Die Kreuzung der Schmerz- und Temperaturbahnen im Marke erfolgt im Verlaufe
einiger Segmente; die für die Tast- und Druckleitungen ist erst im Verlaufe
durch einen großen Teil des Rückenmarkes vollendet — für lange Zeit bestehen
für diese Reize doppelseitige Bahnen, dementsprechend fehlt die Tastanästhesie
bei halbseitigen Läsionen oft.
Neben den bewußte Gefühle leitenden Bahnen verlaufen im Rückenmarke
auch solche für unbewußte Empfindungen, die der Erhaltung des Gleichgewichtes
dienen, meist gleichseitig bis ins Kleinhirn — Kleinhirnseitenstrangbahn.
3) Untersuchungen über die Sensibilitätsleitung im Rückenmark des
Hundes, von Paul Schuster. (Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie. XX.
1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Auf dem viel bearbeiteten Gebiete der spinalen Sensibilitätsleitung verdienen
die Untersuchungen des Verf.’s deswegen ein besonderes Interesse, weil die Aus¬
fallserscheinungen an den Experimentaltieren mit großer Exaktheit nnd vor allen
Dingen mit klinischem Verständnis beobachtet worden sind. Große Schwierig¬
keiten bereitete an den operierten Hunden, denen die Hinterstränge und Seiten-
strilnge in differenter Ausdehnung und in mannigfaltigen Kombinationen zerstört
worden waren, die Prüfung der Berührungsempfindlichkeit, des Tastgefühles, wobei
zahlreiche Fehler unterlaufen können. Verf. half sich mit folgender offenbar sehr
brauchbarer Methode. Er blies den zu untersuchenden Körperteil durch einen
Schlauch mit dem Munde oder mit einem Gummihallon an, ohne daß das Tier
von der ganzen Manipulation etwas sah oder hörte. Dabei muß der Luftstrom
lauwarm sein, damit nicht die thermische Komponente störend hervortritt. Die
Reaktion zeigt sich darin, daß der Hund sich Belir schnell nach dem angsblaseneo
Beine umsieht oder dasselbe zurückzieht.
Bei allen Tieren wurde das Rückenmark an der Eingriffes teile genau unter-
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sucht und das Areal der zerstörten Substanz mit möglichster Genauigkeit be¬
stimmt. Seine Hauptresultate faßt Verf. in folgenden Sätzen zusammen:
I. Eine ausgesprochene Störung des Berührungsgefühles tritt auf, wenn im
unteren Brustmark der Hinterstrang zusammen wahrscheinlich mit der gleichseitigen
hinteren Grenzschicht (weniger wahrscheinlich zusammen mit dem Gebiet des
gleichseitigen Hinterhorns inkl. Lissauerscher Zone) zerstört worden ist.
II. Die sogen. Lagegefühlsstörung geht der Tastgefühlsstörung im allgemeinen
parallel.
III. Die Herabsetzung des Schmerzgefühles wird höchstwahrscheinlich durch
die Zerstörung des mittleren Teiles des der grauen Substanz anliegenden Seiten¬
strangbezirkes bedingt.
IV. Die Störung des Temperaturgefühles geht eher derjenigen des Schmerz-
gefules als derjenigen der Berührungsempfindung parallel.
V. Die faradokutane Sensibilität ist das Ultimum moriens bei Zerstörungen
der hinteren und seitlichen Bückenmarkspartien. Für das Erhaltensein der farado-
kutanen Sensibilität kommt wahrscheinlich die graue Rückenmarkssubstanz in
Betracht.
VI. Die Störungen des Berührungsgefühles, des Tastgefühles und der Schmerz¬
empfindung kommen in erster Linie auf der Seite der Operation zustande.
Pathologische Anatomie.
4) A study of the various ohanges whioh ooour ln the tissues in aoute
diphtherio toxaemia, more espeoially in referenoe to aoute oardiao
failure, by Leonard Dudgeon. (Brain. CXIV. 1906.) Ref.: Bruns.
Verf. hat von einer Anzahl von Fällen akuter toxämischer Diphtherie mit
plötzlichem Herztode die Herzmuskeln, das Zwerchfell, eine Reihe innerer Organe
und die betreffenden peripheren Nerven und das Centralnervensystem untersucht.
Er hat auch Tiere mit Diphtherietoxin vergiftet und die Organe derselben unter¬
sucht; ebenso noch Fälle, wo er nach der Diphtherietoxininjektion Antitoxin ge¬
geben hatte. Die Resultate der jedenfalls sehr sorgfältigen und mühevollen Arbeit
sind folgende:
a) Die wichtigste Läsion in den akuten Fällen ist eine fettige Degeneration
des Herzmuskels und Diaphragmas; sie wird bewirkt durch eine direkte Ein¬
wirkung der Toxine auf diese Gebiete.
b) Ähnliche fettige Veränderungen können sich finden in gewissen wichtigen
Eingeweiden, besonders in der Nebenniere und Leber.
c) Der Ausdruck „Herzlähraung“ bei akuter toxämischer Diphtherie sollte
aufgegeben werden und durch den „akutes Versagen des Herzens“, „acute cardiac
failure“ ersetzt werden.
d) Die im Nervensystem gefundenen Veränderungen sind sekundäre Er¬
scheinungen und nicht die primäre Ursache für das Versagen des Herzens.
e) Antitoxin, wenn es in genügender Menge und in den ersten 48 Stunden
gegeben wird, kann den Tod am Versagen der Herztätigkeit verhindern oder die
Möglichkeit dieses Todes doch erheblich verringern.
Schöne Abbildungen der Veränderungen im Herzmuskel und Zwerohfell, in
der Nebenniere, der Leber und im Rippenknorpel, der nicht selten auch starke
fettige Degeneration zeigt, sind der Arbeit beigegeben.
5) On some of the nervous oomplioations of the speoiflo fevers, by Thomas
Bachon. (Brain. CXV. 1906. S. 303.) Ref.: Bruns.
Verf. führt in einem längeren Vortrage aus, daß entzündliche Erkrankungen
des CentralnervensystemB nach den allerverschiedensten Infektionskrankheiten Vor¬
kommen können, und daß allerlei Übergänge zwischen den verschiedenen Formen
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der betreffenden Erkrankungen — der disßeminierten Encephalomyelitis, der Polio¬
myelitis anterior, der Landrysehen Lähmung — bestehen. Reine periphere
Neuritiden kommen wohl kaum vor; die mehr neuritischen Prozesse treten nach
Infektionskrankheiten später auf als die myelitischen und encephalitischen. Der
Vortrag gibt eine gute Übersicht über die Lehre von den organischen post¬
infektiösen Nervenkrankheiten. Verf. erkennt aber selbst an, daß er viel Neues
nicht bringt; besonders lückenhaft sind die Literaturangaben.
Pathologie des Nervensystems.
6) Über Vorkommen und Bedeutung markhaltiger Nervenfasern in der
menschlichen Netzhaut vom neurologischen Standpunkt, von M. Bern¬
hardt. (Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 15.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Während bei einigen Fischen, beim Kaninchen und öfters beim Hunde mit
zarter Markscheide belegte Sehnervenfasern in der Netzhaut sich finden, gehören
beim Menschen markhaltige Nervenfasern in der Netzhaut zur Ausnahme. Oph¬
thalmoskopisch erscheinen die markhaltigen Fasern lebhaft weiß, stehen in un¬
mittelbarem Zusammenhänge mit der Papille, von der sie strahlenförmig mehr
oder weniger weit in die Netzhaut sich erstrecken und zum Teil die Retinal¬
gefäße verdecken. Diese markhaltigen Fasern sind nun keineswegs angeboren,
sondern angeboren ist nur die Disposition zur Entwicklung derselben. Ob es
erlaubt ist, das Vorkommen markhaltiger Fasern den anderen gerade bei Nerven¬
kranken vorkommenden Degenerationszeichen zuzuzählen, muß erst eine ausgedehnte
Erfahrung lehren.
7) Die transkortikale Tastlähmung, von Kutner. (Monatsschr. f. Psych. u.
Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. trennt an einem Fall von der gewöhnlichen kortikalen Tastlähmung die
transkortikale Form ab, die Bich im wesentlichen mit der Stereoagnosie d’asso-
ciation ou de conductibilite von Verger deckt. Der Bearbeitung liegt der früher
schon von Bonhoeffer bearbeitete Fall (Mitt. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. X und
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXVI) zugrunde. Der Patient ist Epileptiker,
zweimal operiert (osteoplastische Resektion über dem linken und rechten Scheitel¬
bein), er bot nach letzterer Operation Tastlähmung der linken Hand, (Störung der
primären Identifikation, typische kortikale Form, von Bonhoeffer untersucht),
später stellte Bich nach einer Serie schwerer Anfälle an der rechten Hand gleich¬
falls eine Taststörung anderer Art ein: Sensibilität intakt, Gegenstände werden
durch Tasten erkannt, d. h. die Vorstellung der Form wird geweckt, gestört ist
aber die sekundäre Identifikation. Verf. betont den assoziativen Charakter der
Störung ohne besondere anatomische Lokalisation.
8) La fonotion gnosique, par M. Egger. (Revue neurologique. 1907. Nr. 9.)
Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Verf. setzt sich in dieser Abhandlung wesentlich mit all den Autoren aus¬
einander, die zu dieser Frage in der Revue neurologique in letzter Zeit das Wort
ergriffen haben. Er betont, daß die Fähigkeit der Erkennung von Objekten von
dem Grade der Störung der peripheren Sensibilität dem Grade nach unabhängig
ist: Ein ganz kleiner erhaltener Rest in den Projektionsbahnen kann eventuell
genügen, um diese Funktion aufrecht zu erhalten. Den Terminus Asymbolie für
Störungen dieser Art perhorresziert Verf. Von Stereognose in einheitlichem Sinne
läßt sich derzeit nach Verf. nicht reden; am Kranken werde ja nicht das Er¬
kennungsvermögen für Formen, sondern für Objekte geprüft. Die Aufhebung der
Fähigkeit, ein Objekt zu erkennen, kann aber aus zwei Ursachen resultieren: aus
Läsionen im Projektionssystem und aus solchen im Assoziationssystem; im ersteren
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Falle würde Verf. von „anästhetischer“ und nur im zweiten von reiner Agnosie
sprechen.
9) Agnosie et asymbolie, a propos d’un soi-disant eas d’aphasie taotile,
par E. Claparede. (Revue neurol. 1906. Nr. 17.) Ref.: Erwin Stransky.
Verf. greift in die Polemik zwischen Raymond-Egger einerseits und
Dejerine andererseits (s. beide Aufsätze in der Revue neurologique. 1906) ein,
die sich über die Auffassung des von den ersteren publizierten Falles sogenannter
taktiler Aphasie entsponnen hat, indem auch er sich der Anschauung anschließt,
daß dieser Fall nicht als Aphasie, sondern als — taktile — Asymbolie aufzu¬
fassen bzw. zu bezeichnen wäre. Verf. glaubt überhaupt nicht an ein selbständiges
taktiles Gedächtnis beim Normalen; allenfalls könnte ein solches und damit auch
eine taktile Aphasie bei den Blinden in Frage kommen. Gerade über jene
Wörter, die allenfalls noch mit rein taktilen Vorstellungen in Rapport stehen
könnten (wie „kalt“, „feucht“ u. ähnl.), haben übrigens die Kranken von Ray¬
mond-Egger verfügt.
10) A propos d'un oas d’aphasie taotile, par M. Noica. (Revue neurolog.
1906. Nr. 22.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Verf. greift in die Diskussion zwischen Raymond-Egger einerseits und
Dejerine andererseits zur Frage der sogen, taktilen Aphasie ein, indem er einen
eigenen Fall rein peripherisch bedingter (Schnittverletzung, Neuritis im Bereiche
des Cubitalnerven) Sensibilitätsstörung mitteilt, der dem affizierten Bereiche ent¬
sprechend eine ganz ähnliche Störung der Objektidentifikation auf taktilem Wege
dargeboten haben soll wie der Raymond-Eggersche. Auch durch passive Be¬
wegungen der dargebotenen Gegenstände durch den Untersucher im Bereich des
affizierten Nerven, also gewissermaßen durch künstliche Korrektur der gleichfalls
vorhandenen motorischen Störung (? Ref.) war eine Änderung nicht zu erzielen.
Verf. glaubt danach im Sinne Dejerines, daß sein Fall für die rein peripherische
Genese des in Rede stehenden Symptoms spricht (peripherische Sensibilitätsstörung).
11) La vraie aphasie taotile, par E. Jones. (Revue neurologique. 1907. Nr. 1.)
Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Verf. glaubt in einem von ihm beobachteten Falle von echter taktiler Aphasie
sprechen zu dürfen; es handelt sich um einen Fall von hysterischer (!) Analgesie,
die ursprünglich alle Qualitäten betroffen hatte, dann allmählich zurückging, und
zwar schrittweise, so daß zunächst eine Art „Tastlähmung“ im Sinne Wernickes,
im weiteren Verfolge ein Zustand taktiler Asymbolie (seed. Claparede, korre¬
spondierend auch nach des Verf.’s Auffassung mit dem Zustande des Kranken
von Raymond-Egger; die bez. Referate s. oben) resultierte, während als
letzte Phase der Besserung Erkennung und Gebrauch von Gegenständen bereits
möglich und nur die Benennung derselben noch unmöglich war; hier möchte Verf.
denn von taktiler Aphasie sprechen. Diese Phase markierte den Übergang zum
völligen Verschwinden der Sensibilitätsstörung.
ln theoretischer Hinsicht neigt Verf. angesichts der Kontroverse, ob der
fraglichen Aphasieform centrale oder periphere Genese zugesprochen werden müsse,
zu einer mehr „psychologischen“ Deutung.
12) Beoherohes sar la Psychologie des aphaslques. Le „Souvenir** chez
les aphaslques, par N. Vaschide. (Revue neurologique. 1907. Nr. 11.)
Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Auf Grund seiner Untersuchungen an 34 Aphasischen gelangte Verf. wesent¬
lich zu dem Ergebnis, daß Aphasisclie nicht auf abstrakt-assoziativem Wege
Gegenstandsbilder bzw. Vorstellungen spontan zu reproduzieren vermögen; hin¬
gegen ist ein mehr minder dunkles Wiedererkennen von Bildern und Gegenständen
möglich. Die Fähigkeit der Neueinprägung von Bildern bzw. Vorstellungen ist
sehr herabgesetzt. Genauere Details müssen im Original nachgesehen werden.
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13) Revision de la question de l’aphaaie. Qne fout-il penser des aphasies
sous-eortioales (aphasies pures)? par Pierre Marie. (Semaine rnödic.
17. Oktober 1906. Ref.: H. Haenel, (Dresden).
Verf. bestreitet, daß eine Unterscheidung von kortikalen and sabkortikalen
Herden bei Aphasien durchführbar sei; stets sei Rinde und Marksubstanz bei den
beobachteten Herdläsionen betroffen. Die reine Worttaubheit »t ein Mythus; es
ist kein Fall einer solchen bekannt, bei dem die Intelligenz absolut intakt ge¬
wesen wäre und alle Störungen der Lesefahigkeit, der Schrift und besonders der
Hörschärfe (Labyrinthtaubheit) gefehlt hätten. Ebenso gibt es kein Centrum für
die Wortgehörsbilder, wie dies Wernicke annahm: wenn ein Aphasiker die Be¬
deutung der Worte nicht versteht, so ist das keine Folge einer Worttaubheit,
sondern eines Mangels an Verständnis, zurückzuführen darauf, daß das Wernicke-
sche Centrum nicht ein sensorielles, sondern ein intellektuelles Centrum ist. Auch
Dejerine, zurzeit P. Maries heftigster Gegner, hat bis vor einigen Jahren
Belbst hervorgehoben, daß bei jedem Aphasiker die Intelligenz vermindert ist und
ist erst in der letzten Zeit von dieser Ansicht abgekommen. Die reine Wort¬
taubheit ist also eine schematische Konstruktion ohne wirkliche klinische oder
anatomische Basis. Die Wortblindheit ist dagegen eine unbestreitbare klinische
Tatsache. Da gegen ein Lesecentrum im Sinne eines Depots für die optischen
Sprachbilder schon der Umstand spricht, daß erst seit wenigen Generationen die
Fähigkeit des Lesens und Schreibens überhaupt Allgemeingut ist, so muß für
das klinische Bild eine andere Erklärung gesucht werden. Hier ist vor allem
hervorzuheben, daß die gefundenen Herde stets nicht dem Gebiete der Art. fossae
Sylvii, sondern dem der Art. cerebri posterior angehörten. An der Unterseite
des Gehirns, im Gebiet des lob. lingualis und lob. fusiformis, ist eine Stelle ge¬
geben, wo zugleich sowohl die Sehfasern als auch die weiße Substanz der Sprach-
zone oder die aus ihr entspringenden Fasern getroffen werden können. In der
Tat sitzen hier meist die Herde bei der Alexie; je uachdem sie mehr oder weniger
tief in die Marksubstanz der Wer nickeschen Zone hineingreifen, d. h. je nach¬
dem das Versorgungsgebiet der Axt. cerebri posterior mehr oder weniger weit
nach vorn reicht, werden aphasische Symptome in größerer oder geringerer Aus¬
prägung mit der Alexie verbunden sein. Man kommt so darauf zu, mehr eine
Aphasie der Hirngefäßverteilung als eine solche der Windungstopographie zu schreiben.
Bei der subkortikalen oder reinen motorischen Aphasie (Lichtheim) besteht
der Ausfall allein in der Unfähigkeit, die Laute richtig auszusprechen, zu arti¬
kulieren, während alle anderen Modalitäten der Sprache, besonders die „innere
Sprache“, ungestört sind. Verf. benennt diese Störung Anarthrie und fügt hinzu:
diese Anarthrie ist gar keine Aphasie! Dem Einwand, daß Anarthrie stets mit
einer Lähmung der Sprachmuskeln einhergehen müsse, hält er entgegen, daß wir
allerhand Bewegungsstörungen, wie Ataxie, Athetose, Stottern u. a. kennen ohne
Muskellähmung. Der Anarthrische nach Verf. ist derjenige, der hei intakter In¬
telligenz, Wortkenntnis, Lese- und Schreibfähigkeit und Fehlen aller pseudo¬
bulbären und paralytischen Symptome nicht sprechen kann. (Er kann aber Sprach-
reste, einzelne Schimpfworte usw. bekanntlich oft noch sehr gut artikulieren; ist
er trotzdem anarthrisch? Ref.) Die Läsion, die solchem Ausfall zu Grunde liegt,
ist in der „Zone des LinsenkernB“ zu suchen, einer Zone, die die Insel, die
äußere und innere Kapsel, den Linsen- und Schwanzkern umfaßt.
Betreffend die Brocasche Aphasie, unterscheidet Verf. die beiden Fragen,
1. ob die linke Stirnwindung eine spezifische Rolle spielt, 2. ob eine Mitbeteiligung
des Temporoparietallappens oder der aus ihm entspringenden Fasern anzunehmen
ist. Die Erörterung beider Fragen bewegt sieb hauptsächlich in einer Polemik
gegen seinen vornehmsten Kritiker Dejerine. Bezüglich der ersten Frage weist
er nach, daß Dejerine sich selbst mehrfach widerspricht, wenn er die Lokali-
Digitized b',
Google
Original fram
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711
sation der artikulierten Sprache in F a bald nur als möglich aber unbewiesen,
bald als fest begründet bezeichnet, während Verf. dieser Windung jede spezielle
Bedeutung für die Sprache abspricht. Bezüglich der zweiten Frage wiederholt
Verf. seine früher ausgesprochene Ansicht, daß mit der Läsion für die Anarthrie
(lentikuläre Zone) stetB eine mehr oder weniger ausgeprägte Läsion derWernicke-
schen Zone oder ihrer FaBerbahnen verbunden ist. Klinisch ist deshalb auch
immer eine gewisse Störung im Verständnis des gesprochenen Wortes und in der
Lese- und Schreibfähigkeit hei den Broca-Kranken nachweisbar. Dejerine, der
früher ebenfalls auf diesem Standpunkte stand, bestreitet jetzt, daß diese Regel
ein ausnahmsloses Gesetz sei und führt als Beweis dafür zwei Fälle an von reiner,
typischer motorischer Aphasie. Den einen entlehnt er einer Publikation von
Ladame, dieser selbst hat sich aber, weil die genaue anatomische Untersuchung
noch fehlt, dagegen verwahrt, daß sein Fall zu Schlußfolgerungen nach der einen
oder anderen Seite verwertet werden dürfe. Der andere ist ein auf seiner Ab¬
teilung beobachteter und in einer Dissertation von Bern heim beschriebener Fall.
Dejerine berichtet über ihn: Die Kranke, langjährige rechtsseitige Hemiplegica,
konnte nur „Doui“ und „Don“ statt oui und non sagen, sonst nichts. Keine
Spuren von Worttaubheit oder -blindheit, Erhaltung der Schreibfähigkeit und der
völligen Intelligenz. Im Text der Dissertation findet aber Verf. angegeben, daß
die Kranke anfangs 2 Monate lang nicht verstand, was man ihr sagte, erst nach
1 Jahre Gelesenes völlig verstand, auch später nooh für Gelesenes ein schlechtes
Gedächtnis hatte, was sie selbst empfand, Diktatschreiben nur mit Auslassungen
vollführte und zwar leicht addieren und multiplizieren, aber nicht subtrahieren
konnte. Also trotz Dejerines Behauptung eine „Anarthrie“ verbunden mit aus¬
geprägten Zügen von sensorischer Aphasie, entsprechend der Formel, die Verf.
von der Brocaschen Aphasie gegeben hat. Den gleichen Nachweis ungenauer
Zitierung führt Verf. seinem Gegner gegenüber in bezug auf den anatomischen
Befund: Dejerine schreibt: „Brocasche Windung und anliegende Region zerstört,
centrale Ganglien, Wernickesche Gegend intakt“; dagegen gibt Bernheim
selbst eine Beschreibung und Abbildung, aus der hervorgeht, daß die weiße Sub¬
stanz unter dem Gyr. supramarginalis, d. h. ein Teil der Wernickeschen Zone
von der Zerstörung mit ergriffen ist, ferner Teile der Capsula externa. Im ganzen
ist also dieser Dejerine-Bernheimsche Fall — der einzige, den er neben dem
von Ladame anführt —, nicht geeignet, Verf.’s Lehre zu widerlegen, sondern
bildet im Gegenteil eine völlige Bestätigung derselben, in dem Sinne, daß Broca¬
sche Aphasie = Anarthrie (Läsion der lentikulären Zone) ■+■ Aphasie (Läsion der
Wernickeschen Zone oder der aus ihr entspringenden Fasern) ist.
In seinen Schlußsätzen schlägt Verf. vor, statt der bisherigen Gruppierungen
der Aphasien nur zu unterscheiden a) echte Aphasien (A. intrinsöques), bei denen
die W’ernicköscbe Zone oder die ihr entstammenden Fasern direkt und merk¬
lich lädiert sind (Brocasche, Wernickesche Aphasie), b) unechte Aphasien (A.
extrinseques), bei denen jene Zone nicht direkt, sondern nur durch Läsion der
Nachbarschaft beteiligt iBt, d. h. der lobi fusiformis und lingualis (reine Alexie,
reine Wortblindheit der Autoren) oder der Linsenkernzone (reine Anarthrie, reine
motorische Aphasie der Autoren). Jede Läsion der Wernickeschen Zone, die
ein intellektuelles, kein sensorisches Centrum darstellt, führt, entsprechend ihrer
größeren oder geringeren Ausdehnung, außer zu den Störungen des Sprechens zu
einem Ausfall in der Auffassung des gesprochenen Wortes und der Lese- und
Schreibfahigkeit, desgleichen zum Verlust gewisser erlernter Fähigkeiten. Anarthrie,
d. h. Verlust der Wortbildung mit Erhaltung des Wortverständnisses, des Lesens
und Schreibens, ist durch eine Läsion der lentikulären Zone bedingt, die die
Koordination des Sprechmechanismus stört, ohne eine eigentliche Muskelläbmung
zu veranlassen.
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712
14) Revision de la question de l’aphasie. L’aphasie de 1861 a 1866, par
Pierre Marie. (Semaine mödic. 28. Nov. 1906.) Ref.: H. Hacnel, (Dresden).
Zu überraschenden Ergebnissen kommt Verf. in dieser historisch-kritischen
Studie über die Entstehung der Brocaschen Aphasielehre. Er hat die beiden
im Musee Dupuytren zu Paris noch aufbewahrten Gehirne, die für Broca die
Grundlage seiner Lehre abgaben, einer genauen Untersuchung unterworfen und
gefunden, daß der erste, der Fall Leborgne, eine Erweichung aufweist, die außer
der 3. linken Stirnwindung auch die Insel, die unteren Teile der Centralwindungon
und die Wernickesche Zone einnimmt. Der nur 6 Tage und recht mangelhaft
beobachtete Kranke war ein rechtsseitig gelähmter Aphasiker, der seit 10 Jahren
nur noch die Silbe tan sprechen konnte. Broca suchte, beeinflußt durch Ge¬
danken von Bouillaud, die damals allgemeine Beachtung fanden, das Sprach-
centrum in den Vorderlappen des Gehirns und glaubte in dem ihm vorliegenden
Falle die Stelle, an der die Erweichung den ältesten Eindruck machte, als den
Ort der Sprachfunktion ansetzen zu sollen; dies war zufällig die 3. linke Stirn¬
windung. Wenn in dem ganzen Erweichungsbezirk die 1. Schläfenwindung ihm
am stärksten geschädigt erschienen wäre, würde heute vielleicht die ganze Aphasie¬
lehre auf einem anderen Punkte stehen! Das Gehirn ist übrigens ebensowenig
wie das seines zweiten grundlegenden Falles Lelong von Broca zerlegt worden!
Die genaue Betrachtung dieses letzteren GehirnB verglichen mit der von Broca
gegebenen Beschreibung desselben zeigt Verf., daß es sich bei diesem garnicht
um eine Herdlusion handelt, sondern um serös-meningeale Cysten über einem senil-
atrophischen Gehirn; eine von diesen lag gerade über den geschrumpften, aber
nicht erweichten, sondern sklerosierten unteren Stirnwindungen und täuschte Broca
eine Erweichung vor, wie auch später noch oft Untersucher durch einen solchen
Befund getäuscht worden sind. Nach den Krankenjournalen ist es Verf. auch
wahrscheinlich, daß dieser Lelong gar nicht an echter Aphasie, sondern an seniler
Demenz gelitten hat. Weder der erste noch der zweite der Brocaschen Fälle
halten demnach der Nachprüfung stand, sie sind nicht geeignet, für die Lokali¬
sation der artikulierten Sprache als Grundlage zn dienen, wie man das seit 1861
fälschlicherweise getan hat.
Bouillaud, dessen Einfluß auf Broca feststeht, zählte seinerseits zu den
rückhaltlosen Bewunderern Galls. Dieser hatte die Sprachfunktion in die Stirn¬
lappen und zwar in die Basis derselben verlegt, weil er beobachtet zu habeu
glaubte, daß Leute mit großem Sprachtalent besonders hervorstehende Augen
hätten, und diese seien auf die Auswölbung deB Orbitaldaches durch den besonders
stark entwickelten Stirnlappen zurückzuführen! Bouillaud und sein Kollege
und Anhänger Auburtin suchten nach Sektionsfällen, die Galls Ansicht be¬
stätigten; Broca verwarf zwar Galls Lehre der Seelenkräfte im ganzen, schrieb
aber doch den einzelnen Provinzen des Gehirns gesonderte Funktionen zu. Als
der Aphasiker Leborgne auf seiner Abteilung in Bicetre, den er speziell Au¬
burtin vorgestellt hatte, starb, war naturgemäß die Aufmerksamkeit in erster
Linie auf die Stirnlappen gerichtet, und ab dort tatsächlich ein Herd — d. h. der
Teil eines größeren Herdes — sich fand, war die Lokalisation der Sprache ana¬
tomisch für ihn gefunden. Als dann der Fall Lelong bald darauf folgte, als
die Bouillaudsche einflußreiche Schule, ferner die Internisten der Charkotschen
Abteilung ähnliche Fälle veröffentlichten, stand binnen kurzem die Lehre als
Dogma fest. Obgleich auch im Anfang schon Beobachtungen herauskamen, die
die Intaktheit der 3. linken Stirn Windungen bei Aphasie hervorhoben (Jaccoud,
Laborde, Bouchard, der bei der Sektion einer berühmten aphasischen Patientin
Trousseaus nur alte Erweichungsherde im Niveau der Insel und der 1. Schläfen¬
windung fand, Magnan, Charkot selbst), war an der Lehre nicht mehr zu
rütteln. Broca selbst sprach zwar im Anschluß an Charcots Publikation die
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713
Vermutung aus, daß der Gyrus angularis auch mit zur Erklärung der „Aphemie“
— wie er die Aphasie getauft hatte — heranzuziehen sei, führte aber diesen
Gedanken, der erst von Wern icke richtig bewertet wurde, leider nicht weiter
aus. Von 1866 an verstummten die Gegner; selbst Charcot, der seinen Fall
von 1863 wohl vergessen hatte, schrieb 20 Jahre später im Progres medical,
daß er nie einen Fall gesehen habe, der das Brocasche Gesetz durchbrochen
hätte. „Und so ist durch eine eigenartige Verkettung von Umständen die Lehre
von der 3. linken Stirnwindung als Sprachcentrum geschaffen worden: bo wird sie
seit 45 Jahren von Generation zu Generation fortgepflanzt, viel mehr auf dem
Wege der Überlieferung als auf dem der direkten Untersuchung. Es ist an der
Zeit, daß wir uns persönlich eine Meinung über den Grad der Glaubwürdigkeit
bilden, der dieser Lehre beizumessen iBt.“
15) La fonction du langage et la looalisation des centres psyohiques dans
le cerveau, par J. Grasset. (Revue de Philosophie. 1907. Januar.)
Bef.: H. Haenel (Dresden).
Eine Polemik des Psychiaters von Montpellier gegen die neue Aphasielehre
von Pierre Marie, der in mehreren Arbeiten des letzten Jahres bekanntlich die
Existenz der motorischen Aphasie und des Brocaschen Centrums bestritten hat.
Pierre Marie lenkte die Aufmerksamkeit darauf, daß bei allen, auch den motorisch
Aphasischen, ein psychoaensorisches Element aufflndbar ist, und daß bei ihnen stets
eine allgemeine Verminderung der Intelligenz sich nachweisen läßt. Verf. weist
nach, daß diese Intelligenzstörungen die Sprachstörung nicht erklären, weil sie zu
geringfügig und zu systematisiert sind, und stets mit einer Läsion der linken
Hemisphäre verbunden sind. Wenn Marie nun zugesteht — was er tut —, daß
die Aphasie eine spezielle, von anderen psychischen Störungen verschiedene Seelen¬
störung mit speziellen Centren in der linken Hemisphäre ist, so steht er damit
auf dem Boden der geltenden klassischen Lehre und nicht im Gegensatz zu der*
selben. Bezüglich der Leugnung der Brocaschen AsphaBie stützt eich Marie auf
einig Autopsien, bei denen trotz motorischer Aphasie die dritte linke Stirn¬
windung intakt war, und andere, bei denen trotz Zerstörung dieser Windungen
die Aphasie fehlte. Außerdem wiederholt er, daß die reine motorische Aphasie
selten oder vielleicht nie vorkomme, daß stets eine stärkere oder geringere Wort¬
taubheit dabei sei und auch anatomisch die Wernickesche Gegend fast stets mit
lädiert sei. In dieser Beobachtung sieht Verf. eine Erweiterung und Stütze der
Lehre von der Rindenlokalisation, keine Widerlegung derselben. Am wenigsten
kann er der Schlußfolgerung Maries zustimmen, die dahin lautet: bei jeder
Aphasie besteht Worttaubheit, bei der motorischen besteht daneben die Un¬
möglichkeit zu sprechen: also Aphasie = Wernickesche Aphasie, Brocasche
Aphasie = Wernickesche Aphasie + Anarthrie. Versteht man unter Anarthrie
die Störungen,, die durch doppelseitige Läsionen im und unterhalb des Linsen¬
kerns hervorgerufen werden, so ist dieses Schema unverständlich und unzutreffend.
Wohl tritt bei der Brocaschen Aphasie zur Worttaubheit noch etwas hinzu, das
ist aber keine Anarthrie, sondern ein psychomotorisches, von der linken Hemi¬
sphäre allein geliefertes Element. Maries Arbeit hat das Verdienst, die oft
unterschätzte Einheit und Einheitlichkeit des Sprachapparates in schärferes Licht
gesetzt zu haben, hat aber keine Beweise für das Nichtvorhandensein dieser
Centren, besonders des Brocaschen, geliefert. Aus den Schlußfolgerungen des
Verf.’s seien folgende Formulierungen hervorgehoben: Die Sprache ist eine sensorio-
motorische Funktion, die sowohl den centripetalen Weg vom Zeichen zur Idee,
wie den centrifugalen von der Idee zum Zeichen umfaßt. Über den speziellen
Sprachzentren liegen die „seelischen“ Centren (Frontallappen), unter ihnen die
artikulatorischen (Basalganglien, capsulo-lentikuläre Region). Der Läsion jener
entsprechen die Sprachstörungen der Geisteskranken, der Läsion dieser die Dys-
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714
and Anarthrien; der Läsion der eigentlichen, für die automatische („polygonale“
nach Verf.) Sprachfunktion dienenden Centren entsprechen die Aphasien. Die
Grenzen der letzteren Centren sind die bekannten, um die Fossa Sylvii herum
angeordneten; unter ihnen besteht eine weitgehende Abhängigkeit. Meist ist die
ganze Zone mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen. Läsionen, die vor¬
wiegend die hinteren Partien treffen, erzeugen Aphasien hauptsächlich psycho-
sensorischer Natur; ist die vordere Hälfte mehr befallen, so ist die Aphasie in der
Hauptsache eine psychomotorische. An diesen Grundlagen der Lehre haben die
Pierre Marieschen Arbeiten nichts zu ändern vermocht.
16) La fonetion da langage. Reottflcatlons & propos de l’artiele de
M. Grasset, par Pierre Marie. (Revue de Philosophie. 1907. Februar.)
Ref.: H. Haenel (Dresden).
Verf. erhebt gegen Grasset den Vorwurf der ungenauen Darstellung seiner,
Verf.’s, neuer Aphasielehre und erklärt sich genötigt, ihm gegenüber dieselbe
noch einmal in ihren Grundzügen darzulegen. Obgleich Schüler Brocas und
Charoots, empfand er es in steigendem Maße, daß die klinischen Beobachtungen
an Apbasischen selten oder nie dem Schema der Schule entsprachen. Da er seinen
Beobachtungen mehr vertraute als dem Dogma, schloß er, daß dieses falsch sei.
Er kam dahin, alle vier Sprachcentren, d. h. das sensorische, das motorische, das
Lese- und Sohreibcentrum, zu leugnen, also keine Erweiterung und Modifikation
der herrschenden Lehre, wie Grasset meint, sondern ein völliger Umsturz der¬
selben, worauf er größten Wert legt! Er hat nie eine reine Worttaubheit ge¬
sehen und da das Wortcentnum nur ans dem Bestehen dieser klinischen Form
konstruiert worden ist, bestreitet er dessen Existenz. Das Wern icke sehe Centrum
ist kein psychosensorisches, sondern ein intellektuelles Centrum, denn die Ver¬
ständnislosigkeit des Kranken für Worte nimmt zu mit der Kompliziertheit des
Gesprochenen, ist für einfache Worte oft gar nicht erheblich! (Das stimmt wohl
nur für eine Anzahl Fälle, kann aber kaum als Regel aufgestellt werden. Ref.)
Außerdem findet man bei diesen Aphasischen meist auch noch andere „Intelligenz¬
defekte“. (Wenn Verf. als Beispiel dafür anführt, daß ein im übrigen ganz
intelligenter Koch kein Spiegelei mehr machen kann und ähnliche auffallende Un¬
geschicklichkeiten, nicht mit dem Finger drohen, eine lange Nase ziehen usw., so
übersieht er wohl das Vorliegen des Symptomenbildes, der Apraxie, das uns gerade
gezeigt hat, wieviel gewonnen werden kann für das Verständnis der klinischen
Formen, wenn man sich nicht mit der Feststellung des „Intelligenzdefektes“ be¬
gnügt Ref.) Für Verf. ist also die Läsion der Wernickeschen Gegend nicht
von einer Störung der sensorischen Auffassung, sondern von einer solchen der
intellektuellen Verarbeitung des Wortbildes gefolgt. Ein Centrum für Lesen und
für Schreiben erklärt er schon deshalb für unmöglich, weil diese beiden Funktionen
als allgemein menschliche Fähigkeiten viel zu jungen Datums sind, als daß sie
sich anatomisch auf der Hirnrinde schon hätten niederschlagen können. Was
den Eckstein der herrschenden Lehre, das Brocasche Centrum, anlangt, so weist
Verf. nach, daß die beiden Fälle, die für Broca selbst die Grundlage seiner
Lehre abgebeu — die Präparate liegen heute noch im Musöe Dupuytren in Paris
aufbewahrt — völlig ungeeignet waren, dieselbe zu beweisen: im ersten bestand
neben einer Erweichung in F 3 eine erheblich größere Läsion in der Wernicke¬
schen — damals natürlich noch „stummen“ Region; der zweite Fall, der ebenso¬
wenig wie der erste in Schnitte zerlegt war, zeigt nur eine allgemeine Atrophie
der Windungen und Broca hat irrtümlicherweise bei ihm eine Herdläsion in F a
angenommen (vgl. Ref. 14). Verf. hat nun sowohl aus der Literatur wie aus eigenen
Beobachtungen eine ziemlich große Zahl von Fällen zusammengestellt und gibt ent¬
sprechende Abbildungen, in denen teils Brocasche Aphasie bei intakter 3. Stirn-
windung bestand, teils bei Zerstörung der letzteren jede Sprachstörung fehlte. Er
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folgert daraus, daß F s kein Sprachcentrum ist und daß die Brocusche Aphasie
nichts ist als die Wernickesche Aphasie, bei der die artikulierte Sprache fehlt.
Diese letztere nennt er Anarthrie. (Da diese Bezeichnung schon für Sprach»
Störungen peripheren oder bulbären Charakters vergeben ist, ist hier das Irre¬
führende und Verwirrung Erzeugende zu finden, das auch Grasset in seiner
Kritik aufgestoßen ist. Bef.) Diese Anarthrie in seinem Sinne verlegt Verf. in
eine „lentikuläre“ Zone, die die Insel, die äußere und die innere Kapsel, den
Linsen- und den Schwanzkern umfaßt. Ist diese lentikuläre Zone allein lädiert,
so entsteht ein Ausfall, der der reinen motorischen Aphasie der klassischen Autoren
entspricht. Ist die Wernickesche Zone allein von der Zerstörung betroffen, so
beobachtet man klinisch die reine und einfache Wernickesche Aphasie,
wobei nur die innere Sprache Störungen aufweist. Sind beide Zonen befallen,
so entsteht die Brocasche Aphasie, und daraus entspringt die Formel, die
so viel Anstoß erregt hat: Brocasche Aphasie = Wernickesche Aphasie + An¬
arthrie.
17) Präsentation d’un oerveau senile aveo atrophie simple des oireon-
volutions simnlant une lösten en foyer dans la rögion de la pariötale
aseendante et de la 3 me frontale ä gauche, par Pierre Marie.
(Bull, et Möm. de la Sociötö mödicale des Höpitaux de Paris. 1907. Febr.)
Bef.: H. Haenel (Dresden).
Verf. demonstriert einen an sich nicht seltenen Gehirnbefund, wo vor Ab¬
ziehung der Meningen sich zwei ausgeprägte, halb nußgroße Vertiefungen fanden,
die genau wie Erweichungsherde aussahen. Nach Entfernung der Meningen zeigt
sich, daß eine einfache senile Windungsatrophie vorliegt und die Einsenkungen
durch die Kreuzungen der vertieften und verbreiterten Sulci vorgetäuscht sind.
Der Fall ist besonders lehrreich, weil der eine der beiden Fälle Brocas, der ihm
zur Begründung seiner Lehre diente, die gleichen Veränderungen aufweist, und
Broca irrtümmlicherweise, weil er jenes Gehirn nicht seziert hat, Erweichungs¬
herde bei demselben diagnostiziert hat. (Ob der Pat., dem das demonstrierte
Gehirn gehört hat, Symptome von Aphasie dargeboten hat, ist leider nicht an¬
gegeben. Bef.)
18) Nouveau oas d’aphasie de Broca sans lösten de la troisieme frontale
gauohe, par Pierre Marie et Francois Montier. (Bull, et Möm. de la
Soc. möd. des Höp. de Paris. 1906. Nov.) Bef.: H. Haenel (Dresden).
52 jähriger Mann, Bechtshänder, 1904 Schlaganfall mit rechtsseitiger Hemi¬
plegie und Aphasie. Der Kranke versteht einfache Aufträge, kompliziertere
schlecht oder garnicht; sein Wortschatz ist sehr dürftig, er kann lückenhaft einige
Beihen (Wochentage, Monatsnamen) aufsagen, die Worte sind aber durch para-
phasische Beimengungen und Jargonaphasie entstellt. Gegenstände kann er nicht
benennen, aber ihren Gebrauch markieren. Ziffernlesen gelingt, Bechnen unmöglich.
Spontan schreiben kann er nur seinen Namen, Diktatschreiben aufgehoben. Also
das klinische Bild einer Brocaschen Aphasie, d. h. nach Pierre Marie:
Wernickesche Aphasie+Artikulationsstörungen. Autopsie: 3. linke Stirnwindung
völlig intakt. Mehrere Erweichungsherde in der linken Hemisphäre, und zwar
einer im Putamen des Linsenkernes, der zugleich in seinem hinteren Abschnitt
die letzten Windungen der Insel, die Vormauer und die äußere Kapsel zerstört
hat; ein zweiter und dritter in der 1. Temporalwindung, stellenweise auf die 2.
übergreifend; ein vierter im Marke der Wernickeschen Zone, entlang dem
Hinterhorn Bich ausdehnend. Schlußfolgerung: Die 3. linke Stirnwindung hat mit
der Brocaschen Aphasie nichts zu tun, diese entsteht vielmehr durch eine Läsion
in der „lentikulären Zone“ verbunden mit einer solchen in der Wernickeschen
Zone.
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71G
19) Sur un cas de ramollissement de la 8 me eiroonvolution frontale
gauohe che* un droitier, Sans aphasie de Broca, par Pierre Marie et
Francois Montier. (Bull, et M6m. de la Soc. med. des Höp. de Paris.
1906. Nov.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Es handelt sich um einen 55 jährigen Kranken, der seit 9 Jahren unter dem
Bilde der präsenilen oder syphilitischen Demenz in Bicetre verwahrt wurde. Er
war erblindet, zeigte ungeschickten nach hinten geneigten Gang, keinerlei Lähmungs¬
erscheinungen; psychisch zeichnete er sich durch eine außerordentliche Gesprächig¬
keit, fast Verbigeration aus; jeden Versuch sich ihm zu nähern oder ihn genauer
zu untersuchen, beantwortete er mit Schimpfworten, von denen er ein reiches
Vokabularium besaß, und heftigen Abwehrbe wegungen; nur gegen die Pflegerin
war er höflich und sanft; er zeigte nie, auch nicht kurz vor seinem Tode, eine
Störung der artikulierten Sprache. Er war Rechtshänder. Die Autopsie zeigte
eine Erweichung des ganzen Fußes der 3. linken Stirnwindung bis zu seiner
Insertion an der vorderen Central windung; eine ebensolche von kleinerem Umfange
am Fuße der 1. linken Schläfenwindung, heraufreichend bis über den Rand des
Gyrus supramarginalis. Die Centralganglien, speziell die sogen, lentikuläre Zone,
waren intakt. — Das einzige Symptom, das intra vitam auf eine Läsion der
Sprachgegend hätte hinweisen können, war die Verbigeration. Eine genauere
Untersuchung des Sprachverständnisses, der Lese-, Schreibfähigkeit usw. war durch
das Verhalten des Kranken und seine Blindheit verhindert. Jedenfalls ließ sich
aber eine Brocasche Aphasie ausschließen, was, zusammengehalten mit der Zer¬
störung von eine weitere Stütze für die vom Verf. verfochtene Anschauung ist,
daß die 3. linke Stirnwindung nichts mit der motorischen Aphasie zu tun hat.
20) Nouveau oaa d’aphasie de Broca dans lequel la troisiöme circon-
volution Arontale gauohe n’est pas atteinte, tandis que le ramollissement
oocupe la zöne de Wernicke et les circonvolutlons motrices, par
Pierre Marie et Fr. Montier. (Bull. et. Mem. de la Soc. med. des Hop.
de Paris. 1907. Fevrier.) Ref. H. Haenel (Dresden).
63 jähriger Mann, Rechtshänder, rechtsseitiger Schlaganfall. Nächsten Morgen
versteht er keine Frage außer: „Schließen Sie die Augen!“, gibt nur unverständ¬
liche Laute von sich, ist absolut unfähig zu lesen oder zu schreiben. Autopsie
nach 8 Tagen: Große Erweichung, die links die vordere und hintere Central¬
windung, die hinteren a / s von Fj, den ganzen Gyrus supramarginalis und den
vorderen Pol von T, umfaßt. F 3 makroskopisch von völlig normaler Beschaffenheit.
21) Aphasie motrloe saus lesion de la trolsiöme eiroonvolution Arontale,
par M. Souques. (Bulletins ct Mömoires de la Sociöte m£dicale des Höpitaux
de Paris. 1906). Ref.: S. Klempner.
37 jährige Frau erleidet einen apoplektischen Insult mit nachfolgender rechts¬
seitiger Hemiplegie und totaler Aphasie. Sie kann nur die Worte: Tititi . . .
oui . . . non .. . madame . . . merci hervorbringen. Es besteht Agraphie. Spontan
kann sie nur ihren Namen, Vornamen, den Vornamen ihreB Mannes und ihrer
Tochter schreiben, Nachscbreiben unmöglich, Kopieren gut.
Außerdem besteht Worttaubheit (nur einzelne sehr gebräuchliche Worte ver¬
steht sie) und Alexie.
Nur geringe Intelligenzstörung. 2 l / 2 Jahre nach dem Anfalle ExituB infolge
von Pleuropneumonie.
Bei der Autopsie fand Bich, abgesehen von einer Mitralaffektion, ein einziger
Erweichungsherd im linken Schläfenlappen. Der Herd beginnt an der Sylvischen
Furche, umfaßt die hintero Hälfte der ersten Schläfenwindung, zieht schräg nach
abwärts und hinten über die zweite und ergreift zum Teil die dritte Schläfen¬
windung. Nach hinten reicht er bis zum Okzipitallappen. Die dritte Stirnwindung
Auch in der Tiefe ist, wie sich auf Horizontalschnitten erweist,
p. Original frorn
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717
die dritte Stirnwindung unversehrt, die hinteren Insel Windungen, die hinteren
Hälften der beiden oberen Temporalwindungen und der äußere Teil des Linsen-
kernes sind zerstört. Es würde demnach dieser Fall eine neue Stütze für die
Aphasielehre Pierre Maries sein. Nach diesem Autor kommt der linken dritten
Stirnwindung bei der sog. motorischen Aphasie keine Bedeutung zu. Die motorische
Aphasie ist nur eine Wernickesche Aphasie -J- Anarthrie und eine Folge der
Läsion der Temporoparietalzone von Wernicke + Linsenkernläsion. Erstere
Läsion hat eine Wernickesche Aphasie, letztere eine Anarthrie, beide zusammen
die sog. Brocasche Aphasie = Wernickesche Aphasie + Anarthrie zur Folge.
Die häufige Mitbeteiligung der dritten Stirnwindung ist durch etwaB Akzidentelles
und durch die anatomischen Verhältnisse bedingt.
22) Mutisme, aphonie, amnöaie, aphasie — aphasie motrioe, amusie, surdite
musloale, surditö verbale, eecite verbale, ceoitö psyohique, agraphie —
ohes an hysterique reoemment gueri d’une monoplegie brachiale
drolte, remontant a huit ans, par G. Raviart et L. Dubar. Arch. de
Neurologie. XXII. 1906. Nr. 131) Ref.: S. Stier (Rapperswil.)
39jähriger Tischler, Sohn eines Alkoholikers, bot vorher nie hysterische
Symptome, bis er im Jahre 1896 eine leichte Schulterverletzung erlitt, in deren
Folge eine allmähliche zunehmende schlaffe Lähmung des rechten Armes und voll¬
ständige Anästhesie desselben eintrat. Dieser Zustand blieb während 8 Jahren
unverändert, bis Pat. plötzlich einmal in der Nacht naoh .lebhaftem Traum er¬
wachte und konstatierte, daß der Arm beweglich und nicht mehr gefühllos sei.
Nach einigen Monaten im Anschluß an Gemütsbewegungen (vielleicht auch
Alkoholezcesse) vorübergehende psychische Alteration; diese dauerte 4 Tage, dann
völliger Mutismus, der nur nachts im Traum schwand. Zwei Tage später kann
Pat. wieder sprechen, ist jedoch aphonisch und amnestisch. Die Amnesie ist
stark ausgesprochen retro-anterograd, begleitet von leichter motorischer Aphasie,
vollständiger Amnesie, leichter Worttaubheit, sehr deutlicher Wortblindheit und
Seelenblindbeit, Agraphie. Kopfschmerz in der linken Schläfengegend. Pat. ist
klar, orientiert, leicht melancholisch verstimmt. Von körperlichen Symptomen sind
vorhanden: Hemispasmus im linken Facialis, Atrophie des rechten Armes, vielfach
wechselnde sensible und sensorische Störungen, die sich bisweilen zu einer sensitivo-
sensoriellen Hemianästhesie gruppieren. Laryngoskopischer Befund normal.
Bei Isolierung und Suggestivbehandlung verschwanden Amnesie, Aphonie
und Aphasie allmählich. Die im ganzen weniger deutlich ausgesprochene
motorische Aphasie war nach einem Monat verschwunden, ebenso die Amnesie.
Die nooh fehlenden Erinnerungen traten in direktem Anschluß an eine lebhafte
Erregung plötzlich wieder auf, gleichzeitig verschwand die Aphonie. Die Wort¬
taubheit hatte nur 3 Monate angehalten, die Wortblindheit 4. Nach 7 Monaten
bestand noch leichte Seelenblindheit und Agraphie. 1 Jahr nach dem Ausbruch
aller dieser Störungen konnte Pat. als vollständig geheilt betrachtet werden.
Die Diagnose bietet hier keine Schwierigkeiten. Die charakteristische Mono¬
plegie des Armes, die plötzliche Heilung nach dem Traum sichern die Annahme
einer Hysterie. Der im Traum cessierende Mutismus, das Vorhandensein der
Aphonie bei intaktem Sprachapparat, die retro anterograde Amnesie und dos Ein¬
setzen dieser Störungen in direkter Folge einer Gemütserschütterung, die ver¬
schiedenen und äußerst wandelbaren Sensibilitätsstörungen sind ebenfalls sehr
charakteristisch. Die bedeutende Multiplizität und Variabilität der Symptome
machen den Fall bemerkenswert. Außerdem wollen die Verfasser auf das — für
sie nicht zufällige und auch speziell bei Hysterie keineswegs isoliert dastehende —
Zusammentreffen der rechten Monoplegie und der aphasischen Störungen mit dem
in der linken Schläfengegend lokalisierten Kopfschmerz hinweisen. Sie geben der
Vermutung Raum, daß hier möglicherweise in der Hirnrinde die '„organische“
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Veranlassung zu suchen sei, die für den Ausbruch der hysterischen Störungen als
agent provocateur diente und deren Lokalisation bestimmte.
23) Über Agrammatismus und die Störung der inneren Spraohe, von K. H e i 1 -
bronner. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke.
Verf. stellte mit einem nicht belasteten jungen Mann, bei dem nach einer
Stichverletzung der linken Schläfengegend neben anderen Lähmungserscheinungen
ein gewisser Grad motorischer Aphasie zurückgebliebon war, eingehende, auf diese
Sprachstörung hinzielende Untersuchungen an. Diese Untersuchungen erstreckten
sich I. auf die Spraohfähigkeit, II. auf die Fähigkeit, Vorgesprochenes nachzu-
sprechen, III. auf das Sprachverständnis, IV. auf das Lesen, V. auf das Schreiben,
VI. auf Zerlegen der Worte in Buchstaben, VII. auf Kombination von Worten
aus vorgelegten Buchstaben und VIII. auf die Ergänzung angefangener Worte.
Interessant war zunächst die Störung, die der Sprache des Kranken das
äußere Gepräge aufdrückte, der Agrammatismus, den Verf. als sichere Folge¬
erscheinung einer cerebralen Herderkrankung ansieht; er findet dabei, entgegen
Ziehen, die Ansicht Picks bestätigt, daß der Agrammatismus nicht an bestehende
geistige Schwäche gebunden sein muß. Den Sitz der den Agrammatismus be¬
dingenden Läsion verlegt Verf. in die Gegend der Brocaschen Stelle; eine direkte
Beteiligung des sensorischen Centrums kommt dabei nicht in Frage. Die Unter¬
suchungen des Verf.’s ergeben weiter, daß eine Läsion im motorischen Gebiete
die Wortwahl bzw. Wortfindung nicht beeinträchtigt, selbst wenn sie zu Agram¬
matismus und zu Störungen der inneren Sprache geführt hat. Die Resultate des
Verf.’s, die unter VI aU Zerlegen der Worte in Buchstaben zusammengefaßt sind,
verdienen weitere Erörterungen mit Rücksicht auf die sich zeigende Paraphasie.
Diese zeigte sich, entgegen den Erwartungen der aus den Buchstabenversuchen
Bich ergebenden Störung der inneren Sprache, nur ganz ausnahmsweise in der
Spontansprache und beim Nachspreohen des Kranken. Beim Spontanschreiben
trat Paraphasie oder besser geschriebene Paraphasie ein, aber nur für Worte,
nicht für Zahlen, eine Beobachtung, die wir schon in Grasheys Arbeit über
Aphasie und ihre Beziehung zur Wahrnehmung finden. Die Wirkung der Störung
der inneren Sprache auf das Lesen hat sich nioht mit gleicher Anschaulichkeit
fixieren lassen. Das Buchstabenlesen scheint überhaupt nicht geschädigt; auch
für das Lesen einzelner Worte läßt sich eine grobe Verlangsamung nicht nach-
weisen; als einzig sicheren Ausdruck einer vorhandenen Störung des Lesens von
Worten möchte Verf. deshalb den Ausfall der Versuche VII (Kombination von
Worten aus vorgelegten Buchstaben) bezeichnen. Der Kranke kam da in vielen
Fällen nicht zustande, aus einigen wenigen Buchstaben, deren erster noch dazu
in den meisten Fällen großgedruckt war, Worte zusammenzusetzen. Die Ergeb¬
nisse der Versuche unter VIII zeigten in klarer Weise, wie die Störung des
inneren Gefüges nur das Buchstabenwort, nicht den zunächst wohl als klang¬
lichen aufzufassenden Gesamtkomplex des bekannten Wortes betraf.
Nach der Ansicht des Verf.’s liegt es nun nahe, zwischen den zwei am meisten
in die Augen fallenden Symptomen — dem Agrammatismus und der Störung der
inneren Sprache — nach Beziehungen zu suchen, und ihre Abhängigkeit von der
Schädigung in der motorischen Spracbregion unter einem gemeinsamen Gesichts¬
punkte zu betrachten, was Bonhoeffer in der Tat auBführte, wenn er sagt: Der
Agrammatismus stellt hinsichtlich des Satzbaues eine ähnliche Störung dar, wie
innerhalb des Wortgefüges die eigenartige Paraphasie und Paragraphie.
Zum Schluß faßt Verf. Beine zum größten Teil sich aus obigem schon er¬
gebenden Folgerungen in folgende Sätze zusammen:
1. Agrammatismus kann als Folgeerscheinung einer an sich nur unerheblichen
motorischen Sprachstörung auftreten.
2. Der Agrammatismus kann jahrelang stationär bleiben, auch unter Be-
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dinguagen, die sonst eine Rückbildung aphasischer Symptome za begünstigen
pflegen.
3. Agrammatismus bei Aphasischen ist nicht gebunden an bestehende geistige
Schwäche.
4. Der Agrammatismus bei motorischer Aphasie ist nicht sekundäre Folge
der Erschwerung des motorischen Sprechaktes, sondern eine primäre Ausfalls¬
erscheinung.
5. Erhebliche Grade des Agrammatismus sind vereinbar mit kaum geschädigtem,
vielleicht ganz Ungeschädigtem Verständnis der kleinen Satzteile und damit der
zusammenhängenden Rede.
6. Die Folgen einer leichten motorischen Störung können für den Satzbau
schwerer sein, als für das innere Gefüge des Wortes (Buchstabenwort).
7. Wie bezüglich des Agrammatismus, ist dann auch bezüglich des Wort¬
gefüges die Störung auf expressivem Gebiete (Schreiben) stärker als auf rezep¬
tivem (Lesen).
8. Die Wortfindung im engeren Sinne kann trotz Agrammatismus und Störung
des Wortgefüges intakt bleiben.
9. Das Auftreten identischer Fehler beim Zerlegen der Worte in Buohstaben
bei verschiedener Versuchsanordnung und in zeitlich getrennten Versuchen läßt
die Hoffnung berechtigt erscheinen, Gesetzmäßigkeiten auch für die Art der
pathologischen W T ortVeränderungen zu eruieren.
24) Zur Frage der amnestisohen Aphasie und ihrer Abgrenzung gegenüber
der transkortikalen und glossopsyohisohen Aphasie, von Dr. Kurt
Goldstein. Aus der psych. Klinik in Freiburg i/B. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke.
An der Hand einer sehr sorgfältigen Krankengeschichte einer 60 Jahr alten,
an „amnestischer Aphasie“ leidenden Patientin beschäftigt sich Verf. eingehend
mit dieser Frage. Er will nur dann von amnestischer Aphasie gesprochen wissen,
wenn sich 1. als einziges Symptom die erschwerte Wortfindung bei erhaltenem
Wiedererkennen ergibt, 2. Wortbegriff und Objektbegriff wirklich intakt sind.
Da sowohl die kortikale motorische, wie sensorische Aphasie ohne Amnesie vor¬
kommt, kann der Sitz einer sie komplizierenden amnestischen Aphasie nicht in
einer Läsion der Brocaschen oder Wernickeschen Stelle zu suohen sein.
Die der amnestischen Aphasie eigentümliche erschwerte Wortfindung kommt
durch drei Möglichkeiten zustande:
1. durch Störung des Wortbegriffes,
2. durch Störung der Assoziation zwischen Wortbegriff und Objektbegriff,
3. durch Störung des Objektbegriffes.
Mit vielem Recht wird der Sitz der Wortvorstellung in einem zwisohen der
Brocaschen und Wernickeschen Stelle liegenden Gebiet angenommen; wir
werden daher nicht fehl gehen, beim Auftreten amnestischer Aphasie, die eine
motorische oder sensorisohe Aphasie kompliziert, an eine Läsion dieses Zwisohen*
gebietes zu denken.
Differentialdiagnostisch muß man die amnestische Aphasie abgrenzen, vor
allem gegen die glosso-psychische und transkortikale Aphasie.
Die transkortikale Aphasie wird vorwiegend in der Verwendung von Namen
für weitere Begriffe zum Ausdruck kommen. Der glosso-psychisch Aphasisohe wird
die Worte wesentlich paraphasisch und verstümmelt herausbringen; der eigentlich
amnestisch aphasisohe Kranke wird sich vielerlei Umschreibungen bedienen. Die
transkortikale Aphasie zeichnet sich ferner duroh mangelhaftes Verständnis für
Gelesenes oder auf Diktat Geschriebenes aus, bei leidlicher Intaktheit der Funk¬
tionen selbst.
Bei der glosso-psychischen Aphasie steht die Verwechslung von Buchstaben
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beim Schreiben und Lesen im Vordergrund und die Störung kommt Worten gegen¬
über stärker zum Ausdruck, als bei einzelnen Buchstaben, die event. noch exakt
gelesen und geschrieben werden können.
Bei der amnestischen Aphasie sind dagegen Schreib- und Lesestörungen selten
und betreffen am meisten das Schreiben. Sie sind dadurch charakterisiert, daß
sie das Lesen und Schreiben von Buchstaben weit mehr alterieren, als das von
Worten.
Zum Schluß beschäftigt sich Verf. noch mit den Beziehungen der amnesti¬
schen Aphasie zu den Störungen des Gedächtnisses. Die diesbezüglichen Beob¬
achtungen bedürfen noch mehr der Vermehrung; die Frage ist zurzeit noch nicht
spruchreif.
25) Über Apraxie des Lidschlusses, von M. Lewandowsky. (Berliner klin.
Wochenschr. 1907. Nr. 29.) Ref.: Kurt Mendel.
64jähr. Wächter mit linksseitiger organischer Hemiplegie; geringe Parese
des linken unteren Facialis, obere Facialis = . Pat. liegt mit geöffneten Augen
im Bett, kann beide Augen willkürlich nicht schließen, kann sie aber weit auf¬
reißen, hingegen vermag er nicht die passiv geschlossenen Augenlider aktiv ge¬
schlossen zu halten. Spontaner Lidschlag vorhanden. Blinzelreflex sehr prompt,
beiderseits gleich. Auch bei Beklopfen der Stirn starker Augenlidschluß. Kon-
junktival- und Kornealreflex lebhaft. Den Blinzelreflex kann Pat. auf Aufforderung
nicht unterdrücken. Ein Auge isoliert zu schließen gelingt Pat. nur zeitweise
und dann auch nur auf einen Augenblick, ein Festhalten des Lidschlusses erfolgt
nicht. Pat. schläft mit geschlossenen Augen. Bulbusbewegungen erschwert.
Es handelt sich also um eine Vernichtung des aktiven Augenlidschlusses. —
Verf. schließt zunächst Hysterie aus, besonders auch wegen der Promptheit des
Blinzelreflexes. Es müssen unterbrochen sein die assoziativen Verbindungen des
Rindencentrums für den oberen Facialis mit anderen Gebieten der Rinde, von
denen der Impuls zum Lidschluß ausgeht. Verf. bezeichnet die Störung bei seinem
Patienten als Apraxie des Lidschlusses.
Der Herd in Verf.'s Fall braucht trotz der doppelseitigen Lidschlußstörung
doch nicht doppelseitig zu sein; ähnlich wie die Sprache und — nach Liep-
mann — das Handeln (auch der linken Hand) an die linke Hemisphäre ge¬
knüpft sind, ähnlich sind vielleicht andere Bewegungsformen, wie z. B. die Fähig¬
keit des Lidschlusses, lediglich an die rechte Hemisphäre gebunden — wenigstens
bei einer Anzahl von Menschen. Der rechtsseitige Herd, welcher in Verf.’s Fall
die linksseitige Hemiplegie bedingte, würde bei dieser Annahme die Unfähigkeit
des doppelseitigen Lidschlusses erklären können.
26) Zur Frage der Abgrenzung der ideatorlsohen Apraxie, von Marguliäs.
(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 16.) Ref.: Pilcz (Wien).
34 jähriger Mann. Vor mehreren Jahren Lues. Seit Februar 1906 gelegentlich
Parästhesien der rechten Körperhälfte. Seit Mai rechtsseitige epileptische Krämpfe
mit folgendem Sprachverluste und Desorientiertheit. Seither spastische rechts¬
seitige Parese, rechtsseitige Hautsensibilitätsstörungen für alle Qualitäten, hoch¬
gradige Störungen des Lagegefühls und der Stereognose des rechten Armes, am¬
nestische Agraphie. Nach Anfällen Verstärkung der Erscheinungen und nahezu
vollständige motorische Aphasie und Worttaubheit, die bald, in transkortikale
Störungen übergehend, sich immer wieder zurückbildeten. Die Störungen des
Handelns (welche durch zahlreiche Beispiele in der ungemein sorgfältig und
detailliert gehaltenen Krankheitsgeschichte erläutert sind — vide Original) lassen
sich auf mehrere Komponenten zurückführen. Eine ganze Reihe von Störungen
entsprechen der ideatorischen Apraxie; andere Fehlreaktionen sind als motorisch-
apraktisch zu deuten (namentlich, wenn Agnosie als Grundlage ausgeschlossen
werden kann). Für die Beurteilung der Frage, ob eine Störung in concreto als
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motorisch-apraktisch oder als ideatoriBch aufzufassen ist, d. b. ob sie durch Ab*
treonuug der Innervation von der Idee oder durch Nichtauftauchen motorischer
Innervationsempfindungen bedingt ist, besitzen wir allerdings ein sicheres Kriterium
nur in der Einseitigkeit oder Doppelseitigkeit der Störung.
Die scharfsinnigen Analysen des Verf.’s, namentlich gegenüber der Agnosie
und motorischen Apraxie, mögen im Originale nachgelesen werden.
27) Kortikale (Innervatorlaohe) Apraxie, von Kleist. (Jahrb. f. Psychiatrie.
1907. XXVIIL S. 46.) Ref.: Pilcz (Wien).
44jähriger Mann, Lues sichergestellt, wiederholt Schwindelanfälle und apo-
piektische Anfälle, seit 18. Januar 1898 an der Hallenser Nervenklinik.
Die ungemein sorgfältig geführte und ausführlich wiedergegebene Krankheits¬
geschichte, sowie das eingehende Studium der einschlägigen Literatur (wobei
selbstverständlich vor allem Liepmann, Pick, Heilbronner u. a. zitiert
werden), lassen Verf. zu folgenden Schlußfolgerungen über das anatomische Sub¬
strat der komplizierten klinischen Erscheinungen kommen. Es seien anzunehmen:
Ein oder mehrere Herde, welche eine rasch vorübergehende linksseitige Hemiplegie
!/ 4 Jahr vor der ersten Aufnahme bewirkt hatten; daran anschließend Hypästhesie
und Parästhesien in der linken Hohlhand. Es handelte Bich also wahrscheinlich
um Herde innerhalb oder in der Nachbarschaft der rechten Centralwindungen,
bzw. ihres Stabkranzes. 2. Um dieselbe Zeit müssen Herde in der Gegend der
Brocaschen Windung, bzw. ihres Marklagers aufgetreten sein; der Kranke litt
schon damals vorübergehend an artikulatorischen Störungen. 3. Ein Herd inner¬
halb oder in der Nachbarschaft der linken hinteren Centralwindung, bzw. ihres
Stabkranzes, welcher die vorübergehende rechtsseitige Gefühllosigkeit in der
Zwischenzeit zwischen der ersten und zweiten Aufnahme zur Folge hatte. (5. Febr.
bis 9. Juni 1898.) 4. Neue Herde in der Brocaschen Windung und Herde in
der Gegend der Wernickeschen Stelle, kurz vor der zweiten Aufnahme, welche
die schwereren motorisch- und sensorisch-aphasischen Störungen, die Pat. damals
zeigte, bewirkt hatten. 5. Mitte Juni 1898 eine oder mehrere Erweichungen mit
anschließend delirantem Zustande. Die vorübergehende rechtsseitige Blicklähmung
und rechtsseitige Hemianopsie, die vorübergehende Schwäche des rechten Armes
(wahrscheinlich mit Sensibilitätsstörungen), sowie die Bensorisch-aphasischen Stö¬
rungen verweisen auf den linken Scheitellappen und die Nachbarschaft der oberen
Schläfe. (Außerdem sind ob der häufigen Sohwindelanfälle zahlreiche kleinere Er¬
weichungen und Blutungen anzunehmen.)
Herd 1 und 3 nun betreffen das Gebiet der beiderseitigen Centralwindungen,
in denen die Substrate der Innervationen sicher zum größeren Teile gelegen
sind. Wenn Teile der Frontalrinde ebenfalls innervatorischen Leistungen dienen
sollten, so stimmte dies hier mit Herd 2. Die weniger hochgradige linksseitige
Apraxie ist vielleicht zum Teile Folge der linkshirnigen Herde (Liepmanns
links apraktische, rechts gelähmte). Da aber auoh das rechte Sensomotorium (3)
erkrankt sein dürfte, läßt sich nicht entscheiden, ob und wieweit die linksseitige
Apraxie selbständig oder sympathisch ist.
Bezüglich aller näheren Einzelheiten, sowie der sehr ausführlichen epikritischen
Bemerkungen sei auf das Original verwiesen.
28) Beitrüge zur Apraxielehre, von Hartmann. (Monatsschr. f. Psych. u.
Neur. 1907. XXL Heft 2 und 3.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Ausgezeichnete klinische und pathologisch-anatomische Studie über drei ein¬
schlägige Fälle mit eingehender Würdigung der Liepmannschen Ergebnisse.
Hingewiesen sei auf die anschauliche Figur 1 Seite 269: Eintragung der 3 Fälle
und des Liepmannschen Falles in einen Horizontalschnitt. Die Ergebnisse sind
folgende:
1. Tatsächliche Ergebnisse: 1. Fall: Ein Tumor im Bereiche des linken
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Stirnhirnes, welcher die Rinde der Brocaechen Windung und die angrenzenden
Markpartien schon verschont gelassen hat und mit zapfenförmigem Fortsätze medial
bis vor die vorderen Thalamusebenen in die linke Balkenhälfte, mit einem anderen
zapfenförmigen Fortsatze vor dem Balkenknie in die medialen Partien des rechten
Stirnhirns sich erstreckt, ließ die übrigen Hirnpartien, insbesondere die Central¬
windungen frei.
Als motorische Krankheitserscheinungen bestanden: Links: Teil weiser Ausfall
wie rechts. Teilweise zweckgemäße Bewegungsabläufe innerhalb der Anregungen
und Kontrolle seitens eines Sinnessystems. Rein gedächtnismäßige Objekthand¬
lungen und Ausdrucksbewegungen apraktisch. Erhalten sind die Eigenleistungen
und das optische Nachahmen. Rechts: Ausfall von Bewegungsabläufen auf die An¬
regungen der links- und rechtsseitigen Sinnessphären und Erinnerungsfelder (Akinese).
Erhalten blieb das Nachahmen passiver Bewegungen in derselben und in der
gekreuzten Seite.
2. Fall: Ein Tumor, welcher den kompakten Teil des Balkens von den Ebenen
der vorderen Kommissur bis an sein hinteres Ende nahezu vollkommen zerstört
hatte, das Areal desselben nirgends überschreitet, nachweislich die übrigen Hirn¬
partien nicht einbezogen hat, ist begleitet von motorischen Krankheitserscheinungen:
Links: Bewegungsabläufe, von verschiedenen Sinnessystemen angeregt, fallen zum
Teil überhaupt aus, zum Teil finden sich statt ihrer vertrackte Bewegungen; die
Eigenleistungen des Sensomotoriums des Armes sind erhalten, ebenso das Nach¬
ahmen passiver Bewegungen auf derselben Seite. Rechts: Bewegungsabläufe sind
zumeist prompt von verschiedenen Sinnesgebieten auslösbar.
Ausschaltung der kontrollierenden Tätigkeit des optischen Systems hat mit¬
unter akinetische Erscheinungen oder Bewegungswechslung zur Folge. Erhalten
sind ebenso die Eigenleistungen und die Nachahmung passiver Bewegungen auf
derselben Seite.
Die Nachahmung passiver Bewegungen einer Körperseite durch Aktion der
anderen ist unmöglich. Zweihändige Bewegungsfolgen sind unmöglich. Es be¬
stehen auf dem Gebiete statisch-lokomotorischer Tätigkeit statt jeglicher zweck¬
gemäßer Bewegung vertrackte, rudimentäre oder akinetische Erfolge mit Ausnahme
der elementaren Schrittbewegung der Beine (Eigenleistung?).
3. Fall: Eine Blutung in das Marklager der 2. Frontalwindung rechts von
ca. Wallnußgröße hat an motorischen Krankheitserscheinungen zur Folge: Links:
Bewegungsabläufe (speziell Objekthandlungen bei präsentem Objekt oder rein
gedächtnismäßig) von verschiedenen Sinnessystemen angeregt, fallen zum Teil
überhaupt aus (Akinesen), zum Teil treten amorphe, vertrackte Bewegungen auf.
Rechts: intakte motorische Tätigkeit.
2. Deutung der Ergebnisse: Näher noch nicht umgrenzbare Anteile des
Stirnhirns sind in die Mechanik der motorischen Großhirntätigkeit eingeschaltet
analog dem Verhältnis der Brocaschen Region zur motorischen Sprachfunktion
der Centralwindungen. Antriebe zu Bewegungsabläufen, ausgehend von den Sinnes¬
regionen, werden den Centralwindungen durch Mitwirkung des Stirnhirns über¬
mittelt. Bei Herd im linken Stirnhirn entsteht totale Apraxie rechts, das rechte
Stirnhirn bedarf der Mitwirkung des linken und der Verbindung mit den anderen
Sinnessphären. Fällt das linke Stimhirn aus, bo leidet links das gedächtnismäßig
garantierte Continuum der Bewegungsabläufe. Bei Ausfall des Balkens entsteht
Leitungsapraxie der linken Seite bei erhaltenem Bewegungsgedäohtnis. Die
höheren motorischen Leistungen der voneinander getrennten Hemisphären sind also
verschiedenartig.
29) Über eine direkte Leitung vom optieoben sum kinftsthetisohen Binden-
oentrum der Wort- und Buchstabenbilder, von Niessl v. Mayendorf.
(Wiener klin. Wochensohr. 1906. Nr. 45.) Ref.: Pilcz (Wien).
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Seniles Individuum erleidet Oktober 1903 einen apoplektischen Insult. Bei
der Aufnahme rechtsseitige spastische Hemiplegie, anscheinend optische Asymbolie,
Worttaubheit, Sprachlosigkeit, Alezie, Agraphie. Wortveretändnis bessert sich
ein wenig. Am 18. Februar 1904 so ziemlich dasselbe Bild, Lesen unmöglich,
doch ist das Bilderverständnis intakt. 7./VII. 1905: Pat. versteht Gesten (optische
Eindrücke), jedoch nur ab und zu, was man ihm sagt. Geschriebenes und Ge*
drucktes kann Pat. zeitweilig lesen, doch immer nur wenige Worte. 25./II. 1906
dritte Aufnahme (wegen psychischer Veränderungen, die hier nicht weiter rele¬
vant sind).
Stat. praesens: Pupillen reagieren, r. > 1. Rechte Nasenlippenfalte tiefer.
Patellarsehnenrefleze beiderseits sehr lebhaft. Sensorische Aphasie (Worttaubheit,
die sich teilweise rückgebildet hat, hochgradige Paraphasie, Rededrang, Perseve-
rieren). Dabei tritt aber die überraschende Erscheinung zutage, daß, während
das spontane Sprechen, das Nachsprechen, die Fähigkeit des Benennens vor*
gehaltener Gegenstände duroh verbale und litterale Paraphasie geradezu vernichtet
schien, Pat. laut zu lesen vermochte, was nur selten durch Verstümmlung
oder Verwechseln eines Wortes gestört war. (Verf. zitiert nach Kussmaul einen
Fall, der bis auf unverständliches Gemurmel nicht reden konnte, Geschriebenes
oder Gedrucktes aber laut und deutlich las.)
Unter Heranziehung eigener früherer Arbeiten und Stellungnahme zu den
Wernickeschen Lehren kommt Verf. in recht lesenswerten epikritischen Be*
merkungen zu folgenden Schlüssen: Es ergibt sich
1. die Existenz einer direkten physiologischen, wenn auch nicht
anatomischen Verbindung zwischen den kortikalen Centren der op¬
tischen und kinäBthetischen Wort* und Buchstabenvorstellungen,
2. die Belanglosigkeit der Klangbilder für die optische Wahr*
nehmung der Worte und Buchstaben.
SO) Über die anatomisoh-hlstologisohe Grundlage der sogen. Rindenblind¬
heit und über die Lokalisation der kortikalen Sehsphäre, der Maoula
lutea und der Projektion der Retina auf die Rinde des Oooipital-
lappens, von Wehrli. (Graefes Archiv f. Ophthalmologie. LXII.) Ref.:
Liepmann (Pankow/Berlin).
Im Monakowschen Institut und unter dessen Leitung hat Verf. ein Gehirn
mit doppelseitiger Hemianopie äußerst gründlich untersucht und in vorliegender
Arbeit eine musterhafte Beschreibung des Befundes gegeben. Der klinische Be¬
richt ist schon früher von Monakow selbst mitgeteilt, auf den Fall auch in der
2. Aufl. von Monakows Gehirnpathologie mehrfach Bezug genommen worden.
Bei dem Kranken trat apoplektisch totale Blindheit auf, links blieb sie voll¬
ständig bestehen, rechts restituierte sich das Sehvermögen nur bis zur Unter¬
scheidung von hell und dunkel. Das centrale Sehen blieb bis zum Tode auf¬
gehoben, der 3 Monate nach dem Insult eintrat. Durch den frühen Tod entstand
der Vorteil, daß auf Pal-Präparaten noch keine nennenswerte Degeneration das
Studium der primären Zerstörung behinderte.
Makroskopisch schien es sich um rein kortikale Erweichung im Gebiet
beider Fissurae calcarinae, ähnlich wie in dem Falle von Henschen-Nordenson
und Förster-Sachs, zu handeln. Beide Art. occip. waren nach Abgang der
Art. temp. durch Thromben verlegt.
Im Gegensatz zu diesem Anschein ergab die mikroskopische Untersuchung
eine starke primäre Mitschädigung des Markes. Alle drei sagittalen Marklager
sind stark mitbetroffen und ihre Verbindungen mit den Windungen der Konvexität
geschädigt. Es ist also die Sehstrahlung primär mitlädiert, ein nach dem Ver¬
fasser obligatorisches Verhältnis, da die Sehstrahlung dieselbe Gefäßversorgung
hat wie die Calcarinawindung.
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Trotz Anerkennung variierender Gefäßbezirke und Anastomosen sieht Verf. in
der Mißachtung dieses Umstandes die Quelle von folgenschweren Irrtümern: die
Annahme eines auf die Calcarinarinde begrenzten Sehcentrums, das eine Projektion
der Retina darstelle, sei aus Verkennung dieses Umstandes hervorgegangen.
Verf. unterwirft die Fälle von Henschen und anderen Autoren einer ein¬
greifenden Kritik und bezweifelt, daß bei diesen es sich wirklich jemals um eine
rein kortikale Läsion gebandelt habe. Sei schon die Beschränkung der SehBphäre
auf die Calcarinagegend durch das beigebrachte Material nicht bewiesen und aus
allgemeinen Gründen nicht haltbar, so beruhe gar die inselförmige Lokalisation
der Macula und der einzelnen Gesichtsfeldquadranten auf die Rinde auf Trug¬
schlüssen.
Verf. durchspricht die ganze Literatur mit dem Ergebnis, daß rein kortikale,
mit hemianopischer Sehstörung verknüpfte Läsionen bisher nicht beobachtet seien
und die darauf gebauten Schlüsse daher der Begründung entbehren.
Verf. will nicht einmal in der Sehstrahlung eine Sonderung nach Quadranten
zugestehen. Die Gesichtsfeldausfälle bei gleichen Läsionen der occipito-thalamisohen
Bahn seien viel zu widerspruchsvoll, um eine Bolche Ordnung des Faserverlaufes
anzunehmen. Er verficht auf Grund des vorliegenden und anderer Fälle mit
großer Entschiedenheit die Lehre Monakows, wonach der ganze Hinterhaupts¬
lappen einschließlich des hinteren Abschnittes des Gyr. angul. das optische Rinden¬
feld darstelle und insbesondere die Macula eine sehr diffuse Verbreitung habe,
gegen die Lehre der „Centralisten“, besonders Henschens.
Die Arbeit vertritt ihren Standpunkt in ausgezeichneter Weise und die auf
reiches Material gestützten klaren Erörterungen machen sie zu einer wichtigen
Etappe in dem Beit Jahrzehnten wogenden Kampf um die Lage und Physiologie
des Sehcentrums. Indem ich dieses voll anerkenne, möchte ich doch einige der
wichtigsten Bedenken nicht verschweigen: So ist jetzt allgemein zugestanden, daß
der Fase. long. inf. reichlich Projektionsfasern enthält. Diese Schicht ist aber bei
dem Falle des Verf.’s auf vorderen Schnitten in nennenswertem Umfange erhalten,
ebenso wie frontalere Partien der inneren Sagittalschicht (Taf. X, 5 bis 8), so daß
ein etwaiger Anschluß der optischen Bahnen an den Gyros angul., die erste und
zweite Occipitalwindung durch den Herd nicht unterbrochen war. Warum ist
trotzdem das centrale Sehen nach 3 Monaten nicht wiedergekehrt, wenn die Macula
auch an der Konvexität vertreten ist? Warum ist links trotz desselben Umstandes
auch nicht ein Lichtschein wiedergekehrt?
Die Berufung auf Diaschise dürfte hier nicht ausreichen. Ferner bleibt bei
der Auffassung des Verf.’s die doch nicht zu leugnende Existenz von Quadranten-
hemianopien bei Occipitalherden vollkommen rätselhaft.
Ich glaube daher, daß dieser radikale Standpunkt der Proklamierong der
Ubiquität der Macula und Retinavertretung im ganzen Hinterhauptslappen doch
der centralistischen Lehre noch erhebliche Zugeständnisse wird machen müssen.
Psychiatrie.
31) Automatisches Sohreiben und sonstige automatische Zwangsbewegungen
als Symptome von Geistesstörung, von v. Bechterew. (Monatsschrift f.
Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Wahnvorstellungen Geisteskranker beruhen in manchen Fällen ganz oder zum
Teil auf Erscheinungen, die zur Gruppe der automatischen Bewegungen gerechnet
werden können. Diese letzteren äußern sich in Manipulationen, Schreiben usw.,
die ohne und selbst gegen den Willen der Kranken erfolgen. Es wefden zwei
Fälle mitgeteilt und daran einige Bemerkungen geknüpft, nach denen die ge¬
dachten Erscheinungen „bei verschiedenartigen Psychosen, die mit reichlichen
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Sinnestäuschungen einhergehen“ auftreten; sie sind danach nicht so sehr selten,
treten besonders bei dem vom Verf. beschriebenen „hypnotischen Zauberwahn“,
sowie bei hysterischen Psychosen auf. In psychologischer Beziehung handelt es
sich „um Einflüsse der sog. außerbewußten Sphäre bezw. des Gemeinbewußtseins
auf die Motilität“.
32) Remarques sur la stdröotypie graphique, par A. Antheaume et Boger
Mignot. (L’Encöphale. 1906. Juli/August.) Bef.: Baumann (Breslau).
Der von den Verff. geschilderte Fall war charakterisiert durch die wenn
nicht völlige, so doch mindestens relative Unversehrtheit der intellektuellen und
affektiven Fähigkeiten und durch die Annahme einer Beihe von Gewohnheiten
motorischen Ursprungs. Verfolgungsideen und Halluzinationen bestanden, kamen
aber erst in zweiter Linie in Betracht Das Eigenartige an dem Falle, das die
ausführliche Publikation veranlaßte, war folgendes: Seit 8 Jahren übergibt der
Pat. dem Arzte regelmäßig zweimal die Woche drei Briefe, der eine adressiert
an seinen Vater, der andere an jeden seiner beiden Brüder. Diese Briefe, von
denen über 200 in den Händen der Verff. waren, sind ohne Unterschied in den
gleichen Ausdrücken gehalten. Die Worte sind nicht nur dem Sinn, sondern
auch der Form nach identisch. Die Briefe sind derart, daß man glauben könnte,
eie wären mit einer Stereotypplatte geschrieben. Vom Monat Juni 1905 ab be¬
obachtete man ein Abnehmen der Genauigkeit in den Schriftzügen, gleich als ob
die Stereotypplatte durch längeren Gebrauch ihre Schärfe verloren hätte. Zu¬
nächst dachte man daran, daß es sich um die Vereinfachung eines zuerst kom¬
plizierteren Automatismus handelte, und daß diese eine schnelle Intellektabnahme
bedeutete. Es stellte sich jedoch heraus, daß die ursprüngliche Stereotypie nur
durch das Hinzukommen psychomotorischer Phänomene maskiert wurde. Die Verff.
sind der Ansicht, daß solche graphische Stereotypien wie die geschilderte gar
nicht so selten seien, wie man a priori denken könne, man habe nur nicht ge¬
nügend darauf geachtet. Nach dem Grunde gefragt, warum er stets die gleichen
Briefe schreibe, gab Pat. in den ersten Jahren gar nichts an, in letzter Zeit gab
er folgende Erklärung ab: Er wolle gegen seine Internierung protestieren; um
diese Idee auszudrücken, habe er eine Formel gefunden, welche die einzige wahre
und richtige sei, die es geben könne, und er habe keinen Grund, sie zu ändern.
33) Vergleichende Untersuchung einiger Psychosen mittels der Bildchen*
benennungsmethode, von v. Schuckmann. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur.
XXI. 1907.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. hat an 5 Fällen mit der in der Aufschrift genannten Methode unter¬
sucht 1. ob die Form der Beaktion auf optische Eindrücke die gleichen Ab¬
weichungen in den einzelnen Fällen zeigt wie die Beaktionsform auf die üblichen
Wortreize, 2. ob die „optische Verblödung“ proportional ist dem Grade der All¬
gemeinverblödung. Untersucht wurden ein Fall von Eorsakoff, Hebephrenie,
Melancholie, Paralyse und senilem Schwachsinn. Es ergab sioh, daß im einzelnen
Fall der Beaktionsinhalt wächst proportional der Detaillierung und (um 20°/ o )
durch Kolorierung des Beizbildes; der Beaktionsinhalt nimmt umso mehr ab, je
zusammengesetzter und reicher an gesonderten Einzeldarstellungen das Beizbild
ist. Besonders große Defekte ergaben sich bei senilem Schwachsinn und Korea-
ko ff. Wie weit im einzelnen die Verhältnisse der fünf Patienten als typisch für
die Psychosen gelten können, sollen weitere Untersuchungen ergeben.
34) Häufigkeit und Ursachen seelischer Erkrankungen in der deutschen
Marine unter Vergleich mit der Statistik der Armee, von Marinestabs¬
arzt Dr. Podestä in Berlin. (Archiv f. Psyohiatrie. XL.) Bef.: G. Ilberg.
Der Übergang aus dem Civilleben zum Marinedienst wie die erste Dienstzeit
in der Marine gilt nicht in dem Maße wie beim Heere als auslösendes Moment
für geistige Erkrankungen. Die höhere Zahl der bei der Marine wegen Geistes-
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krankheiten Invalidisierten läßt auf ungünstige Einwirkungen des Marinedienstes
schließen, die sich erst im längeren Verlauf desselben geltend machen.
An Neurasthenie und Hysterie bzw. an entsprechendem Irresein erkranken
viele, namentlich Personen mit längerer Dienstzeit: ältere Unteroffiziere, Deck¬
offiziere, Offiziere; ein großer Teil dieser Kranken wird geheilt. Die Selbstmord-
neigung ist in der Marine geringer als in der Armee. Die vorgekommenen Selbst¬
morde betreffen vorzugsweise Unteroffiziere. Ungünstige und ungewohnte Ver¬
hältnisse des Klimas, der Körperpflege, enge Unterkunft, eintönige Ernährung,
mangelnde Abwechslung und Erholung bringt besonders noch der längere Aufent¬
halt an Bord und in ausländischen Qewässern mit sieb. Kombinieren sich diese
Faktoren mit den Einflüssen der Hitze — sowohl in Gestalt der Tropenhitze als
auch der in den Heiz- und Maschinenräumen erzeugten —, so kommt es oft zu
Hitzschlag mit sich anschließenden Psychosen. Unglücksfälle, besonders solche mit
Beteiligung des Kopfes können seelische Erkrankungen auslösen; dasselbe gilt von
langdauernden Einwirkungen großer körperlicher und geistiger Anstrengungen.
In den Tropen endemisch und epidemisch auftretende Infektionskrankheiten wie
Malaria, Ruhr und Syphilis haben ebenso wie Alkoholvergiftungen unter dem
Einfluß des Klimas und der Bodenverhältnisse wiederholt zu Geistesstörungen ge¬
führt. Als auslösende Ursachen kommen auch heftige und andauernde Gemüts¬
erregungen infolge dienstlicher und privater Unannehmlichkeiten, sowie die Aus¬
sichtslosigkeit auf baldige Änderung in Betracht. Bei allen diesen Momenten
stellen sich jedoch Psychosen nach den Beobachtungen des Verf.’s nur dann ein,
wenn ererbte Disposition oder epileptische, neurasthenische bzw. hysterische Ver¬
anlagung vorher bestanden. Wie bei der Armee herrschen auch bei der Marine
die verschiedenen Schwachsinnsformen speziell bei den Rekruten vor. In der
späteren Dienstzeit sind bei der Marine vor allem Paranoia (wohl paranoide Form
der Dementia praecox! Ref.), Paralyse und das alkoholische Irresein vertreten.
35) Die Insnition im Verlaufe von Geisteskrankheiten und deren Ursachen,
von Dr. G. Dreyfus. Aus der pBych. Klinik zu Würzburg (Prof. Rieger).
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Bef.: Heinicke.
Aus der Körpergröße eines erwachsenen Patienten — es ist fast gleich, ob
Mann oder Frau — und dem Quotienten aus dieser in Centimetern, dividiert
durch das augenblickliche Körpergewicht in Kilogrammen, kann man einen Schluß
ziehen, ob der betreffende Patient zu gut oder zu schlecht genährt ist. Für die
einzelnen Körpergrößen gibt uns nämlich Verf. eine anschauliche Tabelle mit dem
Normalquotienten — einer bestimmten Körpergröße entspricht ein bestimmtes
Gewicht —, die im Original einzusehen ist. Hier sei nur soviel gesagt, daß für
die am häufigsten vorkommenden Größen von 156 bis 176 cm der Normalquotient
3,0 bis 2,5 ist. Hierzu ein Beispiel: Wiegt z. B. jemand bei 156 cm Körper¬
größe nur 39 kg, hat er also den Quotienten 156/39 = 4,0, statt 3,0, so ist er
viel zu mager. Den Grad seiner Abmagerung bestimmen wir durch die Rechnung
3,0 X 100:4 = X
X = 300:4 = 75;
sein Gewicht beträgt also 76°/ 0 des mutmaßlichen Normalgewichtes; die mutma߬
liche Abmagerung also 26°/ 0 . Die Grenze der Abmagerung, bei der der Tod
unrettbar eintritt, beträgt nach Chossat etwa 40 bis 45°/ 0 des mutmaßlichen
Initialgewichtes.
Nach diesen einleitenden Erörterungen weist Verf. überzeugend nach, daß
die Inanition bei der Ätiologie der Psychosen fast keine Rolle Bpielt, daß man
mit dem Wort Inanitionspsychose äußerst zurückhaltend sein soll. Die Inanitions-
zustünde, die wir so oft bei Geisteskranken finden, sind meist Folge der psychi¬
schen Erkrankung, also sekundär. Die einen treten nur aus rein äußeren Gründen
auf, infolge z. B. durch Wahnideen hervorgerufener Verminderung oder vollständiger
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Unterbrechung der Nahrungsaufnahme. Wassergenuß verlängert das Leben; das
wissen auch die Hungerkünstler. Dabei zeigt es sich, daß im Verlauf von In«
anition mit Wassergenuß das Eiweiß im Urin zu fehlen scheint und höchstens
wieder nach reichlicher Nahrungsaufnahme im Anschluß an dieselbe auftritt,
während bei gleichzeitiger Enthaltung vom Trinken in den vom Verf. beobachteten
2 Fällen Albuminurie eintrat. Nahrungsverweigernde Kranke, überhaupt unter
der Einwirkung der Inanition stehende Kranke fallen leicht schweren Krankheiten
zum Opfer, ehe die Inanition ihren Höhepunkt erreicht hat; deshalb ist auch der
reine Inanitionstod selten. Das Hirn nimmt übrigens an der allgemeinen Atrophie
so gut wie nicht mit teil; fängt aber Beine Beteiligung an, dann Bteht auch der
Exitus baldigst bevor. Die Widerstandsfähigkeit des Gehirns beruht auf der bis
jetzt völlig unaufgeklärten Einrichtung des menschlichen Körpers, daß zuerst die
Gewebe atrophieren, die am wenigsten gebraucht werden, und die zum Leben
wichtigen Organe, in allererster Linie das Centralnervensystem, ganz zuletzt er*
griffen werden.
Durch innere Ursachen hervorgerufene Inanition finden wir bei der Paralyse
und der Katatonie, sowie bei den ihr verwandten Zuständen. Nach der Ansicht
des Verf.’s sind diese Stoffwechselanomalien direkt bedingt durch den Krankheits*
prozeß im Centralorgan, eine Ansicht, die der bekannten Autointoxikationstheorie
Kraepelins scharf gegenübersteht.
Die Auffassung des Verfi’s, daß der Decubitus bei der Paralyse auf trophischen
Störungen beruhe und deshalb quasi unvermeidbar Bei, kann Ref. nach seinen Er¬
fahrungen nicht teilen; er schließt sich in diesem Punkte ganz Kraepelin an,
daß die „sogenannten trophischen“ Störungen ausnahmslos durch äußere Schädigungen
entstehen, also fast stets vermeidbar sind.
Zum Schluß sei auf die in der Arbeit enthaltenen zahlreichen, teilweise recht
interessanten Krankengeschichten hingewiesen.
36) Erkrankung der Nebennieren bei periodischem Irresein, von W. Mura-
toff. (Zeitgenössische Psychiatrie. 1907. März.) Ref.: A. Gannuschkina.
Auf Grund seiner Untersuchungen kam Verf. zu folgendem Resultat:
1. In zwei Fällen periodischen Irreseins mit manischen Anfällen wurde eine
Erkrankung der Nebennieren festgestellt, und zwar in Form von parenchymatöser
und interstitieller Entzündung; der Charakter des anatomischen Prozesses — akut
und chronisch — entsprach vollständig dem klinischen Typus der Krankheit,
akuter nnd wiederkehrender.
2. Da die Erkrankung der Nebennieren bei Infektionskrankheiten und Arterio¬
sklerose auch ohne psychische Erkrankung auftritt, kann man nicht unbedingt
das genetische Band der Affektion der Nebennieren mit periodischem Irresein be-
haupten.
3. Wenn man aber nach dem klinischen Bilde das periodische Irresein als
Selbstvergiftung annimmt, wenn man ins Auge faßt, daß in zwei Formen aus¬
gesprochenen Irreseins — Katatonie und periodisches Irresein — zwei verschiedene
Drüsen erkranken: die Schilddrüse bei ersterer, die Nebennieren bei letzterer,
wenn man dann noch in Betracht zieht die bewiesene Beziehung dieser Drüsen
zu den Funktionen des Nervensystems und des Biochemismus, kann man als wahr¬
scheinlich halten, daß die Erkrankung der Nebennieren irgend eine Rolle in dem
klinisohen Bilde des periodischen Irreseins spielt.
87) Über periodische Paranoia und die Entstehung der paranoisohen Wahn¬
ideen, von Dr. Gierlich, Nervenarzt in Wiesbaden. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. XL.) Ref.: G. 11 berg.
Verf. bringt die Krankengeschichten von drei erheblich belasteten, mäßig
beanlagten, sehr ehrgeizigen Personen, welche auf der Höhe des Lebens nach 2
bis 3 monatlicher schwerer Neurasthenie au Beziehungs-, Verfolgungs- bzw. Eifer«
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guohtsideen erkrankten. Die Wahnvorstellungen beherrschten die Stimmung und
das Handeln. Besonders bei Widerspruch waren die Kranken gereizt und zom-
mütig. Das Bewußtsein war nicht getrübt. Nachdem sich die Wahnideen mehrere
Wochen in voller Stärke erhalten hatten, kam es innerhalb von 2 bis 4 Tagen
mit Rückgang des Zornaffektes zu voller Krankheitseinsicht. Wurden die Patienten
in der Folgezeit zu bestimmter Jahreszeit nicht schonend und rohorierend be¬
handelt, so kehrten die Wahnvorstellungen in Form eines ganz gleichen Anfalles
wieder; ein Fortschritt des Wahns trat nicht ein. Der erste Anfall schien der
heftigste. Das Körpergewicht sank in den Anfällen erheblich. Verf. glaubt diese
Erkrankung nicht zum manisch-depressiven Irresein oder einer anderen Psychose
rechnen, sondern als periodische Paranoia bezeichnen zu müssen. Dieser Be¬
zeichnung dürfte man wohl mit Recht entgegenhalten, daß es sich empfiehlt, mit
Kraepelin den Namen Paranoia nur bei den Erkrankungen anzuwenden, in denen
sich langsam ein Wahnsystem entwickelt, das unerschütterlich ist und niemals zur
Heilung gelangt.
Verf. faßt die Paranoia weder als reine Verstandeskrankheit auf, noch kommt
seiner hier gewiß richtigen Meinung nach den Affekten das Primäre allein zu.
Als Grundlagen der Wahnbildung bezeichnet er vielmehr: Störungen in der Ge¬
mütslage durch heftige, andauernde AJfekte der Erwartung, der Angst, des Ärgers
oder des Neides in Verbindung mit einer diesen stark betonten Vorstellungen
gegenüber bestehenden Urteilsschwäche. Bezüglich der nicht so gefühlsbetonten
Vorstellungen gehen die Assoziationen und Apperzeptionsverbindungen an sich
und in ihren reziproken Verhältnissen zunächst in normaler Weise von statten.
Mißtrauen kommt erst infolge der wahnhaften Deutungen zustande. Von der
Rüstigkeit des Gehirns hängt es nun nach der Meinung deB Verf.’s ab, ob es zu
Heilung, zum Stillstand oder zu Größenideen und Verblödung kommt. Ist das
Gehirn nicht widerstandsfähig, so dehnt sich die wahnhafte Deutung in der Folge
auch auf nicht gefühlsbetonte Vorstellungen aus und dauert hei Nachlassen des
Affektes noch fort. Zunächst macht sich die Störung in der Phantasie und Ver¬
standestätigkeit geltend: die Apperzeptionstätigkeit ist infolge des starken fremd¬
artigen Gefühlstones in ihrer Funktion gehemmt. Gegenüber den mit der Macht
einer Suggestion sich aufdrängenden Vorstellungskomplexen verliert nun der Kranke
seinen objektiven Standpunkt und gelangt zu wahnhaften Schlüssen.
38) Zar Klinik der arteriosklerotisohen Hirnerkrankungen, von Eisath.
(Jahrb. f. Psych. u. Neur. XXVIII. 1907. S. 1.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf., dessen ausgezeichnete Arbeiten auf dem Gebiete der pathologischen
Anatomie der Psychosen, speziell in der Gliaforschung bekannt sind, liefert zu¬
nächst an der Hand eingehender Literaturstudien ein erschöpfendes Bild über den
Stand der Lehre von den arteriosklerotisohen Gehimveränderungen, wobei speziell
die Abgrenzungsversuche gegenüber anderen Formen genau Besprechung finden.
Es folgen hierauf drei ausführlich mitgeteilte Krankengeschichten eigener
Beobachtung mit genauem histologischem Befunde und lesenswerten epikritischen
Bemerkungen.
Ref. möchte nur Stellung nehmen gegenüber der Annahme des Verf.’s, daß
verschiedene psychische Erkrankungen, welche bisher infolge ihres periodischen
Verlaufes zu der periodischen Psychose (v. Wagner, Ref.) gezählt wurden, nicht
zu dieser Gruppe gehören, sondern der arteriosklerotischen Hirnerkrankung zu¬
gerechnet werden müssen. (Verf. kommt zu diesen Erörterungen in der Epikrise
zu seiner Obs. III.) Es wird gewiß niemandem, und Ref. am wenigsten, einfallen,
Bilder der arteriosklerotischen Hirnerkrankung, bei welchen irgendwelche ander¬
weitigen Symptome (Delirium usw.) mehr minder periodisch auftreten, schlechtweg
zu den periodischen Psychosen rechnen zu wollen. Typische Bilder eines cirku-
lären Irreseins aber oder einer periodischen Manie hören ebensowenig darum allein
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auf, eine cystiscbe oder periodische Psychose zu sein, weil als ätiologischer Faktor
ein oder mehrere „Hirnnarben“ (Bef.) (Sklerosen, Narben nach apoplektischen In¬
sulten usw.) in Betracht kommen.
Als gemeinsame Züge der arteriosklerotischen Hirnerkrankung führt Verf.
u. a. an: Schubweise Einbuße der psychischen Fähigkeiten, Storung der Merk¬
fähigkeit, während gerade die Urteilsbildung relative Selbständigkeit und Sicher¬
heit bewahrt, Mangel der presbyophrenischen Suggestibilität, anfallsweise Dys-
thymien und dämmerhafte Delirien. Pathologisch-anatomisch: Erweichungsherde
und arteriosklerotische Veränderung der Hirngefäße.
Die genauen histologischen Untersuchungen lassen die Arbeit als eine der
verdienstvollsten auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie der Demenzformen
erscheinen.
39) Die arteriosklerotische Geistesstörung und ihre strafrechtlichen Be¬
stehungen, von Albrecht, Treptow a.d. R. Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin).
Die Beobachtung und Begutachtung zweier einschlägiger Fälle, die unter¬
einander, ganz abgesehen von den klinischen Symptomen, auch äußerlich große
Ähnlichkeit darbieten, geben Verf. Gelegenheit, sich des näheren über diese bisher
nur wenig beschriebene (Alzheimer, Binswanger) Krankheitsform zu ergehen.
Verf. faßt seine Ausführungen in einige Schlußsätze zusammen, aus denen
die Hauptsachen herausgegriffen sein mögen.
1. Die arteriosklerotische Geistesstörung führt nicht selten zu strafrechtlichen
Vergehen und bietet Anlaß zu gerichtlicher Feststellung des Geisteszustandes.
2. In Untersuchungsfällen jenseits des 40. Lebensjahres ist an die Möglich¬
keit des Bestehens dieses Leidens zu denken. Neben Lues und Potus kommt
noch eine familiäre Disposition zur Arteriosklerose in Betracht.
3. Die psychischen Begleiterscheinungen wie verlangsamtes Denken, abnorme
Ermüdbarkeit, Gedächtnisschwäche, vorübergehende Verwirrtheitszustände bedingen
es, daß diese Krankheit bei Leuten mit rechnerischer Tätigkeit, zumal in amt¬
licher Stellung, früher bemerkt wird als in anderen Berufen.
4. Vor der Feststellung einer Neurasthenie nach dem 40. Lebensjahr muß
man immer die Möglichkeit einer arteriosklerotischen Geistesstörung ausschließen
können.
5. Treten zur leichteren Form dieser Geistesstörung schwerere psychische
Erscheinungen wie geistige Hemmung, Verwirrtheit, ratlose Unruhe, so kann die
Differentialdiagnose gegen progressive Paralyse sich schwierig gestalten.
Forensische Psychiatrie.
40) Zur Lehre vom angeborenen Verbrecher, von Haymann. (Inaug.-Diss.
Freiburg 1907. 72 S.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Im Anschluß an die Besprechung der Lombroso sehen Lehre werden unter¬
schieden: 1. Amoralische, mit intakter Intelligenz, aber meist disharmonischer
geistiger Entwicklung, bei primären Störungen des Gefühlslebens, Gemütsstumpf-
heit, sittlichem Defekt, 2. moralisch Schwachsinnige: Intellektueller plus ethischer
Defekt. Die Symptome werden besprochen, differentiell wird der zahlreichen Über¬
gangstypen zwischen den Gruppen und nach der Seite der „psychopathischen
Persönlichkeiten“ (Haltlose, krankhafte Lügner usw.) gedacht. Für Amoralität
und moralischen Schwachsinn wird je ein instruktiver Fall mitgeteilt und mit
Becht hervorgehoben, daß die Fälle, obwohl vom juristischen Standpunkt fast
identisch, ärztlich-psychiatrisch eine verschiedene Bewertung erfordern. Sehr gut
sind die Ausführungen über die Frage: Wie ist solchen Zuständen zu begegnen?
Es handelt sich darum, wie schützt man die Gesellschaft vor diesen Verbrechern,
nicht darum: welche Strafe verdient ein Verbrecher.
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41) Zar Frage der Subsumption unter § 2 des Strafgesetaes , von Berze.
(Wiener med. Wochenschrift. 1906. Nr. 14 bis 16). Ref.: Pilcz (Wien).
Der bekannte Autor beleuchtet in diesem ganz vortrefflichen Aufsatze ein¬
gehend die Mängel der Strafrechtspflege, welche sich gerade bei der Begutachtung
zweifelhafter Fälle ergeben, insbesondere durch die verschiedene Deutung und
Auslegung des § 2 ÖStG. (entsprechend § 51 D. G.); besonders wird die Frage
erörtert, wie der Sachverständige zu diesem § Stellung nehmen soll, bzw. ob er
sein Gutachten speziell so abfassen solle, daß sich daraus eine direkte Subsumption
unter die Gesetzesparagraphen ohne weiteres ableiten läßt.
Ref. kann es sich nicht versagen, einige der Schlußfolgerungen wörtlich zu
zitieren:
1. Die Auslegung des Gesetzes ist in diesem wie in jedem anderen Falle
Sache des Juristen; der Geriohtsarzt hat damit nichts zu tun.
2. Im Gesetze gebrauchte Ausdrücke wie: Beraubung des Vernunftgebrauches,
also Ausdrücke, die sich nicht mit bestimmten psychiatrischen Begriffsbezeich¬
nungen decken, soll der Gerichtsarzt in der Regel vermeiden.-
7. Erst dann, wenn einmal das Gesetz sichere, nicht erst „auszulegende“
und nicht nur dem Jurist, sondern auch dem Psychiater ohne weiteres verständ¬
liche qualitative und quantitative (sehr wichtig! Ref.) Kriterien für die eine Auf¬
hebung der Zurechnungsfähigkeit bedingenden psychischen Defekte enthalten
sollte, würde sich der Experte ohne jede Reserve „im Sinne deB Gesetzes“ aus¬
sprechen, in seinem Gutachten „sich auf das Gesetz beziehen können . ..“
Wenn Ref. bei diesem durch feine Kritik und Sachkenntnis ausgezeichneten
Aufsätze etwas bedauert, so ist es der Umstand, daß diese Publikation in einer
rein medizinischen Zeitschrift erfolgte; gerade Juristen sollten die Ausführungen
des Autors lesen.
III. Bibliographie.
Epilepsy, a study of the idiopathio disease, by William Aldren Turner.
(London 1907, Macmillan & Co. 272 S.) Ref.: M.
Die vorliegende monographische Bearbeitung der Epilepsie reiht sich in
würdiger Weise an die von Gowers, Ferö, Binswanger an.
Mit sorgfältiger Benutzung der Literatur — auch der nicht englischen —
bietet uns Verf. die Ergebnisse eigener reicher Erfahrung und Forschung.
Wir heben einzelnes in letzterer Beziehung hervor.
Die Häufigkeit der Epilepsie, welche in Europa und Nordamerika zwischen
1 bis 2 auf 1000 Einwohner beträgt, geht in Australien und Indien auf 0,3 bis
0,4 herunter.
Hereditäre Syphilis spielt nur eine geringe Rolle in der Erzeugung idio¬
pathischer Epilepsie.
Unter 115 Fällen von Epilepsie fand Verf. in fast der Hälfte Sklerose des
Ammonshorns auf einer oder beiden Seiten, besonders aber auf der linken. Ge¬
wöhnlich ist dieselbe verbunden mit Atrophie an anderen Stellen des Hirns, be¬
sonders der Hinterhauptslappen und des Cerebellum.
Wenn auch bisher nicht bewiesen erscheint, daß die Epilepsie durch Auto¬
intoxikation entsteht, so ist doch bei der Serienepilepsie, dem Status epilepticus
und den akuten postepileptischen Psychosen anzunehmen, daß eine Autointoxikation
besteht.
Bei der medikamentösen Behandlung der Epilepsie stehen obenan die Brom¬
präparate. Über 60 °/ 0 aller Fälle werden durch die Brombehandlung günstig
beeinflußt, sei es, daß die Anfälle wegbleiben, sei es, daß sie seltener und schwächer
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werden. Verf. verordnet Bromkalium, Bromnatrium, Bromammonium zusammen
in Dosen, welche 3 bis 4 g in 24 Stunden nicht überschreiten.
Eine günstige Wirkung sah er durch die Verbindung der salzlosen Kost mit
einer purinfreien, welche folgende Nahrungsmittel gestattet: Milch, Eier, Butter,
Käse, Reis, Makkaroni, Tapioka, Weißbrot, Kohl, Lattig, Blumenkohl, Zucker,
Obst, Olivenöl.
Die Organo- und Serotherapie empfiehlt Verf. nicht; Thyreoidea- wie Thymus¬
einspritzungen verschlimmern die Krankheit, Cerebrin ist ohne Erfolg.
11 Tafeln illustrieren graphisch den Verlauf der verschiedenen Typen der
Epilepsie, und 6 Figuren zeigen pathologisch-anatomische Veränderungen im Hirn.
Das Buch wird in der Bibliothek der Neurologen und Psychiater nicht fehlen
dürfen.
Die Ausstattung ist vorzüglich.
IV. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 8. Juli 1907.
1. Herr Ziehen: Zum Andenken an Emanuel Mendel. (Die Rede ist
in Nr. 14 d. Centr. veröffentlicht.)
2. Herr Oberndörffer: Stoffweohsel bei Akromegalie. Zehntägiger Ver¬
such an einem sehr langsam verlaufenden Fall. Die Ergebnisse (Abgabe von N
und CaO, geringe Retention von P 2 0 6 ) erklären sich aus der Versuchsanordnung
und können nicht als pathognoinonisch gelten. Eine Zurückhaltung organbildender
Substanzen ist noch nie einwandsfrei als Symptom der Akromegalie erwiesen
worden. Autoreferat.
Herr Ziehen fragt, ob es bei der Akromegalie zu absoluter Kalkretention
komme, so daß z. B. ein Handwurzelknochen bei Akromegalie mehr Kalk enthalte
als beim gleichaltrigen Gesunden.
Herr Oberndörffer glaubt, daß darüber noch keine Untersuchungen vor¬
liegen.
3. Herr Otto Maas demonstriert einen 22 Jahre alten Patienten, den er
seit März 1904 in Beobachtung hat. Der aus tuberkulöser Familie stammende
Kranke bemerkte im September 1901 eine Geschwulst in der rechten Schläfen¬
gegend, die nur langsam wuchs und zeitweise sogar wieder kleiner wurde. In
demselben Jahr fiel ihm vorübergehend auf, daß er den 2. und 3. Finger der
linken Hand nicht beugen konnte. Schmerzen oder Parästhesien sollen weder
damals noch später in nennenswerter Weise bestanden haben, es löste sich aber
die Haut an der Beugeseite der Finger damals in großen Stücken ab. Im Herbst
1902 trat allmählich fortschreitende Parese erst des rechten, dann des linken
Beines auf, die sich zeitweilig bis zu völliger Lähmung steigerte und seit dem
Frühjahr 1906 in langsam fortschreitender Besserung begriffen ist. 1905 wurde
der Tumor in der rechten Schläfengegend von Friedrich (Greifswald) exstirpiert;
es verschwanden sofort die epileptiformen Anfälle, die kurz vorher aufgetreten
waren und sich rasch gehäuft hatten. Dagegen trat völlige, noch jetzt anhaltende
Incontinentia vesicae ein, während vorher die Blasenfunktion stets intakt gewesen
war. Die objektive Untersuchung ergibt jetzt spastische Parese beider Beine,
Sensibilitätsstörungen für alle Qualitäten unterhalb des vom 1. Lendensegment
versorgten Gebietes, Herabsetzung der linksseitigen Bauchreflexe, völliges Fehlen
des linken M. supinator longus, schwere trophische Störungen im linken Biceps
und Triceps, Schwäche fast sämtlicher Muskeln der linken Oberextremität, schwere
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Sensibilitätsstörungen im ganzen Gebiet des linken 7. Cervikalsegmentes, Auf¬
hebung der elektrischen Erregbarkeit in den Mm. supinatores und extensores carpi ra¬
diales, Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in den meisten übrigen Muskeln
der linken oberen Extremität, Fehlen aller Sehnenreflexe an der linken oberen
Extremität. Am Kopf fühlt man einwärts von der Narbe an der Schläfe eine
etwa 5-Markstückgroße starke Verdickung des Knochens; der linke Abducens ist
völlig gelähmt, links besteht genuine Atrophia n. optici (Dr. Schultz-Zehden).
Da Caries, Lues, intramedulläre Tumoren und insbesondere multiple Sklerose aus¬
zuschließen sind, muß hier die Diagnose auf multiple Tumoren im Umkreis des
Nervensystems gestellt werden. Das Eigenartige des Falles ist der Verlauf unter
wiederholten Schwankungen. Autereferat
Herr Schuster fragt 1. ob die rechtsseitigen Gehörs- und Geruchsempfin¬
dungen durch die bei der Operation erfolgte Verletzung des rechten Schläfen¬
lappens geschädigt sind; 2. ob Hauttumoren vorhanden sind.
Herr Lazarus fragt, ob die Lumbalpunktion wegen des Verdachtes auf
Cysticercus ausgeführt worden ist.
Herr Henneberg fragt nach dem histologischen Befund des exstirpierten
Tumors.
Herr Maas (Schlußwort): Auf Hauttumoren ist wiederholt untersucht worden,
ohne daß etwas gefunden wurde. Die Geruchsprüfung hat kein sicheres Resultat
ergeben, wahrscheinlich besteht eine geringe Herabsetzung des Geruchsvermögens
auf der rechten Seite. Die Ohruntersuchung (Priv.-Doz. Dr. Haike) ergab starke
Verkürzung der Knochenleitung auf dem linken Ohr, so daß eine nervöse Störung
anzunehmen ist. Eine Lumbalpunktion ist absichtlich nicht ausgeführt worden, da
ich dieselbe in einem derartigen Falle für recht gefährlich halte, für einen para¬
sitären Tumor liegt nicht der geringste Anhaltspunkt vor. Über die histologische
Natur des exstirpierten Tumors habe ich keine Kenntnis. 1 Autoreferat.
H. Marcuse (Dalldorf).
Biologische Abteilung des ärstliohen Vereins in Hamburg.
Sitzung vom 26. Februar 1907.
(Vorsitzender: Herr Humber.)
Herr Saenger demonstriert drei Qehirnprftparate, Im 1. Falle handelt
es sich um eine 41jährige Frau, die längere Zeit an Schwindelattacken gelitten
hatte und schließlich apoplektiform mit Bewußtseinsverlust erkrankt war. Nach¬
dem sie sich erholt hatte, klagte sie über Doppeltsehen. Beide Bulbi zeigten nach
verschiedenen Richtungen hin Defekte in der Bewegung. Beiderseits Neuritis
optica mit Blutungen. Die Patellarreflexe fehlten; Sensibilität, Motilität der
Extremitäten intakt. Lumbaldruck 250 mm. Die Temperatur schwankte zwischen
37 und 38,4°. — Am 30. Januar 1907 war sie aufgenommen worden, am
17. Februar trat plötzlicher Exitus ein. Die Autopsie ergab eine über haselnu߬
große Blutung im Schläfenlappen medialwärts vom Hinterhorn. Im 2. Falle war
ein 40jähriger Gastwirt mit Sprachverlust erkrankt; dann traten Krämpfe und
Bewußtlosigkeit ein. Beiderseits beginnende Stauungspapille. Die Sektion
ergab eine frische umfängliche Blutung in die Brücke. Im 8. Falle handelte es
sich um einen löjähr. Burschen, der seit mehreren Wochen mit Kopfschmerzen
und Erbrechen erkrankt war. Dann stellten sich Nackensteifigkeit und Stauungs-
1 Anmerkung bei der Drucklegung: Inzwischen habe ich die Veröffentlichungen
von Heller und Friedrich über den Fall (Deutsche med. Wochenschr. 1906. S. 84 u. 446)
gefunden; es geht aus denselben hervor, daß der exstirpierte Tumor ein Rundzellensarkom war.
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papille, sowie Schwindel, Ohrensausen and Nystagmus vorwiegend nach links hin
ein. Die Sektion ergab einen Hydrooephalus chronicus. Autoreferat.
Sitzung vom 12. März 1907.
Herr Saenger: Über die Funktionen des Kleinhirns. Nach einem ein¬
gehenden historischen Überblick über den Stand der Physiologie des Kleinhirns
seit dem 18. Jahrhundert bis auf die in diesem Jahre veröffentlichten Forschungen
Munks geht Vortr. auf den anatomischen Bau und die Leitungsbahnen des Cere-
bellum ein. Hierauf werden die wichtigsten klinischen Symptome auf Grund
eigener Beobachtungen besprochen; so vor allen Dingen die cerebellare Ataxie.
Vortr. weist auf die Differenz mit der tabischen Ataxie hin und hebt hervor,
daß für das genauere Studium der cerebellaren Ataxie noch nicht genügendes
kasuistisches Material vorhanden sei. Hierzu eigneten sich kleine Blutungen und
Erweichungen besser als Tumoren. Vortr. berichtet dann von Fällen, bei welchen
in vivo jedes pathologische Kleinhirnsymptom vermißt worden sei, und bei welchen
sich hei der Autopsie umfängliche Affektionen des Cerebellum gefunden hatten.
Der Ausfall der klinischen Symptome dürfte in solchen Fällen dadurch zu erklären
sein, daß die Affektion entweder sehr früh erworben war oder sich sehr langsam
entwickelt hatte. Sehr interessant ist das Vorkommen der Hemiplegie oder der
Hemiparese bei Kleinhirnaffektionen. Vortr. hat gerade in den letzten Jahren
mehrfach das Auftreten einer homolateralen Parese der Extremitäten beobachtet,
zugleich mit Hemiataxie derselben. Er ist geneigt, eine wirkliche cerebellare
Hemiparese anzuerkennen, die sich in manchen Punkten von der cerebralen unter¬
scheidet. Natürlich kommt bei Kleinhirnaffektionen auch eine durch Nachbar¬
schaftssymptome bedingte cerebrale Hemiparese vor. Vortr. besprach dann noch
die Babinskische Diadokokinesis, das hypotonische Widerstandsphaenomen von
Stewart und Holmes, den Kleinhirnschwindel und den Nystagmus bei Kleinhirn¬
affektionen. Vortr. hat in einem Falle eines extracerebellaren Tumors eine Blick¬
lähmung nach der kranken Seite hin konstatiert. Die einseitige Areflexie der
Cornea hat Vortr. in einigen Fällen von Kleinhimtumoren konstatiert, in anderen
vermißt. Sehr häufig fand er in seinen Fällen das Fehlen der Patellarreflexe.
Endlich teilte Vortr. noch einige Fälle von sogen. Vestibularanfällen mit, die sieb
in heftigem Schwindel, Nystagmus und Kopfschmerz geäußert haben. Vortr.
schloß mit dem Hinweis, daß die Erfahrungen und Beobachtungen am kranken
Menschen viel reichhaltiger seien als diejenigen, welche der Physiologe mittels
seiner Tierexperimente erzielt habe. Eb wäre zu wünschen, daß die Physiologie
sich die Erfahrungen der menschlichen Pathologie zunutze machen würde, um die
Lehre von den Funktionen des Kleinhirns auf sichereren Boden zu stellen als es
bis jetzt der Fall ist. Autoreferat.
Als Ergänzung zu seinem Vortrag demonstriert Herr Saenger an 12 Pro¬
jektionsbildern die normale Anatomie des Kleinhirns und ganz speziell die LeitungB-
m
bahnen desselben.
Diskussion: Herr Nonne demonstriert an Projektionsbildem 2 Fälle,
denen große Sarkome des Kleinhirnwurms nur Allgemeinerscheinungen (Kopfschmerz,
Erbrechen, Stauungspapille) ohne irgendwelche cerebellare Symptome gemacht
hatten; einen 3. Fall, in dem die gesamte linke Kleinhirnhemisphäre durch eine
große Cyste zerstört war, in dem ebenfalls nur die Erscheinungen einer Baum¬
beengung in der hinteren Schädel grübe bestanden hatten, einen 4. Fall, in dem
eine totale Agenesie der rechten Kleinhirnhenrisphäre einen zufälligen Obduktions¬
befund bei einem bis dahin ganz gesunden Arbeiter, der an akuter Pneumonie
gestorben war, darstellte. Des weiteren macht N. aufmerksam auf die in der
Literatur mehrfach beschriebenen Fälle von Kleinhirnatrophie und Kleinhirnsklerose
(einseitig und doppelseitig), die meistens einen relativ unkomplizierten Kleinhirn-
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symptomkomplex geboten hatten, sowie auch die Fälle von familiärer angeborener
Kleinheit des gesamten Centralnerrensystems bzw. des Cerebellums allein, wie sie
vom Vortr. seinerzeit beschrieben worden sind und später auch von anderen Autoren
(Spiller, Knöpfelmacher, Classen, Miura, Rossolimo, Romanow u. a.)
beschrieben sind. Ferner weist er auf die Fälle hin, in denen derselbe cerebellare
Symptomkomplex akut entsteht nach Infektionskrankheiten (in der Literatur be¬
kannt unter dem Namen „akute Ataxie“ und zuerst von C. Westphal und Leyden
beschrieben), nach Intoxikationen, nach Traumen (Dinkler), nach Überhitzung
(Nonne). N. ist auf Grund seiner eigenen Beobachtungen und der in der
Literatur erwähnten Fälle zu der Ansicht gekommen, daß der „cerebellare Symptom¬
komplex“ kongenital und akquiriert zur Ausbildung kommen kann, und zwar
entweder durch Anomalien in der gesamten cerebello-spinalen Bahn oder in einem
mehr oder weniger großen Teile derselben. Im Anschluß hieran bespricht er die
Ansicht einiger Autoren (Seiffer u. a), daß die „Ataxie h6r6ditaire cärebelleuse“
von Marie und die Friedreichsche Krankheit anzusprechen sei als die cere¬
bellare und die Bpinale Form des Morbus Friedreich. Dieser Ansicht kann sich
N. auf Grund eigener Erfahrungen (publiziert in Westphals Archiv. XXXIX.
1906. Heft 3) nicht anschließen.
Herr Buchholz demonstriert mit dem Projektionsapparat Schnittserien vom
obersten Teil des Rückenmarks durch die Medulla oblongata bis hinauf ins
Mittelhirn. Die Schnitte illustrieren den Verlauf der cerebellar-spinalen Bahnen
uud die anatomischen Beziehungen des Kleinhirns zur Medulla oblongata, zum
Pons, zu den Vierhügeln und den großen Ganglien.
Sitzung vom 16. April 1907.
Herr Jollasse demonstriert das Qehirn eines 26 jährigen jungen Mannes.
Pat. erkrankte im Herbst 1905 mit Doppeltsehen, Frühjahr 1906 Sehstörungen
auf dem rechten Auge. Damals Atrophia n. opt dextr. (Dr. Franke). Im
Herbst 1906 viel Kopfschmerz, Schwindel, zunehmende Sehstörung auch auf dem
linken Auge. März 1907 Aufnahme auf der Abteilung des Vortr. Status: Völlige
Blindheit, Kopfschmerz, Schwindel, leichte Somnolenz, viel Schlaf. Vollkommene
Atrophie beider N. opt. Lumbaldruck 350. Diagnose: Tumor an der Basis
cerebri (Dr. Saenger). (Obwohl keine Akromegalie, trotzdem vielleicht Tumor
der Hypophysis.) Röntgenaufnahme unmöglich, da Pat. alsbald delirierte und nach
12 tägigem Aufenthalt starb. Sektion (nur Kopfsection gestattet): Tumor (Struma)
der Hypophysis. Sella turcica ausgedehnt usuriert. Autoreferat.
Herr Franke hat den von Herrn Jollasse vorgestellten Fall im Mai 1906
behandelt. Pat. kam damals mit einer einfachen Atrophie beider Optici, Divergenz,
Pupillendifferenz, r. > 1., links gute Licht- und Konvergenzreaktion, rechts Licht¬
reaktion nur schwach. Rechts Fingerzählen in wenigen Fuß, links Sehschärfe
etwa 1 / i . Links konzentrische Gesichtsfeldeinengung, allerdings temporal stärker,
wie das bei Optikusatrophien vorkommt. Nasal etwa 15°, temporal 30—40°
eingeengt. Da Pat. angab, daß das Außenschielen schon vor der Verschlechterung
des Sehens bestanden habe, war die Parese von Oculomotoriusästen zu deuten,
wie solche bei Hypophysistumoren oft und verhältnismäßig früh vorkommt. Auch
die einfache Atrophie des N. opt. findet sich in der Hälfte der Fälle. Auffallend
war das zunächst nicht einem hemianopischen entsprechende Gesichtsfeld. In¬
dessen üt in ungefähr l j A der Fälle, welche zur Sektion gekommen sind, eine
konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung gefunden. Als Ursache derselben ergab
sich, daß der Sehnerv umschnürt war von Gefäßen des Circulus arteriosus, gegen
die er durch die wachsende Geschwulst gedrängt war. Fr. fragt Herrn J., ob
bei der Sektion vielleicht auf diese Verhältnisse geachtet sei. Übrigens trat mit
der Zeit links eine immer stärkere Einengung der temporalen Gesichtsfeldhälfte
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auf, bo daß sich dos Bild dem der temporalen Hemianopsie sehr näherte. Der
Pat. blieb dann längere Zeit weg, und als Fr. ihn im Januar 1907 wieder sah,
war er rechts völlig erblindet, links wurden nur Finger in nächster Nähe gezählt.
Auffallend war, daß der Kranke in der Zwischenzeit sehr viel dicker geworden
war und viel Fett angesetzt hatte. Auch das ist bei Kranken mit Hypophysis»
tumoren des öfteren beobachtet und auf Beizung besagter Hirnteile durch die
wachsende Hypophysis bezogen. Fr. fragt Herrn J., ob- auch ihm der erhebliche
Panniculus adipös, des Pat. aufgefallen sei. Autoreferat.
Herr Nonne berichtet über den Fall eines 46jährigen Herrn, der unter
Kopfschmerzen und allmählicher Abnahme des Sehvermögens erkrankte. Die
Untersuchung ergab Hemianopsia bitemporalis. Allmählich wuchs sich die Hemi¬
anopsie zu völliger Blindheit aus. Pat. wurde im Laufe von 3 Jahren, nachdem
er ca. 2 Jahre lang sehr intensiv unter quälenden optischen Halluzinationen
gelitten hatte, apathisch und stumpfsinnig. Schließlich völlige Abulie und Fehlen
jeglicher Innervation, allmähliche Ausbildung schwerster Contracturzustände in
allen vier Extremitäten. Die Röntgenuntersuchung ergab eine Zerstörung der
Sella turcica. Auch in diesem Falle entwickelte sich unter den Augen von
N. ein exquisiter Habitus femininus. Pat., der früher ein schneidiger Ein¬
jähriger bei den Wandsbecker Husaren und dann als Pferdehändler en gros ein
gewandter Reiter und muskulöser Mann mit exquisit virilem Habitus gewesen war,
bekam schwammig-adipöse Haut, weichliche Mammae, ein weiches feminines Ab¬
domen. Die Hoden wurden klein und die Behaarung am Mons und in den Achseln
ging wesentlich zurück. Eine Veränderung der Stimme trat nicht ein.
Herr Franke bemerkt zu der Frage des sogen. Habitus femininus bei diesen
Kranken, daß nach neueren Anschauungen es sich nicht um eine Abhängigkeit
von der Hypophysiserkrankung, sondern um eine koordinierte kongenitale Störung
handele.
Sitzung vom 30. April 1907.
Herr Trömner demonstriert einen Fall von seniler Abasie. 69jähriger
Bildhauer, von Jugend auf Epileptiker mit meist kleinen Anfällen alle 2—3 Wochen,
sonst gesund. Vor 1 1 / 2 Jahren Influenza mit 6 wöchentl. Krankenlager. Nach dem
Aufstehen Abasie, erst völlig, dann durch Elektrizität gebessert. Geht breitbeinig
und steif; im Liegen und beim Kriechen Beine gut. Sonst allgemeine Hypalgesie
Pulsirregularität, Arterienrigidität, geringe senile Demenz. T. hält die Abasie
für im wesentlichen organisch begründet und sieht Arteriosklerose bzw. senile
Rindenveränderungen als Ursache an. (Wird mit anderen Fällen in der Monats¬
schrift f. Psych. u. Neur. publiziert.) Autoreferat.
Herr Fraenkel: Ich benutze die Gelegenheit, Ihnen eine seltene duroh den
Meningocooous Weiohselbaum verursachte Rückenmarkerkrankung zu de¬
monstrieren. Es handelt sich bei den hier projizierten Rückenmarkschnitten um
eine schwere Meningo-Myelit. cervicalis acutissima, die in wenigen Tagen
den Tod des 18jährigen Menschen herheigeführt hat. Auf den klinischen Ver¬
lauf des Falles gehe ich heute nicht ein. Das Halsmark ist, wie Sie sehen, ganz
enorm geschwollen, sein Querschnitt im Vergleich zu dem hier projizierten nor¬
malen, ein queres Oval darstellenden, kreisrund. Die Vergrößerung ist durch
verschiedene Vorgänge bedingt. Einmal durch eine große Menge, in der Haupt¬
sache die Vorderhörner einnehmender, von hier auf die Vorder- und Seitenstränge
übergreifender, die Hinterstränge völlig freilassender, frischer Extravasate, weiter
durch ein die Vorder- und Hinterhörner betreffendes, in ersterem die nervösen
Elemente auseinanderdrängendes Oedem, sowie durch eine mit Quellung einher¬
gehende Nekrose der gliösen Zellen im Bereich der hinteren Enden der Hinter¬
hörner. Endlich besteht ein eitriges Exsudat im Centralkanal und eine auf die
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unmittelbarste Umgebung desselben lokalisierte kleinzellige Infiltration. Das Endo¬
thel des Kanals ist an einer Seite desselben abgehoben und geht als schmales
Band durch das Übrige Exsudat Die Präparate sind nach der von mir
zur Darstellung der Markscheiden angegebenen Methylenblaumethode
gefärbt, und man ist in der Lage, abgesehen von den Ihnen geschilderten histo¬
logischen Veränderungen, auch die im Gewebe vorhandenen Bakterien, speziell
schwer färbbare, wie es Meningokokken sind, mühelos nachzuweisen. Diese finden
sich nun hier in größerer Menge sowohl in dem Exsudat im Central-
kanal als in dessen Umgebung, fast ausschließlich intrazellular. Das Exsudat
in der Arachnoides tritt im Vergleich zu den das Rückenmarkparenchym betreffenden
schweren Veränderungen sehr in den Hintergrund. Der eigentliche Rückenmark¬
prozeß ist ganz auf das Halsmark lokalisiert, während die eitrige Leptomeningitu
sich durch die ganze Länge des Rückenmarkes forterstreckt Auch in dem Exsudat
der weichen Häute, richtiger dem arachnoidalen Exsudat, sind
Meningokokken, speziell um die hinteren Wurzeln herum, aufzufinden. Die
Färbung ist allenthalben eine äußerst kräftige und sehr haltbare,
wie Sie sioh bei diesem aus dem Jahre 1903 herrührenden Schnitt überzeugen
können. Ich betone das, weil es Herrn Westenhoefer bei Beinen Untersuchungen
niemals gelungen ist, Meningokokken im Schnitt nachzuweisen. Ich habe schon
vor einigen Jahren meine Markscheidenmethode zur Darstellung schwer färbbarer
Bakterien im Schnitt empfohlen. Aber auch ohne Beizung der Gewebe kann man
Meningokokken im Schnitte nachweisen, wenn man, wie ich ebenfalls wiederholt
angegeben habe, diese kräftig mit polychromem Methylenblau überfärbt und dann,
mit Unnaschem Tanninorange oder Tanninsäurefuchsin differenziert. Zum Beweis
für die Leistungsfähigkeit der letzterwähnten Methode zeige ich Ihnen das Mikro¬
phot ogramm eines Rückenmarkschnittes von Weichsel bäum-Meningitis.
Das betreffende Rückenmark hatte ein volles Jahr in Käyserlingscher Lösung
gelegen. Wenn also die erkrankten Gewebe Meningokokken enthalten, dann sind
diese, wie ich Herrn Westenhoefer gegenüber betone, auch in Schnitten auf¬
zufinden, wenn man nur die geeigneten Färbungsmethoden heranzieht.
Autoreferat.
(Schluß folgt.)
Nonne (Hamburg).
V. Personalien.
Am 14. Juli d. J. verschied zu Wien Herr Dr. Artur Berger im 86. Lebensjahre.
Eine Reihe gediegener Arbeiten aus seiner Feder — so seine Abhandlung zur Kenntnis der
Athetose, seine Statistik über 206 Fälle von multipler Sklerose, seine Arbeit über Polyneuritis
cerebralis menieriformis und diejenige über Tumor der Hypophysengegend — berechtigte zu
den schönsten Hoffnungen, die nun sein Tod zerstört hat. Auch diesem Centralblatt war
er ein treuer Mitarbeiter. Ehre seinem Andenken!
Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Hübner habilitierte sich in Bonn.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzubb A Wittiq in Leipzig.
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Neurologisches Centralbutt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet von Prot 32. MendeL
Herausgegeben
Ton
Dr. Kurt Mendel.
Sechsnn dzwanzigster Jahrgang*
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
alle Bachhandlangen des ln* and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen ßeichs, 8?wie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 16. August. Nr. 16.
Inhalt. I. Originalmkttiilongen. 1. Über ein abnormes Bündel des menschlichen
Rhombencephalon. Karze Mitteilung von Prof. Karl Schaffer in Budapest. 2. Über Akinesia
algera. von M. Schalkewicz in Petersburg. S. Familiäre Tabes aut erblich • degenerativer
Grundlage, von Privatdozent Dr. W. Strohmayer in Jena.
II. Referate. Anatomie. 1. Über den Ursprung des Langenvagus, von Ikegami und
Jagitta. 2. Studien über die normale und pathologische Anatomie der hinteren Bücken*
markswurzeln, von Levl. 3. Beiträge zur Kenntnis der sensiblen Wurzeln der Medulla
oblongata beim Menschen, von Hulles. — Physiologie. 4. Weitere Untersuchung über
die Bewegung der Vögel nach Dnrchschneidung der hinteren Bückenmarkswurzeln, von
Trendelenburg. 5. De l'influence de la section experimentale des racines posterienres snr
Tätat des neurones pöriphäriques. Contribution ä l’etude des fibres centrifuges des racines
posterienres, par Roux et Heitz. — Pathologische Anatomie. 6. Ein Fall von Ent¬
zündung der Nervenwurzeln bei einer Stute, von Marchand et Allx. — Pathologie des
Nervensystems. 7. Experimentelle Tabes bei Hnnden (Trypanosomen-Tabes), von Spiel¬
meyer. 8. Zur Ätiologie der Tabes, von Motschutkowsky. 9. Über den gegenwärtigen Stand
des serologischen Luesnachweises bei den syphilidogenen Erkrankungen des Centralnerven-
aystems, von Plaut. 10 . Serodiagnose bei Lnes, Tabes und Paralyse durch spezifische
Niederschläge, von Fornet und Schereschewsky. 11. Über die Frage syphilitischer Antistoffe
in der Cerebrospinalflüssigkeit bei Tabes dorsalis, von Weygandt. 12. Über Komplement-
bindungsversuche bei infektiösen und postinfektiösen Erkrankungen (Tabes dorsalis usw.),
sowie bei Nährstoffen, von Citron. 13. Osteite syphilitique döformante, type Paget, chez nne
tabötique, par Chartier et Descomps. 14. Klinische Beiträge zur Kenntnis der Ursachen,
der Symptome und des Verlaufes der Tabes, von Hammer. 15. Sul fenomeno di Abadie
nella tabe dorsale, par Negro. 16. Eine Geburt bei vorgeschrittener Tabes dorsalis, von
Zacharias. 17. Die physikalische Behandlung der Tabes dorsalis, von Tobias und Kindler.
18. Les lösions des racines, des ganglions rachidiens et des nerfs dans nn cas de maladie
de Friedreich. Examen par la methode de Ramon y Cajal (impregnation ä Targent), par
Dejerine et Andrä-Thomas. 19. Zur Pathologie der Friedreich sehen Krankheit, von Müller.
20. Friedreich sehe Krankheit mit Opticusatrophie, von Taylor. 21. Übergangsformen
zwischen Friedreich scher Krankheit und Heredoataxie cörebelleuae (P. Marie), von Perrero.
— Psychiatrie. 22. Syphilis et paralysie generale, par Jourdan- 23. Die pathologische
Anatomie der Paralyse in ihrer Bedeutung für die forensische und Unfallpraxis, von Meyer.
III. Aus den Gesellschaften. Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Ham¬
burg. (Schluß.)
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. März bis 30. April 1907.
V. Vermischtes. — VI. Personalien.
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I. Originalmitteilungen.
1. Über ein
abnormes Bündel des menschlichen Rhombencephalon.
Kurze Mitteilung von Prof. Karl Schaffer in Budapest.
Faserangsabnormitäten im menschlichen Gehirn wurden in den letzten 10
bis 15 Jahren mehrfach beschrieben; dieselben lassen sich hauptsächlich in zwei
Kategorien einteilen. Einesteils gibt es Abnormitäten im Verlauf wohlbekannter
Stränge, worunter vorzüglich die durch die Arbeiten von Hochs, dann von
Dejektne , Bumse u. a. ausführlich studierten Variationen im Verlaufe der
Pyramidenbahn zu verstehen sind; andern teils gibt es aber abnorme Bündel
sensu strictori — wie jene von Pick, Crameb, mir, Epstein, Heabd, Kabplcs
und Spitzes — , welche als kompakte Züge Verbindungen zwischen Formationen
hentellen, die in dieser Form normaliter nicht verbunden sind. Wer sich
spezieller für diese Frage interessiert, den möchte ich auf die Arbeit von Bumse 1
und auf jene von Karplüs und Spitzes 1 hinweisen.
Im folgenden will ich über ein abnormes Bündel der Pyramidenbahn be¬
richten, welches in die Variationen dieses Stranges nicht unterzubringen ist, da
es vermöge seiner Verbindung mit der Formatio lateralis derselben Seite
höchstwahrscheinlich als nicht zur echten Pyramide gehörig zu betrachten ist.
Ich entdeckte das fragliche Bündel bei der Durchmusterung alter Präparate zu¬
fällig; dieselben beziehen sich auf einen Fall von alter Hemiplegie, verursacht
durch einen lentikulo-kapsulären Herd. Die anatomische Folge war eine Dege¬
neration der Pyramide, welche sich hier im Stadium der höchstgradigen Sklerose
befindet (mit P' bezeichnet, hingegen die gesunde Pyramide mit P), wodurch
eine Arealsverminderang um */ 3 der normalen Pyramide am Frontalschnitt ent¬
stand (s. Figg. 1 bis 5). Das abnorme Bündel fand sich an der gesunden Hälfte
des Hirnstammes, und zwar auf einer sehr kurzen Strecke, zwisohen den Ge¬
bieten des Acustious und Facialis-Abducens. Es stand mir aus dieser umschriebenen
Gegend eine lüokenloee Serie zu gebot, welche mit Weioebt’s Färbung und
Kollodiumserienmethode hergestellt wurde; sie besteht aus 90 Schnitten. Wenn
ich mit Nr. 1 den distalsten (spinalwärts gelegenen) Schnitt bezeichne, so finden
wir die erste Spur des abnormen Bündels am Schnitt Nr. 36, dargestellt in
Fig. 1; die Bezeichnungen sind folgende: CR Corpus restiforme, PP Brücken¬
arm, RV Radix vestibularis, P, F Pyramide, a abnormes Bündel, L Schleife,
E Haubenbahn, VII Facialiskern, Vd Trigeminus descendens, D DsiTEss’sche
Formation, Fl hinteres Längsbündel. Auf diesem Schnitte erscheint das abnorme
Bündel im Felde der Schleife liegend dorsoventral gerichtet, an die dorsomedialc
1 Bumkb, Über Variationen im Verlaufe der Pyramidenbahn. Archiv f. Payoh. XL1I.
3 J. P. Kakplus and A. Spitzer, Zar Kenntnis der abnormen Bündel im menst blichen
Hirnstamm. Obbrstbinbb’s Arbeiten. XI. 1904.
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Peripherie der Pyramide heranreichend. Das Bündel, welches ich im folgenden
der Kürze halber a-Bündel nennen werde, erscheint in diesem Präparate ganz
unvermittelt und läßt hier weder über seinen Ursprung noch bezüglich seines
weiteren Verlaufes etwas erkennen.
Kg. 5
Pig. 2 entspricht dem 41. Schnitt; hier ist nur soviel zu konstatieren, daß
das a-Bündel schräg-lateral sich wendet und in das Gebiet der centralen Hauben«
bahn (27) eintritt. Neue Formation o obere Olive.
Fig. 8 (Nr. 51) ist ein wichtiger Schnitt, denn hier zeigt das a-Bündel eine
ganz ausgesprochene Andeutung bezüglich seines Ursprunges. In Fig. 6 ist eben
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47* oal frorn
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740
jene Stelle wiedergegeben, gezeichnet bei einer 70fachen Vergrößerung mit dem
ABBB’sohen Zeichenapparat, welche in klarer Weise zeigt, wie ein Hauptfascikel
des a-Bündels parallel miteinander laufende Seitenäste in sich anfnimmt, welche
durchwegs konform mit den inneren Bogenfasern dm* centralen Haubenbahn (27)
sieb verhalten {L Lemniscus). Freilich ist hier mehr bezüglich des wirklichen
Ursprunges nicht zu sehen; es läßt sich nur soviel sagen, daß allem Anschein
nach das a-Bündel aus Bündelchen der inneren Bogenfasern sich aufbaut Bin
Fig. 6.
deutlicher Ursprung aus der oberen Olive oder ein Zusammenhang mit dem
Facialiskern war nicht zu erkennen, ln Fig. 3 erscheint das a-Bündel als ein
sichelförmiges Fascikel, dessen Konkavität aus- und abwärts gegen den Trapez¬
körper (Ct) gewendet ist; das obere-äußere Ende desselben zersplittert sich in
den Parallelfasern der die centrale Haubenbahn durchsetzenden inneren Bogen¬
fasern; das untere-innere Ende ist duroh den Trapezkörper von der gesunden
Pyramide getrennt, welches in Fig. 4 (Nr. 61) deutlich in ein etwas schräg-
gestelltes Ovalbündel, der Pyramide innen und oben angelegt übergeht In
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Fig. 5 (Nr. 78) ist das a-Bündel nunmehr als ein abgegrenztes Pyramidenbündel
am Querschnitt ovalförmig zu sehen und behält diese Form und Situation in
der Brücke bis zur Höhe des Trigeminus. Höhere Schnitte fehlen mir leider.
Zusammengefaßt läßt sioh also sagen, daß im Hirnstamm auf der Strecke
zwischen 7. und 8. Hirnnerven einseitig ein abnormes Bündel anzutreffen
war, welches in der Höhe des Facialis als ein dorsomedialstes Bündelohen der
Pyramide gelegen, in den tieferen Ebenen (Acusticushöhe) aus der Sagittal-
richtung in die Frontalebene umkrümmend, sioh dorsolateralwärts wendet, wobei
es anfangs in der Schleife gelegen, successive in das Areal der centralen Hauben¬
bahn einbiegt und hier sich in den inneren Bogenfasern dieser Formation auf¬
splittert
Aus dieser Schilderung geht der Umstand klar hervor, daß es sich nicht
um eine Pyramidenvariation handelt, denn hierzu wäre notwendig, daß das sich
absprengende a-Bündel eine Kreuzung eingehe oder es wäre ein solcher Verlauf
erfordert, welcher einer späteren, tieferen Kreuzung nicht widerspräche. So aber
ist die Auflösung des Bündels in der Formatio reticularis, namentlich der
direkte Übergang in die inneren Bogenfasern ein unbedingter Beweis gegen die
Pyramidennatur desselben. Es läßt sich vermuten, daß es sich um ein hospi¬
tierendes Bündel in der kortiko-motorischen Bahn handelt, dessen oberes, cere¬
brales Ende mangels Schnitten aus höheren Ebenen nicht festzustellen war.
Mit vorliegender Notiz, deren Mangelhaftigkeit ich sehr fühle, wollte ich
nur die Aufmerksamkeit der Fachkollegen für ein abnormes Bündel wachrufen,
welches gegebenen Falles eines eingehenden Studiums wert wäre.
[Aas der psychiatrischen Abteilang des Moskauer Militärhospitals.]
2. Über Akinesia algera.
Von M. Sohaikewioa in Petersburg.
Die Frage, ob viele der sogenannten funktionellen Geistes- und Nerven¬
krankheiten als selbständige Krankheiten anzusehen sind, ist noch nicht klar¬
gestellt Pitbb8 1 z. B. weigert sich sogar, einer so alt bekannten Krankheit,
wie es die Hysterie ist, eine bestimmte nosologische Formel zu geben und schlägt
dafür folgende, an negativen Bestimmungen reiche Definition vor: „L’hysterie
est une növrose dont les accidents trös variös ont pour caractöres communs:
a) de ne pas ötre soüs la döpendance directe des lösions organiques; b) de pou-
voir etre provoquös, modifiös ou supprimes par des maneuvres externes ou par
des causes purement psychiques; c) de coexister en nombre variable; d) de se
succöder sous difförentes formes et ä differentes öpoques chez les mömes sujets;
e) de ne pas retentir gravement sur la nutrition gönörale et sur l’etat mental
des malades qui en sont atteints.“
Ungenügend klar und deutlich ist auch die Definition der Neurasthenie,
1 Pitbes, Le 9 ons cliniqacs sar l’hysterie et Thypnotisme.
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Paris 1891. Taf. I. S. 11.
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die von ihrem Schöpfer Beabd 1 gegeben wird. Er schreibt: „Die Neurasthenie
ist eine chronische funktionelle Krankheit des Nervensystems, deren Grundlage
eine Verarmung der Nervenkraft, rascher Verbrauch und mangelnder Ersitz
des Nervengewebes bildet, womit in Zusammenhang stehen die Abnahme der
hemmenden und kontrollierenden psychischen, wie auch geistigen Kraft, die
Schwäche und die Unbeständigkeit der Nervenaktion, die exzessive Nervosität
und die gesteigerte direkte und reflektierte Irritabilität“
Vergleicht man diese beiden Definitionen, so ist darnach kaum eine Schei¬
dung der Hysterie von der Neurasthenie möglich. Nun kommt noch hinzu,
daß P. Janet 2 3 * * die Psychasthenie von der Neurasthenie trennt und sie der
Epilepsie annähert. Zieht man ferner in Betracht, in Vielehen Beziehungen
Hysterie und Neurasthenie zu den sogenannten Entartungszuständen stehen, so
ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß in diesem Gebiet noch lange nicht das
letzte Wort gesprochen ist. Ungeachtet dessen werden von den meisten Ärzten
die Hysterie, die Neurasthenie und die Zustände psychischer Entartung im Hin¬
blick auf die unzweifelhafte Konstanz gewisser charakteristischer Symptome als
wohlcharakterisierte Krankheiten angesehen, obgleich die Differentialdiagnose im
konkreten Fall oft so gut wie unmöglich ist Treffen wir nun einmal eine neue
Kombination von Erscheinungen eines funktionellen Leidens des Nervensystems,
so müssen wir gewichtige Gründe haben, ehe wir sie von den schon bekannten
Psychoneurosen trennen und sie als morbus sui generis ansehen können.
All das bisher Gesagte paßt voll und ganz auch auf das unter dem Namen
Akinesia algera beschriebene Krankheitsbild. Dieses Leiden ist bis jetzt noch
so unbestimmt, die Literatur darüber ist noch so klein, daß eine kurze kritische
Übersicht notwendig ist.
Der erste, der diese Erkrankung beschrieben hat, ist Möbius . 8 Er verstand
darunter ein Leiden, dessen Hauptsymptom eine wegen Schmerzhaftigkeit der
Bewegungen gewollte Bewegungslosigkeit ist, ohne daß doch eine greifbare Unter¬
lage der Schmerzen zu finden wäre. Ein solches Krankheitsbild entsteht bei
Entarteten (Desequilibrierten) infolge von geistiger und körperlicher Über¬
anstrengung. Später treten die Schmerzen nicht nur in den bewegten Gliedern,
sondern auch in anderen Körperstellen auf. Als Begleiterscheinungen sieht man
allgemeine neurasthenische Symptome: schlechten Schlaf, deprimierte Stimmung,
Unfähigkeit zu geistiger Arbeit, ein Gefühl der Schwere im Kopf, unangenehme
Sensationen im Bücken usw... Hysterische Symptome hatte Möbius nicht be¬
obachtet. Die Erkrankung ist unzweifelhaft eine funktionelle, psychische. Die
dabei beobachteten Erscheinungen kann man als hypochondrische oder hysterische
auffassen. Möbius meint, daß man als hypochondrisch die Erscheinungen an-
sehen könne, deren psychische Natur von den Kranken empfunden wird, als
hysterische die, bei denen die Verbindung zwischen Vorstellung und körper-
1 Bbabd, Die sexuelle Neurasthenie. Leipzig 1890. S. 15.
1 Janet, Les obsessions et la psychasthenie. 1908.
3 Möbius, Über Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1891. I. S. 121.
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743
licher Störung unterbewußt bleibt. In diesem Sinne ist der Schmerz bei der
Akinesia algera als hysterisches Symptom anzusehen, als eine Art Schmerz¬
halluzination. Indessen hält es Möbius nicht für möglich, diese Erkrankung
zur Hysterie zuzuzählen, hauptsächlich weil diese Schmerzen, obwohl psychisch
bedingt, sich doch nicht auf psychischem Wege fortschaffen lassen. Nach Möbius
bietet die Akinesia algera viele Analogien zur allgemeinen Anästhesie, wie sie
von Kbückenbebg, Heyne und Zikmssen beschrieben ist. Noch ähnlicher ist
sie der sogenannten Atremie Neftel’s 1 , die er als hypochondrische Verrücktheit
auffaßt Der Unterschied ist nur der, daß bei der Atremie bei vollkommener
Unfähigkeit zu gehen, zu stehen und zu sitzen die Bewegungen im Liegen voll¬
kommen frei und schmerzlos bleiben, während sie bei der Akinesia algera auch
im Liegen schmerzhaft sind. Die Atremie verhält sich zur Akinesie, wie die
Astasie-Abasie zur hysterischen Paraplegie. Bei der Akinesia algera mischen
sich neurasthenische und hypochondrische Zöge mit hysterischen, jedoch nähert
sich die ganze Erkrankung eher einer schweren Hypochondrie als der reinen
Hysterie. Im allgemeinen faßt Möbius sie als Paranoia im weitesten Sinne
des Wortes auf.
In einer späteren Arbeit 2 verallgemeinerte Möbius den Begriff der Akinesia
algera bis zur Apraxia algera, indem er darunter das Aufhören irgend einer
Funktion wegen ihrer Schmerzhaftigkeit verstand. Hierher können viele so¬
genannte neurasthenische Beschwerden gerechnet werden, die Unfähigkeit zu
geistiger Arbeit infolge von Schwere im Kopf und Kopfschmerzen usw. Be¬
sonders nahe steht nach Möbius die Lichtscheu, bei der, ebenso wie bei der
Akinesia algera (und der Atremie) das Auge selbst nicht überanstrengt ist,
sondern wegen Überanstrengung des Gehirns erkrankt
Unter andern wird in dieser Arbeit die Krankheitsgeschichte Th. Fechneb’s
angeführt und es werden die Krankbeitsgeschichten der in der ersten Arbeit er¬
wähnten Patienten ergänzt Darnach konnte der erste Kranke, ein Gymnasiallehrer,
nicht hypnotisiert werden und beim zweiten entwickelte sich im Laufe der Zeit
neben den Erscheinungen der Akinesie das typische Bild einer primären Ver¬
rücktheit mit Verfolgungsideen, Sinnestäuschungen und Selbstmordversuchen.
Im selben Bande befindet sich auch die Arbeit Louoband’s 3 , der die
Krankh eitsgeschichte einer Kranken wiedergibt, bei der sich gleichzeitig mit
einer leichten manischen Erregung das Bild Akinesia algera entwickelte. Der
Verf. deutet sie als eine körperliche Hyperästhesie, die mit der psychischen
Hyperästhesie in Verbindung steht Seiner Ansicht nach ist die Akinesia algera
4er höchste Grad der spinalen Irritation. Bei seiner Kranken waren die Knie¬
sehnenreflexe erhöht. Wahnideen oder Sinnestäuschungen wurden nicht be¬
obachtet
1 Nkptbl, Virchow’a Archiv. XCI. S. 464.
* Möbidb, Weitere Bemerkungen über Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬
heilkunde. II. S. 4S6.
* Loüqrand, Zur Kasuistik der Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.
III. Heft 1 bis S.
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744
Auch Ebb 1 hat einen Fall von Akinesia algera beschrieben. Obgleich der
Verf. das Vorhandensein neurasthenischer und hysterischer Symptome leugnet,
wurden doch in dem Falle unzweifelhafte Zwangszustände beobachtet, vor allem
Phobien. Es gelang Dicht, den Patienten zu hypnotisieren.
Kobnig 2 * beobachtete eine 48jährige Frau, die eine hypochondrische Para¬
noia mit hysterischen Erscheinungen hatte. Sich an Möbius anschließend sieht
er die Schmerzen als Schmerzhalluzinationen an und deutet seinen Fall als
hypochondrischen Anfall im Verlaufe eines primären Wahnsinns.
Oppenheim 8 sagt in seinem Lehrbuch, daß die Akinesia algera keine
selbständige Krankheit, sondern ein Symptom oder richtiger ein ganzer Sym-
ptomenkomplex ist, der sich auf dem Boden einer Neurasthenie, Hypochondrie
oder Hysterie entwickelt. In einem seiner Fälle wurden die Schmerzanfälle von
Atem- und Pulsbeschleunigung begleitet. Die passiven Bewegungen waren auch
schmerzhaft. Im anderen beschränkten sich die Krankheitserscheinungen auf
die rechte Körperhälfte, wo auch eine Hemianästhesie zu finden war.
Geringe Grade der Erkrankung kommen im Verlaufe der traumatischen
Neurosen vor. Eine sehr genaue und gründliche Untersuchung der schmerz¬
haften Bewegungslosigkeit finden wir in der Arbeit Becbterew’s . 4 * *
Beohtebew hat 3 Kranke gesehen. Den ersten sah er schon 1879 (also
lange vor Möbius, jedoch wurde die Beobachtung damals nicht veröffentlicht).
Es war ein Soldat, der schon in sieben Hospitälern gewesen war. Von ob¬
jektiven Symptomen waren bei ihm ein wehleidiger Gesichtsausdrnck, eine be¬
schleunigte Herzaktion und die Schmerzreaktion der Pupille vorhanden, ferner
eine bedeutende Herabsetzung aller Arten der Sensibilität, speziell auch am
ganzen Körper vollkommene Analgesie. Den zweiten Fall sah Bechtebew
1886 in Kasan, und Wobonin stellte den Kranken 1887 im Kasaner Militär¬
sanitätsverein vor, wobei er den Bericht: „Simulation oder Krankheit“ betitelte.
Es war auch dieses Mal ein Rekrut, bei dem die Erkrankung sich an einen Fall
auf die Brust vor etwa 10 Jahren angeschlossen hatte und der auch Anästhesien
der Haut aufwies. Bei dem dritten Kranken endlich wurden außer der Schmerz¬
haftigkeit der Muskeln bei aktiven und passiven Bewegungen, sowie der Schmerz¬
empfindlichkeit des Periost beobachtet: Schmerzreaktion der Pupille, aus¬
gesprochene Analgesie der ganzen Körperoberfläche, Herabsetzung der elektrischen
Empfindlichkeit, des Tast- und Temperaturgefübles, sowie des Muskelgefühles, etwas
Lichtscheu und bei Bewegungen Beschleunigung der Herzaktion und der Atmung,
sowie deprimierte Stimmung. In der Anamnese war ein Trauma angegeben.
Der Kranke konnte leicht hypnotisiert werden, wobei er in der Hypnose stöhnte,
und die motorische Kraft der Hände trotz Gegensuggestion deutlich herabgesetzt
war. Puls und Atmung waren beschleunigt.
1 Ebb, Zar Kasuistik der Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1892.
III. S. 237.
* Koenio, Zur Akinesia algera. Centralbl. f. Nerv. a. Psych. CLXXXH. März.
s Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankh. 1894.
4 Bechtebew, Nervenkrankh. in einzelnen Beobachtungen (russisch). Kasan 1894. I. 1.
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Bechterew verwirft die Annahme, daß es sich in diesen 3 Fällen am
eine traumatische Neurose handeln könnte, da keine klassischen Symptome zu
finden waren, jedoch meint er, daß man wohl daran denken konnte. Was nun
die Ansicht anlangt, daß die Akinesia algera nur ein Zustandsbild einer anderen
Krankheit, der Neurasthenie, Hypochondrie oder Hysterie oder einer Psychose
ist, so meint Bechterew, daß man diese Erkrankung jedenfalls nicht zur Hypo¬
chondrie rechnen könne, da nur in einzelnen Fällen Hinweise darauf vorhanden
sind, in anderen aber nicht. Dasselbe gilt auch für eine Psychose im allge¬
meinen und für die Paranoia im speziellen. Der Umstand, daß die Akinesia
algera oft zusammen mit einer Psychose auftritt und sogar in solch eine über¬
gehen kann, spricht nioht gegen die Selbständigkeit der Krankheit, da eine
Mischerkrankung vorliegen kann.
Interessant ist die Kritik Beghterbw’s über Möbius’ Auffassung der
Schmerzen als Sohmerzhalluzinationen: „Wie bekannt, gleicht eine Halluzination
vollkommen einer wirklichen Sinnesempfindung nur mit dem Unterschiede, daß
sie selbständig entsteht und nicht eines äußeren Reizes bedarf. Daher können
zu den Halluzinationen auch selbständige Schmerzempfindungen gerechnet
werden, die psychisch bedingt und nicht durch äußere oder im Verlaufe der
Nerven wirkende Reize hervorgerufen sind. Bei der Akinesia algera sehen wir
wohl auch selbständige Muskelschmerzen, das Hauptcharakteristikum aber bilden
weniger diese Schmerzen, als viel mehr die Hyperästhesie der Muskeln, infolge
deren auch Druck und überhaupt jede mechanische Reizung der Muskeln, ebenso
wie ihre Zusammenziehung bei Bewegungen von Schmerzempfindungen begleitet
wird. So könnte man eher von Schmerzillusionen sprechen, wenn wir überhaupt
bei dieser Erkrankung einen psychischen Ursprung der Schmerzempfindungen
nachweisen könnten. Dafür fehlen uns aber jegliche Anhaltspunkte. Gegen
einen reiu psychischen Ursprung der Schmerzempfindungen spricht, meiner An¬
sicht nach, die Schmerzreaktion der Pupillen bei Druck auf die Muskeln und
andere reflektorische Erscheinungen bei mechanischer Reizung der Muskeln und
der Knochenhaut, sowie die Beschleunigung von Puls und Atmung nach jeder,
auch der geringsten, Muskelanspannung, wie ich sie in meinen Fällen be¬
obachtet habe.
Auf Grund all dessen möchte ich die Auffassung der Akinesia algera als
Psychose ausschließen. Es liegt auch kein Grund vor, dieselbe als einen Anfall
innerhalb einer der allgemeinen Neurosen anzusehen. Meiner Ansicht nach
muß man sie als eine eigenartige Erkrankung ansehen, die entweder als Kom¬
plikation einer der allgemeinen Neurosen oder gar Psychosen oder aber auch
selbständig auftritt.“
Soweit Bechterew. Weitere Fälle wurden von Pütnam , 1 Moyeb, 2 Min-
gazzini 3 und Spaubock 4 beschrieben. Von russischen Ärzten stammt eine
1 Pütnam, Boston med. and snrg. journ. CXXII. 1892.
* Moyeb, Medical Standard. L1II. 1898. Nr. 1.
3 Mingazzini, Cit. nach Stompfb.
4 Spaubock, Medycyna. 1898. Nr. 35.
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746 —
Veröffentlichung von Semidalow . 1 Er sieht die Akinesia algera als eine Neuro-
psychose mit eigenartiger Gruppierung der Symptome an, die es verdient, als
gesonderte neurologische Einheit aufgefaßt zu werden, ungeachtet der hysterischen
Zeichen, der optischen Halluzinationen und der Angstanfalle in der Anamnese,
ln einer Sitzung der Moskauer Gesellschaft f. Neuropathol. u. Psych.* sprachen
sich anläßlich seines Vortrages Mübatow, Korssakow und Kosohewnikow
gegen die Selbständigkeit der Akinesia algera aus.
Die letzte Arbeit endlich ist von Stompfe . 9 Er sah zwei Kranke —
Bruder und Schwester —, die aus einer neuropathischen Familie stammten.
Die Schwester erkrankte infolge von psychischer Infektion seitens des Bruders.
Ihre Krankheit ging später in ein „primäres Irresein“ über. Stompfe sieht
in der Akinesia algera nur eine Reihe von Krankheitssymptomen, die sich
manchmal im Verlaufe anderer Neurosen entwickeln, manchmal aber die höchste
Stufe der Neurasthenie vorstellen. Zur Hypochondrie kann man sie nicht
rechnen, da hei den Kranken kein so tiefer Affekt beobachtet wird, wie bei
den Hypochondrischen.
Das ist wohl alles, was über die Lehre von der Akinesia algera bekannt
ist Vor allem muß man sagen, daß Möbius’s Auffassung dieses ohne Frage
eigenartigen Krankheitsbildes sehr unbestimmt und unklar ist Was soll es
z. B. heißen, daß bei seinen Kranken keine hysterischen Erscheinungen gewesen
sind, wenn er zu gleicher Zeit die Schmerzen als hysterische Schmerzhallu-
zinationen ansieht? Dann soll die Krankheit einer schweren Hypochondrie
näher stehen als der reinen Hysterie; im allgemeinen aber sei sie als Paranoia
im weitesten Sinne aufzufassen. Diese unklare Definition kann man, glaube ich,
so verstehen: die von dem Kranken empfundenen Schmerzen sind keine wirk¬
lichen Schmerzen, sondern nur Schmerzhalluzinationen. Da aber der psychische
Ursprung dieser Schmerzhalluzinationen dem Kranken nicht bewußt wird, so
sind sie als hysterische Symptome aufzufassen. Die weitere Deutung und Ver¬
arbeitung dieser Schmerzhalluzinationen wandelt sich im Bewußtsein de9 Kranken
in Wahnideen oder richtiger in Wahnhandlungen (die Erklärung der Un¬
möglichkeit und im weiteren Verlauf die Unfähigkeit der aktiven Bewegungen)
um und nimmt daher einen paranoischen Charakter an. Da aber diese Wahn¬
handlungen aus Eigenempfindungen (somatopsychischen Empfindungen) entstehen
und von einer Depression begleitet werden, so kann man hier auch von einem
hypochondrischen Element sprechen. Ganz abgesehen von der erwähnten Un¬
klarheit der Auffassung Möbius’ muß ich sagen, daß das Vorhandensein der
Unbeweglichkeit als sekundäre Wahnhandlung nicht genügt, um das Leiden als
eine Paranoia, auch im weitesten Sinne des Wortes, zu deuten. Wenn dem so
wäre, müßte man alle psychischen Entartungszustände, bei denen die Zwangs¬
handlungen auch als sekundäre aus Wahnideen entstandene Wahnhandlungen
1 Sbmidalow, Wrat9ch. 1897. S. 86, 71.
* Sitzungsbericht der Moskauer Gesellsch. f. Neor. u. Psych. 1894—95.
* Stompfb, Zar Kasuistik der Akinesia algera. Zeitschr. f. Heilk. XIX. 1898. S 271.
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za verstehen wären, zur Paranoia im weiten Sinne des Wortes reohnen. Ein
gewisses hypochondrisches Element ist allerdings nicht aus dem Krankheitsbild
auszaschließen. Schwer ist es auch, Möbius zuzustimmen, wenn er den Begriff
der Akinesia algera zu dem der Apraxia algera erweitert und za demselben
auch die Untätigkeit infolge von neurasthenischen Kopfschmerzen and Kopfdruck
rechnet Ich glaube, dann kann man die Akinesia algera eher sohon zur Neur¬
asthenie rechnen, da es doch richtiger ist, Unbekanntes durch Bekanntes zu
erklären.
Darin ist Möbius allerdings mit Recht vorsichtig verfahren, wenn er, auf
nur 2 Beobachtungen gestützt, die Krankheit nicht als ein selbständiges Krank¬
heitsbild auffaßte. Ebenso als ein Derivat oder wenigstens etwas Ähnliches der
großen Neurosen oder Psychosen deuten dieses Leiden auch andere Autoren:
Lougband, Ebb, Koenig, Oppenheim, Stompfe u. a. Eine andere Ansicht ver¬
treten, wie oben erwähnt, Bechtebew und Semidalow.
Vor allem erfordern die Schmerzen bei der Akinesia algera eine besondere
Erklärung. War Möbius im Recht, als er diese Schmerzen für Schmerzhallu¬
zinationen erklärte? Wenn wirklich keine greifbare Unterlage für ihre Ent¬
stehung in der Peripherie vorhanden ist, wie es Möbius nach seinen Unter¬
suchungen angenommen hat, so hat man gewiß ein Recht, die Schmerzen als
psychische aufzufassen. Nur muß man eine kleine Korrektur im Auge behalten,
die Bechtebew erwähnt hat, daß man nämlich hier eher von Schmerzillusionen
als von Schmerzhalluzinationen sprechen muß, da die Schmerzen nicht spontan,
sondern bei Bewegungen der Extremitäten, also einer Reizung der peripheren
Nervenendigungen entstehen. Aber Bechtebew geht noch weiter und erklärt
die Schmerzen nicht für Schmerzillusionen, die durch die Bewegungen hervor-
gerufen werden, sondern für wirkliche Schmerzen, die von der Schmerzreaktion
der Pupille und von anderen reflektorischen Erscheinungen (Puls- und Atmungs¬
veränderungen) begleitet werden. Er nimmt eine lokale Hyperästhesie der
Muskeln und Knochen an und zweifelt an der ausschließlich psychischen Natur
der Schmerzen. Wie bekannt, wird die psychische Reaktion der Pupille, sowie
vasomotorische und respiratorische, reflektorische Erscheinungen bei Druck auf
kontusionierte Stellen bei traumatischen Neurosen beobachtet, wobei Bechtebew
als das charakteristische dabei nicht nur die Hyperästhesie selbst, sondern auch
vor allem die sie begleitende Schmerzhaftigkeit ansieht. Augenscheinlich nimmt
nun Bechtebew aus Analogie zu den traumatischen Neurosen auch bei der
Akinesia algera materielle Veränderungen in den peripheren Teilen an, die eine
lokale Hyperästhesie der Muskeln hervorrufen. Letztere wird bei Reizung von
Schmerzen und jenen oben angeführten reflektorischen Erscheinungen begleitet.
Aber bei den traumatischen Neurosen geben Narben oder auch die Kontusion
an und für sich eine Veranlassung zur Annahme von materiellen Ver¬
änderungen. Bei der reinen Akinesia algera aber (wenn eine solche existiert,
siehe meinen ersten Fall) ist ein Trauma nicht obligatorisch. Bechtebew’s
Fälle berechtigen allerdings eine Verwechslung mit der traumatischen Neurose,
da dort in der Anamnese ein Trauma vorhanden war und ausgebreitete An-
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ästhesien dafür sprachen. Bechterew selbst hält die Möglichkeit, daß es sich
am traumatische Neurosen handelte, nicht für ganz unbegründet Wenn wir
aber eine materielle Grundlage für die Schmerzen haben, so geht das Haupt¬
merkmal dieses angeblich selbständigen Leidens verloren (Möbius sagt ja in
seiner Definition: „ohne daß eine greifbare Unterlage der Schmerzen zu finden
wäre“). Übrigens sprechen die Schmerzreaktion der Pupille und die übrigen
reflektorischen Erscheinungen durchaus nicht mit absoluter Sicherheit für das
Vorhandensein einer greifbaren Unterlage für die Schmerzen und gegen ihre
ausschließlich psychische Natur. Die Kranken sehen und fühlen es ja, daß man
ihre Extremitäten reizt, und das könnte genügen, um sie einen nicht nur ein¬
gebildeten, sondern psychischen Schmerz empfinden zu lassen, der von allen
möglichen reflektorischen Erscheinungen begleitet werden kann. Bei den so¬
genannten Phobien, die ja unserer Erkrankung nicht allzu fern stehen (Erb,
Löwenpeld, Janet), sind bedeutende körperliche Erscheinungen, besonders auf
vasomotorischem Gebiet, bekannt
Es erübrigt sich noch, für die Beobachtung Bechtebew’s eine Erklärung
zu geben, daß ein von ihm hypnotisierter Kranker mit Akinesia algera in der
Hypnose bei Druck auf die betreffenden Extremitäten laut stöhnte und sich bei
ihm dabei der Puls veränderte. Diese Beobachtung kann im Sinne der Jabbt’-
schen Versuche gedeutet werden, die gezeigt haben, daß eine Idee, die im Wach¬
zustände sehr fest Wurzel gefaßt hat, im hypnotischen Zustande leichter ent¬
deckt und nachgewiesen wird. Also kann man annehmen, daß der psychische
Schmerz auch in der Hypnose nicht aufhörte psychisch zu sein und von den
angeführten reflektorischen Erscheinungen begleitet wurde.
Ich glaube also, daß man mit Möbius annehmen kann, daß die Schmerzen
bei der Akinesia algera psychisch bedingt sind und keine greifbare Unterlage
zu haben brauchen (wenigstens nach unseren derzeitigen Anschauungen). Wenn
eine solche vorhanden ist, so braucht sie nur eine nebensächliche, eventuell aus¬
lösende Wirkung zu haben. Eine andere Frage ist es, zu was für einer Kategorie
von Krankheiten die Fälle zu rechnen sind. Eine gewisse Ähnlichkeit kaben
sie mit den von Löwenpeld beschriebenen Zwangsempfindungen und Funktions¬
phobien, aber es fehlt ihnen das Zwangsweise und die Angst Am ehesten sind
es wohl Schmerzillusionen, da die gewöhnlichen Bewegungsempfindungen als
Schmerzen mit allen Anzeichen der Wirklichkeit wahrgenommmen werden. Man
könnte auch von Parästhesien sprechen, aber Parästhesien lassen sich schließlich
auch als eine Art Illusionen oder Halluzinationen betrachten, bei denen fast
immer eine gewisse, wenigstens lokal gesteigerte Beizbarkeit vorhanden ist,
während das bei der Akinesia algera nicht zu sein braucht.
Wie soll man nun das Verhältnis der Kranken zu ihren Schmerzen, zu
ihrer Behauptung, sie könnten sich nicht bewegen, und schließlich zu ihrer
tatsächlichen Unbeweglichkeit ansehen? Ich glaube, da tritt an erste Stelle
weniger die Umdeutung, also ein intellektuelles Moment, sondern mehr die
emotive Seite, eine gewisse Furcht, Angst Der Zustand der Kranken ist am
ehesten als ein hypochondrischer zu bezeichnen und wenn man heutigen Tages
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von der Hypochondrie als einer selbständigen Krankheit sprechen kann (Raeoes 1 ,
Böttiger*), so muß die Akinesia algera eine Abart derselben sein. Iu der Tat,
es ist doch schwer möglich, die Akinesia algera als eine selbständige Krankheit
anzusehen und gleichzeitig von einer greifbaren Unterlage der Schmerzen und
einem Trauma in der Anamnese, sowie von weit ausgebreiteten Anästhesien zu
sprechen. — Auch der Umstand kann kaum der Aufmerksamkeit entgehen,
daß von 18 bisher veröffentlichten Beobachtungen in keinem einzigen Falle das
Krankheitsbild rein war, sondern immer von Anzeichen einer der schon be¬
kannten Psychoneurosen begleitet war, ja, in einzelnen Fällen sogar in eine
Psychose überging. Beachtenswert ist in dieser Beziehung die zweite Kranke
Stokpee’s, bei der die Erkrankung durch psychische Infektion erfolgte. Inter-
essant ist auch der zweite Fall Oppenhbim’s, wo die Schmerzen nur in der
rechten anästhetischen Seite bestanden.
Nach dieser kritischen Übersicht müssen wir also die Akinesia algera als
«in eigenartiges Bild eines hypochondrischen Zustandes betrachten, das in
Schmerzillusionen bei Bewegungen besteht und bei entarteten Personen den Ver¬
lauf verschiedener Psychoneurosen kompliziert.
Ich gehe nun zu meinen eigenen Beobachtungen über:
I. Am 7. Dezember 1903 trat in die therapeutische Abteilung des Moskauer
Militärhospitals der Soldat des 7. Grenadierregiments, M., 27 Jahre alt, ein. Bei
der Aufnahme wurden Schmerzen in den Beinen, Unfähigkeit zu gehen und die
Versicherung, daß die Krankheit schon 6 Jahre dauere, notiert. Die Untersuchung
des Nervensystems ergab negativen Befund. Von chirurgischer Seite wurde eben¬
falls, mit Ausnahme von Plattfüßen, nichts Pathologisches gefunden. Die Unter¬
suchung der Augen ergab: Gesichtsfeld normal, VisuB beider Augen a / s , emme¬
tropische Refraktion, Augenhintergrund normal Am 5. Februar 1904 wurde Pat.
in die psychiatrische Abteilung verlegt. Das im folgenden dargestellte Bild blieb
unverändert bis zur Entlassung des Pat. am 8. April 1904.
Pat. klagt, er könne Schmerzen halber weder gehen noch selbst die Beine
im Bett rühren. Die Krankheit entstand vor 6 Jahren ohne einen nachweislichen
Grund und entwickelte sich allmählich. Keine Angabe über ein Trauma. Syphilis
wird geleugnet. Die Gelenke sind nie geschwollen gewesen. Über Erblichkeit
nichts zu eruieren. Bei Gehversuchen schiebt sich Pat. mit Mühe vorwärts, wobei
er sich mit der einen Hand auf irgend etwas stützt, während die andere die
Beine vorwärts Betzt. Auf größere Entfernungen muß Pat. getragen werden. Auch
im Bett werden die Beine nur mit Hilfe der Hände bewegt. Seine gewöhnliche
Auslage im Bett ist Rückenlage mit breit auseinandergespreizten Beinen, die ganz
passiv schwer auf der Unterlage liegen. Sogar wenn sich der Kranke im Bett
umdreht, um zu essen und um etwas vom Nachttisch zu nehmen, bewegt sich
nur sein Oberkörper, die Beine bleiben unbeweglich, gleich als ob er sie schonte.
Spontan hat Pat. keine Schmerzen, doch stellen sie sich sofort ein, wenn er ge¬
nötigt ist seine Beine zu bewegen, weswegen er sie auch so unbeweglich hält.
Bei aktiven und passiven Bewegungen der Beine bekommt Pat. einen leidenden
Zug im Gesicht; er fängt an zu stöhnen; die Atmung wird beschleunigt und
•oberflächlich, das Gesicht gerötet. Hört die Bewegung auf, so verschwinden alle
1 Raeckb, Über Hypochondrie. Allg. Zeitscbr. f. Psych. LIX.
* Böttioeb, Über die Hypochondrie. Archiv f. Psych. XXXI.
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Heft 1 u. 2.
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diese Erscheinungen. Denselben Effekt hat auch das Beklopfen der Beine mit
dem Perkutierhammer und Druck auf Muskeln und Enoohen. Irgend welche Ver¬
änderungen sind an den Beinen nicht nachzuweisen. Alle Bewegungen sind in
den Gelenken frei. Schmerzreaktion der Pupillen und Änderungen des Pulses
bei Druck auf die schmerzenden Körperteile sind nicht vorhanden.
In psychischer Beziehung ist eine deprimiert* gleichgültige Stimmung zu
bemerken: der Kranke interessiert sich scheinbar gar nicht für seine Familie, ihn
freut gar nicht die in Aussicht stehende Möglichkeit, vom Militärdienst frei zu
kommen und seine Angehörigen wieder zu sehen, er hat sich ganz in seine Lage
gefunden. „Was ist da zu tun? Mir ist nicht zu helfen — ich muß schon als
Krüppel weiterleben“. Wahnideen und Sinnestäuschungen sind nicht vorhanden,
das Bewußtsein ist vollkommen klar. Pat. ist groß von Wuchs, von gutem Bau
und Ernährungszustand. Ohrläppchen angewachsen. Pupillen weit, reagieren
etwas träge. Alle Arten der Sensibilität, sowie das Farbenempfindnngsvennögen
normal. Der Konjunktivalreflex ist schwach, der Mandibula-, Nasen- und Rachen¬
reflex normal ausgeprägt. Die Sehnenreflexe der oberen Extremitäten sind un¬
gestört Die Patellarreflexe schienen bei der ersten Untersuchung normal zu sein,
erwiesen sich aber später als erhöht Die Achillessehnen-, Sohlen-, Cremaster-
und Zehenreflexe fehlen. In den Armen und im Körper sind keine Schmerzen.
Von Beiten der inneren Organe nichts Pathologisches nachzuweisen. Hypnose¬
versuche mißlangen. Am 21. Dezember wurde Pat chloroformiert Die Narkose
war nur leicht — Pat. war nur etwas betäubt, verzählte sich beim Zählen und
gab lange Zeit keine Antwort Es gelang nicht, eine fixierte Idee im Unter¬
bewußtsein zu entdecken (nach Janzt). Eine in der Narkose gegebene Suggestion
blieb unwirksam.
Den zweiten Kranken sah ich in der Abteilang H. Oserbtzkowski’s , die
anamnestischen Angaben sind von letzterem erhoben worden:
Der Intendanturbeamte B., 27 Jahre alt, war vom Kriegsschauplätze krank¬
heitshalber evakuiert worden. Sein Vater ist seit 3 Jahren gelähmt; die Mutter
leidet an Rheumatismus, ein Bruder ist tuberkulös, drei Kousinen starben an
Schwindsucht. Vaters Vater ist Säufer. Pat hat in frühester Jugend eine schwere
Erkrankung durchgemacht, an der er beinahe gestorben wäre, mit 14 Jahren eine
Pleuritis. Mit 15 Jahren war er nach einer Erkältung längere Zeit bewußtlos,
hatte Ödeme. 1898 litt er öfters an Rheumatismus (?). 1893 hatte er Hallu¬
zinationen, litt an Schlaflosigkeit, nächtlichem Aufschreoken, hatte das Gefühl,
als risse ihm jemand nachts die Decke ab, trug sich mit Selbstmordgedanken.
Die Krankheit entwickelte sich infolge von Gemütsbewegung — Pat. wurde da¬
mals von seinen Schulkameraden seiner fremdartigen Aussprache wegen verspottet
(Pat. gehört zum Volksstamm der Syrjänen). 1902 hatte Pat. eine stärkere Ge¬
mütserschütterung durchgemacht, über die er jetzt nichts Genaueres angeben will,
und im Anschluß daran entwickelte sich eine linksseitige Facialisparalyse und ein
ebensolcher Zustand wie 1893. Damals machte er einen Vergiftungsversuch mit
Opium.
Als Grund für die augenblickliche Erkrankung gibt Pat. die ständige Über¬
anstrengung und geistige Anspannung bei Verwaltung eines Kronsmagazins auf
dem Kriegsschauplatz an. Im April 1904 stellten sich bei ihm Kopfschmerzen,
eine gewisse Unsicherheit im Handeln, Zweifelsucht ein. Am 28. Juni 1904 trat
Pat. inB Militärhospital in Liaojan und wurde von da nach Charbin und später
nach Moskau geschickt.
Pat. ist von mittlerem Wuchs und schwachem Ernährungszustand. Er klagt
über rheumatische Schmerzen im ganzen Körper. Herztöne dumpf. Atmung in
der rechten Brusthälfte abgeschwächt. Pupillen mittelweit, reagieren normal.
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Sprache unverändert. Die Berührungs- und Schmerzempfindlichkeit an der linken
Gesichtshälfte, linken Brustseite und linken Hand etwaB herabgesetzt im Ver¬
hältnis zu anderen Körperstellen. Starke Schmerzen in den Unterschenkelknochen
und Höftmuskulatur sowie bei Druck auf die Gastrocnemii und die Oberschenkel¬
muskulatur. Patellarreflex erhöh! Stimmung deprimiert. Pat. äußert hypo¬
chondrische Ideen, fragt, nach wie langer Zeit nach Onanie das Rückenmark
anfange zu faulen, hört Totenlieder, sieht alles finster an. Bei genauerem Befragen
stellt es sich heraus, daß Pat. nur kurz vor dem Schlafengehen halluziniert. Die
Halluzinationen verschwinden bei jedem Ortswechsel auf 1—2 Tage. Pat. klagt
über Unfähigkeit zu lesen und darüber, daß er das Gelesene nicht festhalten könne.
Als ich ihn untersuchte, fand ich folgendes: Pat. klagt über Schmerzen in den
Knochen und im Kreuz, jedoch fühlt er sie nicht, wenn er ruhig im Bett liegt.
Nur hin und wieder zuckt es gleichsam in den Knochen. Bei aktiven Bewegungen
im Bett schont er die Beine und das Kreuz, indem er mit den Händen nachhilft.
Am bequemsten ist ihm die Seitenlage mit gebeugten Knien. Beim Ausstrecken
der Beine wurden zweimal tonische Krämpfe im rechten Bein beobachtet, die
Pat. durch Reiben und Beklopfen der Patella zur Auslösung brachte. Passive Be¬
wegungen sind in allen Extremitäten frei und schmerzlos. Druck auf die Muskeln
und Nervenstämme ruft keine Schmerzen hervor. Beim Beklopfen der Tibia, des
Ellbogens, der Skapula und des Lumbalteils der Wirbelsäule fährt Pat. anfangs
stark zusammen und behauptet, er habe dabei starke Schmerzen. Bei wieder¬
holtem Beklopfen und der Versicherung, daß die Schmerzen nicht so Btark seien,
meint der Kranke, daß er sie aushalten könne. Bei abgelenkter Aufmerksamkeit
konnte man die Tibia und die Patella recht stark beklopfen, ohne daß Pat. darauf
reagierte. Dabei waren weder die Schmerzreaktion der Pupille noch Puls- oder
Atmungsveränderungen zu konstatieren. Bei den aktiven Bewegungen konnte
Pat. nicht recht darüber Auskunft geben, warum er seine Beine so schont: ob
der Schmerzen wegen, oder weil er ein unbequemes Gefühl dabei hätte. Auf¬
gefordert zu gehen, richtet er sich langsam unter Stöhnen und Ächzen auf, steht
eine Weile wie unschlüssig von einem Fuß auf den anderen tretend und geht
dann, bald mit dem einen, bald mit dem anderen Beine hinkend ein paar Schritt.
Bei öfteren Versuchen stellte es sich heraus, daß er manchmal ganz gut gehen
konnte.
Im Gesicht sind deutliche Asymmetrien. Ohren groß, abstehend. Ohr¬
läppchen fehlen. Der harte Gaumen schmal und steil. Berührungsgefühl für
Wärme an beiden Unterschenkeln und am linken Oberschenkel fehlend. Am
rechten Oberschenkel ist es normal, an den Händen und am Körper wird Wärme
als etwas Unbestimmtes empfunden. Die Schmerzen sind am rechten Arm und
Bein stärker als links. Von den Reflexen sind der konjunktivale, der Augen-,
Mandibula-, Kinnbacken- und Nasenreflex gesteigert, der akromiale, der Biceps-
und Tricepsreflex normal, die Unterarm- und Handgelenkreflexe gesteigert, der
Kremasterreflex normal, die Patellar-, Achillessehnen-, Sohlen- und Zehenreflexe
gesteigert. In psychischer Beziehung ist eine deprimiert-hypochondrisohe Stimmung
zu bemerken: Pat. hält sich für unheilbar krank, will sich gern die Füße ab¬
schneiden lassen, das Leben ist ihm nicht lieb. Seit l 1 / 2 Wochen hat er keine
Halluzinationen mehr. Pat. sucht die Einsamkeit, sondert sich von den anderen
Patienten ab, sagt, daß er es gewöhnt ist, allein zu sein. Alle seine Aussagen
über seine vielfachen Krankheiten und trüben Schicksale fallen durch ihre Un¬
klarheit und Verworrenheit auf. Bestimmte Wahnideen Bind nicht vorhanden.
Das Bewußtsein ist klar. Von chirurgischer Seite wurden in den Knochen keinerlei
Veränderungen gefunden.
Wenn wir zuerst den zweiten Fall ins Auge fassen, so sehen wir bei einem
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erblich belasteten Kranken unter dem Einfluß einer Reihe von physischen
Leiden und Gemütserschötterungen eine Psychoneuro9e entstehen, die mit ihrer
hypochondrisch-deprimierten Stimmung, ihren zeitweiligen optischen und akusti¬
schen Halluzinationen und Halluzinationen des Allgemeingefühls (Gefühl des
Wegziehens der Decke), wahrscheinlich hypnagogen Charakters, sowie ihren
hypochondrischen Wahnideen an eine Psychose grenzt Als hypochondrische
Wahnideen sind wohl auch die Klagen über Schmerzen anfzufassen. Seine viel¬
fachen konfusen und widerspruchsvollen Erzählungen über die verschiedenen
von ihm ausgestandenen Leiden lassen an der Wirklichkeit derselben zweifeln
und legen den Gedanken an einen hypochondrisoh-wahnhaften Ursprung der¬
selben nahe. Die Konflikte mit den Kameraden sind natürlich möglich; aber
wahrscheinlich wird die neuropathische Veranlagung des Patienten auch mit schuld
an ihnen gewesen sein. Was nun die Schmerzen anlangt, so muß man sie
wohl als Schmerzillusionen bei Bewegungen auffassen. Sowohl die chirurgische
als auch eine wiederholte neurologische Untersuchung ergab absolut keine sicht¬
baren Veränderungen in den Extremitäten und in der Wirbelsäule, während
der Umstand, daß Patient bei abgelenkter Aufmerksamkeit auch auf starkes
Beklopfen der Knochen nicht reagierte, auf den psychischen, quasi autosugge¬
rierten Charakter der Schmerzen hinweist Dafür spricht auch, daß der Sitz der
Schmerzen ein wechselnder war, bald in den Knochen, bald in den Muskeln,
und daß der Patient manchmal hinkte, oft aber auch, besonders bei abgelenkter
Aufmerksamkeit, nicht. Man könnte die Quelle dieser psychischen Schmerzen
eventuell in der den Patienten so beunruhigenden hypochondrischen Idee sehen,
ob das Rückenmark bald nach der Masturbation anfange zu faulen. Allerdings
sind viele Symptome der sogenannten Irritatio spinalis sehr ähnlich diesen
Schmerzen.
Das weitere Verhalten des Patienten zu seinen Schmerzen steht in unmittel¬
barer Abhängigkeit von seiner allgemeinen deprimierten Stimmung, ist quasi als
sekundäre, anpassende Umdeutung anzusehen.
So stellen sich also die Erscheinungen der Akinesia algera in diesem Falle
nur als eine Teilerscheinung einer allgemeinen hypochondrischen Psychoneurose
heraus, entsprechen aber dabei vollkommen dem Bilde der Akinesia algera, wie
sie von den oben erwähnten Autoren geschildert wird. Diese Beobachtung steht
auch nicht in Widerspruch mit der von mir auf Grund der kritischen Über¬
sicht ausgesprochenen Ansicht.
Ein etwas anderes Bild bietet der erste Fall. Hier könnte man eventuell
den Plattfuß als materielle Ursache der Schmerzen ansprechen. Laut Tillmanns 1
und Jeookow* ist aber der angeborene Plattfuß vollkommen schmerzlos, der
erworbene gibt manchmal, bei Erschlaffung der Muskeln (Duchenne), Veran¬
lassung zu Schmerzen, die jedoch hauptsächlich im Fuß selbst lokalisiert sind.
1 Tillmanns, Lehrbuch der spez. Chirurgie.
* Jbookow, Sitzungsber. der Moskauer Gesellschaft f. Neuropathologie n. Psychiatrie
1891/92 (russisch).
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Bei meinem Patienten ist die Herkunft des Plattfußes unbekannt. Eine Er¬
schlaffung der Muskeln war nicht vorhanden und die Schmerzen wurden nicht
im Fuß, sondern in den Unter- und Oberschenkeln lokalisiert. Damit ist wohl
der Plattfuß als Erreger der Schmerzen in diesem Falle ausgeschlossen. Dann
aber entspricht das Bild vollkommen der Akinesia algera. Wenn wir die im
Verhältnis zur Schwere der Erkrankung geringe Depression des Patienten ver¬
nachlässigen, so ist es der einzige Fall in der Literatur, der keine psychischen
Komplikationen bot. Hier kann weder von einer Paranoia noch einer Hysterie
noch einer Neurasthenie die Rede sein. Auch ein allgemeiner hypochondrischer
Zustand mit wechselnden verschiedenartigen Klagen und offenbarer Einwirkung
der Psyche und sogar Suggestibilität, wie im zweiten Fall, war hier nicht vor¬
handen. Allerdings könnte man im gegebenen Fall die Erscheinung der Akinesia
algera selbst auf ein krankhaft verändertes Bewußtsein und eine wahrhafte,
aller Kritik standhaltende, aber logische Verarbeitung dieser Veränderung zurück-
führen, also auf die Hauptmerkmale der Hypochondrie nach Raecke. Jedoch
spricht diese Vermutung nur für den hypochondrischen Charakter der ganzen
Erkrankung, nicht aber für seine Entwicklung im Verlaufe einer allgemeinen
hypochondrischen Psychoneurose, für deren Annahme jegliche Beweise fehlen.
Natürlich kann man auch diesen reinen Fall von Akinesia algera nicht anders
psychogenetisch deuten, als indem man sagt, daß die Schmerzillusionen den
Charakter einer Zwangsidee (oder besser einer fixierten Idee) angenommen haben,
oder vielmehr den einer fixierten Schmerzillusion. Jedenfalls ist der hypochon¬
drische Charakter der Erkrankung unzweifelhaft und sie selbst ist als eine
Varietät der Hypochondrie anzusehen. Freilich wird die Selbständigkeit der
Hypochondrie auch noch angefochten trotz der überzeugenden Arbeiten von
Bobttigeb und Raecke.
Zum Schluß will ich noch einige Worte über die gerichtlich medizinische
Bedeutung der Akinesia algera, speziell auch für Militärärzte hinzufügen. Der
von mir beschriebene zweite Kranke hatte keinen Grund zur Simulation, da er
sich freiwillig dem Dienst gestellt hatte. Der erste Patient aber war, ebenso
wie die drei Patienten Bechtebew’s, Soldat und zwar noch dazu nicht russischer
Nationalität, unter diesen ist die Häufigkeit der Simulation im russischen
Heere, besonders bei der Diensteinstellung, bekannt. Die objektiven Zeichen:
Schmerzreaktion der Pupille und Änderungen des Pulses und der Atmung
können hier gute Dienste leisten, wenn ich sie auch anders auffasse als Bechtebew.
Änderungen der Atmung und des Blutdruckes (nicht Pulses) sah ich bei meinem
ersten Patienten, die Schmerzreaktion der Pupille fehlte beide Male. Beitragen
können zur Klärung des einzelnen Falles klinische Beobachtung, eventuell Hypnose
und Chloroformnarko8e, letzteres natürlich nur mit Einwilligung des Patienten.
Zum Schlüsse erlaube ich mir folgende Sätze aufzustellen:
1. Die Akinesia algera stellt einen besonderen Symptomenkomplex vor, der
meistens im Verlaufe der allgemeinen Psychoneurosen auftritt und entweder eine
Komplikation oder eine Verstärkung des Grundleidens bildet
2. Die dabei beobachteten Schmerzen sind Schmerzillusionen. Die beab-
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sichtigte Beschränkung der Bewegungen entsteht auf der Grundlage einer all¬
gemeinen hypochondrisch-deprimierten Stimmung und einer sekundären hypo-
chondrisch-wahnhaften Umdeutung.
3. Das ganze Bild ist mit der Hypochondrie verwandt. Die Schmerz¬
illusionen können zu fixierten Illusionen werden analog den fixierten Zwangsideen.
4. Die Akinesia algera kommt selten rein vor (mein Fall ist der einzige
in der Literatur), jedoch verliert sie auch dann ihren hypochondrischen Charakter
nicht. Sie ist dann als eine Varietät der Hypochondrie aufzufassen.
5. Der besondere Charakter der Erkrankung läßt nur ihre klinische Indivi¬
dualität betonen.
3. Familiäre Tabes auf erblich-degenerativer Grundlage. 1
Von Privatdozent Dr. W. Strohmayer in Jena.
M. H.! Im November vorigen Jahres konsultierte mich eine 33jährige Frau,
die Gattin eines Pfarrers. Sie war von dem Augenärzte an mich verwiesen, den
sie wegen geringfügiger Sehbeschwerden (Flimmern und schmerzhafter Druck) auf
dem rechten Auge aufgesucht hatte. Sie erklärten sich aus einer rechtsseitigen
Mydriasis. Bemerkenswerter war der Befund der reflektorischen Starre der un¬
gleich weiten Pupillen (r. > 1.) bei erhaltener Konvergenzreaktion, sowie das
doppelseitige Fehlen der Kniephänomene. Andere objektive oder subjektive
Symptome der Hinterstrangerkrankung ergaben sich weder aus der Untersuchung,
noch aus der Anamnese. Die Ätiologie war mir unklar. Die Patientin wies
keinerlei Zeichen hereditärer SyphiliB auf, hatte auch keine darauf hindeutende
Erkrankungen durchgemacht; der Ehemann, den ich persönlich kenne, ist nie
syphilitisch gewesen. Andere ätiologische Momente (Erkältungen, Durchnässungen,
körperliche Strapazen) fehlen.
Zufällig erfuhr ich, daß die jüngste, 24jährige Schwester der Patientin „als
Kind für rückenmarkskrank gehalten worden sei“. Es gelang mir, auch sie zu
untersuchen. Sie zeigte eine auffallende äußere Ähnlichkeit mit der älteren
Schwester; beide waren schlank, brünett und von lebhaftem Teint. Sie hatte links
eine „hohe Schulter“ infolge einer dorsalen Kyphoskoliose. Im Jahre 1899 bis
1900 war sie in Behandlung von L. Bbuns (Hannover). Sie klagte damals über
Blasen&törungen und Bewegungsatazie der Beine. Nach Mitteilung von Bbuns
lag vor: Fehlen der Kniephänomene, Pupillenstarre auf Licht und Akkommodation
bei erhaltener Konvergenzreaktion. Bei meiner letzten Untersuchung (im Juni
1907) fand ich ebenfalls noch doppelseitige akkommodative und reflektorische
Starre der mittelweiten, gleichen, bei Konvergenz sich prompt verengenden Pupillen
und WESTPHAL’sches Zeichen beiderseits. Die Blasenstörung besteht noch: die
Patientin kann „bei heißem Wetter“ den Urin nicht lange halten. Außerdem
gab sie an, daß Bie häufig Hustenanfälle von viertelstundenlanger Dauer bekomme,
wenn sie 6ich schmerzhaft mit den Armen oder Beinen an einem Gegenstände
stoße (Larynx-Krisen?). Beim Essen verschluckt sie sich leicht, wenn de nicht
acht gibt. Im übrigen ist sie mit zunehmendem Alter kräftiger geworden, hat
ihr Kindergärtnerinnenexamen gemacht und ist als solche tätig. Auch bei dieser
Patientin versagte die syphilitische Ätiologie. Bei beiden Schwestern war der
1 Mitgeteilt in der Sitzung der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft (Sektion
für Heilkunde) am 4. Juli 1907.
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Urin frei von Zucker. Aborte oder Frühgeburten waren in ihrer elterlichen
Familie nicht zu verzeichnen.
Demnach handelt es sich um tabische Symptombilder bei einem
Schwesternpaare. Die Ursache dieser familiären Form der Hinterstrang¬
erkrankung ist, wie die genauere Kenntnis der Familiengeschichte ergibt, in der
erblich-degenerativen Konstitution der beiden Schwestern zu suchen;
Einzelheiten sind aus dem nachfolgenden Stammbaum ersichtlich:
Stammtafel der Familie L.
Großvater L., ^ Großmutter L. geb. L.,
f 65 Jahre alt; , (Kousine); f nach
„Wassersucht“. einem Puerperium als
| junge Frau; Diabetes.
Ein Bruder, Vater L.,
der drei ge- f 66 Jahre alt;
sunde Kinder Diabetes,
und Enkel hat.
Großvater M.,
Potator; + im
Delirium.
Großmutter M. geb.
F., gesund.
HutterL. geb. M., — 1 Geschwister; davon
62 Jahre alt, sind vier gesund; zwei
„nervös“; leichte jüngere Schwestern
periodische sind geisteskrank; ein
Depressionen. jüngerer Bruder „neigt
zum Tiefsinn“.
1. Frau L. geb. L.,
89 Jahre alt; Adi¬
positas; nervös¬
hypochondrische
Konstitution; ver¬
heiratet mit ihrem
Vetter 3. Grades
L. (f Diabetes).
2. Frau H. geb. 3. Frau A. geb.
L„ 37 Jahre L., 33 Jahre
alt; Migräne, alt; Tabes.
4. Frau Sch.
geb. L„
31 Jahre alt; alt; angebore'
Adipositas; ner Hüftfehler:
Zwangs- hinkt,
vorstellungs-
neurose.
5. Frau M. geb. 6. Fräulein L.,
L., 29 Jahre 24 Jahre alt;
Tabes.
a) Theodor A., 1 Jahre
alt; Dystrophia musc.
progressiva.
b) Anna A., 5'/* Jahre
alt; Hysterie (Ohn¬
mächten bei Affekt¬
erregungen).
Daß wir eine schwer neuro- bzw. psychopathische Familie vor uns haben,
wird niemand leugnen. Eine in zwei Generationen duplizierte konvergente Be¬
lastung führt bei der Sechszahl der Schwestern in der dritten zu einem erheb¬
lichen Anstieg der Degenerationswelle. Neben den degenerativen Psychopathien
der Hypochondrie und der Zwangsvorstellungen kommt es zu Migräne, Mi߬
bildung, Konstitutionsanomalien (Fettsucht) und organischen Affektionen des
Rückenmarkes. Bei den Kindern der 3. Schwester (der oben erwähnten
Pfarrersfrau) geht die Vererbung weiter, wie die beiden (mir bekannten) Kinder
zeigen. Für letztere ist freilich von Gewicht, daß sie auch väterlicherseits nicht
einwandfrei dastehen. Ich behandle eine Schwester ihres Vaters wegen Epilepsie,
seinen Bruder kenne ich auch; er leidet an abnormer Adipositas. Wie die
3. und 6. Schwester, so gleichen sich auch die 1. und 4.; sie sind dick, blond
und zartfarbig.
Zwei Punkte verdienen in dem Stammbaum noch besondere Betonung:
Einmal ist in der väterlichen Linie L. der Diabetes stark vertreten. Die Gro߬
mutter, der Vater und der Ehemann der 1. Schwester (ein Enkel des Bruders
des Großvaters L.) sind an der Zuckerkrankheit gestorben. Zum andern ist
bedeutungf/ol], daß
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e Großeltern Geschwisterkinder waren.
.^Ürigir^l frcm
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Kehren wir zu dem Schwesternpaare mit den tabischen Symptomen zurück!
Bei der einen ist die Rückenmarkserkrankung bereits im 16. Lebensjahre ein¬
wandfrei festgestellt; bei der anderen ist anzunehmen, daß ihre Symptome nicht
von heute und gestern sind, so daß man ebenfalls von juveniler Tabes
sprechen kann. In der überwiegenden Mehrzahl der mitgeteilten Fälle von
Tabes und Taboparalyse im jugendlichen Alter spielt nachweisbare hereditäre
Lues oder mangels ihrer objektiven Zeichen Tabes oder Paralyse der Erzeuger
die hauptsächlichste ätiologische Rolle. 1 * * In meinen Fällen ist davon nicht die
Rede. Ich suche vielmehr die Ursache in der erblich-degenerativen Prä¬
disposition, die in den verschiedensten Neuro- und Psychopathien bei den
6 Schwestern zum Ausdruck kam. Von ausschlaggebender Bedeutung
scheint mir die diabetische Ascendenz zu sein. Wie überhaupt die
innigen Beziehungen des Diabetes zur Tabes, so ist im besonderen die Tatsache
interessant, daß im Erbgange neuropathischer Familien der Diabetes mit der
Tabes alterniert, ähnlich wie dies von der hereditären Ataxie bekannt ist.
Guinon und Souques 2 haben aus der CHAncoT’schen Klinik treffliche Beispiele
dafür erbracht.
Schließlich ist noch die Frage zu erörtern, ob wir es mit Fällen echter
tabischer Erkrankung mit fortschreitender Tendenz oder mit hereditär-degenera-
tiven Entwicklungsanomalien des Rückenmarkes stabiler Art zu tun haben, die
ihren Ausdruck in der Pupillenstarre und im W estph AL’schen Zeichen finden.
Doppelseitiges Fehlen des Kniephänomens ist als echtes Stigma erblicher De¬
generation beschrieben 9 und angeborene Pupillenstarre als seltenes familiäres
Vorkommnis bekannt. 4 * Für meine Fälle möchte ich an eine Kombination dieser
beiden Möglichkeiten nicht glauben, sondern eine echte tabische Erkrankung
annehmen. Wie lange die Symptome bei der älteren Schwester bestehen, wissen
wir nicht, ihre auffallende Stabilität bei der jüngeren spricht nach der inter¬
essanten Erfahrung von Oppenheim 6 * nicht gegen Tabes. Ich werde die Fälle
im Auge behalten und Ihnen von Veränderungen im Befunde berichten. Die
Seltenheit der Beobachtung rechtfertigt ihre einstweilige Mitteilung.
IL Referate.
Anatomie.
1) Über den Ursprung des Lungenvagus, von Ikegami und Jagitta. (Mit¬
teilungen der medizin. Gesellschaft zu Okayama. März 1907.) Ref.: Max
Bielschowsky (Berlin).
1 Vgl. J. Hagblstam, Über Tabes and Taboparalyse im Kindes- and Entwickelangs-
alter. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXVI. S. 268ff.
* Guinon et Souqubs, Association da tabfes avec le diabäte euere. Arch. de nearol.
XXII, Nr. 66 u. XXIII, Nr. 67 u. 68.
' Vgl. M. Sommer, Über das W estpb AL’schc Zeichen als Merkmal der erblichen Dege¬
neration. Monatsschr. f. Psych. u. Nearol. X. 1901.
4 Vgl. Rbichardt, Über angeborene Papillenstarre. Nearol. Centralbi. 1903. S. 521.
* Vgl. Nenrolog. Centralbi. 1902. S. 617.
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Um die Ursprungsverhältnisse des Lnngenv&gas za ergründen, haben die
Verff. an Hunden zwei Beihen von Operationen ausgeführt, nämlich
1 . die Durchschneidung des rechten Vagus oberhalb wie unterhalb des Plexus
nodosus; 2 . die Exstirpation des Unterlappens der rechten Lunge. Die anato¬
mische Untersuchung ihres Materiales nach den Methoden von Marchi und
Nissl führte sie zu folgenden Schlußfolgerungen:
1 . Die motorischen Vagusfasern versorgen, wenigstens in direkter Weise,
die Lunge nicht, weil erstens nach der Exstirpation des Basislappens der Lunge
kerne nennenswerte Veränderung weder im dorsalen noch im ventralen Vaguskerne
zu sehen ist, und weil zweitens die Durchschneidung des Vagus oberhalb des
Plexus nodosus keinen Markscheidenzerfall an den dazugehörigen Lungenästen zur
Folge hat. Freilich ist dabei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der
motorische Vagus indirekt auf die Bronchien wirken kann.
2. Die Veränderung des Plexus nodosus naoh der Exstirpation des Basis-
lappens der gleichseitigen Lunge und die Degeneration der Lungenäste des Vagus
noch dessen Durchschneidung am HalBe beweist, daß der Lungenvagus aus sen¬
siblen Fasern besteht, die aus dem gleichseitigen Plexus nodosus stammen.
3. Die sensiblen Vagusfasern der rechten Lunge sollen als ihre Ursprungs¬
stätte etwa l j 7.5 oder 1 /aa der gesamten Ganglienzellen des gleichseitigen Plexus
nodosus in Anspruch nehmen, wie es daraus hervorgeht, daß naoh der Exstirpation
des rechten Basislappens, welcher in bezug auf Gewicht 1 /j .4 der ganzen Lunge
ausmacht, ungefähr 1 / I8 oder 1 / ao der Nervenzellen des betreffenden Ganglions in
Degeneration gerät.
4. Die Ursprungszellen der für die Lunge bestimmten sensiblen Vagusfasern
finden sich in diffuser Anordnung vorwiegend in der mittleren Partie des Plexus
nodoBus, weil nach der Exstirpation des Unterlappens der Lunge hauptsächlich
in den Zellen der genannten Stelle die Reaktionserscheinung (Chromatolyse der
NE) zum Vorschein kommt.
2) Studien über die normale und pathologische Anatomie der hinteren
Bückenmarkswurzeln, von Ettore Levi. (Arbeiten aus dem nenrolog.
Institute an der Wiener Universität. XIII. 1907.) Bef.: Otto Marburg.
Ausgehend von den Befunden ObersteinerB und Bedlichs, die an den
hinteren Wurzeln beim Durchtritt durch die Pia eine Einschnürung und am
Weigert-Präparate Aufhellung (Verlust der Markscheide) finden, suchte Verf. mit
Hilfe neuerer Methoden diese Verhältnisse zu ergründen. Es zeigte sich, daß die
Schwannsche Scheide die Wurzel in den verschiedenen Segmenten verschieden
weit centralwärts begleite; am weitesten im Cervikalmark, wo sie fast in die
Medulla eindringt, am wenigsten weit im Lumbalmark. Statt dessen begleitet
dort Glia die Wurzel bis zum Eintritt ins Bückenmark. Wo sich Glia und
Bindegewebe berühren, erfahren beide eine Verdichtung und bilden ein die Wurzel
querendes Blatt, das im Lendenmark kugelig nach außen vorgewölbt, im Hals¬
mark eben ist.
Wo sich die Glia und das Bindegewebe der Wurzel berühren, dort bleibt
weiters die Markscheidenfärbung aus; und diese Stelle fällt im Hals- und oberen
Dorsalmark mit der Pialeinschnürung zusammen.
Mittels der Bielschowskysehen Methode kann man nach dem Eintritt der
Wurzeln wohl zahlreiche auf- und absteigende Axone sehen, echte Teilungen aber
nur in ganz minimaler Anzahl. Verf. benutzt die gefundenen Verhältnisse, um
das Einsetzen der tabischen Hinterstrangserkrankung an der Übergangsstelle des
peripheren in den spinalen (gliösen) Wurzel teil zu erklären.
3) Beitrüge zur Kenntnis der sensiblen Wurzeln der Medulla oblongata
beim Menschen, von Eduard Hülles. (Arbeiten aus dem neurolog. Institut
an der Wiener Universität. XIII. 1907.) Bef.: Otto Marburg (Wien).
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Anschließend an Levis Arbeit über die hinteren Rückenmarkswarzein (vgl.
vor. Referat) hat Verf. ähnliches bei den Wurzeln der sensiblen Bulbärnerven
zeigen können. Hier endete die Schwannsche Scheide aber in jedem Falle
ziemlich weit von der Medulla, am weitesten beim Cochlearis, am wenigsten weit
beim Trigeminus. Während sich dieser mehr dem Verhalten der cervikalen
Wurzeln nähert, ist der Cochlearis und der Vagus ähnlich den lumbalen 'Wurzeln,
was bei letzterem besonders in die Augen fällt.
Auch hier konnte mit der Bielschowskyschen Methode eine Bifurkation
der Wurzeln nach ihrem Eintritt in die Medulla nur an einzelnen Fasern ge¬
zeigt werden.
Physiologie.
4) Weitere Untersuchungen über die Bewegung der Vögel naeh Durch¬
sohneidung der hinteren Büokenmarkswurzeln, von Dr. Wilhelm Tren¬
delenburg. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1906.) Ref.: S. Klempner.
Die Abhandlung »t eine Fortsetzung der in diesem Centralbl. (1907, Nr. 1)
bereits referierten früheren Arbeit des Verf.’s.
Da die anatomische Grundlage eines Teiles der Beobachtungen der ersten
Arbeit Einwände gegen die Deutung der Resultate zuließ (Erweichungen im Mark
der operierten Tiere), so hat Verf. unter Anwendung einer verbesserten Operations¬
methode Nachuntersuchungen angestellt, um die bestehende Unsicherheit nach
Möglichkeit zu beseitigen.
Verf. gelangt zu folgenden Resultaten:
1. Die anatomische Untersuchung des Rückenmarkes nach einseitiger und
doppelseitiger Flügeloperation (so nennt Verf. die Durchschneidung sämtlicher
hinterer Wurzeln, die zu den Flügeln in Beziehung stehen) ergibt außer un¬
wesentlichen Erscheinungen einer leichten Rückenmarkskompression nur eine Dege¬
neration der direkten Fortsetzungen der durchschnittenen Hinterwurzeln (Behand¬
lung nach Marchi). Die Bewegungsstörungen sind also nur auf den Ausfall der
letzteren zurückzuführen.
2. Es gelang, die bisher nicht einwandfreien Beinoperationen (Durchschneidung
aller zu einem Bein in Beziehung stehenden Hinterwurzeln) zu verbessern und
die Gefäße zu schonen. Die nun erhaltenen Symptome stimmen sowohl bei ein¬
seitiger, wie bei doppelseitiger Operation mit den früher erhaltenen in allen
wesentlichen Punkten vollkommen überein. Anatomisch findet sich nur Degene¬
ration direkter Hinterwurzelfortsetzungen (Marchi). Auch hier sind die Be¬
wegungsstörungen nur auf den Ausfall der centripetalen Nerven zu beziehen.
3. Für die Steigerung der Reflexerregbarkeit nach Hinterwurzeldurchschnei¬
dung werden weitere Beobachtungen angeführt.
4. Die normalen „Gegenbewegungen“ (d. i. der normal vorhandene Wider¬
stand gegen passive Bewegungen der Extremitäten, der in einer reflektorisch aus¬
gelösten antagonistischen Bewegung besteht) fehlen nach Hinterwurzeldurch¬
schneidung.
5. Der Beugetonus der Extremitäten ist nach Hinterwurzeldurchschneidung
aufgehoben.
6) De l’influence de la seotion experimentale des raoines postörleures sur
l’etat des neurones periphöriques. Contribution ä l’etude des flbres
centrifuges des raelnes postörieures, par Roux et Heitz. (Nouv. Iconogr.
de la Salpetridre. 1906. Nr. 4.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Die Schlüsse, die die Verff. aus ihrer, für ein kurzes Referat ungeeigneten,
sehr ausführlichen Arbeit ziehen, sind folgende:
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Ea existieren in den hinteren Wurzeln der Säugetiere Myelinfasern mit
centrifugalem Charakter. Diese Fasern sind verhältnismäßig wenig zahlreich,
die einen sehr dünn, die anderen wieder etwas breiter, wieder andere dicker.
Diese Fasern bleiben erhalten bis 14 Tage nach der Operation in dem Wurzel-
stQck, das dem Rückenmark benachbart ist; sie degenerieren nach dem Ganglion
zu und man kann sie in Gestalt von Kugeln in dem Nerven wiederfinden, der
aus dem Ganglion austritt, um sich mit der vorderen Wurzel zu vereinigen.
Der größte Teil der centrifugalen Stränge geht durch die Rami communi-
cantes in den sympathischen Strang über, wo man ihn, etwa 3 Wochen nach
der Wurzeldurchschneidung, degeneriert vorfindet. Am Ende des 7. Monates
besteht diese teilweise Degeneration des Sympathicus jedoch nur noch spurweise.
Eine schwächere Partie dieser Fasern verläuft zu den Nerven der Peripherie
hin, wo man sie 18 bis 20 Tage nach der Operation degeneriert vorfindet, und
zwar im Stamm des gemischten Nerven bis zu den Hautstücken, welche der
durchschnittenen Wurzel entsprechen. Im 7. bis 8. Monat nach der
Durchschneidung der hinteren Wurzeln bemerkt man in den Hautnerven, welche
mit der betreffenden Wurzel korrespondieren, Wallersche Degeneration, welche
sich zugleich auf die feinen und groben Fasern erstreckt. Zur selben Zeit be-
ginnt das gangliöse Ende der durchschnittenen Wurzel zu degenerieren, und
zwar einem retrograden Prozeß folgend.
Ein Jahr nach der Operation enthalten die peripherischen Nerven keine
degenerierten Fasern mehr, sondern nur noch leere Scheiden. Das ganglionäre
Ende der Wurzel ist fertig mit seiner Degeneration; es enthält aber trotzdem
noch zahlreiche feine Wurzeln von normalem Aussehen. Das andere Wurzelstück
enthält sehr feine, regenerierte Fasern. Die Zellen der Ganglien haben schon
von vornherein ihre normale Beschaffenheit bewahrt.
Schwierig ist es, aus diesen experimentellen Tatsachen Schlüsse zu ziehen
auf die Pathogenese der Tabes. Man kann nicht aus einer immerhin ziemlich
starken und plötzlichen Verletzung Schlüsse ziehen auf eine Krankheit, die so
langsam verläuft wie die Tabes. Zwischen dem Experiment und den tabischen
Störungen bestehen wichtige, prinzipielle Unterschiede.
Auf der einen Seite sind Abweichungen zwischen den ganglionären Läsionen
der von den Verff. operierten Tieren, und denen von Thomas und HauBer
(Nouvelle Iconographie de la Salpetriere 1902 u. 1904; b. dieses Centralblatt
1903 S. 779 und 1905 S. 495) bei Tabes beschriebenen. Die Degeneration
nach dem Wallerschen Typus beim Tiere entspricht vom histologischen Ge¬
sichtspunkt aus nicht der Neuritis bei Tabes (einfache Atrophie nach segmen¬
tärem Typus). Einzig und allein gleichen sich die Sympathicusläsionen bei den
Tierexperimenten und bei der Tabes, wenigstens in den großen Strängen, aber
es ist doch sehr fraglich, ob das Tierexperiment in der Gegend des visceralen
Plexus die Läsionen entsprechend denen, die man bei Tabes beobachtet, mit den¬
selben Eigentümlichkeiten wiedergeben würde.
Nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln haben die sekundären, atro¬
phischen Prozesse eine entschiedene Neigung nach einer gewissen Zeit zu weichen
und der Regeneration Platz zu machen.
Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als ob außer der direkten
Einwirkung auf die hinteren Wurzeln, die die Meningen haben, bei der Tabes
noch ein toxischer Einfluß, der von dem Syphilisvirus ausgehen müßte, auf
das gesamte Nervensystem im Spiele ist. Dieser Einfluß würde Bich in erster
Linie auf das sensible Protoneuron und auf die centripetalen Protoneurone des
Sympathicus geltend machen.
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Pathologische Anatomie.
6 ) Ein Fall von Entaündung der Nervenwurzeln bei einer Stute, von Mar-
chand et Alix. (Recueil de med. vöt. 1906. S. 353.) Ref.: Dexler (Prag).
Die Beobachtung der Verff. bewies das Vorkommen einer interstitiellen
Neuritis im Gebiete der Sakral wurzeln beim Pferde, die, wie den Autoren ganz
entgangen zu sein scheint, in naher Beziehung zur Geuesis des sogen. Hammel-
schwanzes steht.
Es handelte sich um eine 2 Jahre alte Stute, die auffallend häufig an Koliken
litt, und die eines Tages mit Rectumparalyse behaftet gefunden wurde. Beim
Übergange in die Beobachtung der Verff. war das Übel soweit vorgeschritten,
daß das Rectum ohne künstliche Beihilfe überhaupt nicht entleert werden konnte.
Dazu bildete sich langsam eine Sphinkterlähmung der Blase aus, die sich durch
Harnträufeln verriet; nach einem Monate stand der After soweit offen, daß man
das Tier nur im Trabe zu bewegen brauchte, um die Exkremente herausfallen zu
lassen. Die Hautsensibilität der Perinealgegend nahm kontinuierlich ab und
verschwand endlich ganz. Nach weiteren 5 Monaten des im allgemeinen Behr
guten Wohlbefindens stellte sich links eine langsam zunehmende Atrophie der
KroupmuBkeln ein, die mit der Zeit anch eine leichte Gangstörung verursachte,
so daß das Pferd mit dem linken Hinterfuß eigentümlich steif auffiel und ihn
beim Traben ruckweise beugte. Nachdem sich auch auf der rechten Seite ein
Muskelschwund bemerkbar zu machen begann, wurde das Pferd nach 7monat¬
licher Beobachtung getötet. Die sogleich vorgenommene Sektion ergab makro¬
skopisch keine Anhaltspunkte. Insbesondere. waren die genauer untersuchten
Nerven der Cauda equina von völlig normalem Aussehen. Bloß in den
gelähmt gewesenen Muskeln eruierte man die Zeichen der chronischen Atrophie.
Bei der histologischen Untersuchung wurde der Bestand einer ungemein
typischen und hochgradigen interstitiellen Neuritis entdeckt, die insbesondere die
Ganglien und die Nervenstämme der Cauda equina ergriffen hatte, und die sich
im wesentlichen durch leukozytäre Infiltration des perineuralen Bindegewebes und
des Stützgerüstes der Spinalganglien dokumentierte. An gewissen Stellen war die
Gewebsstruktur von den dichten Schwärmen der Leukozyten total verdeckt; nur
die zwischen ihnen liegenden Ganglienzellen hatten ihr normales Aussehen un¬
verändert beibehalten.
Die Ursache dieser Entzündung blieb vollkommen unaufgeklärt.
Für den Ref. ist es ganz zweifellos, daß hier ein bisher noch nicht be¬
schriebenes Anfangsstadium jener produktiven Entzündung vorliegt, die das von
ihm beschriebene Substrat für den sogen. Hammelschwanz darstellt. Wie in allen
bekannten Fällen hatte es sich auch hier wieder um eine Stute gehandelt, die
mit Erscheinungen erkrankte, die sich von jenen des Hammelschwanzes durch
nichts unterscheiden.
Pathologie des Nervensystems.
7) Experimentelle Tabes bei Hunden (Trypanosomen-Tabes), von Dr. W. S p i e 1 -
meyer. (Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 48.) Ref.: Max Jacoby.
Durch Impfung von Trypanosoma Brucii ist es Verf. gelungen, mit Hilfe
der Marchischen Chromosmiummethode frische Degenerationen im Gebiete der
hinteren Rückenmarkswurzeln, der sensiblen Trigeminuswurzel und im Opticus
nachzuweisen. Der Prozeß im Rückenmark beschränkt sich im wesentlichen auf
die cervikalen Segmente. Der Befund ähnelt völlig dem Bilde der cervikalen
Tabes, und zwar dem ersten Stadium einer solchen. Regelmäßiger als diese
Hinterwurzelveränderungen fanden sich Entartungsprozesse in der sensiblen Trige-
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minuswarzel, die auch häufig bei der Tabes des Menschen erkrankt. Bei zwei
Hnnden ließ sich eine Miterkrankung des Opticus nachweisen. Mit Rücksicht auf
die Lokalisation der degenerativen Vorgänge — die Erkrankung der Hinter-
wurzelsysteme und die Beteiligung des Opticus — und mit Rücksicht auf die
Eigenart des degenerativen Prozesses — die primäre Fasererkrankung — glaubt
sich Verf. berechtigt, von einer tabischen Erkrankung, der „Trypanosomen-Tabes“
der Hunde zu sprechen. Histologisch glichen sich Menschen* und Hundetabes
vollkommen.
8) Zur Ätiologie der Tabes, von Prof. C. Motschutkowsky. (Russische
med. Rundschau. IV. 1906. Nr. 10.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg).
Nachdem wohl in der gesamten medizinischen Welt die von Erb statistisch
so sorgsam fundierte Anschauung, daß die Lues bei der Ätiologie der Tabes die
erste Rolle spiele, angenommen ist, versucht Verf. auf Grund seines 1662 Tabes*
fälle umfassenden Materiales der alten Rombergschen Lehre von dem geschlecht*
liehen Abusus als hauptsächlichem ätiologischem Faktor der Tabes wieder Geltung
zu verschaffen. Er meint beweisen zu können, daß geschlechtliche Überanstrengung,
die in der Statistik von Erb mit 16% in der Reihe der Tabesursachen ver¬
zeichnet ist, bei weiteih der Hauptfaktor der ätiologischen Momente (74,6%) sei.
Bei 80,5 % seiner Fälle konnte Verf. unzweifelhaft die Lues aus der Anamnese
eruieren, bei 35,2 % war vorangegangene Syphilis zweifelhaft, bei 5,5% unwahr-
scheinlich. Trotzdem also nach des Verf.’s eigenen Angaben die Lues in 65,7 %
zum mindesten wahrscheinlich der Tabes vorausgegangen war, läßt er in seiner
Statistik nur die Prozentzahl der zweifellosen Luetiker gelten. Was Verf. unter
„zweifelhafter und unwahrscheinlicher Syphilis“ versteht, erklärt er nicht.
Als Momente, die gegen die Ansichten von Erb zu sprechen scheinen, führt
Verf. an, daß er unter seinen Tabischen vier jungfräuliche Individuen zu ver¬
zeichnen hatte — als ob bei diesen jede Möglichkeit einer Syphilisinfektion aus¬
geschlossen sei. Verf. beobachtete drei tabische Ehepaare, bei welchen frühere
Syphilis nicht mit Bestimmtheit nachzuweisen (aber auch nicht zu negieren) war.
Dagegen konnte er bei ihnen einen kolossalen Abusus in venere feststellen. Als
weiteren Beweis gegen die Anschauung von Erb meint Verf. das Argument ins
Feld führen zu können, daß in Rußland die Tabes bei Frauen zwar auch 10
bis 15 mal seltener, die Syphilis bei ihnen dagegen häufiger sei (Frauen 54,1%,
Männer 45,9%), was der ErbBchen Statistik, Tabes und LueB seien bei Frauen
gleich selten, widerspräche. Auch die Tatsache, daß in Rußland manche Orte
von Syphilis durchseucht, aber von Tabes frei sind, muß herhalten, um Verf.’s
Anschauung zu stützen, ebenso wie der Umstand, daß fast alle Puellen luetisch
infiziert seien, aber nur sehr selten an Tabes erkrankten. Nach des Verf.’s, durch
Prof. Ott gestützten Meinung, spielt die Syphilis bei habituellem Abort nur in
1 / I0 der Fälle eine Rolle, so daß man diesen als zum mindesten in hohem Maße
luesverdäohtig nicht verwerten dürfe.
Seine in manchen Punkten von der Erbschen abweichende Statistik ist für
ihn ein weiterer Beweis der Unrichtigkeit der Erbschen Anschauungen. Dadurch,
daß Verf. bei seinen Fällen andere Zahlen bezüglich des Zeitraumes zwischen
syphilitischer Infektion und Ausbruch der Tabes, ferner bezüglich sicher beob¬
achteter luetischer Symptome bei seinen Kranken gefunden hat, meint er, weit¬
gehende Schlüsse gegen die Erbsche Statistik überhaupt ziehen zu dürfen.
Auf den sehr wichtigen Punkt, daß sich bei Tabischen recht häufig gleich¬
zeitig luetische Symptome des Nervensystems finden, geht Verf. nicht weiter ein.
Zum Schluß versucht Verf. die Luestheorie lächerlich zu machen, indem er an¬
führt, daß sich in der Anamnese der Tabischen weit häufiger Gonorrhoe als
Syphilis festetellen lasse — er fragt, warum man denn dann dem Tripper keine
ätiologische Rolle beimesse.
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9) Über den gegenwärtigen Stand des serologischen Luesnachweises bei
den syphilidogenen Erkrankungen des Centralnervensystems , von Dr.
Felix Plaut. (Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 30.) Ref.: E. Asch.
Die vom Verf. früher schon in Gemeinschaft mit Wassermann angeatellten
serodiagnostischen Untersuchungen bei Paralytikern wurden von ersterem mittler*
weile fortgesetzt und erweitert. In 44 Füllen von Paralyse war der Befund in
den Spinalflüssigkeiten lmal negativ, 2 mal fraglich und in allen übrigen Füllen
positiv. Ferner ließen sich in 3 Füllen von Paralyse in der Ventrikelflüssigkeit
reichlich luetische Antistoffe nachweisen. Die Sera dieser Paralytiker reagierten
ohne Ausnahme positiv. Die von Marie und Levaditi gefundene Tatsache des
Auftretens der Antistoffe im progredienten Stadium und des Zunehmens derselben
im Verhältnis zu dem Fortschreiten des Leidens wird vom Verf. nicht bestätigt.
Auf Grund seiner Erfahrungen in etwa 100 Fällen von Paralyse bietet der Grad
der Antikörperproduktion kein Kriterium für die Intensität des Krankheits¬
prozesses. Auch wurde nach paralytischen Anfällen keine Vermehrung der Anti¬
stoffe beobachtet. In einer größeren Zahl von Gehirnerkrankungen erbrachte die
Untersuchung der Spinalflüssigkeit und des Serums negative Ergebnisse. Nur in
3 Fällen, von denen einer mit Tabes kompliziert war, ein anderer das Bild der
arteriosklerotischen Demenz bot und der dritte sich als postapoplektischer Schwach¬
sinn erwies, ließen sich im Serum und in der Spinalflüssigkeit Antistoffe nach¬
weisen. Sicherlich treten bei der Paralyse und bei der Tabes Antistoffe in der
Spinalflüssigkeit viel häufiger auf als bei der Lues des Centralnervensystems oder
gar bei Lues ohne cerebrale Störungen. Von einer Spezifizität der Reaktion für
Tabes und Paralyse im Sinne von Marie und Levaditi kann jedoch vorläufig
keine Rede sein. Jedenfalls weisen diese Untersuchungen darauf hin, daß sich
bei der Paralyse Prozesse abspielen, die zur Lues in Beziehung stehen. Welcher
Art dieselben sind und wo dies geschieht, ist bis jetzt noch teilweise unaufgeklärt,
doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß das Centralorgan dabei in erster Linie
beteiligt ist
10) Serodiagnose bei Lues, Tabes und Paralyse duroh spezifische Nieder-
Schläge, von Dr. Fornet und J. Schereschewsky. (Münchener med.
Wochenschr. 1907. Nr. 30.) Ref.: E. Asch.
Aus den zahlreichen Versuchen der Verff. geht mit Bestimmtheit hervor, daß
das Serum von Paralytikern und Tabikern ausschließlich mit dem Serum von
Luetikern eine positive Präzipitinreaktion und umgekehrt gibt. An der Hand
dieser Methode ist es demnach künftig möglich sowohl bei Paralytikern und
Tabikern die syphilogene Natur der Affektion festzustellen, wie auch in verdäch¬
tigen Fällen die Frage auf serodiagnostischem Wege zu entscheiden, ob Syphilis
vorhanden ist oder nicht.
11) Über die Frage syphilitischer Antistoffe in der Oerebrospinalflfissig-
keit bei Tabes dorsalis, von Wilh. Weygandt. (Sitzungsber. der phys.-
med. Ges. zu Würzburg. Würzburg 1907, A. Stüber.) Ref.: S. Klempner.
Angeregt durch die bekannten Untersuchungen von Wassermann und Plaut
über das Vorhandensein von syphilitischen Antistoffen in der Cerebrospinal-
flüssigkeit von Paralytikern ist Verf. durch entsprechende Versuche der Frage des
Verhaltens des Liquor bei Tabikern näher getreten. Abgesehen von der Ver¬
wendung von Rinderblut statt Hammelblutes und der Vermeidung von Karbol¬
säure zeigen die Versuche auch einige quantitative Abweichungen von den
Wassermann-Plautschen. Während W T assermann abfallende Mengen des
Organextraktes verwandte, beschränkte sich Verf. auf 0,2, das Komplement jedoch
zog er in einer viel reichlicheren Abstufung heran, um zunächst den Beginn der
hämolytischen Reaktion festzustellen. Die Spinalflüssigkeit wurde in etwas
größerem Quantum jeweils angewendet
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Drei Fälle von einwandfreier Tabes worden untersucht. Bei allen dreien ist
Lues in der Anamnese. Eb ergab sieb nun, daß die 3 Fälle unter sich Diffe¬
renzen zeigten. Bei einem blieb die Hämolyse vollständig aus, beim zweiten
traten Spuren ein unter 0,05 Komplement, während beim dritten schon unter
0,02 Komplement Spuren eintraten und 0,06 bereits komplete Hämolyse zeigten.
(Es ergab sich außerdem die auffallende Erscheinung, daß die Reaktion unter Zu¬
satz von normaler Milz wie auch unter Zusatz von luetischer Milz im wesentlichen
gleich ausfallt)
Auf Grund dieses Befundes läßt sich eine irgendwie spezifische Reaktion
nioht erkennen. Eis ist vielmehr zu vermuten, daß in der Milz an sich bereits
irgendwelche Eiweißkörper vorhanden sind, die die Hämolyse manchmal schon an
sich hemmen, vor allem aber unter Zusatz von Spinalflüssigkeit in ausgedehntem
Maße hemmen können.
Nur unter Berücksichtigung der mannigfachen Schwierigkeiten und dem¬
entsprechend unter Anwendung größter Vorsicht wird von der Seite der Serum¬
forschung hier weiteres Licht auf die Frage des Zusammenhanges zwischen Lues
und Tabes bzw. Paralyse fallen.
12) Über Komplementbindungsversuohe bei infektiösen und postinfektiösen
Erkrankungen (Tabes dorsalis usw.), sowie bei Nährstoffen, von
Dr. Citron. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 27.) Ref.: R. Pfeiffer.
Verf. untersuchte an der Berliner 11. med. Klinik im Anschluß an die be¬
kannten Untersuchungen von Wassermann, NeisBer, Bruck und Schucht,
1) 15 Tabiker, 2) 3 Paralytiker, 3) 15 Patienten mit Lues in der Anamnese,
4) 10 Patienten, die Lues negieren, bei denen aber sonstige Anzeichen von Lues
vorliegen und 5) 36 Personen, die eine luetische Infektion negieren und keine
Zeichen derselben aufweisen. Das Resultat der Untersuchung auf Antikörper war
bei Gruppe I im Serum 9 mal positiv, 3 mal negativ, in der Lumbalflüssigkeit
2 mal positiv und 7 mal negativ, bei Gruppe II im Serum und Lumbalflüssigkeit
positiv, bei Gruppe III 9 mal positiv und 6 mal negativ, bei Gruppe IV 9 mal
positiv, lmal negativ, bei Gruppe V erwies sich in allen Fällen das Serum
negativ und ebenso die in 6 Fällen untersuchte Lumbalflüssigkeit. Es ergab sich
also, daß bei weitaus den meisten der Patienten, bei denen klinisch oder ana¬
tomisch Lues in Frage kam, im Serum bzw. vereinzelt in der Lumbalflüssigkeit
Antikörper enthalten waren, nämlich von 44 Patienten 34 im Serum und einer
außerdem nur in der Lumbalflüssigkeit, das sind 7,7,5°/ 0 positive Fälle. Die
wenigen negativen Fälle zeigen zum großen Teil eine Besonderheit, nämlich die
spezifische Behandlung. Je intensiver die Behandlung, um so schlechter das
Resultat der Serodiagnostik, d. h. gerade in den dunklen Fällen ist die Serodiagnostik
ein ausgezeichnetes Hilfsmittel. Fällt die Serumreaktion positiv aus, ohne daß
tabische oder paralytische Symptome vorliegen, so empfiehlt Verf. energische spe¬
zifische Behandlung, denn „hier gibt uns der Organismus selbst das deutliche
Zeichen, daß die bisherige Behandlung ungenügend war“. Verf. faßt die von
ihm erhobenen Befunde bei syphilitischen und postsyphilitischen Erkrankungen
in folgenden Sätzen zusammen: 1. Bei der Tabes finden sich in der Regel im
Serum Antikörper, während die Lumbalflüssigkeit seltener und dann fast stets weit
weniger Antikörper enthält. Gelegentlich umgekehrtes Verhalten. 2. Bei der
Syphilis finden sich Antikörper oft noch nach sehr vielen Jahrzehnten, bis zu
45 Jahren und wahrscheinlich noch länger, ja in des Verf.’s Versuchen hatten
gerade die ganz alten Fälle besonders hohen Antikörpergehalt. 3. Auch hereditär
Luetische können Antikörper im Serum haben. 4. Zwischen dem Antikörpergehalt
und der spezifischen Hg-kur scheinen in dem Sinne Beziehungen zu bestehen, daß
je intensiver die Kur war, desto geringer der Antikörpergehalt ist (siebe oben).
5. Ein hoher Antikörpergehalt in der Lumbalflüssigkeit, wie er bei der Paralyse
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die Regel ist, kommt sonst anscheinend nur sehr selten vor, es ist also dieses
Zeichen in hohem Grade pathognomonisch für Paralyse (event. für syphilitische
Erkrankungen des Gehirns oder der Meningen).
13) Osteite syphilitique deformante, type Paget, ohez une tabdtique, par
Chartier et Descomps. (Nouv. Iconogr. de la Salpetrige. 1907. Nr. 1.)
Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Der Vater der 55jährigen Kranken starb an einer Karies der Kopfhaut.
Sie selbst war immer gesund. Mit 16 Jahren verheiratete sie sich, hatte keine
Kinder, aber Fehlgeburten. Der Ehemann hatte 3 Schlaganfälle, im Laufe von
2 Jahren, der erste ging ohne irgend welche Störungen vorüber, der zweite hinter¬
ließ eine Hemiplegie, nach dem dritten starb er im Koma, 44 Jahr alt. Vor
16 Jahren hatte Patientin mehrere Schwindelanfälle ohne Bewußtseinsverlust, ge¬
folgt von Stirnkopfschmerzen. Ein Jahr darauf fand sie eines Morgens beim
Erwachen, daß sie das linke Augenlid nicht heben konnte und auf dem rechten
Auge nichts sehen konnte. Trotz des Anratens ihres Hausarztes machte sie keine
Schmierkur durch, nach einem Monat besserte sich zwar das Sehvermögen, sie
sah jetzt aber doppelt. Nach und nach verschlechterte sich das Sehen auf dem
linken Auge, so daß sie im Verlauf von 7 Jahren vollständig erblindete. Zur
selben Zeit stellten sich blitzartige Schmerzen ein, die sich aber bald besserten.
Während der letzten 3 Jahre war die Kranke vollständig beschwerdefrei. Im
Jahre 1896 wieder blitzartige Schmerzen in dem rechten Beine und in der
linken Hüfte, gleichzeitig bemerkte sie eine Verkrümmung des linken Beines.
Gegen Mitte des Jahres stellten sich auch Schmerzen im linken Bein ein und
dieses schwoll allmählich an. Besonders nahmen die Schmerzen bei Bewegungen
zu, hatten jedoch nicht den Charakter des Blitzartigen. Bald wurden auch die
Bewegungen der Schulter erschwert, Aufnahme in die Salpetriere.
Status: Das Gehen ist erschwert, aber nicht ataktisch. Rombergsches
Symptom. Ataxie der oberen und unteren Extremitäten bei Ruhelage. Sämtliche
Sehnenreflexe fehlen, Sensibilität normal, jedoch verlangsamte Leitung. Leichte
Ptosis des linken Augenlides, Paralyse des RektuB externus und des Rektus superior
beiderseits, Argyll-Robertson, Atrophie des Augenhintergrundes. Außerdem ist
die linke Tibia säbelscheidenartig verkrümmt. Zu fühlen sind einige nußgroße
Exostosen. Vorderwand des Knochens ganz verschwunden, er ist von einer weichen
Masse ausgefüllt, die auf beiden Seiten nach hinten übergreift. Linkes Knie
Valgusstellung, Gelenk geschwollen, die Bänder sind verdickt. Flexionsbewegungen
durch Krachen und Schmerzen unmöglich. Der rechte Femur ist ebenfalls ver¬
krümmt, das rechte Fußgelenk ebenfalls verdickt, beide auf Druck schmerzhaft,
seit einiger Zeit sind die beiden ersten Zehen verdickt und unbeweglich. Das
rechte Knie und Fußgelenk ebenfalls angeschwollen, nur nicht so stark wie das
linke. Das Schultergelenk links weist dieselben Veränderungen wie das linke
Knie auf.
Der Knochenprozeß ist ein entzündlicher, kein rarefizierender, wie sonst
hei Tabes. Da der Ehemann unzweifelhafte Lues hatte, so lag es nahe, an eine
Osteomyelitis gummoBS zu denken. Der Erfolg der Therapie bestätigte die
Diagnose, wenn auch keine vollständige Heilung eintrat, so lag doch eine wesent¬
liche Besserung vor. Nach des Verf.'s Meinung lag für die Knochensyphilis eine
erbliche Prädisposition vor.
14) Klinisohe Beiträge sur Kenntnis der Ursachen, der Symptome und
des Verlaufes der Tabes, von Dr. Hammer. (Orvosi Hetilap. 1906.
Nr. 46.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
Verf. bringt statistische Daten über 728 (572 Männer, 156 Weiber) Tabiker,
von welchen 230 Männer und 40 Weiber der intelligenteren Klasse angehörten.
Von den 230 Männern hatten sicher oder wahrscheinlich Lues 96,8 °/ 0 ;
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von den 40 Frauen war bei 57,5 °/ 0 sicher Lues. Von den den unteren Volks¬
schichten angehörenden 342 Männern hatten sicher oder wahrscheinlich 88 %,
von 116 Frauen 99,14 °/ 0 Lues. Im Materiale des Verf.’s sind 8 Fälle konjugaler
Tabes, und mehrere Fälle, wo der eine Gatte an Lues, einer an Tabes leidet.
Alle diese Daten sprechen dafür, daß der Syphilis eine besonders wichtige Rolle
in der Tabesätiologie zukommt. Bei 232 Patienten fanden sich brauchbare An¬
gaben bezüglich der Zeit, die zwischen der Infektion und dem Ausbruch der Tabes
verfloß; diese Zeit betrug bei 61,59°/ 0 5 bis 15 Jahre. Von sämtlichen Patienten
waren 6 unter 25 Jahren alt, Spätformen 7. Bezüglich der Frage der Nachkommenschaft
kommen 434 Männer und 165 Weiber in Rechnung; bei ersteren war in 33,56°/ 0 die
Ehe zufolge von Sterilität (20,92°/ 0 ), Fehl- oder Totgeburten, kinderlos, in 27,19°/ 0
waren lebende Kinder. Bei den 155 Weibern war die Ehe in 3l,61°/ 0 steril,
in 9,67°/ 0 waren nur Aborte und Totgeburten, in 12,90°/ o kamen die Kinder
lebend zur Welt, starben aber bald, in 34,19 °/ 0 lebende Kinder, aber auch viele
gestorben; die Sterilität ist also bei weiblichen Tabikern häufiger. Das erste
Krankheitssymptom bildete: in 68,31 °/ 0 lanzinierende Schmerzen, in 10,38 °/ 0
Augenmuskellähmung, in 4,91°/ 0 Abnahme der Sehkraft, in 3,63 % Blasenstörung,
in 3,11 °/ 0 gastrische Krisen, in 1,81 °/ 0 Ataxie, in 2,07% Paraesthesien. Be¬
züglich Dauer der Tabes kommt Verf. zu dem Schluß, daß diese Krankheit die
Lebensdauer für gewöhnlich nicht abkürzt.
15) Sol fenomeno di Abadie nella tabe dorsale, par Negro. (Rivista neuro-
patologica. 1906.) Ref.: Hübner (Bonn).
Von 10 Tabesfällen, die Verf. genau untersuchte, fehlte bei dreien die
Druckschmerzhaftigkeit der Achillessehne. Bei drei anderen fand sich eine
dauernde Hyperalgesie (einmal nur einseitig).
Bestimmte Beziehungen zwischen dem Abadieschen Phänomen und den
bekannteren Tabessymptomen (z. B. der Hautsensibilität, den Sehnenreflexen, den
lanzinierenden Schmerzen und dem Biernackisehen Symptom) ließen sich nicht
nachweisen.
Einmal beobachtete Vert, daß die Reaktion auf den schmerzhaften Druck
erst sehr spät erfolgte.
16) Eine Gebart bei vorgeschrittener Tabes dorsalis, von Dr. P. Zacharias.
(Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 7.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Fälle von Schwängerung bei Nervenkrankheiten im progredienten Stadium
gehören zu den Seltenheiten, da eine solche aus naheliegenden Gründen nicht
angestrebt wird oder auch gar nicht möglich ist. Vor 10 Jahren zeigten sich
bei der fraglichen Patientin die ersten tabischen Symptome. Im Jahre 1900
machte sie eine normale Schwangerschaft und Geburt durch. Libido und Voluptas
sexualis sind seit etwa 4 Jahren stark herabgesetzt. Seit 3 Jahren Ver¬
schlimmerung der tabischen Erscheinungen. Letzte Regel Mitte Februar 1906.
Die Schwangerschaft verlief ohne Beschwerden, die Nervenerkrankung machte
während derselben keine Fortschritte. Die ersten Kindesbewegungen wurden am
18. Juni wahrgenommen. Ende Oktober zieht sich die Patientin durch einen Fall
eine rechtsseitige Schenkelhalsfraktur zu. Die Geburt des Kindes erfolgte spontan,
ohne daß die Patientin bei derselben wesentliche Beschwerden verspürte. Verlauf
des Wochenbettes normal. Auffällig waren die völlige Schmerzlosigkeit der
Wehen und die Untätigkeit der Bauchpresse bis auf den Schlußakt beim Ein-
und Durchschneiden des Kopfes.
17) Die physikalische Behandlung der Tabes dorsalis, von Ernst Tobias
und Eduard Kindler. (Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 9.) Ref.:
Bielschowsky (Breslau).
Nach kurzer Besprechung der Erb’schen Syphilis-, der Benedictschen
Theorie der mangelhaften Anlage der Hinterstränge wird im Anschluß an die
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Edingersehe Abnutzungstheorie, die therapeutisch das schonende Moment in den
Vordergrund stellt, die physikalische Therapie der Tabes erörtert. Als Diät
wird reizlose, lactovegetabile Kost empfohlen, ohne jedoch das Fleisch ganz ent¬
ziehen zu wollen. Mastkuren werden widerraten, weil das übermäßig vermehrte
Gewicht das Gehvermögen erschwert. Von künstlichen Nährmitteln wird Somatose
als Stomachicum empfohlen. Alkohol ist nur in mäßigen Mengen als Anregungs¬
mittel gestattet, bei vorwiegend neurasthenischen Beschwerden wird er verboten.
Bei Fettleibigkeit soll eine sehr vorsichtige, allmähliche Entfettung herbeigeführt
werden, vor allem auch durch Anwendung der Massage, die auch zur Behebung
atonischer Obstipation angewendet wird. Milde Streichmassage wirkt bei
Parästhesien, lanzinierenden Schmerzen, Krisen beruhigend, während die anregende
Wirkung der Massage bei Anästhesien, Taubheitsgefühlen erwünscht ist. Suggestive
Erfolge kann man durch schonende Vibrationsmassage erzielen. Gewarnt wird
vor eigenmächtigem Gebrauch von gymnastischen Übungen, dem „Müllern“ und
den Schreberschen Übungen. Gymnastik soll nur unter gewissenhafter ärzt¬
licher Leitung getrieben werden, sie soll nicht ermüden, sondern kräftigen. Die
Nervendehnung — unblutig — hat zuweilen Wert bei der Behandlung hart¬
näckiger lanzinierender Schmerzen, die Suspension schien keinen Einfluß auf Ataxie
auBzuüben, ebenso sind die Hessingschen Korsetts von problematischer Wirkung,
während das Umwickeln der Beine mit Schlauchbinden das Schleudern der Beine
bessert. Hingegen wird die kompensatorische Übungsbehandlung sehr
empfohlen. Diese soll so früh als möglich beginnen, jedoch ist Vorsicht geboten
bei akutem Prozeß und wenn während oder nach den Übungen Ermüdungs¬
erscheinungen allgemein oder lokal im Kreuz oder in den Beinen Bich zeigen.
In solchen Fällen beschränkt man sich am besten auf Gehübungen, später kann
man an Apparaten erst mit offenen, dann mit geschlossenen Augen üben lassen.
Die Übungen sollen zweimal im Jahre in je 4—6 wöchigen Kuren täglich abge¬
halten werden. Einen großen Baum nimmt die Besprechung der Hydrotherapie
der Tabes ein. Bei TabeB dolorosa empfehlen sich Vollbäder von 35 °C. und
20—30—60 Minuten Dauer, anschließend eine Stunde Bettruhe. In der Woche
werden drei solcher Bäder event. mit 6 Pfd. Sole verabreicht, im ganzen 12 bis
18 Bäder.
Bei stillstehender Tabes ohne größere Schmerzzustände sind Kohlensäure¬
bäder zu verabfolgen, 2—3 mal wöchentlich, beginnend mit 84—35°C., Dauer
8—15 Minuten. Je kälter das Bad, desto kürzer Bei die Dauer. Energischer
wirken die Halbbäder event. wegen der damit verbundenen Wärmeentziehung
ohne Reibungen und ohne kalte Brause. Ganzpackungen sollen 1 / 3 —1 Stunde
dauern und 20gradig sein, im Anschluß daran eine kurze kalte Teilwaschung.
Abreibungen geben einen energischen Beiz und sind nur im allerersten Beginn
zu geben.
Im allgemeinen sollen nur mittlere Temperaturen angewendet werden, vor
Schwitzbädern wird gewarnt. Die Patienten sollen 1 oder 2 mal im Jahre eine
Kur von 6 Wochen durchmachen: erst Kohlensäurebäder, dann milde Halbbäder.
Gegen die lanzinierenden Schmerzen wird besonders der warme Bückenschlauch
empfohlen, durch den eine halbe Stunde lang 40—44° 0. warmes Wasser rieselt.
Zum Schluß wird auf die Elektrotherapie ganz kurz eingegangen.
18) Los lesions des raoines, des ganglions raohidlens et des nerfs dans
un oas de maladie de Friedreioh. Examen par la methode de Bamon
y Cajal (imprögnation a l’argent), par J. Dejerine et Andre-Thomas.
(Revue neurologique. 1907. Nr. 2.) Bef.: Erwin Stransky (Wien).
DieVerff. teilen die in einem zur Autopsie gekommenen Falle Friedreichscher
Krankheit erhobenen Befunde in den Wurzeln, Spinalganglien und peripheren
Nerven mit (CajalBches Imprägnationsverfahren, Osmiumfärbung u. a. Methoden).
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In den vorderen Wurzeln ergaben sich bei der Zerzupfung keine pathologischen
Befunde. Die hinteren Wurzeln zeigten Verschmälerung der Fasern, schwächere
Färbung des Myelins, das von unregelmäßiger Dicke erschien, und Kernvermehrung,
vereinzelte Myelintröpfchen (also einfache Atrophie). Die Messungen in der Gegend
des Wurzeldurchtrittes boten kaum irgendwelche Veränderungen dar. Die Spinal-
ganglienzellen zeigten bei Pikrokarminfärbung normales Aussehen. An TransverBal-
schnitten stach die Verschmälerung der hinteren Wurzeln gegenüber den vorderen
besonders in die Augen; in den vorderen Wurzeln wurden bündelweise dünne
Faserelemente angetroffen. Von den peripheren Nerven wiesen die Hautäste nur
wenig normale Fasern auf, eB fanden sich nur dünne Fasern oder leere Schwannsche
Scheiden; Waller sehe Degeneration fand sich nur ausnahmsweise; in den Muskel¬
ästen die gleichen Läsionen, nur geringgradiger, übrigens nicht in allen unter¬
suchten Muskelnervenästen gleich intensiv. Sonach zeigen sich in der Peripherie
ausgeprägtere Alterationen als centralwärts. Bei Cajnl-Imprägnation zeigte sich
in den hinteren Wurzeln auch eine Atrophie der Achsenzylinder; die Spinal¬
ganglienzellen zeigten auch mit dieser Methode keine Alteration. Auch Teile des
Kückenmarks wurden nach dieser Methode untersucht; hervorzuheben wären da
die erheblichen Ausfälle an Achsenzylindern im Bereich des Hinterstranges (be¬
sonders im Go 1 Ischen) (mit Ausnahme des Kommissurgebietes und der hinteren
äußeren Wurzelzone), des gekreuzten Pyramidenbündels und der Kleinhirnseiten¬
strangbahn; Lissauersche Zone relativ reich an Achsenzylindern; Clarkesche
Säule sehr zellarm; starke Gliawucherung in der vorderen Hälfte der Hintersträng e
leichte Verdickung der Pia.
Die Verff. knüpfen an die Mitteilung dieses Befundes verschiedene Schlußfolge¬
rungen. So wird darauf hingewiesen, daß in den Hintersträngen (besonders im
GolIschen) starker AchseDzylinderausfall bestand, während intra vitam noch wenige
Wochen vor dem Tode die Hautsensibilität an den unteren Extremitäten keine
greifbaren Störungen aufgewiesen haben soll; der Go 11 sehe Strang scheint somit
nicht die einzige Leitung hierfür zu Bein; eine Erklärungsmöglichkeit sehen die
Verff. darin, daß die Achsenzylinder in den Hinterwurzelfasern keinen derartigen
Schwund zeigten wie diejenigen in den Hintersträngen; sonach konnte die
Leitung noch durch die graue Substanz erfolgen. Ein weiterer Punkt ist das
Verhalten der peripheren Nerven (Überwiegen der Läsionen in der Peripherie,
Läsionen selbst der motorischen Äste bei Intaktheit der motorischen Vorderhorn¬
zellen, relative Intaktheit der Spinalganglienzellen bei erheblicher Affektion der
peripheren sensiblen Nerven); die Verff. weisen auf das ähnliche Verhalten bei der
Tabes hin; allerdings sind aber bei letzterer die Hinterwurzelläsionen gewöhnlich
erheblicher, und im mitgeteilten Falle wäre wiederum die Affektion der Hinter¬
wurzeln auch peripherwärts von den Spinalganglien in Betracht zu ziehen (zwischen
diesen und dem peripheren Nerven). Die Frage, ob die oben erwähnten dünnen
Faserelemente in den Wurzeln und Nerven nicht etwa als Kegenerationsprodukte
aufgefaßt werden könnten, lassen die Verff. offen. Man könnte sich nach ihnen vor¬
stellen, daß beider FriedreichBchen Krankheit, die ja auf der Basis angeborener
Anlage fußt, ein Minus an regenerativer Kraft der trophischen Centra — also
der Zellen — anzunehmen wäre, wodurch die physiologische Degeneration der
Fasern, die von der Peripherie centralwärts fortzuschreiten pflegt, kein Gegen¬
gewicht fände; eine Infektionskrankheit (wie solche auch im mitgeteilten Falle
vorhanden gewesen) könnte die Defektanlago in vielen Fällen erst manifest
werden lassen.
10) Zur Pathologie der Friedreiohsohen Krankheit, von Privatdoz. Dr. Eduard
Müller. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch.
L 23jähriger Landarbeiter, in dessen Familie kein ähnliches Leiden vor¬
gekommen, bemerkte im Alter von 10 Jahren eine Langsamkeit und Einförmigkeit
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der Sprache. Mit 16 Jahren trat Verkrümmung der Wirbelsäule und Unsicher*
heit des Ganges auf, welche sich nach einem Unfall mit dadurch bedingter links¬
seitiger Oberschenkelfraktur wesentlich verschlimmerte. Etwa 2 Jahre später
stellte sich stärkere Ermüdbarkeit der Beine, müßige Unsicherheit der Arme und
leichte Blasenstörung ein. Bei der Aufnahme bemerkt man eine Kyphoskoliose,
rechtsseitigen Hohlfuß und die Folgen des erwähnten Traumas. Die Sprache ist
etwas langsam und eintönig, es besteht gelegentliche Neigung zum Verschlucken,
Fehlen des Rachenreflexes und subjektives Empfinden einer geringen, verminderten,
intellektuellen Leistungsfähigkeit. Grobe Kraft der oberen und unteren Extre¬
mitäten gut, aber etwas unsichere Bewegungen der Arme und statische sowie
lokomotorische Ataxie der Beine. Trotz leichter reflektorischer Hypertonie der
Beine fehlen die Patellar- und Achillessehnenreflexe. Kremaster- und Bauchdecken¬
reflexe lebhaft, beim Streichen der Fußsohlen tritt manchmal eine fast isolierte,
tonische Dorsalflexion der großen Zehen auf. Gang stark unsicher, stampfend
und wegen der Verkürzung des linken Beines humpelnd. Im Gebiet des 7. und
8. Brustsegments links eine umschriebene, fleckförmige, radikuläre Sensibilitäts¬
störung, an den Unterschenkeln und Füßen leichte, mehr subjektiv bemerkte als
objektiv sicher nachweisbare Abstumpfung der Oberflächen- und Tiefenempfindung
mit Ausnahme des Schmerzgefühls. Bemerkenswert ist die zweifellos organische,
fleckförmige Anästhesie, welche sich als radikuläre auf alle Qualitäten der Ober¬
flächenempfindung erstreckte und Bich später gürtelförmig auszudehnen schien.
Wenn auch derartige Wurzel Veränderungen bei der Friedreichseben Krankheit
schon beschrieben wurden, so ist doch die Beschränkung der Funktionsstörung
auf ein bestimmtes Wurzelgebiet recht selten.
II. Dieser Fall ist in seinen Anfangsstadien schon von Gustav Besold
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. V) veröffentlicht. Der Knabe war bis zum
8. Jabre vollkommen gesund und erkrankte im Anschluß an Influenza mit ab¬
normer Ermüdbarkeit, Schwindel und einer allmählich zunehmenden Störung des
Ganges, der tappelnd und wackelnd wurde. Ein Jahr später mäßige Verlang¬
samung der Sprache, Unsicherheit beim Schreiben und bei feineren BeBchäftigungs-
versuchen. Zu dieser Zeit fehlen die Patellar- und Achillessehnenreflexe, die
Psyche ist normal und die Oberflächen- sowie TiefenBensibilität gut erhalten. Im
Alter von 13 Jahren finden sich auch im Gesicht choreaähnlicbe Zuokungen, in
den Extremitäten, hauptsächlich in den Armen, statische und lokomotorische Ataxie
bei fehlenden Sehnenreflexen, Schwanken auch beim Stehen mit offenen Augen,
keine Sensibilitätsstörungen. Im Alter von 17 Jahren wird Zurückbleiben im
Wachstum, langsame, aber gut verständliche Sprache, Zunahme der Ataxie im
Rumpf, Armen und Beinen bemerkt, der Gang ist ohne Unterstützung jetzt un¬
möglich und an den Beinen machen sich unsichere Sensibilitätsstörungen geltend.
Mit 18 Jahren ist die Sprache undeutlicher geworden, besteht Neigung zum Ver¬
schlucken, die statische und lokomotorische Ataxie am Rumpf und an den Extre¬
mitäten ist sehr stark, die Sehnenreflexe in denselben fehlen, während die Bauch¬
decken- und Kremasterreflexe erhalten sind, die taktile Sensibilität und besonders
die der Tiefenempfindung ist an den Armen und Beinen, hauptsächlich an deren
distalen Partien, herabgesetzt. Während des 11jährigen Leidens waren niemals
Störungen der Pupillen, der Blase, auch keine Schmerzen und Parästheeien
vorhanden.
Bei der anatomischen Untersuchung fand sich im Rückenmark neben einer
Zelldegeneration der Clarkeschen Säulen eine ausgesprochene primäre Degeneration
der Gollschen und teilweise auch der Burdachschen Stränge. In den Seiten¬
strängen waren vornehmlich das Gebiet der Pyramidenseitenstrangbahn, angrenzende
Teile des Intermediärbündels und hauptsächlich die Tractus spinocerebellares be¬
teiligt. Es fehlten irgendwelche Veränderungen in Meningen, Gefäßen, Vorder-
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hörnern, Vordersträngen, hinteren und vorderen Wurzeln oder Spinalganglien.
Es fehlte ferner die für dieses Leiden charakteristische Kleinheit und Schmächtig-
keit des Rückenmarkes, woraus entnommen werden kann, daß dieselbe weniger
auf Atrophie, als auf Hypoplasie zurückzufübren ist. Da sich die Sektion auf
die Herausnahme des Rückenmarkes beschränken mußte, so fehlt leider eine Unter¬
suchung des Kleinhirns.
III. 25jähriger Kaufmann, ohne hereditäre Belastung, bemerkt im Alter von
17 Jahren eine allmählich zunehmende Unsicherheit beim Stehen und Gehen,
Drehsuhwindel, Verlangsamung der Sprache sowie eine ataktische Bewegungs¬
störung zuerst des linken und später auch des rechten Armes. Es findet sich
psychisch einfacher Schwachsinn mäßigen Grades und körperlich erhebliche
Kyphoskoliose, monotone, zögernde Sprache, bald mehr athetoide, bald mehr
choreiforme Spontanbewegungen in den Armen bei ständiger Neigung zu Hyper¬
extension der Finger, Fehlen der Achillessehnenreflexe, lebhafte Patellarreflexe
bei deutlicher Hypertonie der Beine, Babinskisches Zehenphänomen, lebhafte
Bauchdecken- und Kremasterreflexe und vor allem eine statische und lokomotorische
Bewegungsstörung in den oberen, vornehmlich aber in den unteren Extremitäten
mit deutlicher cerebellarer Ataxie. Es besteht ferner eine, aber nur geringe
Abstumpfung der Sensibilität, namentlich im Bereich der Tiefenempfindung. Bei
der anatomischen Bearbeitung fand sich eine frische Erkrankung des Rückenmarks
in Form einer mit Leptomeningitis verbundenen akuten hämorrhagischen Ence¬
phalitis bzw. Encephalomyelitis und ferner eine chronische Affektion des Rücken¬
markes in Gestalt einer sogen, primären Erkrankung der Hinter- und Seitenstränge
bei gleichartiger abnormer Kleinheit und Schmächtigkeit der ganzen Medulla
spinal» und mäßiger Hydromyelie der Halsanschwellung. Da sich an den Pia-
gefäßen am Gehirn und Rückenmark Veränderungen feststellen ließen, so faßt
Verf. die disseminierte Encephalitis und die Leptomeningitis als koordinierte
Krankheitserscheinungen auf der gemeinsamen Basis einer eigenartigen primären
Gefäßschädigung des Centralnervensystems auf.
20) Friedreiohsehe Krankheit mit Opticusatrophie, von James Taylor.
(The Neurolog. Society of the United Kingdom 14. Juli 1906.) Ref. nach der
Rev. neur. 1907. Nr. 8 von Kurt Mendel.
Außer den Zeichen der Friedreichschen Krankheit bietet der Kranke eine
doppelseitige Opticusatrophie mit konzentrischer Gesichtsfeldeinengnng und starker
Herabsetzung der Sehschärfe. Psychische Störungen bestehen auch.
21) Übergangsformell zwischen Friedreioh scher Krankheit und Herödo-
ataxie oeröbelleuse (F. Marie), von E. Perrero. (Arch. di Psichiatria,
Neuropatol., Antropol. criminale etc. XXVII. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer.
Der mitgeteilte Fall betrifft ein Mädchen ohne erbliche Belastung, das schon
im 2. Lebensjahr schwankenden Gang und Wackeln des Kopfes zeigte; vorn
6. Jahr an entwickelte sich eine Kyphoskoliose und ein beiderseitiger Pes eqino-
varus. Die Gehfähigkeit verschlechterte sich, die Beine wurden atrophisch. Die
psychischen Fähigkeiten waren ungestört. Der Tod erfolgte im Alter von 24 Jahren.
Die Obduktion ergab eine enorme Atrophie des Hinterhirns und Nachhirns (Cere-
bellum, Pons, Corp. quadrigemina, Teile des Pedunculus), ferner eine Verschmälerung
des Rückenmarkes und Fehlen des hinteren Septums in der Lendenanschwellung.
Mikroskopisch erwies sich die Atrophie als eine einfache, ohne Faserläsionen; sie
betraf nur Teile, die entwickelungsgeschichtlich zusammengehören; für eine kon¬
genitale Störung sprach auch das auffallend kleine Lumen der Art. basilaris, so¬
wie das Fehlen des hinteren Septums und das Auftreten von ektopischer grauer
Substanz im Seitenstrang des DorBalmarkes. Im Rückenmark fand sich aus¬
gesprochene Degeneration des Gowersschen Bündels, der Kleinhirnseitenstrang¬
bahn und des Gollschen und Burdachschen Stranges, ferner eine Verminderung
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der Zellen in den Clarkeschen Säulen. Der Fall zeigte demnach anatomisch
eine Vermischung von Kleinhirn-Oliven-Ponsatrophie mit den degenerativen Pro*
zessen, die der Friedreichschen Ataxie zugrunde liegen; er beweist, daß es
Übergangsformen zwischen dieser letzteren und der P. Marieschen Häredoataxie
gibt und diese keine Krankheit sui generis ist. Die gleichzeitig vorhandene hoch¬
gradige Knochen- und Muskelatrophie erklärt Verf. ebenfalls durch die Annahme
kongenitaler Störungen.
Psychiatrie.
22) Syphilis et parslysie gönörale, par Dr. Etienne Jourdan. (Progree
medical. 1906. Nr. 38.) Ref.: Viktor Lippert (Wiesbaden).
Verf. veröffentlicht zwei Fälle, aus welchen ersichtlich sein soll, welche Wich¬
tigkeit neben der Lues als ätiologischem Momente noch die jeweilige geistige und
Beelische Beschaffenheit des Individuums vor dem Ausbruche des Leidens in der
Pathogenie der Paralyse besitzt, sei es als prädisponierender Schwäche-
zustand bei hereditär Beanlagten (juvenile Paralyse), sei es als funktionelle
Störung, als cerebrale Überreizung infolge des Unterganges und der Dege¬
neration der Rindenzellen nach entzündlicher Reaktion auf luetische Infektion hin.
Die erste Krankengeschichte betrifft einen Mann von phlegmatischem
Temperament, dessen Leben stets in absoluter Ruhe und Sorglosigkeit dahinfloß,
einen Mann der Bureauarbeit, ohne die Möglichkeit einer körperlichen oder
geistigen Überanstrengung, die zweite einen Lebe- und Weltmann, immer in Be¬
wegung und Erregung, immer in Spannung, Sportsman durch und durch, für alles
interessiert, in allem ohne Maß, belesen in Literatur und Wissenschaft.
In den Antezedentien beider findet sich schon jahrelang vorher akquirierte,
behandelte und geheilte Lues; beide verheiratet. Der Beginn der Paralyse war
bei beiden dementsprechend verschieden. Bei dem zweiten trat sie als Neurasthenie,
bald mit ernsten cerebralen Symptomen, welche man auf körperliche und geistige
Überanstrengung bezog, auf, bei dem ersten begann sie mit Muskelschwäche, zu
welcher erst später psychische Symptome hinzutraten; bei dem zweiten Kranken
war der Verlauf ein sehr rascher bis zu völliger Demenz und Tod, bei dem
ersteren blieb das motorische Symptom bis ans Lebensende, während der ganzen
dreijährigen Zeit der Krankheit war keine Demenz zu konstatieren; bei dem
zweiten war Diagnose und damit die Prognose bald und leicht, bei dem ersten
viel später und nicht bo einfach zu stellen, weshalb auoh solche Fälle, wie dieser,
oft nicht als paralytisch erkannt werden, und wenn dies wirklich der Fall ist,
nicht bis an ihr letztes Stadium verfolgt werden, weil sie doch nicht, wie jener,
Bofort nach Ausbruch der ernsteren Symptome interniert werden.
Verf. empfiehlt, sich nicht mit der einfachen Feststellung des ätiologischen
Momentes „Syphilis“ zu begnügen, Bondern in jedem Falle eine möglichst genaue
Feststellung des geistigen und seelischen Zustandes des betreffenden Individuums
vor deutlichem Beginne des Leidens zu versuchen.
23) Die pathologische Anatomie der Paralyse in ihrer Bedeutung für di»
forensisohe und Unfallpraxis, von Prof. E. Meyer. (Ärztl. Sachverst.-
Ztg. 1907. Nr. 7.) Ref.: L. Mann (Mannheim).
Verf. weist in der für weitere ärztliche Kreise bestimmten Arbeit mit Nach¬
druck darauf hin, daß wir aus dem mikroskopisch-anatomischen Bild seit den
Arbeiten von Nissl und Alzheimer in der Lage sind, fast mit Sicherheit eine
Paralyse diagnostizieren zu können. Der Hirnrindenbefund (adventitielle In¬
filtration der Hirnrindengefäße mit Lymphocyten und besonders Plasmazellen) er¬
möglicht auch die in vivo oft so schwierige Abgrenzung gegen Lues cerebrospin.
und Alcoholismus chronicus. Für die forensische Praxis ist diese Kenntnis wichtig,
z. B. bei der Frage der Geschäftsfähigkeit bei Abfassung eines Vertrages, Testa-
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mentes, bei Saioid and dergleichen. Für die Unfallpraxis »t die Kenntnis des
anatomischen Befundes wichtig wegen der Abgrenzung gegen posttraumatische
Demenz und Alkoholismus. Verf. hebt besonders hervor, daß nach seiner Er¬
fahrung bei rein traumatischen Erkrankungen die adventitiolle Infiltration mit
Lymphocyten und besonders Plasmazellen bis jetzt nie beobachtet wurde. Bei
einem vom Verf. angeführten Fall waren die charakteristischen Veränderungen
noch klar nachzuweisen, obwohl die Sektion erst 76 Stunden post mortem erfolgte.
III. Aua den Gesellschaften.
Biologisohe Abteilung des ftrstliohen Vereins in Hamburg.
(Schloß.)
Sitzung vom 7. Uai 1907.
Herr Fahr: Die Trägerin des in Frage stehenden Tumors war eine von
ihrem Ehemann getrennt lebende Frau, die wegen „Kopfkrämpfen“, wie es in
den Akten heißt, schon seit längerer Zeit in gelegentlicher ärztlicher Behandlung
stand und eines Morgens ganz plötzlich starb, nachdem sie kurz vorher zwei mit
Erbrechen einhergehende Krampfanfälle gehabt hatte. Bei diesen letzten Anfallen
ist ein Arzt zugegen gewesen; die zur Besichtigung der Leiche zugezogenen
Kollegen dachten wohl des plötzlichen Todes und Erbrechens wegen an Selbst¬
mord durch Vergiftung und waren in diesem Glauben durch den Umstand bestärkt
worden, daß die Frau in sehr kümmerlichen sozialen Verhältnissen lebte und nach
den Aussagen ihrer Umgebung dauernd von Kopfschmerzen geplagt war. Die
Leiche wurde deshalb ins Hafenkrankenhaus überführt; bei der dort vorgenommenen
Sektion fand sich für eine Vergiftung nicht der leiseste Anhalt, bei der Brust-
und Bauchsektion überhaupt normale Verhältnisse, bei der Kopfsektion dagegen
ein gänseeigroßes von der Dura ausgehendes Endotheliom im Bereioh des linken
Stlrnhirns. Der Tumor ist im anatomischen Sinne gutartig, überall von der Um¬
gebung scharf abgesetzt. Er hat zwar durch Verdrängungserscheinungen eine
tiefe Grnbe im Stirnhirn erzeugt, läßt sich aber aus dieser Grube mühelos heraus¬
heben. Eine Untersuchung auf Stauungspapille ist zu Lebzeiten der Pat. nicht
vorgenommen worden. Anatomisch war keine Stauungspapille festzustellen. Die
weitere Untersuchung des Tumors bestätigte die Diagnose Endotheliom. In dem
2. Falle handelte es sich um ein 18 jähriges Dienstmädchen. Es war an dem
Mädchen ihrer Umgebung nichts aufgefallen, als daß sie die letzten Tage vor
ihrem Tode stiller als sonst und etwas schwermütig war. Über irgendwelche be¬
stimmten Beschwerden klagte sie jedoch nicht und tat ihre Arbeit in gewohnter
Weise bis zu ihrem Tode, den sie selbst herbeiführte, indem sie sich eines Morgens
in ihrer Kammer erhängte. Nachträglich gab die Mutter des Mädchens an, daß
sie als Kind einmal „Krämpfe“ hatte und später zeitweise über ein lähmendes
Gefühl in den Beinen klagte, das aber stets rasch vorüberging und das Mädchen
nie veranlaßte, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei der Sektion fand
sich im Bereich des linken Stirnlappens ein über faustgroßes, offenbar von der
Dura ausgehendes Endotheliom, das unter mächtigen Verdrängungserscheinungen
nach unten und nach der rechten Hemisphäre hinübergewachsen war, der Balken
war dadurch verdrängt und stark deformiert, der linke Seiten Ventrikel in einen
äußerst engen Spalt übergeführt worden. Die Grenze des Tumors ist überall
völlig scharf von der Umgebung abgesetzt, die Nachbarschaft des Tumors ist
absolut reaktionslos. Klinisch war auf Stauungspapille nicht nachgesehen, ana¬
tomisch ließ sich eine solche feststellen, sie war freilich nur geringgradig. Die
Papillen waren mikroskopisch absolut frei von Entzündung, ebenso die Sehnerven¬
scheiden.
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Autoreferat.
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Herr Trömner erörtert die Erklärungsmöglichkeit des verschiedenes Ver¬
laufs durch den verschiedenen Sitz der Tumoren. In einem Falle rein kortikaler
Sitz in der motorischen Region; infolgedessen Krampfanfälle und plötzlicher Exitus,
wohl durch Atemlähmung. Im anderen Falle schien besonders das Mark des Parietal*
lappens und des Balkens betroffen. Balkengeschwülste aber können wesentlich
länger latent bleiben und machen unbestimmtere Symptome. Bezüglich der
Stauungspapille hält T. den mechanischen Druck für ihre Hauptursache, aber
doch nicht für ihre alleinige. Weshalb z. B. Kleinhirntumoren fast stets, Pons¬
tumoren häufig keine, weshalb Myelitis, Polyneuritis und andere extracerebrale
Erkrankungen Stauungsneuritis machen, erkläre die Druckhypothese nicht. T.
selbst habe Stauungsneuritis bei Encephalomalacie beobachtet, wo doch keine
mechanische Erklärung möglich erscheine. In solchen Fällen müßten entzündliche
oder toxische Faktoren wirken. Autoreferat.
Herr Liebrecht: Ich kann den Worten des Herrn Trömner nur zustimmen,
daß von Anfang an die Mehrzahl der Nervenärzte die entzündliche Theorie der
Stauungspapille nicht anerkannt, sondern stets an die Wirksamkeit des erhöhten
Druckes in der Schädelhöhle bei der Entstehung geglaubt hat. Jedoch möchte
ich hier auf einen Mangel hinweisen, der die Beurteilung einschlägiger Fälle in
den nervenärztlichen Publikationen sehr häufig erschwert. In denselben wird
meist „die Stauungspapille“ sehr summarisch abgemacht. Es wechseln die Aus¬
drücke Neuritis intraocularis, Papillitis und Stauungspapille für denselben Fall
promiscue ab. Auch über Sehschärfe und Gesichtsfeld fehlt gewöhnlich eine
genauere Angabe. Bei der hohen, häufig ausschlaggebenden Bedeutung der
Stauungspapille für das Grundleiden halte ich für nötig, sich nicht damit zu
begnügen, Veränderungen an den Papillen festzustellen, sondern es muß in jedem
einzelnen Falle die besondere Art der Erkrankung, Stauungspapille oder Neuritis,
mittels aller zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (subjektive Störungen, Sehschärfe,
Gesichtsfeld, Spiegeluntersuchung, Höhe der Papille) festgestellt werden. In der
Regel ist das möglich. Ist der Gebrauch der diagnostischen Mittel dem Nerven¬
ärzte nicht möglich, so hat er den Augenarzt damit zu betrauen. Ich bin über¬
zeugt, daß in vielen Fällen auf diese Art eine Fehldiagnose verhütet wird und
daß wir über die Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen wie Trepanationen oder
Punktionen gesichertere Erfahrungen sammeln werden. Der von Dr. Fahr ein-
geschlagene Weg zur Ergründung der Herkunft und der Häufigkeit des Vor¬
handenseins entzündungserregender Substanzen beim Gehirntumor scheint mir sehr
richtig. Weitere vergleichende Untersuchungen über den Zustand der Sehnerven,
des ZwischenscheidenraumeB und der Oberfläche des Gehirns in Fällen von Gehirn¬
geschwulst sind noch wünschenswert. Autoreferat.
Herr Trömner: Auch von Ophthalmologen würden Stauungspapille und
Neuritis nicht streng geschieden. Nebenbei erinnert er noch an die seltenen
Fälle, wo sich Stauungspapille noch nach Tumorexstirpation gebildet hatte.
Sitzung vom 4. Juni 1907.
Herr Trömner: Über Abasie. Die von Blocq und Charcot 1888 ge¬
schaffene Lehre von der Abasie erfuhr 1890 durch Binswanger eine Erweiterung
in dem Sinne, daß auch auf Grund neurasthenisch - hypochondrischer Zustände
dysbasiBche Störungen auftreten können. Möbius widersprach dem und wollte,
ähnlich Charcot, die Abasie nur der Hysterie reserviert wissen und bestritt u. a.
auch die Möglichkeit einer organischen Entstehung der AbaBie, wie es Blocq,
wenn nicht festgestellt, so doch vermutet hatte. Seitdem sind die Meinungen
noch geteilt, wenngleich die Mehrzahl sich dem von Binswanger und Ziehen
gegebenen Standpunkte nähert. Auch des Vortr. Erfahrungen rechtfertigen den
Standpunkt, daß Abasie zwar ein meistenteils, aber doch kein exklusiv hysterisches
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Symptom ist. Die Möglichkeit selbst einer organischen Grundlage der Abasie
hält Vortr. aus verschiedenen Gränden aufrecht. A1b klinische Beispiele dafür
führt er an: Dysbasie in der Art einer hysterischen als Anfangssymptom der
Paralysis agitans, kleinschrittig trippelnder Gang als Residuum einer leichten
rechtsseitigen Hemiplegie infolge Gefäßthrombose, und endlich die nicht so seltene
senile Abasie, welche vor allem Petr6n ausführlich studierte und von der Vortr.
im ärztlichen Verein ein Beispiel zeigte. Die vom Vortr. beobachteten Fälle rein
funktioneller Abasie bieten auch sonst Beachtenswertes: 1. Eine hysterische Abasie
nach Typhus im 16. Jahre. Zuerst Delirien, Mutismus, Doppeltsehen, beim Ver¬
such wieder aufzustehen, Abasie mit allgemeiner Hypalgesie und Paralysis agitans-
ähnlichem Tremor des Kopfes und der rechten Schulter und rechtsseitigem Fuß-
klonus; Gang paretisch-ataktisch mit leichter Peroneusparese. Unter Übungstherapie
und Elektrisieren langsame Besserung. 2. Spastische Form hysterischer Abasie,
im 7. Jahre ebenfalls nach Typhus aufgetreten. Spastische Paraparese, haupt¬
sächlich beim Gehen; der Gang breitbeinig, tappend, unter harter Spannung aller
Muskeln. Wechselnder Verlauf; fern vom häuslichen Milieu stets Besserung, durch
Aufregungen und längere Bettruhe stets Verschlimmerung. Eine Zeitlang tetanoide
Anfälle nach Aufregungen. Beimischung von neurasthenischen Hyperästhesien und
Krankheitsbefürchtungen. Der Fall gehört zum Teil zu der Gruppe der Pseudo-
paresis spastica (N o n n e). Auch hier langsame remittierende Besserung. 3. Hysterische
Dysbasie. Im 24. Jahre nach viermonatlicher Laktation hysterische Paraplegie
mit totaler Analgesie, welche bei Wiederkehr der Menses sich allmählich verlor.
12 Jahre später, infolge Ärger und Differenzen mit dem Ehemann, Wiedererkrankung
unter Depression und Steifwerden der Beine beim Gehen, besonders des linken;
trotz verschiedener ärztlicher Behandlung keine Besserung. Deutliche Affekt¬
beeinflußbarkeit, spastische Parese des linken Beines, Behr gering im Liegen, stark
beim Versuch zu gehen; linkes Bein 1 1 / J cm dünner als das rechte, quantitative
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit im Tibialis anticus, Babinskis
Zehenphänomen, aber nur in Seitenlage und von wechselnder Intensität, bald
doppel-, bald nur einseitig. Sonst keine auf organische Spinalerkrankung (multiple
Sklerose oder Lues) hindeutende Symptome. Gemeinsames der drei Fälle: Geringe
oder fehlende Belastung, chronischer Verlauf. Ursache in zwei Fällen Typhus;
zwei Fälle mit neurasthenisch-hypochondrischen Symptomen verbunden. — Aus¬
führliche Publikation in Ziehens Monatsschr. f. Psych. u. Neur.
Herr Hess berichtet über zwei bemerkenswerte Fälle von Abasie, welche in
die Rubrik der auch von Trömner als Unterform zugestandenen Phobien gehören.
In dem ersten Fall, eine 31jährige psychopathisch hereditär belastete Frau be¬
treffend, trat im 6. Monat der zweiten Gravidität eine Parese beider Beine ein,
welche etwa 1 Jahr dauerte und nach kurzer (11—12 maliger) elektrischer Be¬
handlung verging. Im 3. Monat der sechsten Gravidität Recidiv: Erschwerung
des Treppensteigens bis zur vollständigen Abasie, kombiniert mit der Unfähigkeit
auf dem Stuhle sitzen zu können, ohne sich festzuhalten, weil sie zu fallen
fürchtete — Akathisie. Von objektiven Störungen weder solche der Motilität,
Sensibilität, noch der Reflexe nachzuweisen, nur mehrere Male beobachtete
wechselnde Pupillen mit Erweiterung der rechten. Gang kurzschrittig, steif,
automatisch, Augen erdwärts geneigt. Die suggestive Therapie beseitigte die
Akathisie ganz, die Abasie nur vorübergehend. Der zweite Fall betrifft einen
48jährigen, hereditär nicht belasteten Maurer, der seit etwa 2Vs Jahren nicht
über Fließen (Platten) gehen kann ohne Angst und Versagen der Beine. Ob¬
jektiv keine Anomalien, in Rückenlage Motilität und Kraft der Beine gänzlich
intakt. Vielleicht ist diese Abasie durch krankhafte Assoziation, die aus der
Beschäftigung des Plattenlegens entstanden ist, bedingt. Besserung durch
suggestive Übungstherapie, keine Dauerheilung. Autorefenit.
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Herr Boettiger möchte in dem zweiten von Herrn Hess berichteten Falle
lieber von Zwangsvorsteilangen als von Abasie sprechen. Auch die zwei ersten
Beispiele des Herrn Trömner würde er anders diagnostizieren. B. bann sich
überhaupt mit der Ausdehnung des Begriffes Abasiß auf alle möglichen psychi¬
schen oder organischen Zustandsbilder nicht einverstanden erklären, möchte viel¬
mehr ebenso wie Moebius die Bezeichnung Abasie im Sinne der CharcotBohen
Schule reserviert wissen für das seinerzeit so klar und eindeutig herausgehobene
typische hysterische Krankheitsbild, das so schön durch seinen Mangel an ana¬
tomischer und physiologischer Logik und durch die innere Inkonsequenz charak¬
terisiert ist. In der von Herrn Trömner beliebten ausgedehnten Anwendung
des Begriffes Abasie kann er keinen Fortschritt sehen. Schon wenn man die
hypochondrischen Vorstellungen des Nichtgehenkönnens bei der einfachen Hypo¬
chondrie (im Sinne Hitzig-Jollys) mit dem Namen Abasie belegt, so ist nicht
einzusehen, warum man dann nicht auch das Nichtgehen infolge hypochondrisch-
dementer Vorstellungen bzw. Wahnideen bei Dementia praecox und Paranoia
z. B. als Abasie bezeichnen soll. Denn Hypochondrie, Dementia praecox und
hypochondrische Paranoia stehen sich klinisch doch sicherlich näher als diese
Psychosen und die Hysterie. Die hysterischen Abasien sind unmotiviert, die
hypochondrischen usw. jedoch wären motiviert und von der krankhaften Vor¬
stellung aus logisch. Das ist ein prinzipieller Unterschied. Und wenn man
weiter von Abasie spricht, wenn auch organische Krankheiten vorliegen, wenn sich
beide Beine verschieden verhalten, wenn sich Muskelatrophie, Sehnen- und Hant-
reflexVeränderungen, besonders Babinski konstatieren lassen, mit einem Worte,
wenn vielmehr eine, anatomische Diagnose am Platze ist, dann dürfte der Begriff
Abasie sich ins Uferlose ausdehnen, und überhaupt keinen diagnostischen Wert
mehr haben, dann könnte man in den Anfangsstadien fast jeder organischen
Nervenkrankheit, solange die Motilitätsstörungen in Rückenlage noch wenig oder
gar nicht hervortreten, von Abasie sprechen. B. stimmt Herrn Trömner darin
bei, daß eine Abasie, und zwar eine hysterische Abasie, verschiedene Charaktere
zeigen kann; sie kann paretisch, ataktisch oder spastisch auftreten. Die Hysterie
ahmt ja bekanntlich so ziemlich jedes Krankheitsbild nach. Eine hysterische
Abasie ist aber nicht paralytisch oder spastisch usw., sondern sie täuscht die
Paralyse, die Spasmen ubw. nur vor'und es ist Aufgabe der Diagnose, nachzu¬
weisen, ob jeweils eine organische Parese, spastische Parese, ataktische Parese
bzw. Paralyse usw. vorliegt, oder eine Hysterie, die diese verschiedenen Formen
der Abasie simuliert. B. ist der Ansicht, daß nur in diesem Sinne die Diagnose
Abasie berechtigt ist. Autoreferat.
Herr Nonne hält die Einteilung des Symptomenbildes Abasie in organische
und hysterische für durchaus berechtigt und der Praxis entsprechend. Anderer¬
seits glaubt er, daß man die Störung der Qehfähigkeit bei Psychosen und bei
den Zv/angszuständen nicht zur Abasie rechnen solle, da sie symptomatologisch
sich anders darstellen. Besonders häufig ist das Bild der Abasie bei Greisen und
Arteriosklerotikern, und bietet hier eine schlechte Prognose. N. berichtet über
einen Fall von akut entstandener Abasie bei einem 75 jährigen Herrn, der bis da¬
hin körperlioh und geistig rüstig gewesen war. Nach den Erscheinungen eines
leichten Insults bildete sich akut das Bild der „Abasie trepidante“ aus. Im
übrigen war durchaus keine Anomalie auf psychischem und somatischem Gebiete
zu konstatieren. Plötzlicher Exitus nach 14 Tagen. Bei der Sektion zeigte sich
ein in Rückbildung begriffenes, ausgedehntes, flaches Hämatom der Dura mater
auf der Basis einer Pachymeningitis haemorrhagica. Die hysterischen Abasie¬
formen sind prognostisch außerordentlich günstig, vorausgesetzt, daß Bie gleich
diagnostisch festgestellt und sofort mit energischer Psychotherapie angefaßt werden.
Diese Fälle sind in der Praxis häufig und betreffen ganz vorwiegend Kinder.
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Meistens handelt es Bich um verzärtelte Kinder in reichem Milieu. Auch nach
Traumen, speziell Rückentraumen kommen bei Kindern derartige Fälle nicht ganz
selten vor. N. konnte alle Fälle prompt heilen. Auffallend ist die fast aus¬
nahmslose Monosymptomatik dieser Abasien. Während die paralytischen, spasti¬
schen und ataktischen Formen der Abasie bekannt sind, ist die „cerebellare
Form“ der Abasie offenbar selten. N. sah bisher nur einen einzigen derartigen
Fall: Es handelte sich um einen Knaben, der im Anschluß an eine eitrige Otitis
media über Kopfschmerzen klagte und bei jedem Versuche 'zu stehen und zu
gehen taumelte wie ein Kleinhirnkranker. Die Trepanation war bereits beschlossen,
als N. den Kranken sah. Der Diagnose „Hysterieabasie“ folgte sofortige Psycho¬
therapie mit dem Erfolg, daß der Kranke am nächsten Tage normal ging.
(Dauerheilung.)
Herr Saenger schließt sich in der Auffassung der Abasien Hrn. Trömner an.
Am häufigsten beobachtet man die hysterische Abasie, besonders im Kindesalter.
Es gibt aber entschieden auch echte Abasien bei neurasthenischen und hypochon-
drisohen Zuständen. Das Symptom der Angst unterscheidet diese in sehr wesent¬
licher Weise von der rein hysterischen Abasie. Binswanger hat das Verdienst,
zuerst mit Nachdruck auf diese Art der Abasie aufmerksam gemacht zu haben.
Aber auch bei organischen Hirnaffektionen hat S. den Symptomenkomplex der
reinen Abasie auftreten sehen, so in einem Fall von Hämatom der Dura mater
und bei einem doppelseitigen Tumor des Stirnhirns. Endlich kommt im Greisen-
alter gar nicht selten die trepidante Form der Abasie vor. Erst kürzlich sah S.
einen solchen Fall, bei dem er zuerst an eine beginnende Paralysis agitans sine
agitatione dachte, ln diesem Falle konnte eine Verkalkung der Arterien der
Unterschenkel und Füße nachgewiesen werden, ohne daß es zu dem Symptom des
intermittierenden Hinkens gekommen war. Autoreferat.
Herr Boettiger: Wenn Herr Saenger in dem von ihm angeführten Falle
erst Abasie diagnostiziert, dann bei der Sektion einen Stirnhirntumor konstatiert
und daraus den Schluß zieht, daß somit auch beim Hirntumor Abasie vorkomme,
so kann ihm B. in. dieser Gedankenreihe nicht folgen. B. würde sich in solchem
Falle eingestehen, daß die Abasiediagnose ein Irrtum gewesen war. Die Er¬
fahrungen des Herrn Nonne über die ausgesprochene gute Prognose der Abasie*
möchte B. durchaus bestätigen. Bezüglich der senilen Gehstörungen gibt B. zu
bedenken, ob es nicht auch in diesen Fällen bei unseren jetzigen anatomischen
Kenntnissen dieser Zustände zweckmäßiger ist, über die Diagnose Abasie hinaus¬
zugehen und lieber von arteriosklerotischen Ernährungsstörungen im Rückenmark
zu sprechen. Autoreferat.
Herr Hess hat sich in den Meinungsstreit, ob der Abasie als Symptomen¬
komplex eine selbständige Berechtigung der Benennung zukommt, oder nicht, ab-
sichtlich nicht eingemischt, weil die Meinungen darüber bisher geteilt waren,
und er nur durch Mitteilungen in zwei Fällen zur Erweiterung des Symptomen-
komplexes beitragen wollte. Herrn Boettiger gegenüber bemerkt er aber, daß
dieser im Irrtum ist, wenn er Eulenburg und Ziehen zu den Anhängern der
nur hysterischen Abasie rechnet. Letzterer unterscheidet in Eulenburg Real. Encykl.
4 Formen (die hysterische, hypochondrische, affektive und die als Zwangs¬
vorstellung), die auch in einander übergehen können. Hess stimmt allerdings
Trömner darin nicht bei, von Abasie bei organischen Formen zu sprechen,
wenn bei ihnen die conditio sine qua non nicht erfüllt ist, wenn also (wie es
in einigen Fällen Trömners schien) in der Ruhelage, wenn auch geringe, Moti¬
litätsstörungen vorhanden sind. Die Prognose anlangend, mag diese bei jugend¬
lichen Individuen, wie sie Nonne gesehen, besser sein, dagegen war sie bei den
zwei Erwachsenen in bezug auf Rezidive schlecht. Autoreferat.
Herr Trömner (Schlußwort): Wie die Mehrzahl der Hamburger Neurologen,
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so stehe auch die Mehrzahl der anderen deutschen Autoren nicht mehr auf dem
exklusiven Charcot-MöbiusBchen Standpunkt. Abasie sei ein Symptom bzw.
Syndrom von bestimmtem Charakter, ein durch verschiedene (im Vortrag be¬
sprochene) Eigentümlichkeiten charakterisiertes Gehunvermögen, welches stets zu
erkennen und von allen ataktischen Gehstörungen durchaus zu trennen sei. Daß
die Abasie nicht pathognostisch für Hysterie sei, lehren doch zahlreiche seit 1888
gemachte Erfahrungen, wenn auch die derben, „massiven“ Formen fast immer
hysterisch sind. Man dürfe Erfahrungen nicht aus dogmatischen Gründen ablehnen.
Der günstigere Verlauf von Herrn Nonnes Fällen liege wohl darin, daß es Kinder
waren und event. noch nicht so multipel, und z. T. auf Grund falscher Diagnose
behandelt seien wie T.’s Fälle. Der Babinski sei in T.’s Falle wechselnd, aber
doch deutlich gewesen. Herrn Hess’ einer Fall ähnele sehr einem von T.’s
Fällen, den anderen halte auch T. für eine Abasie auf Grund von Zwangs¬
vorstellung. Autoreferat.
Herr Eichelberg: Mortalitfttsstatistik und die Behandlung des Delirium
tremens im EppendorferKrankenhause (Abteilung Dr. Nonne). In den Jahren
1886 bis 1906 sind 1574 Fälle zur Behandlung gekommen, davon 1043 un¬
komplizierte und 531 komplizierte. Gestprben sind 39 = 2,4 °/ 0 , und zwar 1 °/ 0
unkompliziert und l,4°/ 0 komplizierte. Außerdem sind 173 Fälle von Delirium
tremens verbunden mit Pneumonie beobachtet; davon sind gestorben 58 = 33°/ ß .
Als Behandlung wird empfohlen sofortige Entziehung des Alkohols,
Unterbringung im gemeinsamen Wachsaale, Stärkung der Herzkraft,
Vermeidung von Schlafmitteln und hydrotherapeutische Maßnahmen;
nur am dritten Tage Gaben von 2—4 g Chloralformamid. Gegen den Durst wird
als Getränk gegeben: Extr. oxycocci 50,0 Syr. simpl. 200,0 Aq. commun. 5000,0.
Nur bei Delirium verbunden mit Pneumonie wird Alkohol gegeben und
außerdem sofort Digitalis. (Vergleich dieser Statistik und der von Ganser-
Dresden in der Münch, med. Woch. 1907 veröffentlichten Statistik.) Autoreferat.
Sitzung vom 18. Juni 1906.
Herr Campbell demonstriert ein Gehirn mit doppelseitiger gummöser
* Erkrankung der Nuolei caudati. (Aus der inneren Abteilung des Altonaer
Krankenhauses. Prof. Umber). Außer den beiden Herden in den Nuclei caudati
fand sich noch ein kleiner Gummaknoten unter der linken dritten Stimwindung,
ein anderer rechts unter der vorderen Kommissur, einer links zwischen Thalamus
und Gyrus hippocampi, ein auf den Vierhügeln anfsitzender, ein erbsengroßer
in der Brücke und einer an der AuBtrittsstelle des N. oculomotoriuB. Andere
Herde wurden im Gehirn nicht gefunden. Die Meningen waren in der Nachbar¬
schaft verdickt, zeigten kleinzellige Infiltration, fibrinöse Exsudation. Im centralen
nekrotischen Teil der Gummata fanden sich z. T. noch Blut führende Gefäße. Die
Gefäße in der Peripherie zeigten kleinzellige Infiltration in der Adventitia, stellen¬
weise auch in der Intima. Außerdem fanden sich bei der Sektion Gummata in
der einen Niere, luetische Atrophie eines Hodens, eine luetische Narbe in der
Trachea und eine mit dem Knochen verwachsene Narbe auf dem Kopf. Die
schwerste Veränderung am Gehirn war die doppelseitige Erkrankung der Nuclei
caudati. Diese beiden Herde waren die größten. Die centrale Nekrose war hier
am weitesten fortgeschritten. Nach vorn erstreckte sich die Erkrankung nicht
über den Kopf der nuclei caudati hinaus, dagegen war der vordere Teil des
Putamen mitergriffen. Vortr. referiert hierauf kurz, was über Anatomie und Funk¬
tion der Nuclei caudati bekannt ist: seine Bedeutung als thermisches Centrum
(Sachs und Aronsohn), seine Beziehungen zu BewegungsVorgängen (Magendie,
Nothnagel, Edinger), zur Körper- und Kopfhaltung (Munk, Probst). Ein
Fall von doppelseitiger Erkrankung der Nuclei caudati ist von Hutchinson be-
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schrieben worden. Er bot viel Ähnlichkeit mit dem demonstrierten. Letzterer
war ein 22jähriger Tierwärter. Er litt als Kind an Driisenschwellungen, bekam
darauf ein Geschwür auf dem Kopfe und eine Hodenentzündung. Ziemlich
akuter Beginn des Gehirnleidens Oktober 1906 mit psychischen Störungen vom
Charakter der einfach dementen Form der Dementia präcox. Während der ganzen
Krankheit auffallend niedrige Temperaturen, im Rectum zwischen 35 bis 36, bis¬
weilen unter 36. Normale Tagesschwankungen. Kurz vor dem Tode Fieber,
durch eine Bronchopneumonie bedingt. Extremitäten kalt und cyanotisch. Anfangs
dabei guter Ernährungszustand, später starke Abmagerung. Eigentümliches moto¬
risches Verhalten. Atonie der gesamten Muskulatur, äußerst spärliche spontane
Bewegungen, stark taumelnder Gang, alle Bewegungen sehr ungeschickt, bei
komplizierten Aufträgen apraktisch. Agraphie. Leichte artikulatorische und
amnestische Sparchstörungen. Eigentümliche Körperhaltung: Kopf auf die Brust,
Oberschenkel an den Leib. Diese Stellung war jedoch leicht passiv zu verändern.
Kurz vor dem Tode Opistotonus und Nackenstarre. Keine Hirndruckerscheinungen.
Reflexe alle normal. Schmerzempfindung intakt, anscheinend auch die Berührungs¬
empfindung. Vorübergehend rechtsseitige Facialisparese und rechts stärker aus¬
gesprochene apraktische Störungen. Kurz vor dem Tode eine Lähmung des linken
Oculomotorius. Keine Besserung durch Jodkali. Als Symptome der Erkrankung
der nuclei caudati sind nach den bisherigen Erfahrungen wahrscheinlich zu deuten
die Störung der Temperatur, der Motilität und der Körperhaltung. Der Fall
bestätigt auch wieder die Erfahrung, daß die Erkrankung der Nuclei caudati
keine Lähmung verursacht und daß die Reflexe, die Schmerzempfindung, an¬
scheinend auch die Berührungsempfindung intakt bleiben. Autoreferat.
Herr Boettiger möchte weniger vorsichtig sein als der Vortr. in der Be¬
ziehung der psychischen Symptome auf die Erkrankung der Streifenhügel in dem
vorliegenden Falle. Es liegen in der Literatur mehrfach Fälle vor, in denen
bei doppelseitiger Erkrankung, besonders Tumoren oder Erweichungen der
großen Basalganglien, schwere Erscheinungen von Demenz auftraten. B. hat selbst
vor 15—16 Jahren als Assistent bei Hitzig auf seiner Abteilung einen Patienten
beobachtet, der ganz das Bild der Dementia paralytica darbot, nur fehlten Pupillen¬
störungen, Sprachstörungen und in der Anamnese die Lues. Hingegen traten
ataktische Störungen hervor. Bei der Sektion fanden sich in den Thalamis
opticis symmetrisch gelegen je ein kirschengroßes Sarkom mit erweichter Um¬
gebung, sonst nichts. B. hält es durchaus für möglich, daß diese symmetrischen
Tumoren das psychische Krankheitsbild verursacht haben. Äutoreferat.
Herr Trömner ist der Meinung, daß die bis jetzt vorliegenden Erfahrungen
nicht erlauben, eine beobachtete Demenz auf Läsion der Stammganglien des Gehirns
zu beziehen. Im Gegenteil ist die menschliche Hirnphysiologie geneigt, im Streifen¬
hügel ein Organ von rudimentärer Bedeutung zu sehen, so groß auch die Rolle
ist, welche er u. a. noch im Gehirn der Vögel spielt, z. B. bleibt das Sprechen
der Papageien nach Abtragung der Rinde erhalten, schwindet dagegen nach Zer¬
störung der basalen Ganglien; als Folgen von Streifenhügelverletzungen beim
Menschen sind bis jetzt nur thermische und motorische Störungen beobachtet
(Gehen und Stehen, Atmung, Blase), und auch diese werden vom größten Teil der
Autoren auf Nebenverletzungen oder Nebenwirkungen auf die innere Kapsel
zurückgeführt. Vor allem die im vorliegenden, ebenso interessanten als kompli¬
zierten, Falle bestehende allgemeine Demenz muß auf eine diffuse Rindenerkrankung,
entweder im Sinne einer Dementia paralytica oder einer anderen diffusen oder
herdförmigen Rindendegeneration, bezogen werden. T. befragt darüber den
Vortr.. ob die Rinde mikroskopisch untersucht wäre und mit welchem Resultat.
Auch das vom Vortr. geschilderte Verhalten des Kranken spräche eher für eine
Dementia paralytica als für Dementia praecox. Durch die Demenz würde auch
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die Inkontinentin urinae hinlänglich erklärt werden. Allerdings ist auch bei
isolierter Erweichung des Nuclens caudatus Inkontinenz beobachtet worden; z. B.
von Marburg. Mitunter gelingt es, aus der Art der motorischen Störungen die
Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer Streifenhügelerweichung zu stellen. So in einem
von T. beobachteten Falle, wo sich bei einem Arteriosklerotiker, der wegen
Arthritis bettlägrig war, eine Paraparese der Beine entwickelt hatte, akut, aber
ohne Bewußtseinstrübung und ohne psychische Störung. Die Wahrscheinlichkeits-
DiagnoBe (Erweichung im Streifenhügel) wurde durch die Autopsie bestätigt.
Natürlich sind solche Diagnosen immer nur Wahrscheinlichkeitstreffer! Autoreferat.
Herr Boettiger fand in seinem Falle die Rinde makroskopisch normal,
ebenso die Meningen. Bei der heute noch bestehenden großen Unkenntnis der
Physiologie der basalen Ganglien dürfte es ungerechtfertigt sein, a limine die Möglich»
lichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen doppelseitigen Erkrankungen
derselben und dem klinischen Bilde der fortschreitenden Demenz von der Hand
zu weisen. Weitere Beobachtungen werden erst Klarheit bringen können.
Herrn Boettiger erwidert T., daß das Fehlen makroskopisch sichtbarer
Rindenveränderungen nicht gegen das Bestehen einer kortikalen Demenz spricht
und daß sich Intelligenzstörungen durch Streifenhügelverletzurg auch hirnanatomisch
nicht verständlich machen ließen.
Herr Saenger möchte davor warnen, so weitgehende Schlußfolgerungen auf
Grund des vorgetragenen Falles zu ziehen, da die Affektion der Nuclei caudati
nicht isoliert, sondern durch zu viele andere pathologische Substrate kompliziert
war. S. ist auoh der Ansicht, daß die Intelligenzstörung nicht ohne weiteres auf
die Affektion der Nuclei caudati bezogen werden könne, zumal bei der cerebralen
Lues eine vorhandene Demenz den klinischen Ausdruck der diffusen Erkrankung
darstellt, bei der in erster Linie, wie Herr Trömner schon hervorgehoben hat,
das Verhalten der Hirnrinde festgestellt werden muß. S. hat in einem Falle von
einseitiger isolierter Affektion des Nucleus caudatus erhöhte Temperatur der gegen»
überliegenden Seite und namentlich ein auffälliges kleinschlägiges Zittern der
oberen und unteren Extremitäten beobachtet. Vielleicht sind die Temperatur¬
störungen im Gampbellschen Falle auf die in Rede stehende Affektion zu be¬
ziehen. Autoreferat.
Herr Campbell: Es wurde ein Stück Hirnrinde in der Nähe eines Gumma¬
knotens untersucht. Mit den angewandten Methoden waren hier keine schwereren
Veränderungen nachzuweisen.
Sitzung von 25. Juni 1907.
Herr Trömner demonstriert einen Fall von Poliomyelitis naoh Vakzination.
Kind gesunder Eltern im 12. Lebensmonat im August 1906 auf beiden Armen
geimpft, am zweiten Tage danach Übelbefinden, am dritten Somnolenz, allgemeines
Zittern, Hitze (auf Fieber wurde nicht gemessen), am vierten Tage Lähmung des
linken Armes, Parese der anderen Glieder; allmähliche Besserung bis auf schlaffe
Lähmung der linken Schulter und des Ellenbogens und geringe Parese des rechten
Beines, welches Atrophie um 1 cm und Reflexherabsetzung zeigt; also gekreuzte Läh¬
mung. Ein ätiologischer Zusammenhang zwischen Poliomyelitis und Vakzination wäre
denkbar, da erstere als von den Gefäßen ausgehende toxische Myelitis anzusehen
iBt und letzere ein organisiertes Virus in den Körper einführt, ist aber als un¬
wahrscheinlich abzulehnen, da die Prodrome der Poliomyelitis schon am 3. Tage post
vaccin. auftraten, die Propagation der Vakzine durch den Körper aber erst nach
6 bis 8 Tagen erfolgt. Ähnliche Fälle nur von Duchenne und Z a p p e r t.
Auch letzterer nimmt Zufallskoincidenz an. Ein Hauptmoment sieht T. in der
Augusthitze. Autoreferat.
Herr Sänger demonstriert eine 44jährige Malersfrau, die nach einer heftigen
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psychischen Erregung vor 3 Jahren erkrankt ist. Es stellte sich eine zunehmende
Vergeßlichkeit und in letzter Zeit eine Abnahme des Sehvermögens ein. Patientin
litt Behr viel unter Kopfschmerzen, die zeitweilig sehr heftig exacerbierten. Früher
stets gesund. Hereditär keine Belastung. Die Untersuchung ergab das Vor¬
handensein einer Stenose und Insuffizienz der Aorta mit Erweiterung des Aorten¬
bogens. Am Perimeter konnte ein Gesichtsfeld nicht mehr aufgenommen werden,
dagegen war mittels größerer Papierstreifen nachzuweisen, daß links eine temporale
Hemianopsie und rechts eine absolute Amaurose bestand. Die rechte Pupille war
auf direkten Lichteinfall starr; die linke reagierte deutlich auf Licht. Der rechte
Optikus war ganz atrophisch; links war eine Neuritis optica vorhanden. Die
Bewegung der Bulbi, Gehör, Geruch und Geschmack waren normal. Es bestanden
weder Sensibilitäts- noch Motilitätsstörungen. Die Sehnen- und Hautreflexe waren
in Ordnung. Es bestand weder Ataxie noch Rombergsches Phänomen. Beim
Gehen gab die heute ganz erblindete Patientin an, ein taumeliges Gefühl zu haben.
Obwohl kein Zeichen von Akromegalie vorhanden war, wurde die Diagnose auf
einen Tumor der Hypophysis gestellt. Durch die von Herrn Prof. Albers-
Schönberg vorgenommene Röntgen-Untersuchung wurde die Diagnose bestätigt.
An den herumgereichten Röntgen-Platten konnte die pathologisch hochgradig er¬
weiterte Sella turcica im Vergleiche zu einer normalen leicht erkannt werden.
Vortr. zeigte dann das Präparat und die Abbildung eines Hypophysistumors von
einem Fall, der vor kurzer Zeit ira Allgemeinen Krankenhause St. Georg auf der
Abteilung des Herrn Dr. Jollasse zur Beobachtung gekommen war. Es handelte
sich um einen 28jährigen Boten, welcher im Mai 1906 mit Kopfschmerzen und
allmählicher Erblindung des rechten Auges erkrankt war. Aus der temporalen
Hemianopsie konnte die zutreffende Diagnose gestellt werden. Wegen des Sopors
des Pat. konnte keine Röntgenaufnahme gemacht werden. In beiden Fällen waren
keine Symptome von Akromegalie vorhanden. Vortr. stellte dann noch ein
17jähriges Mädchen vor, welches am 12. Juni d. J. wegen Genitalblutungen ins
Krankenhaus gekommen, die sich jedesmal nach körperlichen Anstrengungen ein¬
gestellt hatten. Sonst hatte das Mädchen über nichts zu klagen. Bei der Unter¬
suchung desselben stellte sich nun heraus, daß die rechte Pupille beträchtlich viel
weiter als die linke war. Beide Pupillen waren absolut starr. Der Augenhinter¬
grund war normal bis auf eine Stelle im linken Auge. Daselbst befand sich eine
erweiterte Retinalvene, die mit weißen Rändern umgeben war. Die Untersuchung
deB Nervensystems ergab Fehlen der Achillessehnenreflexe und ein ganz auffallendes
Herabgesetztsein der Patellarreflexe. Im übrigen konstatierte man bei der Patientin
ein beträchtliches körperliches und geistiges Zurückgebliebensein. Sie ist 17 Jahre
und entspricht in Größe und Wesen einem 11jährigen Mädchen. Sie hat exquisit
HutchinBonsche meißelförmige Zähne. Anamnestisch ist zu bemerken, daß die
Mutter der Patientin zweimal totfaule Kinder zur Welt gebracht hat. Wir haben
somit mit aller Wahrscheinlichkeit ein hereditär luetisches Mädchen vor uns,
bei dem sich Symptome einer beginnenden Tabes oder eventuell Tabo-
paralyse finden. Autoreferat.
Nonne (Hamburg).
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur
vom 1. März bis 30. April 1907.
(Die als Originalia in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch
einmal angeführt.)
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Entlassung geisteskranker Rechtsbrecher. Allgem. Zeitschr. f. Psych. LXIV. Heft 1. —
Nolte, Unterbringung geisteskr. Verbrecher. Zeitschr. f. Medizin. Nr. 7. — Therapie der
Geisteskrankheiten: White, Treatment of incip. insanity. Brit. med. Journ. Nr. 2410.
— Friedländer, A. f Schwebebänder in Dauerbädern. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 52. —
Fischer, Max, Anstalt Wiesloch. Psych.-neur. Wochenschr. IX. Nr. 2.
VII. Therapie. Goldscheider, Begriff der Zweckmäßigkeit. Berliner klin. Wochen¬
schrift. Nr. 16. — Kohn (Prag), Pyramidon und Morphium. Prager med. Wochenschrift.
Nr. 18. — ivezii, Bornyval. Medizin. Blätter. Nr. 13. — Hey, Bornyval. Wiener klin.
Rundschau. Nr. 13. — Runck, Bromural. Münchener med. Wochenschr. Nr. 15. — Vei-
lesen, Phosphorsaures Natrium. Norsk. Mag. f. Laegevid. Nr. 4. — Joulia, Rhumat. chron.
et ölectrother. Progr. mdd. Nr. 14. — Rockwell, Phototherapy in nerv. dis. Nr. 1898. —
Strasser, Physikalische Therapie. Med. Klinik. Nr. 15. — Bernhardt, M., Electrotherapie.
Zeitschr. f. ärztl. Fortbild. Nr. 8. — Bendersky, Massage unter Wasser. Wiener med. Presse.
Nr. 12. — v. Auffenberg, Nervennaht und Nervenlösung. Archiv f. klin. Chirurg. LXXXII.
Heft 8 . — Monzardo, Sehnenüberpflanzungen. Rif. med. Nr. 11 . — Wille, Wert und Ge¬
fahren der Hypnose. Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin. LVHI. Heft 2.
V. Vermischtes.
Für den vom 2. bis 7. September d. J. in Amsterdam tagenden Internationalen
Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Krankenverpflegung
sind folgende den Psychiater und Neurologen besonders interessierende Referate bzw. Vor¬
träge angemeldet: 1. Neueste Theorien über den Ursprung der Hysterie. Referenten: Prof.
Pierre Janet (Paris), Prof. G. Aschaffenburg (Köln a/Rh.), Priv.-Doz. Dr. Karl Jung
(Zürich), Dr. G. Jelgersma (Leiden). — 2. Chronische Alkoholpsychosen mit Ausnahme der
reinen Demenzformen. Referenten: Dr. F. W. Mott (London), Priv.-Doz. Dr. P. Schroeder
(Breslau). — 3. Aphasie, Asymbolie und Apraxie. Referenten: Prof. Arnold Pick (Prag),
Prof. C. v. Monakow (Zürich), Prof. H. Liepmann (Berlin), Prof. F. Hartmann (Graz).
— 4. Differentielle Diagnose zwischen Dementia paralytica und anderen Formen erworbener
Demenz. Referent: Prof. E. Duprö (Paris). — 5 Heutiger Stand der anatomischen Gliederung
des Cortex cerebri. Referent: Dr. Oskar Vogt (Berlin). — 6. Herderscheinungen bei
E uiner Epilepsie. Referent: Prof. O. Binswanger (Jena). — 7. Der Ijabyrinthtonus.
erenten: Prof. R. Ewald (Straßburg), Dr. C. Winkler (Amsterdam). — 8. Der Cerebellar¬
tonus. Referenten: Dr. M. Probst (Wien), Dr. G. van Rijnberk (Rom). — 9. Sekundär¬
kontrakturen bei der Hemiplegie. Referent: Priv.-Doz. Dr. L. Mann (Breslau).
Programm für die Plenarsitzungen: Prof. F. Raymond (Paris): Les Psycho-
növroses. — Geh. Med.-Rat Th. Ziehen (Berlin): Methoden der IntelUgenzprüfung. — Prof.
Arn. Pick (Prag): Die umschriebene senile Hirnatrophie als Gegenstand klinischer und ana¬
tomischer Forschung. — Prof. A. van Gehuchten (Louvain): Le möcanisme des mouve-
ments reflexes. — Prof. V.M.Bechterew (St Petersburg): Recherches objectives sur factivite
psychique. — Dr. W. H. Gaskell (Cambridge): On the evolution of the vertebrate central
nervous System.
VI. Personalien.
Unser sehr verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Vogt (Langenhagen) übernimmt am 1. Ok¬
tober d. J. die Leitung der hirnpathologischen Abteilung des neuen Senckenbergiscben
neurologischen Institutes zu Frankfurt a/M.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen iür die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Veit & Comp, in Ijeipzig. — Druck von Mktzgkh & Wrmo in Leipzig.
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Neurologisches Centralbutt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet Ton Profi E. MendeL
. Heraasgegeben
ron
Dr. Kurt Mendel.
Sechsundiwaniigster Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 1. September. Nr. 17.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Über den Eintritt der Sehbahn in die Hinrinde
des Menschen, von Dr. med. et phil. Erwin Niessl v. Mayendorf. 2. Ein Fall von links¬
seitiger Apraxie und Agraphie, von Dr. Otto Maas. 3. Das Vorkommen von Wadenkrämpfen
im orientalischen Gebiete in alter und neuer Zeit. Mediko-historische und folkloristische
Studie. Von Medizinalrat Dr. P. Nicke in Hubertusburg.
II. Referate. Anatomie. 1. Anatomie du syst&me nerveux de Thomme, par van Ge¬
buchten. — Physiologie. 2. La funzione corticale della visione, per Rossi. — Patho¬
logische Anatomie. 3. Ein Fall von Mikrocephalus und Encephalocele mit chemischer
Untersuchung der Cerebrospinalflössigkeit, von Kutscher und Rielinder. — Pathologie
des Nervensystems. 4. Miners nyst&gmus, by Reid. 5. Beitrag zur pathologischen
Anatomie der multiplen Sklerose, von Schob. 6. fitude clinique et anatomo-pathologique
d’un cas de scldrose en plaques, par Raymond et Guivara. 7. Cerebrospinale Herdsklerose
mit selten hochgradiger Affektion des Rückenmarkes, von Nambu. 8. Sclörose en plaques
et Syphilis, par Catöla. 9. Prämonitorische Symptome der multiplen Sklerose, von Mackin¬
tosh. 10 . Nagra former af atypisk multipel skleros, samt om bukreflexern as diagnostika
betvdelse, af Rodhe. 11 . Paraplögie spasmodique; troubles cöröbraux; sclörose en plaques
probable, par Petit et Veillard. 12. Über akut verlaufende multiple Sklerose, von Wegelin.
13. Zur forensischen Bedeutung der multiplen Sklerose, von Raecke. 14. Etüde des reactions
m£ning£es dans nn cas de syphilis heröaitaire, par Ravaut et Darrt. 15. Über Lympho-
cytose der Cerebrospinalflüssigkeit bei kongenitaler Syphilis und ihre diagnostische Bedeu¬
tung. von Tobler. 16. Untersuchungen des Nervensystems Syphilitischer, von Meyer.
17. Über nervöse Initialsymptome der Syphilis, von Buttino. 18. Hysterische Erscheinungen
im sekundären Stadium der Syphilis, von Zerner. 19. Cerebral syphilis in childhood, by
Fairbanks. 20. Über den Korsakowschen Symptomenkomplex bei Hirnlues, von Roemheld.
21. Über paralysenähnliche Krankheitsbilder, von Finckh. 22. Beitrag zum klinischen und
anatomischen Bild der Lues cerebrospinalis, von Tledemann und Nambu. 23. Sur les diffi-
cultes du diagnostic entre le mal de Pott sans signes rachidiens, la tuberculose de la
moölle, la myelite simple des tuberculeux et certaines mydlites syphilitiques, par Alquier.
24. Syphilitische Sensibilitätsstörungen am Rumpfe, von Knapp. 25. Luetische Brown-
Sdquara-Lähmung, von Pändy. 26. Die syphilitische Spinalparalyse (Erb), von Wimmer.
27. Über die syphilitische Erkrankung der Extremitätengefäße, von Belkowskl. 28. Erfah¬
rungen über die Behandlung von Störungen des Nervensystems auf syphilitischer Grund¬
lage,. von Harttung und Foerster. 29. Neuere Ersatzmittel des Jodkalium, von Reuter.
30. Über den Wert neuerer Jodpräparate gegenüber den früher benutzten Jodalkalien, von
Hager. 31. Über Jodipin und ßeine Anwendung bei cerebrospinaler Lues, von Korolkow.
— Psychiatrie, 32. Progressive Paralyse und Syphilis, von Ria. 38. La reaction des
anticorps syphilitiques dans la paralysie generale et le tabes, par Marie et Levaditi. 34. Über
den Nachweis syphilitischer Antikörper im Liquor cerebrospinalis von Paralytikern nach
dem Wassermann-Plautschen Verfahren der Komplementablenkung, von Morgenroth und
Stertz. 35. Zur klinischen Verwertung der Serumdiagnostik bei Lues, von Wassermann und
Meyer. 36. Die Paralyse im Kanton Luzern während des Zeitraumes von 1873 bis 1900,
von Elmiger. 37. Klinisch-anatomische Beiträge zur Kenntnis der progressiven Paralyse
und der Lues cerebro-spinalis, mit besonderer Berücksichtigung der Rückenmarks Verände¬
rungen, von Mayer. 38. Das Verhalten der Fibrillen bei progressiver Paralyse > von Moriyasu.
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39. Beitrag zur Paralysefrage, von Stramky. 40. £tude statistique sur les formes clioiques
de la paralysie gönörale, par Sdrieux et Ducosti. 41. Les symptönles oeulaires de la para¬
lysie gendrale, par Rodlet, Dubols et Pansier. 42. Valeur diagnostique des troubles oeulaires
dass la paralysie generale, par Mignot, Schrameck et Parrot. 43. Symptömes oeulaires de
la paralysie gönörale, leur valeur diagnostique aux diverses pöriodes de cette affection, par
Raviart, de Fortunii et Lorthiols. 44. Über paroxysmale Fieberzustände bei progressiver
Paralyse mit Vermehrung der polynukleären Leukozyten im Blute und in der Cerebro-
spinaliiüssigkeit, nebst Bemerkungen über Blut und Liquor bei Exazerbationen des para¬
lytischen Prozesses, von Pappenheim. 45. Seltene Symptome der progressiven Paralyse,
von Roasenda. 46. Über die sogen, rhythmischen, mit dem Puls synchronen Muskelzuckungen
bei der progressiven Paralyse, von Fischer. 47. Über akustische und optisch - motorische
Folgeerscheinungen von Krampfanfällen, von Pick. . 48. Des symptömes catatoniques
au cours de la paralysie gendrale, par Seglas. 49. Über einen Fall von Paralyse mit
14jähriger Bemission, nebst einigen Bemerkungen zur Therapie der Dementia paralytica,
von Dobrschansky. 50. Atoxyl hei Paralyse, von Spfelmeyer. 51. Über Geisteskrankheiten
bei Prostituierten, von Tschisch. — Forensische Psychiatrie. 52. Die Entlassung
geisteskranker Rechtsbrecher aus Irrenanstalten, von v. Kunowski.
III. Bibliographie. 1. Grundlage der Psychiatrie, von Eschle. 2. Geisteskrankheiten,
von Jlberg.
IV. Aus den Besellschaften. Gesellschaft der Neurologen und Psychiater in Kasan.
V. Vermischtes.
VI. Mitteilung an den Herausgeber.
Eduard Hitzig + _
I. Originalmitteilungen.
1. Über den Eintritt der Sehbahn in die Hirnrinde
des Menschen.
Von Dr. med. et phil. Erwin XTiessl ▼. Mayendorf.
Herr Dr. Tsuchida hat in Bd. XL1I des Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
einen Beitrag zur Anatomie der Sehstrahlungen gebraoht, in welchen er meine
„Ansicht“, daß der Eintritt der Sehbahn in die Binde ausschließlich in kom¬
pakten Bündeln erfolge, als seines Erachtens ganz entschieden unrichtig zurück¬
weist Da er jedoch diese Behauptung mit keinem eigenen Befund begründet,
ja nicht einmal den Versuch unternimmt, meine „Ansicht“ mit Argumenten
zu widerlegen, fiele für mich jeder Anlaß fort, auf die absprechende Bemerkung
dieses Antors auch nnr mit einem Worte zurückzukommen. Nur die Autorität
v. Monakow’s, aus dessen Laboratorium die Arbeit hervorgegangen ist, wird
für mich zom Beweggrund, auf die in früheren Untersuchungen vorgebrachten
Beweismittel nochmals zn verweisen.
Unter centraler Sehbahn verstehe ich die Gesamtheit aller langen Faser¬
züge des Hemisphärenmarkes, welche nach klinisch-anatomischer Erfahrung als
eine centrale Fortsetzung der Sehnerven zn betrachten und die retinalen Ein¬
drücke der Hirnrinde zuzuführen berufen sind. Der Begriff der centralen Seh¬
bahn ist demnach ein physiologischer, und die Frage, inwieweit der Stabkranz
des Hinterhanptslappens mit dieser identisch sei, durch anatomische Präpa¬
ration keineswegs lösbar.
Die bereits zahlreiche Kasuistik occipitaler Herderkrankungen hat non er¬
geben, daß sich Destraktionsprozesse der Konveiität vielfach ohne jede klinische
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Erscheinung abspielen, falls sich die Zerstörung auf die Rinde oder die ober*
flächlichen Markschichten beschränkt, während das medio-ventrale Rindengebiet,
weit empfindlicher, jede, auch nur oberflächliche pathologische Veränderung
durch prägnante klinische Zeichen, durch Defekte in der Entstehung oder Ver*
wertung optischer Wahrnehmungen signalisiert
Die Verschiedenheit der Funktionen, welche sich von der Verschiedenheit
beider Ersoheinungsreihen für diese beiden Rindenflächen ablesen ließe, spiegelt
sich in einer charakteristischen kortikalen und subkortikalen Markfaserstruktur
wieder. Von dem medio*ventralen grauen Rindenband hebt sich bekanntlich
eine scharf umrissene weiße Linie ab, welche an der dritten äußeren Hinter¬
hauptswindung lateral wärts und dem Windungsdach der Fissura calcarina medial-
wärts plötzlich schwindet In diese also ausgezeichneten Rindenbezirke laufen kom¬
pakte Ausläufer der Stabkranzfaserung ein, welche schon an ungefärbten glatten
Durchschnitten eines in Formalin gehärteten Gehirns wahrnehmbar sind. In
der Markreifung gehen sie ihrer Umgebung voran und sind an Sagittalschnitten
durch Gehirne weniger Wochen alter Kinder am leichtesten zu überblicken.
Soweit befinde ich mich in Übereinstimmung mit v. Monakow und seiner
Schule. Der Widerstreit der Meinungen betrifft den inneren Bau und die physio¬
logische Bedeutung jener Teile des Occipitallappens, welche nicht dem von mir ab-
gesteokten, anatomisch-oharakterimerten Sehbezirk angehören. Es ist 1. strittig, ob
die Strata sagittalia Projektionsfasern zu der Rinde der okzipitalen Konvexität
führen, welche mit den fraglichen Rindenbezirken zusammenhingen, 2. ob diese
Fasern gleichfalls als centrale Ausbreitung des N. opticus aufzufassen seien, 3. welche
Funktionen sich für diese Rindenfelder aus der klinisch-anatomischen Erfahrung
ableiten ließen. Es ist klar, daß mit der Erledigung der beiden ersten Frage im
verneinenden Sinne auch die letzte gleichzeitig beantwortet wäre, indem ein mit
der wahmehmenden Sinnesfläche nicht durch direkte Leitungsbahnen verbundenes
Rindenterritorium auch einen direkten funktionellen Bezug zum Ablauf von Wahr¬
nehmungen dieses Sinnes ausschließen mußte. So sprechen klinische Tatsachen,
welche hier zu entscheiden einzig geeignet sind, nicht nur gegen die Auffassung,
welche in der Rinde der occipitalen Konvexität die centrale Projektion der reti¬
nalen Eindrücke erblickt, sondern auch gegen die Auffassung, welche in dieser
einen Sammelpunkt optischer Gedächtnisspuren, deren Erregung erst die Identität
sukzessiver Wahrnehmungen bewußt werden läßt, anzunehmen geneigt ist Hierauf
deuten nicht nur vereinzelte Fälle von Läsionen der occipitalen Konvexität ohne
Symptome hin, sondern auch, und dies erachte ich für beweisender, nur auf
die medio-ventrale Fläche beschränkte Zerstörungen, welche mit der Vernichtung
der optischen Wahrnehmungen auch die Erinnerungsbilder des centralen und
peripheren Sehens gleichzeitig auslöschen.
Der anatomische Nachweis der Stabkranzversorgung der occipitalen Kon¬
vexitätsrinde kann weder mit der Methode gefärbter Serienschnitte durch ein
ausgewachsenes, noch solcher durch ein Kindergehirn erbracht werden, weil
beide Methoden eine zuverlässige Unterscheidung der Stabkranzbündel von den
durch dieselben hindurch tretenden und mit ihnen verflochtenen Balken fasern
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nicht ermöglichen. Eine Isolierung beider Systeme ist für die Entscheidung
dieser Frage unumgängliche Voraussetzung. Dieselbe kommt dadurch zustande,
daß entweder das eine oder das andere Fasersystem durch sekundäre Degene¬
ration der Markscheiden beraubt wird und somit auf Weigert-Präparaten un¬
gefärbt bleibt oder in einer unvollkommenen Anlage garnicht zur Entwicklung
gelangt ist
An den mikroskopischen Durchschnitten durch ein Gehirn mit totaler
Zerstörung und Degeneration des Balkens, jedoch intakter Konvexität des linken
Hinterhauptslappens und unversehrtem Marklager an der Außenwand des Ven¬
trikels, konnte ich die Anwesenheit von einstrahlenden Markfasern langläufiger
Systeme in die erste und zweite Hinterhauptswindung mit Bestimmtheit
ausschließen. 1 Hinzutrat der Umstand, daß das Rindenband dieser Windungen
ungeachtet einer allgemeinen Atrophie der Hemisphäre weder an Umfang etwas
eingebüßt, noch irgend eine pathologische Konfiguration aufgewiesen hat, eine
Erscheinung, die gleichfalls die Unabhängigkeit dieses kortikalen Gebietes vom
sekundär-degenerierten Stabkranz manifestierte.
Ein weiterer Befund widerlegte die Annahme v. Monakow’s, daß aus der
dorsalen Schicht der Strata sagittalia die Projektionsbündel für die äußeren
Hinterbauptswindungen ausliefen, indem gerade diese Faserpackete teilweise erhalten
geblieben waren, keineswegs jene Rindenzonen aufsuchten, sondern jäh absteigend,
zu einem kompakten Strang geschlossen in den Gyrus fusiformis und die dritte
äußere Occipitalwindung sich einsenkten. 1 Übersichtlicher stellt sich der Verlauf
dieser Bündel an Sagittalschnitten, welche die hier niedergelegte Anschauung
durchaus bestätigen, dar.
An nach Weigebt-Pal gefärbten Frontalschnitten durch ein zweites Ge¬
hirn, in welchem letztgenannte Bündel durch einen Erweichungsherd in der
zweiten Temporalwindung und im Gyrus angularis occipitalwärts zu sekundärer
Degeneration gebracht wurden, ließ sich deren Eintritt in Form weißer Strahlen¬
kegel in den Gyrus fusiformis und dritte äußere Occipitalwindung nachweisen.
In das Eigenmark der ersten und zweiten äußeren Hinterhauptswindung er¬
streckten sich aber, von der entfärbten Schicht der Strata sagittalia ausgehend,
gleichfalls hellere Streifen, so daß man auf den ersten Blick versucht wäre, an
einen Abgang von Stabkranzbündeln hier hinein zu denken. Bereits unscharfe
Lupenvergrößerung machte jedoch das Differente der Einstrahlungen in den
Gyrus fusiformis und Occipitalis tertius einerseits und derjenigen in die zwei
oberen äußeren Hinterhauptswindungen andererseits ersichtlich. Diese Differenz
bestand darin, 1. daß der in die letzteren sich fortsetzende Faserkegel unmittelbar,
wie der Ast aus dem Stamm eines Baumes, aus dem entmarkten Stabkranzlager
hervorging, während die Ausläufer für die zwei oberen Windungen demselben
gleichsam aufgesetzt, durch eine haarscharfe, deutlich wahrnehmbare
Grenze geschieden waren, 2. daß diese basalen weißen Kegel mit dunkel
1 Siehe meine Arbeit: Zar Theorie des kortikalen Sehens. Archiv f. Psyoh. XXXIX.
Heft 2 u. 3.
* Siebe Tafel XV, Figg. 9, 10, 71.
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gefärbten, markbaltigen Fasern allseitig durchsetzt, die in die Gyri occ. I
und II hineinragenden Fortsätze jedoch von solchen frei gefunden wurden,
3. daß die Einstrahlungsmodi in die ersteren Windungen die Form eines Keiles
beobachteten, dessen Basis der Rinde zugewendet war, diejenigen in die letzteren
aber rindenwärts spitz zulaufend auf hörten, 4. daß die einzelnen sekundär
degenerierten Fasern bis an die Rinde des Gyrus fusiformis und Occipitalis
tertius zu verfolgen waren, hingegen die Spitze, zu welcher sich die centralen
Lichtungen nach den zwei oberen Hinterhauptswindungen veijfingten, durch das
Dazwischentreten der normalen Bogenböndel von dem Cortex entfernt wurde.
Die kritische Berücksichtigung dieser Verhältnisse führte zu Folgerungen,
welche die Barheit der zwei oberen Hinterhauptswindungen an Stab*
kranzfasern weit wahrscheinlicher als das Gegenteil erscheinen ließen.
Endlich hatte ich Gelegenheit im Laboratorium der psychiatrischen und
Nervenklinik zn Graz nach Weigert-Pal behandelte Frontalschnitte durch ein
Gehirn mit Balkenagenesie zu studieren und konnte an demselben die Abwesen¬
heit von einstrahlenden Fasern in die zwei oberen Oocipitalwindungen ohne
weiteres feststellen. Hierin erblickte ich den augenfälligen Beweis für die Quali¬
fikation dieser Bündel als Balken-, nicht als Projektionsfasern.
Aus den hier in Kürze vorgefübrten Tatsachen schloß ich, wie dies bereits
Flechsig aus dem Studium des in der Markreife noch unvollendeten Gehirnes tat,
daß die Rinde der zwei oberen OccipitalWindungen keineswegs durch Leitungs¬
bahnen mit der Netzhaut in unmittelbaren Konnex gesetzt und daß der Ein¬
strahlungsmodus in Gestalt kompakter Bündelformationen als ein für die
Projektionsbahnen im allgemeinen charakteristisches Stigma zu betrachten sei.
[Aas der Siechen&nstalt der Stadt Berlin (Sanitätsrat Dr. Gbabffnbb).]
2. Ein Fall von linksseitiger Apraxie und Agraphie.
Von Dr. Otto Maas.
Seitdem Lebpmann durch Beschreibung seines Regierungsrats das Krank¬
heitsbild der (motorischen) Apraxie geschaffen hat, ist eine Reihe von Arbeiten
über diesen Symptomenkomplex veröffentlicht worden. Ich kann zu den be¬
schriebenen eine neue Spielart mitteilen. Der zu schildernde Kranke gehört
nicht nur zu den wenigen Fällen, in denen bei linksseitiger Dyspraxie die rechte
Hand weder gelähmt noch dyspraktisch war, sondern hat unter diesen auch die
Besonderheit, daß die Läsion mit großer Wahrscheinlichkeit in der
linken Hemisphäre, nicht im Balken gesucht werden muß. Auch zeichnet
ihn vollkommene Freiheit von Sprachstörung aus.
Die Fraa des Patienten machte folgende anamnestische Angaben: Patient ist
Rechtshänder, war früher stets gesund; für Lues kein Anhaltspunkt, kein Alko¬
holismus. Am 3. November 1906 Schlaganfall, 2 Tage völliger Bewußtseinsverlust,
Lähmung der rechtsseitigen Extremitäten mit Sprachstörung. Überführung ins
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Krankenhaus am Friedrichshain am 6./XI. 1906. Hier am 1. Tage folgender
Befund: Zunge wird etwas nach links hervorgestreckt, Sprache ist aphonisch, sonst
normal, rechtes Bein kann aktiv nicht bewegt werden, Patellarreflex r. > 1., rechts
Fußklonus, aktive Beweglichkeit des rechten Armes frei, grobe Kraft etwas ver¬
mindert. 10./XI. Rechtes Bein wird bereits etwas bewegt. 16./XI. Beweglich¬
keit bessert sich weiter, Sprache nimmt etwas Klang an. Patient zeitweilig ver¬
wirrt. 20./XI. Sämtliche Bewegungen des rechten Beines prompt ausgeführt,
Patient kann mit Unterstützung gehen. 29./XL Manchmal Krämpfe, wobei vor¬
nehmlich das rechte Bein zuckt. 8./XII. Leicht dement, mit geringer Cystitis
gebessert entlassen. — Zu Hause fielen auf: Vergeßlichkeit, so daß er, der früher
ein guter Kartenspieler gewesen war, jezt dazu unfähig war, sowie große Reiz¬
barkeit.
Am 3./IV. 1907 Aufnahme im Siechenhause, wo ich den Patienten während
der folgenden 2 Monate oftmals untersucht habe. Die körperliche Untersuchung
hatte folgendes Ergebnis: Zunge, Facialis, Augenbewegungen frei. Beim Erheben
der Arme spurweises Zurückbleiben des rechten, Händedruck beiderseits gleich,
kräftig, alle Hand- und Fingerbewegungen beiderseits intakt, in ausgestreckten
Händen beiderseits grobschlägiger Tremor, keine Störung der Diadokokinesis,
Gefühl für Berührung, Schmerz und Lageveränderungen völlig intakt, keine
Ataxie, keine Astereognose. Bauchreflex beiderseits gleich, keine Rigidität an den
unteren Extremitäten, Knie- und Achillesreflex beiderseits gleich, Zehenreflex
plantar, keine Sensibilitätsstörung; Gang rechts etwas stampfend (31./V. Gang
ohne jede Störung). Status psychicus: Orientierung gut, Unterschiedsfragen gut
beantwortet, Rechnen und Merkfähigkeit gestört, immerhin werden sechs einzelne
Zahlen fehlerlos naohgesprochen. Auch dürften manche fehlerhafte Antworten auf
die Erregtheit des Patienten zurückzuführen Bein, durch die ihm geistige Kon¬
zentration sehr erschwert war. — Nachsprechen, Wortfindung, Sprach¬
verständnis, Lautlesen, LeseverständniB intakt. Spontan- und Diktat¬
schreiben rechts intakt. Mit der linken Hand völlige Unfähigkeit,
spontan oder auf Diktat zu schreiben, einmal beim Versuch den Anfangs¬
buchstaben seines Nachnamens zu schreiben sinnloses Gekritzel, beim Versuch
den Vornamen Gottfried zu schreiben, ist das Resultat als sehr mangelhaftes G
in Spiegelschrift zu deuten. Weitere Versuche, mit der linken Hand auf Diktat
oder spontan zu schreiben, wurden von dem sonst zu Prüfungen bereiten Manne
stets energisch abgelehnt. Kopieren von Geschriebenem mit der linken Hand
gelingt ausreichend, Kopieren von Gedrucktem links nicht versucht, rechts prompt.
Die Apraxieprüfung ergibt rechts völlig normalen Befund, links
dagegen schwere Dyspraxie bei allen Ausdrucksbewegungen, während
Manipulieren mit Gegenständen, ebenso wie Nachmachen von Bewegungen völlig
fehlerlos gelingt. Die Apraxieprüfung wurde oftmals wiederholt und ergab fast
konstant das gleiche Resultat: drohen, winken, lange Nase machen, Geld-
aufzählen, Kußhandwerfen werden mit der rechten Hand fehlerfrei,
die gleichen Bewegungen mit der linken Hand dagegen in völlig un¬
sinniger Weise ausgeführt. Sehr charakteristisch war z. B. die Bewegung
des Kußhandwerfens mit der linken Hand; Patient brachte Daumen- und Zeige¬
fingerkuppe zusammen, so daß Daumen und Zeigefinger einen Kreis bildeten und
legte sie in dieser Stellung um den Mund, als ob er hindurchpusten wollte. Bei
den Prüfungen wurde die betreffende Bewegung bald erst rechts, bald erst links
verlangt, auch wurde die Untersuchung in der Form angestellt, daß dem Patienten
gesagt wurde, drohen Sie mit der linken Hand, was völlig apraktisch ausgeführt
wurde, darauf wurde ihm ohne Wiederholung der Aufgabe geboten, das Gleiche
mit der rechten Hand zu machen, und es wurde nun daB Verlangte richtig aus¬
geführt.
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Es handelt sich hier also um einen Patienten, bei dem im Anschluß an
einen Insult, der eine kurzdauernde Lähmung der rechtsseitigen Extremitäten
zur Folge hatte, upraktische und agraphische Störungen ausschlie߬
lich der linken oberen Extremität zurückblieben; wir haben also hier
einen Fall vor uns, bei dem die Apraxie im strengsten Sinne einseitig ist Hier
läßt sich schlagend beweisen, daß der Kranke nicht etwa infolge von Demenz
bestimmte Bewegungsformen nicht mehr kennt — denn er führt sie ja rechts
tadellos aus —, sondern daß nur die linke Körperhälfte nicht mehr über die¬
selben verfügt.
Dieser Befund ließe sich nach der von Liepmann aufgestellten Theorie*
— analog dem von Liepmann and mir beschriebenen Fall Ochs* — aus einer
Balkenunterbrechung erklären. Nun zwingt aber der Umstand, daß die Er¬
krankung mit einer rechtsseitigen Hemiplegie einsetzte, den Herd in die linke
Hemisphäre zu verlegen. Wir hätten also hier zum erste Male einen Fall, bei
dem ein linksseitiger Herd, ohne die Praxie der rechten Seite zu
schädigen, nur die linke Oberextremität dyspraktisch machte.
Es weist dieser Tatbestand, wenn wir uns auf die Ermittelungen Liepmann’s
stützen, auf eine ziemlich bestimmte Lokalität im Gehirn hin. Der Herd muß
einerseits Balkenfasern in erheblicher Menge betroffen, andererseits die Projektions¬
fasern zu der rechten Körperhälfte vorübergehend außer Funktion gesetzt haben,
hauptsächlich die für die untere Extremität bestimmten schädigend. Der Herd
dürfte daher da zu suchen sein, wo die Kommissurenfasern begonnen haben,
sich zum Balken zu formieren und von den Projektionsfasern zu sondern, d. h.
am Dach des Yorderhorns des linken Seitenventrikels nahe dem Schwauzkeru-
kopf, in Frontalebenen, die den Centralwindungen entsprechen (vgl. die Zeichnung).
Es wäre also anzunehmen, daß den Kranken im November 190(5 eine
1 Die linke Hemisphäre nnd das Handeln. Münchener med. Wochenschr. 1905; ferner
Liepmann, Medizinische Klinik. 1907. Nr. 25 n. 26.
* Liepmann und Maas, Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 24.
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Blutung oder Erweichung an der bezeichnten Stelle getroffen hätte, die anfangs
die ganze Projektionsfaserung und die Balkenfaserung außer Funktion gesetzt
hat, schweren und dauernden Schaden aber nur der Kommissurenfaserung zu¬
gefügt hat.
Der hier geschilderte Befund gestattet also an der Hand der Liepmann-
schen Lehre die Bestimmung des Ortes der Läsion mit einer auf diesem Gebiet
bisher nicht erreichten Feinheit, und wird, wenn die Sektion die Bestätigung
bringt, eine Bereicherung unserer Diagnostik abgeben.
Ganz ausschließen läßt sich natürlich nicht — wenn auch nichts dafür
spricht —, daß zwei verschiedene Herde die transitorische rechtsseitige Körper¬
lähmung und die bleibende linksseitige Dyspraxie verursacht haben.
Gewisse, aber nioht unüberwindliche Schwierigkeiten macht es, daß unser
Kranker ebenso wie der Heelbeonneb’s dieselben Bewegungen, die er nicht
aus der Erinnerung ausführen kann, nachmachen kann (beim Schreiben Kopieren);
es dürfte dies dadurch zu erklären sein, daß nur ein geringer Grad von Dys¬
praxie bestand und es sich nicht um einen sehr ausgedehnten Herd handelte.
Es entspricht allgemeinen Erfahrungen, daß unter Umständen die schwierige
Aufgabe der Spontanausführung mißlingt, während die leichtere, das Nachmachen,
noch geleistet werden kann.
Herrn Sanitätsrat Dr. Gbaeffneb bin ich für die Publikationserlaubnis,
Herrn Prof. Liepmann für die Bestätigung meines Befundes und für das Inter¬
esse, das er der Beschreibung des Falles entgegenbrachte, zu Dank verpflichtet
3. Das Vorkommen von Wadenkrämpfen
im orientalischen Gebiete in alter und neuer Zeit.
Mediko-historische und folkloristische Studie.
Von Medizinalrat Dr. F. Näoke in Hubertasburg.
Im ersten Abschnitte einer größeren Abhandlung über Wadenkrämpfe 1 hatte
ich folgendes als Resumö weiterer Untersuchungen (besonders nach von Oefele
und Roscheb) gegeben:
„Wir sehen also ..., daß die Alten zwar die Wade kannten, auch den
Wadenkrampf, aber dafür keinen eigenen Namen hatten. Die Ägypter hatten
nicht einmal einen Namen für Wade, natürlich noch weniger für Wadenkrampf,
obgleich sie letzteren sehr gut kannten, ja sogar als Prototyp des Schmerzes
überhaupt hinstellten, wie die gemeinsame Hieroglyphe für Schmerz und Wehen¬
schmerz mit ihrer charakteristischen Zeichnung 3 verrät Sie kennen also den
Wadenkrampf und haben dafür ein Gegenmittel. Als Symptom kennen sie den
1 Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. XX. 1906. S. 556 ss. Das Zitat auf S. 560.
* Njf“ 1. c. 8. 558. Diese Hieroglyphe ward nach vom Okfklb *-o«*e aos-
wm« Jn gesprochen nnd „ist ... wohl allgemein Krampf mit Einschluß der
Geburtswehen“.
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Krampf bei Dysenterie, die Griechen aach bei Cholera, schwerem Erbrechen und
Fieberkrankheiten.“
Aus dem Assyrischen ist bis jetzt nach ton Oetblb bez. der Wadenkrämpfe
nichts bekannt
Um aber einen vollkommenen Überblick über den ganzen Orient zu ge¬
winnen, fehlten noch Nachrichten aus den übrigen Gebieten, die ich jetzt nach
genauen Erkundigungen veröffentlichen will, um damit meine Arbeiten über die
so lange vernachlässigten Wadenkrämpfe abzuschließen. 1 Ich habe mich zu
diesem Zwecke mit einer Reihe von Gelehrten in Verbindung gesetzt, deren
Adressen ich Herrn Prof. Dr. Pasel in Berlin verdanke. Sämtliche Herren
antworteten bereitwilligst und ich danke ihnen dafür bestens an dieser Stelle.
Alle wurden endlich um die Erlaubnis gebeten, das passend Erscheinende mir
zur Veröffentlichung zu überlassen.
Unsere Blicke wenden sich zuerst nach Indien. Der Sanskritist Prof.
J. Jolly in Würzburg schrieb mir nun hierüber am 9. Januar 1907 folgendes:
„... Krampfe im allgemeinen werden in der medizinischen Sanskritliteratur
häufig erwähnt, kommen auch in nicht medizinischen Sanskrittexten vor. Die
gewöhnliche Bezeichnung dafür ist wohl strambhas (von strambh, stabh, „stützen,
hemmen“), das eigentlich „Erstarrung, Lähmung“ bedeutet. So heißt manyjä-
stambhas „steifer Hals“, jihva-stambhas „Lähmung der Zunge“, dhamch-stambhas
„Bogenkrampf“, bei dem der Körper sich wie ein Bogen krümmt, d. h. Tetanus.
Ein anderer Ausdruck ist apatänaka „Starrkrampf“, davon dadnäpatänaka „Krampf“,
wobei der Körper steif wie ein Stock ist. Diese Zustände werden, wie überhaupt
nervöse Leiden, dem gestörten Wind im Körper zugeschrieben. Cfr. meine Dar¬
stellung der indischen Medizin im Grundriß der indo-arischen Philologie von
Bühlbr und Kielhobn (Bd. III, Heft 10) S. 119. Mundsperre, Trismus heißt
hanugrahas. Sie wird bei Kindern einem Dämon Jambha zugeschrieben, der schon
in den Vedas vorkommt (Ebenda S. 69).
Was speziell den Wadenkrampf betrifft, so finde ich denselben bei einer Art
des Fiebers und bei der Cholera erwähnt. Bei demjenigen Fieber, das von ge¬
störtem Wind herrührt, werden folgende Symptome aufgezählt: Eingeschlafensein
der Füße, Krampf in den Waden (pidnikayor udvestanam, wörtlich Zusammen¬
schnüren, Beengung der Waden) usw. Als Symptome der Cholera (visücikä)
werden genannt: Ohnmacht, Durchfall, Erbrechen, Durst, Kolik, Schwindel, Krampf
(udvestanam, was nach einem alten Commentar bedeutet: jänghädikäm motanam
d. h. Knicken oder Brechen der Unterschenkel usw.). Diese beiden 3tellen
kommen schon in den ältesten indischen Lehrbüchern der Medizin vor (Caraka
und Saäruta). Das Alter dieser Werke läßt sich leider nicht sicher bestimmen.
Einige Vermutungen darüber habe ich a.a.0. S.9—12 geäußert. Über eine spezielle
Behandlung der Wadenkrämpfe, die auch nur als Symptom erwähnt werden,
scheint nichts vorzukommen.“
Über Vorkommen, Benennung und Behandlung der Wadenkrämpfe im
modernen Indien habe ich folgendes erfahren. Durch Vermittelung des Orien-
1 Meine erste Arbeit erschien im Neur. Centralbl. 1901, den 1. April und war betitelt-.
„Zur Pathogenese and Klinik der Wadenkrämpfe“. Dieser folgte dann die zweite größere,
oben erwähnte and erst kürzlich die dritte: „Zar Etymologie der Ansdrücke: „Crampas" and
„Krampf“ im Nenrolog. Centralbl. 1907, eine mehr oder minder rein philologische Ausein¬
andersetzung.
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talischen Seminars in Berlin ward mir folgende Beantwortung meiner Fragen
durch den dortigen Vertreter des Guzerati, Hindustani and Hindi, Herrn
A. M. Varbu, zu teil (den 12. Febr. 1907):
„Für Wadenkrampf gibt es inHindustani, Hindi und Guzerati keinen be¬
sonderen Ausdruck. Krampf heißt „Ankrä“ und Wadenkrampf heißt pagnä änkrä.
Wenn kleine Kinder, Säuglinge an Wadenkrampf event. an Krämpfen überhaupt
leiden, so glauben die Mütter, Angehörigen usw. an eine dämonische Einwirkung
oder an die Arbeit der bösen Geister. Dieser Aberglaube existiert nur in den
niedrigsten Volksklassen (Kullies usw.). In diesen niedrigen VolkBklossen wird
ein Zauberer, Quacksalber oder Kurpfuscher geholt, der durch verschiedene Hand¬
griffe, Massieren, Streichen usw. die Kinder zu heilen versucht. In anderen Volks¬
klassen werden Massage, Wasserbäder, Umschläge usw. angewendet.“ Endlich ist
es nach demselben Gewährsmann bekannt, daß der Wadenkrampf unter gewissen
Umständen (Schwangerschaft, Gebärakt, Cholera usw.) häufiger als sonst auftritt.
Was China anbetrifft, so teilte mir am 8. Februar 1907 Prof. Dr. Forke
vom Orientalischen Seminar in Berlin folgendes mit:
.Von einem unserer Lektoren erfuhr ich, daß die Chinesen Wadenkrämpfe
Tschuan tschin wörtlich „Verdrehen der Muskeln (Nerven)“ nennen und mit
Quitten behandeln. Von irgend welchen dämonischen Einflüssen war ihm nichts
bekannt. Ich schlug darauf das große naturwissenschaftlich-medizinische Werk
Pön tsan kang mu, die Materia Medica der Chinesen aus dem Ende des
16. Jahrhunderts nach. Darin wird das ganze Naturreich beschrieben und die
einzelnen Medikamente angegeben, welche sich aus den einzelnen Dingen gewinnen
lassen. Es sind im Ganzen 1892 Rezepte. Dort fand ich unter Mn-kva = Quitte,
im Kap. 30, unter anderem folgendes: Ein Mediziner sagt, daß das beste Mittel
gegen Muskelkrämpfe (Tschuan tschin) Quitten seien. Bei einem Anfall brauche
man nur den Namen „Quitte“ zu rufen oder ihn aufzuschreiben und es träte so¬
fortige Besserung ein. Ein Grund dafür ließe sich freilich nicht einsehen. Ge¬
wöhnliche Leute benützten auch Stäbe aus Quittenholz, die eine gute Wirkung
auf die Muskeln des Schienbeines ausüben sollten. Ein anderer behauptet, daß
die Quitten die echte Holzsäure hätten und auf die Leber einwirkten, von der
auch die Muskeln und Nerven abhingen. Gegen diese Ansicht wendet Bich Li
schih tschön, der Verfasser der Materia medica, wobei er sich wie sein Gegner
auf die alte Naturphilosophie stützt. Nach ihm wirken Quitten auf Cholera, Er¬
brechen, Durchfall und Muskelkrämpfe ein, die alle Magenkrankheiten, nicht
solche der Leber sind. Muskelkrämpfe werden durch Erkältung des Magens durch
warme oder feuchte Nässe herbeigeführt und beginnen in den Waden = Fei.
AIb Rezept gegen Fuß(Bein)Muskelkrämpfe Tschian tschin luan tung wird ver¬
ordnet: Mehrere Quitten werden mit Wasser und Branntwein (halb und halb) zu
Brei gekocht und dann warm auf die schmerzenden Stellen geschmiert und mit
einem Tuche umwickelt. Wenn diese Kompresse kalt geworden, wird sie erneuert,
3 bis 5mal am Tage. Bei Muskelkrämpfen im Fall von Cholera (Huo luan
tschuan tschin) tut man folgendes: Man kocht 1 / I2 Pfund Quitten mit einer Pinte
(12 Unzen) Branntwein zusammen und trinkt das Getränk. Wer keinen Brannt¬
wein trinkt, kann auch eine Suppe auB den Quitten kochen. Außerdem kocht
man Quittensuppe und taucht ein dunkles Tuch hinein, mit dem man heiße Um¬
schläge um das Bein (Fuß) macht.
Über dämonische Einflüsse habe ich auch hier nichts gefunden. Dagegen
führte man im alten China Rheumatismus und Hexenschuß auf Dämonen, die
den Kranken prügeln, zurück. Im Lun-hing des Wang Tschung aus dem
1. Jahrhundert n. Chr., dessen ausgewählte Essays ich in allernächster Zeit
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veröffentlichen werde — der größte Teil ist schon gedruckt — liest man auf
S. 299 meiner Übersetzung: Wenn jemand, ohne sich an etwas gestoßen zu haben,
plötzlich einen unerklärlichen Schmerz in den Gliedern fühlt und diese Spuren
von Prügel zeigen, so leidet er an Rheumatismus. Dieser wird, wie die Leute
behaupten, von Dämonen verursacht, die den Kranken schlagen. Als Heilmittel
benutzt man Honig und Zinnober. Die Kur ist homöopathisch. Als Mittel gegen
Kälte benutzt man Kälte und gegen Fieber Hitze. Da Honig und Zinnober nach
der Naturphilosophie von dem Yang, dem warmen und belebenden Urprinzip ab-
hängen, so muß auch Rheumatismus vom* Yang Fluidum, das unter Umständen
giftig ist, verursacht sein. Ein Beispiel einer solchen Krankheit ist in den
offiziellen Annalen der Älteren Han Dynastie, Tsien Han-schu Kap. 52,
S. 12 überliefert. Tien Fen, Premierminister des Kaisers Han Wu Ti, 140 bis
86 v. Chr., bekam eine sehr schmerzliche Krankheit. Er fühlte Schmerzen am
ganzen Körper, als ob er geprügelt würde, und schrie um Gnade. Der Kaiser
sandte seinen Geisterseher zu ihm. Dieser berichtete, die Geister zweier früherer
hoher Staatsbeamten hätten den Tien Fen gepackt und prügelten ihn zu Tode.
— Die chinesische Literatur ist sehr reich an medizinischen Werken. Sie finden
Näheres darüber in A. Wylie, Notes on Chinese Literature, London 1867, S. 77
bis 85 ..."
In meiner schon zitierten größeren Arbeit über Wadenkrämpfe teilte ioh
auf S. 563 mit, daß weder Prof. Baelz, der sehr viele Jahre in Tokio zugebracht
hat, noch Prof. Habebeb in Japan etwas von Wadenkrämpfen erfuhren und
zu sagen wußten, trotzdem beide Mediziner sind. Offenbar hatten sie nicht
darauf geachtet Man kann es dann den Forschungsreisenden, die nicht Medi¬
ziner sind, erst recht nicht verdenken, wenn sie an diesem gewiß überall vor¬
kommenden Symptom achtlos vorübergingen. Dies zeigt, wie wichtig es wäre,
deu Reisenden nicht bloß genaue Instruktionen über anthropologische, ethnologische
Data usw. mitzugeben, sondern auch bez. bestimmter pathologischer Symptome
oder Leiden, und zwar in prägnanter, gemeinverständlicher Fragestellung.
Bez. Arabiens wandte ich mich an Prof. Seybold in Tübingen, der be¬
sonders in arabischer Medizin beschlagen ist
Er schrieb mir unter dem 30. Januar 1907 folgendes:
So viel ich bei schnellem Durchsehen der arabischen gedruckten medizinischen
Werke (ohne rechte Indices usw.) sehe, wird wohl der Wadenkrampf wenig be¬
handelt. öanäg, taänig, taäanug bezeichnet jede „Schrumpfung“, corrugatio (von
Haut, Muskeln, Nerven), auch spasmodische Kontraktion; spezieller ist öqqäl
(vom Verb, ä qala constrixit) = Sprungbeinkrampf bei Pferden besonders (und
speziell bei Schafen, Ziegen usw.) und ist später auf Wadenkrampf angewandt,
ln Koran und Sunna ist mir kein Beispiel bekannt Eis müßten aber die spez.
medizinischen Werke danach durchgesehen werden, was sehr schwierig und zeit¬
raubend ist. Vielleicht könnten sie mit der alten lateinischen Übersetzung des
Canon von Avicenna selbst etwas finden, dort finden sich auch Register. 1 Auch
1 Ich habe dann auch die alte lateinische Übersetzung des „Canon Medicinae“ Avi-
cbnra’s (Venetiis, 1595) mir kommen lassen nnd in dem riesig ausführlichen Inhaltsregister
unter allen möglichen Stichworten naebgesehen, doch nichts auf Wadenkrämpfe Bezügliches
gefunden, auch nicht bei Cholera, Gebärakt und Schwangerschaft. Ob die Worte „spasmum
ngnifleat in mulieribus urina nigra post laborem“ sich auf Eklampsie im Wochenbett oder
etwa auch auf Wadenkrämpfe beziehen, wage ich nicht zu entscheiden, da gerade der erste
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gabo, tagabbud wird medizinisch für jegliche Art von contractio, oonstrictio,
corrogatio gebraucht, was eben das Wort auch heißt ..
Bei den modernen Türken scheint wenig über Wadenkrämpfe bekannt zu
sein. Dr. Giese, Privatdozent in Greifswald, der mehrere Jahre in der Türkei
zubrachte, schrieb mir wenigstens am 6. Febr. 1907 folgendes:
„Leider kann ich Ihnen in der erwünschten Angelegenheit keine Auskunft
erteilen. Es existiert im Türkischen überhaupt kein Wort für die fragliche Sache.
Ich habe noch in diesen Tagen mit türkischen Freunden darüber verhandelt, aber
nichts ermitteln können. Aus meinem mehr als 6jährigen Aufenthalte in der
Türkei und meiner Kenntnis der Literatur ist mir gleichfalls nichts bekannt ...“
Ich selbst habe kürzlich auf einer großen Orientreise einiges über den be¬
sagten Gegenstand erfahren, was ich hier kurz mitteilen möchte.
Auf der Fahrt von Konstantinopel nach Beirut ließ mir ein junger, intelligent
aussehender türkischer Kaufmann aus Tripolis durch den armenischen Dolmetscher
sagen, Wadenkrampf hieße auf türkisch: jSil. Er träte beim AufBtehen vom
Bett auf, bei Entbindung, bei Fehltreten, bisweilen nach Erkältung, manchmal bei
der Krankheit näsärd&h. Man hole dann den Schech, der Kuranverse herbete.
Der intelligente Armenier sagte, auch im Armenischen hieße Wadenkrampf yöll
und die oben erwähnten Ursachen wären auch den Armeniern bekannt Früher
glaubten die Leute dort an den bösen Blick als Ursache; jetzt nicht mehr, daher
gäbe es keine abergläubischen Praktiken mehr, sondern man mache Ölfriktionen.
In Damaskus erfuhr ich, daß der Wadenkrampf arabisch rieh (das ch wie
in: Nacht, ausgesprochen) hieße und vom bösen Blick abhänge. Man brenne die
Wade mit heißem Eisen oder schneide ein Loch in die Haut, lege eine Erbse
hinein und darauf komme ein Blatt mit Kuranversen. Ein Franziskaner in
Jerusalem, pere Vincent, der viel unter den Beduinen der WüBte lebte, bestätigte,
daß arabisch rieh auch Wadenkrampf hieße. Man lasse den Imam rufen, der
streiche und spreche Kuranverse dazu. Ein merkwürdiges Licht auf den Wunder¬
glauben warf seine Erzählung, daß Jemand in Jerusalem sioh die Hand gebroohen
und eine alte Frau zur Heilung gerufen habe. Diese streute Asche auf den Hand¬
rücken, strich und sprach Kuranverse dazu, mit anderen, unverständlichen
Worten gemischt, endlich die erste Sure. Wir sehen also hier, wie so häufig,
als höchste Heilpotenz einen Mischmasch von allerlei, oft unverständlichen Worten
(& la Abracadabra!) anwenden. Endlich teilte mir der bekannte Neu fei d in
Assuan, der 13 Jahre Gefangener des Mahdi gewesen war, mit, daß rieh arabisch
(Plural: ri&ch) zunächst Magen-Darmschmerz bedeute, dann aber jeglichen Schmerz
überhaupt, also auch den der Wade. Eigentlich heiße das Wort Wind, weil bei
Kolik die Winde nach oben und unten abgehen. Der Araber sagt auch für
Wadenkrampf: riglimiit, d. h. der Fuß stirbt ab oder: gabät, d. h. es ist gefaßt.
Überall ist der böse Blick schuld. Nie wird der Arzt geholt, sondern allein der
Imftm oder eine alte Frau, die mit Kuranversen heilt. Nicht ist bei den Leuten
bekannt, daß Wadenkrämpfe bei Entbindungen vorkämen, wohl aber nach Über¬
anstrengungen.
Auf griechischem Boden teilte mir ein junger Doktor (Arzt?) mit, daß das
Band des Canon, der Obiges behandelt, mir nicht vorlag, sondern nur Bd. 1L Diejenigen
Kollegen, die sich für Knnst interessieren, mache ich nebenbei auf das schöne Frontispiz
dieser alten Ausgabe mit den vielen kleinen, auf allerlei medizinische Dinge sich beziehenden
Kupferstichen aufmerksam, welche ganz den Geist der Hochrenaissance atmen nnd außerdem
technisch hervorragend ansgeführt sind. (Näcke.)
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Volk im heutigen Griechenland den Wadenkrampf: revQoxaßalt'xefifta (vom m yo =
Nerv, Muskel und xaßttlixe/jfia ■= überritten werden, d. h. ein Muskel reitet Uber
den anderen) nenne. Wo nicht bekannte Ursachen vorlägen, wie Laufen, Er¬
kältungen, seien böse Geister im Spiele und alte Weiber würden zum Versprechen
geholt, auch wenn der Krampf selbst schon vorüber sei, damit die Krankheit als
solche behandelt werde.
Daß bei den Südslaven viel za holen war, ließ sich a priori annehmen
und hat sich auch bestätigt, wie wir gleich nachher sehen werden. Zuvor aber
wollen wir noch einen Blick auf Palästina werfen. Hierbezüglich schrieb mir
der im Hebräischen und im Talmud sehr heimische Dr. med. Peeuss am 30. Jan.
1907 aus Berlin folgendes:
„In der Bibel ist keine Stelle, die man auf Wadenkrämpfe deuten könnte.
Wo von Schmerzen bei der Geburt in den Extremitäten gesprochen wird, sind
stets Bicher Wehen gemeint. Auch im Talmud habe ich trotz nochmaliger Durch¬
sicht meiner Excerpte nichts für Dir Thema gefunden. Was über Krämpfe über¬
haupt (Konvulsionen) vorhanden ist, habe ich in der Zeitschr. f. Psychiatrie. LVI.
1899. S. 113 gegeben. 1 Über Dämonen dabei ibid. S. 131. Die nachtalmudischen
speziell medizinischen Schriften jüdisoher Arzte liegen außerhalb meines Arbeits¬
gebietes ...“
Wie sich die Sache bei den heutigen Juden verhält, hat mir Dr. Pbeuss
leider nicht gesagt. Ich wiederhole also nur, was ich in meiner Arbeit S. 564
schon sagte, daß Prof. Webtheim-Salohonson in Amsterdam bez. der Crampi
keinen Unterschied zwischen Christen und Juden finden konnte, trotzdem er in
seiner Nerven-Poliklinik sehr viele Juden sieht.
Wir kommen jetzt zu den Südslaven. Der berühmte Slavist und Folklorist
Dr. Fb. Kbau88 in Wien schrieb mir am 28. Januar 1907 folgendes:
„... Im ganzen slav. Süden heißt man den Wadenkrampf, der dem Befallenen
den Fuß schmerzhaft zusammenzieht, kratelj, d. h. der Verkürzer. Das ist
aber eine Volksetymologie. Das Wort ist ein Lehnwort aus dem deutschen
Schrattl, das Schrättlein. Alle Krankheiten kommen aus dem Walde, im Walde
aber hausen Vilen, viljenaci oder Schratte. Die fahren einem Menschen in den
Leib als böser Wind oder als Verfluchter = prokletnek, als Dämon. ... Den Kratelj
zieht man sich zu, wenn man auf einen Vilenreigen oder eine von Hunden oder
Katzen aufgescharrte Stelle (sugreb) tritt oder die Wöchnerin wird von ihm befallen
infolge der üissi (Zaubereien) einer inoöa, Kebsin, Nebenbuhlerin. Das Auftreten
auf eine so gefährliche Stelle nennt man mit dem türk. Worte auch ograisati
oder slavisch nabasati.
Als Gegenmittel gebraucht man Zaubersprüche bas me. Die sind alle nach
einer Schablone. Sie finden sie in meiner Abhandlung über südslav. Volksmedizin
in den Mitt. der Wiener anthropolog. Ges. von 1886 oder 87 vermerkt.... Über
die Krankheitsgeister steht auch in meinem Buche Volksglaube u. relig. Brauch
d. Südsl. ein Kapitel, das Ihnen Aufschlüsse gewährt.
Unter kratelj haben zumeist Hirten und Holzfäller, dann Schwangere (nicht
etwa Gebärende) zu leiden. Das Übel tritt häufig auf und wer es einmal hat,
wird es schwer los, außer er unterzieht sich der Prozedur des Hindurchkriechens
durch einen selbstentstandenen Baumastring im Walde und überträgt den kratelj
1 ln der Tat findet sich in der Arbeit von Pbbuss nichts auf Crampi bezügliches.
(Näckb.)
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auf den Baum, woher er stammt. Daß der kratelj beim Coitus vorkäme, habe
ich nie gehört. ... Die Gleichung des hl. Nikolaus = Krampus ist unrichtig und
ebenso die Ableitung von einem latein. crampus. Den hl. N. begleitet auf seinem
Umzuge der gehörnte, krummbeinige, mit einer Butte für die schlimmen Kinder
versehene Teufel, der einen Krampffuß hat, daher sein Name. 1 Das Volk in
N. Ö. hat noch das volle Bewußtsein von der Bedeutung des Wortes. Ein
lateinisches crampus würde nach den Lautgesetzen unserer Sprache etwa kranfl
heißen. ...“
Überschauen wir nun das Mitgeteilte, so werden wir unseru, an der Spitze
mitgeteilten Satz bez. der Ägypter, Römer und Griechen jetzt nach weiterer
Kenntnis eines größeren Kreises noch erweitern und verallgemeinern müssen.
Folgendes wird sich nun ergeben:
1. Krämpfe, Krampfformen aller Art lassen sich wohl überall in alten und
neuen Zeiten, in schriftlichen oder mündlichen Aufzeichnungen nachweisen und
mußten fast selbstverständlicherweise auf die Einwirkung von Dämonen irgend¬
welcher Art zurüokgeführt werden, und zwar böser Geister, die plötzlich ein¬
brachen und so Sohrecken, Schmerz, Bewegungslosigkeit usw. erzeugten. Wo
dies nicht deutlich mehr nachzuweisen ist, läßt es sich aus der Therapie direkt
oder indirekt erschließen.
1 Diese interessante Notiz verdanke ich (Nlcu) einer Zwisobenfrage. Einer meiner
Korrespondenten hatte mir nämlich kürzlich geschrieben: „An einen Beitrag zur cramp-
Frage erinnert mich meine Schwester — den Wiener „Krampus“, jenen Teufel oder Wilden,
der auf dem Wiener Nikolaimarkte alB Nebengänger des Heiligen figuriert, den bösen Kindern
zum Schreck, während der Heilige die guten beschenkt. Bei uns sind im Knecht Rupprecht
mit dem Gabensack in der einen und der Rute in der anderen Hand beide Charaktere ver.
bunden. Ich bin im Wiener Volksglauben nicht genug zu Hause, um zu wissen, ob der
Krampus die Bösen beim Beine zu fassen kriegt (in menschlicher Praxis müssen meiBt die
Bösen berhalten)...“ Durch obige Auseinandersetzung von Fe. Krauss wird die Sache anders
erklärt, obgleich mir die Umsetzung von „Krampffuß“ in Krampus, besonden für Öster¬
reicher, etwas sehr gewagtes hat
Hier gleichzeitig eine andere Bemerkung, die allerdings nur locker mit dem Voran¬
gehenden in Verbindung Btebt In meiner mehrfach zitierten Arbeit hatte ich nämlich
(S. 662, Note 1) auf die Möglichkeit hingewiesen, den berühmten Storchbiß als
Kindbett-Wadenkrampf aufzufassen, der ja so häufig eintritt Näher erscheint
mir allerdings jetzt die auch dort (S. 561) geäußerte Ansicht daß Storch = Penis wäre
und da Höflkr (ibidem) nachwies, daß das Bein Symbol der Vulva ist der Storchbiß
ins Bein sehr wohl einen Coitus andeuten könne. Ich führte daher eine alte Bronze
aus Paris an, wo der Storch mit ungeheuren Hoden und riesigem Penis auftritt was eine
alte Anschauung gewesen zu sein scheint Nach Dr. Höflub ist der Storch aber
besser als kinderbringendes, mythisches Wesen anzusehen, also als ein
Seelen vogel, wie der Schwan auch. Es würde sich dann aber wiederum fragen, warum
gerade meist der Storch, und selten ein anderer Vogel, auch dort, wo er selten zu Hause
ist P Hat das mit der Größe des Tieres etwas zu tun, oder mit dem langen, spitzen Schnabel P
Das Entere würde z. B. auch für den Schwan gelten, nicht aber das Zweite. Eine Möglich¬
keit der Erklärung bietet mir eine Stelle aus einem Briefe von Direktor Prof. Dr. Prais*
mark in Dresden (16. Jan. 1907): „Nebenbei ist mir zum Storchmärcben noch ein Gedanke
gekommen. Dos Bindeglied ist wohl die Ähnlichkeit des von ihm im Schnabel getragenen
Frosches mit einem kleinen zappelnden Menschlein (Nackfrosch!).“ In der Tat scheint mir
dieser Gedanke genial und die Ähnlichkeit frappant, wie schon der Name „Nackfrosch“
Behr richtig andeutet
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2. Wadenkrämpfe speziell lassen sich bisher weder schriftlich noch münd¬
lich überall aufweisen. Mit Bedacht sage ich: bisher. Denn die alten und
neuen Literaturen (z. B. Chinas, Japans, Arabiens, Indiens usw.) sind zum Teil
so ungeheuer groß, daß kaum Einer sie ganz bewältigt bat und es fast un¬
möglich erscheint bez. eines solchen Symptoms, wie z. B. der Wadenkrampf
eines ist, alles durchzustöbern. Außerdem ist sehr vieles nur im Manuskript
vorhanden und nicht gelesen, vieles davon überhaupt europäischen Gelehrten
unzugänglich. Bez. der modernen Zeiten hat man, wie ich schon oft betonte,
sehr wenig auf Wadenkrämpfe geachtet, sogar in Kliniken, um wie viel weniger
bei Naturvölkern und Halbzivilisierten, besonders wenn, wie gewöhnlich, die Be¬
obachter Nicht-Mediziner sind. Auch daß man hier oder bei modernen orien¬
talischen Völkern nicht einmal einen Namen für Wadenkrampf kennt, ist noch
lange kein Beweis dafür, daß ein solcher nicht besteht, geschweige denn, daß
Crampi dort nicht Vorkommen sollen. Wir sahen schon oben z. B., daß meine
Erhebungen bez. der Türken anders lauten, als die von Dr. Giess. Wer von
den Forschungsreisenden hat sich genauer naoh Krankheitsnamen umgesehen,
gar um solche gewisser Symptome?
Wo aber Wadenkrämpfe nachweisbar sind, da werden sie meist dämono-
logisch erklärt, wie auch die Therapie dies mehr oder minder anzeigt Es
handelt sich ja nur um einen Spezialfall der Krämpfe.
Folkloristisch interessant wäre es zu wissen, ob, wo dämonischer Einfluß
nachweisbar ist, ein spezieller Dämon die Wadenkrämpfe erzeugt, oder über¬
haupt ein allgemeiner Dämon, der vielerlei zuwege bringt. Der oberbayrische
„Wadispanner“, 1 der sowohl Wadenkrampf bedeutet als auch die Tätigkeit eines
Wadenkrampf erzeugenden Dämons, scheint fast auf einen besonderen Spiritus
rector hinzuweisen. Das Ursprüngliche ist wohl der Polytheismus gewesen, der
Monotheismus folgte ihm, konnte aber wieder in Polytheismus entarten.’ Und
so hat es sehr wahrscheinlich eine Menge besonderer böser Geister gegeben, die
spezielle Krankheiten jeder für sich erzeugten, wie es ja eine Reihe solcher
Dämonen mit besonderen Aufgaben gab.
1 Siehe meine Arbeit S. 561.
* So sind jedenfalls den dualistischen Religionen der Perser (Ormnzd, Ariman) and
der Nordgermanen (Baldr, Hödr) erst polythistische Zustände vorangegangen und nur zu
bald konnten sich selbst diese geistigen Prinzipien des Lichtes und der Finsternis, des Guten
und Bösen nicht rein erhalten und so sehen wir gleichzeitig oder später eine Menge von
Dämonen, gute und böse, auftreten, in die sich jene Urprinzipien zersplitterten. Sehr lehr¬
reich ist es auch, daß Pbbübb in seiner Arbeit: Nerven- und Geisteskrankheiten nach Bibel
und Talmud (Allg. Zeitschr. f. Psych. etc. LVI. 1899. S. 107 ss.) auf S. 131 den „bösen Geist“
(ruocb ra'ah) durch die Babylonier aus Persien nach Palästina importieren läßt Offenbar ist
er der persische Ariman. Sehr bald aber entstehen daraus Dämonen, böse: „Diese Geister ...
spielen allmählich in den Erklärungen und Anschauungen des Talmuds eine große Rolle;
ihre Zahl ist eine sehr große... und machen die Menschen zu Besessenen.... Im Talmud sind
es aber fast ausschließlich körperliche Krankheiten, die den Dämonen zugeschrieben wurden...“
Vor dem Jahwedienste war aber eine polythistische Naturreligion bei den Juden vorhanden
und noch neben Jahwe sehen wir Spuren davon. Manche wollen weiter behaupten, daß die dua¬
listischen Religionen nur arischen Ursprungs sind. Das kann aber nicht stimmen, da man
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Zum Schlosse möchte ich noch einen klinisch-psychologischen Zug der
Wadenkrämpfe berühren. Auf S. 575 meiner Arbeit habe ich, wie schon früher,
auf den merkwürdigen Einfluß der Zu- und Ablenkung der Aufmerksamkeit auf
Verstärkung und Verminderung der Crampi, ja sogar auf deren Entstehen,
hingewiesen. Herr Prof. Dr. Petermann berichtete mir nun (Dresden, am
3. Januar 1907) folgenden psychologisch interessanten Fall:
„Als junger Mann hörte F. seinen im Nebenzimmer schlafenden Vater plötz¬
lich laut schreien, ln der Meinung, sein Vater befinde sich unter den H&nden
eines Mörders, springt er ihm mit einem hochgesohwungenen Dolchmesser in der
Hand zu Hilfe und sieht — seine Mutter und Schwester beschäftigt, dem von
einem schmerzhaften Wadenkrampfe befallenen Vater die Waden reiben! Die
Komik dieses quid pro quo ruft hei dem Patienten den Ausbruch eines un¬
geheuren Lachens hervor, welches dem Wadenkrampfe augenblicklich ein Ziel
setzte. Das Bemerkenswerte an der Saohe scheint mir, daß die Erlösung von der
Qual unter vermittelnder Einwirkung des Gehirns stattfand."
Wir sehen iu diesem wohl einzig dastehenden Falle wiederum, wie durch
die gewaltsame und plötzliche Ablenkung der Aufmerksamkeit der Krampf so¬
fort sich löst, und das um so eher, als die Energie durch das homerische
Lachen aufgebraucht ward. Ob sonst das plötzliche und heftige Lachen bei
anderen Krampfformen einen schnellen Stillstand herbeiführte, weiß ich nicht,
wenn ja, so wäre dies also geradezu ein Heilmittel, freilich, wie Prof. Peter¬
mann sehr richtig bemerkt, „ein remedium fortuitum, das sich nicht nach Be¬
lieben anwenden läßt".
IL Referate.
Anatomie.
1) Anatomie du systöme nerveux de l’homme, par van Gehucliten. (4®*
Edition. Louvain 1906. Librairie universitaire. 999 S.) Bef.: Kurt Mendel.
In 4. Auflage liegt das imposante Werk des Verf.’s vor uns. Die stark
veränderte Neuauflage war notwendig geworden durch die Fortschritte, welche
die Anatomie des Nervensystems in den letzten Jahren dank den neuen Färbe¬
methoden von Nissl, Marchi, Ap&thy, Bethe, Donaggio, Bielschowsky,
BamönyCajal gemacht bat.
In 48 Vorlesungen geht Verf. in mustergültiger Beschreibung die Anatomie
der Nervenelemente, des Hirns, Kleinhirns, Bückenmarkes, der peripheren Nerven,
des Sympathicus, sowie die Beflexbahnen durch, mit 848 Figuren den Text er¬
läuternd.
Jeder Bibliothek wird das großartige Werk zur Zierde gereichen.
sie, allerdings in sehr verschiedener Ausprägung, vermutlich überall nachweisen kann. Am
reinsten sind die Dualismen allerdings bei den Ariern. Wo sie weniger deutlich sind,
wie im altägyptischen Osiris und seinem Gegenbild Set, wird arische Herkunft dieser
Götterkreise vermutet, noch viel mehr bei der wunderbaren Reform Amenhoteps IV., der
den Atenkultus einrichtete, eine fast arische Erscheinung and wahrscheinlich aus Mesopotamien
stammend, wie namentlich Habpf: Morgen- und Abendland (Stuttgart 1905), zu beweisen
sucht und anscheinend glücklich. Nach Rhibmayb hängt sogar vielleicht der Jahwedienst
mit dem Atenkult zusammen.
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Physiologie.
2) La fuozione oortioale della vislone, per 0. Rossi. (Pavia 1906.) Ref.:
Hübner (Bonn).
Die experimentelle Studie behandelt die Sehstörungen, welche beim Hunde
durch Abtragung verschiedener Rindenteile, insbesondere solcher aus dem Gebiete
der Hinterhauptslappen, auftreten.
Verf. kommt zu folgenden Schlüssen:
Die Rindenregion, nach deren Verletzung Sehstörungen ohne sonstige wesent¬
liche Begleiterscheinungen auftreten, ist größer, als Munk angenommen hat. Ver¬
letzung der Stirnlappen inklusive des Gyrus sigmoideus hat keine Sehstörung
zur Folge.
Eine Projektion der Retina auf die Rinde der Hinterhauptslappen folgt aus
den Versuchen des Verf.’s nicht.
Die Rindenzerstörung innerhalb der von Munk mit A' bezeichneten Zone
hat einen weniger schweren und weniger lange bestehenden Funktionsausfall zur
Folge, als die Exzision anderer Rindenteile.
Schwere, Intensität und Dauer der Störungen scheinen der Ausdehnung der
Läsionen, parallel zu gehen. Die Erscheinungen sind vorübergehender Natur, und
zwar auch dann, wenn die Hinterbauptslappen vollständig vernichtet sind.
Über die Natur der erzeugten Störungen spricht sich Verf. nicht be¬
stimmt aus.
Pathologische Anatomie.
3) Ein Fall von Mikrooephalus und Enoephalooele mit chemischer Unter¬
suchung der Cerebrospinalflüssigkeit, von Prof. Dr. F. Kutscher und
Priv.-Doz. Dr. A. Rieländer. (Mon. f. Geb. u. Gyn. XXV.) Ref.: Max Jacoby.
Bei einer 32jährigen Primipara, die aus gesunder Familie stammt, waren
zwei Entbindungen ohne Kunsthilfe vorausgegangen; beide Kinder leben und sind
gesund. Die dritte Geburt dauerte 4 Stunden, Schädellage. Die Hebamme mußte
den Hinterkopf des KindeB von den Eihäuten abschneiden. Vom Arzte wurden
Schutzverbände mit Xeroformsalbe verordnet. Trotzdem das Kind sehr dekrepid
war, blieb es am Leben und gedieh an der Mutterbrust wider Erwarten gut.
Es handelte sich um einen 2630 g schweren, 50 cm langen Knaben von sonst
normalem Körperbau, die Stirn ist wie bei einem Mikrocephalen stark nach hinten
abgeflocht; die große Fontanelle fehlt vollständig, hier sind die Knochen fest mit¬
einander verwachsen. Am Hinterkopf, in der Gegend der kleinen Fontanelle,
befindet sich eine halbkugelige, breit aufsitzende Geschwulst. Der Überzug der¬
selben besteht ringsherum an der Basis noch aus der behaarten Kopfhaut, die¬
selbe setzt sich fort in einen dünnen glänzenden, fast durchsichtigen Überzug, der
in der Mitte von höckrigen, unregelmäßig knolligen, solideren Gewebspartien unter¬
brochen wird, die scheinbar mit dem Schädelinhalt Zusammenhängen. Die Ober¬
fläche der in der Mitte des cystischen Teiles befindlichen soliden höckrigen Masse
liegt frei ohne Überzug zutage und sezerniert eine schmierig-eitrige Flüssigkeit.
Unter der dünneren glatten Haut ist überall Fluktuation nachweisbar. Kleine
Fontanelle ist nicht nachweisbar. Sonst weist das Kind keine Abnormitäten auf;
es ist sehr sensibel und schreckhaft; es liegt oft stundenlang mit weit offenstehen-
dem Munde da und macht im wachen Zustande oft zwangartige Drehungen des
Kopfes nach der Seite. Es schrie zum ersten Male am 16. Tage nach der Geburt,
und dann stößt es stets nur kurze laute Schreie aus. Da die Flüssigkeitsansamm¬
lung in der Geschwulst sich vermehrte, mußten drei Punktionen vorgenommen
werden, bei denen sich im Ganzen 38,8 ccm Meningocelenflüssigkeit entleerte. Das
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ral fron
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Kind gedeiht bisher sehr gut, trinkt sehr reichlich, doch ist die Enceph&locele
im Laufe der letzten Monate etwa um ein Drittel größer geworden. Die Behand¬
lung besteht in Alkohol verbau den. Wenn das Kind einige Jahre älter ist, kann
eventuell eine Resektion der Encephalocele mit gleichzeitigem osteoplastischem
Verschluß der Öffnung ira Schädel vorgenommen werden.
Das Filtrat der gesammelten Punktionsflüssigkeit reagierte alkalisch; kochte
man es auf, so trat nur geringe Opalescenz ein; dagegen trat sofort ein sehr
reichlicher fleckiger Niederschlag ein, wenn man die Flüssigkeit genau mit Salz¬
säure gegen empflndliches Lakmuspapier neutralisierte. Der den Niederschlag
liefernde Körper ergab sich als ein Albuminat. Cholin hat sich nicht nach-
weisen lassen.
Pathologie des Nervensystems.
4) Minen nystagmns, by Christie Reid. (Brain. CXV. 1906. S. 363.)
Ref.: Bruns.
Verf. kritisiert zunächst die wesentlichsten Theorien über die Entstehung
des Nystagmus der Bergleute — die Muskeltheorie (Snell) und die, die den
Nystagmus auf mangelhafte Beleuchtung zurückführt. Er meint, daß die Ursachen
komplexer Natur seien: schlechtes Licht, besondere Stellungen der Bergleute bei der
Arbeit, die das Körpergleichgewicht stören oder zu mehr oder weniger rhyth¬
mischen Bewegungen des Rumpfes und Kopfes bei fixierter Augenstellung führen.
Schließlich beschleunigen das Eintreten schwächende Einflüsse, wie Alkoholismus,
Influenza und Unfälle. Das Leiden beruht auf einer Störung der Centren für
die Equilibrierung der Augäpfel.
5) Beitrag sur pathologischen Anatomie der multiplen Sklerose, von Franz
Schob. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXII. 1907. S. 62.) Ref.: H. Vogt.
Der Veröffentlichung liegt folgender, eingehend bearbeiteter Fall zugrunde:
Robert N., Arbeiter, Beginn der Erkrankung im 20. Lebensjahr; 14jährige
Krankheitsdauer mit allmählicher progredienter Entwicklung der Symptome:
spastische Parese der Extremitäten, Intentionstremor, Ataxie, skandierende Sprache,
Nystagmus, mäßige BlasenBtörungen; keine sicheren objektiven Sensibilitätsstörungen:
Demenz mit Euphorie, in den späteren Jahren spastische Kontrakturen, zuletzt
zwei apoplektiforme Anfälle, einer von ihnen Todesursache. Sektion: Im Gehirn
massenhafte sklerotische Herde, besonders reichlich in den Wandungen der Ven¬
trikel und in der Rinde, wo sich auch zwei kleine Erweiohungsherde fanden.
Zahlreiche Herde im verlängerten Mark und im Rückenmark, hier Hinter- und
Seitenstränge bevorzugt; Herde oft symmetrisch angeordnet. Herde in Mark und
Rinde des Kleinhirns. Eigenartige, teilweise herdförmige Erkrankung der Hirn-
nerven und Rückenmarkswurzeln in den Abschnitten, die keine Glia enthalten.
Der Fall ist besonders bearbeitet im Hinblick auf die Meinungsverschieden¬
heiten, welche hinsichtlich der Auffassung des gliösen Prozesses bei dieser Krank¬
heit existieren. Bekanntlich hat vor allem Müller in seiner bekannten Mono¬
graphie, im Anschluß an Ziegler und Schmaus, die Ansicht ausgesprochen,
daß es sich in vielen Fallen um eine primäre Gliose auf der Basis von Ent¬
wickelungsstörungen handele; von dieser echten multiplen Sklerose („primäre Glia-
sklerose“) müßten die Fälle getrennt werden, in denen die Gliawucherung repara-
torisch, „sekundär“ erfolgt ist. Dem gegenüber halten andere, namentlich Borst,
dafür, daß das primäre Krankheitsmoment so ziemlich in allen hierhergehörigen
Fällen im nervösen Gewebe, besonders in den Markscheiden liege, und die Glia¬
wucherung sekundär erfolgt.
Verf. kommt auf Grund seiner anatomischen Untersuchungen zu folgendem
Resultat:
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„Der beschriebene Fall bietet als Besonderheit den Befund von Hirnrinden-
herden und Erkrankung der bindegewebshaltigen Abschnitte der Nervenwurzeln. Die
Gliawucherung hat hier nicht die Bedeutung des primären Vorganges; sie erfolgt
reparatorisch, bzw, sekundär, dafür sprechen: 1. die eigenartige Abhängigkeit der
Herde vom Gefäßsystem, 2. die Beobachtung, daß in einigen Herden Verände¬
rungen am nervösen Gewebe, bzw. an den Markscheiden zu beobachten sind, wo
von Gliawucherung noch nichts zu sehen ist, 3. der Umstand, daß auch nicht
gliahaltige Partien, die Meningen und die rein bindegewebshaltigen Abschnitte
der Nervenwurzeln von dem Krankheitsprozeß mitergriffen sind. Der Fall zeigt
vielfach Übereinstimmung mit dem Bild, das Marburg von den Veränderungen
bei der akuten multiplen Sklerose entworfen hat. Offenbar ist auch hier der
diskontinuierliche Markscheidenzerfall infolge einer unter Vermittlung des Gefä߬
systems einwirkenden Schädlichkeit das Wesentlichste. Der Prozeß gehört zu den
degenerativ-entzündlichen, stellt also selbst eine besondere Form der disseminierten
chronischen Encephalomyelitis dar. Der Fall zeigt aber weiter, daß Fälle von
sekundärer Sklerose in ihrem Verlauf ganz dem chronisch-progredienten Krank-
heitsbild gleichen können, das E. Müller als typisch für die „echte“ primäre
Gliasklerose hinstellt und der sekundären Sklerose abspricht. Die anatomische
Untersuchung hat weiter ergeben, daß die Herde auch bei sekundärer Sklerose
die charakteristischen Merkmale der „echten“ primären Sklerose aufweisen können.
Die Prädilektion der Herde für gewisse Stellen im Centralnervensystem kommt
auch bei sekundärer Sklerose vor; sie kann demnach, ebenso wie die Neigung
zu symmetrischer Entwickelung, nicht als Beweis für die Theorie von der endo¬
genen primären Gliasklerose angezogen werden.“
6) Etüde olinlqae et anatomo-pathologiqne d’un cas de soldrose en pl&ques,
par Raymond et Gudvara. (L’Encdphale. 1907. März.) Ref.: Baumann.
Der von den Verff. publizierte Fall von multipler Sklerose mit subakutem
Verlauf bot klinisch folgende Besonderheiten:
Sehr früh auftretende und starke Sphinkterenstörungen, verminderte Seh¬
schärfe nach links, für blau und rot eingeengtes, für weiß dagegen normales Ge¬
sichtsfeld, nystagmusartige Zuckungen, trophisches (?) Ödem der unteren Extremi¬
täten, Lymphocytose des Liquor cerebro-spinalis. Bei der Sektion fanden sich
mehr oder minder diffuse Läsionen an der Seite oder in der Peripherie der sklero-
sierten Herde, ferner frische Läsionen, in denen die markhaltigen Fasern zu dege¬
nerieren begannen. Die Veränderungen der nervösen Elemente waren sehr erheblich
(Zerstörung der Achsenzylinder selbst in den Teilen, wo die Sklerose ganz leicht
war), die Gefäßveränderungen waren nicht besonders stark, aber deutlich sichtbar.
Das wichtigste ist nach Ansicht der Verff. das trophische Ödem und der graduelle
Übergang zwischen alten sklerotischen Plaques, viel jüngeren Läsionen und den
diffusen Veränderungen. Möglicherweise verdanken die sklerotischen Herde und
die sie umgebenden diffuseren Läsionen demselben pathologischen Prozeß (vielleicht
toxisch-infektiöser Natur) ihren Ursprung.
7) CerebroBpinale Herdsklerose mit selten hochgradiger Affektion des
Rückenmarkes, von Nambu. (Prager med. Wochenschr. 1907. Nr. 3.)
Ref.: Pilcz (Wien).
Klinische Diagnose: Sclerosis cerebrospinalis multiplex. Anatomische Diagnose:
Sclerosis cerebrospinalis multiplex et Sclerosis diffusa medullae spinalis.
Verf. betont zunächst die Seltenheit, daß das Rückenmark im Gegensätze zu
der exquisit herdförmigen Sklerose des Gehirns diffus erkrankt war.
Die genaue histologische Untersuchung (Achsenzylinderfärbung nach Stroebe
und Straehuber; Bielschowsky wegen zu langer Härtung in Müller unmög¬
lich) führt Verf. u. a. zu folgenden Schlüssen:
Sehr deutlich ist das Abhängigkeitsverhältnis der Herde von den Blutgefäßen.
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5:l'l*iral from
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In den jüngeren Herden sind jedenfalls noch marklose Achsenzylinder erhallen;
in den älteren, wo fibröse Gliafasern deutlich gewuchert sind, scheinen Achsen*
Zylinder nicht mehr vorhanden zu sein. Die Glia zeigt, in den jüngsten Herden
nur eine geringfügige Kernvermehrung, die Gliafasern sind fast normal. In den
älteren Herden besteht bedeutender Kernreichtura und Verdickung der Gliafasern.
Die entzündlichen Veränderungen der Blutgefäße sind das Primäre, die Degene¬
ration der nervösen Elemente und Gliawucherung das Sekundäre. Es handelt sich
um eine eigene Form der disseminierten Myelitis. Die Ganglienzellen sind
nur dort, wo der Prozeß hochgradiger ist, in ihrer Zahl vermindert und patho¬
logisch verändert.
8) Solörose en plaques et Syphilis, par Catöla. (Nouv. Iconogr. de la Salp.
1906. Nr. 4.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
L 31 jähriger Apotheker. Gesund bis zum 15. Jahre, wo er starke Schmerzen
im Rücken bekam. Die Schmerzen waren so stark, daß er öfter bis zu 3 Tagen
das Bett hüten mußte. Seitdem Nachziehen des rechten Beines. Eine ärztliche
Untersuchung ergab schon damals eine starke Steigerung der Patellarrefiexe mit
Fußklonus. Der Zustand blieb derselbe 6 Jahre hindurch; dann traten die Schmerzen
stärker auf, zugleich mit dem Gefühl des Zusammenschnürens auf der Brust
(Gürtelgefübl). Zugleich machte Bich unter dem Einfluß von Gemütsbewegungen
ein Zittern bemerkbar, das sich auch beim Schreiben äußerte. Eine Schmierknr
blieb ohne Einfluß. Status: Oberschenkel extrem gegen das Becken gebeugt
und gegeneinander adduziert, nur mit großer Anstrengung ist passive Bewegung
möglich. Unterschenkel im Knie gebeugt, lassen sich aber leicht strecken. Ob¬
wohl die oberen Extremitäten keinen Spasmus darbieten, gehen die Bewegungen
doch nur sehr langsam vor sich. Die taktile Sensibilität ist erloschen von
den Knien abwärts, vermindert im Bereich der Hüften und des Oberschenkels.
Ebenso verhält es sich mit der Schmerzempfindlichkeit und dem Sinn für heiß
und kalt. Der stereognostische Sinn aufgehoben, während das Lagegefübl erhalten
ist. Haut- und Kremasterreflexe fehlen, Babinskisches Zeichen beiderseits vor¬
handen, ebenfalls die Patellarrefiexe beiderseits gesteigert und Fußklonus.
Hörfähigkeit ist beiderseits abgeschwächt. Sehr häufiges Doppelsehen, das leicht
verschwindet und wiederkehrt. Sehvermögen bedeutend herabgesetzt. Nystagmus
horizontalis. Lichtreaktion schwach. Leichterintentionstremor. Fibrilläre Zuckungen
der Zunge, Sprache skandierend, weint leicht, zeigt geringe Störungen des Ge¬
dächtnisses, Inkontinenz. Die Lumbalpunktion ergab geringe Leukozythose. Un¬
mittelbar nach derselben subjektive Besserung. Doppelsehen hat aufgehört,
bald verfällt er aber in leichtes Coma, zeigt 40,3 °. Decubitus, davon ausgehend
ein papulo-pustulöses Exanthem. Tod im Coma.
Sektion: Auf Longitudinal-und Transversalschnitten sieht man in der Gro߬
hirnrinde eine Anzahl von grauen Flecken. Das Kleinhirn zeigt Atrophie der
gezahnten Kerne, dieselben sind bedeutend kleiner als normal und von grauer
Farbe. Am Rückenmark Verdickung der Meningen im dorsolumbalen Teil. —
Mikroskopisch: Im Pons links vollständige Zerstörung des Pedunculus cerebelli
superior, des Fasciculus longitudinalis superior, der motorischen Wurzel des Trige¬
minus, der Kreuzung des Trochlearis, des Centralbündels, des medianen Reilschen
Bandes, der Substantia reticulata und des Bechterewschen Bündels. Rechts
sind nur das Reilsche Band, das mittlere Bündel des Pedunculus cerebelli und
der Fasciculus long. post, zerstört. Die zerstörte Partie links ist ganz ein¬
genommen von einem sklerotischen Herd. Weiter unten auf der Höhe der Pro¬
tuberanz ist die linke Hälfte vollständig zerstört. Die Kerne des Abducens,
Acusticus, obere Olive und die Kerne des Pons sind dagegen vollständig erhalten.
Im oberen Bulbus sind die Pyramiden, Nuclei arcuati und das Tuberculum acuBticum
vollständig zerstört. In der mittleren Region sind die Pyramiden, die absteigende
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Trigerainuswurzel, der Seitenstrang, das Corpus restiforme und das Solitärbündel
zwar noch zu erkennen, aber ganz mit sklerotischen Herden angefüllt. Unterhalb
der Oliren ist der ganze Bulbus mit Ausnahme der Kerne des Gollschen und
Burdachschen Stranges, Substantia gelatinosa Rolandi und des Hypoglcssuskernes
vollständig zerstört. Ebenso ist vom oberen Halsmark nur noch die graue Sub¬
stanz vorhanden, sonst alles sklerosiert. Von den hinteren Wurzeln ist etwa ein
Drittel normaler Fasern vorhanden. Dies bleibt so bis in die Gegend des achten
DorsalsegmenteB. Am 10. Dorsalsegment enthält die linke Hälfte eine Anzahl
normaler Fasern in der Gegend des Burdachschen Stranges, während die rechte
nur ganz wenig betroffen ist. Vom 12. Dorsalsegment erscheint das Rückenmark
völlig normal.
Die Pia mater spinalis ist in ihrer ganzen Ausdehnung verdickt und in¬
filtriert. Diese Verdickung ist besonders ausgesprochen in der hinteren Längs-
furche und um die Gefäße herum, sie besteht aus polynukleären Elementen, Zellen
mit großem, rundem und ovalem Kern setzen sie zusammen. Die Gefäße selbst
sind stark verdickt und infiltriert mit Lymphozyten. Die Gefäße der grauen
Substanz zeigen ebenfalls Verdickung der Wandungen, Vermehrung der Kerne
und Verengerung des Lumens. Teilweise hyaline Degeneration. In den sklero¬
tischen Herden zeigt sich vollständiger Zerfall des Nervenmarkes bei Erhaltensein
der Achsenzylinder.
II. 65jähriger Kranker, wird im Hospital aufgenommen mit der Diagnose:
Paraplegia syphilitica. Er verspürt plötzlich einen Ruck und sinkt in die Knie,
von welchem Augenblick das rechte Bein gelähmt und der rechte Arm schwächer
als der linke wird. Letzteres bessert sich, so daß er wieder arbeiten kann, je¬
doch kommt er wieder ins Bicetre, weil er über „Ataxie“ klagt. Er bleibt vier
Monate dort, während der Zeit wird auch das linke Bein befallen. Seit 1892
ist Pat. vollständig bettlägerig. Status: Untere Extremitäten vollständig ge¬
lähmt, bedeutende Abmagerung. Kann Bich nur mit Hilfe der Hände fortbewegen.
Obere Extremitäten sind ebenfalls, aber in geringerem Grade betroffen. Kraft
der rechten Hand sehr vermindert, Patellarreflexe lebhaft, Fußklonus und Babinski-
sches Zeichen. Weint leicht, läßt unter sich. Starke Tuberkulose der Lungen.
Autopsie: Meningen des Rückenmarkes auf der hinteren Seite sehr stark ver¬
dickt, das Rückenmark in toto kleiner als normal. Vom 3. Cervikalsegment
sklerotischer Herd, welcher den Gollschen Strang einnimmt und noch in den
Burdachschen Strang hineinragt. Weiter nach unten nimmt die Sklerose in
der Höhe des 5. Cervikalsegmentes den ganzen Seitenstrang auf beiden Seiten,
die graue Kommissur, das rechte Vorderhorn und den ganzen Gollschen und
Burdachschen Strang ein. Die Gefäße sind verdickt, die Wand degeneriert,
besonders in den sklerotischen Stellen und in den verdickten Meningen. Unter¬
halb ist das Rückenmark wieder normal. Überall sind nackte Achsencylinder
zu sehen.
Verf. zieht aus seinen beiden Fällen den Schluß, daß die syphilitische Sklerose
sehr wohl den Charakter der multiplen Sklerose haben kann, ja sie ziehen
sogar den Schluß, daß die Syphilis eine wichtige Rolle bei der Ätiologie der
multiplen Sklerose spielen kann, und möchten unter den infektiösen Formen
der multiplen Sklerose auch eine „Sclörose en plaques syphilitique“
aufstellen.
Ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis ist der Arbeit beigegeben. 97
von den 116 angeführten Autoren sind Deutsche.
9) Prämonitorisohe Symptome der multiplen Sklerose, von A.W. Mackintosh.
(Rev. of neurol. and psych. 1906. Nr. 9.) Ref. nach der Rev. neur. 1907.
Nr. 3 von Kurt Mendel.
Wenn auch die Kardinalsymptome der multiplen Sklerose (skandierende Sprache,
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Nystagmus, Intentionstremor) fehlen, so muß man dooh an dieselbe denken bei
Vorhandensein von spastischer Paraplegie in Verbindung mit Opticusatrophie,
unsicherem Gang, Parästhesien, Sphinkterstörungen, Doppeltsehen oder Schwindel.
All’ diese Störungen brauchen nur vorübergehend zu sein.
10) Nägra former &f atypisk multipel Bkleros, samt om bukreflexern aa
diagnostika betydelse, af Einar Eodhe. (Hygiea. 1906. S. 1170.) Bef.:
Walter Berger (Leipzig).
Verf. teilt 2 Fälle mit, in denen man hätte versucht sein können, ein funktio¬
nelles Leiden anzunehmen.
Im 1. Falle, der ein 26 Jahre altes Dienstmädchen betraf, fand sich Taub¬
sein und leichte Ermüdung im linken Beine und in geringerem Grad im rechten
Arme, in dem mitunter leichtes Zittern aufgetreten war. Im Augengrunde fand
sich, besonders im rechten Auge, eine geringe temporale Abblassung der Papille.
Die Sensibilität war überall normal außer an der äußeren Seite des rechten
Schenkels und der Hüfte und den angrenzenden Teilen der vorderen und hinteren
Seite (entsprechend dem Bezirk der oberen Lumbalwurzel), wo sie für alle Quali¬
täten abgestumpft war. Am rechten Arm waren die Sehnenreflexe verstärkt, auch
die Patellarreflexe waren verstärkt, am meisten links, die Bauchreflexe fehlten
links, rechts waren sie vorhanden. 'Während die subjektiven Erscheinungen ein
funktionelles Leiden hätten annehmen lassen, ließ der objektive Befund eine
multiple Sklerose diagnostizieren.
Bei der zweiten Kranken, einem 24 Jahre alten Fräulein, waren eine rechts¬
seitige Facialisparalyse und Bulbärsymptome eingetreten, naoh einiger Zeit genas die
Patientin vollständig. Allmählich stellte sich Zittern im rechten Arme bei manchen
Beschäftigungen ein, mitunter trat Drang zum Lachen und Weinen auf. Auf
dem linken Auge bestand Katarakt, so daß der linke Augengrund nicht untersucht
werden konnte, im rechten fand sich nichts Abnormes. Der behandelnde Arzt
stellte die Diagnose Hysterie. Verf fand starkes Intentionszittern im rechten
Arme, an welchem die Sehnenreflexe verstärkt waren. Der Patellarreflex war links
bedeutend stärker als rechtB. Die Bauchreflexe fehlten.
Verf. betont besonders das Verhalten der Bauchreflexe.
11) Parapldgie spasmodique; troubles ceröbraux; solerose en plaques
probable, par Petit et Veillard. (Arch. g6n. de m6d. 1906. S. 2469.)
Bef. nach der Bevue neurol. 1907. Nr. 3 von Kurt Mendel.
Beginn mit plötzlichem Bückenschmerz; dann Eingeschlafensein der Füße;
Blasenstörungen; Flexionskontraktur und Anästhesie der unteren Extremitäten;
Nystagmus horizontalis, Diplopie; Sprachstörung; Gedächtnisstörung.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: multiple Sklerose.
12) Über akut verlaufende multiple Sklerose, von Dr. Karl Wegelin.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Bef.: E. Asch.
Das Leiden des 34jährigen, früher gesunden Mannes entwickelte sich inner¬
halb mehrerer Wochen und führte im Verlauf von kaum 6 Monaten zum Exitus.
Es begann mit Parästhesien, Schwere und Steifigkeit in den Beinen, später traten
Sphinkterenstörungen, Sensibilitätsveränderungen, Fußklonus, vollkommene Para¬
plegie der Beine und der Bauchmuskulatur, leichter Nystagmus, Verlust der
Patellar- und des linken Achillessehnenreflexes, sowie Atrophie und partielle Ent¬
artungsreaktion der kleinen Handmuskeln hinzu. Schließlich kam es zu einer
Parese des linken unteren Facialis, des linken Hypoglossus, des rechten Bectos
internus, der Sternocleidomastoidei, Cucullares und der übrigen Halsmuskeln und
zu einer totalen Lähmung beider Arme. Sprache langsam. Bei der zweimal vor¬
genommenen Lumbalpunktion ergab sich zuerst ein Befund, der an der oberen
Grenze des Normalen stand und später eine mäßige Erhöhung der Zellen. Bei
der anatomischen Bearbeitung des Falles fand sich das charakteristische Bild der
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Sclörose en plaques mit starker Wucherung der Neuroglia, Degeneration der
Markscheiden, sowie relativem Intaktbleiben der Achsencylinder und Ganglien¬
zellen. Erheblichere Strangdegenerationen fehlten, obwohl an einer Stelle das
ganze Rückenmark sklerotische Veränderungen darbot.
Bemerkenswert war außerdem, daß die Herde eine Neigung zu symmetrischer
Anordnung zeigten. Die vorhandenen Gefäß Veränderungen waren offenbar sekun¬
därer Natur, die ebenso wie die Infiltration der frischen Herde mit Rund- und
Fettkörnchenzellen als chronische Entzündung aufzufassen sind.
13) Zur forensischen Bedeutung der multiplen Sklerose, von Prof. Ra ecke.
(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. XXXIV. 1907.) Ref.: Kurt MendeL
In Anbetracht der Häufigkeit der psychischen Störungen bei der multiplen
Sklerose ist zu verlangen, daß jeder Sklerotiker, der gegen das Strafgesetz ver¬
stößt, sorgfältigst darauf untersucht wird, ob derselbe bei Begehung der Tat
wirklich noch psychisch intakt war. Im Initialstadium des Leidens pflegen —
mitunter sogar noch vor Ausbildung des somatischen Symptomenkomplexes —
manische und depressive Erregungen, bei vorgeschrittener Krankheit paranoide
Beziehungsideen und Größenwahn nach Art des paralytischen vorzuherrschen.
Verf. teilt sein Gutachten über einen wegen Sittlichkeitsverbrechens ver¬
urteilten Sklerotiker mit, welcher — wie spätere Beobachtung ergab — zweifellos
nach § 51 hätte exkulpiert werden müssen.
14) Etüde des reaotions meningeea dans un caa de syphilis herödltaire,
par Ravaut et Darr6. (Gaz. des böpit. 1907. S. 207.) Ref.: Pilcz (Wien).
Hereditäre Lues, Frühgeburt, mit 3 Monaten unter Konvulsionen plötzlich
Nackenstarre, linksseitige Ptosis, Rigor der unteren Extremitäten, Kernig positiv,
vordere Fontanelle stark gespannt. Bei der Lumbalpunktion bedeutende Lympho-
oytose, hoher Druck.
In der Folge wiederholten sich mit stetig abnehmender Intensität während
5 1 / 8 Monaten dergleichen meningeale Reizerscheinungen noch 5mal; bei wieder¬
holt vorgenommenen Lumbalpunktionen zeigte sich ein sukzessives Zurückgehen
der Lymphocytose, die aber auch, was besonders bemerkenswert, während der
Intervalle zwischen den Anfällen meningealer Symptome bestand und während der
konvulsiven Attacken nicht zunahm. Schließlich normaler zytologischer Befund
und dauerndes Ausbleiben der obenerwähnten meningealen Reizerscheinungen.
Beobachtungsfrist 3 Jahre. Die Fontanelle schloß sich erst mit 3 Jahren, das
Kind lernte erst mit 21 Monaten gehen, mit 30 Monaten sprechen, ist aber der¬
zeit intellektuell nicht sonderlich zurückgeblieben.
Die Verff. messen den wiederholten Lumbalpunktionen einen therapeutischen
Effekt bei, doch geht aus der Krankengeschichte hervor, daß das Kind auch
energisch antiluetisch behandelt worden war.
16) Über Lymphooytose der Cerebrospinalflüssigkeit bei kongenitaler
Syphilis nnd ihre diagnostische Bedeutung, von Priv.-Doz. Dr. L. To bl er.
(Jahrb. f. Kinderheilk. LXIV.) Ref.: Zappert (Wien).
Daß bei syphilitischen und „metasyphilitischen“ Zuständen des Centralnerven¬
systems Erwachsener die Lumbalpunktionsflüssigkeit auffällige Lymphocytose dar¬
bieten kann, ist eine vielfach studierte Tatsache; selbst bei sekundär Syphilitischen
ohne objektive Nervensymptome zeigte sich dieser Befund.
Verf. hat nun in recht exakter Weise auch bei hereditär-luetischen Kindern
(14 Fälle) diesbezügliche Untersuchungen angestellt und konnte sich überzeugen,
daß 12mal eine Lymphocytose vorhanden gewesen; ebenso fand sich unter sieben
untersuchten Fällen 5 mal eine Vermehrung des Eiweißes in der Punktionsflüssig¬
keit. Dieses Symptom hat demnach eine gewisse Wichtigkeit für die Diagnose
der ErbsyphiliB, umsomehr wenn abgesehen von der Anamnese objektive Syphilis¬
zeichen fehlen. Klinische Erscheinungen vonseiten des Nervensystems haben diese
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Befunde nicht zur Folge. Trotzdem hat Verf. Grund zur Annahme, daß exsudativ-
entzündliche Veränderungen der Meningen diesen Befunden zugrunde liegen und
wird darüber weitere Untersuchungen anstellen.
16) Untersuchungen des Nervensystems Syphilitischer, von E. M ey e r -Königs¬
berg. (Berl. klin. Wochenschr. 1907. Nr. 30.) Bef.: Bielschowsky (Breslau).
Ausgehend von den Arbeiten Binswangers, Cramers, Nonnes und be¬
sonders Jollys über Syphilis und Nervensystem, in denen darauf hingewiesen
wird, daß schon in den ersten Zeiten der Infektion öfters nervöse Störungen be¬
merkt werden, die nicht selten in ursächlicher Beziehung zur Syphilis stehen, tritt
Verf. der Frage näher: In welchem Stadium der Syphilis begegnet man diesen
Erscheinungen und wie weit finden sich nur Symptome funktioneller, wie weit
schon Verdachtsmomente einer organischen Erkrankung? An einem Material von
74 sicher syphilitisch Infizierten, unter denen einer dem primären, 61 dem sekun¬
dären, 12 dem tertiären Stadium angehörten, nahm er einen genauen Nerven-
Status auf. Die Untersuchung der 61 Syphilisfälle im exanthematisch-papulösen
Stadium ergab nun, daß über erworbene nervöse Beschwerden nur drei klagten,
während bei neun vorher Nervosität, vorwiegend Hysterie, bestand. Bei den erst¬
genannten 3 Fällen erschienen die nervösen Beschwerden in der letzten Zeit des
primären, bzw. den ersten Tagen des sekundären Stadiums und bestanden vor¬
wiegend in Schwindel und Kopfweh. Auch die Steigerung der Beschwerden bei
den sechs schon vorher Nervösen fiel in den Beginn oder kurz vor das zweite
Stadium der Lues. Der von Jolly aufgeführte Symptomenkomplex, der für den
syphilitischen Ursprung typisch sein soll, ließ sich nicht erweisen.
Unter den nicht subjektiv nervösen Kranken wurde verhältnismäßig oft
eine Steigerung der allgemeinen nervösen Erregbarkeit beobachtet, die
durch lebhafte Kniephänomene, Zittern usw. zum Ausdruck kam. 32mal zeigten
sich erhöhte Kniereflexe, 19mal Tremor der Zunge, Hände, Lider. Hierbei ist
jedoch die Hg-Behandlung und der Potus zu berücksichtigen.
Auch ein organisches Nervenleiden ließ sich bei 5 Fällen mit einiger
Wahrscheinlichkeit schon 3 bis 5 Monate nach der Infektion annehmen. Doch
können Abweichungen an den Pupillen — in 31 Fällen — keinen ausreichenden
Anhaltspunkt für die Annahme eines organischen Leidens geben.
Bei den 12 tertiär-syphilitischen Fällen ließ sich nur bei 2 oder 3 Kranken
(1 bis 2 Jahre nach der Infektion) mit einiger Bestimmtheit das Vorliegen
organischer Störung vermuten.
Zum Schluß berichtet Verf. über die Resultate von Lumbalpunktionen bei
30 Syphilitischen (25 im sekundären, 5 im tertiären Stadium). 19mal ergab sich
Lymphocytose verschiedenen Grades, 15 mal gleichzeitig mit pathologischem Eiweifl-
gehalt, 2 mal eine Trübung mit MgS0 4 ohne Lymphocytose.
Ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Lymphocytose und nervösen
Beschwerden ist nicht nachweisbar, ebenso wenig ist die Lymphocytose bei allen
mit Syphilis in Zusammenhang stehenden Nervenkrankheiten einfach als syphilogen
aufzufassen.
17) Über nervöse Initialsymptome der Syphilis, von Dr. Buttino. (Rivista
di Patologia nervosa e mentale. XI. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin).
Von 70 Kranken, die Verf. auf das Verhalten der Pupillen, der Sehnenreflexe
und des Liquor cerebrospinalis untersuchte, zeigten 46 noch manifeste Symptome
primärer oder sekundärer Lues; bei den übrigen lag die Infektion 2 bis 10 Jahre
zurück. Abschwächung des Lichtreflexes der Pupillen fand sich 14mal, stets zu¬
gleich mit Anisokorie, einen Fall ausgenommen. Alle diese Kranken hatten erst
seit einem Jahr oder kürzerer Zeit Symptome von Syphilis. Das Argyll-
Robertsonsche Zeichen wurde einmal beobachtet (Infektion vor 10 Jahren), zu¬
gleich bestand Anisokorie und Herabsetzung der Achillesreflexe. Akkommodations-
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und Konvergenzreflexe fehlten niemals, der Schmerzreflex der Papille einmal (zu¬
gleich Abschwächnng der Sehnenreflexe). Verzogene Pupillen (mit Miosis und
trägem Lichtreflex) wurden einmal beobachtet, Ungleichheit derselben ohne
Störung der Reflexe 4 mal. Der Patellarreflex war 17 mal gesteigert in der ersten
Periode der Lues, nur einmal bei einer älteren Infektion. Abschwächung des
Reflexes fand sich 3mal (sämtlich ältere Fälle), Fehlen des Achillesreflexes ein¬
mal (Infektion vor 9 Jahren). Lymphocytose des Liquor wurde im 1. bis 2. Jahr
einmal (unter 4 Fällen), im 10. bis 12. Jahr der Krankheit 3mal (unter 12 Fällen)
konstatiert.
Die Schlösse des Verf.’s sind vorsichtig. Die Abschwächung des Lichtreflexes
scheint nach Beobachtungen anderer öfters nur vorübergehend zu sein; der pro¬
gnostische Wert des Symptomes ist zurzeit noch unsicher. Das gleiche gilt för
die fehlende Schmerzreaktion. Verzogene Pupillen sind ein Spätsymptom und in
Verbindung mit anderen Erscheinungen (Miosis, Lichtstarre) von sicherer, för sich
allein von zweifelhafter Bedeutung. Anisokorie ist, wenn vorübergehend, von
ebenso ungewissem Wert wie die damit meist verknöpfte Abschwächung des Licht¬
reflexes. Die Steigerung der Sehnenreflexe läßt keine Schlösse zu, die Bedeutung
der Abschwächung oder Aufhebung ist bekannt. Die Lymphocytose des Liquor
beweist nur eine Reaktion der Meningen auf das syphilitische Gift, aber nicht
eine vorhandene oder drohende Erkrankung des Centralnervensystems.
18) Hysterische Erscheinungen im sekundären Stadium der Syphilis, von
Hans Zerner. (Inaug.-Dissert. Berlin 1906.) Ref.: S. Klempner.
Patientin hat sich im Alter von 22 Jahren mit Lues infiziert und wird beim
Beginn des sekundären Stadiums von Lähmungserscheinungen der unteren Extre¬
mitäten ergriffen. Keine Atrophien, keine Spasmen, Sensibilität und Reflexe
normal, keine Blasen- und Mastdarmstörungen.
Eine organische Läsion des Nervensystems war also auszuschließen und der
Fall muß als hysterische Astasie-Abasie gedeutet werden.
Von sonstigen hysterischen Symptomen Globus- und Clavusgefühl.
Die Astasie-Abasie trat hier in dem Momente auf, wo die Ausbreitung des
syphilitischen Giftes sich durch den Ausbruch der sekundären Erscheinungen be¬
merkbar zu machen begann; sie dauerte ebenso lange wie die spezifisch syphi¬
litischen Erscheinungen und verschwand auch mit ihnen. Verschwinden der
Astasie-Abasie in überraschend kurzer Zeit unter spezifischer Behandlung.
19) Cerebral Syphilis in ohildhood, by A. W. Fairbanks. (Journ. of the
Amer. med. Assoc. 1907. Nr. 10 u. 11.) Ref.: Kurt Mendel.
Die Hauptveränderungen bei der kindlichen cerebralen Syphilis basieren auf
Meningitis, Arteriitis oder Gummata. Charakteristisch ist die Vielgestaltigkeit
der Symptome, der zumeist subakute Beginn des Leidens, das schnelle unerwartete
Zurückgehen der Erscheinungen, der Erfolg der spezifischen Therapie für einige
der Symptome. Die Initialerscheinungen zeichnen sich aus durch ihren schleichen¬
den Beginn, ihren transitorischen Charakter und Wechsel vollen Verlauf. Kopf¬
schmerz ist häufig ein Frühsymptom bei der kindlichen Cerebralsyphilis, derselbe
ist mehr diffus und nicht so intensiv wie bei Erwachsenen; auch ist Schlaflosig¬
keit nicht so häufig bei Kindern. Das hauptsächlichste Frühsymptom bei Kindern
ist die Charakterveränderung und die Intelligenzabnahme. Sprach- und Augen¬
störungen, motorische Lähmungen, Krämpfe sind häufig als Initialsymptome, ebenso
Schwindel und plötzliche Gedächtnisstörungen. Früher oder später treten dann
mehr positive Erscheinungen auf: Ungleichheit und Starre der Pupillen, Facialis-
paresen, apoplektiforme oder epileptiforme Anfälle.
Starke Kopfschmerzen, Hirnnervenlähmungen, Überempfindlichkeit der Sinne,
Stupor, Insomnie oder aber auch Schlafsucht, Konvulsionen und psychische
Störungen sprechen für Meningitis; Schwindelattacken, plötzliche Bewußtseins-
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Störungen, vorübergehende Sprachstörungen oder Lähmungen für Arteriitis; Herd*
Symptome für Gummata. Die Prognose hängt von dem pathologischen Prozeß ab
(die ungünstigste Prognose ergeben die arteriellen Veränderungen), ferner auch
von dem frühzeitigen Erkennen des Erankheitsbildes und von dem Lebensalter,
in welchem der Prozeß beginnt.
50 aus der Literatur zusammengestellte Fälle kindlicher cerebraler Syphilis
beschließen die Arbeit.
20) Über den Eoraakow sehen Symptomenkomplex bei Hlralues, von Dr.
L. Roemheld. (Arch.f.Psych.u.Nervenkrankh. XLL 1906.) Ref.:Heinicke.
Davon ausgehend, daß über die Beziehungen des Korsakowschen Symptomen-
komplexes zur Hirnlues noch wenig bekannt ist, veröffentlicht Verf. folgenden
interessanten diesbezüglichen Fall. Eine nicht belastete, früher stets gesunde, im
Klimakterium Btehende Kaufmannsfrau, bei der keine Aborte und kein Potus nach¬
weisbar waren, fiel seit Februar 1904 ihren Angehörigen dadurch auf, daß sie
vergeßlich wurde, fabulierte, vielfach unwahre Dinge behauptete. Sie klagte viel
über nächtlichen Kopfschmerz, hatte Schwindelanfälle, kurze Bewußtseinsstörungen,
war unsicher auf den Beinen, apathisch. Bei der Aufnahme zeigten sich in
somatischer Beziehung von besonders interessierenden Befunden: träge, wenig
ausgiebige Pupillarreaktion, rechtsseitige Facialisparese, Deviatio linguae dextra,
ticähnliche Zuckungen der rechten Gesichtshälfte, die sich bisweilen auch auf
den rechten Arm und das rechte Bein fortsetzten, später Stauungspapille; die
Sensibilität war ungestört; der Patellarrefiex ließ sich links deutlich, rechts nur
sehr schwach auslösen; der Achillessehnenreflex war undeutlich; Romberg positiv.
Während der Untersuchung bekam die Kranke einen etwa 3 Minuten währenden
Ohnmachtsanfall. Das psychische Verhalten ließ einen Stupor erkennen; die
Sprache war langsam, aber nicht dysarthrisch; örtlich und zeitlich erwies Bich die
Patientin mangelhaft orientiert; sie wußte nicht, wer sie hergebracht hatte, daß
es der Mann gewesen war, wie die Arzte, der Ort, die Anstalt hießen; dabei war
die Merkfähigkeit sowohl für akustische als auch optische Reize stark herab¬
gesetzt, während das Gedächtnis für die frühere Zeit gut erhalten war. Die
Schrift ließ nichts Pathologisches erkennen; das Urteilsvermögen war im wesent¬
lichen nicht gestört; die Stimmung erschien gereizt, zeitweilig bestand unmoti¬
viertes Lachen, alles bei vorhandenem Krankheitsgefühl. Im Verlauf der weiteren
Beobachtung war die Kranke, ohne es zu merken, einmal unrein; hin und wieder
sah sie doppelt; sie zeigte immer wieder Neigung zum Fabulieren; vorübergehend
war sie aber auch klar.
Es wurde die Diagnose auf Korsakowschen Symptomenkomplex gestellt,
wahrscheinlich auf der BasiB einer Hirnlues mit vornehmlich linksseitigem Sitz;
doch war auch der Gedanke an diffuse Arteriosklerose nicht ganz von der Hand
zu weisen.
Da nach interner Jodkalibehandlung und Inunktionskur kein Erfolg zu merken
war, der Mann aber luetische Infektion vor 12 Jahren und trotzdem Verkehr mit
seiner Frau zugegeben hatte, außerdem aber die Krankheit fortschritt, wurde
noch ein letzter Versuch mit Jodipineinspritzungen gemacht, um dem Körper
möglichst große Joddosen zuzuführen. Darnach trat baldige Besserung ein, so
daß die Kranke nach einiger Zeit in folgendem Zustand entlassen werden konnte:
Es bestand ab und zu noch leichtes Kopfweh; die Stauungspapille war im Schwinden;
die Pupillen, die sogar vollständig starr geworden waren, reagierten wieder
prompt; es bestand keine Facialisparese mehr, ebenso kein Romberg; dagegen war
die Abweichung der Zunge nach rechts noch vorhanden. Die Patellarrefiexe waren
gleich, aber schwach.
In psychischer Hinsicht verhielt Bich die Kranke vollständig normal; dagegen
bestand für die Zeit der Erkrankung ein 3 / 4 jähriger Erinnerungsdefekt.
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Zur Erklärung dieses Korsakowschen Komplexes zieht Verf. dreierlei heran:
1. diffuse luetische Gefäßerkrankung,
2. Gumma mit sekundärer Steigerung des intrakraniellen Druckes,
3. luetische Intoxikation.
Er neigt am meisten zur dritten Erklärung, also dazu, daß das Nerven*
ge webe durch das im Blute kreisende Syphilisgift direkt geschädigt ist, daß es
sich also um eine toxische Ernährungsstörung der Ganglienzellen handelt, die
ihrerseits wieder zu der bis jetzt bei Hirnlues noch nicht beschriebenen Form
des amnestischen Symptomenkomplexes geführt hat.
21) Über paralysenähnliche Krankheitsbilder, von J. Finckh. (Centralbl.
f. Nervenheilk. u. Psych. 1907. April.) Bef.: H. Marcuse (Dalldorf).
Verf. teilt zwei Fälle mit, die lange die Hauptsymptome der progressiven
Paralyse boten. Die weitere Entwicklung zeigte aber, daß es sich um Krankheits-
bilder handelte, die der Lues cerebri zuzurechnen sind. Verf. sucht retrospektiv
nach Kriterien, die schon in früheren Stadien die Unterscheidung ermöglichen.
Patient A., Metzger, geboren 1848, Lues 1878, Schmier- und Spritzkur, er¬
krankte 1892 mit Schwindelanfällen, Zuckungen und Sprachstörung, die sich
aber durch Fehlen der Monotonie und Perseveration von der paralytischen unter«
schied; auch Beben der Gesichtsmuskeln fehlte. Wenig später traten epilepti«
forme Anfälle, Pupillenstarre, Erhöhung der Patellarreflexe und ataktischer Gang
auf. Während Euphorie und Größenideen und Depression mit Gereiztheit ab¬
wechselnd vorhanden waren, entwickelte sich eine allmählich zunehmende Demenz.
Pat. verrichtete dabei zeitweise eifrig grobe, mechanische Arbeiten. Seit 1899
traten keine Anfälle mehr auf; Gedächtnis, Merkfähigkeit, Urteilskraft, Orientierung
stellten sich biB zu einem Grade wieder her, der bei einem Paralytiker nicht
möglich wäre. Ebenso gingen die körperlichen Erscheinungen teilweise zurück.
Die Pupillenreaktion blieb träge. Es blieb ferner die Sprachstörung, der In¬
telligenzdefekt und Euphorie mit Größenideen.
Das jetzt 15jährige Bestehen der Krankheit spricht nicht durchaus gegen
die Diagnose Paralyse, da Fälle der sogen, stationären Form mehrfach zu be¬
obachten sind. Ausschlaggebend ist die Qualität des Schwachsinns. Es handelt
sich um eine erhebliche Einengung, aber nicht um einen völligen Verlust der
Intelligenz, des Gemütslebens und der Interessen wie bei der Paralyse. Auch
von den anderen Formen der Demenz unterscheidet sich die vorhandene in wesent¬
lichen Zügen. Schließlich ist der Typus der Sprachstörung nicht der gewöhnliche
und es fehlt das Beben der Mundmuskulatur.
Dieser Fall bestätigt Gaupps Ansicht, daß die sogen, stationären Fälle von
progressiver Paralyse häufig duich diffuse luetische Prozesse hervorgerufen werden.
Der sehr bemerkenswerte zweite Fall bietet in seiner Deutung größere Schwierig¬
keiten.
Patient B., ein Mann besserer Stände, geboren 1852, Lues etwa 1876, mehr¬
fach spezifisch behandelt. 1882 erweist sich die linke Pupille weiter als die
rechte. Seit Ende 1885 psychisch verändert. Es entwickelte sich das Bild einer
maniakalischen Paralyse, das zunächst mit zweimonatiger Remission bis Anfang
1888 dauerte. Auffallend waren schon damals Gehörshalluzinationen. Nach einer
schweren septischen Erkrankung trat eine 1 Jahr dauernde Remission ein und
von nun ab wurden die Erscheinungen sehr mannigfaltig. Depressionszustände
und Euphorie, Sopor und korrektes Verhalten folgen einander in jähem Wechsel.
Anstatt zunehmender Verblödung traten die Bewußtseinsstörungen mehr und mehr
zurück. Bis 1895 bestanden erhebliche Stimmungsschwankungen, Merk- und Ge¬
dächtnisstörung, Urteils* und Willensschwäche, während ethische Defekte erheblich
länger bemerkbar waren, auch die Gehörstäuschungen (jetzt aber mit Krankheits-
einsicht) fortdauerten. Von
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körperlichen Symptomen der Paralyse waren Er-
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Weiterung und mangelhafte Reaktion der linken Pupille, linksseitige Opticus¬
atrophie, Schwäche des linken Facialis, sowie spastischer Gang mit Steigerung der
Patellarreflexe vorhanden, die neben Empfindlichkeit der Wirbelsäule und von
ihr ausstrahlenden lebhaften Schmerzen weiter fortbestanden. Pat. vermag oun-
mehr seit 10 Jahren eine amtliche Stellung als Lehrer auszuüben.
Hier treten die Gehörstäuschungen (die bei Fall I auch erwähnt werden)
von Anfang an mehr in den Vordergrund als bei der Paralyse. Es fehlt ferner
die Sprach- und Sohriftstörung derselben und an Stelle fortschreitender
Demenz findet sich ein auffälliger Wechsel der BewußtBeinshelle.
Wäre die fieberhafte Erkrankung, wie in einzelnen Fällen von Paralyse beobachtet
ist, Ursache des günstigen Verlaufes, so wäre das lange (7 jährige) Fortbestehen
der psychischen Erscheinungen schwer zu verstehen. Aus all diesen Gründen
kann der Fall nicht als geheilte Paralyse aufgefaßt werden. Der partielle psychische
Defekt, der etappenförmige Verlauf und die Halluzinationen sprechen dagegen
für Lues cerebri, zu welcher auch die schließlich konstanten neurologischen Sym¬
ptome passen.
Verf. stellt den Fall Beobachtungen von Klein, Wickel und Alzheimer
an die Seite und nimmt mit letzterem als anatomische Grundlage eine gummöse
Meningitis an.
22) Beitrag zum klinlsohen und anatomischen Bild der Lues cerebro¬
spinalis, vonDr.Tiedemann und Dr. T. Nambu. (Münchener med. Wochen¬
schrift. 1907. Nr. 24.) Ref.: E. Asch.
Bei einer 39jähr. Frau, welche nach den Angaben des Mannes im 20. Lebens¬
jahr eine Geschlechtskrankheit durchgemacht haben soll, bestehen seit 7 Jahren
Schmerzen und Müdigkeit in den Knien. Es entwickelte sich allmählich eine
atrophische Lähmung der Beine und Arme mit zeitweiser Steigerung der Reflexe
an den Beinen, Mastdarm- und Blasenstörungen, ausstrahlende Schmerzen und
Druckempfindlichkeit der Muskeln und Nervenstämme, ausgesprochene Ataxie an
Armen und Beinen, zeitweise unstillbares Erbrechen, das den Magenkrisen der
Tabiker vielfach ähnlich war, ferner sehr heftige Kopfschmerzen. Pupillendifferenz,
reflektorische Pupillenstarre, leichte rechtsseitige FacialispareBe und am Ende der
Krankheit hochgradige Hyperästhesie der Haut. Eine antisyphilitische Kur brachte
trotz der lange Zeit zurückliegenden Infektion zeitweise Besserung. Der Exitus
trat durch Inanition infolge des unstillbaren ErbreobenB ein. Bei der anatomischen
Untersuchung fand sich eine entzündliche Affektion der Meningen im Bereich der
Hirnbasis und des ganzen Rückenmarkes. An der Hirnbasis zeigte die Pia einen
cirkumskripten, im Centrum verkästen Herd (Gumma), im Knie der rechten
Capsula iifterna fand sich ein J / 4 cm großer Erweichungsherd, am Rückenmark
waren die inneren Meningen in den dorsalen Partien in großer Ausdehnung
schwielig verdickt und in den übrigen Teilen kleinzellig infiltriert. Im mittleren
Dorsalmark zeigte sich die Dura verdickt, in ihren inneren Schichten kleinzellig
infiltriert und von zahlreichen Blutungen durchsetzt. An den großen Arterien
der Hirnbasis war die Intima gewuchert, die Adventitia entzündlich infiltriert
und die Membrana elastica verdickt; die Meningealgefäße waren durch klein¬
zellige Infiltration der Adventitia und Wucherung der Intima verdickt. Es handelt
sich demnach um einen typischen Fall von Syphilis des Centralnervensystems.
23) Sur les dlfflcultes du dtagnostie entre le mal de Pott sans sign es
raohidiens, la tuberoulose de la moölle, la myölite simple des tuber-
ouleux et certaines myölites syphllitiques, par Alquier. (Gazette des
höpitaux. 1907. S. 243.) Ref.: Pilcz (Wien).
Sehr lesenswerter Aufsatz, der sich durch die epikritischen differential¬
diagnostischen Betrachtungen weit über das Interesse einer einfachen Kasuistik
erhebt.
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I. 41 jähriger Luetiker, Ataxie, lanziuierende Schmerzen, Romberg. Patellar-
sehnenreflexe gesteigert (!). Argyll-Robertson 0, Babinski 0. Eine spezifische
Kur brachte zuerst rasche und auffallende Besserung; 6 Monate später Erscheinungen
von Wurzelkompression im Bereiche des Lumbalmarkes. Bei der Obduktion
kleiner epiduraler Herd (ohne Kompression des Rückenmarkes) infolge Malum
Pottii; unabhängig davon sklerotisch-degenerative WurzelVeränderungen, wahr¬
scheinlich luetischer Art
II. 36jähriger Mann, sehr wenig ausgesprochene Wurzelsymptome, die auf
ein Pottsches Übel zurückgeführt werden konnten (ein bischen Druckschmerz¬
haftigkeit einiger Dornfortsätze und leichtes Maß von Steifigkeit der Wirbelsäule).
Ohne sonderliche sensible Reizerscheinungen spastische Paraplegie der unteren
Extremitäten, Anästhesie bis zum Schulterblattrande. Argy 11-Robertson, Patellar-
sehnenreflexe nicht auslösbar. Nekropsie: Großer epiduraler Herd infolge Karies
im Bereich der Brustwirbelsäule mit Veränderung der entsprechenden Wurzeln.
Im Lendenmark beginnend aufsteigende Tabes.
IIL 50jährige Frau. Argyll-Robertson, Patellarsehnenreflexe erloschen, Er¬
scheinungen von Wirbelkaries im Bereiche des Dorsalabschnittes. Autopsie ergibt
denselben Befund wie bei Fall II.
(Fall I bis III wurden mit genauer histologischer Untersuchung vom Verf.
seinerzeit als Fall XII bis XIV mitgeteilt in: Quinze autopsies de mal de Pott.
Nouvelle Iconographie de la Salpetrige. 1906. Nr. 6.)
IV. 40jähriger Mann, Tuberkulose und Lues. Argyll-Robertson 0, keinerlei
Zeichen von Wurzelkompression oder von Malum Potti, komplette Paraplegie der
unteren Gliedmaßen, Babinski positiv, Hypästhesie bis zum Nabel, unwillkürlicher
Harn- und Kotbabgang. Druckbrandbildung. Die Nekropsie ergab eine intra¬
medulläre Neubildung. (2 Abbildungen im Texte.)
V. 21 jähriger tuberkulöser Mann. Gürtelgefühl, Schmerzen in den unteren
Gliedmaßen, bald danach vollständige Lähmung derselben, heftige Schmerzen bei
Bewegungen der Wirbelsäule und bei Druck auf die Dornfortsätze des dorso-
lumbalen Abschnittes. Bei der Obduktion: Einfache Querschnittsmyelitis, von der
sich selbst nach histologischer Untersuchung nicht genau bestimmen ließ, ob sie
tuberkulöser Art sei oder nicht. Keine Erkrankung der Wirbelsäule. (3 Ab¬
bildungen im Texte.)
Verf. beleuchtet eingehend die differential-diagnostischen Schwierigkeiten der
mitgeteilten Fälle, geht dabei namentlich auf die Verwertung des Argyll-
Robertsonschen Phänomens, auf die Bedeutung der Lumbalpunktion und der
Symptome von Wurzelkompression ein.
24) Syphilitisohe Sensibilitätsstörungen am Rumpfe, von Dr. Knapp. (Arch.
f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke.
Verf. beschreibt bei zwei an Lues cerebrospinalis leidenden Kranken zwei
eigentümlich begrenzte Sensibilitätsstörungen, und zwar an der rechten Hälfte des
Abdomens. Dieselben waren in beiden Fällen fünfmarkstückgroß, und saßen lateral
von der Mammillarlinie; im 1. Falle lag das Centrum etwa in Nabelhöhe, im
2. Falle die ganze Stelle soweit unterhalb der Nabelhöhe, daß die untere Peripherie
noch etwas tiefer als der Darmbeinkamm zu suchen war. Im 1. Falle wurde die
Sensibilitätsstörung für Schmerz- und Berührungsempfindung nachgewiesen; im
2. Falle war die Sensibilität für Berührung, Schmerz- und Kältereize herabgesetzt,
während die Wärmeempfindung normal war. In beiden Fällen kam die Sensi¬
bilitätsstörung dem Kranken zum Bewußtsein, dem zweiten durch ein infolge der
spezifischen Behandlung verschwindendes Gefühl der Vertaubung.
Die Frage, ob diese Störungen auf eine Wurzelneuritis oder periphere Neu¬
ritis zurückzufübren sei, beantwortet Verf. dahin, daß es sich wohl nur um eine
Affektion der peripheren Nerven handeln könne, die die Bauchhaut zu versorgen
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hätten; er bekennt sich um so mehr zu dieser Annahme, als in beiden Fällen
noch andere periphere Nerven in Mitleidenschaft gezogen waren. Ob nun die
Rami cutanei laterales oder die Rami anteriores der tiefsten Interkostalnerven
erkrankt Bind, entscheidet Verf. zugunsten der letzteren, in Hinblick auf deren
a priori schon ungünstigere und somit einer Läsion leichter ausgesetzte anato¬
mische Lage.
Verf. ist dieser Art und Lokalisation der Sensibilitätsstörungen bisher nur
bei syphilitischen Erkrankungen begegnet. Sollten sich dieselben noch durch
weitere Beobachtungen als für Lues pathognomonisch erweisen, so würden sie
naoh Ansicht des Verf.’s ein nicht unwichtiges differential-diagnostisches Kenn¬
zeichen, besonders gegen tabische Veränderungen darstellen.
25) Luetisohe Brown-Söquard-Lähmung, von K. P&ndy. (Gyögyäszat. 1906.
Nr. 22. [Ungarisch.]) Ref.: Hudovernig (Budapest).
Bei einem 30jähr. Manne entwickelte sich vor 10 Jahren auf syphilitischer
Grundlage multiple Hirnnervenlähmung, reißende' Schmerzen der rechten, dann der
linken Körperhälfte, schlaffe Lähmung des rechten Armes mit Atrophie der
Schulter-, Arm- und Handmuskeln, später Hyp-, schließlich Analgesie der rechten
Körperhälfte. Quecksilberbehandlung bringt damals vorübergehende Besserung.
Diagnose: Brown-S6quardsche Lähmung durch syphilitische Wirbelerkrankung.
Gegenwärtig, also 10 Jahre später, subjektiv vollkommenes Wohlbefinden, objektiv
träge Lichtreaktion der Pupillen, geringe Atrophie der rechten Schultermuskeln
und Hypalgesie der rechten Brusthälfte. In der Zwischenzeit hat Patient Queck¬
silber- und Jodkalikur durchgemacht. Epikritische Diagnose: intramedullärer
luetischer Prozeß (Gumma) in der Höhe des VI. Halswirbels, überdies extra¬
medullärer komprimierender Prozeß; ersterer verursachte die stabilisierten, letzterer
die vergangenen Symptome.
26) Die syphilitische Spinalparalyse (Erb), von Priv.-Doz. Dr. A. Wimmer.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Bef.: E. Asch.
Zu der Frage, ob die pathologisch-anatomische Grundlage der syphilitischen
Spinalparalyse auf einer Querschnittsläsion des DorsalmarkeB beruht oder durch
eine kombinierte Strangdegeneration bedingt ist, liefert Verf. einen bemerkens¬
werten Beitrag. Von den drei mitgeteilten Fällen ist namentlich der eine von
größerem Interesse, weil die klinische Beobachtung durch den anatomischen Be¬
fund gestützt wird.
Es handelt sich um einen 47jähr. Fabrikanten, der vor 1 1 / 2 Jahren syphi¬
litisch infiziert wurde. Vor etwa 1 / 2 Jahr wurde das Gehen schwierig, es trat
Incontinentia urinae et alvi, Spannung über dom Unterleib und Filzgefühl unter
den Füßen auf. Es fanden sich mäßige Paraparese der Beine (1. > r.) ohne
Atrophien, ausgeprägte Hypotonie der paretischen Muskeln, häufige Reflexkrärapfe
in den Beinen, sehr starker Patellar- und Fußklonus und Babinskisches Zehen¬
phänomen beiderseits. Gang spastiscli-paretisch mit leichtem Stampfen im rechten
Bein, ferner deutliche taktile Hypästhesie, distal zunehmend an beiden Beinen
und am Abdomen bis zur Transversalen mitten zwischen Nabel und Symphyse.
Nur an der rechten Planta wird ab und zu Pinselberührung empfunden. In der¬
selben Region Neigung zur Verwechslung zwischen Warm und Kalt bei niedrigen
Wärmegraden. Schmerzgefühl nicht deutlich verändert. Unfreiwilliger Urin¬
abgang zum Teil automatisch-intermittierend, Urin alkalisch, eiterhaltig, Stuhl
wird ebenfalls unbemerkt entleert, Decubitus auf den Nates und später auch auf
der linken Hacke, Ödeme am Abdomen und an den Beinen, auf der rechten Seite
unbestimmter Plantarreflex, links deutlicher Babinski, Sehnenreflexe = 0, nur
der linke Achillessehnenreflex ganz schwach vorhanden. Bei der anatomischen
Untersuchung fand sich im 8. und 9. Dorsalsegment ein herdförmiger Prozeß mit
Verdickung der Pia (Hypertrophie des Bindegewebes), Rundzelleninfiltration der
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austretenden Nervenwurzeln und leichter Wand Verdickung der kleinen Pialgefäße,
ferner fast reine Degeneration der Markscheiden und Achsencylinder ohne Rund¬
zelleninfiltration. Außerdem bestand im Dorsalmark oberhalb des Herdes und
aufwärts durch das Cervikalmark ausgesprochene Degeneration der Goll sehen
Stränge, des Tractus cerebellospinalis dorsalis und — in leichterem Grad — des
Go wer eschen Bündels und schließlich unterhalb des Herdes Degeneration der
Pyramidenbahnen (bis zum 2. Sakralsegment reichend), sowie oberhalb des Herdes
eine ganz leichte, aber sichere Degeneration in der Gegend der Pyramidenseiten- und
Pyramidenvorderstrangbahnen bis zum 3. Dorsalsegment hin nachweisbar (Marchi).
Während die unterhalb der Transversalläsion auftretende Degeneration der
Pyramidenseitenstränge wahrscheinlich als vorwiegend sekundär aufzufassen ist,
läßt sich die Degeneration im Gebiet der Pyramidenseiten- und Pyramidenvorder¬
strangbahnen oberhalb des 8. bis 9. Dorsalsegmentes nicht als Folge der Trans¬
versalläsion ansehen und ist insofern als primäre Systemdegeneration zu beurteilen.
Verf. hält es für richtiger, ausschließlich den vorsichtigeren Ausdruck „kombinierte
Strangdegeneration'' zu gebrauchen, da der pathologisch-anatomische Prozeß als
symmetrische, strangförmige Veränderung in ganz bestimmten, recht scharf lokali¬
sierten Partien des Rückenmarksquerschnittes in dem hinteren Teil der Seiten¬
stränge und in den Hintersträngen zu suchen ist. Wahrscheinlich ist diese
Lokalisation durch die Mitleidenschaft gewisser, genau begrenzter Gefäßgebiete
bedingt.
27) Über die syphilitische Erkrankung der Extremitätengefftfle, von Bel-
kowski. (Gazeta lekarska. 1906. Nr. 48 bis 50.) Ref.: E. Fla tau (Warschau).
Verf. bespricht die verschiedenen Formen der Erkrankung der Extremitäten¬
gefäße und meint, daß man zu wenig die syphilitischen Erkrankungen derselben
beachtet. Speziell in bezug auf die sogen. Claudication intermittente
meint Verf., daß es Fälle gibt, in welchen die Erkrankung auf Grund eines
syphilitischen Prozesses in den Arterien entsteht und durch eine spezifische Kur
kariert werden kann. Er zitiert beispielsweise folgenden Fall: Ein 26jähriger
Mann erkrankte vor 3 Jahren an Klaudikation (krampfartige Schmerzen in den
Waden, die den Gang störten). Das rechte Bein war damals kühler als das
linke. Bald danach ständige Schmerzen im rechten Fuß und Verwundungen an
den Zehen. Die Wunden heilten nicht und die Gangrän verbreitete sich auf den
Fuß. Amputation des Fußes, später des Oberschenkels. Nach ! / 2 Jahr Par-
ästhesien, Schmerzen beim Gehen, ständige Schmerzen im linken Bein. Status
zeigte Arteriitis obliterans (kein Puls weder in der Art. dorsalis pedis noch in
der Femoralis). Obgleich man keine Lues in der Anamnese feststellen konnte,
wurde eine spezifische Kur angewandt. Nach 30 Einreibungen wurden die
Schmerzen geringer, nach 36 schwanden dieselben, und es kehrte der Puls in der
Art. femoralis wieder. Nach 56 Einreibungen Wiederauftreten des Pulses in der
Art. dorsalis pedis. Pqt. konnte seine Feldarbeit aufnehmen (nur Wadenschmerzen
nach längerem Gehen). Nach 5 Jahren Wunden am Unterschenkel nach einer
leichten Verletzung. Die Wunden wollten nicht heilen. Wunden an den Zehen.
Fehlender Puls in den Artt. radiales, ulnares, femoralis, tibialis post, und dorsalis
pedis. Intensive Schmerzen. Pat. verbringt Nächte in sitzender Stellung. Spezi¬
fische Kur (Hg und KJ). Nach den ersten 42 Einreibungen keine wesentliche
Besserung. 2 wöchentliche Pause. Nach wiederholter Kur (50 neue Einreibungen)
Aufwachsen der Nägel, Heilung der Wunden, Schwund der Schmerzen, Wieder¬
auftreten des Pulses in den Arterien der oberen Extremitäten mit Steigerung deB
Blutdruckes (Gärtnerscher Tonometer).
28) Erfahrungen über die Behandlung von Störungen des Nervensystems
auf syphilitischer Grundlage, von Harttung und 0. Foerster. (Archiv
f. Dermatologie u. Syphilis. LXXXVI. 1907.) Ref.: Kurt Mendel.
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Unter Beibringung einer Reihe von Fällen treten die Verff. mit Wärme für
die merkurielle Therapie bei Störungen des Nervensystems auf syphilitischer Grund¬
lage, insbesondere auch bei Tabes und Paralyse, ein. Sie empfehlen das Queck¬
silber in Form von Kalomelinjektionen.
29) Neuere Ersatzmittel des Jodkalium, von Camillo Reuter. (Gyögyäszat.
1906. Nr. 39. [Ungarisch.]) Ref.: Hudovernig (Budapest).
Die unangenehmen Nebenwirkungen des Jodkalium, namentlich der häufige
Jodismus, lassen Ersatzmittel als sehr erwünscht erscheinen. Sajodin hat Verf.
in mehreren Fällen dem Jodkali als ebenbürtig gefunden; es wird wegen seiner
Geruch- und Geschmacklosigkeit gern genommen und erzeugt selbst bei dazu
neigenden Personen keinen Jodismus. Tagesdosis 1 bis 3 g. Zur äußerlichen An¬
wendung empfiehlt Verf. das Jothion als 50°/ o ige Vaselinsalbe, aber noch besser
als Liniment mit 5 bis 6fachem Zusatz von Tafelöl; die Anwendung erfolgt täg¬
lich an anderer Stelle, Schutzverband ist nicht nötig, Exanthem hat Verf. nie
beobachtet.
30) Über den Wert neuerer Jodprfiparate gegenüber den früher benutzten
Jodalkalien, von P. Hager. (Budapesti orvosi ujs&g. 1906. Nr. 32.) Ref.:
Hudovernig (Budapest).
Die gastrischen Störungen und der Jodismus beeinträchtigten oft den thera¬
peutischen Effekt der älteren Jodalkalien, weßhalb neuere Präparate Behr erwünscht
waren. Das souveräne Mittel der Jodmedikation bleiben noch immer die Jod¬
alkalien, obwohl dieselben oft gastrische Störungen und Jodismus erzeugen. Jodipin
eignet sich weder per os noch subkutan zu einer längeren Anwendung, ist bei
kurzer Behandlung aber empfehlenswert; längerer Gebrauch per os ruft gleich¬
falls gastrische Störungen hervor. Ein sehr gutes und sich für längeren Gebranch
eignendes Ersatzmittel der Jodalkalien ist Sajodin; in 2 Fällen hat Verf. auch
bei Sajodingebrauch Jodismus beobachten können, und schreibt das seltene Auf¬
treten des Jodismus dem geringeren Jodgehalte zu; die wirksame Dosis deB Sajo-
dins scheint noch nicht genau bestimmt zu sein. „Jodone“ (Robin) ist als gutes
resorbierendes Mittel ohne Nebenwirkungen zu empfehlen, wenn nur minimale
Joddosen erwünscht sind.
31) Über Jodipin und seine Anwendung bei cerebrospinaler Lues, von
A. Rorolkow. (Obosrenije psich. 1906. Nr. 5.) Ref.: Wilh. Stieda.
Verf. wandte das Jodipin intramuskulär an, wobei er eine Spritze gebrauchte,
deren Nadel anzuschrauben war und bei der der Stöpsel hineingeschraubt wurde.
Diese Modifikation wurde eingeführt, da sich das Jodipin nur mit großer Kraft
aus der Spritze hinausstoßen läßt.
Indikationen für den Gebrauch des Jodipins sind Magen- und Darmkatarrh,
Erbrechen, Jodismus und schlechter Ernährungszustand des Pat. Seine Vorzüge
bestehen in einer sehr langsamen und allmählichen Ausscheidung des Jods und
seiner Resorption in Form einer organischen Verbindung.'
Verf. verwandte das Mittel in Fällen von luetischer Meningomyelitis, von
Lues cerebrospinalis. Lues cerebri und syphilitischer cerebrospinaler Neurasthenie
und konstatierte in all seinen Fällen eine bedeutende Besserung aller Symptome.
Auch in 2 Fällen von Tabes ergab das Jodipin insofern günstige Erfolge,
als die lanzinierenden Schmerzen nachließen, die Parästhesien verschwanden und
die Patienten an Gewicht Zunahmen. In dem einen Fall wurde außerdem nach
Gebrauch des Jodipins eine bedeutende Erweiterung des farbigen Gesichtsfeldes
und eine Besserung der Sehkraft, die infolge einer Sehnervenatrophie herabgesetzt
war, vermerkt. In 2 Fällen von progressiver Paralyse ergab das Jodipin natür¬
lich keine merkliche Änderung des Zustandes.
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Psychiatrie.
32) Progressiv« Paralyse und Syphilis, von F. Bis, Direktor in Rheinau.
(Korresp.-Blatt f. Schweizer Ärzte. 1907. Nr. 7.) Ref.: Kurt Mendel.
Seit 1898 ist Verf. bemüht, an seinem Material die Frage za beantworten,
ob es möglich sei, durch die mikroskopische Untersuchung der Großhirnrinde mit
aller Sicherheit die progressive Paralyse zu erkennen und gegen andere Geistes¬
störungen abzugrenzen. Verf. bejaht diese Frage: es gibt einen für die Para¬
lyse charakteristischen Befund der Hirnrinde; dieser Befund ist eine
chronische Entzündung, sein am leichtesten sichtbarer und am
meisten für die Krankheit charakteristischer Anteil ist die Ent¬
artung der Gefäße. Des näheren sind folgende immer wiederkehrende Ver¬
änderungen der Rinde zu konstatieren: 1. Veränderungen an den Ganglien¬
zellen: die regelmäßige radiale Anordnung der Pyramidenzellen, die Architektur
der Rinde, hat Not gelitten. Die Körper der Zellen bieten ein Bild bunter
Mannigfaltigkeit, von geringen, kaum erkennbaren Abweichungen von der Norm
an bis zu den höchsten Graden von Zellveränderung, wo nur noch eine diffus
gefärbte Masse ohne erkennbare Struktur sichtbar ist. 2. Verminderung, teilweise
Degeneration der markhaltigen Nervenfasern. 3. Veränderungen der Neu-
roglia von verschiedenstem Grad und mannigfaltiger Verteilung: zahlreiche
„Spinnenzellen“ in der Molekularschicht, sogen. „Gliarasen“ in allen Schichten der
Rinde, „Stäbchenzellen“ (Nissl-Alzheimer). 4. Erhebliche Vermehrung der
Rindengefäße, insbesondere der Kapillaren; „Gefäßsprossen“, wie sie Alzheimer
beschrieb, konnte Verf. allerdings nicht mit Sicherheit nachweisen. Die schwersten
Veränderungen (Infiltrate mit Lymphozyten und Pla6mazellen) bietet die Adventitia
der Gefäße dar. „Diese Infiltrate sind das eigentliche Signum morbi der Para¬
lyse, das den Eingeweihten sozusagen beim ersten Blick ins Mikroskop die Dia¬
gnose stellen läßt und um das sich dann alles andere, weniger leicht zu Sehende
harmonisch gruppiert.“ Der Prozeß an den Hirnrindengefäßen bei Paralyse trägt
noch Verf. unzweifelhaft die Züge einer langsam verlaufenden chronischen Ent¬
zündung. Die vorderen Hirnteile, vom Stirnpol bis etwa in die hintere Central-
windung, sind am stärksten ergriffen; die Schwere der Veränderungen nimmt nach
dem Occipitalpol zu ab. Das Kleinhirn ist in wechselndem Maße beteiligt.
Bei dieser Art des anatomischen Befundes ist die Annahme einer ein¬
heitlichen, exogenen Ursache der Paralyse ein unumgängliches Erfordernis;
diese Ursache kann nur die Syphilis sein, derselbe Faktor, auf welchen Klinik
and Statistik so dringend hinweisen.
Die Veränderungen an den Gefäßen der paralytischen Hirnrinde bezeichnet
denn auch Verf. ganz direkt als syphilitische und er argumentiert folgendermaßen
(S. 232): „Hirnsyphilis tritt unter sehr mannigfaltigen Formen auf! Am einen
Ende der Reihe steht das solitäre Gumma; dann folgen multiple größere Gummata;
diffuse gummöse Entartung der Meningen, mehr der Basis als der Konvexität,
mit wechselnder Beteiligung der größeren Gefäße und der Rinde; endlich Gummata
nur noch in sozusagen rudimentärer Ausbildung, zerstreut und kaum über miliare
Größe hinaus, dabei aber als Hauptbefund die Infiltration, Entartung und Wuche¬
rung der Rindengefäße mit ihrem Gefolge von Zerstörungen und Reaktionen im
nervösen Anteil und der Neuroglia, eben die progressive Paralyse.“ Jedenfalls
erscheint letztere als eine Form der Hirnsyphilis.
83) La rdaotion des antioorps syphilitiques dans la paralysie generale et
le tabäs, par A. Marie et C. Levaditi. (Psych.-neur. Wochenschr. 1907.
Nr. 18.) Ref.: Kurt Mendel.
Die Verff. wandten das Wassermann-Plautsche Verfahren bei 65 Kranken
(39 Paralytiker, 5 Taboparalysen,
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4 Tabiker, 17 andere Psychosen) an. Sie
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fanden unter den 39 Paralytikern 29mal (= 73°/ 0 ) positive Reaktion (Wasser¬
mann-Plaut fanden 88°/ 0 ). Im ersten Stadium der Paralyse war die Reaktion
meist negativ, im vorgeschrittenen Stadium fand sich in 95°/ 0 der Fälle positive
Reaktion.
Bei Tabes und Taboparalyse fand sich positive Reaktion in 66°/ 0 der Fälle.
Hingegen fand sich bei den übrigen 17 Kranken (Fälle von Melancholie.
Epilepsie, Littlesche Krankheit, Dementia traumatica, Idiotie, Bleiintoxikation,
Paranoia, Dementia praecox) kein einziges Mal positive Reaktion.
Die VerfF. bringen die positive Reaktion nicht direkt in Zusammenhang mit
der Syphilis an sich, zumal Individuen, die sicher früher Syphilis hatten, eine
negative Reaktion gaben; sie halten das Vorhandensein der Antikörper vielmehr
als den Ausdruck einer kortiko-meningealen Entzündung, welche die
Syphilis charakterisiert. Die Existenz der Antikörper zeigt also das Bestehen
eines intensiven syphilitischen oder parasyphilitischen Entzündungs¬
prozesses mit kortiko-meningealer Lokalisation an.
34) Über den Nachweis syphilitischer Antikörper im Liquor cerebro¬
spinalis von Paralytikern nach dem Wassermann-Plautsohen Verfahren
der Komplementablenkung, von J. Morgenroth und G. Stertz. (Vir-
chows Archiv. CLXXXVIII.) Ref.: Kurt Mendel.
Die Verff. konnten bei ihren Versuchen die Wassermann-Plautsohen Er¬
gebnisse (vgl. d. Centr. 1906. S. 1127) durchaus bestätigen.
Die Zahl der von ihnen untersuchten Spinalflüssigkeiten betrug im ganzen
25, darunter solche von 8 Paralytikern. In allen diesen 8 Fällen konnte das
Vorhandensein syphilitischer Antikörper in der Cerebrospinalflüssigkeit nachgewiesen
werden, während sämtliche übrigen Fälle mit Ausnahme eines Falles von sekun¬
därer Lues ein negatives Resultat ergaben. Auch die Fälle von Lues cerebro¬
spinalis und die spätlatenten Formen (5 Fälle) enthielten keine Antikörper,
wenigstens nicht in nachweisbarer Menge. Ein Fall mit „Verdacht auf Tabes"
zeigte keine Antikörper.
Mit Sicherheit läßt sich aus dem Befunde von Antikörpern schließeri, daß
das Individuum Syphilis gehabt hat. Hingegen beweist der negative Ausfall der
Probe nichts gegen Lues.
Von den 8 Paralysefällen, in denen Antikörper in der Cerebrospinalflüssig¬
keit nachgewiesen werden konnten, war nur in einem Falle Lues anamnestisch
angegeben worden; die übrigen 7 Fälle wären also bei Aufstellung einer Paralyse-
Syphilisstatistik ohne weiteres für dieselbe verloren gegangen, während sie durch
das Wassermann-Plautsche Verfahren zugunsten der Syphilistheorie verwandt
werden können.
36) Zur kllnisohen Verwertung der Serumdiagnostik bei Lues, von Michael
Wassermann und Georg Meier. (Deutsche med. Wochenschrift. 1907.
Nr. 32.) Ref.: Kurt Mendel.
Nach genauer Beschreibung ihrer Methodik geben die Verff. die Resultate
ihrer Versuche an 39 Fällen, darunter 3 Fälle von Paralyse, 3 von Tabes, letztere
6 Fälle sämtlich mit positiver Wassermannscher Reaktion im Blutserum bzw.
in der Lumbalflüssigkeit. (Der Wert der Tabellen ist dadurch hochgradig ab-
geschwäoht, daß bei einer großen Reihe von Fällen die Diagnose fehlt; der Grund,
welchen die Verff. für dieses Fehlen angeben, ist nicht recht verständlich. Ref.)
In einem Falle von zweifelhaften multiplen Tumoren ermöglichte die Serodiagnostik
eine sichere Diagnose auf Gummata. Dreimal gelang der Nachweis von luetischen
Antikörpern in der Milch von Wöchnerinnen. Ein 14 tägiger Säugling mit
klinisch sicherer Lues congenita bot positive Reaktion im Serum.
Schluß: mit der Wassermannschen Reaktion gelingt es, bei gewissen Fällen
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im Blutserum Luetischer spezifische Stoffe Dachzuweisen. Ob man es dabei wirk¬
lich mit dem syphilitischen Immunkörper zu tun hat, ist noch ungewiß.
30) Die Paralyse im Kanton Lusern während des Zeitraumes von 1873
bis 1900, von Elmiger. (Psych.-neur. Wochenschr. 1906. Nr. 12.) Ref.:
F. Schultze (Greifswald).
Die Paralyse macht in dem Material des Verf.’s nur 3,8°/ 0 aller Geistes¬
kranken aus. Häufiger als Lues wird Alkoholismus in der Ätiologie erwähnt
Unter den 74 männlichen Paralytikern finden sich nur 6 Personen, welche stets
nur allein in der Landwirtschaft gearbeitet hatten. Über die- Hälfte sind Hand¬
werker, welche jahrelang in der Fremde und häufig in den Großstädten gelebt
hatten. Verf. glaubt noch hervorheben zu müssen, daß über die Hälfte aller
Paralytiker gut oder meistens sogar über gut begabt war. Die Hälfte ist erblich
belastet
37) Klinisoh-anatomisohe Beiträge sur Kenntnis der progressiven Paralyse
und der Lues oerebro-spinalis, mit besonderer Berücksichtigung der
Rückenmarks Veränderungen, von E. Meyer. (Archiv f. Psych. u. Nerven¬
krankheiten. XLIII. 1907.) Ref.: G. Ilberg.
Die Diagnose der progressiven Paralyse macht oft keinerlei Schwierigkeiten.
Die Zahl der unsicheren Fälle ist jedoch in Irrenanstalten und Kliniken keine
geringe; zuweilen gelangt man erst durch die anatomische Untersuchung zu
völliger Klarheit.
Verf. hat in einer Anzahl von besonderen Fällen die Hirnrinde, die tieferen
Hirnteile und das Rückenmark darauf durchforscht, ob die von Nissl und
Alzheimer beschriebenen Plasmazelleninfiltrate vorhanden waren und bestätigt
auf Grund Beiner Untersuchungen deren große Bedeutung. In der Substanz des
Rückenmarks waren die Plasmazellen durchweg sehr klein; auch die entzünd¬
lichen Prozesse hielten sich hier in engen Grenzen. In der Pia oder im Gehirn
fanden sich dort mächtige Plasmazellen, wo die entzündlichen Prozesse ausgedehnt
waren, ähnlich groß wie am Rand von Tuberkeln. Verf. schreibt den Plasma¬
zellen mit anderen Autoren eine phagocytäre Rolle zu; er glaubt, sie sind eine
Folge des Entzündungsreizes und werden später sämtlich oder zum Teil als
Phagocyten verwendet. Betreib der Herkunft der Plasmazellen ist Verf. der
Ansicht, daß sie Abkömmlinge der Lymphocyten sind. Auch rechnet er ihnen
ein nicht geringes Bewegungs- und Wanderungsvermögen zu.
Drei Arten von Erkrankungsformen finden sich im Rückenmark der Para¬
lytiker: primäre, strangartige Degeneration ohne nachweisbaren Zusammenhang
mit einer Hirnerkrankun^, .sekundäre absteigende Degeneration von Hirnherden,
speziell von Rindenherden aus, und diffuse adventitielle Plasmazellen- und Lympho-
cyteninfiltration als Ausdruck eines chronisch-entzündlichen Prozesses. Der Nach¬
weis dieses chronisch-entzündlichen Prozesses vervollständigt die Rolle der Beweise,
daß das ganztf Nervensystem bei Paralyse Sitz ein und desselben
Entzündungsvorganges ist.
38) Das Verhalten der Fibrillen bei progressiver Paralyse, vonDr. Renkichi
Moriyasu. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLIII. 1907.) Ref.: G. Ilberg.
Es war zu erwarten, daß Untersuchungen über die Fibrillen bei verschiedenen
Geisteskrankheiten folgen würden, nachdem uns Bielschowsky seine vorzügliche
Methode der Silberimprägnation der Neurofibrillen geschenkt und selbst Beiträge
zur feineren Histologie und Histopathologie des kranken Gehirns geliefert hatte.
Verf. hat nun in der psychiatrischen und Nervenklinik zu Kiel bei 30 Fällen
von progressiver Paralyse Großhirn, Kleinhirn und Rückenmark mit Hilfe
der Bielschowsky’schen Fibrillenmethode untersucht und die gewonnenen Bilder
mit solchen verglichen, die mit der Weigert’schen Markscheidenmethode und
Toluidinblau-Zellfärbungen behandelt worden waren.
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52* il frei”.
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Er sah in Fibrillen- und Toluidinpräparaten die Ganglienzellen der
Großhirnrinde in großer Ausdehnung krankhaft verändert und zwar war die
Zellerkrankung konstanter und ausgeprägter als der Faserausfall, was für ihren
primären Charakter sprechen würde. Im Zelleib, und zwar besonders in der
perinukleären Zone pflegte die Zerstörung der Neurofibrillen zu beginnen, um
sich dann auf die Fortsätze und zwar zuerst auf die zarten und dann auf die
Spitzenfortsätze auszubreiten. Auch die extracellulären Fibrillen waren bei
der Paralyse gelichtet; allein es kam auch vor, daß die Fibrillen überall noch
gut erhalten waren, wenn der Markscheidenschwund bereits Behr stark erschien.
In allen Partien der Hirnrinde kam der Faserschwund diffus vor; im Hinter¬
hauptlappen war er in der Regel am schwächsten ausgesprochen. Im Kleinhirn
hatten besonders die Purkinjeschen Zellen an Zahl stark abgenommen und ihre
Fortsätze auf Fibrillenbildern vorzeitig verloren; die korbartigen Geflechte waren
in ihrer Umgebung zu Grunde gegangen, die Parallelfasern am Rande der Körner¬
schicht verschwunden; besonders in den äußeren Abschnitten waren die Fibrillen
der Körnenchicht vermindert. In der grauen Substanz des Rückenmarkes
endlich sah man gut erhaltene Fibrillen; bei sekundärer Strangdegeneration er¬
blickte man die Fibrillen gelegentlich stärker betroffen als die Markscheiden.
39) Beitrag zur Paralysefrage, von Dr. Erwin Stransky. (Wiener klin.
Wochenschrift. 1907. Nr. 13.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf. teilt zunächst einen kasuistisch interessanten Fall mit: Ein 69 jähriger
ehemaliger Kaufmann ward unter einem ZustandBbild auf die Klinik eingebracht,
welches vollkommen dem Schema einer gewöhnlichen Paralyse entsprach: Demenz,
gegenstandslose Euphorie, Gedächtnisstörung, typische Rechenfehler, typische
Sprachstörung, Argyll-Robertson nicht vorhanden; Lues bestritten; in der Bluts¬
verwandtschaft Fälle von Geisteskrankheit; mehrere Abortus der Gattin des Pat;
eine Reibe von Kindern des Pat. wegen psychischer Erkrankung, speziell Ent*
wicklungshemmungen, auswärts in Irrenpflege. In psychischer Hinsicht blieb das
Bild bis zum plötzlich erfolgten Exitus (nach etwa 1 1 / 2 jährigem Spitalaufenthalte)
ziemlich stationär; in somatischer Beziehung war nun sehr bemerkenswert das Auf¬
treten einer progredienten Amyotrophie vom spinalen Typus, welche sich während
der klinischen Beobachtung zu entwickeln begann und zuerst die eine, dann die
andere Oberextremität in typischer Weise befiel, in den kleinen Handmuskeln be¬
ginnend und allmählich auch die Muskeln am Unterarm, Oberarm und Schulter¬
gürtel ergreifend. Keine bulbären Störungen intra vitam zu konstatieren. Der
makroskopische Obduktionsbefund schien die Annahme einer progressiven Paralyse
bzw. Kombination derselben mit progressiver, spinaler ^myotrophie — ein in der
Literatur nicht sehr häufig beschriebenes Vorkommnis — zu bestätigen. Die
mikroskopische Untersuchung (Gehirn, Rückenmark, periphere Nerven, Muskeln)
indeß verifizierte bloß das Vorhandensein der spinalen Amyotrophie (Affektion
der Vorderhörner im Hals- und oberen Brustmark, der Nerven und Muskeln;
Seitenstränge frei), während der übrige Befund in keiner Weise im Sinne einer
Paralyse sprach: es fand sich eine mäßige, universelle Rindenatrophie, geringe
Gliawucherung, keine Störung der Rindenarchitektur, keine stärkere Gefaß-
infiltration, mäßige Arteriosklerose; Stäbchenelemente waren nicht zu finden; die
feinen Markfaserungen in der Rinde wohl etwas gelichtet, doch recht deutlich
erhalten; keine Herdchen. Bezüglich Details sei auf das Original hingewiesen.
Verf. bespricht die nosologische Stellung des Falles unter besonderer Rück¬
sichtnahme auf die in der Literatur beschriebenen Fälle von Geistesstörung bei
derartigen amyotrophischen Affektionen, speziell der so nahe verwandten amyo-
trophischen Lateralsklerose, lehnt aber die Möglichkeit ab, den Fall im Rahmen
dieser letzteren Kategorie zu rubrizieren. Die psychische Störung besieht Verf.
auf die vorhandene Gefäßaffekt ion. Die von dem Verf. trotz des LeugnenB des
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Kranken mit Rücksicht auf die Descendenzverhältnisse desselben keineswegs ab*
gelehnte Annahme einer früheren Lues könnte vielleicht als ätiologisches Moment
sowohl für die — wenn auch histologisch nicht spezifische — Gefäßerkrankung,
wie auch für die Amyotrophie angesehen werden. Lues als Ursache solcher Pro¬
zesse ist schon von einer Reihe von Autoren angenommen worden. Jedenfalls
aber kann von einer Paralyse nicht die Rede sein, und wenn man bedenkt, daß
das Bild — abgesehen von der MuBkelatrophie — während der freilich nur
1 1 / a jährigen Beobachtungsdauer ein stationäres blieb, kann der Fall vielleicht
auch in dieser Richtung ein gewisses Interesse beanspruchen. Auf eine Reihe
anderer, die Symptomatologie betreffender Erwägungen, die der Verf. an den
Fall knüpft, sei hier bloß hingewiesen, speziell auf Fälle, die auf die Sprach¬
störung Bezug haben.
40) Etüde statlstique sur lee form es oliniques de la paralysie gönörale, par
Sörieux et Ducostö. (Progrös mödical. 1907. Nr. 11.) Ref.: K. Mendel.
Unter 150 männlichen Paralytikern fanden die Verff. folgende klinische
Formen: 27°/ 0 boten die expansive, megalomanische, je 24°/ 0 die demente und
sensorische, je 7°/ 0 die cirkuläre und hypochondrische, 6°/ 0 die maniakalische,
3 °/ 0 die peraekutorische und 2 °/ 0 die depressive Form. 3°/ 0 der ParalyBefälle
der Anstalt Ville-Evrard betrafen Frauen.
41) Lea symptömes ooulaires de la paralysie göndrale, par A. Rodiet,
Dubois et P. Pausier. (Arch. de neurologie. XXII. 1906. Nr. 128.)
Ref.: S. Stier (Rapperswil).
Die Verff. erachten viele der bisherigen statistischen Erhebungen über Augen¬
störungen bei Paralyse, die sich häufig nur auf einmalige Untersuchung im An¬
fangsstadium stützen, für ungenügend. Sie verlangen, daß die Paralytiker vom
Anfangs- bis zum Endstadium in regelmäßigen Intervallen wiederholt untersucht
werden und daß — zur Verhütung von Selbsttäuschungen — der einzelne Befund
stets von mehreren Untersuchern (darunter immer ein Ophthalmologe) nachgeprüft
werde. Nach diesen Grundsätzen verfuhren sie und prüften in jedem Falle
1. Pupillen, 2. Sehvermögen, 3. vaskuläre Beziehungen zwischen Auge und Gehirn,
4. Augenhintergrund, 5. begleitende Augensymptome. Von ihren Ergebnissen ist
folgendes hervorzuheben:
I. Stadium: Die nicht selten im Beginn der Paralyse zu treffende Ungleich¬
heit der Pupillen ist nur bei gleichzeitiger Pupillenstarre von Bedeutung. Diese
Kombination zeigt dann den Beginn der wesentlichsten Augenstörung der progressiven
Paralyse an, der fortschreitenden Ophthalmoplegie interna. Argyll-Robertson ist
selten rein vorhanden, meist in verschiedener Kombination mit träger Akkommo¬
dationsreaktion. Beide Augen sind gewöhnlich ungleich stark ergriffen. Ist Ar¬
gyll-Robertson einmal da, so bleibt er in der Regel unverändert. Pseudo-Argyll-
Robertson ist im ganzen häufiger als der echte. Deformationen und Unregel¬
mäßigkeiten der Pupille häufig, aber nicht charakteristisch für Paralyse. Atrophie
der Iris kommt hier, aber auch bei Tabes und Lues vor. Fehlen der Pupillen¬
dilatation auf äußeren Reiz, paradoxe Reaktion, Hippus, Galassische Reflex¬
störung und Piltzsches Phänomen kommen vor, haben aber isoliert keine
pathognostische Bedeutung. Lähmungen der äußeren Augenmuskeln können das
erste Anzeichen der Paralyse bilden oder plötzlioh nach einem paralytischen An¬
fall auftreten; sie sind vorübergehend, unvollständig, rezidivierend; Nervus III
meist zuerst ergriffen. Nystagmus im Anfang selten, häufiger während oder nach
einem Anfall. Deviation conjuguöe wichtiges Symptom während des Anfalls.
Hemiopie begleitet den Anfall bisweilen. Anästhesie der Kornea deutet auf alko¬
holische Antezedentien. Sehstörungen bilden sich in der Pegel sehr langsam aus,
dem Pat. oft lange unbemerkt. Frühes Auftreten ist meist auf LueB zu beziehen.
Kommen sie vor, so befallen sie beide Augen gleichmäßig, steigern sich gewöhnlich
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nach einem Anfall und nehmen während der Remissionen ab. Zur richtigen
Wertung sind auch Tabak* und Alkoholahusus, Diabetes und Nierenaffektionen
in Betracht zu ziehen. Einengung des Gesichtsfeldes ist im Anfang der Paralyse
selten und ohne ophtalmoskopischen Befund; sie deutet auf beginnende Atrophie,
ist regelmäßig, meist vorübergehend oder intermittierend. Migraine ophtalmique
und Augenneuralgien bilden nicht Belten Anfangssymptome der Paralyse. Von
ophtalmoskopisch erkennbaren Zeichen sind wichtig als Vorboten der Sehnerven*
atrophie: Ödem der Papille und ihrer Umgebung, miliare Aneurysmen der Retina
und besonders perivaskuläre Sklerose der Retinal* und Papillargefäße.
II. Stadium: Die im Anfang noch wandelbaren Pupillenstörungen werden
hier stationär. Ophtalmoskopisch konstatiert man bisweilen (jedoch seltener als
bei Tabes) Neuritis optica und Atrophia nervi optici; diese bei Paralyse gewöhnlich
primär, unvollständig, bilateral, langsam fortschreitend. Diagnostisch wichtig ist,
daß die Sehstörung nicht der Atrophie parallel läuft.
Im III. Stadium sind Argyll*Robertson und Pseudo*Argyll*Robertson nun
deutlich und konstant. Völlige Reaktionslosigkeit der Pupille bei Lichteinfall
und Akkommodation ist seltener. Die Läsionen am Augenhintergrund sind in der
Regel progressiv, parallel mit der Gehirnatrophie. Doch bewahrt Pat. meist bis
zuletzt relativ gutes Sehvermögen.
42) Valeur diegnoetiquo des troubles oculuires dans la paralysle generale,
par Mignot, Schrameck et Parrot. (L’Encöphale. 1907. II. Nr. 6.)
Ref.: Kurt Mendel (Berlin).
Die Untersuchungen der Verff. umfassen 320 Fälle von progressiver Paralyse.
6°/ 0 der Fälle boten keine Störungen seitens der Augen; einmal nur fanden die
Verff. den „umgekehrten Argyll“, d. h. Pupillenstarre auf Akkommodation bei
erhaltenem Lichtreflex, kein Fall hot totale Ophtalmoplegia interna. Zuweilen
fiel Zurückgehen der Pupillenstörungen mit Remission des Leidens zusammen; in
einem Fall verschwand der Argyll-Robertson und es trat restitutio ad integrum
ein, zweimal verschwand die Anisokorie.
Morphologische, sensible, sensorische Augenstörungen sowie Störungen seitens
der Außenmuskulatur des Auges haben nur geringen diagnostischen Wert für die
progressive Paralyse, wichtiger sind die Pupillenstörungen, und zwar nehmen
die Pupillenstörungen in folgender Reihenfolge an diagnostischem Werte zu:
Anisokorie, MydriasiB, Miosis, verzogene Pupillen, träge Reaktion auf Licht und
Akkommodation, Pupillenstarre. Letzteres Symptom bestimmt fast sioher die
Diagnose auf Tabes, Lues cerebralis oder Paralyse, sei es, daß sich die Pupillen*
Btarre allein auf die Licht- oder die Akkommodationsreaktion, sei es, daß sie sich
auf beide bezieht.
43) Symptömes oculaires de la paralysle generale, leur valeur diagnos*
tique aux diverses pöriodes de oette affeotlon, par G.Raviart, J. Privat
de Fortuniö et M. Lorthiois. (Revue de med. 1906. Nr. 10, 11, 12.)
Ref.: Eduard Müller (Breslau).
Um sich ein Urteil über den diagnostischen Wert der Augenstörungen bei
der progressiven Paralyse zu bilden, haben die Verfasser 268 Individuen mit ver¬
schiedenen organischen Erkrankungen des Nervensystems untersucht (darunter
138 Paralytiker in den verschiedensten Stadien; 204 mänuliche, 64 weibliche In¬
dividuen). Sie gehen folgende Einteilung der Augenstörungen: 1. Augen¬
störungen, die von der progressiven Paralyse unabhängig sind und mit an¬
geborenen, bzw. sonst erworbenen Läsionen in Beziehung stehen (manche Fälle
mit Nystagmus, Schielen und gelegentlich sogar mit Pupillendifferenz; diese Sym¬
ptome können gelegentlich zu diagnostischen Irrtümern führen). 2. Symptome,
die gewöhnlich nur vorübergehend nachweisbar sind, wie HippuB und Skotasmen,
3. gewöhnliche Symptome, die zu den charakteristischen Krankheitserscheinungen
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gehören (Miosis, Mydriasis, Entrundung und Ungleichheit der Pupillen, Störungen
der Licht- und Konvergenzreaktion, und endlich Augenhintergrundveränderungen).
Paresen der äußeren Augenmuskeln halten sie für selten und ihren diagnostischen '
Wert für gering (häufig von Kombination mit anderen Prozessen abhängig).
Nystagmus ist sehr selten (angeborene Komplikation). Die Entrundung der Pu¬
pillen zeigt sich sehr häufig und schon frühzeitig (oft vor dem Auftreten der
Lichtstarre). Die Konvergenzreaktion ist relativ selten beeinträchtigt. Myopie
ist bei der Paralyse selten, Hypermetropie ganz gewöhnlich. Die Augenhinter¬
grundsveränderungen sind in den einzelnen Phasen der Paralyse annähernd gleich
häufig (nur in den Spätstadien ausgesprochener). Der diagnostische Wert der
Augensymptome hängt nicht nur von ihrer Häufigkeit, sondern auch von ihrer
Eigenart ab und vor allem auch von der Frühzeitigkeit ihres Auftretens.
44) Über paroxysmale Fieberzustände bei progressiver Paralyse mit Ver¬
mehrung der polynukleären Leukozyten im Blute und ln der Cerebro¬
spinalflüssigkeit, nebst Bemerkungen über Blut und Liquor bei Exa¬
zerbationen des paralytisohen Prozesses, von Pappenheim. (Monats¬
schrift f. Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H Vogt
Verf. hat in einem genau beobachteten Fall von progressiver Paralyse bei
intermittierend auftretenden Fieberattacken neben einer Hyperleukozytose des
Blutes regelmäßig eine hochgradige polynukleäre Leukozytose im Liquor cerebro¬
spinalis auftreten sehen, wobei diese Liquorleukozytose nach Rückgang des Fiebers
in ziemlich kurzer Zeit einer mäßigen Lymphozytose Platz machte, um mit dem
Auftreten des Fiebers immer' von neuem zu erscheinen. Da sich eine akute
Meningitis und ebenso eine übermäßige Durchgängigkeit der Gefäßwände (also
die direkte Abhängigkeit der Liquorleukozytose von der Blutleukozytose) als
Ursache ausschließen ließ, so „blieb demnach nur übrig anzunehmen, daß Blut-
und Liquorleukozytose nicht im Verhältnisse von Ursache und Wirkung zu ein¬
ander stehen, sondern beide gemeinsam auf die Einwirkung eines giftigen Agens
zurückzuführen sind, und zwar — da sonst auch komplizierende Infektionen die
Erscheinung hervorrufen müßten — eines spezifischen Agens“. In zwei weiteren
Fällen konnte Verf. nachweisen, daß in, bezw. nach dem Anfall eine ziemlich
starke Vermehrung der mehrkernigen Zellen auftrat, und zwar war die Zunahme
der Leukozyten eine sehr beträchtliche, ihre Zahl viel größer nach den Anfällen,
als sie in gewöhnlichen Zeiten bei der Paralyse beobachtet wird. Ein weiterer
Fall zeigte in Verbindung mit plötzlichem Auftreten von Sprachlosigkeit ge¬
steigerte Temperatur und Vermehrung der Leukozyten im Liquor, das letztere
Symptom (aber ohne Fieber) ergab sich endlich bei einem weiteren Falle in Ver¬
bindung mit einem Zustand psychischer Erregung.
Daraus geht hervor, daß alle diese Erscheinungen auf einen größeren Schub
des auf den ganzen Körper wirkenden Paralysetoxins zurückzuführen sind. Eine
beträchtliche Steigerung der Prozentzahl der polynukleären Leukozyten im Liquor
ist ein Zeichen einer solchen massenhaften Toxinwirkung.
45) Seltene Symptome der progressiven Paralyse, von G. Rossenda. (Arch.
di Psichiatria, Neuropatologia, Antropol. criminale etc. XXVII. 1906.) Ref.:
E. Oberndörffer (Berlin).
Beschreibung eines 48jährigen Paralytikers, bei welchem mehrere Symptome
der multiplen Sklerose: Nystagmus, skandierende Sprache, Intentionszittern, zu¬
gleich aber Ungleichheit und Lichtstarre der Pupillen, Gedächtnisschwäche und
Größenideen vorhanden waren. Die letzteren bezogen sich nicht auf seine eigene
Person, sondern nur auf seine Angehörigen und waren mit Verfolgungsideen kombiniert.
46) Über die sogen, rhythmischen, mit dem Puls synchronen Muskel-
Zuckungen bei der progressiven Paralyse, von Oscar Fischer. (Monats¬
schrift f. Psych. u. Neur. XXL 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
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Verf. bespricht die Untersuchungen von Kemmler (Arbeiten psych. Klinik
Breslau 1895), welcher Muskelzuckungen bei Paralyse mit dem Puls synchron fand
und sie derart erklärt, daß im paralytischen Gehirn die einfache Puls welle als
Reiz in den motorischen Centren wirke. Kemmler hatte nur mit Hand und
Auge untersucht, Verf. benutzte an 4 Fällen ein genaues RegiBtrierverfahren mit
Kurvenzeichnung und fand den Rhythmus des Pulses und der Muskelzuckungen
voneinander unabhängig, jede stellt einen besonderen Typus dar. Der Rhythmus
ist aber nicht sehr different, so daB ein synchrones Verhalten leicht vorgetäuscht
werden und vorübergehend auch in der Tat bestehen kann.
47) Über akustisohe und optisoh-motorische Folgeerscheinungen von
Krampfanfällen, von A. Pick in Prag. (Deutsche med. Wochenschrift.
1907. Nr. 1.) Ref.: R. Pfeiffer (Cassel).
Verf. konnte bei Paralytikern im Anschluß an Krampfanfälle mehrfach be¬
obachten, daß die Patienten bei Anrufen von der gesunden Seite prompt reagierten,
bei Anrufen von der gelähmten Seite dagegen keine Reaktion zeigten. Er nimmt
zur Erklärung an, daß bei der nach einem Anfall zurückbleibenden Benommen¬
heit die durch den gekreuzten Acusticusanteil zugeführten, reichlicheren Gehörs¬
eindrücke schon eine Wirkung haben, während der geringfügige Anteil der un¬
gekreuzten eine solche noch nicht erzielt. Die Paracusis der Otologen kommt in
reiner Form vor, doch muß man zur Vermeidung von Irrtümern auf das Vor¬
handensein einer der Lähmung gleichseitigen homonymen Hemianopsie wie auf
entsprechende Lähmung der Augendreher achten.
Verf. konnte neuerdings wieder beobachten, daß bei transitorischer Hemiopie
nach paralytischen Anfällen dem ersten Stadium fehlender Reaktion ein zweites
folgt, in welchem schon ein Aufmerksamkeitsreflex — Drehung des Kopfes und
der Augen nach dem in den ausgefallenen Gesichtshälften gehaltenen Objekt —
stattfindet, während die bewußte, willkürliche Einstellung noch nicht möglich ist.
Die kortikale Funktion der Augendrehung liegt also noch zu einer Zeit darnieder,
wo das subkortikale Centrum bereits funktioniert.
48) Des symptomes catatonlques au oours de la paralysle gönerale,
par Söglas. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriere. 1907. Nr. 1.) Ref.: Ernst
Bloch (Kattowitz).
Unter Bezug auf die Arbeit von Knecht (Allgem. Zeitschr. f. Psych. 1886)
führt Verf. kurze Beobachtungen von 11 Fällen von Paralyse an, welche beweisen,
daß katatonische Zustände auch bei dieser Krankheit gar nioht so selten sind.
Die Fälle bieten nichts Besonderes, mit Ausnahme des einen (5), wo der Kranke
tagelang auf dem Rücken lag und die Beine in die Luft streckte. Die beobach¬
teten Symptome waren vorwiegend Negativismus, Echolalie, Echomimie, katalep-
tische Zustände und Stereotypie.
49) Über einen Fall von Paralyse mit 14jährlger Remission, nebst einigen
Bemerkungen zur Therapie der Dementia paralytioa, von M. Dobr-
schansky. (Jahrb. f. Psych. u. Neur. XXVIII. S. 169.) Ref.: Pilcz (Wien).
Unter Heranziehung der einschlägigen neueren Literatur berichtet Verf. über
einen Fall von progressiver Paralyse, der nach 14jähriger Remission, während
welcher Pat. seinem Berufe als Zählkellner anstandslos oblag, neuerdings der
K. K. I. psychiatrischen Klinik mit allen Symptomen einer megalomanen Paralyse
eingeliefert wurde, woselbst er nach 3V 2 jährigem Aufenthalte an Marasmus und
Lobulärpneumonien zugrunde ging.
Der makroskopische Hirnbefund ergab das gewohnte Bild (Hydrocephalus
externus und internus chronicus, Ependymgranulationen, Verdickung der Lepto-
raeningen), die histologische Untersuchung gleichfalls die typisch paralytischen
Veränderungen. Auf einen eigentümlichen, ausschließlich im Mark erhobenen Be¬
fund glaubt Verf. besonders hinweisen zu sollen. Hier fanden sich nämlich (bei
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Thioninfärbuog) vereinzelte rundliche, vollkommen homogene, rosenrot tingierte
Gebilde von etwa 20 bis 30 n im Durchmesser. Am Rande oder an der Ober*
fläche dieser Gebilde lagen Kerne von unbestimmtem Charakter; einige von ihnen
wiesen Teilungsfiguren auf. Ob es sich hier um eventuelle Zwischenglieder von
Glia* und Plasmazellen oder um Exsudationen oder um Artefakte handelt, bleibt
unentschieden, doch sprechen mehrfach Gründe gegen die beiden letzten Annahmen.
Es werden dann die Kriterien der Prognose erörtert und der ausnehmend
benigne Verlauf des vorliegenden Falles dem Zusammentreffen der prognostisch
relativ günstigen expansiven Form mib einem langwierigen Suppurationsprozesse
zugeschrieben.
Anhangsweise wird der therapeutischen Bestrebungen auf dem Felde der
Paralyse gedacht und das weitere Schicksal einer Reihe mit Tuberkulininjektionen
behandelter und von Pilcz publizierter Fälle mitgeteilt.
50) Atoxyl bei Paralyse, von Spielmeyer. (Berliner klin. Wochenschr. 1907.
Nr. 26.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Schon seit 1903 spritzt Verf. mit Atoxyl die Paralysefälle, bei denen all¬
gemeine Schwächeerscheinungen und eitrige Hautaffektionen in Erscheinung treten,
vor allem aber die Fälle, die durch starke Erregung in der Ernährung rasch
herunterkamen und körperlich zu verfallen schienen. Unter täglichen Injektionen
von 0,2 Atoxyl — mitunter 5 Wochen lang — heilten die Hautaffektionen und
der allgemeine Ernährungszustand hob sich. Ein Einfluß der Atoxylbehandlung
auf den centralen Erkrankungsprozeß konnte jedoch nicht festgestellt werden.
51) Über Geisteskran kheiten bei Prostituierten, von Prof. Tschisch. (Obosrenij e
psich. 1906. Nr. 12.) Ref.: Wilh. Stieda (St. Petersburg).
Eine in ihren Ergebnissen hochinteressante Arbeit. Bisher galt es als psychi¬
atrisches Dogma, daß die Prostitution zu Geisteskrankheiten prädisponiert. Alkohol,
Syphilis, unhygienische Lebensverhältnisse, die Unsicherheit der Existenz — alles
das schien dieses Dogma zu stützen. So fest saß es, daß es bisher kaum jemand
für nötig fand, es durch tatsächliches Material zu beweisen. Indessen wußte man
in Wirklichkeit über die Psychosen bei Prostituierten gar nichts. In den klassischen
Werken über Prostitution von Parent-Duchatelet, Dufour, Blascbko und
Ströhmberg ist darüber nichts zu finden und ebensowenig in den Lehrbüchern
der Psychiatrie. In einigen der letzteren wird nur kurz die obige Behauptung
als Dogma ausgesprochen. Von Spezialarbeiten in dieser Frage führt Verf. nur
die Arbeit von Graz (Thöse de Lyon 1901) an, die das Dogma durchaus nicht
zu bestätigen scheint.
Verf. fiel es nun auf, daß er in seiner psychiatrischen Tätigkeit fast gar
keine geisteskranken Prostituierten sah, obgleich er sowohl in Petersburg als auch
in Dorpat stets in Anstalten gearbeitet hat, die für alle und insbesondere für
die niedersten Schichten des Volkes bestimmt waren. Im Laufe von 30 Jahren
batte er nun vier geisteskranke Prostituierte unter seinen Händen gehabt. Bei
Gelegenheit des Besuches verschiedener Anstalten in Deutschland, Österreich,
Italien, England, Holland und Spanien fragte er überall nach geisteskranken
Prostituierten. In den meisten Anstalten fand er keine einzige und im ganzen
gelang es ihm auf diesem Wege 11 zu sehen.
Schließlich wandte er sich an die Direktoren der größten städtischen An¬
stalten in Petersburg, Moskau, Warschau, Saratow, Kasan und Odessa und bat
um genauere Erhebungen. Das Resultat war, daß unter 13853 geisteskranken
Frauen sich nur 43 Prostituierte befanden. Darunter waren 16 Paralytikerinnen
und vier chronische Alkoholistinnen. Mehr als die Hälfte der übrigen litt an an¬
geborenen geistigen Störungen, an degenerativem Irresein, Moral insanity, Epilepsie
und Hysterie, und es blieben für exogene Psychosen, für die die Prostitution die
Ursache hätte abgeben können, nur etwa 10 Fälle übrig.
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Auf Grund dieses Materiales fählt sich Verf. berechtigt zu sogen: das ein*
gangs erwähnte Dogma von der Bedeutung der Prostitution in der Ätiologie der
Geisteskrankheiten ist falsch. Prostituierte scheinen überhaupt selten an geistigen
Erkrankungen zu leiden. Selbst Alkohol und Syphilis scheinen eine nur wenig
deletäre Wirkung auf sie zu haben, ebensowenig alle die Bedingungen, die sonst
als wichtige prädisponierende Momente in der Ätiologie der Psychosen angesehen
werden, wie schlaflose Nächte, Entbehrungen, Beleidigungen, Prügel, Unsicherheit
der Existenz, unhygienische Lebensweise usw. Der ätiologische Wert aller solcher
Momente bedürfe daher einer eingehenden* Revision.
Forensische Psychiatrie.
52) Die Entlassung geisteskranker Rechtsbrecher aus Irrenanstalten, von
v. Kunowski. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. LXIV.) Ref.: Zingerle (Graz).
Verf. bespricht auf Grundlage eigener Erfahrungen die Mängel in der Hand*
habung der in Preußen geltenden Bestimmungen über die Entlassung geistes*
kranker Rechtsbrecher. Diese sind darin begründet, daß die Sicherheitsbehörden
zu einseitig dos Moment der Gemeingefährlichkeit im Auge haben und in Ver¬
kennung der Aufgaben der Irrenanstalten von diesen die völlige Sicherung der
Gesellschaft verlangen. Die Rücksicht auf diese kann bei den Entlassungen, wenn
sie auch im allgemeinen an erster Stelle stehen muß, doch nicht unbegrenzt zur
Geltung kommen. Der Psychiater wird bei seinem Urteile, das sich auf den gegen¬
wärtigen Zustand mit Beziehung auf die Vergangenheit des Kranken und des
künftigen Milieus stützt, selten die Gemeingefährlichkeit ganz negieren können,
und dürften demnach nur wenige geisteskranke Rechtsbrecher entlassen werden.
Aus volkswirtschaftlichen Gründen und im Interesse der Einzelindividuen und
ihrer Familien muß aber ein gewisses Risiko mit in Kauf genommen werden, und
ist es Sache der Hilfsvereine und aller sonst in Betracht kommenden Faktoren,
dieses weiterhin einzuschränken.
Weiterhin plädiert Verf. für die Unterbringung aller geisteskranken Ver¬
brecher in eigenen Anstalten.
Ul. Bibliographie.
1) Grundzüge der Psychiatrie, von Eschle. (Wien 1907, Urban & Schwarzen¬
berg. 297 S.) Ref.: H. Liepmann.
Verf.’s Darstellung der Psychiatrie hält sich in der Hauptsache im Rahmen
der Kraepelinschen Psychiatrie. Jedoch sind die Schilderungen der einzelnen
Krankheitsformen nicht unselbständige Exzerpte aus dem Kraepelinschen Werke,
sondern eigenes Beobachten und Nachdenken und von anderen Autoren über¬
nommene Gedanken haben sich mit den leitenden Gesichtspunkten der Kraepelin¬
schen Lehre amalgamiert.
Die Schärfe der Begriffe und Definitionen und die Sprache — in einem Lehr¬
buch der Psychiatrie bei Leibe kein bloß kosmetisches Moment — müssen rühmend
anerkannt werden, auch die Anknüpfung aller Besonderheiten an allgemeinere
biologische, pathologische und philosophische Gesichtspunkte.
Der Autor, der in den allgemeinen Beobachtungen am meisten zu Worte
kommt, ist Rosenbach, den Verf. als Bahnbrecher verehrt, und dessen An¬
schauungen auf sein Denken von maßgebendem Einfluß waren; wir sehen überall
in dem Buche Ansichten dieses zwar weitblickenden und ideenreichen, aber doch etwas
kühn und schnell über das Verifizierbare sich zum Allgemeinsten erhebenden Kopfes
eingestreut. Neben Binsenwahrheiten, für die wir wahrhaftig Rosenbach nicht
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brauchten, findet sich manche kluge Bemerkung desselben — aber im Ganzen hat
Ref. nicht die Überzeugung gewonnen, daß dieser Nicht-Psychiater uns Psychiatern
so Wesentliches zu sagen hatte, daß ihm ein so großer Raum in einem Lehr¬
buche der Psychiatrie gebührte. Stellenweise ist sogar auf seinen Einfluß Irriges
zurückzuführen, so wenn Verf. auf seine Autorität hin erklärt, daß es sich bei
der Mehrzahl der Hypochonder um eine Unzulänglichkeit der Urteils- und Schlu߬
bildung, eine „falsche Analogie“ handele; eine, wie dem Ref. scheint, trotz der
in Klammern beigefügten Milderung („unter dem Einfluß starker Gefühlsbetonung
einzelner Vorstellungsreihen zustande gekommener“) doch das intellektuelle Moment
ganz ungebührlich in den Vordergrund stellende Auffassung.
Oder wenn Verf., bestochen durch Rosenbach, der Lues als ätiologischem
Faktor bei Tabes und Paralyse eine nennenswerte Bedeutung nicht zuschreiben
will, außer der Anlage den „sozialen Faktor“ verantwortlich macht, und dies auf
die angebliche Affinität der Paralyse zu den höheren Ständen stützt — nach
den Erfahrungen, die man an jeder großen Irrenanstalt machen kann, zweifellos
eine Fabel.
Daß Verf. in dem Umstand, daß bei den Frauen gerade die niederen Stände
stärker an der Paralyse beteiligt sind, nicht gerade einen Hinweis auf die luische
Ätiologie erkennt, ist erstaunlich.
In dem allgemeinen Teil sind die Symptome der Geistesstörungen in „distink¬
tive, affektive, appetitive Insuffizienz“ gegliedert. Unter diesen Bezeichnungen
treten uns die bekannten Störungen des Vorstellens, Fühlens und Wollens ent¬
gegen. Entschlußunfähigkeit und Unstätheit finden wir als „resolutorische und
perseverntorische“ Insuffizienz wieder.
Während so Rosenbach übermäßig in den Vordergrund gestellt ist, ist im
übrigen die neuere Literatur recht ungleich und lückenhaft verwertet. Wernickes
Lehre wird z. B. ganz ignoriert. Auch mancher Autor unseres österreichischen
Nachbarlandes hätte Berücksichtigung verdient.
Die Bemerkungen über die pathologische Anatomie der Paralyse entsprechen
nicht dem Stande unseres Wissens im Jahre 1907 (Plasmazellen usw.).
In dem beigegebenen forensischen Teil scheinen mir die Ausführungen über
Zurechnungsfähigkeit und Willensfreiheit trotz Zitierung von Windelbands schönem
Buche, obgleich oder vielleicht weil Kant und Rosenbach herangezogen werden,
nicht recht miteinander und dem schließlichen Ergebnis ausgeglichen und geklärt zu
sein. Die Willensfreiheit muß man entweder ganz einfach, nur dem praktischen
Bedürfnisse Rechnung tragend erörtern, oder, wenn man schon die schwierigsten
Fragen der Philosophie, Kants Lehre, die „intelligible Freiheit“, das Trans¬
zendente, hineinzieht, sich nicht auf einige, dem Uneingeweihten schwer verständ¬
liche Zitate beschränken.
Soviel über Einzelheiten. Wohltuend* durchzieht das ganze Buch ein über
die engsten psychiatrischen Fachfragen hinaus auf die großen Zusammenhänge mit
• Leben und Krankheit überhaupt gerichtetes Interesse.
2) Geisteskrankheiten, von G. Ilberg. (Aus Natur und Geisteswelt. CLI.
Leipzig 1907, B. G. Teubner. 152 S.) Ref.: Kurt Mendel.
Ein klar und gemeinverständlich geschriebenes Büchlein, in welchem die
häufigsten der in Irrenanstalten vorkommenden psychischen Krankheiten abgehandelt
werden, insbesondere die Melancholie, die Dementia praecox, Paranoia, progressive
Paralyse und senile Demenz.
In den beiden ersten Kapiteln berichtet Verf. über das Wesen der Geistes¬
krankheiten und die allgemeinen Zeichen geistiger Erkrankungen. Er folgt in
seinen Ausführungen im großen ganzen der Einteilung und den Anschauungen
Kraepelins.
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IV. Aus den Gesellschaften.
Gesellschaft der Neurologen and PByohiater in Kasan.
Sitzung vom 12. April 1907.
Herr Darkschewitsch: Zur Kasuistik der Perversität des Gesohleohts-
trlebes. I. Der Kranke N., 41 Jahre alt, unverheiratet, von einer intelligenten
Profession, vollzog nie normalen Koitus. Stammt aus einer gesunden Familie. Dege¬
neration konnte nicht konstatiert werden. Eine ganze Reihe sehr verschiedener
Klagen neurasthenischer Art ist vorhanden. Geschlechtstrieb zu Frauen wurde
nie empfunden; im Gegenteil, schöne Gesichter der Knaben und Jünglinge erregten
immer seine Aufmerksamkeit. In den Nächten hatte er Träume erotischen Inhaltes,
wobei das Objekt seiner Wünsche gewöhnlich Bilder männlichen Geschlechtes
waren. Der Kranke selbst beurteilte seine Neigungen immer höchst kritisch, hielt
sie für anormal, unmoralisch und fand in sich lange Zeit genügende Kräfte, um
sich von irgendwelchen aktiven Schritten zurückzuhalten. In den letzten 6 Jahren
aber fangen die Kräfte an ihm zu versagen und er wird immer öfter gezwungen,
auf reale Art sehr verzwickte Pläne in Ausführung zu bringen, die ihm die
Möglichkeit geben, eine ganze Reihe von Empfindungen zu haben, die ihn in
sexueller Beziehung befriedigen. Der Kranke meidet die Bekannten seines
Kreises und sucht unter verschiedenen Vorwänden nahe Beziehungen zu Schul¬
knaben zu unterhalten. Unter seinen Bekannten fand sich immer jemand, der
seine Aufmerksamkeit besonders erregte, deshalb veranstaltet er bei sioh Ver¬
sammlungen, die gewöhnlich in Spielen und allgemeinen Lustbarkeiten bestanden.
Alsdann zieht Pat. denjenigen an sich, der seine Aufmerksamkeit erweckt hat,
setzt ihn auf den Schofi und nötigt ihn, ihm in den Mund zu speien, den er
offen hält Während dieser Prozedur empfindet Pat den höchsten Grad sexueller
Erregung, die gewöhnlich durch Ejaculatio endet. Wenn die Verhältnisse sich
so gestalteten, daß Pat. einem erwachsenen jungen Mann begegnete, den er über¬
reden konnte seine krankhafte Neigung zu befriedigen, so unterließ Patient auf
einige Zeit die Versammlungen der Schulkinder und gab sioh vollständig dem
Verkehr mit dem neuen Bekannten hin, wobei der Charakter der Befriedigung
immer derselbe bleibt, namentlich das Speien in den Mund.
II. Der Kranke B., 27 Jahr alt, unverheiratet, von intelligenter Profession. Kein
Hinweis auf pathologische Heredität. In der Kindheit war er schwach und kränk¬
lich. Masturbation praktizierte er nicht. Im Alter von 16 bis 17 Jahren stellt
sich eine eigentümliche Äußerung der sexuellen Neigung ein. Jedesmal, wenn
der Zufall ihn zum Zeugen einer Schlägerei macht, fesselt letztere seine be¬
sondere Aufmerksamkeit. Er beobachtete mit gleichem Interesse einen Kampf
nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Tieren, wie Hunden, Hähnen.
Während Bich vor ihm das Bild der Schlägerei immer mehr entwickelte, fühlte
er immer stärker eine besondere Art von Genuß, bis endlich der Schlußakt seines
eigentümlichen Zustandes — Ejaculatio — eintrat. Ein Umstand verdient be- *
sondere Aufmerksamkeit: jedesmal wenn die Schlägerei einen ernsten Charakter
annahm und irgend eine Gefahr für die an der Schlägerei Teilnehmenden bot, be¬
sonders wenn einer der Kämpfer sich mit Blut bedeckte, verschwand allmählich
bei dem Pat. die Empfindung der Annehmlichkeit, die oft einer entgegengesetzten
Empfindung, dem Gefühl des Abscheues, Platz machte; in diesen Fällen gab sich
der Kranke die größte Mühe, um alles, was er eben sah, schneller zu vergessen.
Wenn Pat. selbst am Kampf teilnahm, fühlte er nie die eigentümliche sexuelle
Empfindung. Bei an Kindern verübten Leibesstrafen, wie auch Züchtigungen von
Tieren, wie z. B. Hunden, hatte Pat. eher unangenehme Empfindungen, die an
das Gefühl des Abscheues grenzten. Die letzten Jahre hat Pat. normalen Koitus,
pur sehr unregelmäßig, wobei die Zahl der Koitus während einer Nacht manchmal
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bis acht erreichte. Vortr. hat konstatiert, daß männliche Schönheit anf seinen
Pat» keinen Eindruck machte; er machte nie Versuch mit Männern. Pollutionen,
die während des Schlafes willkürlich Vorkommen, werden häufig von Traumbildern
begleitet, in denen Bilder von Kämpfen zwischen Mensohen oder Tieren den
Mittelpunkt bilden.
Herr Perwuschin demonstriert einen Kranken, der an Spondylitis tuber-
oolosa litt. K., Buchdrucker, 46 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos. Sein
Vater war Potator, starb am Schlage, die Mutter starb an galoppierender Schwind»
sucht. Als 14 jähriger Knabe litt Pat. an Brustschmerzen und Husten. Mit
16 Jahren Potatorium; an Lues litt er nicht. Im Jahre 1898 Trauma des Kückens
ohne sichtbare Folgen. 1902 bis 1904 waren drei Krampfanfälle. Im Dezember
1903 Schmerzen im Kücken, Gürtelempfindungen, Gefühl von Schwere in den
Füßen und Schwellungen derselben. In dem unteren Brustteil der Wirbel»
Säule entstand eine Beule. Die Parese der unteren Extremitäten verstärkte sich
allmählich, besonders in der rechten. Im Juli 1904, nach einer Erkältung und
einem ermüdenden Wege, verschlimmerte sich plötzlich die Parese der unteren
Extremitäten, es entstand eine Ketentio urinae und nach einigen Tagen Paraplegia
inf. compl. In der Nervenklinik war der Kranke vom 3. September 1904 biB
zum 30. April 1905. Stat praes.: Paraplegia inf. completa, retentio et incon*
tinentia urinae und sexuelle Störungen, hei Nichtvorhandensein der Patellar- und
Achillessehnenreflexe, schwacher Fußsohlenreflex. Störungen der Sensibilität der
unteren Extremitäten und des unteren Körperteiles, vom Nabel abwärts. Starke
Schwellungen und leichte Muskelatrophie in den unteren Extremitäten. Decubitus.
Cystitis. Allgemeine Schwäche. Ausgesprochene schmerzlose Kyphosis in der Gegend
des 9. bis 12. Brustwirbel. Die ganze Lendenwirbelsäule ist auf Druck schmerz¬
haft und leicht nach hinten gekrümmt. Während der Kranke in der Klinik war,
wurde konstatiert: Temperaturschwankung im Zusammenhang mit der Cystitis,
Verschärfung des spondylitischen Prozesses, unbedeutende Bewegungen der Finger,
geringe Zuckungen der Muskeln der unteren Extremitäten und Schmerzen der
Wirbelsäule; es kehrten die Patellar- und Achillessehnenreflexe wieder und
wurden sogar allmählich lebhaft Babinski-Reflex. Allmähliche Entwicklung
der spastischen Erscheinungen in den unteren Extremitäten in hohem Grade.
Besserung der Sensibilität in den Füßen und im Kumpfe. Eine fast vollständige
Heilung des Decubitus. Vom Januar 1905 ab Veränderungen der Gelenke der
unteren Extremitäten. Eine allmähliche Besserung der Bewegungen der unteren
Extremitäten, eine Verminderung des Schmerzes in den letzteren und im Rücken,
Besserung der Beckenstörungen und der Sensibilität 30./III. Patient sitzt im
Korsett und geht umher, sich leicht auf zwei Krücken stützend. Die passive
Beweglichkeit in den Gelenken der unteren Extremitäten ist beschränkt, be¬
sonders in der rechten. Die Wirbelsäule ist schmerzlos. Kyphosis vom 9. bis
11. Brustwirbel. Die Wirbelsäule im Brustteil ist unbeweglich, wie zu¬
sammengeklebt (Spondylosis). Die aktiven Bewegungen der unteren Extremitäten
sind genügend ausgiebig, die Kraft ist geschwächt. Die Patellar- und Achilles¬
sehnenreflexe sind erhöht, besonders rechts. Der Babinski-Reflex ist auf beiden
Seiten nicht besonders stark. Die Beokenorgane sind fast normal. Die Sensi¬
bilität der Beine und Sohlen ist herabgesetzt. Keine Rigidität der Muskeln.
Schwache Muskelatrophie der unteren Extremitäten bei normaler elektrischer
Erregbarkeit. Die Schmerzen kommen selten und nicht stark vor. Die Besserung
ging langsam, aber sicher vor sich. Vortr. kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Die
augenscheinlichen schwerwiegenden Symptome der Erkrankung des Nervensystems
bei Spondylitis deuten noch nicht auf die Vernichtung der Nervenelemente hin;
diese Symptome werden durch die Kompression hervorgerufen, während der Besserung
des Wirbelprozesses gehen sie zurück, und es können sich bei günstigen Bedingungen
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die zerstörten Funktionen wieder hersteilen. 2. Bei vorgerücktem Alter können auch
noch günstige Resultate erzielt werden (beim Vortr. ist es der zweite Fall). 3. Die
Komplikationen der Paraplegie durch die Cystitis und Decubitus sind bei ent¬
sprechender Pflege fürs Leben jetzt nicht mehr so gefährlich. 4. Die Diagnose
der Spondylitis muß unter Teilnahme von Spezialisten festgestellt werden.
5. Die Therapie der Spondylitis und Paraplegie erfordert viel Geduld, Beharrlich¬
keit und Aufmerksamkeit. Autoreferat.
G. Kliatschkin.
V. Vermischtes.
Das definitive Programm der ersten Jahresversammlung der
Gesellschaft Deutscher Nervenärzte
am 14. und 15. September 1907 in Dresden ist folgendes:
Freitag, den 13. September, abends ab 8 Uhr: Zwanglose Zusammenkunft im
Hotel Bristol. — Sonnabend, den 14. September früh 9 Uhr: Eröffnung und Begrüßung
der Versammlung durch H. Oppenheim (Berlin). Wahl des Vorsitzenden und des Vor¬
standes. Definitive Festsetzung der Statuten. — Referate: Chirurgische Therapie der
Gehirnkrankheiten mit Ausschluß der Tumoren. Ref.: F. Krause (Berlin). — Die Hirn-
punktion. Ref.: E. Neisser (Stettin). — Chirurgische Behandlung der Rückenmarkshaut¬
geschwülste. Ref.: L. Bruns (Hannover). — Therapie der Erkrankungen der Cauda equina.
lief.: R. Cassirer (Berlin). — Nachmittags-Sitzung um 3 l / 4 Uhr: Fortsetzung der Referate
und Diskussion derselben. Vorträge: Nonne (Hamburg): Differentialdiagnose des Tumor
cerebri. — Schüller (Wien): Schädel-Röntgenographie mit Demonstrationen. — Hart¬
mann (Graz): Beiträge zur Diagnostik operabler Iiirnerkrankungen. — Saenger (Ham¬
burg): Über Herdsymptome bei diffusen Hirnerkrankungen. — A. Pick (Prag): Thema
Vorbehalten. — v. Eiseisberg (Wien) und v. Frankl-Hoch wart (Wien): Über opera¬
tive Behandlung der Hypophysistumoren.
Sonntag, den 15. September, 9 1 /« Uhr: Aschaffenburg (Köln): Die Bedeutung der
Angst für das Zustandekommen der Zwangsvorstellungen. — Kühne (Kottbus): Die kon¬
tinuierliche Bezold-Edelmannsrhe Tonreihe als Untersuchungsmethode für den Nervenarzt.
— L. ß. Müller (Augsburg): Über die Empfindungen in unseren inneren Organen. —
Kohnstamm (Königstein) und Warnke (Berlin): Demonstrationen zur physiologischen
Anatomie der Medulla oblongata. — Oppenheim (Berlin): Allgemeines und Spezielles
zur Prognose der Nervenkrankheiten. — Veraguth (Zürich): Die Bedeutung des psycho-
galvanischen Reflexphänomens. — E. Müller (Breslau) a. G.: Über die Symptomatologie
der multiplen Sklerose. — K. Reicher (Wien) a. G.: Kinematographie in "der Neurologie.
— Pfeifer (Halle) a G.: Cysticercus cerebri mit dem kliuischen Bilde einer kortikalen
sensorischen Aphasie, durch Hirnpunktion diagnostiziert. — E. Schwarz (Riga): a) Über
akute Ataxie, d) Über die segraentale Versorgung des M. rectus abdominis. — Fried¬
länder (Oberursel): Sexualität und Neurosen nebst therapeutischen Bemerkungen. —
A. Schanz (Dresden): Demonstration chirurgisch-orthopädisch behandelter Lähmungen. —
Mingazzini (Rom): Über einen Fall von transcentraler sensorischer Aphasie.— Schuster
(Berlin): Über die antisyphilitische Behandlung in der Anamnese der an metasyphilitischen
und syphilitischen Nervenkrankheiten Leidenden. — Wanke (Friedrichroda): Die Heilung
der Neurasthenie, ein ärztlich-pädagogisches Problem. — Erben (Wien): Beobachtungen
bei ataktischen Tabikern. — Laudenheimer (Alsbach): Über Korsakowsche Psychose in
der Schwangerschaft. — t Flatau (Berlin): Über das Fehlen des Achillessehnenphänomens.
—- Osann (Hannover): Über den Bechterew-Mendelscheu Fußrückenreflex. — Die Sitzungen
finden im großen Hörsaal der Neuen Kunstgewerbeschule Eliasstr. 34 statt.
Für die 79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Amte in Dresden
vom 15. bis 21. September 1907 sind folgende den Neurologen und Psychiater interessierende
Vorträge angemeldet:
Abteilung: Neurologie und Psychiatrie.
Anton (Halle a/S.): Über geistigen Infantilismus. — Betbe (Straßburg) und Spitzy
(Graz): Über Nervenregeneration und Heilung durchschnittener Nerven. — Bum (Wien):
Perineurale Infiltrationstherapie der Ischias. — Dollken (Leipzig): Die ersten Bahnen im
Großhirn. — Fischer (Prag): Über den fleckweisen Markfaserschwund in der Hirnrinde bei
progressiver Paralyse. — Grabley (Kurhaus Woltersdorfer Schleuse): Die therapeutische
Bedeutung der Luftbäder bei der Behandlung der Neurasthenie, Anämie und Chlorose. —
Haenel (Dresden): Über eine typische Form der tabischen Gehstörung. — Hirsch (Nieder
walluf, /Rhemgau): lÜber die Bedeutung turnerischer Übungen im Luftbade, insbesondere für
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Nervenheilanstalten. — Hirschei (Wien): Über cerebrogenen Diabetes. — Hoppe (Ucht-
springe, Altmark): Die Bedeutung der Stoffwechseluntersuchungen für Geistes- und Nerven¬
kranke. — Kaluiann (Graz): Zur Physiologie und Pathologie der Wasserdampfabgabe durch
die Haut. — Kroufeld (Wien): Zur Geschichte der Epilepsiebehandlung (mit Ausschluß der
jetzt üblichen Verfahren). — Liepmann (Berlin): Über die Wahnricbtuugen, insbesondere
Größen- und Kleinheitswahn. — Mayr (Graz): Über das Verhalten der Lab- uud Pepsin¬
sekretion und deren Bedeutung in der Symptomatik einzelner Gehirnkrankheiten. — Mat-
tauschek (Wien): Über einige Rasseneigentümlichkeitei) der Wehrpflichtigen Bosniens und
der Herzegowina. — Niessl (Osnabrück): Über die Lokalisation der optischen Erinnerungs¬
bilder. — Quensel (Leipzig): Beiträge zur Aphasielehrc. — Reicher (Berlin): Kinemato¬
graphie in der Neurologie. — Roh de (Königsbrunn): Gegenwartsfragen und Zukunftsauf-
E aben im Hinblick auf die Behandlung Nervenkranker in offenen Heilstätten. — Derselbe:
>as Vererbungsproblem in der Neuro- und Psychopathologie. — Roth mann (Berlin): Zur
Funktion des hinteren Vierhügels. — Schröder: Hirnrinden Veränderungen bei arterio¬
sklerotischer Demenz (mit Demonstration). — Schulze (Sorau): Über den Einfluß der
Psychiatrie auf die moderne Weltanschauung. — Stadelmaun (Dresden): Erlebnis und
Psychose. — Stern (Wien): Gegenwärtige Endziele aller bewußten Menschenarbeit. —
Stransky (Wien): Zur Methode der Intelligenzprüfung. — Trömner (Hamburg): Indi¬
kationen der Hypnotherapie. — Ziehen (Berlin): Thema Vorbehalten.
Allgemeine Versammlungen:
Hoche (Freiburg): Moderne Analyse psychischer Erscheinungen. — O. zur Strassen
(Leipzig): Die neuere Tierpsychologie.
Abteilung: Anthropologie, Ethnologie und Prähistorie.
Richelmann (Lauban): Das Fühlen und Denken der Neger (ein Beitrag zur Psycho¬
logie der Schwarzen).
Abteilung: Anatomie, Physiologie, Histologie und Embryologie.
Stieda (Königsberg i/Pr.): Gehirn eines Sprachkundigen.
Abteilung: Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
Chiari (Straßburg): Über die Genese der Amyloidkörperchen des Centralnervensystems.
— Dürck (München): Über die feineren histologischen Veränderungen besonders des Nerven¬
systems bei Beri-Beri. — Koch (Elberfeld): Spirochätenbefuud bei cavernöser Lungensyphilis
uud Pachymeningitis interna haemorhagica productiva. — Mühlmann (Balachany): Das
Wesen der Nissl sehen Körper.
Abteilung: Innere Medizin, Pharmakologie, Balneologie und Hydrotherapie.
Ziemssen (Wiesbaden): Heilung der Ischias.
Abteilung: Chirurgie.
Axenfeld (Freiburg): Exstirpation des Halssympathicus bei Glaukom. — Bade (Han¬
nover): Die Indikation zu Sehnenoperationen bei spinalen und cerebralen Lähmungen. —
Radmann (Laurahütte, Oberschi.): Chirurgische Behandlung bei epidemischer Genickstarre.
Abteilung: Kinderheilkunde.
Escherich (Wien): Zur Diagnose des tetanoiden Zustandes im Kindesalter. — Zappert
(Wien): Der Hirntuberkel im Kindesalter.
Abteilung: Augenheilkunde.
Bach (Marburg) und Bumke (Freiburg i/B.): Die Pathologie der Pupille. — Biel-
schow8ki und Steinert (Leipzig): Die Bedeutung der Störungen im okulomotorischen
Apparat für die Lokalisation cerebraler Herderkraukuugen. — Uhtlioff (Breslau): Augen-
symptome bei Hirnsinusthrombose. — Franz Becker (Düsseldorf): Zur Frage der Amblyopia
ex Anop8ia. — Bondi (Iglau): Augenbefunde bei Geisteskranken. — Schmidt-Rimpler
(Halle a/S.): Über Sehnervenatrophie mit Drucksteigerung.
Abteilung: Hals- und Nasenkrankheiten.
Imhofer (Prag): Musikalisches Gehör bei Schwachsinnigen.
Abteilung: Ohrenheilkunde.
Alexander (Wien): Das Gehörorgan der Kretinen.
Abteilung: Dermatologie und Syphilidologie.
Galewsky (Dresden): 4 Fälle von Tabes in den ersten Jahren nach der Infektion.
Abteilung: Militärsanitätswesen.
Steinhausen (Danzig): Atypische Hitzschlagformen. — Mann (Krakau): Hysterie
des Soldaten. — Naether (Leipzig): Praktischen Erfahrungen entstammende Winke für die
militärärztliche Sachverständigentätigkeit vor den Militärgerichten.
Abteilung: Gerichtliche Medizin.
Zangger (Zürich) nnd Schwabe (Saarbrücken): Tod im Bergwerk vom gerichtlich-
psychiatrischen Standpunkt. — Fritz Strassmann (Berlin): Farailiemnord in gerichtlich¬
psychiatrischer Beziehung. — Leere (Berlin): Exhibitionismus.
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Abteilung: Hygiene and Bakteriologie.
Wagner-Hohenlobbese (Dresden): Physiologie and Psychologie der Leibesübungen
und ihre Anwendungen auf das Tarnen.
VI. Mitteilung an den Herausgeber.
Sehr geehrter Herr Kollege! In einem jetzt ausführlich erschienenen Vor¬
träge (vgl. Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIV. S. 380), den Befund eines Falles um¬
schriebener Hirnatrophie betreffend, legt Herr Kollege Reich das Hauptgewicht
anf den Nachweis, daß die Flechsigschen Assoziationscentren der linken Hemi¬
sphäre von der Atrophie betroffen sind.
Gestatten Sie darauf hinzuweisen, daß ich den gleichen Befund in einem im
Jahre 1905 gehaltenen und später in der Monatsschrift f. Psychiatrie u. Neuro¬
logie veröffentlichten Vortrage mitgeteilt und in demselben Sinne verwertet habe.
Herr Kollege Reich hat diese Publikation offenbar übersehen. A. Pick.
Eduard Hitzig f
Am 20. August starb in St. Blasien Eduard Hitzig.
Am 6. Februar 1838 zu Berlin geboren, studierte er in Berlin und Würzburg
und promovierte 1862 mit der Dissertation: „De ureae origine.“ Im Jahre 1875 folgte
er einem Ruf nach Zürich als Prof. ord. und Direktor der dortigen Irrenanstalt, 1879
wurde er in gleicher Eigenschaft an die Provinzial-Irrenanstalt zu Nietleben bei Halle
berufen, 1885 zum Direktor der von ihm neu gegründeten Universitäts-psychiatrischen
und Nervenklinik in Halle, der ersten in Preußen, ernannt
Die Arbeiten Hitzigs umfassen die meisten Zweige der Psychiatrie und Neu¬
rologie. Als besonders wertvoll seien hier nur erwähnt: „Von dem Materiellen der
Seele“ (Leipzig 1886), „Über traumatische Tabes“ (1894), „Über den Querulanten¬
wahnsinn“ (1895) und die Bearbeitung des Kapitels über Schwindel imNothnagel-
schen Handbuch.
Vor allem ist aber sein Name eng verknüpft mit der Lehre von der Hirnlokali¬
sation. Im Jahre 1870 begründete er sie durch die Entdeckung der elektrischen
Erregbarkeit des Großhirns, länger als 3 Jahrzehnte widmete er alsdann sein durch
kritische Schärfe ausgezeichnetes Studium der Erforschung der Hirnphysiologie, die
von ihm geschaffenen ersten Grundlagen befestigend und weiter ausbauend, bis ihn
ein tragisches Geschick, das ihn des Augenlichtes fast ganz beraubte, zwang, seine
Untersuchungen abzubrechen. Mit berechtigtem Stolze mußte es ihn erfüllen, daß
in den 80 Jahren, welche seinen ersten klassischen Untersuchungen folgten, die
Wissenschaft seine Lehre in keinem wesentlichen Punkte zu erschüttern vermochte.
So klingt denn auch stolze Entsagung aus den Worten, die er im September 1903
niederschrieb: „Unbesiegt von meinen Gegnern, besiegt von dem allgewaltigen
Schicksal lege ich jetzt das Messer, die Feder und das Schwert aus der Hand, in der
Absicht sie nicht wieder aufzunehmen.“ —
Seine Hand hatte sie gut geführt, alle drei, im Dienste der Wahrheit. Sein
Name lebt darum fort in alle Zeiten auf dem Ruhmesbiatte, auf welchem die Neuro¬
logie und Psychiatrie ihren großen Heroen in Dankbarkeit huldigt
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Minen & Wiwio in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet ron Prof. *E. MendeL
Herausgegeben
▼on
Dr. Kurt MendeL
Sechsun dzwansigster_ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des ln* und Auslandes, die PoBtanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 16. September. Nr. 18.
Inhalt I. Originalmitteilnngen. 1. Phylogenetische Verlagerungen der motorischen
Oblongatakerne, ihre Ursache und Bedeutung, von C. U. Ariöns Kappers in Frankfurt a/M.
2. Fall von Hypophysistumor mit Röntgen-Photogramm, von Privat-Dozent Dr. Schuster.
8. Zur Freilegung der Hypophysis, von Dr. Ludwig Löwe. 4. Ein Fall von Hemiatrophia
facialis progressiva mit Augennervensymptomen, von Dr. Siegfried Salomon.
II. Referate. Anatomie. 1. Ricerche embriologiche ed anatomiche sul cervello an¬
teriore del pollo, per Bianchi. — Physiologie. 2. Vagus reflexes upon oesophagus and
cardia, by Melber. 8. Etüde experimentelle de l'influence physiologique des vibrations
möcaniques sur le systäme nerveux, par Stcherbak. 4. Comportamento di alcuni fenomeni
riflessi dopo la sezione delle radici posteriori, per Rossi. — Psychologie. 5. Das psycho-
g ilvanischeReflexphänomen, von Veraguth. — Pathologie des Nervensystems. 6. Über
laseneruptionen an der Haut bei centralen Affektionen des Nervensystems, von Schlesinger.
7. The cerebral element in the reflexes and its relation to the spinal element, by Walton
and Paul. 8. Reflexes osseux, par NoTca et Strominger. 9. Contributions nouvelles ä l’£tude
des reflexes osseux, par NoTca. 10. Kurze Notiz zur Kenntnis der Lidreflexe, von Levinsohn.
11. Pupillenstudien, von Hummelsheim. 12. Lesioni spinali e riflessi pupillari, par Cavazzani.
18. Ein Fall von einseitiger reflektorischer Pupillenstarre bei Vorhandensein der Konvergenz¬
reaktion infolge von peripherer Oculomotoriuslähmung nach Eindringen eines Eisensplitters
in die Orbita, von Ohm. 14. Halswirbelfraktur und reflektorische Pupillenstarre, von Brassert.
15. Zur prognostischen Bedeutung des Argrll-Robertson sehen Phänomens, von Pilcz. 16. Zur
prognostischen Bedeutung des Argyll-Robertsonsehen Phänomens, von Weber. 17. Über
ein im katatonischen Stupor beobachtetes Pupillenphänomen, sowie Bemerkungen über die
Pupillenstarre bei Hysterie, von Westphal. 18. Di uno speciale riflesso che si osserva nella
contrattura facciale, per Mondino. 19. Vorschlag zu einer konventionellen Fixierung des
Kniephänomens (bzw. PatellaiTeflexes), von Pick. 20. Zur Untersuchungstechnik des Patellar-
reflexes, von Guttmann. 21. Über ein neues Verfahren zur Untersuchung des Patellar- und
Achillessehnenreflexes, von Feix. 22. Ein einfacher Kunstgriff zur Erzeugung des Knie-
phänomens, von Krönig. 23. Die Methoden der Verstärkung des Kniephänomens, von Rosen-
hach. 24. Über die Veränderungen des Kniereflexes unter dem Einfluß des Schreckes
nach einem Schuß, von Sresnewski. 25. Über das Verhalten einiger Reflexe im Schlaf, von
Kutner. 26. Über das temporäre Fehlen der Patellarreflexe bei der Hysterie, von Köster.
27. Preuves anatomiqnes de la valeur du röflexe paradoxal, par Gordon. 28. De Pinfluence
de facteurs p4riph£riques sur la genese du reOexe pathologique du gros orteil, par Bard.
29. Neuere Untersuchungen über den dorsalen Fußrückenretiex, von Lissmann. 30. Zur
Kenntnis des Fußrücken reflexes, von Meyer. — Psychiatrie. 31. Diagnostik und Therapie
der psychischen und nervösen Krankheiten, von Sommer. 32. Der psychische Infantilismus.
Eine klinisch-psychologische Studie von di Gaspero. 33. Les fugues dans les psychoses et
los demences, par Ducostd. 34. La psychose maniaque-depressive. Les actnalites mldicales
— les folies intermittentes, par Deoy et Camus. 35. Untersuchungen über die Ätiologie der
Manie, der periodischen Manie und des cirkulären Irreseins nebst Besprechung einzelner
Krankheitssymptome, von Saiz. 36. Einige plethysmographische Untersuchungen bei affek¬
tiven Psychosen, von Salz. 37. Zur Psychopathologie der Melancholie, von Heilbronner.
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38. Neuralgien bei Melancholie, von Bruns. — Therapie. 39. Zur Bernhignngs- und Ein-
schläferungstherapie, von Krllgar und v. 4. Velden. 40. Veraache fiber neuere Schlafmittel,
von Ehrcke. 41. Proponal, von Breslsr. 42. Ober Neuronal, von. Wickel. 43. Die Behand¬
lung der Impotenz. Klinischer Vortrag von Filrbringer. 44. Ober die physiologischen
Grundlagen der physikalischen Therapie (Bemerkungen zu dem Vortrage von A. Gold¬
scheider; vgl. Neurolog. Centralbl. 1907. S. 419), von Strasser. 45. Ein neuer elektromedi-
zinischer Apparat, von Mann. 46. Zur Indikation der Behandlung mit Hochfreqnenzatrömen,
von Nagelschmidt.
III. Bibliographie. 1. Die Tetanie der Erwachsenen, von v. Frankl-Hochwart. 2. Geistes¬
krankheit und Geistesschwäche in Satire, Sprichwort und Humor, von MOnkemBller. 3. Studie
Aber Minderwertigkeit von Organen, von Adler.
IV. Aus den Gesellschaften. Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. — Medi¬
zinische Gesellschaft in Warachau. — Neurologisch-psychiatrische Gesellschaft in Warschau.
V. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. Mai bis SO. Juni 1907.
VI. Vermischtes.
I. Originalmitteilungen.
[Aus dem Dr. SaircKUNBBBo’schen Neurologischen Institut (Direktor: Prof. L. Edikoee).]
1. Phylogenetische Verlagerungen der
motorischen Oblongatakeme, ihre Ursache und Bedeutung.
Von O. U. AriSna Kappen in Frankfurt a/H.
Während die Lago der viscero-sensiblen und somato-sensiblen Endgebiete
(Johnbton, Hebrick) in der Oblongata ziemlich konstant ist von den niederen
Vertebraten bis zu den höchsten, ist diejenige, welche die motorischen Kerne
bei den Säugern einnehmen, sehr verschieden von der ursprünglichen Lage hei
den niederen Vertebraten. Die Ortsveränderung, welche sie im Laufe der Phylo¬
genese erfahren, ist interessant für die Erklärung des oft eigentümlichen Ver¬
laufes der intramedullären Wurzeln hei den höheren Tieren und dem Menschen.
Das klassische Beispiel einer Verschiebung verdanken wir Koch und
Brandib, welche die Aufmerksamkeit auf die Aufsteigung des Hypoglossuskernes
lenkten.
Bekanntlich entwickelt sich der Hypoglossus ans ein oder mehr motorischen,
spino-occipitalen Nerven der Fische. Später tritt er in den Dienst der Zungeu-
muskulatur, die, noch gering bei den Amphibien, sich erst bei den Reptilien
kräftig entwickelt. Bei den Teleostiern entstehen die ihm entsprechenden Nerven
aus dem oralsten Teile der ventralen Hörner (Fig. 1). Bei den Reptilien fängt
der größte Abschnitt an, sich dorsal zu verlagern. Unter den Vögeln findet
man nach Bbakdis bei den Hühnern noch eine mehr ventrale Lage als bei
den übrigen Vögeln, wo, wie bei der Ente (Koch), ein beträchtlicher Teil schon
ganz dorsal, und nur ein kleinerer Teil etwas ventral davon liegt Bei den
Säugern ist der ganze Kern fast direkt unterhalb des Rautenbodens gelagert
(Fig. 2). Eine ebensolche, noch etwas größere Wanderung von ventral nach
dorsal macht der Ahduceuskero durch.
Bei den Teleostiern (Fig. 3) und vielen Selachiern (f. Ausnahmen s. u.)
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liegt er in dem Tentralsten Drittel der Oblongata basaler als der den Hypo-
glossuskern repräsentierende Kern, was in Übereinstimmung ist mit seiner soma¬
tischen Natur, da er die Fortsetzung der ventralen Säule des Vorderhornes bildet
und Derivate von parietalen Muskeln innerviert.
Bei den Reptilien ist er schon mehr dorsalwärts gerückt, und zwar bei den
Hydrosauriern (8. u.) etwas mehr als bei den übrigen Sauropsiden. Bei den
Fig. 1. Frontalschnitt durch die Oblongata
von Lophius piscatorins, hintere Vagus- Hypo-
glossusregion (kombiniert).
Fig. 2. Frontalschnitt durch die Oblongata
des Menschen, hintere Vagus-Hypoglossus-
region (kombiniert).
Fig. S. Frontalschnitt durch die Oblongata
von Gadus morrbua. Abducens-, Facialis-
region.
Fig. 4. Frontalschnitt durch die Oblongata
von Pteropus edulis. Abducens-, Facialis-
region (kombiniert).
j. 5. Frontalschnitt durch die Mittelhirnbasis
von Petromyzon. Oculo-motorische Kerne.
Vögeln liegt der Kern wie bei den Säugern (Fig. 4) völlig dorsal, direkt lateral
vom hinteren Längsbündel. Nur ein kleiner Teil des Kernes hat dort und auch
bei den Mammaliern eine mehr ventrale Lage beibehalten (van Gehüchten,
Lugabo, Pacetti). Auch bezüglich des Okulomotoriuskernes besitzen wir An¬
deutungen, daß die centrale Lage nahe dem Aquädukt, wenigstens teilweise,
allmählich entstanden ist. Bei Petromyzon kann man zwei Okulomotoriuskerne
unterscheiden, wovon der eine völlig basal, nabe der Wurzel austritt (Fig. 5),
der andere nahe dem Aquädukt liegt. Bei allen anderen Fischen liegt der
ganze Kern bereits nahe dem Aquädukt. Daraus geht hervor, daß der Okulo-
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motoriuakern, der als somato-motorischer Kern der frontalste Best der ventralen
VorderhomsäQle ist nnd Derivate von parietalen Muskeln innerviert, schon früh
in der Phylogenese dorsal wärts gerückt ist
Bei den höheren Tieren wurde diese dorsale Verlagerung auch ontogenetisch
beobachtet (vgl. Gaseell, Carpkntkb).
Das umgekehrte kommt auch vor, indem ursprünglich mehr medio-dorsal
gelegene viscero-motorische Kerne bei den höheren Tieren ganz oder teilweise
eine mehr basilaterale Stellung einnehmen.
Der motorische VH-Kern, der bei den meisten Fischen (Fig. 3) im dorsalsten
Drittel des Bulbus hegt, versohiebt sich im Laufe der Phylogenese nach der
Basis hin. Im Gegensatz aber zu den schon bald stattfindenden obenerwähnten
dorsal warte gehenden Verschiebungen, fängt diese ventrale Verlagerung erst
viel später an. Auch bei den Reptilien und teilweise bei den Vögeln liegt der
motorische Facialiskern noch ziemlich dorsal, erst bei den Säugern (Fig. 4) ist
die Lage eine ganz ventrale geworden.
Die motorischen Facialisfasern laufen von den Fischen an mit den sensiblen
(Pars intermedia) zusammen, und da diese letzteren ihre dorsale Lage überall bei¬
behalten, bildet sich das bei diesen Tieren kaum angedeutete, ventral umbiegende
Facialisknie viel mächtiger aus. Die motorischen Wurzelfasern des Facialis
nehmen den bekannten aufsteigenden Verlauf von ventrolateral nach dorsomedial.
Weil nun der Abducenskem ursprünglich mehr basal lag und gewiser¬
maßen überbrückt wurde von der austretenden Facialiswurzel (vgl. Fig. 3), bleibt
dieses Verhalten bestehen: der Abducenskem liegt im Knie der motorischen
Facialiswurzel.
Wir finden in dieser Region also zwei Prozesse: 1. das Aufsteigen des
ursprünglich basalen somato-motorischen Abducenskernes, 2. das Herabsinken des
ursprünglich dorso-medialen viscero-motorischen Facialiskemes. 1
Diese basale Verlagerang von ursprünglich dorsal situierten viscero-motorischen
Nervenkeraen finden wir auch bei dem Vaguskomplex.
Bei den Fischen, Teleostiern, Ganoiden, Selachiem liegt der kleinzellige
Teil des motorischen Vaguskernes bis an den sensiblen Kern heran. Der große
motorische Kern mit multipolaren Zellen liegt ebenfalls im dorsalsten Viertel
der Oblongata (Fig. 1). Bei den Reptilien und Vögeln liegt der letztere Kern
etwas mehr basal, jedoch noch viel dorsaler als bei den Säugern (vgl. Brande),
wo der Nucleus ambiguus stark basalwärts verschoben ist (Fig. 2). Die austretenden
Fasern desselben haben, gerade wie diejenigen des motorischen Facialis, ihren
phylogenetisch älteren Verlauf beibehalten und bilden auch eine knieförmige
Biegung, ziehen erst nach oben medial bis nahe dem feineren dorsalen moto¬
rischen Kern und dann nach außen. 1
Man findet somit während der Phylogenese in der Oblongata einen Prozeß,
welcher darin besteht, daß verschiedene ursprünglich basal gelagerte Kerne der
1 Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein geringer, kleinzelliger Teil desselben die mehr
dorsale Lage beibehält (s. S. 6).
* Ontogenetisch liegen diesbezüglich einige Beobachtangen von His vor (vgl. Ziihss)
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ventralen motorischen Säule sich nach oben und medialwärts verlagern, während
einige ursprünglich doreo-mediale Kerne des viscero - motorischen Systems sich
nach unten nnd etwas lateralwärts verschieben. Für die ersten zeigt in einem
Falle (Abdncens) ein ventral gebliebener Kernrest, für die letzten der Verlauf
der Wurzelfasem auch später noch die ältere Lage nnd den Weg der Ver¬
lagerung an.
Die Frage ist nun: Welche sind die Ursachen dieser so auffallenden „Quadrille
deB noyaux“?
Vielleicht sind es die Verbindungen, welche die Kerne im Laufe der Phylo¬
genese eingehen.
Für die Absteigung des ursprünglich medio-dorsalen motorischen VII 1 und
Vaguskeme8 dürfte die Ausbildung der Pyramide die größte Bolle spielen.
Hierfür spricht auch, daß die völlig ventrale Verlagerung erst stattfindet
bei denjenigen Tieren, welche eine kortiko-bulbäre Bahn besitzen, und daß die
ventrale Verlagerung zuerst und im stärksten Maße den motorischen Facialis-
kern trifft, was auch in Übereinstimmung ist mit dem Faktum, daß die kortiko-
bulbäre Bahn für den motorischen VH. Kern sich schon früh bildet (Fleder¬
maus).
Was den Nucleus ambiguus anbelangt, so wäre der angegebene Grund der
phylogenetischen Verlagerung auch in Übereinstimmung mit der noch neulich
von Kohkstamm und Wolfstein, van Gehuchten gegenüber verteidigte Lehre,
daß dieser Kern die Kehlkopf- und Schlundmuskulatur versorgt, welche sicher
unter stärkerem kortikalem Einfluß steht (Produktion von Lauten, sprechen) als
der in dorso-medialer Lage beharrende Lungen- und Herzkern.
Das Aufsteigen der Augenmuskelkeme erklärt sich leicht nach demselben
Prinzip. Wir wissen, daß die Zufuhr von „direkten“ kortikalen Impulsen zu
den Okulomotoriuskernen, eine Okulomotoriuspyramide sogar bei den höheren
Säugern noch sehr problematisch ist (van Gehuohtbn). Dagegen werden die
Augenmuskelkerne in erster Stelle reflektorisch beeinflußt Bei den niederen,
wahrscheinlich auch bei den höheren Vertebraten kommt der Haupteinfluß von
dem Tectum opticum und namentlich nach der Darstellung von Ettobe Levi
dürfen wir wohl nicht mehr daran zweifeln, daß das medio-dorsal gelegene prä¬
dorsale Bündel und seine Homologa bei niederen Vertebraten den Weg da¬
für bildet
Daß das Bedürfnis zum Anschluß an dem prädorsalen Bündel, sowie an dem
koordinatorisohen System des dorsalen Längsbündels wirklich der Grund dieser
Verlagerung ist, dafür spricht, daß die dorso-mediale Verlagerung der ver-
1 Der Kern sacht oSenbar Anschluß an der Region woron er Impulse empfängt: das
Tegmentam ventrale bulbi, welches bei den niederen Tieren hauptsächlich von den tekto-
halberen Bahnen inflaenziert wird. Bei den meisten Fischen sind seine Zellen mittels sehr
langer Dendriten mit diesem Gebiet verbanden, aber bei einigen Teleostiern (Lophias) and
Vögeln hat offenbar schon diese Bahn eine genügende „anziehende“ Kraft, am einen Teil
des Kernes ventral za verlagern. Derselbe Faktor ist nun bei den Sängern darch die
Pynunidenbahnen viel erheblicher.
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schiedenen Augenmuskelkerne so früh in der Phylogenese stattfindet Der Oculo-
motorius ist bei weitem der wichtigste Nerv für die Augenbewegungen, sowie
auch für den Empfang der reflektorischen und koordinatorisohen Impulse. Hier-
mit ist in Übereinstimmung, daß der Oculomotorius (und Trochlearis) eher medior
dorsal wir t8 rückt als der Abducens.
Innerhalb der Fische ist der Ahducenskem aber am meisten dorsal bei den
Selachiera und sogar bei den Notidaniden, mit Ausnahme von wenigen Zellen,
völlig neben, ja innerhalb der äußeren Seite des hinteren Längsbündels gelagert
Nun sind die Selachier durch die mächtige Entwicklung ihres Koordinations¬
systems ausgezeichnet was in Verbindung steht mit ihrem starken Schwimmver¬
mögen und rasdien Bewegungen (Edinqbb), die eine ausgezeichnete Koordination
aller Kerne, auch der Augenmuskelkerne beansprucht Die dem Fasdculus km-
gitudinalis posterior so eng angeschlossene Lage der Kerne bei Hexanchos z. B.
bestätigt diese Ansicht (ebenso unter den Reptilien beim Alligator).
Schwieriger gestaltet sich die Erklärung der Verlagerung des Hypoglossns-
kernes, namentlich wenn man diesen Kern in seinen Funktionen und Ver¬
bindungen mit dem Nucleus ambiguus vergleicht Auf den ersten Blick läßt
sich nicht einsehen, weshalb der letzte sich wohl ventral verlagern sollte, während
der ursprünglich etwas ventraler gelagerte Hypoglossuskern sogar dorsal wärts
aufsteigt.
Anatomisch jedoch wissen wir sioher, daß der Hypoglossuskern Fasern der
kortiko-bulbären Bahn empfängt und physiologisch als Schluck- (und beim
Mensohen als Sprech-)kern kommt ihm auch dieselbe kortikale Kontrolle gerade
so gut zu wie dem Nucleus ambiguus. Die Zunge hat aber bei höheren
Vertebraten noch eine andere Bedeutung. Sie ist der Träger der weitaus wich¬
tigsten Gesohmaoksorgane und wird als solcher teilweise von dem sensiblen, d. h.
meist dorsalen VIL und IX. Kern innerviert Nun scheint es mir wahrschein¬
lich, daß die dorsale Verlagerung des Hypogloesuskernes beeinflußt ist durch
die Assoziation der sensiblen Geschmacksreize mit ihren motorischen Equivalenten.
Eine Verbindung zwischen den sensiblen dorsalsten VIL, IX. und X. Kernen
und der grauen Substanz nahe des Hypoglossus wurde von Mabbuxg, Kohk-
btaxm und Wolfstkin (Fibrae transsolitariae) gefunden und auch von Koch
wahrscheinlich geachtet Auoh spricht hierfür, daß die dorsale Verlagerung des
Hypoglossus erst anfängt bei den Tieren, die eine gut ausgebildete Zunge haben
und davon zum Prüfen und Fangen der Nahrung Gebrauch machen (Schlangen,
Chamaeleonidae).
Bei den Fischen besteht keine muskulöse Zunge. Die frontalsten spino-
occipitalen-motorischen Nerven innervieren ein Gebiet, welches dort nicht oder
wenigstens nicht allgemein mit Geschmacksknospen bekleidet ist Jedenfalls
besteht dort nicht die starke explorative Bewegungsfähigkeit dieser Teile, wie
sie die Zunge vieler höherer Vertebraten hat
Die dorsale Verlagerung des Hypoglossuskernes hat sich vollzogen, bevor
die Hypoglossuspyramide sich bildete. Hiermit ist auoh der eigentümliche Ver¬
lauf der Hypoglossuspyramide bei den Säugern in Übereinstimmung. Diese
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spaltet sich doch bereits am hinteren Brückenrande von der Gesamtpyramide
ab and verläuft dann allmählich schräg nach oben zu ihrem Endpunkte;
Hätte die Pyramide sich in Verbindung gesetzt mit dem Hypoglossuskern,
bevor derselbe eine bedeutende dorsale Verlagerung erfahren hätte, so wäre dies
höchstwahrscheinlich sichtbar gewesen in dem Verlauf der Pyramide. Sie wäre
dann vermutlich ventral gelaufen bis zum Niveau des Hypoglossus und erst
dann nach oben aufgestiegen.
So läßt sich für die eigentümliche „Quadrille des noyaux“ eine ungezwungene
Erklärung geben, die mit allen bekannten Tatsachen in Einklang ist und da¬
durch sogar bestätigt wird.
An dieser Verlagerung nehmen keinen Teil diejenigen Kerne oder Teile
von Kernen, die von Anfang an eine Lage hatten, welche für sie in Verbindung
mit den sie ursprünglich und später beherrschenden Bahnen die meist geeignete
war, das sind die hauptsächlich reflektorisch oder indirekt reflektorisch wirksamen
Kerne der Herztätigkeit und Atmung, die ihre Lage nahe den sensiblen Centren
der betreffenden Organe beibehalten (dorsaler Vaguskern).
Hierzu dürfte auoh der obere salivatorische Kern Kohnstamh’s gehören,
der mehr in der Nähe des Geschmackskernes bleibt 1
Bis jetzt ist nicht die Rede gewesen von den motorischen Trigeminuskernen.
Weil ihre Verhältnisse etwas anders sind, will ich sie besonders behandeln.
Der Quintus hat bei allen Tieren mindestens zwei motorische Kerne, einen
in der Oblongata, einen im Mittelhirn.
Bei Petromyzon liegt der Oblongatakern direkt unter dem Ventrikelependym,
bei den Ganoiden nur wenig davon entfernt. Bei den Selachiern und Teleostiern
ist er zwar etwas mehr nach unten gerückt, aber liegt 'doch noch immer in der
oberen Hälfte, meist in dem oberen Drittel der Oblongata.
Im Gegensatz zum VIL, IX. und X. Kern hat der V. Kern diese Lage
beibebalten, obschon er später auch mit der Pyramide in Verbindung tritt
Es ist bekannt daß der Oblongatakern in hohem Maße reflektorisch beein¬
flußt wird von Fasern, die aus dem Tectum optioum absteigen und sich ganz
oder sich mittels Kollateralen um den Kern aufsplittern (Pbobst: Säuger). Diese
reflektorische Trigeminusbahn ist phylogenetisch eine sehr alte. Sie wurde von
Bbanbis bei den Vögeln gesehen.
Die Lage des mesencephalischen Quintuakeraea ist entwioklungsgeschichtlich
eine primäre, da dieser Kern zweifelsohne dem Augennervemnetamer des Kopfes
1 Weshalb ein Teil des Abdneenskernes in seiner ventralen Lage beharrt, läßt sieh
nicht sicher sagen. Es gibt bei den Teleostiern ein Bandelchen, welches sieh von der
latero basalen angekreuzten, tecto-bulbären Bahn abspaltet und sich in direkter Nähe des
Abdneenskernes verliert. Eine laterale nngekreazte, tectobulbäre Bahn ist bekanntlich anch
bei den Sängern anwesend. Teilweise endet es in derselben Region als bei den Fischen.
Es könnte sein, daß die Persistenz dieser Bahn Einfluß gehabt hat auf dem Verharren eines
Teiles des Abdneenskernes in seiner ursprünglichen Lage. Daß die Wurzelfasern dieses
Kernes, anstatt den direkten Austritt beizubehalten, sich erst nach oben zum übrigen Teil
des Kernes begeben, wäre vielleicht durch den mechanischen Einflaß der Verschiebung des
letzteren zu erklären.
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angehört (vgL auch Gaskell). Bekanntlich gehört ein Teil des sensibeln Tri¬
geminus (Bamos ophthalmious profandos) diesem Metamer zu (tan Wyhe, Hoct-
mann, Giolio-To8) als dorsale Wurzel. Die dorsalen Wurzeln (lateralen im
Sinne Gobkell’s) aber sind ursprünglich gemisoht sensibel und motorisch. Dieser
Zustand scheint bei den höheren Tieren bewahrt geblieben für die Hirnnerven V,
VII, IX, X, die bekanntlich gemischt austreten. Gerade so gut nun wie dem
sensibeln Oblongata-Trigeminus ein motorischer Teil zukommt, kann man auch
erwarten, daß der Ramus ophthalmious profundus einen solchen besitzt, und
dies ist eben die Wurzel, welche im Mittelhirnkem ihren Ursprung nimmt.
Literatur.
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Untersuchungen über das Gehirn der Vögel. II. Teil: Ursprung der Nerven der Medulla
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Frankfurt a/M. XXX. 1907. — Edihoxb, Vorlesungen über den Bau der nervösen Central¬
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calva und Lepidosteus osseus. Abhandlungen der Senckenberg’schen naturforschenden Ge¬
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Naturlehre des Menschen und der Tiere. XV.
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2. Fall von Hypophysistumor mit itöntgen-Photogramm.
Von Privat-Dozent Dr. Schuster.
Da brauchbare Röntgen-Aufnahmen von Hypophysisgeschwülsten immer
noch zu den Seltenheiten gehören, so seien hier zwei Röntgen-Aufnahmen re¬
produziert, welche ich der Güte des Herrn Kollegen Immelmann verdanke.
Die wichtigsten Daten aus der Krankheitsgeschichte des Patienten, den ich
am 25. März 1907 in dem Verein für innere Medizin demonstrierte, sind fol¬
gende: 33jähriger Sattler. Seit etwa 3 Jahren Verschlechterung des Sehens,
seit 2 x / 2 Jahren Kopfschmerz. In der letzten Zeit ist die Sehkraft auf beiden
Augen völlig verloren gegangen (nachdem vorher von Herrn Geh. Rat Prof.
Dr. Hibschbebg — dem ich den Kranken verdanke — Scheuklappen hemi-
anopsie festgestellt worden war). Häufiges Erbrechen in den letzten Monaten.
Pat bemerkte im Laufe der letzten Jahre, daß seine Handschuhe zu eng wurden,
daß sein Ring nicht mehr paßte. Die Frau des Pat findet, daß das Gesicht,
besonders die Nase stärker geworden ist
Figur A. Basis eines normalen Schädels, t normale Sella turcica.
Die Untersuchung ergab: Auffallend blasse, trockene, in ihrem Aussehen
an Myxödemhaut erinnernde Haut, Fehlen der Scham- und Achselhaare. Nase
etwas groß, jedoch keine Vergrößerung der Zunge und des Kiefers. Hände und
Finger im Verhältnis zu dem übrigen Körper etwas groß, jedoch keineswegs
auffallend vergrößert. Linkes Auge in Divergenzstellung; Lichtreaktion auf dem
linken Auge minimal, rechts fehlend. Akkomodationsreaktion links minimal,
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rechts nicht feststellbar, da das Auge bei der Konvergenz nach außen abweicht
Beiderseits totale Optikusatrophie. Rechter Mundwinkel wird eine Spur weniger
als linker bewegt. Leichtes Zungezittern. Geringe Kyphoskoliose, angeblich
durch Stellung bei der Arbeit entstanden (?). An den Beinen und Füßen keine
Vergrößerungen. Motilität, Sensibilität und Sehnen- und Hautreflexe in Ordnung.
Hoden sehr klein. Sexuelle Funktion erloschen. Psychisch auffallend sorglos und
Figur B. Schädelbasis dos Patienten, t nm das Dreifache vergrößerte
Sella turcica, deren hinterer Itand wie aaBgezogen erscheint.
heiter sowie leicht geschwächt Es wurde die Diagnose auf Hypopbysistumor
mit akromegalischen Symptomen gestellt Die Diagnose wurde durch die Unter¬
suchung mit Röntgen-Strahlen bestätigt Das Röntgen-Photogramm, welches
duroh den Druck leider viel von seiner Deutlichkeit verloren hat, zeigt, daß die
Sella turcica («' in Fig. B) auf das Dreifache der normalen Größe (.? in Fig. A)
vergrößert ist. Außerdem ist die gleichmäßige ovale Rundung der Sella ver¬
schwunden und der hintere Rand der Grube erscheint wie ausgezogen.
3. Zur Freilegung der Hypophysis.
Von Dr. Ludwig Löwe,
Ohren-, Nasen-, Halsarzt in Berlin.
Die bei der Akromegalie so oft beobachtete Vergrößerung des Hirnanhanges
ladet offenbar zur chirurgischen Hilfeleistung ein. Freilich läßt sich nicht an¬
nehmen, daß durch die Entfernung der Geschwulst die Krankheit selbst behoben
sein werde. Wohl aber dürfte dies vielleicht mit zweien ihrer schlimmsten
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Symptome, den Sehstörnngen and dem Kopfschmerz, der Fall sein. Denn beide
beruhen offenbar auf der durch die Geschwulst bedingten intrakraniellen Druck*
Steigerung. Lässt doch die Sehstörung häufig aus der Art, in der sie auftritt,
Schlüsse darauf ziehen, auf welche Punkte des Chiasma jeweils der größte Druck
seitens des Hirnanhangtumors ausgeübt wird.
Um eine Hypophysisgeschwulst für das Messer des Chirurgen geeignet zu
machen, muß zu der intrakraniellen Drucksteigerung noch eine weitere Eigen¬
schaft hinzukommen. Die Neubildung maß die Wachstumsrichtung nach unten
gegen die Keilbeinhöhle eingeschlagen haben. Ist das nicht der Fall, ist sie
nach irgend einer anderen Riohtung gewachsen, so verquickt sie sich so
innig mit der Hirnmasse, daß an ihre operative Entfernung nicht gut zu denken
ist In früheren Zeiten war die Frage, welche Wachstumsrichtung ein Hirn¬
anhangtumor jeweils eingeschlagen hat, nur durch die Leichenschau zu entscheiden.
Heute ist man in dieser Beziehung dank den Röntgen-Strahlen besser daran
(Schüllbb, Ebdhem). Freilich läßt sich die Geschwulst selbst nicht im
Röntgen-Bilde erkennen. Wohl aber ist dies mit den Umrissen der Keilbein¬
höhle und des Türkensattels der Fall. Und das genügt, um konkludente
Schlüsse darüber, oh der Tumor jeweils nach unten gegen die Keilbeinhöhle
gewachsen, also operabel ist oder nicht, zu ziehen.
Die Tierversuche haben ergeben, daß die Herausnahme des ganzen Hirn¬
anhanges häufig zum Tode führt Zwar sind einige Tiere trotzdem am Leben
geblieben (Hobslhy, Fbiedbmann und Maass), aber die Mehrzahl ist ein¬
gegangen. Dagegen sind partielle Abtragungen in der Regel ohne wesentliche
Störungen des Befindens überstanden worden. Ohne nun allzu großes Gewioht
auf die Vivisektionsresultate legen zu wollen, muß doch aus ihnen der Schluß
für die menschliche Pathologie gezogen werden, daß vorläufig eine totale Ex¬
stirpation des Hirnanhanges nicht angängig ist, daß der chirurgische Eingriff
sich vielmehr darauf beschränken muß, den Tumor jeweils nur soweit als die
Himdruckerscheinungen dies erforderlich machen, zu resezieren (Sohloffeb).
Trotzdem zahlreiche Methoden, an den Hirnanhang heranzugehen an¬
gegeben sind, ist er doch erst einige wenige Male am lebenden Menschen an¬
gegriffen worden (Hobsley, Sohloffeb). Der Grund hierfür liegt einmal darin,
daß der Gedanke der chirurgischen Anfassung der Hirnanhangsgeschwulst noch
ein ganz junger ist (Caton und Paul 1898). Dann ist ja auch das Röntgen-
Verfahren erst eine Errungenschaft der letzten Jahre. Ferner werden überhaupt
nur wenige Menschen von Akromegalie befallen. Und von diesen ist wiederum
nur ein Bruchteil, nämlich der mit nach unten gerichtetem Hypophysenwachstum
und endokranieller Drucksteigerung (Sehstörungen und Kopfschmerz) zur Operation
geeignet (Sohloffeb). Und nur die allerwenigsten hiervon gelangen zur Kog¬
nition der Chirurgen. Endlich ist auch in Anbetracht der — präsumierten —
Kompliziertheit des Eingriffes die Meinung unter den Ärzten verbreitet, daß die
Operation technisch überaus schwierig und deshalb nur für die allerschwersten
Fälle geeignet sei, daß alle weniger bösartigen Akromegalien dagegen sich selbst
zu überlassen seien. Dieser Auffassung muß mindestens, was die Encheirese,
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die in den folgenden Zeilen entwickelt werden wird, anbetrifft, insofern ent*
gegengetreten werden, als diese nach der bisher vorliegenden, allerdings nnr
geringen Erfahrung eine leicht ausführbare Operation ist, die keine nennens¬
werte Störung hinterläßt
Sämtliche bisher angegebenen Methoden der Hypophysisfreilegung lassen
sich in drei Kategorien einteilen. Einmal in solche, die intrakraniell, dann in
solche, die vom Munde und schließlich in solche, die von der Nase aus eingehen.
Die intrakraniellen und die Mundmethoden haben vieles gegen sich. Die ersteren,
weil sie gefährlich, schwierig, unsicher sind und die Kranken viel zu sehr an¬
greifen, die letzteren, weil sie keinen guten Überblick gewähren. Der einzig
wirklich gut gangbare Weg zur Hypophysis ist der von der Nase her, was ja
auch in der Natur der Sache begründet ist Denn es handelt sich, wie oben
ausgeführt worden ist, immer nur um solche Hirnanhangsgeschwülste, welche
nach unten in die Keilbeinhöhle hineingewaobsen, welche also gleichsam „Keil-
beinhöhlengeschwülste“ geworden sind. Wer wird aber einen Keilbeinhöhlen¬
tumor anders als auf nasalem Wege entbinden? Dem Verfasser dieser Zeilen ist
es gelungen, eine diesbezügliche relativ einfache Methode herauszufinden. 1 Das
Wesen derselben besteht darin, daß die knöchernen und die Weichteilbedeckungen
der äußeren Nase duroh einen neben der Mittellinie geführten Längsschnitt ge¬
spalten und jederseits nach Art einer Flügeltür nach außen umgeklappt werden,
worauf das Innere beider Nasenhälften — duroh das noch intakteSeptum voneinander
getrennt—vor Augen liegt Nun werden jederseits die Muscheln und das Siebbem-
labyrinth entfernt Das Septum wird entweder ebenfalls reseziert, soweit es den
Überblick hindert, oder es wird, nachdem es an seiner oberen und hinteren
Kante abgetrennt ist, zur Seite gebogen (dekliniert), was manchmal auch ge¬
nügt Die Operation des Tierflügelaufklappens ist schon am Lebenden mehrfach
vom Verfasser mit gutem Erfolge ausgeführt worden. Was jetzt aber folgt, das
ist bisher vom Verfasser nur am Kadaver probiert Es ist indeß technisch so
einfach, daß sein Gelingen außer Frage steht Außerdem ist es ganz neuerdingB
von Schloffeb s als in vivo ohne jede Schwierigkeit machbar festgestellt worden.
Es handelt sich nämlich um weiter nichts als um die Abtragung der die beiden
Keilbeinhöhlen von vornher deckenden Knochenplättchen (der sogen. Ossicula
Bertini) und des Septum intersphenoidale. So sind beide Keilbeinhöhlen zu
einem einzigen Hohlraum vereinigt, der von vorn her in allen Teilen zugänglich
ist, da alle vor ihm gelegenen Nasenabschnitte durch die Türflügeleröffnung
temporär zur Seite gelegt bzw. durch die Besektion definitiv beseitigt sind. Nun
folgt die Abschlagung desjenigen Stückes des Keilbeinhöhlendaches, das die
Hypophysis von vom und unten her deckt und dessen Lage und Dioken-
dimension ja schon vor Beginn des Eingriffes durch das präliminäre Böntgen-
Bild festgestellt ist.
1 Für die Überladung des zu diesen Stadien erforderlichen LeichennuterUles ist er
den Herren ton Bkbgkahn, Obth, Vibchow and Waldbybb sa großem Danke verpflichtet.
* Erfolgreiche Operation eines Hypophysentumors auf nasalem Wege. Wiener klin.
Wochenschrift. 1907. Nr. 21.
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Man hat gegen die Freilegung der Hypophysis von der Nase her zwei Ein¬
wände erhoben. Einmal den, daß dabei die Gefahr nahe liege, daß za große
Mengen von Liquor cerebrospinalis abflössen. Zweitens hat man aaf die Möglich¬
keit hingewiesen, daß infolge der operativ hergestellten Kommunikation zwischen
Nasen- and Schädelhöhle eine infektiöse Meningitis entstehen könne. Beide Ein wände
sind hinfällig. Daß der Liqaor cerebrospinalis nicht in das Leben gefährdender
Menge abfiießt, haben sowohl die Tierversuche ergeben, als auch hat sich das
bei zahlreichen Unfällen, die mit Schädelbasisfrakturen und Abfluß des Liquor
cerebrospinalis kompliziert waren, herausgestellt. Geben doch letztere trotz ihrer
enormen Schwere nur eine Mortalitätsziffer von 16,6% (Kboibs-Schloffbb). >Und
was die Gefahr einer infektiösen Meningitis infolge der operativ gesetzten Kom¬
munikation der Schädelhöhle mit der Nasenhöhle anbetrifft, so sind die Abflu߬
verhältnisse, die durch die Operation geschaffen sind, so überaus günstig, daß
das Sekret fast bei jeder Kopfstellung abfließen muß. Es kann also nie zu einer
Stase desselben bzw. zu einer Resorption seiner Toxine kommen. Womit be¬
kanntlich die Grundbedingungen einer Infektion entfallen. Außerdem lassen
sich beide Gefahren — die des übermäßigen Liquorabflusses und die der
Meningitis — durch folgenden Kunstgriff vermeiden. Die Opereration wird in
2 Tempis ausgeführt, der erste Akt endet mit der Freilegung der Dura. Nun
wird durch eine der von der Pleura her bekannten Methoden zuvörderst eine
zirkumskripte adhäsive Pachymeningitis hervorgerufen. Nach wenigen Tagen
muß darnach eine Verklebung der Dura mit der Hypophysis im Bereich der
Eröfihungs8telle eingetreten sein. Und nun kann die Fensterung der harten
Hirnhaut erfolgen, ohne daß der Liquor abfließen bzw. eine Meningitis ent¬
stehen kann.
Der soeben beschriebene Weg:
1. Türflügelaufklappung der beiderseitigen Knochenweichteildecke der Nase,
2. Ausräumen des Naseninneren,
3. Resektion (bzw. Deklination) des Septum nasale,
4. Abtragung der beiderseitigen vorderen Keilbeinhöhlenwand und des
Septum sphenoidale,
5. Resektion eines Stückes des Keilbeinhöhlendaches
macht selbstverständlich nioht nur die Hypophysis, sondern auch implizite die
Sehnervenkreuzung, die Innenfläche beider Sinus cavernoei und die vordere
Brückenregion dem Auge und der Hand des Chirurgen zugänglich. In analoger
Weise kann auch die Gegend der Gehirnbasis über dem Siebbeinlabyrinth (Partie
zwischen Gyros rectus und Sulcus cruciatus) freigelegt werden. Nur ist dazu
natürlich nicht nötig die Keilbeinhöhle zu eröffnen. Es genügt schon, das Nasen¬
dach über dem Siebbeinlabyrinth abzutragen, nachdem Türflügelaufklappung und
Ausräumung der Nase vorhergegangen sind.
Wegen der genaueren Einzelheiten des Verfahrens verweist Verfasser auf
seine Monographie: Zur Chirurgie der Nase. Heft 1, Berlin 1905; Heft 2,
Berlin 1907. (Letzteres Heft erscheint demnächst)
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4. Ein Fall von Hemiatrophia facialis progressiva mit
Augennervensymptomen. 1
Von Dr. Siegfried Salomon,
Augenarzt in Berlin.
Die Patientin, die ich vorstellte, suchte Mitte März d. J. die Dr. H. Neu-
mann’sche Kinder-Poliklinik auf und zwar die von mir geleitete Augenabteilung.
Sie klagte seit einiger Zeit über Störungen beim Sehen in der Nähe.
Es fiel mir sofort die bedeutende Ungleichheit der beiden Gesichtshälften
auf (siehe Photographie). Die jugendliche Kranke bot das typische Bild einer
Hemiatrophia facialis progressiva,
allerdings von den bisher seit
Romberg beschriebenen spärlichen
Fällen abweichend durch die Kom¬
bination mit den Erkrankungen
von Hirnnerven und durch die Ätio¬
logie.
Anamnese: Das Mädchen ist
jetzt 9 Jahre alt, und seit 3 Jahren
hat die Mutter an den Gesichts¬
hälften die Ungleichheit gemerkt,
die speziell in dem letzten Jahre
stärker fortgeschritten ist. Von den
Ursachen, die bisher für das Ent¬
stehen einer Hemiatrophie in der
Literatur angegeben sind, findet
sich bei der Patientin nichts. Es
hat angeblich niemals eine Ver¬
letzung stattgefunden, außer einem
leichten Fall von Masern vor vier
Jahren waren keine Infektionskrank¬
heiten aufgetreten, es besteht keine
Kyphose der Halswirbel und in der
Familie herrschen keine Geistes¬
krankheiten.
Dagegen möchte ich hervor¬
heben, daß die Mutter 3 mal abor¬
tiert hat, daß drei Kinder in den ersten Lebensmonaten (zwischen 3 bis 7 Monat)
an Ausschlag und inneren Krankheiten gestorben sind, und daß drei Kinder leben.
Patientin ist das zweite Kind in der Folge der Geburten und das älteste der jetzt
lebenden drei Kinder.
Der Nervenstatus, den ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Kollegen
Kali sc her verdanke, ergibt folgendes:
Bei näherem Anblick zeigt sich zunächst die linke Schläfengegend eingesunken,
ferner ganz besonders die linke Supramaxillargegend, aber auch die Inframaxillar-
gegend. In der Entwicklung der Haare, Augenbrauen und Wimpern findet sich
zwischen beiden Seiten kein Unterschied, wie es sonst bei Hemiatrophie meistens
der Fall ist. Die Hautfarbe ist vielleicht links etwas blasser als rechts. Die
1 Vorgestellt ara 10. Juni 1907 in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven¬
krankheiten; vgl. dieses Centralblatt. 1907. S. 614.
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Haut ist links dünn und atrophisch, es fehlt das Fettgewebe. Von Muskeln ist
der frontaüs, temporalis, die masseteren, buccinator, zygomaticus und levator und
depressor anguli oris nicht fühlbar. Auch der Ober- und Unterkiefer sind links
erheblich verkleinert. (Wiederholte Böntgen-Aufnahmen ergaben teils negative,
teils undeutliche Bilder.) Das linke Auge scheint etwas eingesunken. Die Schweiß-
Sekretion ist beiderseits gleich.
Beweglichkeit: Stirnrunzeln ist rechts intensiver möglich als links, Augen¬
schluß dagegen beiderseits gleich. Das Auge kann rechts weiter geöffnet werden,
und auoh in der Buhe scheint die Lidspalte reohts ein wenig weiter zu sein als
links. Beim Lachen und bei anderen Bewegungen des Mundes tritt in der linken
Gesichtshälfte eine deutliche Schwäche hervor, obgleich alle von dem mittleren
und unteren Facialisteil innervierten Muskeln noch in Ihrer Funktion erhalten,
wenn auch erheblich abgeschwächt sind. Beim Aufblasen der Backen wird die
linke Hälfte fast garnicht ausgedehnt, und es gelingt bei leichtem Druck, die
Luft aus der linken Mundhälfte herauszutreiben. Demnaoh ist links der orbicu-
laris oris erheblich schwächer, ebenso die Lippen. Auch das Platysma ist links
an der Atrophie beteiligt. An den Zähnen ist keine Differenz, ebensowenig an
der Zunge, auch das Gaumensegel wird beiderseits gleich gut innerviert. Die
Sohleimhäute selbst zeigen keine atrophischen Veränderungen.
Die Sensibilität ist links gut erhalten, ebenso der Eorneal- und Gaumen¬
segelreflex. Beim Klopfen des Facialisgebietes bekommt man nur einen geringeren
Schluß im Orbicularis palpebrarum. Eine Schwäche der Kaumuskeln läßt sich
nicht nachweisen; Sprache und Schlucken sind ebenfalls ungestört. Bei der
elektrischen Prüfung ergibt sich eine Herabsetzung in den erwähnten Muskeln
nur entsprechend ihrer Atrophie und Funktionsstörung. Die Muskeln sind direkt
wie indirekt erregbar, nirgends findet sich eine träge Zuckung oder
Zeichen von Entartungsreaktion.
Interessant ist nun die Kombination mit den Augenstörungen.
Augenstatus: Auf dem rechten Auge, das völlig normal sieht und auch
sonst an sich normal ist, besteht eine erhebliche Abducensparese. Das Auge kann
nur wenig über die Mittellinie nach außen bewegt werden.
Das linke Auge sieht a / 3 des normalen, Gläser verbessern nicht.
Die Pupille ist mittelweit, ebenso weit wie rechts, aber absolut starr,
sowohl für Licht wie für Konvergenz. Ebenso ist die Akkommodation gelähmt.
Es besteht also eine Paralyse der inneren Äste des Nervus oculomotorius. Die
Beweglichkeit ist links nach allen Seiten gut, die Tension beiderseits gleioh und
normal. Der Augenhintergrund zeigt links eine diffuse Pigmentierung der Betina,
besonders in der Makulargegend, wie wir es bei erworbener und nooh mehr bei
kongenitaler Lues zu sehen gewohnt sind. Sonst ist an den Augen nichts
besonderes, speziell keine Tränenanomalien und keine Hyperämie im vorderen
oder hinteren Bulbusabschnitt (wie bei Sympathikueaffektionen).
Das Seltene des Falles besteht in mehreren Momenten.
Im Vordergrund steht das Bild der Hemiatrophia facialis progressiva mit
ihren charakteristischen Symptomen. Aber dieser Symptomenkomplex ist kom¬
biniert mit einer Erkrankung von Hirnnerven, die mit Sicherheit einen neuro¬
genen Ursprung annehmen lassen. Auffallend ist im vorliegenden Falle das
völlige Fehlen von Symptomen von Seiten des Sympathicus, wie es sonst in den
meisten der wenigen bisher bekannt gewordenen Fälle beobachtet worden ist,
und wie man es infolge theoretischer Erwägungen auch annehmen müßte. So
hat erst jüngst auf dem letzten Ophthalmologenkongreß in Rom Dr. Papabcone
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einen Fall von Hemiatropbia vorgestellt, der nur mit Sympathicoserkrankong
kombiniert war.
Durch die Mitbeteiligung des rechten Abducens und der isolierten Er¬
krankung der inneren Aste des linken Oculomotorius läßt sieb annehmen, daß
die Hemiatrophie neurogenen Ursprungs ist und wahrscheinlich auf Erkrankung
der trophischen Fasern des linken Trigeminus beruht. Das isolierte Befallen¬
sein der trophischen Trigeminusfunktion und der inneren Augenäste des linken
Oculomotorius deutet mehr darauf hin, daß nicht die peripheren Nerven an der
Basis, sondern die Centren und intrabulbären Bahnen der betreffenden
Nerven ergriffen sind, und zwar weist die Beteiligung des rechten Abducens
auf eine diffuse Ausbreitung oder mehrfache Lokalisation des Krankheits¬
prozesses hin.
Am interessantesten ist wohl, daß ätiologisch auf die Entstehung dieser
Hemiatrophie ein schärferes Licht geworfen wird, als es bisher möglich war.
Die Möbius’ sehe Theorie einer lokalen Erkrankung der Tonsillen durch In¬
fektion und einer Weiterausbreitung auf die nervösen Apparate durch die Toxine
ist sehr gewunden und bisher nirgends gestützt.
Hier spricht für die Lues als ätiologisches Moment einmal, daß die Mutter
häufig abortiert und mehrmals nicht lebensfähige Kinder geboren hat, und dann
die Pigmentierung des Angenhintergrundes, die charakteristisch für Lues ist.
II. Referate.
Anatomie.
1) Bioerohe embriologiohe ed anatomlohe sul oervello anteriore del pollo,
per Vic. Bianchi. (Annali di nevrologia. 1906. S. 1.) Bef.: Hübner (Bonn).
Verf. hat die Entstehung der Hirnrinde des Huhns in den verschiedensten
Entwicklungsstadien studiert. Er benutzte dazu Embryonen im Alter von
24 Stunden bis 21 Tagen.
In den ersten Tagen fällt dem Beobachter die im Verhältnis zum Hirnmantel
mächtige Entwicklung des Corpus striatum auf.
Am 6. Tage werden die beiden Hemisphären von zwei ovalen Bläschen ge¬
bildet, die aus einer meningealen und einer ependymalen Wand bestehen. Zwischen
diesen beiden Gewebslagen finden sich junge Neuroblasten, die duroh Teilung
runder Keimzellen entstehen. Letztere sind reichlich vorhanden und scheinen von
der ependymalen Wand auszugehen.
Im späteren Verlaufe — Verf. geht in dieser vorläufigen Mitteilung nur auf
die jüngeren Embryonen ein — entfernen sich die beiden Wände mehr und
mehr voneinander, während das Corpus striatum wächst. Die Neuroblasten
sind nach einiger Zeit derartig angeordnet, daß man mehrere Schichten unter-
scheiden kann.
Im Corpus Btriatum und bald auch in der Binde finden sich zahlreiche Zellen,
welche sich sowohl in bezug auf Form, wie auf Struktur und Bau der Kerne,
hauptsächlich aber auch in bezug auf ihr Verhalten Farbstoffen gegenüber sehr
verschieden verhalten.
Verf. glaubt hierin möglicherweise die ersten Anfänge eines Selektions-
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prozesses erblicken zu dürfen, mittels dessen die stärker differenzierten Zellen zu
nervösen Elementen, wie wir sie bei Erwachsenen finden, umgewandelt werden.
Physiologie.
2) Vagus reflexee upon oesophagus and oardia, by T. J. Meitzer. (Brit.
med. Journ. 1906. 22. Dezember.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen).
Versuche an Tieren, besonders Hunden, ergaben, daß man nicht nur, wie
bekannt, durch elektrische Reizung des peripheren, sondern auch des centralen
Endes des durchschnittenen Cerricalvagus eine tetanische Kontraktion des ganzen
Oesophagus hervorrufen kann. Ferner konnte hei Kaninchen durch Reizung des
peripheren Endes eine charakteristische Kontraktion der Cardia hervorgerufen
werden, während die Reizung des centralen Endes inhihitorisch auf diese Cardia¬
kontraktionen wirkte.
8) Etüde experimentelle de l’lnfluenoe physiologique des vibrations mö-
oaniques sur le Systeme nerveux, par Stcherbak. (L’Encöphale. 1907.
März.) Ref.: Baumann (Ahrweiler).
Verf. konnte feststellen, daß man mit Hilfe eines Vibrators, wie sie in der
Therapie bei der Vibrationsmassage verwandt werden, ganz leicht eine einseitige
Steigerung des Patellarreflexes erzielen kann; es gelang ihm sogar, bei einem
Tabiker, dessen Patellarreflexe beträchtlich geschwächt waren, diese Reflexe zu
steigern durch lokale Anwendung der Vibrationen. Die weiteren Versuche wurden
am Kaninchen angestellt, um diese Erscheinungen genauer analysieren zu können.
Die Erfahrung lehrte, daß für das Entstehen des „vibratorischen Clonus“ der voll¬
ständige Zusammenhang des Rückenmarks mit dem Kleinhirn notwendig sei; das
Kleinhirn spielt gewissermaßen die Rolle eines Akkumulators für nervöse Energie.
Es handelt Bich nicht um einen Zufluß von Energie von außen her, sondern nur
um eine neue Verteilung der bereits vorhandenen Energie. Man muß annehmen,
daß unter dem Einfluß der Vibration, d. h. unter dem Einfluß der Summe der
mechanisoh-rythmischen Reize, der Austausch der nervösen Energie zwischen den
Neuronen, die die Reize empfangen, und denen, die physiologisch mit ersteren
verknüpft sind, leichter wird; die nervöse Entladung geht leichter von statten
als normalerweise. Die empirisch festgestellte ausgezeichnete therapeutische
Wirksamkeit der Vibration beruht möglicherweise zum Teil auf der „Ladung 44
des Centralnervensystems mit nervöser Energie, die dann verwandt bzw. auf¬
gebraucht wird für die Ernährung der Gewebe, d. h. für die centrifugalen Reize
trophischer Natur.
4) Comportamento di alouni fenomeni rlflessi dopo la sezlone delle radial
posteriori, per 0. Rossi. (Riv. di Patol. nervosa e mentale. XII. 1907.)
Ref.: E. Oberndörffer (Berlin).
Reizt man beim nicht narkotisierten Hund eine hintere Wurzel mittels des
Induktionsstromes, so gibt das Tier Schmerzlaute von sich, und es treten Reflex¬
bewegungen am ganzen Körper auf; trifft der Reiz den gemischten Spinalnerven,
so gesellen sich dazu Kontraktionen in dessen Innervationsgebiet. Wird mm die
hintere Wurzel durchschnitten, so ruft die Reizung des Nervenstammes bei
gleioher Stromstärke die nämlichen Erscheinungen hervor. Verf. gibt dafür eine
plausible Erklärung: der Induktionsstrom bewirkt schmerzhafte Muskelkontrak¬
tionen und dieser Reiz wird, da nach dem Sherringtonschen Gesetz mehrere
Spinalsegmente an der sensiblen Versorgung einer Hautstelle beteiligt sind, nach
wie vor auf dos Rückenmark übertragen, daher die Fortdauer der allgemeinen
Reflexbewegungen trotz Durchsohneidung der hinteren Wurzel. Werden je zwei
oberhalb und unterhalb gelegene hintere Wurzeln durchschnitten, so ruft die
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Reinting des Nerven nur mehr Muskelkontraktionen, aber keine reflektorischen Er-
eehein trage» hervor. Die Kenntnis dieser Tatsache ist wichtig, damit Lrrtüxner
bei physiologischen Versuchen vermieden werden.
Psychologie.
6) Das psyohogalvanisobe Reflexphänomen, von Veraguth. (Monatsschr. f.
Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Die Arbeit enthält die Wiedergabe sehr interessanter Versuche, deren
Würdigung in einem Referat nicht möglioh ist. Es seien daher im folgenden die
Endresultate verkürzt wiedergegeben, für deren Verständnis aber besonders die
Versuchsanordnung nachzusehen ist. 1. Das psychogalvanische Reflexphänomen
besteht in einer InteDsitätsvariation eines elektrischen Stromes, der bei „Versuchs'
anordnung M“ mindestens teilweise einer körperfremden, in den Stromkreis ein*
geschalteten Stromquelle entstammt. Es spielt bei dieser Anordnung eine Rolle
die Variation des Leitungswiderstandes des Körpers gegen diesen exogenen Strom
bei der Variation der Stromintensität. 2. Die Variation geschieht im Sinne der
Abnahme, wenn die Versuchsperson im Zustande der Ruhe längere Zeit ein¬
geschaltet bleibt. 3. Die Variation verläuft im Sinne der Zunahme, wenn die
Versuchsperson Reizen ausgesetzt wird (Reize auf die peripheren Sinnesorgane,
Erregung der perzeptiv-sprachlichen Sphäre, Reize autochthonen Ursprungs).
4. Auch bei sensoriellen Reizen ist eine psychische Komponente zur Hervor-
bringung des Phänomens anzunehmen. 5. Auch bei höheren Reizen ist die gal¬
vanische Reaktion eine elektive (quantitativer Unterschied zwischen Reaktionen
auf gefühlsbetonte und nicht gefühlsbetonte Reize). 6. Die Gefühlsbetonung
allein bedingt nicht die Stärke der Reaktion: auch bei den höheren psychischen
Reizen kommt als weitere Komponente ihre Aktualität hinzu. Das Phänomen
ist also ein Indikator für Gefühlsbetonung und Aktualität des psychischen Reizes.
7. Die Aktualität kann auch darin bestehen, dafl für die Versuchsperson die
Reize deshalb gefühlsbetont werden, weil sie von der Person des Experimentators
ausgehen.
Pathologie des Nervensystems.
6) Über Blaseneruptionen an der Haut bei oentralen Affektionen des
Nervensysteme, von Prof. H. Schlesinger in Wien. (Deutsohe med.
Wochenschr. 1907. Nr. 27.) Ref.: R. Pfeiffer.
Verf. stellt in einer Tabelle die Merkmale zusammen, welche die bullösen
Hauteruptionen bei AfFektionen des Gentrainervensystems vom Pemphigus unter¬
scheiden, und schlägt vor, die Hauteruptionen bei organischen Nervenkrankheiten
einzuteilen in
1. Blaseneruptionen von halbseitigem Charakter bei Cerebralafiektionen,
2. Blaseneruptionen bei Spinalerkrankungen,
a) halbseitig,
b) beiderseitig; in beiden Fällen zumeist distal stärker auftretend,
3. Blaseneruptionen bei Erkrankungen der Spinalganglien (?), der Plexus«
und peripherischen Nerven (im Ausbreitungsgebiete der geschädigten Nerven¬
abschnitte).
Ob diesen Formen die Blasenaussohläge bei Hysterischen anzureihen sind,
läßt Verf. unentschieden.
7) The oerebral element in th» reflexes and its velation to the spinal
element, by Walton and Paul. (Journ. of Nerv, and Ment. Dia 1906t
November.) Ref.: M. Bloch.
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Die Verff. kommen aaf Grand klinischer Untersuchungen zu felgenden Srihluß-
folgerangen:
Die tiefen Reflexe sind Reeoltanten der Tätigkeit oerebraler and epinaler
Reflexbogen, von denen jene das« neigen, mäßige, diese starke Reflexe bervor-
aurufen.
Bei geeuaden Individuen and bei Nemropsyohoeen variieren 1 die tiefen Reflexe
je naeh dem prädominierenden Einfluß des längeren oder kürserea Reflexbogens
bezüglich ihrer Intensität.
Bei organischen Erkrankungen bew i r kt die teilweise Ausschaltung der höheren
Centren den spinalen Typus des tiefen Reflexes, während die völlige Aasschaltung
ihr Erlöschen bedingt, da der spinale Reflexbogen allein nicht imstande ist
(wenigstens beim Menschen), den Reflex auszulösea. Die Reflexe kehren nach Er¬
holung der cerebralen Bahnen wieder und zwar nehmen sie den spinalen Typus
bei partieller, den normalen bei völliger Erholung an.
Anfängliche Absohwächung bzw. Erlöschen der tiefen Reflexe auf der ge¬
lähmten Seite ist die Regel bei der Apoplexie. Dieser Zustand dauert während
ein» Periode, die Vs Stunde bis mehrere Tage währt, an, naeh deren Ablauf
die Reflexe entweder normal werden oder den spinalen Charakter annehmen,
je nachdem die Wiederherstellung des cerebralen Einflusses vollständig oder
partiell ist.
In den Ausnah me fallen von Apoplexie mit anfänglicher Steigerung der
tiefen Reflexe ist die Ausschaltung des cerebralen Moments von Anfang an un¬
vollständig.
Die oberflächlichen Reflexe haben wie die tiefen eerebrale Vertretung and
verschwinden hei deren Ausschaltung. Die Tatsache, daß sie hei Erkrankung der
Pyramidenbahnen keine Steigerung erfahren, zeigt, daß sie nur geringen oder gar
keinen spinalen Einflüssen unterliegen.
Die centrale Vertretung des Babinskischen Reflexes steht de» tiefen Reflexen
näher als den oberflächlichen.
8) Reflexes osseux, par D. No'ioa et L. Strominger. (Revue nenrologique.
1906. Nr. 21.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Die Verff. geben zunächst einen kurzen Abriß der bisher vorliegenden Daten
über Knochenreflexe. Sodann berichten sie über ihre eigenen Untersuchungen
and detaillieren zunächst die verschiedenen Knochenreflexe an den oberen und
Hnteren Gliedmaßen. Bei zwei Dritteln aller untersuchten gesunden Kindern
fanden sie diese Reflexe, deren Intensität jener der Sehnenreflexe parallel ging;
der Knochenreflex des Triceps surae schien in keinem Falle völlig zn fehlen: bei
kranken bzw. herabgekommenen Kindern zeigte sieh stets eine Herabsetzung bzw.
ein Fehlen dieser Reflexe. Ähnliche Befunde erhoben die Verff. auch Imi er¬
wachsenen Personen. Nervöse Personen zeigten eine Steigerung der Knochen*
reflexe ebenso wie der Sehnenreflexe. Senile Individuen zeigten fehlende oder
abgeschwächte Reflexe. Im großen ganzen nehmen die Knochenreflexe an Vor¬
kommen und Intensität mit zunehmendem Alter ab. Bei Tabes fanden die Verff.
bei positivem Westphal Fehlen der Knochenreflexe an den unteren Extremitäten;
in 30 Fällen organischer Hemiplegie verschiedenen Charakters waren sie immer
vorhanden, doch war ihr Verhalten im übrigen ungemein verschieden: im ganzen
erwies sich auch bei organischen Nervenkrankheiten der erwähnte Parallelismus
mit den Sehnenreflexen.
Die Verff. negieren konstante Relationen dieser Reflexe mit der Vibrations¬
empfindlichkeit der Knochen; sie denken sie sich auf analogem Wege zustande
kommend wie die Sehnen- und Hautreflexe. Die Verff. machen den Versuch einer
Lokalisation dieser Reflexe und glauben, daß deren Verhalten möglicherweise auch
zur klinischen Segmentdiagnose verwertet werden könnte.
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9) Oontributlons nouvelleB & l’ötude de* reflexee osseux, par Noica. (Revue
neurologique. 1907. Nr. 5.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Beschreibung einer Reihe von Knochenreflexen bei Hemi- und (spastischen)
Paraplegien; an den unteren Extremitäten: Fuflstreckung und Fußadduktion (mit
Innenrotation) bei Beklopfen des Navikulare oder des I. Metatarsus und etlicher
anderer weniger konstanter Reflexe; an den oberen Extremitäten wurden gleich¬
falls eine Reihe von Reflexen unter den obigen Umständen erhoben; zu kurzem
Referat sind die Ausführungen nicht geeignet.
10) Kurse Notis zur Kenntnis der Lidreflexe, von Priv.-Doz. Dr.LevinBohn.
(Klin. Monatsblätter f. Augenheilk. XLV. S. 66.) Ref.: Fritz Mendel.
Verf. hat zur näheren Bestimmung des Reflexmeohanismus bei einem
48 jährigen Manne folgende Beobachtung gemacht: Es handelt sich um eine fast
vollkommen einseitige, reflektorische Pupillenstarre, die eine geringe Pupillen¬
verkleinerung des entsprechenden Auges zur Folge hat, und zweitens an demselben
Auge um eine Aufhebung des subkortikalen Blinzelreflexes bei Blendung, die
höchstwahrscheinlich durch den stärkeren Leitungswiderstand des an Neuritis optica
erkrankten Sehnerven bedingt ist. Der Fall lehrt mit Sicherheit, daß der durch
Blendung bedingte Bubkortikale Blinzelreflex nicht als Mitbewegung von seiten des
Pupillarreflexes aufgefaßt werden kann.
11) Puplllenstudien , von Prof. Dr. Hummelsheim in Bonn. (Archiv für
Augenheilkunde. LVII. S. 33.) Ref.: Fritz Mendel.
Mit Hilfe eines von Prof. Hess konstruierten Apparates fand Verf. als Er¬
gebnis seiner Untersuchungen, daß die Pupille sich konzentrisch verengt und er¬
weitert. Alle 130 Augen lieferten den gleichen Befund.
Der Regel nach verengt sich die Pupille konzentrisch, eine exzentrische
Kontraktion wird zu den seltenen Ausnahmen zu rechnen sein.
12) Leeioni spinal! e riflessi pupillari, per Cavazzani. (Riv. crit di clin.
med. 1906. S. 565.) Ref.: Hübner (Bonn).
34 jähriger Mann erleidet durch Sturz eine Fraktur der Halswirbelsäule, die
völlige Aufhebung aller Bewegungen der Extremitäten, sowie des Rumpfes,
Schwinden des Gefühls für alle Qualitäten und Erlöschen aller Haut- und Sehnen¬
reflexe zur Folge hat. Kopfbewegungen und Sensibilität blieben frei.
Der Lichtreflex war ungestört, während die Schmerzreaktion auch dann
fehlte, wenn die schmerzhaften Reize am Kopf appliziert wurden.
Mydriasis und reflektorische Pupillenstarre blieben auch bis zum Ende aus.
Bei der Autopsie: Fraktur der Wirbelsäule im Bereich des 3. bis 5. Cervikal-
wirbels. Quetschung des Rückenmarkes in Höhe des 4. und 5. Cervikalsegmentes.
An einer Stelle ist es zur völligen Durchtrennung gekommen.
Verf. publiziert den Fall, um zu zeigen, daß, wenn die Riegersche Schule
mit ihrer Behauptung, das Centrum für den Lichtreflex sitze im Rückenmark,
Recht behalten sollte, jedenfalls die spinale Lokalisation nicht bei allen Indivi¬
duen identisch sein könne. Vielleicht müßte man sogar im Hinblick auf obige
Beobachtung annehmen, daß das Centrum bei allen Menschen oberhalb des
4. Cervikalsegmentes gelegen ist.
13) Ein Fall von einseitiger reflektorischer Pupillenstarre bei Vorhanden¬
sein der Konvergensreaktion infolge von peripherer Okulomotorius¬
lähmung naoh Eindringen eines Eisensplitters in die Orbita, von Dr.
Joh. Ohm. (Centralbl. f. prakt. Augenheilk. 1907. Juli.) Ref.: Fritz Mendel.
Durch das Eindringen des EiBensplitters in die Orbita bei dem 19 jährigen
stets gesunden Patienten traten Störungen auf in der centralen und peripheren
Sehschärfe, sowie im äußeren und inneren Bewegungsapparat des rechten Auges,
die sich meistens als vorübergehende erwiesen und die alle bis auf die Abducens-
parese und die Pupillenanomalie wieder verschwanden.
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Als mit der Konvergenzreaktion keine Spor einer direkten oder indirekten
Lichtreaktion wiederkehrte, erhob sich die Frage nach dem Sitz der Störung, die
wohl in dem centrifugalen Teil der Leitung sitzen muß.
Verf. nimmt einen orbitalen Sitz der Nervenlähmung an und hält die Be¬
hauptung nicht für erwiesen, daß einseitige reflektorische Pupillenstarre bei
Vorhandensein der Konvergenzreaktion einen oerebralen Herd zur Grundlage
haben müsse.
14) Halswirbelfraktur und reflektorisohe Pupillenstarre, von Dr. H. Br assert
in Leipzig. (Münchener med. Wochenschrift. 1907. Nr. 6.) Bef.: E. Asob.
Bei einem 44 jährigen Landwirt, der durch Sturz vom Wagen eine Fraktur
des 2. Halswirbels erlitten hatte, im übrigen aber, abgesehen von beginnender
Arteriosklerose, gesund und kräftig war, fand sich 2 1 / 2 Jahre nach dem Unfall
eine Miosis und Lichtstarre beider Pupillen bei erhaltener Konvergenzreaktion
und normalen Patellarreflexen. Verf. erblickt in dieser Beobachtung einen ein¬
deutigen Beitrag zu der Lokalisation der Pupillencentrums im Halsmark.
16) Zur prognostischen Bedeutung des Argyll-Bobertson sohen Phänomens,
von Pilcz. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. 1907. XXL) Autoreferat.
Verf. gibt zunächst einen Überblick über das Vorkommen des Argyll-
Bobertsonschen Phänomens bei nichtparalytischen und niohttabischenKranken,
sowie über die bisher bekannt gewordenen Pupillarverhältnisse bei der einfachen
Neurasthenie, wobei er an die bekannte hohe differentialdiagnostische Bedeutung
„verdächtiger“ Symptome seitens der Pupille in der Frage: „Neurasthenie oder
Paralysis progressiva incipiens?“ erinnert.
Verf. verfolgte nun katamnestisch, womöglich durch persönliche Exploration
das Schicksal aller in dem Nervenambulatonum der Wiener I. psychiatrischen
Klinik erschienenen Kranken, bei welchen in den letzten 5 Jahren die Diagnose
zwischen obenerwähnten beiden Affektionen, soweit nur das psychische Zustands¬
bild in Betraoht kam, offen gelassen werden mußte, die Diagnose „Paralysis pro¬
gressiva“ oder wenigstens der Verdacht auf Dementia paralytica incipiens seiner¬
zeit aber mit Bücksicht auf die suspekten Pupillarphänomene (Argyll-Bobertson,
Anisokorie usw.) schließlich doch ausgesprochen worden war. In der über¬
wiegenden Mehrheit der Fälle hatte nun der weitere Verlauf zweifellos ergeben,
daß es sich tatsächlich um initiale Paralytiker gehandelt hatte. Bei einigen aber
verhielt es sich anders und Verf. bringt nun folgende Krankheitsskizzen.
I. Erste Untersuchung am 22./XI. 1902. Cerebrasthenische Beschwerden.
Pupillen entrundet, eng, auf Licht träge und spurweise, auf Akkom¬
modation und Schmerz prompte Beaktion. Zweite Untersuchung am
6./VI. 1904. Pupillen mittelweit, rund, reagieren prompt in jeder Hinsicht.
Katamnese: dauernd gesund, bis auf zeitweilig stärkere neurasthenische Be¬
schwerden.
II. Erste Untersuchung am 14./V. 1902. Psychisch wie oben. Beiderseits
enge, lichtstarre Pupillen, auf Akkommodation und Schmerz deut¬
liche, wenn auch träge Beaktion. Zweite Untersuchung am 22./V. 1902.
Pupillen mittelweit, prompte Beaktion. Katamnese wie bei obs. L
III. Lues. Erste Untenuchung am 30./V. 1904. Linke Pupille ent¬
rundet, reagiert in jeder Hinsicht träger als rechts. Katamnese
wie oben.
IV. Ein 22 jähriger Student. Schon seit der Gymnasialzeit mehrfach neur-
asthenische Zustände. Zur Zeit der Untenuchung am 27./V. 1905 typisches Bild
der einfachen Neurasthenie. Pupillen bei gewöhnlicher Prüfung liohtstarr, im
Dunkelzimmer (Beflektor) manchmal träge, wenig ausgiebige Beaktion. Sonst
keinerlei Anhaltspunkt für Paralysis progressiva. Katamnese fehlt
V. Erste Untenuchung am 8./VII. 1904. Bild der einfachen Cerebrasthenie.
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Zweite Untersuchung am 3./IL 1905. Linke Pupiile auffallend träge
Lichtreaktion, rechte gut. Dritte Untersuchung im Juni 1906. Pnpillar-
reaktion beiderseits prompt. Katanmose wie bei obe. I.
VI. Lues. 9./V. 1904. Anieokorie, träge Liohtreaktion. 22./VI. 1906.
Anisokorie, links Argyll-Bobertson, akkommodatiy prompte Beak-
tion. Katamnese wie oben.
VII. Dezember 1905. Pupillen eng, auf Licht kaum, besser auf
Sehmers und Akkommodation reagierend. 3 Wochen später: Papillen
reagieren in jeder Hinsicht, i. e. Lichteinfall, Akkommodation usw. gleich, wenn
auch im allgemeinen weniger ausgiebig. Katamnese wie oben.
In der Epikrise bemerkt nun Verf., daß er von obe. 8, 4, 6, 7 zunächst
absehen will. Bei 3 und 6 lag sicher gestellte Lues vor, bei 4 fehlt weitere
Beobachtung, 7 betrifft ein seniles Individuum, wenngleioh der Unterschied in der
Lichtreaktion bei den aufeinanderfolgenden Untersuchungen unverkennbar war.
Bei obs. 1, 2 und 5 aberhandelt es Bioh zweifellos um Neurastheniker
(wie der Verlauf lehrte), welche vorübergehend pupilläre Symptome geboten
hatten, die den begründeten Verdacht auf ein organisches Nervenleiden er*
wecken mußten (toxische Einwirkungen, ebenso Trauma ließen sich aussohiießen).
Die Einwände (Fehler in der Untersuchungstechnik, Möglichkeit, daß doch
einmal eine Paralyse sich noch werde entwickeln können, daß Lues trotz gegen¬
teiliger Anamnese Vorgelegen haben konnte) glaubt Verf. unter Hinweis auf die
lange Beobachtungsdauer, auf das transitorische der verdächtigen pupillären
Symptome, auf den weiteren Verlauf, sowie durch Schilderung der Unter¬
suchungsmethode entkräften zu können (vide darüber, sowie betreffs der Krank -
heiisskizzen Original).
Verf. erinnert nebenbei daran, daß die Lehre von der differentialdiagnostisohen
Bedeutung der Pupillenstarre beim epileptisohen gegenüber dem hysterischen An¬
falle so lange ein Dogma war, bis naoh den ersten Mitteilungen von Karplus
die Berichte über PupillenBtarre bei Hysterikern immer zahlreicher wurden und
schließt mit folgenden Worten:
„Dergleichen Beobachtungen bei der Cerebrasthenie dürften wohl sehr selten
sein. Möglicherweise — es ist dies lediglich eine persönliche Vermutung —
werden sich solohe Fälle doch noch gelegentlich finden, wenn bei all den para»
lyseverdächtigen Kranken, bei welchen schließlich nur die pupillären Er¬
scheinungen für die Diagnose Paralysis progressiva inoipiens ausschlaggebend
waren, durch genaue Katamnesen nach Jahr und Tag der weitere Verlauf ver¬
folgt werden könnte.
Jedenfalls aber sollten dergleichen Beobachtungen uns zu noch größerer
Vorsicht in der Diagnosestellung bei parslyseverdächtigen Neurasthenikern
mahnen, uns anspornen, noch mehr auf das Ergebnis der rein psychischen Explo¬
ration bedacht zu sein. Der Wert des Argyll-Bobertsonschen Phänomens in
der Symptomatologie der progressiven Paralyse wird dadurch nicht gemindert;
nur überschätzen dürfen wir das Symptom nicht. In diagnostisch unklaren
Fällen wäre das Ergebnis der Lumbalpunktion von großer Wichtigkeit."
16) Zur prognostischen Bedeutung des Argyil-Robertsonsohen Phänomens,
von L. W. Weber. (Monatsschrift f. Psychiatr. u. Neurol. XXI. 1907.)
Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. macht im Anschlüsse an die Pilczscbe Mitteilung über dasselbe Thema
(vgl. vor. Referat) darauf aufmerksam, daß Gramer und im Anschluß an ihn
Bef. schon vor Jahren darauf hinwies, daß nicht nur Alkoholiker, sondern auch
Imbezille, Degenerierte, Erschöpfte das Symptom bei ganz geringen Alkoholgaben,
nach welchen psychische Veränderungen ausbleiben, zeigen. Ferner teilt Verf.
Fälle mit von langsam und etappenweise fortschreitender Arteriosklerose des Ge-
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bims, die oft in Anfang und als eines der ersten Zeichen Pupillensymptome dar»
bieten. Diese letzteren treten auch transitorisch im Verlauf der Krankheit hervor.
Vielleicht gehören von den Pilozschen Fällen einige hierher, jedenfalls weist
Verf. mit Recht auf die differantialdiagnostisobe Bedeutung dieser Befunde (gegen
progressive Paralyse) hin.
17) Über ein im katatonischen Stupor beobachtetes Pupillenph&nomen,
sowie Bemerkungen Über die Pupil len starre bei Hysterie, von Prof.
Westphal. (Deutsche med. WochenBchr. 1907. Nr. 27.) Ref.: 5t. Pfeiffer.
In dem mitgeteilten Falle von katatonischem Stupor zeigten die Pupillen
ungemein oft und anscheinend regellos Gestaltsveränderungen, d. h. sie nahmen
statt der kreisrunden Form die Gestalt eines quergestellten Ovals an. Hand in
Hand mit dieser Form Veränderung der Pupillen ging regelmäßig eine Verringerung
der vorher prompten Liohtreaktion, die nicht selten bis zur Aufhebung derselben
führte. Es handelte sich dabei nicht um reflektorische Pupillenstarre, sondern
um eine Innervationsstörung der gesamten Irismuskulatur, welche die völlige Un¬
beweglichkeit der Pupille zur Folge hat. Die Tatsache, daß Pupillenstörungen
mit Aufhebung der Lichtreaktion bei Katatonie Vorkommen, ist diagnostisch
wichtig. Die gleichen mit Formveränderungen verbundenen Innervationsstörungen
der Iris, wie sie der Katatoniker Verf.’s zeigte, sind mehrfach bei Hysterie be¬
obachtet worden, eine Tatsache, die nach mehrfacher Richtung volles Interesse
verdient.
Den gleichen Pupillenbefund mit zeitweise völliger Reaktionslosigkeit konnte
Verf. noch in zwei weiteren Fällen von schwerem katatonischem Stupor erheben
nnd bei einem anderen Katatoniker (Fall IV) auffallenden Wechsel in der
Pupillenform beobachten, ohne jedoch Veränderungen der Lichtreaktion feststellen
zu können.
18) Di uno speoiale rlflesso ohe si osserva nella contrattura faooiale, per
C.Mondino. (Riv.diPatol.nerv.ement. XII. 1907.) Ref.: E.Oberndörffer.
Bei Fazialiskontraktnr nach peripherischer Lähmung erhält man eine reflek¬
torische Zuckung namentlich im Gebiet des unteren Astes, wenn man den Supra-
erbitaÜB an seiner Austrittsstelle ganz leicht mit dem Hammer beklopft. Auch
beim Gesunden ist nach wiederholtem Beklopfen dieser Reflex auszulösen. Bei
centraler Fazialislähmung findet sieh weder eine Kontraktur, noch das beschriebene
Phänomen, dessen Ursache demnach in einer nicht näher bekannten Veränderung
des peripheren Neurons zu suchen ist.
18) Vorschlag zu aluer konventionellen Fixierung des Kniephänomens
(bsw. Patellarreflexes), von Prof. Piek in Prag. (Deutsche med. Wochen¬
schrift. 1907. Nr. 23.) Ref.: R. Pfeiffer.
Eine Einigung in der Bezeichnung der Intensitätsgrade des Kniephänomens
ist wünschenswert. Verf. schlägt vor, folgende Skala aufeustellen:
schwach normal: sichtbare Kontraktion des ganzen Quadrizeps ohne deut¬
lichen Ausschlag;
normal: sichtbare Kontraktion mit deutlichem Ausschlag;
lebhaft normal: sichtbare Kontraktion mit lebhaftem Ausschlag;
schwaches Kniephänomen: fühlbare, nicht deutlich sichtbare Kontraktion
<jke Quadrizeps oder einzelner Bäuche; mit Jendrässik noch Ansschlag;
sehr schwaches Kniephänomen: nur mit Jendrässik sichtbare Kontrak¬
tion des Quadrizeps oder einzelner Bäuche;
außerordentlich schwaches Kniephänomen: mit Jendrässik fühlbare
Kontraktion des ganzen Quadrizeps oder einzelner Bäuche oder Teile;
Fehlen des Kniephänomens: auch mit Jendrässik weder sichtbare noch
fühlbare Kontraktion;
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gesteigertes Kniephänomen: bei leichtem, selbst abgeschwächtem Be¬
klopfen der Patella verschieden heftiger Unterschenkelanssohlag;
hochgradig gesteigertes Kniephänomen: Patellarklonus bei Beklopfen
der Patellarsehne oder bei Herabziehen der Patella; damit zusammenfallend oder
auch isoliert: mehr oder minder intensiver Ausschlag bei Beklopfen der Mitte
der Patella.
20) Zur Untersuohungsteohnlk des Patellarreflexes, von W. Guttmann.
(Veröffentl. a. d. Gebiete d. Militär-Sanitätsw. Heft 35.) Bef.: S. Klempner.
Besser als alle anderen bisher angeführten Methoden hat sich Verf. ein
Untersuchungsmodus bewährt, der darin besteht, daß man das betreffende Bein
mit Hilfe von zwei Handtüchern suspendiert: man legt zuerst ein Handtuch nm
den Unterschenkel und hebt ihn damit etwas in die Höhe. Mit Hilfe des zweiten
Handtuches, das um den Oberschenkel dicht oberhalb des Knies gelegt ist, läßt
man durch einen Gehilfen den Oberschenkel etwas schräg nach oben ziehen, so
daß das Knie einen stumpfen Winkel bildet. Es wird so eine vollständige Ent¬
spannung des Beines erzielt.
Wie aus der Zusammenstellung von 56 untersuchten Fällen hervorgeht, war
in einer Reihe von Fällen, wo mit keiner der gewöhnlichen Methoden ein Reflex
zu erzielen war, bei Anwendung der Suspension der Ausfall positiv.
Verf. möchte niemals mehr behaupten, daß der Patellarreflex fehlt, bevor er
nicht auf die hier beschriebene Weise geprüft worden ist.
21) Über ein neues Verfahren zur Untersuchung des Patellar- und Achilles-
sehnenreflexes, von Feix. (Wiener klin. Wochenschrift. 1906. S. 1223.)
Ref.: Pilcz (Wien).
Um möglichstes Entspannen und Ablenkung der Aufmerksamkeit zu erzielen,
fordert Verf. die Patienten auf, die Seitenlage einzunehmen, das Hüft- und Knie¬
gelenk in leichte Beugestellung zu bringen und die Augen zu schließen. Dadurch
wird eine völlige Erschlaffung des Quadrizeps und der Wadenmuskulatur erzielt,
es kann in ein und derselben Lage der Patellarsehnenreflex, Aohilleesehnenreflex
und Glutäalreflex geprüft werden, und jeder Einfluß seitens des Kranken auf den
Gang der Untersuchung wird ausgeschaltet.
22) Bin einfacher Kunstgriff zur Erzeugung des Kniephftnomens, von
G. Krönig. (Berl.klin. Woch. 1906. Nr.44.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Verf. empfiehlt gleichzeitig mit der Beklopfung der Sehne möglichst schnell
forziert inspirieren zu lassen bei gleichzeitigem Hinaufblicken nach der Zimmer¬
decke.
23) Die Methoden der Verstärkung des Kniephänomens, von 0. Rosenbach.
(Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 2.) Ref.: Kurt Mendel.
Der Kunstgriff R.’s bei Prüfung des Kniereflexes besteht darin, daß man den
Patienten aus einem nicht zu kleinen Buche oder aus einem großen Zeitungs¬
blatte möglichst schnell und laut vorlesen läßt.
24) Über die Veränderungen des Kniereflexes unter dem Einfluß dee
Schreckes naoh einem Sohuß, von Sresnewski. (Obosrenije psich.
1906. Nr. 3.) Ref.: Wilh. Stieda.
Versuche mit Hilfe des Sommerschen Apparates, an dem jedoch die Regi¬
strierung durch pneumatische Übertragung vermittels einer Mareyschen Trommel
bewerkstelligt wurde. Verf. studierte auf diese Art den Verlauf des Kniereflexes
vor und nach einem Schuß, der auf elektrischem Wege ausgelöst und auf dem¬
selben Papierstreifen, auf dem die Reflexe dargestellt wurden, registriert wurde.
Auf Grund dieser Versuche kommt Verf. zu folgenden Resultaten: der unerwartete
Schuß, der subjektiv als Schreck empfunden wird und objektiv Zusammenzucken
des ganzen Körpers, Augenblinzeln, Herzklopfen, Änderungen des Atmens und
Blutdruckes, manchmal auch einen Aufschrei hervorruft, wirkt deutlich auf den
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Kniesehnenreflex ein, und zwar sowohl auf seine Stärke als auch auf don zeit¬
lichen Ablauf desselben. Die Latenzperiode wird nach dem Schuß verkürzt, wo¬
bei das Minimum derselben erst beim 2. oder 3. Reflex nach dem Schuß erreicht
wird. Die Stärke des Reflexes hingegen steigt sofort nach dem Schuß an. Der
erste auf den Schuß folgende Reflex ist auch der ausgiebigste.
In der Tatsache der Verspätung der Wirkung auf die Latenzzeit des Reflexes
sieht Verf. einen Grund zur Annahme, daß nicht der sensorische Reiz, sondern
die mit dem Schuß verbundene Emotion — der Schreck — die Wirkung
hervorruft.
26) Über das Verhalten einiger Reflexe im Schlaf, von Dr. Eutner. (Deutsche
med. Wochenschr. 1907. Nr. 3.) Ref.: R. Pfeiffer.
Die Untersuchungen erfolgten an männlichen, tief schlafenden Geisteskranken.
Verf konnte einen einwandsfreien Unterschied in den Sehnenreflexen im Schlafe
und im Wachen nicht konstatieren — bei voller Würdigung der großen Unter¬
suchungsschwierigkeiten und der damit gegebenen Fehlerquellen. Ebensowenig
ließ sich nach dieser Richtung hin ein Unterschied ermitteln zwischen dem natür¬
lichen und dem durch Hypnotica (Veronal, Trional, Paraldehyd und Chloralhydrat)
in mittleren Dosen herbeigeführten Schlaf. Eine Ausnahme bildet das Skopolamin.
Interessant ist das Verhalten des Babinski-Reflexes. Er war positiv im Schlaf
bei progressiver Paralyse und Delirium tremens, d. h. bei sicherer bzw. wahr¬
scheinlicher Störung der motorischen Projektionsbahn, negativ bei den übrigen
Psychosen. Der positive Babinski in Skopolaminnarkose beruht nach Verf. auf
vorübergehend schädigender Wirkung des Skopolamins auf die kortiko-spinale
Bahn, ähnlich wirkt der epileptische Anfall.
Bei jungen Kindern ist der Babinski-Reflex der Ausdruck der noch nicht
vollendeten Pyramidenbahn; das Auftreten des Reflexes bei älteren Kindern im
Schlaf beweist eine funktionelle Minderwertigkeit, die eben nur unter den be¬
sonderen Verhältnissen des Schlafed zutage tritt. Ob sioh bei Nervengesunden,
wie Bickel behauptet, häufig positiver Babinski findet, erscheint dem Verf. frag¬
lich und einer anderen Deutung fähig. Es könnte sich um eine mangelhafte
Entwicklung bzw. Affektion der Pyramidenbahn handeln, so geringfügiger Natur,
daß sie nur unter den besonderen, noch unbekannten Erregungsverhältnissen im
Schlafe hervortritt.
26) Über das temporäre Fehlen der Pstellarrefiexe bei der Hysterie, von
Prof. G. Köster. (Archiv f. klin. Med. 1907.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
Eine bis auf eine fixierte Retroflexio gesunde 26jäbrige Frau hatte innerhalb
von 6 Monaten zwei Aborte mit sehr starkem Blutverlust 4 Wochen nach letztem
Abort entwickelt sich eine Astasie-Abasie, die nach Art ihres Auftretens und
Verschwindens nur als hysterisch aufgefaßt werden konnte. Als weitere hysterische
Symptome führt Verf. auf:
Globus und Clavus, Parästhesien in allen Extremitäten, vorübergehende ob¬
jektive Störung des Gefühls auf den rechten Hinterbacken und in beiden Armen,
Costalgie, schmerzhafte Proc. spinosi, Weinerlichkeit, Reizbarkeit, Schreckhaftig¬
keit und erotische Erregtheit, ferner namentlich monokuläre Diplopie, so daß die
Patientin beim Sehen mit beiden Augen alle Gegenstände dreifach wahrnimmt.
Bei dieser hysterischen Person stellten sich gleichzeitig mit der Lähmung der
Beine Anfälle ein, die zuweilen hysterischer, zuweilen epileptischer Natur, meistens
aber aus paroxysmalen Symptomen beider Erkrankungen zusammengesetzt waren
(Zungenbiß, Urinabgang, Bewußtseinsverlust, Amnesie seien von den epileptischen
Symptomen erwähnt).
Bei dieser Kranken beobachtete Verf. nun das Fehlen der Patellar- und
Achillessehnenreflexe für die Dauer von 4 Wochen. Der linke Patellarreflex war
anfangs bei Anwendung des Muskens-Jendr&ssiksohen Kunstgriffes noch als
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deutlich« Kontraktion mehrerer Faserbttndel des M. qo&dric. cruris auslösbar. Nach
4 Wochen waren Patellar- und Aohillesreflexe wieder normal auslösbar bis aum
Exitus letalis, der in einem schweren Krampfanfall eintrat. Die Sektion ergab:
Gehirn, und zwar besonders in der Rinde, anämisch, im übrigen bis anf mäßigen
Hydrocephalus internus in allen Teilen völlig normal. Pia mater durchweg zart,
kein Hirnödem, kein Tumor usw. Mikroskopische Untersuchung des Gehirns und
Rückenmarkssektion fehlt.
Ob danach der Fall als vollgültiger Beweis für das Vorkommen des Fehlens
der Patellarreflexe bei Hysterie neben den Nonneschen Fällen gelten kann, er¬
scheint dem Ref. zweifelhaft. Nach seiner* Ansicht können dazu nur Fälle reiner
Hysterie herangezogen werden, nicht solche, in welchen die Hysterie in Korn*
bination mit anderen Krankheiten — im vorliegenden Fall mindestens mit Epi¬
lepsie — auftritt.
Für die Deutung der hysterischen Paraplegie mit Reflexstörungen zieht Verf.
die Einwirkung von Stoffwechseltoxinen heran.
27) Preuves anatomiques de la valeur du röflexe paradoxal, par A. Gordon.
(Revue neurologique. 1906. Nr. 22.) Ref.: Erwin Straasky (Wien).
Verf. hat den von ihm (Ebenda. 1904. Nr. 21; s. d. Centr. 1905. S.411) be¬
schriebenen paradoxen Beugereflex nunmehr an der Hand zweier Fälle, die er mitteilt,
anf anatomische Basis zu stellen vermocht. Im 1. Fall Pachymeningitis mit Bluterguß
über der rechten frontalen und der Centralregion (Symptome hauptsächlich Sopor,
Fieber, Kopfschmerzen, linksseitige Krämpfe, Patellarsehnenreflex links gesteigert,
deutlich paradoxer Reflex links, kein Babinski, kein Oppenheim, kein Fuflklonus),
bei der operativen Schädeleröffnung gefunden, an die sich zunächst Besserung an-
schloß; naoh wenigen Tagen Reetablierung des früheren Syndroms, Exitus; die
Autopsie ergibt einen neuen Bluterguß über der rechten Hemisphäre. Im zweiten
(anscheinend nicht vollkommen eindeutigen; Ref.) Fall operative Schädeleröffnung
bei einem vor Monaten von einem Schädeltra'uma betroffenen, Kopfschmerzen und
Bewußtseinstrübungen darbietenden jungen Menschen (Verhalten der Reflexe
linkerseits wie in Fall I), in der Parietalregion rechts eine Sohädelnarbe; bei der
Schädeleröffnung erschien die Hirnsubstanz von normalem Aspekt, aber unter
Btarkem Druck zu stehen, drängte aus der Sobädellücke hervor; die Operation
soll (nach 6 Wochen konstatiert) allgemeine Besserung und auch allmähliges Ver¬
schwinden des paradoxen Reflexes bewirkt haben.
Verf. hält demnach daran fest, daß sein Reflex auf eine Reizung der moto¬
rischen Leitung hinweise (im Gegensätze zum BabiüBki).
28) De l'influenoe de fäoteurs pöripheriques eur ln genöse du rdflexe
pathologique du gTOS orteil, par L. Bard. (Revue neurologique. 1907.
Nr. 12.) Ref.: Erwin Stransky (Wien).
Verf. verficht, wie schon bei früherer Gelegenheit, die Anschauung, daß auch
rein peripherisch bedingte Momente für dos Zustandekommen des Babinskischen
Reflexes in Betracht kommen, bzw. denselben event. modifizieren können. Als
Beleg bringt er mehrere Beobachtungen, von denen hier eine erwähnt sei: 70jähr.
Frau mit Verkürzung des rechten Beines nach einer alten Fraktur, wodurch sich
die Nötigung ergab, beim Gehen rechts die Zehen in extremer Flexions-, die der
linken in Extensionsstellung zu halten; der Plantarreflex bestand bei dieser Person
-— nach einem Schlaganfall — rechts in einer Flexions-, links in einer Extensions¬
bewegung der Zehen (im Sinne der assoziierten motorischen Innervationsart beim
Gehen); eigentlicher Babinski fehlte; gelegentlich eines späteren Insultes (mit
leichter linksseitiger Hemiparese) Flexionsreflex links, also eine Umkehrung des
Typus der Reflexbewegung.
Verf. sieht in dieser und einer Reihe anderer Beobachtungen einen Beleg
für seine Ansicht, daß ein wichtiger peripherischer Faktor für das Zustaad«*
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kommen des Babinski in dem normalen Spiel der Reflexe, bewirkt durch das
Alternieren der Zehenbewegungen, gegeben ist.
20) Neuere Untersuchungen über den dorsalen Fußrüokenreflex , von Dr.
P. Lissmann. (Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 21.) Ref.: E. Asch.
In dieser Arbeit werden die Angaben von Kurt Mendel und Bechterew
über den dorsalen Fußrückenreflex in vielen Punkten bestätigt, doch weichen die
neueren Untersuchungen auch in mancher Hinsicht von den früheren Befunden ab.
Bei mehr als 900 nervengesunden Patienten gelang ausnahmslos die normale
Dorsalflexion der Zehen, ebenso bei 41 Tabikern in den verschiedensten Stadien
des Leidens, in 2 Fällen von Paralysis agitans und in 8 Fällen sicherer Ischias.
In 5 Fällen spinaler Kinderlähmung fehlte auf der erkrankten Seite jeglicher
Reflex; bei den meisten Babinski-positiven Erkrankungen fand sich Plantarflexion
auf der kranken und negativer B ab inski sowie Dorsalflexion auf der gesunden
Seite. Jedoch konnte in keinem einzigen Falle Plantarflexion bei
negativem Babinski nach gewiesen werden. Die Tatsache des gleichzeitigen
Vorkommens von Plantarflexion und Babinski veranlaßte Verf. Beine Unter¬
suchungen auf Kinder in den ersten Lebensmonaten auszudehnen. Bei allen
Kindern mit Ausnahme von zweien erfolgte der Fußrückenreflex plantarwärts,
wenn Babinski noch positiv war, also etwa his zum 3. bis 4. Lebensmonat,
während bei 12 Babinski-negativen Kindern lOmal Dorsalflexion der Zehen
eintrat und in den beiden anderen Beobachtungen die Richtung der Zuckung
unsicher blieb. Es darf hieraus auf einen Zusammenhang des Mendel-Bech-
terewschen Reflexes mit den Pyramideobahnen geschlossen werden und bildet
das pathologische Ausfallen des Reflexes ein weiteres wichtiges Olied bei der
Diagnose centraler Erkrankungen des Nervensystems.
SO) Zur Kenntnis des FuSrüokenreflexes, von 0. B. Meyer. (Berliner klin.
Wochenschr. 1907. Nr. 34.) Autoreferat.
Im Gegensatz zu den Befunden Lissmanns (vgl. vor. Referat) stellte Verf.
in einer größeren Anzahl (28) Fällen sicherer organischer Nervenerkrankungen:
multipler Sklerosen, Hemiplegien, Ponsaffektionen usw., bei Auslösung des von
K. Mendel in diesem Centralblatt (1904, Nr. 5 u. 1906, Nr. 7) beschriebenen
Fußrückenreflexes plantare Zehenbewegung fest, während das BabinskiBohe
Zeichen entweder völlig fehlte, bzw. undeutlich war oder sich erst später ent¬
wickelte. Der Mendelsche Reflex ist aber gerade in diesen Fällen, d. h. da,
wo das Babinskische Phänomen nicht vorhanden ist, als wertvolles diagnostisches
Zeichen für organische Nervenleiden anzusehen; eventuell ist er von differential-
diagnostischer Bedeutung gegenüber funktionellen Erkrankungen, in welchen bei
Beklopfen des Fußrückens stets eine Dorsalflexion der Zehen gefunden wird; auch
kann der pathologische Fußrückenreflex als Vorläufer des Babinskischen Reflexes
auftreten.
Psychiatrie.
31) Diagnostik und Therapie der psychischen und nervösen Krankheiten,
von Prof. Sommer. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 31.) Ref.:
Kurt Mendel.
Verf. tritt in diesem klinischen Vortrage dafür ein, mit einer verbesserten
psychophysiologischen Methodik psychische Abnormitäten ebenso „objektiv“ dar-
sustellen, wie man es bisher im Gebiet der rein neurologischen Symptome getan
hat. Auf diese Weise werde man die Krankheitsarten besser differenzieren können,
dank der genaueren Differentialdiagnose werde man dann auch imstande sein, die
spezielle Therapie differentialdiagnostisch zu vertiefen. So ergebe sich z. B. in
der Behandlung der Depressionszustände auf Grund einer genaueren Unterscheidung
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der Grundkrankheiten eine Reihe von praktisch wichtigen therapeutischen Regeln:
Depressionen auf psychogen-nervöser Grundlage werden sedativ (gebrochene Sul-
fonalgaben) und suggestiv, die auf epileptischer Basis mit Brom zu behandeln,
sein; Opium wird vielfach in beiden Fällen nutzlos gegeben.
32) Der psyohisohe Infantilismue. Eine klinisch-psychologische Studie von
H. di Gaspero. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankheiten. XLUI. 1907.)
Ref.: He in icke (Waldheim).
Nach eingehender Besprechung der Literatur des Infantilismus und einer
Darstellung dieses Begriffes in morphologischer, wie klinischer Beziehung, sowie
der Wechselbeziehungen zwischen körperlichem Infantilismus und geistigen Ent¬
wicklungsstörungen, macht uns Verf. mit 6 von 20 eigenen diesbezüglichen Be¬
obachtungen bekannt. In der psychologischen Analyse dieser Fälle ließen rieh
zwei Hauptgruppen abtrennen, deren hervorstechendste Merkmale folgende sind:
I. Ganz kindliche Seelenartung; Leichtlebigkeit; Unbefangenheit; kindliche
Triebe, kindliches Ethos; Geselligkeitstrieb; Affektflüchtigkeit; Furchtanwand¬
lungen; kindlicher Egoismus, Überschätzen von Wertgrößen, SelbstfÜhlen als Kind
bzw. unerwachsenes Individuum; rasches, unüberlegtes Urteil, kritiklose Annahme
der Ansichten Erwachsener; Mangel an sexuellen Vorstellungen und Empfindungen;
undifferenziertes sexuelles Schamgefühl.
II. Verstimmungszustand; Verzagtheit; Schüchternheit; Ratlosigkeit vor neuen
Situationen; Kleinmütigkeit; Bedürfnis nach Anklammerung an andere Menschen;
erhöhte Suggestibilität; Drang, sich Vorbilder aus dem Milieu zu schaffen; eng-
grenzter Horizont; enges Urteil.
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der psychologisch-klinischen Ana¬
lyse psychischer Grundphänomene bei den herangezogenen Infantilen; Verf. kommt
dann zur Einteilung des psychischen Infantilismus dieser Fälle in zwei Formen,
nämlich in die Form des echten psychischen Infantilismus als Persistenz eines
kindlichen Seelenlebens und in die Form des kleindimensionalen psychischen
Entwicklungsgrades, der sogenannten „Miniaturseele“; die betreffenden Individuen
sind halb Erwachsene, halb Kinder. Das nächste Kapitel enthält differential¬
diagnostische Betrachtungen und Abgrenzungen von der Imbezillität und der
Hebephrenie. Weiter wird in einem „Spezielle Infantilismuspathologie“ betitelten
Abschnitt der psychische Infantilismus als eine psychopathologische Einheit ge¬
kennzeichnet und dann auf spezielle Untersuchungen des infantilen Verstimmungs¬
zustandes und der infantilen Erinnerungsfälschungen hingewiesen. Als Kompli¬
kationen des psychischen Infantilismus und als eventuelle Folgezustände nennt
Verf. die Neuropsychasthenie, die psychogenen Neurosen und die Zwangsneurose,
die in gegebenen Fällen auch das Zwischenglied zwischen Infantilismus und „in¬
fantilen“ Psychosen abgeben können; es können sich aber diese Psychosen auch
direkt entwickeln. Bis jetzt kennt man folgende infantile Psychosen:
1. transitorische Geistesstörungen: pathologische Affektzustände, raptusartige
angstvolle Ausnahmezustände,
2. protrahierte Dämmerzustände,
3. akute halluzinatorische und ängstliche Verworrenheit,
4. subakute und chronische paranoide Zustandsformen,
6. melancholische und hypochondrische Krankheitsbilder bei geordnetem
Hintergrund (Angstpsychosen).
Nach Mitteilung einiger Selbstbeobachtungen infantiler Psychosen bespricht
Verf. den Verlauf und Ausgang des psychischen Infantilismus in infantilen
Schwachsinn; die Bemerkungen über die Lebensdauer soloher Individuen sind
ebenfalls sehr interessant; hier sei nur erwähnt, daß sie meist frühzeitig
sterben.
Ein letztes Kapitel weist nach, daß der reine psychische Infantilismus selten
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sei, daß dagegen die zweite Gruppe ungleich häufiger in Erscheinung trete; auch
gibt es einen partiellen Infantilismus. Dieser erscheint am häufigsten unter
dem Sammelbegriff der „leicht abnormen“ und „minderwertigen Persönlich*
keiten“. Den Schluß bilden Erörterungen öber die Wechselbeziehungen zwischen
körperlichem- und psychischem Infantilismus und Bemerkungen öber die Eon*
gruenz beider Zustände.
33) Lee fugu.es dans les psyohoses et les dömenoes, par Dr. Uaurice Du-
costö. (Arcb. de neurol. 1907. Nr. 1 u. 2.) Ref.: S. Stier (Rapperswil).
Verf., dem wir bereits eine vor 8 Jahren erschienene Studie öber die Fugues
der Hysterischen, Epileptischen und Dögönörös verdanken, beschäftigt, sich hier
mit den bisher noch wenig bearbeiteten Fugues bei Alkoholikern und verschiedenen
Psychosen, namentlich den dementen Zuständen. Er definiert die Fugue als „an-
fallsweise und ohne Motiv auftretendes Umherschweifen“.
Bei den Fugues der Alkoholiker unterscheidet er zwei Formen: 1. die
„Fugues d’instabilitö“, die schon bei leiohterer Alkoholintoxikation Vorkommen,
im allgemeinen kurz sind, sich häufig wiederholen und keine wesentliche Be¬
wußtseinsstörung, keine Amnesie zeigen. Starker Bewegungsdrang ist charakte¬
ristisch. Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Fugues bei Dementia
praecox. Wanderkrisen der Psychastheniker, Fugues der Manischen. Eine zweite
Form (bei höheren Graden der Alkoholintoxikation) ist von längerer Dauer, mit
beträchtlicher Bewußtseinstrübung und Amnesie, hat große Ähnlichkeit mit den
Fugues der Epileptischen und Hysterischen, von denen sie oft nur die Anamnese
unterscheidet.
Bei den Manisch-Depressiven wurden Fugues nur in der manischen Phase
beobachtet. Sie verlaufen ohne tiefere Bewußtseinsstörung und Amnesie, mit
erotischen und alkoholischen Tendenzen, beträchtlicher psychomotorischer Erregung.
Nicht selten plötzliches Einsetzen der Remission, Rückkehr nach Hause und Be¬
ruhigung. Keine Motivierung seitens des Patienten.
Die Fugues der Moralisch-Defekten sind bewußt, mit intakter Erinne¬
rung, gut durchgeführt, meist häufig wiederholt; bisweilen scheinbar motiviert
durch das Bestreben der Kranken, sich den Folgen etwaiger Delikte zu entziehen.
Bei den Fugues der Debilen Bewußtsein und Erinnerung entweder intakt
oder in geringerem oder höherem Grade gestört. Häufig Rezidive.
Bei ParalyBis progressiva: im Initialstadium Bewußtsein und Erinnerung
ziemlich klar; die Fugue an sich erscheint nioht immer als Ausdruck geistiger
Schwächung, ist bisweilen aber doch schon absurd und ziellos. Im Stadium des
ausgesprochenen Schwachsinns Bewußtsein und Erinnerung vague oder gänzlich
gestört, Fugue ohne Plan und Ziel; oft läuft der Kranke bis an das Ende seiner
Kräfte, ißt nicht und schläft nicht.
Bei Dementia senilis Bewußtsein und Erinnerung es 0. Die Fugues ge¬
schehen blind in den Tag hinein. Pat. verliert sich jeden Augenblick.
Bei der Dementia praecox sind vier verschiedene Formen der Fugues zu
unterscheiden: 1. „Fugues d’instabilitö“ kurz, agitiert, rezidivierend — ähn¬
lich denen der Alkoholiker; 2. impulsive Fugues: Bewußtsein und Erinnerung
getrübt, plötzlicher, meist heftiger Ausbruch, begleitet von ungeordneten Reden
und Handlungen, meist kurz dauernd. Mit Nachlaß des Impulses orientiert sich
der Kranke wieder und sucht freiwillig sein Heim wieder auf; 3. Fugues des
intellektuellen Defektes haben bestimmtes Ziel, sind meist gut durchgeführt,
mit klarem Bewußtsein, bisweilen geschwächter Erinnerung; 4. Fugues der
tiefen Demenz, ohne Ziel, unbewußt, mit nahezu vollständiger Amnesie.
84) La psychose maniaque - depressive. Les actualites mödioales — les
folies intermittentes, par Deny et Camus. (Paris 1907. 96S.) Ref.: H.Vogt.
Lehrhafte monographische Darstellung in gut faßlicher Form. In der Ein-
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leitung betonen die Antoren bei Besprechung der Aufgabe, die sie sich gesetzt
haben, daß es sich bei dem von ihnen behandelten Thema um die einheitliche
Darstellung der unter verschiedenen Benennungen gehenden Psychose des „cirku-
lären Irreseins usw.“ handelt, besonders ferner um die Stellung der „idiopathischen
Manie“ und um die Frage, ob die Melancholie in den Rang einer Rückbildung»*
Psychose zu verweisen sei. Bei der eingehenden Würdigung der Literatur wird
auf dem behandelten Gebiet unterschieden: 1. die alte Periode bis> ca. 1860,
2. die französische mit den besonders hervortretenden Namen von Falvet,
Baillarger und Magnan, 3. die deutsche Periode seit 1899. Wenn auch die
originalen Arbeiten unserer Autoren auf dem Gebiete schon an der Hand dieser
Elinteilung etwas stark in den Hintergrund treten (Griesinger, Ludw. Meyer,
Kräpelin u. a.), so ist doch die literarhistorische Darstellung nicht ohne Interesse
zu lesen. Hingewiesen sei auf den symptomatologischen Abschnitt. Als klinische
Typen werden unterschieden: hypomanie, agitation maniaque und agit. man. aveo
troubles psychosensoriels et id6es dölirantes, sodann: döpression simple, depression
avec stupeur, depression dölirante — also eine hauptsächlich symptomatologiache
Elinteilung. Auf dem schwierigen Gebiet guter instruktiver Abbildungen (Kranken-
typen) ist auch hier nichts Hervorragendes geleistet.
35) Untersuchungen über die Ätiologie der Manie, der perlodisohen Manie
und des oirkulären Irreseins nebst Besprechung einzelner Krankheits-
Symptome, von Dr. Giovanni Saiz. (Berlin 1907, S. Karger.) Ref.: Georges
L. Dreyfus (Heidelberg).
In einer über 200 Seiten umfassenden Monographie verarbeitete Verf. mit
Fleiß und Geschick alle Fälle von einfacher, rezidivierender und periodischer
Manie, sowie die Fälle cirkulären Irreseins, welche seit dem Jahre 1895 bis zum
1. April 1906 in der psychiatrischen Klinik der Charit6 zur Beobachtung kamen.
Elr wollte dabei besonders feststellen, wieweit die Manie periodisch und rezidi¬
vierend auftrat und wieweit der periodischen Manie eine spezielle Ätiologie zu¬
kommt. Bei den im genannten Zeitraum in Betracht kommenden 24705 Auf¬
nahmen handelte es sich um 0,35 °/ 0 einfache Manien, 0,20 °/ 0 periodische Manien
und 0,29 °/ 0 cirkuläres Irresein, mit anderen Worten: die Untersuchung erBtreckte
sich auf insgesamt 168 Patienten.
Die Krankengeschichten all dieser Kranken verarbeitete Verf. außerordentlich
eingehend und gründlich. Eis kam ihm besonders darauf an, Momente zu eruieren,
die als prädisponierende, bzw. auslösende angesprochen werden dürfen. In zweiter
Linie erst handelte es sich um eine Ergänzung der Symptomatologie der in Rede
stehenden Krankheiten.
Alle nur möglichen anamnestisoh festgestellte Schädlichkeiten stellte Verf.
aus den Journalen übersichtlich und kritisch besprechend zusammen, Schädlich¬
keiten, die vielleicht als letztes auslösendes Moment der Psychose angesprochen
werden können, in erster Linie Heredität und Erschöpfung, während über die
tatsächliche Ätiologie, die letzte Ursache der betreffenden Krankheiten nichts aus¬
gesagt werden kann.
Es ist unmöglich in dem Rahmen eines Referates alle aufgeführten ätiolo¬
gisch in Betracht kommenden Momente, die Verf. bespricht, zu erörtern oder die
gewonnenen Zahlen anzugeben. Hierfür muß das Buch selbst studiert werden. —
Auf einige Punkte möchte ich jedoch noch hinweisen. Nach Verf., bzw.
nach den jeweiligen psychiatrischen Anschauungen, welche die Krankengeschichten
wiederspiegeln, die er bearbeitete, sind die manischen und cirkulären Erkrankungen
auffallend selten. Das kommt daher, daß die Berliner Schule, im Gegensatz zu
anderen, die genannten i’sychosen sehr eng faßte. Die akute halluzinatorische
Paranoia wird, wenn auch heitere Verstimmung und Beschleunigung der Asso¬
ziationen sowie andere manische Symptome nachweisbar sind, scharf getrennt,
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einfache und periodische Melancholie gehören nicht zum drkuläreu Irresein. Den
großen Schritt, den Kraepelin machte, rein manische and melancholische Zu-
standsbilder, einerlei, ob Bie nur einmal anftreten, oh eie periodisch oder alter-
nierend sind, zum eirkulären Irresein zu rechnen, hat die Berliner psychiatrische
Klinik nioht mitgemacht. Das Unheilvolle, daß jede psychiatrische Schule ihre
eigene Nomenklatur, ihre eigenen Definitionen hat, macht sieh auch in der Arbeit
des Verf.’s geltend: Trotz ihrer peinlichen Gründlichkeit sind die gewonnenen
Resultate nur für einen kleinen Kreis (findend, eben für den, der genau die
gleichen psychiatrischen Anschauungen und Definitionen hat. Darin liegt, solange
noch keine Einheit der psychiatrischen Schulen erzielt worden ist, solange unter
dem gleichen Namen ganz verschiedene Krankheitsbilder von den einzelnen Schulen
verstanden werden, da» Aussichtslose psychiatrischer Monographien. Sie sind für
den Tag und für einen kleineu Kreis geschrieben. Die Ansichten über die kli¬
nische Stellung der einzelnen Krankheitsbilder mit so verschwommenen Grenzen
können wechseln und damit sind die durch nooh so große Gründlichkeit ge-
wonnenen Resultate zum großen Teile falsch oder wertlos. —
Trotz dieser in der Natur des bearbeiteten Stoffes liegenden Mängel kann
das Buch demjenigen, der sich über die ätiologischen Momente der in Rede
stehenden Psychosen unterrichten will, warm empfohlen werden.
36) Einige plethysmographisohe Untersuchungen hei affektiven Psyohoaen,
von Saiz. (Monatsschr. f. Psych. n. Neur. XX I. 1907. S. 492.) Ref.: H. Vogt.
Ver£ stellt sich die Aufgabe, zu untersuchen, wie sich pathologische Lust-
nnd Unlustzustände in der plethysmographischen Kurve äußern, ob eine Gesetz¬
mäßigkeit, wie sie Lehmann und Wundt für die Affekte des normalen Menschen
beschreiben, sich nachweisen läßt oder nicht. Bei sechs Fällen (Frauen) voa
affektiven Psychosen (Manie, oirkuläre Psychose, Melancholie usw.) wurden in toto
133 plethysmographische Kurven aufgenommen. Es ließ sich erweisen, daß die
Lehren der genannten Autoren auf pathologische Stimmungslagen nicht übertragen
werden können, die Befunde stellen aber, da sie recht vielgestaltig sind, einer
Erklärung nieht geringe Hindernisse entgegen. Verf. resümiert das Urteil seiner
interessanten und sehr methodisch angestellten Untersuchungen in folgenden
Sätzen:
„In der normalen Kurve eines in affektivem Gleichgewichte befindlichen
Menschen ist charakteristisch, daß Respirationeschw&nkungen fehlen oder wenigstens
nur Bohwach ausgeprägt sind, während sanfte Undulationen oder jähe Senkungen
in jeder Kurve vorhanden sind. Tritt nun ein Affekt von bestimmter Stärke
auf, so gibt er sich in der Kurve durch das Auftreten der Respirations-
aehwankongen kund, und zwar sowohl Unlust- als Lustaffekte, nur mit dem Unter¬
schiede, daß die Respirationsoszillationen bei den Unlustaffekten eher zustande
kommen. Mit dem Verschwinden des Affektes, der stark gefühlsbetonten Vor¬
stellung, verschwinden auch die Respirationsschwankungen in der normalen Kurve.
Bei einer gazz leichten Hypomanie oder bei einer leichteren Depression ohne
Angst findet man die Respirationsschwankungen am häufigsten in den erste»
Tagen, wenn die pathologische Verstimmung einsetzt, im weiteren Verlaufe ver¬
wischt sich das Bild immer mehr und mehr, und die Respirationsschwankungen
werden undeutlich und versohwinden ganz. Wir bekommen Kurven mit sanften
Undulationen oder jähen Senkungen, also Kurven, welche als normal zu bezeichnen
■ind. Bei stärkerer hypomanischer Erregung, sowie bei tiefgehender Depression
mit Angst treten die Respirationsschwankungen fast stets auf; ob dabei die
Volumkurve im ganzen mehr gleichmäßig verläuft oder ob stärkere Undulationea
Auftreten, hängt von den individuellen Verhältnissen ab. Die Stärke des Affektes,
welche notwendig ist, um die Respirationsschwankungen durch längere Zeit in
der Kurve zu erhaben, ist natürlich nicht als eine konstante Größe zu denken,
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sondern sie schwankt je nach der Individualität und auch bei demselben Indivi¬
duum zu verschiedenen Zeiten innerhalb gewisser Grenzen.“
37) Zur Psychopathologie der Melancholie, von Prof. Dr. Karl Heil-
bronner. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXII. 1907. S. 1.) Ref.: H. Vogt
Ausgehend von den verschiedenen Auffassungen über den Begriff der
Melancholie erinnert Verf. an eine wenig beachtete Anregung Wernickes, wie¬
weit der elementare Komplex der Melancholie durch anderweitige Symptome ver-
. mehrt, wieweit also neben der intensiven eine extensive Steigerung des Krank¬
heitsvorgangs vorhanden sein kann. Als Momente letztgenannter Art kommen in
Betracht u. a. das Auftreten von Halluzinationen, von phantastisch bedrohlichen
Vorstellungen, dann vor allem hypochondrische Elemente. Letztere verlaufen
stets unter dem Bild hypochondrischer Parästhesien. Verf erinnert an eine Mit¬
teilung Juliusburgers (Mon. f. Psych. u. Neur. XVIL S. 72), in der Symptome,
die den letztgenannten verwandt sind, erörtert wurden; dieselben wiesen auf eine
Herabsetzung, bzw. Aufhebung der sogen. Organgefähle hin und entsprächen mehr
somatopsychischer Afunktion als Parafunktion. Diese Zustände bestanden bei
Juliusburger in der Unfähigkeit sich Angehörige, Wohnort usw. vorzustellen,
in Störungen der Wahrnehmung u. a. Im Gegensatz zu Juliusburger, der
diese Zustände von Fällen reiner Melancholie trennt und als Pseudomelancholie
bezeichnet, hebt Verf. hervor, daß die Zustände vielmehr essentiell zur echten
Melancholie zu gehören scheinen. Es wird ein instruktiver einschlägiger Fall
mitgeteilt. Für die Erklärung dieser Tatsache geht Verf. aus von der Wernicke-
schen Auffassung des Bewußtseins der Körperlichkeit, nach welcher bekanntlich
der Körper einen Teil der Außenwelt vorstellt, andererseits aber bildet das nor¬
malerweise inhaltlich konstante Bewußtsein der Körperlichkeit die Voraussetzung
für ein einheitliches Bewußtsein der Persönlichkeit; die Grundlage sind assozia¬
tive Vorgänge. In den hierhergehörigen Zuständen ist das Bewußtsein der
Körperlichkeit, soweit es den Körper als Außenwelt betrifft, nicht gestört, im
Vordergrund steht nicht die vermeintliche Veränderung des betroffenen Organs,
sondern die veränderte persönliche Reaktion auf das Wahrgenommene, der ver¬
änderte Eindruck, der das Ich des Kranken von dem Aufgenommenen erhält
Verf. schließt die anregende interessante Erörterung, indem er hervorhebt, daß
die Symptome von „Afunktion der Somatopsyche“ im Rahmen der Melancholie
nichts einigermaßen Fremdes darstellen, daß sie vielmehr — gleichviel welcher
Theorie der Melancholie man sich anschließen will — sich in durchaus analoger
Weise ableiten lassen wie das typisch melancholische Symptom der subjektiven
Insuffizienz und der psyohinchen Hemmung.
38) Neuralgien bei Melaneholie, von Oskar Bruns. (Monatsschr. f. Psych. u.
Neur. XXI. 1907. S. 481.) Ref.: H. Vogt
Verf. gibt einen interessanten Beitrag zu den Beziehungen zwischen Neuralgie
und Psychose. Er erörtert mehrere Fälle, für welche Krankenbeobachtungen an¬
geführt werden, an der Hund folgender Fragen: 1. welcher Art sind die be¬
obachteten Sensibilitätsstörungen; handelt es sich um echte Neuralgien oder um
Pseudoneuralgien, Psychalgien, Topalgien? 2. Wie werden jene Sensibilit&ts-
anomalien psychisch verwertet? 3. Was für Beziehungen haben sie zur Entstehung
der Krankheit, zum Krankheitsverlauf und in welchem kausalen Verhältnis stehen
sie zu den psychischen Störungen?
Der erste Fall bot Antwort auf alle drei Fragen: Bei einer hereditär psycho¬
pathischen Person traten auf dem Boden nervöser hochgradiger Erschöpfung
heftige neuralgiforme Schmerzen in der linken Seite auf, die teilB ins Thoraxinnere
verlegt werden, teils äußerlich verlaufen. Kein anfallsweiser Charakter, keine
Druckpunkte, dagegen ist die ganze vordere Thoraxwand druckempfindlich, es be¬
steht ferner symmetrische Hyperästhesie, Abhängigkeit der Schmerzstärke von der
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Selbstbeobachtung: also Pseudoneuralgie. Psychische und körperliche Erschei¬
nungen gehen parallel. Die fortdauernden Schmerzen fixieren das erst latent ge¬
haltene Wahnsystem im Bewußtsein. So kommt es zu einer Allegorisierung der
Schmerzen. Ein zweiter Fall bot Hand in Handgehen psychischer und körper¬
licher Krankheitserscheinungen ohne gegenseitige Kausalität. Keine echte Neur¬
algie, keine psychische Verwertung der Symptome. Im dritten Fall sehen wir
infolge schwerer allgemeiner Erschöpfung Anfälle auftreten, die sich aus gleich¬
zeitigen körperlichen und geistigen Krankheitserscheinungen zusammensetzen, beide
Erscheinungen sind central bedingt, kein WahnBystem. In einem weiteren Falle
gehen gleichfalls die körperlichen Störungen nur in losem Zusammenhang mit den
psychischen einher. Schließlich zeigt ein Fall von periodischer Melancholie
Schmerzen zur Zeit der DepressionBzustände, die mit dem Verschwinden der¬
selben wieder abnehmen. Die Schmerzen sind auch hier pseudoneuralgischer
Natur.
Es handelt sich so in den Fällen um Pseudoneuralgien, deren periphere
Projektion in ihrer Ausbreitung bestimmt wird durch die naiven Vorstellungen
der Grenzen der Körperteile gegeneinander und der Lage der lebenswichtigen
Organe in unserem Körperinnern. Es wird die Entstehung solcher Pseudo¬
neuralgien bei einer Psychose, speziell der Melancholie besprochen. In den vor¬
liegenden Fällen zeigen sich die neuralgiformen, bzw. pseudoneuralgischen
Schmerzen als konkomitierende (bzw. sekundäre) Symptome der Psychosen und
zwar speziell der Melancholie.
Therapie.
39) Zar Beruhigangs- and Einsohläferangstherapie, von Dr. Kröger und Dr.
v. d. Velden. (Deutsche med. Wochensohr. 1907. Nr. 6.) Ref.: R. Pfeiffer.
Die Verff. haben das „Bromural“ an den Kranken der Marburger Klinik
einer systematischen Prüfung unterzogen. Bromural ist ein Monobromisovalerianyl-
harnstoff; seine Wirkung beruht auf einer in besonderer Weise im Molekül der
Baldriansäure verketteten Isopropylgruppe. Das Mittel wirkt einschläfernd in
leichtesten Fällen meist nach 5 bis 25 Minuten; Dosis am besten 0,6 g, höhere
Dosen ohne stärkere Wirkung. Wirkungsdauer etwa 3 bis 5 Stunden, danach
schließt sich oft der natürliche Schlaf an den künstlich erzeugten an oder man
kann mit einer zweiten Dosis den gleichen Effekt erzielen. Bei Schmerzen, Husten¬
reiz, Angina pectoris, Erregungszuständen oder Delirien keine Wirkung. Der
BromuralBchlaf zeigt keine Abweichungen von dem natürlichen Schlaf, keine Nach¬
wirkungen oder Nebenerscheinungen. Die narkotische Wirkung ist gering, die
Ausscheidung bzw. Zerstörung des Mittels erfolgt rasch.
40) Versuche über neuere Sohlafmittel, von Ehrcke. (Psych.-neur. Wochen¬
schrift. 1906. Nr. 6.) Ref.: E. Schultze (Greifswald).
Bericht über Versuche mit Neuronal, Veronal, Isopral, Viferrol und Hypnal.
Besonders bewährte sich Veronal; Eintritt des Schlafes meist in 1 bis 2 Stunden;
keine unangenehme Nebenerscheinungen, nur vielfach leichte Müdigkeit nach
dem Erwachen. Mehrmals wurde nach Proponal über Schwindel und Angstgefühl
geklagt, einmal selbst nach einer Dosis von 0,15 g.
41) Proponal, von Bresler. (Psych.-neur. Wochenschr. 1906. Nr. 6.) Ref.:
E. Schultze (Greifswald).
Verf. wandte bei der Prüfung des Proponals dieselbe Versuchsanordnung an
wie beim Neuronal. Die Wirkung des ProponalB war gut und frei von Neben¬
wirkungen; freilich wird 0,5 g bei erregten Geisteskranken nicht ausreichen, 0,6
bis 0,75 aber mit großer Wahrscheinlichkeit.
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42) Über Neuronal, von Wickel. (Psych.-neur. WochenBchr. 1906. Nr. 21.)
Ref.: E. Schultze (Greifswald).
Verf. bezeichnet das Neuronal als ein gutes und brauchbares Schlafmittel
bei leichteren nnd auch stärkeren Erregungszuständen in der Dosis von 0,5, 1,5
und 2,0 g. Bei heftigeren Erregungen ist seine Wirkung unzuverlässig. Bei Epi¬
lepsie ist es ohne besondere Wirkung. Der erzielte Schlaf ist ruhig und gleich¬
mäßig. Gewöhnung oder kumulative Wirkung traten nicht hervor; Nebenwirkungen
zeigten sich äußerst selten.
43) Die Behandlung der Impotenz. Klinischer Vortrag von FQrbringer.
(Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 7.) Ref: R. Pfeiffer.
Der Vortrag Fürbringers über die Behandlung der Impotenz gibt in ge-
dräpgter Form einen erschöpfenden Überblick und gewinnt noch dadurch an
aktuellem Interesse, als hier von autoritativer Seite über den Wert neuerer und
neuester Mittel (Yohimbin, Muiracithin) geurteilt wird.
44) Über die physiologischen Grundlagen der physikalischen Therapie
(Bemerkungen zu dem Vorträge von A. Goldsoheider); vgl. Neurolog.
Centralbl. 1907. S. 419, von Alois Strasser. (Blätter f. klin. Hydro¬
therapie. 1907. Nr. 3.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg).
Verf. wendet sich gegen einige Ausführungen des Goldscheiderschen Vor¬
trages (s. d. Centr. 1907. S. 419). Verf. hält die physikalisch - therapeutischen
Einflüsse auf die Haut für naturgemäße, weil er der Ansicht ist, daß die Haut
als Einstellungsorgan für das nervöse Gleichgewicht, vielleicht im ganzen Körper,
dient. Er bestreitet infolgedessen auf das lebhafteste, daß den physikalischen Be¬
handlungsmethoden direkte Wirkungen, wie Goldscheider meint, ahgehen.
Verf. führt an, daß thermisch-mechanische Reize durch Anregung der hämato-
poetischen Organe die Chlorose bessern können, daß Kreislaufsveränderungen auf
physikalischem Wege bekämpft werden usw. Er meint, daß die Idee des nil nocere
die bei weitem vorherrschende ist, und auf die Vorteile der physikalischen Methode
verzichten ließ, weil ihre Beherrschung mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.
Bei allen physikalischen Prozeduren muß man bestrebt sein, führt Verf. aus, die
theoretischen Vorstellungen mit seinen praktischen Erfahrungen in Einklang zu
bringen, was bis jetzt noch keineswegs der Fall ist.
45) Ein neuer elektromedisinisoher Apparat, von Priv.-Doz. Dr. Ludwig
Mann. (Zeitschrift f. medizin. Elektrolog. u. Röntgenk. IX. 1907. S. 98.)
Ref.: Toby Cohn (Berlin).
L6duc hat 1902 auf dem Berner Elektrologenkongreß eine Demonstration
veranstaltet, deren wesentlichster Inhalt der folgende war: mit einem, 3000 bis
12 000 mal in der Minute unterbrochenen Gleichstrom (galvanischen oder Dynamo¬
strom) von der relativ niedrigen Spannung der üblichen Elementbatterien erzielte
er an Hunden (später auch am Menschen) bei Durchströmung des Kopfes einen
narkoseähnlichen Zustand; Urin- und Stuhlentleerung wurde auch ohne Ein¬
schaltung des Gehirns in den Stromkreis erreicht. Die Firma Leopold
Batochis in Naumburg a./S. hat nun einen Apparat konstruiert, der unter Be¬
nutzung eines Uhrwerkes sowohl diesen L£ducschen Strom als auch Wechsel¬
strom und gewöhnlichen galvanischen und faradischen Strom erzeugt, ferner auch
eine Schaltvorrichtung nach Art des Schnöescben Vierzellenbades enthält, und
dem biegsame Elektroden zur Allgemeinelektrisierung analog den Boruttau¬
schen Hüllenelektroden beigegeben sind.
Mit diesem Apparat bat Verf. Untersuchungen angestellt; Narkoseversuche
nur an einem Kaninchen, und zwar ohne Erfolg. Die vom Konstrukteur an¬
gegebene peripherische Anästhesie durch eine bestimmte Applikationsweise der
Elektroden konnte Verf. ebenfalls nicht nachweisen, höchstens oberflächliche
Schmerzabstumpfung. Interessanter waren dagegen die Untersuchungsresultate
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bezüglich der motorischen Nerven: der maximal rasch unterbrochene L6ducsehe
Strom verhielt sich nämlich in normalen wie pathologischen Fällen (Entartungs¬
reaktion, Myotonie), genau wie der galvanische; bei dieser Frequenz machen sich
also die Unterbrechungen physiologisch nicht mehr bemerkbar. Der weniger fre¬
quente „L6duc“ hingegen wirkte tetanisierend wie der faradische Strom, dessen
Wirkung auch in pathologischen Fällen die seine gleichkommt Nur in einem
Falle von kompletter Entartungsreaktion fand sich bei aufgehobener faradischer
Erregbarkeit eine träge AnSZ mit diesem „wenig frequenten L6duc“. Der Ba-
tochissche Apparat, der noch in mancher Hinsicht verbesserungsbedürftig ist,
und dessen genaues Studium noch einzelne auffallende, nicht genügend erklärte
Beobachtungen aufweist, erscheint dem Verf. diagnostisch und therapeutisch, in
letzterer Hinsicht vielleicht besonders als Sedativum bei Neuralgien, wohl ver¬
wendbar.
46) Zur Indikation der Behandlung mit Hochfrequenzströmen, von Franz
Nagelschmidt. (Deutsche med. Woch. 1907. Nr. 32.) Ref.: Kurt Mendel.
a) Das große Solenoid, dessen Wirkung nach des Verf.’s Ansicht nicht ledig¬
lich auf Suggestion beruht, verschafft ein Gefühl der Erfrischung und erhöht
Arbeitskraft und Arbeitslust, wirkt aber andererseits auch einen normalen, festen
Schlaf erzeugend. Mit Erfolg wird es bei Anfällen von Angina pectoris angewandt,
gleichfalls bei Neurasthenie.
b) Die einpolige elektrische Dusche oder der elektrische Wind ist vornehm*
lieh indiziert bei Hyperästhesien, Parästhesien, Neuralgien der Haut, juckenden
Ekzemen, bei zweipoliger Applikation empfiehlt sich die elektrische Dusche bei
den unterhalb der Haut gelegenen Neuralgien (Ischias, Trigeminusneuralgie usw.),
auch bei nervösen Herzkranken.
c) Die Kontaktanwendung mit zweipoliger Applikation bewährt sich
hauptsächlich bei den lanzinierenden Schmerzen und gastrischen Krisen der
Tabiker.
d) Die rektale und endourethrale Behandlungsweise ist bei psychischer Im¬
potenz zu versuchen.
e) Duroh Funkenentladung können besonders starke und ausgiebige Muskel¬
kontraktionen hervorgerufen werden, welche noch zu diagnostischen und thera¬
peutischen Zwecken des näheren zu ergründen sind.
111. Bibliographie.
1) Die Tetanie der Erwachsenen , von Prof. Dr. L. v. Frankl-Hochwart.
(II., vielfach umgearb. Aufl. Wien 1907, Holder.) Ref.: Otto Marburg (Wien).
Durch die Epithelkörperchenfrage ist man gewohnt die Tetanie nur von
diesem Gesichtspunkte aus zu betrachten. Und doch geht dabei der Blick für
das Ganze verloren, das unter allen Umständen mehr bietet, als das erwähnte,
wenn auch noch so interessante Detail, dessen Wichtigkeit unbestritten bleiben
soll, wenn diese vielleicht auch mehr auf allgemein biologischem Gebiete gelegen ist.
Es drängt sich einem diese Anschauung unwillkürlich bei der Lektüre des
Fränkischen Buches auf, das in der Mehrzahl seiner Teile ein neues geworden
ist. Seine Bedeutung liegt darin, daß das, was hier an jahrelangen Erfahrungen
und Beobachtungen gesammelt ist, Tatsachen sind, die keine noch so ingeniöse
Hypothese umzustoßen imstande ist. Wenn nun auch die tbyreoprive Tetanie
als Epithelkörperchentetanie aufgefaßt werden kann, so ist doch nicht wegzuleugnen
die Eigenart der anderen Tetanieformen, nur in den Frübjabrsmonaten aufzutreten,
gewisse Berufskreise (Schuster, Schneider) zu befallen und auch in dem Auftreten
an verschiedenen Orten eine gewisse Selektion zu zeigen. Das und eine Reihe
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anderer Momente (initiales Fieber, Halluzinogen, mehrfaches Vorkommen in einer
Familie) legen den Gedanken nahe, daß man es mit einer Infektionskrankheit
zu tun habe. Von Bedeutung erscheint dabei, daß sich die verschiedenen Formen
der Tetanie, z. B. die bei Magen-Darmaffektionen, hei Infektionen, Intoxikationen,
die in der Matemität, im wesentlichen gleich verhalten im zeitlichen und ört¬
lichen Auftreten, im Befallen bestimmter Berufskreise mit der idiopathischen
Tetanie, der Tetanie der gesunden Handwerker.
Verf. verhält sich danach ah wartend zur Frage der Epithelkörperchentetanie.
Wenn auch diese — die Epithelkörperchen —, wie Pineies meint, wesentliches
nur für die Pathogenese bedeuten, die Ätiologie außer Spiel lassen, so kann man
nach Verf. aus der Pathogenese von Erkrankungen ohne sonstige Anhaltspunkte
nicht irgendwelche Schlußfolgerungen bezüglich der Ätiologie ziehen.
Die Symptomatologie bringt eine .Reihe feinerer Details, die Abstufungen
des Chvostekschen Phänomens, dessen Bedeutung für die Tetanie ins rechte Licht
gestellt wird, die Eigentümlichkeit, daß Psychosen hei Tetanie hauptsächlich im
Frühjahr auftreten, und daß diese mit den Krämpfen exacerbieren und remittieren,
die Beobachtungen über initiales Fieber und ähnliches.
Die größte Bedeutung aber kommt der katamnestischen Forschung an mehr
als 50 eigenen Fällen zu, welche die ungünstige Prognose der Tetanie erweisen.
Elf von den 56 Fällen waren in jungen Jahren gestorben, ein Fünftel litt an
chronischer Tetanie, 19 an tetanoiden Zuständen, sechs an einem chronischen
Siechtum, in manchen Zügen dem Myxödem vergleichbar. Es ist unter solchen
Umständen bedauerlich, daß bisher alle therapeutischen Versuche, wenn man ihnen
völlig objektiv entgegentritt, wenig oder keinen Erfolg hatten, da eben die
wahren Ursachen der Tetanie noch nicht erschlossen sind.
So bringt jedes der vielen Kapitel des Buches, das trotz Ausschlusses der
Kindertetanie den früheren Umfang übertrifft, wesentlich Neues und das Alte wird
übergeprüft und modifiziert. Über die klassische Diktion und die übersichtliche
Anordnung des Stoffes in diesem Beispiel einer modernen Monographie sind bei
dem Namen des Autors wohl keine Worte zu verlieren.
2) Geisteskrankheit und Geistesschwäche in Satire, Sprichwort und Humor,
von Dr. Mönkemöller. (Halles.S. 1907, C. Marhold.) Bef.: H. Haenel.
Eine sehr dankbare Idee, und an ihrer Durchführung merkt man, wie Verf.
von ihr mehr und mehr gefesselt wurde und wie sich der Stoff ihm unter den
Händen zu einem Stück Kulturgeschichte erweiterte. Das Zusammenbringen der
Literatur über diesen Gegenstaud mag, da ein ähnliches Werk noch nicht existiert,
seine Schwierigkeiten gehabt haben, es setzt jedenfalls neben einer außerordent¬
lichen Belesenheit einen besonders feinen Spürsinn für das im gesuchten Zu¬
sammenhang Wichtige und Interessante bei dem Verf. voraus. Besonders ge¬
lungen und kulturhistorisch wertvoll erscheinen die Kapitel über die Hofnarren
und die didaktischen Narren des Mittelalters, ebenso die vergnügten Geistes¬
kranken auf der Bühne. Die Ironie und Selbstironie, die in oft ergötzlicher
Weise im Stile des Verf immer wieder durchbricht, macht auch manches hier
und da etwas weit Hergeholte schmackhaft; jedenfalls hat es etwas Verblüffendes,
zu sehen, wie durch die Jahrhunderte der Schwachsinnige eine immer neu spru¬
delnde Quelle des Vergnügens für die Menge hat abgeben können, und umgekehrt,
wie fast überall, wo der Volkswitz eine besonders dankbare Figur für seine Be¬
tätigung gefunden hat, das geschärfte Auge des Psychiaters den Psychopathen
darin erkennt. Wenn man an der Verteilung des Stoffes etwas aussetzen wollte,
so wäre es höchstens das, daß die Abschnitte von den Geisteskranken in den
heutigen Witzblättern und besonders die Kommersbuch- und Bieraeitungsliteratur
wohl einen zu großen Kaum in dem Ganzen einnehmen und geeignet erscheinen,
die dem Buche im ganzen ohne Zweifel zukommende ernsthafte literarische Be-
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deutung etwas zu stören. Außer von den Fachgenossen wird es sicher von Histo¬
rikern und allen denen, die an der Betrachtung des menschlichen Geschehens von
neuen Gesichtswinkeln aus Freude haben, mit viel Vergnügen und Genuß ge¬
lesen werden.
3) Studie über Minderwertigkeit von Organen, von Dr. Alfred Adler.
(Berlin und Wien. 1907. 92 Seiten.) Ref.: H. Vogt.
Verf. betrachtet seine Studien als Ausgangspunkt einer weiteren Forschungs¬
richtung, die der klinischen Medizin sich angliedern soll. Der erstarrte und ge¬
bundene Krankheitsbegriff soll eine Auflösung erfahren. Verf. geht in geistvoller
und origineller Schilderung dem Moment der Organminderwertigkeit nach. „Die
Minderwertigkeit des Organs ist embryonalen Ursprungs.“ „Das minderwertige
Organ trägt in Morphologie und Funktion den embryonalen Charakter an sich.
Von den Ursachen der Organminderwertigkeit läßt sich nach Analogie der Ur¬
sachen von Mißbildungen folgendes Schema entwerfen:
1. Primärer Mangel an Bildungsmaterial. Man wird dabei besonders deut¬
lich familiäres Auftreten beobachten können oder erschöpfende Krankheiten, Lues,
Alkoholismus, Vergiftungen der Eltern zur Zeit der Zeugung, vorfinden. Im
letzteren Falle wird jedoch häufig die Auswahl des Organs durch eine primäre
Minderwertigkeit desselben weiter determiniert sein. 2. Entzündliche Vorgänge
während der embryonalen Entwicklung, wobei wieder die Auswahl des Organs
nicht ohne Determination geschehen kann. 3. Störender Einfluß eines benach¬
barten Organs in der fötalen Periode. Auch in diesem Falle muß ein disposi¬
tionelles Moment für das nachteilige Zusammenwirken aufgesucht werden.“
Beachtenswert erscheint in der Studie das überall hervortretende Suchen
nach allgemeinen Gesichtspunkten (vgl. Abschnitt Biologische Gesichtspunkte in
der Minderwertigkeitslehre). Es sind im einzelnen folgende Abschnitte behandelt:
Heredität, anamnestische Hinweise, morphologische Kennzeichen, Reflexanomalien
als Minderwertigkeitszeichen, mehrfache Organminderwertigkeiten, die Rolle des
Centralnervensystems in der Minderwertigkeitslehre. Psychogenese und Grundlagen
der Neurosen und Psychoneurosen.
Hervorgehoben sei der Hinweis, daß oft die Neigung zur Erkrankung der
nämlichen Organe und Organsysteme familiär auftritt (erbliche Minderwertigkeit).
Die funktionellen Ausfälle können durch die konsekutive Überkompensation im
dazu gehörigen psychischen Felde ausgeglichen werden. Alle Erscheinungen der
Neurosen und Psychoneurosen sind zurückzuführen auf Organminderwertigkeit,
den Grad und die Art der nicht völlig gelungenen centralen Kompensation und
auf eintretende Kompensationsstörungen. Im Anhang werden Beobachtungen an
52 Enuresisfällen erörtert.
Ohne Zweifel wird die Beachtung der Adle rechen Gesichtspunkte nicht
allein dem Verständnis einzelner Organstörungen zugute kommen, sondern bei dem
Bestreben, immer wieder der Wechselwirkung zwischen den Organen und zwischen
ihnen und dem Organismus gerecht zu werden, auch unseren allgemein-patho¬
logischen Anschauungen. Man darf auf die weiteren Ergebnisse der Forschung
gespannt sein. Das von dem Autor mit Recht betonte „Unfertige an dieser Art
von Organen, ihre oft nachweisbaren Entwicklungsstillstände, der Mangel an Aus¬
bildung in histologischer und funktioneller Richtung“, das spätere Versagen usw.
weist nach Ansicht des Ref. besonders darauf hin, die morphologischen und em¬
bryologischen Gesichtspunkte dieser Art an dem Organe zu studieren, das allein
wie kein anderes — auf Grund seiner architektonischen und strukturellen
Gliederung, wie auf Grund seiner korrelativen Entwicklung, des gegenseitigen Ab¬
hängigkeitsverhältnisses seiner Teile usw. — geeignet ist, die Art und die Zeit,
d. i. den Grad des Entwicklungsstillstandes zu erweisen, nämlich an dem Gehirn,
speziell an den höher differenzierten Formen der Mißbildungen des Gehirns. Auf
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diesem Wege läßt sich auch eine exakte Kenntnis der späteren eigentlich organo¬
genetischen Entwicklung des Gehirns gewinnen, die selbst wieder den Adler-
schen weitausschauenden Gesichtspunkten zugute kommen muß. Schlüsse allge¬
meiner Art werden sich auf die an dem höchstdifferenzierten Organ gemachten
Erfahrungen am ehesten aufbauen lassen.
IV. Aus den Gesellschaften.
Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien.
Sitzung vom 12. März 1907.
(Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 681.)
Herr Bär&ny stellt eine 26jährige Frau mit luetisoher Erkrankung des
linken Labyrinthes vor. Beginn der Erkrankung vor 3 Monaten mit Dreh¬
schwindel, linksseitigem Ohrensausen und Erbrechen. Auf Jodkali sistiert der
Schwindel, nach Aussetzen desselben neuerliche Erkrankung. Augenblicklich
heftigster Drehschwindel, besonders heftig bei Bewegungen, kontinuierliches links¬
seitiges Ohrensausen, keine Herabsetzung der Hörschärfe. Objektiv fand sich gute
Hörschärfe, Weber nach links. Links kaum verkürzte Knochenleitung; starker
spontaner rotatorischer und horizontaler Nystagmus nach links, bei Blick nach
rechts Buhe. Der Nystagmus zeigt alle Zeichen des vestibulären. Die Gesamt¬
heit der Symptome weist auf Lähmung des N. vestibularis, wegen des bestehenden
Ohrensausens kann der Sitz der Läsion „vom Bogengangsapparat bis zum Eintritt
des N. vestibularis in die Medulla oblongata“ sein.
Herr Frankl-Hoch wart hält infolge des lateralisierten Weber auch den
Hörapparat für geschädigt, weshalb der Fall in die Gruppe des Meni&re-
Schwindels bei wenig affizierter Hörschärfe gehört. Vortr. selbst hat den einzigen
Fall von beglaubigter richtiger Diagnose auf Vestibularschwindel bei völlig in¬
taktem Gehör publiziert. Bei diesem Falle war auch der Stimmgabelbeiund
normal. Erst nach längerer Zeit traten die Zeichen nervöser Hörstörung auf.
Herr Mattauschek stellt einen Fall von hysterischem Dämmerzustand
(Ganser) mit linksseitiger totaler Anästhesie und linksseitigem Schwitzen des
Gesichtes vor, bei dem auch links Würgreflex und Ohr- und Nasenkitzelreflex
fehlten. Daneben bestehen eine Reihe psychischer Symptome. Der Patient steht
unter dem Einfluß lebhafter Gehörstäuschungen, nimmt oft und plötzlich ver¬
schiedene militärische Stellungen ein; antwortet langsam und zögernd, paralogisch:
Ring = Knopf, Woche = 3 Tage, 4X4 = 20. Er macht den Eindruck des Ver¬
träumten, Automatenhaften, Gehemmten.
Herr Pötzl demonstriert mikroskopische Präparate eines Falles von De¬
lirium acutum, bei dem Streptokokkenthromben in den Gefäßen der Hirnrinde,
des Stammes an vielen Orten gefunden wurden. Die Reinkultur ergab Strepto¬
kokken in langen Ketten.
Herr Hatschek: Zur vergleichenden Anatomie des Nuoleus ruber. Der¬
selbe besteht aus einem großzelligen kaudalen und kleinzelligen oralen Teil. Ersterer,
bei niederen Säugern stark entwickelt, bildet sich in der Affenreihe zurück, ist
beim Menschen rudimentär, während umgekehrt hier der kleinzellige Anteil, der
bei den anderen Säugern, von den Affen abwärts, schlechter entwickelt ist, eine
starke Ausbildung erfahren hat. Mit dem N. magnocellularis des N. ruber steht
das Monakowsche Bündel in Zusammenhang, sowie der dorsale Anteil der Binde-
armkreuzuug und die beim Menschen rudimentären Kleinhirnkerne (N. globosus,
emboliformis). Mit dem kleinzelligen Anteil des N. ruber korrespondiert der
N. dentatus cerebelli, dem die ventrale Bindearmabteilung entspricht. Diese Teile
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sind koordinatorische Regulationscentren, die parallel der Großhirnentwicklung
angewachsen sind, während die primären phylogenetischen Bewegungsautomatismen
(N. rnber magnocellularis, Embolus, N. globosus) sich zurückgebildet haben.
Herr Hirschl: Dementia praeoox und Syphilis. In diesem Vortrag
(Referat liegt nicht vor) weist Vortr. darauf hin, wie häufig Dementia praecox
in der Descendenz der Paralytiker und Luetiker sei.
Herr v. Frankl-Hochwart weist darauf hin, daß auch Kinder von Lue¬
tikern ohne Nervensymptome pathologische Erscheinungen bieten; abgesehen von
Psychosen, Paralyse, Imbecillität fanden sich häufig psychische Störungen geringen
Grades. Die Kinder sind erregt, unträtabel, geistig leicht zurückgeblieben, mit
moralischen Defekten. Auch Epilepsie finde sich. Die Wichtigkeit der ganzen
Frage läßt einen Vorschlag des Vortr. berechtigt erscheinen, man solle eine
Sammelforschung namentlich seitens der Hausärzte veranlassen, die Familien durch
Jahrzehnte verfolgen müßte, um zu einer geeigneten Statistik zu gelangen. Ins¬
besondere berührt diese Sache die Heiratsfrage der Luetiker.
Herr Pilcz kann Hirschls Ergebnisse bezüglich der Dementia praecox be¬
stätigen. Von 416 Fällen von Dementia praecox sind 5,12 % durch Tabes direkt
belastet, während Tabes in der Ascendenz der Paranoiker z. B. nur in 0,51 °/ 0 ,
in jener der Pat. mit manisch-depressivem Irresein nur in 0,64 % Vorgelegen
hatte. Interessant ist noch, daß z. B. bei 44 Hebephrenen in 23 Fällen Paralyse
von Vater oder Mutter bestand, von 27 Katatonikern in nicht ganz 20%.
Herr E. Stransky weist auf die Schwierigkeit der Abgrenzung katatoner
Zustände hin, zumal solche bei Paralyse, nach Kopftraumen usw. Vorkommen,
weshalb man die Frage aufwerfen könnte, ob die Fälle von Hirschl auch wirk¬
lich zur Dementia praecox zu rechnen sind.
Herr Pötzl meint, daß antiluetische Behandlung bei Dementia praecox zwar
erfolglos bleibe, aber man beobachtet Parallelismus im Verlaufe beider Prozesse,
Aufflackern der Geisteskrankheit zugleich mit einem frischen Exanthem. Er
glaubt nicht, daß Lues die spezifische Ätiologie der Dementia praecox darstelle,
vielmehr reagiere das psychisch kranke Individuum im Sinne seiner Dis¬
position. Der Vortr. fragt, ob Lues oder Paralyse in der Ascendenz gleich¬
bedeutend seien?
Herr v. Wagner-Jauregg kennt Fälle von besonderer Anzahl, die den
Gedanken eines Zusammenhanges von Lues und Dementia praeoox nahelegen; die
Statistik sei hier kein ausreichendes Moment für die Beweisführung. Jedenfalls
käme es darauf an, die Fälle direkter Heredität zu erforschen, differenziert nach
der Form der Geistesstörung, um zu sehen, ob progressive Paralyse häufiger als
andere Psychosen in der Ascendenz von Dementia praecox-Kranken, diese Krank¬
heit häufiger in der Descendenz von Paralytikern anzutreffen sei.
Herr Eduard Hitschmann glaubt, daß angehende Minderwertige leichter
Lues akquirieren und verweist auf Freud, der Lues in der Anamnese schwerer
Hysteriker fand. Bei Frauen sei Lues häufiger, als man es beweisen könne.
Herr HirBchl stimmt in seinem Schlußworte v. Frankl-Hochwart be¬
züglich der Epilepsie bei. Die Heiratsfrage sei eine schwierige; man müßte zu
vielen die Heirat versagen, was einesteils nicht befolgt würde, andernteils ist die
Zahl der Ehelosen im Staate ohnehin eine schon zu große. Die Frage Pötzls,
ob Lues oder Paralyse in der Ascendenz jener Belastung entspricht, ist noch
nicht zu entscheiden. Vortr. erkennt wohl den geringen Wert einer Statistik
— gleich v. Wagner — an, hier hatte die Statistik, die ohnehin zuungunsten
der Empfindung über die Häufigkeit von Paralyse in der Ascendenz von Hebe¬
phrenen verschoben war, nur die Aufgabe, diese Empfindung deutlicher hervor¬
treten zu lassen. Herrn Hitschmann gegenüber sei bemerkt, daß die jugend¬
lichen Hebephrenen meist vor Ausübung der geschlechtlichen Tätigkeit in
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Anstalten kommen und so Lues nicht akquirieren, im Gegensatz zu den älteren
Hebephrenen, die der Infektion sehr ausgesetzt sind. Es gleichen sich aber da¬
durch die Verhältnisse aus.
Sitzung vom 11. Juni 1907.
(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 29.)
Herr Wagner v. Jauregg: Der Unzureohnungsfähigkeitsparagraph im
neuen Strafgesetzentwurf. Vortr. weist zunächst auf die Inkongruenz von
Wortlaut des Gesetzes und Praxis hin, die schwere Unzukömmlichkeiten im Ge¬
folge haben kann. Er bespricht Beispiele von Strafgesetzen mit einer weiten,
allgemeinen Fassung des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen (französisches Gesetz)
oder einer sehr engen (schottisches Gesetz), das den Intellekt als Kriterium der
Zurechnungsfähigkeit hinstellt; während das deutsche auch die Einschränkung
des Willens als maßgebend erachtet. Bei dem Streit zwischen Psychiatern und
Juristen über die Moral insanity wäre es denkbar, daß in ein Strafgesetz die
Bestimmung aufgenommen werden könnte: krankhafte Neigungen zur Begehung
der Tat sind für sich allein nioht der Unfähigkeit zur freien Willensbestimmung
gleich zu achten. Bezüglich der Stellung des psychiatrischen Sachverständigen
steht Vortr. auf dem Standpunkt, der Psychiater ist sachverständiger Ratgeber;
er soll die Geistesstörung möglichst eingehend klarlegen; Sache des Laien ist
die Entscheidung, ob die vom Psychiater gefundene Geistesstörung die Zurech¬
nungsfähigkeit aufhebt oder nicht. Die Ursache, warum dieser einzig richtige
Standpunkt jetzt nicht durchgeführt werden kann, liegt in den Gutachten, die den
Laien meist mangels entsprechender Bildung unverständlich sind, und in dem
Umstand, daß sich der Richter seiner Pflicht, sich selbst ein Urteil über den
Geisteszustand zu bilden, nicht bewußt ist, sondern sich dieses meist vom
Psychiater soufflieren läßt. Neben der Feststellung dieser Verhältnisse ist der
Mangel an Bestimmungen über den Strafvollzug Ursache des nicht zufrieden¬
stellenden Funktionierens des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen; es ist vor
allem die Einrichtung von Anstalten notwendig, in welchen der geisteskranke
Verbrecher unter dem dauernden Einflüsse der Rechtsprechung steht. Schließlich
hängt die Formulierung des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen auch von dem
System deB Strafgesetzes ab, das für die vorliegende Frage von dem gegenwärtig
geltenden nicht abweichen soll. Vortr. stellt den Antrag, ein Komitee einzusetzen,
das über diese Frage zu beraten und am Irrenärztetag (Oktober — Wien) Referate
mit konkreten Vorschlägen erstatten soll (wird nach längerer Diskussion an¬
genommen).
Herr 0. Pötzl und Herr Schüller demonstrieren Schnitte eines Falles
atypisoher Paralyse. Der 49jährige Patient bot Intelligenz- und Gedächtnis¬
störungen mit Konfabulation und ängstlichen Delirien; Pupillendifferenz und träge
Lichtreaktion; epileptische Attacken brachten schubweise Verschlimmerungen mit
dauernden oder vorübergehenden Reiz- oder Ausfallserscheinungen von wechselnder
Lokalisation (sensorische Aphasie, Hemianopsie, Hemiplegie). Tod im Status epi-
lepticus. Die Sektion ergab Hirnatrophie besonders im Stirnlappen, inneren und
äußeren Hydrocephalus. Histologisch fand sich neben diffusen Rindenveränderungen
eine Meningoencephalitis. Ferner systematische Faserdegenerationen in einzelnen
Hirnlappen.
Herr Pötzl bemerkt dazu, daß Lev ad iti präparate dieses Falles negativ
ausfielen (Gegend der diffusen Rindenerkrankung), daß der Fall viel Ähnlichkeit
mit den Sträusslerschen Befunden habe, die dieser als Kombination von lue¬
tischen und paralytischen Affektionen hinstellt, die wie in der Klinik auch unter
dem Mikroskop oft Bchwer zu unterscheiden wären. Vortr. meint schließlich, daß
vielleicht nur die antiluetische Kur, oder, wie er es jetzt mit Landet einer ver-
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Sache, die Anwendung hoher Atozyldosen hei metaluetischen Erkrankungen, wenn
letztere von Erfolg seien, die Differentialdiagnose ermöglichen.
Herr Bonvicini und Herr Pötzl demonstrieren Präparate und Zeichnungen
eines Falles reiner Alexie. Bei einem 82jährigen Pfründner hatte ein zweiter
Schlaganfall eine vollständige rechtsseitige Hemianopsie zur Folge mit erhaltenem
centralem Sehen. Die Sprache ist ungestört; Gegenstände erkennt und benennt
er richtig. Jeden Buchstaben einzeln für sich liest er richtig, sie zum Worte
zusammenzuBetzen ist unmöglich. Spontan, wie auf Diktat werden Buchstaben
richtig geschrieben, Zahlen (vierstellige) liest und schreibt er richtig. Farben*
bezeichnung fehlerhaft (meist grau). Gehör, Sprache, Sprachverständnis intakt.
Klinisch ist der Fall demnach eine cficite verbale pure, eine reine verbale Alexie.
Die Obduktion ergab außer allgemeiner Arteriosklerose und einigen Plaques
jaunes im Stirnlappen, zwei auffallend kleine ältere Erweichungen im linken
Occipitallappen: eine im Cuneus, an die cuneale Lippe der Calcarina grenzend,
die zweite im Lohns lingualis superior, unterhalb der lingualen Calcarinalippe.
Gyros angularis intakt (Arteria cerebri posterior frei, desgleichen die A. calcarina;
Ramus lingualis und Arteria cunealis verstopft).
Herr E. Stransky demonstriert Marchlprftparate vom Medianus einer im
Klimakterium gestandenen Paranoia (Exitus an Pneumonie). Es fanden sich die
ersten Stadien des diskontinuierlichen Zerfalles der Markscheide, der immer als
Destruktions-, nicht als Regenerationsprozeß aufzufassen ist, wie dies noch heute
gelegentlich geschieht. (Ausführliches später.) Otto Marburg (Wien).
Medizinische Qesellsohaft in Warsohau.
Sitzung vom 20. Februar 1906»
Herr Krajewski bespricht im Anschluß an den Vortrag von Kryüski die
Resultate der operativen Behandlung der SchuBverletzungen des Rücken¬
markes. Auf Grund einer genaueren Durchmusterung der gesamten Literatur kommt
Vortr. zu folgenden Schlußfolgerungen: 1. Von 32 Fällen, in welchen die Operation
(Laminektomie mit eventueller Entfernung der Kugel) vorgenommen wurde, trat in
24 Fällen der Tod ein, d. h. 75 °/ 0 Mortalität. Von den übrigen 8 Patienten war
bei drei kein Erfolg nach der Operation zu konstatieren. Von fünf, bei welchen
eine relative Genesung eingetreten war, trat nur bei zwei eine totale Paraplegie
der Beine gleich nach der Schußverletzung (in einem Fall saß die Kugel nur mit
einem Pol im Wirbelkanal, im zweiten trat die Lähmung erst 6 Tage nach
dem Schuß, im dritten war weder Anästhesie, noch Blasenlähmung vorhanden, im
vierten trat bereits vor der Operation eine Besserung ein) ein. Somit ließ sich eine
tatsächliche Besserung infolge der Operation nur in einem Falle von Prewitt
(Annals of Surgery. XXVHI. 1898) konstatieren. Die Operation selbst kann
aber gefährlich werden und den Tod beschleunigen (Meningitis, Paraplegie). Der
Kranke von Briggs lebte nach der Verletzung 5 Jahre lang (Paraplegie) und
starb dann 6 Tage nach stattgefondener Operation. 2. Von 22 Patienten, die konser¬
vativ behandelt wurden, starben 16 (75°/ 0 ). Bei den übrigen verblieb die Para¬
plegie und Blasenparese, sie konnten aber in ihrem Beruf tätig sein. Vortr.
meint nun, daß im Falle, wenn sich der Chirurg zu einer Operation entschließt,
er sich an folgende Indikationen halten soll: a) Die Operation soll möglichst
rasch erfolgen (gleich nach dem Schuß oder am folgenden Tage); man verfolgt
dabei keineswegs eine Abwendung der Paraplegie, sondern verhütet eventuell den
Körper vor einer Infektion und begünstigt die Cirkulation am Orte der Verletzung;
b) bat man aber diesen Moment verpaßt, so ist die Operation nur dann zweck¬
mäßig, wenn im Laufe der Krankheit sich neue Symptome hinzugesellen, welche
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infolge der Entzündung bzw. der Narben entstehen (bei Entfernung der Kugel
oder Knochensplitter können wenigstens die neuen Symptome verschwinden). In
dem Fall von Delorme (bei Chipault) wurde 17 Jahre nach der Schuß-
Verletzung die Kugel und Knochennarbe entfernt, und die intensiven Schmerzen
verschwanden danach; c) es sind Fälle bekannt, wo bei erfolgter Durchtrennung
des Bückenmarkes man die beiden Stümpfe des Rückenmarkes miteinander ver¬
nähte (analog wie bei peripheren Nerven). Diese Fälle (mit angeblich gutem
Erfolg) wurden von amerikanischen Ärzten (Briggs, Sewartharte) beschrieben,
man müsse sie aber cum grano salis betrachten.
Sitzung vom 22. Mai 1906.
Herr Kopczytiski und Herr Krydski besprechen einen operativ be¬
handelten Fall von Jaoksonsoher Epilepsie. Die 30jährige Frau, Tochter
eines Epileptikers, leidet seit 8 Jahren an Krämpfen. Seit 4 Jahren rechtsseitige
Krämpfe alle 4 Wochen. Status: In Intervallen von einigen Minuten treten bei
Patientin tonische Krämpfe in der rechten Körperhälfte auf die alsbald zu klonischen
werden. Leichte spastische Hemiparese rechts. Retina normal. Die Vortr. meinten,
daß es sich um einen Tumor in der motorischen Region handelt und führten die
Trepanation aus. Man fand dabei nichts Suspektes, nur war der Knochen an
dieser Stelle 1 1 / a cm dick. Einige Tage nachher traten Krämpfe auf, dieselben
wurden aber immer seltener und verschwanden nach einer Woche. Nach 2 Wochen
verschwand die Hemiparese. 6 Monate frei. Dann wiederum Krämpfe alle 5 bis
10 Minuten, reohts spastische Hemiplegie mit motorischer Aphasie (Bewußtsein
während der Anfälle erhalten). Erneute Operation. (Man dachte an den Druck
seitens des verdickten Knoohens.) Nach 13 Tagen keine Krämpfe mehr, es ver¬
schwand auch die Aphasie und Hemiplegie (nach 2 Monaten nur Parese der Hand).
Die Vortr. betonen, daß man das Symptom der Jacksonschen Epilepsie mit
großer Reserve in bezug auf die Pathogenese beurteilen soll.
Edward Flatau (Warschau).
Neurologisoh-psyohiatrisohe Goselleohaft in Warschau.
Sitzung vom 22. Dezember 1906.
Herr Kopczyüski demonstriert einen Fall von einseitigem Befallensein
sämtliober Hirnstammnerven. Der Fall betrifft einen 18jähr. Mann, welch«
vor l 1 / 8 Jahren einen Revolverschuß in die rechte Occipitalgegend erhielt. Bei
diesem Eiranken läßt sich folgendes feBtstellen: völlige Lähmung mit Atrophie
und Entartungsreaktion der rechten Zungenhälfte (N. XII), völlige schlaffe Lähmung
des rechten M. trapezoides und sternocleido-mastoideus (N. XI); Lähmung der
rechten Gaumenhäfte mit Anästhesie der rechten Pharynx-, Epiglottis-, oberer Larynx-
hälfte, Lähmung der rechten Chorda vocaliB, Tachycardie (N. X); Hemiageusie an
der ganzen rechten Zungenhälfte, erschwertes Schlucken, Anästhesie des rechten
Pharynx (N. IX, wahrscheinlich mit Beteiligung der Chorda tympani); rechts
Taubheit; Diplopie mit Parese des rechten Abducens. Vortr. meint, daß die
Kugel die Nn. IX, X und XI unterhalb des Foramen jugulare und den N. XII
unterhalb des Foramen condyloideum anterius verletzte. Die Taubheit entstand
wahrscheinlich durch Labyrinthblutung.
Herr Bregman demonstriert a) einen Fall von Schädelbasisbruch mit
Diplegia facialis und Lähmung des reohten Abduoens. Die Abducens-
lähmung klingt bereits ab, dagegen ist die Gesichtslähmung eine schwere mit
kompletter Entartungsreaktion, b) einen Fall von unaufhörlicher Bhinorrhoea
cerebrospinalis. Der Fall betraf ein junges Mädchen, welches bereits seit
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5 Jahren ataktisch geworden ist. Tremor der rechten Hand, Uterus infantilis,
Amenorrhoea, Kopfschmerzen mit Erbrechen, Atrophie der Nn. opticorum, Adipositas,
dann Abmagerung. Diagnose: Tumor cerebri probabiliter Hypophysis. Aus der
Nase fließt fortwährend eine Flüssigkeit heraus, die Vortr. für den Liquor cerebro¬
spinalis erklärt, o) einen Fall von merkwürdigem Symptomenkomplex von
tonisohen und klonisotaen Zuckungen bei einem jungen Mann (nach Typhus¬
erkrankung); Athletenstatur. Pat. kann zwar stehen und gehen, tut es aber mit
der größten Anstrengung, wobei diese Akte durch fortwährende Zuckungen in
den Extremitäten und im Kumpf erschwert werden. Lordosis; Extensoren deB
rechten Ellenbogens und des rechten Handgelenks abgeschwächt. Vortr. meint,
daß es sich um eine Kombination von beginnender Dystrophie mit Myotonie und
Myoklonie handelt. In der Diskussion kam es zu keiner Einigung über die Dia¬
gnose des Falls (Meinungen: Myotonie, Myoclonia hysterica, Hysterie, Maladie
des tics, Chorea).
Herr Rotstadt demonstriert 2 Fälle von Myasthenie. Fall I: Ein 19jähr.
Mädchen klagt seit einem Jahre über ständige allgemeine Mattigkeit. Es fällt
ihr sehr schwer, sich an- oder auszukleiden, sich zu kämmen usw. Sie wird be¬
reits nach einem sehr kurzen Gangversuch müde; Schluckbeschwerden; Ermüdung
beim Augenschluß, beim Sprechen u. a. Seit etwa einem Jahre Diplopie und
sogar Triplopie; myasthenische Beaktion. Vortr. hebt bei der Kranken zeitweise
auftretende monokulare Diplopie und Anfalle von Schlafsucht hervor. Bei der
Kranken wurden nach dem Vorschlag von Kauffmann (aus der Antonschen
Klinik) Poehls Spermininjektionen angewandt. Es trat zur Zeit der Demon¬
stration eine subjektive Besserung ein (Patientin ermüdete weniger, Sprache war
nicht so näselnd, Augenrinne nicht so eng). [Im weiteren Verlauf trat aber un¬
erwartet eine hartnäckige Diarrhoe auf — interkurrente Krankheit? — und die
Patientin verstarb. Ref.] — Fall II betraf einen 31jähr. Arbeiter, welcher seit
einigen Monaten an rechtsseitiger Ptosis leidet. Es fällt ihm auch schwer, den
Kopf gerade zu halten. Häufige Diplopie, leichte Ermüdbarkeit bei der Arbeit.
Bis zum Herbst 1905 fühlte sich Pat. ganz wohl. Zu jener Zeit trat eine Um¬
wandlung in seiner Stimmung auf (traurig). Vor s / 4 Jahr merkte Pat., daß die
Buchstaben beim Lesen zusammenfließen. Es trat Diplopie auf, besonders wenn
er bei der Arbeit ermüdete. Gleichzeitig begann das rechte Augenlid herabzu¬
fallen (bei anstrengender Arbeit; frühmorgens war die Ptosis nicht merkbar).
Es wurde bei ihm damals eine spezifische Kur angewandt, jedoch ohne Erfolg
(Lues negatur). Vor 3 Monaten merkte Pat., daß er nicht laufen könne (Er¬
müdung der Beine). Status: Rechtsseitige Ptosis. Nach 20- bis 30 maligem
Augenschluß wurde die Augenrinne immer enger und schließlich konnte Pat. diese
Bewegung nicht mehr ausfübren. Fast ständige Parese des M. rectus ext. sin.
Rasche Hebung und Senkung der oberen Extremitäten verursacht bald eine all¬
gemeine Ermüdung und verstärkt auch die Ptosis; myasthenische Reaktion. Bei
dem Pat. fiel auf, daß die rechte Stirn Btändig eine gefaltete Haut zeigte (kompen¬
satorische Hebung des rechten Augenlides).
Herr Koelichen stellt einen Fall von Syringomyelie vor. Bei der 22jähr.
Frau wurde folgendes konstatiert: Abschwächung der Seitenbewegungen der Augen
mit nystagmusartigen Zuckungen, Schwäche des linken Ahducens, des N. IX,
Lähmung des linken N. recurrens, Lähmung und Atrophie der linken Hand¬
muskeln, fehlende Bauchreflexe links, Parese des linken Beins mit verstärkten
Reflexen, Abschwächung bzw. Fehlen des Schmerz- und Temperaturgefühls an der
Außenfläche des linken Oberschenkels. Die Krunkheit begann vor 3 Jahren
(Heiserkeit, Schluckbeschwerden usw.).
Herren Fla tau und Sterling demonstrieren eine Kranke mit Hirntumor
mit wahrscheinlichem Ausgang von der Glandula thyreoidea. Vor 5 Jahren
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epileptische Krämpfe, die alle 2 Wochen auftraten (Bewaßtseinsverlust, Dauer
einige Minuten). Vor 2 Jahren Schmerzen in der Gegend der linken Augenhöhle,
Erbrechen. Vor 4 Wochen angeblich plötzliche Erblindung linkB. Status:
Diffuse Schmerzhaftigkeit des Schädels (besonders stark in der linken Temporal*
gegend), beiderseitiger mäßiger Exophthalmus (links stärker). Rechte Pupille
weiter als die linke, diese letztere unregelmäßig oval, reaktionslos (rechts mini¬
male Lichtreaktion). Visus: links =s 0, rechts unterscheidet sie die Zahl der Finger
in einer Entfernung von 3 m, konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung. Beider¬
seitige Stauungspapille mit Übergang in Atrophie, deutliche Abschwächung der
Mm. raasseter und temporalis, Abschwächung des Schmerz- und Teraperaturgefuhls
im Gebiete aller 3 Trigeminusäste links. Die Muskelkraft und die Sensibilität
an den Extremitäten ungestört. Patellarreflex und Achillessehnenreflex sehr ge¬
steigert (Clonus pedis), fehlende Bauchreflexe, koin Babinski; Gang unsicher;
keine Blasen- und Mastdarmstörungen; an der Stirn verbreiterte Venen; Geräusch
bei Auskultation der linken Temporalgegend. In der Glandula thyreoidea palpiert
man einen deutlichen tumorartigen Knoten von der Größe einer Mandel im rechten
Lappen der Drüse. Die Vortr. meinen, daß dieser Fall vielleicht ein Analogon
zu dem von Flatau und Koelichen unlängst beschriebenen (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilkunde. XXXI. 1906) darBtellt, in welchem die Beziehung zwischen
dem Kleinhirnknochentumor und der Glandula thyreoidea pathologisch-anatomisch
nachgewiesen wurde. Edward Flatau (Warschau).
V. Neurologische und psychiatrische Literatur
vom 1. Mai bis 30. Juni 1907.
(Die als Originalia in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch
einmal angeführt.)
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heit. Zeitschr. f. Psychol. XLV. Heft 8 u. 4.
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Schulkinder. Archiv f. Kinderheilkunde. XLVI. Heft 1 u. 2. — Sexuelles: Schreiber,
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Rif. med. Nr. 26. — Bellini, Paranoico — persecutore. Ebenda. — Oreyfus, Tod im kata¬
tonischen Anfall. Centralblatt f. Nervenheilk. Nr. 239 u. Melancholie. Jena, G. Fischer.
329 S. — Abraham, Sexuelle Jugendtraumen bei Dementia praecox, üentralbl. f. Nerven¬
heilkunde. Nr. 288. — Bruns, O., Neuralgie bei Melancholie. Monatsschrift f. Psych. und
Neurologie. XXL Heft 6. — Saiz, Plethysmogr. Untersuchungen bei affektiven Psychosen.
Ebenda. — Anglade et Jacquin, Psych. period. et epilepsie. L’Encüphale. Nr. 6. — Pro¬
gressive Paralyse: Spielmeyer, Schlafkrankheit und Paralyse. Münchener med. Wochen¬
schrift. Nr. 22. — Joffroy et L4ri, Histol. de la par. gen. I/Encephale. Nr. 6. — Robertson,
Paralyse. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 6. — Dobrschansky, Paralyse mit 14jähr. Remission.
Jahrb. f. Psych. XXVIII. Heft 1. — Mignot, Schrameck, Parrot, Troubles ocul. dans la
par. gen. 1/Encöphale. Nr. 6. — Pappenheim, Paroxysmale Fieberzustände bei Paralyse.
Monatsschr. f. Psych. u. Neuro 1. XXI. Heft 6. — O'Brien, Vaccine bei Behandlung der
Paralyse. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 26. — Forensische Pychiatrie: Wachsmuth,
Forensische Bedeutung der Dementia praecox. Ärzti. Sachv -Zeitung. Nr. 9. — Tomellini,
Biographia di due vecchi briganti. Aren, di psich. XXV1L1. Fase. 8. —■ Anglolella, Camorra
et brigandage. Ebenda. — Herz, Criminalite et travailleurs. Ebenda. — Ciapar&de, T6moi-
gnage et confrontation. Ebenda. — Parant, Loi sur les alienes. Ann. med.-psychol. LXV.
Nr. 3. — Albrecht, Arteriosklerotische Geistesstörung und Strafrecht. Heilkunde. Heft 6.
— Therapie der Geisteskrankheiten: Starlinger, Beschäftigungstherapie bei Geistes¬
kranken. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 7. — Woher, Beschäftigung in der Behandlung
Geisteskranker. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 20. — Rimond et Volvonel, La trinitrine dans
2 cas de mal. ment. Progr. möd. Nr. 22. — Charon, Hydrother. dans les asiles d'alienes.
Ann. med.-psychol. LXV. Nr. 9. — Chotzen, Ärztlicher Nachwuchs für psych. Anstalten.
Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 11. — Siemens, Ärztlicher Nachwuchs. Ebenda. Nr. 10. —
Neisser, Anstaltsärzte. Ebenda. — Vocke, Ärztlicher Nachwuchs für psychiatr. Anstalten.
Ebenda. Nr. 13. — Starlinger, Großbetrieb der Irrenanstalten. Ebenda. — Haardt, Irren¬
ärztliches aus Süddeutschland. Ebenda.
VII. Therapie. Determann, Umschläge, Einwicklungen und Einpackungen. Deutsche
med. Wochenschr. Nr. 24. — Linhart, Bornyval. Fortschritte der Medizin. Nr. 14. —
Mayor, Chloral, Dormiol, Hedonal und Isopral und Herz. Therapeut Monatsh. Nr. 5. —
Hatcher, Isopral und Chloralhydrat. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 22. — Strasser, Physio¬
logische Grundlagen der physikalischen Therapie. Blätter f. klin. Hydrotherapie. XVII.
Nr. 3. — Fackenheim, Physikal. Heilmethoden. Zeitschr. f. phys u. diät. Therapie. XI.
Heft 3. — Buschan, Multostat. Centralbl. f. Nervenheilk. Nr. 236. — Kahane, Hochlrequenz-
ströme. Wiener med. Presse. Nr. 22. — Sloan, Hochfrequenzströme. Lancet Nr. 4371. —
Smitt, Massage. Deutsche militär-ärztliche Zeitschr. Heft 10.
VI. Vermisohtes.
Der Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien veranstaltet einen öster¬
reichischen Irrenärztetag, der am 4. und 5. Oktober 1907 in Wien stattflndon wird.
Folgende Referate werden gehalten werden: 1. Zum gegenwärtigen Stande der Pfleger¬
frage. Kef.: Direktor Dr. Starlinger (Mauer-Öhling). — 2. Arzteaustausch zwischen
Kliniken und Anstalten. Ref.: Hofrat Prof. Dr. v. Wagner. — 3. Der Unzurechnungs-
fähigkeitsparagraph im Strafgesetz. Ref.: Hofrat Prof. Dr. v. Wagner.
Außerdem erfolgen Vorträge und Demonstrationen.
Präsident: Hofrat Prof. Dr. Obersteiner, Präsidentstellvertreter: Hofrat Prof. Dr.
v. Wagner.
Schriftführer: Privatdozent Dr. Pilcz und Privatdozent Dr. Rai mann.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Veit 4 Comp, in Leipzig.
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— Druck von Mktsgkb & Wimo in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet von Profi E. MendeL
Herausgegeben
Ton
Dr. Kurt Mendel.
Sechsundrwanngster Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. [.Oktober. Nr. 19.
Inhalt. I. Originalmitteilung. Ein Fall von Alexie und Agraphie nach Trauma, von
Dozent Dr. Allessandro Marina in Triest.
II. Referate« Anatomie. 1. Die feine Struktur und eine neue Färbungsmethode des
Gehirns der Menschen und der Tiere, von Larionoff. 2. Recherches sur les noyaux moteurs
d’origine du nerf pneumogastrique et sur les localisations dans ces noyaux, par Marinesco
et Parhon. — Physiologie. 3. The maintenance of.cerebral activity in mamraals by
artifical circulation, by Guthrie, Pike and Stewart. 4. Über Neurofibrillen und chromato-
S hile Substanz, von Rachmanow. 5. Über den Einfluß farbiger Beleuchtung auf den Blut¬
ruck beim Menschen, von Splrtow. 6 . Gehirn und Kultur, von Buschan. — Psycho¬
logie. 7. Psychic and economic results of man’s physical uprightness, by Heinemann. —
Pathologische Anatomie. 8. On the relation between loss of function and structural
change in focal lesions of the nervous System with special reference to secondary dege-
neration, by Holmes. — Pathologie des Nervensystems. 3. Fortschritte in der Dia¬
gnostik der Nervenkrankheiten, von Weber. 10. Gutachten über den Zusammenhang zwischen
Gasvergiftung und Geisteskrankheit, von Petersen-Borstel. 11. Bleilähmung, von Remak.
12. Ein Fall von VeronalVergiftung, von ZSrnlaib. 13. Über akute VeronalVergiftung mit
letalem Ausgange, von Schneider. 14. Ein Fall von Veronal Vergiftung, von Nienhaus.
15. Ein Fall von Veronalvergiftung, von Popp. 16. Opium, morphine et cocaine. Intoxi-
cation aigue par l’opium. Mangeurs et fumeurs d’opium. Morphinomanes et coca'inomanes,
par Brouardel. 17. Psychische Störungen bei Morphiumabstinenz, von Sachartschenko .und
Souchanoff. 18. Zur Kenntnis der Psychosen der Morphiumabstinenz, von Chotzen. 19. Über
den Einfluß des Tabakrauches und des Nikotins auf den Blutkreislauf im Gehirn, von
Pussep. 20. The action of alcohol on the circulation, by Dixon. 21. L’alcool e le malattie
del sistema nervoso, per Bianchi. 22. Zur Statistik und Pathogenese des Quinquaud sehen
Zeichens, von Lauschner. 23. Über das Quinquaudsehe Phänomen und seine Häufigkeit bei
Nichttrinkern und bei Alkoholismus, Hysterie, Tabes und anderen nervösen Erkrankungen,
von Minor. 24. Über den Alkoholismus im Orient, von Laquer. 25. Diagnostic differentiel
des troubles cerebraux d’origine toxique dus ä l’alcool et au tabac et de la paralysie gene¬
rale d’apres les symptömes oculaires, par Rodiet et Cans. 26. Die Beziehungen zwischen
Alkohol und Paralyse, von Delbrück, 27. Ein Beitrag zur Lehre von den Alkoholpsychosen.
Nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung von Halluzinationen, von Goldstein. 28. Über
atypische Alkoholpsychosen. Beitrag zur Kenntnis des halluzinatorischen Schwachsinns
der Trinker und der alkoholistischen Pseudoparalyse, von Chotzen. 29. Transitorische
Alkoholpsychosen, von Chotzen. 30. Beiträge zur Kenntnis der Gedächtnisstörung bei der
Korsakoffschen Psychose, von Gregor. 31. Über paranoide Psychosen der Trinker, von Mandel.
32. Ein Fall von Dipsomanie, von Gurewitsch. 33. Ein seltener Fall von Seibstverstümm-
lung, von Bradäch. 34. Zur Behandlung des Delirium tremens, von Ganser. 35. Zur Be¬
handlung des Delirium tremens, von Aufrecht. 36. Über familiäre Fürsorgepflege für Trinker,
von Knust. 37. Die Entwicklung der Trinkerfürsorge in Verbindung mit der städtischen
Irrenanstalt zu Frankfurt a/M., von Sioli. 38. Die Trunkenheit vom forensisch ärztlichen
Gesichtspunkte, von Fialovski. — Psychiatrie. 39. Die Grundlagen der Seelenstörungen,
von Bessmer. 40. Über das Verhalten der Alkalescenz des Blutes und der weißen und
roten Blutkörperchen bei Nerven- und Geisteskranken, von Schultz. 41. Die una speciale
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882
forma del globulo rosso nella demenza precooe, per Pighlni e Paoli. 42. La foraola emo-
leocoeitaria nella demenza precoce, per Sandri. 43. Zur Pupillenuntersuchung bei Geistes¬
kranken. von Wassermeyer. 44. Über „Moral insanity“, von Longard. 45. La psychose
maniaque-depressive, par Franco da Rocha.
III. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft Deutscher Nerrenärzte. Erste Jahresversamm¬
lung in Dresden am 14. und 15. September 1907. — 79. Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Ärzte in Dresden vom 15. bis 21. September 1907. — Internationaler Kongreß
für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. Sep¬
tember 1907.
I. Originalmitteilung.
Ein Fall von Alexie und Agraphie nach Trauma.
Von Dozent Dr. Aleesandro Marina in Triest
Josef Vessel, 21 Jahre alt, Kesselschmied, seit einem Jahre verheiratet, stellte
sich mir am 25. September 1905 vor.
Anamnese:
Der Vater, ein Trinker, starb im Alter von 58 Jahren an einem Herzfehler;
bei der Geburt des Sohnes war er 39 Jahre alt Nach Angabe der Matter hat
er nie Lnes akquiriert Die Mutter leidet seit mehreren Jahren angeblich an
rheumatischen Schmerzen (Papillär- und Sehnenreflexe normal). Sie hat 15 Ge¬
hurten durohgemaabt. Den ersten Sohn, der lebt, hatte sie mit 16 Jahren; es
folgte eine Tochter, die jetzt acht Kinder hat, dann ein Sohn, der gegenwärtig
40 Jahre alt ist; nach diesem kam eine Tochter, die nach einer Geburt starb;
auf diese folgte eine Tochter, die jetzt im 28. Lebensjahre steht und an Rheuma
leidet. Auf diese folgte unser Patient. Auf diesen eine Fehlgeburt, dann ein
Mädchen, das im Alter von 2 Jahren einer Darmkrankheit erlag; ein anderes
Mädchen starb mit 7 Jahren an Meningitis; es folgten weiter eine Fehlgeburt im
3. Sohwangerschaftsmonat, ein totgeboreneB Mädchen, ein Mädchen, das 8 Tage
nach der Geburt verschied, ein Knabe, der im Alter von 6 Jahren einer Hirn¬
hautentzündung erlag. Das 13. Kind, ein Knabe, steht jetzt im 14. Lebensjahr
und ist gesund. Das 14., ein Mädchen, starb, 8 Jahre alt, an Tnberknlose. Die
Mutter erinnert sich nicht, wann und woran das 15. Kind, ein Knabe, starb. —
Ein Bruder der Matter starb wahnsinnig. Von den Großeltern fehlen jede An¬
gaben.
Patient kam reif und normal zur Welt. Zwischen dem 9. bis 14. Monate
brachen die Zähne durch. Mit 15 Monaten lernte er gehen und sprechen.
Im Alter von 3 Jahren litt er an Krampfanfällen, die je eine halbe Stunde
andauerten; er blieb dabei starr, bewußtlos, hie und da traten Konvulsionen auf;
doch ließ es sich nicht ermitteln, ob ihm dabei Schaum vor den Mund trat, ob
er sich in die Zunge biß, ob er unwillkürlich Harn entleerte. Diese Anfälle
wiederholten sich während eines Monates täglich, um dann vollkommen aufzuhören.
Als Kind litt er an rechtsseitigen Ohrenschmerzen, die mit Otorrhoe einher¬
gingen; dieses Übel heilte jedoch vollkommen, ohne ärztliche Behandlung.
Patient hat keine fieberhaften Krankheiten durchgemacht, litt nie an Ulcus
oder Gonorrhoe, war dem Trünke ergeben (trank täglich 2 bis 3 Liter Wein, am
Sonntage noch mehr) und ist starker Raucher.
Er hat die Volksschule absolviert und wurde Kesselschmied; er konnte ge¬
läufig lesen, schreiben und rechnen und pflegte Lektüre. Vor 4 Jahren fiel er
von einer Höhe von ungefähr 5 m auf das Hinterhaupt, wobei er das Bewußtsein
verlor, ohne daß dabei Ohren- oder Nasenblntungen aufgetreten wären. Er wurde
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Original fram
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damals ins Krankenhaus gebracht, wo er 20 Tage .verblieb. Da er eine ganze
Woche bewußtlos dalag, wollten die Arzte angeblich schon die Trepanation des
Schädels vornehmen; als er jedoch ohne Operation wieder zu sich kam, verstand
er zwar alles, konnte jedoch weder sprechen noch lesen noch schreiben. Die Be«
wegungen der Gliedmaßen waren dabei normal.
Nach seinem Austritt aus dem Krankenhause lernte er innerhalb .eines Jahres,
dank besonderer Wiedererziehungsmethode seines Schwagers, wieder sprechen,
während die Alexie und Agraphie weiter bestehen blieben.
So vergingen 3 Jahre, während welcher der niedergeschlagene Patient sonst
nur nooh über Schmerzen am Hinterhaupt klagte, als er plötzlich einen Blutsturz
bekam. Wieder ins Krankenhaus gelwacht, wurde er mit einer Ergotininjektion
behandelt. Daraufhin bekam er den ersten einer langen Serie von Krampfanfällen,
die noch jetzt fortdauero. Diese treten gewöhnlioh abends oder des naahts ein,
beginnen an der rechten Wange mit einer sich rasoh auf den reohten Arm und
auf den ganzen Körper erstreckenden Starre; dabei verliert er das Bewußtsein,
es tritt ihm Schaum, der öfters blutig gefärbt ist, vor den Mund, er beißt sich
in die Zunge und entleert manchmal unwillkürlich Harn.
Diese Anfälle, welche manchmal auch tagsüber auftreten, erschrecken ihn,
da er fürchtet, von ihnen auf der Straße befallen zu werden.
In den Zwischenpausen leidet er jedoch an andersartigen Anfällen, die ihm
teils an und für sich, teils aus Angst, daß sie die obengenannten Anfälle auslösen
könnten — obwohl dies noch nie eingetreten ist —, ebenfalls Furcht einjagen.
Während dieser zweiten Anfälle ist Patient sehr aufgeregt, er klagt über
Stiche in der Zunge, im Gesichte, über einen furchtbaren Knoten, der ihm die
Kehle zuschnürt, über Schnurren im .Geniok und in den Kiefern. Dabei verliert
er die Stimme und muß nacheinander schluckweise Wasser trinken. Diese An¬
fälle dauern eine Stunde und mehr.
Gewöhnlich wird er leicht müde, sein Schlaf ist unruhig, von schlechtesten
Träumen begleitet; da >er nicht arbeiten kann, bleibt er immer zu Hause, in einem
ärmlichen dunklen Stübchen, in steten Gedanken an seine Anfälle. Er lebt von
einer kleinen Rente der Unfallversicherung und von dem spärlichen Verdienst
seiner Hutter und seiner Frau.
Er leidet außerdem an öfteren Blutungen aus der Nase infolge einer chronischen
polypösen Rhinitis. Wiederholte Exstirpationen dieser Wucherungen hatten auf
seine Anfälle keinen günstigen Einfluß.
Ausgenommen im Sommer leidet er nicht an profusem Schweiß, ebensowenig
an Durchfällen.
Patient kam in sehr erregtem Zustand zu mir, gefolgt von seiner Mutter, die
-eine Sohüssel voll Wasser mitbringt, aus welcher er von Zeit zu Zeit schlürft.
Er kommt in Hemdärmeln, entblößt an Hals und Brust, hält sich den Hals, da
er ein so starkes Würgen verspürt, daß er zu ersticken fürchtet, obwohl objektiv
keine Cyanose zu bemerken ist. Er spricht voller Angst in kurzen, stoßweise
vorgebrachten Sätzen, aus denen trotz einiger Erläuterungen von seiten seiner
Hutter kaum einige Daten für die Anamnese gewonnen werden können.
Patient ist ein blonder, junger Hann,.mittelgroß, gut genährt, etwas schwammig;
sein Reden ist eintönig, immer zu seinen Anfällen und Krämpfen zurückkehrend;
in steter Angst, in Konvulsionen zusammenzustürzen, weint er und in sein Jammern
stimmt auch die Mutter ein, die dabei immer den Wassertopf in den Händen .hält.
Sein KopfumfaDg beträgt 57 cm, von einem Warzenfortsatz zum anderen 36. om,
die -Entfernung von Hinterhauptshöcker zur Glabella beträgt 36 cm (mit dem
Bande gemessen). Ohrläppchen angewachsen. Harter Gaumen stark gewölbt.
Augäpfel etwas vorstehend; leichte Ptosis der oberen Lider, namentlich links,
Konvergenz beiderseits etwas unvollkommen, sonst die Augenbewegungen normal.
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Facialis beiderseits normal, ebenso die Kau* und Schluckbewegungen. Zunge
vollkommen beweglich mit leichtem Tremor; das Zäpfchen nach links geneigt.
Die Muskeln des weichen Gaumens normal. Einige Zähne unregelmäßig ge¬
wachsen .
Hals dick, 42,5 cm im Umfang messend, leichte gleichmäßige Schwellung der
Schilddrüse.
Die oberen Gliedmaßen kräftig entwickelt, muskelstark, nach allen Richtungen
vollkommen beweglich. Dabei besteht Zittern der Finger, ohne daß dadurch selbst
die feinsten Bewegungen irgendwie gestört wären.
Die unteren Gliedmaßen normal sowohl in bezug auf Muskulatur und Kraft,
als auch was die Schnelligkeit und Koordination der Bewegungen anbelangt.
Reflexe: Pupillarreflexe sowohl auf Licht als auf Konvergenz und Akkom¬
modation normal, ebenso der Korneal- und Konjunktivalreflex.
Der Rachenreflex verzögert und schwach; die Reflexe der oberen Extremitäten
normal; ebenso die mechanische Muskelerregbarkeit.
Patellar- und Achillessehnenreflexe lebhaft; bei leiohter Reizung der Fu߬
sohle bleibt die große Zehe steif, bei stärkerer treten Abwehrbewegungen im
Fuße, in den Gliedmaßen und der Fascia lata auf. Kein dorsaler Fußklonus,
ebenso fehlen die Mendel sehen, Oppenheim sehen und Stbümpell sehen Phänomene.
Kremaster- und Bauchreflexe deutlich (Bauch vorgewölbt).
Schmerz bei Druck auf die Hoden, auf das Hinterhaupt, sonst keine schmerz¬
haften Druckpunkte.
Sensibilität links überall normal. Rechts scheint sie überall herabgesetzt zu
sein (Pinsel), am meisten an der oberen Extremität; doch sind die diesbezüglichen
Angaben so unsicher und widersprechend, daß man es nicht mit Sicherheit an¬
nehmen kann.
Lagesinn der Extremitäten, Stereognosie für Gegenstände wie Münzen usw.
vollkommen normal ebenso der Gleichgewichtssinn.
Die inneren Organe bieten nichts abnormes dar, Herz innerhalb der physio¬
logischen Grenzen, die Töne etwas dumpf. Puls regelmäßig, schwach, schwankt
zwischen 102 und 144 Schlägen.
Untersuchung der Augen (Dr. Oblath): V = */ 6 , rechts und links gleich.
Schwache Hypermetropie. Akkommodation gut. Chromatischer Sinn normal.
Gesichtsfeld nioht eingeschränkt, ohne Ermüdungsreaktion. Das Gesichtsfeld für
Farben insofern etwas abweichend, als das Feld für Grün Behr weit ist. Augen¬
hintergrund normal.
Ohrbefund (Dr. Mobpugo): Leichte Rötung des äußeren Gehörganges. Alle
Stimmgabeln werden frei gehört. Weber und Rinne rechts negativ. Leise ge¬
sprochene Worte werden rechts normal, links auf 3 m Entfernung gehört. Dia¬
gnose: Rechtsseitiger Ohrkatarrh; Nasenkatarrh.
Untersuchung der Sprache:
Patient ist Rechtshänder, ungebildet, hört und versteht ganz gut, was man
zu ihm spricht. Er spricht etwas näselnd, mit monotonem Tonfall, doch fließend,
wobei ihm aber manchmal das Wort ausgeht. Er sagt ganz gut die Wochentage
auf, ebenso die Monate, jedoch letztere in ungeordneter Reihenfolge: April, Mai,
Juni, Juli, November, Dezember, März, April. Auf diese Fehler aufmerksam ge¬
macht, berichtigt er sie, wobei er jedoch neue begeht, bis er schließlich aufhört
mit dem Bemerken, er sei müde.
Die Fragen, wie viel Tage ein Monat, wie viele eine Woche hat, beantwortet
er richtig.
Sein Alter, sein Geburtsjahr, die Namen seiner Familienmitglieder und seine
Adresse gibt er richtig an.
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Selbst bei den einfachsten Worten fällt es ihm schwer, die ihm vorgesagten
Anfangssilben zu einem Worte zu ergänzen nnd das anch hei zweisilbigen
Worten, während es ihm schon bei dreisilbigen ganz unmöglich wird; dabei löst
er jedoch selbst ihm fremde, ungewöhnliche Worte, die ihm vorgesagt werden,
ganz gut in die entsprechenden Silben auf.
Die Aufforderung, vor die Hauptwörter den Artikel zu setzen, begreift er
schwer und es bedarf großer Mähe, ihn aus dieser intellektuellen Trägheit auf*
zurütteln; er sagt nun: der Vater, der Gatte, doch der Mutter, der Schule,
der die Gattin, und auf mein Ersuchen, dem Worte „Tier (< den Artikel vorzu¬
setzen, wiederholt er fortwährend „o welch* ein schönes Tier“.
Aufgefordert, mit gegebenen Worten Sätze zu bilden, tut er es auf folgende
Weise:
Rose, Blume. „Ein schöner Garten zwischen Rosen und Blumen.“
Ambulanz, Kranke. „Die Ambulanz ist für die Kranken.“
Triest, Stadt, Meer. „Ein schönes Triest, eine schöne Stadt, ein schönes
Meer.“
Haus, schön. „Mein Haus ist schön, aber wegen meiner Krankheit ist es
häßlich.“
Um mich zu vergewissern, ob er den Sinn der Worte versteht, untersuchte
ich, wie er abstrakte Begriffe auffaßt und erklärt. Mit einer gewissen Schwierig¬
keit im Sammeln der Gedanken antwortet er folgenderweise:
Was ist die Liebe? „Man liebt je nach der Person; eines ist die Mutter¬
liebe, etwas anderes die Frauenliebe; wenn ich mit einem Mädchen allein wäre,
würde ich ihm schon sagen, was die Liebe ist.“
Was ist der Haß? „Sich wegen Liebeshändel oder Streitigkeiten zu
prügeln; gegen den Mann, der mir die Ehre meiner Frau gestohlen, nähre ich
einen Haß bis zum Tode.“
Was ist der Geiz? „Wie viele den ganzen Tag um kargen Lohn arbeiten
lassen oder das Geld lieber im Schranke liegen lassen, als es den Armen zu geben.“
Was ist Freigebigkeit? „Gutherzige Menschen, die Arme beschenken,
und sie nicht so leiden lassen wie mich jetzt.“
Die Frage: Was versteht man unter einer Versammlung? kann er
nicht beantworten.
Was ist eine Vorstellung? Etwas wohin man schauen oder lernen geht“
Bei der Prüfung, ob er den Begriffen den richtigen Namen geben kann,
antwortet er folgenderweise:
Wie würden Sie einen Menschen nennen, der sich die Sachen anderer an¬
eignet? „Einen Dieb.“
Wie nennen Sie denjenigen, der einen anderen beschenkt? „Ebnen gutherzigen
Menschen.“
Was ist einer, der eine Frau liebt? „Ein guter Mensch.“
Manchmal findet er nicht den passenden Ausdruck. Während er auf die
Fragen, wo er sich befinde, in welchem Gebäude, richtig antwortet, entgegnet er
auf die Frage:
Gibt es noch andere Krankenanstalten? „Ja.“
Wie heißen sie? „Ambulanzen.“
Gibt es Anstalten, wo die Kranken im Bette liegen? „Ja.“
Wie heißen sie? (Er weiß es nicht.)
Heißen sie Spitäler? „Ja, die Spitäler.“
Waren Sie im Spital? „Ja.“
Warum? „Vor 4 Jahren, wegen meiner Krankheit; ich lag dort eine Woche
bewußtlos und konnte darin weder lesen nooh schreiben.“ (Erzählt dann seine
ganze Krankengeschichte.)
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War Ihre Mutter im Spital? „Ja.“
War sie krank? „Nein.“
Wae tat sie dort? „Sie arbeitete.“
Was arbeitete sie? (Gr weiß es nicht.)
War sie Krankenwärterin? „Ja, Krankenwärterin.“
Sein Bildungsgrad ist sehr gering und wird überdies durch den Mangel
seines Gedächtnisses in ungünstigem Sinne beeinflußt.
Wo leben Sie? „Zu Hause.“
In welcher Stadt? „In Triest.“
In welchem Reiche ist Triest? „In Österreich.“
Welches ist die Hauptstadt von Österreich? (Er weiß es nicht.)
Wie heißt der Kaiser von Österreich? „Joseph.“
Welches ist die Hauptstadt Italiens? „Rom.“
Wie heißt der König von Italien? „Humbert.“
In welchem Weltteil liegt Triest? (Er weiß es nicht.)
Wie heißen die Weltteile? (Er weiß es nicht.)
Prüfung des Lesens:
Er kann geschriebene und gedruckte Worte weder erkennen noch lesen;
ebensowenig die sie zusammensetzenden Buchstaben. Eine Ausnahme bildet nur
sein Vor* und Zunahme, was ihm jedoch auch manchmal unmöglich wird. Er
erkennt jedoch mehrere Buchstaben, doch nicht immer dieselben.
Er kennt die Buchstaben: a, f, i, n, o, r, p, v, z, t; heim b ist er unsicher;
das c spricht er ca aus, das d = da, das 1 = la. Das g spricht er go, gu, ga
aus, das h = che, das g = go, das s — se.
Die Zahl der ein Wort zusammensetzenden Buchstaben und Silben gibt er
genau an, wenn jedoch ein Wort länger ist, so irrt er manchmal. So sagt er
z. B., daß Konstantinopel 13 Buchstaben hat, und kann die Zahl der Silben nicht
angeben. Einzelne einfache Silben wie Ma, Pa, Ca liest er gut, aber mit einiger
Mühe; aber wenn er Mama lesen soll, so gelingt es ihm nicht, liest aber die erste
Silbe, wenn ich ihm die zweite bedecke; und umgekehrt. Das Wort kann er
also nioht lesen, und wenn ich ihn mit vieler Anstrengung die zwei Silben lesen
lasse, so versteht er den Sinn des Wortes nur, wenn er es öfters wiederholt, oder
besser, wenn ich es ihm wiederhole, augenEcheinlieh weil er dann die Gehörs¬
vorstellung- davon erhält; tatsächlich konnte er ein andermal, als ich ihm dasselbe
Wort lesen lassen wollte, es nicht mehr tun.
Dasselbe gilt von anderen Worten, z. B. Rose, Birne usw., deren Farbe und
Unterschied er ganz genau schildern konnte. Dreisilbige Worte kann er absolut
nicht lesen, wohl aber die sie zusammensetzenden Silben, und dies auch nur
dann, wenn keine Konsonanten Zusammenstößen.
Er liest die Zahlen gut und ziemlich gut die mehrstelligen. So entziffert
er die Zahl 565972 folgendermaßen: 5 Millionen 65 Tausend 972.
Er kennt die Begriffe von Tieren und Gegenständen, wenn ihm auch manch¬
mal nicht das Wort einfällt. So erklärt er z. B. Zündhölzchenschachtel: „Das,
was die Zündhölzchen enthält.“
Tintenfaß: „Das wo die Tinte ist.“
Bürste: „Dient zum reinigen.“
Berührt er den Gegenstand, so fällt ihm doch nicht der Name ein.
Prüfung des Schreibvermögens:
Während er alle Nummern spontan beim Diktieren oder abschreiben trifft,
kann er weder voä Belbst, noch unter Diktat ein Wort schreiben, ebensowenig
wie er Gedrucktes oder Geschriebenes kopieren kann. Dabei kann er doch die
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Worte mechanisch exakt and langsam nachmachen, als handelte es sich für ihn
am fremde Zeichen. Interessant ist dabei die Beobachtang, daß er beim Kopieren
des Wortes Doktor den Buchstaben r nicht wie ich ihm geschrieben hatte (“r„), sondern
so: „r“ kopierte, was sich auch bei anderen Worten wiederholte. Er kann von
mir punktierte Buchstaben genau nachpunktieren und dann aritmetische Operationen
ausfÖhren, wobei er aus dem Gedächtnis Additionen and Subtraktionen einfacher
Zahlen schreiben kann. Multiplizieren kann er answendig nicht. Schriftlich kann
er summieren, subtrahieren und multiplizieren, wenn auch etwas fehlerhaft; divi-
dieren kann er nicht: 48 + 28 = 76; 9 — 4 = 6;
aber 6 X 7 = 36 = 45; 8 X 9 = 81; 5 X 4 - 16 — 41.
Bei geschlossenen Augen kann er unter Diktat einzelne Buchstaben schreiben,
wobei er das r immer wie „r“ schreibt: er kann auch einzelne einfache Silben
Kreis Quadrat
wie „ma“ schreiben. Mama kann er aber nicht schreiben oder schreibt es so
getrennt: ma-ma.
Er kann auswendig auf plumpe Art geometrische Figuren (so hat ein Dreieck
anfangs eine unregelmäßige, komplizierte Figur), Gegenstände, z. B. ein Pferd,
zeichnen (Figg. 1 u. 2). Wenn er diese Dinge abzeichnet, so gelingen sie ihm
nicht besser.
Im allgemeinen kann man sagen, daß er die Buchstaben und Silben, die er
lesen kann, auch zu schreiben vermag, die anderen nicht, und dies nicht im all¬
gemeinen, sondern in jedem besonderen Fall, d. h. nur diejenigen, die er in dem
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betreffenden Moment lesen kann; denn einmal kann er einige Buchstaben und
Silben lesen, ein andermal andere.
Untersuchung durch Tastgefilhl und Einästhesis.
Mit metallenen Setzerbuchstaben setze ich das Wort amore (Liebe) Zusammen.
Wahrend er das Wort, selbst wenn er die einzelnen Buchstaben betastet, nicht
aussprechen kann,. kann er es ganz gut aus den wieder zerlegten Buchstaben zu*
sammenstellen. Bei der Aufforderung, das Wort Trieste zusammenzustellen, tut
er es auf folgende Weise: zuerst T r i e, dann te und fügt endlich, aufmerksam
gemacht, daß noch ein Buchstabe fehle, zuerst ein „r“, dann ein „t“ und endlich
das „s“ dazu.
Beim Wort „Papa“ setzt er zuerst ein „m“, dann das „p“, die anderen Buch*
staben richtig und liest, dazu aufgefordert: „Pa-pa“. Bei einem anderen aus vier
Buchstaben bestehenden Worte läßt er zuerst eins auB und gibt das fehlende erst
dazu, als er darauf aufmerksam gemacht wurde.
Ich ließ ihn nun die Augen schließen, ergreife seine Hand und zeichne mit
ihr ein „0“; auf die Frage, was dies sei, sagt er, „ein runder Buchstabe“; und
bei geöffneten Augen: „eine Null“. Ich schreibe nun in der Luft mit seiner
Hand das Wort „no“ (nein); er erkennt es. Doch als ich in derselben Weise
„ma“ schreibe, sagt er „va“, und erst auf eindringliches Fragen „ma“. Ebenso
erkennt er „ma ma“; schreibe ich jedoch mamma (mit zwei m), so kann er es
nicht mehr sagen.
Ich lasse ihn in der Luft eine Silbe „pa“ zeichnen: er sagt va, ra na und
erst als ich sie von ihm auf die Wand zeichnen lasse, sagt er: pa. Wiederhole
ich die Silbe, so sagt er richtig pa-pk, als ich ihm jedoch gleich darauf das Wort
Papi schreibe, und ihn enuche zu lesen, kann er es nicht mehr.
Er kann somit mit Hülfe des Tastgefühles und der Einästhesis einige ein*
fachen und gewöhnlichen zweisilbigen Worte erkennen und aussprechen; drei¬
silbige jedoch nicht.
Nach dieser Darstellung der Krankengeschichte und der Beobachtungen
am Patienten wollen wir dieses komplizierte Symptomenbild etwas in Ordnung
bringen.
Patient zeigt zwei Arten von Anfällen. Die einen, welche 3 Jahre nach
dem Trauma begannen, bieten das reine Bild der Epilepsie dar, mit Verlust
des Bewußtseins, Krämpfen, Schaum vor dem Munde, Zungenbissen, unfrei¬
willigen Harnentleerungen und Amnesie. Interessant ist dabei die Tatsache,
daß sie zum erstenmal nach einer Ergotininjektion einsetzten, wenn sie auch
eine gewisse Verwandtschaft mit solchen in seiner Kindheit aufgetretenen auf¬
weisen, während welcher Patient bewußtlos und von Starrkrämpfen befallen
wurde; die lange krampffreie Zwischenpause spricht nicht gegen den Zusammen¬
hang beider. Diese epileptischen Krämpfe haben jedoch nicht den JacKsoN’schen
Typus; er hat zwar anfangs ein Gefühl von Spannung, besonders in der rechten
Wange, doch nach eingetretenem Bewußtseinsverlust verallgemeinern sich bald
die Krämpfe und Konvulsionen; es besteht somit nicht die typische Beschrän¬
kung auf eine Muskelgruppe oder auf ein oder zwei Glieder, es besteht nicht
die typische Progression, und es fehlt die einige Zeit nachdauernde Parese.
Sicherlich leidet Patient außerdem noch an Anfällen, die nach ihrer Art
und Natur von den oben erwähnten verschieden sind. Sie bestehen in Angst-
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gefühl, Schnüren im Halse verbunden mit Erstickungsgefühl, außerordentlicher
Erregung, Todesangst, in Angst vor den Anfällen selbst, „sowohl vor den kleinen,
als auch vor den großen“. Rechnet man dazu noch die Herabsetzung und
die Verzögerung des Pharynxreflexes, die abnorme Weite des Gesichtsfeldes für
grün, außerdem noch die in der letzten Woche beobachtete Tatsache, daß nämlich ein
infolge leichter Pharyngitis aufgetretener Husten in Schreien ausartete, so wird
es wohl nicht als gewagt erscheinen, wenn man annimmt, daß diese zweiten
Aufalle den Charakter des Hysterischen haben, und daß Patient nicht nur
Epileptiker, sondern auch ein Hysteriker sei. — Eine andere Gruppe von
Phänomenen, die sich in leichter Vorwölbung der Augäpfel mit Parese der Kon¬
vergenzbewegungen , und in einem dicken Halse, ohne daß man jedoch eine
wahre Vergrößerung der Schilddrüse nachweisen kann, äußert, (über das Ver¬
halten des Pulses werde ich später berichten), könnte an eine Forme fruste
der BASEDOw’schen Krankheit erinnern. Doch sind die Erscheinungen wenig
ausgesprochen, es fehlen überdies die GnlFE’schen und STBLLWAG’schen
Phänomene, die Zitterbewegungen, die profusen Schweisse, die Durchfälle, und ich
halte es für plausibler, daß diese Phänomene, welche an einen rudimentären
Basedow erinnern, eher mit dem hohen Gaumen und angewachsenen Ohr¬
läppchen in Zusammenhang zu bringen und eher als angeborene Anomalien auf¬
zufassen sind als BASEDOw’sche Komplikationsphänomene der Hysterie.
Ebensowenig möchte ich sie in einen Zusammenhang mit den Nasenpolypen
setzen, obwohl auch solches behauptet wird. Nach diesen Erläuterungen unter¬
suchen wir die durch das Trauma ausgelösten Symptome.
Gleich nach dem Unfall trat Verlust des Bewußtseins ein, der eine Woche
lang anhielt und ein so schwerer Allgemeinzustand, daß die Ärzte schon die
Notwendigkeit einer Operation besprachen. Nach einer Woche kam Pat zu sich,
jedoch mit motorischer Aphasie, Alexie und Agrapbie. Die Motilität, Sensi¬
bilität, das Gehör und die Apperzeption der Worte sowie das Gesicht blieben
ungeschädigt
Wenn man die Verletzung, den Schmerz am Hinterhaupte, wo die Ver¬
letzung einsetzte, die Anfangssymptome, die später dazugekommen, auch die bis jetzt
noch bestehenden berücksichtigt, so scheint es natürlich, daß es sich um eine
organische Störung (Blutung oder traumatische Encephalitis) in der Gegend der
linken Fissura calcarina handle, womit die Alexie, in der BsocA’schen Win¬
dung, und die motorische Aphasie erklärt wäre, wobei die Agraphie eine
Folge der Alexie wäre, um so mehr als man allgemein der ersteren eine besondere
Lokalisation zuschreibt Es werden also zwei von einander getrennte geschädigte
Herde bestehen; nicht der Hinterhauptslappen, da Sehstörungen fehlen, nicht
die WebniCKE’ sche Windung, da die Worttaubheit fehlte, nicht die Gegenden
der Centralwindungen und des angrenzenden Parietallappens, da Schmerzen und
Astereognosie fehlten, nicht die Gegend des hinteren Stirnhims, da Apraxie
fehlte.
Doch nach einem Jahre verschwindet die Aphasie „sans mot“. Man könnte
meinen, es handelte sich um Wiedererziehung; doch wir wissen zu gut, wie ge-
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ring die Resultate der von Ärzten oder Lehrern unternommenen Wieder¬
erziehungsversuche bei organischen Aphasikern sind, um uns nieht zu wundern
über das von einem Willensstärken Laien erzielte glänzende Resultat Die
fließende, nicht paraphasische Sprache kann bei dem Patienten als normal an¬
gesehen werden. Bei der Prüfung zeigte sich wohl eine lachte Störung nicht
in der Aussprache, sondern im innern Mechanismus der Zusammenstellung der
Worte. So konnte er oft ein augefangenes, auch einfaches Wort nicht vollenden;
vor die Worte setzte er nicht immer den richtigen Artikel, denn für ihn gab
es nur einen Artikel „der“; und wenn er „die“ sagt, so setzt er immer auch den
Artikel „der“ voraus, z. B. der die Frau. Ich glaube, es bandelt ach dabei nicht
um eine Störung im Mechanismus der Sprache, sondern um einen torpiden Zu¬
stand seiner Intelligenz. So begriff er einmal die ihm gestellte Aufgabe nicht,
verwechselte die Aufforderung, einem Worte „Tier“ den Artikel vorzugeben: mit
dem Auftrag, eine Phrase daraus zu machen und sagte fortwährend: „0 welch
ein schönes Tier.“
Aus einzelnen angegebenen Worten bildet er m kindlicher Weise Phrasen;
er versteht den Sinn der Gegenstände und der Worte und erklärt deren Sinn,
auch wenn es sich um abstrakte Dinge handelt. Dabei gibt er nicht Defini¬
tionen, die für seine Intelligenz unmöglich sind, sondern wendet praktische
plastische Beispiele an. So verbindet er in einfacher Weise das Wort mit dem
Begriff und wenn er es nicht kann, so hängt es wahrscheinlich davon ab, daß
er sich nicht daran erinnert. So erinnert er sich z. B. an das Wort „Dieb“
und wendet es entsprechend richtig an, aber nicht an die Begriffe: „freigebig“,
„Liebhaber“, die den ihm gestellten Fragen entsprechen würden. So kann er
manchmal nicht das richtige Wort für Begriffe, die er kennt, finden, z. B.
Schachtel, Tintenfaß, Wärterin; so daß er manchmal selbst an einfache, an ihn
gestellte Fragen nicht antworten kann, wie schon früher nachgewiesen wurde.
Doch, mit Ausnahme einer gewissen Gedächtnisschwäche für einzelne
Worte, kann man nicht von eigentlicher Störung der Sprache reden; es bestehen
auch nicht agrammatische Störungen oder wie es die Franzosen sagen „style
negre avec les verbes ä l’infinitif“, seine Sätze sind wohlausgebildet. und
werden normal ausgesprochen.
Und nun frage ich, ist es möglich, daß eine Aphasie „sans mots“ innerhalb
eines Jahres fast ohne Spuren verschwindet, wenn sie die Folge einer organischen
Läsion gewesen ist? Oder ist es nicht logischer anzunehmen, daß es sich
um eine infolge eines Traumas eingetretene funktionelle Störung gehandelt
habe, ähnlich jener welche Chabcot die „Aphasie sans mot der Hysterischen“
genannt hat? Nach meiner Ansicht muß man ohne weiteres zur letzten Ansicht
neigen.
Und nun kommen wir zur Alezie, zu jener Funktionsstörung, welche
in der Unmöglichkeit zu lesen besteht, während der Patient ganz gut redet
und das gesprochene Wort versteht. Patient leidet an einer reinen, der so¬
genannten subkortikalen Alexie, welche in der Unmöglichkeit besteht, Worte,
d. h. gedruckte Buchstaben in ihrem Zusammenhang zu lesen, in der Un-
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mögliehkeit weiter, das Gelesene zu verstehen, obwohl das Sehvermögen ein gutes
und die Erkennung der Gegenstände eine vollkommene ist. (Monakow.)
Dabei handelt es sich nicht um Buchst&benalexie, denn er erkennt Buch¬
staben, ja sogar öfters auch Silben, doch zwei gleiche Silben, wie Ma-Ma
(das einfachste Beispiel eines Wortes), sind für ihn eben nur zwei Silben ohne
jeden Sinn.
Wenn er seinen Vor- und Zunamen sowie Zahlen lesen und einfache
aritmeti8che Operationen durchführen kann, so stört dies nickt das Bild der
Alexie, da man das häufig beobachtet; wenn man ihm jedoch, nachdem er
seinen Yor- und Zunamen Josef Vessel gelesen hatte z. B. nur das Wort Josef
schreibt, so gelingt es ihm außerordentlich schwer, es zu lesen, und wenn ich
ihm ein noch einfacheres Wort, z. B. Karl, zu lesen gebe, so gelingt es
ihm nicht.
Auch die Kinästhesis ist nicht imstande, das Bild des Wortes zu erwecken;
er erkennt z. B. so nicht gleich das Wort Papä, das ich ihn auf die Tafel
schreiben lasse, sondern er muß zuerst die zwei Silben Pä-Pä getrennt öfters
wiederholen, bis er schließlich sie verbindet und „Papä, acht ja, Papä u sagt; er
versteht somit das Wort nur dann, wenn er es laut ausspricht; nur mit Hilfe
der Gehörvorstellung und vielleicht der labioglosso-phonetischen Kinästhesis;
die Vermittlung durch das Auge, durch die Handkinästbesis und durch die Tast-
geföhle ist unterbrochen, wie es die Versuche mit dem Lesen metallener Lettern
bewiesen. Die Agraphie ist innig mit der Alexie verbunden: denn das, was er
nicht lesen kann, vermag er auch nicht zu schreiben, weder Buch¬
staben, noch Silben; was er lesen kann, kann er auch schreiben. Worte
kann er überhaupt nicht schreiben; dabei kann er, wie man es in vielen solchen
Fällen beobachtet, mechanisch nachschreiben; aber seine spontane Schrift oder
die unter Diktat geschriebene ist in der vorher beschriebenen Weise eingeschränkt
Daraus erhellt, wie innig der Zusammenhang zwischen Agraphie und Alexie ist,
so daß man annehmen muß, daß letztere auf die andere förmlich „calquäe“ ist;
er kann nicht schreiben, weil er nicht lesen kann.
Ich will hier nicht auf die Frage der Agraphie als selbständiger Affektion
eingehen und lasse ihr relatives Centrum, das von den meisten Autoren negiert
wird, sowie das Verhältnis des optico-verbalen Centums zu dem der Hand un¬
berührt, sondern will hier nur auf den innigen Zusammenhang zwischen Alexie
und Agraphie hiuweisen.
Ist die Alexie und die damit zusammenhängende Agraphie die Folge einer
organischen Läsion?
Bevor ich die genaue Anamnese kannte, wiesen mich die permanente
Ausfallserscheinung und die posttraumatische Epilepsie auf diese Vermutung;
als ich aber bei einer ersten Probe sah, daß er bei der mechanischen Wieder¬
gabe eines Wortes den Buchstaben r anders niederschrieb, als er gegeben war,
so sagte ich mir, dies könne wohl nicht reine mechanische Wiedergabe sein:
er wisse in seinem Unterbewußtsein, daß dies ein r sei und gebe es nach seiner
Art wieder; es fehle ihm daher nicht das Wissen, wie es bei einer Zerstörung
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Original fram
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eines Centrains der Fall sein müßte, sondern es müsse sich um eine Hemmung
handeln,. welche sein Unterbewnßtsein nicht zur Oberfläche gelangen lasse.
Doch als ich mich in den Gegenstand vertiefte, sah ich, daß selbst voll¬
kommenes Erkennen einzelner Buchstaben und Silben beim Unvermögen Worte zn
schreiben und bei erhaltener Möglichkeit einzelne Lettern und Zahlen zu schreiben
und Figuren zu zeichnen auch bei organischen Läsionen Vorkommen kann.
Beim ersten Anblick scheint die Verbindung der Epilepsie mit den Ausfalls¬
erscheinungen für eine organische Störung zu sprechen; ich habe aber nacb-
gewiesen, daß es sich um keine JACKBON’sche Epilepsie, sondern um eine wahre
Epilepsie handelt, welche, nachdem sie infolge eines Krampfes der kleinen Ar¬
terien aufgetreten ist, an die Anfälle in der Kindheit sich anschließt
Es Ist sicher, daß der überaus reizbare Zustand der Hirnrinde die Haupt-
Ursache der epileptischen Anfalle war; aber dieser Zustand ist eben allen Epi¬
leptikern eigen und es ist die Gelegenheitsursache, die den Krampfanfall aus-
löst Doch nicht einmal ein einseitiger oder noch beschränkterer Krampf hätte
genügt, um eine organische Läsion anzunehmen; denn ich habe einen ähnlichen
Fall vollkommen heilen sehen, wobei die später auftretenden Symptome die
Diagnose: Hysterie aufdrängten.
Damit der JAOKSON’sche Krampfanfall einer organischen Läsion entspreche,
muß eine Lähmung oder Parese nachfolgen, was eben bei unserem Patienten nie
der Fall war. Die Epilepsie hatte also hier nicht den pathognomonischen Charakter
einer Reizung der vorderen Central Windung infolge organischer Läsion dieses Cen¬
trums oder seiner Umgebung. Die Alexie könnte jedoch dafür sprechen, wenn nicht
die Hemianopsie fehlen würde. In der großen Mehrzahl der Fälle ist die Alexie
mit Hemianopsie verbunden, da die Läsion des Gyros angularis und seiner Um¬
gebung die darunter verlaufenden, vom Hinterhauptslappen und namentlich
vom Caneus kommenden Opticusfasem trifft. Allerdings braucht, wenn die
Alexie eine Folgeerscheinung einer Läsion der Supramarginalwindung ist, das
GnATiOLET’sche Bündel nicht mitgetroflen zu sein, ebenso kann diese Läsion
verstrichen und nun nicht mehr nachweisbar sein; daraus folgt, daß das
Fehlen der Hemianopsie für die Stellung der Differentialdiagnose nicht
genügt.
Bei organischen Läsionen besteht manchmal die Möglichkeit, einige Buch¬
staben, Silben, auch den eigenen Namen, sowie Zahlen zu schreiben, doch
v. Monakow betont in diesen Fällen die Unmöglichkeit, arithmetische Operationen
schriftlich durchzuführen, während unser Patient diese anzuführen imstande ist
Wenn wir nun alle diese Daten summieren, daß nämlich die motorische
Aphasie eine funktionelle war, daß jedes sichere Zeichen für die Annahme
einer organischen Läsion fehlt, wenn wir das Fehlen der Hemianopsie, das Ver¬
mögen arithmetische Operationen auszuführen berücksichtigen und bedenken,
daß Patient ein Hysteriker ist, muß man doch zugeben, daß höchstwahrschein¬
lich auch die Alexie funktioneller Natur ist
Daß sie noch andauert, hängt damit zusammen, daß Patient im Gegensatz
zur Sprache nicht die Notwendigkeit fühlte, das Lesen und Schreiben wieder zu er*
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S93
lernen; doch schon bei meinen in diesem Jahre unternommenen Versuchen
konnte ich bemerken, daß er im Lesen einzelner Silben und Worte, namentlich
der gedruckten, einen deutlichen Fortschritt gemacht hat und ich bin über*
zeugt, daß ein Lehrer bei etwas besserem Willen seinerseits und unter andern
Verhältnissen seiner Umgebung vieles erreichen könnte.
Es würde sich also mit größter Wahrscheinlichkeit um eine funktionelle
Störung in der Gegend der Fissura calcarina und um eine geheilte funktionelle
Läsion in der BnooA’schen Windung handeln, als Residuen einer ursprünglich
die gan^e Hirnrinde interessierenden funktionellen Störung, die sich anfänglich
in einem eine Woche andauernden Bewußtseinsverlust äußerte.
Einfacher jedoch gestaltet sich das Symptombild, wenn wir den Fall nicht
vom anatomischen, sondern vom physiologischen Standpunkt aus betrachten.
Wenn wir nach dem Effekt des Traumas forschen, so sehen wir es auf einen
teil weisen Verlust des verbomotorischen und des sich gegenseitig ergänzenden
▼erbooptischen und verbograpbischen Gedächtnisses reduziert
Das verbomotorische bzw. kinästhetische Gedächtnis kehrte mit der Übung
wieder zurück, die zwei letzteren fehlen noch aus Mangel an Übung. Patient
fährt noch immer fort, sich an die Bilder der gedruckten und geschriebenen
Worte nicht zu erinnern, er kann weder lesen noch schreiben. Es ist wahr,
daß viele Autoren annehmen, die Alexie sei nicht eine Folge des Verlustes der
Erinnerung der Worte, sondern der Begriffe; man nimmt nämlich an, daß
dabei diese verloren gehen; aber ich habe durch Experimente nachgewiesen, daß
Patient bei Erhaltensein der Wortbegriffe weder lesen noch schreiben kann:
er beschreibt ganz gut den Begriff „Kirsche“, kann aber dieses Wort weder
schreiben noch lesen; ich zeigte, daß er auch abstrakte Begriffe versteht und
sie in seiner Art erklärt Er hat also nicht den Begriff der Worte, sondern
das Gedächtnis derselben verloren.
Diese partielle optico-verbale Wortamnesie ist vielleicht ein Fragment jener
Amnesien, die man bei Hysterikern beobachtet, die Chabcot bei den „Aphasies
sans mot“ der Hysterischen, bei den Amnesien der Persönlichkeit beschreibt,
wobei sogar ein dödoublement de la personalitö auftritt.
Wenn wir zum Krankheitsbild im allgemeinen zurückkehren, so würde der
Verlust des Wortgedächtnisses vielleicht auch einen Teil jener Herabsetzung
des Gedächtnisses darstellen, wie man sie nach einem Trauma von der
Art, wie es der Patient erlitten hat, beobachtet, einen Teil nämlich jenes
Symptomenkomplexes, welcher mit dem Namen traumatische Neurose belegt
wurde.
Unser Patient bot und bietet nämlich noch immer sehr bemerkenswerte
diesbezügliche Symptome dar: Schmerzen am Hinterhaupt — am Ort des
Traumas, — am Kopfe, im Gesichte, Neigung zu Hypochondrie, die fort¬
währenden Gedanken an sein Übel, die gesteigerte Pulsfrequenz, der unruhige
Schlaf infolge schreckhafter Träume, die allgemeine Schwäche, eine so hoch*
gradige vasomotorische Reizbarkeit, daß eine Ergotininjektion schon genügt, um
einen epileptischen Anfall auszulösen. Die Symptome der traumatischen Neu-
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rose, der posttraumatischen Hysterie sind beinahe vollzählig vorhanden, sodaß
mau nach meiner Meinung, ohne den Dingen Gewalt anzutun, schließen hann,
daß Patient ein Hysteriker und Epileptiker ist, der nach einem
Unfall verschiedene Symptome der traumatischen Neurose darbot,
wobei die Alexie und Agraphie als Ausfallserscheinungen aufzu*
fassen sind, die als Residuen der ursprünglichen schweren psychi¬
schen Storung zurückgeblieben sind.
IL Referate.
Anatomie.
1) Die feine Struktur und eine neue F&rbungemethode des Gehirne der
Menschen und der Tiere, von Dr. W. Larionoff in Kiew. (Archiv für
Psych. u. Nervenkrankh. XLIIL 1907.) Ref.: G. Ilberg.
Die Methode, die Vert angewendet hat, besteht darin, daß er Hirnteile 3
bis 4 Tage in 10°/ 0 ige Formalinlösung, dann 4 bis 7 Tage im Thermostaten bei
27 bis 30 °C. in x / 2 , 1 bis 2 °/ 0 ige Lösung von Kali biehromicum und sodann
ebensolange im gleichwarmen Thermostaten in 3°/ 0 ige Argentum-nitricum-lösung
brachte. Das Objekt wurde dann abgetrocknet und trocken oder mit 70 bis
90°igem Spiritus geschnitten. Schnell wurde endlich Spiritus-Sandaraklack und
Xylolkanadabalsam daraufgegeben.
2) Beoherches sur les noyaux moteurs d'origine du nerf pneumogastrique
et sur les looaüsations dans oes noyaux, par Marinesco et Parhon.
(Journal de neurologie. 1907.) Bef.: Max Bielschowsky (Berlin).
Die Verff. teilen den dorsalen und den ventralen Kern des N. vagus in fol¬
gende Gruppen: Am dorsalen, am Boden der Bautengrube gelegenen Kern unter¬
scheiden sie zwei proximale (obere) Zellsäulen, welche vorn nebeneinander her¬
laufen und an ihrem hinteren Ende verschmelzen, sowie eine distale (untere)
Säule, welche gerade im Niveau der Erweiterung des Centralkanals zum Ventrikel
gelegen ist.
Den ventralen Kern (N. ambiguus) teilen sie in vier Unterabteilungen ein,
nämlich in eine Gruppe dicht stehender Zellen, welohe in der kontinuierlichen
Verlängerung des Fazialiskernes liegt, ferner in eine Gruppe von großen moto¬
rischen Zellen, welche in ziemlich weiten Abständen voneinander liegen und wenig
proximalwärts vom Niveau des Hypoglossuskernes ihre größte Entfaltung haben,
sowie zwei lateral von diesen beiden Gruppen befindliche Zellanhäufungen.
Durchschneidungen des Vagus an verschiedenen Stellen seines Verlaufes
brachten im Nissl-Bilde retrograde Zellveränderungen in den verschiedenen Gruppen
hervor, aus denen die Verff. weitgehende Schlüsse über ihre Funktion ziehen. Die
wichtigsten Resultate seien hier mitgeteilt.
1. Die Gruppe der dicht angeordneten Zellen (formation dense) des ventralen
Kernes ist in ihrem dorsomedialen Teile das Ursprungsgebiet für die zu den
Pharynxmuskeln hinziehenden Nervenfasern; der äußeren Partie derselben Gruppe
entspringen wahrscheinlich die motorischen Oesophagusfasern.
2. Die untere Gruppe derselben Formation ist als Kern für den M. crico-
thyreoideus aufzufassen.
3. Die Gruppe der in weiteren Abständen liegenden Zellen des ventralen
Kernes (formation lache) sendet ihre Fasern zur Larynxmuskulatur, soweit sie
vom N. recurrens innerviert wird.
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4. Die untere Gruppe des dorsalen Kernes ist das Ursprungsgebiet für die
zentrifugalen Fasern des Magens.
5. Eine sichere Angabe über die Funktion derjenigen Zellgruppen, welche
die beiden Hauptformationen des ventralen Kernes an ihrer lateralen Seite be¬
gleiten, läßt sich nicht machen. Dasselbe gilt für die beiden proximalen Gruppen
des dorsalen Kernes. Fest steht nur, daß die Fasern aller dieser Zellen bis zum
Thoraxteil des Vagus ziehen. Eine der beiden Anßensäulen am ventralen Kern,
und zwar die mehr kaudalwärts gelegene, sendet wohl motorische Fasern zum
Herzen. Die oberen dorsalen Zellgruppen stehen wahrscheinlich mit den glatten
Muskeln der Bronchien in Verbindung, und zwar durch Vermittlung eines sym¬
pathischen Ganglions, welches wie ein Beiais zwischen den Kern und das eigent¬
liche Innervationsobjekt eingeschaltet iah
Physiologie.
3) The maintenance of cerebral aotivlty ln mammals by artifleal olrou-
lation, by C. C. Guthrie, F. H. Pike and G.N.Stewart in Chicago. (Americ.
Journal of Physiology. XVII. 1906. Dez.) Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin).
Die Verff. stellen drei Versuche an:
1. Sie prüfen an einem Hund die Hirntätigkeit (Beflexprüfung), nachdem
sie das Blut durch Lockesche Lösung ersetzt haben und diese nun cirknlieren
lassen und ihr nachträglich von dem abgelassenen Blut wieder eine größere Menge
hinzufügen.
Ergebnis: Diese Lösung ist völlig ungeeignet die Hirntätigkeit zu unter¬
halten.
2. Ähnliche Prüfung mittels defibrinierten und mit Sauerstoff angereicherten
Blutes eines anderen Hundes.
Ergebnis: Es gelingt auf diese Weise, die Pupillenreflexe während neun
Minuten zu unterhalten.
3. Der Kopf eines Hundes wird durch Kanülen, die von den Karotiden und
Jugularvenen zu denen des anderen Hundes verlaufen, mit diesen verbunden und
dann völlig vom Bumpf getrennt, der Hautlappen über die Schnittstelle hinweg¬
genäht. Das Blut des einen Hundes, der in Äthernarkose gehalten wird, versorgt
also auch das Gehirn des abgeschnittenen Kopfes des anderen Hundes.
Ergebnis: Die Pupillenreflexe sind 27 Minuten lang auszulÖBen; der ab¬
geschnittene Kopf führt 19 Minuten lang Schluckbewegungen aus, wenn man ein
Stück Fleisch in den Bachen bringt.
Desgleichen werden von diesem Kopf, und zwar öfters synchron mit dem
anderen Hund, 30 Minuten lang Atembewegungen ausgeführt. Die Verff. wollen
diese Erscheinung nicht unbedingt für einen Beweis halten, daß es ein Atem¬
centrum gibt und dieses durch den Kohlensäuregehalt vielleicht gereizt wird,
sondern sie nehmen vorläufig nur ein zufälliges Zusammentreffen an.
4) Über Neurofibrillen und ohromatophile Substans, von Bachmanow.
(Obosren. psich. 1907. Nr. 3.) Bef.: Wilh. Stieda.
Verf. untersuchte Nervenzellen aus dem Bückenmark von Hunden, Katzen
und Kaninchen, zum Teil in normalem Zustande, zum Teil nach Vergiftung mit
Strychnin, nach Übererwärmung der Versuchstiere und nach Ausreißen peripherer
Nerven. Zur Untersuchung der chromatophilen Substanz wurden die Schnitte
mit Toluidinblau gefärbt, zur Untersuchung der Neurofibrillen mit einer 5°/ 0 igen
Argentum nitricum-Lösung. Näheres über die Färbung s. d. Centr. 1907. S. 188.
Auf Grund seiner Präparate kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
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Die chromatophile Substanz und die Neurofibrillen in den Nervenzellen stehen
in unmittelbarer Abhängigkeit voneinander.
Beide Substanzen sind plastisch und verändern leicht ihre Form und Lage.
Größe, Form und Lage der Schollen der chromatophilen Substanz entsprechen
vollkommen der Ausbreitung des Neurofibrillennetzes. Das rührt davon her, daß
die Körner der chromatophilen Substanz an den Fibrillen angelagert Rind.
Bei Anhäufung der chromatophilen Substanz zu kompakten Massen und
Quellung derselben wird das Fibrillennetz auseinandergedrängt und bildet Fibrillen*
stränge und weitmaschige Netze.
In Zellen, wo die chromatophile Substanz zerfällt oder verschwindet, sowie
in Zellteilen, die gar keine chromatophile Substanz enthalten, sind die Fibrillen¬
netze gleichmäßig und regelmäßig angeordnet.
Das Neurofibrillennetz zerfällt, wenn der Kern zugrunde geht und die Zelle
stirbt.
5) Über den Einfluß farbiger Beleuchtung auf den Blutdruck beim Menschen,
von J. Spirtow. (Obosrenije psich. 1906. Nr. 6.) Ref.: Wilh. Stieda.
Verf. untersuchte den Blutdruck beim Menschen unter dem Einfluß farbiger
Beleuchtung, indem er zu dem Zweck die Versuchspersonen auf eine Stunde in
einen Raum setzte, in den das Licht durch farbige Fensterscheiben bineinfiel.
Zu Kontrollversuchen diente gewöhnliches Tageslicht, halbverdunkeltes Tageslicht
und vollkommene Dunkelheit (im landläufigen Sinne).
Auf Grund von 56 Versuchen, die an 3 Personen angestellt waren, kommt
Verf. zu folgenden Resultaten:
1. Unter dem Einfluß des roten und grünen Lichtes fällt der Blutdruck
konstant und progressiv, während er unter dem Einfluß des blauen LichteB steigt
und erst nach einer gewissen Zeit zu fallen beginnt, jedoch nie so tiefstehende
Zahlen erreicht, wie bei rotem und grünem Licht.
2. Nach vorherigem Aufenthalt in der Dunkelheit wird die Tendenz des
Blutdruckes, unter dem Einfluß des farbigen Lichtes zu fallen (bei blauem Licht
nach der anfänglichen Steigerung), verringert. Vor allem wird die Zeit, die er¬
forderlich ist, das Minimum des Blutdruckes zu erreichen, größer.
3. Das monotone untätige Sitzen im Laufe einer ganzen Stunde, wie es bei
diesen Versuchen erforderlich ist, ergibt auch bei gewöhnlichem, wie auch bei
leicht verdunkeltem einfachem Tageslicht eine Erniedrigung des Blutdruckes, je¬
doch nicht in dem Maße, wie bei farbiger Beleuchtung. Nach Aufenthalt im
Dunkeln gibt das schwach verdunkelte Licht im Anfang eine gewisse Steigerung
des Blutdruckes und später ein geringes Fallen desselben.
4. Unterwirft man die Versuchsperson nacheinander der Beleuchtung mit
verschiedenem Licht, so scheinen die verschiedenen Lichtarten ihren charakte¬
ristischen Einfluß auf den Blutdruck auch unter diesen Bedingungen zu behalten.
Aus den Darlegungen des Verf.’s ist zu ersehen, daß seine Versuche durch¬
aus nicht ganz einwandfrei sind. Abgesehen von den event. Fehlern der Methode
der Blutdruckmessung (Gärtners Tonometer) ist doch zu bedenken, ob solche
Versuche, die mit nicht monochromatischem Licht angestellt werden, einen Wert
haben. Auch haben ja die Kontrollversuche mit verdunkeltem Licht gezeigt, daß
der Helligkeitsgrad an und für sich schon eine Bedeutung hat.
6) Gehirn und Kultur, von Georg Buschan. (Grenzfragen des Nerven- und
Seelenlebens. Heft 44.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg).
Verf. kommt auf Grund einer großen statistischen und kritischen Arbeit über
die Beziehungen des Gehirns zu den geistigen Fähigkeiten zu folgenden besonders
hervorzuhebenden Ergebnissen:
Körpergröße und Konstitution beeinflussen im allgemeinen nur wenig, hohes
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Alter schon bedeutend mehr, und Geschlecht am meisten die Schwere des mensch¬
lichen Gehirne.
Völker, welche anf besondere niederer Kulturstufe stehen, besitzen einen un¬
gleich kleineren Schädftlbinnenpaum als die moderne^ Kulturvölker.
Entsprechen«} der Zunahme seines Hirnvolumens weist der Kultormanseh, je
gebildeter er ist, einen um so größeren Schädelbinnenraum auf.
Je größer der Schädelbinnenraum, bzw. der Horizontalumfang, desto größer
ist das pirnvolumen nnd die im allgemeinen von diesem abhängige Intelligenz.
Die Besse spielt bei dem Auftreten schwererer Gehirne keine Bolle, vielmehr
ist die Annahme am Nächstliegenden, daß stärkere Inanspruchnahme des Qehifns
eine Vermehrung seiner spezifischen Elemente zur Folge hat.
Der Metopismus, d. h. das .^.uftretpp einer persistierendeh Stirnpaht hängt
mit der stärkeren Ausbildung des Gehirns zusammen und ist im allgemeinen das
Zeichen geistiger Superiorität.
Verfi glaubt an die Möglichkeit einer Vererhung des durch Übung an Yolumen
vermehrten Gehirns.
Die zunehmende pultur vermehrt das pimvolumen durch Beizung der
geistigen Fähigkeiten des Menschen. Auf der anderen Seite macht aber die tLbpr-
handnehmende Kultur das Gehirn leichter invalide und empfängliche? für eine
krankhafte Beaktiqn auf es bestürmende Beize.
Anscheinend macht sich dieser Nachteil iq höherem Maße bei Völkern be¬
merkbar, die plötzlich der Segnungen der Kultur teilhaftig werden, ohne vorher
die verschiedenen Stufen der Zivilisation langsam erklommen zu haben.
Psychologie.
7) psyohlo and eoonomio results of man’s physioal uprlghtness, by F.
W. Heinemann. (Pasadena, Cal. U. S.A. I90ß.) Bef.: Bratz (Wuhlgarten).
Im Kampf ums Dasein war der Urmensch nach Verf schlechter mit psychi¬
schen Eigenschaften ausgerüstet als die meisten Tiere. Er bat nicht mächtige
Angriffs: und Verteidigungsmittel wie Hörner, scharfe Hque?, Klauen usw. Er
hat nicht solchen Schutz gegen Wind und Wetter wie Pelz, Federkleid usw. fSr
ist nicht durch Anpassung seiner Farben an die Umgebung geschützt, aber in¬
folge seiner nackteq Haut ein besonders anreizender Bissen für Baubtiere. Durch
die verhältnismäßige Kleinheit seines Intestinaltraktus ist der Mensch gezwungen,
häufiger Nahrung zu suchen und sich dadurch in Gefahr zu begeben. Endlich
liegt eine Schwäche in seinem Fortpflanzungsgeschäft: Der Mensch bringt im
allgemeinen nur ein Junges zur Welt. Die Gravidität dauert länger als bei den
meisten Tieren. Durch die Änderung der Lage des Beckens und des Uterus,
welche durch den aufrechten Gang eingetreten ist, ist die Schwangerschaft und
besonders das Geburtsgeschäft wesentlich gefahrvoller geworden.
Bei so viel schlechteren Chancen hätten unsere Voreltern aussterben müssen,
wenn nioht zum Ausgleich schon in den ersten Stadien, als der aufrechte Gang
eintrat, auch die höhere Intelligenz vorhanden gewesen wäre. Nur diejenigen
Urmenschen, welche eine gesteigerte Intelligenz besaßen, konnten in dem schwierigen
Kampf ums Dasein bis ins geschlechtsreife Alter gelangen und so wurden nur
die intelligenteren fortgezüchtet. Die größere Mannigfaltigkeit ferner der Be¬
wegungen, die der Mensch vor den Tieren vorauB hat, befähigt ihn zu einer
wachsenden Übung seiner Gesamtführung im Kampf ums Dasein, wobei wieder
die größere Intelligenz sich betätigen und die betreffenden Individuen eher über¬
leben lassen wird.
In gleichem Sinne hat die bessere Tastempfindung der Hände gewirkt, welche
nicht gleichzeitig in grober Weise als Gehwerkzeuge benutzt wurden. So aus-
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gerüstet konnten wenigstens die gewandtesten, kräftigsten Urmenschen in dem
schweren Kampf mit den damals viel zahlreicheren und gewaltigeren Säugetier*
typen den Kampf um Nahrung, Wasser, Schutzplätze mit Aufbietung aller physi¬
schen Kräfte bestehen und überleben. Für die schwangeren Frauen allerdings,
die am Laufen und anderen raschen Bewegungen verhindert waren, gab es nur
eine Bettung: sich zu verstecken.
Verf. legt dar, daß in dieser ersten Periode des Urmenschen, wo er den
Gebrauch von Waffen, von Keulen und Wurfgeschossen noch nicht kannte, die
weiblichen Individuen während der Schwangerschaft von den männlichen Gefährten
ihre Nahrung in das Versteck gebracht bekamen. Die Urmenschen lebten, um
den Angriffen der Baubtiere zu entgehen und leichter Nahrung zu finden, zerstreut,
meist vereinzelt oder durch den Geschlechtstrieb vereint zu zweien. Wenn bei
einem solchen Paare, das mit der gegenseitigen Fähigkeit Wasser, Nahrung usw.
zu finden vertraut war, der Mann merkte, daß bei dem Weibe in dem letzten
Monat der Schwangerschaft die Kraft in dem Kampfe ums Dasein abnahm, so
wird im gleichen Verhältnis der Mann für sie seine Anstrengungen vergrößert
haben. Zuletzt wird das Weib in dem gemeinschaftlichen Versteck zurückgeblieben
sein, der Mann die Nahrung dorthin gebracht haben. Nur diejenigen Kinder
blieben am Leben, wo der Mann Neigung und Kraft besaß, während der ersten
Jugendzeit die Sorge für die Ernährung usw. zu übernehmen, so daß gerade
diese fürsorgerische Veranlagung wieder sich forterbte. Danach ist die monogame
Ehe und die Familie eine primitive, durch den aufrechten Gang des Urmenschen
begründete Institution, welche der späteren Vereinigung der Menschen zu
Stämmen lange vorausgeht. Besonders kriegerische Zeiten, welche die männliche,
geschlechtsreife Jugend dezimierten, mögen hier und da die spätere Entwicklung
polygamer Sitten begünstigt haben.
Von Anbeginn der Menschheit ist also die Differenz im Denken und Fühlen
angelegt zwischen Mann und Weib, welche im Zusammenleben erst den Höhe*
punkt des Lebens erreichen.
Bäuberische Einfälle vereinzelter Männer in die Schlupfwinkel anderer
Familien führten in einer späteren Periode zu Kämpfen, zur Ausbildung von
Stämmen, zur Teilung der Menschen in herrschende und die beherrschte, produ¬
zierende Masse. Verf. sieht diese Entwicklung als eine unerwünschte Gliederung
der menschlichen Gesellschaft an und hofft auf eine Periode allgemeinen Friedens,
freiwilligen Zusammenwirkens aller in bezug auf die Produktion, die Verteilung
und Verwaltung menschlicher Güter.
Pathologische Anatomie.
8) On the relatlon between loss of funotion and struotural ohange in
fooal lesiona of the nervoua System with speolal referenoe to seoon-
dary degeneration, by Gordon Holmes. (Brain. CXVI. 1906.) Bef.: Bruns.
Verf. hat in 3 Fällen von Kompression des Bückenmarkes und einem von
Ponsläsion trotz ausgedehnter und schwerer Lähmungen sekundäre Degenerationen
vermißt. Dabei fanden sich im erkrankten Herd selber die Markscheiden zerfallen,
aber die Achsencylinder erhalten. Auf der Erhaltung der Achsencylinder beruht
also wohl das Fehlen sekundärer Degenerationen, während der Markscheidenzerfall
allein schon genügen kann, um die Leitung aufzuheben. (Immer genügt er dazu
nicht, wie die Erfahrungen bei multipler Sklerose und z. B. bei Gliomen des
Centralnervensystemes zeigen; Bef.)
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Ö99 —
Pathologie des Nervensystems.
®) Fortschritte in der Diagnostik der Nervenkrankheiten, von L. W. Weber.
(Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 33 u. 34.) Bef.: Kurt Mendel.
Verf. zeigt, wie die soziale Gesetzgebung, insbesondere die Unfallheilkunde,
die Neurologie aus dem Rahmen eines engen Spezialfaches herausgehoben und sie
mehr zum Allgemeingut gemacht hat, und wie dann experimentelle Untersuchungen
und theoretische Aufstellungen über die Funktion und den Stoffwechsel im Nerven*
eystem (Verworn, Goldscheider, Weigert, Edinger u. a.) neue Gesichts¬
punkte in die neurologische Diagnostik getragen haben.
Verf. führt alsdann aus, wie zwischen den organischen und funktionellen
Nervenkrankheiten nur ein quantitativer Unterschied besteht, wie aber dennoch
die klinische Praxis diese Begriffsscheidung nicht entbehren kann. Ebenso wird
man für die praktischen Bedürfnisse der klinischen Diagnostik an der Anschauung,
daß die Neurone, d. h. Nervenzelle mit zugehöriger Nervenfaser und Endapparat,
trophische funktionelle Einheiten bilden, die für sich relativ selbständig, unter*
■einander in einer gesetzmäßigen Verbindung stehen, auch dann noch festhalten
müssen, wenn man die Neuronenlehre zugunsten der Kontinuitätslehre hat auf*
geben müssen.
Nach diesem allgemeinen Teile geht Verf. in seiner Besprechung zu der
speziellen Diagnostik der Symptome, zur Lokaldiagnostik und zur Diagnostik der
Krankheitsbilder über.
10) Gutachten über den Zusammenhang zwischen Gasvergiftung und
Geisteskrankheit, von Petersen-BorsteL (Vierteljahrsschr. f. ger. Med.
u. offentl. Sanität«w. 1906.) Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin).
Es bandelt sich um einen 17jährigen jungen Mann, der vorher geistig ge¬
sund war, eine Kohlenoxydvergiftung erleidet und am anderen Tag in Delirien
verfällt. Eb entwickelt sich danach rasch das ausgeprägte Bild einer Manie.
Verf. vertritt in seinem Gutachten mit aller Bestimmtheit seine Ansicht, daß die
Gasvergiftung als unmittelbare Ursache für die Entstehung der Geisteskrankheit
betrachtet werden muß.
11) Bleil&hmung, von Prof. E.Remak. (Eulenburgs Beal-Encyklopädie der
gas. Heilkunde. 4. AufL Berlin und Wien 1907, Urban & Schwarzenberg.)
Bef.: Kurt Mendel.
Die Ätiologie der Bleilähmung wird durch jede längere Zeit fortgesetzte
Einführung eines Bleipräparates, selbst in kleinster Dosis, gegeben. Die Em¬
pfänglichkeit der einzelnen Individuen ist sehr verschieden. Im Durchschnitt
setzten bei Verf.’s Patienten die Lähmungserscheinungen erst nach 14jähr. Arbeit
«in. Schlechte Ventilation der Arbeitsräume, Unreinlichkeit, Alkoholabusus be¬
günstigen den Eintritt der Bleilähmung.
Bezüglich der Stellung der Bleilähmung zu den übrigen Bleikrankheiten er¬
gibt die Statistik, daß erstere der Häufigkeit nach an dritter Stelle steht.
Die Bleilähmung ist zumeist partiell, selten generalisiert. Die partielle Form
zeigt sich am häufigsten an den Oberextremitäten, meist bilateral (N. radialis), an
den Beinen meist im Peronealgebiet.
Nach näherer Beschreibung der speziellen Lokalisation der Bleilähmung, so¬
wie des elektrischen Verhaltens, der Atrophie, der Sensibilität (dieselbe bleibt
meist intakt) und der Reflexerregbarkeit geht Verf. zu den generalisierten Blei¬
lähmungen über. Als solche bezeichnet man gewöhnlich im Anschluß an andere
schwere Bleikrankheit, zuweilen auch unter hohem Fieber und meist mit Schmerzen
auftretende, über sämtliche Extremitäten verbreitete motorische Lähmungen mit
rapide sich entwickelnder amyotrophischer Degeneration der schwerer affizierten
Muskeln.
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Schließlich werden abgehandelt Diagnose (meist leicht zu stellen!), Verlanf
und Prognose (langwierig, aber heilbar bei Vermeidung der toxischen Schädlich*
keit), pathologische Anatomie (Myositis, degenerative Neuritis an den peripheri*
sehen Nerven, zuweilen Veränderungen an den vorderen Rückenmarkswurseln,
manchmal Veränderungen in den Vorderhörnern), Pathogenese (entweder primäre
degenerative Neuritis oder sekundär durch spinale Veränderungen induziert),
Prophylaxe und Therapie (Enthaltung von Bleiarbeit, Buhe, Dampf*, Schwefel¬
bäder, bydriatisches Verfahren, Jodkäli, Strychnin, Elektrotherapie [am besten
stabile und vorsichtig labile Applikation mittelstarker galvanischer Ströme auf
die affizierten Nerven* und Muskelgebiete]).
12) Bin Fall von Veronalvergiftung, von Zörnlaib. (Wiener med. Wochen¬
schrift. 1906. S. 2454.) Bef: Pilcz (Wien).
54jähr. Mann nahm in selbstmörderischer Absicht etwa 8,0 bis 10,0 Veronal
(genauere Dosis nicht eruierbar). Bei der ärztlichen Untersuchung (2l/ 2 Stunden
nach Einnahme des Mittels) Bewußtlosigkeit, Cyanose, Kornealreflexe erloschen,
Pupillen mittelweit, träge Lichtreaktion.
' Trotz Magenausspülungen, Excitantien usw. Exitus 24 Stunden später. Kein
Obduktionsbefund.
Anhangsweise berichtet Verf. über einen Doppelselbstmordversuch durch
Veronal. Die Dosis betrug hier je 6,0 (!) Veronal. Das 26jähe. Mädchen starb
3 Tage nach der Vergiftung, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben (der
Fall wird demnächst ausführlich publiziert), der Mann, der bald nach der Ein¬
nahme des Mittels erbrochen hatte, kam mit dem Leben davon (vgL des folgende
Beferat).
18) Über akute VeronalvergUtuug mit letalem Ausgange, von Schneider.
(Prager med. Wochenschr. 1907. S. 17.) Bef: Pilcz (Wien).
45jährige Frau nahm in selbstmörderischer Absicht 11g Veronal auf einmal*
Sofort tiefer Schlaf, bald darauf Klooismen in den Extremitäten. 3 Stunden
später: Pupillen miotisch, Kiefer aufeinandergepreßt, vollständige Areflexie. Nach
24 Stunden Cyanose, nach 33 Stunden Fieber, profuser Schweißausbruch, nach
39 Stunden Puls klein, Cheyne-Stoke. Exitus 46 Standen nach der Einnahme
des Mittels. Obduktion ergeh (neben alter, ^becknlose) Lungenödem, Ödem und
Hyperämie der Meningen.
Recht interessant sind die Harnanalysen. Vier (stets mittels Katheters ge¬
wonnene). Proben ergehen Oligurie, hochgradige Herabsetzung der N-Auescheidung.
Im Ham ließ sieb Veronal als solches nach weisen. Im Blute konnte Harnstoff
nicht gefunden werdep.
Verf! erblicht in dar Herabsetzung der N-Ausscheidung ein wesentliche^.
Symptom der ahnten Veronal Vergiftung, und bemerkt in seinen Schlußfolgerungen
u. a., daß in der Behandlung von Nierenkranken, wobei die. Gefahr eines Copia
uraemicum ins Auge gefaßt werden muß, das Veronal koptraindiziert ppi.
Bef. möchte dazu noch bemerken, daß der vorliegenden Mitteilung um so
höhere praktische Bedeutung zukommt, als nach Tierversuchen, welche unter der
Leitung des Ref. ü,ber Veronai angestellt wurden (vgl. Arbeite^ von Itaschko^r,
Wiener klin. Rundschau. XVII. Nr. 41), die Dosis letalis viel höher bewertet
werden durfte.
14) Ein FpU von Verpn^lvargiftung, von E. Nienhaus. (Koirespopctauz-Blatt
f. Schweizer Ärztp. 1907. N r * 11) Bejf.: Kurt ktendel.
Eine Frau nahm in, selbstmörderischer Absicht 4 g Veronal auf einppak
Darauf Bewußtlosigkeit, Cyanose, dann rpbiger Schlaf, prompte Lichtrp.aktiop der
Eopiiien, Puls 80. in der folgenden Nacht plötzlich starke Unruhe und lautes
Scbrpiep. Die app nächsten Vormittag gelassenen 100 ccm Urin enthalten 0,1 g
Veronal. In den nächsten Tagen viel Schlaf, zeitweise Unruhe und Verwirrtheit
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Kopfschmerz, Doppeltsehen, Erbrechen, taumelnder Gang. Die Rekonvalescenz
dauerte 10 Tage, was bei der relativen kleinen Dosis von 4 g auffällig erscheint.
Der gähze Symptotaehkomplex hat Viel Verwandtes mit einem urämischen Zustand.
Therapie der VerönalVergiftung: Magenausspülung mit Tannitilösungeh, Exci-
tAntien, Koffein, Kampher, Kaffee, Injektionen von physiologischer KbchSälZlöShhg,
Darmeinläüfe.
Verf. verlangt, daß auf gesetzlichem Wege dafür gesorgt Wird, daß das
Veronal aus dem Handverkauf verschwindet und nur noch auf ärztliche Verordnung
abgegeben wird.
iß) Bin Fall vbn Verottalvörglftung, von Dr. Popp. (Thetiap. Monatsh. 1907.
MärZ.) Ref.: H. Haenel (Dresden).
Vbrf. nahin wegen eines mit mehrtägiger Schlaflosigkeit verbundenen Un¬
wohlseins innerhalb 8 Stunden 2mal 0,75 Veronäl. Beim Erwachen nach llstün-
digem Schlafe zeigte sich ein hochgestellter, reichlich Eiweiß, rote Blutkörperchen
Und vereinzelte gekörnte Cylinder enthaltender Urin, dazu ein außerordentlich
starkes Schwindelgefühl wie bei cerebellarer AtAxib Und Neigung zu Propulsion.
Ith übrigen Wohlbefinden. Der Zustand bestand in vermindertem Grade noch
am 3. Tage nach der Verönäleinnahihe fori. Eine Spezielle Ursabhe für diese
hbnörme Wirkung einer relativ geringen Dosis War nicht auffindbar.
18) Ojpluih, morphlne et oocalne. Intoxlcatlon algue par 1'oplum. Man-
geürsetfutaeurs d’opium. Morphinomanes et oooalnomanös, parP.Brou-
ardel. (Paris 1905, J. B. Bailliere et fils. 156 S.) Ref.: E. Müller (Breslau).
In dem ersten Abschnitt beschäftigt Bich der Verf. mit der akuten Opium¬
vergiftung. Er bespricht genau die einzelnen in diesem Medikament enthaltenen
Alkaloide, ihre Wirkungsweise, die Art ihrer Aufnahme in den Körper und ihre
Ausscheidung, die gebräuchlichen pharmazeutischen Präparate, die Symptomato¬
logie der Vergiftung usw.
Im zweiten Teil befaßt er sich mit den Morphinisten} Sowie mit den Opium¬
essern und Rauchern. Es werden hier auch die Ursachen des Morphinismus, die
strafrechtliche Verantwortlichkeit der Kranken, Bowie die Methoden, Wie sich die
Patienten das Mittel verschaffen, erörtert.
Der dritte Teil ist der Kokainibtoxikation gewidmet, wobei die einzelnen
Zufuhrwege (Magen, Rektum, Schleimhäute usw.) besonders berücksichtigt sind.
Aus dem Buche, das Sich gut zur Orientierung über die genannten Gebiete
eignet, soll folgendes hervorgehoben werden:
Bei der Behandlung der akuten Opiumvergiftung werden neben Magenspülungen
medikamentöse Darmentleerungen empfohlen. Dem Laxahs Soll man ein Jod¬
präparat, etWas Gerbsäure, essigsaures Natron oder ein kohlenSaures Salz zufügen,
Weil dadurch die Fällung deä Morphins begünstigt Wird. Außerdem soll man
den Krankeil am Schlafen Verhindern (Hinweis, daß man in England die Kranken
zum Gehen zwingt, selbst wenn man sie fortwährend führen muß). Endlich sind
Reizmittel wie Kaffee, Thee, Koffein aüzuwenden, sowie bei Synkope eVent. lange
Zeit künstliche Atmung, die gelegentlich 10 bis 12 Stunden lind noch länger
fortgesetzt Werden muß. Auch Sauerstoffeinatmungen können versucht Werden.
Mit Atropin soll man vorsichtig sein, zumal über die alB Gegengift zu reichende
Dosis noch Unklarheit herrscht und eine sehr verschiedene individuelle Empfind¬
lichkeit besteht.
Am häufigsten verschaffen sich die Morphiumsüchtigen (namentlich anfäng¬
lich) die Medizin mit Hilfe der vom Arzte ausgeschriebenen Rezepte. Verf. rät
seinen Studenten, zur Vermeidung von Fälschungen auf den Rezepten die Morphium¬
dosis nicht nur in Zahlen, sondern auch in Buchstaben auszudrücken und stets
oberhalb der Unterschrift hinzuzusetzen: „Nicht zu erneuern!“
Oft sind skrupellose Apotheker die Lieferanten der Morphinisten. Über
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einige einschlägige Fälle von gerichtlicher Bestrafung solcher Apotheker wird
kurz berichtet.
Nicht selten sind die Ärzte dadurch mitschuldig, daß sie ihre Unterschrift
unleserlich schreiben und dadurch Fälschungen begünstigen. Oft gebrauchen die
Morphiumsüchtigen die List, nachts eilig den Apotheker zu wecken und ein fast
unleserlich unterzeichnetes, schleunigst für einen Notfall anzufertigendes Bezept
vorzuzeigen, das der Apotheker dann gar nicht oder nur flüchtig auf Echtheit
prüft.
Vielfach verschaffen sich die Morphinisten das Gift aus ausländischen Fabriken,
deren Vertreter oder Adressen sie durch „Konnexionen“ mit anderen Kranken
kennen lernen. Bei dem Versuch einer Morphiumentwöhnung wird oft der Fehler
gemacht, daß die Familie sich mit dem Apotheker in Verbindung setzt und ihn
zur heimlichen allmählichen Verringerung der Dosis auffordert. , Merkt dies der
Kranke aber, so wechselt er fast immer den Lieferanten. Das geheime Ein*
Verständnis des Arztes mit dem Apotheker kann auch aus anderen Gründen be¬
denklich sein. Ein Arzt schrieb z. B. ein Morphiumrezept mit der Angabe, daß
es erneuert werden könne, bat aber heimlich den Apotheker, die Dosis bei gleichem
Bezept allmählich zu verringern. Als der des Morphiums tatsächlich fast ganz
entwöhnte Kranke vergessen hatte, sich die Morphiumlösung bei dem genannten
Apotheker zu holen, ging er mit seinem alten Bezept in der Eile zu einem
anderen, nicht eingeweihten Apotheker. Dieser gab ihm die volle Dosis; nach
kurzer Zeit erlag der Kranke einer akuten Morphiumvergiftung. Eine richtige
häusliche Behandlung ist bei Morphinisten geradezu unmöglich. Man muß die
Kranken isolieren und man darf ihnen vor allem kein Geld geben. Im Kranken¬
haus bzw. Sanatorium empfiehlt sich die plötzliche Entziehung höchstens für ge¬
wisse Ausnahmefälle (robuste Konstitutionen, vollkommen normale innere Organe,
geringe Dosen). Verf. widerrät diese „brutale“ und gelegentlich sehr gefährliche
Methode (sogar tötliche Kollapse) und fordert eine langsame Entziehung. Dauer
der Behandlung 6 Wochen bis 2 Monate. Bei Schlaflosigkeit gibt er Opium-
pillen; Bettruhe ist zu empfehlen.
17) Psyolilsohe Störungen bei MorphinmabetinenB, von Dr. M. Sachar-
tschenko und Priv.-Doz. S. Souchanoff. (Korsak. Journ. f. Neur. u. Psych.
1906.) Bef.: Krön (Moskau).
Auf Grund von vier eigenen Beobachtungen und Literaturstudien kommen
die Verff. zu folgenden Schlüssen: Bei der Morphiumabstinenz werden, in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle, verschiedenartige psychische Symptome be¬
obachtet: Ermüdung, Schlaffheit, Niedergeschlagenheit, AngBtzustände, Selbstmord¬
gedanken. Die sekretorischen Verrichtungen erfahren eine Steigerung (Husten,
Niesen, Durchfälle). Die Kranken klagen oft über Schmerzen am ganzen Körper.
Impulsive Handlungen solcher Kranker weisen auf ein kongenital oder erworben
labiles Nervensystem hin.
Bei der plötzlichen Entziehung des Morphiums kommen vorübergehend Delirien
vor mit Gesiohts-, Gehörs- und Gemeingefühlshalluzinationen.
18) Zur Kenntnis der Psyehosen der Morphiumabstinenz, von CKotzen
(Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIII.) Bef.: Zingerle (Graz).
In der Morphiumabstinenz entwickeln sich mannigfache Geistesstörungen, die
häufig durch die Erscheinungen einer psychopathischen Veranlagung oder durcb
konkurrierende Giftwirkungen (Alkohol, Chloral) modifiziert werden.
In 2 Fällen, die Verf. mitteilt, kam die Erkrankung unter dem klinischen
Bilde der Amentia zum Ausdrucke und ergibt sich ihm nach kritischer Sichtung
der vorhandenen Literatur, daß viele der als Delirium tremens der Morphinisten
beschriebenen Fälle keine spezifischen Merkmale als Morphinabstinenzpsychosen
besitzen, also nicht in Analogie mit dem Alkoholdelir gesetzt werden dürfen. Sie
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tragen das Gepräge der Erschöpfungspsychosen und sind der Amentiagruppe zn-
zurechnen. Diese Geistesstörungen sind Ausdruck einer Ernährungsstörung, für
welche durch die chronische Intoxikation häufig unter Mitwirkung von prädispo¬
nierenden Momenten (Neurasthenie, Schlaflosigkeit) der Boden geschaffen wurde
und die durch die Morphinentziehung in akuter Weise zur Geltung kommt.
19) Über den Binflnfl des Tabakrauohes und des Nikotins auf den Blut¬
kreislauf im Gehirn, von L. Pussep. (Obosrenije psich. 1906. Nr. 24.)
Bef.: Wilb. Stieda.
Verf. ließ Hunden Zigarrenrauch direkt von der brennenden Zigarre einatmen
und untersuchte dabei den Blutkreislauf nach der Hörthleschen Methode. In
zwei weiteren Versuchen spritzte er den Hunden Nikotin in die Vene. Auf Grund
dieser wenigen (im ganzen 5) Versuche kommt er zu folgenden Resultaten: So¬
fort nach Beginn des Rauchversuches steigt der Blutdruck im Gehirn um ein
Geringes, hält sich einen Augenblick auf dieser Höhe und steigt dann weiter um
ein Bedeutendes an. Bei Fortsetzung des Versuches über länger als 5 Minuten
fängt der Druck wieder an zu fallen und fällt bis unter die Norm, um nach
Aufhören des Rauchens nach einigen geringen Schwankungen bald wieder die
Norm zu erreichen. Die Blutgefäße erweitern sieb anfangs, um sich am Sohluß
wieder zu verengern. Der Puls ist verlangsamt, die Pulswelle vergrößert.
Nach der Einspritzung von Nikotin sinkt der Blutdruck für einen Augen¬
blick unbedeutend und steigt dann beträchtlich an. Zu gleicher Zeit erweitern
sich die Gefäße. Nach etwa 5 Minuten werden diese Erscheinungen wieder vom
Fallen des Druckes und einer Gefäßverengerung abgelöst.
Die Versuche erklären nach des Verf.’s Meinung die meisten klinischen Er¬
scheinungen der akuten Rauchvergiftung: das Erröten und Herzklopfen im Anfang
und das Erblassen und die Zeichen von erhöhtem intracerebralem Druck (Schwindel,
Erbrechen, Krämpfe) im weiteren Verlauf.
20) The aotion of aloohol on the oiroulatlon, by W. E. Dixon. (Journal
of Physiology. XXXV. Nr. 4.) Ref.: Blum (Nikolassee-Berlin).
Verf.’s Untersuchungen an Tieren (Kaninchen, Katzen, Hunden), welchen Ein¬
fluß der Alkohol auf die Blutcirkulation ausübt, hatten, zusammengefaßt, folgendes
Ergebnis:
1. In mäßiger Menge und gewöhnlicher Lösung (33,3%) hat er nur eine
geringe Wirkung; in größeren Dosen reizt er die Medulla und verlangsamt das
Herz durch den Vagus; bei Herzfehlern tritt eine Beschleunigung der Tätig¬
keit ein.
2. In mäßiger Menge verursacht er eine Erweiterung der oberflächlichen
Gefäße und Verengerung der inneren Gefäße, die sich jedoch bei weiterer Dar¬
reichung auch in eine Erweiterung umändert.
3. In mäßiger Menge steigert der Alkohol die Pumpkraft des Herzens. In
großer Konzentration, über 0,5% im Blut, setzt er die Herzkraft herunter, er
wirkt hier als Gift.
4. Der Alkohol, in mäßiger Menge Tieren mit Cirkulationsfehlern beigebracht,
steigert den Blutdruck, hauptsächlich im Herzen selbst. Beim normalen Tier
wächst dagegen der Unterschied zwischen systolischem und diastolischem Druck.
21) L'aloool e le malattie del sistema nervoso, per L. Bianchi. (Annali
di nevrologia. 1906. S. 129.) Ref.: Hübner (Bonn).
In Form einer klinischen Vorlesung wird gezeigt, wie sich der schädliche
Einfluß des Alkohols beim einzelnen Individuum, seiner Nachkommenschaft und
im öffentlichen Leben bemerkbar macht.
Die Arbeit ist unter ausgiebiger Benutzung der einschlägigem Literatur ge¬
schrieben.
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28) Zttr Statistik and Pathögeness des Qai&quiud sehen ZOiohöna, voh Dr.
E. Lansehner. (Berliner klin. Wochenschrift. 1906. Nr. 34 u. 35.) Ref.:
BifelSchowsky (Breslau).
Verf. kommt nach Seinen eingehenden Untersuchungen zu folgenden Resul¬
taten:
1. Das Quinquaudsche Phänomen ist ein Symptom allgemeiner nervöser
Erregbarkeit, kein charakteristisches Zeichen für AlkoholiniBbr&uch:
2. Das Quinquaudsche Ph&nomen ist kein Sehnenschwircfen, sondern ein
Krepitieren der Gelenkflächen.
3. Das Krepitieren rührt wahrscheinlich von seitlichen Verschiebungen der
Interphalangealgelenke her, wie sie durch Wirkung der Mm. interossei hervor¬
gerufen werden können.
28) Über das Quihquattd sohe Phänomen und seine Häufigkeit bbi Hioht-
trlnkem und bei Alkoholismus, Hysterie, Tabes und anderen nervösen
Erkrankungen, von L. Minor in Moskau. (Berliner klin. Wochenschrift.
1907. Nr. 18 bis 21.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Die sehr ausführliche Arbeit führt zu folgenden Ergebnissen:
1. Das Quinquaudsche Phänomen ist für Alkoholismus weder spezifisch
noch pathognomonisch, kommt sogar häufig sehr ausgeprägt bei Temperenzlern und
Abstinenzlern vor.
2. Sehr häufig hingegen findet es sich bei Tabes und dann bei Hysterie;
es fehlt vollständig bei alten Hemiplegien mit Kontrakturen, bei Dupuytren -
scher Kontraktur, bei Radialislähmung.
3. Das Quinquaudsche Phänomen ist eine von allen Tremorformen ganz
unabhängige Erscheinung.
4. Es ist ein feines Zeichen verschiedener hypotonischer Zustände, ein sehr
feines Reaktiv auf die neuromuskuläre Ermüdbarkeit.
5. Es ist nicht zu entscheiden, welche Muskeln das Quinquaudsche Zeichen
hervorrufen.
6. Es ist ein akustisches Phänomen, bei dem molekuläre Vibrationen der
Kn’öchen sich von der Hand des Kranken auf die Knochen des Untersuchers über¬
tragen.
7. Die beste taktile Untersuchungsmethode ist die, bei der die Hände in
der Luft schieben mit leicht gebeugtem Ellbogen, der etwaB nach unten hängt;
die Finger sind gespreizt, nicht gebeugt, sondern gestreckt. Die Fingerspitzen
des 2., 3. und 4. Fingers stützen sich auf die Hand des Untersuchers unter einem
Winkel von 45°.
Die beste akustische Methode besteht in Benutzung eines Resonators, auf
dessen obere Fläche die Finger und das Phonendoskop aufgesetzt werden.
24) Über den Alkohollsnius Im Orient, von B. La quer in Wiesbaden. (Deutsche
med. WochenSchr. 1907. Nr. 20.) Ref.: Kurt Mende\.
Verf. berichtet über den zunehmenden Alkoholgenuß in Ägypten und die
dadurch bedingte Zunahme der ägyptischen Verbrecherziffer, die von 1891 bis
1899 ständig zurückging, um von 1899 bis 1904 zu steigen; nur 1905 sank die
Zahl von 3109 Bestrafungen auf 3011. Unter diesen Zahlen betrafen fast ein
Drittel, nämlich 917, Mord bzw. Mordversuch, 440 Brandstiftung. Messerstechen
spielt in Kairo, besonders seitens Trunkener, dieselbe Rolle wie in den euro¬
päischen Großstädten.
„So bringt die zunehmende Zivilisation, die Steigerung von Handel und Wohl¬
stand auch ihre Plagen in dieses gesegnete Land, ihrer Ausbreitung ist aber, wie
Indien beweist, wo auf 2400 Menschen eine Schänke kommt (in England auf 242),
duroh strengere Handhabung der Gesetze leicht zu steuern.“
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26) Diagnostio difförbiitiel dds tfoubles oeröbraui d’origiüe tozique das
a l’aloool et au tabao et de la paralyale gönörale d’apres les flytn-
ptömes oculatreS, par Rodiet et Cins. (Aon. mfed.-psych. 1906. Not.-
Dezember.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Bei den Papillen beben die Verff. hervor, daß Differenz dbr Papillen, Völlige
Papillenstarte, Sowie Form Unregelmäßigkeiten der Papillen für Paralyse sprächen,
bei Alkoholisthüs and Nikotismuh Sei am häufigsteh beiderseitige Miosis and
Trägheit der Lichtreaktion. Äußere Augenmuskellähmung, vor allem einseitige
Ptosis, seien inehr der Paralyse eigen.
SeriSibilitätsstöruhgen an Konjunktiva und Kornea* z. B. in Form der Hemi-
anästhesie, glauben die Verff. besonders beim AlkoholismnS und NikotinismuS ge«
funden zu haben, ebenso Erythröpsie hnd Mikropsie u. a. Das Auftreten viel«
facher, lebhafter visueller Halluzinationen lassen zum mindesten die Mitwirkung
des Alkohdlismus sehr wahrscheinlich erscheinen.
Störungen des Angenhintergrundes seien bei Alkoholismas seltener, am ehesten
hätten sie die Form der Hyperämie oder temporalen Abblassung, ausgesprochene
Atrophie usw. wie bei Paralyse seien Ausnahmen. Die Einengung des Gesichts¬
feldes und die Skotome seien häufiger bei Alkoholismus und stehen außerdem
-Vor allem bei der Paralyse im Gegensatz zum Alkoholismus in fortschreitender
Parallele zu den Veränderungen des Augenhintergrundes.
Das Fortächreiten der Prozesse bei der Paralyse ermöglicht ain ehesten die
U nterscheidung.
26) Die Bestehungen zwischen Alkohol und Paralyse, von Dr. Delbrück.
(Bericht üb. d. IV. Deutschen Abstinententag, Oktober 1906. Jena, G. Fischer.)
Ref.: Kurt Mendel.
Der Alkoholmißbrauch spielt bei vorhanden gewesener Syphilis eine ver¬
hängnisvolle Rolle, indem er die Paralyse auslösen kann. Zudem bedingt häufig
der Alkohol wiederum seinerseits die Akquisition der Syphilis. Die Paralyse
würde zum größten Teil aus der Welt geschaßt, wenn es gelänge, den Alkohol-
genhß überhaupt abzuschaffen. Zum mindesten ist jedem, der Syphilis akquiriert
bat, Völlige Alkoholabstinenz als notwendig anzuempfehlen.
27) Bin Beitrag zur Lahre von den Alkoholpsyohosen. Nebst Einigen
Bemerkungen über die Entstehung von Halluzinationen, von Goldstein.
’ (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIV.) Ref.: Zingerle (Graz).
Die Fälle des Verf.’S, die zum Teil in ausführlichen Krankengeschichten
wiedergegeben sind, stammen aus dem Materiale der Königsberger mediz. Klinik.
In Hinsicht darauf, daß eine Reihe voh Autoren geneigt ist, Fälle mit Ab¬
weichungen vom typischen Bilde nicht mehr alB reine Alkoholpsychosen anzu¬
erkennen, hat er seine Untersuchung speziell darauf gerichtet, welche atypischen
Symptome bei der akuten Halluzinose von einwandfreier alkoholistischer Grund¬
lage Vorkommen können. Es ergaben sich Abweichungen mannigfacher Art, die
Sich auf alle einzelnen Symptome beziehen köhnen. Die Gesichtshallazinationen
fehlen — wenn auch Gehörshalluzinationen ganz im Vordergründe Btehen — nie,
können sogar gelegentlich fast das ganze Bild beherrschen. Seltener sind Gefühls¬
täuschungen, die aber immerhin noch ziemlich häufig Vorkommen. Dagegen sind
Geruchs- und Geschmackshalluzinationen sowie hypochondrische Sensationen selten,
ihr Vorkommen und selbst ein gelegentliches Vorherrschen derselben spricht nicht
ohne weiteres gegen eine alkoholische Erkrankung. Doch sind sie meist An¬
zeichen einer üblen Prognose. Die motorischen Erscheinungen sind nicht primäre,
psychomotorische Symptome, sondern durch Sinnestäuschungen bedingt. Weder
in der Literatur, noch in seinen Fällen fand Verf. eine Beobachtung, bei der man
berechtigt wäre, primäre psychomotorische Symptome anzunehmen. Das Vorhanden¬
sein solcher gestattet daher mit einer gewissen Sicherheit den Schluß einer nicht
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rein alkoholischen Erkrankung. Die nicht geringe Variationsbreite des Typischen
ist wahrscheinlich auf persönliche Varianten und Verschiedenheiten der Lokali¬
sation und Intensität des Krankheitsprozesses zurückzuführen, und können daher
einzelne abweichende Symptome nur mit Vorsicht gegen die Alkoholätiologie ver¬
wendet werden. Das seltene Hervortreten der Halluzinationen der tieferen Sinne
sucht Verf. damit zu erklären, daß es hierzu wahrscheinlich einer stärkeren Er¬
regung durch größere Schwere des Krankheitsprozesses bedarf, oder daß indivi¬
duelle Differenzen bezöglich der Bolle dieser Sinne im Seelenleben von Einfluß
sind. Die Untersuchungen werfen auch ein Licht auf die Frage, warum bei der
Halluzinose die Gehörstäuschungen, beim Delir dagegen die Gesichtshalluzinationen
im Vordergründe stehen. Bei den nioht seltenen Fällen von Mischformen der
akuten Halluzinose mit Delirium tremens (die übrigens beweisen, daß beide Formen
sich nicht ausschließen, wie von einigen Autoren angenommen wird) war es außer¬
ordentlich bezeichnend, daß beim Übergange vom Delir zur Halluzinose mit dem
Wechsel des ganzen Zustandsbildes die Sinnestäuschungen in der charakteristischen
Weise sich änderten. Das wesentliche scheint dabei der momentane Bewußtseins¬
zustand zu sein, in dem Sinne, daß mit der schweren Bewußtseinsstörung des
Delirs sich vorwiegend Gesichtshalluzinationen, mit der Besonnenheit der Halluzi¬
nose dagegen Gehörstäuscbungen verbinden. Diese Differenz erscheint somit
durch die Verschiedenheit des psychischen Grundzustandes und nicht durch die
Spezifität der Krankheitsform bedingt und ist dies wahrscheinlich ein Erfahrungs-
satz von allgemeiner Bedeutung für die Art der bei Psychosen auftretenden
Sinnestäuschungen.
Die Fälle von chronischen paranoischen Alkoholpsychosen erwiesen sich teils
als sehr protrahierte Halluzinosen, teils als Besiduärzustände von solchen, für die
besonders eine ausgebildete psychische Schwäche charakteristisch zu sein scheint.
Nur 2 Fälle stellten sich als eigentlich chronische Alkobolpsycbosen dar und
kommt Verf. zu dem Ergebnisse, daß, wenn auch diese Psychosen selten sind, an
ihrem Vorkommen nicht gezweifelt werden könne.
28) Über atypische Alkoholpsyohosen. Beitrag sur Kenntnis dea hallu¬
zinatorischen Schwachsinns der Trinker und der alkoholistisohen
Pseudoparalyse, von Dr. F. Chotzen in Breslau. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. XLI. 1906.) Bef.: G. Ilberg.
Verf. bringt 80 interessante Krankengeschichten mehr oder weniger kompli¬
zierterer Alkoholpsychose und macht darauf aufmerksam, wie schwierig es oft ist
zu beurteilen, ob die Psychose eines Trinkers eine Alkoholpsychose ist oder ob
der Alkoholmisbrauch erst durch die Geistesstörung ausgelöst wurde oder ob die
letztere mit dem Alkohol gar nichts zu tun hat. Er zeigt, wie die Alkohol-
halluzinosis gewissen halluzinatorischen Formen der Dementia praecox sehr ähnlich
tat. Die fortgesetzte Vergiftung des Körpers mit Alkohol führt oft zu dauernden
Organveränderungen, welche dauernde Stoffwechselstörungen und darauf beruhende
chronische Psychosen im Gefolge haben können. Verf. behandelt namentlich auch
die Abarten der Kor8ako wsehen Psychose und beschäftigt sich besonders eingehend
mit der alkoholischen Pseudoparalyse, bei welcher Arteriosklerose, Polyneuritis
und Entartung von großem Einfluß sind. Oft sind die Bedingungen für die Ent¬
stehung von Psychosen beim chronischen Alkoholismus analog denen bei akuten
und chronischen Infektionskrankheiten und so können wir auf dem Boden des
chronischen Alkoholismus ganz dieselben akuten und chronischen Intoxikations¬
und Erschöpfungspsychosen finden.
29) Transitorische Alkoholpsyohosen, von Chotzen. (Monatsscbr. f. Psych.
u. Neur. XXI. 1907.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. beschreibt Zustände, die bei degenerativ veranlagten Patienten unter dem
Zusammenwirken affektiver Momente mit Alkoholmißbrauch hervortreten, und deren
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wesentliches Moment in einem protrahierten Dämmerzustand besteht. Aach aas der
klinischen Erscheinungsweise tritt die doppelte Beziehung zur alkoholischen Ent*
stehung einerseits and za der psychischen Degeneration andererseits hervor. Nach
ihren hervorstechendsten Symptomen könnte man überwiegend delirante, motorische,
expansive and depressive unterscheiden. Einer der Fälle (Nr. 3) zeigt folgendes
Bild: 27 jähriger junger Mann, immer viel gegrübelt, kein regelmäßiger Trinker,
kommt nach vorausgehender Erregung and darauf durchschwärmter Nacht ange¬
trunken nach Hause; nun erst Schlaf, dann (daraus geweckt) plötzlicher Ausbruch
heftiger Erregung, Verkennung der Umgebung, ängstliche Mißdeutung, einförmige
Halluzinationen, große Unruhe: Bild also wie im pathologischen Bausch. Der
Zustand verliert sich aber nach Schlaf nicht, sondern Desorientierung, Halluzina¬
tionen und Beeinträchtigungsideen halten 4 Tage lang an, dann klar. Tags da¬
rauf hysteriformer Anfall. Von da an völlig frei, unvollständige Erinnerung. —
Die Zustände bieten also das Bild des protrahierten pathologischen Bauschzustandes.
30) Beiträge zur Kenntnis der Gedächtnisstörung bei der Korsakoffsohen
Psychose, von Gregor. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Bef.:
H. Vogt (Göttingen-Langenhagen).
Verf. kommt in seinen ausführlichen, an zwei Fällen angestellten experi¬
mentell-psychologischen Untersuchungen zu folgenden Schlüssen: Eine Neuerwerbung
von Eindrücken bei Korsakoff ist möglich (öftere Wiederholung, aufmerksames
Verfolgen). Im gewöhnlichen Leben fehlt diese Bedingung, auch verhindert der
Mangel an Krankheitseinsicht die Patienten zur Aneignung neuer Eindrücke.
Solche erfolgen daher nur, wenn Vorkommnisse sich beständig wiederholen oder
(in 8 bis 10°/ o aller Eindrücke) bei solchen, die spontan schon nach einmaligem
Erleben fester assoziiert werden. In einfache Lebenaverhältnisse können die
Patienten sich finden, auch mechanische Leistungen verrichten, besonders gut,
wenn diese au den alten Besitz anknüpften. Daraus ergibt sich die Möglichkeit
einer erfolgreichen Übungstherapie.
Eine affektive Betonung der Eindrücke ergab keine Veränderung der Besul-
täte. Die Unkorrigierbarkeit gewisser Urteile basiert auf dem Gegensatz zwischen
dem festen alten Besitz und neuerworbenen Eindrücken; letztere haben unter¬
geordneten Wert; dazu kommt die subjektive Überschätzung des Gedächtnisses
bei den Patienten. Die zeitliche Täuschung erklärt sich: die Hauptumstände
werden gemerkt, die Nebenumstände vergessen. Aus letzteren heraus erfolgt aber
beim Normalen die zeitliche Lokalisation. Dabei ist die Frage offen gelassen, ob
bei Korsakoff die primitive zeitliche Anschauung eine normale ist. Es folgen An¬
gaben über die Irrtümer des Wiedererkennens. Auf die Konfabulation wirkt
fördernd Ablenkung und Erschlaffung der Aufmerksamkeit, Mangel an Kritik für
die eigenen Leistungen. Perseveration trat hervor bei relativ großer Festigkeit
früherer Assoziationen gegenüber neuen Eindrücken, zusammen mit der für Kon¬
fabulation charakteristischen Kritiklosigkeit Nichts sprach für „eine abnorm
starke Nachwirkung der perseverierenden Assoziationen“. Die Entwicklung stereo¬
typer Wendungen ergibt sich aus dem Übergewicht, das eine mehrmals wieder¬
holte Assoziation vor neuen besitzt.
31) Über paranoide Psyohosen der Trinker, von Ignatz Mandel. (Gyö-
gy&szat. 1906. Nr. 12,14,15,17,18, 21,23,33.) Bef.: Hudovernig.
Auf Grund der Literaturangaben und mitgeteilter eigener Beobachtungen
nimmt Verf. bezüglich der paranoiden Alkobolpsychosen folgenden Standpunkt
ein: Neben gewohnheitsmäßigem Alkoholgenuß ist noch eine besondere Disposition
zur Entwicklung von Alkoholpsychosen notwendig; in sämtlichen derartigen Fällen
ist stets ein dem Delirium tremens ähnliches Anfangsstadium vorhanden; Demis¬
sionen können Vorkommen; Heilung hat Verf. nie beobachtet, zumeist ist eino
Demenz eingetreten. Solche Fälle können als „Alkoholparanoia“ bezeichnet werden,
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doch ist diese Benennung keine glückliche. Mit der Zeit dürfte es möglich Bein,
aus dieteb Erkrankungsbildern ein selbständiges klinisches Bild herauszunchäleb,
aber derzeit ist man nicht berechtigt, diese Erkrankungen als selbständige alko¬
holische Paraboia zu bezeichnen, obwohl die vorköinmebden Sinnestäuschungen,
Wähnideen usw. jenen ähnlich Sind, welche man bei Trinkern findet
32) Ein Fäll von Dipsomätiie, von Dr. M. Gu re Witsch. (Korsakoffsbhea Journ.
f. Neur. u. Psych. 1906.) Ref.: Krön (Moskau).
Vater des 34jähr. Patienten ist Potator und leidet au Ohbmachtsanfällen,
Großvater und Onkel sind Dipsomanen, ein anderer Onkel ist Potator, andere
Verwandte sind nervös. Pat. bietet von jeher die Anzeichen der Beschränktheit,
Zerfahrenheit und ziemlich niedriges geistiges Niveau. Seit seinem 20. Jahre
fühlt er zeitweise eineb unwiderstehlichen Wandertrieb in Sich, plötzlich taucht
in ihm eih völlig unmotivierter Plan zu reiSeü auf, der ihn Sofort zur Ausführung
drängt. Er ist sich der Unsibnigkeit seiner ReiSen bewußt, besitzt aber nicht die
Energie, um heimzukehren: wiederholt bat er telegraphisch die Seinigen, ihn nach
Hause zh bringen. Es besteht keine Amnesie für die Zeit der Reisen. Nach
Verf. handelt es sich um einen Degeneranteh, der jegliche Herrschaft über seine
in krankhafter Stärke entwickelten Triebe verloren hat.
38) Bin seltener Fall von Sdlbstverstümmlong, von E. Bradäch. (Orvoei
Hetilap. 1906. Nr. 2.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
Verf. bespricht vom chirurgischen Standpunkte die Verletzungen eines 47jähr.
Alkoholikers, welcher nach seiner Einlieferung ih die Irrenanstalt und nach Schein*
barer Beruhigung sich im deliranten Zustande mit der bloßen Hand den rechten
Hoden samt dem Vas defereüs herausgerissen uhd den Pebis fast gänzlich der
häutigen Hülle entblößt hat. Keine besobdere Blutung; nach fachgemäßer chirur¬
gischer Behandlung ziemlich rasche Heilung.
34) Zur Behandlung des Delirium tremens, von Oberarzt Dr. S. Ganser in
Dresden. (Münchener med. Wochensohr. 1907. Nr. 3.) Ref.: E. Asch.
Innerhalb des Zeitabschnittes 1890 bis 1905 wurden auf der dem Verf. unter¬
stellten Dresdener städtischen Heil- und Pflegeanstalt 1051 Fälle von Delirium
tremens aufgenommen, und zwar handelte es sich um unkomplizierte und kom¬
plizierte Affektionen, zum größten Teil um Schnapstrinker. Die eine Hälfte,
Welche den ersten 8 Jahren angehört, umfaßt 486 Kranke mit 31 Todesfällen
(6,37 °/ 0 Mortalität). Der anderen Hälfte aüs den folgenden 8 Jahren gehören
565 Deliranten mit 5 Todesfällen an (0,88 °/ 0 Mortalität). Während in den all¬
gemeinen Grundsätzen der Behandlung (absolute Abstinenz, Bettruhe usw.) im
Laufe der Jahre keine Veränderung eintrat, Wurde die inedikamentöse Therapie
insofern verbessert, als dem Eintreten von Hehsschwäche durch Darreichung ton
Digitalis vorgebeugt wurde. Und zwar Wurde 1,5 pro die im Aufguß gegeben
und diese Dosis je nach dem Fall 2 bis 3 Mal wiederholt. Eine kumulative
Wirkung wurde niemals beobachtet. Machte die Aufnahme per os Schwierigkeiten,
so wurde das Mittel 2 stündlich per Klysma gegeben. Wurde trotzdem der Puls
klein, rasch und unregelmäßig, so gab Verf. 1 bis 2 stündlich 1,0 Kampheröl
subkutan. In der Annahme, daß das Leiden auf einer Vergiftung mit abnormen
Stoffwechselprodukten beruht, wurde außerdem zur Auswaschung der GeWebe und
zur Steigerung der Diurese eibe einprozentige Lötung von Natrium aceticum in
Wasser mit geringem Zusatz von Syr. communis dargereicht, ein Getränk, das
die Kranken sehr gern nehmen und immer wieder verlangeb.
36) Zur Behandlung des Delirium tremene, von Prof. Dr. Aufrecht in
Magdeburg. (Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 32.) Ref.: E. Aach.
Den an unkompliziertem Delirium tremens Leidenden werden abends 4,0 g
Cbloralhydrat gegeben, wonach meistens schon in der ersten Nacht Beruhigung
eintritt. Ist in seltenen Fällen die Unruhe am folgenden Morgen eine Sehr große,
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tobsuchtähnliche, so erhalten die Kranken 2 bis 3 g Chloralhydrat. Dies geschieht
aber nur ausnahmsweise. Bleibt die Unruhe trotzdem bestehen» so wurden am
zweiten Abend nochmals 4 g gegeben. Meistens tritt daraufhiu beruhigender
Schlaf ei»« Nur in ganz seltenen Fällen müssen an drei aufeinander folgenden
Abenden je 4 g dargereicht werden, länger pls 3 mal 24 Stunden dauert der
Anfall niemals und nur in hpcbst seltenen Fällen müssen noch an 1 bis 2 weiteren
Abenden je 2 g verabfolgt werden, ln den Fällen, in welchen das Leiden zu
einer Pneumonie, einem Erysipel usw. hinzutritt, erhalten die Kranken 3 g pro
Abend, welche Gäbe an den nächsten Abenden wiederholt wird. Fast stets tritt
schon nach der ersten Dosis Schlaf ein. In bezug auf die sonstige roborierende
Behandlung gibt Verf. in den unkomplizierten Fällen entweder 200 g Ungarwein
oder, was noch empfehlenswerter, 2stündlich 1 Eßlöffel einer Mixtur, welche
30°/ 0 eines 90%igen Albohpls enthält (Alkohol 60,0, Syx. simpl. 10,0, Tinct.
ampra und aromatica Sä 1,0, Aq. amygd. amar. 0,2, Aq. destill. 200,0 nebst
etwas Sacch. tostum zur Dunkelfärbung der Arznei). Im Gegensatz zu der üb¬
lichen Methode wurde in den Fällen von reinem Delirium tremens niemals Alkohol
verabreicht Derselbe fehlte den franken niemals und wurde nicht danach ver¬
langt
36) Über familiäre Fürsorgepflege für Trlnkgr, von Knust (Psych.-neur.
Wochenschr. VIEL 1907. Nr. 48.) Bef.: E. Schultze (Greifswald).
Verf. will die guten Erfahrungen, ch e man mit der Familienpflege gemacht
bat, insbesondere trunksüchtigen Geistesschwachen zugute kommen lassen. Sie
sollen gegen Entschädigung in ländlichen Kolonien in abstinenten Familien unter¬
gebracht werden, die mit gemMg Minderwertigen umzugehen verstehen. Die Auf¬
sicht und Leitung der B^olonie soll den Fürsorgestellen für Alkohofiaten über¬
geben worden.
37) Die Entwicklung dpr Trinkerfürsorge in Verbindung mit der städti¬
schen Irrenanstalt zu Frankfurt e/M., von Sioli. (Psych.-neur. Wochen¬
schrift. 1907* Nr. 4.) Bef.: Ku rt Mendel.
Am 1. April 1901 wurde der städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt a/M. das
Gut Hüttenmühle bei Köppern im Taunus als Filiale e Q d landwirtschaftliche
Kolonie überwiesen. Im ganzen wurden daselbst vom 1. April 1901 bis 31. März
1906 214 Kranke (154 Alkoholisten, 25 Epileptiker bzw. Hysterien, 35 an
anderen Psychosen Leidende) aufgenommen. Strengste Durchführung der Ab¬
stinenz, auch beim Personal, und allgemeine Beteiligung an der. Arbeit (Land¬
wirtschaft, Hausarbeiten, Handwerkerarbeiten) sind die Hauptaufgaben der Trinker¬
heilstätte,
Bedingungen der Aufnahme: völlige Abstinenz, Nichtverlassen des Anstalts¬
gebietes, außer mit besonderer Erlaubnis des Direktors, unterschiedlose Beteiligung
an allen notwendigen und dem einzelnen zugeteilten Arbeiten.
Bechte der Aufgenommenen: freie Bewegung, Möglichkeit täglich den Aus¬
tritt aus der Anstalt erklären zu können. Letztere Freiheit erhält einen gewissen
Geist der Zufriedenheit in der Anstalt. Dem Kranken wird efn wöchentliches
Krankengeld von 30 Pfg. gewährt, welches jedem Kranken gutgeschrieben und
bei seiner Entlassung gezahlt wird.
Die Einrichtung der Trinkerheilanstalt in örtlich entfernter, ärztlich und
verwaltungsmäßig enger Verbindung mit d,er Irrenanstalt bewährt sich durchaus.
I)as Wesentlichste würde für die Ergänzung der Anstalt eine Fürsorge für die
Entlassenen sein, ein abstinent gehaltenes Heimatshaus im Gentrum der Stadt mit
billiger Eß- und Schlafgelegenheit und genügender Unterhaltungsmöglichkeit (Lek¬
türe, Vorträge usw.).
38) DJk» Trunkenheit vom forensisch -ärztliohen Gesichtspunkte* von Fia-
lovski. (Gyogyäszat 1906. Nr. 30.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
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Verf. führt aus, daß die Konstatierung der Trunkenheit, bzw. der durch die¬
selbe bedingten Störung der geistigen Tätigkeit keine so einfache Sache sei und
länger währende Beobachtung, eingehende Untersuchung des Falles erheische.
Kommt der Sachverständige zur Überzeugung, daß der Alkohol die freie Willens¬
bestimmung des Angeklagten aufhob, so möge er seiner Ansicht unverhohlen Aus¬
druck geben, wenngleich er damit oft Mißfallen erregt. Nur so kann klar ge¬
macht werden, wie verheerend der Alkohol wirkt
Psychiatrie.
39) Die Grundlagen der SeelenBtörungen, von Julius Bessmer, S. J. (Frei¬
burg i/Br. 1906, Herder.) Bef.: H. Haenel (Dresden).
Eine Schrift über Psychiatrie, die unter dem Imprimatur des Erzbischofs
von Freiburg erscheint, dürfte für den Arzt nicht ohne Interesse sein. Der geist¬
liche Verfasser sucht seiner Aufgabe dadurch gerecht zu werden, daß er aus den
Werken von Griesinger, Kräpelin, Krafft-Ebing, Binswanger, Monakow,
Oppenheim usw. das heraussucht, was darin über die Ätiologie der Seelen¬
störungen ausgeführt ist, und dies, so weit es ihm möglich ist, mit seinen theo¬
logisch-scholastischen Anschauungen vereinigt. Das Tatsächliche über die körper¬
lichen Ursachen, das den größten I. Teil des Buches füllt, ist im ganzen richtig
wiedergegeben und durch Anführung mancher kasuistischer Beispiele aus der
Literatur auch für den nicht-medizinischen Leser interessant gemacht. Aber
schon hier zeigt sich, daß Verf. über die Grenzen der Kirchenlehre nicht hinaus
kam, den „niederen“ seelischen Tätigkeiten wie Empfindung, sinnliche Vorstellung,
Gefühl, Affekt, gesteht er, muß er wohl eine Abhängigkeit von den physiologischen
Vorgängen im Gehirn zugestehen; die „höheren“ Funktionen, Wille, Selbstbewußt¬
sein, Urteils- und Begriffsbildung Bind nicht an das Körperliche gebunden. Es
versteht sich von selbst, daß Verf. ein unbedingter Vertreter der Lehre von der
Willensfreiheit ist: „der Wille des Menschen erhebt sich über die Schranken der
Materie“. Wenn er als Stütze dieses Satzes die Tatsachen anführt, daß der
Mensch oft Opfer an Bequemlichkeit, Gesundheit und Leben für ideelle Güter,
für das Glück einer unsterblichen Seele und die Verherrlichung seines Gottes
bringt, so erscheint er in der Wahl gerade dieses Beweises allerdings weniger
glücklich. — Von seinem Standpunkte aus, der die Seele nicht für erzeugt, sondern
für erschaffen erklären muß, interessieren Verf. die seelischen Ursachen der
psychischen Störungen noch mehr als die körperlichen. Den Zitaten aus den
psychiatrischen Lehrbüchern und Zeitschriften tut er indessen mehr als Zwang
an, wenn er, um seinen moralisierenden Standpunkt zu stützen, aus ihnen folgert,
„daß Irrtum, Sünde und Laster eine große Rolle in der Ätiologie der Geistes¬
krankheiten spielen“. Außer einem Zitat aus dem alten Esquirol und dem
allgemeinen Hinweis auf Heinroth kann die unvoreingenommene Betrachtung
auch in den vom Verf. speziell ausgewählten Stellen nichts finden, was diesen
Schluß reohtfertigte. Eine Schrift wie die Friedmanns: Über Wahnideen im
Völkerleben, die nicht zu seiner Meinung paßt, wird damit abgetan, daß er
sagt, sie huldigte zu „kritiklos“ der „neuen Mode“, Übernatürliches als unmöglich
zu verwerfen (!), weil sie die Möglichkeit von Wundern leugnete. Das Kapitel
schließt mit einer Betrachtung über den Zusammenhang von Leib und Seele, das
zu dem Schlüsse kommt, daß „als absolute Denknotwendigkeit sich dem Psycho¬
logen die Annahme einer Seelensubstanz aufdränge“. Der Sprachgebrauch der
Jahrhunderte — auch dieser in solchen Dingen recht zweifelhafte Zeuge muß
herhalten! — spreche dafür, daß Seele der substantielle Träger unserer Gedanken,
Wünsche, unseres Urteilens, Wollens und Strebens sei; die Aktualitätslehre sei
„nichts für denkende Menschen“. Die Anhänger dieser Lehre müssen sich also
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damit abfinden, vom Yerf. nicht mit zum Genus des Homo sapiens gezählt zu
werden. Jene selbe Substanz ist aber auch die „Wesensform“ des Körpers, die
sich von der pflanzlichen und tierischen Wesensform dadurch unterscheidet, daß
sie mit ihrem Denken und Wollen — kann eine Wesensform denken und wollen?
— „hinausragt über den Stoff, hinein ins Reich des freien Geistes“. („ ... denn
wo Begriffe fehlen . ..“) Was dieses Reich seinerseits ist, wie es sich zum
Denken, Wollen, Schließen osw. verhält, darüber wird kein Wort verloren. Aber
das tut ja schließlich nicht viel, denn — diese Anschauung ist, wie zum Schluß
ausdrücklich festgestellt wird, eine Glaubenslehre, welche von der Kirchenversamm¬
lung zu Vienne unter Klemens Y. definiert wurde; — und damit hört für den
katholischen Theologen bekanntlich die weitere selbständige Kritik auf.
Der 3. Teil: „Disposition zu seelischen Störungen“ kann kurz abgemacht
werden. Da die Seele „erschaffen“ wird, kann von einer direkten Vererbung
geistiger Eigenschaften nicht die Rede sein. Bestimmte Veranlagungen körper¬
licher Art können zwar übertragen werden, zu geistigen Anomalien werden sie
aber erst durch die Erziehung, der eine ausschlaggebende Bedeutung zugeschrieben
wird. Bei der Betrachtung der forensischen Seite der Frage finden wir den
Satz: „so lange keine Verirrung des Verstandes eintritt, kann der Mensch auch
dem stärksten Trieb zu einer verbrecherischen Handlung widerstehen; Beweggründe
bewegen den Menschen, aber sie unterjochen den Willen nicht“. Natürlich, denn
hätten Beweggründe auf den Willen einen Einfluß, so würde ja die Willens¬
freiheit an dieser wichtigsten Stelle ein Loch kriegen! Für eine mildere Be¬
strafung der Verbrecher unter bestimmten Umständen ist Verf. allerdings zu
haben, besonders, wenn die Erziehung mangelhaft war. In einem Appell an die
Sorge für die seelische Gesundheit findet er sich zuletzt mit den Aussprüchen
verschiedener Nervenärzte und Psychiater wieder zusammen
Zur Verfechtung von Sittenlehren und Verbreitung nützlicher Lebensregeln
sind Schriften, wie die vorliegende, ohne Frage am Platze; aber Verwahrung
muß dagegen eingelegt werden, wenn sie sich so geberden, als ob sie irgendwie
zur Vermehrung oder Findung wissenschaftlicher Erkenntnis beitragen wollten.
Das erste Blatt mit dem oberhirtlichen Imprimatur wirft notwendigerweise seinen
Schatten auf das ganze Buoh; es darf nichts darin stehen, was mit der Kirchen¬
lehre nicht übereinstimmt, und das bedeutet jenes sacrificium intellectus, durch
das dem wirklich naturwissenschaftlichen Denken von vorn herein die Flügel be¬
schnitten sind. Hier ist die Scheidewand, die Bich unübersteiglich zwischen uns
und einer katholisch-jesuitischen Wissenschaft aufrichtet.
40) Über das Verhalten der Alkaleszenz des Blutes und der weißen und
roten Blutkörperchen bei Nerven- und Geisteskranken, von J. H. S chultz.
(Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXII. 1907.) Ref.: H. Vogt.
Die vorliegende Arbeit stellt eine aus der psychiatrischen Klinik der Göt¬
tinger Universität hervorgegangene, von der Fakultät gekrönte Preisarbeit dar.
Zum Teil handelt es sich um die Anwendung der neuesten chemisch-physikalischen
Ergebnisse auf die Blutuntersuchungen beim Menschen, es wurden für diesen
Zweck ganz besondere, klinischen Untersnchungsverhältnissen adoptierte Methoden
ersonnen. Der betreffende Abschnitt ist zum Teil im Breslauer chemisch-physi¬
kalischen Institut ausgeführt.
Die Aufstellung der Arbeit an sich und ihre exakte Inangriffnahme ist als
ein Verdienst zu bezeichnen, das der klinischen Psychiatrie zugute kommt. Zum
Teil sind durch die ungemein fleißige UnterBuchungsreihe, der auch ein lesenswerter
literarischer Überblick auf das dem Psychiater und Neurologen meist weniger
naheliegende Gebiet beigegeben ist, ganz neue Gesichtspunkte eröffnet, zum anderen
Teil beseitigen die Ergebnisse, da wo sie den negativen Befund ergaben, ein¬
wandsfrei gewisse Erörterungen und Vorstellungen, die man mehr allgemeiner
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Art aaoh dieser Richtung für die klinische Psychiatrie vielfach erhoffte. Der
Erfolg ist also avich nac ^ dieser Seite ein voller.
Der erste Teil behandelt die Frage der Alkaleszepz bei ^pryen-, und Geistes¬
krankheiten. Nach methodischen Erörterungen, deren Wiedergabe hier zu yreit
fuhren würde (Yerf. wandte eine Modifikation der Friedentholachen Methode
von 1904 an), folgt ein experimenteller Teil, die Mitteilung der Untersuchung
von etwa JO Fällen; Yerf. kommt zu folgendem Ergebnis: Eine Abweichung der
Blptrenktien von der Nqrm wurde nirgends gefunden; der epileptische Anfall
geht nicht mit einer solchen einher. Von dem sonstigen Blutzustande (Gehalt
an Fonpbestandteilen» Hämoglobin) ist die Reaktion unbeeinflußt Es ist also
weder Paralyse noch Tab.es noch Epilepsie noch Idiotie noch Katatonie oder
eine der untersuchten Psyphosen, auch weder Hysterie noch Neurasthenie mit
einer Reaktionsänderung des Blotes notwendig verbunden.
Der zweite Abschnitt behandelt das Verhalten der roten und weißen Blpt-
körperchen bei Nerven- und Geisteskranken. Die bisherigen zahlreichen Unter¬
suchungen anf diesem Gebiete lassen ein einheitliches Resultat vermissen. Die
Befunde sind different, nicht charakteristisch für die Art der Krankheit. Pie
eigenen Untersuchungen des Verf.’s ergaben zunächst für Tabes und Paralyse,
daß hiermit Anämie prinzipiell nicht verknüpft ist. Schwankungen der Wefte,
die sonst Beziehungen zu psychischen Faktoren vermissen lassen, zeigen sieh
deutlicher nur beim paralytischen Anfall, wo sie als der Ausdruck einheitlicher
vasomotorischer Beeinflussung großer Gefäßbezirke erscheinen. „Pie Leukozyten¬
befunde sind bei Berücksichtigung der Verdauungsleqkozytose in keiner Weise
charakteristisch.“ Vermehrung der Werte zeigt sich in der Agone (Flüssigkeits¬
verarmung, cirkulatorische Schwäche), deutlich ist der Einfluß besonders stickstoff¬
haltiger Kost. Epilepsie: Tendenz zur Verminderung der Erythrozyten, nicht des
Hämoglobin; dieser Gegensatz und Widerspruch zwischen beiden Zahlen zeigt
sich besonders bei der Berechnung des Blutkörperchen wertes; die weißen Blut¬
körperchen nehmen nach jedem Anfall zu. Idiotie: Hämoglobingehalt normal
bis übernormal, Erythrozyten stark herabgesetzt, charakteristisch also die piver-
genz zwischen Hämoglobin- und Erythrozytenzahlen* Weiße Blutkörperpbenzohl
normal, Verdauungswerte desgleichen, nnr in einem Fall Leukopenie. (Verfi
macht selbst aufmerksam auf die Wichtigkeit der Nachprüfung dieser Ergebnisse
an kindlichen Idioten, sowie an den Durchschnittsblutwerten erwachsener Idioten.
Diese Hinweise sind wertvoll. Eis würden dann auch bei Berücksichtigung der
grundverschiedenen klinischen Formen der „Idiotie“ sich wichtige Resultate er¬
geben. Die Untersuchungen des Vepf.’s scheinen ja gerade auch noph der Seite
der idiotischen Zustände hin weitere Fragestellungen zu eröffnen.) Katatonie:
Die katatonischen Jugendirreseinsformen neigen zur Verminderung der Erythro-
zytepzahl, weniger des Hämoglobins. Die extremen Zustände nähern sich den
Befunden bei der Idiotie, jedoch ohne so deutliche Divergenz. Hysterie: Trotz
blasser Hautfarbe usw. übererhöhte Hämoglobinwerte. Erythrozyten normal*
Nervosität: Zuweilen, besonders bei Erschöpfungsnenrasthenie, geringe Herab -
setzung der Erythrozytenzahl, Hämoglobin mit einer Ausnahme (98°/ 0 ) normal-
Endogene Form: nie subnormale Werte der Erythrozyten, Hämoglobin desgleichen,
letzteres oft übernormal. Nicht selten Leukopenie.
Als Resultat ergibt sich folgendes Gesamtergebnis:
„Paralyse, Epilepsie und katatonische Verblödungsprozesse scheinen eine ge¬
wisse Tendenz zu haben, die Erythrozytenzahlen des in den Hauptgefäßen baßud*
liehen Blutes herabzuBetzen. Weniger wird das Hämoglobin betroffen. Diese
Tendenz ist keine spezifische, sondern meist auf allgemeine Bedingungen zurück¬
zuführen, besonders die Ernährung. Die Idiotie scheint durch ihrp „Divergenz* 1
charakterisierte Blutbilder herbeizuführen. Reine Psychosen zeigen wechselnd*
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Befände. Der Beweis eines scharfen Parallelismus von Blutbefand und Stimmung
dürfte bei Berücksichtigung der zahlreichen Schwankungen des Blutbildes ohne
irgendwelche Stimmungsunterschiede schwer für irgend einen Fall zu erbringen
sein. Irgend ein Befund schwer anämischer Art wurde überhaupt nicht erhoben.
Die funktionellen Neurosen (Hysterie, Nervosität, besonders endogener Art) zeigen
fast ausnahmslos normale Blutbilder; nur die Häufigkeit hoher Hämoglobin* und
niedriger Leukozytenzahlen fiel auf.
Zuletzt wäre bemerkenswert, daß der Durchschnitt der im Winter beobach¬
teten Werte bei fast allen Patienten oder, wo einzelne Patienten nicht verfolgt
wurden, bei den gleichen Erkrankungen höher zu liegen schien, als der im Vor¬
frühling gewonnene. Ein Einfluß der Jahreszeit in diesem Sinne wird nur von
Malassez behauptet, von Andresen aber vasomotorisch gedeutet. Systematische
Untersuchungen gesunder Individuen in verschiedenen Jahreszeiten dürfte von
Interesse sein.“
41) Di una speoiale forma del globulo rosso nella demenza preeooe, per
Dr. G. Pighinie G. Paoli. (Riv.difren.emed. leg. XXXII.) Ref.: Merzbacher.
Die Verff. färben und behandeln Blutpräparate nach der folgenden Methode:
Auffangen eines Tropfen auf Deckgläschen, Trocknen in der Hitze, Fixierung in
einer Lösung von 4 °/ 0 Sublimat 20 ccm, 4°/ 0 Ammoniummolybdän 30 ccm, reine
HCL 19 Tropfen. In diesem Gemisch bleiben die Präparate 13 bis 14 Stunden;
Waschen in fließendem Wasser 1 Stunde lang; Färbung in Thionin Nioolle
(100 Teile l°/ 0 Karbolwasser und 10 Teile 60°/ o alkoholischer Thioninlösung)
1 / 2 bis 1 Stunde; Fixierung in 4°/ 0 Ammoniummolybdatlösung 10 bis 15 Minuten,
Waschen in Wasser, Trocknen in der Hitze, Alkohol, Einschließen in Balsam.
Als Kontrastfärbung kann man sich noch des Eosins oder Fuchsins bedienen.
Nach dieser Behandlung sieht man in den roten Blutkörperchen gesunder Personen
einen kleinen centralgelegenen dunkeln Körper, der in seiner Mitte wieder eine
Verdichtung enthält; die Verff. bezeichnen diesen Körper mit dem Namen hämo-
globigene Substanz, in der kleinen Verdichtung sehen sie Reste des Kernes wieder.
Bei embryonalen Wirbeltieren nun sollen die Blutkörperchen ein ganz anderes
Aussehen haben: die gefärbte Substanz ist weit größer, nimmt fast die ganze
Blutzelle ein, das Centrum ist ganz hell, wie mit dem Locheisen ausgestoßen.
Diese „juvenilen“ Formen haben nun die Verff. in 10 Fällen von Dementia
praecox im Blute der Kranken vorgefunden, und zwar in fast allen Blut¬
körperchen, während sie völlig fehlten oder nur ausnahmsweise vorhanden waren
in zahlreichen anderen untersuchten Fällen von Gesunden oder Geisteskranken,
die an anderen Psychosen leiden. Ähnliche Formen wollen die Verff. bei zwei
ohlorotischen Mädchen und nach einem epileptischen Anfall gesehen haben. Den
Befund deuten die Verff. ab einen neuen Index für eine schwere Alteration des
Stoffwechsels, die wahrscheinlich die Dementia praecox begleiten wird.
42) La formola emo-leuoooitaria nella demenza preoooe, per Dr. 0. Sandri.
(Riv. di Patol nerv, e ment. X.) Ref.: Merzbacher.
Verf. hat bei 40 Dementia praecox-Kranken das Blut auf das Ver¬
hältnis der einzelnen Elemente zueinander untersucht. Die absolute Zahl an und
für sich scheint nicht wesentlich verändert zu sein: dagegen scheint für alle
Formen der Dementia praecox-Gruppe eine leichte Steigerung der absoluten Zahl
der weißen Blutkörperchen sich einzustellen. Die verschiedenen Formen der
weißen Blutkörperchen wieder erfahren quantitativ eine Verschiebung zu einander
bei den verschiedenen Gruppen dieser Erkrankung: bei der Katatonie nämlich
tritt eine erhebliche Vermehrung der mononukleären Elemente ein, während die
polynukleären Elemente im Gegensatz zu den anderen Formen der Dementia
praecox eine Verminderung erfahren. Die quantitative Verschiebung der Elemente
zueinander tritt schon sehr bald nach Beginn der Erkrankung zutage und ist bei
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den frischen Formen ebenso deutlich nachweisbar wie bei den chronischen. Be¬
sonders lehrreich war für den Verf. ein Fall, der zunächst unter dem Bilde der
Hebephrenie verlief — und auch die entsprechende cytologische Formel zeigte —
und dann plötzlich typisch katatonische Symptomenkomplexe aufwies. Mit dem
Einsetzen derselben nahm auch die Zahl der mononukleären Elemente zu, während
die polynukleären eine deutliche Abnahme aufwiesen. Die Veränderungen in der
Zusammensetzung des Blutes führt Verf. auf eine wahrscheinlich vorhandene In¬
toxikation zurück.
43) Zur Pupillenuntersuohung bei Geisteskranken, von Dr. Wassermeyer.
(Archiv f. Psyoh. u. Nervenkrankh. XLIII. 1907.) Ref.: G. Ilberg.
Nach Bumke ist das Fehlen der „Pupillenunruhe“ und die Erweiterung der
Pupille auf sensible und psychische Reize für die Dementia praecox geradezu
typisch. Ähnliche Verhältnisse fand derselbe Autor bei Imbezillen. Hübner
konstatierte dann ein sicheres Fehlen der Pupillenunruhe und der Psychoreflexe
nur bei 75% seiner Fälle von Dementia praecox; in 8% waren Pupillenunruhe
wie Psychoreflexe sicher vorhanden; ausnahmsweise fanden sie sich auch trotz
einer seit längerer Zeit bestehenden erheblichen Demenz. Bei 50% der von
Hübner untersuchteu Imbezillen fehlten die genannten Reaktionen nicht. Verf.
nun hat statt mit der Westienschen Lupe mit dem stärker vergrößernden Zeiss-
sehen binokularen Mikroskop gearbeitet und vermißte Pupillenunruhe und psycho¬
reaktive Erweiterung der Pupille bei 39 Fällen von Dementia praecox nur 6 mal
s 15 %. Bei 6 Imbezillen fehlten diese Symptome nur lmal. Stets nachweisbar
waren sie bei Manisohen, Melancholischen und chronisch Verrückten. Verf. ging
nun an die Untersuchung Gesunder heran und fand interessanterweise, daß von
174 Marinesoldaten bei 13 % die Pupillenunruhe fast — 0 war. Bei einem
Soldaten fehlten sogar Pupillenunruhe und Psychoreflexe vollständig, ohne daß bei
ihm eine Imbezillität erheblichen Grades vorlag.
44) Über „Moral insanity“, von Dr. Joh. Longard. (Archiv f. Psych. u. Nerven¬
krankheiten. XLHI. 1907.) Ref.: Heini oke (Waldheim).
Verf. greift aus einem ihm zur Verfügung stehenden reichen Material einige
Beispiele verschiedener Erscheinungsformen krankhafter Zustände heraus, die früher
unter dem Namen „Moral insanity“ zusammengefaßt wurden und erörtert im An¬
schluß daran bestimmte charakteristische Einzelsymptome, als: von Jugend auf
bestehende Unerziehbarkeit und Neigung zum Verbrechen, unstätes Wesen, Em-
pfindungs- und Gefühllosigkeit, Selbstüberhebung, reiche Phantasie, bei bisweilen
jecht leidlichem Intellekt; dazu können somatische Degenerationszeichen kommen;
auch besteht hereditäre Belastung, besonders spielt der Alkoholismus in der As-
cendenz eine Rolle. Die in der Literatur häufig vorkommende Behauptung, daß
es dieses Bild als selbständige Krankheit überhaupt nicht gäbe, sondern daß es
nur ein Symptomenkomplex, ein Vorläufer schwerer Erkrankung sei, erkennt Verf,
und wohl mit vollem Recht, nioht an, wenngleich er natürlich zugibt, daß es
sich bei den verschiedensten Psychosen auch einmal um „Moral insanity“ ähnliche
Zustände handeln könne. Die in seiner Arbeit angezogenen und ähnliche Fälle
rechnet nun Verf. entweder zur „moralischen Idiotie“ oder zur „moralischen Im¬
bezillität“, wobei er unter Imbezillität die im Sinne Jolliers versteht.
Sehr richtig sind auch die Ausführungen des Verf.’s darüber, daß die an
moralischer Imbezillität leidenden Individuen am besten sich in Irrenanstalten
führen, während sie in Strafanstalten oder in der Freiheit, vielleicht noch unter
Einwirkung des Alkohols, also unter Existenzbedingungen, die mehr Anforderungen
an ihre Leistungsfähigkeit stellen, versagen und zu Klagen, disziplinellem und
strafrichterlichem Einschreiten Veranlassung geben.
Diesem Umstand ist es auch zuzuschreiben, daß häufig die Urteile der Ge¬
fängnisärzte bo ganz verschieden ausfallen von dem der Irrenärzte. Das Krank-
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heitsbild der moralischen Imbezillität ist eben unter verschiedenen Lebensbedingungen
ein ganz anderes und eine zutreffende diagnostische Beurteilung ist in der Irren*
anstalt entschieden weniger leicht möglich als im Gefängnis. Die vier veröffent¬
lichten Fälle bezeichnete Verf. als strafvollzugsunfähig.
45) La psyohose mauiaque-döpressive, par Franco da Rooha. (Ann. möd.-
psychol. 1906. Sept/Okt.) Ref.: E. Meyer (Königsberg).
Verf. tritt für das Vorkommen isolierter Fälle von Manie und Melancholie
ein und spricht sich dagegen auB, daß alle Fälle periodischer Art im manisch-
depressiven Irresein aufgehen. Das manisch-depressive Irresein stellt nach ihm
eine Untergruppe des periodischen Irreseins dar, nicht umgekehrt.
111. Aus den Gesellschaften.
Gesellschaft Deutscher Nervenärzte.
Erste Jahresversammlung in Dresden am 14. u. 16. September 1907.
Referent: H. Haenel (Dresden).
Herr Oppenheim (Berlin) begrüßt die Versammlung und beleuchtet in
kurzen Worten die Gründe, die zu ihrer Begründung geführt haben. Die Vor¬
standswahl ergab: Zum I. Vorsitzenden Herrn Erb (Heidelberg), zum II. Vorsitzen¬
den Herrn Oppenheim (Berlin), zum Schriftführer Herrn Schönborn (Heidel¬
berg), zum Schatzmeister Herrn Bruns (Hannover).
Zu Beisitzern: die Herren v. Frankl-Hochwart, v. Monakow, Saenger,
Nonne, Edinger.
Die Satzungen werden beraten und beschlossen; die Versammlung ernennt zu
ihrem ersten Ehrenmitglied Sir Victor Horsley (London), zu korrespondierenden
Mitgliedern die Herren v. Eiseisberg (Wien), Sherrington (London), Pierre
Marie, Dejerine (Paris), Henschen (Stockholm).
Vorträge:
1. Herr Neisser (Stettin): Die Hirnpunktion. Vortr. schildert die Technik
des von ihm erfundenen Verfahrens. Mit einem Bpitzen Bohrer, der durch einen
Elektromotor in rasche Umdrehungen versetzt wird (2400 i. d. M.), dringt er durch
Kopfschwarte und Schädel bis auf die Dura. Lokalanästhesie durch Spray wird
sowohl auf die Punktionsstelle als auch zur Vermeidung störender Gewebskontrak-
turen auf die Umgebung gerichtet. Narkose ist nicht nötig, die Schmerzhaftig¬
keit ist überraschend gering. Mit spitzer Stahlnadel, 1 bis 3 mm stark, durch¬
dringt er dann die Dura und aspiriert mit der Spritze. Anwendungsgebiete:
1. Bei Hämatomen. Er hat nach Entleerung von alten und frischen Blutergüssen
wiederholt prompte Besserungen gesehen, gelegentlich lebensrettend gewirkt.
Wichtig sind auch die negativen Fälle, bei denen durch Punktion eine subdurale
Blutung ausgeschlossen werden konnte. — 2. Bei Cysten. Auch bei diesen hatte
gelegentlich schon die Punktion heilende Wirkung oder sie machte sie der Ope¬
ration zugänglich. — 3. Bei Tumoren tritt der diagnostische Wert der Punktion
besonders hervor, wenn eine mikroskopische Untersuchung des hervorgeförderten
Gewebsmateriales ausführbar ist. Pfeifer in Halle hat hier besonders Erfolge
zu verzeichnen. Er konnte Tiefe, Ausdehnung, Malignität, Erweichung usw. fest¬
stellen, die mikroskopische Diagnose teils am frischen, teils am gehärteten Präpa¬
rate ausführen und so die explorative Freilegung der Hemisphären überflüssig
machen. — 4. Sehr wichtig bei Abscessen; die Gefahr der Infektion gesunder
Gehirnteile kommt bei dem Verfahren so gut wie nicht in Betracht. Nach der
Diagnose des Abscesses soll wegen der Gefahr plötzlichen Himtodes immer mög¬
lichst sofort operiert werden. Der negative Ausfall der Punktion bei zweifel¬
haften Fällen ist auch hier oft von größtem Werte. — 5. Ventrikelpunktion als
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Ergänzung der Lumbalpunktion zur Feststellung dee Hydrooephalus: Findet man
Liquor in weniger als 3 cm Tiefe, so ist letzterer anzunehmen. Die Ventrikel*
punktion ist hierbei ein durchaus ungefährlicher Eingriff und wirkt sehr erleieh*
ternd auf die Drucksymptome, ist auch wiederholt im selben Falle ausführbar.
Nach Anführung einer Anzahl charakteristischer Fälle, unter denen auch die
Heilung einer Meningitis serosa nach vergeblicher Lumbalpunktion hervorgehoben
sei, führt Vortr. an, daß die Nebenwirkungen geringfügig sind und daß bei
heilbaren Patienten noch nie Schaden angerichtet wurde. Er selbst hat nur
zweimal bei hoffnungslosen Patienten (großen Tumoren) schweren Kollaps, baw.
Tod infolge Punktion erlebt.
2. Herr F. Krause (Berlin): Ohirurgiaohe Therapie der Gehirnkrankheiten
mit Ausschluß der Geschwülste. Unter Fortsetzung seines vorjährigen Vor¬
trages auf der Stuttgarter Naturforscherversammlung behandelt Vortr. zuerst die
Epilepsie, und zwar in Form der Jackson sehen. Diese ist entweder trauma¬
tischer Natur und in diesem Falle oft günstiges Objekt der Operation, oder Reflex-
epilepsie, die von irgend einer Körperstelle her ausgelöst werden kann. Hier
werden namentlich Narben, welche mit der Knochenhaut oder den Nerven ver¬
wachsen und stark druckempfindlich sind, zur Operation auffordern. In der dritten
wichtigen Reihe von Fällen handelt es sich um Jackson sehe Epilepsie im An¬
schluß an cerebrale Kinderlähmung. Bei einem 15jährigen Mädchen fand sich in
dem primär an den Krämpfen beteiligten Armcentrum dicht unter der Hirnrinde
eine große encephalitische Cyste, nach deren Beseitigung schwere Epilepsie heilte
und die verblödete Kranke wieder zu einem normalen Menschen wurde. Weiter
können porencephalische Cysten angeborener oder sekundärer Natur die Ursache
einer Epilepsie bilden, auch solche Fälle sind vom Vortr. mit Erfolg operiert
worden. Bei narbigen Veränderungen der Gehirnoberfläcbe verspricht die Ope¬
ration keinen Erfolg, wohl aber dann, wenn die Narben sich auf die Hirnhäute
beschränken, während das Gehirn sioh anatomisch normal verhält. Die letzte
Gruppe umfaßt jene Form der Jacksonschen Epilepsie, wo sich bei der Operation
keine oder keine wesentlichen Abnormitäten am Gehirn und an seinen Häuten finden.
In diesen Fällen führt Vortr. die Exzision des primär krampfenden Himcentrums
aus bis zur weißen Substanz, nachdem er es durch elektrische Reizung genau lokali¬
siert hat. Die zunächst nach diesem Eingriff eintretenden Lähmungen und sen¬
siblen Störungen gehen wieder zurück. Die herausgeschnittene Knochenplatte
läßt er wieder fest und knöchern einheilen im Gegensatz zu Kocher, ohne daß
dadurch der Dauererfolg der Operation beeinträchtigt wird. Daß allerdings während
dee epileptischen Anfalles der intrakranielle Druck sehr hoch steigt, demonstriert
Vortr. an einer Reihe von Bildern, die das Verhalten des Gehirns in während
der Operation beobachteten epileptischen Anfällen wiedergeben. Dabei wölbt sich
das Gehirn wie eine stark gespannte Blase aus der Trepanationsöffnung hervor
und nimmt eine violette bis dunkelblaue Färbung an. Vortr. bespricht weiter die
Ergebnisse, die er bei der einpoligen faradischen Reizung der Rinde bekommen
hat und demonstriert die bei 18 Menschen festgestellten Herde der verschiedenen
Körpermuskeln. Sie liegen sämtlich in der vorderen Centralwindung. Von
weiteren Hirnerkrankungen demonstriert Vortr. Fälle von Fremdkörperverletzungen,
Hirnabscessen, Nekrosen des Schädeldaches, und geht zum Schluß auf Beobach¬
tungen ein, in denen die Erscheinungen auf eine solide Geschwulstbildung in der
hinteren Schädelgrube hinwiesen, die Operation aber meningitische Cysten ergab.
Schließlich erwähnt er noch eine bestimmte Form des Hydrooephalus internus, die
hauptsächlich den 4. Ventrikel betrifft und zu einer Punktion desselben Anlaß
geben kann. Selbst die Eröffnung des 4. Ventrikels würde Vortr. event. zur Be¬
seitigung eines Cysticercus in demselben für technisch ausführbar halten.
Diskussion: Herr Oppenheim macht ergänzende Mitteilungen zu dem Referat
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des Herrn Krause und stellt einen Kranken als geheilt vor, bei dem die Sym¬
ptome eines Tumor oerebelli durch zwei Cysten im Kleinhirn bedingt waren, die
auf operativem Wege entleert wurden.
Herr Auerbach (Frankfurt) rät zur Vorsioht bei Punktion der hinteren Schädel-
grübe, da durch die nicht seltenen Verdrängungen und Verlagerungen lebenswichtige
Stellen (Rautengrube) unter Umständen verletzt werden könnten. Er hält über*
haupt das Neissersohe Verfahren für keinen ganz harmlosen Eingriff. Kleine
Knochensplitter sind gelegentlich bei der Bohrung in das Gehirn hineingedrückt
worden. Die Chirurgen stehen dem Verfahren ebenfalls nicht günstig gegenüber
und ziehen die breite Eröffnung vor. ln Frankfurt pflegen die Chirurgen unter
lokaler Anästhesie erst eine kleine Inzision zu machen und dann mit der Doyen*
sehen Fräse eine kleine 0,5 cm grofle Trepanationsöffnung zu machen. Von dieser
aus kann man nach verschiedenen Richtungen hin punktieren, schließt die Ver¬
unreinigung durch Knochenspäne aus und entgeht leichter der Gefahr, ein
größeres Duralgefäß anzustechen. Weiter kann man dabei sehen, ob die Dura
pulsiert, kann Nadeln mit weiterem Lumen anwenden und besser Gewebspartikelohen
aspirieren, ist an der Auffindung der Punktionsöffhung besonders am Hinterkopf
nicht durch sich kontrahierendes Muskelgewebe behindert und kann den Wider¬
stand der Gewebe gegen die Nadel besser bemessen. Die Schädelöffnung kann
dabei mit der durch Hand getriebenen Fräse angelegt werden. Diese Vorzüge
wiegen den Nachteil einer etwas größeren Schädellücke auf. — Die Wiederaufnahme
der Rindenexzision bei Jacksonscher Epilepsie hält er für ein großes Verdienst
des Herrn Krause. Die scharfe Trennung zwischen Jacksonscher und genuiner
Epilepsie möchte er nicht aufrechterhalten, auch bei der letzteren kann ein ope*
rativer Eingriff um so eher ins Auge gefaßt werden, je mehr Halbseitenerscheinungen
sich nachweisen lassen und je bestimmter die Anamnese für die Einwirkung einer
erheblichen Kopfverletzung oder eines früheren encephalitischen Prozesses spricht,
oder die Anfälle zeitweise auf eine Körperhälfte beschränkt sind. Die außer¬
ordentliche anatomische Variabilität der Hirnwindungen und Furohen kann A.
bestätigen, dieselben lassen die elektrische Bestimmung der Centren als die einzig
zuverlässige Methode erscheinen.
Herr Pfeifer (Halle): Durch die Neissersohen Punktionen sind im wesentlichen
flüssige Substanzen festgestellt worden. Einmal gelang es ihm, einen im Centrum
durchbluteten Tumor zu diagnostizieren. Er wendet für die Diagnose solider
Tumoren eine etwas dickere und abgestumpfte Punktionsnadel an, am besten aus
Platiniridium. Von fünf seiner zur Operation gekommenen Fälle sind drei als
-vollkommen geheilt zu betrachten, in einem sind in letzterer Zeit wieder Druok-
erscheinungen aufgetreten, der fünfte kam 5 Monate nach de% Operation zum
Exitus, ln letzter Zeit hat er noch in zwei weiteren Fällen mittels Hirnpunktion
eine genaue Lokaldiagnoee stellen können, die durch Operation bestätigt wurde.
Herr Rothmann (Berlin) bestätigt nach seinen Erfahrungen an Affen, daß die
vordere Centralwindung leichter faradisch erregbar ist. Die hintere wurde erregbar
einige Monate nach Exstirpation der vorderen. Das elektrisch reizbare und das
krampfauslösende Gebiet darf nicht ohne weiteres identifiziert werden, wie ja gerade
die vielen Mißerfolge bei der Operation der Jacksonschen Epilepsie beweisen. Er
warnt vor zu häufiger Reizung der Rinde, vor allem muß bei Auslösung eines
Krampfanfalles die Reizung sofort abgebrochen werden, da es sonst zu Todes¬
fällen kommen kann.
Herr Fischer hat in einem Falle bei einem 6jährigen Knaben 45 com Ven¬
trikelflüssigkeit entleert, was der Patient sehr gut vertrug.
Herr Bruns (Hannover) nimmt an, daß in bezug auf die motorischen Centren
und ihre Lage individuelle Unterschiede bestehen. Er sah mehrmals bei Reizungen
dicht an der Medianfurche nur Arm- und Kopf bewegungen, so daß in diesem Falle die
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Beincentren wohl im Paracentrallappen lagen. Klonische und tonische Zuckungen
sind wohl nicht qualitativ verschieden, die tonischen sind aus einer großen Zahl
klonischer zusammengesetzt, die bo rasch aufeinander folgen, daß eine Lokomotion
der Gliedmaßen nicht Btattfinden kann. Erst bei Abnahme der Zuckungshäufig¬
keit wird dann der Krampf klonisch.
Herr Redlich (Wien) glaubt ebenfalls, daß eine strenge Unterscheidung von
Jackson scher und genuiner Epilepsie in bezug auf die Operabilität nicht getroffen
werden kann, Belbst die Lähmung braucht mit Rücksicht auf die Tatsache, daß
Erschöpfungslähmungen Vorkommen, nicht immer strenges Lokalzeichen zu sein.
R. sah einen Fall von Jacksonscher Epilepsie mit Beginn in der linken Hand
nach einfacher Trepanation ohne Exzision der Rinde heilen.
Herr v. Monakow (Zürich) weist darauf hin, daß in bezug auf eine günstige
Beeinflussung der Jacksonschen Epilepsie die Beinregion sich anders verhält als
die Armregion. Er kennt einen Fall, in dem fast die ganze Beinregion abgetragen
wurde, ohne jeden Einfluß auf die Jacksonschen Krämpfe, ja ohne daß eine
erhebliche Parese des betreffenden Beines eingetreten wäre. Er schließt hieraus,
daß die Vertretung der unteren Extremität nach etwas anderen Grundsätzen in
der Rinde gestaltet ist, jedenfalls in diffuserer Weise als die der oberen. Er
mahnt in bezug auf die Behandlung der Epilepsie durch Abtragung nicht mani¬
fest erkrankter Rindenfelder zur Vorsicht.
Herr Oppenheim (Berlin) hat in einer großen Zahl von Fällen dieNeissersche
Hirnpunktion auBführen lassen und kann bestätigen, daß sie uns in der Diagnostik
größere Sicherheit zu geben vermag, namentlich kann die Entscheidung, ob der
rechte Hinterhaupts- oder Schläfenlappen betroffen ist, recht schwierig sein und
hierbei hat das Verfahren gute Dienste geleistet. Wenn irgend möglich, wurden
die aspirierten Gewebsteile im gehärteten Präparate untersucht. Er erblickt in
dem Verfahren einen Fortschritt, der nicht wieder fallen gelassen werden dürfte,
doch darf seine Bedeutung nicht überschätzt werden und uns nicht veranlassen,
im Dunkeln herumzutappen. Wir dürfen die Punktion vor allem nicht beliebig
oft bei demselben Patienten ausführen, denn sie ist durchaus nicht irrelevant.
0. hat den Eindruck gewonnen, daß sie, abgesehen von den etwaigen direkten
Folgen, das Gehirn weniger widerstandsfähig gegen die nachfolgende Radikal¬
operation macht. Er hat in zwei Fällen den Tod nach dem ersten Akt der
Trepanation eintreten sehen, wo er nach den übrigen Verhältnissen nicht zu er¬
warten gewesen wäre, ln dem einen fanden sich große Blutungen im Hirnstamm,
die zwar nicht direkt durch die Punktion hervorgerufen waren, für die er aber
die vorausgegangenen Punktionen mit verantwortlich zu machen geneigt ist.
Herr Neisaer (Schlusswort): Natürlich ist bei der Trepanation eine bessere
Übersicht zu gewinnen, man kann sie aber nicht beliebig oft und dicht anwenden.
Die Punktion soll kein chirurgisches Verfahren sein. Bei richtiger Anwendung und
Indikation gehört sie in die Irren- und Nervenklinik, wo sie auch bisher die
besten Erfolge gehabt hat.
Herr Krause (Schlußwort) betont die unangenehmen Zufälle bei der Hirn¬
punktion, die er gesehen. Sie soll im Operationssaal ausgeführt werden, wo
nötigenfalls Bofort die Trepanation angeschlossen werden kann. Herrn Rothmann
stimmt er in allen Punkten zu, namentlich soll die Stromstärke zur Erregung der
Hirnrinde so schwach wie möglich genommen und nur ganz allmählich verstärkt
werden. Die Ausfallserscheinungen nach Exzision aus der vorderen Central¬
windung betreffen nicht nur die Motilität, sondern auch alle Qualitäten der Em¬
pfindung. Der 8tereognostische Sinn blieb bei der Wiederherstellung der Funk¬
tionen am längsten gestört.
(Schluß folgt.)
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70. Versammlung deutsoher Naturforscher und Ante ln Dresden
vom 15. bis 21. September 1007.
Abteilung für Neurologie und Psychiatrie.
Referent: H. Haenel (Dresden).
1. Herr Redlich (Wien): Über den Mangel der Selbstwahrnehmung
des Defektes bei oerebml bedingter Blindheit. Vortr. führt einige Fälle aus
der Literatur von Rieger, Wolff, Monakow, Dejerine und Anton an, die
das gemeinsam hatten, daß sie seelenblind für ihre Blindheit waren, daß das
Sehen vollständig aus dem übrigen Gehirnmechanismus ausgeschaltet war, daß
aber andererseits subkortikale Erregungen der Sinnesbahnen gleichsam den Ausfall
der bewußten Sinneswahrnehmungen verdeckten. Vortr. selbst hat drei Fälle zu
beobachten Gelegenheit gehabt, die, ohne komplett dement oder verworren zu
sein, kein Bewußtsein ihrer Blindheit hatten. Im ersten Falle wurde der Anschein
einer mangelnden Selbstwahrnehmung vorgetäuscht, indem der Kranke sich für
gewöhnlich der Blindheit nicht bewußt war, bei darauf gerichteter Aufmerksam¬
keit aber doch wahrnahm, daß er nicht sah. Die Obduktion ergab ein im basalen
Anteile des Balkens aufsitzendes Gliom. Der Kranke hatte über gar nichts zu
klagen, war nur allmählich darauf zu bringen, daß Beine Augen schlecht seien.
Unmittelbar darauf hatte er aber diese Angabe wieder vergessen und behauptete,
vollständig gesund zu sein. Zur Erklärung dieser Erscheinung ist in erster
Linie auf eine schwere Störung der Merkfahigkeit hinzuweisen, weiter bestand
eine allgemeine Apathie, ebenso eine unverkennbare Euphorie. Daneben bewirkte
seine Demenz nnd Kritiklosigkeit, daß er des Gegensatzes zwischen seinen Äuße¬
rungen und der Wirklichkeit nicht inne wurde. Im zweiten Falle handelte es
sich um einen Tumor in der Gegend der Brücke. Die Kranke war infolge Seh¬
nervenatrophie nach Stauungspapille völlig erblindet, auch sie wußte von ihrer
Blindheit nichts, nahm dieselbe aber auch wirklich nicht wahr, war niemals zum
Eingeständnis derselben zu bringen, ja behauptete positiv, zu sehen und beschrieb
eine Menge Dinge, die sie zu sehen vermeinte. Die Gedächtnisstörung war hier
nicht so ausgesprochen, daB optische Erinnerungsvermögen relativ gut erhalten,
so daß die Kranke ihre neue Umgebung mit Reminiscenzen früherer Zeiten
bevölkerte. Die zwei Fälle zeigen, daß der Mangel der Selbstwahrnehmung
der Blindheit zustande kommen kann ohne grobe anatomische Schädigung der
Sinnescentren und ihrer Bahnen dann, wenn die allgemeine psychische Leistungs¬
fähigkeit des Gehirns herabgesetzt ist und gewisse Funktionen im besonderen
geschädigt sind. Ein dritter Fall betraf einen 74 jährigen Mann, der von zwei
aufeinanderfolgenden Schlaganfällen getroffen wurde, die außer eigenartigen
peripheren Störungen durch Summation einer links- und rechtsseitigen Hemi¬
anopsie Blindheit erzeugt hatten, ohne daß, wie gewöhnlich, die centralsten
Anteile des Gesichtsfeldes erhalten geblieben wären. Auch dieser Kranke war
sich seiner Blindheit für gewöhnlich durchaus nicht bewußt, ja lehnte die
Zumutung, blind zu sein, entschieden ab. Er meinte, das Licht wäre nicht
angezündet, die Lampe brenne schlecht oder ähnl. Er gibt unter Umständen eine
ins einzelne gehende Schilderung von Personen oder Vorgängen, die er zu sehen
vermeint, glaubt sich auch meistens in der früher gewohnten Umgebung und
Beschäftigung, nur manchmal, wenn er sich im Krankenhaus weiß, gibt er auch
zu, nichts zu sehen, ja sogar, blind zu sein, doch fehlt ihm auch dann der ent¬
sprechende Affekt, und eine der Korsakowschen ähnliche Gedächtnisschwäche
läßt ihn diese Erkenntnis bald wieder vergessen. Dabei spielen Erinnerungs¬
täuschungen eine eigenartige Rolle. Ein Zündhölzchen, dessen Anzünden er hört,
vermeint er zu sehen, eine Speise, die er durch den Geschmack erkennt, beschreibt
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er, als wenn er sie sehe tuf. Spürt er die Wärme des Zündhölzehens nicht mehr
so behauptet er, jetzt sei es verlöscht. Genaue Intelligenzprüfungen ergeben
zwar Ausfälle, doch nicht derart intensive, um daB Verhalten des Kranken ein¬
fach mit Demenz zu erklären. Gleichsam das Gegenstück zu solchen Fällen bieten
andere nicht allzuseltene, wo Kranke, denen ein Rest des Gesichtsfeldes zurück¬
geblieben ist, behaupten, blind zu sein. Vortr. schließt aus den geschilderten
Fällen, daß man mit einer rein anatomischen Betrachtung dieselben nicht auf klären
kann. Die Zerstörung gewisser Centren allein macht es uns nicht verständlich,
daß der Kranke nicht merkt, daß ihm eine wichtige Sinnesbahn versperrt ist.
Auch der Umstand, daß die Kranken doch bisweilen, wenn auch vorübergehend,
sich des Defektes bewußt wurden, während die anatomischen Schädigungen doch
gewiß die gleichen blieben, zeigt die Unzulänglichkeit anatomischer Erklärungs¬
versuche und weist auf die Notwendigkeit einer eingehenden psychologischen
Analyse solcher Fälle hin. (Der Vortrag erscheint als Originalarbeit in der
nächsten Nummer dieses Centralblattes.)
Diskussion: Herr Heilbronner: Von den 3 Fällen des Vortr. scheinen H.
zum mindesten die beiden ersten ohne Heranziehung der cerebralen Genese der
Blindheit erklärbar. Kranke, deren Geisteszustand dem der beiden ersten ent¬
spricht (im wesentlichen wohl Korsakowsche Psychose), nehmen auch periphere
Störungen (Lähmungen usw.) nicht wahr und lassen sich entsprechende Leistungen
suggerieren. Die Antonschen Fälle scheinen ihm einer anderen Kategorie zu-
zugehören. H. fragt nach der Erklärung der sehr merkwürdigen Erscheinung,
daß die Kranken nicht nur die Funktionsstörung übersehen, sondern auch durch
die soziale Behinderung nicht geBtört werden, auch in den Fällen nicht, in denen
die Einsichtslosigkeit durch allgemeine psychische Störungen nioht erklärt wird.
Herr Meyer (Königsberg) hat ähnlioh wie Heilbronner den Eindruck gehabt,
daß die dem Defekt zugrunde liegenden psychischen Störungen dem Korsakow-
schen Symptomenkomplex angehören. Bemerkenswert bleibt es, daß in Redlichs
Fällen rein psychische Störungen das gleiche äußerliche Bild hervorriefen, wie
greifbare cerebrale Herde. Er macht darauf aufmerksam, daß auch blinde
Paralytiker besonders dann der Wahrnehmung der Blindheit entbehren, wenn
sie starke Neigung zum Fabulieren haben.
Herr Saenger fragt nach dem Verhalten der Pupillen und nach optischen
Reizerscheinungen bei den Patienten. Er schließt sich in der Deutung Heil¬
bronner an. Auch Tabiker mit Opticusatrophie halten sich manchmal nicht für
blind, wenn sie von heftigen subjektiven Liohtempfindungen heimgesucht werden.
Herr Anton: In den vorgetragenen Fällen ist die Frage nach Verlust der
optischen Phantasie zu erörtern. Für den Verlust der Selbstwahrnehmung kommt
wohl auch der elektive Ausfall der Aufmerksamkeit und des Sohlußvermögens in
bezug auf das ausgefallene Sinnessystem in Betracht.
HerrHaenel: Daß auch bei peripherer Entstehung eines optischen Defektes
dieser unbemerkt bleibend, bzw. falsch gedeutet werden kann, habe ich an mir
selbst erfahren, als ich vor einiger Zeit durch Schneeblendung rotgrüu-blind
wurde. Ich suchte 2 Tage lang die Veränderung in den umgebenden Objekten
und nicht in mir selbst. Auch Redlichs Kranken scheint ja der Defekt nioht
völlig unbewußt geblieben zu sein, sie waren nur nicht imstande, die richtige
Deutung zu finden oder zu behalten.
Herr Niessl schließt sich den Worten Heilbronners und Saengers an.
Nur bei Geisteskranken unterbleibt die Selbstwahrnehmung von Herdwirkungen,
besonders häufig bei der polyneuritischen Psychose. Bei doppelseitigen Er¬
weichungen im Hinterhauptlappen findet sich die Selbstwahrnehmung stetB erhalten.
Der Mangel an Selbstwahrnehmung kann nicht auf der Herderkrankung, sondern
nur auf den allgemeinen Störungen der Großhirnfunktion beruhen.
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Herr Sträussler geht auf die Eigenart einiger vom Vortr. in seinen Fällen
erwähnter Sensibilitätestörungen ein.
Herr Redlich (Schlußwort) wiederholt, daß besonders im zweiten Falle
gerade der Umstand dsus Wesentliche ist und eine besondere Erklärung erforderte,
daß die Kranken ihre Blindheit nicht nur nicht wahrnahmen, sondern auch durch
die Umstände nicht zum Bewußtsein derselben zu bringen waren, d. h. zu sehen
behaupteten. Die Pupillenreaktion fehlte in den ersten 2 Fällen, war im 3. Fall
träge; ob die Kranken grau oder schwarz sahen, ist nicht zu eruieren. Reiz¬
erscheinungen fehlten. Gegenüber Anton bemerkt er, daß seinen Kranken das
optische Erinnerungsvermögen nicht fehlte, zum Teil sogar sehr gut erhalten
war. Daß die Schlußbildung gestört war, hat er schon betont.
2. Herr Mattauschek (Wien): Über einige Rassenelgentümliehkeiten
der Wehrpflichtigen Bosniens und der Herzegowina. Vortr. hat seit Jahren
die bosnisch-herzegowinischen Soldaten in neurologisch-psychiatrischer Richtung
untersucht. Nach einigen ethnographischen Bemerkungen, die zeigen, daß das
schöne und kräftige Aussehen dieses Menschenschlages mit einer geringen Wider¬
stands* und Leistungsfähigkeit kontrastiert, führt er aus, daß speziell für Hysterie
und Epilepsie den Bosniaken eine ungewöhnlich hohe Disposition zukommt Be¬
sonders auffallend sind sowohl vorübergehende als auch dauernde und schwere
hysterische Symptomkomplexe bei verschiedenen Organerkrankungen, so daß es
bei Rekruten manchmal zu wirklichen hysterischen Epidemien kommt. Im
Gegensatz dazu steht die relativ geringe Zahl der beobachteten Geisteskrank¬
heiten (4 °/ 0 gegen 8 °/ 0 bei den übrigen Truppen), ebenso die sehr niedrige Zahl
der Selbstmorde bei den bosnisch-herzegowinischen Soldaten (0,2 °/ 0 gegen 1 °/ 0 bei
den übrigen Truppen). Die Kriminalität stellt sich ähnlich günstig, es kamen
in den letzten 5 Jahren beim Garnisonsgerichte in Wien unter 3139 Personen
nur 108 Bosniaken zur Aburteilung, darunter nur 35 mit EigentumBvergehen.
Der Grund für die offenkundig erhöhte Disposition zur Epilepsie und Hysterie
ist wohl in der niederen Rasse, Heredität, Lues und Tuberkulose, verschärft
durch die geringe Blutmischung innerhalb des kleinen Volksstammes, zu suchen.
Vortr. hat deshalb auch 400 bosnische Soldaten auf Degenerationszeichen unter¬
sucht und fand bei diesen in 16,5°/ 0 das Zusammentreffen von drei oder mehreren
sicheren Degenerationszeichen, speziell 7 °/ 0 Linkshändigkeit und 9 °/ 0 Asymmetrie
der Gesichtsinnervation. Bei einem entsprechend großen Kontrollmateriale fanden
sich nur 8 °/ 0 Individuen mit drei oder mehr Degenerationszeichen und nur 9 °/ 0
Fazialisdifferenzen. Zum Schluß spricht Vortr. seine Überzeugung dahin aus,
daß bei dem bosnisch-herzegowinischen Volke auf Grund der besonderen ethno¬
logischen und sozialen Entwicklung und der zahlreichen pathogenen Momente die
Entartung größere Fortschritte gemacht hat, als durch den Effekt einer kaum
20 Jahre lang wirkenden Zivilisation erklärt werden könnte.
Diskussion: Herr Meyer fragt an, wie es sich mit einer Angabe der Literatur
verhält, nach welcher auffallend wenig psychisch-nervöse Störungen nach Trauma in
Bosnien Vorkommen.
Herr Fischer erinnert daran, daß bei der bosnischen Bevölkerung trotz
stark verbreiteter Syphilis die progressive Paralyse sehr Belten ist. Da Herr
Mattauschek erwiesen hat, daß in der Bevölkerung eine starke nervöse Degene¬
ration vorhanden ist, dürfte diese Mitteilung auch für unsere Kenntnisse über die
Ätiologie der Paralyse von Wichtigkeit sein.
Herr Sohüller fragt an, ob sich unter den Degenerationszeichen auch eine
abnorme Kleinheit des Genitales häufiger gefunden habe.
Herr Mattauschek (Schlußwort): Bezüglich der Anfrage des Herrn Meyer:
Es mag der Unterschied darin liegen, ob die Individuen in der Heimat und unter
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gewohnten Lebensverhältnissen von Traumen getroffen werden oder bei den er¬
höhten Anforderungen, die in der Fremde an sie gestellt werden. Bezüglich der
Anfrage des Herrn Schüller: Die Zahl der konstatierten Hypoplasien des Geni¬
tales war selbstverständlich klein, da es sich um diensttaugliche Soldaten handelte.
3. Herr Rothmann (Berlin): Zur Funktion der hinteren VierhügeL
Über die Bedeutung der hinteren Vierhügel waren bisher weder die anatomischen
noch auch die physiologischen Untersuchungen zu einer Übereinstimmung gelangt.
Die Versuche des Vortr. wurden an Hunden derart angestellt, daß durch Frei¬
legen und vorsichtiges Hochheben der Hinterhauptlappen der hintere Vierhügel
sichtbar gemacht und durch Spalten des Tentoriums freigelegt wurde. Sowohl
einseitige wie doppelseitige Zerstörungen wurden vorgenommen. Die einseitige
war ohne jede Wirkung, auch das Hörvermögen zeigte keine Störung entsprechend
der partiellen Kreuzung der Hörbahn. Nach doppelseitiger Zerstörung waren
die Tiere anfangs völlig taub, lagen in den ersten Tagen zusammengekauert in
einer Art Dämmerzustand, ähnlich wie großhirnlose Hunde. Motilität und Sensi¬
bilität waren ungestört, Ohrbewegungen und Stimmäußerungen fehlten dagegen
vollkommen. Auch in den nächsten Monaten wurde bei den gewöhnlichen Hör¬
prüfungen keine wesentlidhe Wiederherstellung des Hörvermögens nachgewiesen.
Anders bei Prüfung mit der von Kali sc her ausgebildeten Methode, die sich
auf die Dressur auf einen bestimmten Ton stützt und die eine außerordentlich
scharfe Prüfungs- und Einübungsmethode des Gehörsinnes darstellt. Es wurden
teils operierte Hunde dieser Dressur unterzogen, teils vorher dressierte Hunde
der hinteren Vierhügel beraubt. Es ließ sich feststellen, daß auch den operierten
Hunden nach einiger Zeit eine Tonwahrnehmung und eine allerdings unsichere
Tonunterscheidung wieder zur Verfügung stand. Doch erlangte die Tonunter-
Bcheidung niemals die Sicherheit der normalen Hunde. Nach Zerstörung der
Corpora geniculata med. erwiesen sich alle Dressurversuche auf Tonwahrnehmung
als vergeblich. Diese Hunde blieben so gut wie völlig taub, eine Bestätigung
der anatomischen Ergebnisse von Monakows. Die anatomische Untersuchung
der operierten Gehirne ergab, daß vom hinteren Vierhügel direkt keine Bahnen,
weder auf-, noch absteigend zu verfolgen sind, auch nicht im Arm des hinteren
Vierhügels. Hiernach stellt der hintere Vierhügel einen Nebenschluß der zur
Hirnrinde heraufziehenden Hörleitung dar, ohne dessen Funktion normalerweise
keine Gehörsempfindung zustande kommt. Doch kann die direkte Bahn, die über
die Kerne der lateralen Schleife zum Corpus geniculatum med. zieht, die Leitung
der Hörreize unter Umständen übernehmen. Letzteres ist also das subkortikale
Centrum des Gehörsinnes.
Diskussion: Herr v. Monakow erblickt in den Befunden des Vortr. eine
wertvolle Bereicherung unserer Kenntnisse über die Bubkortikalen Hörcentren.
Die anfänglichen schweren Gleichgewichtsstörungen nach Abtragung der hinteren
Vierhügel sind wohl auf eine temporäre Beeinflussung (Diaschisis) von Labyrinth¬
fasern zu beziehen. Die geringe sekundäre Schädigung des sog. Arms des hinteren
Zweihügels kann auch M. auf Grund eigener Erfahrungen bestätigen.
Herr Kohn stamm: Der Vortr. schließt aus seinen Befunden, daß der Nucleus
intratrigeminalis des hinteren Vierhügels Neurone entsendet, die nur bis zur
Oblongata gehen. Dies stimmt mit K.’s Befunden gut überein.
Herr Mingazzini erinnert an Versuche von Sgobbo, der ähnliche Opera¬
tionen an Kaninchen ausgeführt hat, mit dem Erfolg, daß nach Läsion der hinteren
Vierhügel Taubheit und Parese der Ohrmuschel eintrat.
Herr Rothmann (Schlußwort) glaubt nicht an eine Diaschisiswirkung bei
seinen Ergebnissen. Herrn Mingazzini gegenüber betont er, daß die Bedeutung
seiner Versuche im Operieren bei einem so hochstehenden Säugetiere wie dem
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Hönde liegt und in dem genauen Nachweis der allerdings unvollkommenen Wieder*
herstellung des Hörvermögens.
4. Herr Cnrschmann (Mainz): Über spastischen Tortloollis bei Laby-
rintherkr ankun gen . Das Hypothetische, das der inneren Ätiologie der scheinbar
funktionellen Torticollisformen anhaftet, steht in geradem Verhältnis zur häufigen
Machtlosigkeit der Therapie. Die rein hysterische Grundlage ist unwahrscheinlich,
dementsprechend die Suggestivbehandlung meist erfolglos. Man muß demnach
versuchen, organische Ursachen zu finden, im Dienste einer zweckmäßigen Therapie.
Eine derartige organische Ursache scheinen mir Labyrintherkrankungen darzustellen.
Fall I: Seit über 10 Jahren Otitis media und interna, dann Men iö re sehe Symptome.
Diese führten, da Patient bemerkte, daß der Schwindel bei Hechtsdrehung und
Senkung des Kopfes aufhörte, zu einer Schiefhaltung. Diese ging im Laufe der
letzten 2 Jahre in einen starren spastischen Torticollis über. Wenn Meniöresohe
Anfalle den Schwindel vermehrten, so überkorrigierte Patient diese Haltung noch
durch Torquierung des ganzen Körpers. Objektiv zeigte Patient einen dauernden
spastischen Torticollis nach rechts. Bewegungen des Kopfes um alle Achsen bis
auf die Sagittale nach rechts frei. Bei Forcierung der Bewegung um die Sagittal-
achse nach rechts erfolgt regelmäßig enorme Zunahme des Karussellschwindels
und des Nystagmus. Bei allen Körperhaltungen wurde das Verhältnis der Kopf¬
haltung zur Sagittalachse ängstlich beibehalten. Eis besteht typische chronische
Labyrintherkrankung. Gehör für tiefe Töne aufgehoben. Auf Chininbehandlung
erfolgte zuerst Besserung der Menidreschen Störungen und dann allmähliche
völlige Heilung des Torticollis. Die labyrinthäre Entstehung des spastischen
Torticollis scheint, obwohl bisher in der Literatur noch nicht erwähnt, nicht
ganz selten zu sein. Vortr. hat seit 1906 noch zwei ähnliche Fälle beobachtet,
die beide ebenso auf Chinin reagierten. Er fordert hei der Hoffnungslosigkeit
so vieler Torticollisfälle auf, stets nach Labyrinthstörungen zu Buchen.
Diskussion: Herr v. Frankl-Hochwart glaubt, daß die Fälle des Vortr. doch
eine Parität darstellen müßten, da er unter seinen ca. 300 Fällen noch keinen
solchen gesehen habe. Er wendet sich gegen die Chinintherapie, weil das Mittel
nach seinen Erfahrungen wenig nützt, aber für das Hörvermögen sehr schädlich
ist. Der Menidresche Schwindel heilt in den meisten Fällen nach Jahren auch
ohne Behandlung. Die besten Behandlungsmethoden sind noch Brom-, Jodpräparate,
Galvanisation, Höhenluft.
Herr Rothmann: Bei einer Frau in mittleren Jahren trat plötzlich ein
heftiger klonischer Krampf im linken Cucullaris und Sternocleidomastoideus auf.
Nach erfolgloser medikamentöser Behandlung ergab die Untersuchung des durchaus
nicht empfindlichen Ohres einen abgestorbenen kleinen Käfer im äußeren Gehör¬
gang. Entfernung desselben bewirkte promptes Aufhören des Akzessoriuskrampfes,
der also mit der Sicherheit eines Experimentes eine Folge der Ohrreizung war.
HerrSaenger hat entgegen v.Frankl-Hochwart doch vom Chinin nach ver¬
geblicher Anwendung vieler anderer Mittel so gute Wirkungen gesehen, daß die
Patienten ihrem Beruf wieder nachgehen konnten, ohne daß irgend ein Schaden
dabei nachweisbar gewesen wäre. Doch sollte immerhin die Chininbehandlung
erst dann angewendet werden, wenn andere Heilversuche keinen Erfolg haben.
Herr Curschmann (Schlußwort): Auch die Ohrenärzte haben die vorsichtige
Chininbehandlung hei Labyrinthstörungen noch nicht verlassen, besonders ist sie
angezeigt, wenn die Vertaubung schon weiter vorgeschritten ist. Die Labyrinth¬
störungen sind in seinen Fällen auch nur die periphere Ursache gewesen. Eine
Anlage zur Krampfdiathese muß dazukommen, sonst würde das geschilderte Zu¬
sammentreffen viel häufiger sein.
5. Herr Trömner (Hamburg): Indikationen der Hypnotherapie. Vortr.
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hat bei etwa einem Drittel seiner poliklinischen und Privatpatienten die Hypnose
angewendet. Je tiefer dieselbe gelang, um so besser waren die Resultate. Er
hat von organischen Erkrankungen multiple Sklerose, Myelitis, Paralysis agitans
und Tabes hypnotisch behandelt. Nur bei Tabes hatte er mehrfach überraschende
Erfolge, so schwanden bei einer 37jährigen, seit 4 Jahren kranken Frau schon
nach der ersten Hypnose fast völlig die lancinierenden Schmerzen, die auch bei
Rückfällen wieder auf Hypnose reagierten. In einem anderen Falle wurden
durch Hypnose heftige gastrische Krisen zum Aufhören gebracht. In einem
dritten besserte lediglich hypnotische Suggestion die Ataxie derartig, daß der
Patient seinen Dienst als Maschinist wieder aufnehmen konnte. Alle diese Falle
schliefen amnestisch. Von Motilitätsneurosen wurden Tic, Schreibkrampf, Stottern,
Chorea behandelt. Speziell hat er von 20 Stotterern vier geheilt, 14 gebessert,
zwei nicht beeinflußt. Unter den günstigen Erfolgen waren auch mehrfach solche,
die vorher vergeblich Übungsbehandlung durchgemacht hatten. Die Dauerhaftig-
keit der hypnotischen Erfolge schien größer als die der übungstherapeutischen.
Oft ist eine Kombination beider Methoden zweckmäßig. Die beste Prognose bei
Hypnotherapie geben solche Fälle, wo infolge von Angst und Oppressionsgef üblen
gestottert wird. Leichtere Fälle von Chorea sind hypnose- und besserungsfähig.
Von den sensiblen Neurosen waren besonders auffallend die Erfolge bei reiner
Trigeminus-Neuralgie. Vortr. schildert kurz drei überraschend prompt beein¬
flußte, jahrelang vergeblich behandelte Fälle und stellt die Forderung auf, daß
jeder Fall von Trigeminus*Neuralgie, bevor er dem Operateur zugewiesen wird,
einer hypnotischen Behandlung unterzogen werden soll. Neurasthenisohe Kopf¬
sohmerzen reagierten in der Regel sehr leicht, von pathologischen Gewohnheiten
wurden erfolgreich Nägelkauen, Masturbation, Lügen und Stehlen behandelt.
Ferner alle Arten von Schlafstörungen. Erfolge sah er weiter bei Migräne,
Epilepsie, Hypochondrie, vor allem auch bei Enuresis nocturna und diurna.
Zum Schluß empfiehlt er die Hypnotherapie als unbedingt günstig in folgender
Reihenfolge: Trigeminus-Neuralgie, Enuresis, pathologische Gewohnheiten, Schlaf¬
störungen, tabische Schmerzen, Stottern, Kopfschmerz, Migräne, Asthma, Angst¬
neurosen, Verstopfung.
Diskussion: Herr Curt Sohmidt: Hypnose ist nur ein kleiner Teil der
Suggestivbehandlung, die wir erstens in der Form der Wachsuggestion, zweitens
der verkappten Suggestion, drittens der Hypnose ausführen können. Schwierig
ist der Nachweis, daß eine Krankheit oder ein Symptom psychisch bedingt ist
Durch Aufzählung einzelner Krankheitsformen kommen wir bei der Indikations¬
stellung für die Hypnose nicht weiter, sondern nur durch die Betonung der
psychischen Ätiologie und des Nichterfolges der Wachsuggestion.
Herr Kohnstamm weist auf den Unterschied hin, der zwischen psychisch ent¬
standenen und psychisch beeinflußbaren Krankheitserscheinungen besteht. Beispiel
vor allem: hypnotische Beeinflußbarkeit der Menstruationsstörungen.
6. Herr Stadelmann (Dresden): Erlebnis und Psychose. Das Ver¬
hältnis des Erlebnisses zur Psychose kann festgestellt werden, wenn man den
Menschen bezüglich seines Verhaltens der Außenwelt gegenüber als Einheit auffaßt
Die Reaktion, die das Ereignis auf die seelische Anlage ausübt, ist Gefühl und
Stimmung. Nach der Art, wie jeweils bei einem Menschen das Ereignis zum
Erlebnis wird, und wie er die Folgen dieses Erlebnisses wieder ausgleicht, lassen
sich Typen der menschlichen Anlage aufstellen. Die in Frage kommenden Vor¬
gänge sind dabei bei gesund veranlagten Menschen im wesentlichen die gleichen
wie bei einem krankreranlagten. Der Unterschied ist nur ein quantitativer be¬
züglich der Möglichkeiten, die Ereignisse zu erleben. Da die psychotischen
Symptome alle analoge Vorgänge im gesunden Seelenleben haben, kann man auch
Typen von psychotisch veranlagten Menschen auffinden. Das Ereignis macht nicht
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die Psychose, aber ee ist eine Notwendigkeit, daß es zur Anlage hinzukommt,
wenn jene entstehen soll. Es ist ein Beagens auf die Anlage. Das Erlebnis
bringt die beim Veranlagten von Anfang an schlummernde Psychose an den Tag.
Als Beispiel sei das Erlebnis der Enttäuschung angeführt Der Enttäuschte ist
zuerst ratlos, daraufhin stellt sich eine traurige Stimmung ein über den Verlust
eines Wertes. Dann lacht er darüber, daß er sich täuschen lassen konnte, dieser
heiteren Stimmung folgt Gleichgültigkeit. Denkt man sich diese Vorgänge ins
Übergroße verzerrt, bo sind die vier seelischen Stadien der Katatonie gegeben:
Verwirrtheit, Melancholie, Manie, Blödheit. Um die Schicksale der Menschen za
verstehen, bedürfen wir einer biologisch-psychologischen Analyse des Erlebnisses.
7. Herr Schaffer (Budapest): Über Saohssohe famili&r-amaurotisohe
Idiotie. Nach kurzer Charakterisierung des klinischen Krankheitsbildes sohildert
Vortr. das fast stets gleichartige histo - pathologische Bild: am Bielschowsky-
sehen Fibrillenpräparate eine Schwellung des Zellkörpers und der Dendriten bei
anverändertem Achsenzylinder. Der Zellkern wird randständig, die Dendriten
erhalten eine oft enorme ballonformige Blähung. Durch die Schwellung werden
die Maschenlücken des Innennetzes (Donaggio) aufgetrieben, der Prozeß enthüllt
die Struktur dieses Netzes in deutlichster Weise Aus diesem Bilde geht hervor,
daß die strukturlose Grundsubstanz, das Hyaloplasma, primär ergriffen ist, das
fibrillo retikuläre Netz nur sekundär gelitten hat, ein Hinweis auf die vermutliche
Natur der sogenannten Neurofibrillen. Bei dem exquisit endogenen Charakter
des Leidens und dem Mangel jedweder Spur einer Entzündung im Zentralorgan
ist es zweifellos höchst befremdend, daß nicht das fibrillo-retikuläre Gerüst die
Stätte der primären Erkrankung abgibt, sondern das Hyaloplasma. Es deutet
dies auf die spezifisch-nervöse Natur des strukturlosen Protoplasmas im Gegensatz
zur nichtnervösen, anscheinend nur fixatorischen Bedeutung des fibrillo-retikulären
Gerüstes. Sehr bezeichnend ist dabei das Erhaltenbleiben des Golgischen Außen¬
netzes, welcher Umstand ebenfalls gegen die Beizleiternatur des Innennetzes spricht.
8. Herr Grabley (Woltersdorfer Schleuse): Die therapeutische Bedeutung
der Luftbäder bei der Behandlung der Neurasthenie, Anämie und Chlorose.
Nach einem kurzen historischen Überblick über die Licht-Luft-Therapie geht
Vortr. auf die moderne wissenschaftliche Begründung dieser Behandlungsweise
ein, die besonders durch Quincke, Winternitz u. a. ausgebildet worden ist.
Die respiratorische Tätigkeit der Haut hat eine größere Bedeutung, als es nach
ihrer relativ geringen Größe erscheinen könnte. Unsere Haut ist ein Schutz-,
Sekretions- und Nervenorgan, das aber durch die unzweckmäßige dauernde Be¬
deckung in seiner normalen Betätigung gehemmt wird und schließlich entartet.
Im Luftbade wirken auf die Haut einmal die atmosphärische Luft selbst mit
ihren Temperatur- und Bewegungsreizen ein, ferner das Licht. Die Gefahr der Er¬
kältung ist weniger groß als in Wasserbädern von gleicher Temperatur. Nach
Luftbädern steigt in der Begel die Körpertemperatur um einige Zehntel Grad.
Das Licht hat eine intensive Wirkung auf den gesamten Zellstoffwechsel (Quincke).
Vortr. hat Versuche bei Ghlorotischen und Anämischen gemacht, Blutkörperchen¬
zählungen und Hämoglobinbestimmungen ausgeführt und zwar in einer Beihe bei
Luftbäderbehandlung, in einer anderen bei Behandlung mit Arsen-Eisen und
warmen Vollbädern. Er fand, daß der Hämoglobingehalt und die Zahl der roten
Blutkörperchen im Luftbade schneller als unter der Eisenbehandlung Zunahmen.
Selbst wo Eisen versagte oder nicht vertragen wurde, war die Luft-Licht-
Therapie noch von günstigem Einfluß. Beide Versuchsreihen standen unter gleicher
Diät und gleichen Lebensbedingungen. Vortr. belegt die Ergebnisse mit genaueren
Zahlen. Bei Neurasthenie hat er häufig infolge herabgesetzter Kohlensäureabgabe
Fettansatz und Blässe beobachtet, und die Neubildung des Protoplasmas
im Blute, den Muskeln und Nervenelementen war herabgesetzt. Auch auf
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diese Störungen übte das Luftbad eine toniBierende Wirkung aus, und zwar
in besonders schonender Weise. DaB Luftbad bereitet das schlecht reagierende
Hautorgan gut auf die eigentliche Bäderbehandlung vor. Die kurze Dauer des
Bades ( 1 / 4 oder 1 / 3 Stunde) genügt vollkommen, um bei einem an das Nacktsein
nicht gewöhnten Körper die gewünschte Reaktion hervorzurufen. Vortr. schließt
mit einer kurzen Schilderung der Technik des Luftbades.
9. Herr Döllken (Leipzig): Die ersten Nervenbahnen im Großhirn. Durch
Vorbehandlung von embryonalen und erwachsenen Gehirnen mit verschiedenen
Reagenzien und folgender Einwirkung von Argentum nitricum werden ganz ver¬
schiedene Resultate bei der Reduktion erzielt. Vortr. hat nach den verschieden«!
Methoden, besonders Ramon y Cajals mehr als 120 embryonale Gehirne der
verschiedensten Stadien gefärbt, und betont die Notwendigkeit, einen schürfen
Unterschied zwischen Faserfärbung und Fibrillenfärbung zu machen. Die erste
Fibrillenbahn des Großhirns sah er bei einem menschlichen Embryo von 5 mm
Durchmesser, sie ging vom lateralen Teil des Striatum zur Faserung des Hirn¬
schenkelfußes. Noch übersichtlicher war dieses System bei einem Meerschweinchen
von 5 mm Durchmesser dargestellt. Die nächste Stufe waren Mausembryonen
von 7 bis 8 mm Durchmesser. Vom Ganglion bulbi olfactorii laufen dicke
Fibrillen als Längssystem der lateralen Riechrinde bis in die untere sphenoidale
Rinde; in der Höhe der inneren Kapsel vermitteln quergestellte Zellen- mit kau¬
dalem Fibrillenkegel eine Verbindung mit dem Fuß. Die Stria thalami wird
sichtbar. Beim Embryo von 11 mm Durchmesser lassen sich vier basale Systeme
zum Fuß unterscheiden: 1. Das primäre System des Striatums, 2. ein direktes
basales Bündel zwischen bulbuB und Fuß, 3. vom unteren vorderen Teil des
Striatum, 4. vom ganzen mittleren und vorderen Teile des Striatums. Das ganze
beteiligte Striatum ist jetzt von einem diohten Fibrillennetze bedeckt und gleich¬
zeitig erscheint das erste System des Thalamus, die Radiatio strio-thalamica
Edingers. Sie entspringt von einem gut abgrenzbaren Kern, dicht unter dem
Ganglion habenulae. Zahlreiche Fibrillenbündel laufen nach vorn und vereinigen
sich zu einem vorderen Stiel des Thalamus, während die dorsalsten Teile des
Striatums noch lange fibrillenfrei sind. Mit der Riechrinde bestehen bereits asso¬
ziative Verbindungen, nicht aber mit höher gelegenen Rindenabschnitten, die voll¬
kommen fibrillenfrei sind. Vom hinteren Teil des Striatums und der bedeckenden
Riechrinde verläuft ein System nach der Richtung der späteren Commissura an¬
terior. Später gibt es ein Bündel zur vorderen Commissur, eins zur Ammons-
commisBur, eins zum Thalamus. Bei einem Mausembryo von 12 mm ist außerdem
der Tractus olfactorius ausgebildet, bei 13 mm sieht man Assoziationsfasern und
Fibrillen, die im Bogen von der primären Riechrinde zum Striatum ziehen, diese
selbst läßt vier scharf gesonderte Gentren erkennen. Erst nachdem die Ent¬
wicklung des Riechhirns und des Striatums diese hohe Stufe erreicht hat, wachsen
die ersten spärlichen Fibrillen in der Zwischenhemisphärenrinde und im Ammons¬
horn aus. Bei Faserfärbung eines menschlichen Embryo von 28 mm sieht man
einen ausgebildeten Stabkranz, der das Striatum durchläuft und Fasern zur ganzen
Körperfühlssphäre der Rinde sendet. Das starke Auseinanderweichen der Fasern
erklärt, weshalb Verletzungen der basalen Teile so wenig geschlossene Degenera¬
tionen ergeben. Es ist demnach zweifellos, daß die frühsten Nervenstrecken des
Großhirns systemweise im Striatum und der Riechgegend sich entwickeln und
daß die Projektionssysteme den Assoziationssystemen vorausgehen (Flechsige
Gesetz). Weiter ergibt sich das wichtige Resultat, daß diejenigen Bahnen und
Centren des Großhirns, welche in der Wirbeltierreihe die ersten sind, eben Riech¬
hirn und Streifenhügel (Edinger), auch in der Entwicklung des Säugetieres allen
anderen Teilen des Großhirns vorauseilen.
10. Herr Schröder (Breslau): Hirn rinden Veränderungen bei arterio-
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sklerotisoher Demenz. Jeder kennt Fälle, die unter dem Bilde der arterio¬
sklerotischen Demenz verlaufen, ohne daß größere Herde die klinischen Symptome
zu erklären vermöchten. Bei manchen solcher Fälle sind Atrophien bestimmter
Windungsgebiete gefunden worden. Die Forschung drängt nach einem strengeren
Unterschied zwischen Arteriosklerose und Senium. Außer den von Alzheimer
zuerst genauer dargestellten Vorgängen lassen Bich bei einer Anzahl Fällen von
arteriosklerotischer Demenz im Rindengrau Veränderungen nachweisen, die vor
allem infolge ihrer oft großen Ausdehnung für das Verständnis der klinischen
Symptome wichtig sein können. Sie lassen sich bei schwacher Vergrößerung im
Nissl-Bilde gut erkennen. Eis fallen hierbei ziemlich scharf begrenzte helle Stellen
in der Rinde auf, die die ganze Rindenbreite oder einen Teil derselben ein¬
nehmen. Ihre Form ist bald reohteckig, bald mehr rund oder oval, gelegentlich
erstrecken sie sich über einen größeren Teil einer ganzen Windung, fließen oft
unregelmäßig zusammen und geben dadurch der Rinde ein geflecktes Aussehen,
stets sind sie streng auf das Rindengrau beschränkt. Auch bei diffusen Färbungen
(van Gieson, Nigrosin) fallen sie als hellere Flecken auf. Schwerer sind sie an
Markscheidenpräparaten zu finden. Sie lassen Bich definieren als eine fleckweise
Lichtung des Rindengebietes, dieselbe ist in erster Linie dadurch bedingt, daß
ein Teil der körnig erscheinenden normalen Grundsubstanz des nervösen Gewebes
verloren gegangen ist. Dabei fehlen alle Wucherungserscheinungen der Glia, im
Gegenteil findet man fast stets regressive Veränderungen an derselben. An den
Gefäßen zeigen sich entweder gar keine Abweichungen oder nur geringe
Schwellungen der Endothelien, keine Gefäßvermehrung oder entzündliche Er¬
scheinungen. Niemals fanden sich Körnchenzellen, bei Marohi-Präparaten keinerlei
Schwärzung. Die Aufhellung auf dem Nissl-Präparate kommt dadurch zustande,
daß die Nervenzellen an Zahl vermindert sind. Die noch vorhandenen sind ver¬
kleinert, blasser als normal mit tiefdunklem Kern und zeigen sogen. „Inkrustation
der Golgi-Netze“ (Nissl). Bei Fibrillenfärbung nur diffuse mäßige Lichtung, keine
Faserveränderungen, daneben allerdings in einem Fall mehr, im anderen weniger
echte gliöse Narben als Endzustände von kleinen Erweichungen. Gelegentlich
fanden sich auch Stellen, welche die Deutung von Übergangsformen zu Alzheimers
unvollkommenen Erweichungen zuließen. Für die arteriosklerotische Natur der
geschilderten Veränderungen spricht, daß die Sklerose der Gefäße stets aus¬
gesprochen war, daß daneben mehr oder minder zahlreiche Erweichungsherde vor¬
handen waren und in anderen Fällen die Veränderungen sich bisher nicht finden
ließen. Gegen eine rein senile Rückbildung sprach die Tatsache, daß eiue Person
erst 49 Jahre alt war. Bei den beschriebenen Veränderungen handelt es sich
um multiplen, lokalen, partiellen Untergang des funktionierenden Gewebes im
Rindengrau, wobei die bekannten groben Zerfallsprodukte fehlen, deshalb auch
die der Aufräumung solcher Produkte dienenden reaktiven Veränderungen am
Stützgewebe vermißt werden. Es handelt sich um eine einfache Rarefizierung
des Gewebes. Cramer, ferner Hiyake haben bereits ähnliches gesehen.
Diskussion: Herr Döllken hat bei lange dauernder Alkoholeinwirkung auf
ganze Gehirne ähnliche Flecken von ähnlicher mikroskopischer Beschaffenheit ge¬
funden, welche Amyloidreaktion zeigten und als reine Kunstprodukte angesprochen
werden mußten. Es ist wesentlich, ob Fixierung und Härtung rasch oder lang¬
sam vorgenommen worden ist. Er fragt, ob bestimmte Gegenden des Gehirns be¬
vorzugt waren.
Herr Schröder: Schlußwort.
11. Herr Steinhausen (Danzig): Zur Meohanik des Zitterns. Vortr. hat
willkürliche physiologische Zitterbewegungen, ausgehend von den beim Spielen von
Musikinstrumenten nötigen Bewegungen (Vibrato, Staccato des Geigenbogens)
studiert. Eis gibt Menschen, die dazu mehr talentiert sind als andere. Diese
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zeigten durchweg innerhalb physiologischer Grenzen erhöhte Sehnenreflexe. Die
Übung wirkt auf das willkürliche Zittern derartig ein, daß nur der Rhythmus
gleichmäßiger wird, die Frequenz bleibt unbeeinflußt. Diese ist individuell be¬
stimmt, und schwankt zwischen 5 und 12 in der Sekunde. Es handelt sich also
um eine präformierte Anlage, welche mit der von Broca und Rieh et gefundenen
phase refractaire bei elektrischer Reizung der Rinde im nahen Zusammenhang
steht. Außerdem hängt die Frequenz noch von Faktoren ab, die in der Gelenk-
und MuBkelmechanik zu suchen sind, so ist z. B. rasches rhythmisches Spreizen
der Finger viel schwerer ausführbar, als Beugen oder Strecken der Hand, schwer
wieder Ab- und Adduktion im Handgelenke. Sehr leichten Zitterns ist die
Unterarmrollung fähig. Bekannt ist der Versuch des FußzitternB im Sitzen, der
auf einem mechanisch besonders günstigen Mechanismus beruht, erlernbar ist das¬
selbe Fußzittern auch in Rückenlage. Der Kopf schwankt leicht um seine vertikale
und frontale, schwer um seine Bagittale Achse. Mechanisch ungünstig verhalten
Bich die einzelnen Finger. Sie nehmen auch an pathologischen Zitterbewegungen
meist nur passiv teil. Die Frequenz wird von der Verteilung der Masse um die
Drehungsachse herum bestimmt, d. h. von den Trägheitsmomenten. Die Masse
eines Gliedes muß relativ groß und schwer sein, um in schwingende Bewegung
gesetzt zu werden. Vermöge der Trägheit dauert die Exkursion länger als der
kurze Muskelimpuls, die Masse schwingt, der Schwere überlassen, weiter. So
erklären sich die Unterschiede der Frequenz an den verschiedenen Gelenksystemen
rein mechanisch. Es ist ein Unterschied, ob das Glied frei oder um einen festen
Stützpunkt rotiert. Die letzteren sind den klonischen Phänomenen ähnlich. Der
Pseudoklonus kommt offenbar auf demselben Wege zustande wie das künstliche
Zittern. Ist Jsei Gesunden eine Art Talent die Vorbedingung, so findet sich diese
Disposition gesteigert wieder bei Hysterischen. Der Pseudoklonus bei diesen ist
ein Kunstprodukt, während der echte Klonus ein rein reflektorischer, jedenfalls
subkortikaler Vorgang ist. Allerdings gibt es Übergänge, der echte Klonus kann
durch den Willen beeinflußt oder sistiert werden, der funktionelle wird durch
zunehmende Bahnung mehr und mehr subkortikal und nähert sich dem reflekto¬
rischen Ablauf. Vortr. hat einen Fall beobachtet, der echten organischen Fuß-
klonus am einen und unechten, funktionellen, eingeübten am anderen Fuß zeigte.
Es handelte sich um eine vor 7 Monaten erlittene in Heilung befindliche Stich¬
verletzung des dritten Dorsalsegments mit Brown-Sequard und spastischen
Phänomenen links. Zweifellos ist das Fußzittern simulierbar, wie alle übrigen
Zitterphänomene, namentlich auf hysterischer Grundlage und bei dauernder Ein¬
übung. Die Unterscheidung kann schwierig werden, auch die Ablenkung der
Aufmerksamkeit kann alB Unterscheidungsmerkmal versagen. Der sicherste Weg
ist, es nicht erst zur Vervollkommnung durch die Übung kommen zu lassen.
12. Herr Stern (Wien): Gegenwärtige Endziele aller bewußten Mensohen-
arbeit. Vortr. entwickelt aus den Tatsachen der Muskelbewegung eine Reihe
psychischer Äußerungen beim einzelnen Menschen und bei sozialen Gruppen. Die
etwas sprunghaften Ausführungen entziehen sich der Darstellung in einem kurzen
Referat.
(Schluß folgt.)
Internationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und
Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1907.
Referent: Dr. Bles (Amsterdam).
Eine große Schar der hervorragendsten Psychiater und Nervenärzte der
meisten europäischen Länder, Nord- und Südamerikas und selbst Japans waren,
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teils aus bloßem Sachinteresse, teils als Abgeordnete von Regierungen und ver¬
schiedenen wissenschaftlichen Vereinigungen, zu einem internationalen Kongreß
für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege zusammengetreten. Das
Königliche Ehepaar, unter dessen hohem Protektorate dieser Kongreß steht, be¬
ehrte die erste Versammlung desselben mit seiner Anwesenheit.
Die Königin und der Prinz wurden von Herrn Professor Dr. G. Jelgersma
aus Leiden, dem Vorsitzenden des Kongresses, herzlich bewillkommnet.
Sr. Exzellenz, der Herr Justizminister van Raalte, ergriff danach, als einer
der Ehrenvorsitzenden, das Wort zu der Begrüßungsrede. Sr. Exzellenz sagte u. a.:
„Das, was die Bedeutung dieses Kongresses noch erhöht, ist die Anteilnahme an
seinem Wohlgelingen, die ihm von 17 fremden Regierungen, deren offizielle
Vertreter wir hier begrüßen dürfen, entgegengebracht wird. Wir haben die Ehre
und die erfreuliche Genugtuung, diesen Kongreß beschickt zu sehen durch die
Abgeordneten der Regierungen von Deutschland, der Vereinigten Staaten von
Amerika, England, der Argentinischen Republik, Belgien, Bulgarien, Brasilien,
Chile, Dänemark, Spanien, Frankreich, Griechenland, Japan, Luxemburg, Rumänien,
Rußland und Schweden.* 4 Hierauf sprach Professor Jelgersma in einer Rede
über die Frage, inwieweit die Bildung als prädisponierende Ursache für
Nervenaffektionen in Betracht kommen könnte.
Danach sprachen verschiedene Delegierte der fremden Staaten, so für Deutsch¬
land Prof. Ziehen (Berlin); für Österreich Prof. Pick, der dem niederländischen
Neurologen Schroeder van der Kolk eine Huldigung darbrachte; für Dänemark
Prof. Friedereich; für Amerika Dr. Hendry G. Beijer; für Frankreich Prof.
Marie, der in schwungvoller Weise die niederländischen Frauen feierte; für
Griechenland Dr. Catsaras (Athen); für Italien Prof. Ferrari (Bologna); für
Japan Dr. Rinji Shima, der, mit Applaus begrüßt, in wenigen deutschen Worten
seinen Dank aussprach für die an sein Vaterland ergangene Einladung; für
Luxemburg Dr. Lucien Buffet; für Rumänien Dr. Barnu (Bukarest); für
Rußland endlich Prof. v. Bechterew (Moskau), der das Land feierte, in welchem
Peter der Große, mit dem Beile des Schifiszimmermanns in der Hand, die Grund¬
lage zu seinem Reiche gelegt hatte.
Nach dem Schlüsse der Eröffnungssitzung begab sich eine große Anzahl der
Teilnehmer nach dem Städtischen Museum zur Besichtigung der dortigen Aus¬
stellung. Herr Dr. van Deventer gab eine kurze Erläuterung, um den Zweck
und die Einrichtung der Ausstellung zu erklären.
Aus den Mitteilungen des Herrn Generalsekretärs, Dr. van Wayenburg,
ergab sich, daß in der Eröffnungssitzung anwesend waren: 36 offizielle Vertreter,
53 Abgeordnete wissenschaftlicher Einrichtungen aus 46 Ländern, während aus
21 Ländern 681 Namen von Kongreßteilnehmern eingetragen waren, darunter
350 Niederländer.
Sektion für Psychiatrie und Neurologie.
Herr Winkler eröffnet die Versammlung mit einer kurzen Ansprache.
Der erste Gegenstand, der auf die Tagesordnung gesetzt war, lautete: Der
Labyrinth-Tonus. — Das Labyrinth, das früher ausschließlich als ein Teil des
Gehörorgans aufgefaßt wurde, hat sich nicht nur als ein sehr wesentlicher Be¬
standteil dieses Sinneswerkzeuges erwiesen, sondern es hat auch noch Funktionen
gezeigt, durch die es auch auf andre Teile unseres Körpers Einfluß ausüben kann,
unter anderen auf den Tonus unserer Muskeln.
Über die Bedeutung dieses Labyrinth-Tonus referierten Herr R. Ewald
(Straßburg) und Herr Winkler (Amsterdam). Nach Operationen am Labyrinth,
so wies der erstgenannte Vortr. nach, nimmt man nicht allein Störungen in den
Muskeln des Mundes und des Kehlkopfes wahr, sondern es ist auch die rohe
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Kraft vieler willkürlicher Muskeln gestört. Das sind Erscheinungen, die nicht aus-
schliefilich aus Gehörstörungen erklärt werden können. Die von dem Labyrinth
ausgehenden Reize verursachen an sich keine Bewegung, sondern allein eine
Disposition zur Bewegung, wodurch es verständlich ist, daß nach Labyrinth*
Störungen keine Lähmungen eintreten. Ursprünglich hat das Labyrinth mit dem
Gehörorgan nichts zu schaffen gehabt; aber in der Evolution des Tierreiches hat
dieses Organ allmählich die Bedeutung des „Hörens“ bekommen, während seine
Tonusfunktion mehr in den Hintergrund trat. Dies erklärt denn auch, warum
die Störungen in den Funktionen des Labyrinthes bei Menschen und Tieren solche
verschiedenartige divergierende Erscheinungen hervorrufen.
Derselbe Gegenstand, den Ewald einleitete, wurde von Winkler (Amsterdam)
behandelt. Er beschreibt die Symptome, die nach Exstirpation des Labyrinthes
bei Kaninchen entstehen und bespricht im weiteren Verlaufe ausführlich die
anatomischen Veränderungen, die in den Nerven und im Gehirne naoh einer der*
artigen Exstirpation wahrgenommen werden. Ausdrücklich weist er darauf hin,
daß diese anatomischen Resultate für das Kaninchen, aber nicht für die Taube
gelten, bei welcher auch viele Untersucher Labyrinth-Exstirpationen vorgenommen
haben, wo aber die anatomischen Verhältnisse völlig andere Bind.
An der Diskussion beteiligte sich Herr v. Gebuchten.
Herr van Rijnberk (Rom) gab ein kurzes Referat über den Tonne des
cerebellums und beschrieb einzelne Versuche. Er bestritt dabei die Auffassung
Lewandowsky9, der meint, daß der Tonus des Cerebellum von einer afferenten
Bahn ausgeht.
An der Diskussion nahmen teil Herr Lewandowsky, Herr L. Mann,
Herr Zenker. Darauf folgte ein Vortrag von Herrn de Lange (Amsterdam)
Anatomie betreffend.
Das erste Thema, welches in der Nachmittagssitzung zur Behandlung kam,
betraf die chronischen Geistesstörungen, die durch Alkohol verursacht
werden, mit Ausnahme der reinen Formen der Dementia. Es wurde eingeleitet
von Herrn T. W. Mott (London) und Herrn P. Schroeder (Breslau). Ersterer
wies darauf hin, daß der Affekt des Alkohols auf das Individuum nicht so sehr
von der Art des alkoholischen Getränkes, das genossen wird, von dem Quantum
Alkohol und der Zeit, während welcher es gebraucht wird, abhängt, sondern in
erster Linie von seiner Persönlichkeit, seinem Temperament und seiner organischen
Konstitution. Die voneinander abweichenden Statistiken der verschiedenen Lon¬
doner Irrenanstalten sind durch die verschiedene Auffassung der Mediziner über
die Frage, was man zu alkoholischen Excessen rechnen muß, zu erklären. Zu¬
fällige Koinzidenz von Alkoholismus und Psychose werden oft für Ursache und
Folge angesehen, während es auch oft schwer ist, zu unterscheiden, was die Folge
von Erblichkeit und was die Folge von Alkoholismus ist. Die Alkoholpsychosen
teilt Vortr. in drei Gruppen. Die erste Gruppe umfaßt die Krankheiten, welche
durch Einwirkung von Alkohol, sei es nun direkt oder indirekt auf Gehirne, deren
Funktion vor dem Alkoholgebrauch normal war, entstehen. Die Patienten, die
zu dieser Gruppe gehören — wozu u. a. Delirium tremens gerechnet werden
kann —, kommen in London sowohl in gewöhnliche Krankenhäuser, als auch in
die Anstalten. Zu der zweiten Gruppe rechnet er die Krankheiten, welche die
Folge von chronischem Alkoholismus sind und bei Personen auftreten, die psychisch
bereits nicht mehr normal Bind, und in die dritte Gruppe bringt er die Fälle,
deren Symptome sowohl mit Krankheiten der ersten als auch der zweiten Gruppe
Übereinstimmung zeigen. Verschiedene, sowohl physische als psychische, Symptome
können direkt auf Alkohol als Ursache hinweisen; die makroskopische und mikro¬
skopische Untersuchung iBt aber noch nicht imstande, alle diese Symptome zu
erklären, und es ist oft zweifelhaft, ob der Alkohol direkt oder indirekt eingewirkt
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hat. Unter den Fällen, die zu der zweiten und dritten Gruppe gehören, kann
man noch, was die Bedeutung des Alkohols für diese Fälle betrifft, eine Unter¬
scheidung machen. Es gibt nämlich Formen, bei denen alle psychischen Symptome
wieder verschwinden, um später vielleicht nach dem Gebrauch von Alkohol wieder
zurückzukehren, in welchen Fällen man von einer Intoleranz gegenüber Alkohol
sprechen kann, und solche Formen, bei denen, selbst wenn der Patient bereits
länge dem Einflüsse des Alkohols entzogen ist, doch die psychischen Erscheinungen
nicht mehr versohwinden.
Herr Schroeder weist darauf hin, daß der Begriff „Alkoholpsychosen“ so
schwer zu umgrenzen ist, weil wir betreffs der Ursache von Geistesstörungen im
allgemeinen noch sehr wenig wissen. Hinzu kommt, daß beinahe niemals allein
der Alkoholgebrauch als der Erreger der hier gemeinten Krankheiten angesehen
werden kann; selbst bei Delirium tremens muß nächst dem Alkoholgebrauch noch
ein zweiter Faktor vorhanden sein, der den Ansatz zu der Krankheit gibt. Bei
weiter Auffassung des Begriffes „Alkoholpsychosen“ läuft man Gefahr, diese mit
anderen Psychosen bei Trinkern, wo der Alkohol nicht die eigentliche Ursache,
sondern nur die Veranlassung zum Ausbrechen der Krankheit ist, zu verwechseln.
Eine große Schwierigkeit besteht auch noch darin, daß die Neigung zum Trinken
bereits eine Folge von Degeneration oder von einer psychischen Störung ist. Der
Referent meint denn auch, daß Geistesstörung und Alkoholismus bei einer und
derselben Peroon oft eine Komplikation ist und daß auch nicht auf Alkohol be¬
ruhende Geistesstörungen mehr bei Trinkern als bei Nichttrinkern Vorkommen.
Die meisten chronischen Alkoholpsychosen stehen mit zwei Krankheiten in Zu¬
sammenhang, nämlich der progressiven Paralyse und der Paranoia. Besonders
was den Zusammenhang zwischen der letzteren Krankheit und dem Alkoholismus
betrifft, ist unser Wissen noch sehr unzulänglich. Bei Degenerierten, gleichgültig,
ob sie trinken oder nicht, finden wir oft an Paranoia erinnernde Vorstellungen,
die durch den Gebrauch von Alkohol stärker in den Vordergrund treten. Die
bei diesen Kranken vorhandene Wahnidee kann also aus dem Alkoholismus neue
Nahrung erhalten.
Von Herrn Jelgersma (Leiden) wurden Durohsohnltte, durch die Ge¬
samtmasse des Gehirns gemacht, demonstriert.
Darauf übernimmt Herr v. Bechterew das Präsidium und erteilt das Wort
an Herrn Dnpre (Paris) über den Unterschied swisohen Dementia paraly-
tica und anderen Formen von Dementia. Die erstere unterscheidet sich
von den anderen Formen dadurch, daß wir in der Ätiologie fast stets
Syphilis finden. Ferner treten Lähmungen auf. Die psychischen Erschei¬
nungen sind niemals partiell, sondern bilden immer ein geschlossenes Ganzes.
Der Charakter verändert sich, der Geschmack, die Neigungen nehmen andere
Eigenschaften an. Die Selbstkritik nimmt ab und geht schließlich völlig
zugrunde. Dieser Verlust der Selbstkritik wird durch eine Methode angezeigt,
die in einer Konfrontation mit sich selbst besteht. Weiter hängt hier¬
mit eine Reihe psychopathischer Erscheinungen zusammen, wie Veränderungen im
Empfinden, in Kombination von Empfindungen, die nichts miteinander zu tun
haben. Auch der organische Körper geht unter; denn die Dementia paralytica
ergreift anoh das vegetative System. Im allgemeinen wird die Krankheit also
charakterisiert durch diffuse Prozesse, die von Syphilis, von Gefäßveränderung
oder einer Intoxikation abhängig sind. Im Gegensatz zu ihr ist der Prozeß bei
der Syphilis des Gehirnes nicht so diffus. Sie ist mehr ungleichartig, sowohl in
ihren Erscheinungen als in ihrem Verlauf. Es treten plötzliche Verschlimmerungen
auf und daneben Perioden, in welchen der Prozeß zurückgeht. Auch die Tuber¬
kulose bietet ein anderes Krankheitsbild und tritt in einem andern Lebensalter
auf. Ebenfalls wird darauf hingewiesen, daß durch Syphilis, Alkohol, Trauma und
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andere Momente dem Auftreten von Dementia paralytica in die Hand gearbeitet
werden kann. (Mit Rücksicht auf die dem Yortr. zur Verfügung stehende Zeit
wurden die verschiedenen Punkte nicht näher ausgeführt.)
Herr Binswanger machte einige Bemerkungen bezüglich der von Dupre
genannten Unterschiede zwischen Dementia paralytica und der syphilitischen
Demenz, desgleichen bezüglich des Unterschiedes zwischen Dementia paralytica
und der Dementia auf Gefäßveränderung beruhend. Nach seiner Ansicht sind
diese Unterschiede nicht so prägnant.
Herr Putnam weist hin auf die Veränderungen in Sprache und Schrift.
Vortr. demonstriert eine Zeichnung, von einem seiner Patienten angefertigt, der
einige tausend Skizzen herstellte, die alle Ausdruck seines inwendigen Zu*
Standes sind.
Herrr Catsaras spricht über die diagnostischen and prognostischen
Werte einseiner katatonischer Erscheinungen bei Kranken aus seiner Klinik.
Vortr. spürte bei verschiedenen Zuständen von Demenz den Erscheinungen von Kata*
tonie bis zu ihrer anatomischen und histologischen Basis nach; er behandelt ausführ*
licher den ProzeBs des hysterischen Schlafes, die Lokalisation der verschiedenen Pro¬
zesse, welche katatonische Erscheinungen herbeiführen. Vortr. folgerte, daß es keine
Erscheinungen gibt, welche die Natur von derartigen Erscheinungen erkennen
lassen, daß sie jedoch von großer Bedeutung sind, um die Lokalisation des Pro¬
zesses festzustellen.
Herr David Orr und Herr Rows aus Manchester bzw. Lancaster teilten
hierauf durch den Mund des ersteren ihre Erfahrungen über die Wirkung von
Toxinen auf Gehirn* und Büokenmarksnerven mit. Früher ist bereits ge¬
zeigt worden, daß Degenerationen in den Hintersträngen des Rückenmarkes ihren
Ausgangspunkt an der Stelle hatten, wo die Hinterwurzeln in das Mark treten.
Hier werden die sensiblen Fasern in das Centralnervensystem aufgenommen und
verlieren ihr Neurilemm. Bei dem Studium der Lymphcirkulation ergab sich,
daß der Strom bis zum Rückenmark ging und daß sie ihren Platz direkt unter
der Scheide hatte. Wir wissen, daß bei Tetanus und Tollwut das Gift längs
der Wurzeln geht, was durch die Versuche von Marie und Morax bewiesen
wird, welche die Wurzeln durchschnitten, Toxine injizierten und keine Krämpfe
auftreten sahen. Versuche von Homön, Laitinen und Pirzone führten zu
demselben Resultate. Was für organische Stoffe gilt, gilt auch für chemische,
was durch Versuche von Guillain, Sicard und Bauer bewiesen wird, die mit
Eisensalzen experimentierten. Bei verschiedenen Affektionen müssen dann Herde
in den Hinterhörnern vorhanden sein, und auch experimentell fanden sie bei
Kaninchen, was bei Krankheiten bereits für den menschlichen Körper bekannt
war. So wurden Kapseln mit Staphylococcus pyogenes aureus, Bacillus pyo-
cyaneus, Gaertners Bazillus und Bacillus coli in den Körper gebracht. Erst
nahmen sie gesunde Tiere; dann und wann wurde die Kapsel erneuert. Die
entstehenden Läsionen waren deutlich in dem Rückenmark des Kaninchens zu
sehen. Die Degeneration begann, wo das Neurilem auf hörte. Auch die Colla-
teralen, von hier an entspringend, waren angegriffen; die äußersten Zonen waren
am meisten betroffen. Die Zeichnungen ließen deutlich erkennen, daß zuerst die
Markscheide zu degenerieren beginnt; darauf Behen wir Wall er sehe Degeneration
und schwarze Kügelchen (Fett, durch Osmiumsäure gefärbt) auftreten. Nirgends
sahen sie Degeneration außerhalb des Markes. Bei den Gehirnnerven zeigen sich
analoge Erscheinungen. Auch hier sahen sie Auftreten von Degeneration, wo das
Neurilemm aufhörte. Nach ausführlichen Beschreibungen des Zustandes bei den
verschiedenen Experimenten schließt Vortr., daß 1. Toxine längs den Nerven nach
dem Centralnervensystem gehen; 2. letztere extramedullär durch ihr Neurilemm
beschützt sind; 3. zuerst Veränderung der Markscheide auftritt; Aohsencylinder
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und Zellen folgen Bpäter. Sie fassen die Toxinwirkung als direkt die Nerven
angreifend auf und nehmen nicht mit Nageotte eine Entzündung an. Vortr.
geht nicht näher hierauf ein. Ein gewichtiges Argument hiergegen ist die De¬
generation des intramedullären Teiles, der Vorderhörner, die so oft bei Affektionen
sensibler Fasern vorkommt.
Herr Wertheim Salomonson demonstrierte, wie ein mdnsohliohes
Elektrodlagramm mittels des Galvanometers von Einthoven registriert werden
kann. Nachdem Vortr. mit Lichtbildern erläutert hatte, wie sein Instrument be¬
schaffen ist, zeigte er verschiedene Aufnahmen von Herzpalpitationen und PuIb-
Schlägen bei gesunden und kranken Personen.
Herr Förster: Über die Bedeutung des Affektes bei Paranoia. Vortr.
legt dar, welche Gefühle von Lust und Unlust bei verschiedenen Wahrnehmungen
auftreten. Das Lustgefühl nennt er schließlich das, was geschieht, wenn Schmerz
aufhört. Wenn hiermit ein Maximum von Vorstellungen gepaart geht, dann ist
der Affekt auch am größten. Alles ist also schließlich auf Schmerz zurück¬
zuführen. Schmerz hat keinen Gefühlston, ist jedoch selbst Unlust; Lust ist Auf¬
hören des Schmerzes. Bei einer Psychose müssen wir einen Defekt angeben, und
der Defekt bei Paranoia ist der, daß jede Vorstellung anders geschieht als bei
dem normalen Individuum. Bei der Paranoia ist die Anzahl der Vorstellungen
sehr groß, der Komplex derselben ist sehr umfangreich und damit übereinstimmend
ist auch der Affekt enorm.
Herr v. Wayenburg kann sich mit der Auffassung, in dem Schmerz den
Ausgangspunkt zu sehen, nicht einverstanden erklären. In vielen Fällen bestehe
ein Ausgangspunkt, der neutral sei und bei welchem von Lust oder Unlust keine
Bede sei.
Herr Förster stimmt der letzteren Ansicht bei; jedoch bei Hunger, dem
Beispiele des Dr. v. Wayenburg, sei doch das Schmerzgefühl auch prinzipiell
vorhanden.
Zum Schlüsse hielt Herr Marcus seinen Vortrag über akute Verwirrt¬
heitszustände auf syphilitischem Boden.
Es kommt dann zur Behandlung das Thema: Neue Theorien über das
Entstehen der Hysterie.
Erster Referent ist Herr P. Janet (Paris): Er erinnert zuerst an den Streit,
ob Hysterie zu dem Gebiete der Nerven- oder zu dem der Seelenkrankheiten ge¬
hört. Ist letzteres der Fall, dann muß man die Krankheit auch zufolge psychia¬
trischer Methode analysieren. Vortr. erinnert nun an die Neigung Hysterischer,
ein Ereignis, dem sie beigewohnt haben oder eine als fixe Idee festgelegte Hand¬
lung immer aufs neue zu wiederholen. Dieser Grundgedanke wird weiter aus-
gefiihrt. Darauf werden die verschiedenen Definitionen der Hysterie besprochen,
wobei Vortr. darauf hinweist, daß eine physiologische Theorie der Hysterie noch
fehlt; wir haben übrigens ebensowenig eine physiologische Erklärung von Ver¬
folgungswahnsinn usw. Jede Definition der Hysterie muß also einen psycho¬
logischen Charakter tragen, wovon denn auch die gegenwärtigen Neurologen und
Psychiater vollkommen überzeugt sind.
Dasselbe Thema wurde auch noch von Herrn Aschaffenburg (Köln) und
Herrn C. G. Jung (Zürich) behandelt. Letzterer bespricht mehr speziell die
Theorie von Freud, welche die Hysterie als eine Neurose betrachtet, für
welche die Anlage durch vor der Pubertät erhaltene Eindrücke sexueller Art
ntBteht.
Letzter Referent ist Herr Jelgersma (Leiden), der folgende Sätze formuliert:
1. Die hysterischen Symptome müssen in Stigmata und Symptome, übereinstimmend
mit den Auffassungen der französischen Schule, eingeteilt werden. 2. Die Stigmata
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sind nicht psychologisch bestimmt, sondern verursacht durch mangelhafte Anlage
des Centralnervensystems; man kann sie mit einem Kurzschluß vergleichen. 3. Die
Stigmata sind Ausfallssymptome in dem Sinne, daß nur wenige Verbindungen
zwischen ihnen und der übrigen Psyche bestehen; sie sind darum nicht zu lokali-
sieren. 4. Im normalen Leben begegnet man zahlreichen Analogien mit Stigmata;
es sind stets sehr einfache psychische Prozesse. 5. Hysterie mit Stigmata stellt
eine starke Vereinfachung des psychischen LebenB vor. 6. Die Symptome ent¬
stehen durch erhöhte Intensität des psychischen Prozesses (Emotionalität) der
Stigmata. 7. Emotionalität wird verursacht durch die Intensität der psychischen
Prozesse; Intellektualität ist die Extensität (das Komplizierte) des psychischen
Prozesses.
Zum Schlüsse hält Herr Bam6n y Cajal (Madrid) einen Vortrag über
die traumatisohe Degeneration der Aohsencyllnder des Groß- und Klein¬
hirns.
Herr Oppenheim (Berlin) demonstriert Hüokenmarksgesohwülste,
die operativ entfernt waren. Von 12 Fällen gelangen sieben und nahmen
fünf einen tödlichen Verlauf. Diese fünf sind älteren Datums, was darauf hin¬
weist, daß die operative Technik in den letzten Jahren sehr fortgeschritten
ist. Nach einer Erläuterung an der Hand von Lichtbildern wies Vortr.
darauf hin, wie in allen diesen Fällen die Geschwülste einander gleichen. Er
schloß mit dem Satze, daß das Resultat der Operationen bei Rückenmarkstumoren
als befriedigend bezeichnet werden darf. (Mit Rücksicht auf die Mittagssitzung
und die vorgeschrittene Stunde wurden die übrigen Vorträge zurückgestellt.)
Es folgt Asymbolie, Apraxie und Aphasie, worüber Herr A. Pick (Prag)
das Wort ergreift. Der Ausdruck Asymbolie, der zuerst von Finkeiburg an¬
gewendet ist, ist so häufig in seiner Bedeutung verändert worden, daß es notwendig
ist, erst an der Hand ursprünglicher Akten die rechte Bedeutung des Wortes
festzustellen. Nach Kant sind alle Kennzeichen, die durch Sinneswerkzeoge
wahrgenommen werden, auch die Sprache, Symbole; also Asymbolie ist der all¬
gemeine Ausdruck für Agnosie und Aphasie. Finkeiburg dagegen beschränkt
den Begriff Asymbolie auf die Störungen, welche auf angelernte Zeichen von Be¬
griffen Beziehung haben; nach seiner Auffassung sind die verschiedenen Störungen
in dem Vermögen, Begriffe auszudrücken, vor allem in der Sprache, Unterteile
der Asymbolie. Schließlich gebraucht Wernicke diesen Ausdruck für alle Stö¬
rungen in dem Erkennen der Gegenstände, mit Ausnahme derjenigen Störungen,
die auf die Sprache Bezug haben. Pick empfiehlt nun, zu der Definition
Finkeiburgs zurückzukehren. Die Definition Kants ist zu weit, während
sie obendrein auf metaphysischer Grundlage ruht Die von Wernicke angegebene
Beschränkung empfiehlt sich nicht. Agnosie und Apraxie stehen neben Asymbolie,
sind jedoch nicht scharf von ihr geschieden.
Herr v. Monakow (Zürich) ist der zweite Redner. Aphasie, Apraxie und
Asymbolie sind eng miteinander zusammenhängende Zustände, die darin überein¬
stimmen, daß die Möglichkeit, Gedanken in konventioneller, zusammenhängender
Weise auszudrücken oder auch Ausdrücke von andern, auch von dem Kranken
selbst, richtig zu verstehen und zu begreifen, gestört ist. Man kann zwei Haupt¬
gruppen unterscheiden. Zunächst diejenige, wo die Störungen vornehmlich auf
den Gebrauch und das Begreifen von Sprachzeichen Bezug haben. Zweitens die¬
jenige Gruppe, welche solche Störungen umfaßt, welche die Orientierung über
Zeit und Raum betreffen (Agnosie, sensorische Asymbolie) oder solche Störungen,
wodurch das Vermögen, bestimmte Bewegungen oder Handlungen zu verrichten,
verloren gegangen ist; (motorische Asymbolie, Apraxie). Beide Hauptgruppen
kann man unter dem Namen Asemie zusammenfassen. Beide Hauptgruppen um-
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fassen eine ganze Reihe von Symptomen, die oft zusammen ein klinisches Bild er*
geben. Alle möglichen Kombinationen und Übergänge können Vorkommen. Aphasie,
Apraxie und Asymbolie werden gewöhnlich durch Herde in der linken Hemisphäre
verursacht. Die Erscheinungen, die unmittelbar nach dem Entstehen des Herdes
zutage treten, sind teilweise bleibende, teilweise vorübergehende. Die letzteren
können noch wieder in zwei Gruppen eingeteilt werden, nämlich solche, welche
unmittelbar mit den allgemeinen Erscheinungen verschwinden, und solche, welche
erst nach Monaten oder Jahren zu bestehen aufhören. Die höheren Faktoren für
die Sprache brauchen durch einen einzelnen Herd in dem im übrigen gesunden
Gehirn nicht gestört zu sein. Das Zurückgehen verschiedener Erscheinungen
weist darauf hin, daß von dem Herde aus eine zeitweise elektive schädliche
Einwirkung auf einige Gehirnteile entsteht, wodurch diese gleichsam ausgeschaltet
werden (Diaschisis). Diese Diaschisis folgt keinem anatomischen, sondern einem
mehr physiologischen Wege, wodurch die klinisch scharf umschriebenen Formen
der Aphasie und Apraxie erklärt werden. Die auftretende Stabilität in den Er¬
scheinungen hängt nicht so sehr von dem Herd als von der Natur der patho¬
logischen Prozesse ab (Zirkulationsstörungen, Toxine usw.).
Herr Fritz Hartmann (Graz) spricht über das gleiche Thema. Er weist
darauf hin, daß die Erscheinungen, die sich bei umschriebenen Herden in dem
Centralnervensystem zeigen, nicht einfach durch das Wegfallen der physiologischen
Erscheinungen erklärt werden können, die im Herde ihren Sitz haben. Dies
führt zu der Frage, inwiefern die beiden Hemisphären deB Gehirns miteinander
Zusammenhängen und welche Bedeutung vor allem das Corpus callosum hat. Aus
einem klinischen Gesichtspunkt schließt sich hieran die Frage, inwiefern auf
Grund klinischer Erscheinungen auf einen lokalisierten Herd geschlossen werden
kann. Ferner tritt die Frage heran, ob die in dieser Richtung ausgeführten
Experimente bereits brauchbare Resultate ergeben haben. Hinsichtlich der ersten
Frage weist Vortr. darauf hin, daß Zusammenarbeiten der beiden Hemisphären
bereits bei ziemlich einfachen Prozessen vorkommt, während verschiedene andere
Tatsachen darauf hindeuten, daß oft die physiologischen Eigenschaften der beiden
Hemisphären verschieden sind. Vortr. hält es für möglich, in verschiedenen Fällen
die besonderen Formen von Asymbolie und Apraxie auf lokalisierbare Herde
zurückzuführen. Die Schwierigkeiten einer rationellen Pathophysiologie deB Ge¬
hirns müssen vor allem in der Unmöglichkeit gesucht werden, die wirkliche physio¬
logische Bedeutung der morphologischen Substrate festzustellen. Die geringe
Anzahl der in dieser Richtung gemachten Versuche gaben für die asymbolischen
und ^praktischen Erscheinungen brauchbare Resultate.
Über dasselbe Thema sprach auch noch Herr Liepmann (Dalldorf-Berlin).
Die Tätigkeit mehrerer Muskeln ist schon in angeborenen und präformierten
Mechanismen zusammengefaßt. Schon spinal, cerebellar, dann kortikal. Neue und
höhere universale Verknüpfungen bildet die Erfahrung des Lebens aus: erlernte
Verknüpfungen der angeborenen und präformierten Synergien zu Handlungen,
d. i. Bewegungen nach Zwecken. Die Vernichtung der angeborenen und prä¬
formierten Mechanismen in irgend einem Abschnitt ist Lähmung, ein ungeordnetes
Funktionieren derselben infolge von Fortfall centripetaler Regulierungen Ataxie.
Die Zerstörung der erlernten Verknüpfungen bedingt Apraxie (die aphasischen
Störungen sind — soweit expressiv — Apraxie der Sprachmuskeln). Diese Ver¬
knüpfungen finden für einfache und sehr geübte Bewegungen ihr nervöses Substrat
schon in den Rindenfeldern der verschiedenen Gliedmaßen in Gestalt der Rema¬
nenzen — ein Ausdruck Kohnstamms — gleich kinetische Erinnerungen (be¬
wußte und rein materielle). Im Armcentrum finden Bich z. B. außer den Struk¬
turen für präformierte Synergien die Remanenzen für die Bewegung des Handgebene,
Winkens, Drohens usw. Verwickeltere Bewegungen und vor allem die von Fall zu
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Fall variierenden Bewegungen nach Maßgabe der optisch-taktil oder auch akustisch
aufgefaßten Situation, setzen eine Verknüpfung der kinetischen Gliedremanenzen
mit den Remanenzen der übrigen Rindenfelder (optisches, taktiles usw. beider
Hemisphären) voraus. Pathologisch finden sich nun folgende Stufen: 1. Ein
Gliedapparat ist nicht gelähmt — denn unter günstigen Umständen funktioniert
er — aber ist willkürlich schwer ansprechbar: Wernickes transkortikale
Lähmung, Bruns’ Seelenlähmung, herabgesetzte Bewegungsintention. Anatomisch
wohl lokale Shockwirkung auf das Rindenzentrum des Gliedes (am besten als
Willenslähmung zu bezeichnen). 2. Der Gliedapparat funktioniert, aber be¬
stimmte erlernte Bewegungskombinationen (Pusten, Pfeifen usw.) können nicht
mehr ausgeführt werden: Verlust kinetischer Remanenzen, früher von mir „Verlust
der gliedkinetischen Komponente“ genannt. Anatomisch durch oberflächliche
Herde in den Gliedzentren (vielleicht den Fuß der 1. und 2. Stirnwindung ein¬
schließend) oder atrophisierende oder elektive Prozesse in diesen bedingt, welche
die groben Synergien verschonen. Tiefergehende Läsionen der Gliedzentren machen
Lähmung, welche diese gliedkinetische Apraxie verdeckt. Diese Form hatte
Meynert mit seiner kurzen Andeutung einer motorischen Asymbolie im Auge.
Die Störung ist auf bestimmte Glieder lokalisiert, zeigt sich in groben Bewegungen
eines „Ungeübten“, Fortfall der feineren erlernten Bewegungen. 3. Die glied¬
kinetischen Remanenzen sind erhalten, aber von den übrigen Rindenfeldern ab¬
gesperrt oder wenigstens in ungenügendem Einvernehmen: die von mir als moto¬
rische Apraxie par excellence geschilderte Form; am besten ideo-kinetische
Apraxie genannt, weil den ideatorischen Prozeß und kinetische Remanenzen aus¬
einanderreißend. Anatomisch durch Unterbrechung vieler Leitungsbahnen, welche
das Gliedcentrum mit den übrigen Rindenfeldern verbinden, bedingt. Prädilektions¬
stelle für die Apraxie der Glieder: tiefes Mark des ScheitellappenB. Die Störung
ist auf bestimmte Glieder lokalisiert, zeigt sich in Bewegungsverstümmelung,
BewegungsVerwechslung, Bewegungsversagen, und zwar schon bei einfachsten
Bewegungen und beim Nach machen. 4. Die gliedkinetischen Remanenzen sind
erhalten, auch im Einvernehmen mit dem in anderen Rindenfeldern zustande
kommenden Entwurf der Bewegung, aber dieser „ideatorische“ Entwurf ist fehler¬
haft: ideatorische Apraxie (Picks ideomotorische Formen). Anatomisch besonders
durch Herde im konvexen Hinterhauptslappen und durch diffuse, das gesamte
psychische Leben schädigende Prozesse bedingt (senile Atrophie, Intoxikation).
Die Verfehlungen erinnern an Zerstreutheitentgleisungen, betreffen alle Glieder
gleichmäßig, beginnen erst bei komplizierten Akten, das Nachmachen ist besser
als das Spontanmachen. Es finden Auslassungen von Teilakten, Verstellung der
Teilakte usw. statt. Zwischen Fehlreaktion und richtiger ist ein assoziatives
Band zu erkennen. Wir haben so' 1. Willenslähmung, 2. gliedkinetische Apraxie,
3. ideo-kinetische Apraxie (= meiner motorischen Apraxie), 4. ideatorische Apraxie.
Nun kann eine ideo-kinetische Apraxie sekundär ideatorische Apraxie bedingen.
Das gilt ganz besonders für diejenigen, welche linkshirnigen Herden entspringen.
Denn die Remanenzen des linkshirnigen Handcentrums und deren Verbindungen
spielen eine besondere Rolle ebenso, wenn auch nicht in gleichem Grade, wie die
akustischen Remanenzen des linken Schläfenlappens. Sie sind für sehr geübte
Handlungen die Hauptstütze auch des ideatorischen Prozesses. Ja, es ergibt sich,
daß sie für die Innervation des rechtsbirnigeu Handcentrums eine zwar nicht
ganz unerläßliche, aber nicht ohne Schaden entbehrliche Durchgangsstelle sind.
Dadurch erleidet der Satz von der Lokalisation der gliedkinetischen und ideo-
kinetischen Apraxie auf ein Glied eine Beschränkung für solche Apraxien, wenn
sie die rechte obere Extremität betreffen: dann ist in geringem Maße auch die
linke Hand mit betroffen — wenigstens für die Mehrzahl der Menschen. Die
Unterbrechung des Balkens, sowie intrahemisphärialer Balkenfasern bewirkt auch
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Apraxie der linken Hand. So ist die Eapraxie abhängig von der Intaktheit eines
großen Apparates im Gehirn, an dem sich viele Rindenfelder, besonders der linken
Hemisphäre, und der Balken beteiligen. Die besondere Wichtigkeit, die in dem
Gesamtapparat dem Centrum der rechten Hand und seinen Verbindungen zukommt,
bewirkt, daß es quoad Apraxie besonders verwundbare Stellen im Gehirn gibt:
für die rechte Körperhälfte der linke Scheitellappen, für die linke der Balken¬
körper und seine Einstrahlungen in die Rinde.
In der darauffolgenden Diskussion bemerkt Liepmann noch folgendes:
Daß das Wort „Asymbolie“ zweckmäßiger im alten Finkelburgschen Sinne
angewendet werde und für die Störungen des Erkennena besser „Agnosie“ gesagt
werde, dafür bin gerade ich wiederholt eingetreten. Daß die Diaschise ein wesent¬
liches Erklärungsmoment für die Aphasielehre abgeben werde, glaube ich nicht,
sie kommt nur für Tage, höchstens Wochen in Betracht. Ausfälle, die viele
Monate oder Jahre dauern, können nur durch Zerstörungen von Substraten
erklärt werden, die bisher unerläßlich für die Funktion waren.
Vor den klinisch oder anatomisch negativen Fällen steht die Diaschisislehre
ganz ratlos. Daß die „klassische“ Theorie in vielen Fällen sich nicht ohne weiteres
buchstäblich bestätigt findet, dafür gibt es, ohne Annahme der Diaschisis, Er¬
klärungen genug. Erstens ist die Theorie überhaupt eine Idealisierung und Ver¬
einfachung der wirklichen Gesetze, und es ist selbstverständlich, daß sie in dem
Gewirr von Fasern und Zellen, welche das Gehirn darstellt, sich nur selten ohne
weiteres ablesen wird. Jeder Herd ist anders, in jedem Fall sind andere Nach¬
barschafts- und Fern Wirkungen durch Zirkulationsstörung und Ödem. Die Rüstig¬
keit der nicht direkt befallenen Gebiete ist nach Alter, Anlage, Atrophie, Arterio¬
sklerose eine verschiedene, daher sehr variabel. Ebenso wie auf Nebenbahnen
neue Anschlüsse entstehen, oder bisher feiernde Gebiete Ersatz leisten können.
Insbesondere ist die Mitwirkung der rechten Hemisphäre eine sehr verschiedene
bei verschiedenen Menschen. Es wird im allgemeinen nicht beachtet, daß es
außer ausgesprochenen Linkshändern eine große Anzahl von Amphidextern gibt.
Berücksichtigt man diese Umstände, so braucht man bezüglich der Lokalisation
nioht so skeptisch zu sein. Aus der Vielzahl der Fälle leuchtet doch eine für
etwa 90 °/ 0 der Menschen gültige lokalisatorisclie Gesetzmäßigkeit hervor. Ich
bin im Begriff einen Fall zu publizieren, in dem typische motorische Aphasie
über 2 Jahre bis zum Tode angedauert hat bei ausschließlicher Läsion der 3. Stirn¬
windung mit ganz leichter Mitbeteiligung der zweiten und des Überganges der
dritten in das Operculum Rolandi.
Über die Grenzen des Gebietes, dessen Zerstörung notwendig motorische
Aphasie macht, sie machen muß, sind wir allerdings noch nicht sicher, aber
daß irgend eine Läsion eine bestimmte Aphasie machen muß, hat auch keiner
der Lokalisatoren behauptet. Die Ausnahmslosigkeit eines mathematischen Ge¬
setzes besitzt kein lokalisatorischer Satz. Wie vorsichtig man bei Verwertung
eines Falles vorgeben muß, und wie nur mustergültig klinisch und anatomisch
untersuchte Fälle verwertet werden können, also die Mehrzahl in der Literatur
vorhandenen nicht, lehrte mich folgender Fall: ein nicht aphasischer Dall-
dorfer Patient zeigte bei der Sektion Vernichtung zwar nicht der ganzen Broca-
scben Gegend (das hinterste Viertel erhalten), aber doch des größeren Teiles.
Das schien Wasser auf die Mühle der Gegner der Lokalisation zu sein und be¬
sonders P. Marie Recht zu geben. Nähere Befragung der Angehörigen ergab
aber, daß Patient vor 10 Jahren mindestens ein halbes Jahr lang motorisch
aphasisch war. Wieviel nur flüchtig und unsachkundig studierte Fälle mögen
unter denen sein, die in der Literatur als negative Fälle auftreten! Autoreferat.
An der Debatte über diese Referate nahmen noch teil: Herr Heillironner
(Utrecht) und Herr v. Monakow (Zürich).
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Herr Binswanger spricht über Herdersoheinungen bei genuiner Epi¬
lepsie. Die genuine Epilepsie ist charakterisiert durch die oft wiederkehrenden
allgemeinen Krampfanfälle mit Verlust des Bewußtseins. Zuweilen sind die An¬
fälle nicht vollständig. Anstatt der Krampfanfälle können eigenartige psychische
Krankheitsbilder auftreten. Zu der genuinen Epilepsie rechnet Vortr. nicht die
Krankheitsbilder, die infolge materieller Affektionen des Gehirns auftreten. Er
hält trotz der Untersuchungen von Alzheimer, der bei genuiner Epilepsie
pathologisch-histologische Veränderungen gefunden hat, an dieser Scheidung fest
Er hält diese Veränderungen nur für die Folge fortdauernder chemischer nutri¬
tiver Wirkungen. Es kann nach Ansicht des Vortr. kein Zweifel darüber be¬
stehen, daß auch bei der genuinen Epilepsie Herderscheinungen auftreten; als
solche müssen einzelne Aurasymptome und einige Erscheinungen der Krampf¬
anfälle genannt werden. Die Herderscheinungen selbst besitzen mehr einen theo¬
retischen Wert. Sie geben keine Hinweise für die Lokalisation des Krampf¬
anfalles. Selbst wenn die genuine Epilepsie mit Herderscheinungen gepaart geht,
ist keine Ursache vorhanden, zu einer operativen Behandlung überzugehen.
Nach Beendigung dieses Vortrages entspann sich eine lebhafte Debatte, an
welcher teilnahmen: Herr Muskens (Amsterdam), Herr Waldenburg (Berlin)
und Herr Heilbronner (Utrecht).
Herr Lewandowsky (Berlin) sprach über den Farbensinn bei Herd¬
erkrankungen im Gehirn.
Nach dem Schluß der allgemeinen Sitzung wurde eine Extrasitzung der Sek¬
tion I abgehalten, um die Debatten über das Wesen der Hysterie fortzusetzen.
Viel Beifall fand hierbei Prof. Alt, der kräftig gegen die Theorie Freuds pro¬
testierte und mit Nachdruck darauf hinwies, daß er nicht gern die Verantwortung
auf sich nehmen möge, einen Kranken nach einem Sanatorium zu senden, wo
eine Untersuchung oder Behandlung auf den Grundlagen der Freud sehen Theorie
geschieht.
An der weiteren Debatte nahmen u. a. teil: Herr Heilbronner, Herr Gion,
Herr Bari.
Fräulein Marie Bobinowitsch demonstrierte, wie man mittels des elek¬
trischen Stromes Tiere gefühllos machen kann. Während dieser gefühllosen
Periode können selbst große Operationen schmerzlos verrichtet werden. Die Vor¬
tragende meint, daß diese Methode in der Zukunft eine große Bedeutung haben
kann, und wahrscheinlich das Chloroform auf die Dauer werde ersetzen können.
Eine zweite Mitteilung derselben Bednerin bezog sich auf den Tod durch
elektrische Ströme. Sie teilte mit, daß es gelang, Tiere, die durch den elek¬
trischen Strom getötet seien, das will sagen, bei denen Herz und Atmung Still¬
ständen, wieder ins Leben zurückzurufen durch rhythmische Einwirkung bestimmter
Ströme.
Im Anschluß hieran gab Herr Mac Donald (New York) eine Übersicht über
die Elektrokution in Amerika, an deren Einführung er selbst einen wirksamen
Anteil genommen habe. Er beschreibt die Art und Weise, in welcher diese Exe¬
kution ausgeführt werde, und teilte mit, daß er nach seiner Bückkehr nach
Amerika den Gouverneur ersuchen werde, bei der nächstfolgenden Elektrokution
die Methode des Fräulein Bobinowitsch anwenden zu dürfen, um zu versuchen,
den getöteten Verbrecher wieder in das Leben zurückzurufen.
Herr L. Mann (Breslau) spricht über sekundäre Kontrakturen bei der
Hemiplegie. Vortr. erinnert daran, daß die hemiplegische Kontraktur eine echte
Hypertonie ist und keine passive Verkürzung darstellt. Die Hypertonie betrifft
aber nicht alle Muskeln, sondern allein die, welche ein gewisses Maß von Be¬
weglichkeit zurückerhalten haben. Entsteht durchaus keine Beweglichkeit, dann
bleiben die Muskeln auch schlaff. Diese von van Gehuchten gefundenen Tat-
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eachen kann Vortr. bestätigen. Jede Theorie über die hemiplegischen Kontrak¬
turen wird also hierauf Rücksicht nehmen müssen, van Gebuchten erklärt dies
einfach durch die überwiegende Innervation der noch funktionierenden Muskeln,
und man findet denn auch zufolge van Gehuchtens Ansicht dieselben Kontrak¬
turen nach peripheren Lähmungen. Vortr. stimmt mit dieser Theorie van Ge¬
huchtens nicht überein, weil man dann auch eine Kontraktur in dem Falle auf-
treten sehen mufi, wenn ein Muskel vollkommen gelähmt ist und sein Antagonist
vollkommen funktioniert, was in Widerspruch mit der Beobachtung steht. Das
Mißverhältnis zwischen Innervation in einem Muskel und in Beinern Antagonisten
ist also nicht das Entscheidende. Vortr. hat bereits im Jahre 1898 eine Er¬
klärung der Kontraktur gegeben, die er, abgesehen von einigen Modifikationen,
auch jetzt noch aufrecht zu halten wünscht. Vortr. geht bei seiner Erklärung
aus von dem Mechanismus der willkürlichen Bewegungen. Bei einer Bewegung
muß nicht allein eine Beihe von Muskeln zusammen wirken, sondern es müssen ihre
Antagonisten außer Wirkung gesetzt werden, also entspannt werden. Entspannen
und Spannen von Muskeln ist prinzipiell dasselbe; ob sind allein verschiedene
Grade eines und desselben Zustandes; man würde nötigenfalls im ersten Fall von
einer negativen, im zweiten Fall von einer positiven Innervation sprechen können,
oder auch wohl von Denervation und Innervation. Wenn nun eine centrale Läh¬
mung auftritt, dann fällt sowohl die Denervation als die Innervation weg. Da
nun die Denervation auf die Antagonisten Bezug hat, erhalten diese einen Über¬
schuß von Innervation und geraten in Kontraktur. Dieses Prinzip wird nun
durch den Vortr. weiter ausgeführt und auf die verschiedenen Lähmungen an¬
gewandt.
Herr Jonas (London) spricht über die klinische Bedeutung Alloohirie, da¬
rauf Herr J. W. Putnam über 4 Fälle von Landrysoher Paralyse, 2 Fälle
von Neuritis multiplex, durch Infektion entstanden, und über einen Fall von
Myasthenia gravis.
Herr F. W. Mott (London) hält einen Vortrag über experimentelle und
histologische Untersuchungen der Hirnrinde beim Halbaffen verglichen mit
derjenigen der Primaten und in Verbindung mit der Funktion und Entwicklung
der Gehirnwindungen.
Herr W. Sterling (Warschau) spricht über eine eigentümliche Form von
progressiver Muskel- und Knoohenkrankheit.
Darauf kommt an die Beihe Herr Bychowski (Warschau) mit dem Thema:
Beflexstudien. Die Haut- und Sehnenreflexe, die uns gegenwärtig als ziemlich
zwecklos Vorkommen, haben ursprünglich die Bedeutung von Angriff- und Ab¬
wehrbewegungen gehabt und sind im Lauf der Entwicklung einfache unwillkür¬
liche Bewegungen geworden. Es sind also rudimentäre Funktionen. Die Bekon-
struktionen dieser Funktionen sind äußerst schwierig; doch ist es wahrscheinlich,
daß sie nicht denselben phylogenetischen Wert haben. Vortr. hat nun die am
besten bekannten Beflexe bei Neugeborenen und jungen Kindern untersucht. Der
Patellarrefiex ist bei Neugeborenen konstant vorhanden und sehr lebhaft. Der
Achillessehnenreflex ist jedoch in den ersten Monaten beinahe nicht auszulösen
und ist erst im 3. Lebensjahre konstant vorhanden; das gleiche gilt für die
Reflexe der Bauchhaut. Vortr. folgert, daß der Achillessehnenreflex und der Bauch¬
reflex phylogenetisch später als der Patellarrefiex entstanden sind. Er betrachtet
die beiden ersten als cerebralen Ursprungs.
Dann spricht Herr A. Saenger (Hamburg) über Röntgendiagnostik von
Hypophysentumoren. (Demonstration mit Lichtbildern.)
Es folgt Herr Arriens Kappers (Frankfurt) mit dem Thema: Über die
phylogenetischen Verlagerungen der motorischen Oblongatakerne, ihre
Ursaohen und ihre Bedeutung (vgl. d. Centr. 1907. S. 834).
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Sektion für Psychologie und Psycho-Physica.
Vorsitzender: Herr Heymans (Groningen), Ehrenvorsitzender: Herr Jodl
(Wien).
Herr Gutzmann (Berlin) spricht über: Versuche, betreffend Hören und
Begreifen. Selbst Personen mit einem normalen Gehör verstehen von Lauten,
die keine Bedeutung haben, nur wenig, so daß das Begreifen des Gehörten
größtenteils auf Kombination beruht. Vortr. ging bei seinen Versuchen von der
Idee aus, daß bei Telephongesprächen die Kombination eine noch größere Rolle
spielen müsse, weil wir durch das Telephon Personennamen schlecht hören. Um
nun die Kombination auszuschließen, wurden bei den Versuchen allein bedeutungs¬
lose Laute gebraucht. Weiter wurden Versuche in offener Luft und im Zimmer
angestellt. Der Untersuchende muß vor allem darauf achten, daß er während der
ganzen Probe in derselben Stimmhöhe spricht. Die größte Zahl von Fehlern
wurde bei den Telephonversuchen gemacht, die geringste bei den Zimmerversuchen.
Laute mit einem gleichen akustischen Klang wurden am meisten miteinander
verwechselt, z. B. p, t, k und b, d, g. Die Vokale wurden im allgemeinen gut
verstanden. Obgleich bei den Versuchen den Versuchspersonen — meistens sehr
intelligenten Individuen — mitgeteilt worden war, daß ausschließlich Laute ohne
Bedeutung verwendet werden sollten, war es doch eigentümlich, daß oft Wörter
mit Bedeutung verstanden wurden. Kinder von 10 und 11 Jahren schrieben
fortgesetzt französische Wörter nieder. Ein junger Mann von 18 Jahren, der für
das schöne Geschlecht nicht unempfindlich war, schrieb sogar fünfmal einen
Mädchennamen nieder. Das Verkehrtverstehen von Wörtern hat auch vom ge¬
richtlichen Gesichtspunkte aus seine große Bedeutung. Bei einem Versuche mit
einem Studenten, welcher bereits von seiner Geburt an taub war, der jedoch
mustergültig gesprochene Wörter vom Munde ablesen konnte, wurden auch Fehler
wabrgenommen, die sich aber in ganz anderer Richtung bewegten; so wurden
z. B. b, p und m — bei allen drei wird beim Aussprechen der Mund ge¬
schlossen — verwechselt. Es fiel dieser Person sehr schwer, nicht zu kom¬
binieren?
Herr R. Sleeswijk spricht über die Bedeutung des psychologischen
Denkens in der Heilkunde. Er skizziert erst die verschiedenen Auffassungen
über das Entstehen und das Wesen von Krankheiten in früheren Zeiten. Es be¬
steht kein einziger Grund, nicht auch das Wesen des Wahrnehmens und Denkens
zum Gegenstände des Studiums zu machen und das Psychische nicht auf gleiche
Linie mit dem Physiologischen zu stellen. In beiden können wir Regelmäßigkeit
wahrnehmen; bei beiden folgt auf einen bestimmten Reiz ein bestimmter Effekt,
was Vortr. noch weiter ausführt. Kein staatsmännisches Talent, keine Reklame,
kein Quacksalber würde denkbar sein, wenn das psychische Handeln nicht einen
voraus zu berechnenden Effekt haben würde. Als Sitz unserer Psyche ist keines¬
wegs ausschließlich das Gehirn anzuBelien, weil auch Entfernung anderer Organe
psychische Störungen verursachen kann. Die verschiedenen Erscheinungen Bucht
Vortr. auf mechanischem Wege, durch die Annahme von Spannungszuständen zu
erklären und w’eist zum Schlüsse auf die große Bedeutung hin, welche die
Kenntnis unseres psychologischen Denkens auch für den praktischen Arzt
haben kann.
Herr A. Morro (Turin) referiert über: Die Psychologie der Pubertftt.
Er beschreibt die verschiedenen Veränderungen, die während der Pubertät auf-
treten. Im allgemeinen offenbart sich diese in einer größeren Reizbarkeit; das
Individuum entdeckt neue Eigenschaften in Bich, so u. a. die Neigung zum Singen,
die unbemerkt hervortritt. Auch andere Eigenschaften zeigen sich im Charakter;
Eifersucht oft bei Mädchen, ein starkes religiöses Gefühl usw. Der Jüngling
fühlt Liebe zu dem Mädchen, er erfährt zuerst, daß sie etwas Göttliches ist; er
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ist in Gegenwart des Mädchens verlegen, schüchtern. Später nimmt dies jedoch
andere Formen an. Anders ist dagegen das Mädchen, das sich wohl fühlt bei
Knaben ihres Alters, bis auch bei ihr das Verlangen erwacht, geliebt zu werden.
Später sehen wir, daß bei dem Knaben sich wiederum der Charakter ändert. Er
nimmt Ermahnungen nur mit Widerstreben an, ist unordentlich in seinem Be¬
tragen und begeht das, was man als* aktive Übertretungen bezeichnen könnte.
Das Mädchen dagegen (die Strafstatistiken der Schalen lassen dies erkennen) ver¬
übt passive Übertretungen wie Trägheit, Nachlässigkeit, Unreinlichkeit usw. Dann
tritt bei ihr die Neigung auf, sich vor ihren Geschlechtsgenossen dem andern
Geschlecht gegenüber auszuzeichnen; sie wird kokett und eitel. Im weiteren Ver¬
laufe skizziert Vortr. noch ausführlich die verschiedenen Eigenschaften, die das
Mädchen während der Pubertät bekommt. Dies alles sieht er als vollkommen
normal an und geht darauf zu den krankhaften Abweichungen im Charakter
während dieser Periode über.
Herr C. J. Wynaendts-Francken spricht über den Unterschied der
Träume bei Männern und Frauen. Bereits in früheren Jahren sind hierüber
zahlreiche Mitteilungen, jedoch oft spekulativ-theoretischer Art erschienen. All¬
gemeine Resultate über Träume sind ausschließlich auf statistischem Wege zu er¬
halten. Diese Methode ist bereits früher von Keerwagen, de Sanctis und
einigen Amerikanern angewendet worden; doch beschränkte sie Bich nur auf
einzelne Punkte. Vortr. hat nun mittels Formularen an 300 Personen, sowohl
Männern als Frauen, 45 Fragen bezüglich ihrer Träume gestellt. Es ergab sieb,
daß 54°/ 0 der Männer und 75 °/ 0 der Frauen oft träumten. Farbensensationen
in den Träumen kamen bei Männern in 48%, bei Frauen in 74% der Träume
vor; Geräusche wurden wahrgenommen von Männern in 30 %, von Frauen in
58 % der Fälle; Geschmacksensationen in 6 bzw. 15 %, Geruchsensationen in
1 bzw. 13% der Träume. Emotionen erweckende Träume kamen bei Frauen in
81 %, bei Männern in 57 % der Fälle vor. Für belanglose (farblose) Träume
gab Vortr. die Ziffern 32 % für Männer und 4 °/ 0 für Frauen. Hiermit steht
die Tatsache im Zusammenhang, daß Frauen viel häufiger durch den Inhalt ihres
Traumes erwachen und sich desselben besser zu erinnern wissen als Männer; sie
vergessen die Träume auch weniger schnell als die Männer und hegen im all¬
gemeinen für das Traumleben mehr Interesse; eine Fortsetzung früherer Träume
kommt denn auch bei Frauen sehr oft vor (64 %). Die größere Lebhaftigkeit
der Träume und das erhöhte Interesse der Frauen an den Träumen haben die
Folge, daß sie nicht immer Traum und Wirklichkeit voneinander unterscheiden
können. Der Inhalt der Träume von Frauen besteht oft in einer Erfüllung von
Wünschen, die sie in ihrem gewöhnlichen Leben hegen (43 % der Frauen gaben
an, daß dieB in ihren Träumen dann und wann vorkam, während nur 23 % der
Männer diese Frage bejahend beantworteten). Vortr. schreibt dies hauptsächlich
der größeren Phantasie des weiblichen Geistes zu wie auch der größeren Be¬
deutung, welche die Frauen den Träumen beimessen. 24 % der Frauen, aber
nur 7 % der Männer legten den Träumen einen gewissen vorauskündenden Wert
bei. Die zahlreichen quantitativen Unterschiede zwischen den Träumen der beiden
Geschlechter können logisch aus einander erklärt werden und sind wahrscheinlich
auf nur wenige Grundunterschiede zurückzuführen.
Herr Sollier (Brüssel) referiert: Gegenwärtiger Stand der Lange-James-
sohen Theorie der Affekte. Vortr. gibt erst eine Übersicht über die Theorie
von Lange und über die von James und beleuchtet kurz die Einwände, die
von verschiedenen Seiten gegen diese Theorien vorgebracht sind. James meinte,
daß seine Theorie durch Beobachtungen bei Personen, die völlig empfindungslos
waren, bewiesen werden könne, aber er vergaß dabei, daß dies unmöglich ist,
weil ein derartiger Zustand allein im Tode vorkommt. Man muß sich also für
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die Untersuchung der Theorie mit Zuständen, die dem von James gewünschten
Zustand mehr oder minder nahe kommen, zufrieden geben. Im weiteren Verlaufe
legt Vortr. dar, welche Resultate die Krankheitslehre, die Psychologie und die
Physiologie für diese Theorie ergeben, um endlich zu dem Schlüsse zu kommen,
daß der größere Teil der Psychologen gegenwärtig diese Theorie verwirft, um
ihr nur noch einen historischen Wert zuzuerkennen.
An der Diskussion beteiligten sich die Herren Kohnstamm, Aschaffen»
bürg (Köln), Liepmann (Berlin) und Otto Gross (Qraz).
Ehrenvorsitzender: Herr Sommer.
Herr Jo dl spricht über: Wahrnehmung und Vorstellung. Vortr. be¬
schäftigt sich erst mit der Terminologie. 1. In weiterem Sinn ist Wahrnehmung
dasjenige, was man bewußt erlebt. 2. In engerem Sinn ist es das, was wir
brauchen, um es einer Vorstellung entgegenzustellen. Man muß das Erinnerungsbild
hier ausschließen; jedoch müssen wir hier noch den Sprachgebrauch einiger
Psychologen erwähnen, die unter den Begriff Vorstellung auch die Wahrnehmung
rechnen. Den großen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung trifft
man in der Terminologie des täglichen Lebens, wo man jemanden, der zwischen
beiden unterscheidet, als gesund ansieht. Die deskriptive Weise, zu einer Unter¬
scheidung zu kommen, nennt Vortr. ungenügend. Wir wissen, daß es Wahr*
nehmungen gibt, die mehr umfassen, als die Vorstellung geben kann, bei den
Halluzinationen, bei Illusionen, bei hoch erregter Phantasie. Jedoch bei der
Hysterie findet man, daß auf Reizen beruhende Wahrnehmungen durch centrale
Prozesse völlig ausgelöscht werden können; so daß wir also den Unterschied nicht
allein auf Klarheit, Deutlichkeit gründen können. Von Taine ist dies so gut
skizziert in seinen „Wahren Halluzinationen“. Auf die genetische Weise kommen
wir auch nicht weiter. Wir können uns nicht auf das Wahrnehmen von Reizen
stützen. Trotz normaler Reize findet keine Wahrnehmung bei Aufheben der
Centren statt; sind diese intakt, die periphere Leitung aufgehoben, dann kann
noch Bewußtsein durch centrale Reize auftreten. Die Zusammenwirkung der
Sinne unterstützt das Wahrnehmen der Reize; aber auch das kann durch ver¬
schiedene Ursachen vermindert sein. Im täglichen Leben kennen wir den Unter¬
schied. Vor Halluzinationen ist keiner von uns geschützt. Den Menschen, der
seine Wahrnehmung durch seine Vorstellungen verdrängen läßt, würde jeder als
abnorm erklären. Nietzsche hat gesagt: „Dasjenige, waB am schwersten zu
beweisen ist, ist das Selbstverständliche“. Die Erklärung des Individuums im
geistigen Sinn können wir erat im Bozialpsychologischen Sinn erhalten. Ein
völlig vereinzeltes Individuum wird den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung
und Vorstellung mehr und mehr verlieren; siehe den einsamen Träumer. Lebt
der Mensch in der Gesellschaft anderer, dann kann er seine Wahrnehmung ve»
gleichen mit der Wahrnehmung dieser anderen; man kann sich mit leichter
Mühe vergewissern, ob sie auch bei anderen besteht, aber nicht die Vorstellung.
In der Sozialpsychologie wurzelt der Zusammenhang zwischen der äußeren Wahr¬
nehmung und der Vorstellung.
Bei der Debatte spricht Herr Heymans die Meinung aus, daß wir das
Soziale nicht immer nötig haben; daß es ein gutes sekundäres Kriterium ist,
aber nicht als fundamentales, primäres Kriterium brauchbar ist. Bevor wir uns
auf andere berufen können, müssen wir diese doch erat kennen, doch ein Kriterium
dafür haben. Als Wahrnehmung sehen wir etwas an, wenn wir in unserem Be¬
wußtsein nichts finden, was eine Ursache dafür angibt; das ist ein gutes primäres
Kriterium; wir werden es jedoch selten gebrauchen.
Herr Sommer weist darauf hin, daß das Einsamsein nur eines der be¬
günstigenden Momente ist, um Vorstellung und Wahrnehmung zu vermischen:
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denn außer einsamen Träumern gibt es auch einsame Wahrnehmer. Eh sieht
aber den sozialen Punkt als sehr wesentlich an. Er verweist auf Zeugen vor
dem Gericht und auf klinische Wahrnehmungen bei einigen Hysterischen, und
weist auch noch hin auf die Sinnestäuschungen bei der Paranoia. '
Herr Jo dl gibt zu, daß der soziale Punkt für einige Fälle nur ein letzter
Punkt ist, um den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung Enden
zu können.
Darauf macht Herr de Bo er (Amsterdam) einige Mitteilungen über seine
Untersuchungen über das Thema: Assoziation gegensätzlicher Begriffe. Da
die Versuche jedoch noch nicht abgeschlossen sind, kann Vortr. noch nicht die
Resultate in ihrem ganze Umfange mitteilen.
Herr Jo dl weist auf die Wichtigkeit dieser Versuche für die Psychologie
hin, während Herr Sommer ihren Wert für psychiatrische Fälle zeigt
Herr Clemens Charpentier (Paris) hält seinen Vortrag über einen Fall
von Simulation einer Geisteskrankheit, woran er seinen essai de Psycho¬
logie criminelle anknüpft Vortr. spricht über ein Mädchen, das unter dem
Stigma Hysterie in dem Gefängnis saß; sie beschrieb sehr genau alle Symptome
ihrer Kleptomanie. Nach langer Beobachtung kam Vortr. dazu, sie als Simulantin
anzusehen. Sie hatte sowohl ihre Familien- als auch ihre persönlichen Antecedentien
erlogen. Sie bekannte schließlich, daß sie simuliere, weil es sie langweile, noch
weiterhin auf allerlei Weise untersucht zu werden. Sie erzählte, daß sie von
einem Advokaten über das Simulieren aufgeklärt worden sei. Vortr. teilt dann
einige Fälle über den Scharfsinn dieser Person bei ihrem Stehlen mit. Es besteht
ein Verband mit einer Administration, selbst mit Richtern, zwischen vielen Ver¬
brechern. Diese Person stand auf intimem Fuß mit einem Anarchisto-Philosophen,
der ihr sagte: „Stiehl! Das ist das beste Mittel, die kapitalistische Gesellschaft
zu vernichten!“ Sie ihrerseits machte sich nicht das mindeste daraus, daß sie im
Gefängnis saß. Da wurde sie gut behandelt, während sie von der Organisation
der Verbrecher gleichfalls verdiente.
Da Herr Michotte nicht anwesend ist, schließt Herr Sommer die Ver¬
sammlung und verweist auf die hohe Bedeutung, in einem Kongreß die Fächer
Psychiatrie und Psychologie vereinigt zu sehen, ein Fortschritt, den er den Be¬
mühungen des Herrn Heymans in Groningen zuBchreibt.
Herr Gross (Graz) referierte über das Thema: Die sekundäre Funktion,
das sich jedoch zu einem kurzen Auszug nicht eignet.
Weiter nimmt das Wort Herr M. Schuyter, Direktor des Städtischen
Instituts für Pädologie in Antwerpen, zu dem Referat: Probleme in der Pädo-
logie. Verschiedene wesentliche Fragen pädologischer Art wurden berührt u. a.
bei der Frage des Einflusses, den das erste Schuljahr auf die Kinder ausübt, still¬
gestanden, Vortr. zitiert dabei einige Autoren, die darauf hingewiesen haben,
daß zugleich mit der Entwicklung des Verstandes (zusammenfallend mit der ersten
Schulzeit) eine intellektuelle Depression auftritt, die auch physisch ihren Ein¬
fluß geltend macht.
Herr v. Römer beschreibt die neue Theorie zur Erklärung psycho¬
logischer Probleme von B. v. Albada. Albada hat eine neue Theorie über
die Zellteilung anfgestellt und meint, daß dabei molekulare Kräfte, die eine
Schwingung verursachen, wirksam sind. Dieselben Einflüsse, die bei der Zell¬
teilung eine große Rolle spielen, tun dies auch unter anderen Umständen im
Pflanzen- und Tierreich. Der Bau der Diagramme von Pflanzen, des Gehirns usw.
erinnert hieran. Als Resultat seiner Untersuchungen hat Albada zwei Sätze auf¬
gestellt: a) Jede Zelle hat ihre eigene Schwingungszahl, die von Struktur, Spannung
und Masse abhängig ist. b) Jedes Konglomerat von Zellen hat seine eigene
Schwingungszahl, die von seiner gesamten Struktur, Spannung und Masse ab-
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hängig ist. Durch diese Sätze werden zahlreiche Probleme viel deutlicher, so
die Probleme über Sympathie und Antipathie, die Erscheinungen der Telepathie
und Psychometrie. Auch die nationale Musik. Man wird immer wieder von dem
eigenartigen Charakter jeder nationalen Musik seltsam betroffen. Augenscheinlich
haben verschiedene Konglomerate von Menschen auch ihre eigene SchwiDgungszahl.
Ebenso besteht eine nationale Malerkunst. Wie verschieden ist nicht die hollän¬
dische Malerkunst von der italienischen; bei der ersteren Licht und Schatten und
Plastik, hei der letzteren allein Farbenpracht. Auch in diesen bereits viel feineren
Schwingungen findet man verschiedene, für jedes Volk charakteristische Nuancen.
Durch diese Theorie sind nach Ansicht des Vortr. auch zahlreiche andere Er¬
scheinungen zu erklären, z. B. die größere Reizbarkeit einiger Individuen im
Frühlinge, wenn die Energie*Ausstrahlungen der Sonne intensiver sind; auch die
Massensuggestion.
Herr Hey man s spricht in Kürze über Klassifikation der Charaktere.
Herr von Römer wollte eine Mitteilung über ein Instrument machen, mit
welchem man die Fertigkeit der Artilleristen im Richten des Geschützes unter¬
suchen kann. Er verweist zu diesem Zweck auf die in Druck erschienene Be¬
schreibung des Instrumentes.
Herr Sommer spricht über die Vorgeschichte der Psyohopathen. Bei
der Ascendenz der Psychopathen muß man gleichartige Anlage, das will sagen
die Fälle, hei denen man jetzt und in der Vorgeschichte dieselben Krankheiten
findet (z. B. Epilepsie usw.), von komplizierter Anlage unterscheiden, das will
sagen, von den Fällen, wo jetzt vage Symptome auftreten, während in der Vor¬
geschichte eine bestimmte Krankheit in den Vordergrund trat. Man muß mit
der Anamnese bis auf die Konzeption zurückgehen, darauf die Schwangerschaft
und die Geburt studieren, wobei Vortr. besonders auf Asphyxie und Hydrocephalie
hinweist; danach die erste geistige Entwicklung des Kindes verfolgen, dann die
Entwicklung in der Schule, woran Vortr. die Besprechung der Schule für zurück¬
gebliebene Kinder anknüpfte. Von großer Bedeutung ist weiter die Berufswahl.
Dies alles ist sehr wichtig für das ganze Studium der Kriminologie und auch bei
den militärischen Aushebungen muß diese Anamnese berücksichtigt werden. Die
Untersuchung des Stammbaumes muß nicht allein nach der väterlichen Seite
erfolgen, sondern sich in mehr Richtungen erstrecken, und man achte dabei vor
allem auf die wesentlichsten Eigentümlichkeiten der Familien. Auf diese Weise
sieht man bei einigen Familien sowohl Degeneration als Regeneration auftreten.
An der Diskussion nahmen teil die Herren Jodl (Wien), de Groot (Brüssel),
Gunning (Amsterdam) und A. Waldenburg (Berlin). Der Letztgenannte wies
darauf hin, daß er bereits seit 1900 solche Untersuchungen, wie sie Herr Sommer
über Stammbäume als wünschenswert erachte, vorgenommen habe, mit denen er
Schädelmessungen verbunden habe, aus welchen er eine bestimmte psychopathische
Schädel form ableitete.
(Schluß folgt.)
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzosb 4 Wirna in Leipzig.
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Neurologisches Centralbutt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet von Prot E. Mendel.
Herausgegebeu
Ton
Dr. Kurt Mendel.
Seehsnndzwanzigster Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Za beziehen durch
alle Bachhandlangen des In* and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 16. Oktober. Nr. 20.
Inhalt. I. Originalmltteilungen. 1. Ober mangelnde Wahrnehmung (Autoanästbesie)
der Blindheit bei cerebralen Erkrankungen, von Prof. Dr. Emil Redlich and Dr. Glulio Bon*
vieini in Wien. 2. Ober das Verhalten ues proximalsten (extramedullären und -pialen)
Teiles der hinteren Wurzeln bei Degeneration und Regeneration, von Prof. Dr. G. Bikelss.
3. Kurze Bemerkungen zu der Freud sehen Lehre über die sexuelle Ätiologie der Neurosen,
von Hofrat'Dr. A. Friedlinder. 4. Ein Fall von rhythmischen, kontinuierlichen Krämpfen
der 8chling- und Respirationsmuskulatur auf der Basis einer funktionellen Neurose (trauma*
tische Neurose), von Dr. E. Ernst in Kowno (Rußland).
II. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft Deutscher Nervenärzte. Erste Jahresversamm¬
lung in Dresden am 14. und 15. September 1907. (Schluß.) — 79. Versammlung deutseher
Naturforscher und Arzte in Dresden vom 15. bis 21. September 1907. (Schluß.) — Inter¬
nationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege in Amsterdam
vom 2. bis 7. September 1907. (Schluß.) •
III. Vermischtes. — IV. Berichtigung.
I. Origin&lmitteilungen.
1. Über mangelnde Wahrnehmung (AutoanästhesieJ der
Blindheit bei cerebralen Erkrankungen. 1
Von Prof. Dr. Emil Bedlieh und Dr. Oiulio Bonvicinl in Wien.
Im Jahre 1892 hatte Kleger einen Fall, einen 76jährigen Mann, mit
cerebral bedingter Blindheit zu beobachten Gelegenheit, der in der Habilitations¬
schrift von Wolff* ausführlich wiedergegeben ist; hier war nach einem apoplek-
tischen Anfalle nebst Störungen der Motilität beider Seiten und psychischen
Alterationen vollständige Blindheit aufgetreten. Auffallenderweise aber war
sich der Kranke seiner Blindheit nicht bewußt, ja er protestierte sogar
entschieden gegen eine solche Zumutung. Er ließ sich auch leicht angebliche
optische Wahrnehmungen suggerieren, „sein ganzes Sehen beruhte lediglich auf
1 Vorgetragen in der Sektion fflr Neurologie und Psychiatrie der Naturforscherversamm¬
lung in Dresden; vgl. d. Centn 1907. S. 919.
* Wolf v, Über krankhafte Dissoziationen der Vorstellungen. Leipzig 1897.
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Einbildung“. Auf die wirklich mustergültige Untersuchung in psychologischer
Sichtung, auf die Besonderheiten, die sich dabei ergaben, kann hier nicht ein¬
gegangen werden; wir wollen nur noch kurz auf den bloß kursorisch angegebenen
Obduktionsbefund hinweisen, der u. a. rechts eine Erweichung des Stirnlappens,
des oberen Scheitelläppchens und des Hinterhauptslappens, speziell des Cuneus,
links einen Defekt in den Centralwindungen, dann im oberen und unteren
Scheitelläppchen und im Hinterhauptslappen ergab.
Schon vor Riegeb hat Monakow 1 einen Fall beobachtet, der infolge beider¬
seitiger Occipitalerkankung nach der Anamnese durch längere Zeit vollständig
blind gewesen sein soll, ohne sich seiner Blindheit bewußt zu sein; anfänglich
suchte der Kranke ganz wie unser später zu erwähnende Fall Hl die Ursache
seines Nichtsehens in äußeren Verhältnissen, vermeinte in einer finsteren Grube
zu sein. Später hat Monakow noch einen zweiten ähnlichen Fall beschrieben.
Einen in gewisser Beziehung analogen Fall haben auoh Dejebine und
Vialet im Jahre 1893 beobachtet. 1 * 3 Bei einem 64jährigen Manne hatte sich
nach mehreren Schlaganfällen Blindheit eingestellt, nur ein ganz kleiner Sektor
links oben war lichtempfindlich geblieben. Der Kranke war sich seiner Seh¬
störung in keiner Weise bewußt; wurde er zum Eingeständnis des Nichtsehens
geführt, dann gebrauchte er Ausreden. Die Obduktion ergab rechts eine, wenn
auch nicht totale Erweichung des Sehcentrums mit Zerstörung des sagittalen
Marklagers, links eine ähnliche, wenn auch kleinere Zerstörung des optischen
Centrums.
Im Jahre 1899 endlich ist Anton, anscheinend ohne Kenntnis der eben
zitierten Fälle, in einer den Gegenstand zusammenfassenden Arbeit 9 auf die
mangelnde Selbstwahrnehmung von Defekten bei rindenkranken Individuen aus¬
führlich eingegangen, speziell bei Rindentaubheit und Rindenblindheit Hier
sei nur auf den letzteren Punkt eingegangen, den zu erörtern Antonb II. Fall
Gelegenheit bietet Es handelte sich um eine 56jährige Frau, die anfänglich
ein minimales Gesichtsfeld hatte, später aber total blind gewesen sein soll.
Davon nahm Patientin aber keine Notiz, sie war, wie sich Anton ausdrückte,
seelenblind für ihre Blindheit, sie behauptete positiv Dinge zu sehen, die
sie nicht sah, auch war sie im Raume desorientiert Bei der Obduktion fand
sich eine nahezu symmetrische Erweichung an der Konvexität beider Hinter¬
hauptslappen und eine Zerstörung jener Bahnen, die den Hinterhauptslappen
mit dem übrigen Gehirn verbinden, sowie eine Läsion des hinteren Balken¬
anteiles. Zur Erklärung der mangelnden Selbstwahrnehmung in solchen Fällen
zieht Anton in erster Linie den Umstand heran, daß nicht nur die Sinnes-
centren selbst zerstört, sondern gleichsam auch vollständig aus dem
übrigen Gehirnmechanismus ausgeschaltet gewesen seien, daß aber
andererseits subkortikale Erregungen der Sinnesbahnen gleichsam
den Ausfall der bewußten Sinneswahrnehmungen verdecken. Endlich
1 v. Monakow, Archiv f. Psychiatrie. XVI. 1885.
1 Sur qd cas de clcitd corticale. C. R. Soo. de Biolog. 1893.
3 Archiv f. Psychiatric. XXXII.
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seien von einschlägigen Arbeiten genannt jene von Gboss 1 , der den Haupt¬
akzent auf Orientierungsstörungen (im weiteren Sinne nach Haetbcann)
und die mangelnde biologische Korrektur derselben legt, endlich Bonhöffeh,*
der auf die Wichtigkeit der Störungen der Merkfähigkeit und eine gewisse
Analogie zur KoBSAZOw’scben Psychose hinweist
Wir hatten in der letzten Zeit auf der Klinik v. Wagneb’s 3 Fälle za
beobachten Gelegenheit, die blind waren, aber, ohne daß sie komplett dement
oder verworren gewesen wären, kein Bewußtsein ihrer Blindheit hatten. Die
Fälle sind, wie die eingehende klinische Untersuchung festzustellen erlaubte,
nicht gleichwertig, auch die anatomischen Veränderungen sind verschieden¬
artig (in dem einen, der noch am Leben ist, lassen sie sich aus der Sympto¬
matologie hinreichend sicher erschließen), sie sind aber geeignet, interessante Be¬
helfe zur Erklärung des uns beschäftigenden Symptoms, der mangelnden Selbst-
wahmehmung solcher Defekte, zu liefern.*
Zunächst soll ein Fall kurze Erwähnung finden, der dartun kann, daß der
Anschein einer solchen mangelndenSelhstwahmehmung vorgetäuscht werden kann
dadurch, daß der Kranke infolge einer eigentümlichen psychischen Verfassung
und vor allem, weil er seine Blindheit immer wieder vergißt, sich für ge¬
wöhnlich derselben nicht bewußt ist, während er tatsächlich bei darauf
gerichteter Aufmerksamkeit doch wahrnimmt, daß er nicht sieht.
Es handelt sich um einen 21jährigen Mann, bei dem sich das typische, hier
nicht weiter zu schildernde BUd eines Hirntumors entwickelt hatte und der
infolge von Atrophia nervi optici nach Stauungspapille vollständig erblindet
war. Die Obduktion ergab ein im vorderen basalen Anteile des Balkens
sitzendes und auf die angrenzenden Anteile des Stirnbims flbergreifendes Gliom.
Immer wieder ergab es sich in Gesprächen mit dem Kranken, daß er zunächst
über gar nichts su klagen hatte, daß er nur allmählich darauf zu bringen war,
daß „seine Augen schlecht seien“, bis er endlich zugab, eigentlich blind zu sein.
Aber unmittelbar darauf hatte der Kranke dies wieder vergessen und behauptete,
vollständig gesund zu sein. In ähnlicher Weise äußerte sich der Kranke, der
nicht gehen konnte, über seine Lokomotionsfähigkeit
Zur Erklärung der Nichtbeachtung der Blindheit durch den Kranken,
einer Teilerscheinung des überhaupt fehlenden Krankheitsbewußtseins, müssen
wir, wie schon oben angedeutet, in erster Linie seine schwere Gedächtnis¬
störung, insbesondere auch die leicht nachweisliche Störung der Merkfähigkeit
heranziehen, die es verhinderten, daß die Erkenntnis seiner Blindheit, zu der der
Kranke zu bringen war, haften geblieben wäre. Erinnerungstäuschungen und
die allgemeine Desorientiertheit mußten ihn auch weiter über die wahre Sachlage
täuschen. Daß er niemals spontan über seine Blindheit sprach, daran hinderte
ihn eine allgemeine Apathie, die ausgesprochene Interesselosigkeit, ebenso eine
unverkennbare Euphorie, die in manchem an das bekannte Bild der Moria
1 Gboss, Zeitschrift f. Psych. LXI.
* Bohbövpbb, Archiv f. Psychiatrie. XXXVII.
* Die ausführliche Publikation mit den genauen Krankengeschichten erfolgt demnächst.
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erinnerte. Auch seine Demenz und Kritiklosigkeit tragen dazu bei, daß er sich
des Gegensatzes, in dem sich seine Äußerungen zur Wirklichkeit verhielten,
nicht inne wurde. Inwieweit der anatomische Befund, der Balkentumor, sowie
gewisse nachweisliche, diffuse Veränderungen der Hirnrinde zu einer Erklärung
beizutragen geneigt sind, soll an anderer Stelle auseinandergesetzt werden. 1
Der zweite Fall knüpft an den ersten an, mit dem er vielfach Ähnlich¬
keiten hat, schon darum, weil es sich auch hier um einen Tumor cerebri, ein
Endotheliom der Dura mater in der Gegend des Pons bei einer 42jährigen
Frau handelte. Die somatischen Erscheinungen, welche die typischen des Tumors
cerebri waren, können hier bei Seite gelassen werden. Auch diese Kranke war
infolge von Atrophia nervi optici naoh Stauungspapille vollständig erblindet.
Auoh sie wußte von ihrer Blindheit nichts; abweichend aber vom ersten Falle
nahm sie dieselbe wirklich nicht wahr. Daher war sie niemals zum Ein¬
geständnis derselben zu bringen, ja im Gegenteile, sie lehnte immer eine solche
Zumutung strikte und entschieden ab. Niemals zeigte sie den aus dem Aus¬
fälle des wichtigsten Sinnesorganes zu erwartenden Affekt, verhielt sich auch
sonst nicht wie ein blindes Individuum. Ja noch mehr, die Kranke behauptete
positiv zu sehen und beschrieb über Befragen eine Menge Dinge, die sie zu
sehen vermeinte, und das manchmal in einer geradezu verwirrenden Weise; so
wußte sie z. B., aus dem Gehörseindrucke stets richtig schließend, ob der mit
ihr Sprechende stehe, und wann er sich niedersetze. Übrigens war die Kranke
sich auch sonst ihrer Defekte, z. B. ihrer Lokomotionsunfahigkeit, nicht bewußt.
Zur Erklärung dieses eigentümlichen psyohischen Verhaltens kann vieles
von dem, was im ersten Falle bereits erwähnt wurde, herangezogen werden,
so eine gewisse Apathie mit Euphorie, die allgemeine Demenz, während die
Gedächtnisstörung hier nioht so ausgesproohen war. Wichtig ist, daß das
optische Erinnerungsvermögen der Kranken relativ gut erhalten
war und sie so über das Material zur Beprodnktion selbst ins Detail gehender,
optischer Erinnerungsbilder verfügte. Die allgemeine Orientierungsstörung und
Erinuerungstäuschungen ermöglichten es also, daß die Kranke gleichsam ihre
neue Umgebung mit Reminiszenzen früherer Zeiten bevölkerte. Andere Momente;
z. B. die Bedeutung akustischer, taktiler Sinneseindrücke der vermeintlich ge¬
sehenen Objekte und Personen, die Verwechslung gehörter Objekte mit gesehenen
wird später beim dritten Fall, wo dies noch viel deutlicher war, ausführlicher
besprochen werden.
Dieser in aller Kürze besprochene Fall zeigt also, daß der Mangel der
Selbstwahrnehmung der Blindheit zustande kommen kann, ohne
grobe anatomische Schädigung der Sinnescentren und ihrer Bahnen
dann, wenn, wie z. B. hier, durch einen Tumor cerebri die allgemeine
psychische Leistungsfähigkeit des Gehirns herabgesetzt und gewisse
Funktionen im besonderen geschädigt sind.
1 Redlich, Über diffuse Veränderungen der Hirnrinde bei Hirntumoren,
dem neurolog. Institute von Prof. Obbbsteinbb, 1907.
Arbeiten aus
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Den Fällen von Monakow, Ribose, Dejerinb und Anton in der
Pathogenese steht ein dritter Fall nahe, den wir durch lange Zeit genauestem
zu beobachten Gelegenheit haben. Es handelt sich um einen 74 jährigen Mann,
der im Jahre 1902 einen Schlaganfall erlitt, der eine leichte, vorabergehende
linksseitige Lähmung und als dauerndes Herdsymptom eine linksseitige
homonyme Hemianopsie hinterließ. Am 14. November 1905 ein zweiter
Schlaganfall mit Krämpfen der rechten oberen Extremität Als dauernde
Störung blieb zurück eine leichte rechtsseitige Hemiparese, rechts¬
seitige Hemianaesthesie, die insofern vom gewöhnlichen Bilde abweicht,
als anfänglich für die taktile Sensibilität, später für die Schmerzempfindung
und Thermosensibilität die Empfindungsstörung am Rumpfe stärker als am
Kopfe, und am Ober- und Vorderarme stärker als an der Hand ausgesprochen
ist Seit dem zweiten Schlaganfalle ist der Patient, der auch eine gewisse
Orientierungsstörung zeigt, dauernd vollständig blind; der ophthalmoskopisohe
Befund ist normal. Wir haben hier wohl zwei Erweichungsherde vorauszusetzen,
deren einer im rechten Hinterhauptslappen sitzt und, durch Verschluß der
rechten Arteria cerebri posterior bedingt, das optische Centrum, bzw. die optischen
Bahnen zerstörte, der andere in der linken Hemisphäre sitzt, entweder im Parietal¬
lappen mit Übergreifen auf die optischen Bahnen, oder, was wahrscheinlicher
ist, durch Verschluß der Arteria chorioidea anterior eine Zerstörung des hinteren
Schenkels der inneren Kapsel und so Hemiparese und Hemianaesthesie auslöst,
während die rechten optischen Bahnen entweder im retrolentikulären Anteile
der inneren Kapsel oder im Tractus opticus selbst lädiert sind. Die Blindheit
ist also bedingt durch die Summation einer linksseitigen und rechts¬
seitigen Hemianopsie, ohne daß, wie dies gewöhnlich der Fall ist,
die centralsten Anteile des Gesichtsfeldes erhalten geblieben wären.
Von der totalen Blindheit haben wir uns auf jede nur mögliche Weise zu über¬
zeugen gewußt Bei den Fällen von Bebqeb, Boutebbt, Oulmont, Schibmeb usw.,
wo gleichfalls totale Blindheit angegeben ist, ist nicht mit allen gebotenen
Kautelen untersucht worden, so daß immerhin Zweifel bestehen können.
Von besonderem Interesse ist es nun, daß auch dieser Kranke sich
seiner Blindheit für gewöhnlich durchaus nicht bewußt ist, ja daß
er die Zumutung, blind zu sein, ganz entschieden zurückweist Kur schlecht zu
sehen, gibt er zu. Dann aber sind es äußere Umstände, auf die er es zurück-
führt, daß er nicht oder schlecht sehe, „das Licht wäre nicht angezündet, die
Lampe brenne schecht und ähnliches“. Er beschreibt auch auf Aufforderung
eine Menge Dinge, die er angeblich sieht, er gibt unter Umständen eine bis
ins Detail gehende Schilderung der Personen, die er zu sehen vermeint Immer
aber entsprechen seine Mitteilungen über angebliche optische Wahrnehmungen,
soweit es sich nicht um reine Phantasiegebilde handelt, Erinnerungsbildern
früherer Zeiten, wie denn der Kranke überhaupt örtlich vollständig desorientiert
ist und sich meist in der ihm früher gewohnten Umgebung und Beschäftigung
vermeint Wie eine genaue Prüfung seines optischen Erinnerungsvermögens
ergab, and dem Patienten optische Erinnerungsbilder in großer Zahl erhalten
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geblieben, und so hat er, wie der zweite Fall, in Verwechslung von Gr*
innerungebildern mit Wahrnehmungen Material genug für das angebliche
Sehen. Manchmal aber, wenn auch sehr selten, wenn ihm, durch äußere Um¬
stände veranlaßt, das Bewußtsein seiner Situation aufdämmert, wenn er sich
im Krankenhause weiß, dann gibt er auch zu, nicht zu sehen, ja sogar blind
zu sein. Freilich, der entsprechende Affekt fehlt ihm auch dann, und die all¬
gemeine Gedächtnisschwäche, die, wie die eingehende Untersuchung zeigte, an
die senile, bzw. KonsAKOw’sche erinnert, läßt diese Erkenntnis bald wieder
vergessen sein. Die Gedächtnisstörung verhindert wohl auch, den Zustand von
einst und jetzt in bezug auf die optischen Wahrnehmungen zu vergleichen.
Erinnerungstäuschungen spielen übrigens auch hier wie in den vorausgehenden
Fällen eine gewisse Bolle.
Für die positive Behauptung des Sehens ist aber ein anderes Moment, das
schon im zweiten Falle kurz Erwähnung fand, von der allergrößten Bedeutung,
das ist gleichsam die Substituierung der optischen Komponente eines Objektes,
einer Person oder einer Handlung durch einen andersartigen Sinneseindruck. Ein
Zündhölzchen, dessen Anzünden er durch das damit verbundene Explosiona-
geräusch hört, oder dessen Wärme er spürt, vermeint er zu sehen. Oder eine
Person, mit der er sich längere Zeit unterhalten hat, glaubt er nun optisch
wahrzunehmen, eine Speise, die er durch die Geschmacksempfindung erkennt,
beschreibt er, als wenn er sie sähe, ebenso einen Gegenstand, den er durch
Betasten erkannt hat Seine sonstigen Sinneswahrnehmungen erfolgen ja, so¬
weit nicht organische Ausfälle vorliegen (Sensibilitätsstörungen!) gut Daß dem
wirklich so ist, zeigt der Umstand, daß er, wenn das Geräusch des Anzündens
des Zündhölzchens auf hört oder die Wärme auf die rechte thermanaesthetische
Gesichtsseite einwirkt, behauptet, jetzt sei es verlöscht Ob wirkliche Gesichts¬
bailuzinationen bei dem Kranken Vorkommen, oder ob es sich bei solcherart
zu deutenden Angaben bloß um Erinnerungstäuschungen bzw. Traumerlebnisse
handelt, konnte nicht mit aller Sicherheit entschieden werden. Eine genaue
Intelligenzprüfung ergibt zweifellose Ausfälle, aber doch nicht derart intensiver
Art, um das Verhalten des Kranken einfach mit Demenz erklären zu können.
Immerhin ist eine gewisse Urteilsschwäche unverkennbar, sie ist auch not¬
wendig, soll uns der Kranke nicht ganz unverständlich bleiben.
Ganz erklärt ist durch das Gesagte das uns beschäftigende Symptom gewiß
nicht, nur Hinweise für ein solches Verständnis dürften geliefert sein. Weitere
Beobachtungen werden hoffentlich mancherlei Ergänzungen bringen. Denn es ist
anzunehmen, daß bei entsprechender Untersuchung noch mehr Fälle von beider¬
seitiger Zerstörung der optischen Centren bzw. Bahnen sich als hierhergehörig
erweisen werden. Gleichsam das Gegenstück dazu bieten die nicht allzu seltenen
Fälle, wo Kranke, die plötzlich Störungen des Sehvermögens erfahren, denen
aber ein Best des Gesichtsfeldes, sogar das centrale Sehen zurückgeblieben ist,
behaupten blind zu sein.
Aus unseren Auseinandersetzungen dürfte aber eines hervorgehen. Mit einer
rein anatomischen Betrachtung gewinnen wir für unsere Fälle keine volle Aufr
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— 9öl -
klärung. Es handelt sich nicht nm eine streng lokalisierbare und
anatomisch, definierbare Ausfallserscheinung; die Zerstörung der optischen
Centren und ihre Ausschaltung aus dem übrigen Gehimmechanismus hat gewiß
ihre Bedeutung, aber sie allein lassen es uns uns nioht verständlich erscheinen,
daß der Kranke in keiner Weise merkt, daß ihm eine wichtige Sinnesbahn
versperrt ist, ja daß er behauptet, Sinneswahrnehmungen zu haben, die ihm
fehlen, ohne daß immer Halluzinationen oder schwere Demenz vorliegen.
Schon der Umstand, daß unser dritter Kranke doch bisweilen, wenn auch
vorübergehend, sich des Defektes bewußt wurde, während die anatomischen
Läsionen doch gewiß die gleichen geblieben sind, zeigt die Unzulänglichkeit
eines solchen Standpunktes. Nur die ins Detail gehende psychologische Analyse
solcher Fälle läßt uns das Verhalten dieser Kranken ihrem Defekte gegenüber
verständlich erscheinen; in anatomischer Hinsicht ist neben den lokalen Läsionen
eine mehr allgemeine Schädigung des Gehirns unerläßlich.
[Aas dem physiologischen Institut (Prof. A. Bbck) der Universität in Lemberg.]
2. Über das Verhalten des proximalsten (extramedullären
und >pialen) Teiles der hinteren Wurzeln bei Degeneration
und Regeneration.
Von Prof. Dr. G. Bikeles.
Gelegentlich anderweitiger, neulich ausgeführterUntersuchungen nach Durch¬
quetschung von hinteren Wurzeln (und zwar der VI. und VII. lumbalen) beim
Hund konstatierte ich folgendes: Bei einem Tier, welches die Durchquetschung
der hinteren Wurzeln proximal vom Spinalganglion über einen Monat (36 Tage)
überlebte, erschien die hintere Wurzel in beträchtlicher Länge hochgradig
degeneriert und bei Färbung nach Weigbrt gänzlich ungefärbt, kaum noch
minimale Spuren von Myelinzerfallsprodukten zeigend, hingegen färbte sich ein
kleiner unmittelbar hinter dem Durchtritt durch die Pia gelegener Abschnitt
ebenso wie die intramedulläre Fortsetzung der hinteren Wurzel noch ziemlich
gut. Umgekehrt wiederum war das Verhalten bei zwei Tieren, die nach statt¬
gehabter Durchquetschung der hinteren Wurzeln 3 Monate am Leben erhalten
worden waren. Bei diesen letzteren zeigten sich in der hinteren Wurzel von
der Quetschungsstelle angefangen sehr zahlreiche, ziemlich dicht beieinander
gelagerte, feine regenerierte Nervenfasern, die durch eine ganz beträchtliche
Länge der extramedullären Wurzel bis unweit von der Durchtrittsstelle durch
die Pia sich verfolgen ließen. In geringer Entfernung jedoch von der Pia (also
noch extrapial) vermindert sich sehr die Anzahl der regenerierten Nervenfasern
bei gleichzeitiger Zunahme von Myelinzerfallsprodukten, so daß das Aussehen
dieses Teiles der hinteren Wurzel sich in nichts von dem des intramedullären
unterscheidet.
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Dieser unmittelbar hinter der Durchtrittsstelle durch die Pia gelegene extra¬
medulläre Abschnitt der hinteren Wurzel, welcher einerseits einen verlangsamten
Ablauf der Degeneration, andererseits eine nur geringfügige Regeneration zeigt,
hebt sich auf diese Weise schon gewöhnlioh von der übrigen extramedullären
Wurzel deutlich ab. Selbst bei Weigert-Päl-ilrbung von Rückenmarksquer¬
schnitten, falls die hintere Wurzel denselben noch in einiger Längsausdehnung
außen anliegt, sieht man nämlich (vgl. Figur), daß ein unmittelbar hinter der
a Durchtrittstelle daroh die Pi», b proximalsteF extrapialer Abschnitt
der hinteren Wurzel, d Hauptabschnitt der hinteren Wurzel, e Grenz¬
linien zwischen b—d. ...
Durchtrittsstelle durch die Pia befindlicher Absbhnitt der hinteren -Wurzel sich
von der übrigen extramedullären Wurzel durch minder intensive Traktion und
weniger scharfe Konturen der einzelnen Nervenfasern (i. e. deren Markscheiden)
unterscheidet und zwar ist die Grenze zwischen diesen Abschnitten eine ganz
scharfe meist in Form einer nach außen konvexen Linie. Wir haben augen¬
scheinlich auf der Höhe des Lumbalmarks beim Hund ähnliche Verhältnisse,
wie sie jüngst Ettohe Levi 1 beim Menschen beschrieben hat, nämlich ein Fort¬
setzen der Glia* sowie ein Aufhören der SoHWANK’schen Scheiden an den hinteren
Lumbalwurzeln noch extrapial, wobei die gegenseitige Abgrenzung zwischen
Glia und Ende der ScHWANN’schen Scheiden, mit der Aufhellungslinie von
Obebstbineb und Redlich zusammenfallend, ebenfalls die Form einer nach
außen konvexen Kugel besitzt.
Das Fehlen der SoHWANn’sehen Scheide am proximaTsten Abschnitt der
extramedullären hinteren Lumbalwurzeln dürfte vor allem Ursache sein, daß
sich dieser Teil bezüglich De- und Regeneration nicht mehr wie periphere,
sondern wie centrale Nervenfasern verhält und dies ist eben von Interesse.
(Auf das Mitergriffensein dieses Abschnittes bei Tabes dorsalis macht Levi (1. c.)
mit Recht aufmerksam.)
1 Arbeiten aas dem Laboratorium Obersteiners. XIII; ref. auch in d. Centn 1907. Nr. 16.
* Dies konstatierte bereits Hochb: Beiträge zur Kenntnis des anatomischen Verhaltens
der menschlichen RQckenmarkswnrzoln. 1891.
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[PriT&tklinik Hohe Mark bei Frankfurt a/M.]
3. Kurze Bemerkungen zu der Freud’schen Lehre
über die sexuelle Ätiologie der Neurosen. 1
Von Hofrat Dr. A. Friedländer.
Die Frage nach der „sexuellen“ Ätiologie der Neurosen ist sehr aktuell
geworden. Zuletzt beschäftigten sich bei dem Internationalen Kongreß für
Psychiatrie usw. in Amsterdam Janet, Aschaffenburg und Jung damit, ins¬
besondere mit Bezug auf die Hysterie. Ich selbst habe vor etwa einem Jahre
in einem kritischen Referat die Entwicklung der Fnsun’schen Lehre mit ihrer
gewissermaßen pansexuellen Grundlage darzustellen versucht und in einer kleinen
Arbeit über Hysterie meine Erfahrungen kurz besprochen. Bei der großen
Verschiedenheit der Meinungen dürfte eine geraume Zeit verstreichen, bis eine
Klärung derselben eintritt. Es leuchtet ein, daß eine solche angestrebt werden
muß; denn die Erforschung der Ätiologie einer Krankheit ebnet den Boden für
die Prophylaxe und die Therapie. Darum sollten alle, die für oder wider Freud
streiten, ihre Erfahrungen bezüglich der Ätiologie ausführlich veröffentlichen,
damit in einigen Jahren ein großes Material zur Verfügung steht, das nach
jenen Gesichtspunkten geprüft werden kann, die Freud und seine Anhänger
aufgestellt haben.
Ich habe dies mit Bezug auf meine zahlreichen Fälle versucht und in gewissen
Fällen die „psychoanalytische Methode“ angewandt, um dem (nicht ganz unberech¬
tigten) Vorwurf, der manchen Gegnern dieser Methode gemacht wurde, zu ent¬
gehen, man dürfe nur über eine Methode urteilen, die man selbst kennt und
angewendet hat An dieser Stelle kann ich darauf nicht näher eingehen. Ich
möchte nur erwähnen, daß ich auch seit der Niederschrift der oben angegebenen
Arbeiten zufälligerweise Gelegenheit hatte, neue Fälle von Hysterie und Zwangs¬
neurosen in Befyndlung zu nehmen (die auch zur Veröffentlichung gelangen),
und daß sich auch bei diesen bestätigt hat, was Aschaffenburg, Hoche u. a.
ausgeführt haben, zur selben Zeit als ich, noch ohne Kenntnis von dem Stand¬
punkt jener Autoren, den gleichen in meiner Besprechung der FREun’schen
Arbeiten vertreten und niedergelegt habe. Es handelt sich bei mir natürlich nicht
um die ganz nebensächliche Zeitfolge, sondern um die Bekanntgabe meiner
eigenen Untersuohungsergebnisse, deren Nachprüfung jedem nach dem Erscheinen
der ausführlichen Arbeiten, selbst möglich sein wird. Wenn ich zum Teil be¬
kannte Dinge wiederhole, so geschieht es nur ans dem Grunde, weil es mich
(gerade nach den JuNG’schen Ausführungen in Amsterdam) bedünkt, als ob die
Jünger Fbeud’s, denen wir gewiß viele wertvolle Beiträge zu dem Ausbau der
Lehre von den Neurosen verdanken, für ätiologische Auffassung einerseits und
daraus entspringendes therapeutisches Handeln andererseits Wege weisen, die
1 Diese Ausführungen bildeten die Grundlage für einen Vortrag, den ich zu der Ver¬
sammlung der Deutschen Nervenärzte in Dresden angemeldet hatte.
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auf Abwege führen könnten. Die Beurteilung meiner Fälle läßt mich folgende
Schlüsse ziehen:
1. Freud zieht den Kreis der sexuellen Ätiologie der Neurosen
viel zu weit
2. Es gibt Fälle von Hysterie, die eine rein sexuelle Ätiologie
haben; diese stellen den Typus der. traumatischen Form dar; solche
Hysterien werden mit Recht nach Breuer und Freud Abwehr-
neuropsychosen genannt; für diese gelten die psychologisch feinen
und fruchtbaren Ausführungen in den „Studien“, die kurz gekenn¬
zeichnet werden können durch „eingeklemmten Affekt und Ab¬
reaktion“.
3. Der „eingeklemmte“ Affekt, überhaupt die Affekte spielen
bei der Entstehung und Weiterentwicklung der Hysterie eine große
Rolle. Jede Hysterie erscheint symptomatologisch gekennzeichnet
als Affektneurose oder Affektpsychose.
4. Jedes andere, nicht sexuelle Trauma kann eine Hysterie er¬
zeugen.
5. Die endogene Veranlagung (Heredität, erschöpfende Ein¬
flüsse usw.) wird durch exogene Ursachen manifest, in ihrer gegen¬
seitigen Einwirkung, als Hysterie, Zwangsneurose. Diese exogenen
Ursachen sind nicht nur sexueller, in vielen Fällen überhaupt nicht
sexueller Art.
6. Hieraus ergibt sioh auch, daß die psychoanalytische Methode
Fbrud’s nicht für alle Fälle der Hysterie Geltang haben könnte,
selbst wenn sie an sich das beste therapeutische Mittel darstellte.
Sofern aber diese Methode das detaillirteste Eingehen auf ge¬
schlechtliche Perversitäten nötig macht, halte ich sie für gefähr¬
licher, als ihren Nutzen für erwiesen, nachdem es gelingt, ohne sie,
selbst bei schwersten Fällen, Heilung zu erzielen, wie ich durch
meine ausführlichen Darstellungen zu erweisen hoffe/
4. Ein Fall von rhythmischen, kontinuierlichen Krämpfen
der Schling- nnd Respirationsmuskulatur auf der Basis einer
funktionellen Neurose (traumatische Neurose). 1
Von Dr. E. Ernst in Kowno (Rußland).
M. H.l Der Patient, den ich Ihrer werten Aufmerksamkeit empfehle, befindet
sich in meiner Beobachtung seit 22. Februar a. c. An demselben Tage, gegen
6 Uhr nachmittags, erhielt Patient, der Gemeiner im hiesigen Festungsregiment
ist, während einer Turnübung an den Ringen einen Schlag gegen den Kehlkopf
unter folgenden Umständen: in dem Augenblick, wo Patient sich an den hängen-
1 Vortrag, gehalten in der medizin. Gesellschaft in Kowno (Rofland) am 26./IIL 1907.
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955 —
den Ringen emporgezogen hatte nnd eben im Begriffe war sich mit beiden Händen;
gegen dieselben zu stemmen, verlor er die Stütze im linken Arm, der nach vorn
ausglitt; mit der linken Hand, welche noch den Ring umklammert hielt, bekam
Patient den erwähnten Schlag gegen den Kehlkopf. Gleich darauf verlor Patient"
die Besinnung. Die Bewußtlosigkeit dauerte ungefähr 10 bis 15 Minuten. Der
herbeigeholte Arzt fand den Patienten schon bei vollem Bewußtsein, konstatierte
aber Behr starke Atembeschwerden, weshalb er den Patienten sogleich ins hiesige
Militärlazarett transportieren ließ.
Bei der Aufnahme, die gegen 10 Uhr abends erfolgte, wurde folgender Be¬
fund festgestellt:
Patient ist von kleinem Wuchs, mittelstark, etwas bleich. Das erste, was
dem Beobachter ins Auge fällt, ist eine überaus oberflächliche Respiration: die
Exkursionen des Brustkorbes fehlen beinahe gänzlich; dagegen bemerkt man im
Epigastrium deutliche rhythmische Zuckungen, die- man auch beim Palpieren recht
deutlich wahrnehmen kann. Gleichzeitig, vollständig synchron mit den oben¬
erwähnten Zuckungen im Epigastrium, bemerkt man ebensolche Zuckungen am
Kehlkopf, der 52 bis 5 6 mal in der Minute emporgehoben wird. Synchron mit
letzteren bestehen rhythmische Zuckungen in der Muskulatur des Mundbodens.
Bei der Untersuchung der Mundhöhle gewahrt man ebensolche klonische Zuckungen
in den Muskeln des weichen Gaumens, wobei jedesmal die beiden Gaumensegel
einander genähert werden; zugleich bemerkt man rhythmische Zuckungen in den
Zangenmuskeln: die Zunge wird dabei vorwärts und rückwärts gezogen und gleich¬
zeitig an den Gaumen gedrückt. In der Gesichtsmuskulatur können mit Aus¬
nahme von Kontraktionen des Levator alae nasi keinerlei Zuckungen wahrgenommen
werden. 1
Bei der Aufforderung tief zu atmen sieht man recht energische Kontraktionen
der Mm. sternocleidomastoidei und scaleni, wobei sich das Epigastrium und Hypo-
chondrium einwölbt; der Brustkorb hingegen bleibt bei den tiefen Inspirationen
bewegungslos.
Sprachstörungen existieren nicht. Die laryngoskopische Untersuchung, welche
bereitwillig vom Spezialisten Laryngologen Dr. Bulgaxow ausgeführt wurde, er¬
gab auch im Gebiete der Kehlkopfmuskulatur ein analoges Bild wie an den
Schlingmuskeln. An den Zuckungen beteiligten sich die Mm. arythaenoidei trans-
versus et obliqui, thyreoarythaenoid. et aryepiglott. Synchron mit allen übrigen
Zuckungen adduzieren sich die beiden Stimmbänder, wobei aber keine Spannung
derselben bemerkbar ist; gleichzeitig wird der Kehlkopfdeckel löffelartig eingebogen.
1 Während des Schlafes hören alle Zackungen auf, die Respiration ist oberflächlich,
aber ruhig.
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Weder Schwindel, noch Kopfschmerz, noch Erbrechen.
Keine Gleichgewichtsstörungen beim Stehen oder Gehen mit
geschlossenen Augen. Pupillen gleichweit mit prompter
Licht- und Akkommodationsreaktion.
Visus = *°/ 40 auf beiden Augen. Konzentrische Ver¬
engerung des Gesichtsfeldes beiderseits (vgl. Fig. 1). Am
Augenhintergrunde nichts Pathologisches. Deutliche Areflexie
der Cornea und Sclera beiderseits.
Dagegen ist der Rachenreflex sehr bedeutend gesteigert.
Keinerlei Lähmungserscheinungen im FacialiBgebiet.
Puls 78 bis 82 in der Minute, vollständig regelmäßig,
von befriedigender Füllung (vgl. Fig. 2).
Alle Hautreflexe gleichmäßig gesteigert mit Ausnahme
des Plantarreflexes, welcher fehlt. Die Sehnenreflexe an
den unteren Extremitäten gleichmäßig gesteigert: kein Klonus.
Keinerlei Lähmungserscheinungen seitens der Extremitäten.
Funktion des Mastdarmes und der Blase normal.
Urin hell, spez. Gewicht 1008, schwach sauer, ent¬
hält weder Eiweiß noch Zucker.
Lokal am Kehlkopf, außer geringer Druckempfindlich¬
keit des Bingknorpels, keinerlei Veränderungen.
Die Sensibilitätsprüfung ergab vollständige Analgesie
und Therroanästhesie am ganzen Rumpf und den oberen
Extremitäten, die sich nach oben bis zum Schildknorpel,
unten bis zur Plica inguinalis, hinten bis zur Reg. glutea
erstreckte (vgl. Fig .3 u. 4).
Die Diaskopie ergab beinuhe vollständige Unbeweglich¬
keit des Zwerchfelles beiderseits: bei tiefer Inspiration ge¬
währt man klonische Zuckungen im Zwerchfell, die synchron
mit den Zuckungen in der Kehlkopfmuskulatur verlaufen.
Wenden wir uns zur einschlägigen Literatur, so finden wir eine Reihe
kasuistischer Mitteilungen, die teils einseitige, teils beiderseitige rhythmische
Krämpfe in der Schlingmuskulatur zu verzeichnen haben.
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Wenn wir von den Fällen, in welchen über rhythmische Krämpfe im Be¬
reiche einzelner Nerven berichtet wird, absehen, so bleiben uns nur wenige Fälle
übrig, in denen die erwähnten Krämpfe entweder einseitig oder doppelseitig be¬
obachtet wurden.
Was die Ausbreitung der in Bede stehenden Krämpfe anbetrifft, so berichten
Boeck(I), Küpper (2), Schbch(8), Avellis (4) und Holmes (5) über rhyth¬
mische Zuckungen in der Muskulatur des weichen Gaumens und Mundbodens
mit Hebung des Kehlkopfes; in den Fällen von Küpper und Avellis erwähnen
Verfasser ein Mitzucken der Zungenwurzel.
In allen zitierten Fällen wurden die Krämpfe auf reflektorischem Wege
ausgelöst, wobei es sich um organische Prozesse der Nasen-Rachenhöhle oder der
Ohren und des Kehlkopfes handelte.
In einer anderen Beihe von Fällen bestanden die erwähnten Symptome
gleichzeitig mit anderen Erscheinungen, die auf einen organischen Prozeß im
Gehirn deuteten; hierher gehören 2 Fälle von Oppenheim (6): in einem waren
diese Symptome durch eine das verlängerte Mark komprimierende Kleinhirn-
geschwulst bedingt; in dem zweiten Falle traten die rhythmischen Krämpfe in
der Schling- und Kehlkopfmuskulatur im Verlaufe einer akuten Meningitis auf.
In einem von Oppenheim und Siemerling publizierten Falle wurden doppel¬
seitige Krämpfe der Gaumensegel durch ein Aneurysma der Art vertebralis
bedingt
Weiter müssen 2 Fälle von Kleen (8) erwähnt werden, in denen es sich
um Erweichungsherde im Kleinhirn handelte; in dem einen der erwähnten Fälle
wurden doppelseitige, rhythmische Krämpfe in der gesamten Schlingmuskulatur
mit Beteiligung der Kehlkopfmuskeln, des Zwerchfelles und der Mm. intercostales
beobachtet Gleichzeitig bestanden Symptome seitens des rechten unteren Facialis,
Hypoglossus, außerdem eine spastische Parese der rechten Extremitäten, sowie
Kopfschmerz, Drehschwindel, Erbrechen und Abschwächung der geistigen Fähig¬
keiten.
In dem zweiten von Klien(9) mitgeteilten Falle existierten vollständig
analoge Erscheinungen, aber nur linkerseits. Auch in diesem Falle handelte es
sich, wie oben erwähnt, um einen Erweichungsherd im Kleinhirn.
Was die Hysterie, diese große Vortäuscherin aller möglichen organischen
Krankheiten des Nervensystems, anbetrifft, so standen die Fälle Williams (10)
und Nilsens(U) vereinzelt da. Was den letzteren Fall anbetrifft, so äußert
sich Klien in seiner ersten Mitteilung der oben zitierten Fälle 1 : es „dürfte
kaum bloße Hysterie Vorgelegen haben“. Ich kann dieser Äußerung Klien’s
nicht beistimmen, da ich den erwähnten Fall im Original vor mir habe und
daher in allen Details mit diesem Falle bekannt bin. Es handelte sich un¬
streitig um reine Hysterie: es existierte in diesem Falle ein linksseitiger hömi-
spasme glosso-labial, kombiniert mit rhythmischen Zuckungen des Kehlkopfes.
Abgesehen von dem typisch hysterischen Symptom des hemispasme glosso-labial
1 Deutsche med. Wochenschr. 1904. Nr. 18.
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bestanden hysterische Stigmata: anästhetische Zonen, konzentrische Verengerung
des Gesichtsfeldes, Areflexie der Cornea und der Rachenschleimhaut
Resümieren wir nunmehr unseren eigenen Fall, so finden wir, daß es sich
um einen bisher vollständig gesunden jungen Mann handelt, der plötzlich nach
einem Trauma (Schlag in die Kehlkopfgegend) das Bewußtsein verliert Gleich
nachdem Patient zu sich gekommen, treten doppelseitige rhythmische Krämpfe
in der gesamten Schling- und Kehlkopfmuskulatur mit Beteiligung des Zwerch¬
felles auf. Wir haben es also in diesem Falle mit Reizerscbeinungen im Be¬
reiche beider Hypoglossi, Glossopharyngei, Vagi, Phrenici, zum Teil auch der
Intercostales zu tun.
Wie allgemein bekannt, liegen die Schling- und Respirationsoentren sehr
nahe beieinander in der Rautengrube. Es drängt sich daher die Frage auf, ob
es sich nicht um einen pathologischen Prozeß am Boden der Rautengrube handele?
Meiner Ansicht nach ist es wohl kaum möglich, solch einen streng begrenzten
Herd (punktförmiges Extravasat?) am Boden der Rautengrube annehmen zu
können, der nur Reizerscheinungen im Gebiete der erwähnten Centren
hervorzurufen imstande wäre. Ebenso existieren in unserem Falle auch keinerlei
Symptome, die den Verdacht auf eine Läsion im Bereiche des Kleinhirns oder
der Oblongata erwecken könnten. Endlich sind die Erscheinungen in diesem
Falle zu weitgreifend, um das ganze Bild für reflektorisch vom Kehlkopf aus¬
gelöst zu erklären.
Wenn wir uns aber nach anderen Anhaltspunkten fflr die Erklärung des
ganzen Symptomenkomplexes Umsehen, so stoßen wir in unserem Falle auf die
typische Sensibilitätsstörung, die Areflexie der Cornea und Sclera, die konzen¬
trische Einengung des Gesichtsfeldes, das Fehlen der Plantarreflexe, die gleich¬
mäßig gesteigerten Haut- und Sehnenreflexe; alle aufgezählten Symptome scheinen
mir genügend zu sein, um das ganze Bild als traumatische Neurose anfzufassen.
Was den Ohnmachtsanfall, der sozusagen das Präludium des ganzen Falles
bildete, betrifft, so kann er, meiner Ansicht nach, hinlänglich durch einen Reflex
vom N. laryngeus erklärt werden: der Schlag auf den Schildknorpel konnte durch
Reizung des N. laryngeus reflektorischen Herzstillstand und somit die Bewußt¬
losigkeit hervorrufen.
Literatur.
1. Boeck, Archiv f. Obrenheilk. 1867. S. 218. — 2. KOppeb, Zeitachr. f. Ohrenheilk.
VIII. 1879. — 8. Scheoh, Münchener med. Wochenachr. 1886. Nr. 22. — 4. Avelub,
Cit. nach Kusu, Deutsche med. Wochenachr. 1904. Nr. 18. — 5. Holubs. Zeitachrift für
Ohrenheilk. VIII. 1879. — 6. Oppenheim, Neur. Centralbl. 1889. S. 182. — 7. Oppen¬
heim nnd Siemeblino, Cit. nach Klibk, 1. c. — 8. Klien, Deutsche med. Wochenschrift.
1904. Nr. 17 n. 18; Neur. Centr. 1907. Nr. 6. — 9. Derselbe, Ebenda. — 10. Williams,
CiL nach Klien, 1. c. — 11. Nilbbhb, Wratach. 1898. Nr. 82.
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n. Aus den Gesellschaften.
Gesellschaft Deutscher Nervenärzte.
Erste Jahresversammlung in Dresden am 14. u. 16. September 1907.
Referent: H. Haenel (Dresden).
(Schluß.)
II. Sitzung. Vorsitzender: Herr Erb (Heidelberg).
3. Herr Müller (Augeburg): Über die Empfindungen in unseren inneren
Organen. Vortr. wendet sich gegen die von chirurgischer Seite aus aufgestellte
Behauptung, daß unsere inneren Organe ganz unempfindlich seien und von ihnen
nur dann Schmerzen ausgel5st würden, wenn die dort vorliegende Störung in
irgendeiner Weise auf die peripheren Nerven des eerebrospinalen Systems ein¬
wirke. Vortr. weist nach, daß das Kopfweh in der Gehirnsubstanz selbst zustande
komme und nicht, wie es allgemein angenommen wird, von den Hirnhäuten aus*
gehe. Auch von den Lungen ziehen sensible Beize durch die Vagusäste nach
dem Centralorgan. Die heftigen Herzsohmerzen, wie sie bei der Angina pectoris
auftreten, werden durch die mangelnde Blutversorgung vom Herzmuskel selbst aus*
gelöst. Wenn sich der Magen bei der Operation und auch gegen alle äußeren Ein¬
griffe als unempfindlich erweist, so ist es doch nicht angängig, die von den Kranken
auf den Magen lokalisierten Schmerzen auf eine Lymphgefäßentzündung, die sich
bis zur hinteren Bauchwand erstrecke und dort sensitive Nerven reize, zurück¬
zuführen. Vielmehr ist nachgewiesen, daß durch den vermehrten HCl-Gehalt
des Magensaftes Magensohmerzen hervorgerufen werden können. Ob freilich das
Magengeschwür als solches Beschwerden hervorruft, ist noch unentschieden. Auch
die Darm-, Gallenstein- und Nierenkoliken kommen sicherlich nicht nur, wie das
Lenander und Wilms behaupten, durch Reizung der Bauchwandnerven zustande,
vielmehr deutet allerhand darauf hin, daß die sympathischen Nervenfasern dieser
Organe für die Sohmerzleitung in Betracht kommen; stehen doch auch die großen
Geflechte des Sympathikus durch zahlreiche Rami communicantes und durch die
Nervi Bplanchnici mit dem Rückenmark in Verbindung, dort dringen die Reize
durch Irradiation auf die schmerzleitenden Fasern, welche aus den spinalen Nerven
kommen über und werden mit diesen durch die graue Substanz der Hintersäulen
centralwärts geleitet. So ist es zu erklären, daß in den Hautpartien, deren Nerven
aus demselben Rückenmarksabschnitt stammen wie die sympathischen Fasern des
erkrankten Organes, eine Überempfindlichkeit gegen Schmerzeindrücke besteht.
Aus den Untersuchungen des Vortr. geht hervor, daß Bich die Sensibilität der
Blase und des Mastdarmes anders verhält als die des übrigen Darmes und des
Magens. Die Tatsache, daß die inneren Organe für Reize, welche wir an der
Körperoberfläche empfinden, anästhetisch sind, kann somit nicht als Beweis für
ihre absolute Unempfindlichkeit gelten. Die Sensibilität der inneren Organe
richtet sich nach der Art der jeweils in Betracht kommenden Schädlichkeiten.
So reagiert das Gehirn auf Intoxikationen, der Magen auf ungeeignete Speisen mit
Schmerzen; in den muskulären Hohlorganen lösen oft erschwerte und verstärkte
Tätigkeit und Mangel an Blutzufuhr peinliche Empfindungen aus. Dem Sym¬
pathikus fällt die Aufgabe zu, solche Störungen aus den inneren Organen dem
centralen Nervensystem zu übermitteln.
4. Herr Bruns (Hannover): Die ohirurgisohe Behandlung der Büoken-
markshautgesohwülste. Vortr. will nicht über die eigentliche chirurgische Be¬
handlung sprechen, sondern aus der gesamten Pathologie der Tumoren an den
Rückenmarkshäuten das hervorheben, was für den schließlichen Rat zu einem
chirurgischen Eingriff von Bedeutung ist, was diesen Rat erleichtert oder er¬
schwert. Er spricht so zunächst über die pathologische Anatomie, die Form,
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Größe und den Sitz dieser Geschwülste, dann über ihre Einwirkung auf das
Rückenmark, seine Warzein and Seine Hüllen. Es folgt ein Abschnitt über die
Symptomatologie, wobei besonders Rücksicht genommen wird aaf die Fälle mit
atypischem Verlauf: Fehlen ganzer Symptomengruppen, z. JB. der Schmerzen,
Änderungen in der Aufeinanderfolge der Symptome. Vortr. weist mit Nachdruck
darauf hin, daß man auch in solchen atypischen Fällen unter Umständen zu einer
Operation raten müsse, daß diese dann aber einen explorativen Charakter habe.
Immer bleibt die Aufgabe, die Diagnose möglichst so zeitig zu stellen, daß das
Rückenmark selbst noch nicht durch Kompression erheblicher geschädigt ist.
Differentialdiagnostisch sind besonders Caries der Wirbelsäule, multiple Sklerose,
Syringomyelie, Meningitis serosa spinalis in Betracht zu ziehen. Bei der Segment*
diagnose wird besonders der Unterschied zwischen Cauda equina- und Lumbo-
dorsalmarkstumoren erörtert. Hervorgehoben wird nochmals, daß die Segment*
diagnose eines Tumors der Häute meist nur eine solche des oberen Randes sein
kann. Dos Sherringtonsche Gesetz: Versorgung jeder Hautpartie aus mehreren
Segmenten, besteht uoch zu Recht. Nach Erörterung aller dieser Verhältnisse kommt
Vortr. zu dem Schluß, daß die intraduralen, extramedullären Tumoren hervorragend
günstige Objekte für eine chirurgische Behandlung sind, und beweist das durch
die glänzenden Erfolge F. Schultzes und Oppenheims auf diesem Gebiete.
Zum Schlüsse bringt er noch einige Bemerkungen über Operationsgefabren. Sie
sind im allgemeinen geringer als die bei Hirntumoren.
5. Herr Cassirer (Berlin): Die Therapie der Erkrankungen der Cauda
equina. Die operative Behandlung der Tumoren hat bisher sehr schlechte Resultate
gehabt, bei 24 Fällen in der Literatur scheint dreimal die Operation zu einem
Erfolge geführt zu haben (Rehn, Ferrier und Horsley, Kümmel]), in drei
‘ weiteren scheint ebenfalls ein günstiges Resultat erzielt zu sein; das wären 25 °/ 0 .
In den übrigen 75 °/ 0 keine Heilung, wenn auch in der Mehrzahl vorübergehende
Besserung. In mehr als 1 / 4 der Fälle folgte auf die Operation ziemlich rasch
der Tod, oder die Operation konnte nicht zu Ende geführt werden. Die Ursachen
dieser Mißerfolge liegen einmal in der Art der Tumoren, die meist bösartig oder
multipel waren; noch nicht 20 °/ 0 betreffen relativ gutartige Tumoren. Ferner
können die Geschwülste sehr groß werden. Für die unter allen Umständen
schwierige Diagnose genügt nicht allein die Feststellung, daß es sich um einen
Tumor der Cauda handelt, sondern es muß auch eine genauere Höhenbestimmung
des Sitzes versucht werden. Letzteres stößt auf zum Teil unüberwindliche Schwierig¬
keiten, da Affektionen in verschiedenen Höhen dasselbe Symptombild erzeugen können.
In einem Falle eigener Beobachtung wurde Kreuzbein und Lendenwirbelsäule ge¬
öffnet, ohne daß der vermutete Tumor gefunden wurde. Der Fall blieb unauf¬
geklärt, die Patientin überstand die Eingriffe anstandslos. Auch die Diagnose
der Art des Leidens macht oft Schwierigkeiten. Von Symptomen ist hervor¬
zuheben, daß die Schmerzen fast stets heftig sind, daß die Achillesreflexe in der
Regel früher yerschwinden als die Patellarreflexe, daß Anästhesien in radikulärer
Verteilung fast nie fehlen. Blasen- und Mastdarmsymptome sind häufig, aber
nicht ausnahmslos vorhanden. Trotz aller ungünstigen Momente muß die operative
Behandlung, und zwar möglichst frühzeitig, weiter verbucht werden, auch bei
Wahrscbeinlichkeitediagnose ist die Vornahme der Laminektomie erlaubt. Bei
Tuberkulose der Cauda sollte, wenn Extension, Fixation usw. erfolglos blieben,
häufiger als bisher zur Operation geraten werden. Einige Sektionsfälle lehren
die Möglichkeit der operativen Behandlung. In Frage kommt Tuberkulose der
Symphysis sacroiliaca und des Kreuzbeines, ferner Wirbelresektionen bei Tuberkulose
der Lendenwirbelsüule, Ferrier und Bailance brachten einen derartigen Fall
operativ zur Heilung. Bei Traumen deB in Betracht kommenden Gebietes ist zu
berücksichtigen, daß oft spontan weitgehende Besserungen Vorkommen, so daß
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mit der operativen Behandlung jedenfalls abgewartet werden muß. Die Aus¬
sichten derselben sind wechselnde: neben Besserungen ist auch nicht zu selten
von einem unglücklichen Ausgang der Operation berichtet worden. Am besten
waren die Erfolge noch bei Schuß Verletzungen, bei denen sich übrigens auch
spontane Besserungen beobachten ließen.
Diskussion: Herr Oppenheim (Berlin) bespricht kurz seine eigenen Er¬
fahrungen über Bückenmarkshauttumoren. In 12 Füllen hat sich die von ihm
gestellte Diagnose bestätigt, der Tumor wurde gefunden und konnte in toto ent¬
fernt werden. In sechs von diesen Fällen erfolgte Heilung, in einem siebenten
hat sich die Besserung bis heute verzögert. In 5 Fällen war der Verlauf ein
tödlicher, diese entstammen aber einer früheren Zeit. Die entsprechenden Tumoren
werden im Bilde demonstriert.
Herr Säenger (Hamburg) hat den von Herrn Cassirer angeführten Fall
Kümmells diagnostiziert. Nach Entfernung des Sarkoms der Cauda trat eine
Metastase im Dorsalteil ein, die ebenfalls exstirpiert wurde. Patient starb nach
3 / 4 Jahren. Im 2. Falle handelte es sich um ein Fibromyxom; nach der erfolg¬
reichen Entfernung durch Sick in Hamburg trat bald der Tod durch Shoc ein.
In 2 Fällen konnte er die günstige Wirkung einer Explorativtreponation sehen,
obgleich kein Rückenmarkstumor gefunden worden war.
Herr Nonne (Hamburg) hat im vergangenen Jahr 5 Fälle von extra¬
medullärem Tumor diagnostiziert und operieren lassen. In allen Fällen wurde
die Geschwulst gefunden und entfernt. Einmal saß sie extradural. Er gibt
einen kurzen Abriß der Krankengeschichten dieser Fälle. Bedauerlich für die
Differentialdiagnose ist es, daß auch bei der multiplen Sklerose Schmerzen kon¬
stringierender Art Vorkommen. Wenn bei einem solchen Fall nur die Er¬
scheinungen der Myelitis dorsalis spastica bestehen, kann die Differentialdiagnose
unmöglich werden. N. erlebte einen solchen Fall, in dem die Laminektomie
keinen Befund ergab und erst die Sektion eine ausgedehnte multiple Sklerose
feststellte.
Herr Auerbach: Der Fall von Laquer-Rehn ist nach einer von Herrn
Laquer selbst gemachten Mitteilung nicht geheilt geblieben, sondern an einem
Rezidiv zugrunde gegangen. Dagegen ist der Fall von Brodnitz und mir
jetzt seit nahezu 3 Jahren geheilt. Es ist bis jetzt der größte mit Glück
operierte Rückenmarkstumor. Brodnitz empfiehlt auch bei Operationen am
Rückenmark, ebenso wie am Gehirn, zweizeitig zu operieren.
Herr Roth mann weist auf die Echinokokken im Rückenmarkskanal hin.
Sie sind außerordentlich selten, am häufigsten noch im Gebiete der Cauda; vou
Wilma und Raymond sind derartige Fälle operativ in Angriff genommen,
wegen ungenügender Entfernung der Echinococcusblasen aber nicht geheilt worden.
Frühzeitige Diagnose, durch Auffindung extravertebraler Tumoren und durch das
Röntgen-Bild erleichtert, wird vermutlich auch hier die Resultate bessern.
Herr Bruns (Schlußwort): GummÖBe Prozesse der Häute sind oft von
anderen Tumoren nicht zu unterscheiden. Tumoren am Halsmark geben wegen
leichterer Öffnung der Wirbelsäule bessere Aussichten für die Operation.
Herr Cassirer (Schlußwort): Die von den Herren Saenger und Auerbach
gemachten Mitteilungen verschlechtern die Aussicht der Operation bei Cauda-
tumoren noch weiter, insofern als sowohl die Fälle von Kümmell als der von
Laquer nicht als dauernd geheilt zu betrachten sind.
6. Herr Nonne (Hamburg): Differentialdiagnose des Tumor cerebri.
Vortr. berichtet zunächst über 4 Fälle von Hirnhauttumoren. Der Tumor ging
jedesmal von der Dura mater aus, das Hirn nur verdrängend. In 2 Fällen
handelte es sich um Kompressionen des einen vorderen Hirnpoles, in einem Falle
um eine solche des Occipitalpoles, im vierten um die Entwicklung des Tumors
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vom Tentorium cerebelli aas. Nor io diesem letzteren Falle war die Entwicklung
der Drucksymptome zu verfolgen, in den drei anderen traten die Erscheinungen
akut in Form von Konvulsionen, bzw. einseitigen Gesichtshalluzinationen auf. ln
einem weiteren Falle hatte sich ein Hämatom auf der Basis einer Pachymeningitis
hämorrhagica langsam entwickelt unter den Symptomen eines Tumors mit Er*
scheinungen, die teils auf die rechte Seite (Fazialisparese) teils auf die linke
(Verhalten der Sehnen und Hautreflexe) deuteten. Da Vortr. solche doppelseitige
Symptome bereits in zwei früheren Fällen von Hämatom beobachtete, empfiehlt er,
differential-diagnostisch auf dieses Verhalten zu achten, ln zwei weiteren Fällen
handelte es sich um Hirnabszesse, die nicht diagnostiziert waren, weil einmal jede
Ätiologie fehlte und starke progrediente Stauungspapille bestand, der andere Fall
gerade so lag und der Kranke nach Ausbildung der Stauungspapille noch fast
3 Monate lebte, ln diesen zwei Punkten ist also die bisherige Lehre von der
Symptomatologie des Hirnabszesses zu revidieren. Zum Schluß berichtet Vortr. über
weitere Beobachtungen von „Pseudotumor cerebri“: Dreimal hatte das Bild einer
allmählich entstandenen Hemiparese von organisch - cerebralem Charakter mit
Abducensparese bzw. Abducens- und Oculomotoriusparese bestanden. Nur in
einem Falle geringe Stauungsneuritis; in allen Fällen fehlte jede greifbare Ätio¬
logie für ein organisches Gehirnleiden, in allen Fällen erfolgte völlige Heilung,
einmal von einem doppelten Rezidiv gefolgt, ln drei anderen Fällen kam ee
zum Exitus und jedeBmal war die anatomische Untersuchung (zweimal makro¬
skopisch und mikroskopisch, einmal nur makroskopisch) absolut negativ, auch in
bezug auf Hydrocephalus. In 2 Fällen hatte es sich um das Bild eines Tumor
cerebelli gehandelt mit Stauungspapille, einmal mit Konvulsionen kompliziert, im
3. Falle um die Erscheinungen einer Hemiepilepsie mit schwerer Stauungspapille
und hochgradiger Prostration.
III. Sitzung. Vorsitzender: Herr Jendr&ssik.
7. Herr Hartmann (Graz): Zur Diagnostik operabler Hirnerkrankongen.
Vortr. bringt einige Erfahrungen aus dem Grenzgebiete der Chirurgie und Neuro¬
pathologie. Unter den Hirngeschwülsten ist ähnlich wie bei den basalen und Rücken-
markBhauttumoren deu ausschälbaren mehr zu kugeligem Wachstum neigenden
Geschwülsten besonderes Augenmerk zuzuwenden. Hier wieder sind es die
Psammome insbesondere der weichen Häute, welche durch ein eigenartiges
Wachstum mit lediglichei Verdrängung der Hirnsubstanz und ein charakte¬
ristisches histologisches Li Id ausgezeichnet sind. Durch Hirnpunktion konnte
der Vortr. in 2 Fällen diese für die Operation sehr günstigen Geschwülste fest-
steilen und empfiehlt die Hirnpunktion nicht so sehr zur lokalen Diagnose, die
vorwiegend eine Domäne der funktionellen Diagnostik bleiben soll, als vielmehr
zur Feststellung der Art und Größe der operablen Herderkrankungen. Die Vor¬
nahme der Hirnpunktion soll dem Chirurgen überlassen bleiben, sowohl aus rein
technischen Gründen als auch wegen des oft sofort nach der Punktion nötigen
weiteren chirurgischen Vorgehens. Weiter berichtet Vortr. über die Sympto¬
matologie zweier Fälle von Ventrikelblutungen, bei welchen die Lumbalpunktion
Blut in größeren Mengen ergab. Dieses Blut blieb ungerinnbar. Vortr. sieht
hierin ein wichtiges diagnostisches und differentialdiagnostisches Kennzeichen der
Ventrikelblutungen und empfiehlt, auf dasselbe in Zukunft zu achten. Im 2. Falle
hat Vortr., was bisher nicht durchgeiuhrt wurde, die Entleerung des in die
Ventrikel ergossenen Blutes durch Ventrikelpunktion dem Chirurgen empfohlen.
Das Ergebnis war hinsichtlich der Hirnerscheinungen ein überraschendes, so daß
Vortr. dazu auffordert, künftig die Heilung der Ventrikelblutung auf diesem Wege
zu versuchen, sintemalen auch die bisherigen Erfahrungen mit der Entleerung
oxtracerebraler Blutungen dazu ermuntern. Schließlich empfiehlt Vortr. zur Ver-
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feinerung der topischen Diagnostik raumbeengender Erkrankungen des Schädel*
inneren die Verabreichung von Cardio- und Vasotonicis; die oft störenden Nach¬
barschafts- und Allgemeinsymptome Bchwinden unter dem Einflüsse der Erhöhung
der Gefäßspannung und des Blutdruckes. Die schweren allgemeinen Störungen,
welche dem Vortr. in einem Falle von Hirnabszefl jegliche Handhabung zur
topischen Orientierung benahmen, schwanden unter dieser Behandlung rasch und
ausgiebig, so dafl schon nach wenigen Stunden Diagoose und erfolgreicher opera¬
tiver Eingriff ermöglicht wurden. Auch in leiohteren Fällen leistet das angegebene
Verfahren ansgezeichnete Dienste durch die Verminderung insbesondere der zirkula-
torischen Folgeerscheinungen des Hirndruckes, so dafl dasselbe allgemeiner Be¬
nutzung zu diagnostischen Zwecken, mitunter gewifl auch zu therapeutischen
(Kopfschmerzen, Kollaps, Sclilinglähmung, Atemstörung bei raumbeengenden Hirn¬
erkrankungen) empfohlen werden muß.
Diskussion: Herr Bruns (Hannover): Die Duraendotheliome sind nicht so
ganz selten und erlauben auch öfters eine genaue Lokaldiagnose. Die Allgemein¬
symptome sind aber oft in diesen Fällen gering, so daß die Kranken sich leider
nicht rechtzeitig zur Operation entschließen.
Herr Oppenheim (Berlin) bestätigt, daß die Duraltumoren nicht so selten
Vorkommen. Ein von ihm beobachteter von Bergmann operierter Fall dieser
Art ist von letzterem veröffentlicht.
Herr Schuster (Berlin) hat drei Hirntumorfälle nach kleinen Morphium¬
darreichungen ganz kurze Zeit nach der Injektion durch den Tod verloren. Er
möchte den Vortr. fragen, ob er ähnliche Beobachtungen gemacht hat In der
Literatur hat er nichts darüber finden können.
Herr Hartmann (Schlußwort) macht Herrn Bruns und Oppenheim darauf
aufmerksam, daß es sich hier um Tumoren der weichen Häute, nicht um solche
der Dura handelte, welch letztere ihm wohl bekannt sind. Die letzteren flachen
die Konvexität ab, erzeugen Dellen, diese Tumoren der weichen Häute aber
wachsen in charakteristischer Weise die Hirnsubstanz einstülpend, meist von der
Tiefe eines Sulcus aus und zeigen histologisch das charakteristische Bild des
Psammoms. Herrn Schusters Erfahrung über ungünstige Wirkung von Morphium¬
verabreichung kann er bestätigen. Er glaubt, einen Fall von Abszeß, bei welchem
behufs Operation Morphium verabreicht wurde, durch sehr rasch darauf auftretende
Atemlähmung verloren zu haben.
8. Herr Schüller (Wien): Sohädelröntgenographie mit Demonstrationen.
Vortr. demonstriert eine große Zahl von Röntgenogrammen des Schädels. Die Fälle
betreffen Verletzungen des Schädels durch Fremdkörper und durch stumpfe Gewalt
(Fissuren, Impressionen), ferner Destruktionen und Hyperostosen infolge von Lues,
kuöcherne Tumoren des Schädels und Destruktionen desselben durch solche intra¬
kraniellen Sitzes. Besonders wichtig wird die Röntgenuntersuchung bei der Diagnose
von Basis-, speziell Hypophysentumoren; auch bei Epilepsie und bei Erkrankungen
der Nebenhöhlen der Nase, welche oft mit nervösen Störungen einhergehen, gibt
das Röntgen-Bild nicht selten interessante Aufschlüsse über Veränderungen des
Schädels.
Diskussion: Herr Oppenheim (Berlin) bemerkt zur Geschichte der Frage,
daß es ihm im Jahre 1899 zum ersten Male gelungen sei, eine Erweiterung der
Sella turcica nachzuweisen; das sei der Ausgangspunkt der weiteren Beobach¬
tungen gewesen, er selbst habe seitdem in 10 bis 12 Fällen dasselbe gesehen.
Das Verdienst des Vortr. sei es, die Sache für die feinere Differentialdiagnose
ausgebaut zu haben. Freilich könne der Hydrocephalus, vielleicht auch die basale
Lues dasselbe bedingen.
Herr Krause hat am Röntgen-Bilde bei Hirntumoren Sprengung bzw.
Diastase der Schädelnähte gesehen. Er weist auf die Monographie von
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Virchow „Über die Kyphose der Schädelbasis“ hin, die dieses wichtige Gebiet in
erschöpfender Weise behandelt. Er hat bei einer 18 jährigen Kranken derartige
Veränderungen im höchsten Grade ausgebildet gesehen und in den Brunsschen
Beiträgen zur Chirurgie 1902 veröffentlicht. Es hatten sich bei ihr infolge der
starken Baumbeengung in der hinteren Schädelgrube alle Erscheinungen der Klein¬
hirngeschwulst entwickelt. Die Ursache der Knochenveränderung war Rachitis.
Herr Saenger (Hamburg) demonstriert Diapositive von Böntgen-Aufnahmen
bei Hypophysistumoren. Die Vergrößerung oder Zerstörung der Sella turcica
tritt aus denselben klar hervor, einmal war der Befund einer normalen Sella
turcica wichtig, weil er die fälschlich gestellte Diagnose auf einen Hypophyßis-
tumor berichtigte, einmal konnte die Diagnose Kleinhirntumor durch den Befund
einer erweiterten Sella turcica richtiggestellt werden.
Herr Schüller (Schlußwort) erwidert Herrn Krause, daß bei intrakraniellen
Tumoren außer der Sprengung der Schädelnähte auch Persistenz der Knorpel¬
fugen im Böntgen-Bilde nachweisbar ist. Die Virchowschen Fälle von sogenannter
basaler Impression sind verschiedener Ätiologie, beruhen nicht bloß auf Rachitis.
Gegenüber Herrn Saenger betont er, daß es gerade darauf ankommt, das Auge
für die Frühstadien der Veränderungen an der Sella zu schärfen.
9. Herr Saenger (Hamburg): Über Herdsymptome bei diffusen Hirn¬
erkrankungen. Nicht immer entspricht dem Auftreten von Herdsymptomen eine
lokalisierte organische Veränderung im Gehirn. Das Übersehen dieser Tatsache
hat vielfach zu übereilten schweren chirurgischen Eingriffen Veranlassung gegeben.
So kommt es bei Meningitis, speziell M. tuberculosa, nicht selten zu lokalisierten
Symptomen. Vortr. hat schon 1903 Fälle von umschriebener tuberkulöser Meningitis
mitgeteilt. In seltenen Fällen kann sich auch die eitrige Meningitis lediglich durch
Herdsymptome bemerkbar machen, desgleichen sarkomatöse Meningitis, wofür er
je einen Fall aus seiner Erfahrung anführt. In einem Fall von rechtsseitiger
Lähmung fand sich nichts als eine diffuse Leptomeningitis. Scharf um¬
schriebene Herdsymptome, die manchmal bei Karzinomatose Vorkommen, sind
oft der Ausdruck einer mikroskopischen karzinomatösen Infiltration der Pia.
Ferner kann eine diffuse Encephalitis Herdsymptome machen, am häufigsten
gibt aber der chronische Hydrocephalus Anlaß zu Irrtümern, indem meistens ein
Hirntumor dabei diagnostiziert wird. Es ist unsere Aufgabe, die Herdsymptome
genauer zu erforschen, um sie mit größerer Sicherheit differenzieren zu können.
Lumbal- und Hirnpunktion sowie das Röntgen-Bild werden hierbei weiter heran¬
gezogen werden müssen, um die Allgemeinerkrankungen besser aussondern zu
können.
Diskussion: Herr Redlich macht darauf aufmerksam, daß bei der senilen
Atrophie Herderscheinungen relativ häufig sind, z. B. Epilepsie bei Aphasie
hervorrufen können. In solchen Fällen deckt oft erst die mikroskopische Unter¬
suchung eine besondere Verstärkung des atrophischen Prozesses in der ent¬
sprechenden Rindenpartie auf.
Herr Saenger (Schlußwort) konnte bei der Kürze der Zeit nicht auf alle
diffusen Hirnaffektionen eingehen, die sich durch Herdsymptome dokumentieren
können. Die Arbeiten Picks über die senile Hirnatrophie sind ihm wohlbekannt.
Auch auf die Cysticerkose und namentlich auf die diffusen Gefäßerkrankungen
hätte er hinweisen müssen, die beide nicht selten einen Hirntumor Vortäuschen
können.
10. Herr von Frankl-Hochwart und Herr von Eiseisberg: Über opera¬
tive Behandlung der Hypophysistumoren. (Der Vortrag erscheint als Original¬
mitteilung in der nächsten Nummer dieses Centralblattes.)
Diskussion: Herr Oppenheim (Berlin) berichtet kurz über einen mit
Krause beobachteten Fall, in welchem eine Geschwulst * des Cerebellum, der
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Vierhügel und des Ventrikeldaches die Erscheinungen eines Hypophysistumors
vorgetauscht hatte.
Herr Schüller: Der Zusammenhang zwischen Hypophysistumor und Genital¬
atrophie wird durch einen Fall von Nazari beleuchtet. Hier fand sich bei
einem 20 jährigen Individuum bei histologischer Untersuchung ein dem embryo¬
nalen entsprechender Befund des Testikels. Es scheint also die Hodenaffektion
der Hypophysenaffektion koordiniert zu sein. Die Fettsucht könnte dann eine
Folge der Genitalaplasie sein.
Herr Mingazzini: Fichera hat nach Kastration von Stieren und Hähnen
gesehen, daß makroskopisch wie histologisch die Hypophysis sich vergrößerte,
infolge Hyperplasie von Elementen des vorderen Lappens. Das erklärt wahr¬
scheinlich die Hodenatrophie beim Riesen. Es existiert augenscheinlich ein Zu¬
sammenhang zwischen den Funktionen der Genitalien und der Hypophyse.
11. Herr Reicher (Wien): Kinematographie in der Neurologie. Vortr.
hat nach Überwindung von allerhand technischen Schwierigkeiten, die besonders
in der genauen Centrierung der Bilder bestanden, lückenlose Schnittserien aus
dem Centralnervensystem von Menschen und Tieren auf Filmbänder photographiert und
demonstriert vermittelst des Kinematographen den Verlauf der Faserbahnen nach Art
eines aktiven Vorganges. Er verspricht sich von dem Verfahren besonderen Wert
für Lehrzwecke, glaubt aber auch für die Erforschung des Centralnervensystems
damit ein neues Hilfsmittel gewonnen zu haben (vgl. d. Centr. 1907. S. 496).
12. Herr Kühne (Cottbus): Die kontinuierliche Bezold- Edelmann sehe
Tonreihe als Untersuchungsmethode für den Nervenarzt. Die Tonreihe be¬
steht aus 10 an ihren Zinkenenden mit Gewichten belasteten Stimmgabeln, zwei
Orgelpfeifen und dem sogenannten Galton-Pfeifchen. Durch Verschiebung der
Gewichte können die Stimmgabeln auf die gewünschte Höhe eingestellt werden.
Mit diesen Instrumenten können alle Töne, die das menschliche Ohr wahr¬
zunehmen vermag, in kontinuierlicher Reihe und mit genügender Stärke hervor¬
gebracht werden. Die wichtigste Strecke des Hörfeldes ist die von b 1 bis g 2 ,
denn in diese Strecke fallen die Eigentöne unserer wichtigsten Sprachlaute. Ist
sie nicht oder nicht mit der genügend nötigen Stärke wahrnehmbar, so ist das
Sprachverständnis aufgehoben. Bei der Hörprüfung prüft man zuerst am besten
die Flüstersprache, dann Töne in Luftleitung, indem man zunächst die Grenzen
feststellt, bis zu welchen hohe und tiefe Töne noch gehört werden und danach
2. auf Hörlücken fahndet, 3. prüft man die Knochenleitung durch Aufsetzen
der Stimmgabel auf den Scheitel. Für eine Verlängerung oder Verkürzung
der Knochenleitungsdauer ist ein Unterschied von mindestens 10 Sekunden
gegenüber der normalen zu fordern, 4. wird mit den Stimmgabeln g 1 oder a 1
der Rinnesche Versuch ausgeführt (Vergleich der Luftleituugsdauer mit der
Knochenleitungsdauer desselben Ohres). Die erstere ist normal etwa 30 Sekunden
länger als die letztere. Die Prüfung von Geräuschen kann unberücksichtigt bleiben.
Statt der üblichen nervösen Schwerhörigkeit unterscheidet Vortr. 1. Labyrinth¬
schwerhörigkeit, 2. Leitungsschwerhörigkeit, 3. Rindenschwerhörigkeit bzw. Taub¬
heit. Für den Nervenarzt kommen hauptsächlich von Labyrinthschädigungen die¬
jenigen nach Schädeltrauma in Betracht. Er hat zu entscheiden, ob den so
häufigen Klagen über Schwindel, Schwerhörigkeit und Kopfschmerz eine Ver¬
letzung des inneren Ohres zugrunde liegt. Das Labyrinth ist ein sehr feines
Reagens für die Stärke von Kopferschütterungen. Bei der schwächsten Form
der Labyrintherßchütterung können die Hörstörungen erst einige Zeit nach dem
Unfall eintreten. Bei den meisten Schädigungen des Labyrinths, namentlich wenn
sie vom Mittelohr ausgehen, aber auch bei Schädelbasisbrüchen, ist die Wahr¬
nehmung der höchsten Töne zuerst beeinträchtigt. Dies Verhalten ist aber kein
durchgängiges. Beim Weber sehen Versuch ißt, falls Labyrinthsclnidigung vor-
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liegt, die Knochenleitung stets verkürzt, Verlängerung deutet auf eine Schädigung
des Mittelohres. Der Rinnesche Versuch fällt bei Labyrintherkrankung wie bei
Gesunden aus. Auch bei ganz taubem einem Obre wird von a 1 an eine schwache
Wahrnehmung der Töne vom anderen niemals ganz verschließbaren Ohre aus
erzielt, was wichtig ist für die Feststellung der Simulation einseitiger Taubheit.
Für die Simulation doppelseitiger Taubheit ist die kontinuierliche Tonreihe nicht
ausreichend. Dagegen kann Bie der Simulation Verdächtige unter Umständen
rechtfertigen; so kann jemand für Sprache taub sein und dennoch eine große
Anzahl Töne wahrnehmen, ja er kann sogar z. B. das Wort Sieben sehr gut
hören, das Wort Hundert aus derselben Entfernung aber nicht, weil die Eigentöne
der Sprachlaute bei dem ersten Worte in eine andere Hörstrecke fallen. Ver¬
änderungen am Stamm des Schneckennerven können entweder durch Geschwülste
oder durch Druckwirkung zustande kommen. Wird die centrale Hörbahn in
der Vierhügelgegend geschädigt, so kommt es meist zu doppelseitiger Taub¬
heit. Die Diagnose wird durch die gleichzeitige Störung von seiten anderer
Hirnnerven gesichert. Eine Differentialdiagnose, ob der Herd in der Schnecke,
im Hirnnervenstamra oder der centralen Hörbahn liegt, ist auf Grund der Hör¬
prüfung allein heute noch nicht zu stellen. Bei Schläfenlappenläsionen ist der
klinische Befund noch kein eindeutiger, sicher ist nur doppelseitige Taubheit bei
Erkrankung beider Hörcentren gefunden worden. Zum Schluß erwähnt Vortr.
die Untersuchungen von Wanner und Gudden, die bei gewissen Erkrankungen
des Schädelknochens oder Gehirns eine wesentliche Verkürzung der Knochen-
leitung (für a und a 1 mindestens 4 bzw. 2 Sekunden), bei regelrechtem Hör¬
vermögen für Luftleitung, feststellen konnten. Das normale Verhalten der
Knochenleitung gestattet natürlich nicht den entgegengesetzten Schluß, organische
Veränderungen auszuschließen. Bei reinen traumatischen Neurosen zeigt das Hör¬
vermögen charakteristische Ermüdungserscheinungen. Vortr. schließt mit der Auf¬
forderung, der Hörprüfung in den neurologischen Untersuchungsmethoden eine
größere Beachtung als bisher zu schenken.
Diskussion: Herr Rothmann fragt, ob die geschilderte Untersuchung»-
methode die Differentialdiagnose zwischen Simulation und funktioneller einseitiger
Taubheit, vor allem bei Hysterie, gestattet. Er weist ferner auf die Wichtigkeit
genauer Stimmgabeluntersuchungen bei Schläfenlappenaffektionen des Menschen
hin. Bei Hunden iBt die Tonunterscheidung bis zu einem gewissen Grade er¬
halten, solange auch nur der kleinste Rest der Hirnrinde stehen geblieben ist.
Herr v. Frankl-Hocbwart kennt Fälle, bei denen trotz guter Hörschärfe
echter Obrenschwindel diagnostiziert werden mußte. Schwierigkeiten entstehen,
wenn Drehschwindel, Ohrensausen und Erbrechen als hysterischer Anfall oder
epileptische Aura auftritt.
Herr Höniger beobachtet augenblicklich einen Fall von Tumor des linken
Kleinbirnbrückenwinkels, bei dem die Hörprüfung auch mittels der kontinuier¬
lichen Tonreihe bisher nur zweifelhafte Resultate ergeben hat: schwere Beein¬
trächtigung der tiefen Töne, geringe für die hohen, Knochenleitung auf der kranken
Seite besser als Luftleitung, herabgesetzt nur gegen die gesunde Seite. Rasche
Ermüdung bei der Prüfung.
Herr Mann warnt davor, aus dem negativen Ausfall der Hörprüfung, also
normalem Hörbefunde, nach Kopfverletzungen den Schluß zu ziehen, daß eine Ver¬
letzung des inneren OhreB nicht vorliegen könne. Er kennt Fälle mit intaktem Hör¬
vermögen, in denen erst die galvanische Untersuchung und die Gleichgewichtsprüfong
nach v. Stein darauf hinwies, daß die Klagen über Schwindel durch eine Verletzung
des Vestibularapparates bedingt waren. Es gibt also offenbar Verletzungen des
inneren Obres, bei denen dieser allein getroffen, der akustische Apparat aber verschont
ist. Auch in dem Buch von v. Frankl-Hoch wartjistjein solcher Fall erwähnt.
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Herr Kühne (Schlußwort): Die HyBterie macht keine charakteristischen
Hörstörungen. Man darf solche nur dann diagnostizieren, wenn sich andere hyste¬
rische Symptome psychischer oder somatischer Art finden. Die Besprechung der
Störungen der halbzirkelförmigen Kanäle ohne Hörstörungen nach Felsenbeinver-
letzungen lag außerhalb seines Vortrages.
13. Herr Schanz (Dresden): Demonstration chirurgisch orthopftdisoh
behandelter Lähmungen. Durch die Einführung der Sehnen* und Muskeltrans-
plantation in die Therapie der Lähmungen ist ein großer Fortschritt erzielt worden.
Wir ersetzen einen gelähmten funktionsuntüchtigen MuBkel durch einen unge¬
lähmten und vermindern auf diese Weise den Funktionsdefekt, welchen die Lähmung
erzeugt. Im günstigsten Falle ist das Resultat der Operation als eine vollständige
funktionelle Heilung zu bezeichnen. Unter anderen Verhältnissen ist nur ein ge¬
ringer Nutzeffekt zu erzielen, bei schlechter Indikationsstellung kann auch die
gelungene Operation eine direkte Funktionsverschlechterung herbeiführen. Unter
günstigen Umständen gelingt es, Muskeln Aufgaben zuzuführen, die ihnen von
Natur ganz fremd sind. Wir erreichen nicht nur Verschiebungen in derselben
Arbeitsgruppe, etwa derart, daß wir verschiedene Fußstrecker für einander ein-
setzen können, sondern wir können einem Muskel auch die Erfüllung der Tätig¬
keit seines Antagonisten übertragen, z. B. beim Ersatz des Kniestreckmuskels.
Die Operierten müssen dann allmählich lernen, die verpflanzten Muskeln zur ent¬
gegengesetzten Arbeit zu verwenden. Die Hoffnung, durch Teilung der Muskeln
neue Muskelindividuen zu den alten hinzugewinnen zu können, hat sich nicht
erfüllt. Die neue Methode kann mit all den alten Hilfsmitteln der Lähmungs¬
therapie (Massage und Gymnastik, Schienen, Sehnenverkürzung und -Verlängerung,
Arthrodese) zusammen verwendet werden. Fehlerquellen liegen dabei besonders
in der Überschätzung der neuen Methode, erst nähere Bekanntschaft zeigte neben
ihren Licht- auch die Schattenseiten. Die neue Methode bat die alten nicht über¬
flüssig gemacht, sondern die günstigsten Erfolge wurden dann erzielt, wenn man
sie mit der alten zusammen anwandte und jeder nach ihrer Eigenart ihren Platz
in der Therapie angibt. Das Hauptanwendungsgebiet sind die Kinderlähmungen.
Die schlaffen bieten bessere Heilaussichten als die spastischen. Vortr. stellt eine
Reihe von Fällen vor, in denen der gelähmte Kniestrecker durch Kniebeuger er¬
setzt worden ist. Die Operationsmethode besteht in der Einpflanzung eines von
der Innen- und eines von der Außenseite genommenen Beugemuskels mit seinem
unteren Ende in das obere Ende der Kniescheibe. Die vorgestellte Patientin,
die vor der Behandlung ungestützt weder stehen noch gehen konnte, ist jetzt
dazu imstande. In einem weiteren Falle ist ein paralytischer Klumpfuß mit Ver¬
lagerung der Peroneussehne vor den äußeren Knöchel behandelt. Man gibt da¬
durch dem Peroneus Btatt seiner Beugekomponente eine Streckwirkung und er¬
hält zugleich eine Barriere gegen spätere Rezidive. In einem weiteren Fall ist
ein Schlotterfuß mit Transplantation und Arthrodese behandelt. Der Fuß hat
gute Festigkeit und dabei genügend Spiel. Bei einem dritten Patienten ist der
Cucullaris in den Deltoideus gepflanzt mit Besserung der Gebrauchsfahigkeit des
Armes. Schließlich einige Fälle von Littlescher Krankheit, die, früher völlig
gehunfähig, sich jetzt selbständig fortbewegen können.
Diskussion: Herr Krause hat den Ersatz des gelähmten Quadriceps durch
die Flexoren des Unterschenkels 1898 zuerst ausgeführt. Zur Erzielung guter
Ergebnisse muß man sich in jedem einzelnen Falle die mechanischen Verhältnisse
klarlegen. Er hat z. B. auch den gelähmten Biceps brachii durch Teile des
Triceps, ein anderesmal den ausgefallenen Triceps durch Teile des Biceps ersetzt.
14. Herr Kohnstamm (Königstein) und Warncke (Berlin): Demonstra¬
tionen zur physiologischen Anatomie der Medulla oblongata. Unter den
in der Med. obl. entstehenden Neuronen ist neben den motorischen Haubenkernen
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ein „Gentrum sensorium“ zu unterscheiden. Dasselbe nimmt Endigungen der ge¬
kreuzten sensiblen Spinalbahn und gekreuzter Sekundärneurone ans den sensiblen
Hirnnervenkernen auf und entsendet einen ungekreuzten Tractus bulbo-thalamicus
ascendens, der in den Endstätten des Schleifensystems endigt. Damit ist die ge*
kreuzte sensible Bahn lückenlos erkannt. — Demonstration des motorischen und
sensiblen Anteils der Formatio reticularis an Photogrammen.
Herr Warncke demonstriert Einzelheiten über den Bau des Seitenstrang¬
kerns der Medulla oblongata. Er schlägt vor den Namen Nucleus funiculi late¬
ralis zu ersetzen durch die Bezeichnung Griseum fun. lat. Er unterscheidet in
diesem Griseum eine Pars marginalis mit relativ kleinen runden Zellen und eine
Pars principalis mit größeren polygonalen Zellen. An der Pars principalis kann
man einen Processus caudalis fronto-lateralis und fronto-medialis unterscheiden.
Der letztere zeichnet sich durch auffallend große Zellen aus. (Erscheint aus
führlich im Journal für Psychologie und Neurologie.)
Diskussion: Herr Rothmann betont Herrn Kohnstamm gegenüber, daß
der Tractus cerebello-spinalis, das Gowerssche Bündel, mit der Bahn für den
Schmerzsinn nichts zu tun hat. Die cerebrale Fortsetzung des letzteren, die
allerdings vorwiegend im Seitenstrang verläuft, kennen wir noch nicht. Eine
Einstrahlung in die Formatio reticularis hat er nach isolierten Läsionen des
Gowersschen Bündels im Halsmark nie beobachten können. Im unteren Seiten-
ntrangkern endigen bei Hund und Katze zahlreiche Fasern des Tractus cerebello-
spinalis dorsalis; mit der ventralen Seitenstrangbahn hat er nichts zu tun.
IV. Sitzung. Vorsitzender: Herr Mingazzini (Rom).
15. Herr Oppenheim (Berlin): Allgemeines und Spezielles über die
Prognose der Nervenkrankheiten. Vortr. zeigt an einer Reihe von Krankheits¬
formen, daß die Prognose sich im Laufe der Zeit viel günstiger gestaltet habe,
als sie den früheren Erfahrungen und Anschauungen entsprach. Er führt das
aus für die Tabes, Sclerosis multiplex, den Tumor medullae spinalis, die Polio¬
myelitis, den Tumor cerebri, den Abscessus cerebri, die Psychasthenie, die Tics usw.
Dieser Wandel in den Auffassungen und Tatsachen sei auf verschiedene Momente
zurückzuführen. 1. Die Fortschritte der Therapie, besonders der chirurgischen,
2. die Fortschritte in der Erkenntnis der Ursachen, 3. die Fortschritte in der
Diagnostik, 4. die Tatsache, daß nicht nur die Infektionskrankheiten, sondern
auch die aus ihnen hervorgehenden Nervenkrankheiten ihren Charakter ändern
können, 5. daß auch die Individuen und die Generationen in ihrer Reaktion auf
Krankheitsstoffe einem Wechsel unterliegen, 6. die Meinungen bezgl. der Pro¬
gnose der Nervenkrankheiten ursprünglich einer zu ernsten Auffassung Raum
gaben, weil sie von den schweren tätlichen Fällen abgelesen waren. Vortr. schließt
daran die Mahnung, mit der Prognose vorsichtig zu sein und vor allem ent¬
sprechende trübe Auslassungen den Kranken gegenüber zu vermeiden.
Diskussion: Herr Löwenthal kann die weitgehende Besserungsfähigkeit
von Tabes und multipler Sklerose bestätigen, betont aber die Abhängigkeit der
Prognose von der Art der Lebensführung. Insbesondere ist neben der in¬
dividuellen Anlage der Aufbruch im Sinne Edingers entscheidend für den
Verlauf.
Herr Krön (Berlin): Auch die peripherischen Nervenerkrankungen bedürfen
Vorsicht hinsichtlich der schlechten Prognose. Neuritiden können noch nach Jahren
völlig ausheilen. Solche traumatischer Art, z. B. durch Knochenfragmente veran¬
laßt, kommen leicht zur frühzeitigen chirurgischen Behandlung, die dann den
sonst gutartigen Verlauf der Neuritis stören kann. Die Fälle für Operationen
müssen auf das sorgsamste ausgewählt werden.
Herr Oppenheim erwähnt im Anschluß an Herrn Krön einen Fall von
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Kadialislähmung durch Callusdruck, der noch nach 1 l / a Jahre langem stabilem
'Verlauf ohne Operation durch Elektrotherapie, Massage und Heißluft heilte.
16. Herr Veraguth (Zürich): Über die Bedeutung des psychogalva-
zwischen Reflexes. (Vgl. Referat in Nr. 18 d. Centralblattes, S. 850.)
17. Herr Pfeifer (Halle): Cysticercus oerebri mit dem klinischen
Silde einer kortikalen sensorisohen Aphasie, durch Hirnpunktion diagnosti¬
ziert und operiert. Die Erkrankung begann 7 Wochen vor der Aufnahme mit
Kopfschmerz und einer Sprachstörung, wozu sich eine bald wieder zurückgehende
rechtsseitige Hemiparese gesellte. Bei der Aufnahme bestanden nur Klagen über
Kopfschmerz und zeitweilige Benommenheit, Objektiv: Stauungspapille, links
stärker als rechts, leichte rechtsseitige Facialisparese im unteren Ast, kortikale
sensorische Aphasie, beiderseits transkortikale motorisch• apraktische Störungen,
zuweilen auch ideatorisch-apraktische Erscheinungen, leichte rechtsseitige spastische
Parese. Durch Hirnpunktion wurde am mittleren Teil der ersten linken Schläfe-
windung ein grauweißes Gewebsstückchen gewonnen, dessen mikroskopische Unter¬
suchung ergab, daß es sich nur um die Wandung einer Cysticerkenblase handeln
konnte. Die Operation bestätigte diese Diagnose; trotzdem aber die Cysticerkcn
anscheinend sämtlich entfernt wurden, gingen die Lokalsymptome nicht zurück,
es traten sogar später noch solche von seiten des Kleinhirns und der rechten
motorischen Region ein. Der Fall lehrt, daß man auch nach dem klinischen Be¬
fund anscheinend lokalisierter Cysticerkenansamrolung und bei anscheinend radi¬
kaler Entfernung auf weitere Herdsymptome durch neue Cysticerken anderen
Sitzes gefaßt sein muß. Obduktionsbefunde zeigen aber andererseits, daß die
Operation solcher Fälle trotzdem stets versucht werden soll. Die Hirnpunktion
kann zur richtigen Diagnose verhelfen.
18. Herr Schwarz (Riga): Über akute Atazie. Vortr. berichtet über
zwei Kranke, bei denen akut hochgradige Ataxie nach exzessivem Alkoholmi߬
brauch eintrat. Der eine Kranke bot die Erscheinungen einer alkoholischen
Polyneuritis mit hochgradiger Sensibilitätsstörung und motorischer Schwäche,
beim zweiten Kranken bestand starke Ataxie der unteren und oberen Extremi¬
täten bei erhaltener, sogar erheblicher grober Kraft, Hyperästhesie der unteren
Eztremitäten, erhaltenem Lagegefühl, gesteigerten Knie- und Bauchreflexen. Augen¬
schluß verschlimmerte die Ataxie nicht, es bestanden Mitbewegungen und Nystag¬
mus. Psychisch war der Kranke intakt. Das Mißverhältnis zwischen den ge¬
ringen hzw. fehlenden Sensibilitätsstörungen und dem hohen Grade der Ataxie
läßt es zweifelhaft erscheinen, ob die letztere auf die geringen neuritischen Ver¬
änderungen bezogen werden kann. Sie stellt eine reine Form der motorischen
Ataxie vor, wie sie wohl bisher noch nicht beobachtet ist. Sie ist eine Analogie
der Korsakowschen Psychose, bei der man ebenfalls Formen beobachten kann,
in denen die polyneuritischen Erscheinungen in den Hintergrund treten, jedoch
die hochgradigsten Störungen des Gedächtnisses sich entwickeln. Die Fälle bilden
eine Illustration zu den Ausführungen Duchennes, der aus anderen Erfahrungen
ein solches Bild konstruierte, ohne einen derartigen Fall gesehen zu haben. Die
Hochgradigkeit der Störung wird bei dieser Annahme verständlich. Das Gift
hat das centrale Koordinationsvermögen an der Wurzel gefaßt. Die akute Ataxie
nach multiplen cerebralen Herden kann differential-diagnostisch ausgeschlossen
werden. Verfasser unterscheidet demnach vier Formeu von akuter Ataxie: 1. nach
multiplen cerebralen Herden; 2. akute polyneuritische Ataxie; 3. akute motorische
Ataxia centralis; 4. akute cerebellare Ataxie (Bechterew).
19. Herr Mingazzini (Rom): Über einen Fall von sensorischer trans¬
kortikaler Aphasie. 61jährige Patientin, Analphabetin, 1905 von einem rechts¬
seitigen Schlaganfall betroffen, bald darauf schwere psychomotorische Erregung.
Sprachuntersuchung: Will Patientin Wünsche ansdrücken oder auf Fragen nnt-
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Worten, so wiederholt sie stets dieselben stereotypen and bedeutungslosen Phrasen,
z. B.: Hier iat nichts gewesen — gehe dorthin, sie ist nicht — siehe da — hier
ist nicht — sie hat geschickt — Gevatter sie schickte u. a. Abgesehen von
diesen Phrasen kunn sie keinen Satz aussprechen, der einen bestimmten Gedanken
ausdriickte. Häufig paraphasische Störungen. Die Üblichen Gebete werden aber
gut aus eigenem Antriebe hergesagt. Bei Fragen und Aufforderungen erfaßt sie
nur den Sinn einzelner Wörter, nicht aber des ganzen, wenn auch noch so kurzen
Satzes. Aufgefordert, das Brot zu nehmen, zeigt sie nach dem Brote, ohne es
zu ergreifen, ebenso, wenn sie das Kissen umdrehen soll, zeigt sie auf das Kissen.
Hanchmal wiederholt sie monoton in perseveratorischer Weise die obengenannten
Phrasen. Hin und wieder Echolalie: Wie heißt du? „Heißt“ — Wo bist du
geboren? „Geboren“. Worte von zwei oder drei Silben vermag sie nicht in
korrekter Weise zu wiederholen, verbildet dieselben in parapbasischer Weise,
statt forchetta — foceta, statt coltello — collato usw. Die Gebärdensprache
ist ausdrucksvoll und richtig. Patientin schwatzt viel. Schimpfworte werden
dazwischen mit überraschender Deutlichkeit ausgesprochen. Das Ganze gibt das
charakteristische Bild der transkortikalen 'sensorischen Aphasie. Obduktion: In
der linken Hemisphäre eine gelbe Erweichung, welche in Form einer Ellipse die
Substanz des Centrum ovale ausftillt. Bei Horizontalschnitten in Pal scher Färbung
trifft der Herd in höheren Abschnitten die ganze retrolentikuläre Zone der inneren
Kapsel, das proximale Ende der Sehstrahlungen und des Funicnlus longitudinal»
inferior. In tiefer gelegenen Schnitten rückt er immer weiter nach außen und
endigt in der weißen Substanz, welche unmittelbar der Basis des Gyrus tempo¬
ral» medius entspricht. Die gegenwärtige Anschauung lehrt, daß die trans¬
kortikale sensorische Aphasie durch bilaterale Herde bedingt ist, die nicht in spe¬
ziellen Gebieten lokalisierbar sind. Der vorliegende Fall lenkt die Aufmerksamkeit
daraufhin, daß die Läsionen am häufigsten im Centrum ovale der zwei ersten
Schläfenwindungen und des Lobulus parietal» inferior liegen, ferner aber, daß sie
nicht immer auf beiden Seiten, sondern auch ausschließlich links Vorkommen. Eine
Läsion dieses Gebietes links hat also die Folge, die Verbindung der Wernicke*
sehen Stelle mit der übrigen Hirnrinde zu unterbrechen und daduroh die sekun¬
däre Identifikation der Worte unmöglich zu machen. Dos Wiederfinden der
Worte ist erschwert, daher die Perseveration und die Beschränkung des Wort¬
schatzes, dagegen die echolalische Wiederholung erleichtert. Diese letztere Eigen¬
tümlichkeit ist dadurch erklärlich, daß die kortikale und subkortikale Substanz
der zwei ersten Schläfen Windungen, der Insel und der dritten Stirnwindung un¬
berührt geblieben sind, die Leitung der Impulse vom Klangbild zum verbomoto-
rischen Centrum ohne Verständnis der Worte durch die Insel also noch möglich ist
20. Herr Schuster (Berlin): Über die antisyphilitisohe Behandlung in
der Anamnese der an metasyphilitisehen und syphilitischen Nerven¬
krankheiten Leidenden. Vortr. suchte festzustelleu, ob die mehr oder minder
intensive Behandlung der Syphilis von Einfluß ist auf die folgenden Erkrankungen
des Nervensystems. Die Ansichten der Autoren über die vorbeugende Kraft der
antisyphilitischen Behandlung weichen in diesem Punkte erheblich voneinander
ab, ja widersprechen sich direkt. Neisser hat unter 445 Fällen von Tabes
53 bis 57 °/ 0 gefunden, welche nie antisyphilitisch behandelt waren; in einer
Statistik von Eulen bürg und einer solchen von Dinkler findet Vortr. den
Prozentsatz der unbehandelten Fälle geringer als bei Neisser. Das eigene
Material des Vortr. umfaßt 186 Fälle: 75 Tabiker, 35 Paralytiker und 76 Pa¬
tienten mit cerebrospinaler Lues. Unter diesen Fällen ist ein kleinerer Prozent¬
satz gänzlich unbehandelt, in maximo etwa 23 °/ 0 . Der Prozentsatz der ein-
und mehrmal behandelten Fälle ist größer als er anscheinend hei Neisser war,
viel größer — zwischen 17 und 19 °/ 0 — ist in dem Material des Vortr. der
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Prozentsatz der mit zahlreichen (3 bis 8 bis 9 Kuren) Behandelten, wenn er auch
noch immer nicht sehr erheblich ist. Weiter fragte sich Vortr., ob die Latenz*
zeit, d. h. die zwischen der syphilitischen Infektion and dem Auftreten der ersten
nervösen Zeichen liegende Zeit bei den nicht und schlecht behandelten Fällen
durchschnittlich kleiner sei als bei den gut behandelten Fällen. Er fand, daß
weder in seiner eigenen Statistik, noch in der von Eulenburg und Dinkler
ein derartiger zeitlich günstiger Einfluß der Hg-Behandlung festgestellt werden
konnte. Vortr. zieht aus diesen Zusammenstellungen den Schluß, daß ein Nutzen
der merkuriellen Behandlung hinsichtlich der Verhütung nervöser Nachkrankheiten
nicht erweislich ist. Als Ergänzung zu dem Gesagten berichtet Vortr. über 16
serologische Untersuchungen an Paralytikern, Tabikern und Patienten mit Lues
cerebrospinalis, welche von Citron und Mühsam in seiner Poliklinik ausgefübrt
worden sind. (Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.) Eis fanden sich
in einem großen Prozentsatz der Fälle Antikörper im Blute, jedoch ließ sich
eine deutliche Einwirkung des Umstandes, ob die Kranken mit Hg behandelt
waren oder nicht, auf den Gehalt an Antistoffen nicht feststellen. Es konnte
auch kein Unterschied in dem klinischen Bilde der antikörperhaltigen gegenüber
demjenigen der antikörperfreien Fälle gefunden werden. Vortr. meint deshalb,
daß die Behandlung der primären Lues den Ausbruch der metasyphilitiBchen
Leiden aus dem Grunde nicht verhüten könne, weil die Hg-Behandlung die Anti*
Stoffe nicht aus dem Blute beseitigen könne. Es wäre dies eine Stütze der An*
sicht von Wernicke und Löwenthal, nach welcher die Antikörper die Haupt-
schädlichkeit für das Nervensystem darstellen können.
Diskussion: Herr Krön (Berlin) ist bei seiner Arbeit über Tabes doraalis
beim weiblichen Geschlecht 1898 zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Die
Intervalle zwischen Lues und dem Ausbruch der Tabes waren bei den energisch
behandelten Fällen in der Regel kleiner als bei den nicht oder weniger behandelten.
Herr Rothmann (Berlin) widerspricht den Anschauungen des Vortr., daß
die frühzeitige und sorgfältige Behandlung der Lues keinen Schutz gegen die
Entwicklung der Tabes gewähre, ja sogar die Latenzzeit herabsetzen könne. Er
hält die Statistik nicht für beweisend und erklärt das ungünstige Verhältnis der
mit mehreren Kuren behandelten Fälle so, daß hier nur diejenigen schweren
Fälle übrig bleiben, die schlecht vom Hg beeinflußt werden, während alle anderen
Fälle zur Heilung gelangen. Er hält zunächst die Neissersche Statistik nach
den strengen Grundsätzen Neissers für die Syphilistherapie für beweisender und
würde es bedauern, wenn die Ärzte sich etwa abhalten ließen, rechtzeitig energische
Hg-Kuren anzuwenden.
Herr Schuster (Schlußwort) entgegnet Herrn Rothmann, daß er selbst¬
verständlich kein Gegner der antiByphilitischen Therapie sei, das könne ihn aber
nicht abhalten, die vorliegenden Statistiken unbefangen zu betrachten. Es handelt
sich auch bei den Tabikern und Paralytikern in der Regel nicht um besonders
schwere Fälle von Syphilis, im Gegenteil haben verschiedene Autoren gefunden,
daß die Lues bei den Tabikern gerade häufig einen auffallend leichten Verlauf
genommen hatte. Die Fälle der Statistik, die eine große Zahl von Hg*Kuren
aufwiesen, seien deshalb durchaus nicht als besonders schwere Fälle von Syphilis
aufzufassen.
21. Herr Erben (Wien): Beobachtungen bei atakttaohen Tabikern. Für
das Aufrechtstehen sind die Wahrnehmungen an der Fußsohle wesentlicher als
der Vestibularapparat. Beim aufrechten Stehen gibt es immer Neigungen, da
unsere Körpermasse im labilen Gleichgewicht eingestellt ist. Durch dieselben
kommt in der Regel der Schwerpunkt nicht über die Unterstützungsfläche hinaus.
Tut er dies trotzdem, so reicht die Muskelkraft nicht mehr aus, das Fallen auf¬
zuhalten, es sei denn, daß die Körpermasse durch rasche Gegenbewegung wieder
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zurückgebracht wird oder die Unterstützungsfläche durch rasches Versetzen eines
Beines vergrößert wird. Die Sohlensensibilität gibt Nachricht über die ersten
Anfänge einer solchen Neigung. Beim ataktischen Tabiker reicht diese oft nicht
aus, selbst wenn er mit beiden Sohlen voll aufsteht; einmal empfinden sie weniger
und dann sind seine Schwankungen größer als beim Normalen. Letzteres hat
seinen Grund darin, daß beim Tabiker noch Spontanbewegungen in den Gelenken
der Beine auftreten, die ihrerseits eine Folge der Gelenk- und Muskelanasthesie
sind. Die Muskeln können ohne die „tiefe Sensibilität“ keine isometrischen Kon¬
traktionen mehr ausführen. Die Gelenkunruhe tritt nur bei willkürlichen Muskel¬
anspannungen auf, ohne Willensimpulse entsteht sie niemals. Vortr. zerlegt die
Erscheinung der Ataxie beim Stehen in zwei Komponenten, die Gelenksunruhe
und die durch sie erzeugten Körperschwankungen. Beim Rombergschen Ver¬
suche werden die Schwankungen oft sofort unterdrückt, wenn der Kranke nur
mit dem Finger einen festen Punkt berührt, obwohl die Gelenkunruhe bleibt.
Es wird hierdurch von der Ataxie die eine Komponente beseitigt. Der tastende
Finger wirkt nur auf die Neigungen des Körperschwerpunktes ein, ebenso wie
die Augen und die Fußsohlen nur als Perzeptionsorgane für die Schwankungen
der Schwerlinie beim Stehen wirken. Die Fußsohle perzipiert nur die Schwan¬
kungen der Schwerlinie im Bereich der Unterstützungsfläche. Der Grad der Ge-
fühlsabstiimpfung an den Sohlen läßt sich schon durch die Schwankungsrichtung
beim stehenden Tabiker erkennen. Fällt er nach vorn oder hinten, so kann er
die Belastung der Ferse von der des Ballens nicht mehr unterscheiden, schwankt
er seitwärts, so ist die Empfindung für die Mehrbelastung des rechten oder linken
Fußes gestört. Spontanbewegungen in den Muskeln der Tabiker treten nur auf
in der Innervationsbreite zwischen maximaler und keiner Kontraktion (Versuch
beim sitzenden Tabiker, der den Unterschenkel hebt). In therapeutischer Hinsicht
ist zu erwähnen, daß kraftvolle Bewegungen imstande sind, die Gelenksunruhe
zu korrigieren, daß die Gleichgewichtsschwankungen dagegen in erster Linie
durch Verfeinerung der Fußsohlenempfinduug korrigiert werden. Beim Rom¬
bergschen Versuch ist die Unruhe im Knie geringer als in den Hüft- und Sprung¬
gelenken, weil bei maximaler Kniestreckung im Stehen der Körper ohne An¬
spannung des Quadrizeps feststeht, lediglich durch den mechanischen Zug der vor
der Kniegelenksachse ziehenden Schwere. Nur wenn durch Unruhe der Sprung¬
gelenke die Schwerlinie hinter die Kniegelenksachse gerät, spannt sich der
Quadrizeps reflektorisch an, woran sich zugleich ataktische Unruhe des Kniees
knüpft. Aus dieser Beobachtung erklärt sich die instinktiv vom Tabiker bevor¬
zugte Hyperextension der Kniee im Stehen.
Diskussion: Herr Lilienstein (Nauheim) hat durch Einlegen von unebenen
Gummieinlagen in die Schuhe eine Unterstützung für die herabgesetzte Sohlen¬
sensibilität gegeben und dadurch eine Verminderung des Rombergschen Sym-
ptomes und eine Verbesserung des Ganges bewirkt.
22. Herr Flatau (Berlin): Über das Fehlen des Achillesreflexes. (Er¬
scheint unter den Originalien dieses Centralblattes.)
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Dresden
vom 15. bis 21. September 1907.
Abteilung für Neurologie und Psychiatrie.
Referent: H. Haenel (Dresden).
(Schloß.)
13. Herr Rohde (Königsbrunn): Das Vererbungsproblem in der Neuro-
und Psychopathologie. Die Zahlen über die erbliche Belastung bei Nerven-
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und Geisteskranken schwanken bei den einzelnen Autoren in verwirrender Weise
zwischen 4 und 90°/ 0 . Zur Klärung dieser Verschiedenheiten ist es nötig, auch
die gesundgebliebenen Glieder einer belasteten Familie zu berücksichtigen, weil
sonst die Annahme, die Nachkommen nervenkranker Eltern könnten in ähnlicher
AVeise erkranken, zu der irrigen wird, sie müßten erkranken. Wichtiger als
Massenstatistiken aufzustellen ist das Studium von Individualstammbäumen. Aus
Arbeiten von Koller, v. Wagner und Diem geht hervor, daß die Gesamt-
Belastung der Geistesgesunden von der der Geisteskranken nur wenig abweicht
(70°/ 0 gegenüber 77 °/ 0 ). Die Wertung der Vererbung für die Pathogenese ist
zurzeit eine recht verschiedene. Wir müssen den Begriff in strengem biologischem
Sinne anwenden und ihn nicht ausdehnen auf Vorgänge, die mit echter Vererbung
nichts zu tun haben, z. B. mit fötaler Infektion. Intrauterine Erwerbungen sind
als angeborene, nicht als vererbte zu bezeichnen. Der eigentliche Akt der Ver¬
erbung ist beendet mit der Verschmelzung der Kernsubstanzen von Ei und
Spermatozoon. Es gibt demnach keine hereditäre Tuberkulose oder Syphilis, über¬
haupt keine hereditären Krankheiten, nur Krankheitsanlagen werden vererbt.
Sine solche konstitutionelle Anlage wird bei der Schrumpfniere angenommen, bei
manchen nervösen Systemerkrankungen, bei der progressiven Muskelatrophie u. a.
Neben diesen Anlagen können auch abnorme Zustände vererbt werden, z. B.
Farbenblindheit, Hämophilie, familiärer Diabetes insipidus, Thomsensche Krank¬
heit. ln den Wunsch, auf gesetzgeberischem Wege Vorbeugungsmaßregeln gegen
die Verschlechterung der Rasse zu ergreifen, kann Vortr. nicht mit einstimmen,
weil die Komponenten, mit denen man zu rechnen hat, noch zu unsicher sind.
Von Vererbungsgesetzen zu reden, ist heute noch verfrüht. Die Forschung be¬
findet sich noch im Stadium der Sammlung von Tatsachen. Daraus ergibt sich
aber nicht, daß wir Veranlassung hätten, das ganze Problem für unlösbar zu
halten. Aussichten auf Fortschritte bietet das Heranziehen der Genealogie und
der Vererbungsverhältnisse im Tier- und Pflanzenreich.
Herr Fischer (Prag): Über den fleck weisen Markfaserschwund in der
Hirnrinde bei progressiver Paralyse. Die demonstrierten Flecken treten bei
verschiedenster Fixation und Färbung auf, sind bei Lupenvergrößerung schon auf
Querschnitten durch die frische Rinde zu sehen, also keine Kunstprodukte. Sie
entstehen durch einen perivaskulären Schwund der Markscheide und des Neuro¬
keratins, die Achsencylinder bleiben unverändert. Die Glia befindet sich dort in
einem Zustande geringer Wucherung, Ganglienzellen und Gefäße sind an dem
Prozesse nicht beteiligt. Vortr. untersuchte 94 Gehirne, darunter 43 Paralysen
und 51 von senilen, arteriosklerotischen Demenzen, anderen Psychosen und Nor¬
malen. Die Flecken fanden sich nur bei Paralysen, und zwar in 65°/ 0 der Fälle;
sie sind also für diese spezifisch, ähneln in manchen Punkten der multiplen
Sklerose, erinnern auch an die von Schröder beschriebenen Befunde bei Arterio¬
sklerose, nur daß bei dieser die Ganglienzellen fleckweise atrophieren und die
Markfasern verbleiben. Diese Ähnlichkeit weist auf einen gemeinsamen histo-
pathologischen Mechanismus bei einem differenten Agens hin.
Diskussion: Herr Mingazzini fragt, ob die Stellen mit kortikofugalen Fasern
von denen mit kortikopetalen unterscheidbar waren, ferner ob die Flecken alt
oder jung sind.
Herr Heilbronner hat ähnliche Herdchen bei Paralytikern mit Lissauer-
Färbung häufig gesehen; er macht auf analoge herdförmige Zellveränderungen
aufmerksam.
Herr Fischer (Schlußwort): Da sekundäre Degeneration fehlte, konnte die
Frage, ob centripetale oder centrifugale Fasern besonders gelitten hatten, nicht
iu Betracht kommen. Die Flecke sind offenbar alt.
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Gemeinsame Sitzung mit der Abteilung für Augenheilkunde.
14. Herr Uhthoff (Breslau): Die Augensymptome bei der Thrombose
des Hirnsinus. Vortr. teilt die Sinusthrombose in 3 Gruppen ein: die primäre,
marantische Sinusthrombose, die septische Form (mit Ausschluß der otogenen und
der traumatischen) und die otogene Thrombose. Diese 3 Formen ergeben auch
in bezug auf die dabei vorkommenden Augensymptome ein verschiedenes Ver¬
halten. Die primäre marantische Sinusthrombose befällt in erster Linie die un-
paaren Hirnsinus, vor allem den Sinus longitudinalis, Sinus rectus, die Vena
magna Galeni. Sie ist in der Hegel nicht septisch und beträgt etwa 1 ö°/ 0 des
vom Vortr. zusammengestellten Materiales. Eigentliche Sehstörungen und Ver¬
änderungen am Augenhintergrunde sind bei dieser Form verhältnismäßig selten.
Ganz vereinzelt findet sich Amaurose ohne wesentlichen Befund von Hemianopsie,
erheblich häufiger Störungen in den Augenbewegungen, besonders D6viation con-
juguöe offenbar als kortikales Reizsymptom. Selten sind Lähmungen und Nystag¬
mus. Ebenso kommt selten Exophthalmus hier vor und die Pupillen bieten wenig
charakteristische Anhaltspunkte. — Die septische phlebitische Sinusthrombose (15°/ 0 )
zeigt schon erheblich häufiger Augensymptome. Hier tritt gelegentlich eine
metastatische eitrige Ophthalmie aut Auch wenn Thrombophlebitis der Orbita
vorliegt, führt dieselbe doch fast niemals zu eitriger Entzündung des Augapfels
selbst. AugenmuBkellähmungen wurden hier in etwa 22°/ 0 der Fälle gefunden.
Am häufigsten war hier Exophthalmus (72°/ 0 ). Vortr. zeigt Präparate eine«
solchen Falles und bespricht die näheren anatomischen Vorgänge. — Die otitische
Sinusthrombose kommt relativ am häufigsten vor, etwa 60°/ 0 , und befällt in
erster Linie den Sinus transversus und sigmoideus, Sehstörungen und ophthalmo¬
skopische Veränderungen spielen hier eine große diagnostische und prognostische
Rolle. Die Bedeutung der Stauungspapille, Neuritis optica, Opticusatrophie,
Hyperämie und Stauung im Augenhintergrunde, besonders auch in otiatrischer
Hinsicht wird besprochen. Die meisten Fälle mit positivem ophthalmoskopischem
Befunde bieten Komplikationen mit Meningitis, Hirnabsceß, extraduralem Absceß usw.
Augenmuskellähmungen fanden sich in etwa 12 °/ 0 und deuten in der Hälfte der
Fälle auf eine Mitbeteiligung des Sinus cavernosus. Am häufigsten ist Abducens-
lähmung, selten Deviation conjuguöe, Nystagmus deutet auf Mitbeteiligung des
Labyrinths oder auch auf cerebrale Komplikationen; eitrige Ophthalmie ist hier¬
bei sehr selten.
Diskussion: Herr v. Frankl-Hochwart hat einen Fall von allgemeinen
CerebralBymptomen mit Neuritis optica bei einem chlorotischen Mädchen, dos
später alle Erscheinungen wieder verlor, als Sinusthrombose gedeutet.
Herr Pick betont auch seinerseits die Wichtigkeit der ophthalmoskopischen
Untersuchung von sonst unverdächtigen Fällen. Er hat bei einem als Typhus
eingelieferten Kranken eine Neuritis optica gefunden, Operation ergab eine Sinus-
thrombose, Patient wurde geheilt
Herr Krückmann warnt gleich dem Vortr. davor, eine zweite Operation
allzu rasch folgen zu lassen, wenn nach der ersten die Papillenerscheinungen
nicht rasch zurückgehen.
15. Herr Bach (Marburg) und Herr Bumke (Freiburg i/B.): Pathologie
der Pupille.
Herr Bach bespricht den allgemeinen Teil des Themas, und zwar 1. die
Störungen in der centripetalen und centrifugalen Lichtverengerungsbahn, 2. die
Störungen in der aktiven und passiven Pupillenerweiterungsbahn, 3. die reflek¬
torische Pupillenstarre, 4. einige seltenere Pupillenanomalien: paradoxe Reaktion,
die sogenannten springenden Pupillen, den Hippus iridis.
Herr Bumke bespricht die diagnostische Bedeutung der Pupillensymptome.
Die Lehre steht jetzt fest, daß die echte reflektorische Pupillenstarre so gut wie
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ausschließlich bei Tabes und Paralyse vorkommt. Eine Ausnahme bilden nur die
seltenen Fälle, in denen bei früher syphilitisch Infizierten dos Robertson’sche
Zeichen jahrelang allein ohne andere Symptome bestand. Um beginnende reflek¬
torische Pupillenträgheit zu erkennen, sind Pupillometer konstruiert worden
(Schlesinger), ferner hat Weiler auf die „sekundäre Lichtreaktion'' hingewiesen,
die bei 96°/o d er Paralytiker fehlte und Ref. die galvanische Reflexerregbarkeit
des Auges untersucht. Neben der reflektorischen Starre ist diagnostisch wertvoll
die Mioais und die Entrundung der Pupillen. Die Kenntnisse über die Pupillen¬
symptome bei der senilen Demenz, arteriosklerotischen Hiruerkrankung, bei chro¬
nischem Alkoholismus und den übrigen organischen Hirnleiden zeigen wenig Fort¬
schritte. Dagegen konnte bei der Dementia praecox eine Pupillenstörung fest¬
gestellt werden, die in einem Mangel der Pupillenerweiterung auf psychische und
sensible Reize besteht. Leider ist dieses katatonische Symptom nicht konstant
und hat besonders keinen frühdiagnostischen Wert. Das Vorkommen von abso¬
luter Pupillenstarre bei Hysterie, und zwar innerhalb sowohl wie außerhalb des
Anfalles, kann nicht mehr bezweifelt werden. Die Pupillen sind dabei gewöhnlich
entweder maximal eng oder maximal weit. Die Erklärung der letzteren macht
auch heute noch Schwierigkeiten. Ref. konnte durch Anwendung von Cocain
und Homatropin nachweisen, daß die hysterische PupillenBtarre auf einer Herab¬
setzung des Sphinktertonus beruht, nicht auf einem Dilatatorkrampf. Die An¬
gaben der Autoren, besonders Bachs, daß Läsionen des oberen Halsmarkes bez.
der Medulla oblongata Pupillenstarre bewirken sollten, sind nicht aufrecht zu
erhalten. Dagegen haben Versuche von Ref. und W. Trendlenburg ergeben,
daß das Bild der Sympathicusparese auch durch Verletzung jener Rückenmarks¬
teile zustande kommen kann. Im übrigen können auch Verletzungen des Schädels
und selbst solche der Orbita in sehr seltenen Fällen Pupillenstörungen hervor-
rufen, die ausnahmsweise einmal auch dem Robertsonschen Zeichen ähnlich
sehen können.
Diskussion: Herr v. Frankl-Hochwart wünscht, daß man sioh mehr mit
der paradoxen Pupillenreaktion befassen und über ihr Vorkommen bei den ver¬
schiedenen Krankheiten berichten möge. Er sah sie nicht allzu Belten bei den
metasyphilitischen Nervenkrankheiten.
Herr Pretori möchte den Ausdruck Pupillenstarre überhaupt vermieden
sehen und nur von Pupillenreaktion oder Pupillenreaktionslosigkeit sprechen. Die
Pupillenreaktion sollte niemals durch Vorhalten und Wegziehen der Hände ge¬
prüft werden, sondern immer nur mit dem Spiegel.
Herr Mingazzini erwähnt Untersuchungen von Signorelli in Rom, der
gesehen hat, daß bei Typhus, Malaria und Pneumonie die linke Pupille oft träge
reagierte und gleichzeitig Anisokorie bestand. Nach Absinken der Temperatur
verschwanden die Pupillenstörungen wieder. Auch bei Migräne kommt Aniso¬
korie vor.
Herr Hess: Bei Prüfung der Reaktion ist nicht nur die Lichtquelle, sondern
auch der Adaptationszustand zu berücksichtigen. Es ist nicht gleichgültig, ob
der Kranke direkt nach Eintritt aus dem Hellen ins Dunkle untersucht wird oder
nach Dunkelaufenthalt von 10 od<r 20 Minuten.
Herr Krückmann fragt, in welcher Weise Ref. die sensiblen und psychi¬
schen Reize ausgeführt bat.
Herr Heilbronner: Um nicht eine träge Pupillenreaktion zu finden, wo
keine ist, sollte an der Untersuchung im Dunkelzimmer und mit künstlichem
Lichte festgehalten werden. Bei Verwertung der trägen Reaktion für die Dia¬
gnose des pathologischen Rauschzustandes scheint ihm Vorsicht geboten.
Herr Wolfrum kann die Chromatophoren, welche Münch als Muskelelemente
in der Iris ansieht, nicht als solche gelten lassen. Es fehlen alle Merkmale dafür.
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Herr Pick erwähnt einen Fall von anscheinend absoluter Pupillen starre bei einem
Patienten mit Tumor cerebri; die Pupillen waren stark dilatiert. Im Schlafe
zeigte sich aber, daß die Pupillen der geradeaus gerichteten Augen (ihre Be¬
weglichkeit nach oben war aufgehoben) sehr stark verengt waren; im Moment
des Erwachens erweiterten sie sich sofort und blieben weit und Btarr.
Herr Rühlmann macht ebenfalls auf die Wichtigkeit der Pupillenprüfong
im Schlafe aufmerksam.
16. Herr Steinert (Leipzig): Die Bedeutung der Störungen im okulo-
motorischen Apparat für die Lokalisation cerebraler Herderkrankungen.
Vortr. betont die Wichtigkeit einer sicheren Unterscheidung zwischen supra¬
nukleären Augenmuskelstörungen und solchen durch Läsion des peripheren Neu¬
rons; supranukleäre Störungen betreffen immer bestimmte Synergismen, die aus-
füllen, während die geschädigten Muskeln für andere Funktionen sich normal
verhalten können. Die Schädigung kann bei bestimmtem Sitz der Läsion sich
auf einen Muskel beschränken, der dann an dem betreffenden Synergismus sich
nicht zu beteiligen vermag, wohl aber bei anderen funktioniert. Nicht das Kon¬
jugierte, sondern die Lähmung nur für bestimmte Funktionen ist das Ausschlag¬
gebende. Die Intaktheit des peripheren Apparates geht aus dem Nachweis anderer
erhaltener Synergismen hervor. Man prüft bei Seitenwendungslähmungen und
Konvergenz ganz allgemein gewisse sogenannte reflektorische Augenbewegungen,
wie sie durch Führung eines bewegten Fixationsobjektes, durch passive Kopf¬
drehungen und auf andere Weise ausgelöst werden können. Außerdem ist die
absolute Gleichmäßigkeit der Beweglichkeitsbeschränkung zweier Synergisten dia¬
gnostisch wichtig für den Nachweis der supranukleären Natur der Störung. Das
einzige okulomotorische Symptom der Erkrankung einer Großhirnhemisphäre ist
die Deviation conjuguee. Bei doppelseitigen Herden kann es zur Cykloplegie,
zur völligen Aufhebung aller Blickbewegungen, kommen. Eine kortikale Ptose
ist nicht anzuerkennen. Von der Deviation conjuguöe des Kopfes und der Augen
wesentlich unterschieden ist die pontine einfache seitliche Blicklähmung; von be¬
sonderer diagnostischer Bedeutung ist die doppelte seitliche Blicklähmung ohne
vertikale Blicklähmung und die die beiden Synergisten ungleichmäßig befallende
seitliche Blicklähmung, mag sie durch ungleichmäßige Läsion der supranukleären
Faserung oder durch komplizierende nukleäre Affektionen bedingt sein. Diese
Bilder kommen bei Hemisphärenherden nie vor. Kleinhimherde können Störungen
der seitlichen Blickbewegungen machen, die teils durch den Druck auf den Pons
zu erklären sind, teils aber wohl von der Läsion cerebellarer und vestibulärer
Apparate selbst abhängen. Ein pathognomonisches Symptom der Erkrankung der
Dachregionen des Vierhügelgebietes scheint die isolierte, nicht mit seitlicher Blick¬
lähmung kombinierte vertikale Blicklähmung zu sein. Bei der häufigen Kompli¬
kation mit peripherer Parese einzelner Vertikalmotoren iBt es besonders wichtig,
durch Prüfung der reflektorischen Augenbewegungen die supranukleäre Natur der
Läsion sicher festzustellen, der allein die große topisch • diagnostische Bedeutung
zukommt. Seitliche Blicklähmung tritt bei der Symptomatologie dieses Gebietes,
merkwürdigerweise auch desjenigen des Hirnschenkelfußes, ganz zurück. Bei
einem kurzen Überblick über die peripheren Augenmuskellähmungen wird vor
allem vor der Überschätzung ihrer topisch-diagnostischen Bedeutung gewarnt.
Abteilung für innere Medizin.
17. Herr Ziemssen (Wiesbaden): Heilung der Ischias. Vortr. betont
die Notwendigkeit der Spezialisierung und der exaktesten Kausaldiagnose jedes
einzelnen Falles. Fast stets ist eine allgemeine Ursache von der lokalen zu trennen,
wenn nicht Trauma oder Neubildung vorliegt. Es geht daraus hervor, daß man
durch lokale Mittel allein wenig odor nichts erreicht, wenn man nicht gleichzeitig
der a)lgeineinen| Ursache gerecht wird. Die große Zahl lokaler. Mittel, die ohne
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Diciitirsa by \jQ <
aem Ur
gle
977
gleichzeitige Allgemeinbehandlung als Universalmittel gegen Ischias gerühmt
werden, beweisen nur, wie oft das einzelne im Stich läßt. Sie wirken teils durch
Ableitung oder Betäubung des Schmerzes, teils beeinträchtigen sie das Gefühl im
Nerven. Die Mittel der ersteren Art genügen vielleicht in leichten Fällen, sind
jedoch meist von Rezidiven gefolgt. Die Mittel der zweiten Art, unter denen
neuerdings besonders die verschiedenen Injektionen in den Nerven oder die Nerven*
scheide Bedeutung erlangt haben, verwandeln die Hyperästhesie zwar in Anästhesie,
die den Kranken für längere Zeit beschwerdefrei machen kann, aber sie setzen
gleichzeitig die Vitalität des Nerven in so hohem Maße herab, daß eine Schwäche
und Atrophie der betreffenden Extremität eintritt, die manchmal zu einer Umfangs-
differenz von 4 bis 6 cm führt. Vortr. kennt nur eine lokale Methode, die die
Hyperästhesie mildert und den Nerv entlastet, ohne ihn gleichzeitig zu schädigen:
die warme Dusche mit Massage im warmen Bade. Er hat diese Methode aus
Aix-les Bains in Savoyen in Wiesbaden eingeführt. Wirklichen Nutzen hat aber
auch diese Massagedusche nur bei gleichzeitiger, dem einzelnen Falle genau an¬
gepaßter Allgemeinbehandlung. Das Gesagte trifft ceteris paribus auch auf andere
Neuralgien zu.
18. Herr Steinhausen (Danzig): Atypische HitzBOhlagformen. Vortr.
hat schon in früheren Arbeiten darauf hingewiesen, daß der Hitzachlag nicht als
Hyperthermie oder Asphyxie, sondern als eine Erkrankung des Centralnerven-
Systems mit sehr wechselnder Lokalisation aufzufassen ist. Die innere Disposition
ist es, welche die in der Literatur wie in dem Beobachtungsmaterial der Armee
in außerordentlicher Fülle enthaltenen, bisher als atypisch aufgefaßten Erschei¬
nungen seitens des Nervensystems erzeugt: Delirien, Dämmerzustände, diffuse und
herdförmige Hirnaffektionen, Sprachstörungen aller Formen und motorische mit
sensorisch-sensiblen Ausfalls* und Beizerscheinungen in buntem Wechsel.
19. Herr Reicher (Wien): Kinomatographie in der Neurologie. (Vgl.
S. 965.)
r . Abteilung für gerichtliche Medizin.
• 20. Herr Näcke (Hubertusburg): Der Familienmord vom psychiatrischen
Standpunkte. Zu unterscheiden: Vollständiger und unvollständiger Familien¬
mord, je nachdem alle oder nur einzelne Mitglieder attackiert wurden, mit oder
ohne Selbstmord des Täters. Das untersuchte Material bestand aus 110 Männern
und 51 Frauen. Die größere Hälfte aus der Literatur. Die meisten standen
zwischen 20 und 40 Jahren und gehörten dem Volke an; in öffentlichen Anstalten
ziemlich selten. Nachfolgender Selbstmord oder -Versuch bei 20 Männern und
17 Frauen. Bei den Männern richtete sich das Attentat in 66 °/ 0 gegen die Frau
allein, in 10°/ 0 gegen das Kind, in 6,4 °/ 0 gegen beide. Vollständige Familien¬
morde oder Versuche dazu in 8,2 %. Somit scheinen solche seltener zu sein als
bei Geistesgesunden, dagegen die unvollständigen wahrscheinlich häufiger. Am
häufigsten wurden scharfe und stumpfe Schlagwaffen benutzt, dann Stich- und
Schußwaffen. Bei den Frauen war das Attentat in 6°/ 0 allein gegen den Ehe¬
mann, in 76 % gegen das Kind gerichtet, meist durch Ertränken oder Erwürgen.
Erblich belastet waren 70,5°/ 0 Männer und 88°/ 0 Frauen. Die persönliche Anlage
war soheinbar eine größere als bei den anderen Geisteskranken, wahrscheinlich
auch die Entartungszeiohen. Wahn, meist Verfolgung und Eifersucht, in 9,6%
bzw. 9,8%, verschiedene Affekte 11,7 bzw. 23,5%, Dämmerzustände 11,7 bzw.
9 %, Hulluzinationen selten erwähnt. Bisweilen altruistische Gründe, besonders bei
Frauen; Eifersucht durchaus nicht immer bei Trinkern, bei Männern hauptsächlich
Alkoholismus, Paranoia, Epilepsie, bei Frauen Melancholie, Paranoia, Dementia
praecox. Das Verhältnis von Verbrechen zu Irrsinn, ebenso die Prophylaxe des
Familienmorde8 wird gestreift. (Ausführliche Veröffentlichung als Monographie.)
21. Herr Strassmann: Familienmord ln geriohtlich - psychiatrischer
Bestehung. Vortr. beschränkt sich auf die Fälle, die als kombinierter Selbst-
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mord bezeichnet werden können, d. b. bei denen das ursprüngliche Motiv der
Selbstmord ist. Er bat 12 Fälle beobachtet, zwei betrafen Männer, bei denen
zur ursprünglichen degenerativen Beschaffenheit noch Alkoholismus hinzugekommen
war; 10 Frauen, die Bämtlich vom Schwurgericht freigesprochen wurden, ließen
als Ursache des kombinierten Selbstmordes durchweg häusliches Mißgeschick aller
Art, Mißhandlungen durch den Ehemann, die sich zum Teil auch auf die Kinder
erstreckten, Untreue desselben, Notlage usw. erkennen. Die Mehrzahl waren eben¬
falls von vornherein psychopathisch, in anderen Fällen war das seelische Gleich¬
gewicht noch durch gleichzeitige Schwangerschaft, Menstruation oder puerperale
Erkrankungen gestört. Mehrmals erschien die Erinnerung an die Vorgänge bei
der Tat getrübt, so daß an einen pathologischen Affekt gedacht werden mußte.
Wenn auch in Fällen, in denen die Zurechnungsfähigkeit nicht verneint worden
war, Freisprechung erfolgte, so war diese von der Erwägung geleitet, daß der
Selbstmord an sich nicht strafbar ist, daß die gleichzeitige Tötung der Kinder
aus altruistischen Motiven geschah, daß die Frauen ohne eigene Schuld in die
Notlage gekommen waren, und daß, abgesehen von dieser einen Tat, eine Gefähr¬
lichkeit oder die Notwendigkeit einer bessernden Einwirkung auf sie nicht er¬
sichtlich war. Bemerkt sei noch, daß in diesen letzten 10 Fällen die Tötung
ausgeführt wurde 6 mal durch Lysol, 2 mal durch Kohlenoxyd, lmal durch Er¬
öffnen der Pulsadern, lmal durch Lysol und Erhängen.
22. Herr LeerB (Berlin): Über die kriminalbiologisohe Bedeutung des
Exhibitionismus. Vortr. bespricht 11 dem Grenzgebiet zwischen Gesundheit
und Krankheit angehörende Fälle von Exhibition. In 3 Fällen, in denen epilepti-
forme Erscheinungen nachgewiesen werden konnten, war die Beurteilung dadurch
erschwert, daß in Absencezuständen neben der Exhibition anscheinend bewußte
Handlungen begangen wurden, die den Ausschluß der freien Willensbestimmung
zweifelhaft machten. In 4 Fällen fand sich Imbezillität bzw. degenerative Geistes¬
beschaffenheit. In weiteren 3 Fällen lag ein pathologischer Rauschzustand nahe
infolge voraufgegangener Kopfverletzungen, allgemeiner Neurasthenie, chronischem
Alkoholismus. Nur in einem Falle mußte die Zubilligung des § 51 verneint
werden. Vortr. bespricht die Frage der Gemeingefährlichkeit der Exhibitionisten
und weist auf das Unrecht hin, welches die Gesellschaft erleidet, wenn geistig
abnorme Exhibitionisten freigesprochen werden oder mildernde Umstände erhalten
in Gestalt von Strafverkürzung, ohne daß der Strafrichter unter dem Eindrücke
der Verhandlung und an der Hand des Sach verständigen-Gutachtern» gesetzlich die
vorläufige Unterbringung verfügen kann, an die sich die Überweisung an den
Entmüdigungsrichter anschließen müßte. (Der Vortrag erscheint ausführlich in
der Vierteljahrschrift f. gerichtl. Medizin. 1907. Suppl.)
Abteilung für Chirurgie.
23. Herr Radmann (Laurahütte): Chirurgisohe Behandlung der Oerebro-
spinalmeningitis. Die bisher bei Genickstarrekranken ausgeführten Operationen,
die Lumbalpnnktion, die Kanülendrainage nach der Lumbalpunktion, die Durch¬
trennung deB Ligamentum atlanto-occipitale, Punktionen der Seitenventrikel mit
und ohne nachfolgende Spülung, hatten keine Einwirkung auf den Krankheits¬
verlauf. Ein radikaler Erfolg ist auch von chirurgischer Behandlung nicht zu
erwarten, da einerseits die Krankheit keine Lokalaffektion ist wie die gewöhn¬
lichen eitrigen Meningitiden, sondern von Anfang an und während ihrer ganzen
Dauer eine Allgemeininfektion, andererseits überhaupt bezweifelt werden muß, daß
die Genickstarreeiterungen durch chirurgische Eingriffe zu heilen sind wie ge¬
wöhnliche Eiterungen. Denn die Meningokokken wirken wesentlich anders auf
menschliches Gewebe ein als andere Eitererzeuger. Subkutane Einspritzung der
eigenen Cerebrospinalfiüssigkeit verursacht bei Genickstarrekranken keinerlei
Reaktion, der Heningococcus erzeugt weder lokale Einzelherde noch Abszesse,
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liaftet dagegen besonders gut in der Pia. Auch symptomatisch leisten chirur¬
gische Eingriffe in den Anfangsstadien wenig. Die Lumbalpunktion hat nur in
einzelnen Fällen vorübergehende Beruhigung zur Folge. Ihre schematische An¬
wendung zu therapeutischen Zwecken ist zu widerraten. Die Vermehrung des
Hirndruckes bedarf in den .Anfangsstadien keiner Bekämpfung. Dagegen scheint
in den Spätstadien, wo die rein mechanische Einwirkung der vermehrten Flüssig¬
keit den größten Teil der schweren Erscheinungen verursacht, eine künstliche
Herstellung dauernden Abflusses symptomatisch zu nützen. Da dnreh die Lumbal¬
punktion und einfache Ventrikelpunktion das Großhirn nicht dauernd entlastet
wird, so hat Vortr. in 2 Fällen die Seitenventrikel tamponiert mit erheblicher,
aber vorübergehender Besserung der Erscheinungen. (Ein Patient lebte noch
IO Tage nach der Operation, der andere 17 Tage.) Zur Sicherung des Abflusses
und zur Vermeidung sekundärer Infektion bei der Nachbehandlung empfiehlt es
sieb, in beide Ventrikel ein Silberdrahtgestell mit Fäden einzuführen, durch deren
sukzessives Herausziehen sich Störungen des Abflusses beseitigen lassen.
Abteilung für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
24. Herr Dürck (München): Über die feineren histologischen Verände¬
rungen besonders des Nervensystems bei Beri-Beri (unter Vorweisung zahlreicher
histologischer Abbildungen). Vortr. bat das ganze peripherische Nervensystem
und das Rückenmark bei 11 Fällen von Beri-Beri von verschieden langem klini¬
schem Verlauf (aus Sumatra und Selangor) histologisch genau untersucht. Die
ersten Veränderungen bestehen in Erweiterungen der Maschenräume an dem
Ewald-Kühn eschen Neurokeratingerüst der Markhüllen. Es kommt dann zu
Vakuolisierung und Bildung von Schaumstrukturen unter fettiger Degeneration
des Markes, mit Zerklüftung, Klumpenbildung und segmentärem Zerfall der Mark¬
mäntel. Ein großer Teil des Markes wird chemisch unverändert resorbiert und
ist in den massenhaft zwischen den Nervenfasern, in den perivaskulären und
perineuralen Lymphränmen auftretenden Körnchenzellen nachweisbar. Die Achsen-
cylinder werden auf gewissen Stadien von gelöster Marksubstanz imbibiert, so
daß sie Markfärbung annehmen, dann zeigen sie eigentümliche Knäuelbildung und
sehen wie zusammengeschnürt aus, dann findet ebenfalls segmentärer Zerfall statt.
Die ihres Inhaltes so beraubten Neurilemmschläuche kollabieren unter Anschwellung
und Vermehrung ihrer Kerne; von ihnen aus und gleichzeitig von dem wuchern¬
den Endoneurium aus bildet sich Narbengewebe, wodurch der degenerierende
Nerv allmählich vollkommen substituiert werden kann, so daß nur mehr ein
Bindegewebsstrang übrig bleibt. Regenerationserscheinungen hat Vortr. niemals
wahrgenommen. Im Rückenmark fand Vortr. außer Wurzeldegenerationen in
mehreren Fällen totale Sklerose der Hinterstränge, ausgezeichnet durch den söhr
reichlichen Qehalt an Körnchenzellen. Die Sklerose reichte gleichmäßig vom
Sakral* bis in dos oberste Cervikalmark.
Hj^25. Herr Cbiari (Straßburg i/E.): Über die Genese der Corpora amy-
laoea des Centralnervensystems. In Chiaris Institute untersuchte Dr. Nambu
aus Tokio die Genese der Corpora amylacea des Centralnervensystems nach den
verschiedensten Methoden. Mit Hilfe der Weigertschen Gliamethode gelang es,
klare Übergangsbilder zwischen den Gliakernen und den Corpora amylacea zur
Darstellung zu bringen, so daß diese Methode zum Studium der Genese der
Corpora amylacea des Centralnervensystems sehr empfohlen werden kann. (Die
ausführliche Arbeit des Herrn Dr. Nambu wird im Archiv f. Psychiatrie publiziert
werden.)
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7 OFlKoFoTtNlA
980
Internationaler Kongrea für Psyohiatrie, Neurologie, Psychologie und
Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1007.
Referent: Dr. Bl es (Amsterdam).
(Schluß.)
Sektion für Irrenpflege.
Herr Ruysch, Vorsitzender der dritten Sektion, eröffnet die Versammlung.
Auf der Tagesordnung steht: Das Pflegepersonal in den Anstalten, sein
Unterricht, seine Hechte und Pflichten.
Herr J. van Deventer, Inspektor der staatlichen Aufsicht über Geisteskranke
und Irrenanstalten, ist der Referent. Das Kriterium der Geisteskrankheit muß
als sowohl im Interesse der Kranken wie auch in demjenigen der Gesellschaft
liegend angesehen werden. Der Psychiater findet seinen Wirkungskreis besonders
in der Anstalt. Die Gründung großer Anstalten kann sehr viel zum Erzielen
guter Resultate beitragen. Darum ist die Pflege die Hauptsache, ein Umstand,
den man erst erkannte, als Geisteskranke auch als Kranke angesehen wurden.
Irrenpfleger sind eine unentbehrliche Hilfe für Psychiater. Jeder Pfleger muß
die für die Verpflegung nötigen speziellen Kenntnisse besitzen. Seine Persönlich*
keit spielt vor allem eine große Rolle. Die Pfleger müssen aber auch einen guten
theoretischen Unterricht erhalten, welcher teilweise der Zulassung zu der prak¬
tischen Pflegearbeit vorangehen muß. Der Unterricht muß umfassen: Kenntnis
der Haushaltung und der Küche, Kenntnis der Handelswaren, der wesentlichsten
weiblichen Arbeiten usw. Die männlichen Pfleger müssen zugleioh einen Beruf
haben, um den Verpflegten bei Handarbeiten behilflich sein zu können. Der
Vorbereitungsunterricht hat auch den Vorteil, daß man die zukünftigen Pfleger
bereits im voraus kennen lernt. Der praktische Unterricht werde in verschiedenen
Kursen gegeben und dauere insgesamt 3 Jahre. Bei diesem Unterricht nehme
man Rücksicht auf die persönlichen Fähigkeiten der Pflegzöglinge. Der Unter¬
richt muß unter Staatsaufsicht stehen. Nach jedem Kursus soll ein Examen —
am liebsten ein Staatsexamen — abgelegt werden. Die Leitung des Unterrichtes
soll dem leitenden Arzte übertragen werden. Jeder Arzt hat einen Oberpfleger
unter sich, der seinerseits wieder an der Spitze des übrigen Pflegepersonals steht
Nachtdienst darf allein solchen übertragen werden, die ein Examen mit Erfolg
abgelegt haben. Die Pflege steht in enger Verbindung mit den durch die Be¬
handlung erzielten Resultaten. Man stelle also die Pfleger nicht hinter das übrige
Personal zurück. Ihre Besoldung usw. entspreche den von ihnen geleisteten
Diensten. Man sorge durch Krankheits- und Unfallversicherung, durch Pensions*
fonds und auf andere Weise, daß auch ihre Zukunft gesichert ist. In erster
Linie ist eine gesetzliche Regelung der Anforderungen wünschenswert, die an das
Pflegepersonal zu stellen sind.
Bei der Diskussion wurden von französischer Seite (von Herrn Pactet) einige
Mitteilungen über das Pflegepersonal im Seine-Döpartement gemacht.
Herr Pinkhof (Amsterdam) stellt die Frage, ob es nicht wünschenswert sei,
die jungen Pflegerinnen 1 1 / 2 Jahr in einer Frauenabteilung zu beschäftigen, um
ihre Art und ihren Charakter kennen zu lernen, bevor sie in der Männerabteilung
Verwendung finden.
Dann hielt Herr Shuttlewort (London) einen Vortrag über dasselbe Thema.
Ein Vortrag über die Verbesserung der Pflegerausbildung in den Ver¬
einigten Staaten von Nord-Amerika von Herrn Krotes (Boston) wird, da der
Referent nicht anwesend ist, von Herrn Bloomer vorgelesen.
Herr Aug. Ley, leitender Arzt von „Fort Jaw“, gibt Auskunft über die
niederl&ndisohe Pflege in der Anstalt, wo eine mehr moderne Pflege eingeführt
ist. Mit dem französischen Personal, das keine Ausbildung genossen hat, war
dies unmöglich, und da es in Belgien auch keine Schulen für eine derartige Aus¬
bildung gibt, mußte man sich nach ausländischem Personal umsehen. Durch Mit-
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Original fro-m
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981
Wirkung niederländischer Psychiater, besonders des Herrn van Oeventer, gelang
es, holländisches Personal zu bekommen, das im Gegensatz zu dem in Belgien
üblichen Gebrauch direkt den Ärzten unterstellt wurde. Vortr. kommt zu dem
Schluß, daß besonders die Anstalten, deren Frequenz stark wächst, ihr Personal
besonderen Ausbildungsschulen entnehmen müßten.
Noch dem Vortrag entspann sich eine Debatte, die sich besonders auf die an
das Personal zu stellenden Anforderungen bei einer mehr modernen Verflegung
und auf die Weise seiner Ausbildung bezog.
Herr Buy sch erinnert die Redner, welche meinten, daß das moderne Pflege*
System nicht so schnell und bequem eingeführt werden könne, an die Verhält*
niese in Holland, wo — seitdem Minister van Honten vor einem Jahrzehnte
durch Cirkular auf einzelne Zustände aufmerksam gemacht habe — die Pflege
ausgezeichnet geworden sei.
Am Schlüsse entstand noch eine lebhafte Diskussion zwischen belgischen
Ärzten einerseits und Pater Amadöe Stockmans und Kanonikus van Beekom
andererseits über die Ausbildung des Pflegepersonals in Belgien, soweit es —
und dies ist ein wesentlicher Teil — aus Religiösen (geistlichen Brüdern und
Schwestern) besteht. So wurde darauf hingewiesen, daß ihre Ausbildung sehr
schlecht war, daß sogar der Bischof von Gent ihnen verboten habe, an einem
Kursus der Niederländischen Vereinigung für Psychiatrie teilzunehmen.
Nachdem auch noch von deutscher Seite einige Mitteilungen erfolgt waren,
verteidigte Herr van Deventer noch einige Leitsätze, gipfelnd in den Forde*
rungen: Spezielle Ausbildung von Pflegern und Pflegerinnen für Geisteskranke!
Der Direktor sei der Leiter, das Haupt des gesamten Dienstes!
Diesen Leitsätzen stimmte die Sektionsversammlung bei.
Das folgende Referat lautet: Pflege von Geisteskranken, die mit dem
Strafrichter in Berührung gewesen sind.
Erster Referent ist Herr J. Morel (Bergen). Er teilt diese Personen
in zwei Gruppen ein: 1. in solche, die als unzurechnungsfähig anzusehen sind.
Diese müssen direkt in die Anstalt weitergesandt werden und nicht in das Ge¬
fängnis; 2. in solche, die eine beschränkte Zurechnungsfähigkeit besitzen. Im
Prinzip müssen diese zur Verfügung des Strafrichters bleiben; Bie erhalten jedoch
eine verringerte Strafe und werden während dieser Zeit gründlich untersucht.
Auch wird hierüber Bericht erstattet und darauf Rücksicht genommen, ob eine
Entlassung erfolgen kann oder nicht. Ehe dies jedoch (in Belgien) möglich sein
wird, ist es wünschenswert, erst in bezug auf die Gefangenen eine Regelung zu
treffen. Vortr. wünscht, daß die Behandlung der geisteskranken Gefangenen im
Gefängnis einem Psychiater übertragen werden solle, während dieser zugleich der
konsultierende Arzt sein soll, wenn der Gefängnisarzt ein psychiatrisches Kon¬
silium benötigt. Vortr. nimmt weiter die psychische Untersuchung der Gefangenen
vor, die jedesmal, falls dies wünschenswert ist, wiederholt wird, und gibt einer
Anzahl Gefangenwärter Unterricht in der Behandlung derartiger Gefangener.
Der Gefängnispsychiater wird einen Gefangenen, bei dem Hoffnung auf Genesung
besteht, unter Behandlung behalten können. Wird diese Genesung aber lange
dauern oder ist der Gefangene ein unheilbarer Geisteskranker, dann muß er nach
einer Anstalt überführt werden können.
Herr T. Hay Shaw (London) gibt einen Beitrag zur Analyse psyohisoher
Prozesse bei Verbrechen. Vortr. kommt zu dem Schluß, daß bei Verbrechen
keine besonderen psychischen Prozesse im Spiele sind. Wir Anden allein einen Unter¬
schied in den Motiven oder in den Voraussetzungen, die einige Faktoren beherrschen.
Herr G. A. van Hamei (Amsterdam) war der zweite Referent über das obige
Thema. Der Vortr. teilt diese Personen in drei Gruppen ein: a) diejenigen,
die im Augenblick der Tut als unzurechnungsfähig angesehen werden müssen;
b) die, welche, während
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der Untersuchungshaft oder im Gefängnisse nach der
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982
Verurteilung Symptome von Geistesstörung zeigen; c) die, welche — Geistes¬
störungen zeigend — früher bereits wegen eines Deliktes verfolgt oder verurteilt
sind. In keinem Fall darf die Behandlung der zu den drei Gruppen gehörenden
Personen anders sein als diejenige gewöhnlicher Geisteskranker; sie sind ebenso¬
gut Kranke wie diejenigen, welche niemals mit dem Strafrichter in Berührung
gekommen sind, und man findet unter ihnen sowohl unruhige als ruhige Geistes¬
kranke. Das Inberührungkommen mit der Justiz ist nur ein hinzukommender
Umstand. Wenn sie während ihrer Gefangenschaft Symptome von Geisteskrank¬
heit zeigen, müssen sie zeitweise in einem besonders hierfür bestimmten Teil des
Gefängnisses untergebracht und gepflegt werdeD, der zwar administrativ zu diesem
gehört, an dessen Spitze aber ein Arzt steht. Wird ihr Leiden chronisch, so
müssen sie in eine gewöhnliche Anstalt überführt werden. Was die gefährlichen
Geisteskranken betrifft, so kann man hier zwischen zwei Systemen wählen: Pflege
in speziell dafür eingerichteten Gebäuden (Gefängnis für geisteskranke Verbrecher)
oder auch in zu diesem Zweck eingerichteten Pavillons, welche einen Teil der
gewöhnlichen Irrenanstalt bilden. Vortr. gibt letzteren den Vorzug. Das In¬
freiheitsetzen geisteskranker Verbrecher, die als genesen entlassen werden, muß
unter Kontrolle juridischer Autoritäten geschehen. Die Lösung des Problems der
Pflege und Infreiheitsetzung Geisteskranker, die mit dem Strafrichter in Berührung
gekommen sind, wird allein dann eine fruchtbare sein können, wenn zugleich eine
Regelung bezüglich derer getroffen wird, die eine Bogen, beschränkte Zurechnungs¬
fähigkeit — übrigens ein Ausdruck, den man lieber vermeiden muß — besitzen,
der sogen, geistig Minderwertigen.
Diskussion: Herr Charpentier: Nicht so sehr die Verantwortlichkeit als die
in Frage kommende Person muß beurteilt werden.
Herr Ruysch spricht sich gegen die Adnexe bei den Gefängnissen aus.
Eine gute Behandlung hält er hier nicht für möglich. Er wurde hierin von
Herrn Aschaffenburg unterstützt.
Herr van Hamei meint, daß hier doch eigentlich kein prinzipieller Unterschied
bestehe; es hänge nur davon ab, ob man die Personen längere oder kürzere Zeit
in diesem Asyl halte.
Herr Meyers (Amsterdam) spricht über die sogen. Asyle in großen Städten.
Dies sind Anstalten, in welche man Geisteskranke, die aus einem oder dem anderen
Grunde unmittelbar aufgenommen werden müssen, überführt. Der Aufenthalt
daselbst hat einen vorübergehenden Charakter; es sind also eigentlich Durchgangs-
häuser. Drei Gruppen Kranke kommen hier hinein. Zunächst solche, welche nach
einem kurzen Aufenthalt daselbst wieder hergestellt sind, zweitens solche, deren
Krankheit voraussichtlich einen mehr chronischen Verlauf nehmen wird, und
drittens Kranke, deren körperlicher Zustand einen weiteren Transport nicht mehr
ermöglicht. Die Kranken der zweiten Gruppe verleihen dem Asyl seinen eigen¬
tümlichen Charakter. Diese Patienten müßten eigentlich dann erst weitergesandt
werden, wenn die psychiatrische Diagnose festBteht; aber wegen verschiedener
Ursachen ist dies nicht immer möglich, oft zum Nachteile der Patienten. Das
verschiedenartige Benehmen der verschiedenen Patienten (fiebernde Deliranten,
schwere Hysterie, Alkoholisten) stellt hohe Anforderungen an die Pflege, und
daher ist es oft erforderlich, von Isolierräumen Gebrauch zu machen. Die für
die Pflege gebräuchliche Einteilung in ruhige und unruhige Patienten ist hier
nicht genügend, da auch die unruhigen einen völlig verschiedenen Charakter
zeigen können. Amsterdam besitzt ein derartiges Asyl auf dem Terrain des
Wilhelmina-Krankenhauses. Per Jahr werden ungefähr 190 Patienten darin auf¬
genommen, von denen 28 °/ 0 als genesen entlassen werden; fÜr59°/ 0 ist das Asyl
nur Durchgangsstation; die Sterbeziffer beträgt 13 °/ 0 . Diese Ziffern sind nur
abgerundete, da eir.e genaue Statistik nicht gut erhältlich ist, besonders weil
Patienten entlassen werden, die kurz danach wieder aufgenommen werden müssen.
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Vortr. faßt seine Ausführungen dahin zusammen, daß mit einem derartigen Asyl
große Nachteile verknüpft sind, die aber völlig Wegfällen, wenn es mit einer
großen Anstalt verbunden wird.
Herr A.Marie (Villejuif) berichtete— auch für Hrn. Picquet (Paris) sprechend
— über das Entstehen von Geisteskrankheiten nach Kopfverletzungen. Diese
können unmittelbar nach dem Trauma auftreten. Zuweilen verursacht eine schein*
bar geringe Verletzung eine ernstliche Störung; in diesen Fällen bestand schon
durch Erblichkeit eine Disposition zur Geisteskrankheit oder auch das Individuum
war bereits geisteskrank. In einzelnen Fällen ist die Geisteskrankheit selbst die
Ursache der Kopfverletzung. Entsteht die Geisteskrankheit lange nach der Ver*
letzung, dann ist es oft sehr schwer, den Zusammenhang zwischen beiden festzu-
stellen. Ein genaues methodisches Studium der Tatsachen wird aber noch oft den Zu¬
sammenhang feststellen lassen und Anlaß zu einem operativen Eingriff geben können.
Herr Ruysch (Haag) spricht über Einrichtung der Verwaltung von
Irrenanstalten und die Staats&ufsioht über die Irrenpflege. Die Anstalten
müssen Eigentum des Staates oder der Provinz sein. Die Regierung stelle die
Anforderungen fest, denen eine Anstalt genügen muß und achte dabei auf die
Wahl des Terrains, die Bauausführung, die wissenschaftliche und hygienische
Einrichtung, die Anzahl der Ärzte, der Pfleger usw. Der Regierung muß das
Recht zugestanden werden eine Anstalt zu schließen, wenn ernste Fehler in der
Pflege gemacht worden sind. Die Aufsicht wird von der Regierung durch
Inspektoren ausgeübt, die keine andere Stellung bekleiden dürfen. Der leitende
Arzt fuhrt die Direktion der ganzen Anstalt und steht auch an der Spitze der
Verwaltung. Er wird unterstützt von Ärzten (Psychiatern), administrativen Be¬
amten, dem Pflegepersonal usw. Alle Beamten und Angestellten der Anstalt,
mit Ausnahme der Ärzte, werden von ijim ernannt und entlassen. An das
Pflegepersonal müssen Anforderungen bezüglich Kenntnisse, Bildung, Tüchtigkeit
und Hingabe gestellt werden. Jeder Pfleger soll seine Ausbildung in einer speziell
dafür bestimmten Schule erhalten. Die Besoldung des Personals entspreche den
geleisteten Diensten, der Dauer des täglichen Dienstes und der Zahl der Dienst¬
jahre. Die Versicherung des Personals in einer Lebens-, Kranken- und Unfall¬
versicherung erscheint ihm wünschenswert. Rechte und Pflichten des Personals
werden in einer besonderen Instruktion festgestellt
Weiter hielt Herr A. Uarriera (Barcelona) einen Vortrag über die
Iieitung der Irrenanstalten und die Staatsaufsicht über dieselben. Die
Direktion muß durch einen Psychiater erfolgen, weil allein dieser imstande ist,
auf eine Anzahl Dinge wie Nahrung, Kleidung, Zimmer, Bett usw. zu achten; er
allein kann auch die Arbeitsbehandlung der Patienten regeln. Man wird dann
auch ein besseres Personal von Pflegern und Pflegerinnen erzielen können, an das
man dann auch größere Anforderungen bezüglich Ausbildung und Intellekt stellen
kann als gegenwärtig. (Man denke daran, daß der Vortr. spanische Zustände im
Aoge hat; Ref.) Der leitende Arzt, der auch administrativ an der Spitze steht,
muß ein hinreichendes Personal von Ärzten und Verwaltungsbeamten unter sich
haben und muß nicht aus finanziellen Gründen genötigt sein, am Personal Er¬
sparungen zu machen. Die Art und Weise, wie in Spanien der Staat sich um
die Irrenanstalten bemüht, hat ihre großen Nachteile. So wird für die Auf¬
nahme eines Geisteskranken eine Anzahl erschwerender Formalitäten gefordert,
so u. a. Erklärungen des Bürgermeisters, eines ärztlichen Beamten und zwei
anderer Ärzte. Zu diesen Maßregeln hat man gegriffen, um Mißbräuche zu ver¬
hindern; jedoch glaubt der Vortr., daß diese Mißbräuche mehr in der Phantasie
bestehen, und es ist nicht zu leügnen, daß alle diese Maßregeln einer rechtzeitigen
psychiatrischen Behandlung wenig günstig sind. Vortr. meint, daß der Aufnahme
der Patienten in die Irrenanstalten keine Beschwerden eutgegengestellt werden
dürfen; d
Digitizsc: b
lese Anstalten selbst unter einer sehr strengen .Aufsicht
^ UMIVERSITY OF CALIFORNIA,
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stehen müssen. Sie müssen regelmäßig durch dazu vollkommen kompetente Per¬
sonen inspiziert werden. Auch hinsichtlich der Pflege geisteskranker Verbrecher
steht Spanien zurück; für solche gibt es keine besonderen Einrichtungen.
Auf den Vortrag des Herrn Ruysch folgte eine Debatte, in welcher auch
die Familienpflege zur Sprache kam.
In seiner Erwiderung Betzte Herr Ruysch auseiander, daß er kein Gegner
derselben sei, jedoch diese nicht selbständig, sondern in der Nähe von Anstalten
angewendet wissen wolle. Vortr. bedauerte die Abwesenheit der französischen
Mitglieder, die er gerne um einige Mitteilungen über das letzte Zirkular von
Clemenceau ersucht haben würde, weil dieses Zirkular bei ihm den Eindruck
erweckt habe, daß die Anzahl der in französischen Anstalten untergebrachten
Personen, die dort nicht hineingehörten, ziemlich groß sei.
Herr Mabon ist abwesend; sein Vortrag über Behandlung von Geistes¬
kranken in freier Luft wird vorgelesen. Die durch solche Behandlung er¬
zielten Resultate sind besonders günstig. Die Patienten werden in Pavillons ge¬
pflegt, die auf hohem, trockenem Grunde gelegen sind, so daß die Luft reichlich
Zutritt hat. Nicht allein die ganze Umgebung, so verschieden von Anstalten mit
ihren Zellen — sondern auch der Verkehr in der freien Luft Belbst verursachen
die günstigen Resultate.
Herr Morel bestätigte noch näher die erfreulichen Resultate der Freiluft¬
behandlung, während Herr Ley (Fort Jaco Uede) auf die guten, durch Bett¬
behandlung erzielten Resultate hinwies. Auch die Kombination beider Behand¬
lungen hat sehr günstige Ergebnisse.
Familienpflege und Landarbeit. Über diesen Gegenstand wurde von Herrn
A. Marie (Villejuif) referiert. In der Zukunft wird die Behandlung der Geistes¬
kranken mehr und mehr mit den Fortschritten in der Therapie Rechnung tragen
müssen, und man wird verschiedene Gruppen sehr unterschiedlich behandeln müssen.
Gefährliche und kriminelle Geisteskranke müssen in besonderen Abteilungen be¬
handelt werden; akute, die erst geisteskrank geworden sind, gehören in eine
Anstalt; jedoch die chronischen und die heilbaren Fälle müssen in einer Um-
«gebung behandelt werden, durch welche die Patienten langsam wieder an die
Zurückkehr in die Gesellschaft gewöhnt werden. Hierfür ist die Familien pflege
sehr geeignet, sowohl vom therapeutischen als ökonomischen Gesichtspunkt aus.
Die mit der Familienpflege in verschiedenen Ländern gewonnene Erfahrung er¬
möglicht es nun schon, allgemeine Regeln für Familienpfiege, kombiniert mit
Landarbeit, und für Anstaltspflege festzustellen.
Herr Alt (Uchtspringe) spricht über denselben Gegenstand. Er erinnert daran,
wie Griesinger bereits vor 40 Jahren darauf hinwieB, daß viele Geisteskranke
mehr Freiheit genießen könnten, als man ihnen gab, und er skizzierte die Zu¬
stände in den Anstalten, die vor ungeiähr 40 Jahren mehr Gefängnissen als
Krankenhäusern glichen. Auch jetzt noch kommen in Deutschland Anstalten
vor, in welchen von den Geisteskranken keine Arbeit verrichtet wird; sie müssen
ihre ungebrauchte Arbeit in Schreien usw. umsetzen. Naoh Griesingers Auf¬
treten ist in Deutschland eine Veränderung vor sich gegangen; Anstalten sind
mit Landkolonien für Geisteskranke verbunden worden und zugleich wurde das
Gebalt der Pfleger verbessert. Eine Kombination von Familienpflege und AnBtalts-
pflege, wie das in Belgien vorkommt, besteht in Deutschland nicht. Man kom¬
biniert in Deutschland die Pflege auch im akuten Stadium soviel wie möglich
mit Handarbeit. Die Landarbeit verdient im allgemeinen den Vorzug, weil damit
zugleich ein Aufenthalt in der freien Luft verbunden ist; nur die grobe Land¬
arbeit kann natürlich durch geisteskranke Landarbeiter verrichtet werden. Die¬
jenigen, welche früher keine Handarbeit verrichteten, müssen mehr mit Garten¬
arbeit beschäftigt werden. Auch die Familienpflege muß mehr Verbreitung
finden. Im allgemeinen ist die Bevölkerung — wie man früher fürchtete —
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985
nicht dagegen. Ist dies doch der Fall, so beginnt man, selber eine Kolonie für
Familienpflege zu gründen; die Erfahrung lehrt, dafl eine derartige Kolonie sich
gewöhnlich schnell vergrößert. Bei der Überweisung an die Familien muß man
soviel wie möglich den Wünschen der Patienten Rechnung tragen. Diejenigen
z. B., die gerne mit Pferden umgehen, überweise man an eine Familie, wo dies
möglich ist. Man sieht verschiedentlich, wie Geisteskranke, deren Zustand in
Anstalten jahrelang stationär blieb, durch Familienpflege sich langsam bessern,
ja selbst soweit genesen, daß sie nach Hause zurückkehren können.
Bei der Debatte bemerkt Herr Ruysch, daß er Familienpflege allein für
Genesende wünsche und stets als Filiale einer Anstalt, während Herr Rennö die
völlige Scheidung befürwortet. Er verteidigt ferner das Zirkular des Ministers
Clemenceau. Herr Prögoin appelliert an die Mitwirkung der Ärzte, um soviel
wie möglich die Insassen der Anstalten nach den Kolonien überzuführen; für
viele ist es schwierig, dies Prinzip zu verteidigen, weil sie dann in Streit mit
den Direktionen der Privatanstalten geraten. Herr Peters machte darauf einige
Mitteilungen über die in Gheel erzielten Resultate. Die dortigen Ergebnisse
übertreffen weit diejenigen der AnBtaltspflege, trotzdem die ungünstigsten Fälle
nach Gheel gesandt werden. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und das allein
erklärt schon, daß ein Patient bei Familienpflege Lust zur Arbeit bekommt oder
erhält, während er diese in einer Anstalt schnell verlieren würde. Zum Schlosse
folgte noch eine Replik von Herrn Ruysch, der, trotzdem er das Gute der
Familienpflege anerkannte, doch meint, zur Vorsicht mahnen zu müssen.
Herr William W. Ireland spricht über die Zunahme von Nerven- und
Geisteskrankheiten. Vor 7 Jahren hat Vortr. eine Rundfrage an eine Anzahl
Ärzte gerichtet, ob sie während der Dauer ihrer Praxis eine Zunahme nervöser
Krankheiten haben konstatieren können, ob neue Krankheitsformen hinzugekommen
seien, und ob etwaige Veränderungen in dem Typus der bekanntesten Krankheiten
aufgetreten seien. Aus den Antworten ergab sich, daß allein in den großen
Städten eine Zunahme stattgefunden habe. Darauf gibt Vortr. einige Statistiken
und weist auf die Zunahme der Selbstmorde in Schottland hin, deren Ziffer bis
auf 305 pro Jahr gestiegen ist (d. h. 65 auf 1 Million Einwohner). Zum Schlüsse
werden an der Hand der Literatur die Zustände in verschiedenen Ländern besprochen.
Herr C. C. Easterbrook (Ayr, Schottland) ist nicht anwesend. Sein Vortrag
wird vorgelesen. Derselbe hat zum Inhalte: Sanatoriumbehandlung duroh
Bettruhe in der freien Luft. Es wurde eine ausführliche Beschreibiing des
Sanatoriums in Ayr gegeben. Die Ausführungen gipfeln darin, daß — obgleich
die Beobachtungen sich noch über eine größere Anzahl Jahre erstrecken müssen —
die vorläufig erzielten Resultate sehr ermutigend sind.
Herr Ferrari (Bologna) spricht über die Erstehung geistig zurückge¬
bliebener Kinder. Er beschreibt die Elinrichtung des medizinisch-pädagogischen
Institutes in Bologna. Alle die Schüler betreffenden Momente: Messungen, ethno¬
graphische Besonderheiten, Größe, Gewicht, Fortschritte, Betragen, Aufmerksam¬
keit usw. wurden genau aufgezeichnet, und im Zusammenhang damit wurde
eine entsprechende Behandlung eingeführt. Diesem Umstande schreibt der Vortr.
das starke Sinken der Sterbeziffer für die im Institute behandelten Kinder zu.
Während diese vor 1901 noch 20°/ 0 betrug, im Jahre 1901 sogar 29,6 °/ 0 , ist
sie jetzt (1906) auf 4,7 °/ 0 gesunken. Vor allem hat eine bessere Regelung der
Ernährung das ihre dazu beigetragen. Vortr. erwähnt ferner, daß die geistig
zurückgebliebenen Kinder in der Regel widerstandsfähiger gegen Krankheiten
und schädliche Einflüsse sind als normale Kinder; sie Bind für ansteckende Krank¬
heiten wenig empfänglich. Dagegen verlaufen andere ernste Krankheiten oft bei
diesen Kindern völlig anders; wenn die Krankheit selbst gewichen ist, sieht man
oft einen Zustand von Kachexie eintreten, dem sie zuweilen nach Monaten erliegen.
Vortr. kommt nun zi den verschiedenen Normen, auf welche man die geistig
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Zurückgebliebenen zurückführen kann. Von Idioten spricht er allein, wenn die
geistige Minderwertigkeit einer überstandenen Gehirnkrankbeit zuzuscbreiben ist.
Die Affektion der Imbecillen dagegen ist stets angeboren. Man sieht beide
Gruppen von Individuen gewöhnlich als Personen an, die in ihrer geistigen Ent¬
wicklung zurückgeblieben sind, und bei denen allein durch die Erziehung selbst
noch einige Besserung erzielt werden kann. Vortr. erachtet letzteres als unrichtig.
Besonders bei männlichen Idioten tritt erhebliche Besserung ein, falls sie unter
günstigen hygienischen Voraussetzungen untergebracht werden, ohne daß die Er¬
ziehung selbst etwas dazu beizutragen braucht. Letztere ist nur sekundär be¬
hilflich. Vortr. führt als Beweis an, daß unter reichen Idioten, die doch zu
Hause auf die denkbar beste Weise versorgt und erzogen werden, viele keine
Fortschritte zeigen. Also die Erziehung ist nicht daB wichtigste Moment für
Besserung. Vortr. hat eine Zeitlang die Idioten des Institutes in einige Gruppen
eingeteilt und auf verschiedene Weise erzogen; es zeigte sich, daß die Idioten,
denen Lektionen erteilt wurden, durchaus nicht schnellere Fortschritte machten
als die, bei denen dieses wegfiel. Was die Imbecillen betrifft, so kann man diese
ein einfaches Handwerk lehren, wobei anerkennenswerte Resultate erzielt werden;
jedoch lehrt die auf dem Institut gemachte Erfahrung, daß sie dieses wieder
schnell vergessen. Schließlich bleiben noch zwei Gruppen übrig: die Früh-
Dementen, bei denen absolut keine Resultate erzielt werden und die geborenen
Kriminellen usw. (Lombroso). Auch hier sind die Resultate nicht sehr be¬
friedigend. Hinsichtlich des Unterrichtes muß man streng individualisieren. Die
männlichen Patienten lehrt man gewöhnlioh Feld- und Gartenarbeit; die weib¬
lichen werden zu Dienstboten herangebildet. Vortr.«nimmt an, daß der Dienst¬
botenstand auf die Dauer in Europa verschwinden wird, so daß diese Funktion
in Zukunft ausschließlich von geistig Zurückgebliebenen ausgeübt werden dürfte.
Herr Alt weist darauf hin, daß ein plötzlicher Stillstand in der geistigen
Entwicklung der Kinder wiederholentlich vorkommt nach einer akuten Infektions¬
krankheit wie Masern, Röteln usw. Die Eltern nehmen darauf zu wenig Rück¬
sicht. Weiter ist es natürlich, daß Kinder, die an einer oder der anderen Krank¬
heit oder an körperlichen Gebrechen leiden, dadurch auch oft geistig Zurückbleiben.
Herr van Renterghem spricht über verschiedene Methoden in der Psycho¬
therapie. Er unterscheidet drei Methoden: 1. die moralische, bei der man ver¬
sucht, dem Patienten Mut einzuflößen, ihm Hoffnung auf Genesung zu geben, sein
Angstgefühl zu beseitigen. Jeder Arzt mit dem nötigen Takt wird diese Methode
in Anwendung bringen; 2. die pädagogische Methode, bei der man auf den
Intellekt des Patienten einwirkt. 3. Die suggestive Methode. Gegen diese letste
Methode haben sich einige Autoren, besonders Dubois und Dejerine gewandt;
sie meinen, daß die Methode gefährlich ist, daß Bie die Patienten zu Sklaven
macht usw. In Zusammenhang hiermit weist Vortr. darauf hin, daß er die
Hypnose mehrmals angewandt aber niemals etwaige nachteilige Folgen davon
beobachtet habe. Darauf beschreibt der Vortr. die Einrichtung seiner Klinik und
gibt die allgemeinen Regeln an, die für die Behandlung angewandt werden
müssen. Sein Vortrag ist unter dem Titel: „La psychothörapie dans see diffe¬
rentes modes“ bei dem Verleger F. van Rossen erschienen.
Herr L. Muskens (Amsterdam) referierte über die Notwendigkeit, in der
Fürsorge für die Epileptischen die beginnenden oder zur Zeit noch nicht
komplizierten Fälle von den veralteten zu unterscheiden. Während in den meisten
Ländern bis heute nur Einrichtungen für chronische und bereits stumpfsinnige
epileptische Patienten bestehen, hat die Niederländische Vereinigung gegen Fall¬
sucht seit 5 Jahren einen neuen Weg beschritten und zwar dadurch, daß sie für
die erst beginnenden Fälle ein besonderes kleines Krankenhaus eröfinete, das so
gut wie möglich mit den nötigen Hilfsmitteln ausgeetattet ist. Nach der be¬
redten'--Aufmunterung durch Herrn Frank in Zürich drängt sich die Frage anf,
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987
ob keine Veranlassung besteht, bei dem gegenwärtigen Stande der Forschung
eine internationale Kommission für das Studium der Epilepsie einzusetzen.
Darauf wird von der Errichtung eines internationalen Bureaus für das
Studium der Ursaohen und die Prophylaxe von Nerven» und Geistes¬
krankheiten Mitteilung gemacht. Der Sitz soll vorläufig in Bologna sein, später
definitiv in Zürich.
Plenar-Sitzung.
Vortrag von Herrn v. Beohterew (Petersburg) über objektive Psyohologle.
Unser Urteil über den psychischen Charakter eines Individuums beruht auf der
Wahrnehmung äußerlicher Erscheinungen (Sprache, Mimik, Handlungen), die wir
mit unserem eigenen „Ich“ vergleichen, und aus denen wir Folgerungen bezüg¬
lich subjektiver Gefühle für andere ziehen. Diese Methode, aus der Analogie
mit unserem „Ich“ das innerliche Seelenleben anderer abzuleiten, ist soweit gut,
als die Analogie gut ist und kann also z. B. nicht auf Idioten, Geisteskranke
und noch viel weniger auf Tiere angewandt werden. Auch ihr innerliches Leben
können wir nicht aus Analogie auf Grund äußerlicher Erscheinungen mit dem
unseren folgern. Viele innerliche Gefühle von anderen können wir nicht immer
bei uns selbst reproduzieren. Dies gilt nicht allein für einfache Dinge wie Ge¬
schmacks- oder Geruchseindrücke anderer, sondern z. B. sehr stark für religiöse
Gefühle. Man kann also nur aus äußerlichen Erscheinungen auf die subjektiven
Gefühle anderer schließen, wenn diese Gefühle zu allen Zeiten reproduziert werden
können. Dies gilt aber nur für sehr wenige subjektive Gefühle, so daß die
Methode nur in beschränktem Maße brauchbar ist. Nun steht aber fest, daß die
subjektiven Gefühle bei gleichen äußerlichen Erscheinungen doch für verschiedene
Individuen nioht gleich sind, so daß man fragen kann, ob man selbst in den ein¬
fachen Fällen das Recht hat, aus äußerlichen Erscheinungen auf subjektive Wahr¬
nehmungen zu schließen. Vortr. verneint dies. Die einzige Methode ist Beob¬
achtung unseres eigenen „Ich“. Es ist vollkommen verkehrt, zu denken, daß wir
ans Gesichtsausdruck, Gebärden usw. auf subjektive Wahrnehmungen anderer
schließen können. Wir können aber wohl den Zusammenhung zwischen äußer¬
lichen Reizen und objektiv wahrnehmbaren psychischen Äußerungen feBtstellen.
Das Studium dieses Zusammenhanges kann man „objektive Psychologie“ nennen.
Dieses Studium wird zugleich zu der Entdeckung derjenigen Prozesse im Nerven¬
system leiten müssen, durch welche dieser Zusammenhang zustande gebracht wird.
Der Ursprung aller äußerlichen psychischen Erscheinungen ist in äußerlichen
Reizen zu suchen. Die einfachste Erscheinung ist der Reflex und die automatische
Bewegung. Hier besteht ein unveränderlicher Zusammenhang zwischen Reaktion
und Reiz, eine Folge der Übung und Erfahrung zahlloser Generationen. Kom¬
plizierter sind die Fälle, wo die persönliche, auf frühere Reize beruhende Er¬
fahrung eine Rolle spielt; dann besteht kein einfacher Zusammenhang zwischen
Reiz und Reaktion. Man weint oder lacht nicht infolge des äußerlichen Ein¬
druckes in dem betreffenden Fall, sondern weil durch diesen äußerlichen Umstand
Erinnerungen früherer Einwirkungen wieder geweckt werden. Die äußerlichen
Bewegung8reaktionen können wir einteilen in Greif- und Abwehrreaktionen, die
letzteren wieder in passive und aktive. Als besondere Form der ersteren kennen
wir die konzentrative Reaktion, während die symbolische oder Verbalreaktion,
die bei dem Menschen als Mittel des Verkehrs der Individuen eine sehr große
Bedeutung hat, auch eine besondere Form materieller Reaktion darstellt. Mit
Bezugnahme auf die vegetativen Organe und die sekretorischen und trophischen
Funktionen kann man noch sthenische Reaktionen (entsprechend den Greifreak¬
tionen) und asthenische Reaktionen (entsprechend den passiven Abwehrreaktionen)
unterscheiden. Der Charakter der Reaktion bei den Reflexen ist unmittelbar von
Art und Weise der äußerlichen Wirkungen des Organismus abhängig. Reize,
die den Organifüpkti^peib günstig sind, verursachen Greifreaktionen und als fVor-
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988
bereitung dazu konzentrative Reaktionen, in den inwendigen Organen athenische
Reaktionen. Für den Organismus ungünstige Reaktionen verursachen Abwehr*
reaktionen und in dem Gebiete der vegetativen Funktionen asthenische Reaktionen.
Die objektive Psychologie muß den Zusammenhang zwischen früheren Reizen and
dem Charakter der Reaktion feststellen; auf die subjektive Seite kommt es hier
nicht an. Darum ist die objektive Psychologie ein Unterteil der Naturwissen¬
schaften, während die subjektive Psychologie trotz ihrer experimentellen Hilfs¬
mittel mehr zu dem Gebiete der Philosophie gehört. Um nun experimentell die
Voraussetzungen für das Entstehen eines PsychoreflexeB zu ergründen, wurde der
Atmungsprozeß studiert. Dieser Prozeß ist von vielen äußerlichen Reizen ab¬
hängig. Inspiratorischer Reflex erfolgt auf Schallreiz. Kombiniert man Schall¬
reiz mit Lichtreiz, dann erfolgt nach zahlreicher Wiederholung schließlich aueh
ein Reflex auf Lichtreize allein; diese letztere Reaktion ist also von derjenigen
auf Schall abhängig; sie ist nicht dauernd. Bei Wiederholung nach längerer Zeit
muß wieder ein Schallreiz vorangehen. Man hat es hier also mit einer Assoziation
von zwei Bahnen zu tun, und man kann von einem Assoziationsreflex sprechen.
Der künstlich erhaltene Assoziationsreflex kann nun im Zusammenhang mit dem
ursprünglichen Reflex näher studiert werden. Ein zweites Gebiet der Unter¬
suchung betrifft die assoziative automatische Bewegung, Laufen, Musizieren usw.
Dies ist auch experimentell zu untersuchen. Man kann erst einfache Finger¬
bewegungen machen lassen und diese registrieren. Später läßt man diese Be¬
wegungen während einer psychischen Arbeit wieder auBführen. Dies geschieht
bei hinlänglicher Übung automatisch. Man kann nun den Einfluß dieser auto¬
matischen Fingerbewegung auf die andere Hand usw. studieren. Außer dem Ergo-
graphen von Mosso und dem Apparate von Sommer wird hierfür auch wohl
ein Gummiballon gebraucht, der durch den Finger eingedrückt wird und diese
Bewegungen registriert. Man läßt nun auf den Schlag eines Metronomes eine
Bewegung ausfllhren und zugleich eine Lichterscheinung auftreten. Man hat hier
also eine gleiche Einrichtung des Versuches wie bei der Atmung, mit dem
alleinigen Unterschiede, daß sie hier auf eine automatische Bewegung angewandt
wird. Um die persönliche Reaktion zu studieren, muß künstlich ein positiver
oder negativer neuro-psychischer Ton erregt werden, was durch Suggestion ge¬
schehen kann. Die Verbalreaktion eignet sich natürlich auch ausgezeichnet zum
Anstellen von Versuchen. Die Erinnerungsbilder von äußerlichen Einwirkungen
werden in der Nähe der Hirnrinde bewahrt; sicher ist dies für Licht-, Schall¬
und Hautrefiex. Um die Lokalisation der Reflexe näher zu studieren, wurden in
dem Laboratorium des Vortr. bei Hunden Atmungszentren aus der Hirnrinde
exstirpiert. Dann ergibt sich, daß die allgemeinen Atmungsreflexe gewöhnlich
bestehen bleiben, jedoch die Psychoreflexe aufgehoben werden. Analoge Versuche
wurden mit Bezug auf die Psychoreflexe des Herzens gemacht, und es wurden analoge
Resultate erhalten. Auch die sexuellen Psychoreflexe (also Geruch usw.) hängen
mit kortikalen Genitalzentren zusammen. Besonders merkwürdig sind die Psycho¬
reflexe im Gebiete der sekretorischen Organe. Von besonderem Interesse sind
die Speicheldrüsen. Speichelsekretion kann durch Säuren erregt werden. Da¬
durch, daß man dies nun mit anderen Reizen kombinierte (Schall, Licht usw.),
konnte auch hier wieder ein Psychoreflex erhalten werden. Nach lange andauern¬
der Übung verursachte dann der Schallreiz allein Speichelabsonderung. Dieser
Psychoreflex verschwindet jedoch schnell und ist viel schwächer als der ursprüng¬
liche Reflex. Untersuchungen hierüber sind besonders in dem Laboratorium von
Pawlow gemacht worden. Auch diese Reflexe kommen unter dem Einflüsse der
Hirnrinde zustande. Analoge Resultate wurden bezüglich des Magensaftes und
der Milchsekretion erhalten. Die psycho-automatische Bewegung des „Pflotegebeus“
heim Hunde geschieht durch Vermittelung kortikaler Zentren für das Gesicht und
das Gehör; jedoch scheint
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es.
daß nicht alle psycho-automalischen Bewegungen
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989
diesem Schema folgen. Es gibt nämlich Wahrnehmungen, die darauf hinweisen,
daß auch subkortikale Zentren für die Psychoreflexe bestehen. Die psycho-indi-
viduelle Reaktion ist noch wenig studiert worden; auch ihre Bahnen sind nicht
bekannt. Dagegen sind die Bahnen der symbolischen oder Verbandreaktion durch
das Studium der Aphasie gut bekannt geworden. Alle diese Ergebnisse setzen unB
gegenwärtig in die Lage, das Gebiet der objektiven Psychologie ziemlich zu übersehen.
Darauf demonstrierte Herr Gaskell (Cambridge) Llohtbilder, die sieh auf
die Entwicklung des Centralnervensystens bei den Vertebraten bezogen.
Vortrag von Herrn Ziehen (Berlin) über Methoden für Untersuchung
des Intellektes. Bereits früher hat man versucht, Einsicht in den menschlichen
Intellekt zu erhalten; die Methoden hierfür waren aber früher wenig ausgearbeitet;
die systematische Analyse fehlte. Wir erhalten eine große Anzahl Eindrücke und
bauen darauf unsere Vorstellungen auf. Die Schwierigkeit bei der Untersuchung
besteht nun darin, daß wir keine Normale haben, mit welcher wir vergleichender¬
weise arbeiten können. Die einfachste Gruppe von Vorstellungen ist die der Er¬
innerungen; hierauf haben in erster Linie die Untersuchungen nach dem Intellekt
Bezug. Doch auch diese Methode bietet bereits Schwierigkeiten. So erzählt Vortr.,
daß er verschiedenen Berlinern begegnet sei, die nicht wußten, an welchem Flusse
Berlin liegt. Doch darf man hieraus nicht auf einen Defekt des Intellektes
schließen, weil gerade das Wort Spree (natürlich wohl der Fluß selbst) keine
Rolle in dem Leben der Berliner spielt. So sieht man auch oft, wenn man nach
der Farbe eineB bekannten Gegenstandes (z. B. einer Briefmarke) fragt, daß diese
verkehrt angegeben wird, jedoch nur, weil die Erinnerungsbilder dieser Farben
unklar werden. Dies ist auch kein Defekt des Intellektes. Weiter untersuchte
man mittels Schallbilder Formen ubw. Vortr. erinnert an das Gesetz von Ribot,
in welchem gesagt wird, daß bei einigen Krankheiten das Vergessen zuerst statt¬
findet bei zuletzt aufgenommenen Eindrücken und erst später bei früheren Eindrücken.
Aus einfachen Vorstellungen bauen wir gewöhnlich wieder zusammengesetzte Vor¬
stellungen (komplexe Vorstellungen) auf. Das Umgekehrte kommt auch vor: ein
Kind lernt erst eine Rose kennen und daraus erst später die Farbe (Isolation). Eine
dritte Form von Vorstellungen ist die spezifische: erst lernt man Rosen kennen,
später diese voneinander unterscheiden. Bei unserer allgemeinen Vorstellung
haben verschiedene Elemente eine sehr verschiedene Bedeutung. Fragt man
einen Unentwickelten, was eine Straße ist, dann wird er z. B. antworten, daß
eB etwas ist, was ein Pflaster hat. Dies Pflaster ist also ein Element in seiner
Vorstellung von der Straße, das bei ihm besonders deutlich in den Vordergrund
tritt. Bei der Untersuchung nach diesen Elementen wird man gut tun, an die
zu untersuchende Person Fragen zu stellen bezüglich des Unterschiedes zwischen
zwei Dingen, z. B. zwischen Pferd und Ochse. Was bis soweit bezüglich des
Intellektes mitgeteilt ist, hat nur Beziehung auf Reproduktionen. Wenn man
sagt: Wieviel ist 7 X 8? dann ist die Antwort eine Reproduktion des Gelernten.
Aber wenn man fragt: Wieviel ist 7 + 8, dann ist die Antwort nicht ein ab¬
sichtlich gelerntes Etwas. Hier kommt eine neue Vorstellung hinzu (Kompilation).
Dies ist nur ein einfaches Beispiel. Ein sehr zusammengesetztes Beispiel ist z. B.
das Schachspiel. Wenn man nun mit dieser Methode den Intellekt untersuchen
will, dann kann man nur die Fälle wählen, auf welche nur eine Antwort er¬
folgen kann. Das Auflösen von Gleichungen ist z. B. eine sehr geeignete Methode,
iim diese Funktion des Intellektes zu untersuchen; man fragt z. B.: Wieviel muß
zu 5 hinzugefugt werden, um 12 zu erhalten. Für weitere Untersuchungen ge¬
braucht man z. B. Skizzen, die eine bestimmte Vorstellung wiedergeben, und läßt
die untersuchte Person sagen, was die Skizze bedeutet. Das Begreifen einer er¬
zählten Geschichte gehört auch zu der kompilatorischen Funktion des Intellektes;
das einfache Nacherzählen kann auch auf dem Gedächtnis beruhen. Man hat
wohl einmal
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laß diese Methode zu fehlerhaften Schlüssen Anlaß geben
zj Ongii Tl frcm
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990
kann, z. B. bei einem Mangel an Aufmerksamkeit. Aber es ist selbstverständlich,
daß man in derartigen Fällen auch noch andere Dntersuchungsmethoden gebrauchen
wird. Die Untersuchung nach dem Intellekt hat für die Psychiatrie eine große
Bedeutung, allein schon deshalb, weil sie lehrt exakt zu untersuchen, und nach
Bekanntwerden mit diesen Methoden den Widerwillen gegen Untersuchung mit
Instrumenten vermindern wird. Vortr. nennt einige Beispiele, die zeigen, wie
diese Methode für das Studium der Psychiatrie von großer Bedeutung sein kann.
Herr A. Pick (Prag) spricht über die umschriebene senile Gehirn*
atrophie als Gegenstand der klinischen und anatomischen Untersuchung.
Vortr. weist die große Bedeutung eines allgemeinen Studiums der Herderschei¬
nungen nach und entwickelt eine ausführliche theoretische Betrachtung hierüber,
im Zusammenhang mit der umschriebenen Gehirnatrophie. Eines und das andere
wurde durch Zeichnungen erläutert
Vortrag von Herrn MacDonald über die Behandlung Geisteskranker
nach dem System im Staate New York. Vorausgeschickt, daß die Fürsorge
für Geisteskranke und deren Behandlung eine Sache von allgemeiner Wichtigkeit
ist, darf sie doch nicht durch Ankauf von Land und durch Errichtung von Gebäuden
große Summen Geldes verschlingen. Geisteskrankheit ist ein Übel, mit welchem
die Menschheit am meisten beimgesucht wird, und dem also der Gesetzgeber alle
Aufmerksamkeit Bchenken muß. Nach der Beobachtung des Vortr. rekrutieren
sich die meisten Geisteskranken aus dem besser situierten Stande, sind also
Menschen, die vor ihrer Krankheit sich eines gewissen Wohlstandes erfreut haben
oder wenigstens vollkommen für den eigenen und den Familienunterhalt sorgen
konnten. Also verliert der Staat an jedem Tag, wo ein solcher Patient krank ist, die
Verpßegungskosten (ungefähr 200 Pfund Sterling pro Jahr) und obendrein, was er
selbst verdient haben würde. Der Staat New York hat 15 öffentliche Hospitäler
für Geisteskranke und 23 Asyle. Die Anzahl der Patienten beträgt 28000, da¬
runter 14500 Frauen. Obendrein sind in den privaten Einrichtungen noch ungefähr
1000 Verpflegte. Ein Personal von 300 Ärzten und 3500 Pfleger und Pflegerinnen
arbeitet in diesen Anstalten. Die Anlagekosten belaufen sich, alles inbegriffen, auf
eine Summe von >26000000 Pfd., während die jährliche Unterhaltung 5000000 Pfd.
erfordert. In den Vereinigten Staaten gibt es insgesamt ungefähr 200000 Geistes¬
kranke. Vor 1843 wurden die Geisteskranken in Armenhäusern und Asylen be¬
handelt, deren Zustand sehr schlecht war. Im genannten Jahre wurde die erste
Anstalt eröffnet. 1699 wurde eine Staatskommission mit einem Psychiater an
der Spitze ernannt; diese Stellung hatte Vortr. 7 Jahre inne. Eis wurden neue
Asyle gebaut, und die Armenhäuser kamen an den Staat. Die Pflege ist gegen¬
wärtig ausgezeichnet; alle Patienten sind in guten Einrichtungen untergebracht.
Der Name „Staatshospital“ genießt heim Publikum vollkommenes Vertrauen. Die
Einrichtung genügt den höchsten Anforderungen; es besteht obendrein ein patho¬
logisch-anatomisches Laboratorium für weiteres Studium. Der Patient selbst genießt
relativ große Freiheit. So dürfen sie u. a. auf Parole 30 Tage nach Hanse gehen.
Alle sich bewerbenden Ärzte werden einem vergleichenden Examen unterworfen.
Deijenige, welcher die größte Anzahl von Punkten hat, wird zuerst berücksichtigt,
wenn eine Stelle frei ist. Mindestens 5 Jahre muß der Arzt in einer Abteilung
gearbeitet haben, bevor er zu dem Examen als Chefarzt zugelassen wird. In
jedem Krankenhause muß mindestens ein weiblicher Arzt anwesend sein. Die
Pflegerinnen sind gegenwärtig auch allseitig für ihre Aufgabe ausgebildet und
empfangen u. a. auch Lektionen in der Kochkunst. Die Patienten verrichten
sowohl Handarbeit als Garten- und Feldarbeit; durch entere werden haupt¬
sächlich Bürsten, Schuhe usw. hergestellt. Vortr. konstatiert den großen Fort¬
schritt seit dem Berichte der erwähnten Staatskommission und konstatiert weiter,
daß durch die diversen Maßnahmen die Kosten um mehrere hunderttausend Dollars
so daß Amerika in dieser Hinsicht nun einen ehrenvollen Platz
p. Original from
C UNIVERSITY OF CALIFORNIA
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sinnimmt. Io dieser Hinsicht hat man die Stadien von Pinse, Tube, Jacoby
ind Everts mit Erfolg verwendet. Das glänzende System in dem Staat
Sew York repräsentiert die Resultate eines mehr als ein halbes Jahrhundert an¬
lauernden Wachstumes des Monumentes selbstloser medizinischer Wissenschaft
and Studien, und ist ein strahlender Triumph der Humanität über Unkenntnis
und Aberglauben in der fortschreitenden Bildung.
Vortrag von Herrn A. van Gehuchten (Löwen) über den Meohanismus
der Heflexe. Die Reflexbewegungen können wir einteilen in Sehnenreflexe und
Hautreflexe. Die ersteren werden stets durch Bewegung eines Muskels verur¬
sacht; die letzteren sind monomuskulär, soweit klinische Hautreflexe in Betracht
kommen; die sogenannten physiologischen Hautreflexe sind polymuskulär. Alle
diese Reflexe haben ihr unmittelbares Centrum in der grauen Substanz des
Nervensystems; jedoch können die Sehnenreflexe und die klinischen Hautreflexe
erst durch Mitwirkung der weißen Substanz zustande kommen. Um nun zu wissen,
welche besondere Rolle der weiBen und der grauen Substanz zuerteilt ist, müssen
wir die Anatomie und Physiologie des Rückenmarkes studieren. Dieses besteht,
physiologisch betraohtet, aus zwei Organen: einem autonomen Organ, dem Reflex¬
centrum, und einem „Durchgangs“-Organ, vertreten durch die Nervenfasern. Wenn
man aus dem Rückenmarke die oszendierenden und deszendierenden Nervenfasern
entfernt, würden die Teile übrig bleiben, die für sich ein selbständiges Organ
bilden. Ein derartig zusammengestelltes Rückenmark ist imstande zu funktionieren,
wie durch Wahrnehmungen bei Patienten bewiesen wird, die an einer kompletten
transversalen Läsion in dem cervikalen Teile leiden. Diese • Patienten zeigen eine
Paraplegie mit Verschwinden der Sehnenreflexe und der Hautreflexe der Kliniker.
Jedoch ein Reiz der Haut an einer der unteren Extremitäten verursacht un¬
mittelbar eine Bewegung. Diese Reflexbewegung ist absolut unwillkürlich und
geschieht ohne jedes Bewußtsein. Selbst die spino-spinalen Fasern, wie Vortr.
sie bezeichnet, sind für die Funktion dieses als besonderes Organ gedachten
Teiles des Rückenmarkes nicht erforderlich, wie die Untersuchungen bei kom¬
pletten transversalen Läsionen in dem Brust- oder Lendenteil beweisen. Man kann
sich also vorstellen, daß das Rückenmark aus ebenso vielen Segmenten aufgebaut
ist, als es periphere Nerven gibt. Jedes Segment ist also der Sitz eines be¬
sonderen Reflexes. Dieser Reflexapparat ist nun aus zwei Neuronen, einem centri-
petalen und einem centrifugalen aufgebaut. Das Rückenmark ist also schließlich
aus einer großen Anzahl Einheiten von grauer Substanz, die mit peripheren
Nerven in Verbindung stehen, aufgebaut. Jede dieser Einheiten kann man als
ein primitives medulläres Ganglion auffassen. Wenn wir hier nun nacheinander
die Fasern der weiBen Substanz hinzufügen, dann erhalten wir das Rückenmark
so aufgebaut, wie es wirklich ist. Wir werden zu gleicher Zeit sehen, welche
Veränderungen diese Hinzufügung in der Funktion verursacht. Diese primitiven
Ganglien sind untereinander durch Nervenfasern verbunden (spino-spinale Fasern),
wodurch auch eine Verbindung zwischen einer centripetalen und vielen centri¬
fugalen Fasern zustande gebracht wird. Ein Reiz einer centripetalen Faser kann
also auf eine große Anzahl motorischer Zellen übertragen werden. Es entsteht
also eine polymuskuläre Bewegung, die zugleich koordiniert ist. Das Rücken¬
mark hat also auch Einfluß auf die Koordination der Bewegungen. Mit diesem
Komplex von Ganglienzellen und Fasern treten nun auch noch höhere nervöse
Centren in Verbindung, und mit den bulbären Centren die einzelnen im Gehirn
gelegenen Centren, besonders die, welche mit dem Sehnerv in Verbindung stehen
und die kortikalen Zentren. Die Fasern, die von den zwei genannten Gruppen
nach den medullären Ganglien laufen, ermöglichen das Entstehen der Sehnen¬
reflexe, die durch Beklopfen jeder willkürlichen Sehne erregt werden können.
Die aus den kortikalen Centren kommenden Fasern üben eine Art bremsende
Wirkung aus; jrie vermindern die Intensität der Haut- und Sehnenreflexe und
Digitized by GCK ÖTe Original from
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veranlassen zugleich das Entstehen eines neuen Reflexes: der Hautreflexe der
Kliniker. Von dem Rückenmark gehen also dreierlei Reflexe aus: 1. Die Haut*
reflexe der Physiologen, die ausschließlich medullären Ursprunges sind. 2. Die
Sehnenreflexe, die ihr Centrum in dem Rückenmark haben, die jedoch zugleich
die Mitwirkung anderer Fasern brauchen. 3. Die Hautreflexe der Kliniker, gleich¬
falls mit den Reflexcentren in dem Rückenmark, die jedoch erst durch deszen¬
dierende Fasern, welche von kortikalen Centren ausgehen, wirksam werden. Diese
Einteilung ist für die Klinik von großer Bedeutung. Ein altes physiologisches
Gesetz lehrt, daß die höheren nervösen Centren eine bremsende Wirkung auf die
niederen ausüben. Dieses Gesetz ist auf den Menschen nicht anwendbar, obwohl
diese bremsende Wirkung an sich besteht; aber Bie übt allein auf die eigentlichen
Rückenmarkereflexe (die physiologischen Hautreflexe) eine Wirkung aus. Dies er¬
klärt denn auch, warum allein diese bei kompletten transversalen Läsionen in dem
cervikalen Teile erhöht sind. Das Stadium der Reflexbewegung erklärt die große
Bedeutung der sensiblen Nervenfasern und macht den Unterschied deutlich, der
zwischen der Anzahl centripetaler (— im Rückenmark 1300000 —) und der An¬
zahl centrifugaler (— im Rückenmark 400 000 —) Fasern besteht. Die Be¬
deutung dieser sensiblen Nervenfasern ist so groß, daß wir ruhig sagen können,
daß ohne sie kein Leben möglich sein würde. Anstatt also mit dem Philosophen
zu sagen: „Ich denke, also bin ich“, würde der Anatom mit größerem Recht be¬
haupten können: „Ich bin, ich lebe; also werde ich gereizt.“
In der Aula der Universität hielt der Kongreß noch eine Abendsitzung,
die einen mehr oder weniger populären Charakter trug. Diese Sitzung war Vor¬
trägen über die Famillenpflege von Geisteskranken gewidmet und wird un¬
zweifelhaft dazu beigetragen haben, das System der Familienpflege und alles, was
damit im Zusammenhänge steht, weiter zu popularisieren. Zahlreiche Lichtbilder
wurden vorgeführt Redner waren die Herren: J. A. Peters, Arzt in Gbeel
(Belgien), Alt (Uchtspringe), Meeus, Marie (Villejuif).
in. Vermischtes.
Zn der am 26. and 27. Oktober 1907 in Leipzig stattfindenden XltL Versammlung
mitteldeutscher Psyohiater und Neurologen sind folgende Vorträge angemeldet:
1. Flechsig (Leipzig): Über die Hörspbärc des menschlichen GehiriiB ,mit Demonstrationen).
— 2. Anton (Halle): Anatomischer Befund bei Aphasie. — 3. Held (Leipzig): Über Zu¬
sammenhang und Entwicklnng der Ganglienzellen mit Demonstrationen über den Bau der
Neuroglia. — 4. Müller (Breslau): Über akute Paraplegien nach Tollwut-Schutzimpfungen.
— 5. Haenel (Dresden): Eine typische Form der ataktischen Gehstörung. — 6. Meitzer
(Chemuitz): Zur Pathogenese der Opticusatrophie und des sogen. Turmschädels. — 7. Hoehl
(Chemnitz): Demonstration von Röntgenogrammen (za 6). — 8. Kauffm.inn (Halle): Über
Diabetes und Angstpsychose an der Hand eines geheilten Falles. — 9. Gregor (Leipzig):
Über die Diagnose psychischer Prozesse im Stupor. — 10. Döllken (Leipzig): Über Ge¬
dankenlautwerden und Halluzinationen. — 11. Rauuiger (Hocbwcitzschen): Epilepsie und
Dementia praecox. — 12. Wanke (Friedrichroda): Die Heilung der Neurasthenie, eiu ärzt¬
lich-pädagogisches Problem. — 13. Herr Dell io (Dösen): Weitere Erfahrungen über Dauer¬
bäder. — 14. Degenkolb (Roda): Über Fälle von Kombination verschiedener Scelenstörangen
mit Hysterie. — 15. Hecker (Dresden): Tetanie und Osteomalacie.
IV. Berichtigung.
Auf S. 934 soll es in dem Referat über den Vortrag des Herrn Oppenheim heißen:
im ersten Satze: „In 7 von 12 Fällen war die Operation eine erfolgreiche, während sieh
in 5 der Exitus früher oder später an die Operation anschloß“; — und im letzten Satz:
„daß das Resultat der Operationen bei Rückeumarkstumoren als ein sehr befriedigendes
bezeichnet werden darf.“
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten^
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kart Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzou & Wime in Leipzig.
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Neurologisches Centralbutt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet yon Prof» E. MendeL
Herausgegtben
T<m
Dr. Kurt Mendel.
Sechsundzwaniigster _ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 1. November. Nr. 21.
Inhalt I. Originalmittellungen. 1. Über operative Behandlung der Tumoren der
Hypophysisgegend, von A. Freiherrn v. Eiseisberg und L. v. Frankl-Hochwart in Wien. 2. Akute
multiple Sklerose oder disseminierte Myelitis? Yon E. Stadelmann und M. Lewandowsky.
3. Ist die Erkrankung des Sehapparates für die Differentialdiagnose zwischen multipler
Sklerose und chronischer cerebrospinaler Lues von maßgebender Bedeutung? Ein kasuisti¬
scher Beitrag von Dr. M. van Oordt in St. Blasien.
II. Referate« Anatomie. 1. Über die wechselseitigen Beziehungen zwischen Kopf¬
form nnd Geburtsmechanismus, von Müller. — Physiologie. 2. The subdivision of the
representation of cutaneous and mnscnlar sensibility and of stereognosis in the cerebral
cortex, by Mills and Weisenburg. 3. Ein Nachweis von intrakraniell verlaufenden, gefä߬
erweiternden nnd gefäßverengernden Nerven für das Gehirn, von Weber. 4. Zur Frage der
Ursachen der motorischen Störungen bei Läsionen der hinteren Wurzeln nnd des Verlaufes
der Kollateralen im Rückenmark, von Lapinsky. 5. Vergleichende Untersuchungen über den
Einfluß des Sauerstoffes auf die Reflexerregbarkeit, von Bethe. — Psychologie. 6. Über
Kontrastträume und speziell sexuelle Kontrastträume, von Nicke. — Pathologische
Anatomie. 7. Sülle alterazioni della sostanza reticolo-flbrillare delle cellule nervöse in
alcuni malattie mentali, per Agostini e RossK. — Pathologie des Nervensystems.
8. Über einen Fall von Hypophysensarkom beim Pferde, von Wolff. 9. Effetti delle iniezioni
del succo d’ipofisi suir accrescimento somatico (zwei Mitteilungen), per Cerletti. 10. Sur
un cas de gigantisme precoce avec polysarcie excessive, par Parhon et Zalplacta. 11. Sexual
infantilism with optic atrophy in cases of tnmor affecting the hypophysis cerebri, by Cushing.
12. Wachstnmsanomalien bei der temporalen Hemianopsie, bzw. aen Hypophysisaffektionen,
von Uhthoff. 13. Über Akromegalie, von Westphal. 14. Über eine Kombination von Akro¬
megalie und Myxödem, von Auerbach. 15. A case of epilepsy associated with acromegaly,
by Shanahan. 16. Acromögalie sans gigantisme, par Claude. 17. Erfolgreiche Operation
eines HypophysentumorB auf nasalem Wege, von Schloffer. 18. Weiterer Bericht über den
Fall von operiertem Hypopbysentumor. Plötzlicher Exitus letalis 2 % Monate nach der
Operation, von Schloffer. 19. Untersuchungen über das Röntgen-Bild der normalen Hals¬
wirbelsäule und die daraus für die Röntgen-Diagnostik der Halswirbelsäulenverletznng ab¬
zuleitenden Folgerungen, von Ossig. 20. Eine typische Erkrankung der Wirbelsäule. In-
sufficientia vertebrae, von Schanz. 21. Sur un cas de rhumatisme chronique vertebral, par
Raymond et Babonneix. 22. Über die klinischen nnd pathologisch-anatomischen Besonder¬
heiten der nervösen Form der Steifigkeit und der Ankylose der Wirbelsäule und ihre Be¬
handlung, von v. Bechterew. 23. Die chronische Steifigkeit der Wirbelsäule, von Krause.
24. Über die chronische ankylosierende Entzündung der Wirbelsäule, von v. Lagiewski.
25. Beitrag zum Studium der Spondylose rhizomölique, von Mingazzlni. 26. Über chronische
ankylosierende Wirbelsäulenversteifung, von Fränkel. 27. A case of ankylosis of the spine,
by Hunter. 28. Pottsche Krankheit bei einem Affen, von Southard. 29. Quinze autopsies
de mal de Pott chez fadulte, fitude des lesions nerveuses, par Alquier. 30. Zur Patho¬
logie des Malum Pottii, von Vargas. 3t. Zwei Fälle Pottscher Krankheit mit Kernigschem
Zeichen, von Pagani. 82. A study of the sensory Symptoms of a case of Potts disease of
the cervical spine. by Fry. 33. Cyphose prononcee" chez un tuberculeux, par Brissaud et
Montier. 34. Übereinen Fall von Kompressionsmyelitis. Geringe Wirbelerkrankung (Röntgen-
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Untersuchung). Erfolgreiche physikalische Behandlung, von v. Leyden. 35. Schwere spondy-
litische Paraplegie, spontan geheilt unter Anwendung der Rauchfass sehen Schwebe, die
auch zur Prophylaxe des Decubitus bei spondylitischen Lähmungen dient, von Schilling.
36. Über operative Behandlung des Malum suboccipitale, von Payr. 37. Die Bfilausche
Heberdrainage bei Behandlung einer schweren Spondylitis tuberculosa, von Meede. —
Psychiatrie. 38. Der Einfluß der Blutsverwandtschaft der Eltern auf die Kinder, von
Feer. 39. Les psyeboses aigues et leur Classification, par Sokalsky. 40. Perte de la vision
mentale des objets dans la melancolie anxieuse, par Lemos. 41. Die Melancholie, ein Zu-
standsbild des manisch-depressiven Irreseins, von Dreyfus. 42. Sur un cas de ddlire collectif
oü figure un paralytique general, par Cldrambault. 43. Affektivität, Suggestibilität, Paranoia,
von Bleuler. — Forensische Psychiatrie. 44. L’opera di Cesare Lombroso nella scienza
e nelle sue applicazioni. 46. Greisenalter und Kriminalität, von Bresler.
III. Aus den Gesellschaften. Internationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psycho¬
logie und Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1907. (Nachtrag zu Sektion I.)
— XVIL Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs und französisch sprechender
Länder in Genf und Lausanne vom 1. bi6 6. August 1907.
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. Juli bis 31. August 1907.
V. Berichtigung.
I. Originalmitteilungen.
1. Über operative Behandlung der Tumoren
der Hypophysisgegend. 1
Von A. Freiherm v. Eiaelsberg and L. v. Frankl-Hoohwart in Wien.
ln unserem Falle handelt es sich um einen jetzt 20jährigen Kommis R. D.
Derselbe wurde von dem damaligen Assistenten von F.-IL, Dr. Fröhlich, auf
der Wandervereammlung des Vereine für Psychiatrie und Neurologie in Wien
am 12. Oktober 1901 vorgestellt. Ans dem Aufsatze, den Fr. damals in der
Wiener klinischen Rundschau 1901 Nr. 47 n. 48 veröffentlichte, entnehmen wir
die wichtigsten Daten:
D. kam am 14. November 1899 im 12. Jahre mit seiner Hutter in das
Nervenambulatorium der Klinik weil. Nothnagel. Seine Mutter gab an, daß er
seit April 1899 zweimal wöchentlich, zuweilen in 14tägigen Intervallen von der
Sohule mit Kopfschmerz nach Hanse käme. Er muß sich dann zu Bette legen;
2 Stunden nachher Erbrechen; mitunter Erbrechen gleich nach dem Nachhause-
kommen. Kopfschmerz links, zuweilen beiderseits, meist im Vorderkopf. Er lernt
gut, gutes Gedächtnis; keine Zeichen von Nervosität oder Hysterie, keine frühere
Erkrankung, kein Trauma. Sehen normal. Keine Blasen - M astdarmstörungen.
Wir besitzen eine Krankengeschichte, in welcher der negative Befund völlig
detailliert ausgeführt erscheint; Prof. Königstein fand zu dieser Zeit das Ange
völlig normal. Patient erschien erst am 19. August 1901 wieder, diesmal mit
einer Reihe ernster Beschwerden. Die Matter gibt folgendes an: Seit März 1899
begann Patient, der biB dahin ein mageres Kind war, rapid an Körpergewicht
zuzunehmen. Januar 1901 klagte er über Herabsetzung der Sehkraft am linken
Auge, einUmstand, dem aber keine weitere Beachtung geschenkt wurde. Juli 1901
begannen die Kopfschmerzen neuerdings aufzutreten und in der Folgezeit an
Intensität zuzunehmen. Gleichzeitig klagte er über Mattigkeit; öfters Erbrechen,
1 Vortrag, gebalten auf der ersten Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher
Nervenärzte in Dresden am 14. September 1907.
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besonders im Anschluß an Mahlzeiten. Weitere Abnahme der Sehkraft des linken
Auges, dann Erblindung links. Später nahm auch die Sehkraft rechts ab. Am
23. September 1901 konnte F. folgenden Befund erheben: Seit einigen Wochen
subjektiv Besserung. Weniger Kopfschmerz, kein Schwindel. Seit 10 Tagen
kein Brechreiz, Körpergewicht nimmt ab. Intelligenz, Sprache durchaus normal.
Kopfbewegungen frei. Die linke Schläfengegend — und nur diese — auf Perkussion
schmerzempfindlich. Keine Störungen des Geschmackes, Geruches, sowie der Sensi¬
bilität im Gesichte. Gehör normal. Übrige Hirnnerven normal. Motilität und
Sensibilität an den Extremitäten und am Rumpfe durchaus normal. Sehnen¬
reflexe, namentlich Kniereflexe lebhaft. Kein Fußklonus, kein RoMBBBa’sches
Phänomen. Sphinkteren normal. Innere Organe normal. Urin frei von Zucker
und Eiweiß.
Augenuntersuchung: (Dozent Dr. Kunn): Pupillen etwa 4 mm weit, gleich.
Die linke Pupille reagiert auf Lichteinfall nicht, auf Akkommodation sehr gut
Rechts prompte Reaktion auf Licht und Akkommodation. Bulbi frei beweglich,
kein Nystagmus. Fundus: genuine Atrophie N. optici sinistri; rechts normal.
Links Amaurose, rechts # / I0 (Gläser bessern nicht); temporale Hemianopsie rechts;
die Gesichtsfeldgrenzen des rechten Auges sind in der nasalen Hälfte ganz normal.
Die sehende nasale Partie grenzt sich gegen die blinde temporale durch eine
nahezu vertikale Trennungslinie ab, welche aber nach außen vom Centrum ver¬
läuft, dasselbe in einem sanft geschwungenen Bogen umgreifend. Die Papilla
n. optici sinistri ist schneeweiß, sehr scharf begrenzt; an den Gefäßen keine
Veränderungen. (Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung am 12. November
1901 war die innere Hälfte der rechten Papille stark gerötet, opak und leicht
geschwollen [Neuritis].) Fböhlich hob damals noch hervor, daß der rasch ver¬
fettete Kranke 54 kg wog, während das Durchschnittsgewicht eines gleichaltrigen
Knaben von gleicher Größe 39 bis 40 kg beträgt. Die Finger erschienen fett,
die Hände wohl gepolstert; besonders auffällig ist die Ansammlung von Fett¬
massen in der Haut des Rumpfes, am Abdomen und in der Nähe des Genitales.
Der Penis, der übrigens normal entwickelt ist, erscheint dermaßen zwischen
diesen Fettanhäufungen eingelagert, daß sich das Genitale dem femininen Typus
nähert; die Hoden sind in der Tiefe der Fettmassen palpabel und bieten infantile
Verhältnisse dar. In der Gegend der Mamilla finden sich gleichfalls namhafte
Fettansammlungen, in den Brustdrüsen sind einige Knötchen palpabel; Flüssig¬
keit läßt sich nicht ausdrücken. Die Behaarung der Achselhöhle fehlt; am
Genitale finden sich nur vereinzelte Härchen, die Haare am Schädel sind spröde,
kurz, spärlich, fallen leicht aus, die Haut trocken, stellenweise schilfernd; an
vielen Stellen, so namentlich am Rumpfe läßt sie sich mit dem unter ihr liegenden
Fett in dicken Falten abheben. An anderen Orten, so namentlich an den Fingern,
am Handgelenke wird bei der Palpation das Gefühl erweckt, daß es sich hier
um eine Dickenzunahme der Haut handelt. Diagnose: Hypophysistumor.
Patient war von da ab in unserer kontinuierlichen Beobachtung. Die von
Herrn Dr. Fböhlich eingeleitete Thyreoidinbehandlung brachte temporäre Besserung,
indem der Kopfdruck seltener wurde und das Körpergewicht etwas zurückging.
Visus 19./X. 1901 rechts s / 1( . Allmähliche Besserung des Sehvermögens.
Am 24./VL 1902 ist vermerkt: Visus rechts 5 /$> Gesichtsfeld normal. Am 27./1.1903
auffallende Zunahme des Fettgewebes, besondere der Mammae. Rechtes Auge:
Sehschärfe, Akkommodation, Gesichtsfeld normal. In den nächsten Jahren fiel die
starke Fettentwicklung am Genitale auf. Penis sehr klein, Testikel nicht zu
tasten. Nie geschlechtliche Erregungen. Später kam es wieder zu Verschlechterung:
Am 19./IX. 1905 Visus rechts: 5 / 16 , Gläser bessern nicht. Am 25./I. 1907 fand
sich dos rechte Auge stark verschlechtert: es wurde abermals Hemianopsie nach¬
gewiesen. Am 26. Januar 1907 ergab der radiolog»che Befund (Dozent Dr. Holz-
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knecht): der Keilbeinkörper und die Sattellehne destruiert, die Processus clinoidei
antici erhalten (s. Röntgen-Bild).
Patient wurde am 10. Juni 1907 in die I. chirurgische Klinik auf¬
genommen. Die Untersuchung ergab ähnliche Verhältnisse, wie die oben geschil¬
derten: Patient ist geistig sehr gut entwickelt, mittelgroß, ausgesprochen infantil¬
weiblicher Typus, Barthaare vollkommen fehlend, Üesicht fett, Doppelkinn, leichter
Exophthalmus; rechtes Auge fixiert, linkes Auge nach außen abweichend. Pupille
rechts prompt reagierend, links lichtstarr, Bulbusbewegungen frei, geringes Ein-
Btellungszittern. Ophthalmoskopischer Befund vom J5./VI. 1907 (Klinik Fuchs)
ergibt: rechtes Auge Atrophie der temporalen Papillenhälfte, linkes Auge genuine
Atrophie. Gefäße nicht verändert, leichte Exkavation. Visus: rechtes Auge Finger¬
zählen in 2 1 / 2 m (Gläser bessern nicht), linkes Auge Amaurose. Das Gesichtsfeld des
rechten Auges weist ein Fehlen des temporalen Abschnittes auf, der nasale ist
vorhanden. Der Nervenbefund im übrigen völlig negativ. Geschmack, Geruch,
Sensibilität normal; Motilität frei, ziemlich gute motorische Kraft. Keine Ataxie,
kein Romberg-Phänomen. Sehnen- und Hautreflexe normal. Innere Organe normal.
Urin frei von Eiweiß und Zucker. Körpergewicht vor der Operation betrug
65,20 kg.
Ehe wir zur Besprechung der Therapie schreiten, mögen noch einige Worte
über die Diagnose gesagt werden; selbstverständlich kann hier nur das Wich-
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tigste rekapituliert werden, da es anmöglich ist, auf die nun schon sehr um¬
fangreich gewordene Literatur einzugehen. Wer sich näher orientieren will,
vergleiche die ausführliche Arbeit von Bartels. 1
Der von uns besprochene Fall hat insofern auch Bedeutung, als er den
Anlaß zu einer Studie von A. Fröhlich gab: der genannte Autor stellte sämt¬
liche ans der Literatur bekannte Fälle von Hypophysistumoren ohne Akromegalie
zusammen, in denen ähnliche Störungen wie im Falle D. verzeichnet waren,
ohne daß jedoch die Bescbreiber diesen Zusammenhang erkannt hatten. Der
wichtigste unter diesen war der Fall von Pechkranz. 2 Fröhlich formulierte
damals den Satz, „daß bei Symptomen, die auf einen Tumor in der
Gegend des Hirnanhanges hinweisen, bei Fehlen akromegalischer
Symptome das Vorhandensein anderweitiger trophischer Störungen,
wie rasch sich entwickelnde Fettleibigkeit oder auch an Myxödem
erinnernde Hautveränderungen, auf die Hypophyse selbst als Aus¬
gangspunkt der Neubildung hinweist Allerdings beweist das Fehlen
solcher Erscheinungen freilich nichts gegen das Vorhandensein eines Tumors
des Hirnanhanges“.
Daß man tatsächlich auf Grund dieses diagnostischen Satzes imstande ist,
Gesohwülste der Hypophysis oder, wie man auf Grund neuerer Forschung
(Ebdheemr, Bartels) wohl meist richtiger sagt, Geschwülste der Hypophysis¬
gegend diagnostizieren kann, zeigte bald die Arbeit von A. Berger, der im
Nervenambulatorium der I. med. Klinik (F.-H.) einen ähnlichen Patienten beobach-
i tete, der dann in der Klinik von Nothnagel starb. Es handelte sich um einen
16jährigen Lehrling, der folgende Symptome aufgewiesen hatte: Kopfschmerz,
Erbrechen, Schlafsucht, schwere Sehstörangen wechselnden Charakters (bis zur
völligen Amaurose). Auf hören des Längenwachstums, Persistieren des infantilen
Habitus; Genitale sehr klein, infantil, völliges Fehlen der Scham- und Achsel¬
haare. Opticusatrophie. Mächtige Entwicklung des Körperfettes. Die klinische
Diagnose lautete: Tumor der Hypopbysis bzw. der Hypophysisgegend mit
Schädigung der Hypophysenfunktion. Die Autopsie ergab: Plattenepithelial¬
karzinom der Hypophysengegend. Die histologische Untersuchung (Dr. Erdheim)
ergab eiue Plattenepithelialgeschwulst des Infundibnlam. Eine ganze Reihe von
Mitteilungen folgte nun, welche die Beobachtung Fröhlich’s stützten und auch
erweiterten (Goetzl-Erdheim, Zack, A. Fuchs, Madelung, Jolasse, Bartels,
Schuster, Uhthoff u. a.).
Eine besonders wichtige Stütze erhielt die Diagnostik durch die von Oppen¬
heim inaugurierte radiologische Untersuchung der Sella tnreica. Man vergleiche
darüber noch die Studien von Erdheim (1. c.) und Schüller. 8 Während wohl
allgemein im Sinne Fröhlich’s die Bedeutung der „Dystrophia adiposo-genitalis“
(Bartels) für die Diagnose der Geschwülste der Hypophysisgegend angenommen
wurde, divergieren über die physiologische Erklärung die Ansichten noch
1 ZeiUchr. f. Angenheilk. XVI. S. 407ff.
* Nenrolog. Centralbl. 1899. 8. 203.
* Die Schädelbasis im Böntgen-Bild. Hamburger Atlanten 1905.
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Original frum
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völlig. Während einerseits der Hypophysis bzw. ihrer Zerstörnng die Entwick¬
lung der Fettwucherung und der Infantilismus zugeschrieben werden, meinen
andere (Erdheim, Bartels), daß irgend eine Stelle der Hirnbasis lädiert sei,
welche direkt oder indirekt den Fettgewebe-Stoffwechsel beeinflußt Auch äußert
der letztgenannte Autor die Ansicht, daß die Atrophie der Keimdrüse, sowie
die Verkümmerung der äußeren Genitalien, das Zurückbleiben im Wachstum
und der Habitus femininus (der schon Fröhlich aufgefallen war) höchstwahr¬
scheinlich, wie auch der Tumorkeim, als Fehler in der Anlage anzusehen sind,
und daß sie koordinierte Störungen darstellen.
Gehen wir aber nun wieder zum Hauptzwecke unserer Darstellung, zur
Therapie zurück: Für die konservative Behandlung hat auch Fröhlich einen
glücklichen Griff getan, indem er Thyreoidin innerlich gab. Tatsächlich trat
in dem Falle D. anfangs entschieden Besserung auf; einer von uns (F.-H.) hat
auch in zwei Fällen der Privatpraxis, bei denen er die Diagnose „Hypophysis¬
tumor“ stellte, ganz gute Erfolge von dem genannten Mittel gesehen — leider
waren die Effekte nur vorübergehend. Im Falle D. versagte die Therapie später
auch völlig. Da der Kopfdruck immer heftiger wurde und die Sehstörung sehr
bedeutend war, entschlossen wir uns zur Operation, die am 21. Juni 1907 von
E. ausgeführt wurde.
Morphium-Chloroformnarkose, Umschneidung der Nase und Umklappung der¬
selben nach rechts zu. Durchtrennung des Septum narium und Entfernung der
oberen Muschel; von der Mitte wird nach oben der Schnitt erweitert — Stimm¬
gabelschnitt. — Nunmehr wird der Sinus frontalis bloßgelegt und seine Vorderwand
entfernt. Da nunmehr die Blutung eine starke wurde, wird die weitere Operation
bei hängendem Kopfe ausgeführt und vollendet. Eine besondere Erleichterung
dabei gewährt die ZEiss’sche Lampe.
Stück weises Wegnehmen des Vomer bis an seinen Ursprung, bis das Ende
der vorderen Wand der Keilbeinhöhle bloßgelegt ist. Durch Vergleich mit dem
Böntgen-Bild kann man sich sicher darüber orientieren, daß man sich tatsächlich
an dieser Stelle befindet. Vorsichtiges Wegnehmen einer dünnen Knochenlamelle,
worauf eine weißliche Membran sichtbar wird, die mit Wahrscheinlichkeit —
besonders nach Vergleich mit der Entfernung am Böntgen-Bild — als der Hypo¬
physengegend angehörig, aufzufassen ist. Es ist keinerlei Pulsation merkbar.
Vorsichtige Eröffnung in der Medianlinie, worauf sich eine braunrötliche Flüssig¬
keit (altes Blut) entleert; beim Eingehen mit dem Löffel findet man einen relativ
großen Hohlraum, nun ist auch deutliche Pulsation der Bänder des Defektes
nachweisbar; es wird mittels Scheere und Pinzette soviel von der Umgebung
dieses Schnittrandes weggenommen, als dies ohne Verletzung des Chiasm&s aus¬
führbar erscheint. Tamponade mit Isoformdochten, welche zum Nasenloch
herausgeführt werden. Ein zweiter Streifen wird in die Stirnhöhle, ein dritter
in die Nase lose eingelegt.
Die Untersuchung des kleinen, aus der Cystenwand exzidierten Stückes (es
gingen mehrere Stückchen verloren), die von Herrn Dozenten Dr. Stöbck durch¬
geführt werde, ergab, daß die Sackwand aus derbem faserigen Gewebe bestand,
welches der nicht wesentlich veränderten Dura entsprach, die Fasern selbst waren
aber durch einen Tumor, der ein vorwiegend infiltrierendes Wachstum zeigte, aus¬
einandergedrängt; die Tumorzellen zeigen einen vorwiegend epithelialen Charakter.
Wahrscheinlich handelt es sich um ein Karzinom der Hypophyse, und zwar um
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das adenomatöse Vorstadium desselben; es lädt sich aber nicht sagen, ob es sich
um eine primäre oder metastatische Geschwulst gehandelt hat.
Im Verlaufe der ersten Woche war abendliche Temperatursteigerung und
Entleerung von übelriechendem, schleimigem Sekret aus der Nase. Gerade mit
Rücksicht darauf, wurde der Tampon erst möglichst spät entfernt, worauf erst
die starke Verunstaltung, welche durch die Entfernung der vorderen Wand der
Stirnhöhle erzeugt war, deutlich hervortritt. Vollkommenes Erlöschen des Ge¬
ruchssinnes des Patienten; sonst keine weiteren Ausfallserscheinungen bemerkbar.
Subjektive Besserung des Sehens.
Dem freundlichen Entgegenkommen des Kaiserl. Rates Dr. Fbiedmann in
Vöslau - Gainfarn verdankte Patient, daß er zwei Monate in seiner Anstalt
unter den besten äußeren Bedingungen zubringen konnte. Die Behandlung
daselbst bestand vorwiegend in einer Mastkur, ferner Elektro- und Hydro¬
therapie. Nur hier und da trat etwas Kopfdruck und Erbrechen ein. Seit Ende
August will sich aber Patient ganz besonders wohl fühlen; er hat trotz reich¬
licher Ernährung seit Juli um 2 Kilo abgenommen.
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Die am 7. September 1907 vorgenommene äußere Untersuchung ergab tat¬
sächlich eine merkliche Besserung des Visus bis auf 2 /„> die temporale Gesichts¬
hälfte erschien sehr erweitert (s. Perimeterbefund). Patient, der vor der Operation
nur Finger zählen konnte, war allein imstande, von Vöslau nach Wien zu fahren,
dabei mehrere Male umzusteigen.
Nun noch einige Worte über die technische Seite der Frage:
Von Zugängen zur Hypophyse gibt es zwei: die intrakranielle und extra-
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kranielle. Die erstere etwa iu der Art and Weise, wie F. Kbause den Trige¬
minus exstirpiert, von der Seite oder von vorne her. Hobslet soll in einer
Reihe von Fällen von vorneher mit Abhebung des Stimhirns nach oben gute
Erfolge erzielt haben; auch F. Kbause berichtet Aber ein ähnliches Vorgehen.
In jüngster Zeit ist von Schloffeb 1 die Frage Gegenstand eines besonderen
experimentellen Studiums an Leichen geworden. Er hat außerdem mit Erfolg einen
Fall von Adenom der Hypophyse in der Weise operiert, 3 daß er die Nase auf¬
geklappt und einen großen Teil des Tumors entfernt hat Wenn der Patient auch
2*/ 2 Monate später starb, 9 so hat der Fall doch den Beweis dafür geliefert, daß
die Operation ausführbar ist, indem die Wunde an der Schädelbasis mit einer
soliden Narbe ausgeheilt ist Schloffeb macht mit Recht auf die große Be¬
deutung des Röntgen-Bildes, auf die Notwendigkeit einer guten Beleuchtung,
sowie auf den Zugang von der Nase her aufmerksam.
Es ermutigt also dieser Fall durchaus diesen Weg auch weiterhin zu be¬
treten. Kürzlich hat Moscovicz 4 in Wien gemeinsam mit Professor Takdlek
am anatomischen Institut E. Zückebkandlb Operationen an der Leiche aus¬
geführt, um die Hypophysis zu entfernen. Sein Verfahren lehnt sich im wesent¬
lichen an das von Sohlovfeb an, er betont besonders den Wert der auch von
Schloffeb vorgeschlagenen Resektion der Vorderwand der Stirnhöhle. Ein
wesentlicher Unterschied seiner Methode besteht darin, daß er vorschlägt, die
Operation zweizeitig zu machen: beim ersten Akt einen langen zungenförmigen
Hautlappen aus der Stimhaut hineinschlagen, um den zweiten Akt, die Entfernung
der Hypophyse, aseptisch zu gestalten.
In unserem Falle hatte sich die Aufklappung der Nase, ebenso wie im
Falle Schloffeb’s, gut bewährt Ich glaube, daß die Anlegung des Schnittes
bzw. Erweiterung zu einem Stimmgabelschnitt durchaus zweckmäßig ist, auch
die Wegnahme der vorderen Stimhöhlenwand war leicht ausführbar und hat
den Einblick in die Tiefe erleichtert: ob dieselbe wirklich absolut nötig ist,
wird sich in Zukunft erst erweisen. Die Beleuchtung mit Hilfe des ZEiss’schen
Apparates ist eine so vollkommene, daß ich mir wohl denken kann, daß auch
ohne Wegnahme der vorderen Stirnhöhlenwand der Eingriff ausführbar wäre.
Das Zerlegen der Operation in zwei Zeiten möchte ich nur als Notbehelf
empfehlen, wenn man dazu gezwungen ist; im übrigen aber beweist der Verlauf
des Falles Schloffeb und des unsrigen, daß die Gefahr der Meningitis nicht
so imminent ist. Zudem soheint mir, daß die Übersichtlichkeit und Orientierung
durch die zweizeitige Operation leiden dürfte.
Sehr gut hat sich in meinem Falle die wiederholte Betrachtung des neben
dem Operationstische aufgestellten Röntgen-Bildes bewährt Ganz besonders sei
auf den Wert der Operation bei hängendem Kopf hingewiesen. Es war
dabei auch der Kopf bequem zu verstellen, um so den Einfall des Lichtes bald
1 Beitr. z. klin. Chirurgie. Bd. L. 1906. Heft 3. S. 767.
* Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 62.
* Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 1076.
* Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 792.
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schräger, bald steiler zu gestalten. Die Tamponade der Wundhöhle mit
Isoformdochten und das lange Liegenlassen des Tampons sei noch besonders
hervorgehoben. Je stärker die Sekretion war, desto länger ließ man den Tampon
liegen, um denselben erst dann zu entfernen, als vorauszusetzen war, daß schon
eine Granulationsschicht die Wundhöhle vor einer Infektion von der Nasenhöhle
her schützen würde. Erst am 10. Tage wurde der Docht vollkommen entfernt,
and ich möchte bei dieser Gelegenheit wiederum darauf hinweisen, wie leicht
and schonend dies gelang, dadurch daß an jedem Faden für sich gezogen
wurde. Das schonende Entfernen hat in diesem Falle eine ganz besondere Be¬
deutung. Auffallend war die nach Entfernung aller Streifen zurückgebliebene
Verunstaltung durch starkes Eingezogensein der Glabella; dieselbe kommt jedoch
gegenüber der Schwere des Leidens nicht in Betracht.
Schließlich sei noch erwähnt, daß die Böntgen-Bilder, welche nach der
Operation aufgenommen wurden, gegenüber den vor derselben angefertigten,
keinen Unterschied aufweisen.
Rückblickend können wir in unserem Falle von einer erheblichen Besse¬
rang (Rückgang des Kopfschmerzes, der rechtsseitigen Sehstörung, Körper¬
gewichtsabnahme) sprechen. Allerdings macht es der histologische Befund
zweifelhaft, ob die Besserung eine dauernde bleiben wird. Es wird weiterer
Beobachtungen bedürfen, um zu zeigen, inwieweit sich die Operationsmethode
bewähren wird.
Anmerkung bei der Korrektur (21./X. 1907): Patient fühlt sich an¬
dauernd wohl, der Visus hat sich weiter gebessert (Vxo)* Gesichtsfeld fast
normal. Das Gewicht, das vorübergehend zugenommen hatte, sinkt wieder.
[Aas der I. medizin. Abteilung des städtischen Krankenhauses Friedrichshain in Berlin.]
2. Akute multiple Sklerose oder disseminierte Myelitis?
Von E. Stadelm&nn and M. Lewandowsky.
J. 8., 26 Jahre alt, Dienstmädchen.
Keine nervöse Belastung.
Patientin selbst bisher stets gesund. Infectio und Potus 0.
Am 12. August 1906 plötzlich Schmerzen im ganzen Kopf, die sich später
auf die linke Seite beschränkten. In den nächsten Tagen Gefühl beim Gehen,
als wenn sie in eine Vertiefung trete. Gleich zu Beginn auch Doppeltsehen,
merkte selbst, daß ihre eine Pupille weiter sei als die andere. Gefühl, als wenn
ihr alles zu eng sei und ihr ein Gürtel umgeschnallt wäre.
Diese Beschwerden erstreckten sich auf einen Zeitraum von etwa 4 Wochen.
In dieser Zeit wurde auch das Sehen schlecht, so daß sie nur ganz undeutlich noch
sehen konnte. Konnte auch schließlich nicht mehr gehen.
Aufnahme ins Krankenhaus am 15./IX. 1906. Leidlicher Ernährungszustand.
Außer von seiten deB Nervensystems nichts Bemerkenswertes. Kein Fieber.
Nervensystem: Neuritis optica beiderseits, keine Niveaudifferenz. Links
sehr deutliche Ptosis. Pupillen weit, die linke weiter als die rechte. Die linke
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ist lichtstarr, die rechte reagiert noch wenig. Sehvermögen sehr gering. Finger*
zählen unmöglich.
Doppelseitige spastische Parese der unteren Extremitäten. Babinski beider¬
seits. Fußklonus links noch stärker als rechts. Aktive Beweglichkeit fast auf¬
gehoben.
. Kraft der oberen Extremitäten herabgesetzt, links noch geringer als rechts.
Sensibilität von der S. Rippe an abwärts für alle Qualitäten stark herab¬
gesetzt, nach den Füßen zunehmende Störung. Bauchdeckenreflexe fehlen.
Unvollständige Blasen- und Mastdarmlähmung.
Cerebrospinaldruck 26 1 / 2 cm. Im Punktat ausgesprochene Vermehrung der
zeitigen Elemente.
Sensorium frei.
24./IX. Zunahme der Ptosis. ' Zunahme der Parese in den oberen Extremi¬
täten. Leichte Somnolenz.
2./X. Die Papille zeigt rechts und links schon deutliche Atrophie, daneben
noch Neuritis optica. Patientin kann fast nichts mehr sehen.
Die PtOBis links besteht weiter. Beim Blick nach links deutlicher Nystagmus.
Rechts hat sich eine Facialisparese mäßigen Grades von peripherem Typus
ausgebildet.
Die Schwäche der oberen Extremitäten hat zugenommen, dabei mäßige Ataxie,
kein Intentionstremor. Parästhesien in beiden Armen und Händen.
9. /X. Deutliche Progression. Rechter Arm kann fast gar nicht mehr bewegt
werden. Charakter der Parese in den unteren Extremitäten wie früher. Zunahme
der Sensibilitätsstörungen. Zunahme der Somnolenz. Decubitus. Retentio urinae
et alvi. Cystitis. Gestern zum erstenmal Temperatur über 37 (37,6), heute 37,9.
Puls 104 bis 112.
10. /X. Rechts hinten unten Schallabschwächung mit kleinblasigem Rasseln.
Temperatur 38,3. Puls 120 bis 128. Patientin verfällt.
12./X. Exitus.
Obduktion am 13./X. 1907 (Prosektor Dr. Pick) ergab, abgesehen von dem
Befund der inneren Organe (Pleuritis adhäsiva, Bronchopneumonie, Tracheitis et
Bronchitis, Cystitis), in bezug auf das Nervensystem: Dura spinalis ziemlich ge¬
spannt, Injektion der arachnoidealen Gefäße, insbesondere die Venen des unteren
Abschnittes sehr gefüllt. Der Subarachnoidealraum ist leer. Nervenwurzeln frei.
Auf Querschnitten durch das Rückenmark erscheint im Lumbalmark das linke
Vorderhorn verbreitert und größer. Ein Quetschpräparat an dieser Stelle zeigt
massenhaft Fettkörnchenkugeln. Degeneratio inflammatoria medullae
spinal iS. Die Sektion des Gehirns bietet makroskopisch keine Abweichungen.
Schnitte (10°/ 0 Formol, gefroren, Hämalaun Sudan) zeigen, daß die Ver¬
änderungen noch weit ausgedehnter sind, als dem makroskopisch Sichtbaren nach
zu vermuten. Sie betreffen (Lendenmark) den gesamten Seitenstrang links, den
lateralen Teil des Hinterstranges und die ventralen Teile des Vorderstranges.
Hier sind die Markscheiden so gut wie völlig zerstört, statt diesen sieht man
dichte Häufungen polymorpher, meist einkerniger Zellen mit gut ausgesprochenen
Kernen, die zum großen Teil Fettmassen einschließen, besonders um die Gefäße
herum.
An der Diagnose hatten wir von vornherein keinen Zweifel, die Verteilung
der Herderscheinungen machte die Annahme multipler Herde notwendig. Der
akute Verlauf und die Neuritis optica sicherten dann die Annahme, daß es sich
um einen jener Fälle handelte, welche in nicht ganz geringer Zahl als akute
multiple Sklerose oder als disseminierte Myelitis beschrieben worden sind, wobei
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ja gerade die Frage nach dem Wesen des zugrunde liegenden Prozesses noch
nicht ganz geklärt ist, und welche neuerdings durch Mabbubq 1 eine zusammen¬
fassende Bearbeitung erfahren haben.
Zur Veröffentlichung des Falles sehen wir uns abgesehen davon, daß die
Anzahl der genügend untersuchten Fälle derart akuten Verlaufes (8 Wochen)
eine reoht geringe ist, noch durch eine Besonderheit des mikroskopischen Be¬
fundes veranlaßt Die mikroskopische Untersuchung wurde von dem einen von
uns im Laboratorium der psychiatr. Universitätsklinik (Geh. Bat Prof. Ziehen)
ausgeführt.
Die Untersuchung ergab zunächst eine ganz massenhafte Herdbildung.
Weder im Bückenmark noch im Hirnstamm war ein Querschnitt zu finden, der
nicht Herde gezeigt hätte. Im Rückenmark nahmen die Herde ganz regellos
bald die Vorder-, die Hinter- oder die Seitenstränge ein. In der Medulla ob-
longata waren beide Pyramiden neben Teilen der Corpora restiformia Sitz der
pathologischen Veränderungen, weiter oralwärts die Bindearme und die Brücken¬
arme des Kleinhirns usw. Auch im Großhirn fanden sich zahlreiche Herdchen,
meist an der Grenze zwischen grauer und weißer Substanz.
Der histologische Bau der Herde war überall der gleiche und ein sehr ein¬
facher. Sie bestanden fast ausschließlich aus gliösen Elementen der
verschiedensten Form und Größe, wie insbesondere das Nissl-Präparat zweifellos
zeigte. Da alle Herde den gleichen Bau aufwiesen, waren Altersunterschiede
nicht zu erkennen, die Gliawucherung mußte vielmehr als primär angesehen
werden. Daneben bestand in den Herden eine Gefäßvermehrung und eine
Wucherung der adventitiellen Elemente. Nur ganz vereinzelt fanden sich echte
Körnchenzellen (Gitterzellen) oder an einem Gefäß einmal eine Plasmazelle, so
vereinzelt, daß man meist lange suchen mußte, ehe man eine dieser beiden Zell¬
arten auffinden konnte. Dagegen fanden sich die Gliazellen mit Fettsubstanzen
überladen. Sowohl im frischen Präparat wie nach Behandlung mit fettdarstellen¬
den Methoden (Osmium, Sudan) imponierten viele Gliazellen als Fettkörnchenzellen.
Nichts von kleinzelliger Infiltration. Es ist selbstverständlich, daß die Mark¬
scheiden im Bereich der Herde fehlten.
War so zunächst das Bild das einer multiplen Sklerose, also auch einer
akuten multiplen Sklerose, so erlebten wir eine Überraschung, als wir versuchten
die Achsencylinder darzustellen. Es zeigte sich auch bei Anwendung der Biel-
BCHOwsKT’scben Methode, daß es im Bereich der Herde nicht gelang
Achsencylinder darzustellen, so daß die BiELSCHOwsKi’schen Achsen-
cyliuderpräparate genau die gleichen völlig ungefärbten Lücken aufwiesen, als
die Markscheidenpräparate. Die beigegebene Figur zeigt die Grenze eines solchen
Herdes gegen die normale Umgebung bei Anwendung der BiELSCHOwsKv’schen
Methode.
Wenn man es nun im allgemeinen als ein Kennzeichen der multiplen
Sklerose auffaßt, daß die Achsencylinder erhalten oder wenigstens im wesent-
1 Jahrbücher für Neurologie. XXVII. 1906. S. 211.
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liehen erhalten wären, so könnte unser Fall keine multiple Sklerose sein. Ge¬
rade für die Unterscheidung der akuten multiplen Sklerose von der disseminierta
Myelitis ist die Erhaltung der Achsencylinder als differential-diagnostisches Merk¬
mal von Finkelnburg 1 noch besonders betont worden. Freilich bleibt ei»
Umstand noch zu erwähnen: es fanden sich trotz der Unmöglichkeit die Aehset-
cylinder darzustellen zwar eine diffuse, ziemlich ausgebreitete sekundäre Dege¬
neration der Markscheiden, aber keine geschlossene Strangdegeneration *ie
man sie wohl hätte erwarten können, wenn die Kontinuität der Fasern völlig
unterbrochen gewesen wäre. Es bleibt also die Möglichkeit, daß die Achsen¬
cylinder zwar erhalten gewesen sind, aber ihre Darstellbarkeit völlig verloren
hatten.
Wegen des ganz eindeutigen Zellbefundes, wegen des Mangels eines jeden
Zeichens eigentlicher Entzündung sind wir persönlich der Meinung, daß der be¬
schriebene Fall in die Gruppe der akuten multiplen Sklerose gehört, durften
uns aber jedenfalls erlauben, ihn als Material zur Entscheidung der Frage
den Beziehungen zwischen akuter multipler Sklerose und sogenannter disse-
minierter Myelitis beizusteuern.
1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX.
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3. Ist die Erkrankung
des Sehapparates für die Differentialdiagnose zwischen
multipler Sklerose und chronischer cerebrospinaler Lues
von maßgebender Bedeutung?
Ein kasuistischer Beitrag yon Dr. M. van Oordt in St. Blasien.
Man hat schon länger erkannt, daß neben objektiven Veränderungen der
Sehnen- und Hautreflexe für die Frühdiagnose der multiplen Sklerose der tem¬
poralen Abblassung der Sehnervenpapillen die allergrößte Bedeutung beizulegen
ist. Man hat dann gefunden, daß diese initiale, sklerotische Erkrankung des Seh¬
apparates häufig mit Störungen in der Funktion des Auges verbunden ist, die
sich als abnorme Ermüdbarkeit der Sehkraft, als vielgestaltige Amblyopie, durch
Ausbildung centraler Skotome, besonders aber als ganz eigenartige Defekte der
Rot- und Grünempfindung bemerkbar machen bei vielfach erhaltener Empfind¬
lichkeit für Blau und Gelb, während eine periphere Gesichtsfeldeinschränkung
selten ist.
Von mancher und gerade von ophthalmologischer Seite ist dieser optische
Symptomenkomplex allein schon als fast beweisend für das Bestehen einer
Sclerosis multiplex angesehen worden. Tritt nun gar noch das häufig schwan¬
kende Mißverhältnis zwischen der anatomischen Störung einerseits und dem etwa
vorhandenen funktionellen Defekt andererseits hinzu, so scheint nach der jetzt
nahezu allgemein gültigen Anschauung ein Zweifel an der Diagnose nicht mehr
berechtigt.
Ganz besonders nun müßten diese Veränderungen am Sehapparat zu der
Abgrenzung der disseminierten Sklerose von der chronischen Lues cerebrospinalis
dienlich sein, die auf anderen Gebieten als denen des Gesichtssinnes für längere
Zeit einen Verlauf nehmen kann, der manchen Skleroseformen ähnlich sieht Die
chronisch-luetischen Schädigungen des Sehvermögens jedoch pflegen sich in ihrer
Art und ihrem Verlauf von den sklerotischen in einigen markanten Zügen zu
unterscheiden. Sie treten außer unter der Form der Amblyopie, der Amaurose
oder verschiedenartiger Hemianopsien viel häufiger, und zwar im direkten Gegen¬
satz zur multiplen Sklerose als gleichmäßige oder ungleichmäßige periphere,
exzentrische oder fleckenförmige, häufig wechselnde Verdunklungen im Gesichts¬
felde zutage, während reine centrale Farbenskotome ohne Störungen in der
Peripherie vorübergehend Vorkommen können, jedenfalls aber ungewöhnlich sind.
Wer diese Auffassung vom differential-diagnostischen Werte der optischen
Initialsymptome sich zu eigen macht, leitet sie ab von der pathologisch¬
anatomischen Eigenart der sklerotischen und der luetischen Erkrankung und
ihrem Angriffspunkt an der Sehnbahn. Der sklerotischen Papillenatrophie
liegen mechanische Momente zugrunde, die sich meist von der Entwicklung
retrobulbärer Plaques ableiten, welche das papillo-makuläre Bündel der Opticus¬
fasern schädigen. Der luetische Prozeß hingegen, der sich an verschiedenen
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1006
Stellen der Gehirnbasis entwickelt, ruft im Beginne wenigstens diffuse neuritische
Veränderungen an den Nerven der Basis, so auch am Opticus hervor oder be¬
einträchtigt deren Funktion durch basale Exsudate. Die rasche Veränderlich¬
keit des luetischen Granulationsgewebes bedingt dabei, vor allem in der ersten
Zeit der Erkrankung, den häufigen Wechsel der Erscheinungen und das Um¬
springen der Symptome.
Demnach könnte die Differentialdiagnose, insoweit als der Sehapparat in
Betracht kommt, ziemlich gesichert erscheinen und doch mußte sich bei einem
jetzt 2 7j Jahre lang beobachteten Falle, der im folgenden zu skizzieren ist, die
Frage aufdrängen, ob das Faktum einer nur wenige Jahre zurückliegenden Lues
und der Erfolg der antiluetischen Behandlung zur Annahme berechtigen, daß
der als typisch geltende, sklerotische Initialbefund auf optischem Gebiet auch
luetischer Natur sein könne.
Der 33 Jahre alte Patient hat früher Tabakmißbrauch getrieben and vor
4 Jahren Lues akquiriert. Er machte vier Inunktionskuren durch, davon die
beiden letzteren nur aus prophylaktischen Rücksichten. Einen Monat nach der
letzten Kur traten unter Verschlechterung des Befindens mit Schwindel, Kopf-
drnck, Schlaflosigkeit, Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit eine rasche Er¬
müdbarkeit und vorübergehende Sehstörungen auf. Dann bemerkte der Kranke
eine deutliche Abnahme des Visus auf dem rechten Auge; seine Beschreibung
deutet auf ein centrales Skotom. Etwas später beobachtete der Patient selbst
Pupillendifferenz und unter fortschreitender Verschlechterung des Befindens,
Schmerzen und spannenden Sensationen in der Kreuzbeingegend, kommt eine Er¬
schwerung der Stuhl- und Urinentleerung mit Inkontinenz der Blase, sowie Nach¬
schleppen des linken Fußes hinzu. Sein Arzt 1 findet eine erhebliche Abnahme
der Sehschärfe auf dem rechten, eine mäßige auf dem linken Auge, ferner Pupillen-
differenz, Miose und fehlende Konvergenzreaktion, jedoch vollkommen erhaltene
Lichtreaktion. Rechts bestehen centrale Farbenskotome und beiderseits ist eine
temporale Abblassung der Opticuspapillen vorhanden.
Außerdem wird eine spastische Parese des linken Beines unter erheblicher
Steigerung der gesamten Reflexerregbarkeit konstatiert Es folgt dann rasche
Abnahme der Sehkraft des linken Auges, ebenfalls mit Ausbildung von centralen
Farbenskotomen.
Status: Als Patient, 3 Monate nach Beginn der Erkrankung, in meine
Behandlung kam, bestand Retentio alvi et urinae und Inkontinenz der Blase, eine
Steigerung sämtlicher Sehnenreflexe, vorwiegend links und besonders an der linken
Unterextremität, wo Reflexklonus, BABiNSö’tches und OpPENHKiM'sches Phänomen
und eine spastische Parese naobzuweisen sind. Die Parese hat vorwiegend die
Peronealmuskulatur befallen. Die Spasmen sind im Verhältnis zur Parese nicht
sehr lebhaft. Die Hautreflexe der linken Seite sind deutlich herabgesetzt und
der linke, untere Bauchreflex fehlt. An der rechten Unterextremität sind nur
leichte Spasmen ohne grobe Paresen nachzuweisen. Das OppENHBiM’sche Zeichen
findet sich auch da, aber was hervorgehoben zu werden verdient, ohne gleich¬
zeitigen BABiNSKi’echen Reflex. Man vermißt jegliche Sensibilitäts- und Koordi¬
nationsstörungen, Mitbewegungen, Tremor, Nystagmus, Skandieren; auch das Zehen¬
phänomen und Tibialisphänomen nach Strümpell fehlen.
Von Seiten der Augen lassen sich die schon vorhin skizzierten Störungen
1 Einen großen Teil des optischen Befundes bez. dessen häufige Kontrollierung ver¬
danke ich der Güte des Herrn Dr. Wessel Y-Berlin.
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nach weisen; nur die Konvergenzreaktion ist nicht mehr ganz erloschen. Die Seh¬
schärfe ist rechts S / J0 , links werden noch Finger innerhalb 4 m gezählt. Rechts
besteht ein centrales absolutes Skotom für Grün, Weiß und Rot, ein relatives
für Gelb und für Weiß, links ein centrales Rot- und Grün-Skotom. Nur im
rechten Gesichtsfelde ist die für Grün geltende Grenze etwas eingeschränkt; sonst
sind die Grenzen normal.
Obgleich der Augenbefund eine Sklerose zu begründen scheint, wird in
Rücksicht auf die vor 4 Jahren erlittene luetische Infektion eine vierwöchent¬
liche Quecksilber- und Jodbehandlung eingeleitet. Mit deren Beendigung
hat sich unter erheblicher Gewichtszunahme eine bedeutende Besserung des Be¬
findens eingestellt und die spastische Parese hat sich fast verloren, während die
Sehnenreflexe noch stark erhöht sind. Die Sehschärfe beider Augen und die
Skotome des linken Auges haben sich nur wenig verändert. Auf dem rechten
Auge ist das Gelbskotom zwar nicht mehr nachweisbar, die Perzeption für Grün
izt jedoch ganz erloschen und ein centrales Blauskotom hinzugekommen. Dieses
Blauskotom schwindet bald wieder unter Fortsetzung des Jodgebrauches und die
Sehschärfe hebt sich rechts auf 4 / 26 , links auf 4 / 35 . Auch der Patellarklonus und
die Blasen- und Mastdarmstörungen schwinden; der spostisch-paretisohe Gang ist
beseitigt, das OppBNHBiM’sche Zeichen fehlt rechte wieder.
Im Verlauf des nächsten Vierteljahres bessert sich der Nervenstatus objektiv
und subjektiv noch langsam unter zeitweisem Jodgebrauoh. Die Spasmen treten
noch mehr zurück, Babinski und Oppenheim schwinden auf der linken Seite.
Neu ist aber die Ausbildung einer hypästhetisohen radikulären Zone auf der
Thoraxhaut von etwa 10 cm Breite. Die Sehschärfe beider Augen weist mittler¬
weile gröbere Schwankungen auf, doch ist sie am Ende dieses Vierteljahres rechts
schon s / |0 bis */ a$ , links S / 1S bis ®/ a# , je naoh dem Grade der Ermüdung, welche
überhaupt die Sehprüfung schwierig gestaltet. Die centralen Skotome sind durch¬
sichtiger. Interessant ist, daß auf dem rechten Auge in dem vorher vollständig
grünblinden Gesichtsfeld sich wieder ein konzentrischer, jetzt 10° betragender
grünempfindlicher Ring gebildet hat.
Erneutes Auftreten von leichten Blasenstörungen, sowie von Parästhesien und
Schmerzen im linken Ulnarisgebiet veranlaßten dann eine zweite Inunktions- und
Jodkur. Während dieser hebt sich der Visus noch, so daß nach Beendigung der
Kur am rechten Auge durchschnittlich eine Sehschärfe von */ 16 bis 8 / 10 , am linken
Auge von # / 20 bis ®/ 16 vorliegt und Zeitungsdruck auf etwa 20 cm Entfernung
fließend gelesen wird. Auch das rechtsseitige Weißskotom ist nun fast ver¬
schwunden, während die centralen Rot- und Grünskotome beiderseits sich wenig
verändert haben. Die Blasenfunktion ist wieder eine normale. Die Sehnen- und
Hautreflexe weisen noch eine allerdings geringere Differenz zwischen beiden
Seiten auf.
Der Patient hat daraufhin 1 / 2 Jahr lang ohne neue subjektive Erscheinungen
tüohtig gearbeitet. Er stellt sich dann wieder vor mit einer Herabsetzung der
Geruchs- und GeschmackBfunktion auf beiden Seiten und einer bei differenten
Pupillen geschwächten Lichtreaktion auf dem stärker miotischen Auge. Die Seh¬
schärfe ist jedoch beiderseits etwa l / 3 . Der eher etwas verbreiterten hypästhe-
tischen Zone auf der Brusthaut hat sich eine deutliche Hyperästhesie für Kälte¬
reize in den lumbalen Segmenten am Rücken zugesellt.
Während und nach der nun folgenden dritten Inunktionskur bessern sich
wiederum das Allgemeinbefinden und die Sehschärfe; sie nimmt in der der Kur
folgenden Zeit noch etwas zu und beträgt jetzt seit 1 / 2 Jahr, 2 Jahre nach Be¬
ginn der Krankheit, rechte 1 / 2 , links 1 / 3 , während die Reste der centralen Rot*
und Grünskotome beiderseits, bei normaler Peripherie, fortbestehen, und die tem¬
porale Abblassung der Papillen vielleicht noch etwas zugenommen hat.
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Die hypästhetische Zone ist weniger ausgeprägt, die Sehnenreflexe sind noch
erhöht, die Hautreflexe herabgesetzt, aber ohne Veränderung in der Qualität.
Befinden und Leistungsfähigkeit können bei vorsichtiger Lebensweise ab normal
gelten.
Nur beiläufig erwähnt sei der negative Ausfall des cytologisehen Befundes
am Liquor cerebrospinalis nach der ersten Hg-Behandlung und ferner in .Rück¬
sicht auf die Befunde von Müllbb(I) und von Finkklnbübg (2) die häufige
Konstatierung einer normalen Kraft der Bauchmuskulatur bei der Abschwächung
bez. beim Fehlen der linken Bauchreflexe. Nochmab betont sei, daß die klassischen
Symptome der entwickelten Sklerose zu jeder Zeit fehlten.
Besonders drei Dinge verdienen an dem auch sonst lehrreichen Falle für
seine nosologische Klassifizierung in Betracht gezogen zu werden:
1. Die Entwicklung des Leidens mit den als charakteristisch angesprochenen
optischen Erscheinungen der multiplen Sklerose, während die Kombination der
anderen objektiven und subjektiven Symptome am Nervensystem und auch der
Zustand der Befleze zur differentialdiagnostischen Klärung zwischen Lues und
Sklerose nichts Entscheidendes beitragen,
2. die deutliche Beeinflussung aller oder mehrerer Erscheinungen durch
die wiederholte Quecksilbeijodbehandlung und
3. die spätere Entwickung des Leidens mehr in der Richtung einer chro¬
nischen cerebrospinalen Lues (hypästhetische radikuläre Rumpfzone, Beteiligung
anderer Gehirnnervenwurzeln, wie der Geschmaoks- und Geruchsnerven, die
Ulnarisneuralgie, einseitige Pupillenstarre usw.), während natürlich der unter
besonderen Umständen erfolgte negative Ausfall des cytologisehen Spinalbefundes
der Bedeutung entbehrt.
Bei der Wichtigkeit der Diagnose für Behandlung und Lebenshaltung
des Kranken stand der optische Symptomenkomplex zunächst im Mittelpunkt
des Interesses. Es würde zu weit führen — und ich muß es berufeneren
Beobachtern überlassen —, das Vorkommen genuiner, totaler und auch partieller
Atrophien der Opticuspapille als eine zuweilen luetische Erscheinung (3) zu
besprechen. Schon nach der rein theoretischen Stellungnahme zur Möglichkeit
dieses Vorkommens bemißt sich der differential-diagnostische Wert, den man
dem geschilderten optischen Symptomenkomplex beizulegen hätte. Umsomehr
möchte ich hier die klinische Erfahrung heranziehen, welche den vorliegenden
Fall, wenn die Anamnese nichts ätiologisch Belangreiohes zutage gefördert
hätte, wohl ohne weiteres mit Rücksicht auf den Befund am Sehapparat
als multiple Sklerose angesprochen hätte. Nachdem nun aber die Anamnese,
der Erfolg der dadurch angezeigten antiluetischen Behandlung und der Verlauf
des Leidens die Möglichkeit einer luetischen Ätiologie nähergerückt haben, ent¬
steht die Frage: Soll man die wesentlich durch den optischen Befund motivierte
Diagnose: „Sclerosis multiplex“ auf Grund des Behandlungserfolgee und des
weiteren Verlaufes des Leidens fallen lassen? Mit der Bejahung dieser Frage
würde man auf den selektiven Wert der optischen Initialsymptome der Sklerose
verzichten. Das wäre auf Grund des vorliegenden Falles zu weit gegangen, wu
man mit dem Einwand zu rechnen hat, daß die bekannten spontanen Remissionen
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der Sklerose einen Erfolg Vortäuschen und damit einen diagnostischen Irrtum
herbeiführen können and wo man die mögliche Kombination von Lues cerebro-
spinalis und multipler Sklerose zugeben muß, wenn man dem auch entgegen¬
halten könnte, daß einige wertvolle, wenn auch unregelmäßige Initialsymptome
der Sklerose, wie das Tibialis- und Zehenphänomen, fehlten.
So scheint mir im wesentlichen das Eine beachtenswert, daß trotz der
großen Bereicherung, welche die Klinik der Sclerosis multiplex durch die Er¬
kennung optischer und anderer Initialerscheinungen erfahren hat, ihr Krank¬
heitsbild doch noch nicht so scharf gezeichnet ist, daß nicht die Tatsache einer
kurze Zeit zurückliegenden Lues die therapeutischen Maßnahmen zunächst im
Sinne einer antiluetischen Kur beeinflussen dürfte. Ungeachtet eines für Sklerose
scheinbar beweisenden Augenbefundes würden dafür solche Fälle mit luetischer
Vorgeschichte in Betracht kommen, wo andere Symptome die Diagnose einer
chronischen Cerebrospinalsyphilis mit konkurrieren lassen. Allerdings ist eine
längere funktionelle und ophthalmoskopische Kontrolle des Sehapparates not¬
wendig, durch die man sich über den Erfolg der antiluetischen Behandlung
und über den Verlauf des Leidens weiter orientieren muß.
Literatur.
1. E. MCllkb, Die multiple Sklerose des Gehirns nnd Rückenmarkes. Jena 1904; s. a.
Neurolog. Centralbl. 1905. S. 593. — 2. R. Finkklnbükö, Über Bauchmuskellähmung bei
multipler Sklerose. Med. Klinik. 1906. Nr. 5. — 8. Uhthopf, Untersuchungen Aber die
bei der Syphilis des Centralnervensystems vorkommenden Angenstörungen. Archiv f. Oph¬
thalmologie. XXXIX. 1898. — H. Schmidt - Rimpleb, Die Erkrankungen des Anges im
Zusammenhang mit anderen Krankheiten. Wien 1905; s. a. die dort angegebene Literatur.
— Uhthopf, Untersuchungen Aber die bei multipler Sklerose vorkommenden Augenstörungen.
Archiv f. Psych. u. Neur. XXI. 1889.
11. Referate.
Anatomie.
1) Über die wechselseitigen Beziehungen swisohen Kopfform und Geburts-
mechanisxnus, von Dr. Arthur Müller in München. (Archiv f. Gynäkol.
LXXXII.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Jede der verschiedenen Einstellungen (Positio) des Kopfes hat, wenn sie er¬
halten bleibt und somit zur „Lage“ (Partus, Positio definitiva) wird, eine ganz
bestimmte charakteristische Kopfform (Konfiguration) zur Folge.
Die Kopfform macht den Kopf zwangsläufig, d. h. bedingt den jeder Lage
zugehörigen charakteristischen Austrittsmechanismus, welcher stets so erfolgt, daß
die jeweils kleinsten Umfänge und Durchmesser des Kopfes zum Durchschneiden
kommen. Es erfolgt also der Austritt in der jeweils für die Mutter relativ
günstigsten Weise.
Fast in jeder größeren Versammlung kann man Köpfe sehen, welche die
verschiedenen Typen der Kopfformen poBt partum, besonders auch die der Stirn¬
lage repräsentieren. Eine Feststellung, ob diese Formen der Geburt ihre Ent¬
stehung verdanken, läßt sich leider fast nie erreichen. Hier wäre nur durch Mit¬
hilfe weiter ärztlicher Kreise, welche als Hausärzte Auskunft erhalten können,
Mitteilung zu erlangen, und wäre es daher wünschenswert, weitere Kreise, speziell
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auch die Kinderärzte, dafür zu interessieren. Nach den bekannten Erfahrungen
verschwindet die Konfiguration im wesentlichen schon nach 5 bis 6 Tagen. Asym¬
metrie und Schiefstand des HirnschädelB hat Verf. schon 2 bis 3 Jahre lang sich
erhalten sehen und dürften geringere Grade dauernd bleiben.
Im allgemeinen ist anzunehmen, daß eine sich dauernd erhaltende Kopfform
ererbt ist, oder durch lange Zeit einwirkende intrauterine Einflüsse erworben ist.
Die neueren Versuche durch Lagerung post partum auf die Kopfform in
dolichocephalem oder brachycephalem Sinne einzuwirken, sind noch nicht auf
längere Jahre ausgedehnt, daß aber längere Einwirkung dauernden Einfluß haben
kann, beweisen die bekannten Flachkopfindianer und Peruaner.
Vor der Geburt vorhandene hochgradige Dolichocephalie und Br&chycephalie
kann je zu verschiedenen Einstellungen des Kopfes sub partu disponieren.
Die Einstellung des Kopfes bewirkt im Verlaufe der Geburt eine für jede
Lage charakteristische typische Kopfform.
Die den typischen Konfigurationen ähnelnden Kopfformen Erwachsener dürften
meist nicht als erhaltene Konfiguration, sondern als ererbt oder durch länger an¬
dauernde intra- oder extrauterine Einflüsse erworben anzusehen sein.
Physiologie.
2) The subdivision of the representation of outaneous and musoular sensi-
bility and of stereognosis in the oerebral oortax, by Charles K. Hills
and T. H. Weisenburg. (Journ. of Nerv, and Ment Disease. 1906. Oktober.)
Bef.: M. Bloch (Berlin).
Das Material der vorliegenden Arbeit soll folgenden Schlüssen der Verff. als
Grundlage dienen:
1. Die kortikale Vertretung der Haut- und Muskelsensibilität ist unabhängig
von den motorischen Centren; jene umlagert die motorische Zone und bildet ein
Mosaik von Centren; jedes von diesen, bzw. Gruppen von ihnen stehen anatomisch
und funktionell in Beziehung zu einem motorischen Centrum oder Gruppen von
solchen.
2. Jeder Muskel bzw. jede Muskelgruppe, die gesonderte kortikale Centren
besitzt, hat topographische Beziehung zu einem Hautsegment, das gleichfalls ein
bestimmtes kortikales Centrum besitzt, das anatomisch und funktionell mit dem
motorischen Centrum enge Beziehungen unterhält.
3. Auch der stereognostische Sinn hat, wie die Haut- und MuskelBensibilität
und die motorische Funktion, seinen selbständigen kortikalen Sitz, der, wie jene,
aus einer Zahl einzelner Zonen besteht.
Zur Stütze obiger Thesen werden außer kritischer Beleuchtung einer Anzahl
von Fällen aus der Literatur vier eigene Beobachtungen, davon eine mit Sektions¬
befund, mitgeteilt, die die Verteilung von Sensibilitätsstörungen der verschiedenen
Qualitäten an den Extremitäten und besonders das Befallensein einzelner Teile
und Segmente derselben von ihnen, das Freibleiben anderer illustrieren. Eine aus¬
führliche Mitteilung der einzelnen Fälle würde den Rahmen eineB Referates über¬
schreiten, es sei aber ausdrücklich auf das Studium des Originals verwiesen.
3) Ein Nachweis von Intrakraniell verlaufenden, gefäßerweiternden und
gef&ßverengernden Nerven für das Gehirn, von Ernst Weber in Berlin.
(Centralbl. f. Physiol. XXI. 1907. Nr. 8.) Ref.: Kurt Mendel.
Aus den des näheren im Original nachzulesenden Versuchen des Verf.’s ergab
sich folgendes:
1. Nach Durchsohneidung des Rückenmarkes oberhalb des Abganges der
Vasomotoren (2. Brustwirbel) tritt bei elektrischer Reizung des centralen Teiles
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des Rückenmarkes oder der Medulla oblongata immer eine Volum Vermehrung des
Gehirns ein ohne Änderung des allgemeinen Blutdruckes oder der Pulsfolge.
2. Die Volumänderung des Gehirns bei Reizung der centralen Enden der
HalsBjmpathici, deren Durchschneidung erfolglos war, ist in ihrer Tendenz variabel,
dauerhafter scheint die Wirkung des Eintretens der Volumzunahme des Gehirns
zu sein.
3. Die Wirkung der Sympathicusreizung auf das Hirnvolumen ist auch vor«
banden nach Ausschaltung der eigentlichen sympathischen Fasern durch Nikotini-
sierung des Ganglion supremum und auch noch nach vollständiger Zerstörung der
Medulla oblongata, dagegen fällt sie weg nach Exstirpation des gleichseitigen
Ganglion jugulare vagi.
4. Die Wirkung der Sympathicusreizung auf das Hirnvolumen fällt weg
nach Exstirpation des gleichseitigen Ganglion jugulare vagi.
„Alles dies bedeutet, daß es intrakraniell verlaufende gefäßverengernde und
gefäßerweiternde Nerven für das Gehirn gibt, die anscheinend von einem Hirn*
teil abhängig sind, der centralwärts von der Medulla oblongata gelegen ist, und
die über diesen Hirnteil reflektorisch sowohl vom Rückenmark als vom Kopfteile
des durchschnittenen Halssympathicus aus erregt werden können.
4) Zur Frage der Ursaohen der motorisohen Störungen bei Läsionen der
hinteren Wurzeln und des Verlaufes 4er Kollateralen im Büokenmark,
von Michael Lapinsky. (Archiv f. Psych. LII. 1907.) Ref.: G. Ilberg.
Werden die hinteren Wurzeln zwischen dem Spinalganglion und dem Rücken¬
mark durchschnitten, so können in den Zellen der Clark eschen Säulen und im
Neuron der Vorderwurzelzellen Veränderungen eintreten. Diese besahen in einem
Aufquellen der Zellen, in einer Auflösung der Nissl-Körper und in einem Zerfall
der chromatophilen Substanz des Protoplasmas, sowie in einer Konzentration der
Bruchstücke dieser Körner am Kern der Zelle. Letzterer ist aufgequollen, in
seiner Form verändert und vom Centrum der Zelle nach ihrer Peripherie gerückt.
Die bedeutendste Länge und Dichtigkeit besitzen die kollateralen Zweige der
einzelnen hinteren Wurzeln in derjenigen Etage, in der sich die betreffende hintere
Wurzel im Rückenmark in zwei Arme teilt.
5) Vergleichende Untersuchungen über den Einfluß des Sauerstoffes auf
die Reflexerregbarkeit, von Albrecht Bethe. (Aus der Festschrift für
J. Rosenthal. Leipzig 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Die Untersuchungen des Verf.'s zielen auf die Beantwortung der Frage hin,
ob die bei verändertem Gasstoffwechsel auftretende Steigerung der Reflexerregbar¬
keit . in Sauerstoffmangel oder Kohlensäureanreicherung, die Herabsetzung der
Erregbarkeit in Sauerstoffreichtum oder Kohlensäureverminderuug - ihren Grund
haben. Auf Grund einer Reihe zweckmäßig angeordneter Experimente kommt er
zu dem Schluß, daß bei weitem die Hauptrolle dem Sauerstoff zuzuschreiben ist,
und daß die Kohlensäure als interner Reiz gar keine oder eine sehr geringe
Rolle spielt.
Die Hauptergebnisse der Arbeit werden in folgenden Sätzen zusammengefaßt:
1. Sauerstoffmangel ruft bei allen untersuchten Tierarten eine Steigerung der
Erregbarkeit hervor; an diese schließt sich erst später ein Sinken der Erregbar¬
keit an. Je größer das Sauerstoffbedürfnis eines Tieres ist, desto schneller und
deutlicher äußert sich diese Steigerung.
2. Die bei Warmblütern zu beobachtenden Verblutungs- und Erstickungs¬
krämpfe beruhen nicht auf Kohlensäureretention, sondern auf Sauerstoffmangel, da
sie am isolierten Rückenmark nicht bei der Atmung kohlensäurehaltigen Sauer¬
stoffes, wohl aber bei Wasserstoffatmung auftreten. Auch bei Kaltblütern treten
Erstickungskrämpfe bei Sauerstoffentziehung ein, wenn der Sauerstoffverbrauch
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durch Wärme gesteigert ist. Der Ausbruch der Erstickuugskrämpfe fällt mit dem
Maximum der Erregbarkeitssteigeruug zusammen.
3. Die Wirkung der Sauerstoffentziehung addiert sich beim Frosch zur
Wirkung ganz schwacher Strychninvergiftungen, so daß Tetani zustande kommen,
wo jede Schädigung allein keinen Tetanus hervorruft.
4. Eohlensäureretention ruft im allgemeinen nur eine Depression der Erreg¬
barkeit hervor. Die Erregbarkeitssteigerung durch Kohlensäure bei der Atmung
der Säugetiere und Vögel ist ein Spezialfall.
5. Sauerstoffliberschuß im Gewebe setzt die Erregbarkeit gegen die Norm
herab und macht alle Reaktionen träger, indem, wie mir scheint, die Wider¬
stände im Centralnervensystem verstärkt werden. Am deutlichsten zeigt sich dies
Verhalten beim Fisch, Krebs und Blutegel. Beim Frosch ist die Sauerst offwirkung
sehr gering. Beim Hund und Kaninchen hat Freusberg eine derartige Wirkung
deutlich nachweisen können. Beim* Säugetier und Frosch ist von vornherein keine
starke Wirkung gesteigerter Sauerstoffzuführung zu erwarten, da das Central -
nervensystem unter normalen Verhältnissen nahezu sauerstoffgeBättigt ist. Sehr
wirkungsvoll erweist sich dagegen die künstliche Zuführung von Sauerstoff bei
den Tieren, hei denen im ganzen Körper und auch im CentralnervenBystem unter
gewöhnlichen Verhältnissen Sauerstoffunterbilanz herrscht.
Psychologie.
6) Über Kontrastträume und spesiell sexuelle Kontrastträume, von Näcke.
(Archiv f. Kriminalanthrop. etc. XXVIII. 1907. 19 S.) Autoreferat.
Nachdem Verf. allgemeines über Träume gesagt hat, namentlich den charaktero-
logischen Wert derselben bei Aufnahme von Serien und auch ihre Wichtigkeit bez.
der Vita sexualis betont hat, definiert er Kontrastträume als solche, „die in schreiendem
Kontrast zum gewöhnlichen Charakter stehen, also nicht solche, die dem gewöhnlich
niedriger eingestellten Moralniveau entsprechen“. Man hat sie bisher wenig beachtet
und Verf. sucht sie psychologisch zu erklären. Für gewöhnlich wird man zu unter¬
scheiden haben, „ob man annehmen soll, daß vorwiegend nur das „primäre Ich“
gereizt oder aber auch gleichzeitig das „sekundäre“ geschwächt wurde“. Ver¬
schiedene Ursachen lassen sich denken. Meist Bind es abnorme, und zwar große
geistige oder körperliche Anstrengungen am Tage vorher, oder starke Affekte
oder Erschütterungen. Andererseits gewisse Gifte, besonders Alkohol, Äther,
Morphium, Absinth ubw., die wieder vorwiegend, aber kaum wohl allein, auf die
Grundtriebe einwirken und sie erregen. Ob man dann hier von Atavismus reden
kann, ist fraglich. Nun gibt es aber auch sexuelle Kontrastträume. Das sind
solche, „die der gewöhnlichen Geschlechtsempfindung des Träumenden entgegen¬
gesetzt sind“; z. B. wenn ein durchaus Heterosexueller einmal homosexuell träumt usw.
Beispiele. Hirschfeld hat nur einige Male heterosexuelle Träume bei Homo¬
sexuellen gesehen. Die Erklärung ist schwierig, die Hypothese von Ellis, daß
Assoziationsbilder einen homosexuellen Traum bei normal Fühlenden erzeugen
können, wäre erst noch zu beweisen. Verf. glaubt nicht daran. Er führt sie
vielmehr auf zeitweiligen Durchbruch der latenten homosexuellen Komponente
zurück, da die Anlage der Menschen jedenfalls eine bisexuelle ist.
Pathologische Anatomie.
7) Bulle alterasioni della sostanza retloolo-flbrillare delle oellule nervöse
in alcuni malattie mentall, per C. Agostini e U. Rossi. (Giä Santucci
1906, Perugia.) Ref.: Hübner (Bonn).
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Es wurden mit den Methoden von Ramon y Cajal und Donaggio Stücke
aus den Stirn*, Schläfen*, Scheitel* and Hinterhauptslappen untersucht.
Es handelte sich um Fälle von chronischem Alkoholismus, Epilepsie, Dementia
senilis, Pellagra, Angstmelancholie, Katatonie und progressiver Paralyse.
Der Arbeit sind 8 Tafeln mit 46 Photographien beigegeben.
Pathologie des Nervensystems.
8) Über einen Fall von Hypophysensarkom beim Pferde, von M. Wolff.
(Inaug.-Dissert. Gießen. Berlin 1906, Schuhmacher.) Ref.: Dexler (Prag).
Verf. ist es gelungen einen der bei den Tieren so überaus seltenen Tumoren
der Hypophyse zu beobachten. Es handelte sich um ein Pferd, das Verf. seit
4 Jahren kannte. Es hatte dummkollerartige Erscheinungen gezeigt, die langsam
Zunahmen, allmählich eine völlige Entwertung des Tieres herbeiführten, und die
sich bei genauerer Analyse in eine ganze Reihe von Einzelsymptomen besonderer
Art auf lösen ließen. Es bestand Schlafsucht, durch die ohne Zweifel beim Pferde
auch der Kopfschmerz znm Ausdrucke gebracht wird. Bis nahe gegen das Lebens¬
ende war die Somnolenz von keiner sonstigen Bewußtseinsstörung begleitet. Trotz
der anscheinend sehr großen Schläfrigkeit reagierte das Tier auf äußere Reize
prompt und in normalem Grade. Daneben wurde konstatiert: cerebrales Er¬
brechen, Stauungspapille, Verminderung der Puls* und Atemfrequenz und in den
letzten Lebenswochen einseitige Ptosis. Erst später kam es auch zu einer stetig
zunehmenden Herabsetzung des Bewußtseins, der im vorgerückten Stadium auch
eine Beeinträchtigung der Intelligenz folgte.
Das Pferd starb spontan und die Sektion deckte ein großes Rundzellensarkom
auf, das von der Hypophyse ausging und vom Pons bis zum Chiasma reichte und
sowohl in das Keilbein wie auch in den linken Seitenventrikel hineingewuchert
war. Hydrocephalus internus unilateralis höheren Grades.
Durch den Umstand, daß Verf. keine einzige der modernen für das Nerven¬
system spezifischen Tinktionen angewendet hat, blieb die Ausbeute des schönen
Falles naturgemäß nur eine unvollständige.
9) Effettl delle iuiezioni del suooo d’ipoflsi sull* aooresoimento somatioo
(zwei Mitteilungen), per Ugo Cerletti. (Rendiconti della R. acad. dei lincei
Roma 1906.) Ref.: Hübner (Bonn).
Verf. steht auf dem Standpunkt, daß die Akromegalie infolge von Hyper*
funktion der Hypophyse entstehe (Tamburini). Zur Prüfung dieser Hypothese
hat er eine Reihe von Tierversuchen angestellt.
Es wurden Gruppen von mehreren gleichschweren Tieren (Kaninchen, Hunden
usw.) in einem Käfig zusammen untergebracht und in gleicher Weise ernährt, so
daß die äußeren Lebensbedingungen bei jeder Gruppe die gleichen waren.
Den zu injizierenden Extrakt ließ Verf. aus den Hypophysen junger Lämmer
herstellen (Genaueres ist im Original nachzulesen). Die Injektion der Flüssigkeit
erfolgte intraperitoneal, da subkutane Einspritzungen nicht resorbiert wurden oder
weil es dabei zur Abszeßbildung kam.
An einer Reihe von Diagrammen, sowie an anatomischen Präparaten, die er
photographiert hat, glaubt Verf. den Erfolg der Injektionen zeigen zu können.
Das Körpergewicht der Versuchstiere nahm sehr bald ab, bis es einen be*
stimmten Punkt erreicht hatte. Parallel damit ging eine Verkürzung der Röhren¬
knochen. An den Epiphysen dagegen stellte sich eine Verdiokung ein.
Die Untersuchungen der übrigen Organe haben keine positiven Befunde er¬
geben. Nur in den Hypophysen glaubt Verf. eine Vermehrung der eosinophilen
Zellen gesehen zu haben.
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10) Sur un oas de gigantisme pröoooe aveo polysaroie exoeraive, par
Parbon et Zalplacta. (Nouv. Iconogr. de la SalpetriÄre. 1907. Nr. 1.)
Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Ein Knabe von 16 Jahren, dessen Hutter sehr fett war und dessen Onkel
mütterlicherseits einen Typ des akromegalen Riesenwuchses darbot. Bei dem
Kranken sollen die Erscheinungen gegen Ende des 4. Jahres aufgetreten sein, in
welchem Jahre er erst laufen lernte. Der Kranke ist 1,75 m groß, keine Pro-
gnation oder sonst kein Zeichen von Riesenwuchs. Der Rumpf ist sehr fettreich,
die Mammae hängen nach unten. Der Bauch ist ebenfalls sehr fett, die Linea
alba weist eine Menge feiner, dünner Haare auf. Eine Prüfung der Genitalien
läßt er nicht zu, er errötet, wenn man ihn darnach fragt. Die Extremitäten sind
sehr groß, aber vollkommen normal entwickelt. Gewicht 246 kg, keine auffallen¬
den psychischen Störungen.
Verf. meint, daß die Polysarcie und der frühzeitige Riesenwuchs durch
Störungen der Hypophysis zustande gekommen seien. Er belegt diese Anschauung
durch zahlreiche Beispiele aus der Literatur.
11) Sexual infantilism with optie atrophy in oases of tumor affecting the
hypophysis oerebri, by Harvey Cushing. (Journ. of Nerv, and Ment Dis.
1906. November.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
I. 16jähriges Mädchen leidet seit Jahren an Kopfschmerzen, die in letzter
Zeit an Intensität zugenommen haben und von Übelkeit und Erbrechen begleitet
waren. Patientin ist von infantilem Habitus, hat nie menstruiert Seit einem
Monat Sehschwäcbe. Die Haut ist wachsartig, Hände und Füße leicht ödematös.
Blutbefund negativ, Harn frei. 2 Monate nach der Aufnahme wird doppelseitige
Stauungspapille konstatiert, die Sebstörung nimmt progressiv zu, das Bewußtsein
ist zeitweilig getrübt. Keine Hemianopsie, Gesichtsfeld beiderseits konzentrisch
verengt. Patientin wird mehreren (3) palliativen Trepanationen unterzogen, bei
denen eine Herderkrankung nicht nachgewiesen werden kann, jedesmal aber er¬
heblich gesteigerter Hirndruck konstatiert wird. Nach der zweiten Trepanation
erhebliche subjektive Besserung. Nach der dritten Spasmen in allen Extremitäten,
Bewußtlosigkeit, die 6 Wochen andauert. Tod an Inonition und Sahluckpneumonie.
Bei der Autopsie fand sich ein Teratom von Wallnußgröße zwischen den Hirn-
Schenkeln und der Sehnervenkommissur, intradural gelegen.
Verf. nimmt an, daß es sich um einen sehr langsam wachsenden kongenitalen
Tumor gehandelt hat, der Jahre hindurch keine anderen Symptome als gelegent¬
lich auftretende Kopfschmerzen und durch Druck auf die Hypophysis Störungen
der sexuellen Entwicklung gezeitigt hat; die schließlich aufgetretenen schweren
Erscheinungen waren hauptsächlich auf Rechnung des Hydrocephalus internus zu
setzen.
II. 26jährige Patientin, die nur einmal in ihrem 14. Lebensjahre eine
menstruelle Blutung gehabt hat, leidet seit dem 16. Jahre an Kopfschmerzen, die
in den letzten Jahren fast konstant und heftiger aufgetreten sind und in der
letzten Zeit besonders die rechte Kopfseite befallen. Seit 4 Jahren Amaurose
links, in der letzten Zeit Abnahme des Sehvermögens auf dem rechten Auge.
Seit 3 Jahren hin und wieder Schwindel&nfälle mit visuellen Halluzinationen.
Objektiv beiderseits Opticusatrophie, links weiter vorgeschritten; rechts erhebliche
Einschränkung des Gesichtsfeldes, Hypiisthesie im ganzen rechten Trigeminus,
Geruchsvermögen r. < 1. Eine im März 1906 vorgenommene doppelseitige Kraniek-
tomie war von wesentlicher Besserung gefolgt, die Kopfschmerzen nahmen wesent¬
lich ab, das Sehvermögen besserte sich, die Trigeminussymptome schwanden. Die
Besserung war noch ein Jahr nach der Operation zu konstatieren; subjektiv war
das Befinden der Patienten wesentlich besser, die Kopfschmerzen waren fast völlig
geschwunden, das Gesichtsfeld hatte sich erheblich erweitert (auch für Farben).
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Alle 4 Woehen treten jetzt eigentümliche, etwa 4 bis 5 Tage anhaltende Sensa*
tionen auf, Wallungen mit Sehstörungen, Sehmerzen in der Gegend der Ovarien,
allgemeines Unbehagen. Eine Röntgen-Untersuchung ergab einen Schatten an der
Schädelbasis in der Gegend der Sella turcica. Verf. nimmt an, daß es sich um
einen dem Fall I ähnlichen Prozeß handelt.
12) Wachstumsanomalien bei der temporalen Hemianopsie, bsw. den
Hypophysisaffektionen, von Uhthoff. (Vortrag auf der 34. Versammlung
der ophthalmolog. Gesellschaft zu Heidelberg, August 1907.) Ref. nach der
Deutschen med. Wochenschr. 1907. Nr. 38 von Kurt Hendel.
Vortr. berichtet über drei Patienten mit Hypophysistumoren, enormer Adi¬
positas universalis, verkümmerten Genitalien (letzteres nicht Ursache der Adipositas,
da die Fettsucht schon weit in die Kindheit zurückreicht). In zweien dieser Fälle
Gigantismus, in einem Infantilismus. Ursache dieser differenten trophischen Störungen
kann das Vorhandensein einer Hyper-, bzw. einer Hypofunktion der Hypophysis
in den verschiedenen Fällen sein.
18) Übor Akromegalie, von Prof. Westphal. (Deutsche med. Wochenschrift.
1907. Nr. 22.) Ref.: R. Pfeiffer.
In der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn
demonstrierte Vortr. einen Patienten mit Akromegalie. Doppelseitige Stauungs¬
papille, Krampfanfälle und Apathie lassen mit größter Wahrscheinlichkeit die
Diagnose Tumor cerebri stellen. Vielleicht sitzt der Tumor an der Hypophysis,
da anscheinend (?) bitemporale Hemianopsie besteht. Das Röntgen-Bild zeigt
keine Vertiefung und Ausbuchtung der Sella turcica.
14) Über eine Kombination von Akromegalie und Myxödem, von Auer¬
bach. (Wiener klin. Rundschau. 1907. S. 85.) Ref.: Pilcz (Wien).
16 x / a jähriger Bursche, seit dem 10. Jahre häufig Stirnkopfschmerzen (ohne
Erbrechen); Pat. nahm seither auffallend zu, ward apathischer, schwerfälliger, der
Intellekt nahm ab. Seit einigen Monaten habe sich der Kranke öfters verbrannt
oder geschnitten, ohne dabei Schmerz empfunden zu haben.
Status praes. vom 27./VIL 1905: Körpergewicht 116kg(!), Größe 170 cm
(16V a J & hre!). Unterkiefer deutlich stärker entwickelt. Haut im Gesichte und
am Rumpfe trocken, an den Händen, Füßen, in den Achselhöhlen und Leisten¬
gegend schwitzt Pat. stark. Haut und subkutanes Gewebe im allgemeinen derber
anzufühlen, am Halse, Über den Vorderarmen und Händen in Falten abhebbar
und dünner und weicher. Hirnnerven bieten nichts besonderes. Schilddrüse nicht
palpabel. Hände und Füße sehr groß und fleischig, „verbreiterte, massive
akromegalische Hand“ (Sternberg). Vollständige allgemeine Analgesie (Nadel¬
stiche nur als Berührung empfunden). Kalt und warm wird deutlich unterschieden;
überhaupt Sensibilität sonst in jeder Hinsicht normal. Patellar- und Achilles¬
sehnenreflexe rechts etwas <, links normal. Puls 80. Motilität normal, nur
erfolgen die Bewegungen im allgemeinen langsam und träge. Pubes normal.
Penis und Hoden größer als dem Alter entsprechend, aber proportional dem
Körperumfange. Pat. hat noch keine Erektion und keine Pollution gehabt. Harn
befundlos. Merkliche intellektuelle Abschwächung. Thyreoidintherapie und kohlen¬
saure Thermalbäder.
4./IX. 1905. Psychisch total verändert, heiter, aufgeweckt. Gewicht 111,6 kg.
Von der Analgesie waren jetzt frei: Volaraeiten beider Hände, Gesicht, Glutäal-
gegend und Hinterfläche beider Beine. Puls 100. Röntgen-Untersuchung ergab
deutliche Vertiefung der Sella turcica, gleichmäßige Verbreiterung der Knochen
der Hände und Füße, keine Exostosen.
Mit der Thyreoidinbehandlung wurde, nachdem zunächst die Dosis verringert
worden war, 5 Wochen ganz ausgesetzt.
20./XI. 1905. Gewicht 118 kg. Pat. ist wieder schwerfälliger geworden.
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Sensibilität normal; schon vorher war unter faradischer Pinselung die Analgesie
ganz geschwunden.
Es wird wieder Thyreoidin gegeben. 22 Tage später ist Patient deutlich
munterer, hat um 0,5 kg ahgenommen.
In den epikritischen Bemerkungen erörtert Verf. zunächst das Verhalten der
Sensibilität, wobei er annimmt, daß „lediglich die cerebrale, kortikale Komponente
der Schmerzempfindung versagte“.
Was die Frage der Kombination von Akromegalie und Myxödem im vor¬
liegenden Falle anbelangt, so glaubt Verf., mit großer Wahrscheinlichkeit der
Akromegalie folgende Symptome zurechnen zu können: 1. die im Verhältnis
exorbitanten Körpermaße, 2. den radiologisohen Befund, 3. die stellenweise vor¬
handene Hyperhidrosis.
Zugunsten des gleichzeitigen Myxödems sprechen: 1. das psychische Ver¬
halten, 2. die Wirkung der Thyreoidinmedikation, durch welche andererseits die
akromegalischen Symptome in keiner Weise beeinflußt wurden, 4. das (palpatorisch-
konstatirbare) Fehlen oder wenigstens die hochgradige Atrophie der Schilddrüse.
Endlich ist die an verschiedenen Körperstellen differente Beschaffenheit der
Haut zu berücksichtigen, welche an den Oberarmen, am Bumpfe und an den
Beinen myxödemartig ist.
15) A oase of epilepsy assooiated with aoromegaly, by William T. Sha-
nahan. (Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1907. Mai.) Bef.: M. Bloch.
Mitteilung eines Falles von Akromegalie bei einer 31jährigen Frau; die Akro¬
megalie war im Alter von 22, die Epilepsie im 26. Lebensjahre aufgetreten.
Augensymptome bestanden nicht.
16) Aoromegalie sann gigantisme, par Henri Claude. (L’Encöphale. 1907.
März.) Bef.: Baumann (Ahrweiler).
Verf. berichtet über einen Fall von Akromegalie, bei dem eine periodische
Schwellung der Schilddrüse mit heftigen Kopfschmerzen und frequenter Atmung
auftrat; ferner bestand ein Mißverhältnis zwischen der Volumzunahme des Ge-
siebtes und der Extremitäten derart, daß lediglich eine Veränderung der Gesichts¬
knochen eintrat. Die Krankheit begann im 16. Lebensjahr und hatte keine
Tendenz sich zu verschlimmern. Wahrscheinlich waren bei Beginn der Krank¬
heit die Knorpel bereits fest verbunden, weshalb sich die Krankheit in der Sich¬
tung nach der Akromegalie weiterentwickelte, nicht aber in der Sichtung des
Biesenwuchses. Der Grund für das vorzeitige Verknöchern der Epiphysenknorpel
soll nach Ansicht des Verf.’s auf einer Dystrophie des Knochengewebes beruhen.
17) Erfolgreiche Operation eines Hypophysentomors auf nasalem Wege,
von Schlöffer. (Wiener klin. Wochenschrift. 1907. S. 621 u. 670.)
Bef.: Pilcz (Wien).
30jähriger Mann, seit etwa 7 Jahren Kopfschmerzen, seit 2 Jahren sehe er
schlechter, vor 6 Jahren begannen die Haare auszufallen. Seit Beginn des Jahres
1906 enorme Steigerung der Kopfschmerzen, zeitweise von Schwindel, Ohrensausen,
seltener von Erbrechen begleitet. Seit Februar 1906 plötzlich einsetzende bitem-
porale Hemianopsie. Die Potenz hat im Verlaufe der Krankheit gelitten, die
Hoden sollen kleiner geworden sein. Leichte rechtsseitige Fazialisparese, Per¬
kussionsempfindlichkeit der Stirnhöcker (besonders rechts) und des rechten Scheitel¬
beines. Allgemeine Asthenie. Fundus normal, bitemporale Hemianopsie. Böntgen-
Untersuchung ergab eine deutliche Erweiterung der Sella turcica zu einer fast
nußgroßen Höhle. (Abbildung im Texte.)
Die genaue Schilderung der Operation (der Tumor erwies sich als Adenom)
möge im Originale nachgelesen werden. Keine Meningitis.
Irgendwelche Ausfallserscheinungen, welche auf den Verlust von Hypophysen¬
gewebe zu beziehen wären, sind nicht aufgetreten.
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Der Kranke war in ungestörtem Wohlbefinden 8 Wochen nach der Operation
der Innsbrucker wissenschaftlichen Ärztegesellschaft vorgestellt worden. Als inter¬
essante Einzelheit ergab sich nachträglich, daß seit kurzem dem Kranken ein
dichter Flaum an den unteren Teilen der Backe sprießt.
Verf. meint, daß durch die Operation die Funktionsverhältnisse an der Hypo¬
physe in günstigem Sinne beeinflußt wurden, und stellt eine spätere ausführlichere
Arbeit über diesen Fall in Aussicht.
18) Weiterer Bericht über den Fall von operiertem Hypophysentumor.
Plötzlicher Exitus letalis 2 1 /, Monate nach der Operation, von Schloff er.
(Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 1075.) Bef.: Pilcz (Wien).
Der am 16. März operierte Fall von Hypophysentumor (vgl. vor. Beferat)
hot am 17. Mai 1907 folgenden Befund: Keinerlei subjektive Beschwerden; Inner¬
vationsverhältnisse der Hirnnerven normal bis auf die durch die Operation be¬
dingte Störung der Geruchsempfindung (r. < 1.) und der Sensibilität im Gebiet
des Trigeminus an der Nasenwurzel, sowie entsprechend der linken Nasenhälfte
bis an die Operationsnarbe. Bei extremer Blickrichtung nach rechts gekreuzte
Doppelbilder. Bitemporale Hemianopsie.
Haut im Gesicht an Myxödem erinnernde Behaarung wie vor der Operation,
unter dem Kinn zarter Nachwuchs.
Am 22. Mai Kopfschmerzen, Erbrechen; nach laxativer Therapie wieder Wohl¬
befinden, ebenso ging ein ähnlicher Anfall 3 Tage später rasch vorüber. Am
29. Mai sehr starke Kopfschmerzen, Pulsverlangsamung, Erbrechen. Der Zustand
hält an (Sensorium frei). Um 2 Uhr Nachts des 31. Mai wird Pat. unruhig, bald
darauf bewußtlos, Pupillen starr, weit, Atmung und Puls verlangsamt. Es zessierte
zuerst Atmung, dann Herztätigkeit Um 5 Uhr früh Exitus.
Die Sektion ergab u. a.: chronischer Hydrocephalus internus der Seitenventrikel
infolge Vordringens eines Hypophysenödems in das Gebiet des Foramen Monroi
und durch das Genu corpor. callosi. Anämie und ödem des Gehirns. Hypoplasie
der Nebenniere und der Hoden und Samenbläschen mit Aspermie derselben. Hypo-
triohie.
Zwei Abbildungen im Texte veranschaulichen den Befund, der in extenso im
Original nachgelesen werden möge.
Die epikritischen Bemerkungen sind wesentlich chirurgisch-technischer Art
Verf. betont auch den überraschend günstigen Erfolg des Elingriffes in Hinsicht
auf das subjektive Befinden des Kranken trotz des großen Bestes bei der Operation
zurückgelassener Tumormassen.
19) Untersuohongen über das Böntgen-Bild der normalen Halswirbelsäule
und die daraus für die Böntgen-Diagnostik der Halswirbelsäulen*
Verletzung abzuleitenden Folgerungen, von C. Ossig. (Monatsschrift f.
Unfallheilk. 1907. Nr. 3.) Bef.: Kurt Mendel.
Verf. macht an der Hand seiner Böntgenbilder der normalen Halswirbel¬
säule auf die Schwierigkeit der Deutung dieser Böntgen-Bilder in normalen nnd
pathologischen Fällen aufmerksam. Zuweilen ist es nicht möglich, auf dem Böntgen-
bild eine Veränderung an der Halswirbelsäule zu erkennen, während die klinisohen
Erscheinungen keinen Zweifel auf kommen lassen, daß eine Verletzung der Hals¬
wirbelsäule vorliegt. Ein negativer Untersuchungsbefund beweist nicht, daß keine
Verletzung vorliegt.
20) Eine typische Erkrankung der Wirbelsäule. Insuffloientla vertebrae,
von A. Schanz. (Berl. klin. Woch. 1907. Nr. 31.) Bef.: Bielschowsky
(Breslau).
Verf. beobachtete eine große Anzahl von Patienten beiderlei Geschlechts und
jeden Alters, meist jedoch zwischen 20 und 45 Jahren, deren verschiedenartigste
Beschwerden durch den Nachweis einer „Insufficientia vertebrae“ eine Erklärung
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fanden. Die Patienten klagen gewöhnlioh über Stuhlverstopfung, Appetitlosigkeit,
Schmerzen in der Magengegend, in der Brost, im Kopf, besonders im Hinterkopf,
über Schlaflosigkeit; bei Frauen erfahren die Beschwerden zurzeit der Menstruation
oder kurz vorher eine Steigerung. Klagen über Rückenschmerzen sind selten.
Körperliche oder geistige Anstrengung sowie psychische Affektionen führen eine
Verschlimmerung des Zustandes herbei, nach Ruhe tritt Besserung ein. Als
ursächliche Momente für das Zustandekommen der Erkrankung finden sich an*
amnestisch häufig Erkrankungen, die den Allgemeinzustand des Patienten herunter*
gedrückt haben, z. B. schwere Bleichsucht und Blutarmut, schnell aufeinander
folgende Entbindungen; manche Frauen gaben an, daß die Beschwerden sich ein¬
gestellt, nachdem sie das früher gewöhnte Korsett abgelegt hätten. Mitunter
findet sich in der Anamnese ein Trauma.
Der Befund an den inneren Organen ist negativ, auch tun die schmerzenden
Stellen bei Druck nicht weh. Dagegen findet man in allen Fällen schmerzhafte
Wirbel. Besonders häufig ist die Mitte der Brustwirbelsäule und der untere
Teil der Lendenwirbelsäule beim Beklopfen schmerzhaft. Doch sind andere Lokali¬
sationen nicht ausgeschlossen. Fast ausnahmslos findet sich aber eine Druck¬
empfindlichkeit der Lendenwirbelkörper vom Abdomen aus; ja mitunter ist nur
diese allein zu konstatieren.
Außerhalb der Wirbelsäule recht häufig Druck- und Klopfempfindlichkeit an
den Rippen und am Becken.
Keinerlei erhebliche Veränderungen der Wirbelsäule, kein Gibbus, keine aus¬
gesprochene Kyphose oder Skoliose. Der Röntgen-Befund negativ.
Verf. gibt nach ausführlicher Besprechung der Differentialdiagnose — Nervo¬
sität, Hysterie, Spondylitis tuberculosa, chronisch-rheumatische Erkrankungen der
Wirbelsäule, KümmelBche Deformität — eine Erklärung des Krankheitsbildes,
die ausgeht von anamnestisch fast immer nachweisbaren Momenten, die geeignet
• sind, die Tragkraft der Wirbelsäule zu schwächen oder eine höhere Traginanspruch¬
nahme der Wirbelsäule zu bedingen. Dann vergleicht er die Beschwerden, die
der Plattfuß macht, mit denen der Insuff, vertebr. und weist auf gewisse Ähnlich¬
keiten im anatomischen Bau des Fußes und der Wirbelsäule hin. In beiden Fällen
geht die statische Inanspruchnahme über die statische Leistungsfähigkeit hinaus.
Therapeutisch kommt in erster Linie eine Verminderung der Belastung durch
Stützapparate in Betracht; zur Erhöhung der Tragfähigkeit der Wirbelsäule wird
Massage und Gymnastik empfohlen, ebenso lokale Wärmeapplikation. Prognose
ist sehr günstig bei zweckmäßiger Kur.
21) Sur un oas de rhumatisme ohroniqu© vertebral, par Raymond et
Babonneiz. (Nouv. Icon, delaSalp. 1907. Nr. 1.) Ref.: E.Bloch (Kattowitx).
Paraplegia dolorosa sind bei Krebs und Tuberkulose der Wirbelsäule ge¬
nügend bekannt. Erst in neuester Zeit sind Fälle veröffentlicht worden — dem
Beispiel von Senator folgend —, welche zeigen, daß Paraplegie und überhaupt
das Ergriffensein deB Nervensystems auch bei anderen Erkrankungen der Wirbelsäule
Vorkommen kann. Der Fall der Verff. gehört dazu.
Eine 28jähr. Maschinistin, bei welcher außer Kinderkrankheiten keine andere
Erkrankung vorlag. Mit 18 Jahren Eintritt der Regel, welche plötzlich, ohne
jede Vorboten, und ziemlich stürmisch einsetzte. Zugleich verspürte sie eine
Schwäche in den Beinen, welche sich dermaßen steigerte, daß sie zu Bett liegen
mußte; auch verspürte sie ein Gefühl von Schwere im Kreuz. In die Salpetri&re
aufgenommen, fand man die Bein-, Hüft- und Kniegelenke vollständig frei (Nar¬
kose), dagegen waren im wachen Zustande die drei Gelenke so vollständig immo¬
bilisiert, daß die Beine förmlich einen Stock bildeten, ebenso war die Schulter
fixiert. Eine leichte Krümmung der Wirbelsäule wurde damals bereits festgestellt.
Man hielt die Kranke für eine Hysterika, behandelte sie demgemäß, und nach
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3 Monaten erlangte sie die Bewegungsfreiheit ihrer Extremitäten wieder, so daß
sie entlassen werden konnte. Sie ging ihrem Beruf wieder ohne Störung nach,
ja sie besuchte sogar Tanzvergnügungen. Allmählich aber stellte sich wieder
dieselbe Schwäche wie vor 5 Jahren ein und sie wurde wieder in die Salpetrige
aufgenommen.
Status: Patientin steht, den Kopf vornübergebeugt, Knie flektiert, auf den
Fußspitzen. Bei passiven Bewegungen eines Oberschenkels bewegt sich das Becken
und der Oberschenkel der anderen Seite mit. Die Wirbelsäule ist stark ge¬
krümmt, den Gipfelpunkt bildet der 7. bis 10. Brustwirbel, der Bauch bildet da¬
durch einen Wulst, der über die Gegend der Symphyse prominiert. Es ist auch
eine gewisse Drehung der Wirbelsäule vorhanden, welche dem Thorax eine ge¬
wisse Schiefheit verleiht. Regio cervicalis frei, der Kopf wird nach allen Rich¬
tungen hin gut bewegt. Die Wirbelsäule von unten bis zum Ende der Brust¬
wirbel vollkommen steif, ebenso beide Hüftgelenke, die Oberschenkel stehen in
Abduktion und Flexion und sind nach außen rotiert. Die Stellung ist unmöglich
zu korrigieren. Nach ungefähr 14 Tagen ist die Kranke imstande, ihre Unter¬
schenkel fast frei zu bewegen. Fuß* und Zehengelenke intakt, die Bewegungen
der Hände und Arme sind ebenfalls völlig intakt, nur ermüdet die Kranke leicht.
Nach 2 Monaten gehen auch die Fixationen im Hüftgelenk zurück, so daß die
Kranke sich ohne Hilfe erheben und aufstehen kann, gehen kann sie aber nur
mit Unterstützung. Keine Sphinkterenlähmung, keine Schmerzen, keine Sensi-
bilitätsstörung, nur die MuskelmasBen sind verändert, die Unterschenkel haben
eine cylindrische Form, zeigen aber keine Veränderung der elektrischen Erregbar¬
keit. Haut ohne trophische Läsionen, die Gelenke zeigen in der Narkose kein
Krachen, keine Exostosen usw. Kein hysterisches Stigma. Im Anfang ihres
Krankenhausaufenthaltes leichter Tremor der Hände, Zunge und Lippen und
Nystagmus horizontale, welches sich aber alles später verlor. Die Patientin ver¬
blieb 1 ] s Jahr im Krankenhause, kam im Jahre 1905 jedoch wieder mit den
Zeichen einer Herzinsufficienz. Sie starb nach 8 Tagen. Die Erscheinungen an
den Extremitäten waren* wieder genau dieselben wie vor ihrer Aufnahme 1898.
Autopsie: Die Mehrzahl der Eingeweide waren mit einer Scheide von
fibrösem Gewebe umgeben, ebenso die Wirbelsäule. Hier sei von dem sehr aus¬
führlich gehaltenen Sektionsprotokoll nur das wichtigste wiedergegeben: Verände¬
rung der Drüsen mit innerer Sekretion: Aplasie des Ovariums und der Niere
(Malpig hi sehe Körper), der Thyreoidea, Nebennieren und der Glandula pitnitaria.
Ferner eine Aplasie der Aorta; dieselbe erreicht kaum Kinderfingerdicke. Ver¬
änderungen der Wirbelsäule: um die Wirbelsäule herum existiert eine lamelläre
Bindegewebsscheide, die aus zwei Lagen besteht, welche zwischen sich fassen eine
Schicht fettiger Zellen. Die Intervertebralknorpel sind vollständig verknöchert,
ebenso sind die Hüft- und Kniegelenke von einer dicken, fibrösen Scheide um¬
geben, sind aber nicht verknöchert. In den Muskeln und nervösen Centralorganen
nichts abnormes zu konstatieren. Die mikroskopische Untersuchung der Wirbel¬
säule ergab eine einfache Substitution der Zwischenwirbelscheiden durch Knochen¬
massen.
Verf. erörtert zum Schluß der sehr genauen Arbeit die Differentialdiagnose.
In Frage kommen die heredo-traumatische Kyphose, die Spondylosis traumatica
und die Spondylosis rhizomelica von Marie. Trotz der Verschiedenheit von der
letzteren — ausschließliches Betroffensein des männlichen Geschlechtes, Lebens¬
alter, Schmerzen, Muskelatrophien — entscheiden sich die Verff. für die Marie-
sehe Krankheit. Sie meinen, daß man am Nervensystem nichts besonderes gefunden
hätte, daran sei das verhältnismäßig jugendliche Alter der Patientin schuld, in
dem sie zugrunde gegangen sei.
22) Über die klinischen und pathologisch-anatomischen Besonderheiten
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der nervösen Form der Steifigkeit und der Ankylose der Wirbel¬
säule und ihre Behandlung, von Prof. Dr. W. v. Bechterew. (Monatsschr.
f. Psych. u. Neur. XXI. 1907. S. 527.) Ref.: H. Vogt.
Verf. erinnert an die seit 1892 von ihm als „Steifigkeit der Wirbelsäule“
beschriebene Krankheitsform, die folgende Granderscheinungen aafweist: 1. mehr
oder weniger ausgesprochene Unbeweglichkeit oder wenigstens erschwerte Be¬
weglichkeit der ganzen Wirbelsäule oder eines Teiles derselben bei Fehlen stärkerer
Empfindlichkeit gegenüber Perkussion oder Beugung; 2. bogenförmige Verkrümmung
der Wirbelsäule nach hinten, vorzugsweise im oberen Brustteil, wobei der Kopf
ein wenig vorgestreckt und gesenkt erscheint; 3. paretischer Zustand der Musku¬
latur des Rumpfes, des Halses und der Extremitäten, größtenteils verbunden
mit geringer Atrophie der Rücken- und Schulterblattmuskeln oder Anzeichen von
Degeneration; 4. Abschwächung der Costalatmung und Überwiegen der Abdominal¬
atmung; 5. Abstumpfung der Sensibilität, vor allem im Verbreitungsgebiet der
Hautäste der Rücken-, unteren Hals-, manchmal auch der Lendennerven; 6. mannig¬
faltige, nicht immer gleich stark ausgesprochene Reizerscheinungen seitens der
genannten Nerven in Gestalt von Hyperästhesien, Parästhesien und Schmerzen im
Rücken, am Halse, im Bereiche der Extremitäten und der Wirbelsäule, in letzterer
besonders bei längerem Sitzen. Durch diese Merkmale unterscheidet sich die
Bechterewsche nervöse Form von der namentlich von Strümpell und Marie
beschriebenen ankylotischen Form. Die Unterschiede gründen sich auf Ätiologie
und Verlauf, wobei in letzterer Beziehung zu betonen ist, daß die Strümpellsche
Form mehr einem abgelaufenen Prozeß, die Bechterewsche Form dagegen eine
fortschreitende Krankheit mit ausgesprochenen Perioden der Reizung darstellt.
Die pathologische Anatomie der nervösen Form hat ergeben: Auflockerung der
Knochen der Wirbelsäule, Porosität ihrer Knochensubstanz, Verschmächtigung und
Atrophie des Knorpelbelages der Wirbel, besonders an ihren vorderen Teilen bei
Fehlen von Exostosen und Verwachsungen der Wirbel, chronische Entzündung
der weiohen Rückenmarkshäute, bestehend in Verdünnung derselben, Degeneration
der Nervenwurzeln (insbesondere der hinteren), Atrophie und Degeneration der
Zellen der Spinalganglien und zerstreute Faserdegeneration der weißen Substanz
des Rückenmarks von offenbar sekundärem Charakter; dazu kommt vor allem als
negatives Moment das Fehlen hyperplastischer Vorgänge an den Knochen und
namentlich Mangel wirklicher Ankylose. Verf. betont, daß die von ihm be¬
schriebene Krankheit sich klinisch wie pathologisch - anatomisch genau um¬
schreiben lasse.
ln therapeutischer Hinsicht hebt Verf. hervor, daß, wenn auch beide Formen
nicht nur der Besserung fähig seien, sondern sogar zum Stillstand gebracht werden
könnten, doch die zu treffenden Maßnahmen entgegen der meist verbreiteten
Ansicht für beide Formen eine verschiedene Richtung einschlagen müssen. Die
Prognose der nervösen Form ist nun allerdings weniger günstig als die der
anderen, insbesondere erweisen sich <lie schweren Reizerscheinungen im Gebiete
des Rumpfes und der Extremitäten in hartnäckigen Fällen Behr schwer beeinflußbar.
Die Therapie, die hier hauptsächlich in schmerzstillenden Mitteln besteht, wird
erörtert. Außerdem und namentlich in den leichteren Fällen kommen vor allem
resorbierende Mittel in Betracht, die näheren therapeutischen Vorschläge sind im
Original nachzulesen.
23) Die ohronisohe Steifigkeit der Wirbelsäule, von Arthur Krause.
(Inaug.-Dissert. Berlin 1905.) Ref.: P. Lissmann (München).
Verf. hat 77 Fälle der chronischen Steifigkeit der {Wirbelsäule bzw. der
Spondylose rhizomölique zueam mengestellt und beweist, daß die Scheidung in den
Bechterewschen und Strümpell-Marieschen Typus unberechtigt ist; denn er
fand Beteiligung des Schulter-, Hüft-, Kniegelenks und anderer Gelenke in vielen
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Köllen des Bechterewschen Typus, andrerseits erhebliche Nervenstörungen bei der
Strümpell-Marieschen Form in zahlreichen Fällen. In kasuistischer Betrachtung
liebt er dann die partielle oder vollkommene Steifheit der Wirbelsäule, die Gc>
lenkerkrankungen, die nervösen Störungen, die Atrophie und Starrheit der Böcken«
muskulatur, die behinderte Bespiration, die Körperhaltung und den Gang hervor
und geht dann auf die Autopsie seiner Fälle ein. Verknöcherungen der Wirbel
unter sich, der Gelenkkapseln und Bänder, Atrophie der Zwischenwirbelscheiben
bei meist normalem Böckenmark nebst Häuten sind der Hauptbefund in den
meisten Fällen. Auch in pathologisch-anatomischer Hinsicht zwei getrennte Typen
zu unterscheiden ist unberechtigt. Mit den Hinweis, daß meist Gelenkrheumatismus,
Lues und Gonorrhoe ätiologisch eine Bolle spielen, daß die Prognose infaust und
die Therapie machtlos ist, schließt Verf. seine sehr interessante Arbeit.
24) Über die obronische ankylosierende Entzündung der Wirbelsäule, von
Th. v. Lagiewski. (Inaug.-Dissert. Leipzig 1905.) Bef.: P. Lissmann.
Nach einer längeren Skizzierung der über die chronische Wirbelsteifigkeit
bzw. die Spondylose rhizom£lique erschienenen Arbeiten beschreibt Verf. einen
von ihm selbst beobachteten Fall, der sich in nichts von den bekannten unter¬
scheidet. Auch der Verf. neigt sich der sich immer mehr verbreitenden Ansicht zu,
daß die Unterscheidung in Bechterewschen bzw. Strümpell-Marieschen Typus
unberechtigt ist und die beiden Formen nur graduelle Unterschiede der gleichen
Krankheit darstellen.
26) Beitrag sum Studium der Spondylose rhizomelique, von Dr. G. Min-
gazzini. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXVIII.) Bef.: E. Asch.
29jähriger Mann aus belasteter Familie, Potator, ohne Merkmale von Lues.
Mit 19 Jahren Schmeißen in den Beinen und in der lumbosakralen Gegend. Nach
16 monatlichem Soldatenleben Schmerzen in der linken Hüfte und linken Ober¬
schenkel und Fixation des linken Hüftgelenkes, Entlassung vom Militärdienst, er¬
neute Schmerzen im linken, später auch im rechten Oberschenkel. Bei der ersten
Untersuchung (Oktober 1900) fand sich diffuse Atrophie beider Schenkel und
Waden, und zwar r. > 1., in den Muskeln keine degenerativen Veränderungen,
passive Bewegungen in den coxo-femoralen und den Kniegelenken wegen der
Schmerzen unmöglich, auch aktive Bewegungen der Ober- und Unterschenkel un¬
ausführbar. Periphere Nerven der Hüften und unteren Extremitäten stark druck¬
empfindlich, sämtliche Drehbewegungen des Körpers sehr schmerzhaft. Später
auch Beschwerden beim Drehen des Halses, der nach passiven Bewegungen resistent
ist. Obere Extremitäten normal. Bechte untere Extremität erscheint merklich
kürzer als die linke, Becken nach links geneigt. Beide Oberschenkel scheinen bei
Bewegungen am Becken fixiert zu sein. Kopf stark nach vorn und leicht auf
die rechte Seite geneigt, oberer Teil der Wirbelsäule mit der Konvexität nach
hinten gedrückt. Patellarreflexe links schneller und lebhafter zu erreichen als
rechts, Kremaster-, epigastrische und Unterleibsreflexe lebhaft, kein Babinski,
Sensibilität und elektrische Erregbarkeit normal, das radiographische Bild ergibt
Erscheinungen von Verdickung der Knochen oder der fibrösen periartikulären
Kapsel am rechten coxo-femoralen Gelenk.
26) Über ohronisohe ankylosierende Wirbelsäulen Versteifung, von Engen
Fränkel. (Fortschr. a. d. Geb. d. Böntgenstr. XI. 1907.) Bef.: Kurt Mendel.
Verf. hält die Trennung der Spondylose rhizomölique in den Bechterew¬
schen und Strümpell-Marieschen Typus nicht für berechtigt. Inkeinemseiner
früher mitgeteilten 4 Fälle war die Gesamtheit, ja nicht einmal die Mehrzahl
jener Symptome vorhanden, welche für einen der beiden Typen als charakteristisch
hingestellt war. Neben Erscheinungen des Bechterewschen Typus bestanden
vielmehr auch solche des Strümpell-Marieschen.
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Id vorliegender Arbeit teilt nun Verf. drei weitere Fälle von chronischer
ankylosierender VVirbelsäulenversteifung mit Sektionsbefund mit.
Unter dem Bilde der Wirbelsäulenversteifung sind seiner Ansicht nach zwei
ihrem Wesen nach ganz differente Krankheitsprozesse verborgen, die man wohl
meist schon klinisch, ganz sicher aber anatomisch auseinander halten kann: die
Spondylarthritis ankylopoetica und die Spondylitis deformans. Zu ersterer gesellt
sich sehr häufig eine tuberkulöse Lungenerkrankung hinzu, letztere befällt meist
ältere Individuen. Die sich auf dem Boden der Spondylitis deformans entwickelnde
Wirbelsäulenversteifung dehnt sich meist nicht über so große Strecken der "Wirbel*
eäule aus wie bei der Spondylarthr. ankylopoetica, welche bei genügend langem
Fortbestand des Lebens nahezu ausnahmslos die ganze Wirbelsäule befällt.
Ein wertvolles Hilfsmittel zur Unterscheidung der beiden Krankheitsformen
bietet uns das Röntgenbild: bei der Spondylarthr. ankylopoetica Integrität der
Wirbelkörper, bei der Spondylitis deformans Difformität der Wirbel.
In anatomischer Hinsicht ist ferner zu erwähnen, daß bei letzterer Form die
Wirbelrippengelenke meist völlig unbehelligt bleiben, während es sich bei der
Spondylarthritis ankylopoetica um eine die Wirbel* und Wirbelrippengelenke be¬
treffende, also arthrogene Erkrankung handelt (infolgedessen starke Beeinträchtigung
des kostalen Atemtypus infolge Starrheit des Brustkorbes und Disposition zur
Tuberkulose bei der Spondylarthritis ankylopoetica; dooh hat die Wirbelgelenk-
«rkrankung an sich mit Tuberkulose nichts zu tun).
In der Ätiologie der Spondylarthritis ankylopoetica spielen — wie 3 Fälle
des Verf.’s zeigen — traumatische Einwirkungen nicht selten eine wesentliche
Rolle. In einem Falle entwickelte sich das klassische Bild der chronischen Wirbel-
sänlenver8teifung im Anschluß an ein schweres Trauma, das zunächst zur Kom¬
pressionsfraktur mit später auftretender Gibbusbildung Anlaß gab. In etwa ein
Drittel aller Fälle ist ein Trauma vorausgegangen. Sonst kommen ätiologisch in
Betracht rheumatische Prozesse, Infektionskrankheiten und unbekannte Noxen.
Die Prognose der Sppndylarthritis ankylopoetica ist wegen der häufig hinzu¬
tretenden Lungentuberkulose infaust.
27) A oase of ankylosis of the spine, by Walter K. Hunter. (Glasgow med.
Journ. 1907. März.) Ref.: Georges L. Dreyfus.
Verf. beschreibt ausführlich einen Fall mit völliger Ankylose sämtlicher
Wirbel, die mit universeller Muskelatrophie, fibrillären Zuckungen, Muskelkontrak¬
turen und Hautveränderungen einherging, während bei fehlenden Achilles- und
Patellarsehnenreflexen die Sensibilität intakt war. Die Versteifung der Wirbel¬
säule war die Folge einer rheumatischen Erkrankung.
28) Pottsohe Krankheit bei einem Affen, von E. E. Southard. (Journ. of
medic. Research. 1906. Januar.) Ref. nach der Revue neurol. 1907. Nr. 12
von Kurt Mendel.
Pottsche Krankheit bei einem Makakus, der einige Wochen nach Beginn
einer Paraplegie getötet wurde. Das Rückenmark war in Höhe des 2. Lumbal¬
segmentes komprimiert. Verf. vergleicht diese Beobachtung mit dem beim Menschen
Gefundenen.
20) Quinze autopsies de mal de Pott ohes l’adulte. Stüde des lösten*
nerveuses, par Alquier. (Nouv. Iconogr. de la SalpStriöre. 1906. Nr. 6.)
Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
16 Sektionsprotokolle von Malum Pottii beim Erwachsenen mit besonderer
Berücksichtigung der nervösen Störungen. 3 Mal ragte ein Knochenvorsprung,
der ausging vom hinteren Rande eines sonst ganz zerstörten Wirbelkörpers, in
den Rückenmarkskanal hinein. In den übrigen Fällen war die Kompression durch
einen Knochen unbedeutend, sondern die Kompression des Markes wurde bewirkt
durch einen epiduralen Herd, der sich bei der mikroskopischen Untersuchung als
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1023 -
ein Tuberkel herausstellte. Die Wurzeln, komprimiert in der Begel zwischen
Knochen und Dura, zeigten eine unregelmäßige Schwellung der Achsencylinder
mit Verdickung der Neuroglia, Desintegration des Myelins und Degeneration. Die
hinteren Wurzeln waren durchweg mehr betroffen als die vorderen. Eine Unter*
Buchung der Spinalganglien fand nicht statt. An der Dura mater machte die
tuberkulöse Entzündung, 2 Fälle ausgenommen, halt. In diesen beiden Fällen
bestanden zahlreiche Adhärenzen zwiBohen Dura und Pia, welche eine akute Ent*
Zündung darstellten, mit einer massigen Infiltration von polynukleären Zellen und
hier und da mit jungen Tuberkeln. Die Blutgefäße waren beträchtlich erweitert.
Im Bückenmark fand sich ein einfaches Ödem und Sklerose mit Degeneration.
Die Nervenzellen waren stellenweise komprimiert und pigmentiert. Der Sitz der
Erkankung waren 3 Mal die Cervikalwirhel, 1 Mal die Cervikal* und die Sakral*
wirhel, 8 Mal die Brustwirbel, 2 Mal die Sakralwirbel, 1 Mal die Lumbalwirbel.
Stellt man die klinischen Symptome dem anatomischen Befunde gegenüber,
so ergab sich folgendes: die Wurzelschmerzen fehlten kein Mal und boten immer
eine frühzeitige, schlechte Prognose. Die Schmerzen nahmen häufig den Charakter
einer Ischias an und treten gern doppelseitig auf. Wurzelsymptome waren zwar
jedesmal vorhanden, sie ließen aber keinen Schluß zu auf den Sitz der Erkrankung.
Einmal wurde zuerst Syringomyelie diagnostiziert, das andere Mal zeigte sich eine
Brown-Säquardsche Lähmung. Sphinkterenlähmung war einmal ein Früh*
Symptom, das andere Mal trat sie erst später auf, ein drittes Mal (in der
Mehrzahl der Fälle) war sie gar nicht vorhanden.
Bei ein Drittel der Fälle war Amyloid der Niere nachzuweisen, mehr als
zwei Drittel hatten auch noch andere tuberkulöse Zeichen. Die Böntgen-Aufnahme
wies außer in den 3 Fällen von Zerstörung des Vorderteiles der Wirbelkörper
nichts nach.
30) Zur Pathologie des Mal um Pottii, von Prof. A. Martinez Vargas in
Barcelona. (Monatsschr. f. Kinderheilk. 1906. April.) Bef.: Zappert (Wien).
Ein ungewöhnlich schwerer Fall von Wirbelkaries bei einem 13jährigen
Mädchen gibt dem Verf. Anlaß zur Hervorhebung ungewöhnlicher Details dieser
Erkrankung. So reicht die Ausbreitung der Läsionen vom 7. Cervikal- bis zum
letzten Lumbalwirbel, die hintere Seite der Wirbelkörper, sowie die Gelenkflächen,
die Gelenkfortsätze, die Dornfortsätze waren gleichfalls ergriffen. Knochenankylosen
waren vorhanden, jedoch nirgends die Zeichen einer Begeneration anzutreffen.
Besonders bemerkenswert ist der Umstand, daß der Wirbelkanal nicht verengt,
eher erweitert gewesen, daß jedoch in der Höhe des 10. Dorsalwirbels ein Sequester
in den Kanal hakenförmig hineinragte, welcher eine Lähmung des rechten Beines
zur Folge gehabt hatte.
31) Zwei Fälle Pott scher Krankheit mit Kemigsohem Zeiohen, von C. Pa*
gani. (Bif. med. XXII. Nr. 28.) Bef. nach der Bevue neurol. 1907. Nr. 11
von Kurt Mendel.
Im ersten Fall von Pottscher Krankheit nichts, was auf eine Mitbeteiligung
der Meningen hindeutete: kein Kopfschmerz, keine Pupillarsymptome, keine Puls¬
veränderung, keine Lähmungen; im zweiten Fall ergab die Autopsie intakte
Meningen. Trotzdem in beiden Fällen das Kernigsche Zeichen. Letzteres hat
demnach ‘keine pathognomonische Bedeutung für Meningitis, bei Pottscher Krank¬
heit deutet es auf einen Beizzustand der Bückenmarkswurzeln.
32) A study of the sensory Symptoms of a oase of Potts disease of the
cervioal spine, by Frank B. Fry. (Journ. of Nerv, and Ment. Disease. 1907.
März.) Bef.: M. Bloch.
Fall von Kompressionsmyelitis bei tuberkulöser Halswirbelerkrankung mit
sehr sorgfältigen Sensibilitätsprüfungen, deren interessante Details sich einer refe¬
rierenden Wiedergabe entziehen und besser im Original nachgelesen werden.
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33) Cyphose prononoöe ohez un tuberouleux, par Brissaud et Montier.
(Nouv. Iconogr. de la Salp. 1906. Nr. 1.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz).
Der Fall ist von Brissaud und Grenet bereits unter dem Titel: „Un cas
de cyphose d’origine articulaire ou musculaire“ veröffentlicht (Nouv. Iconogr. de
la Salp. 1904. Nr. 2). Er wurde damals nicht referiert, weil er nichts Neuro*
logisches hot.
37jähriger Porzellanarbeiter. Seit 1887 vage Schmerzen, 12 Jahre später
krisenartige Schmerzen im Rücken. Im Jahre 1900 begann sich der Rücken zu
krümmen und die Schmerzen hörten auf. In der ersten Veröffentlichung hatte
der Kranke von ursprünglich 1,71 cm 10 cm an Körperlänge eingebüßt. Jetzt
ist wieder eine Abnahme seiner Körperlänge um 12 cm zu konstatieren, wenn er
sich große Mühe gibt, kann er sich noch um 5 om erheben, diese Anstrengung
kostet ihm jedoch große Ermüdung und Atemnot. Druck auf den 8. und 9. Brust¬
wirbel ist schmerzhaft. Die Krümmung ist am stärksten ausgesprochen im mitt¬
leren Brustteil. Hüftmuskeln stark atrophisch, ausgesprochene Bauchatmung. Vor¬
geschrittene Tuberkulose der Lungen, die schon damals bestand.
Die Verff. diagnostizieren sekundäre Tuberkulose der Brustwirbel. Auffallend
ist, daß eine so weit fortgeschrittene Tuberkulose der Brustwirbel, die eine so
ausgesprochene Kyphose veranlaßt hat, das Rückenmark absolut unangetastet ge¬
lassen hat. Die Verff. halten die Atrophie der Lendenmuskulatur nur für eine
rein muskuläre Affektion, nicht für central, da das übrige Nervensystem
nichts abnormes darbot.
34) Über einen Fall von Kompressionsmyelitis. Geringe Wirbelerkran¬
kung (Böntgen-Untersuohung). Erfolgreiche physikalische Behandlung,
von E. v. Leyden. (Charitö-Ann. XXXI. S. 3.) Ref.: Heinemann (Berlin).
Krankengeschichte eines 54jährigen Arbeiters, der mit Schmerzen in Hüfte
und Kreuz, sowie Schwächegefühl in den Beinen erkrankt, wozu sich später Par-
ästhesien und Gehstörungen gesellten. Als Pat. nach ^jähriger Krankheitsdauer
in die Charitö kommt, ließ sich objektiv eine geringe bogenförmige Krümmung
in der Mitte der Brustwirbelsäule feststellen und dementsprechend eine geringe
Lordose der Lendenwirbelsäule, ohne lokale Druckempfindlichkeit. Das beigegebene
Röntgenbild zeigt außer der Verkrümmung keine lokale Erkrankung in den
Wirbeln. Muskelspasmen und Zittern in den Beinen, erhöhte Muskel- und Sehnen¬
reflexe an den unteren Extremitäten, beiderseits Patellar- und Fußklonus, Babinski
beiderseits positiv, Bauchdecken- und Kremasterreflex beiderseits fehlend. Außer
den erwähnten Parästhesien Hypästhesie vom 8. Brustwirbel abwärts nebst einer
kleinen linksseitigen, völlig anästhetischen Zone. Die Behandlung bestand in
Streckung in der Glissonschen Schlinge auf dem Schrägbett, Übungen im Geh¬
stuhl und schließlich in Sandbädern. Daraufhin lassen die Spasmen nach, Pat.
kann mit Stock gehen, die Sensibilitätsstörungen gehen etwas zurück. Eis folgt
noch ein Auszug aus der Krankengeschichte eines analogen Falles, den Ver£
während seiner Straßburger Zeit (1877) zu beobachten Gelegenheit hatte.
36) Schwere spondylitisohe Paraplegie, spontan geheilt unter Anwendung
der Bauohfusssohen Schwebe, die auch zur Prophylaxe des Decubitus
bei spondylitisohen Lähmungen dient, von Hofrat Schilling. (Deutsches
Archiv f. klin. Medizin. LXXXIV.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart).
Verf. faßt das Bemerkenswerte an der mitgeteilten Beobachtung in folgenden
Schlußsätzen zusammen:
1. Nach jahrelanger Dauer der Krankheit kann, wie genügend bekannt, auch
eine schwere spondylitisohe Paraplegie spontan komplett zurückgehen. Unser Fall
heilte in 2 1 /, Jahren.
2. Bei unserem Kranken zeigte sich im Beginn und gegen den Schluß der
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Original frum
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1025
Erkrankung ein spastisch-ataktischer Symptomenkomplex. Ataxie ist bei extra¬
medullärem Sitz der Geschwulst (tuberkulöser Abszeß) äußerst selten.
3. Bei totalem Verlust aller übrigen Empfindungsqualitäten waren die
.Leitungsbahnen für die Wärme- und für die Kältenerven ungestört.
4. Die Haut- und Sehnenreflexe, sowie die tonische Spannung der Muskulatur
der unteren Körperhälfte waren während der ganzen Dauer der langen Krankheit
stets erhöht.
5. Miktion und Defäkation, Erektion und Ejakulation waren ungehindert
trotz der schweren Paraplegie und Anästhesie.
6. Die Behandlung der Lähmungen infolge von tuberkulöser Spondylitis der
mittleren und unteren Brustwirbel sowie der Lendenwirbel geschieht sehr zweck¬
mäßig, besonders in der PrivatpraxiB, mittels der Rauchfussschen Schwebe.
Diese einfache Vorrichtung gestattet die ausgiebigste Entlastung und Lordosierung
der kranken Wirbelsäule und ermöglicht zur Hintanhaltung des Decubitus eine
Moderierung und Dosierung des Druckes des Kreuzes gegen die Unterlage, je
nachdem man die Schwebe mehr oder weniger hoohzieht.
7. Ich empfehle das graue lufthaltige Pessarium bei prononziertem Gibbus
sowohl zur Verhütung des Druckbrandes, als auch zur perigibbären Reduktion
behufs Verstärkung der Wirkung der Rauchfussschen Schwebe.
8. Infolge des durch die konsequente Anwendung des Rauchfussschen
Apparates verminderten Druckes auf das Kreuz kam es in vorliegendem Fall aus-
Dahmsweis nicht zu Decubitus am Kreuz.
9. Bei vorhandenem Druckbrand ist das protrahierte, eventuell kontinuierliche
Wasserbad neben der Rauchfussschen Schwebe das beste Heilmittel.
10. Zur Ruhigstellung der erkrankten Wirbelsäule im Bad ist die Lagerung
des Patienten auf Gurten ä la Rauchfusssche Schwebe zweckdienlicher als die
Lagerung auf einem ausgespannten Leintuch, durch welche der Fixierung der
spondylitischen Wirbelsäule nicht genügend Rechnung getragen wird.
36) Über operative Behandlung des Malum suboccipitale, von Prof. Payr
in Graz. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 50.) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. hat in einem Falle von Malum suboccipitale (Osteitis tuberculosa) bei
einer 35jährigen Frau durch radikale Entfernung der erkrankten Knochenpartien
an den suboccipitalen Wirbeln mit Meißel und Knochenzange nach vorheriger
breiter Freilegung der ganzen Suboccipitalregion eine ÜBtellose, vollständige Heilung
erzielt. Das Atlantooccipitalgelenk war noch frei, das verlängerte Mark intakt.
Seit der Operation ist fast ein Jahr verflossen. Die anatomischen Verhältnisse
der Krankheitsherde waren besonders günstig.
Bezüglich der Indikationsstellung für einen radikalen Eingriff führt Verf.
folgendes aus:
1. Mitbeteiligung des Rückenmarkes und seiner Häute oder des Gehirns
schließt jeden Eingriff ans.
2. Erkrankung des Zahngelenkes zwischen Atlas und Epistropheus läßt gleich¬
falls einen Eingriff untunlich erscheinen.
3. Die Wirbelerkrankung soll sich womöglich in einem frühen Stadium
befinden und auf eine Seite beschränkt sein.
4. Kommunikationen des Krankheitsherdes mit der Mundrachenhöhle, sowie
Mischinfektion bei nach außen mündender Fistel sind als gefährliche Komplikationen
zu betrachten.
5. Es soll durch Röntgenographie der hauptsächlichste Sitz der Knochen¬
erkrankung festgestellt sein; die klinischen Symptome sollen eine Lokalisations¬
diagnose des Erkrankungsherdes, event. per exclusionem, gestatten; die Anwesen¬
heit eines kalten Abszesses ist kein Hindernis für den Eingriff.
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6. Es sollen keine irgend schweren tuberkulösen Veränderungen in anderen
Organen vorhanden sein.
Man sieht, daß — da diese Bedingungen nur selten alle erfüllt sein werden
— nur ganz ausnahmsweise und auch nur in frühen Stadien der Erkrankung, ein
radikales operatives Vorgehen beim Malum suboccipitale gestattet ist. „Relatives
Freibleiben der Drehbewegung und geringe Schmerzhaftigkeit bei Druck auf den
Scheitel scheinen die brauchbarsten klinischen Anhaltspunkte zu sein.“
37) Die Bülausohe Heberdrainage bei Behandlung einer schweren Spon¬
dylitis tuberoulosa, von Dr. Men de in Gottesberg. (Therap. Monatshefte.
1906. Heft 11.) Ref.: Kurt Mendel.
In einem Falle von Spondylitis tuberculosa mit mehreren Fisteln am Röcken
und einem Senkungsabszeß, der bei der vorherigen Behandlung (Ruhelagerung,
Stützkorsett, Punktion des Abszesses, Jodoformglyzerininjektionen) keine Besserung
zeigte, führte die Bülausche Heberdrainage (Eiterentleerung durch ununter¬
brochenes Ansaugen) eine schnelle Heilung der Abszesse sowie der Wirbelkaries
herbei, und zwar in Verbindung mit der Anwendung des Lorenzschen Gips¬
reklinationsbettes (vor- und nachmittags je 2 Stunden).
Psychiatrie.
38) Der Einflufi der Blutsverwandtschaft der Eltern auf die Kinder, von
Prof. Dr. E. Feer. (Jahrbuch f. Kinderheilkunde. LXVI.) Ref.: Zapp er t.
Unter den Belastungsmomenten, denen man seit Alters her einen höchst un¬
günstigen Einfluß auf die Gesundheit der Nachkommen zuschreibt, spielt die
Blutsverwandtschaft der Eltern eine wichtige Rolle. Der Kampf den die „Anti-
konsanguinisten“ und „Konsanguinisten“ bereits in der Mitte des vorigen Jahrhun¬
derts geführt hatten, brachte zwar keine Klärung der Frage, aber in der Mehrheit
der Ärzteschaft war und ist man immer geneigt, sich auf die Seite jener zu
stellen, welche in der Blutsverwandtschaft der Eltern ein schwer schädigendes
Moment erblicken wollen, ohne daß bedeutsame, zu anderen Resultaten führende
Arbeiten der letzten Jahrzehnte diesen Standpunkt zu erschüttern vermocht haben.
Es ist daher ein anerkennenswertes Verdienst des Verf.’s, daß er, einer Anregung
des Referenten folgend, dieses Thema zum Gegenstand einer ausführlichen Be¬
sprechung in der vorjährigen Tagung der Gesellschaft für Kinderheilkunde gemacht
hat, deren bemerkenswerte Resultate nun vorliegen.
Die Konsanguinität kann entweder an sich durch Wegfall frischen Blutes
bei gesunden Individuen, oder durch Summierung äußerer schädigender Bedingungen,
unter denen die Eltern aufgewachsen, oder endlich durch gesteigerte Übertragbar¬
keit gleichartiger Erblichkeitsanlagen auf die Nachkommen ungünstig einwirken.
Um zu studieren, welche dieser Momente in den Vordergrund zu stellen sind,
zieht Verf. vorerst die Verhältnisse bei den Tieren heran. Hier zeigt sich, daß
fortgesetzte engste Inzucht keineswegs immer schädlich auf die Nachkommen ein¬
wirke, sondern sogar ein wertvolles Mittel zur Reinzüchtung einer Rasse abgeben
könne. Schädliche Wirkungen treten meist erst nach Generationen auf und
sind vielleicht nicht unabhängig von den äußeren Lebensbedingungen der Tiere.
Zu einer Erkennung deletärer Einflüsse der Konsanguinität an sich kann man
beim Studium der Tierzüchtung nicht gelangen.
Fernerhin wendet sich Verf. der Inzuohtfrage bei den Kulturvölkern zu,
wobei er sich vielfach auf das interessante Werk Reibmayers über dieses Thema
beruft. Aber auch diese Betrachtungen führen nicht dazu, einen unbedingt schäd¬
lichen Einfluß der Konsanguinität erkennen zu lassen, ja es muß zugegeben werden,
daß die Erhaltung einzelner Rassen (Juden), die hervorragende Bedeutung einzelner
Geschlechter (Ptolomäer) durch Fernhaltung fremden Blutes bedingt gewesen ist.
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Statistische Untersuchungen und S&mmelforschungen über die
Häufigkeit der Krankheiten bei den Nachkommen konsanguiner Ehen führten zu
keinem Resultate, weil verläßliches Vergleichsmaterial nicht vorliegt. Die Ei-
f&brungen in einzelnen, abgelegenen, seit Generationen auf Verwandtenehen an¬
gewiesenen Ortschaften ließen ebensowenig eine Verschlechterung der Rasse er¬
kennen, wie persönliche Beobachtungen von Ärzten, in deren Familie seit vielen
Generationen konsanguine Ehen häufig waren.
Die allgemeinen Untersuchungen führen also zu keinem eindeutigen Resultate,
jedenfalls nicht zu dem, daß die KonBanguinität bzw. die Inzucht als solche
schädliche Folgen haben müsse.
Verf. wendet sich nun dem Studium einzelner Krankheiten zu, denen
man angeblich bei Abkömmlingen konsanguiner Ehen häufig begegnet.
Für Idiotie ist ein solcher Zusammenhang erst letzthin durch die sinn¬
reichen Zusammenstellungen Mayets (vgl. d. Centr. 1903. S. 739) behauptet worden
und läßt sich wohl kaum in Abrede stellen, wird aber vom Verf. nicht hoch
veranschlagt. Anders steht die Sache bei der Retinitis pigmentosa und der
angeborenen Taubstummheit. Für beide Krankheiten ist es kaum zu be¬
zweifeln, daß sie in Verwandtenehen häufiger Vorkommen als in anderen. Doch
folgt daraus keineswegs, daß die Konsanguinität als solche diese Schädigung der
Kinder bedinge. So ergeben die Untersuchungen Uchermanns in Norwegen
keineswegs eine Kongruenz der Bezirke mit zahlreichen Verwandtenehen und der
Häufigkeit angeborener Taubstummheit, so steigert Taubstummheit in der Ascen-
denz die Häufigkeit dieses Leidens ebenso bei den Abkömmlingen konsanguiner
wie nicht konsanguiner Ehen, so finden sich auf dem Lande überhaupt mehr
Taubstumme als in der Stadt ohne Beziehung auf die Konsanguinität der Eltern.
Wenn sich somit ziemlich eindeutig ergibt, daß die Konsanguinität als
solche keinen schädigenden Einfluß auf die Nachkommenschaft ausübe, so muß
doch eine Erklärung für die tatsächliche Häufung mancher Krankheiten in Ver¬
wandtenehen gesucht werden.
Verf. setzt in wohlfundierter und recht einleuchtender Form auseinander, daß
die Ursache dieser Häufung der Taubstummheit und Retinitis pigmentosa bei
Abkömmlingen konsanguiner Ehen in der spezifischen Vererbungsart dieser Krank¬
heit gelegen sei.
Die Art, wie sich einzelne Krankheiten vererben, ist durchaus verschieden.
So zeigen viele exquisit hereditäre Krankheiten keinerlei Tendenz zum Auftreten
in Verwandtenehen. Die Retinitis pigmentosa und Taubstummheit — beides
Schädigungen des embryonalen Ektoderms unserer höchsten Sinnesorgane — haben
die Eigentümlichkeit, daß ihre Vererbungskraft bei einem Elternteil meist zu
schwach ist, um bei den Nachkommen zum Ausdruck zu kommen, daß sie aber
durch das Zusammentreffen zweier belasteter Elternteile jene Intensität erlangt,
welche zum Ausbruche der Krankheit bei den Kindern erforderlich ist. Oft sind
dann mehrere Geschwister von der Krankheit betroffen. Das letztere ist auch
manchmal dort der Fall, wo keine konsanguine Belastung, sondern nur eine ent¬
sprechende Keimesdegeneration beider Eltern vorliegt. Das Eigentümliche dieser
Krankheiten ist ulso ihre Entstehung durch zweigeschlechtliche Vererbung, so daß
sie in Verwandtenehen sich wohl häufen, aber nicht durch die Verwandtschaft
als solche bedingt sind.
Praktische Konsequenzen aus diesen Schlüssen lassen Bich insofern ziehen,
als eine gesetzliche Einschränkung der Verwandtenehen nicht gerechtfertigt er¬
scheint, daß aber solche Ehen nach Möglichkeit hintanzuhalten sind, in denen nicht
eine tadellose Ahnentafel durch mindestens drei Generationen beigebracht werden
kann.
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39) Les psyohoses aigues et leur olassifloatlon , par Sokalsky. (Annal.
möd.-psychol. 1906. Jan./Febr.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Verf. erhebt eine Reibe der bekannten Einwilnde gegen die Kräpelinsche
Klassifikation, ohne Neues zu bringen. Die Besonderheit aller Kranken mit akuten
Geistesstörungen ist ihm die Verwirrtheit mit schreckhaften Sinnestäuschungen, im
Beginn finde sich eine Mischung von Zögen der Amentia und Dementia praecox,
wobei ja richtig ist, daß gerade bei akut entstandenen Psychosen, die auf eine
greifbare Ursache ihrer Entstehungszeit nach hinweisen, z. B. auf das Puerperium,
oft längere Zeit die Differentialdiagnose schwierig sein kann. Daß mit dem
Namen: Psychosis acuta, subaouta, remittens u. a. irgend etwas gewonnen sei,
wird außer dem Verf. kaum jemand glauben. Wir alle denken vielfach an
körperliche Ursachen der Geistesstörungen, toxischer oder infektiöser Art, Ref. hat
aber nicht den Eindruck, daß durch die bloße, nicht weiter bewiesene Annahme
der Art, wie sie Verf. beliebt, nun wirklich mehr „Klarheit“ uns gebracht wäre.
40) Porte de la Vision mentale des objets dans la mölanoolie anxieuae,
par Le m os. (Ann. möd.-psych. 1906. Juli/Aug.) Ref.: E. M ey e r (Königsberg i/Pr.).
Verf. berichtet ausführlich über eine Hysterische mit längerdauerndem De¬
pressionszustand, in dem allmählich die Fähigkeit, sich Gesichtseindrücke in Ge¬
danken wachzurufen, schwand, die Kranke vermochte Bich z. B. nicht Farbe und
Form einer Orange vorzustellen, dagegen sehr wohl deren Geruch und Geschmack,
auch die akustischen Erinnerungsbilder waren erhalten. Gleichzeitig erschienen
den Blioken der Kranken die Dinge in der Umgebung verändert, die Bäume z. B.
trocken usw. Diese Erscheinungen traten später wieder zurück. Beide ist Verf.
geneigt auf dieselbe Grundlage zurückzuführen, auf eine Schwäche der Fähigkeit,
die visuellen Erinnerungsbilder zu erwecken, während in anderen Fällen nicht
eine funktionelle, sondern eine organische Störung zugrunde liege.
41) Die Melancholie, ein Zustandsbild des manisoh-depressiven Irreseins,
von Georges Dreyfus. (Jena 1907, G. Fischer.) Ref.: Hübner (Bonn).
Die theoretische Erwägung, auf Grund deren Verf. zu dem Schlüsse gelangt,
die bisher von Kraepelin als Involutionsmelancholie bezeichnete Psychose sei
ein manisch-depressiver Mischzustand (s. auch d. Centralbl. 1907. S. 631), ist
folgende: findet man bei Zergliederung einer depressiven Krankheitsphase irgend
ein manisches Symptom, dann hat man das Recht, von einem Mischzustand zu
reden. Bei der Melancholie finden sich nun manische Symptome. Verf. nennt
als solche die StimmungBSchwankungen nach der manischen Seite hin, die im
Prodromalstadium beobachtete Empfindlichkeit und Reizbarkeit, das Mitteilungs¬
bedürfnis, den Rededrang, Gedankenflucht, gehobenes Selbstgefühl und Größen¬
ideen. Außerdem führt er die sogen, „partielle subjektive Hemmung“ an. Er
versteht darunter ein teilweiBes Vorhandensein der von ihm als subjektive Hemmung
zusammengefaßten Erscheinungen. (Näheres b. S. 30 der Monographie.)
Ref. stimmt mit Verf. vollkommen darin überein, daß die Melancholie ein
selbständiges Krankheitsbild nicht darstellt (s. Archiv £, Psych. 1907. S. 405),
glaubt aber nicht, daß die Auffassung, die Melancholie sei ein manisch-depressiver
Mischzustand, allgemeine Anerkennung finden wird.
42) Sur un oas de ddlire oolleotlf ou. flgure un paralytique genöral, par
Clörambault. (Ann. möd.-psych. 1906. Nov./Dez.) Ref.: E. Meyer.
Verf. schildert eingehend ein geisteskrankes Ehepaar, bei dem die Ehefrau
an einem System von Verfolgungsideen schon länger litt, der Mann an Paralyse.
Letzterer hatte von seiner Frau einzelne Wahnideen übernommen. Der Einfluß
der Frau batte außerdem sich auf die an sich wohl schon paranoisch veranlagte
Mutter derselben ausgedehnt, von der aus wieder ihr (der Mutter) Mann und ihr
Sohn in den Bannkreis ihrer Verfolgungsideen gezogen waren. Verf. erörtert im
Einzelnen, wie die Entstehung der psychischen Störungen bei den einzelnen
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Personen wahrscheinlich vor sich gegangen ist und wie man Bich den Gang der
psychischen Infektion vorstellen kann.
43) Affektivität, Suggestibilität, Paranoia, von E. Bleuler. (Halle a/S. 1906.)
Refi: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Verf.’s interessante Studie behandelt in einem ersten Abschnitt den Begriff
der Affektivität, deren Beziehung zu der Suggestion im zweiten Teil erörtert
wird, während der dritte der Paranoia in ihren Entstehungsbedingungen und ihrem
affektiven Verhalten gewidmet ist.
Bei der Besprechung der Affektivität wendet sich Verf. zuerst gegen die Un¬
klarheit, die durch den gleichartigen Gebrauch von Affekt, Gemüt, Gefühl usw.
für affektive Vorgänge entstanden sei. An ihrer Stelle will er nur den Ausdruck
„Affektivität“ gebraucht sehen, bei welchem Mißverständnisse ausgeschlossen seien.
Nur die Gefühle von Lust und Unlust, denen wir die Affekte anreihen müssen,
bilden die Affektivität, von der die Erkenntnisvorgänge — Empfindungen usw. —
scharf zu trennen sind.
Verf. wendet sioh dann der Affektivität in ihren vielseitigen Beziehungen
und Besonderheiten zu. Nur das wichtigste von seinen Ausführungen kann hier
Platz finden. Die Affekte sind stets mit körperlichen Begleiterscheinungen ver¬
bunden, sie sind so gleichsam verallgemeinerte Reaktionen. Die Affektivität steht
in engster Beziehung zum Wollen, demgegenüber sie „den weiteren Begriff“ bildet.
Verf. bespricht insbesondere diejenigen psyohischen Vorgänge, die dahin
streben, die Affektivität möglichst angenehm zu gestalten, zu den „Wünschen“.
Er knüpft dabei an Freu dB Lehren von der Bedeutung unterdrückter Unlust-
gefühle für die Entstehung der Hysterie usw. an, wie denn wohl Freuds Arbeiten
ohne Zweifel dem Verf. zu seinen Studien angeregt haben. Überall knüpft Verf
wieder an sie an.
Weiter geht Verf. u. a. näher auf das Verhalten der Affektivität bei den
verschiedenen Psychosen ein.
Bei den organischen Psychosen z. B. ist die Affektivität erhalten, die Gemüts¬
reaktionen erfolgen aber zu leicht und sind nicht von normaler Nachhaltigkeit.
Ähnlich liegen die Dinge bei den Alkoholisten; bei den Epileptikern ist dem¬
gegenüber die Affektivität eine sehr nachhaltige.
In dem Kapitel: Suggestion sucht Verf. die enge Verwandtschaft zwischen
Suggestion und Affektivität nachzuweisen. Suggestion und Affektivität beeinflussen
Geist und Körper in der gleichen Weise. Unter einfachen Verhältnissen beim
Tiere kommt es nach Verf.’s Ansicht nur zur Suggestion von Affekten, beim
Menschen spiele die intellektuelle Seite eine größere Rolle, das Hauptgewicht legt
Verf. aber auf die Affekte. „Je größer der Gefühlswert einer Idee, um so an¬
steckender ist sie.“
Verf. kommt zu dem Resultat, daß die Suggestion am einfachsten als ein
affektiver Vorgang aufzufassen sei, und daß den weiteren, umfassenderen Begriff
die Affektivität bilde, von der somit die Suggestibilität nur eine Teilerschei¬
nung sei.
Bei der „Paranoia“ wendet sich Verf. zuerst gegen die Anschauung, daß die
Paranoia aus dem „krankhaften Affekt des Mißtrauens“ entstehe. Das Mißtrauen
sei kein Affekt, sondern nur vom Affekt begleitet.
Nach der Meinung des Verf.’s ist eine primäre Störung der Affekte bei der
Paranoia nicht bewiesen, sie seien nur sekundär gestört.
Die eigenartige Wesensänderung der Paranoia, bei der die eigene Person in
krankhafter Weise den Brennpunkt abgibt, den „egocentrischen Charakter“ der
Paranoia will Verf. im Anschluß an Freud dadurch erklären, daß ein „affekt¬
betonter Vorstellungskomplex den Ausgangspunkt der Wahnideen“ bilde und
dauernd „im Vordergrund der Psyche“ stehe.
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Verf. weist auf die erotischen, hypochondrischen und querulatorischen Wahn¬
komplexe in dieser Hinsicht hin und teilt Fälle mit, die seine Ansicht stützen
sollen.
Forensische Psychiatrie.
44) L’opera di Cesare Lombroso nella soienza e nelle sue applicazioni.
(Torino 1906, Fratelli Bocca.) Bef.: Hübner (Bonn).
Zum 70. Geburtstage Lombrosos haben sich seine Freunde und Mitarbeiter
zu einem Komitee vereinigt, dos ihm neben zahlreichen anderen Ehrungen auch
eine literarische in Gestalt einer Festschrift bereitete. Das umfangreiche Werk
hat, wie sein Titel besagt, den Zweck, zu zeigen, wie großen Einfluß die Lebens¬
arbeit des italienischen Gelehrten auf die Entwicklung der verschiedensten Wissen¬
schaften und auf deren Anwendung im praktischen Leben ausgeübt hat.
45) Greisenalter und Kriminalität, von Bresler. (Jurist.-psychiatr. Grenzfr.
Halle a/S. 1907, Marhold.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Die Statistik zeigt, daß im Greisenalter schon an und für sich die Verbrechen
zunehmen, und zwar besonders die sexuellen Delikte (Unzucht), fahrlässige Brand¬
stiftung, ungesetzliche Trauung u. dgl. Es liegt darin nicht etwa der Beweis für
Zunahme oder Fortdauer früherer verbrecherischer Neigungen, sondern es sind
unter den Greisen, die Verbrechen begehen, sehr viele, die noch unbestraft bisher
waren. Verf. weist dabei darauf hin, daß manche Gesetze Altersschwäche neben
Geistesstörung als Grund für Straffreiheit anerkennen bzw. anerkannten. Es
erscheint daher bei unserer heutigen Gesetzgebung die Forderung dringend ge¬
boten, daß bei strafbaren Handlungen von Greisen, die zum ersten Male sich
vergangen haben, ihre Zurechnungsfähigkeit geprüft werden muß.
Auch die Zeugenaussagen von Greisen müssen stets mit Vorsicht aufgenommen
werden.
Die Psychologie des Greisenalters hat wenig eingehende Bearbeitungen erfahren.
Verf. hebt hervor, daß man nicht nur von einer Abnahme der Lebenstätigkeit
sprechen dürfe, sondern vor allem auch von einer Bichtungsänderung derselben.
Ein sehr frühes Auftreten der dem Senium eigenen Änderungen und ein
auffallender Gegensatz zwischen dem jetzigen und dem früher bekannten Wesen
lassen die Grenze des Pathologischen vermuten.
Verf. wendet sich weiter dem Senium praecox und der Arteriosklerose in
ihrer Bedeutung für die Entstehung psychischer Störungen zu, um weiter die
Literatur über die Seelenstörungen des Greisenalters in ihren Hauptzügen durch-
zusprechen.
In dem Schlußkapitel der eingehenden Arbeit wird die Kriminalität geistes¬
gestörter Greise besprochen. Es sind neben vielen Fahrlässigkeitsvergehen vor
allem sexuelle Delikte, die das Hauptkontingent der Verbrechen der geisteskranken
Greise ausmachen und die bemerkenswerter Weise oft als erstes Symptom der
Psychose des Seniums in die Erscheinung treten.
III. Aus den Gesellschaften.
Internationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und
Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1907.
Beferent: Dr. Bl es (Amsterdam).
Nachtrag zu Sektion I.
Herr L. J. J. Muskens demonstriert an Projektionspräparaten die resultieren¬
den Degenerationen nach Exstirpation des Flocculus bei Kaninohen, Eichhörnchen
und Katze. In keinem Falle, auch nicht bei Kaninchen und Katze, wo der
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Flocculus (eigentlich Pars petrosa cerebelli) außer Kleinhirnrinde und weißer Sub¬
stanz auch einen Teil des Nucleus dentatus enthält, fand er im Rückenmark ab¬
steigende Degenerationen. Beim Eichhörnchen, wo nur Kortex und weiße Sub¬
stanz im Flocculus enthalten sind, sieht man nur Degeneration bis in den Nucleus
dentatus. Nur beim Kaninchen und Eichhörnchen zeigt sich infolge der Läsion des
gezahnten Kernes auch Entartung des oberen Kleinhirnarmes. Merkwürdig ist, daß
bei Kaninchen nur das mittlere Drittel des Crus cerebelli ad corpora quadrige-
mina degeneriert ist, so daß hier eine weitere Differenzierung der verschiedenen
zusammensetzenden Bündel möglich erscheint. Vortr. weist darauf hin, daß der
Ursprung und die Bedeutung des von Thomas und RamönyCajal entdeckten,
von Probst als ventrales Kleinhirn-Thalamusbündel bezeiohneten Faserbündels noch
dahin steht. Zahlreichen eigenen Versuchen zufolge glaubt Vortr. nicht, daß diese
Fasern absteigende Kollateralen sind. Mit Rücksicht auf die Zwangsbewegungen,
nach diesen Experimenten beobachtet, will er an seine Definition der Zwangs¬
bewegungen erinnern (Journal of Physiol. 1904), naoh welcher die Abwesenheit
von Lähmungen dafür wesentlich ist. Nur die Richtung der Lokomotion, nicht
die Bewegungen selbst sind gestört. Jeder Versuch, die Zwangsbewegungen durch
Lähmung oder gleichartige Zustände — der einen Körperhälfte — zu erklären,
muß deshalb als verfehlt betrachtet werden.
Herr van Gehuchten bemerkt, daß die Beweise sich gemehrt, daß ab¬
steigende cerebellare Fasern nicht existieren. Er ist noch nicht überzeugt, daß
seine Auffassung des ventralen Thalamusbündels unrichtig ist.
XVII. Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs
und französisoh sprechender Länder in Genf und Lausanne vom
1. bis 6. August 1807.
Referent: R. Hirsehberg (Paris).
In der ersten allgemeinen Sitzung hielt der Vorsitzende des Kongresses,
Herr Prfivost, einen wichtigen Vortrag über experimentelle Epilepsie. Sein
Schüler F. Battelli hat gezeigt, daß ein alternativer Strom am Kopfe appliziert
(eine Elektrode am Mund, die andere am Nacken) einen konvulsiven epileptiformen
Anfall zur Folge hat, welcher bei den Säugetieren mit einem tonischen Stadium
apfängt, um dann in das Stadium der klonischen Krämpfe überzugehen. Bei
dieser Methode wird das ganze Gehirn gleichzeitig gereizt. Dazu hat dieselbe
noch den Vorzug, daß man sie mehrmals bei demselben Tier applizieren kann,
da man gar keine operative Eingriffe am Schädel vorzunehmen braucht. Andrerseits
ist man auch der Gefahr nicht ausgesetzt durch Lähmung des Herzens den Tod
des Tieres zu verursachen, wie dies geschieht, wenn der elektrische Strom durch
die Gegend des Herzens geht. Aus den Experimenten des Vortr. und des Herrn
Battelli geht hervor, daß der Tod durch elektrische Ströme nicht auf eine
Inhibition des Nervensystems zurückzuführen ist, wie es manche Autoren behauptet
haben, sondern von einer Herzlähmung herrührt. Die Ursache dieser Lähmung
sind fibrilläre Tremulationen des Herzens, und wenn man dagegen nicht ein-
schreitet, so ist bei manchen Tieren, so z. B. beim Hund, der Tod auch ein
definitiver. In der Tat hat Battelli gezeigt, daß man diese Herzlähmung zum
Verschwinden bringen kann durch direkte Applikation eines Stromes von einer
Spannung von wenigstens 210 Volten und somit das Tier retten kann. Bei anderen
Tieren (Meerschweinchen, Kaninchen, Ratten) sind die fibrillären Tremulationen
des elektrisierten Herzens keine definitiven, darum vertragen diese Tiere ohne
Schaden elektrische Ströme. Appliziert man bei einem Hunde eine Elektrode am
Nacken und eine am Mund (alternativer Strom), so ruft man einen epileptischen
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Anfall hervor. Zunächst während 15 bis 20 Sekunden tonische Krämpfe, dann
tritt ein Stadium von klonischen Krämpfen ein von einer Dauer von 10 bis
50 Sekunden. Während dieses Stadiums sind die Pupillen erweitert. Auf
das klonische Stadium folgt ein Stadium von tiefem Coma. Aus dem Coma
wacht dos Tier bald auf in einem Zustand von großer Erregung und Zorn.
Das Maul voll von blutigem Schaum, bellend und heulend wirft sich das Tier
auf alle Gegenstände. Das Sehen des Tieres scheint getrübt zu sein. Mit
einem Worte, dieses Stadium ähnelt dem postepileptischen Ezzitationsstadium
bei der menschlichen Epilepsie. Allmählich beruhigt sich das Tier und kehrt in
einen vollständig normalen Zustand zurück. Herr Samaja, ein Schüler des
Vortr., hat nachweisen können, daß das klonische Stadium von einer Keizung der
Rindenschichte des Gehirns abhängt. Hat man auf experimentellem Wege das
Gehirn seiner Rindenschichte und der psychomotorischen Centren beraubt, so ruft
der elektrische Strom nur tonische Krämpfe hervor und kein Stadium von kloni-
Bchen Krämpfen mehr. Dasselbe beobachtet man bei jungen Tieren, bei welchen
die kortikale Schichte des Gehirn noch nicht ausgebildet ist (Samaja, bei Katzen,
die jünger sind als 18 Tage). Appliziert man den elektrischen Strom beim Hund,
Katze oder Affe vom Kopf bis zum After, so fehlt ebenfalls das klonische Stadium,
trotzdem die Tiere erwachsen sind. Vortr. erklärt dieses Phänomen als Folge
von Rindenanämie, verursacht durch Herzlähmung. Mit einem seiner Schüler,
M ioni, hat er Experimente angestellt, die in der Tat beweisen, daß bei künst¬
licher Anämisierung des Gehirns (durch Kompression der Halsarterien) das klonische
Stadium der durch elektrischen Strom hervorgerufenen Epilepsie vollständig fehlt
Übrigens ruft die Applikation des elektrischen Stromes am Rückenmark immer
nur tonische Krämpfe und nie klonische hervor. Beim Kaninchen und beim
Meerschweinchen kann man klonische Krämpfe hervorbringen nach Abtragen von
beiden Großhirnhemisphären. Das Centrum für klonische Zuckungen muß bei
diesen Tieren im verlängerten Mark oder im Isthmus liegen. Bei allen Säuge¬
tieren und Vögeln ist das ganze Rückenmark der Sitz ausschließlich von tonischen
Centren, und nie kann man bei diesen Tieren durch Reizung des Rückenmarks
klonische Krämpfe hervorbringen.
Referat 1. In der psychiatrischen Sektion teilt zunächst Herr Gilbert
Ballet sein Referat mit: Forensisohes Gutachten und die Frage der Zu-
reohnungsfähigkeit. Vortr. meint, daß die Frage der Zurechnungsfähigkeit
(Responsabilitä) bei psychiatrischen Gutachten nicht von ärztlicher Kompetenz ist.
Die Frage von der Zurechnungsfähigkeit (Responsabilitö) oder Unzurechnungs¬
fähigkeit (Irresponsabilite) geht den Arzt nichts an. Der französische Richter
ist nicht einmal berechtigt diese Frage an den Sachverständigen (Psychiater) za
stellen, da der § 64 des französischen Strafgesetzbuches, auf Grund dessen der
Sachverständige zugezogen wird, von Zurechnungsfähigkeit oder Unzurechnungs¬
fähigkeit keine Silbe enthält. Dieser Paragraph lautet: „Es besteht weder Ver¬
brechen noch Vergehen, sobald der Angeklagte, während er die Tat begangen hat,
sich in einem Zustand von Demenz befunden hat, oder von einer Kraft, der er
nicht imstande war zu widerstehen, zu dieser Tat bewogen wurde.“ Es ist also
gegen das Gesetz, wenn die Frage von der Zurechnungsfähigkeit an den sach¬
verständigen Arzt gestellt wird. Es ist wahr, daß in den meisten Fällen ein solches
Verfahren keine praktischen Übelstände nach sich zieht, da die Bezeichnungen
Zurechnungsfähigkeit mit geistig normal und Unzurechnungsfähigkeit
mit geistig abnorm sich decken. Es gibt aber auch Fälle, in welchen solches
Verfahren zu bedauernswerten Konsequenzen führen kann. Bei dem Begriff von
Zurechnungsfähigkeit kann es sich entweder um moralische oder soziale Zu¬
rechnungsfähigkeit handeln. Die moralische Zurechnungsfähigkeit gehört in das
metaphysische Gebiet und geht die Ärzte nichts an. Wir haben uns mit der
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sozialen Zurechnungsfähigkeit allein zu befassen. Der Gesetzgeber glaubt irriger-
-weise, daß mit Ausnahme der unzurechnungsfähigen Irrsinnigen es nur strafbare
gewöhnliche Verbrecher gibt, gegen welche die Gesellschaft genügend geschützt
ist, indem sie einem jeden Vergehen eine proportioneile Strafe appliziert. Der
Gesetzgeber bat aber eine ganze Kategorie von Delinquenten außer acht gelassen,
die man weder für unzurechnungsfähige Irrsinnige, noch für geistig Normale und
darum vollständig Zurechnungsfähige halten kann. Gerade in bezug auf diese
^Kategorie von Delinquenten haben die Ärzte die üble Gewohnheit angenommen,
eich der Bezeichnung verminderte Zurechnungsfähigkeit zu bedienen. Vortr.
ist der Meinung, daß diese Bezeichnung erstens keinen medizinischen Sinn bat,
und zweitens zu einer Verminderung der Strafe führt, die nicht gerechtfertigt ist,
da gerade die meisten vermindert Zurechnungsfähigen vom sozialen Standpunkt viel
gefährlicher sind als mancher vollständig zurechnungsfähiger Verbrecher. Der
Sachverständige darf in seinem Gutachten die Gefährlichkeit solcher Delinquenten
nicht totschweigen, da dieselbe aus seiner ärztlichen Untersuchung des betreffen¬
den hervorgeht. Er bleibt somit in seiner Bolle des Sachverständigen, indem er
den Grad dieser Gefährlichkeit bestimmt. Der Arzt hat freilich sich nicht in
die Frage des Strafmaßes hineinzumischen, nichtsdestoweniger darf er nicht in
seinem Gutachten, in seiner Aussage, Bezeichnungen anwenden, die erstens
ins Gesetze gar nicht figurieren und zweitens zu einer Strafe führen, die die
Gesellschaft ungenügend gegen einen gefährlichen Delinquenten schützt Vortr.
möchte deswegen, daß man die Bezeichnung verminderte Zurechnungsfähigkeit aus der
forensischen Psychiatrie streichen soll. Der heutige Mißbrauch der Bezeichnungen
zurechnungsfähig, unzurechnungsfähig, vermindert zurechnungsfähig
liegt darin, daß der sachverständige Arzt naturgemäß auf die Fragen antworten
möchte, die der Richter an ihn stellt. Dem Wortlaut des Gesetzes zufolge hat
aber der Richter nicht das Recht in dieser Weise dem Arzt die Frage zu stellen.
Das Gesetz ist lückenhaft in dieser Beziehung. Da soll sich der Richter an den
Gesetzgeber wenden, um das Gesetz zu modifizieren. Bis dahin ist er aber vom
Gesetz dazu nioht berechtigt, eine schwere soziale Verantwortung ganz und gar
auf die Schultern des Bachverständigen Arztes zu wälzen.
Diskussion: Herr Grasset (Montpellier) mt der Meinung, daß die sach¬
verständigen Ärzte die Pflicht haben, den Richter über den Grad der Zurechnungs¬
fähigkeit des Angeklagten aufzuklären. Im Gegenteil zu dem Vortr. verteidigt
G. lebhaft den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit. Er bedauert, daß das
französische Gesetz in dieser Beziehung so lückenhaft ist, und schlägt dem Kongreß
folgendes Votum vor: 1. Die Begriffe von Zurechnungsfähigkeit, von Unzurechnungs¬
fähigkeit und verminderter Zurechnungsfähigkeit sollen in das Gesetz eingeführt
werden, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß es sich dabei um medizinische
oder physiologische Zurechnungsfähigkeit handelt. 2. Das Gesetz soll gestatten,
daß unter bestimmten Umständen das Urteil neben oder anstatt der Strafe obli¬
gatorisches Behandeln in speziellen Anstalten befiehlt von solchen Verurteilten,
die als unzurechnungsfähig oder vermindert zurechnungsfähig erklärt wurden.
Herr Giraud (Saint Yon) bekämpft ebenfalls die Schlüsse des Vortr. und
findet, daß unsere heutige soziale Organisation die Zurechnungsfähigkeit zur Basis
hat, und der sachverständige Arzt kann in seinem Gutachten dieser Frage nicht
entgehen. In demselben Sinne äußert sich auch Herr Francotte (Lüttich).
Herr Joffroy (Paris) erblickt keinen großen Schaden in dem Gebrauch von
den Ausdrücken zurechnungsfähig, unzurechnungsfähig in prägnanten, aus¬
gesprochenen Fällen. Die Schwierigkeit liegt in den wenig ausgesprochenen Grenz¬
fällen. J. möchte, daß man eine passendere Bezeichnung als den Begriff Respon-
sa bilität finden sollte. Man würde alsdann den Wortstreit zwiBohen dem Vortr. und
Grasset beseitigen können, da sie doch im Grunde beide derselben Ansioht sind.
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Herr Rögis (Bordeaux) ist der Meinung, daß die Divergenz der Ansichten
nicht einzig und allein in der verschiedenen Auffassung eines Wortes bestehen.
Etwas viel wichtigeres ist im Spiele. Der Vortr. scheint zu glauben, daß die
Mission des Sachverständigen damit erfüllt ist, wenn er die Diagnose gestellt hat.
Das ist aber durchaus nicht der Fall. Ein Gutachten ist mehr als eine Diagnose,
da es sich auch auf die medico-legale Konsequenzen der Diagnose zu erstrecken
hat, um den Richter über den verschiedenen Grad der Zurechnungsfähigkeit auf¬
zuklären. In einem Arbeitsunfall würden wir uns dann nur auf eine Diagnose be¬
schränken und gar nichts von der späteren Arbeitsfähigkeit des Verunglückten sagen?
Warum soll dann der sachverständige Psychiater nicht das Recht haben, von der
Arbeitsfähigkeit des Gehirns, d. h. von der Zurechnungsfähigkeit zu sprechen. Er
hat nichts dagegen, wenn das Wort zurechnungsfähig (responsable) durch ein besseres
ersetzt würde, er bleibt aber fest der Meinung, daß der Sachverständige in seinem
Gutachten neben der Diagnose die forensischen Schlüsse derselben zu ziehen hat.
An der Diskussion beteiligten sich noch die Herren Bard (Genf), Bern heim
(Nancy), Alexandre Paris (Nancy), Zangger (Zürich), Vallon (Paris) und
Er ne st Duprä (Paris). Leider sind alle diese sehr interessanten Reden in einem
kurzen Referat nicht wiederzugeben. Die meisten gingen weit über die Grenzen
des Referats des Vortr. hinaus und berührten ethische und philosophische Fragen,
um am Ende für oder gegen die Thesen des Vortr. sich auszusprechen.
In seinem Schlußwort schlägt Vortr. vor, daß vom Kongreß über folgende« ab¬
gestimmt wird. 1. § 64 des französischen Strafgesetzbuches, auf Grund dessen die
Sachverständigen ernannt werden, um auf Geistesstörungen verdächtige Angeklagte
zu untersuchen, lautet einfach, daß weder Verbreohen noch Vergehen besteht,
sobald der Angeklagte im Augenblick, als die Tat begangen wurde, sich in einem
Zustande von Demenz befand. Das Wort Zurechnungsfähigkeit ist jedoch in diesem
Paragraph nicht enthalten. 2. Die Fragen von Zurechnungsfähigkeit, sei es
moralische, sei es soziale, sind eher metaphysischen oder juristischen als ärzt¬
lichen Charakters. 3. Der Arzt, dessen alleinige Kompetenz auf die Wirklich¬
keit und Natur der Geistesstörung und auf den Einfluß, den diese Geistesstörung
auf die inkriminierten Handlungen des Angeklagten ausgeübt hat, sich erstreckt,
hat nicht auf diese Fragen einzugehen.
Der Kongreß beschließt: „Die Richter mögen sich an den Text des § 64
halten und die ebenerwähnten Fragen an die sachverständigen Ärzte nicht richten,
da diese Fragen außerhalb der ärztlichen Kompetenz liegen.“ Mit großer Mehr¬
heit werden diese Thesen angenommen
Referat II. Herr Antheaume (Paris). Die periodischen Psychosen.
Die Periodizität und das Alternieren der Manie und der Melancholie war von jeher
bekannt. Es ist aber das große Verdienst von Baillarger und J., P. Fahret
im Jahre 1864 das cirkuläre Irresein und die Folie & double forme von
der gewöhnlichen Manie und Melancholie isoliert und die Symptome und die
Prognose der neuen Krankheit festgestellt zu haben. Im Jahre 1890 beschreibt
Magnan das intermittierende Irresein (la folie intermittente), das in rezi-
divirender Manie und Melancholie bestehen und in sich alle Exzitations- und
Depressionszustände einschließen soll, das weder zu den organischen, noch degeBe-
rativen oder idiopathischen Psychosen gehört. Im Jahre 1899 beschreibt
Kraepelin das manisch-depressive Irresein. Durch dasselbe werden alle Falle
von Manie in die periodische Verrücktheit eingeschloBsen, ebenso alle Fälle
von Melancholie, mit Ausnahme der präsenilen Involutionsmelancholie. Wir
sehen somit, daß auf Kosten der Manie und der Melancholie die neue Krankheit
sich zwischen 1864 und 1899 ausgebildet hat. Das periodische Irresein
der Franzosen und das manisch-depressive Irresein von Kraepelin unter»
scheiden sich in verschiedenen Punkten. Das periodische Irresein begründet seine
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Definition in seiner Ätiologie, in seinen Symptomen und in seiner charakteristischen
Evolution. Die Kraepelinsche Auffassung sucht ihre Begründung in einer ein¬
gehenden psychologischen Analyse, die beweisen soll, daß die Manie und Melancholie
keine entgegengesetzte Zustände sind, wie man es bis dahin geglaubt hat, sondern
homologe Zustände, die beide dadurch charakterisiert Bind, daß die Aufmerksam¬
keit herabgesetzt ist, die Ideenassoziation verlangsamt, die Perzeption eine un¬
genügende ist. Die Lähmung der höhereren psychischen Funktionen ist somit bei
der Manie wie hei der Melancholie vorhanden. Nur ist bei der ersteren der
psychische Automatismus exaltiert, während bei der Melancholie die höheren psy¬
chischen Qualitäten in einem Zustande von Inhibition sich befinden. Kraepelin
erkennt keine einfache Manie und Melancholie an. In der Tat sind die Symptome
beider einander ähnlich, wie beim periodischen Irresein, sie rezidivieren immer. Die
Anfälle sind nie ausschließlich maniakalischer oder melancholischer Natur, sondern
immer von doppelter Form. Gegen Kraepelins Ansichten wurden von verschiedener
Seite Bedenken, jedoch ohne großen Belang, erhoben. Seine Ideen gewinnen immer
mehr und mehr an Terrain, da sie eine sehr verlockende Auffassung des perio¬
dischen Irreseins bilden. Kraopelin hat die Symptomatologie dieser Krankheit
um die ötats mixtes bereichert, die in Augenblicken beobachtet werden, wo der
melancholische Zustand in den maniakalischen umschlägt und umgekehrt. Die
heutige Auffassung des manisch-depressiven Irreseins scheint zu sein, daß es sich
um eine konstitutionelle Psychose bandelt, die während der Pubertät oder der
Involutionsperiode ausbricht. Für Kraepelin, sowie für die meisten ausländischen
Psychiater gibt es zwischen den Anfällen keine vollständig klaren Intervalle. Es
bestehen immmer abnorme Erscheinungen: Daniederliegen der psychischen Energie,
abnorme Reizbarkeit usw.
Diskussion: Herr Rägis (Bordeaux) ist der Meinung, daß die Kraepelinsche
Theorie der Realität der Tatsachen nicht entspricht. Es ist nicht möglich, die
Existenz der einfachen Manie und einfachen Melancholie zu leugnen. Man hat auch
die Konstanz der Rezidive behauptet. R. bringt aber eine Statistik von 181 Fällen,
die er im Verlaufe von 25 Jahren gesammelt hat und die Bich auf 48 Fälle von
einfacher Manie ohne Rezidiv und 86 Fälle von reiner Melancholie ohne Rezidiv
erstreckt (= 74 °/ 0 ). Dagegen 47 Fälle von rezidivierender Manie und Melancholie
(=26 %). Diese Statistik ist maßgebend für die Beurteilung dieser Frage.
Weiter bekämpft er Kraepelins Ansichten über Manie und Melancholie. Die
Manie ist die Exaltation des ganzen Wesens, aller Funktionen des Organismus.
Die Melancholie ist eine Konzentration, eine Depression desselben.
Herr Gilbert Ballet (Paris) glaubt nicht, daß Kraepelins Ansichten, selbst
von allen angenommen, die Psychiatrie umwälzen werden. Er akzeptiert wohl diese
Ansichten, verficht sie aber nicht als Dogma. Und dies fällt ihm um so leichter, als
die Lehre Kraepelins während der verschiedenen Auflagen seines Buches sich ge¬
ändert hat. Die von ihm geschaffene Involutionsmelancholie hat er jetzt verlassen.
B. macht ihm durchaus keinen Vorwurf. Im Gegenteil, es ehrt ungemein den
Forscher, wenn er seinen Irrtum bekennt. B. ist gegen die Bezeichnung „manisch-
depressives" Irresein (Folie maniaco-depressive). Erstens ist der Ausdruck nicht
elegant, und auch das Wort Folie gefällt ihm nicht. Er möchte, daß dieses Wort
— Verrücktheit — aus der Psychiatrie gestrichen und durch das Wort Psychose
ersetzt wird. Das Wort „cirkulär“ ist auch nicht passend. Viel richtiger wäre
periodische Psychose zu sagen. Die Statistik von Herrn Regis wundert ihn
gehr. Nach Beiner Erfahrung bilden die reinen, nicht rezidivierenden Formen von
Manie und Melancholie eine Ausnahme.
Herr Dupre (Paris) möchte die Gelegenheit benutzen und die Lebens-
geschichte zweier berühmter deutscher Musiker — Schumann und Hugo Wolff —
erzählen. Schumann hat sechs große Krisen von melancholischer Depression über-
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standen, zwischen welchen sich Perioden von außerordentlicher produktiver Akti¬
vität befinden, mit gehobener Stimmung, die entschieden Ezzitationskrisen ent¬
sprechen. In den letzten Jahren des Lebens dieses großen Künstlers tragen seine
Kompositionen Zeichen von Schwankungen, die sicher auf Schwäche der psychi¬
schen Tätigkeit zurückzuführen sind. Später tritt halluzinatorisches Delirium
hinzu, ein Selbstmordversuch, und Schumann geht an einer diffusen chronischen
Encephalopathie zugrunde. Hugo Wolff, der an einer progressiven Paralyse starb,
überstand im Alter zwischen 27 und 40 Jahren 4 Exzitationskrisen, während
welcher er Hunderte seiner Lieder komponiert hat. Zwischen diesen Anfallen
längere Perioden von Untätigkeit und absoluter musikalischer Stille. Diese zwei
Krankengeschichten sind insofern interessant, als sie uns den Einfluß zeigen,
welchen eine periodische Psychose auf den Schaffungsgeist zweier genialer Musiker
ausgeübt hat. Die Psychose dieser zwei Meister hat übrigens nichts gemein¬
schaftliches mit der „folie intermittente“.
An der Diskussion beteiligten Bich weiter die Herren Vallon (Paris), Pailhas
(Albi) und Deny (Paris).
(Schluß folgt.)
IV. Neurologische und psychiatrische Literatur
vom 1. Juli bis 31. August 1907.
(Die als Originale in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch
einmal angeführt.)
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bei Paralyse. Pöych.-neur. Wochenschr. Nr. 22. — Forensische Pychiatrie*. Näcke,
Adnexe an Gefängnissen für geisteskranke Verbrecher. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 19.
— Wagner, Forensische Tätigkeit der Anstaltsärzte. Ebenda. — Leppmann, A., Forensische
Bedeutung der Zwangsvorstellungen. Ärztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 13. — Therapie der
Geisteskrankheiten: Lehrmann, Freiluft-Dauerbäder. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 17.
— Ennen, Ärztefrage. Ebenda. Nr. 18. — Hopf, Ärztemangel an Anstalten. Ebenda. Nr. 17.
— Deutsch, Anstaltsarztfrage. Ebenda. Nr. 15. — Sandner, Ärztlicher Nachwuchs an An¬
stalten. Ebenda. — Wickel, Pflegerfrage. Ebenda. Nr. 16. — Kerris, Ärztefrage. Ebenda.
— Dietz, Franz. Kreisirrenanstalten. Ebenda. Nr. 19. — Tintemann, Freiluftdauerbäder.
Ebenda. Nr. 20. — Ultz, Kostfrage in Anstalten. Ebenda. Nr. 22. — Scholz, Heilungs¬
aussichten in der Anstalt. Ebenda. Nr. 21. — Moreira, I/assist. des aliönös au Bresi!.
Bologna. Stab, poligraf. Emiliano.
Y1I. Therapie. Daeubler, Castoreum-Bromid. Therap. Monatsh. Heft 8. — Chiroae,
Chloralhydrat und Blut. Rif. med. Nr. 33. — Jones, Electrotherapeutics. Glasgow med.
Journ. LXVIII. Nr. 2. — Boruttau, Hochgespannte Ströme. Zeitschr. f. ärztl. Fortbild.
Nr. 14. — Nagelschmidt, Hochfrequenzströme. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 32. —
Martin, Luft-, Bonnen- und Lichtbäder. Zeitschr. f. physik. u. diät. Ther. XI. Heft 5. —
Vlna), Hydriatik u. Temperatursinn. Blätter f. klin. Hydrother. Nr. 9. — Laqueur, Hydro¬
therapie. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 84. — Winternitz, Hydrotherapie. Wiener med.
Blätter. Nr. 30. — Benderski, Streichelnde Massageprozeduren. Wiener med. Wochenschr.
Nr. 84. — Vitatf, Paraganglin bei Nervenkranken. Rif. med. Nr. 25. — Uspenskl, Cerebrale
Organotherapie. Deutsche Arzte-Ztg. Heft 14. — v. Mosetig-Moorhof, Operationen am Nerven¬
system. Heilkunde. Heft 8.
V. Berichtigung.
Auf S. 952, Zeile 4 muß es heißen*, „auf dieser Höhe“ statt auf diese Weise.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Veit & Comp. in^Leipsig. — Druck von Minen & Wime in Leipsig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet yon Prof. E. Mendel»
Herausgegeben
von
Dr. Kurt Mendel.
Sechsundzwanzigster Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 16. November. Nr. 22.
Inhalt. I. Originalmitteillingen. 1. Otogener Hirnabsceß. Mitgeteilt von Prof. Karl
Schaffer. 2. Über das Fehlen des Achillesphänomens, von Dr. Georg Flatau in Berlin.
II. Referate. Anatomie. 1. L^corce cerebrale. Premiere partie: developpement, mor-
phologie et connexions des cellules nerveuses, par Bonne. — Physiologie. 2. Schädel¬
maße und Beruf, von Lomer. 3. Weitere Untersuchungen über die Beziehungen zwischen
Schädelumfang und Intelligenz im schulpflichtigen Alter, von Bayerthal. — Psychologie.
4. Zur Psychologie der plötzlichen Bekehrungen, von Näcke. 5. The psychology of sudden
religious conversion, by Prince. — Pathologische Anatomie. 6. Über die Widerstands¬
fähigkeit des Neurofibrillennetzes der normalen und pathologischen Nervenzelle gegen Ver-
faulnis, von di Mattei. 7. Zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Naka.
8. Pathology of paralysis agitans, by Camp. — Pathologie cles Nervensystems.
9. Contributo alla conoscenza dei movimenti nel sonno, per Segre. 10. Über einseitigen
klonischen Krampf des weichen Gaumens, von Lachmund. 11. Zur Ätiologie des Spasmus
nutans, von Rletschel. 12. Zur Geschichte des Torticollis spasmodicus, von Steyerthal.
13. Zur Kasuistik der tonischen Krämpfe des Rumpfes, von Fuchs. 14. Eigentümliche
Kontraktur nach Ablaktation, von Turnowsky. 15. Zwei Fälle von Myoklonie; von Lukäcs
und Verzär. 16. Contributo allo studio delle mioclonie infettive neir etä infantile, oer
Meynier. 17. Zur Kenntnis der Athetose, von Berger. 18. Chorea electrica congenitalis bei
einem Lamm, par Besnftit. 19. Case of multiform tic including automatic speech and pur-
posive movements, by Prince. 20. Iconographie de Revolution d’un cas de maladie des tics,
par Roubinowitsch. 21. The differential diagnosis between chorea minor and tic, by Graves.
22. Beiträge zur Pathogenese der Chorea und der akuten infektiösen Prozesse des Central¬
nervensystems, von Cramer und TObben. 23. Über akuten Gelenkrheumatismus, Chorea und
Endokarditis der Kinder, von Kephallinos. 24. An analysis of 808 cases of chorea, by
Thayer. 25. Maniacal chorea, by Finny. 26. Über Todesfälle bei Chorea, von Rachmaninow.
27. Zur Chorea gravidarum, von Martin. 28. Un caso di corea di HuntiDgton con reperto
anatomo-patologico. del Besta. 29. Über chronische progressive Chorea (Huntington) im
jugendlichen Alter, von Lange. 30. Über Myatonia congenita (Oppenheim), von Rosenberg.
31. Ein Fall von Myatonia congenita, von LugenbUhl. 32. Über kongenitale Muskelatonie,
von Tobler. 33. Über progressive Muskelatrophien, von Rotstadt. 34. Zur Pathologie der
dystrophischen Form des angeborenen partiellen Riesenwuchses, von Wieland. 35. Zwei Fälle
von Dystrophia muscularis progressiva farailiaris, von WinocourofV. 36. Pseudo-hypertrophic
muscular atrophy, by Ingbert. 37. Myopathy of the distal type and its relation to the
neural form of muscular atrophy (Charcot-Marie, Tooth type), by Spiller. 38. A case of
neuromuscular paralysis (Charcot-Marie-Tooth type), by Raffan. 39. Atrophia nervi optici
und neurotische Muskelatrophie, von Krauss. 40. Histoire clinique d'un cas d'atrophie du
tissu celluloadipeux, par Barraquer. 41. The influence of facial hemiatrophy on the facial
and other nerves, by Gowers. 42. Über Hemiatrophia faciei, von Heinemann. — Psychiatrie.
43. Zur Lehre von den psychopathischen Konstitutionen, c) Wahnvorstellungen, von Ziehen,
44. Die Sekretion des Magensaftes und ihre Beziehungen zu psychopathologischen Zustands-.
bildern, von Mayr. 45. Der Mongolismus. Referat von Vogt. 46. Die Heredität der Dementia
praecox, von Wolfsohn. 47. La tubercolosi nella etiologia e nella patogenesi delle malattie
nervöse e mentali, per Morselli. 48. Les alienes et la tuberculose, par Marie. 49. Notes
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1042
upoD tbe incidence of tubcrculosis in asylums, by Greene. 50. Propbylaxie et traitemect
de la tuberculose dans les asiles d’alienes, par Briand. 51. On tne etiology of asylum
dysentery, by Knobel. 52. Über die Entlarvung von Simulation bei Geisteskranken/ von
KGppen.
III. Bibliographie. 1 . Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten, von ElehfeorsL
2. Die Geschwülste des Nervensystems: Hirngeschwülste, Rückenmarks- und Wirbel¬
geschwülste, Geschwülste der peripheren Nerven, von Bruns. 3. Leitfaden der ärztlichen
Untersuchung mittels der Inspektion, Palpation, der Schall- und Tastperkussion, sowie der
Auskultation, von Ebstein.
IV. Aus den Gesellschaften. XIII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neuro¬
logen in Leipzig am 26. und 27. Oktober 1907. — XXXVIII. Versammlung der südwest¬
deutschen Irrenärzte in Heidelberg am 2. und 3. November 1907. — XVII. Kongreß der
Psychiater und Neurologen Frankreichs und französisch sprechender Länder in Genf und
Lausanne vom 1. bis 6. August 1907 (Fortsetzung.) — Österreichischer Irrenärztetag in
Wien vom 4. bis 6. Oktober 1907.
IV. Vermisches. — V. Personalien.
I. Originalmitteilungen.
Aas der Budapester Poliklinik.]
1. Otogener Hirnabsceß.
Mitgeteilt von Prof. Karl Sohaffer.
Oberarzt der Nervenabteilung.
G. K., 28jähriger, verheirateter Tisohler wurde als Patient der Krankenkasse
am 5. Februar 1906 auf die Hospital&bteilung der Poliklinik aufgenommen. Den
Kranken untersuchte in der Ambulanz der Krankenkasse Priv.-Doz. v. Sabbö,
dessen Befund und Diagnose ich im folgenden gebe. „Geschwächte Hörfähigkeit
seit Kindheit auf dem linken Ohre; Lues negiert; hat ein Kind, seine Frau
abortierte während der zwei ersten Schwangerschaften. Patient war früher nie
krank und als fleißiger und nüchterner Arbeiter bekannt. Am 14. Januar
1906 erkrankte er unter Erscheinungen von Schwindel und Ohrensausen; seine
Untersuchung wies zu dieser Zeit nichts Abnormes nach. Am 1. Februar wird
sein unsteter Blick auffallend, er kann sich nicht • gut ausdrüoken und beklagt
sich, nicht lesen zu können. Fragen apperzipiert er nur nach Wiederholung;
seine Antworten sind zögernd. Nach Angaben der Frau ist ihr Mann seit
3 Wochen vergeßlich, gibt verkehrte Antworten, ist in letzter Zeit fieberhaft,
schlaflos, springt &ub dem Bett und hat einen unheimlichen Blick. Am 3. Februar
sprang er aus dem Bett mit den Worten: „Läßt man mich nicht in Buhe?“ Er
beklagt sich über immer heftiger werdende Kopfschmerzen, deren Intensität oft
unerträglich ist; sie sind auf die Stirn lokalisiert. Pupillen dilatiert, gleich,
reagieren gut so auf Lioht wie konsensuell, Akkommodation normal. Mit Augen¬
spiegel Papilloretinitis. Im Dunkeln ist die rechte Pupille etwas weiter als
die linke. Die rechte Nasolabialfalte verstrichener; oberer Facialis in Ordnung. Es
sind Erscheinungen vorhanden, welche auf die Affektion des Seh- und Hörcentrums
hinweisen; letztere sowie die progressiv heftigen Kopfschmerzen lassen die Diagnose
auf Hirnabsceß stellen. Dieser ist offenbar otogen; der Ohrbefund ist folgender:
Im äußeren Ohrgang weißlicher Eiter, nach dessen Entfernung im hinteren oberen
Trommelfellquadrant eine stecknadelkopfgroße Perforation sichtbar wird, durch
welchen aus der Trommelhöhle Granulationen wuchern. Diagnose: Cholesteatom?
Caries (Dr. Nbubaübr). Der Gang ist frei, etwas verlangsamt; steht mit ge¬
schlossenen Augen sicher.“
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1043
Den Patienten sah ich zum ersten Mal am 7. Februar 1906, als ich folgenden
Status erheben konnte: Der Schädel des mittelmäßig entwickelten, anämischen
Mannes weist keine Abnormität auf. Pupillen mittelweit, gleich; die linke reagiert
etwas träge, während bei Konvergenz beide gleich prompt sich bewegen. Im
Augenhintergrund findet Dr. Rbmbnäb Neuroretinitis. Die Sehfelder sind
beiderseits gleich groß und von normaler Ausdehnung. Augenhewegungen normal,
keine Diplopie, weder jetzt noch früher. Sensibilität sowie Motilität vorzüglich;
Lokalisation der Berührungen prompt. Zungenbewegungen, Deglutition frei. Der
rechte Mundfacialis bleibt etwas zurück. Gehör auf dem linken Ohre Null, auf
dem rechten Ohre normal. Kein Romberg; Gang mit geschlossenen Augen sicher.
Kniereflexe scheinen zu fehlen; Achillessehnenreflexe sicher vorhanden. Patient
selbst, wie auch seine Frau, beklagt sich über auffallende Vergeßlichkeit. Er
kann nicht sagen, in welcher Gasse er wohne; als Tischler vermag er den Hobel
nicht zu benennen und markiert nur durch entsprechende Bewegungen die Bestimmung
dieses Werkzeuges, womit er die Kenntnis des letzteren beweist. Er kann nicht
angeben, wo er sich befindet; erst als ich ihn auf die Betten und deren Insassen
aufmerksam mache, kommt er darauf, daß er sich im „Krankenzimmer“ befinde.
Auffallend ist die Lesestörung, welche sich darin kundgibt, daß Patient die ein¬
zelnen Buchstaben, besonders die am Anfang der Worte, fehlerhaft erkennt; so
z. B. liest er den Personennamen „Görgey“ unrichtig „Forgei“. Besonders auf¬
fallend ist, daß er die im Ungarischen so wichtigen Akzentzeichen nicht zu be¬
merken scheint und liest daher statt ö „o“, statt ü „u“. Auf „A“ sagt er „J“,
nun fordere ich ihn auf, „A“ zu schreiben, was er richtig tut. Unmittelbar
hernach soll er „C“ schreiben, was ihm nach einigem Nachsinnen nicht gelingt;
nun ließ ich ihm das Alphabet schreiben und da schreibt er nach „B“ richtig
„C“ und erkennt letzteren Buchstaben als solchen. Im Schreiben vergißt er die
Akzente aufzusetzen, so z. B. schreibt er Donnerstag, im Ungarischen „csötörtök“
folgendermaßen: „sotortok“; mache ich ihn auf den Mangel der Akzente aufmerksam,
so legt er bei mehrmaligem Durchlesen erst auf das erste o die zwei Punkte und
macht somit aus dem ersten o ein ö, und so geht dies sukzessive, erst nach
wiederholter Durchsicht, mit den übrigen Selbstlauten. Statt 906 schreibt er
auf Diktat 96; indem ich ihm jetzt 96 schreiben lasse, fällt ihm der Fehler
auf. 906 X S07 vollzieht er fehlerlos und nennt dos Endresultat der Multiplikation
731042 ganz richtig.
Am 9. Februar fand ich den Kranken an sehr starken Kopfschmerzen leidend,
welche auf die Stirn sich beschränkten, zeitweilig nachlassen, um dann plötzlich
lanzinierend wieder zu erscheinen. In einem solchen Zustand ist der Kranke
unfähig zu sprechen und zu lesen; er liegt den ganzen Tag teilnahmlos und wortlos,
bei Ansprache jedoch reagiert er vernünftig. Aus dem gedruckten Alphabet
bezeichnet er einzelne Buchstaben folgendermaßen: E=A, P=L, H=H, L = L,
P = ?, „ich kenne es nicht“, doch nach einiger Zeit kommt er doch darauf und
sagt richtig P. Das Wort Pester Journal, ungarisch „Pesti Hirlap“ schreibt er
so: „Baapti hirtap“. Seinen Namen schreibt er fehlerlos, seinen Geburtsort
„Äroktö“ als „urogtö“. Pupillen, Kniephänomene unverändert. Ich halte ihm
einen Schlüssel vor, die Antwort erfolgt pantomimisch, indem er mit drehender
Handbewegung die Bestimmung des Gegenstandes bezeichnet; nach einer gewissen
Zeit kommt er schließlich auf den Namen und sagt „Schlüssel“. Ich halte eine
Taschenuhr vor, worauf: „Ich weiß, was es ist, wenn ich mich besser fühle, so
werde ich es benennen können.“ Ich gehe ihm die Uhr in die Hand, halte sie
ihm zum Ohre (ich fahnde auf optische Aphasie!), ohne Erfolg. Nach einer
Weile sagt er spontan „Uhr“. Die linke Schläfe ist auf Beklopfen ent¬
schieden empfindlicher!
Die progressive Verschlimmerung des Zustandes gebot raBch zu handeln und
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66*üii:;i> il frei”.
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so war ich gezwungen, Diagnose zu stellen, obschon die Erscheinungen seitens
der Sprache, Schrift und des Lesens ein eingehenderes Studium erfordert hätten.
Doch erlaubten die rasche Ermüdung und der leidende Zustand eine Vertiefung
nicht; da aber nach dem therapeutischen Eingriff, welcher dem Kranken subjektiv
eine große Erleichterung verschaffte, die bereits berührte Aphasie eine geraume
Zeit hindurch bestand, so war ich später auch weiterhin in der Lage, meine
Untersuchungen ohne wesentliche Störung fortzusetzen.
Bezüglich der Diagnose waren die maßgebenden Erscheinungen: 1. der
Kopfschmerz, 2. d^e perkutorische Empfindlichkeit der linken
Schläfe, 3. der Ohrbefund, 4. die Neuroretinitis und 5. die Aphasie.
Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, daß der seit Kindheit be¬
stehende eitrige Ohrfluß, namentlich die otiatrische Feststellung der Felsenbein¬
karies, meine Aufmerksamkeit dahin lenkte, daß die cerebralen Erscheinungen
— die Sprachstörung, die Neuroretinitis, die Kopfschmerzen, die perkutorische
Empfindlichkeit der linken Schläfe — mit einem Hirnabsceß im Zusammen¬
hang stehen, eine Annahme, zu welcher Kollege Sabbö bereits vor mir kam;
ist doch bekannt, welche eminente Rolle die Otitis media purulenta in der Genese
des Himabscesses spielt. Im vorliegenden Fall war es daher eine begründete
Annahme, daß der purulente Prozeß aus der Trommelhöhle auf dem beliebten
Wege der Kontinuität den linken Temporallappen erreichte, somit eiuen Haupt¬
punkt der cerebralen Sprache affizierte, woraus eine Sprachstörung resultierte,
welche v. Monakow treffend Wortvergessenheit, Erinnerungsaphasie
(Amnesia verbalis) nennt. Es ist dies eine Art der Aphasie, welche in reiner
Form eine erschwerte Reproduktion der sprachlichen Bezeichnungen bei un¬
geschmälertem Begriffssohatz bedingt. Neben dieser Sprachstörung waren weder
Störungen des Sehcentrums, noch solche der perzeptiven sowie der expressiven
Sprachcentren vorhanden; es fand sich allein die oben angedeutete assoziative
Sprachstörung vor, von welcher unten noch ausführlicher die Rede sein soll.
Somit ist es naheliegend, daß die Einseitigkeit der Otitis, und die mit
letzterer topisch kongruente Aphasie, sowie die perkutorische Empfindlichkeit der
linken Schläfe übereinstimmend auf die linke Hemisphäre als auf den Sitz des
Himabscesses hinwiesen. Bei genauerer Lokalisation erschien es schon vorweg
als sehr wahrscheinlich, daß der Sitz des Abscesses im Schläfen lappen zu suchen
sei, denn hierauf wies die assoziative Aphasie sehr energisch. Die Möglichkeit
eines Kleinhirnabscesses wurde auch in Erwägung gezogen, besonders da die
Patellarreflexe zu fehlen schienen; doch wurde diese Annahme durch den totalen
Mangel einer Kleinhirnataxie, sowie von Bulbärerscheinungen (Dysarthrie, Para¬
parese) ganz hinfällig. Endlich hat die Neuritis optica den Hirnabsceß auch
wahrscheinlich gemacht, obschon bekanntlich dieses Symptom bei Absceß weniger
beständig ist als in Fällen von Hirntumor. Ferner bekräftigte den Himabsoeß
jene Störung des Bewußtseins, welche in der Verlangsamung und Erschwerung
des Denkens sich kundgab. Fieber beobachteten wir nicht; ebenso wissen wir
nichts von Schüttelfrost; Puls zeigte nichts auffallendes.
Nach obigem stellte ich die Diagnose auf otogenen Hirnabsceß im
linken Temporallappen. Den entsprechenden operativen Eingriff vollzog mein
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1045
poliklinischer Kollege Priv.-Doz. v. Illy£s am 11. Februar 1906; angesichts der
zunehmenden Bewußtseinsstörung, der äußeret heftigen Kopfschmerzen erschien die
Operation dringend geboten. Es wurde eine osteoplastische Tür über den linken
Temporallappen geöffnet, bei welcher Gelegenheit die Hirnsubstanz, sich energisch
hervordrüngend, starken Druck vermuten ließ; Bie war oberflächlich etwas ver¬
färbt. Mittels Pravaz konnten wir aus der Tiefe des Temporallappens schmutzig-
gelben, übelriechenden Eiter erhalten; hierzu mußte Kollege v. Illy£s etwa 3 cm
tief die Nadel in die Hirnsubstanz hineinstechen. Nun wurde die Hirnrinde
durchschnitten und es entleerte sich unter großem Druck der Eiter aus einer etwa
nußgroßen Höhle. Letztere wurde mit Hydrogen byperoxyd, nachher mit warmem
sterilem WasBer ausgespült und mit Jodoformmull locker ausgestopft. Der operative
Eingriff verifizierte somit die gestellte Diagnose in jeder Beziehung.
Am 13. Februar (zwei Tage nach der Operation) notierte ich folgendes:
Patient fieberlos (36,5°); Kopfschmerzen ganz geschwunden. Die Kranken¬
pflegerin bemerkt spontan, daß die Antworten des Kranken bereits anfangen,
richtig zu sein, während es ihr vor der Operation auffallend war, daß der Kranke
nur nach längerem N.achsinnen und dann erst verkehrte Antworten gab. Die
Apathie ist auch geschwunden; er erkundigt sich nach seiner Frau; er erinnert
sich auf den Tag der Operation und ist räumlich wie zeitlich ganz orientiert.
Patellarreflexe fehlen auch heute. Appetit gesteigert. Bemerkt Bpontan, daß er
sich besser fühle. Die Sprachstörung ist unverändert: den Namen des
Schlüssels und des Hobels vermag er auch heute nicht anzugeben; auf die Taschen¬
uhr sagt er Sonnenuhr; auf den Zwicker Augengläser; den Buchstaben F scheint
er nicht zu kennen, liest aber das Wort „frisch“.
Am 15. Februar ist dos Sensorium derart frei, daß der Kranke ohne Stockung
und Anstrengung das Gespräch führt. Und so gibt er bezüglich der Anamnese
an, daß er gegen Ende Januar 1906 mit Kopfschmerzen erkrankte, welche im
Nacken beginnend, zur linken Schläfe zogen, endlich an der Stirne anhielten; sie
zeigten sich weniger bei Tag als in der Nacht mit reißendem Charakter. Im
Kopfschmerz waren stellenweise Intermissionen vorhanden. Ferner Schlaflosigkeit.
Außerdem war er sehr vergeßlich, zeigte sich in der Handhabung der Werkzeuge
sehr konfus, wurde bereits bei einfachen Arbeiten wirr, so daß er innehalten
mußte und schließlich, sich dennoch nicht auskennend, die Arbeit stehen zu lassen
gezwungen war. Er machte die Beobachtung, daß er nicht lesen konnte; die an
ihn gerichtete Sprache verstand er, nur seine Antworten waren falsch. Er aß
wenig, sein Stuhl war retardiert. Während dieser Zeit hatte er nie einen
Schüttelfrost, auch meldete sich kein Erbrechen. Auf meine Frage gibt
Patient an, daß er während seiner Krankheit in der Spontansprache die Aus¬
drücke suchen mußte, diese oft nicht fand, obschon er sehr gut wußte, was er
ausdrücken wollte; bezüglich der Bedeutung jenes Gegenstandes oder Begriffes,
dessen Wort er suchte, war er immer orientiert. Bezüglich der Benennung ein¬
zelner Gegenstände wird folgendes notiert: 1. Schlüssel = „Ich weiß, wozu man
es braucht, ich benutze es auch viel, womit man öffnet“. 2. Trinkglas ■* „Glas“.
3. Fensterglas = „Glas“. 4. Bett ■= keine Antwort. 6. Stuhl =» keine Antwort,
6. Tintenfaß = keine Antwort. 7. Schreibfeder = keine Antwort. 8. Regen¬
schirm *=* keine Antwort. 9. Seife = „Waschzeug“. 10. Stuhl (von neuem) =
„Möbel“. Die folgenden Gegenstände, wie Rock, Tisch, Handtuch, Kreide,
Cylinder, werden richtig benannt. Seine Wohnung kann er auch heute nicht
angeben, während er den Namen seines Meisters und die Adresse desselben genau
nennt. Die Merkfähigkeit des Patienten ist Null; ich zähle ihm zehn sinnvolle
Wortpaare zweimal vor (Wiese-Gras, Fenster-Vorhang, Dach-Haus, Fluß Brücke usw.)
und obschon er förmlich einprägend die Worte mir laut nachsprioht, so ist er
dennoch unfähig, auf das Weckwort (Wiese, Fenster, Dach, Fluß usw.) das ent-
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sprechende Reaktionswort (Gras, Vorhang, Haus, Brücke usw.) anzageben. Nach
diesem Experiment bemerkt Patient spontan, daß er absolut anfähig ist, sich
etwas zu merken; er ist im höchsten Grad vergeßlich. Lesen und Schreiben
genau so wie vor der Operation. Er zeichnet richtig einen Kreis, ein Drei-.
Vier* und Fünfeck; ich zeichne ihm ein Sechseck vor, das er sofort erkennt.
17. Februar. Die Mimik ist freier, Pat. hat keine Kopfschmerzen, beklagt
sich allein über schlechten Schlaf und schwere Träume. Puls 110, jedoch sub¬
jektiv ohne Herzklopfen. Heute kann er seine Wohnung schon angeben und nennt
die vorgestern nicht bezeichneten Gegenstände richtig. Als interessanter Um¬
stand sei erwähnt, daß, so oft er von seiner Nase sprechen will, er das Wort
Ohr gebraucht; auch bezeichnet er seinen Daumen mit dem allgemeineren Namen
„Finger“. Den Zeigefinger kann er dann ent bezeichnen, wenn ich meine
Hand in eine hinweisende Stellung venetze. Lesen unverändert. Kniereflexe
fehlen.
19. Februar. Status idem. Die assoziative Sprachstörung besteht; die Nase
benennt er nach kurzem Nachdenken richtig, hingegen bezeichnet er den Mond,
die Zähne, die Zunge erst dann, wenn ich frage: „Was öffnen Sie beim Essen?
Mit was beißen Sie? Was stecken Sie hervor?“ Den Daumen und kleinen
Finger kann er auch heute nicht benennen.
22. Februar. Beklagt sich zwar über schwachen linksseitigen Kopfschmerz,
macht jedoch im allgemeinen sehr guten Eindruck. Sein Bliok ist frisch, seine
Antworten zutreffend und rasch, dooh verwechselt er noch immer einzelne Aus¬
drücke. So benennt er heute die Nase, den Mund, die Lippen, die Zähne richtig,
während die Spezialbezeichnungen der einzelnen Finger ihm nicht in den Sinn
kommen wollen. Setze ich die Taschenuhr neben sein Ohr, so antwortet er: „Bitte
zu warten, es wird mir gleich einfallen" und faktisch sagt er bald darauf „Uhr“.
Die Schlüsseln erkennt und benennt er nach dem Klirren richtig. Das Lesen ge¬
schieht schon viel besser, obschon er die Akzente noch immer nicht gut bemerkt;
den Inhalt vermag er ganz gut zu reproduzieren. Bezüglich des Operationsterrains
fiel bereits am 19. Februar der Prolaps des Gehirns auf, welcher heute noch aus¬
gesprochener ist; mittels Probepunktion ist aus der Tiefe kein Eiter zu erhalten.
Am rechten Augenhintergrund ist die Papille prominent, rotgefärbt und ver¬
schwommen; die Venen geschlängelt und erweitert. Am linken Hintergrund er¬
scheint die Papille rot, Venen etwas erweitert.
Bis 23. März war die Wunde geheilt, der Hautlappen drängte sich nicht
mehr hervor. Diesen Prolapsus cerebri gibt nachstehende Figur wieder, welche zu¬
gleich das Operationsterrain veranschaulicht. Doch mußte der Kranke am 13. April
von neuem aufgenommen werden, denn in der bogenförmigen Narbenlinie befindet
sich eine kleine Fistelöffnung, durch welche viel dicker und übelriechender Eiter sich
entleert. Auf entsprechende chirurgische Behandlung vollkommene Heilung. Am
19. Juli Radikaloperation wegen der linksseitigen Felsenbeinkaries. Am 11. August
wird Patient genesen mit einer Schutzpelotte entlassen. Bis zu diesem Termin
beobachtete ich ihn wegen meiner Ferienreise nioht; meine Aufzeichnungen reichen
bis Ende Mai. Am 16. März gibt es noch immer Worte, die ihm nicht einfallen;
zu diesen kann ich ihn verhelfen, indem ich den Anfangsbuchstaben des be¬
treffenden Wortes angebe oder verwandte Begriffe nenne; so z. B. will ihm das
Wort Tisch nicht einfallen, doch kommt er sofort darauf, nachdem ich frage:
Was sind Sie? (Tischler). Am 7. April begeht der Kranke nooh immer Verwechs¬
lungen, indem er statt Ohr beharrlich Auge gebraucht, sagt daher: „Ich höre mit
meinem Auge“; den Unsinn bemerkt er erst, nachdem ich ihn hierauf aufmerksam
mache. Im Monat Mai ist wesentlich derselbe Zustand zu verzeichnen; auffallend
ist die Schwäche der Merkfähigkeit.
Den Patienten untersuchte ich zuletzt am 18. Januar 1907, also 11 Monate
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nach der Operation. Bei dieser Gelegenheit bemerkt er, daß ihm auch jetzt noch
einzelne Worte mangeln, doch pflegt er nach einer Weile darauf zu kommen. Im
allgemeinen macht er die Beobachtung, daß sein Zustand in stetiger Besserung
begriffen ist, was er daraus ersieht, daß ihm gewisse Sachen, die vor der Operation
seinem Gedächtnis gänzlich entfallen waren, successive einfallen. So z. B. wußte
er im gesunden Zustande die etwa 35 bis 40 Ortsnamen seines Heimatskomitates
in ^alphabetischer Reihenfolge; diese vergaß er ganz, namentlich versuchte er nach
der Operation noch vergebens dieselben flott machen. Nach 1 bis 2 Monaten sind
ihm einzelne Namen eingefallen und heute rezitiert er diese fehlerlos. Die Schrift
ist unvergleichlich sicherer, Fehler kommen nur selten vor. Das Lesen geschieht
in langsamem Tempo, mit Fehler, förmlich syllabisierend. Merkfähigkeit sehr
schwach. Pupillen different, die rechte dilatierter, beide reagieren träge. Gesichts-
mti9keln arbeiten prompt; Schlucken, Kauen frei. Kein Romberg; Patellarreflexe
nicht zu erhalten; Augenbewegungen frei.
Die prägnantesten Züge des vorliegenden Falles erlaube ich mir in
folgendem zusammenzufassen:
1. Die akustische Perzeption und Apperzeption war vorzüglich,
denn der Patient hörte und verstand alles, was wir zu ihm sprachen; unsere
Befehle vollzog er immer prompt, bei geschlossenen Augen faßte er akustische
Eindrücke (Schlüsselklirren, Uhrticken) sehr gut auf. Somit war im centralen
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Hörfeld, namentlich weder in dessen Wahrnehmungs- noch Erinnerungsfeld, gar
keine Veränderung anzunehmen.
2. Das Nachsprechen gelang immer gut.
8. In der Spontansprache zeigte sich mehrfach Wortverwechslung, z. B.
Auge statt Ohr usw.; sie war holprig aus dem Grund, weil der Kranke 9ehr
oft den sprachlichen Ausdruck für den Begriff nicht fand. In dieser Beziehung
waren zwei Momente auffallend: a) Patient konnte den fehlenden Ausdruck mit
einem verwandten Wort ersetzen (Glas statt Trink- und Fensterglas, Möbel statt
Sessel usw.); b) Patient fand das fehlende Wort vermittels Assoziation (so z. B.
kam er auf „Mund“, indem ich frug: „was öffnen sie beim Essen?“). Ich muß
mit Nachdruck auf den Umstand hinweisen; daß im Begriffsschatz des Kranken
objektiv kein Defizit zu entdecken war, folglich fehlten gewisse Worte nicht aus
dem Grunde, als wären die entsprechenden Begriffe geschwunden.
4. Die Schrift ging als Kopieren ganz gut und fehlerlos, wenn ich die
Aufmerksamkeit fixieren konnte; die begangenen Fehler, hauptsächlich in der
Spontan- und Diktatschrift, entstanden durch die lose Aufmerksamkeit bzw, Auf¬
merksamkeitsermüdung, wodurch Patient mehr-minder verwandte Buchstaben an
die Stelle der richtigen setzte. Besonders auffallend war der totale Mangel der
Akzente. Die fehlende Aufmerksamkeit bewies der Umstand, daß der Kranke
solche fehlerhaft geschriebene Worte so las, wie sie ihm diktiert wurden bzw.
wie er sie spontan richtig dachte (bei Spontanschrift); erst als ich ihn wiederholt
anrief, er möge das Geschriebene gut ansehen, d. h. als mir seine Aufmerksam¬
keit festzunageln gelang, kam er selbst auf die Fehler und korrigierte die¬
selben. Seine Schrift war sauber und nett.
5. Im Lesen zeigten sich analoge Fehler wie in der Schrift: Buchstaben¬
verwechslung und Verkennung der Akzente. Die einzelnen Buchstaben des
Alphabets erkannte er einzeln zumeist richtig, doch machte er mehrfach Fehler,
indem er statt D z. B. J nannte; naoh kurzer Zeit erkannte er D richtig, doch
kam auch umgekehrt vor, daß er den ursprünglich richtig erkannten Buch¬
staben falsch nannte. Es ist wohl einleuchtend, daß die Lesestörung des
Kranken entschieden keine Alexie, sondern eine durch Aufmerksamkeitsmangel
bedingte Dyslexie war.
6. Sehstörung, Hemianopsie fehlte.
Auf Grund der Sprachstörung war festzustellen, daß 1. weder das motorisch-
expressive, noch das sensorisch-rezeptive Sprachcentrum alteriert war und
2. eine eigenartige Störung der Sprache, Schrift und des Lesens sich zeigte, welche
als Reproduktionsfehler darin bestand, daß der Kranke immer wußte, was er
ausdrücken wollte, doch entweder gebrauchte er ein inadäquates Wort oder
aber es fiel ihm das Wort überhaupt nicht ein. In der Schrift und im Lesen
zeigten sich Buchstabenverwechslungen. Schließlich war 3. am Patienten ein
hochgradiger Aufmerksamkeitsmangel festzustellen, was besonders die außer¬
gewöhnliche Schwäche der Merkfähigkeit bewies.
Die im obigen beschriebene Sprachstörung charakterisiert vorzüglich
v. Monakow; sie besteht hauptsächlich in der Schwierigkeit, die im Gedächtnis
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wohl aufbewahrten Eindrücke bzw. Wortbilder zu wecken. „Meist handelt es
sich da um eine Lockerung zwischen dem Objektivbild und der Bezeichnung,
weniger um eine Schwierigkeit, die Eigenschaft»- oder Zeitwörter zu finden.
Namentlich Personennamen und solche Bezeichnungen, deren Assoziationen nicht
enger gepflegt und näher eingeübt wurden, sind schwer zu evozieren; oft schwebt
der Ausdruck auf den Lippen, kann aber willkürlich durch Besinnen nicht flott
gemacht werden. Hier kann man den Patienten zum Auffinden des richtigen
Wortes auf Umwegen verhelfen (er selbst kann es bisweilen mnemotechnisch
tun), auch erkennt der Patient blitzschnell das fragliche Wort, wenn er es aus¬
sprechen hört oder wenn er es liest.“ 1 Für diese Sprachstörung charakteristisch
führt v. Monakow noch die Störung der Merkfahigkeit an. Die Amnesia
verbalis kann nach diesem Autor als Allgemeinerscheinung bei seniler In¬
volution, als Teilerscbeinung bei schwerer nervöser Erschöpfung oder bei orga¬
nisch bedingter Demenz, sie kann aber auch als topische Erscheinung — in
diesem Fall als Lokalsymptom bei der Erkrankung des tiefen Markes des linken
Parietotemporallappens — bestehen. Nach v. Monakow’s Erfahrung bildet die
Wortvergessenheit bei tiefliegenden Tumoren des linken gyr. angularis keine
seltene Erscheinung.
Oppenheim 2 hält die Worttaubheit für charakteristisch in Fällen von Ab-
sceß des linken Schläfenlappens; innerlich handelt es sich selten um komplette
Worttaubheit, vielmehr um partielle, um amnestische Aphasie, um Paraphasie
und nach Oppbnheim’s eigenen Feststellungen auch um optische Aphasie, indem
der Eiterherd nicht das sensorische Sprachcentrum selbst, sondern die zu diesem
führenden Bahnen lädiert resp. unterbricht. Die Sprachstörung kann sich auch
mit Alexie und Agraphie verbinden. In Oppenheim’s neuestem Werk 3 finde
ich einen höchst instruktiven Fall, Geschwulst im Grenzgebiet des Schläfen-
und Scheitellappens, welcher zu folgenden Erscheinungen Veranlassung gab:
Linksseitige heftige Kopfschmerzen, sensorisch-amnestische Aphasie, rechtsseitige
Hemianopsie, leichte Hemiparesis dextra, Hemibypaesthesia dextra, linksseitige
Hyposmie und Druckempfindlichkeit der linken Schläfengegend. Augenhinter¬
grund frei. Der 50jährige Mann gibt verwirrte Anworten, kann sich oft nicht
erinnern, ist sehr vergeßlich, kann nicht ordentlich sprechen, weiß recht gut,
was er sagen will, kann aber oft das richtige Wort nicht finden. Verwechselt
Knie mit Kinn, sagt für Kamm Klamm, gebraucht oft Umschreibungen.
Oppenheim stellte die Diagnose auf einen Tumor im tiefen Mark des Temporal¬
lappens und da das Sensorium sich bedrohlich trübte, wurde Patient operiert.
Offhung des Schädels dermaßen, daß die SvLviüs’sche Fissur freiliegt; Dura
sehr stark gespannt, pulsiert nicht; mehrfache Probepunktionen fördern aus dem
Hirn etwas mit Blut untermischtes Serum zutage. Nach kreuzförmiger Inzision
wölbt sich das Gehirn stark vor, welches sich auffallend weich aufühlt; Tumor
1 Gehirnpathologie. 1905. S. 886.
* Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 1905. S. 865.
* Beitrag zur Diagnostik und Therapie der Geschwülste im Bereich des Centrainen en-
1907.
Systems.
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mit Sicherheit nicht zn palpieren. Hierauf Lappen zurückgeklappt, Druckverband.
Nun allmähliche Besserung; nach etwa 5 Wochen Patient lebhaft, Wunde fest
geschlossen. Sprache bat sich gebessert. Zwei Monate nach erfolgter Operation
(10. Okt.) eine Verschlimmerung und (am 25. Dez.) Exitus. Bei der Obduktion
fand sich eine Neubildung im Gebiet des linken Scheitel- und Schläfenlappens
vor; es konnte festgestellt werden, daß die Punktion im Bereich des Tumors
vorgenommen wurde (Beobachtung IV).
Eine sehr klare Schilderung des Hirnabscesses verdanken wir Ziehen, 1 der
bezüglich der Herdsymptome des Schläfenlappenabscesses als am wichtigsten die
Störungen des Sprachverständnisses anführt, natürlich in Fällen von links¬
seitigen Herden. Nach diesem Autor handelt es sich nicht um einfache sen¬
sorische Aphasie (Worttaubheit), sondern in der Regel um komplizierte, partielle,
transkortikale Sprachstörungen, und zwar sowohl motorische wie sensorische. Es
beruht dies nach Ziehen’s trefflicher Bemerkung darauf, daß der Absceß ge¬
wöhnlich im Marklager des Schläfenlappens sich ausbreitet, wo er Assoziations¬
bahnen unterbrechen kann; namentlich kann er die vom sensorischen Feld
unter der REiL’schen Insel zum motorischen Sprachfeld ziehende ideomotorische
Bahn lädieren.
Mit Rücksicht auf die angeführten Ansichten maßgebender Autoren, möchte
ich aus dem beschriebenen Fall folgende Lehren ziehen.
1. Der im tiefen Mark des linken Schläfenlappens sitzende Eiterherd ver¬
mag als konstantes Symptom eine derartige Störung des Sprach Vermögens
verursachen, daß der Patient, dessen Diktion sowie Rezeptionen vorzüglich sind,
die Bezeichnungen vieler Gegenstände nicht flott machen kann. Zu betonen
wäre, daß der Kranke in seinem Begriffsschatz nicht ärmer geworden ist, denn
die fehlenden Bezeichnungen befinden sich in seinem Geist latent, worauf über¬
zeugend jener Versuch weist, das auf Umweg, mittels Assoziationen, das als
verloren geltende Wort auf einen Schlag zu mobilisieren ist.
Die Erscheinung der Wort Vergessenheit — Amnesia verbalis — rührt nach
Lkwandowsky 4 von der Läsion jener transkortikalen, nach ihm richtiger trans¬
centralen, Bahn her, welche das centrale, sensorische Sprachfeld mit dem durch
die gesamte Hirnrinde repräsentierten Begriffscentrum verbindet. Es ist be¬
kannt, daß das Hörfeld das motorische Sprachfeld in dem Sinne beeinflußt, daß
zur artikulierten Sprache die Weckung der Klangbilder, deren sog. inneres Er¬
klingen notwendig ist; auf Grund des bekannten WEBNiOKs’schen Sprachschemas
taucht im Fall des spontanen Sprechens vor allem der Begriff (B) auf, von
welchem die Erregung nicht sofort zum motorischen Sprachfeld (M), sondern
auf Umweg über das sensorische Sprachfeld (S) gelangt Zwischen S und B
erstreckt sich eine transcentrale Bahn, welche zum Begreifen des Gehörten er¬
forderlich ist. Nach Lewandowsky ist die Bahn SB eigentlich eine Doppel¬
bahn mit zweierlei Leitungsrichtung; in der Richtung von S zu B (S-»-B) ver¬
lauft eine katacentrale Bahn, welche das Wortverständnis ermöglicht, andrer-
1 Handb. d. prakt. Medizin. (Ebstkin-Schwalbb.)
* Die Funktionen des Centralnervensystems. Jena 1907, G. Fischer.
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seits erstreckt sich von B zu S (B-»-S) eine anacentrale Bahn, welche das
innere Erklingen der dem Begriffe entsprechenden Klangbilder gestattet Auf
letzterer Bahn läuft jene Erregung ab, welche das dem aufgetauchten Begriff
zugehörige Wort wachruft, daher nennt Lbwandowsky sehr zutreffend die
B-+-S anacentrale Bahn als die Bahn der Wortfindung; hingegen ist die
S-+-B katacentrale Strecke die Bahn des Wortverständnisses. Wenn daher
bei Unterbrechung der anacentralen Bahn B-+-S die katacentrale Bahn S->-B
intakt ist, so wird die spontane Sprache gestört sein im Sinne der amnestischen
Aphasie, während das Wortverständnis ungestört ist.
2. Mit der Wortvergessenheit geht eine mehr-minder ausgeprägte Schwäche
der Merkfähigkeit einher, welche wieder ihrerseits auf die Abnahme der Auf¬
merksamkeit hinweist. Mit dieser fehlerhaften Aufmerksamkeit sind die Mängel
im Lesen und Schreiben des Patienten zu erklären; sie bestanden darin, daß
einzelne Buchstaben unrichtig erkannt wurden. Es handelte sich ausschließlich
um ein mangelhaftes Erkennen infolge Unaufmerksamkeit, denn daß der optisohe
Prozeß unbehindert ablief, bewies der Umstand, daß die fehlerhaft gelesenen
bzw. geschriebenen Worte bei angespornter Aufmerksamkeit wiederholt richtig
gelesen bzw. geschrieben wurden. Diese Störung kann nur als Dyslexie bzw.
Djsgraphie bezeichnet werden.
S. Es wäre noch auf den Umstand aufmerksam zu machen, daß die Wort¬
vergessenheit und die Schwäche der Merkfahigkeit ziemlich parallele Er¬
scheinungen waren, denn mit der Besserang ersterer hielt letztere so ziemlich
Schritt. Die Wortvergessenheit faßten wir als Herderscheinung des tiefen Tem¬
poralmarkes auf; ob nun die fehlende Merkfahigkeit gleichfalls ein Herdsymptom
derselben Region ist oder aber bei cirkumskripten Erkrankungen anderer Lappen
auch Vorkommen kann, mag vorläufig noch dahingestellt bleiben.
Am 26. Jan. 1907 meldete sich der Kranke in Begleitung eines Arbeits¬
genossen auf meiner poliklinischen Ordination; die Veranlassung hierzu gab ein
konvulsiver Zustand, in welchen er des Morgens in der Werkstätte verfiel. Der
Anfall dauerte etwa 15 Minuten, zeigte keinen Jackson-Typus; nachher war der
Kranke noch 10 Minuten verwirrt. Meine Untersuchung ergab abermals eine
Unaufmerksamkeit, schwere Fixierbarkeit, so daß der Patient nur nach längerem
Besinnen Antwort geben konnte; im ganzen machte er den Eindruck eines
Snhwerbesinnlichen. Wer bin ich? „Prof. Sarbö, nein Prof. Schaffer.“ Er
weiß schon wieder nicht die Lage und Adresse der Werkstätte (noch vor 5 Tagen
machte er diesbezüglich prompte Angaben), findet die Bezeichnung des Mundes
nicht, verwechselt in der Sprache Buohstaben (etwa wie Oppbnheim’s Patient:
Klamm statt Kamm). Statt 90006 schreibt er 9006, doch korrigiert er den Fehler
nach erfolgter Durchsicht; in der Schrift ebenfalls Buchstaben Verwechslung und
Weglassen der Akzente. Physikalischer Zustand unverändert gegen jenen vom
18. Januar v. J. Obschon ich dem Patienten die Aufnahme versprach, meldete er
sich am anderen Tage nicht; wie ich nachträglich erfuhr, litt er noch an epi-
leptiformen Zuständen, wodurch er an der Arbeit verhindert war. Schließlich
soll er in die Provinz nach seinem Heimatsort abgereist sein.
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Wie wäre mm dieser epileptiforme Zustand aufzufassen, welcher nach er¬
folgreicher Operation sowie nach 11 monatlichem, successivem Rückgang der
Krankheitserscheinungen und speziell nach dem ungestörten Allgemeinbefinden
der letzten 5 Monate sich meldete? Oppenheim sagt von den Krampf¬
erscheinungen, daß sie im Verlauf des Hirnabscesses zu jeder Zeit auftreten
können, sie bilden jedoch kein konstantes Symptom. Es ist immerhin interessant,
daß die konvulsiven Erscheinungen bei unserem Patienten auf der Höhe des
Prozesses fehlten, und nun, als wir an eine Heilung glauben wollten, erscheinen
dieselben, ich möchte sagen, verspätet An einer neueren Absceßbildung an
anderer Stelle des Hirns wäre nicht zu denken, sind doch die otogenen Hira-
abscesse fast immer solitäre Bildungen (Oppenheim). Weil aber der letzte
Zustand des Kranken mit jenem vor der Operation symptomatisch übereinstimmt,
kann eine erneute Abscedierung im linken Temporallappen nicht ganz ausge¬
schlossen werden. Freilich könnte diese Vermutung nur durch eine genaue
Beobachtung begründet werden, welche aber durch die Abreise des Kranken un¬
möglich wurde.
2. Über das Fehlen des Achillesphänomens. 1
Von Dr. Georg Flatau in Berlin.
Der diagnostische Wert des Fehlens von Sehnenphänomenen hat gerade in
Anfangsfällen oder unvollkommen entwickelten Fällen von Tabes und von Para¬
lyse eine außerordentliche Bedeutung. Während aber Jahre hindurch das West-
PHAL’sche Phänomen als unbestritten einziges verwertbares Symptom in dieser
Hinsicht angesehen wurde, hat später das Bedürfnis, noch mehr Zeichen für die
Frühdiagnose zu finden, dazu geführt, auch die anderen Sehnenphänomene und
zwar das Supinator-, Triceps- und das Achillesphänomen auf ihre diagnostische
Verwertbarkeit zu prüfen. Bezüglich der Sehnenphänomene an den oberen Ex¬
tremitäten bat sich indessen die Mehrzahl der Autoren dahin entschieden, daß
ihr Fehlen auch bei Gesunden so häufig ist, daß es als verwertbares Material
nicht angesehen werden könne. Auf Grund eigener Erfahrungen und Unter¬
suchungen, die an anderer Stelle niedergelegt sind, stimme ich dem durchaus
bei. Anders steht es mit dem Fersenphänomen. Zwar behauptete Eulenbubg,
daß es auch bei Gesunden in einer außerordentlich großen Zahl von Fällen
fehle; er spricht von 80% des Fehlens, doch steht dem gegenüber die An¬
gabe von Ziehen, welcher es bei etwa 2000 Fällen untersuchte und zu der
Ansicht kam, daß das Achillesphänomen ein ebenso empfindliches, wenn nicht
noch empfindlicheres, Reagens auf bestimmte Erkrankungen des Nervensystems
sei wie das Kniephänomen. Von besonderer Wichtigkeit ist namentlich das
doppelseitige Fehlen. Dieses, sofern es bei einem Geisteskranken beobachtet wird,
deutet mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf Paralyse oder centrale Syphilis.
1 Vortrag, gehalten auf der Versammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte in
Dresden.
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In zweiter Linie kommen auch Syphilis und chronischer Alkoholismus in Betracht.
Periphere Komplikationen sind natürlich auszuschließen. Stbassburger findet
«ien Reflex nicht so konstant wie den Patellarreflex. B ab inski fand, daß das
Achillesphänomen bei Ischias fehlen könne und bei Tabes auch vor dem Knie«
Phänomen vermißt wird. Nach seinen Untersuchungen hat das Fehlen des
Achillesphänomens eine gleichgroße, wenn nicht größere Bedeutung als das
WESTPHAL’sche Phänomen. Goldflam hält das Fehlen des Achillesphänomens
für ein pathologisches Zeichen, da es bei Gesunden ebenso konstant vorhanden
sein müsse wie das Kniephänomen. Schönborn fand Fehlen des Achillesphäno¬
mens in 1 % der Fälle bei Gesunden, des Kniephänomens nur bei 0,04 °/ 0 . Er
hält aber das Fehlen beider Reflexe für gleich pathologisch. Oppenheim hat
das Fersenphänomen nur außerordentlich selten vermißt, „aber,“ so fahrt er
weiter fort, „es kommen an der Achillessehne weitaus häufiger jene Veränderungen
nichtnervöser Natur vor, die auf mechanischem Wege das Verhalten beeinflussen.
Wo aber derartige Veränderungen nicht vorliegen, ist das Fehlen des Fersen¬
phänomens ein Symptom pathologischer Natur.“ Sarbö kommt in einer ein¬
gehenden Arbeit zu folgenden Schlüssen:
Der Achillesreflex ist geradeso wie der Patellarreflex bei Gesunden stets zu
erzielen. Dem Fehlen des Achillesreflexes kommt dieselbe Bedeutung zu wie
dem W estph Ai/schen Zeichen. Es gibt Fälle von Tabes und Paralysis, in denen
das Achillesphänomen eher fehlt als das Kniephänomen.
Meine eigenen Untersuchungen, die ich an einem kleinen Materiale bereits
vor Jahren ausgeführt hatte, machten es mir sehr wahrscheinlich, daß das
Achillesphänomen häufiger bei Gesunden fehlen kann als das Kniephänomen.
In einer 11jährigen Tätigkeit an der Poliklinik Prof. Oppenheim’s erinnere ich
mich kaum, bei einem Gesunden das Kniephänomen vermißt zu haben. Im
weiteren Verlauf der Untersuchungen wurde zugleich in Betracht gezogen, wie
Verletzungen oder andere periphere Ursachen nicht nervöser Natur das Achilles¬
phänomen beeinflussen können.
Von den Arten der Prüfung des Phänomens sind folgende zu nennen:
1. Der Untersuchte sitzt auf dem Rande des Stuhles, hat den Unter¬
schenkel im stumpfen Winkel vorgestreckt, den Fuß mit ganzer Sohle leicht auf¬
gestellt. Der Untersucher prüft durch Schlag auf die Achillessehne, indem er
sich nach dem Vorschlag von Muskens die Stellung der Gelenke zur Entspan¬
nung des Fußes nach Bedarf ändert. Als Stelle des Reizes gibt Muskens an,
dürfe man nicht höher gehen als 2 cm oberhalb des Ansatzes der Sehne am
Calcaneus.
2. Untersuchung in Rückenlage. Bein des Untersuchten in Hüfte und
Knie gebeugt, am besten von einer assistierenden Person im Knie unterstützt.
Der Untersucher hält den Fuß lose an der Fußspitze und schlägt von unten
gegen die Sehne.
3. Untersuchung, während der Patient in Bauchlage sich befindet; das Knie
rechtwinklig gebeugt und der Fuß lose gehalten wird. — In Abänderung dieser
Lage kann man auch die Seitenlage des Untersuchten wählen.
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Schließlich 4. Nach dem Vorschläge von Babinski läßt man den zn Unter¬
suchenden auf einem Stuhle knieen, während die Föße lose an der Stuhlkante
berabhängen.
Diese Methode, welche auch Oppenheim für die weitaus beste erklärt, gibt
völlig einwandsfreie Resultate, wenn man noch einige Besonderheiten dabei be¬
obachtet. Einmal, daß der Untersuchte weit genug mit den Unterschenkeln
auf den Stuhl hinaufgeht und die Füße genügend entspannt. Das letztere kann
er um so besser, wenn die Unterlage genügend weich ist, damit er nicht durch
schmerzhaften Druck auf die Schienbeine zu reflektorischer Muskelanspannung
sich veranlaßt sieht — Ferner muß der Untersuchte genügend sicher knieen
und sich auf die Lehne des Stuhles aufstützen, damit er nicht seine Unsicherheit
durch unwillkürliche Muskelkontraktion zu korrigieren sucht. — Als Reizpunkt
ist die Grenze zwischen unterem und mittlerem Drittel der Achillessehne zn
wählen. Da man mit dieser Methode, wie auch aus meinen Fällen hervorgeht,
noch häufiger ein positives Resultat bekommt, wenn es nach den anderen Me¬
thoden ausgeblieben war, so darf man sich beim negativen Ausfall der Prüfung
nicht mit den unter 1 bis 3 genannten Methoden zufrieden geben, sondern muß
noch in der Eniemethode prüfen. Bei dieser kann man ebenso wie bei der
Prüfung des Kniephänomens durch Ablenkung der Aufmerksamkeit und Aus¬
führung von JENDBASSiK’schem Kunstgriff und seinen Modifikationen die Prüfung
unterstützen. — Unter diesen Gesichtspunkten wurden 250 Fälle von mir unter¬
sucht Eine spinale Erkrankung konnte in allen diesen Fällen mit Sicherheit
ausgeschlossen werden. Von denjenigen Ursachen nichtspinaler Erkrankung, die
in der Literatur genannt werden als solche, die zum Fehlen des Aohillesphäno-
mens führen können, sind zu nennen: Diabetes, Bleivergiftung, hoher Grad von
Alkohol- und Nikotinvergiftung, hohes Alter, überstandene Ischias, Verletzung,
Plattfüße, starke Krampfadern. In 200 Fällen war zweimal das Achillesphänomen
beiderseits nicht hervorzurufen; das Kniephänomen war in allen diesen Fällen
vorhanden. Ein dritter Fall scheidet aus dieser Rubrik aus, es handelt sich um
einen wegen einer Kopfverletzung zu begutachtenden Arbeiter, welcher außer
dem Fehlen des Achillesphänomens noch Abschwächung eines Patellarreflexes
zeigte. Es war hier nicht ohne weiteres möglich, Alkoholismus sioher auszu¬
schließen. Jedes weitere Zeichen einer spinalen Erkrankung fehlte. Ebenso
muß ein vierter Fall ausscheiden, bei welchem beide Kniephänomene und beide
Achillesphänomene fehlten, vielmehr nicht zu erzielen waren. Die Patellarsehne
war völlig in Fett vergraben und sehr kurz. Die Untersuchung nach Babinski
war an der Achillessehne nicht einwandsfrei durchzuführen. Patient war enorm
fettleibig. Zur Untersuchung kam er wegen eines Knöchel braches. Zeichen
spinaler oder sonstiger centraler nervöser Erkrankung waren nicht vorhanden.
Sechsmal fehlte das Achillespbänomen einseitig; einmal bei einem Patienten,
der rechts eine Kniegelenksaffektion hatte, aber mit erhaltenem Kniephänomen.
Links fehlte ohne nachweisbare Ursache das Achillesphänomen. Es ist nicht
mit Sicherheit zu sagen, inwieweit ein Plattfuß imstande ist, das Fehlen des
Achillesphänomens hervorzurufen. Es ist auch nicht recht einzuseben, warum
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gerade ein Plattfuß das Achillesphänomen beeinträchtigen sollte. In ausge¬
sprochenen Fällen von Plattfuß habe ich es übrigens ganz einwandsfrei nach-
weisen können. Von den Krampfadern ist anzunehmen, daß sie durch Ver¬
änderung der Blutzirkulation, durch Beeinträchtigung der Ernährung das Achilles¬
phänomen schädigen.
Weiterhin fehlte das Achillesphänomen zweimal beiderseits in Fällen, wo
als einzige Ursache das Alter der Untersuchten, 61 und 72 Jahre, als Grund
in Betracht kam. Bramwell fand das Achillesphänomen bei Leuten von über
50 Jahre inkonstant Da in meinen beiden Fällen das Kniephänomen erhalten
war, so ist zu sagen, daß, sofern das Alter einen Einfluß auf die Sehnenphäno¬
mene hat, das Achillesphänomen eher leidet als das Kniephänomen. Von den
Verletzungen mit Fehlen des Acbillesphänomens kommen nur die in Betracht,
bei denen die Beweglichkeit der Achillessehne nicht durch mechanische Verhält¬
nisse, Verwachsungen der Sehne ausgeschaltet oder sehr erheblich beeinträchtigt
war. Unter 25 Knochenbrüchen und Gelenkkontusionen, die den Unterschenkel
und Fuß betrafen, fehlte das Fersenphänomen sechsmal auf der verletzten Seite.
Davon scheiden zwei Fälle, bei denen eine Verwachsung der Achillessehne vor¬
handen war, aus, sodaß noch vier Fälle übrig bleiben. Für den Vergleich mit
dem Kniephänomen reicht das mir zu Gebote stehende Material von Verletzungen
der Oberschenkel und Kniegelenksgegend nicht aus. Indessen waren von den
untersuchten Fällen — und zwar: 2 Brüche des Oberschenkels, 1 Bruch der
Kniescheibe, 1 Kontusion des Knies, 2 chronische Gelenkentzündungen, 1 Ver¬
stauchung des Knies — nur ein Fall, bei dem das Patellarphänomen nicht
auszulösen war, doch war dies der schon oben erwähnte Fall von Fettleibigkeit.
Obgleich die Gesamtzahl meiner untersuchten Fälle nicht die großen Zahlen
anderer Autoren erreicht, so glaube ich doch auf Grund der Untersuchungen
zu folgendem Schlüsse berechtigt zu sein:
Als einwandsfreie Prüfungsmethode ist nur die im Knieen mit den oben¬
genannten Vorsichtsmaßregeln anzusehen. Das Achillesphänomeu ist im Ver¬
gleich zu den Sehnenphänomenen der oberen Extremitäten ein konstantes Symptom.
Es ist nicht so konstant wie das Kniephänomen, jedenfalls kommt einseitiges
Fehlen ohne nachweisbare Ursache nicht allzu selten zur Beobachtung. Das
Achillesphänomen wird leichter durch periphere, nicht nervöse Ursachen ge¬
schädigt, als das Kniephänomen. Daher ist zwar das Fehlen des Achillesphänomens,
insbesondere das beiderseitige Fehlen, stets ein beachtenswertes Symptom, kann
aber nicht als vollkommen gleichbedeutend mit dem W estph AL’schen Zeichen
angesehen werden.
IL Referate.
Anatomie.
1) L’ecorce cerebrale. Premiere partie: Developpement, morphologie et
connexions des cellules nerveuses, par Ch. Bonne. (Oktober 1906. 578 S.)
Ref.: Th. Kaes.
Die Arbeit ist eine umfangreiche entwicklungsgeschichtliche Monographie,
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welche der Revue gönörale d’histologie als Band VI, 2. Teil angehört und bei
A. Storck & Cie., Lyon-Paris 1907 erschienen ist. Bei der relativ grofien
Ausdehnung des Werkes muß sich das Referat auf die Angabe der allgemeinen
Einteilung beschränken und das Studium der sehr eingehenden Einzelheiten dem
Leser überlassen.
In der Vorrede wird darauf aufmerksam gemacht, daß die elektive Färbung
des Nervenmarkes eine Klasse für sich bildet, sowie daß die Arbeiten hierüber so
vielseitig und umfangreich sind, daß sie eine gesonderte Darstellung verdienen.
Verglichen mit den nervösen Elementen bieten das Stützgewebe und die Kapillaren
nur eine geringe Anzahl von Einzelheiten, deren Aufzählung anderwärts über eine
vorläufige Entwicklung und über die generellen Verbindungen der Neuroglia
Rechenschaft geben wird. All dieses wird für spätere Veröffentlichungen erspart
und zwar ohne Schaden für das Studium der Nervenzellen, dem diese Arbeit ge¬
widmet ist. Mehrere Methoden, deren Objekt letztere sind, wie die von Golgi,
Ehrlich und Cajal, geben unter gewissen Bedingungen den Ursprung, die letzten
Verästelungen und die Art der Gruppierung der Achsencylinder besser als die Me¬
thoden von Einer, Weigert und Wolters. Was die Neuroglia betrifft, so
wird ihre Entwicklung nur verfolgt werden bis zur Differenzierung der ihr eigenen
Elemente von den Nervenfasern. Verf. macht darauf aufmerksam, daß sich schon
bei den Knochenfischen das Rinencephalon von den übrigen Momenten in der
Wand des Palliums unterscheidet, wobei besonders auf die jüngste Monographie
von Cajal hingewiesen wird. Die Arbeit ist ausschließlich den Nervenzellen des
Pallium gewidmet, das erste Kapitel handelt von deren Entwicklung, das zweite
von ihrer Morphologie und ihren durch die Golgimethoden dargestellten Verbin¬
dungen sowie von deren einzelnen Schichten. Die Struktur wie die von ihren
Verbindungen, deren Beschreibung notwendig vorangehen muß, Bind der Inhalt
des dritten Kapitels; im vierten sind die regionären Verbindungen der Zellen¬
architektonik beschrieben, die in dem Werke zitierten Figuren Bind größtenteils
vereinfacht, schematisiert oder Gruppen von Zeichnungen zusammen gedrängt, um
das Verständnis zu erleichtern und um entgegengesetzte Meinungen einander näher
zu bringen.
Zwei Hauptmeinungen beherrschen heutzutage die HiBtogenese in bezug auf
die Entwicklung der Hirnrinde: nach der älteren und viel verbreiteten entspringt
jede Nervenzelle mit ihren Verästelungen von einem primordialen Elemente, dem
Neuroblasten (His, Cajal, Koelliker, Lenhössek, van Gehuchten, Claudio
Sala, Lenbossek und Retzius), diesen entgegenstehend sind die Ansichten
von Apathy, Bethe, Nissl, Fragnito, Capobianco, Joris und Kronthal,
die darin fußen, daß die Nervenzelle mit ihren Fortsätzen aus vielerlei und ver¬
schiedenen Elementen entsteht. Die Entwicklung setzt ein mit der epithelialen
Nervenachse und dem primitiven Stützgewebe, es handelt sich dabei um die Primitiv¬
stadien, den Mechanismus der Bildung des MyelospongiumB, die differenzierten
Spongioblasten. Bei der postepithelialen Nervenachse mit den undifferenzierten
und den differenzierten Zellen werden behandelt neue Schichtungen, eingeschränkt
durch freie Elemente, dann Keimzellen und undifferenzierte Zellen, weiter Nerven-
und Neurogliazellen, Fundamentalsubstanz. Bei dem genetischen Berichte über
die Zellformen finden wir zunächst die Proliferationsketten, dann den Ursprung
der Keim- und indifferenten Zellen sowie den Ursprung der epithelialen Zellen
und der Spongioblasten, weiter den Ursprung der Neuroblasten und der definitiven
Neurogliazellen; den Schluß bildet ein histogenetischer Vergleich. Bei den neuen
histogenetischen Theorien wird der Ursprung der Nervenfasern und der der Nerven¬
zellen behandelt.
Bei der Entwicklung der Rinde werden drei Perioden unterschieden, die der
Vorbildung, die der Differenzierung der Rinde und die der Schichtung. Bei der
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Vorbildung werden zuerst die topographischen Voraussetzungen behandelt, dann
der menschliche Embryo, weiterhin die vergleichende Embryologie. Die Periode
der Differenzierung der Binde handelt zunächst wieder vom menschlichen Embryo,
woran sich aufB neue eine vergleichend embryologische Betrachtung schließt; es
folgen Merkzeichen über sichere Vorgänge in der zweiten Periode. Die Periode
der Schichtung setzt ein mit einer Beschreibung der Zustände im fünften und
sechsten Monat, es folgt der siebente und achte Monat und dann das Ende der
dritten Periode.
Das zweite Kapitel, das von der Gestaltung und den Verbindungen der Zellen
handelt, gibt in einer analytischen und schichtenbeschreibenden Studie zunächst
eine Beschreibung der Zellen einer jeden Schicht, beginnend mit der zonalen,
plexiformen oder molekularen Sohicht, worin die Randzellen (Retziussche Zellen),
die spindelförmigen und die dreieckigen oder Sternzellen behandelt werden, denen
sich die Zellen mit kurzen Achsen anschließen. Bei der Schicht der kleinen
Pyramiden und der großen oberflächlichen (2. und 3. Schicht) werden zwei Lagen
unterschieden und die Zellen mit der Rinde zu* oder abgewandtem Neuron unter¬
schieden. Bei der vierten oder Granularschicht wird auf den Polymorphismus der
Schicht hingewiesen und auch hier die der Rinde zu- oder abgewandten Zellen
unterschieden. Auch bei der Schicht der tiefen Pyramidenzellen oder der ganglio-
nären tritt der Polymorphismus zutage, ebenso wie die der Rinde zu- und ab¬
gewandten Zellen. Bei der letzten Schicht, der polygonalen oder spindelförmigen,
finden sich einmal Zellen mit von der Rinde abgewandtem Neuron, dann die
Cajalschen Triangelzellen, weiter die eigentlichen Spindelzellen und die poly¬
gonalen oder unregelmäßigen, als fernere Gruppe die der Rinde zugewandten
Neurone, dann Zellen mit bogenförmig aufsteigendem Neuron, endlich solche mit
Nenronen ohne bestimmte Richtung. Hieran schließt sich ein historischer Überblick,
ausgehend von den ersten sohichtenbeschreibenden Untersuchungen und werden
folgende Autoren im einzelnen besprochen: Baillarger, Remak, Koelliker
(1850), Berlin (Carminfärbung), Stephani, Clarke, Arndt, Meynert,
Einer, Betz, Stieda, Cleland, Krause, Henle, Bevan-Lewis, die irrigen
Anschauungen von Schwalbe und Golgi, Cajal, Hamarherg, Nissl, Schlapp
und Kolmer, endlich Vogt und Brodmann.
Der folgende Artikel behandelt die Verbindung der Zellen der Binde unter¬
einander. Zuerst wird die Gruppierung und Endigung der interkortikalen Nerven¬
fasern besprochen und zwar einmal der von außen kommenden Fasern, das ist der
zur Rinde strebenden Projektionsfasern, dann die der Assoziationsfasern, weiterhin
werden die autochthonen Fasern abgehandelt und die um die Zellen liegenden
Achsencylinderendigungen erwähnt. Ein weiterer Absatz beschäftigt sich mit den
Verbindungen und der Begleitung der Zellen; er beginnt mit der Verbindung der
Zellen mit von der Rinde abgewandtem Neuron und zwar der Verbindung durch
die Dendriten und das Cytosom, dann folgen die Verbindungen durch die Axi-
kollateralen, weitere Verbindungen gibt das Axon. Weiterhin bespricht der Autor
den Übergang der der Rinde zugewandten Bahnen in die der Rinde abgewandten,
wobei drei Wege angenommen werden: eine tiefe, direkte und indirekte Bahn
und eine oberflächliche. Endlich wird kurz die Zahl, der Umfang und das Total¬
gewicht der Nervenzellen nach den Schätzungen von Meynert, Donaldson,
Thompsen behandelt und auf den Wert der Hamarberg’schen Ergebnisse hin¬
gewiesen. Den Schluß bildet eine vergleichende Histologie, die von den Batrachiern
ausgehend über die Reptilien und Vögel zu den Säugetieren führt. Der ungemein
ausführlichen und die verschiedensten Standpunkte älterer und neuerer Autoren
kritisch beleuchtenden Arbeit ist auf 22 Druckseiten eine ebenso umfassende
Bibliographie, nach Kapiteln geordnet, beigegeben. Die Arbeit kann dem, der sich
für das Thema interessiert, nur aufs dringendste empfohlen werden.
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Physiologie.
2) Sohftdelmaße und Beruf, von Lomer. (Allgem. Zeitscbr. f. Psych. LXIV.)
Ref.: Zingerle (Graz).
Zu diesen, nach einem event. Zusammenhänge von Schädelbildung mit dem
jeweiligen Lebensberufe, gerichteten Untersuchungen wurden 650 Männer der
Landespflegeanstalt zu Tapiau herangezogen, die zum größeren Teile ländlichen
Verhältnissen entstammen.
Die Mehrzahl der Schädelmaße ist bei den Geisteskranken großer als bei
den Geistesgesunden (körperlich Siechen). Von den niederen Volksständen weist
der niederste, der Arbeiterstand, auch fast durchwegs — im geistesgesunden wie
geisteskranken Zustande — die kleinsten Schädelmaße auf. Auffallend groß sind
sämtliche Schädelmaße der geistig gesunden Bauern; sie sind Bämtlich größer als
diejenigen der Handwerker, der Kaufleute, der Beamten. Für den Umfang gilt
dies auch bezüglich der geisteskranken Bauern. Die Schädelmaße der geistes¬
kranken Handwerker, Kaufleute und Beamten stehen im ganzen etwa auf gleicher
Höhe.
Der Index ist bei den Bauern im Ganzen am kleinsten. Es folgen, der Reihe
nach, Arbeiter, Handwerker, Kaufleute, Beamte und Gelehrte. Unter Berück¬
sichtigung nur der geistigen Verfassung finden sich die kleinsten Indices bei den
Siechen, etwas größer sind sie bei den kriminellen, am größten bei den gewöhn¬
lichen Geisteskranken.
3) Weitere Untersuchungen über die Besiehungen zwisohen Soh&delumflang
und Intelligenz im schulpflichtigen Alter, von Dr. Bayerthal. (Zeit¬
schrift f. exper. Pädagogik. V.) Ref.; Zappert (Wien).
In Fortsetzung früherer Untersuchungen an Schulkindern kommt Verf. immer
mehr dazu, einen innigen Zusammenhang zwischen Sohädelumfang und Intelligenz
anzunehmen. Besonders zur Hervorbringung hervorragend guter Schulleistungen
ist bei Knaben (im Alter • von 9 1 / a bis lO 1 ^ Jahren) ein Schädelumfang von
mindestens 52 cm, bei gleichaltrigen Mädchen ein solcher von 51 cm erforderlich.
Ein Scbädelumfang unter 46^ cm dürfte bei Kindern von 7 Jahren an auf ein
Unvermögen, den Normalforderungen der Schule zu entsprechen, schließen lassen.
Bei weiterer Erfahrung glaubt Verf. nach dem Schädelumfang Voraussagen zu
können, wie ein Schulanfänger den intellektuellen Forderungen gerecht werden
wird. Von der Größe des Kindes sind diese Berechnungen unabhängig.
Psychologie.
4) Zur Psychologie der plötzlichen Bekehrungen, von Näcke. (Zeitschrift
f. Religionspsychologie. I. S. 233 bis 253.) Autoreferat.
Verf. unterscheidet die plötzliche und die allmähliche Bekehrung, ferner die
dogmatisch-religiöse und die ethische. Die ethische kann mit der anderen, der
konfessionellen, verbunden sein oder nicht. Jede Art von Bekehrung setzt einen
geeigneten Boden und ein Auslösungsereignis voraus und alles erscheint streng
determiniert, folglich ist die sogen. Willensfreiheit nur eine Illusion, trotzdem
wir sie aus praktischen Gründen beibehalten müssen. Bei der allmählichen
Bekehrung fehlt der letzte Anlaß scheinbar ganz oder ist geringfügig; alles ent¬
wickelt sich aus dem Innern. Anders bei den plötzlichen Bekehrungen, wo auch
das endo- und exogene Moment zu unterscheiden sind. Die endogenen Faktoren
werden des näheren untersucht. Meist werden Frauen plötzlich bekehrt. Wichtig
ist auch d'e Pubertätszeit, am wichtigsten aber die Individualität, die an sich
schon ein Produkt von Endo- und Exogenem darstellt. Das wird dee Näheren
ausgeführt, ebenso daB Milieu studiert. Am häufigsten sind die plötzlichen Be-
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kehrungen wahrscheinlich zwischen dem 15. bis 25. Jahre und nach dem 50. Lebens¬
jahre, in den oberen Schichten wahrscheinlich seltener, aber dafür inniger. Ein
Inkubationsstadium geht wohl stets voraus, allerdings meist im Unterbewußtsein.
Je geeigneter der Boden, je größer und plötzlicher das affektbetonte Ereignis
ist, um so sicherer und inniger ist die Konversion. Das Auslösungsmoment kann
sehr verschieden, muß aber immer stark effektbetont sein. Der nähere Mechanismus
läßt verschiedene Möglichkeiten zu, die erörtert werden; manche erinnern an die
Freud sehen Mechanismen. Die Stoffweohselveränderungen spielen sicher hierbei
eine große Bolle. Die ethischen Bekehrungen sind schwieriger zu erklären, scheinen
seltener als die dogmatischen zu sein und mehr in den unteren Ständen. Leider
liegt bis jetzt so gut wie kein wirklich wissenschaftliches Material für dio Be*
kehrungsfrage vor. Wir haben also hier zurzeit nur Hypothesen. Im vor¬
stehenden sind bloß die Bekehrungen bei geistig Normalen betrachtet worden,
nicht aber in pathologischen Fällen aller Art, wo sie bekanntlich sehr häufig
sind. Auch hier gibt es sicher noch Übergänge zwischen Normalen und patho¬
logisch Affizierten.
5) The psyohology of sudden religious oonversion, by Morton Prince.
(Journ. of Abnormal psychol. I. 1906. 1. April.) Bef.: H. Haenel (Dresden).
Ein junges Mädchen wurde durch einsames Gebet in einer leeren Kirche
plötzlich in einem tranceartigen Zustande von ihren zahlreichen nervösen Be¬
schwerden, ihrer Hoffnungslosigkeit und Depression befreit und beschloß darauf,
zum Katholizismus über- und in ein Kloster einzutreten. Mehrere Hypnosen ge¬
statteten Verf., in den seelischen Prozeß dieser Bekehrung und Wunderheilung
einzudringen; in denselben konnte er eine Spaltung der Persönlichkeit erzielen,
und diese einzelnen Phasen der Persönlichkeit waren imstande, die von der wachen
Patientin vergessenen Assoziationen und Gemütszustände bei der Bekehrung zu
reproduzieren und die Bewußtseinslücke auszufüllen. Im Ganzen ergab sich daraus,
daß das Unterbewußtsein viel mehr durch Erzeugung von bestimmten, euphorisch
betonten Affekten, als durch Lieferung begrifflich bedeutsamer Assoziationen wirk¬
sam gewesen war; jene Affekte wirkten in den Wachzustand bestimmend hinüber,
die Assoziationen blieben unter der Bewußtseinsschwelle. Verf. zieht einige Ver¬
gleiche dieses Bekehrungsvorganges mit verschiedenen aus Bibel und Geschichte
bekannten Beispielen.
Pathologische Anatomie.
6) Über die Widerstandsfähigkeit des Neurofibrillennetzes der normalen
und pathologischen Nervenzelle gegen Verfäulnis, von Emil di Mattei.
(Friedreichs Blätter f. ger. Med. u. Sanitätspolizei. LVIII.) Ref.: Blum.
Verf. benutzte zur Darstellung des Neurofibrillennetzes die Methoden von
Donaggio. Seine erste Versuchsreihe bezieht sich auf normale Tiere mit nor¬
malem Centralnervensystem (wie Verf. hier die Tötung vornimmt oder ob das
Tier den physiologischen Tod Btirbt, ist nicht angegeben), seine zweite auf nor¬
male Tiere mit künstlich pathologisch gemachtem Nervensystem, dadurch daß
er die Tiere erhängte, erwürgte oder ertränkte. Das so gewonnene Material
setzte er verschieden lang, zwischen 0 und 120 Stunden, der Fäulnis aus, um es
dann in Schnitten zu untersuchen; er fand entsprechend der vorgeschrittenen
Fäulnis stets andere Bilder des Neurofibrillennetzes sowie der Nervenzelle und
des Kernes. Die Einzelheiten müssen im Original nachgelesen werden.
Verf. will bis fast zur 48. Stunde nach dem Tode des Tieres eine Diagnose
der pathologischen Läsion (schnelle mechanische Asphyxie) aus dem hergestellten
Präparat stellen können. Nach dem Tode durch Ertränken tritt am raschesten
die Fäulnis der Nervenzelle ein.
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7) Zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Kinichi Naka.
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrank!). XLI. 1906.) Ref.: G. Ilberg.
Verf. berichtet über 2 Fälle von Paralysis agitans. Die erste Patientin, die
wegen ihrer Krankheit Selbstmord beging, zeigte geringe Veränderung der Ni sei*
sehen Körpereben in den Zellen der Paracentralwindnng und in den Purkinje-
schen Zellen, auch waren die Gollschen Stränge im Halsmark leicht gelichtet.
Die Uuskeln zeigten eine der Dystrophia musculorum progressiva ähnliche Er*
krankung. Die zweite Patientin erlitt im Verlauf der Paralysis agitans einen
apoplektiformen Anfall, nach welchem das Zittern auf der gelähmten Seite auf*
hörte. Die Zellen in den Centralwindungen und im Kleinhirn waren, abgesehen
von den Folgen der Apoplexie, in geringem Grade verändert, die Gollschen
Stränge waren auch hier im Halsmark gelichtet. In Daumenballmuskeln und
Bizeps fanden sich isolierte Tuberkelknötchen. Verf. bringt die Muskelverände*
rangen in beiden Fällen nicht in Zusammenhang mit der Paralysis agitans.
8) Pathology of paralysis agitans, by C. D. Camp. (Journ. of Amer. med.
Assoc. XLV11I. 1907. Nr. 15.) Ref.: Kurt Mendel.
Schlußfolgerungen:
1. Die Paralysis agitans ist weder eine Neurose, noch eine senile Er¬
krankung.
2. Die pathologisch-anatomische Basis der Symptome (Muskelsteifigkeit,
Tremor und der von ihnen abhängigen Erscheinungen) liegt in einer Affektion
der Muskeln.
3. Wahrscheinlich beruht das Leiden auf einer allgemeinen Toxämie, und
zwar ist letztere bedingt durch eine SekretionsBtörung der Glandulae para-
thyreoideae.
Pathologie des Nervensystems.
9) Contributo alla oonosoenza doi movimenti nel sonno, per L. Segre.
(Arch. di Psichiatria, Neuropatologia etc. XXVIII.) Ref.: Oberndörffer.
Die Arbeit bringt außer einer instruktiven Zusammenstellung des spärlichen
Materiales über die Bewegungen während des Schlafes drei eigene Beobachtungen,
[m ersten Fall handelt es sich um einen 14jährigen Jungen, der im Schlaf ein
rhythmisches Hin- und Herwerfen des Kopfes, 35 bis 40 mal in der Minute, er¬
kennen ließ; dieselbe Erscheinung zeigte in noch heftigerem Maße ein 18jähriger
Jüngling. Der dritte Patient, ein 8jähriger Junge, litt zuerst an Spasmus nutans;
vom 3. Lebensjahr an trat ein rhythmisches Drehen deB Vorderarmes um Beine
Längsachse auf, das die ganze Nacht andauert Der Schlaf war in allen 3 Fällen
tief und erfrischend; sämtliche 3 Patienten waren neuropathisch veranlagt
10) Über einseitigen klonischen Krampf des weiohen Gaumens, von Dr.
H. Lachmund. (Mon. f. Psych. u. Neur. XXI. 1907. S.518.) Ref.: H. Vogt
Es handelt Bich um eine schon Jahre lang bestehende rechtsseitige Otitis
media mit Cholesteatombildung, durch die Mittelohr und inneres Ohr verödet sind
'Taubheit, Fehlen des Gefühls der Gegendrehung bei passiver Centrifugierung usw.),
ferner besteht degenerative Parese des rechten N. facialis, Tics in der rechten
Hälfte der Gesichtsmuskulatur, fibrilläre Zuckungen in den Muskeln der rechten
Kinn- und Wangengegend. Der weiche Gaumen steht Bchief, klonischer Krampf
des rechten Gaumensegels, Bowie nach jeder aktiven Hebung des Gaumensegels
noch eine nachfolgende Kontraktion der rechten Seite des Gaumensegels.
Die Arbeit beschäftigt sich vor allem mit der in letzter Zeit wieder lebhafter
ventilierten Frage der Innervation des Velum palatinum. Verf. faßt den Befund
im Gegensatz zu Oppenheim u. a. als für eine Anteilnahme des N. facialis an
der Innervation des weichen Gaumens sprechend auf, speziell ergibt Bich nach
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seinen Darlegungen die Tatsache der Innervation des M. levator veli palutini durch
den N. facialis auf dem Wege: Ganglion geniculi, N. petrosus superficialis major,
Ganglion sphenopalatinum, Rami palatini.
11) Zar Ätiologie des Spasmus nutans, von Rietschel. (Charitö-Annalen.
XXX. 1906.) Re£: Martin Bloch (Berlin).
In einer sehr interessanten Arbeit, die 14 eigene Beobachtungen und 6 noch
nicht publizierte anderer Autoren enthält, bestätigt Verf. die von Raudnitz be¬
hauptete Bedeutung der mangelhaften Lichtzufuhr für die Entstehung des Spasmus
nutans. Entgegen den Behauptungen von Kassowitz u. a., die in genannter
Affektion eine Form des die schwere Rachitis begleitenden spasmophilen Zustandes
sehen, legt er besonderen Wert auf die Konstatierung der Tatsache, daß in seinen
Fällen von schwerer Rachitis nirgends die Rede war. Auch hat er einen heilenden
Einfluß von Phosphorlebertran bei der Affektion nicht gesehen; wohl aber konnte
jedesmal ein Rückgang der Symptome beobachtet werden, je mehr die kleinen
Patienten der Sonne und der freien Luft zugeführt wurden. Von Bedeutung für
die behauptete Ätiologie ist auch das fast regelmäßige Auftreten der Affektion
im Winter und ihre Tendenz zur Heilung im Sommer. Die Beobachtung Finkei*
steins, die Verf. verwertet, stützt die Hypothese des Verf.’s insofern sehr, als
hier fast gleichzeitig 4 Kinder, die in einen bestimmten Raum einer Döcker-
sehen Baracke verlegt wurden, an der Affektion erkrankten In 4 Fällen, die
darauf untersucht wurden, wurde eine Steigerung der elektrischen Erregbarkeit
nur einmal beobachtet; tetanoide Symptome fehlten also in der großen Mehrzahl
der Fälle. Wo Verf. die Wohnungen der Patienten in Augenschein nehmen
konnte, waren dieselben entweder ungewöhnlich dunkel oder der Aufenthalt der
kleinen Patienten im Bett oder Wagen war auf künstliche Weise dem Lichte
möglichst entfernt gerückt.
12) Zur Geschichte des Tortioollis spasmodious, von Dr. Armin Steyer*
thal. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke.
In anerkennenswerter Weise hat sich Verf. der Aufgabe unterzogen, eine
Geschichte des Tortioollis spasmodicus zu schreiben. Das aus diesem Studium
hervorgegangene Material ist besonders dadurch bemerkenswert, daß es die Be¬
schreibung einiger Fälle von dieser Krankheit von älteren medizinischen Autoren
enthält, die ihrer genauen Beobachtung wegen und deshalb, weil sie viel Wert¬
volles zur Kasuistik des Torticollis spasmodicus beitragen, mit vollem Recht ver¬
dienen, der Vergessenheit nicht anheimzufallen.
In einem kurzen Anhang berichtet Verf. über das Schicksal seiner früher
von ihm beschriebenen Torticollisfälle, von denen einer durch Verunglückung
starb. Die Hirnautopsie ergab außer etwas feuchter Substanz nichts Besonderes.
Verf. findet dies nicht auffällig, da er sich, entgegen der Ansicht Solgers, die
er zwar ganz beachtenswert findet, nicht recht dafür erwärmen kann, daß die
anatomische Untersuchung der Lösung dieser Frage uns näher bringen wird.
13) Zur Kasuistik der tonischen Krämpfe des Rumpfes, von A. Fuchs.
(Wiener klin. Wochenschr. 1906. Nr. 48.) Ref.: Pilcz (Wien).
35jährige Frau bemerkt im Anschluß an einen Sturz (Fall auf Hinterhaupt,
ohne Zeichen von Hirnerschütterung), daß sich seit jener Zeit ihr Kreuz immer
mehr einbiege, der Kopf nach vorn falle, so daß der Rücken in den unteren
Teilen hohl, in den oberen nach rückwärts gekrümmt werde. Zunehmende Ver¬
schlimmerung, namentlich beim Stehen, Sitzen und Gehen, schließlich auch in der
Horizontallage. Zunächst könne sie ruhig liegen bleiben, dann fühlt sie, wie „ob
ihr das Kreuz einbiegt“. Die Beobachtung ergibt, daß sich Patientin zunäohst
ganz gerade halten kann; alsbald aber treten Krümmungen der Wirbelsäule (cerviko-
dors&le Kyphose, lumbale Lordose) ein. Läßt man von der höchsten Kuppe der
Kyphose (im Bereiche des 10. Brustwirbels) ein Loth herab, so beträgt die maxi-
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male Tiefe der Lordoee (4. bis 5. Lumbalwirbel) bis 12 1 / a cm, das Becken dreht
sich um die Querachse nach vorn (2 bis 3°/ 0 ). Übriger Befund (speziell radio¬
logische Untersuchung usw.) absolut negativ. Patientin kann sich auch aus dm*
maximal gekrümmten Position immer sofort geradestrecken.
In den lesenswerten epikritischen Bemerkungen kommt Verf. nach Ausschluß
aller organischen Möglichkeiten zu dem Schlüsse, daß eine funktionelle Störung,
und zwar ein Krampfzustand der Mm. erectores trunci vorliege. — Zwei
Abbildungen im Texte.
14) Eigentümliche Kontraktur nach Ablaktation, von Turnowsky. (Wiener
med. Presse. 1907. Nr. 16.) Ref.: Pilcz (Wien).
Kind von 11 Monaten erkrankt 24 Stunden nach plötzlicher Ablaktation
unter gastrischen Symptomen und eigentümlichen Kontrakturen derart, daß Hände
und Füße in maximaler Palmar- und Plantarflexion gehalten werden. Jeder Ver¬
such, diese Stellungen zu korrigieren, verursacht lebhafte Schmerzen. Hand- und
Fußrücken stark ödematös. Im Übrigen Befund vollkommen negativ.
In wenigen Tagen ging die Erscheinung auf Laxantien und entsprechende
Diät spurlos zurück.
15) Zwei Fülle von Myoklonie, von Dr. Hugo Lukäos und Dr. Istv&n
Verz&r. (Pester med.-chir. Presse. 1906. Nr. 26.) Ref.: S. Klempner.
Mitteilung zweier Fälle von Myoklonie, wo die klonischen Zuckungen mit
denen des Friedreichschen Paramyoclonus multiplex insofern übereinstimmen,
als sie symmetrisch auf beiden Körperhälften und immer isoliert auftreten nnd
nicht zu Lokomotionen führen.
16) Contributo allo Studio delle mioolonie infettive nell* eta infantile, per
E. Meynier. (Arch. di Psich., Neuropat. etc XXVII.) Ref.: E. Oberndörffer.
Verf. berichtet über 4 Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren, bei denen im
Anschluß an Infektionskrankheiten die Symptome der Myoklonie auftraten. Bei
dem ersten Fall erschienen sie im Anschluß an Gelenkrheumatismus und äußerten
sich in blitzartigen horizontalen Nystagmusbewegungen und Lidschluß von gleichem
Charakter. Da auch Analgesien und Anomalien des psychischen Verhaltens ge¬
funden wurden und die Myoklonie durch Suggestion zur Heilung kam, wird eine
hysterische Genese derselben angenommen; ebenso in einem weiteren Fall mit
neuropathischer Belastung, wo die Zuckungen gleichfalls nach Rheumatismus sich
gezeigt hatten und die Muskeln der Gliedmaßen und des Rumpfes betrafen. Beide
Kinder hatten Mitralfehler. In den zwei anderen Fällen handelte es sich um
Myoklonie nach Darmkatarrh; die Zuckungen wurden bei dem einen Kind haupt¬
sächlich in den Hals-, Schulter- und Bauchmuskeln, bei dem anderen an den
Extremitäten, speziell am Quadriceps femoris beobachtet Hier führte die Be¬
seitigung der Verdauungsstörung und die Hebung des Kräftezustandes zur Heilung.
17) Zur Kenntnis der Athetose, von A. Berger. (Jahrbücher f. Psychiatrie
und Neurologie. XXIII. S. 214.) Ref.: Pilcz (Wien).
62 jähriger Mann. Im Alter von 3 Jahren (angeblich auf ein psychisches
Trauma hin) Bewußtlosigkeit, dann rechtsseitige Lähmung. Nach teilweisem
Rückgänge derselben im Arme und Gesichte rechterseits eigentümliche unwill¬
kürliche Bewegungen, welche mit Intensitätsschwankungen zeitlebens anhielten.
Exitus infolge hochgradiger Kachexie (Magenkarzinom). Im linken Linsenkerne,
dessen hinteren Anteil fast total einnehmend, ein mit verkalkten Massen an¬
gefüllter, etwa kirschgroßer Hohlraum. Der Herd reichte in die innere Kapsel
hinein, dieselbe auf a / 3 ihres Volumens beschränkend. Im Bereiohe der Pyramiden
(Brücke, Rückenmark) kein Faserausfall (!).
Verf. betont die relative Seltenheit der Mitbeteiligung der Gesichtsmuskulatur
an den athetotischen Bewegungen (Verf. konnte nur 17 analoge Fälle in der
Literatur auffinden) und bringt eine sehr genaue Zusammenstellung der bisher
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publizierten Fälle von Athetose mit Obduktion. Unter den angeführten Fällen
sei auch eine Beobachtung v. Frankl-Hoch warte erwähnt (mündliche Mitteilung
an den Verf.: Kombination von Tabes mit Athetose, vorzugsweise linkerseits).
Die Kasuistik gruppiert Verf. in 8 Gruppen: 1. mit negativem Obduktions¬
befunde, 2. mit mehreren, 3. mit einem Herde; letztere wieder in Fälle mit Herd
im Zwischen- bzw. Vorderhirn und in Fälle mit einem Herde im Rückenmarke
oder Gehirnabschnitten bis inklusive zum Mittelhirne. Endlich sind die Fälle
mit Herden im Kleinhirn und in den Bindearmen erwähnt.
18) Chorea eleotrioa oongenitalis bei einem Lamm, par Besnoit. (Revue
vötörinaire de Toulouse. 1906. S. 433). Ref.: Dezler (Prag).
Verf. demonstrierte ein mit einer besonderen Form von Chorea behaftetes
Lamm, das aus einer Herde stammte, in der die Gnubberkrankheit stationär
war. Es zitterte seit seiner Geburt in einer ganz eigentümlichen Weise. Die
Muskulatur deB ganzen Rumpfes und der Extremitäten war schnellschlägigen
dauernden Konvulsionen unterworfen, die den Kopf in eine bizarre pendelnde oder
verneinende Bewegung setzten und Zähneknirschen veranlaßten. Intermittierend
wurde der Rumpf seitlich auf das heftigste zusammengezogen und das Stehen und
der Gang so erschwert, daß das Tier nur schwer von der Stelle zu bringen war
und sehr leicht hinfiel. Der Schweif befand sich in einer sehr fein oszillierenden
Zitterbewegung. Bog das Tier aktiv den Kopf nach rückwärts, so nahmen die
Kontraktionen ab, ohne aber gänzlich aufzuhören; wurde der Kopf dagegen passiv
nach rückwärts gedreht, so verschwanden sie auf die Dauer der passiven Fixation,
um nach deren Aufhören mit erneuter Heftigkeit wieder aufzutreten. Inten¬
dierte Bewegungen schienen den Krampf zu verstärken. Da dem Verf. ein ähn¬
licher Fall aus der Literatur nicht bekannt war, zog er zum Vergleiche die beim
Menschen vorkommenden Zitterkrankheiten heran. Er behandelt differential-
diagnostisch die Paralysis agitans, den Intentionstremor bei multipler Sklerose
und die Myoklonien. Von den letzteren findet Verf. die Chorea electrica Bergeron,
soweit sie ihm nach der Beschreibung von P. Bloqu bekannt ist, den chorea¬
tischen Störungen seines Falles homolog. Verf. glaubt sich hierzu umsomehr
berechtigt, als das Leiden bei dem Lamm nach 4 Wochen völlig verschwand.
19) Case of multiform tio inoluding automatio speeoh and purposlve
movementa, by Morton Prince. (Journ of Nerv, and Ment Disease.
1906. Januar.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
Interessanter FalL von Maladie des tios bei einem 35 jährigen Patienten,
seit 20 Jahren bestehend und ausgezeichnet durch die Ausbreitung der motorischen
Störung auf die verschiedensten Muskelgebiete, Bowie durch die Begleiterscheinung
automatischer Wortinteijektionen, auch obscoenen Charakters. Bemerkenswert ist,
daß sich bei demPat. auch sensorischer Automatismus feststellen ließ; beim Fixieren
glänzender Flächen (Kristallglas usw.) entstehen Visionen verschiedener Art. Die
Auseinandersetzung des Verf.’s über das Entstehen der eigenartigen automatischen
Sprachäußerungen dieses und verwandter Fälle, sowie über den Einfluß der be¬
gleitenden Angstvorstellungen auf ihr Auftreten müssen im Original nachgelesen
werden.
20) loonographie de Involution d’un oas de maladie des tios, par Roubino-
witsch. (Nouv. Iconogr. de la Salp. 1906. Nr. 3.) Ref.: Ernst Bloch.
23 jähriger Mann. Uneheliches Kind, Mutter nervös, während der Schwanger¬
schaft war sie zahlreichen Nervenshoks ausgesetzt. Mit 12 Jahren, in der Rekon-
valesoenz von einem Typhus, trat ein Tic auf, bestehend in einem übermäßigen
Öffnen der Augen mit gleichzeitigem Zusammenkneifen der Lippen. Diese Grimasse
trat im Anfang seltener auf, jedoch beim Bemühen, sie zu unterdrücken, stellten
sich Kontraktionen der Halsmuskeln ein, so daß 2 Jahre später zwei verschiedene
Tics bestanden. In der Schule verschlimmerte sich sein Zustand, die Kameraden
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verspotteten ihn, und durch die Anstrengungen, der Bewegungen Herr zu werden,
kamen noch zwei Tics hinzu: Er reibt seine Magengrube mit dem Daumen der
linken Hand, und mit dem Zeigefinger der rechten Hand reibt er gleichzeitig da*
Kinn oder die Stirn. Im Jahre 1902 — als er das Abgangsexamen trotz der
größten Anstrengung nicht erreichen konnte — ging er von der Schule ab, and
sofort verminderten sich die Tics sowohl an Häufigkeit wie an Intensität.
Während seiner Dienstzeit als Soldat kommt ein neuer Tic hinzu: Er erhebt die
Schultern brüsk, zieht sie nach hinten, wirft zur selben Zeit den Kopf nach
hinten, beugt die Arme leicht und nimmt eine etwas gezwungene Stellung ein,
„oomme un soldat prussien“. Entlassen vom Militär, wird er Diener, die Tics
treten nach einiger Zeit wieder auf, vermehrt um folgende: Reiben der Daumen
aneinander, Zurechtstellen deB Körpers in der Haltung eines, der sich zum Laufen
anschickt, Bewegung des Gesäßes, Ausstrecken der Hände und eines Beines.
Am Tage nach einer angestrengten körperlichen Arbeit treten die Tics am
häufigsten auf, gar nicht des Morgens. Langweile, Unruhe, Sorgen um die Zu*
kunft usw. vermehren sie. Die Tics kommen so plötzlich, daß er Gegenstände,
die er in der Hand trägt, fallen läßt; einmal hat er sich sogar mit einer Feder
verletzt. Oft hindern sie ihn auch beim Schreiben und Sprechen, er verschluckt
oft die Hälfte der Wörter. Sonst ist er ein großer Hypochonder, fürchtet Veits*
tanz, Epilepsie zu bekommen, ist leicht erregbar, weint über jede Kleinigkeit nzw.
Verf. stellt die Prognose schlecht.
21) The differential diagnosis between ohorea minor andtio, by William
Graves. (Medic. Record. LXXII. 1907. Nr. 8.) Ref.! Kurt Mendel.
Verf. stellt 22 Punkte zusammen, in welchen sich Chorea minor und Tic
voneinander unterscheiden. Dieselben sind, da ihre Aufführung im Referat zu
viel Platz in Anspruch nehmen würde, im Original nachzulesen.
22) Beiträge zur Pathogenese der Chorea und der akuten infektiösen
Prozesse des Centralnervensystems, von Prof. Dr. Cramer und Dr.
Többen. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XVIII. 1906.) Ref.: M. Probst.
Die Verff. beschreiben zwei Fälle ron Chorea, bei denen intravital auB dem
Blute ein positiver bakterieller Befund erhoben werden konnte und zwar in dem
ersten Falle Staphylokokken, in dem zweiten Streptokokken. Die Gebirnunter-
sucbnng des /.weiten Falles ergab pralle Füllung der Gefäße, perivaskuläre Blu*
tungen, randständige Gliakerne. Aus dem Blute, aus Gehirnstückchen, aus der
Cerebrospinal* und Peritonealfiüssigkeit, wie aus einem Stücke der Herzklappe
ließen sich die Streptokokken züchten. Kaninchen gingen nach Injektion (V 8 ccm)
der Bouillon kultur nach 14 Tagen zugrunde.
Die Verff. weisen darauf hin, daß bei einer Reihe heterogener Krankheits*
bilder wie Chorea, Laudrysche Paralyse, hämmorrhagischePolioenoephalitis, akutes
Delir eine ganze Reihe von Mikroorganismen nachgewiesen wurden, die meist zur
Gruppe der pyogenen Bakterien gehören. Diese Krankheitsbilder schließen sich
häufig an akute Infektionskrankheiten an und zeigen gemeinsam motorische Reiz*
oder LähmungB8ymptome.
Hypothetisch nehmen die Verff. an, daß das InficienB von den verschiedensten
Invasionspforten in den Körper gelangt und Stoffweohselprodukte absondert, welche
eine besondere Affinität zum Centralnervensystem besitzen und hier gerade die
motorische Zone elektiv in ihrer Giftwirkung bevorzugen und hier die patho¬
logisch-anatomischen Prozesse hervormfen
23) Über akuten Oelenkrheumatismus, Ohorea und Endokarditis der Kinder,
von Kephallinos. ( Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 563.) Ref.: Pilcz.
Verf. berichtet über 129 Fälle akuter Polyarthritis aus der Grazer pädia¬
trischen Klinik. Für den Neurologen sind folgende Daten aus dieser Arbeit be¬
merkenswert: Kaum 5°/ 0 der Knaben, aber mehr als 20°/ 0 der Mädchen, die an
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Polyarthritis erkrankt waren, bekamen Chorea. Beim Veitstänze der Knaben
läßt sich die Polyarthritis als ätiologisches Moment nur halb so oft nachweisen,
als bei Mädchen. Der Beginn der Erkrankung war bei den Knaben viel seltener
als bei den Mädchen ein plötzlicher. Den nicht oder nicht nachweislich auf
PolyarthritiB acuta beruhenden Fällen der männliohen Chorea minor muß ein im
allgemeinen minder gutartiger Verlauf zugeschrieben werden (es konnten von den
Mädchen wesentlich mehr geheilt entlassen werden).
24) An analysls of 808 oases of ohorea, by W. S. Thayer. (Journ. of Amer.
med. Assoc. XLVII. 1906. Nr. 17.) Ref.: Kurt Mendel.
Material: 808 Fälle von Chorea. 96,9°/ 0 gehörten der weißen, 3°/ 0 der
farbigen Basse an. Bei letzterer ist Chorea verhältnismäßig selten. 28,7 °/o
männlich, 71,2°/ 0 weiblich. 84,5°/ 0 im Alter von 5 bis 15 Jahren. Bei 20,4 °/ 0
Chorearecidiv (zweiter Anfall), bei 17,1 °/ 0 dritter oder noch höherer Anfall. In
21,6°/ 0 war Rheumatismus in der Anamnese zu eruieren. In 40,5°/ 0 Herz¬
geräusche, in 27,7°/ 0 mußte man ein organisches Herzleiden annehmen, meist
Mitralinsuffioienz. 4 Fälle verliefen tödlich, 2 kamen zur Autopsie, in beiden
Rheumatismus vorangehend, in beiden akute Endokarditis. Herzalterationen
waren besonders häufig bei Patienten, welche akuten Gelenkrheumatismus Über¬
stunden hatten. Zumeist besteht Temperaturerhöhung, besonders in Verbindung
mit akuter Endokarditis. Fieber ohne Rheumatismus mit beschleunigtem oder
unregelmäßigem Puls spricht für das Bestehen einer akuten Endokarditis. Herz¬
komplikationen waren bei Chorearecidiv häufiger als beim ersten Anfall.
25) Maniaoal ohorea, by J. M. Finny. (Dublin Journ. of med. Science. 1907.
Nr. 425.) Ref.: Kurt Mendel.
Fall von maniakaliacher Chorea mit rheumatischen Schmerzen und Herz¬
atrophie. Exitus am 9. Tage. Verf. macht auf die üble Prognose der mania-
kalischen Chorea aufmerksam und führt aus, daß die Chorea auf ein Toxin zurück¬
zuführen ist, und daß die Schwere der Affektion von der Virulenz dieses Toxins
und seiner Wirkung auf die Nervencentren abhängt. Die bakteriologische Unter¬
suchung des Hirns und Rückenmarkes ließ in Verf.’s Fall einen Mikroorganismus
nicht auffinden.
26) Über Todesfälle bei Chorea, von J. M. Rachmaninow. (Arch.f. Kinder-
heilk. XLV. 1907. S. 378.) Ref.: Kurt Mendel.
Todesfälle werden bei Chorea selten beobachtet. Die schwere, tödlich ver¬
laufende Chorea dauert selten über 6 Wochen, gewöhnlich weit weniger. Oft
Delirien und Bewußtlosigkeit, zuweilen Beginn mit akutem Gelenkrheumatismus.
Prognostisch sehr ungünstig ist das Auftreten von Ausschlägen (miliares oder
scharlachähnliches Exanthem). Zuweilen tritt der Tod ganz unerwartet ein bei
Erkrankungen mäßigen Grades, die eigentlich eine günstige Proguose gestatten.
Verf. berichtet über 2 Fälle von Chorea mit tödlichem Ausgang. In beiden
ergab die Sektion eine akute Hyperplasie der Milz und frische Endokarditis der
Bicuspidalis, letztere hatte zu Lebzeiten keine deutlichen Symptome verursacht.
Beide Fälle boten gleich zu Beginn anscheinend schwere Erkrankungsformen dar;
doch lag nichts vor, was veranlassen konnte, diese Erkrankungen als unbedingt
tödliche zu betrachten, späterhin traten allerdings schwere Hirnerscheinungen
hinzu (getrübtes Sensorium, Lähmungen). In beiden Fällen waren die chorea¬
tischen Zuckungen ungeheuer heftig, die Temperatur erhöht (im 2. Fall trat
Fieber allerdings erst 24 Stunden vor dem Tode ein).
Die in beiden Fällen gefundene frische Endokarditis und akute Hyperplasie
der Milz sprechen für die infektiöse Natur der Chorea, allerdings könnte diese
Infektion auch eine sekundäre, durch das Eindringen eitererregender Bakterien
von den zahlreichen Erosionen am Körper aus hervorgerufene Bein. Verf. spricht
sich für den Zusammenhang zwischen Chorea und Rheumatismus aus, er fand bei
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seinem Material in etwa 37 °/ 0 der Fälle von Chorea Gelenkrheumatismus in der
Anamnese.
27) Zur Chorea gravidarum, von Prof. Martin in Greifswald. (Deutsche med.
Wochenschr. 1906. Nr. 31.) Ref.: R. Pfeiffer.
Bei schweren, zunächst recht bedrohlich aussehenden Fällen soll ein naoh
haltiger Versuch mit geeigneten Bromgaben bei sorgfältiger Pflege und Er¬
nährung, geeigneter Lagerung, Bädern und Packungen der Unterbrechung der
Schwangerschaft vorhergehen. Komplizierende schwere Endokarditis und Meningitis
(letztere äußerst selten! Ref.) bieten auch in dieser Richtung eigene Indikationen.
28) Un oaso di oorea di Huntington oon reperto anatomo-patologioo, del
Dr. C. Besta. (Riv. speriment. di Freniatria. XXXI.) Ref.: Merzbacher.
Verf. hat das Centralnervensystem eines Mannes zu untersuchen Gelegenheit
gehabt, der mit 40 Jahren an Chorea erkrankte. Bereits drei Generationen des
betreffenden Kranken waren der nämlichen Krankheit erlegen. 6 Jahre nach
Ausbruch der motorisohen Erscheinungen traten noch psychische hinzu, die schlie߬
lich zu einer deutlichen, wenn auch nicht starken, Demenz führten. An die
Diagnose Chorea Huntington setzt der Autor keine Zweifel (wir wollen es
nicht unterlassen, zu bemerken, daß der Kranke vor Beginn der choreatischen
Erscheinungen an Typhus gelitten hat). Die mikroskopische Untersuchung ergab
folgendes: sehr starke Veränderungen an den Blutgefäßen im ganzen Central-
nervensystem. Die kleineren Gefäße scheinen stärker betroffen zu sein, indem
an denselben sämtliche Teile in Mitleidenschaft gezogen worden sind (weitgehendste
Sklerose). Die großen Gefäße hingegen weisen nur eine stärkere Infiltration
der Adventitia auf. Die Gefäßerkrankung setzt sich auf die Pia fort und hat
hier zu einer deutlichen Leptomeningitis Anlaß gegeben. Die Tangentialfaaem
erscheinen in der Rinde geschädigt, ebenso die oberste Ganglienzellenschicht der
Rinde. Die zuletzt genannten Veränderungen führt der Autor sekundär auf die
primär entstandenen Piaveränderungen zurück. Er glaubt also im Einklang mit
anderen Autoren das Wesen des Prozesses auf eine primäre Gefäßerkrankung
der kleineren Gehirngefäße zurückführen zu können. Die übrigen Ganglien¬
zellen erschienen nicht lädiert, Gliaveränderungen wurden nicht beobachtet. Bei
dieser Auffassung des Prozesses bleiben die lang andauernden motorischen Er¬
scheinungen unaufgeklärt.
29) Über ohronlsohe progressive Chorea (Huntington) im jagendlichen
Alter, von F. Lange. (Berl. kL Wochenschr. 1906. Nr. 6.) Ref.: Bielscho wsky.
In Anlehnung an den von Heilbronner (Arch. f. Psychiatrie. XXXVI.) auf¬
gestellten Satz, daß: „der familiären Chorea im allgemeinen die Tendenz inne¬
wohnt, in jeder folgenden Generation im Durchschnitt jüngere Individuen zu be¬
fallen, als in der vorhergegangenen“, bespricht Verf. ausführlich einen Fall von
Huntingtonscher Chorea, in dem es möglich ist, für das Einsetzen der Er¬
krankung in zwei aufeinander folgenden Generationen genaue Daten beizubringen.
Der Vater des Patienten, ein gesunder, intelligenter, rüstiger Mann erkrankte
naoh einem schweren Trauma im Alter von 48 Jahren an einer allmählich zu¬
nehmenden Unruhe der Glieder und Abnahme der Intelligenz. Die Diagnose
wurde auf Chorea progress. gestellt. Nach 13 Jahren unter steter Zunahme der
Krankheitserscheinungen exitus letalis. Ob schon für diesen Patienten eine Be¬
lastung vorliegt, ist nicht sicher nachzuweisen. Der Sohn dieses Choreatikers
erkrankte mit 23 Jahren nach einem schweren Trauma psychischer und körper¬
licher Art (schlechte Behandlung und Mißhandlung beim Militär) mit denselben
Erscheinungen wie der Vater, nur daß die psychischen Störungen hier den
somatischen vorausgingen. Die psychischen Störungen betrafen vorwiegend die
Intelligenz, Desorientierung, partielle Gedächtnisdefekte, völliger Mangel an Auf¬
merksamkeit, Erscheinungen, die Verf. als „choreatische Demenz“ benannt wissen
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will. Was die Erklärung dieser choreatischen Geistesstörung anlangt, so verwirft
Verf. die Krafft-Ebingsohe Auffassung, daß es sich um eine „Inanitionspsychose“
handelt, ebenso wie die Francottesche Hypothese, daß „die ständigen Krampf¬
zustände die Aufmerksamkeit hemmen und den Intelligenzverfall begünstigen."
Verf. hält vielmehr auf Grund anatomisch - pathologischer Forschungen die der
Chorea eigentümlichen unwillkürlichen Bewegungen und die geistigen Defekte für
etwas Koordiniertes. Es handelt sich um einen chronischen Prozeß in der Binde,
besonders der motorischen Begion, der bald herdweise, bald diffus auftretend viel
Ähnlichkeit mit dem Prozeß der progressiven Paralyse darbietet. Als Ausgangs¬
punkt der Erkrankung nimmt er eine Proliferation fixer epitheloider Embryonal¬
zellen an, in denen er das Objekt der Vererbung erblickt. Die Wucherung der¬
artiger Zellen tritt nach Cohnheim durch Trauma oder spontan auf einer ge¬
wissen Altersstufe ein. Ausschlaggebend für die Differentialdiagnose der chronischen
Huntingtonschen Chorea sind: Heredität und psychische Störungen. Die Pro¬
gnose ist infaust.
SO) Über Myatonia congenita (Oppenheim), von Dr. Ludwig Bosenberg.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Bef.: E. Asch.
Das seltene Leiden betraf ein 2 1 / i jähriges, hereditär nicht belastetes Kind,
dessen Mutter eine normale Gravidität und Entbindung durchgemacht, aber
Kindsbewegungen nicht verspürt hatte. 6 Wochen nach der Geburt Auftreten
eines Nabelbruchs. Beim Stehenlernen im Alter von 11 Monaten fiel die Halt¬
losigkeit in den Knie- und Hüftgelenken auf; Stehen und Gehen bis heute nicht
möglich. Geistige und körperliche Entwicklung gut. Es besteht schlaffe Läh¬
mung beider Beine ohne Atrophie. Beim passiven Strecken der Unterschenkel
bemerkt man kurz vor der Endstellung ein leichtes mechanisches Hindernis infolge
von geringer Verkürzung der Beuger. In den Fußgelenken besteht nur Hypotonie.
Muskeltonus herabgesetzt, dadurch Fehlen der Sehnenphänomene. Kein Babinski,
kein Oppenheim. Muskulatur an den Oberschenkeln und in der Gesüßgegend
auffallend weich-teigig. Elektrische Beaktion derselben vollkommen erloschen. An
den Unterschenkeln N. peroneus bei Btarken faradischen und galvanischen Strömen
und blitzartiger Zuckung erregbar. Sensibilität anscheinend in allen Qualitäten
erhalten. Cremaster-, Bauch- und Hypochondrienreflexe = 0. Hirnnerven und
ophthalmoskopischer Befund normal, Sprache und Intelligenz dem Alter entsprechend.
Nach längerer faradischer Behandlung allmähliche Besserung im rechten und linken
Ileopsoas und beginnende elektrische Beaktion in beiden Nn. crurales. Während
das Leiden mit frischen Fällen von Poliomyelitis ant. chronica große Ähnlichkeit
hat, unterscheidet es sich davon doch dadurch, daß es stets angeboren aufzutreten
pflegt. Ferner ist der Verlauf beider Affektionen ein ganz verschiedener. Auch
die Differentialdiagnose gegenüber Bhachitis, Polyneuritis und der Dystrophia
muscul. progr. ist nicht schwierig.
31) Bin Fall von Myatonia congenita, vonLugenbühl(Wiesbaden). (Deutsche
med. Wochenschr. 1907. Nr. 35. Vereinsbeil.) Ref.: Kurt Mendel.
5 Monate altes Mädchen, Kind gesunder jüdischer Eltern. Normale, spontane
Geburt. Großmutter hat Tabes. Sonst Heredität 0. Schon bei der Geburt fiel
Bewegungslosigkeit und schlaffes Herabhängen der Extremitäten auf. 4 Wochen
später: schlaffe Lähmung aller 4 Extremitäten, die bewegungslos daliegen; Thorax-
und Halsmuskulatur schlecht entwickelt und aktiv nicht in Funktion; tiefe und
Hautreflexe nicht auszulösen; Sensibilität normal; elektrisch weder faradisch noch
galvanisch Beaktion an den befallenen Muskeln. Hirnnerven und innere Organe
normal. Atmung wegen der schlecht entwickelten Thoraxmuskulatur fast nur
abdominal. Unter elektrischer Behandlung und Massage leichte Besserung.
Diagnose: Myatonia congenita (Oppenheim).
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32) Über kongenitale Muskelatonie (Myatonia oongenita Oppenheim), von
Dr. L. Tobler. (Jahrb. f. Kinderheilk. LXVI.) Ref.: Zappert (Wien).
Verf. beschreibt einen charakteristischen Fall der angeborenen Hypotonie der
Körpermuskulatur ohne Atrophie, wie sie Oppenheim ab Myatonia congenita
bezeichnet hat. Bis zum 5. Lebensjahr hatte sich wohl die Beweglichkeit etwas
gebessert, aber zu kraftvoller Muskelaktion war es nicht gekommen. Das Kind
starb an den Folgen einer Lungenentzündung. Autopsie liegt nicht vor. Die
vorliegende Arbeit bringt eine Zusammenstellung der bisher beschriebenen Fälle.
In der nächsten Nummer der Jahrb. f. Kinderheilk. (LXVI, H. 2) findet sich
eine kurze Kontroverse zwischen Prof. Bernhardt (Berlin) und Tobler, welche
die von ersterem Autor vertretene neuritische Ätiologie der Myatonie zum Inhalt hat.
33) Über progressive Muskelatrophien, von Botstadt. (Medycyna. 1906.
Nr. 47 bis 52. [Polnisch.]) Ref.: Edward Flatau.
Verf. gibt in seiner Arbeit eine sehr ausführliche kritische Bearbeitung der
Frage nach der Pathogenese verschiedener Formen der progressiven Muskel¬
erkrankungen, d. h. sowohl der atrophischen Formen, wie auch der sog. Dystro¬
phien. Es folgt aus dieser Darstellung, daß man heutzutage keine scharfen
Grenzen zwischen diesen Formen stellen kann, denn man findet sowohl klinische
wie auch pathologisch-anatomische Fälle, in welchen die angeblich für eine Form
pathognomonbchen Merkmale sich gerade in der anderen ebenfalb vorfinden.
Sehr viele Forscher sind der Ansicht, daß die progressiven Muskelerkrankungen
auf Grund angeborener pathologischer Abweichungen im Gebiete des Nerven- und
des Muskelsystems entstehen.
Verf. selbst beschreibt 3 Fälle, von welchen einen mit einem ausführlichen
histopathologischen Befund. Der erste Fall betraf ein 15jähriges Mädchen, bei
welchem sich vor 3 Jahren Lordose entwickelte, die immer größer wurde. Gang
schwankend, dann ganz unmöglich. Schwäche zunächst der linken, dann auch der
rechten oberen Extremität. Seit 3 Monaten Abmagerung der oberen und der
unteren Extremitäten. In der Familie keine analogen Fälle. Status: Asymmetrie
des Brustkorbes. Scapulae stehen weit vom Brustkorb ab. Skoliose hauptsächlich
im oberen Dorsalteil. Lordose im Lumbalteil. Pat. kann ohne Hilfe nicht sitzen.
Hirnnerven normal Mm. cucullares und sternocleidomastoidei sehr abgeschwächt
und atrophisch. In den oberen Extremitäten überall Atrophie, hauptsächlich in
den Armen (lose Armgelenke). Keine Bewegung in den Armgelenken, sehr
schwache im Ellenbogen. Handbewegungen ebenfalls schwach. Elektrische Reaktion
zeigt quantitative Veränderungen (zum Teil Fehlen der Reaktion), nirgends träge
Zuckungen oder Umwandlung der Formel. Keine Triceps- und Periostreflexe.
In den Beinen sämtliche Muskeln atrophisch, besonders die Extensores cruris
und die Peroncalgruppe. Minimale Bewegungen im Hüftgelenk (Ab- und
Adduktion nicht möglich). Plantare Flexion des Fußes nicht möglich, dorsale
sehr schwach. Zehenbewegungen erhalten. Patellarreflexe fehlend, Achilles
reflexe ziemlich lebhaft. Sensibilität überall erhalten. Elektrisch wie oben. Analoge
Bewegungsstörungen und Atrophien am Rumpf. Hypertrophie der Muskeln vielleicht
in den Waden. Während der letzten Lebensjahre keine deutlichen Schwankungen
des Status. Tod infolge einer Erkältung. Die Sektion ergab in den Rumpf¬
muskeln (an der Wirbelsäule) blasse oder graue Verfärbung (an einzelnen Stellen
normale tief-rote). Die Halsmuskeln waren besser erhalten. In der Glutaal¬
gegend eine enorme subkutane Fettentwicklung und darunter fast völlig fettig
degenerierter M. glutaeus. Sehr viel subkutanes Fett findet man ebenfalls in
der Fossa poplitea. Die mit der modernen Technik ausgeführte Untersuchung
sowohl der peripheren Nerven, wie auch des Centralnervensystems (Marchi,
Nissl u. a.) zeigten keinerlei Abweichungen von der Norm. Die Untersuchungen
der Muskeln an verschiedenen Gebieten (Extremitäten, Rumpf) zeigten überall
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analoge Bilder, nämlich Atrophie der Mehrzahl der Muskelfasern, hochgradige Fett¬
entwickelung zwischen den erhaltenen Muskelfasern, hypertrophische Mulkelfasern
(80 bis 150 und darüber) mit meistens sehr verschwommener Streifung, Falten¬
bildung an diesen hypertrophischen Fasern, Längsteilung, Hyperplasie sowohl der
atrophischen wie auch der hypertrophischen Muskelfasern (regression cellulaire
par division von Durante), Kern Vermehrung hauptsächlich in den Teilungs¬
stellen, leere Sarkolemmschläuche, keine deutliche Proliferation des Bindegewebes,
keine nennenswerte Gefäßalteration, nur Kernvermehrung in den kleinen Gefäßen
und in den Kapillaren. Die Neuromuskulärbündel nicht verändert. Dagegen
leichte fettige Degeneration der neuromuskulären Spindeln. Die mit Marchi be¬
handelten Präpamte zeigten sowohl in den atrophischen wie auch in den hyper¬
trophischen Muskelfasern Fettdegeneration ganz verschiedenen Grades. (Die Fett-
schollen liegen wahrscheinlich im Sarkoplasma selbst.) In manchen Muskeln ließ
sich ferner eine wachsartige Degeneration feststellen. Alle diese Alterationen
waren in verschiedenen Muskeln bald mehr bald weniger entwickelt. In einzelnen
Muskeln (M. spinalis cervicis) fand man nur die Merkmale der Atrophia simplex,
in einzelnen Muskeln (Ext. digitorum brevis, M. tib. ant. sin., Hypothenar, Inter-
costales) fand man die größte Zahl wohlerhaltener Fasern. Verf. hebt besonders
die Hyperplasie der Muskelfasern und die Degeneration der neuromuskulären
Spindel in seinem Falle hervor. Im zweiten Falle handelte es sich um einen
13jährigen Knaben, bei welchem die Krankheit angeblich erst vor 1 Jahre nach
einem Fußtrauma entstand. Der Status ergab die zum Teil juvenile und zum
Teil infantile Form der Muskeldystrophie. Es ist in diesem Falle bemerkenswert,
daß nach der Angabe der Mutter seit der frühesten Kindheit der Knabe mit halb-
offenen Augen schlief, daß seine Augen stets leicht getränt haben und daß die
Bewegungen der Gesichtsmuskeln (Pfeifen, Stirnrunzeln, Mundbewegungen, Amimie)
sehr schwach entwickelt waren. Verf. meint, daß es sich hier um eine angeborene
primäre Störung (Lähmungserscheinung) der vom N. facialis innervierten Muskeln
handelt. Ein so frühzeitiges Auftreten der Gesichtsmuskelstörung fand Verf. nur
in den Fällen von Hoffmann und Bregman. Im dritten Falle handelte es
sich um eine 35jährige Jungfrau, bei welcher man die Hoffmann - Marie-
Toothsche Form der Muskelatrophie feststellen konnte. Schmerzen im 8. Lebens¬
jahre in den Beinen, hauptsächlich in den Knien, Störungen beim Gehen seit
etwa 23 Jahren, wobei sie zunächst Parese in der großen linken Zehe bemerkte,
dann Ermüdbarkeit beim Gehen, Kältegefühl und leichtes Frieren der Füße, seit
5 Jahren Ungeschicklichkeit bei den Handarbeiten. Status: In den Beinen Ab*
Schwächung der Fußbewegungen, besonders der Zehenbewegungen (links ganz
unmöglich), Klumpfüße. Atrophie der Unterschenkelmuskulatur. Patellarreflex
lebhaft. Achillesreßex beiderseits fehlend. Nerven nicht druckempfindlich. Obere
Extremitäten nur insofern in ihren Funktionen betroffen, als die Bewegungen mit
der rechten Hand nicht so geschickt und prompt ausgeführt werden (Handarbeiten)
wie mit der linken. Auch leichte Ermüdbarkeit der Finger der rechten Hand.
Atrophie der kleinen Handmuskeln beiderseits (Affenhände). Kleinoscillierendes
Zittern der Finger. Gang mit kleinen Schritten, unsicher, etwas schwankend.
Patient ermüdet leicht. Sehr deutlicher Romberg. Abschwächung des Tast- und
Schmerzsinnes von den Kniegelenken nach abwärts. Verlangsamung der Tem¬
peraturempfindung unterhalb der Kniegelenke (an den Zehen = 0). Störung der
Lageempfindung in einzelnen Zehen. Elektrische Prüfung ergab zum Teil quan¬
titative Abnahme in den distalen Abschnitten der Beine, teils Entartungsreaktion
(im rechten Tbenar, im rechten und linken Hypothenar).
34) Zur Pathologie der dystrophischen Form des angeborenen partiellen
Riesenwuchses, von Dr. E. Wieland in Basel. (Jahrb. f. Kinderheilkunde.
LXV.) Ref.: Zappert (Wien).
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Bei einem Kinde, das eine Mißbildung des linken Fußes mit auf die Welt
gebracht hatte, stellt sich etwa im 8. Monate eine Vergrößerung dieses Fußes ein,
welche nach weiteren 2 Monaten schubweise stark zunahm und Haut und Knochen
in gleicher Weise betraf. Der Fuß wurde amputiert und lieferte ein Objekt für
gründliche anatomische Untersuchungen. Es ergaben sich hierbei vorwiegend die
Zeichen der echten Hypertrophie aller Gewebe (namentlich des Unterhautfettes,
aber auch der Haut und der Muskulatur) und atrophische, durch den Druck
gewucherter Nachbargewebe entstandene Veränderungen. Am Knochen zeigten
sich neben ausgesprochener Hypertrophie auch regressive Befunde (Brüchigkeit,
Osteoporose usw.), die wohl als primäre Skelettanomalie aufzufassen sind, ln
dieser Kombination liegt nach Meinung des Vcrf.’s das charakteristische Moment
für die vorliegende Form des partiellen Biesenwuchses, die Verf. daher als
dystrophisch zu bezeichnen vorschlägt. Auf die Ätiologie dieser eigentümlichen
Störung wirft auch der besprochene Fall nicht genügend Licht, doch ist nach
Ansicht des Verf.’s noch am ehesten an das Vorhandensein embryonaler Wachs*
tumsstörungen zu denken.
35) Zwei Fälle von Dystrophia musoularis progressiva familiaris, von Dr.
J. Winocouroff. (Archiv f. Kinderheilk. XLVL) Bef.: Zappert (Wien).
An den beiden anscheinend der juvenilen Muskelatrophie Erbs zugehörigen
Fällen ist nur bemerkenswert, daß es sich um Mädchen (13 und 11jährige Ge*
schwister) handelt, und daß ein recht reichlicher Weingenuß seit frühester Kind¬
heit bestanden hatte.
36) Pseudo hypertrophio musoular atrophy, by Charles E. Ingbert. (Journ.
of Nerv, and Ment. Dis. 1907. Januar.) Bef.: M. Bloch.
Die Krankheit des im 20. Lebensjahre an Typhus verstorbenen Patienten
begann im 2. Lebensjahre in den Unterextremitäten in typischer Weise bei den
ersten Gehversuchungen, es bestanden später Kontrakturen und Deformitäten der
Füße (Pes equino*varu8), Skoliose, Schwäche der Bumpfmuakeln, vasomotorische
Störungen an den Beinen (dabei herabgesetzte Kälteempfindlichkeit), leichte Atrophie
der Handmuskeln. Eine Störung der Mastdarmfunktion beruhte, wie die Sektion
feststellte, auf einer lokalen Erkrankung. Ein genauer klinischer Status liegt
offenbar nicht vor. Im Anfang der Erkrankung bestand an den Oberschenkeln
Pseudohypertrophie. Bei der Obduktion fand sich in den untersuchten Muskeln
verringerte Querstreifung und Färbbarkeit, fettige Degeneration, in den Gefäßen
organisierte Thromben und diffuse Wandverdickung. Im Bückenmark im vierten
Lumbarsegment und unterhalb desselben bestand Chromatolyse der Zellen des
Seitenhorns, ferner Verringerung der Seitenhornzellen im 4. und 5. Lumbarsegment,
Verringerung des Querschnittes der Spinal wurzeln vom 4. Lenden* bis zum
2. Sakralsegment; die letztgenannte Veränderungen hält Verf. wohl mit Becbt für
sekundäre.
37) Myopathy of the distal type and its relatlon to the neural form of
musoular atrophy (Oharoot-Marie, Tooth type), by William G.Spiller.
(Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1907. Januar.) Bef.: M. Bloch.
I. 59jähriger Patient, in dessen Familie ähnliche Erkrankungen nicht vor*
gekommen sind, erkrankt im 15. Lebensjahre an Schmerzen in den Unterschenkeln
und Füßen, die kurze Zeit anhielten und sich in der Folge in jedem Frühjahr
wiederholten; im 35. Lebensjahr Schmerzen in den Händen und Armen, sowie
Schwäche, Abmagerung und Deformierung der Unterschenkel. Seit 5 Jahren
arbeitsunfähig, nachdem die Krankheit konstant fortgeschritten war. Die Ober¬
extremitäten waren seit 10 Jahren abgemagert.
Status: Starke Atrophie der Hände und der Vorderarme, während die
Muskulatur oberhalb der Ellenbogen intakt ist. Sensibilität intakt, BizepB* und
Trizepsreflex schwach vorhanden. Erhebliche Atrophie der Unterschenkel, es be-
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steht doppelseitiger Talipes equino-varus, Patellar- und Achillessehnenreflexe
fehlen. Oberschenkel nicht abgemagert. Sensibilität intakt.
II. 28jähriger Patient, dessen Familiengeschichte and eigene Anamnese Bonst
ohne Belang ist, ist in den letzten 2 Jahren mehrfach gefallen, offenbar infolge
allmählich auftretender Schwäche der Beine; seit 1 1 j 2 Jahren zunehmende Schwäche
und Abmagerung derselben, erst links, dann rechts, 1 / 4 Jahr später auch Störungen
in den Armen. Die Untersuchung ergibt 1898: Abmagerung der Arme ohne
dietinkte Atrophien, erhebliche Abmagerung der Unterschenkel, Pes equinus, Zehen
leicht gekrümmt, keine Spasmen, Fehlen der Sehnenreflexe, Sensibilität intakt,
ln den folgenden Jahren allmähliches Fortsohreiten der Erkrankung, bo daß Pat.
nicht mehr gehen kann. 1903: hochgradige Atrophie der Unterschenkel, Schwäche
in den Oberschenkeln, Atrophie der Vorderarme, der Oberarme, des Schulter-
gxlrtels, der Rückenmuskeln, der Pektorales. Fehlen sämtlicher Sehnenreflexe,
Hirnnerven und Organreflexe ohne Störungen, Sensibilität intakt. Zeitweilig
-dampfe Schmerzen in Armen und Unterschenkeln. Bei dem am 11./I. 1906 er¬
folgenden Tode des Pat. bestand hochgradige Atrophie aller Extremitätenmuskeln,
leichte Kontraktur des rechten Knies und der rechten Hüfte, geringe Lordose in
der Lumbosakralgegend.
Die anatomische Untersuchung ergab völlig normales Verhalten des peri¬
pherischen und centralen Nervensystems, aber ausgedehnte alte Veränderungen in
der befallenen Muskulatur.
38) A case of neuromuacular psralysis (Charoot-Marie-Tooth type), by J a m e s
Raff an. (ScottiBh med. and surg. Journ. 1907. April.) Ref.: G. L. Dreyfus.
Verf. publiziert die Krankengeschichte eines 17jähr. jungen Menschen, der
mit 10 Jahren an einer eigentümlichen Nervenkrankheit erkrankte. Pat. bemerkte
damals eine Schwäche in den Knöcheln des rechten Fußes, dem bald der linke
in gleicher Weise folgte. Diese Schwäche führte zu beiderseitiger Equino-varus-
Stellung der Füße. Die Extensoren und die Peronealmuskulatur sind beiderseits
atrophisch und ergeben elektrische Entartungsreaktion. Mit 16 Jahren entwickelte
sich eine Atrophie der Thenar- und Hypothenarmuskulatur beider Hände mit Ent¬
artungsreaktion ohne Bewegungsstörungen und ohne fibrilläre Zuckungen bei
überall erhaltener Sensibilität und erhaltenen Reflexen.
Diese Krankheit ist nach eingehenden Forschungen seit 5 Generationen in
der Familie erblich und hat im ganzen 15 Mitglieder, männliche und weibliche,
betroffen. Die Krankheit entwickelte sich stets ungefähr im 10. Lebensjahr ohne
ersichtliche Ursache.
Bei dem zitierten Kranken erzielte eine beiderseitige Arthrodese der Fu߬
gelenke eine recht zufriedenstellende Gehfähigkeit.
39) Atrophia nervi optici und neurotische Muskelatrophie, von Dr. Krause
in Marburg. (Zeitschr. f. Augenheilk. XVL 1906.) Ref.: Fritz Mendel.
Verf. führt vier Gründe auf, die für den Zusammenhang zwischen der Seh¬
nervenatrophie und der neurotischen Muskelatrophie sprechen:
1. Es ist geboten, für zwei Prozesse, die bei einem und demselben bisher
gesunden Menschen sich finden, ein und dieselbe Ursache anzunehmen, zumal wenn
sie beide selten sind;
2. sprechen Anamnese und Verlauf für eine gemeinsame Entstehung, die
allerdings bei beiden Prozessen dunkel erscheint;
3. läßt sich das pathologisch-anatomische Bild beider Prozesse recht gut in
Einklang bringen und
4. ist die Opticusatrophie auch anderwärts schon einwandfrei festgestellt
worden.
Verf. rät daher bei Fällen von neurotischer Muskelatrophie das Sehorgan
einer genauen Untersuchung zu unterwerfen.
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40) Histoire olinique d’un oaa d'atrophie du tissu oolluloadipeux, par Dr.
L. Barraquer. (Barcelona 1906.) Bef.: S. Klempner.
25 Jahre altes Mädchen begann mit 13 Jahren im Gesicht und dem oberen
Teile der Brust abzumagern. Zurzeit erscheinen Gesicht und oberer Teil der
Brust hochgradig abgemagert und kontrastieren lebhaft mit den übrigen normal
ernährten Körperteilen. Das abgemagerte Gesicht ist symmetrisch, die Haut nicht
rigide, zeigt normale Elastizität und Verschiebbarkeit. Die Haare sind normal
entwickelt, das Gesichtsskelett zeigt weder Asymmetrie noch atrophische Verände¬
rungen. Von Beiten der Hirnnerven keinerlei Störungen. Thyreoidea von normaler
Größe. Atmung, Herzaktion normal.
Verf. schließt in diesem Falle die verschiedenen Formen der Hautatrophie
aus, desgleichen die Sklerodermie und die Hemiatrophia faciei.
Es handelt sich lediglich um eine Atrophie des Unterhautzellgewebes. Er
ist geneigt eine Erkrankung des Sympathicus als Ursache anzunehmen.
41) The influenoe of faoial hemlatrophy on the faoial and other nerve«, •
by W. B. Gowers. (Beview of Neurology and Psychiatry. 1906. Januar.)
Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin).
Infolge der Hemiatrophia facialis entsteht auch ein Schwund der betreffenden
Gesichts- und Schädelknochen, u. a. auch deijenigen, in deren Kanälen Nerven
und Blutgefäße verlaufen; diese werden selbstverständlich dadurch in Mitleiden¬
schaft gezogen. In dem enger gewordenen Kanal können kleinere Entzündungen
eher die Nervenleitung unterbrechen als bei normal weitem Lumen.
Verf. hat 3 Fälle beobachtet, bei denen diese Verhältnisse Vorlagen. In den
beiden ersten Fällen bestand infolge Verengerung des Fallopi sehen Kanals eine
Facialisparese mit veränderter elektrischer Erregbarkeit der dazugehörigen Ge¬
sichtsmuskeln, und diese Erscheinung lenkte erst auf die Diagnose Hemiatrophia
facialis hin.
Im 3. Falle lagen die Verhältnisse noch komplizierter. Eis wurden nach¬
einander der N. facialis, aousticus, recurrens, der motorische Ast des Trigeminus,
der Glossopharyngeus, Accessorius und schließlich die Herz- und Lungenäste des
Vagus ergriffen, und der Pat. ging an einer interkurrenten Pneumonie zugrunde.
Die Sektion ergab eine Verengerung der Austrittspforten für die betreffenden
Kopfnerven, besonders für das Foramen laoerum.
42) Über Hemiatrophia faciei, von Walter Heinemann. (Inaug.-Dissert
Leipzig 1907.) Autoreferat.
Nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick und einer kasuistischen Über¬
sicht der letzten Jahre bringt Verf. zwei Krankengeschichten von Hemiatrophia
faciei. Der erste Fall ist dadurch bemerkenswert, daß sich außer einer links¬
seitigen Gaumen- und Zungenatrophie noch eine auffallende Atrophie der linken
Brustdrüse vorfand. Bei dem zweiten Fall wurde durch Paraffininjektion ein
schöner kosmetischer Erfolg erzielt. Es folgt eine Besprechung der verschiedenen
aufgestellten Theorien sowie der pathologischen Anatomie und zum Schluß Er¬
örterung der Therapie der Hemiatrophia faciei.
Psychiatrie.
43) Zur Lehre von den psyohopathisohen Konstitutionen, c) Wahnvor¬
stellungen, von Th. Ziehen. (Charitä - Annalen. XXXI. S. 146.) Bef.:
Walter Heinemann (Berlin).
Verf. bespricht in dieser Fortsetzung (vgl. d. Oentr. 1906. S. 43 u. 769)
die „paranoiden“ Vorstellungen der psychopathischen Konstitutionen. Diese stimmen
zwar inhaltlich mit den Wahnvorstellungen der Paranoia chronica simples über¬
ein, unterscheiden sich aber von ihnen durch das erhaltene Krankheitsbewußtsein
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und dadurch, daß sie sich nicht dauernd fixieren und keine komplementären Wahn¬
vorstellungen erzeugen. Besonders kommen diese paranoiden Vorstellungen —
die Bezeichnung „paranoid 41 ist hier symptomatologisch im Gegensatz zu der im
folgenden gebrauchten Bezeichnung „alkoholiBtisch“, die dort ätiologisch gemeint
mt — beider alkoholistisoheti psychopathischen Konstitution vor. Hier
sind sie häufig latent, und Sinnestäuschungen, die sich hier häufig mit ihnen
kombinieren, setzen vermöge ihres Inhaltes immer die Präexistenz der Wahn¬
vorstellungen voraus, auoh wenn sie zeitlich primär aufbreten. Sehr schwierig ist
zuweilen die diagnostische Abgrenzung gegen die chronische Paranoia, zumal man
häufig nebenher einen leichten Defekt im Sinne einer alkoholistischen Demenz
findet. In einem Teil der Fälle (nicht in allen) steht das Auftreten der para¬
noiden Vorstellungen in Beziehung zum einzelnen Alkoholexceß. Treten dann
Sinnestäuschungen oder Amnesie hinzu, so hat man den pathologischen Bausch
oder, wie ihn Verf. lieber bezeichnen möchte, den (eben durch die Sinnes¬
täuschungen oder Amnesie) „komplizierten 44 Rausch. Weniger bekannt, da
auch weniger häufig, sind die paranoiden Vorstellungen bei der hereditären
psychopathischen Konstitution. Die Abgrenzung von der Dementia hebe-
phrenica und besonders von der Paranoia chronica incipiens ist hier häufig recht
schwer, unter Umständen gar nicht möglich. In 7 Sätzen hebt Verf. die diffe¬
rential-diagnostisch wichtigsten Punkte hervor. Zwei Krankengeschichten werden
als Beispiele Angeführt. Schließlich bespricht Verf. noch in Kürze das Vorkommen
der „paranoiden 44 Vorstellungen bei der hysterisohen psychopathischen Kon¬
stitution und der psychopathischen Konstitution des Traumatikers.
Wesentlich seltener sind sie bei der epileptischen und neurasthenischen
psyohopathischen Konstitution.
44) Die Sekretion des Magensaltes und ihre Beziehungen zu psyohopatho-
logisohen Zustandsbildern, von Mayr. (Wiener klin. Wochenschr. 1907.
S. 1285.) Bef.: Pilcz (Wien).
Ungefähr 90 Kranke, über 200 Bestimmungen der HCl-, Pepsin- und Lab¬
sekretion nach der Petryschen Methode.
Fälle reiner Manie haben eher niedrige Zahlen für die Acidität, sehr
mäßige für das Pepsin; die ausgeheberte Milch gerinnt erst nach einiger Zeit
im Brutschränke, Labbestimmung ergibt geringe Werte.
Manische ZuBtandsbilder bei Dementia praecox haben erhöhte Zahlen
für HCl und Pepsin; Milch wird geronnen ausgehebert, Lab > als bei Manie.
Amente Zustandsbilder: hohe Acidität, geringe Pepsinwerte. Milch ist
geronnen, Labgehalt gering.
Bei Katatonikern Milch meist ungeronnen, Lab sehr gering, HCl meist
herabgesetzt, Pepsin ebenso oder fehlend. Dem katatonen Stupor entsprechen die
niedrigsten, den amenten Bildern dieser Krankheit die höheren Zahlen.
Bei „psychogenen 44 Krankheitsbildern ist HCl sehr hoch, Pepsin 0 oder
gering, Milch geronnen, Lab gering; ähnlich verhält sich die Paranoia. Be¬
sonders hohe Acidität findet sich außerdem bei Krankheitsbildern während der
Schwangerschaft, des Wochenbettes und der Laktation. Die Verweigerung der
Nahrungsaufnahme an sich scheint den Typus der Sekretion nicht zu beeinflussen.
Mehrfache Untersuchungen an denselben Personen ergaben Schwankungen,
welche durch Änderungen der Affektlage bedingt scheinen.
Verf. stellt eine ausführliche Publikation in Aussicht.
46) Der Mongolismus. Referat von Priv.-Doz. Dr. H. Vogt. (Zeitschr. f. die
Erforschung u. Behandlung d. jugendl. Schwachsinns. I.) Ref.: Zappert.
Die scharfe Begrenzung gegenüber anderen Formen von Idiotie und die Fülle
höchst eigentümlicher somatischer Symptome haben die mongoloide Idiotie bereits
seit längerer Zeit zum Studienobjekt der Nerven* und Kinderärzte gemacht. In-
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dem Verf. mit recht eingehender Würdigung der Literatur eine Darstellung dieses
abnormen Zustandes gibt, hebt er sich weit über den äußerlich festgehaltenen
Rahmen eines Referates empor und ist vielfach in der Lage, die bisherigen Kennt*
nisse über den Mongolismus zu ergänzen und bei strittigen Ansichten mit seiner
eigenen Erfahrung sich für eine bestimmte Meinung zu entscheiden. Einige
Punkte aus dem reichen — sich naturgemäß nach Ätiologie, Symptomatologie,
Prognose, Differentialdiagnose, Therapie, Anatomie usw. gliedernden — Inhalt
seien besonders hervorgehoben. So führt Verf. als Beweis für den degenerativen
Charakter des Mongolismus an, daß derselbe meist letzte Sprossen kinderreicher
Familien treffe, eine Ansicht, die wohl nur der Zufälligkeit des Materiales ent¬
springt, da Ref. erste Kinder in zwei Familien (in einer derselben seit 4 Jahren
das einzige Kind) mit Mongolismus kennt. Mit Recht hebt Verf. die große
Gesichtsähnlichkeit mongoloider Kinder hervor, welche zur Verwechslung der
Kinder in Anstalten führen kann. In der Darstellung der Symptome fallen ferner
die sorgfältigen Schädelmessungen auf, welche den Verf. zu dem Schlüsse fahren,
daß Bracbycephalie mit sehr geringer Höhe und meist geringem Horizontalumfang
für Mongolismus charakteristisch seien. In bezug auf die Ossifikationsverhältniase
steht Verf. im Gegensatz zu Kassowitz auf dem Standpunkte, daß rechtzeitige
Ossifikation nicht unbedingt vorhanden sein müsse, sondern daß ebenso verzögerte
als vorzeitige Verknöcherung sich vorfinde. Bemerkenswert ist die nicht seltene
Kombination von angeborenen Herzfehlern und anderweitigen Mißbildungen (Schwimm¬
hautbildung, Anomalien der Gesichtsteile usw.) mit Mongolismus. Vorzüglich sind
die Darstellungen des Verf.’s über das eigentümliche psychische Verhalten, die
Art der Motilität, die Klangfarbe der Sprache, die Veranlagung zu Imitation, zu
Musik, die Grenzen der intellektuellen Entwicklung. Sehr beachtenswert ist die
Hervorhebung von — seltenen — Form es frustes der Erkrankung. Die Kranken
neigen zu lymphatischen Erkrankungen (z. B. Liderkrankungen), gehen leicht an
Tuberkulose zugrunde. Eine völlig zutreffende Besprechung widmet Verf. der
3?herapie und setzt eingehend auseinander, daß die vielfach angewendete Thyreoidin-
behandlung nur unwesentliche Symptome (Fettleibigkeit, gestörten Ernährungs¬
zustand, Stuhlverstopfung), nicht aber die körperlichen und namentlich geistigen
Anomalien bessere. Differentialdiagnostisch wird namentlich die Abgrenzung
gegenüber Myxödem scharf durchgeführt. Recht anregend sind die Ausführungen
des Verf’s über die nosologische Stellung des Leidens, wobei Verf. daran fest¬
hält, daß der Mongolismus eine Hemmungsbildung sei, und in geistreicher Weise
die Idee einer Stoffwechselstörung (analog dem Myxödem), die Frage nach der
anthropologischen Bedeutung der mongoloiden Merkmale, die Beziehung zu anderen
Konstitutionsanomalien (familiäre Ataxie) in Diskussion stellt. Für die Kenntnis
dieser eigentümlichen angeborenen Idiotieform ist vorliegende Arbeit von nicht
zu unterschätzender Bedeutung.
46) Die Heredität bei Dementia praeoox, von Wolfsohn. (Allg. Zeitscbr. f.
Psych. LXIV.) Ref.: Zingerle (Graz).
Von 2215 in den Jahren 1898 biB 1905 in der Irrenanstalt Burghölzli auf¬
genommenen Patienten waren 30°/ 0 an Dementia praecox erkrankt. Etwa 90%
aller Fälle sind bei beiden Geschlechtern hereditär belastet. Von den vier Be¬
lastungsfaktoren ist Geisteskrankheit mit etwa 64% am häufigsten vertreten, so¬
dann folgen die Nervenkrankheiten, der Alkoholismus, und zuletzt die sonderbaren
Charaktere. In 34% war die Heredität kombiniert; am häufigsten kamen vor
Kombination von Geisteskrankheiten mit Alkoholismus oder Nervenkrankheiten.
Ein deutlicher Einfluß der erblichen Belastung auf die Krankheitsform ließ sich
so gut wie gar nicht nachweisen bei Belastung durch Alkoholismus, Nerven¬
krankheiten und sonderbare Charaktere, während die Katatoniker am stärksten,
die Paranoiker am wenigsten durch Geisteskrankheit belastet erscheinen. Der
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Einfluß der Belastung hat keine ausschlaggebende Bedeutung für den Ausgang
des ersten Schubes der Dementia praecox.
47) La tuberooloBi nella etiologia e nella patogenesi delle malattie nervöse
e mental!, per A. Morselli. (Torino 1907.) Bef.: Hübner (Bonn).
Eine spezifische Heredität gibt es bei der Tuberkulose nicht. Die Descen-
denten von Phthisikern sind nur leichter anfällig, als nicht Belastete. Sie stellen
einen gut vorbereiteten Boden dar, auf dem sich die verschiedensten Erkrankungen
entwickeln können, konstitutionelle sowohl wie erworbene — funktionelle ebenso
wie organische.
Daß bisweilen bei Ascendenten und Descendenten Tuberkulose zur Beobach¬
tung kommt, beweist eine gleichartige Vererbung nicht
Auffallend ist, daß unter den Nachkommen Tuberkulöser verhältnismäßig
häufig — nach Orchanski in 58,1 °/ 0 der Fälle — Nervenkrankheiten, und zwar
besonders oft funktionelle Störungen auftreten.
Die Frage, ob Belastung von seiten des Vaters oder solche mütterlicherseits
ungünstiger für die Nachkommen ist, beantwortet Verf. dahin, daß Tuberkulose
der Mutter von schwerwiegenderer Bedeutung sei, da bei ihr nicht nur die im
Blut kreisenden Toxine, sondern auch der veränderte Stoffwechsel während des
gesamten intrauterinen Lebens die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen.
Die anatomischen Veränderungen, welche sich am Nervensystem von früh
gestorbenen Kindern tuberkulöser Mütter fanden, hat Verf in 3 Fällen genauer
studieren können. Er fand mannigfache Zellveränderungen, daneben auch 2 mal
hintere Strangdegenerationen.
Die nervösen und psychischen Störungen, welche bei mit Tuberkulose Be¬
lasteten Vorkommen, zeigen keine besonderen Merkmale.
Große Bedeutung mißt Verf. der Tuberkulose als degenerirendem Faktor der
Familie bei. Er führt dies an dem Beispiel der Valois und Bourbonen näher aus.
In dem zweiten Abschnitt des Buches werden die durch tuberkulöse Infektion
unmittelbar und mittelbar entstehenden Charakterveränderungen, Neurosen und Psy¬
chosen besprochen. An eigenen Beiträgen bringt Verf dabei u. a. zwei ab Tetanie
bezeichnete Fälle, die bei zwei Geschwistern einer mit Tuberkulose stark durch¬
setzten Familie auftraten. Er weist ferner darauf hin, daß bei Phthisikern nach
seinen Erfahrungen der Morphinismus eine häufigere Erscheinung ist, als man
bisher allgemein geglaubt hat. Auch der Selbstmord sei oft in Beziehung zur
Tuberkulose zu bringen, da‘die Stimmungslage vieler Tuberkulöser der Ausführung
eines solchen günstig sei.
Die in den Endstadien der Tuberkulose beobachteten deliriösen Phasen unter¬
scheiden sich von den bei anderen Kachexien vorkommenden Zuständen nicht, sie
sind nach Verf. aus der Einwirkung der Toxine auf einen erblich oder individuell
prädisponierten Menschen zu erklären. Daneben können auch noch andere Fak¬
toren, wie chronischer Alkoholismus, begünstigend mitwirken.
Der dritte Abschnitt der umfangreichen Monographie ist den anatomischen
Veränderungen gewidmet. Verf. hat zu demselben eigene Untersuchungen an¬
gestellt. Er injizierte mehreren Kaninchen teils intraperitoneal, teils in die Venen
hinein tuberkulöse Giftstoffe verschiedener Virulenz. Es gelang ihm, auf diese
Weise eine Beihe klinischer und anatomischer Veränderungen an den Versuchs¬
tieren hervorzurufen, die aber, wie er selbst Bagt, nichts Spezifisches darbieten.
Jedem Abschnitt ist ein umfangreiches Literaturverzeichnis beigegeben.
48) Lob alienös et la tuberoulose, par A. Marie. (Bevue de medecine. XXVL
1906. Nr. 7.) Bef: Eduard Müller (Breslau).
Nach den Tuberkulosestatistiken, die für eine besondere Häufigkeit des
Liungenleidens überall da sprechen, wo zahlreiche Personen auf einem relativ be¬
schränkten Baume zusammen wohnen, ist zu erwarten, daß die Asyle für Geistes-
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kranke stark verseucht sind, zumal sie nicht selten wenig widerstandsfähige und
unreinliche Kranke beherbergen und zum Teil stark überfüllt sind. Tatsächlich
richtet auch die Tuberkulose in den Anstalten vieler Länder große Verheerungen
an. Es ist deshalb dringend notwendig, Abwehrmaßregeln zu treffen, wenn auch
die finanziellen Schwierigkeiten sehr große sind.
Verf., der seine Anschauungen durch gute Statistiken (besonders aus den
Asylen der Seine) belegt, spricht sich einerseits für die Notwendigkeit einer Iso¬
lierung der Tuberkulösen in besonderen Pavillons der Irrenanstalten aus und
andererseits für eine vorbeugende genaue Lungenuntersuohung der aufzunehmenden
Patienten. Wünschenswert sind spezielle Sanatorien für die Kombination von
Lungentuberkulose und Psychose.
49) Kotes upon the inoidenoe of tuberoulosis in asylums, by Greene.
(Joura. of ment. sc. 1906. Januar.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Verf. führt aus, daß in den englisohen Irrenanstalten etwa einer von 70 Todes¬
fällen an Tuberkulose erfolge, die Zahl der Todesfälle durch Tuberkulose sei in
den Anstalten nicht wesentlich größer als in der Gesamtbevölkerung. In vielen
Fallen steht die Entstehung der Tuberkulose nicht in Zusammenhang mit dem
Aufenthalt in der Anstalt, sondern der tuberkulöse Prozeß habe nachweislich schon
vorher bestanden.
In der lebhaften Diskussion behaupteten manche Redner (Crookshank z. B.),
daß die Todesfälle an Tuberkulose in den Anstalten weit zahlreicher Beien, sie
seien bis zu lOmal häufiger als die in der GeBamtbevölkerung; auch die Ma߬
regeln gegen die Tuberkulose in den Anstalten wurden erörtert.
60) Prophylaxie et traitement de la tuberoulose dans les asiles d’alienös,
par Briand. (Annal. m6d.psych. 1906. Jan./Febr.) Bef.: E. Meyer.
Verf. tritt mit Wärme für die Bekämpfung der Tuberkulose in Irrenanstalten
ein. Er hat als einer der ersten die Absonderung der Tuberkulösen durchgeführt,
die mit Ausnahme der sehr erregten Kranken und solcher mit zu weit vor¬
geschrittener Tuberkulose in Sanatorien verpflegt werden sollen, wie Verf. eines
eingerichtet hat. Er weist zum Schluß darauf hin, daß auch das Ministerium in
Frankreich besonders auf die Notwendigkeit derartiger Einrichtungen hingewiesen hat.
61) On the etiology of asylum dysentery, by Bernard Knobel. (Journ.
of ment. sc. 1906. April.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.).
Die sehr große Zahl von „Dysenterie“-Fällen in englischen Anstalten —
in den Anstalten der London country 1904: 231 — haben Verf.’s eingehende
Zusammenstellung veranlaßt. Nach Verf.’s Schlußsätzen ist die Dysenterie in
England überwiegend in den Irrenanstalten heimisch, man begegnet ihr nur aus¬
nahmsweise in Gefängnissen und Arbeitshäusern. Die bisherigen Bekämpfungs¬
versuche haben keinen wesentlichen Erfolg gehabt Nach den bisherigen Fest¬
stellungen scheinen nicht ein, sondern mehrere Mikroorganismen die Dysenterie
hervorzurufen, die schon unter normalen Verhältnissen Insassen des gastro-intesti-
nalen Traktus sind. Zu Krankheitserregern werden sie anscheinend durch die
Abnahme der Widerstandskraft der Gewebe bei den Geisteskranken, die auf
trophische Störungen zurückzuführen ist. Bei angeborenen geistigen Defekt-
zuBtänden tritt die Dysenterie seltener auf.
52) Über die Entlarvung von Simulation bei Geisteskranken, von Prof.
Koppen. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 24.) Bef.: R. Pfeiffer.
Die Nr. 24 der Deutschen med. Wochenschrift 1907 bringt eine Reihe von
Aufsätzen über Entlarvung von Simulation, und zwar neben der Arbeit Köppens
Ausführungen von Prof. Rumpf (Bonn): „Über Krankheitssimulation bzw. -dis-
simulation und ihre Entlarvung in der inneren Medizin“, von Prof. Ledderhose
(Straßburg): „Über Simulation und ihre Entlarvung in der Unfallchirurgie“, von
Prof. Groenouw (Breslau): „Über Simulation von Augenleiden und deren Ent-
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larvung“, von Prof. Stenger (Königsberg): „Simulation und Dissimulation von
Ohrkrankheiten und deren Feststellung“, sowie von Gen.-Oberarzt Schill (Dresden):
„Über Simulation beim Militär.“
Ein genaues Studium dieser Arbeiten ist allgemein zu empfehlen in Rück¬
sicht auf die große Bedeutung der Simulation und Dissimulation von Krankheits¬
zuständen in der gegenwärtigen Zeit und in bezug auf die Tatsache, daß die
Schwierigkeit der Beurteilung häufig unterschätzt wird.
III. Bibliographie.
1) Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten, von H. Eich hörst.
(2 Teile. Berlin u. Wien 1907, Urban & Schwarzenberg. 908 S.) Ref.: Kurt
Mendel.
ln dankenswerter Weise hat die Verlagsbuchhandlung diesen die Nerven¬
krankheiten behandelnden Teil des „Handbuches der speziellen Pathologie und
Therapie“ desselben Verfassers gesondert herausgegeben. Das Werk gibt in
knapper klarer Form ein Bild von dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse
in der Neurologie. Es sei hiermit den Fachkollegen, besonders aber den prak¬
tischen Ärzten, welche sich über Ätiologie, Pathologie, pathologische Anatomie
oder Therapie in einem bestimmten Nervenfalle ihrer Praxis schnell orientieren
wollen, bestens empfohlen.
2) Oie Geschwülste des Nervensystems: Hirngesohwülste, Rückenmarks-
und Wirbelgesohwülste, Gesohwülste der peripheren Nerven, von Lud¬
wig Bruns. II., gänzlich umgearbeitete Auflage. Mit 64 Abbildungen im Text.
(Berlin 1908, S. Karger. 480 S. Preis 18 Mk.) Ref.: Adler (Pankow).
Das ausgezeichnete Werk von Bruns ist anläßlich des Erscheinens der ersten
Auflage in diesem Centralbl. (1898, S. 94) eingehend vom Ref. besprochen worden.
In den seit dem Erscheinen der ersten Auflage verstrichenen 10 Jahren hat die
Lehre von den Hirn- und Rückenmarksgeschwülsten und insbesondere auch deren
chirurgische Behandlung eine derartige Vervollkommnung erfahren, daß bei der
Neubearbeitung des Werkes, abgesehen von der im wesentlichen beibehaltenen
Disposition, kaum ein Kapitel unverändert bleiben konnte. Man werfe nur einen
Blick in die beigegebenen Literaturverzeichnisse oder in das Verzeichnis der
gleichfalls vom Verf. bearbeiteten einschlägigen Abschnitte des „Jahresberichtes
über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Neurologie und Psy¬
chiatrie“, um zu ersehen, wie erstaunlich die Publikationen gerade auf diesem
Gebiete im letzten Dezennium zugenommen haben. Freilich ist auch unter diesen
^Fortschritten und Leistungen“ nicht alles Fortschritt und Leistung. Aber kaum
einer erschien mehr berufen hier — die Spreu vom Weizen sondernd — einzu¬
greifen, als der Verf., dessen große persönliche Erfahrungen auf dem Gebiete der
Geschwülste des Nervensystems im verflossenen Dezennium an Umfang noch er¬
heblich zugenommen haben, wie ein Vergleich der beiden Auflagen fast allent¬
halben ergibt.
In erster Linie gilt dies von den Hirntumoren, bei welchen Verf. über
nicht weniger als 210 eigene Beobachtungen verfügt! Zwar haben hier die thera¬
peutischen Erfolge mit der Erweiterung des diagnostischen Könnens nicht Schritt
zu halten vermocht; immerhin ist schon insofern ein Erfolg zu verzeichnen, als
die Chirurgie jetzt auch die hintere Schädelgrube und das Kleinhirn sich zu¬
gänglich zu machen gelernt hat, während bislang fast ausschließlich nur die
Tumoren der Konvexität für operabel galten. WaH die therapeutischen Erfolge
anlangt, so kommen auch jetzt noch 53 °/ 0 der Hirntumorfälle mit sicherer
Lokaldiagnose für eine chirurgische Behandlung nicht in Betracht, weil sie ope¬
rativ nicht zu erreichen sind. Da nun von allen Hirngeschwülsten nur etwa
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75% im günstigsten Falle eine exakte Lokaldiagnose gestatten, so bleiben von
100 Tumoren im Ganzen nur etwa 35 übrig, bei welchen eine sichere Allgemein*
und Lokaldiagnose möglich ist und nach letzterer der Tumor an chirurgisch an*
greifbarer Stelle sitzt. Zieht man dann noch alle Fälle von operativen Mißerfolgen
ah, so stellt sich der Prozentsatz der Geheilten oder wesentlich Gebesserten immer
noch nicht höher als auf 3 bis 4°/ 0 .
In erfreulichem Gegensätze hierzu stehen die allgemein bekannten, glänzenden
operativen Erfolge der modernen Chirurgie der Rückenmarkstumoren, welche
im Gegensätze zu den Hirntumoren mit den gewaltigen diagnostischen Fortschritten
Hand in Hand gegangen sind.
Das Studium des Buches zeigt, wie Verf. eifrig bemüht war, allen diesen
Fortschritten in der Neuauflage Rechnung zu tragen. Insbesondere gilt dies auch
von dem Kapitel der peripheren Nervengeschwülste.
Dementsprechend ist auch der Umfang des Buches erheblich angewachsen
und die Zahl der Abbildungen fast auf das Doppelte gestiegen.
Unverändert geblieben ist nur der streng wissenschaftliche Geist, welcher die
ganze Arbeit durchweht. Und das ist gut so!
3) Leitfäden der ärztlichen Untersuchung mittels der Inspektion, Palpation,
der Schall* und Tastperkussion, sowie der Auskultation, von Wilhelm
Ebstein. (Stuttgart 1907, F. Enke. 323 S.) Ref.: Kurt Mendel.
Dieses neue Werk des bekannten Verf.’s stellt zwar in der Hauptsache ein
Geschenk an den inneren Mediziner dar, doch auch der Neurologe findet ihn
Interessierendes in demselben. Insbesondere sei auf das Kapitel der Inspektion
und Palpation des Gesichtes und Kopfes hingewiesen, sowie auf dasjenige über
die Auskultation des Schädels und der Wirbelsäule. Bei der Auskultation der
letzteren findet man — wie Verf. ausführt — an Stellen, an denen die Unter¬
suchung mittels der Inspektion und Palpation völlig versagte, nicht selten ein
deutliches Knirschen und Krachen, besonders an der Grenze zwischen Kreuzbein
und Lendenwirbelsäule, doch auch an anderen Stellen, und zwar während die
Patienten die verschiedensten Bewegungen ausführen. Es bedarf deshalb zur
Auskultation eines flexiblen Stethoskops. Bei der Röntgen-Untersuchung wurden
an den betreffenden Stellen kleine Auflagerungen an den Gelonkgrenzen und
Arthritis deformans an den Wirbelgelenken konstatiert. Besonders wichtig ist
diese Auskultation auch bei Traumatikern; solche, die lange als Simulanten ge¬
golten hatten, kamen so zu ihrem Recht. Eis konnte z. B. beim abwechselnden
Heben des betreffenden Beines bei Frakturen des Os sacrum in der Nähe der
Symphysis sacro-iliaca Krepitieren gehört werden. Zuweilen ergibt bei Genick¬
schmerzen, die für rein nervös gehalten wurden, die Auskultation materielle Ver*.
Änderungen an den Knochen als die Ursache der geklagten Beschwerden.
IV. Aus den Gesellschaften.
XIII. Versammlung mitteldeutscher Psyohiater und Neurologen
in Leipzig am 26. und 27. Oktober 1907.
Referent: H. Haenel (Dresden).
Der erste Einführende, Herr Flechsig, eröffnet die Versammlung und ge¬
denkt der im Laufe des Jahres verstorbenen Mitglieder, unter denen er die Namen
Möbius und Hitzig besonders hervorhebt Die Versammlung ehrt ihr Andenken
durch Erheben von den Plätzen. Zum Vorsitzenden der ersten Sitzung wird
Herr Sommer (Gießen), der zweiten Herr Weber (Sonnenstein) gewählt
Vorträge. 1. Herr Flechsig (Leipzig): Über die Hörsphire des
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znensohllohen Gehirns (mit Demonstration). (Erscheint als Originalmitteilong
in diesem Centralblatt.)
Diskussion: Herr Rothmann weist auf Tieruntersuchungen hin, die Munk
und er selbst im Schläfengebiete angestellt haben. Ersterer hatte das Hörfeld
ursprünglich viel größer gefunden, nachträglich eingeschränkt. R. fand mit Hilfe
genauerer, auf TondresBur beruhender Prüfungen an Hunden, daß ein voller Aus¬
fall des Gehörs erst eintritt, wenn der ganze Schläfenlappen und noch angrenzende
Gebiete zerstört sind. Selbst kleinste übriggebliebene Rindenreste ermöglichen
die Restitution des Gehörs.
Herr Flechsig: Tier- und Menschengehirne können nicht ohne weiteres
verglichen werden, beim Gorilla z. B. ist die vordere Querwindung viel größer
als beim Menschen.
Herr Haenel: Es ist ein methodologischer Unterschied, oh man die ursprüng¬
lich funktionierenden Sinnesfelder sucht oder die Grenzen derer bestimmt, die
vikariierend für jene eintreten können. Daraus mag sich der Widerspruch
zwischen Flechsigs und Rothmanns Hörsphäre erklären.
Herr Döllken: Auch in der Hörfähigkeit sind die Unterschiede zwischen
Tieren und Menschen so erhebliche, daß die Verhältnisse des einen nicht ohne
weiteres auf die anderen übertragen werden können. Die meisten Versuchstiere
haben ein schärferes Gehör als der Mensch.
Herr v. Nie sei: Die Erfahrungen am Menschen haben gezeigt, daß die nach
doppelseitiger Schläfenlappenzerstöruug entstandenen Gehörstörungen sich nicht
wieder herstellen, im Gegensatz zum Hund.
Herr Rothmann widerspricht diesem: Doppelseitig operierte Tiere werden
nnd bleiben taub, wenn die Rinde im genannten Umfang wirklich völlig zer¬
stört war.
Herr Flechsig hält selbst die vervollkommnete Hörprüfung der Tiere noch
für ein sehr unsicheres Verfahren. Er weist auch darauf hin, daß eine Unter¬
suchung der Funktionen des N. vestibularis kaum ausführbar ist.
2. Herr Anton (Halle): Über geistigen Infantilismus. (Erscheint als
Originalmitteilung in diesem Centralblatt.)
3. Herr Held (Leipzig): Über Zusammenhang und Entwicklung der
Ganglienzellen mit Demonstrationen über den Bau der Neuroglia. Die
Ausführungen des Vortr. richten sich gegen die Neuronenlehre. Er unterscheidet
bei den Resultaten der Golgi-Imprägnation drei Stadien: 1. bei unvollständiger
Imprägnation erscheinen die Zellfortsätze frei verästelt. 2. in weiteren Stadien
erscheinen die Nervenfasern mit den Ganglienzellen durch „EndfÜßchen (< ver¬
bunden, 3. bei sekundären Osmiumfärbungen sind diese Endfüßchen scharf vom
Protoplasma der Ganglienzelle abgesetzt, 4. hei Protoplasmafärbung zeigt sich
das Nervenendfüßchen granuliert durch Neurosomen, die in die Substanz der
Zelle übergehen. Es besteht also statt des nach 3. scheinenden Kontaktes eine
Kontinuität Die einzelnen Endfüße sind auf der Oberfläche der Ganglienzelle
ihrerseits durch Netzwerk untereinander verbunden: pericelluläres Nervennetz.
Bei Fibrillenfärbung sieht man, daß auch die Fibrillen des Nervenendfußes sich
mit denen der Ganglienzelle mischen und verbinden. Gegenüber Apäthy und
Bethe stimmt Vortr. im Prinzip mit der Hisschen Neuroblastenlehre überein.
Die Neuroblasten sind die Bildungszellen der Neurofibrillen. Entgegen HiB hat
er dagegen nie ein Freiwachsen der embryonalen Nervenfaser gesehen, diese
wächst stets in den Interzellularbrücken der embryonalen Bindegewebszellen, die
später zu Gliazellen der weißen Substanz werden. Schon in sehr frühen Stadien
hat er zwischen den einzelnen Neuroblasten durch Fibrillen hergestellte Ver¬
bindungen festgestellt, die auch später nicht wieder aufgegehen werden, woraus
folgt, daß die Ganglienzelle keine genetische Einheit ist. Das spätere Fibrillen*
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bild ist nicht mononeuroblastisch, Bondern polyneuroblastisch zusammengesetzt:
jede Nervenfaser empfangt Wurzeln aus mehreren Neuroblasten. Weiter wendet
sich Vortr. gegen die Zellkettentheorie. Die Schwannschen Zellen bilden sich
aus Zellen, die aus dem Medullarrohr entlang den in den Zellbrücken liegenden
Fibrillenbündeln sich vorschieben und letztere sekundär umscheiden: sie sind aus-
gewanderte Gliazellen, und, wie diese, für die Ernährung der Fibrillen von großer
Wichtigkeit, nicht nur einfache Stützsubstanz. Die retrograde Veränderung der
Ganglienzelle nach peripherer Nervendurchschneidung beweist das Abhängigkeits¬
verhältnis beider. Die exzentrische Stellung des Zellkernes hierbei erinnert an
das embryonale Bild. Die Schwannschen Zellen haben also die Nervenfaser nicht
gebildet; es wohnt ihnen aber bis zu einem gewissen Alter eine Regenerations¬
kraft für diese inne. Die Versuche Bethes über autogene Regenerationen lassen
sich vielleicht durch im peripheren Stumpf versprengte Ganglienzellen erklären,
die man dort hat finden können.
4. Herr Müller (Breslau): Über akute Paraplegien nach Tollwut-
Bohutzimpfung. Vortr. hatte in der Strümpei Ischen Klinik Gelegenheit, einen
jener extrem seltenen und in der deutschen Literatur bisher überhaupt noch nicht
verzeichneten Fälle zu beobachten, in denen anscheinend im Anschluß an die
Wutschutzimpfung eine äußerst schwere, aber dennoch merkwürdig gutartige Form
spinaler Querschnittslähmung sich entwickelt. Eis handelt sich um einen 36 Jahre
alten KreiBtierarzt, der sich bei der Sektion eines lyssaverendeten Hundes eine
Schnittwunde am linken Zeigefinger zuzog; daraufhin ließ sich der Kranke in
der zweiten deutschen Wutschutzstation Breslau impfen. Nach etwa 15 Tagen
und ebensoviel Injektionen in die Unterbauchgegend entwickelte Bich nach
kurzen, als „Influenza“ gedeuteten Vorläufererscheinungen binnen zwei Tagen
das typische Bild einer spinalen Querschnittslähmung schwersten Grades mit
völliger Urin- und Stuhlverhaltung, mit segmentär begrenztem Empfindungs¬
ausfall für alle Qualitäten der Oberflächen- und Tiefenempfindungen bis etwa zur
Höhe der Brustwarzen, mit völliger Aufhebung jeder auch nur angedeuteten will¬
kürlichen Bewegung in der gesamten Hüft- und Beinmuskulatur, sowie in einzelnen
Muskeln des Rumpfes. Dazu traten eine Lähmung des Rectus superior links und
des Nervus facialis rechts. Nach relativ kurzer Zeit begann trotz eitriger Cystitis
und Pyelonephritis zuerst eine langsame, dann eine immer raschere Rückbildung.
Es verschwanden diejenigen Symptome zuerst, die zuletzt gekommen waren. Nach
etwa drei Monaten verließ der Kranke fast geheilt die Klinik. Der eigenartige
Krankheilsverlauf, vor allem aber die merkwürdig günstige Prognose schließen
hier eine echte Lyssa aus; die Lyssa humana ist ja die prognostisch ungünstigste
Erkrankung des Nervensystems. Wahrscheinlich handelt es sich um eine sym-
ptomatologische äußerst sohwere, aber pathologisch-anatomisch dennoch gutartige
Form der Myelitis im Gefolge der Wutschutzimpfung. Remlinger hat aus der
Weltliteratur nicht weniger als 40 ähnliche Fälle gesammelt, die bald als akute
spinale Querschnittslähmung, als akute Bulbärparalyse, Landrysche Paralyse u. dgl.
gedeutet wurden. Trotz vieler symptomatologischer Unterschiede haben alle diese
Fälle etwas Gemeinsames, das sie von der echten Lyssa trennt; dies ist die auf¬
fallend günstige Prognose: von den 40 Patienten Remlingers starben nur zwei.
Die Frage, wodurch die Schutzimpfung bei einem vielleicht durch andere Ursachen
disponierten Menschen geschadet hat, ist schwer zu beantworten. In dem Falle
des Vortr. liegt die Möglichkeit nahe, daß hier ohne eigentliche Straßenvirus¬
infektion eine abgeschwächte, paralytische Wut durch die Wutschutzimpfung
selbst, also eine „abgeschwächte Kaninchenlyssa“ beim Menschen vorlag. Diese
Annahme wird eingehend begründet. Der Nachweis solcher Fälle von Impf¬
schädigungen verpflichtet uns, durch fortschreitende Verbesserung der Methodik
derartige höchst unangenehme Zwischenfälle möglichst zu vermeiden. Solche Fälle
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sind allerdings große Raritäten. Die 40 Fälle Remlingers verteilen sich auf
über 100000 Behandelte. Bei den unbestreitbaren Vorteilen der Wutschutz*
impfung sind vir deshalb gezwungen, deren Vorzüge gegen die Nachteile richtig
abzuwägen und an dieser Form der prophylaktischen Behandlung zunächst noch
festzuhalten. Autoreferat.
5. Herr H. Haenel (Dresden): Eise typische Form der ataktischen
Gehstörung. Die grundlegende Bewegung bei jedem Schritte besteht in der
Verlegung des Körperschwerpunktes von zwei Beinen auf eins. Diese Bewegung
muß durch Kontraktion von Muskeln ausgeführt werden, die ihr Punctum fixum
weiter nach außen von der Mittellinie haben als ihr Punctum mobile. Die Über*
legung ergibt, daß das Gelenk, um das diese Seitwärtslegung ausgeführt wird,
dos Fußgelenk ist, die wirkende Muskelgruppe die Peronei. Diese wirken hierbei,
unter Vertauschung ihrer AnBatzstellen, nicht als Heber des Fußrandes, sondern
als Senker des äußeren Randes des Unterschenkels, eine Bewegung, die sich auf
Oberschenkel und Becken überträgt. Eine Koordinationsstörung in den Peronei,
wie sie bei TabeB nicht selten ist, wird sich also nicht nur am Schwungbein,
sondern auch am Standbein beim Lösen der genannten Aufgabe bemerkbar machen.
Eine weitere Störung hat ihren Sitz in den kurzen Muskeln zwischen Oberschenkel,
speziell Trochanter major und Becken: den Abduktoren, den Adduktoren und den
Rotatoren. Eine Funktionsprüfung dieser Muskeln ergibt oft schon in Verhältnis*
mäßig frühen Stadien beim Tabiker Störungen. Am besten wird diese Prüfung
in Seitenlage ausgeführt: Abspreizung des Beines, Abheben des Knies bei ge*
beugten Beinen und aufeinanderruhenden Fersen u. a. Auch die Hypotonie der
kurzen Hüftmuskeln ist hierbei oft deutlioh festzustellen. Beim stehenden Kranken
mit der letzteren Störung wird die Aufgabe, auf einem Bein zu stehen, in
typischer Weise fehlerhaft gelöst. Statt der notwendigen Senkung der dem Stand¬
bein entsprechenden Beckenhälfte senkt sich die entgegengesetzte, das Schwungbein
wird verlängert statt verkürzt, der Kranke ist genötigt, durch Beugung in Knie
und Hüfte das Bein vom Boden zu entfernen. Ein langsames Heben und Nieder*
setzen des Beines ist durch dieses Umkippen des Beckens fast ausgeschlossen.
Beim Schritt sucht der Eiranke deshalb möglichst rasch aus der einfachen Unter¬
stützung des Schwerpunktes wieder zu der doppelten zu gelangen und läßt das
gebeugt ankommende Schwungbein durch brüske Streckung zum Standbein werden.
Bei der Nachbewegung des nachfolgenden Schwungbeins tritt das Umkippen des
Beckens in derselben Weise wieder störend auf. Der Seitwärtsgang ist hierbei
noch mehr gehindert wie das Vorwärtsschreiten, weil dabei die Abduktoren am
Schwungbein als solche, am Standbein aber gleichzeitig als Beokensenker zu
funktionieren haben, eine Doppelinnervation, die dem Tabiker stets besonders
schwer fallt. Der Gang entspricht unter diesen Verhältnissen dem bei einer
Lähmung oder Schwäche des M. glutaeus medius und kann deshalb als typisch
bezeichnet werden. Vortr. schließt einige therapeutische Bemerkungen an, die
sich auf die Auswahl speziell für diese Störung geeigneter Übungen beziehen.
Besonders günstig wirkt hier eine Übung auf balanzierendem Sattel, auf dem der
Kranke mit frei herabhängenden Beinen sitzt und die Aufgabe hat, die seitlichen
Schwankungen des Sattels und Körpers auszugleichen.
6. Herr Meitzer (Chemnitz): Zur Pathogenese der Opticusatrophie und
des sogenannten Turmsoh&dela. (Erscheint ab Originalmitteilung in diesem
Centralblatte.)
7. Herr Hoehl (Chemnitz): Demonstration von Röntgenogrammen. Vortr.
hat einen großen Teil der von Meitzer untersuchten Fälle von Turmschädel
röntgenographisch aufgenommen ln den Bildern fallen ab * charakteristisch vor
allem die starken Impressiones digitatae der Schädelkonvexität auf, für die an der
Schädeloberfläche keine Anhaltspunkte zu finden waren. Die Orbitae sind meistens
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abgeflacht, der Vertikaldurchmesser länger als der Horizontaldurchmesser (Hypsi-
conchie), an der Basis 'fallt das steile Aufsteigen des Planum sphenoidsde auf,
das in starkem Winkel gegen das Planum ethmoidale anstößt. Heist ist die
Sella turcica der Orbita sehr genähert, die hintere Schädelhälfte dadurch größer
als die vordere, der ganze Vorderschädel verkürzt. Die Schädelbasis im ganzen
erscheint nach unten durchgehogen, die Sella turcica oft vertieft. Je nach der
Dichtung, in der der erhöhte Innendruck wirksam gewesen ist, sind diese Ver¬
hältnisse mehr oder weniger modifiziert.
Diskussion: Herr Näcke wünscht eine Definition des Turmschädels, die
allerdings ihre Schwierigkeiten habe. Ätiologisch sei für die Erblindung die
Verengerung des foramen opticum nicht genügend hervorgehoben worden, ebenso
der Einfluß der Zangengeburt. Bei Geisteskranken ist der Tnrmschädel sehr
selten: N. kann bestätigen, daß die Intelligenz bei Turmschädel meistens nicht
gelitten hat.
Herr Haenel fragt, oh die Abflachung der Orbitae nur nach dem Böntgen-
hilde festgestellt worden ist. Die verschiedenen Projektionsrichtungen könnten
hierbei zu Irrtümern Anlaß gehen.
Herr Meitzer: Der Ausdruck Turmschädel würde besser durch HochBchädel
ersetzt. Eine Verengerung des foramen opticum ist jedenfalls sehr selten, nur
in drei Fällen der Literatur erwähnt.
Herr Hoehl verneint die Frage des Hrn. Haenel; die starken Impressiones
digitatae sind bisher Unika.
8. Herr Kauffmann (Halle): Über Angstpsychose und Diabetes, an
der Hand eines geheilten Falles. Ein fiOjähriger Landwirt erkrankte im
Frühjahr 1906 an Diabetes; seit Sommer 1906 war er deshalb in ärztlicher Be¬
handlung, hielt aber keine Diät. Ein Bruder desselben ist an Diabetes gestorben.
Ende Sommer 1906 traten schwere Angstvorstellungen mit großer Unruhe auf.
Er werde unheilbar krank, er werde anfangen zu toben, machte sich Sorgen, daß
keine Kammer vorhanden sei, wo er eingesperrt werden könnte, wenn er zu toben
anfange. Lief in großer AngBt planlos umher. Wurde im September in die
Klinik eingeliefert. 12 °/ 0 Zucker im Urin. Klinisch: typisches Bild einer Angst¬
psychose. Die Frau sei tot, das Vieh sei kaput, das Geld sei verloren, heftige
Unruhe, pruriginöse Ekzeme, Selbstmordgedanken. Bei teilweiser Zuckerdiät
Besserung des Diabetes und der Angst. Bei Vermehrung der Zuckerausscheidung
infolge Diätfehler wieder Verschlechterung der Stimmung. Der Kranke wurde
vom 13. Dezember an in den Stoffwechsel genommen. Um eine event Acidoais
zu vermeiden, wurde allmählich mit den Kohlenhydraten heruntergegangeD. Er
erhielt die erste Woohe 200 Kohlenhydrate, die nächste 100, dann eine Woche 50,
und darauf 9 Tage keine Kohlenhydrate. In der ersten Woche war die Stimmung
noch sehr ängstlich, intensive Selbstmordgedanken. Traubenzucker wurde täglich
durchschnittlich 240 g ausgeschieden. In der zweiten Woche wurden durch¬
schnittlich 120 g Zucker ausgeschieden. Die Stimmung war andauernd ängstlich.
In der dritten Woche wurden durchschnittlich 80 g Zucker ausgeschieden. Es
trat eine rasche, auffallende Besserung auf, besonders vom zweiten Tage der ver¬
minderten Kohlenhydratzufuhr an. Die Stimmung war indessen noch wechselnd.
In der vierten Periode traten durchschnittlich 20 g Zucker im Urin auf. Klinisch
war Wohlbefinden, immer mehr subjektives Kraftgefühl und Krankheitseinsicht zu
konstatieren. Am letzten Tage war die Zuckeraussoheidung, die an dem Tage
vor dem Versuch 302 g betragen hatte, auf 7 g gesunken. Überraschend war die
psychische Veränderung nach der Zufuhr von nur 50 Kohlenhydraten und die
Heilung der Psychose nach Eingabe einer kohlenhydratfreien Kost. Eis besteht
kein Zweifel, daß die Beseitigung der nutzlosen Kohlenhydrate aus der Nahrung
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zugleich die Elimioation von körperfremden Stoffen bedeutete, die anscheinend
eine schwere toxische Wirkung auf das Gehirn ausäbten. Der Traubenzucker
kann, in großen Mengen gegeben, tödlioh wirken. Bei Kaninchen hat man nach
großen Dosen Exitus beobachtet. Es ist wohl möglich, daß die dauernde Über¬
ladung des Blutes mit Traubenzucker für das Gehirn äußerst nachteilig war.
Acetonkörper waren nur in minimalen Mengen vorhanden, ebenso Acetessigsäure.
Die Elisenchloridreaktion war negativ, Oxybuttersäure war nicht nachzuweisen.
Der respiratorische Quotient in nfichternem Zustande war normal. Der Patient
wurde am 12. Januar 1907 als geheilt aus der Klinik entlassen. Am 8. Februar
stellte er sich wieder in der Klinik vor. Der Zuckergehalt des Urins war wieder
auf 3 °/ 0 gestiegen, da er nicht streng diät gelebt hatte. Es bestanden Kopf¬
schmerzen und Druck im Hinterkopf. Infolge ganz strenger Diät war Mitte März
der Zuckergehalt des Urins auf 0,2 °/ 0 gesunken, zugleich war eine ausgezeichnete
Stimmung vorhanden. Der Mann arbeitete wieder wie früher. Im Juli d. J.
betrug der Zuckergehalt 0,8 °/ 0 . Der Kranke ist jetzt gesund und arbeitsfähig
geblieben. Die Fettverdauung war eine gute. Ob es sich um einen Pankreas¬
oder neuro>hepatogenen Diabetes gehandelt hat, ist für die Beurteilung des Falles
gleichgültig. Eis hat sich um ein krankes Gehirn gehandelt, das durch die Mit¬
ursache des Diabetes funktionsunfähig wurde. Ängstliche Zustände sind eine bekannte
Erscheinung beim Diabetes, ja, es erzeugt Angst und psychische Erregung eine
Verschlimmerung desselben. Mein Fall beweist mit der Schärfe eines Experimentes,
daß der Diabetes die Angst verursacht hat. Wie Stoffwechselstörungen auf das
Gehirn wirken, welche anatomischen Veränderungen sie dort hervorbringen, ist
zurzeit noch unbekannt. Liegen aber Störungen des Stoffwechsels bei einer
Psychose vor, bo können sie nur als Mitursache derselben gelten. Wiederholt be¬
obachtete schwere Oxydationsstörungen vor dem epileptischen Anfall, die Oxydations¬
störungen der Hebephrenen, die vor allen Dingen sich in der zeitweisen N-Retention
äußern, die toxische Wirkung von hohen Eiweißgaben bei manchen Paralytikern
— man kann experimentell hohes aseptisches Fieber mit Erregungszuständen und
einen N-Gehalt des Blutes bis zu 4,2 °/ 0 erzeugen — sind zur Erklärung mancher
psychischen Wirkungen heranzuziehen, nur mit dem Vorbehalt, daß eine bestimmte
anatomische Veränderung des Gehirns vorliegt, daß diese aber, wenn man das
Organ vor Schädlichkeiten bewahrt, nicht zu Funktionsstörungen desselben zu
führen braucht. Diabetes wird häufig im Verlauf einer Psychose, besonders der
progressiven Paralyse, beobachtet, sehr oft einhergehend mit schweren Angst-
zuständen. In einzelnen solcher Fälle wurde durch Kohlehydratentziehung eine
rasche Besserung der psychischen Erscheinungen erzielt Nahrungsschlacken, wie
angreifbarer Traubenzucker, Abbauprodukte des intermediären Stoffwechsels, wie
Aminosäuren und organische Säuren, selbst Eiweiß, das retiniert und nicht an¬
gebaut wird, können auf das äußerst labile Gehirn der Geisteskranken toxisch
wirken. Versuche z. B. mit Darreichung von schwer verbrennlichen Salzen haben
besonders bei Epileptikern und Hebephrenen schwere Oxydationsstörungen kennen
gelehrt, die durch exakte Respirationsversnche bestätigt wurden. Wir stehen bei
der Beurteilung der interessanten Stoffwechselstörungen von Geisteskranken noch
vor manchen Rätseln, die von der Pathologie anderer abweichen, deren exakte
Lösung indes die bis jetzt so wenig erfreuliche Therapie der Psychosen in manoher
Beziehung fördern kann. Autoreferat.
9. Herr Gregor (Leipzig): Über die Diagnose psyohisoher Prozesse im
Stupor. Eine 25jährige Gummiarbeiterin war kurz vor der Aufnahme mit Selbst¬
vorwürfen, Depressionen und Krämpfen erkrankt. Bei der Aufnahme war sie
stnporös, zeigte MutaziBmus und Katalepsie. Der Stupor vertiefte sich in der
Folge weiter, die Patientin wurde völlig reaktionslos, alle aktiven Bewegungen
hörten auf, sie verunreinigte sich. Der Versuch, Puls, Atmung und Atemvolumen
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auf ihre reflektorischen, durch Beize verursachten Veränderungen zu studieren,
lieferte keine verwertbaren Ergebnisse. Vortr. fragte sich deshalb, ob nicht will'
kiirliche Veränderungen der Atmung bei Reizen festzustellen seien, die unabhängig
von den Reflexen auftreten. Mit dem Marey sehen Pneumographen nahm er
Atmungskurven auf und konnte an denselben feststellen, daß sie durch Zuruf
von Worten, durch mit Suggestion betonte Geruchseinwirkungen, Drohungen usw.
beeinflußbar waren, vorübergehende willkürliche Beschleunigung, Verlangsamung,
Vertiefung und Abflachung zeigten. Er demonstriert die betreffenden Kurven. Als
nach zweimonatlicher Dauer sich der Stupor allmählich löste, konnte die Patientin,
die volle Erinnerung an diese Zeit hatte, bestätigen, daß, wie es die Atnrungs-
kurven bewiesen hatten, die äußere Reaktionslässigkeit nioht gleichbedeutend war
mit einer Nichtauffassung der Reize.
Diskussion: Herr Sommer empfiehlt gleichzeitige Schreibung der kostalen
und abdominalen Atmungskurve. Beide ergeben oft interessante Verschiedenheiten,
die ebenfalls auf psychische Prozesse Rückschlüsse erlauben.
10. Herr Wanke (Friedrichroda): Die Heilung der Neurasthenie, ein
ärztlioh - pädagogisches Problem. Die Charakteristik, die man früher auf
die Erscheinung der Neurasthenie anzuwenden pflegte, indem man Bie als reiz¬
bare Schwäche bezeichnete, trifft für den modernen Neurastheniker nicht mehr
zu. Hier handelt es sich in der Regel vorwiegend um ein krankhaft ver¬
ändertes Affektleben infolge der Steigerung der Einflüsse moderner Über¬
kultur. Statt der auf Schwäche deutenden Symptome sind die abstoßenden,
krittelichen Züge in den Vordergrund getreten. Die Kranken sind zänkisch und
launenhaft, rücksichtslos, reizbar und despotisch geworden. Dadurch sind die un¬
günstigen Einwirkungen auch auf ihre Umgebung in verstärktem Maße zum Vor¬
schein gekommen, die Gefahr, daß diese von dem neurasthenischen Verhalten an-
gesteokt werden, ist gewachsen. Manchmal kann man sogar an Paranoia erinnernde
Eigenbeziehungen bei den Patienten finden. Unter diesen Umständen sind die
bisher üblichen physikalisch - diätetischen Einwirkungen in der Therapie neben¬
sächlich geworden, das SanatoriumBohema hat an Wirksamkeit eingebüßt. Will
man Erfolge heute erzielen, so ist es nötig, an die tätige Mitwirkung des Neur¬
asthenikers zu appellieren. Der Arzt muß in erster Linie erzieherisch einwirken.
Er muß der Vertraute des Patienten werden und dieser Einfluß muß oft über
Jahr und Tag fortgesetzt werden. Dem Hausarzte fallen nun von neuem die
dankbarsten Aufgaben zu. Das Ziel muß sein eine Wiedererziehung zur Geduld,
Ausdauer, Willensstärke, Gewissenhaftigkeit, Regelmäßigkeit in den Tagesgewohn¬
heiten, Pflichterfüllung, Rücksicht, Anerkennung und Dankbarkeit, Selbstlosigkeit.
Alles dieses fällt, wie ersiohtlich, mehr in das pädagogische als in das rein ärzt¬
liche Gebiet.
11. Herr Dehio (Dösen): Weitere Erfahrungen über Dauerbäder. In
der Dösener Anstalt haben sich die Prinzipien, die Vortr. auf der Versammlnng
von 1904 vorgetragen hat, bewährt und sind weiter ausgebaut worden. Die
Dauerbäder sind zwar nicht die einzige, aber doch eine der wichtigsten Methoden
zur Behandlung unruhiger Geisteskranker. Seit Oktober 1902 sind in Dösen
überhaupt keine Kranken mehr isoliert worden. Die früheren Isolierzellen sind
zu Separaträumen eingerichtet worden, die jetzt gern als Auszeichnung für be¬
sonders gutes Verhalten gewährt werden. Seit 2 Jahren ist die Bäderbehandlung
mit der Freiluftbehandlung kombiniert worden: In einer Abteilung des Gartens
sind aus Stampfbeton mehrere Wannen aufgestellt worden, in denen, sobald es
die Witterung einigermaßen erlaubte, vom Juni bis weit in den Herbst Dauer¬
bäder im Freien verabreicht wurden. Die Wannen haben Anschluß an die Kana¬
lisation, gegen die zu starke Sonnenwirkung hat sich die Anbringung eines
Sonnensegels Uber den Wannen als nötig erwiesen. Die Freiluftbehaudlung der
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bettlägerigen, aber nicht badebedörftigen Kranken ist damit vereinigt worden: zu
beiden Seiten des Gartens sind offene Liegehallen eingerichtet worden, so daß
jetzt an Sommertagen seit 2 Jahren grundsätzlich kein unruhiger Kranker mehr
im Hause gehalten wird. Alle sind von früh bis abends im Freien. Den Anstoß
zu der Einrichtung gaben die Nachteile, die sich bei der Verabreichung der
Dauerbäder im Zimmer zur Sommerszeit zeigten: die hohe Temperatur im Bade*
raum steigerte oft die Erregung der Kranken, eine Lüftung war der Gefahr des
Zuges und der Erkältung wegen nur unvollständig möglich, deshalb lag es nahe,
das ganze Bad hinauszuverlegen. Von den Kranken wurde die Veränderung sehr
angenehm empfunden. Vor allem fiel auch eine außerordentliche Steigerung des
Appetites auf. Die gefürchtete Störung der Unruhigen untereinander stellte sich
als geringer heraus, als wie man erwartet hatte: die Kranken beachteten sich
gegenseitig weniger als im geschlossenen Baume, bliehen leichter in der Wanne.
Erkältungen kamen die ganze Zeit so gut wie niemals vor. Der Vorteil für alle
Beteiligten, nicht zum mindesten auch für das Wartepersonal, war in die Augen
springend. — Vortr. führt die gesamte Einrichtung in einer Anzahl Photo*
graphien vor.
12. Herr Degenkolb (Roda): Zwei Fälle von Kombination verschiedener
Seelenstörungen mit Hysterie. Vortr. beriohtet kurz über zwei Fälle, die in
die Krankheitsgruppe der Hysterie einzureihen sind. Das Eigentümliche des über
viele Jahre sich erstreckenden Verlaufes war, daß sie in regelmäßigem Wechsel
zwischen manischem und depressivem Zustandsbilde und freien Intervallen das Bild
einer zirkulären Psychose nachahmten, so daß die Differentialdiagnose lange Zeit
Schwierigkeiten bereitete. (Ausführlichere Veröffentlichung a. a. 0.)
13. Herr Sommer (Gießen): Zur Genealogie Goethes. Die Lehre vom
Genie stand bis vor kurzem noch unter der Herrschaft der Anschauung, daß es
sich dabei um eine explosionsartige Erscheinung, ein unvermitteltes Auftreten
unerklärlicher Geisteseigenschaften bei einem Individuum handele. Jetzt ist man
auf Grund einer genetischen Psychopathologie dem Problem des Genies näher
gekommen. Zu seiner Lösung bedarf es genauerer Studien der Anlage, bedarf
es der Familienforschung, auch die Methoden der Kriminalpsychologie können
unter Umständen Anwendung finden. Bei der Familienforschung sind bisher die
weiblichen Glieder oft zu wenig berücksichtigt worden. Als Beispiel wählt Vortr.
die Genealogie Goethes. Äußerlich und psychisch ist Goethe Beiner Mutter im
Grunde wenig ähnlich gewesen, dagegen fällt bei genauerem Zusehen eine große
Ähnlichkeit mit seiner Großmutter Textor auf. Familienbilder zeigen dies be¬
züglich der Gesichtszüge deutlich, wahrscheinlich sind aber auch die spezifischen
psychologischen Züge Goethes, speziell „der Hang zum Fabulieren“, von dieser
Großmutter her bestimmt. Frau Textor war eine geborene Lindheimer, über die
wir von Senckenberg eine, allerdings unzutreffende, d. h. zu ungünstig ausgefallene
Schilderung besitzen. Gehen wir weiter zurück, bo sehen wir in dem Vater Lind¬
heimer allerhand Züge, die auf den Urenkel Hinweisen. Vortr. hat in den Wetz-
larer Archiven u. a. eine von diesem Lindheimer verfaßte Schilderung der
Belagerung WetzlarB durch die ReichBtruppen gefunden, die sich durch eine
außerordentliche Deutlichkeit der optischen Vorstellungen, eine Neigung zur Kon¬
fabulation, eine ersichtliche Freude am Grotesken und Komischen, und nicht zu¬
letzt auch durch einen für jene Zeit sehr merkwürdigen Stil, der dem Goetheschen
auffallend ähnlich ist, auszeichnet. Man erkennt also, daß Goethe durch Ver¬
mittlung der in diesen Zügen übersprungenen Mutter von der Familie Lindheimer
aus Wetzlar allerhand Eigenschaften geerbt hat, die in der Linie seiner väter¬
lichen Vorfahren unauffindbar sind. Seine Eigenart wird erklärlich, wenn man
sie nicht bloß von den seinen Namen tragenden Vorfahren herleitet, sondern ihn
als ein Produkt der Synthese aus verschiedenen Familien erkennt.
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14. Herr Döllken (Leipzig): Über Halluzinationen und Gedankenlaat-
werden. Untersucht sind 11 Fälle einer Halluzinose, die nicht Geisteskrankheit
ist. Die Halluzinationen wurden stets korrigiert. Es gibt keine einheitliche
Formel für den Mechanismus der Halluzinationen. Fast immer ist der ganze
sensible oder motorische Teil des Leitungsbogens beteiligt oder beide Teile gleich¬
zeitig. Ein assoziatives Übergreifen auf eine andere Sinnesleitung ist in dem
einen Fall nur nach einer Richtung möglich, im andern herüber und hinüber,
obwohl jedesmal beide Leitungen erkrankt sind. Die Aktivierung der Bahnen
und Zentren erfolgt von irgend einer primärerkrankten Stelle der Bahn ans und
kann peripher oder transkortikal gelegen sein. Durch länger dauernde elektrische
Reize lädt sich experimentell unter Umständen ein geringerer oder größerer Teil
des Leitungsbogens zur Beteiligung heranzieben. Lokalzeichen der Halluzinationen
sind abhängig von der Ursprungsstelle und der Art der Aktivierung. Die wich¬
tigsten Elementargefühle bei Trugwahrnehmungen sind das Fremdgefühl und das
Wirklichkeitsgefühl der einzelnen Wahrnehmung. Sie haben auf die Korrektur
einen sehr geringen Einfluß. Die Halluzination kann auf zentrifugalen Wegen
laufen, viel häufiger scheint sie eine retrograde Richtung zu nehmen.
XXXVIII. Versammlung der südweetdentsohen Irrenärzte in Heidelberg
am 2. und 3. November 1007.
Referent: Hugo Levi (Stuttgart).
Herr Nissl (Heidelberg) eröffnet als Geschäftsführer die Versammlung. Den
Vorsitz übernimmt auf seinen Vorschlag in der ersten Sitzung Herr Hoc he (Frei¬
burg), in der zweiten Sitzung Herr KreuBer (Winnenthal).
Zunächst erstattet Herr Wilmanns (Heidelberg) das Referat über Gefängnis-
psychosen. Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung entwickelt Vortr. an
der Hand des Materiales der Heidelberger Klinik seine Ansichten über die Frage,
aus denen wir folgendes hervorheben: senile, paralytische und andere
schwere organische Erkankungen sind im Gefängnisse selten und haben
ebenso wie die Alkoholpsychosen nichts Spezifisches. Selten ist auch das
manisch-depressive Irresein, wahrscheinlich deshalb, weil manisch-depressiv
Veranlagte selten gewohnheitsmäßig kriminell werden. Die größte Zahl dar
Kranken gehörte den juvenilen Verblödungsprozessen an. Vortr. teilt sie
in drei Gruppen: die Landstreicher, die in den meisten Fällen erst infolge der
Geistesstörung asozial geworden waren, die Gewohnheitsverbrecher, die fast
ausschließlich in früher Jugend geschwächt und erst nach vielen Jahren in den
Gefängnissen erkrankt waren, und endlich die Gelegenheitsverbrecher, die
im Anschluß an die erste Straftat in der Untersuchungs- oder Strafhaft von
Geisteskrankheit befallen wurden. Betrachtet man die Dementia praecox als eine
Autointoxikationspsychose, so erscheint es möglich, daß die Stoffwechselstörungeo
in der Strafhaft sie auszulösen vermögen. Die Äußerungen der Dementia praecox
werden besonders während der Entwicklung der Erkrankung im hohen Maße von
dem Milieu beeinflußt, und Bilder, die stark an den Querulantenwahnsinn er¬
innern, sind im Prodromalstadium der Krankheit nichts Seltenes. Den Begriff der
Epilepsie sucht Vortr. enger zu fassen, als es bisher von der Heidelberger Schule
geschah, und betont, daß die periodische endogene Verstimmung als pathognosti-
sches Symptom für die Epilepsie zu hoch eingeschätzt worden sei. Die im Ge¬
fängnis ausbrechenden Psychosen der genuinen Epilepsie unterscheiden sich nicht
wesentlich von denen der freilebenden Epileptiker, doch kommen gerade so wie
hysterische Anfälle auch hysterische Haftpsychosen bei genuinen Epileptikern vor.
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Diesen Psychosen stellt Vortr. die Psychosen auf dem Boden der Entartung
gegenüber. Unter Entartung versteht er die Summe der minderwertigen
Variationen des Menschen auf geistigem und körperlichem Gebiete, minder¬
wertig oft vom Standpunkte des Individuums selbst, dann im Hinblick auf
seine Descendenz. An Variationen sind die Entartungszustände, die Imbezillität,
die Hysterie, die Debilität usw. nioht scharf von der Norm, aber auch nicht
unter sich abzugrenzen. Die Psychosen auf dem Boden der Entartung sind
Reaktionen auf überstarke Reize oder Steigerungen der abnormen Veranlagung
unter ungünstigen Einflüssen. Eigentliche Krankheitsbilder, wie z. B. die Para¬
lyse, das Delirium tremens welche sind, lassen sich daher nicht aufstellen, wohl
aber charakteristische Krankheitstypen, die unter sich wieder durch zahlreiche
Übergänge verbunden sind. Vortr. teilt diese degenerativen Psychosen in akute
und chronische, erstere sind der Prototyp der Untersuchungshaft, letztere der der
langen Strafhaft, erstere im allgemeinen Reaktionen, letztere Steigerungen der
Entartung. Unter den akuten Haftpsychosen lassen sich verschiedene Typen
wohl unterscheiden, Bilder wie sie Reich, Ganser, Räcke, Rudin geschildert
haben und manche andere. Als Typen der chronischen Psychosen werden be¬
sonders paranoische Erkrankungen geschildert, die Vortr. aus der Wirkung des
Strafvollzugs auf den minderwertigen Gewohnheitsverbrecher psychologisch zu er¬
klären versucht. Die charakteristische Erkrankung der langen Strafhaft ist die
querulatorische Form. Vortr. bezeichnet diese Haftpsychosen als „langsam sich
entwickelnde, dauernde, unerschütterliche Wahnsysteme bei vollkommener Erhaltung
der Klarheit wie der Ordnung im Denken, Wollen und Handeln“ und stellt sie
der Paranoia Friedmanns und dem Querulantenwahnsinn Kraepelins gleich.
Nach Besprechung der Prognose und Differentialdiagnose der verschiedenen Psy¬
chosen vergleicht Vortr. die verschiedenen nach ihrer Herkunft geordneten Sträf¬
lingspsychosen unter sich und erläutert auf seine Weise das Verständnis für die
widersprechenden klinischen Anschauungen früherer Forscher über die besprochene
Frage. (Der Vortrag wird an anderer Stelle ausführlich veröffentlicht werden.)
Herr Hellpach (Karlsruhe): Das Unbewußte. Das Unbewußte steht im
Mittelpunkt der psychologischen Debatten; aber es wird meist in unklarer Be¬
deutung verwendet. Man kann heute acht Hauptbedeutungsgruppen unter¬
scheiden: 1. das Unerinnerte, 2. das Unbezweckte, 3. das Unbemerkte, 4. das
Mechanisierte, 5. das Reproduzible, 6. das Produktive, 7. das psychisch Reale,
8. das Absolute. Diese Bedeutungen, die kurz charakterisiert werden, umspannen
zum Teil (1 bis 3) Tatbestände, zum Teil (6 bis 8) Deutungen, zum Teil (4
und 5) Mischungen von beiden. Es wird vom Vortr. gefordert, das Wort „Un¬
bewußt“ nur als Deutungsbegriff zu gebrauchen; wer an kein Unbewußtes neben
Bewußtem und Physischem glaubt, soll das Wort nicht benutzen. Beide Parteien
sollen sich ferner besser als heute über die theoretischen Konsequenzen ihres
Standpunktes klar werden. Wer ein Unbewußtes annimmt, muß wissen, daß es
nie erforscht werden kann; er kann also entweder nur einen agnostischen
Standpunkt wählen (daran glauben, ohne es irgendwie erkennen zu können), oder
aber er muß es hypothetisch genauer ausarbeiten (analog z. B. der Äthertheorie
in der Naturwissenschaft). Dazu gibt es zwei Wege, den analogistischen (der
an Freuds Traumtheorie) und den metaphysischen (der an Hartmanns
Philosophie erläutert wird). Der zweite kann wissenschaftlich mindestens so
wertvoll sein wie der erste. Wer das Unbewußte ablehnt, kann sich auf die
reine Empirie zurückziehen, die freilich meist auf dem Papier steht; meist wird
doch „gedeutet“, und dann entweder nur aus dem Bewußten heraus (wobei
prinzipielle Lücken bleiben, wenn auch gewiß vieles, was heute dem Unbewußten
zugeschoben wird, innerhalb des Bewußten ergründet werden könnte), oder nur
aus dem Physischen heraus, was in seinen Konsequenzen radikaler Materialismus
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ist, oder meist aus Bewußtem plus Physischem. Dabei heißt es, zwischen
Parallelismus und Wechselwirkung wählen. Der Parallelismus hat seine
zeitlichen Verdienste gehabt, aber er ist eigentlich nur brauchbar, solange man
nicht an ihn denkt. Praktisch verdient heute der Standpunkt der Wechselwirkung
den Vorzug. Die Entscheidung, ob unbewußt oder nicht, will Vortr. gar nicht
berühren, sie kann auch, wie alle theoretischen Entscheidungen, nie endgültig,
immer nur zeitlich ausfallen: einer Zeit nützt eine Theorie heuristiech, der fol¬
genden schadet sie. Daß heute so viel über theoretische Probleme abgebandelt wird,
liegt im Zuge der Zeit, gilt für fast alle Wissenschaften und ist eine Reaktion
auf die bloße „Forschungsarbeit“, sowie eine Ergänzung zum praktischen Be¬
tätigungsdrange der Forschung. Eine empirisch-methodische Periode der Seelen-
forschung liegt hinter, eine „philosophische“ und zugleich „technische“ vor uns.
Das mag manchem nicht gefallen, aber es ist „pragmatisch“ unabwendbar.
Autoreferat.
Herr Bayerthal (Worms) demonstriert einen Fall von cerebraler Kinder¬
lähmung mit Pseudobulbärparalyse und doppelseitiger Ptosis. Das Leiden
soll sich bei dem 9 1 /, Jahre alten Knaben im Anschluß an wiederholte Krampf¬
anfälle, die unter fieberhaften Erscheinungen in den ersten Lebensmonaten auf-
traten, entwickelt haben. Das psychiatrische Interesse des Falles beruht auf
einem Intelligenzdefekt, der für das Kind den Besuch der Hilfsschule erforderlich
machte. Auffallend und, soweit Vortr. die Literatur zu übersehen vermag, noch
nicht beschrieben ist die Kombination der pseudobulbären Form der infantilen
Cerebrallähmung mit doppelseitiger Ptosis. Ob letztere ätiologisch und patho¬
logisch-anatomisch zum übrigen Krankheitsbilde gehört oder nur eine zufällige
Komplikation (kongenitaler Natur) bildet, muß vorerst unentschieden bleiben.
Autoreferat.
(Schluß folgt)
XVII. Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs
und französisch sprechender Länder in Genf und Lausanne vom
1. bis 6. August 1007.
Referent: R. Hirschberg (Paris).
(Fortsetzung.)
Referat III. Ref.: Herr Henri Claude (Paris): Definition und Wesen
der Hysterie. Eine wissenschaftliche Definition des Wesens der Hysterie kann
heutzutage noch nicht gegeben werden, höchstens ist ein Versuch möglich, die
wichtigsten Manifestationen so zu gruppieren, daß daraus eine Differenzierung
von dem, was wir unter hysterisch verstehen, entsteht Wir besitzen kein
Kriterium, welches mit Bestimmtheit erlaubt die Hysterie zu definieren. Vortr.
bespricht die verschiedenen Definitionen der Hysterie von Charcot, Bern heim,
Sollier, Babinski. Alle diese Definitionen haben den Nachteil engherzig zu
sein und die hysterischen Erscheinungen, die in ihr System nicht hineinpassen,
einfach beiseite zu lassen. Ehe man aber eine Definition der Hysterie gibt, ist
es wichtig festzustellen, ob wir genügend klinische Merkmale besitzen über die
Natur dieses Krankheitszustandes, um daraus ein charakteristisches Bild zu kon¬
struieren. Allerdings ist ohne Berücksichtigung der anatomischen und biochemischen
Ergebnisse die Interpretation klinischer Tatsachen selbst mit Hilfe der Physiologie
und Psychologie eine sehr schwierige. In dieser Beziehung wäre es ratsam, die ver¬
schiedenen im Verlaufe der Jahre sich angehäuft habenden Symptome der Hysterie
einer strengen wissenschaftlichen Revision zu unterwerfen. Eine Anzahl der Sym¬
ptome wäre gewiß besser denen der Simulation zuzuzählen. Vortr. zitiert die
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Definition der Hysterie nach Raymond. Derselbe äußert sich in seinen Vor*
lesungen folgendermaßen: dem Hysterischen fehlt die eigene Kontrolle über den
wirklichen Wert der Perzeptionen nnd der Konzeptionen. £s fehlen die Korrek*
tionsempfindungeu psychischer, motorischer, taktiler, muskulärer, artikularer usw.
Natur. Auf den Mechanismus dieser Perturbationen kommt es weniger an. Die
Hauptsache ist, daß die zur Perzeption gelangten unkontrollierten Empfindungen
ein so übertriebenes Relief annehmen, daß sie pathologisch werden. Raymond
behauptet, daß diese Theorie alle Symptome der Hysterie erklärt und definiert
die Hysterie als „eine Psychoneurose, die durch eine eigentümliche Art der Patienten
zu fühlen und zu reagieren sich auszeichnet und in einer besonderen Modi*
fikation des nervösen Dynamismus besteht. Diese Modifikation dee Dynamismus
zeichnet sich auB durch eigentümliche Störungen der kortikalen und subkortikalen
Reflexe. Die Inhibition oder Exzitation dieser Reflexe hat eine Störung der
„phyeiopsychologischen Funktionen“ zur Folge. Vortr. schließt sich dieser Definition
an, nur findet er, daß dieselbe dem Terrain, auf welchem die Hysterie sich ent*
wickelt, keine Rechnung trägt, und daß man diesen Faktor bei der Genesis der
Hysterie in Betracht ziehen muß. In der Tat zeigt unB die klinische Beobachtung,
daß es eine Kategorie von Individuen gibt, die von der frühesten Kindheit her
ein labiles Nervensystem besitzen, sei es hereditär, sei es akquiriert durch schlechte
Hygiene, Krankheiten, Traumen usw. Diese Vulnerabilität des Nervensystems
bezeichnet Vortr. als Nervosismus. Auf diesem Terrain entwickelt sich dann
mit Vorliebe die Hysterie. Vortr. kommt somit zum Schluß: Die Hysterie kann
als eine Diathese angesehen werden, die ihren Ursprung in der Konstitution des
Nervensystems selbst hat, in dem Nervosismus, der in einer mangelhaften Regulation
der psychischen, organischen und reflehtiven Funktionen besteht. Die Eigen¬
tümlichkeit der Hysterie besteht darin, daß der Kranke die Gabe besitzt, bestimmte
Perzeptionen und Aperzeptionen bewußt oder unbewußt zu isolieren und denselben
während einer bestimmten Zeit eine solche Bedeutung beizumessen, daß verschiedene
Funktionen denselben vollständig unterliegen. Diese Definition erklärt auch, wie
man bei Hysterischen mit Hilfe von Suggestion und Überzeugung eine Störung
zum Verschwinden bringen und eine Funktion wiederherstellen kann. In der Tat
kann die Überzeugung das Gleichgewicht der gestörten psychischen Tätigkeit
wiederherstellen. Besteht aber die Störung in einer permanenten organischen
Läsion, so bleibt auch die Psychotherapie nutzlos.
Ref.: Herr L. Schnyder (Bern): Die Hysterie ist hauptsächlich eine
psychopathologische Äußerung des menschlichen Geistes. Sie ist auch die primi¬
tivste und gewöhnlichste Äußerung der Schwächen der Seele. Es existiert mehr
nnd mehr die Ansicht, die Hysterie nicht mehr als eine selbständige Krankheit
zu betrachten (Babinski, Crocq, Dubois). Der hysterische Geisteszustand be¬
steht in einer Übertreibung und Perversion der normalen psychischen und psycho¬
physischen Reaktionen. Der Geisteszustand des Kindes erinnert an den des Hyste¬
rischen, und man kann sagen, daß das Kind einen physiologischen hysterischen
Zustand bietet. Beim Erwachsenen knüpft sich die Hysterie an einen regressiven
Geisteszustand von kindlichem Typus, der besonders charakterisiert ist durch das
Fehlen von logischen Urteilen. Vortr. betrachtet die Hysterie als eine Evolutions¬
krankheit des menschlichen Geistes, als Krankheit der primitiven Menschheit.
Man begegnet selten der Hysterie beim Greis, dessen Geist seine Evolution beendet
hat, dagegen begleitete die Hysterie die evolutiven Epochen der Menschheit. In
den großen moralischen, sozialen und politischen Revolutionen begegnet man als
Vorläufer Massenhysterie. So war es besonders im Mittelalter. Vortr. glaubt nicht,
daß man die Hysterie betrachten kann als Attribut von Völkern, die eine zu
raffinierte Zivilisation besitzen. Sie gehört ebensowenig in die Periode der Dekadenz
eines Volkes, wie in die Dekadenz des Individuums (Greisenalter). Neben der
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sozusagen evolutiven Hysterie unterscheidet Vortr. noch eine degenerative
Hysterie, die sich auf neuropathischem hereditärem Boden entwickelt. Die Ent¬
artung hat eine Abschwächung der Psyche zur Folge und führt den Kranken auf
den geistigen Zustand des Kindes zurück. Diese Form der Hysterie findet man
eher in den höheren Schichten der Gesellschaft. Sie trägt auch nicht mehr den
Charakter der puren massiven Hysterie, sondern ist kombiniert mit anderen
Symptomen, die Jan et unter dem Namen von Psychasthenie beschrieben hat.
Mit der Entwicklung der Zivilisation n imm t die Hysterie an Frequenz ab. Man
kennt heutzutage nicht mehr die Massenepidemien von Hysterie des Mittelalters.
Die Hysterie bleibt immer das Los der primitiven einfachen Leute, wie des Kindes.
Auch die Frau infolge ihrer sozialen Stellung wird noch lange das Opfer der
Hysterie bleiben. Mit den Fortschritten des Feminismus nimmt auch bei Frauen
die Hysterie ab und an die Stelle derselben tritt immer mehr und mehr die Neur¬
asthenie. Vortr. schließt, indem er erklärt, daß er die Hysterie von der mora¬
lischen Seite auffaßt, da bei dieser Krankheit es sich um pathologische Mani¬
festationen des Geistes handelt, und zwar solcher, die im intimsten Zusammenhang
stehen mit der moralischen Persönlichkeit des Menschen.
Diskussion. Den zwei Referaten folgte eine sehr lebhafte und interessante
Diskussion, bei der sieb die hervorragendsten französischen Kliniker beteiligten.
Leider war aber die Zeit zu beschränkt (ein einziger Vormittag von 10 bis 12 Uhr!),
um diese wichtige Frage in erschöpfender Weise zu erledigen. Nicht einmal alle,
die sich bei der Debatte beteiligen wollten, konnten das Wort ergreifen. So
z. B. mußte leider Pitres (Bordeaux) auf das Wort verzichten. Als erster ergriff
das Wort Raymond (Paris), der in lichtvoller und klarer Weise den heutigen
Stand der Frage über Natur und Definition der Hysterie klarzulegen suchte. Er
resümierte zunächst die zwei eben vorgetragenen Referate. R. stimmt nicht mit
Herrn Claude darin überein, daß die Hysterie eine konstitutionelle Krankheit, eine
Diathese ist. Er hat viele Fälle von vollständiger Heilung von Hysterie beob¬
achtet, Heilung, die seit 10, 15, 20 und 30 Jahren besteht, die man also als
definitiv betrachten kann. Weiter erhebt sich R. gegen Babinskis Auffassung
der Hysterie. Er zitiert Fälle von unzweifelhaften hysterischen trophischen
Störungen der Haut, namentlich von Pemphigus, Ecchymosen und Ödemen. Be¬
kanntlich bestreitet Babinski die hysterische Natur solcher Störungen, da sie
durch Suggestion nicht hervorgerufen und nicht zum Verschwinden gebracht
werden können.
Herr Bernheim (Nancy) formuliert folgendermaßen seine Ansicht über die
Hysterie: Was unter dem Namen von Hysterie beschrieben wird, existiert nicht
als selbständige Krankheit. Am besten wäre das Wort Hysterie ganz zu streichen
oder nur in bezug auf den Nervenanfall zu reservieren. Die Nervenkrise ist
einfach eine emotive psychodynamische Reaktion, die sich bei bestimmten Indi¬
viduen entwickelt infolge von Aufregungen bei gleichzeitig bestehenden psychischen
Krankheiten, Intoxikationen usw. Eb entsteht einigermaßen ein Zustand von Angst,
der bei manchen hysterogen wird. Die psyohischen Symptome, die geistige
Desagregation, die Abulie, die Einschränkung des Bewußtseinkreises, wenn vor¬
handen, hängen von psychischen Krankheiten ab, zu denen die Nervenkrise hinzu¬
tritt uls Epiphänomen. Dieses Epiphänomen kann durch Erziehung zum Ver¬
schwinden gebracht werden.
Herr Terrien (Nantes) erklärt zunächst, daß er aus beiden Referaten nichts
verstanden hat. Er findet die Referate nicht klar, und daß sie die Definition der
Hysterie noch mehr verwickelt haben, als sie bis jetzt war. Er erhebt sich gegen
die Behauptung von Schnyder, daß Neurasthenische leichter suggerierbar sind
als Hysterische. Seine Erfahrungen lauten ganz anders. Die Suggestion wirkt
kaum bei Neurasthenischen und fast immer bei Hysterischen. Er bekämpft eben-
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falls die Ansicht von Babinski, daß nur solche Symptome als hysterische zu
betrachten sind, die durch Suggestion hervorgebracht und durch Suggestion unter¬
drückt werden können. Babinski bestreitet die Realität von hysterischem Fieber
und vasomotorischen und trophischeu Störungen, weil er bis jetzt keine Gelegen¬
heit gehabt hat dieselben zu beobachten. Diese Gelegenheit kaun sich aber leicht
bieten. Er zitiert einen Fall von unzweifelhaftem hysterischem Fieber bei einer
Bäuerin. Dieser Fall schien aber Babinski nicht als überzeugend, trotzdem T.
durch einfache Suggestion den Fieberanfall zum Verschwinden brachte. Er hat
aber leider unterlassen, ebenfalls durch Suggestion das Fieber wieder wachzurufen.
Weiter zitiert er einen Fall von „Leichenhand“ bei einem jungen Manne, bei
welchem er nach Belieben die vasomotorische Störung hervorbringen und unter¬
drücken konnte. Dieser Fall, der in der Nanter medizinischen Gesellschaft vor¬
gestellt wurde, entspricht somit allen Anforderungen, die Babinski an die Hysterie
stellt. Er zitiert endlich einen prägnanten Fall von hysterischer Hauteruption
in Form von Phlyktänen.
Herr Sollier (Paris) findet, daß die Einführung von philosophischen, mora¬
lischen und metaphysischen Begriffen in das Studium der Hysterie die Frage verwirrt
und kompliziert. Er möchte, daß man auf den anatomischen und physiologischen
Boden zurückkehre. Alle sind darüber einig, daß zur Hysterie ein spezielles
Terrain notwendig ist. Dieses Terrain kann hereditär oder akquiriert sein.
Die Hysterie ist keine selbständige Krankheit, das hat S. schon im Jahre 189.')
proklamiert. Es ist nur eine eigentümliche Reaktion des Nervensystems bzw. der
Großhirnrinde.
Herr Claparöde (Genf) schlägt eine neue Hypothese zur Definition der
Hysterie vor. Er betrachtet dieselbe als eine Anomalie des Nervensystems charak¬
terisiert durch eine Übertreibung der jedem lebenden Wesen innewohnenden Ver¬
teidigungsreaktion (Röaction de Döfense).
Herr Mendicini Bono (Rom) hat während 7 Monaten in den meisten Pariser
Hospitälern eine Enquete gemacht und an die Arzte die Frage gerichtet, ob sie
in ihrer Praxis Fälle von hysterischen Ödemen, Phlyktänen, Pemphigus, Hämor-
rhagien, Fieber u. dgl. beobachtet haben. Fast alle haben kategorisch erklärt,
nie diese Symptome als echte hysterische beobachtet zu haben. Fast in allen
beschriebenen und bekannten Fällen handelt es sich um vulgäre Simulanten,
die sich selbst beschädigten, um Mythomane, dem trefflichen Ausdruck Dupres
zufolge.
Herr Babinski (Paris): Die Referenten scheinen zu glauben, daß es un¬
umgänglich ist, den Mechanismus der Hysterie zu bestimmen, ehe man diese Krank¬
heit definiert. B. ist anderer Meinung. Definieren denn die Physiker die Elek¬
trizität nicht, trotzdem die Natur derselben noch immer eine hypothetische ist?
Wichtig ist zunächst, den Gegenstand zu begrenzen, sonst gibt es nur Konfusion.
Die Definition der Hysterie soll somit nur auf klinische Merkmale gerichtet sein,
die man auch verifizieren kann. Hypothesen sollen am besten bei Seite gelassen
werden. B. etabliert zunächst eine bestimmte Kategorie von Symptomen, die
dadurch charakteristisch sind, daß man sie durch Suggestion reproduzieren und
ausschließlich durch Suggestion zum Verschwinden bringen kann. Er behauptet
absolut nicht, daß diese Symptome immer ein Produkt der Suggestion sind,
sondern will nur sagen, daß dieselben durch Suggestion reproduziert werden
können. Nicht jede Störung, die infolge einer Gemütsbewegung oder geistigen
Aufregung auftritt, ist einer Suggestion zuzuschreiben. Dazu ist es notwendig,
daß der Wille in Wirklichkeit Herr des gegebenen Phänomens bleibt, d. h.
daß der Wille nach Belieben die Form, den Sitz, die Intensität und die
Dauer desselben bestimmt; dieses ist z. B. bei Lähmungen, Kontrakturen, An¬
ästhesien und hysterischen Krisen der Fall. Es genügt auch nicht, daß ein Sym-
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*
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ptom durch die Anwendung von Psychotherapie verschwindet, um zu behaupten,
daß das die Suggestion war, die das Symptom zum Verschwinden gebracht hat
Die Intervention jedes anderen therapeutischen Mittels muß dabei mit Sicherheit aus¬
geschlossen werden können, es muß ferner die Heilung unmittelbar der Anwendung
der Suggestion folgen, damit der Einfluß der Zeit und der Ruhe nicht in Betracht
gezogen werden kann. Man muß endlich an den Zufall denken. Aus diesen ver¬
schiedenen Gründen könnten in diese Gruppe nur solche Symptome aufgenommen
werden, die man imstande ist nach Belieben zu reproduzieren und zu unterdrücken.
Für diese Gruppe von Symptomen hat B. den Namen Pithiatiques (heilbar
durch Überzeugung) vorgeschlagen und rangiert dieselben in die Hysterie. Er
bekämpft die Ansicht von Bernheim, der nur in der Nervenkrise die ganze
Hysterie sehen will, auch mißt er der Gemütsbewegung bei der Entstehung des
Nervenanfalles eine zu große Bedeutung bei. Nach B. spielt in den Krankensälen
die Imitation und die Ansteckung eine viel größere Rolle als die Gemütsbewegung.
Alle Symptome, die nicht pithiatischer Natur sind, schließt B. aus der Hysterie
aus. Da man die Haut-, Sehnen- und Pupillarreflexe durch Suggestion nicht
modifizieren kann, so können dieselben auch keine hysterischen Symptome abgeben.
Es gibt keinen hysterisch gesteigerten Patellarreflex und keinen echten hysterischen
Fußklonus, wie das auch Claude und Rose nacbgewiesen haben. B. gibt zu,
daß Gemütsbewegungen cirkulatorische und vasomotorische Störungen hervorbringen
können, Gemütsbewegung und Suggestion sind aber zwei verschiedene Dinge. Man
hat von verschiedener Seite behauptet, daß eine Gemütsbewegung Ödeme und
Phlyktäne erzeugen kann, die auch infolge einer Gemütsbewegung verschwinden
können, aber die Realität dieser Erscheinungen selbst angenommen, so fehlt doch
denselben jeder Charakter pithiatischer Phänomene; dieselben dürfen also dem¬
nach in die Hysterie nicht aufgenommen werden. Dasselbe gilt auch von ver¬
schiedenen Hämorrhagien, Hämoptysis, Hämathemesis, Hämaturie, Metrorrhagie,
Purpura, Anurie, Albuminurie, Fieber. Diese Gruppe von Symptomen muß von
den pithiatisohen streng gesondert gehalten werden. B. wirft die Frage auf^
ob diese zwei Gruppen von Symptomen in irgend einem Zusammenhang stehen.
Die Hypothese von Raymond und Claude befriedigt ihn nicht. Wenn bewiesen
wäre, daß die Symptome beider Gruppen immer Hand in Hand gehen, bo wäre
die Unität dieser zwei Gruppen auch bewiesen. Das ist aber durchaus nicht der
Fall. So sind z. B. die Sehnen- und vasomotorischen Reflexe bei Hysterischen gar
nicht immer gesteigert und unterliegen denselben Variationen bei gesunden Leuten,
wie bei Leuten, die pitbiatische Erscheinungen darbieten. Dasselbe gilt auch von
der trophischen Störung, und wie die Enquete von Mendicini Bono gezeigt hat,
stehen alle Pariser Dermatologen, mit Ausnahme eines einzigen, auf B.’s Stand¬
punkt. Die Fälle, die Raymond ihm entgegenbringt, sind nicht beweisend, da
R. sie nicht persönlich kontrolliert hat. Es ist doch eigentümlich, daß man trotz
so häufiger Mahnung bis jetzt noch keinen einzigen Fall der Pariser neurologi¬
schen Gesellschaft hat vorführen können. B. resümiert seine Ansicht dahin, daß
die Störungen der ersten — pithiatischen — Gruppe sich scharf von den
Störungen der zweiten Gruppe unterscheiden, und daß keine einzige klinische
Tatsache diese zwei Gruppen verbindet. Wenn man schon das Wort Hysterie
beibehalten will, trotzdem es jeden ethymologischen Sinn verloren hat, so soll
man es nur auf die Fälle der ersten Gruppe anwenden. B. unterwirft ebenfalls
die verschiedenen Äußerungen über die Natur der Hysterie einer scharfen Kritik.
Für Janet besteht die Hysterie in einer Abschwächung der psychologischen
Synthese, in Willensschwäche, in einer Verengerung des ßewußtseinsfeldes; für
Schnyder in einer Urteilslosigkeit, im Fehlen von vernünftiger Kritik. Diese
Eigentümlichkeiten finden wir aber, und sogar mehr ausgesprochen, bei anderen
psychischen Krankheiten, wie z. B. bei der Dementia praecox. Von jeher mißt
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man der Gemütsbewegung eine Hauptbedeutung bei der Genesis der Hysterie bei.
Dies ist entschieden übertrieben. Han ist im Gegenteil oft frappiert von ihrer
Gemütsruhe und Gleichgültigkeit ihrer Krankheit gegenüber und eher geneigt,
wie dies Dupr6 mit Recht hervorhebt, zu glauben, daß ihre Emotiritat eher ge¬
schwächt als gesteigert ist. B. ist der Meinung, daß die Suggestion, die Auto¬
suggestion, die unwillkürliche und unbewußte Simulation am besten die Erschei¬
nungen der Hysterie erklären. Die Nachahmung, die als eine Form der Suggestion
angesehen werden kann, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Hysterie.
B. gibt gern zu, daß eine Interpretation streitbar ist, da es zuweilen unmöglich
ist, die Suggestion oder unbewußte Simulation im Ursprünge hysterischer Störungen
nachzuweisen.
Herr Sicard und Herr Bauer (Paris): Die Wirkungen der X-Strahlen
auf das Büokenmark und Oehim dea Hundes nach Laminektomie und
Oraniektomie. Die Vortr. legten das Gehirn auf einer Strecke von 2 qcm
oder das Rückenmark auf eine Länge von 2 cm bloß, nähten dann die Muskeln
und die Haut zu und ließen auf diese Stellen Röntgenstrahlen in mehreren und
langen Sitzungen einwirken. Mit Hilfe eines Bleiplättchens wurde das Versuchstier
▼or den totalen Ausstrahlungen geschützt. Die Vortr. haben keine direkten Wir¬
kungen der X-Strahlen auf das centrale Nervensystem konstatieren können. Der
Tod des Tieres wurde manchmal durch Hautnekrose, Radiodermatitis und konse¬
kutive Infektion verursacht. Die Vortr. glauben deswegen, daß man berechtigt
ist, cerebrale und medulläre bösartige Geschwülste bei Rezidiven nach operativem
Eingriff durch Röntgenstrahlen zu behandeln. Nur muß man acbtgeben, keine
trophischen Störungen zu veranlassen. Die Gehirn- und Rückenmarksubstanz
scheint den Röntgenstrahlen besser zu widerstehen als die Haut.
Herr Mabaim (C6ry): Über Aphasie. Pierre Marie zufolge soll die
Insel mit den darunter liegenden Teilen das motorische Centrum der arti¬
kulierten Sprache enthalten. Die Zerstörung dieses Centrums soll eine Anarthrie
im Sinne Pierre Maries zur Folge haben, was man früher eine motorische
Aphasie nannte. Die motorische Aphasie soll die Aphasie von Wernicke und
Anarthrie im obigen Sinne einschließen. Vortr. macht Marie den Vorwurf,
seine Präparate nicht in Serienschnitten studiert zu haben. Er bekämpft die
M ariescbe Theorie auf Grund folgender Beobachtungen: Fall von sensorieller
Aphasie. Schwatzhafter Patient. Paraplegie. Jargonaphasie. Der Kranke
spricht Tag und Nacht. Die mikroskopische Untersuchung ergibt: bitemporale
Laesion. Links zerstört: Insula, Claustrum, äußere Kapsel und die hinteren 4 / 6
der äußeren Schichte des Putamen. Dabei keine Spur von Anarthrie im Sinne
von Pierre Marie. Zweiter Fall: Keine Spur von motorischer Aphasie, trotz
Zerstörung der Insula. Die vordere erste Windung, Claustrum und die äußere
Kapsel sind intakt. Dritter Fall: Totale Aphasie. Scheinbare Intaktheit der
dritten frontalen Windung. Auf Serienschnitten findet man im Centrum ovale alle
frontalen ProjektionBfasern vollständig unterbrochen. Es besteht keine Verbindung
mehr zwischen der dritten frontalen und der Schläfenwindung. Dieser Fall
beweist, daß bei Aphasie mit scheinbarer Integrität der F 8 die Untersuchung
mit Hilfe mikroskopischer Schnitte notwendig ist. Vortr. demonstriert seine
mikroskopischen Serien auf Projektionsbildern.
Diskussion. Herr Dejerine (Paris) bemerkt, daß diese Mitteilung nur
bestätigt, wie nötig es ist, Gehirnläsionen an Serienschnitten zu studieren.
Herr Angl ade (Bordeaux) sagt, daß die Beobachtungen des Herrn Mahaim,
obwohl sehr interessant, doch nicht absolut beweisend sind. Die Bedenken, die
Herr Pierre Marie gegen die jetzige Theorie der Aphasie erhoben hat, werden
durch dieselben nicht beseitigt. Er glaubt sogar, daß Bie eher Pierre Maries
Ansicht unterstützen.
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Herr Mahaim ist der Meinung, daß seine Serienschnitte absolut beweisen,
daß die Insel keine Bolle bei der artikulierten Sprache spiele. Ebenso hat
der Linsenkörper nichts mit der Funktion der artikulierten Sprache zu tun.
Herr Thomas (Paris) zitiert einen Fall von Brocascher Aphasie mit leichten
Störungen der inneren Sprache. Im Verlaufe von 12 bis 15 Monaten lernte der
Kranke wieder das Sprechen, trotzdem bei der Autopsie eine vollständige Zer¬
störung des LinsenkörperB konstatiert wurde.
Herr Italo Rossi (Mailand) und Herr Gustav Boussy (Paris): Patho¬
logisch-anatomische Beiträge zur Lokalisation der kortikalen motorischen
Contra. 3 Fälle von amyotrophisoher Lateralsklerose mit Degeneration
der Pyramidenbahnen verfolgt duroh Marc hi im Rückenmark und
im Cortex oerebri (vgl. d. Oentr. 1906 S. 914). Bis jetzt wurde als be¬
wiesen betrachtet, daß die motorische Zone beim Affen und beim Menschen
sich in den Central Windungen, im Lobulus paracentralis und vielleicht auch im
Fuße der drei Frontalwindungen befindet. Grünbaum und Sherrington haben
durch unipolare Faradisation gezeigt, daß die reizbare motorische Zone beim
anthropoiden Affen auf die zweite (hintere) Centralwindung sich nicht erstreckt.
Diese Ergebnisse wurden bestätigt beim Affen von Vogt, Brodmann und beim
Mensohen von Krause, Mills, Frazier, Cushing, Lloyd. Außerdem haben
die histologischen Untersuchungen von Kolmer, Brodmann, Campbell dar¬
getan, daß der Zellenbau beider Centralwindungen ein verschiedener ist. Diese
Ergebnisse sprechen dafür, daß die Funktion beider Centralwindungen eine ver¬
schiedene sein muß. Daraus entstand die neue Theorie, der zufolge die hintere
Centralwindung keine motorische Funktionen besitzt. Das Studium der kortikalen
Veränderungen bei amyotrophisoher Lateralsklerose bestätigt diese Theorie. Vortr.
hat 3 Fälle dieser systematisierten Erkrankung des motorischen Neurons nach
Marchi und Weigert untersucht, die degenerierte Pyramidenbahn vom untersten
Teil des Kückenmarks bis zur Großhirnrinde hinauf verfolgt. Die topographische
Verteilung der Läsionen in der Binde, ebenso der Fasern wie der Zellen zeigt,
daß ein großer Kontrast besteht zwischen den Störungen beider Centralwin düngen.
In der vorderen Centralwindung: Degeneration der radiären Fasern sehr aus¬
gesprochen mit Marchi, weniger, aber doch deutlich noch mit Pal; Störungen der
großen Pyramidenzellen und der ßetzschen Biesenzellen. In der hinteren Central-
windung:normales Aussehen der Fasern mit Pal, die Zellen intakt. Mit Marchi
sind nur einige degenerierte radiäre Fasern zu konstatieren. Diese Kesultate
bestätigen diejenigen von Probst und Campbell und sprechen für die neue
Auffassung der Topographie der motorischen Bindenzone. Vortr. schließt, daß
seine persönlichen Untersuchungen ihn in der Idee bestätigen, daß beim Menschen
der Ursprung der Pyramidenbahn sich fast ausschließlich in der vorderen
Centralwindung befindet. Nur ein ganz minimaler Teil von Pyramidenfasern
scheint aus der hinteren Centralwindung zu entspringen.
Herr Long und Herr Wiki: Ein Fall von cerebraler Agenesie daroh
cystische Transformation des Gehirns während des intrauterinen Lebens.
Zur Zeit geborenes Kind; starb im Alter von 2 1 / 2 Jahren. Kontrakturen der Glied¬
maßen und des Rumpfes. Patellarreflexe gesteigert und Fußklonus. Träge
Pupillenreaktion. Schwache Phonation. Wiederholte tonische Krämpfe. Bei der
Autopsie fand man normale Form des Gehirns, dagegen waren die Windungen
wenig ausgesprochen, die Furchen inkoraplet und nicht tief. Die Gehirnrinde
bildet eine dünne Membran. Darunter multiple Cysten, die miteinander kom¬
munizieren. Die Gehirnventrikel sind jedoch unabhängig von diesen Cysten,
welche wahrscheinlich die Folge eines intrauterinen entzündlichen Prozesses dar¬
stellen mit nachfolgender Resorption der Gehirnsubstanz. Es werden Projektions-
bildcr von Serienschnitten dieses Gehirns demonstriert. Die Kerne der Basis, der
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1095
Isthmus, das verlängerte Mark, das Rückenmark und alle Fasersysteme sind normal.
Dagegen fehlen alle Projektionsfasern, ebenso die absteigenden Fasern der inneren
Kapsel und die Pyramidenbahn. In der mittleren und oberen Thalamusregion
sind die thalamokortikalen Fasern, wie sie Herr und FrauDejerine beschrieben
haben, vorhanden.
Herr Ch. Ladame (St. Pirminsberg): Über diffuse Gehirnsyphilis. Die
diffuse Gehirnsyphilis gehört zur Gruppe der vasculären Form von Lues cerebralis.
Die Läsionen sind diffus und von verschiedener Intensität. Es sind hauptsächlich
die feineren Gefäße und die Kapillaren der Rinde, die in Mitleidenschaft gezogen
werden. Manche klinische Symptome und anatomische Daten lassen diese Form
von der progressiven Paralyse, mit der sie verwechselt werden kann, unterscheiden.
Die klinischen Symptome der diffusen Gehirnsyphilis sind: Pupillenstarre, unregel¬
mäßige Konturen derselben, Anisocorie, paradoxe Reaktion, gesteigerte Muskel-
und Sehnenreflexe, Anästhesien, Hyperästhesien, Paresen und Lähmungen, Agraphie,
Aphasie usw. Verlauf langsamer, schubweise. Psychisch mehr oder weniger aus¬
gesprochene geistige Schwäche, die stationär bleibt. Die Ort- und Zeitorientierung
bleibt eine gute. Der Kranke ist nicht imstande, neue Kenntnisse zu erwerben,
behält aber die, die er schon erworben hat. Die höheren intellektuellen Funktionen
sind reduziert. Die anatomischen Veränderungen sind: makroskopisch chronische
Leptomeningitis, Gehirnatrophie, besonders ausgesprochen manchmal an bestimmten
Windungen, keine Herdläsionen, mikroskopisch obliterierende Arteriitis und Phlebitis,
Obliteration durch hyalinen Thrombus der feinen Gefäße und Kapillaren, hyaline
Degeneration der Wandungen feiner Gefäße, kapilläre Blutungen, Infiltration durch
Lymphocyten und Plasmazellen der lymphatischen Scheiden der feinen Rinden-
gefäße, Durchtränkung der grauen und weißen Gehirnsubstanz durch obengenannte
Zellen sowie durch stäbchenförmige Zellen, disseminierte Hyperplasie der Neuroglia,
Atrophie der Nervenfibrillen, Degeneration, Neuronophagie und Zerstörung der
Ganglienzellen. Die diffuse cerebrale Syphilis unterscheidet sich von der pro¬
gressiven Paralyse durch folgende Merkmale: 1. apoplektische Anfälle, die dauernde
Störungen hinterlassen; 2. Herdsymptome von verschiedener Lokalisation; 3. schub¬
weiser Verlauf und stationärer Zustand; 4t. alleinige Verminderung und kein totaler
Untergang der geistigen Fähigkeiten; 5. obliterierende Entzündung der feinsten
Arterien und Venen der Gehirnrinde; 6. ausgesprochene Infiltration der grauen
und weißen Substanz: 7. Erfolg der spezifischen Behandlung.
Herr Sicard und Herr Descomps (Paris): Zur Diagnose und Prognose
der Meningitis cerebro-spinalis auf Grund der Untersuchung der oerebro¬
spinalen Flüssigkeit. Bei milchiger Beschaffenheit des Liquor cerebro-spinalis
kann man mit Sicherheit tuberkulöse Meningitis ausschließen. Dagegen ist solche
Beschaffenheit des Liquor sehr häufig bei cerebro-spinaler Meningitis. Die milch¬
artige Opalescenz rührt von den suspendierten weißen Blutkörperchen her, und
durch Centrifugation kann man die Flüssigkeit vollkommen klar machen. Pro¬
gnostisch ist wichtig festzustellen, ob bei wiederholten Punktionen normale poly¬
nukleäre Zellen an Stelle von erkrankten auftreten, ob mittlere und feine Endothel-
und mononukleäre Zellen gefunden werden, ob der Eiweißgehalt abnimmt und der
Zuckergehalt zunimmt. Sind alle diese Zeichen vorhanden, so geht man einer
sicheren Genesung entgegen.
Herr Bernheim (Nancy): Theorie der Tabes. Alle Symptome der Tabes
lassen sich nicht einzig und allein durch die Erkrankung der Hinterstränge
oder der peripheren Nerven erklären. Die Tabes ist eine allgemeine toxi-
infektiöse Krankheit. Die Arthropathien, die trophischen Störungen der Haut, die
Magenkrisen usw. sind der Ausdruck einer direkten toxischen Infektion. Es muß
neben der Syphilis noch ein anderes unbekanntes Virus im Spiele sein, welches
beim Ausbruch derjTabes eine Rolle spielt.
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Diskussion: Herr Leopold-Levi (Paris) teilt nach seinen klinischen Er¬
fahrungen ganz und gar die Ansicht des Vortr.
Herr Thomas (Paris) ist auch der Meinung, daß die pathologische Anatomie
allein nicht imstande ist, die so mannigfachen Symptome der Tahes zu erklären.
Man muß auch das irritative Stadium der Wurzeln, welches dem degenerativen
folgt, in Betraoht ziehen. Man muß auch an die Möglichkeit einer Regeneration
der Nervenfasern denken. Obwohl er die Möglichkeit einer Toxiinfektion bei der
Tahes nicht von der Hand weist, so glaubt er doch, daß die bald irritativen,
bald destruktiven Erscheinungen am Rückenmark, an den Meningen, an den
Wurzeln, an den peripheren Nerven, am Sympathikus in ausreichender Weise
alle Symptome der Tabes erklären.
Herr Charpentier (Paris) hebt die Frage hervor über die Nützlichkeit der
Quecksilberbehandlung der Tabes. Er glaubt, daß, wenn solche Behandlung früh
genug angefangen und lange genug fortgesetzt wird, sie von entschiedenem
Nutzen ist.
Diese Meinung wird von den Herren Crooq, Dejerine, Anglade, Duprö,
Sicard, Minor bekämpft. Die antisyphilitische Behandlung soll nicht nur nutzlos,
sondern manchmal sogar direkt schädlich sein.
Herr Marinesco und Herr Minea (Bukarest): Neue Untersuchungen
über die feinere Histologie der Ganglien und der hinteren Wurzeln bei
Tabes. Die Vortr. haben neue 6 Fälle von reiner Tahes und von Tabes mit
progressiver Paralyse untersucht. In den SakralgaDglien, wo der tabische Prozeß
älteren Datums ist, sind die stärkeren Fasern zum größten Teil geschwunden, und
an ihre Stelle ist eine große Zahl von feinen Fasern getreten, die in Bündeln
verteilt sind, zwischen welchen apotrophische Zellen sich befinden. Diese Fasern
enden in Klumpen bald im Inneren des Ganglions, bald im radikulären Nerven,
und nur ausnahmsweise in den hinteren Wurzeln. Ehe sie zu Nervenbündeln
werden, bieten sie die verschiedensten Formen: Netze, Knäule, Verzweigungen in
Form von Y. Die degenerativen Erscheinungen geben sich kund durch monili-
forme Anschwellungen an centralen Fasern im Innern des Ganglion. Der tabische
Prozeß kann nioht mit dem verglichen werden, was man bei durchschnittenen
oder komprimierten Nerven beobachtet. Erstens findet man im Innern des
Ganglions in Degeneration begriffene und später regenerierte Fasern, wie man es
am centralen Ende eines sektionierten Nerven nie beobachtet; zweitens erreichen
die neugebildeten Fasern der hinteren Wurzeln bei der Tabes nie einen hohen
Grad von Maturität und behalten immer den Charakter von embryonalen Fasern.
All das spricht dafür, daß als Ursprung der tabischen Degeneration eine Intoxi¬
kation des centralen Endes der hinteren Wurzel vorhanden ist, welche es ver¬
hindert, daß die neugebildeten Fasern eine vollkommene Ausbildung erreichen.
Herr Long (Genf): Beiträge zur Tabes. Ataxo-spaemodische Tabes
ohne Läsion der Seitenstränge. Tabes dorsalis mit unbedeutenden Ver¬
änderungen in den hinteren Wurzeln. 63jähriger Mann, tabisch seit dem
48. Jahr. Beginn mit lanzinierenden Schmerzen, mit Blasenstörungen und Im¬
potenz. Progressive Verschlimmerung und Ataxie der oberen Extremitäten. Sensi¬
bilitätsstörung der Haut, Gelenke, .Muskeln. Dabei die Patellarreflexe gesteigert
und keine Pupillenstörungen. Nur 1 Jahr vor dem Tod tritt Pupillenstarre auf,
gleichzeitig partielle Okulomotoriuslähmung und progressive Abschwächung der
Sehnenreflexe. Bei der histologischen Untersuchung fand man keine Sklerose der
Seitenstränge, dagegen Atrophie des Brustmarkes und des oberen Teiles des
Lendenmarkes. Disseminierte Gefäßerkrankung. Der Kranke hatte vor dem An¬
fang seiner Tabes ein tertiäres Syphilid. Man kann somit annehmen, daß infolge
von vaskulären Störungen sein Rückenmark atrophisch wurde und infolgedessen
die Reflexe gesteigert wurden. Es ist auch bemerkenswert, daß in diesem Falle
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die hinteren Wurzeln in dem lumbosakralen Teil kaum verändert waren, trotzdem
ausgesprochene Ataxie bestanden hat. Dieselbe Eigentümlichkeit bestand bei
einem anderen Kranken, der erst im Alter von 65 Jahren tabiBch wurde (Syphilis
im Alter von 22 Jahren). Ausgesprochene Ataxie aller Extremitäten. Westphal
und Argyll - Robertson positiv. Blasenstörungen. Auch in diesem Falle waren
die hinteren Wurzeln wenig lädiert. Aus diesen Fällen kann man den Schluß
ziehen, daß bei der Tabes dorsalis die pheripheren Läsionen eine größere Be¬
deutung haben können als die Veränderungen an den hinteren Wurzeln.
Herr Hirschberg (Paris): Kritische Bemerkungen zur Therapie der
Tabes. Vortr. behandelt nicht die Therapie der Tabes im allgemeinen. Er be¬
spricht nur zwei Methoden von mechanischer Behandlung der Tabes, nämlich die
Suspension von Motschutkowski und die Frenkelsche Übungstherapie. Die
Suspension, die auf Charcots Autorität gestützt ihre Glanzepoche gehabt hat,
scheint in den letzten Jahren in Vergessenheit zu geraten. Das ist schade, denn
mit Überlegung und vorsichtig appliziert ist diese Methode entschieden von
großem Nutzen im Verlaufe der Tabes. Was die Frenkelsche Methode an¬
belangt, so ist dieselbe viel komplizierter, als man es im allgemeinen zu glauben
scheint. Der Arzt, der mit Nutzen diese Methode anwenden will, muß nicht nur
sich an die allgemeinen Regeln, die Frenkel festgestellt hat, halten, sondern
auch jeden einzelnen Fall von tabischer Ataxie genau studieren, da es keine
schematischen Übungen für die Behandlung der Ataxie geben kann. Kontra¬
indiziert sind die Übungen bei akut verlaufender Tabes. Während einer thermalen
Kur in Nauheim, Lamalou-les-Bains usw. sind anstrengende Übungen jeder Art
ebenfalls zu verbieten.
Herr Courtellemont (Amiens): Familiäre spastische Paraplegie. Vortr.
teilt die Krankengeschichte mit und demonstriert Photographien eines Falles von
familiärer spastischer Paraplegie mit Störungen des Urogenitalsystems, einigen
vasomotorischen Störungen und leichter Ptosis links. Sinnesorgane, Sensibilität,
Sprache, Geisteszustand normal. Keine Muskelatrophie. Elektrische Reaktionen
normal. Anfang der Krankheit zwischen 35, 49 und 50 Jahren. Beginn
schleichend. Verlauf langsam progressiv. Mutter, Bruder und Schwester leiden
an derselben Krankheit. Keine syphilitischen Antezedentien. Keine Leukocythose
im Liquor cerebrospinalis. Spezifische Behandlung ohne Resultat. Vortr. betont
die similäre Heredität und die Seltenheit mancher Symptome (Lagophthalmus,
Urogenitalstörungen) bei dieser Krankheit. Der negative Befund bei der Lumbal¬
punktion spricht für Fehlen jedes meningitiachen Reizes und für fasciculäre
Störungen.
Herr Etienne und Herr Champy (Nancy): Veränderungen ln den Zellen
der Vorderhörner des Rückenmarks bei nervösen Arthropathien. In einem
Falle von Tabes mit Arthropathie des rechten Schultergelenks fanden die Vortr.
in den Zellen der Vorderhörner längs des ganzen Rückenmarks, aber besonders
ausgesprochen in den Zellen der antero-externen Gruppe des rechten Vorderhorns
des Cervikalmarks, Chromatolyse, Pigmentation, Vakuole. In einem zweiten Fall
von Arthropathie beider Schultergelenke bei einem Kranken mit Aran-Duchenne-
scher Muskelatrophie wurde in den antero-externen und antero-internen Zellen
ausgesprochene Chromatolyse konstatiert. In dem Falle von Tabes sollen die
Läsionen der Zellen sekundärer Natur sein, bedingt durch die tabische Entartung
des centripetalen Protoneurons. Bei dem zweiten Kranken ist die Alteration der
Zellen eine direkte und primitive.
Herr Miralliä, Herr Jalaber und Herr Cullerre (Nantes): Faoio-soapulo-
humerale Myopathie nebst myotonlsohen Symptomen. Die Assoziation von
Myopathie mit Thomsenscher Krankheit ist äußerst selten. Im ganzen sind in
der Literatur 17 solche Fälle bekannt. Die Vortr. teilen folgenden Fall mit:
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19 jähriger Bursche; nach einer schweren doppelseitigen Pneumonie treten gleich¬
zeitig Muskelatrophien nach Landouzy-Dejerineschem Typus und myotonische
Störungen auf. Die letzteren Störungen sind mehr in den Händen ausgesprochen,
wie die Atrophie in dem Schultergürtel lokalisiert ist. Die myotonischen Störungen
erstrecken sich allein auf die Streckung der Finger und fehlen bei den anderen
Bewegungen.
Herr Duprä und Herr Ribierre (Paris): Atrophisohe und retr&ktile
Myosklerose bei Greisen. Die Vortr. schlagen diesen Namen vor für eine
Krankheit, die schon von Hayem angedeutet wurde und vor kurzem von Lejonne
und Lhermitte unter dem Namen von „Paraplögie par rötraction des vieillards“
beschrieben wurde. Die Vortr. teilen folgenden Fall mit: 80jährige Frau bietet
solche diffuse retraktile Amyotrophien, daß sie wie eine peruvianische Mumie
aussieht. Das Befallensein der Hals- und Schulterblattmuskeln bedingt einen
permanenten Opisthotonus. Eigentliche Lähmungen sind nicht vorhanden. Es
gibt auch keinen Anhalt für cerebralen, medullären oder neuritischen Charakter
der Krankheit. Es handelt sich somit um eine senile progressive Myopathie, die
diffus sich verbreitet, jedoch vorwiegend an den unteren Extremitäten.
Herr Etienne (Nancy): Über spontane zonaartige Ecchymosen. In
einem Falle von heftigen neuralgischen Schmerzen trat spontan eine ecchymotische
Eruption im Gebiete des N. frontalis auf. Vortr. rechnet diese Eruption dem
Zona zu, hervorgebracht durch eine Läsion von Sympathikusästen
Herr Pr6vost und Herr Batelli (Genf): Über experitnentelle Epilepsie.
(Vgl. d. Centr.-Bl. 1907. S. 1031.)
Diskussion: Fräulein Robinovitch (New York) bemerkt, daß sie viele
Experimente über Epilepsie angestellt hat und daß sie sich dabei hat überzeugen
können, daß während der Periode der tonischen Krämpfe das Gehirn eine rosige
Farbe annimmt, während der klonischen dagegen dasselbe rot erscheint Sie hat
auch festgestellt, daß man durch elektrischen Strom getötete Tiere wieder ins
Leben rufen kann durch eine Applikation nicht des induzierten, sondern eines
alternativen Stromes. Diese Tatsache kann von großem praktischem Wert sein.
Fräulein Robinovitch (New York): Eine Methode elektrokatierte Tiere
wieder ins Leben bu rufen (vgl. d. Centr. 1907, S. 938). Die Wirkungen
verschiedener elektrischer Ströme. Durch den Körper eines Kaninchens wird
ein Strom (Leducscher Strom) von 14 Volt geleitet von einer Dauer von
30 Sekunden bis 2 Minuten. Nachdem man durch Registrierapparate konstatiert
hatte, daß die Herztätigkeit still steht und keine Atembewegungen mehr vor¬
handen sind, das Tier also im Zustande des Scheintodes sich befindet, kann
man dieses Tier wieder ins Leben rufen, indem mau durch den Körper desselben
rythmische Reize desselben Stromes gehen läßt. Diese Reize sind von der Dauer
einer Sekunde und werden alle drei Sekunden wiederholt. Der Leducscbe
Strom wirkt auf das Herz und auf die Atmungscentra weniger lähmend als der
konstante Strom oder der induzierte. Wurde ein Tier durch den konstanten
Strom getötet, so war es unmöglich, durch rythmische Reize desselben Stromes
dieses Tier wieder lebendig zu machen. In den seltenen Fällen, wo es gelang,
starben die Tiere einige Stunden später. Der induzierte Strom scheint die Tiere
zu töten durch Lähmung der Atmungscentra. Dagegen gelang es mit Hilfe des
Ledueschen Stromes, durch rythmische Reize selbst die Tiere wieder ins Leben
zu rufen, die im Zustande des Scheintodes sich befanden nach einer Einwirkung
eines konstanten oder induzierten Stromes. Der Leducsche Strom ist somit das
beste Mittel, um elektrokutierte Tiere wieder zu beleben.
Fräulein Robinovitch (New York): Der allgemeine und oerebrale
Blutdruck bei der elektrischen Epilepsie. Der allgemeine Blutdruck steigt
am Anfang der Phase der tonischen Krämpfe und nimmt allmählich zu, um sein
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Maximum zu erreichen, während die klonischen Krämpfe ihr Maximum erreicht
haben. Mit Abnahme der klonischen Konvulsionen nimmt auch der Blutdruck
ab, und beim Auf hören der Krämpfe ist der Blutdruok wieder normal. Wird
durch Trepanation das Gehirn eines Hundes bloßgelegt, so bemerkt man, daß beim
Passieren eines Leducschen Stromes das Gehirn blaß wird. Während der Phase
der klonischen Krämpfe rötet sich das Gehirn mehr und mehr. Die Gehirngefäße
erweitern sich sichtlich. Das Gehirnvolumen nimmt zu mit dem Maße der Gefä߬
dilatation, so daß sich das Gehirn sub der Trepanationsöffnung herausdrückt. Dos
Maximum der Gehirnhernie entspricht dem Maximum der klonischen Krämpfe. Mit
dem Abschwächen der Konvulsionen reduziert sich allmählich die GehirnBubstauz,
und mit dem Aufhören des Anfalls kehrt alles wieder in die Norm zurück.
Herr Parhon und Herr Uröche (Bukarest): Untersuchungen über die
Wirkung von Calcium- und Natriumsalz auf den Verlauf von experimen¬
teller Tetanie. Die Vortr. haben bei 20 Hunden die Thyroparathyreoiddrüsen
entfernt und daraufhin denselben Tieren Natrium- und Calciumsalze injiziert. Die
Natriumsalze hatten eine Verstärkung der Krämpfe zur Folge. Die Calciumsalze
übten dagegen eine beruhigende Wirkung aus.
Herr Bonjour (Lausanne): Differentialdiagnose zwischen epileptischen
und hysterisohen Krisen. Bin neues Symptom. Vortr. ist der Meinung, daß
eine partielle Heilung durch den Gebrauch von Bromsalzen und einer kochsalz-
armen Diät für Hysterie spricht. Zunahme der Anfälle während einer Bromkur
spricht ebenfalls für Hysterie. Auftreten der Anfälle in der Pubertätszeit ist fast
immer ein Zeichen der Hysterie. Trotz der Meinung von F6r6 und von Bim»-
wanger sind die Konvulsionskrisen während der Menstruation immer hysterischer
Natur, mit Ausnahme einiger seltener Fälle von Epilepsie bei Hysterischen. Der
Kranke, der am Anfang deB Anfalls zu „laufen sucht“, sich „hinsetzen“ will, sich
„mit Absicht zu Boden fallen läßt“ ist immer hysterisch. Der epileptische Anfall
überkommt den Patienten mit solcher Plötzlichkeit, daß er keine Zeit zum Denken
hat. Schwere Verletzungen und selbst der Tod können die Folgen eines hyste¬
rischen Anfalls sein. Der Epileptische verhält sich gleichgültig den Anfällen gegen¬
über, der Hysterische dagegen fürchtet dieselben. Der Zungenbiß ist das sicherste
Symptom, welches uns bei der Diagnose leiten wird. Der Sitz der Verletzung
der Zunge ist nach dem Vortr. von der größten Bedeutung. So soll allein die
Verletzung der Zungenspitze für die echte Epilepsie maßgebend sein, dagegen
sprechen die Verletzungen der Zungenränder, der Wangenschleimhaut, der Lippen
immer für Hysterie. Auf dieses Symptom hat bis jetzt noch niemand die Auf¬
merksamkeit gelenkt.
Herr L6opold-Lövi und Herr Baron von Rothschild (Paris): Klinische
Form von Sohilddrüsennervosität (vgl. d. Centr. 1907, S. 329). Auf Grund
von 76 Fällen kommen die Vortr. zu folgenden Schlüssen: Allgemeine Nervosität
ist oft in Zusammenhang mit mangelhaftem Funktionieren der Schilddrüse und
äußert sich klinisch unter folgenden Formen: Nervöse Hyperthyroidie, die
ihren vollsten Ausdruck in der Basedowschen Krankheit hat. Es gibt aber auch
eine ganze Reihe von klinischen Zuständen, die Übergangsstufen bilden von der
einfachen chronischen, gutartigen Hyperthyroidie bis zur Basedowschen Krank¬
heit. Nervöse Hypothyro'idie. Nervöse Zustände infolge von ungenügendem
Funktionieren der Schilddrüse, und die ihren vollsten Ausdruck in der Schild¬
drüsenneurasthenie erreicht. Es werden noch eine Reihe anderer nervöser Zustände
mit barbarischen Namen angeführt: Dysthyro'idie mit Hypothyro’idie, Dysen-
docrisies coupl6es (Schilddrüse und Ovarium), tricouplees (Schilddrüse, Hypophysis,
Ovarium). Passende opotherapeutische Behandlung wird den Zusammenhang
zwischen der Nervosität und der lädierten Drüse bestätigen.
Herr Royet (Lyon): Neurasthenie und Nasenrachenerkrankungen.
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Vortr. ist der Meinung, daß die Neurasthenie oft ihren Ursprung in Erkrankungen
des Nasenrachenraumes hat. Filr diesen Zusammenhang sprechen ebenso ana¬
tomische wie physiologische Gründe. Zunächst die Nachbarschaft wichtiger Organe:
das Gehörorgan, der spinale Ast des N. vagus, der Hypoglossus und Glosso-
Pharyngeus, das obere cervicale Ganglion des Sympathicus, welches samt der
Carotis interna und der Vena jugularis in einem engen Raum in der Nachbar¬
schaft der Rosenmüllerschen Grube eingeschlosBen ist. Die anatomischen Be¬
dingungen sind besonders günstig für chronische Erkrankungen dieser Grube. Die
neurasthenischen Symptome können mit den Symptomen der Erkrankung des
Nasenrachenraumes verglichen werden. So findet man bei letzteren occipitale
und frontale Schmerzen, intellektuelle Schwäche und Schwäche der Aufmerksam¬
keit, Atembeschwerden. Bei den Erkrankungen des Ohres: Ohrensausen, Hämmern
und Gehörstörungen, Schwindel und Agoraphobie, Eingenommenheit des Kopfes
(Sensation de casque) und Angstzustände. Bei den Erkrankungen des Ganglion
cervicale sup. und des N. vagus findet man: Cirkulationsstörungen, Herzpalpita-
tionen, Tachycardie, Arythmie, vasomotorische Störungen usw., Verdauungsstörungen,
Sekretionsstörungen usw. Es gibt kaum einen anderen Punkt im Organismus,
der alle Elemente so vereinigt, um die Symptome der Neurasthenie in dieser
Weise zu reproduzieren. Vortr. zitiert eine Reihe von Krankengeschichten zum
Beleg des oben Gesagten. Heilung oder zum wenigsten Besserung neurasthe-
nischer Symptome durch rationelle Behandlung zugrunde liegender Nasenrachen¬
erkrankungen.
Herr Hartenberg (Paris): Die Psychotherapie bei Neurasthenischen.
Bei der echten Neurasthenie, d. h. bei den zahlreichen Kranken mit ganz aus¬
gesprochenem klinischem Typus, mit großer körperlicher und geistiger Ermüdung,
mit Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Aufregbarkeit, wirkt die Psychotherapie,
sei es Hypnose, Suggestion, Zureden, so gut wie gar nicht. Der Grund von
diesem Mißerfolg liegt darin, daß diese Form von Neurasthenie keine Geistes¬
krankheit ist. Die die Neurasthenie begleitenden psychischen Symptome, — Angst-
zustande, Grübeln, Hypochondrie usw. — erheischen ebenfalls keine psychische
Behandlung, da sie auch spontan verschwinden, sobald man durch hygienische,
physikalische und medikamentöse Behandlung die nervöse Erschöpfung zum Ver¬
schwinden gebracht hat. Die Kranken, die man glaubt durch Psychotherapie ge¬
bessert oder geheilt zu haben, sind in der Wirklichkeit von der Rohe, Über¬
fütterung usw., die gleichzeitig mit der Psychotherapie angewandt wurden,
gebessert worden.
Diskussion: Herr Dejerine (Paris) glaubt nicht, daß die Neurasthenie eine
Erkrankung der Zelle ist, daß es sich eher um funktionelle Störungen handelt,
und daß jeder Kranke, der wirklich den Namen Neurastheniker verdient, einzig
und allein durch Psychotherapie gebessert werden kann.
Herr Bern heim (Nancy): Es ist notwendig, die Neurastheniker von den
Melancholischen streng auseinander zu halten. Es ist möglich, daß die Neurasthe¬
niker des Vortr. einfach prämelancholische waren, für welche die Bezeichnung
von Neurasthenie nicht passend ist und welche auf die Psychotherapie nicht
reagieren.
Herr Sollier (Paris) behauptet, daß die Psychotherapie sehr nützlich ist,
selbst in Fällen von Intoxikationspsychosen.
Herr Leopold - Lövi (Paris): Die ätiologische Indikation darf nie von
der Hand gewiesen werden. Es gibt Neurasthenie, die auf eine Erkrankung der
Schilddrüse zurückzuführen ist, und die durch passende opotherapeutische Be¬
handlung zu heilen ist.
(Schluß folgt.)
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Österreichischer Irrenärzte tag in Wien vom 4. bis 6. Oktober 1907.
Referent: Otto Marburg (Wien).
Herr Starlinger: Befer&t zum gegenwärtigen Stande der Pflegerflrage.
Vortr. geht vom rein praktischen Standpunkte ans und sucht entgegen den
meisten bisherigen Untersuchungen in der Pflegerfrage einmal das Haben auf
diesem Gebiete in Erfahrung zu bringen. Zu diesem Zwecke hat er eine Rund¬
frage bei ca. 100 Anstalten des In- und Auslandes veranstaltet, welche die
wesentlichsten Punkte der Pflegerfrage umfaßten. Es ergab sich, daß die Heil¬
anstalt und die einheitliche Heil- und Pflegeanstalt die Majorität in der heutigen
Anstaltsorganisation bilde. Das Verhältnis der Pfleger zu den Kranken beginnt
bereits unter 7 zu sinken, nähert sich in vielen Anstalten 5. Die Anmeldung
zum Pflegerdienst ist sowohl quantitativ als qualitativ ungenügend. Die Liebe
zum Krankendienst reizt ebensowenig wie die Altersversorgung. Er empfiehlt
daher Heranziehung von Militärurlaubern. Der Wechsel ist allgemein. 50 °/ 0
wechseln meistens im ersten Halbjahr, der größte Teil scheidet strafweise oder als
unbrauchbar aus. Großer Barlohn vermag den Wechsel nicht zu unterdrücken.
Altes Pflegepersonal mit über 10 Dienstjahren ist gegenüber den Verhältnissen
bei der Industrie nirgends in großer Zahl vorhanden. Redner empfiehlt mög¬
lichste Annäherung an die Arbeiterverhältnisse: Freigebung der Lebensweise, Auf¬
lassung der dienstfreien Bevormundung und Kontrolle, Einschränkung der Kaser¬
nierung. Die Barlöhne schwanken von 200 bis 640 Mk. als Anfangs- und 218
bis 1320 Mk. als Endlohn für Pfleger, und 560 biB 1800 Mk. als Anfangs- und
560 bis 2500 Mk. als Endlohn für Oberpfleger. Außerdem erhalten sie zumeist
Kost, die Pfleger 3. Klasse, die Oberpfleger 2. Klasse. Ruhegenüsse gewähren
47 Anstalten. Witwen- und Waisenversorgung ist weniger häufig. Mit Pflegern
aus besseren Häusern hat man keine guten Erfahrungen gemacht. Mißhandlungen
von Pflegern seitens der Patienten sind häufiger als das Umgekehrte. Da alle
Irrenpflege in letzter Linie eine Pflegerfrage ist, so ist dieser eine größere Auf¬
merksamkeit als bisher zuzuwenden, damit sie eine zeitgemäße Entwicklung nimmt.
Eine solche kann niemals gedeihen ohne Führung und Leitung durch die Er¬
fahrungen und die Psychologie.
An der Diskussion beteiligen sich die Herren: Stransky, v. Frank 1-
Hochwart, Moravcsik, v. Pfungen, Schweighofer, Mayer, Pick und
Starlinger. Es wird für Erweiterung der intellektuellen Ausbildung der Pfleger
plädiert, für die Errichtung eigener Pflegerschulen, die Heranziehung von geist¬
lichem Pflegepersonal, die Ausscheidung minderwertiger Elemente, und schließlich
dafür, daß das Resume des Vortr. auch der breiteren Öffentlichkeit bekannt gegeben
werde, damit das Urteil der Menge über manche Verhältnisse in den Anstalten
sich ändere und die Öffentlichkeit auf die Behörden einen Einfluß nehmen könnte.
Herr Holub (Wien): Wir und die Öffentlichkeit. Vortr. führt eine Reihe
von Beispielen an, durch welche er zeigt, wie die Presse und die Verteidiger sich
gegenseitig bemühen, den Stand der Irrenärzte herabzusetzen. Die Beispiele, die
er anführt, sind in der Tat geeignet, bei Leuten, welche die Verhältnisse nicht
näher kennen, irrtümliche Meinungen aufkommen zu lassen. Deshalb wäre es
angezeigt, in solchen Fällen offiziell die Publizistik zu beraten.
Diskussion: Herr Starlinger schlägt ein Komitee für diesen Zweck vor.
Herr v. Wagner meint, daß die Ursache dieser fortwährenden Angriffe auf
die Psychiatrie in dem Bedürfnisse des Publikums nach Sensation gelegen seien.
Geisteskrankheit ist ein modernes Thema. Die Zeitungen werden deshalb, da Bie
sich dem Sensationsbedürfnisse nicht immer ganz entziehen können, solche Dinge
gerne aufnebmen, nicht alle in gleicher Weise, manche mit einer gewissen Reserve,
andere wieder mit vollem Herzen. Diese Journale werden uns gewiß auch unsere
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Artikel aufnehmen, aber das wird sie nicht hindern, daß wir in der nächster.
Nummer doch wieder als die ärgsten Lumpen und Gauner hingestellt werden.
Wir müßten daher einen Appell an die Journalistik richten, bei Nachrichten über
solche Dinge sich möglichst zu bemühen, der Wahrheit nahe zu kommen.
Herr Stransky meint, daß die in öffentlicher Stellung fungierenden Psychiater
öfters ihren Amtscharakter hervorkehren sollen und daß man die Kenntnisse über
das Anstaltswesen möglichst popularisieren sollte.
Herr Kramer wendet sich gegen den Ausdruck Irrenarzt, da dieser viel an
den Vorurteilen gegen die Psychiatrie schuld sei.
Herr v. Wagner: Über Ärzteaustausoh zwisohen Kliniken und Irren¬
anstalten. Nachdem Vortr. die großen Vorteile der aus dem Titel des Vortrages
hervorgehenden Pläne für die praktische Ausbildung der Arzte beleuchtet und
namentlich auf die Verschiedenheiten des psychiatrischen Materiales an den Kliniken
und in den Irrenanstalten hingewiesen hat, stellt er folgende Anträge: Der öster¬
reichische Irrenärztetag erklärt es als wünschenswert, daß 1. subalternen Anstalts¬
ärzten die Annahme von Assistentenstellen an psychiatrischen Kliniken erleichtert
werde durch Gewährung von mehrjährigen Urlauben bei Wahrung ihres Dienst¬
rangs und Anrechnung der an der Klinik verbrachten Zeit in ihre Dienstzeit:
2. daß emeritierten Assistenten der Eintritt in Anstalten erleichtert werde durch
Anrechnung der an Kliniken verbrachten Zeit bei Bestimmung des Dienstrangs
und der Dienstzeit. 3. Diese Beschlüsse sind allen Landesausschüssen bekanut zn
geben. 4. Die Irrenanstaltsdirektoren der dem Sitze der Landesbehörden zunächst
liegenden Irrenanstalten sind zu ersuchen, diese Beschlüsse persönlich zu über¬
reichen und die Berücksichtigung derselben warm zu befürworten.
Diskussion: Die Herren Stransky und Mayer sprechen dafür, Herr Holuh
dagegen.
Herr Hartmnnn (Graz): Über das Löb-Litsmannsohe Maß der psychischen
Tätigkeit. (Erscheint ausführlich in der Wiener klin. Wochenschrift.)
An der Diskussion beteiligen sich die Herren: Pick, v. Niessl-Mayendorf
und Hartmann.
Herr Mayr (Graz): Die Sekretion des Magensaftes bei einigen paycho-
pathologischen Zustandsbildem (s. Ref. 44 S. 1073). Bei einer größeren Anzahl von
Kranken wurde nach der Methode von Petry die Sekretion von Lab, Pepsin und
Säure untersucht. Die wesentlichsten Ergebnisse lassen sich in drei Sekretionstypen
ausdrücken. Der eine mit sehr geringen Labmengen, geringen Pepsin- und Säure*-
mengen wurde bei Krankheitsbildern mit motorischen, katatonischen Symptomen,
dann bei zwei Fällen von echter Manie gefunden. Den 2. Typus bilden Fülle*
von einfach hebephrenem Stupor und hebephrener Manie mit etwas höherer I^ab-
sekretion und mäßig hoher Säure- und PepsinausBoheidung. Gewisse hysterische
Zustände und einige Fälle von Paranoia bilden den 3. Typus mit geringer Lab-
uud Pepsinsekretion, jedoch erhöhter Säureproduktion. Einfluß anf die Sekretion
hat die Größe der Abwehr und des geäußerten Ekels (da die Untersuchungen
mittels der Nasensonde vorgenommen wurden). Die Nahrungsverweigerung da¬
gegen hat keinen deutlichen Einfluß.
Diskussion: Herr Mayer (Innsbruck) fragt nach Befunden bei Paralyse unn
wundert sich, daß die Ergebnisse der gestörten Magensaftfunktion sich streng an
die Klassifikation halten und nicht an gröbere Symptome.
Herr Hartmann betont, daß der Vortr. sich bemüht hat, gerade die
Schwierigkeit in der Abtrennung der klinischen Bilder vorläufig zu vermeiden
und drei Typen der Magensaftsekretion aufzustellen, daraus seien freilich keine
Schlüsse über Parallelismus und Kausalität dieser Sekretionsvorgänge zur Form
der Psychose zu ziehen.
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1103
Herr Schüller fragt, ob Kontrolluntersuchnngcn bei Geistesgesunden aus¬
geführt wurden.
Herr Pötzl meint, daß die Übereinstimmung der Befunde mit der Gruppierung
nach klinischen Diagnosen gerade in dem einen Punkt einfach dadurch zu er¬
klären seien, daß bei akuten Psychosen mit katatonen Symptomen Zeichen einer
schweren Intoxikation sehr häufig Vorkommen, daß Fälle dieser Art tatsächlich
mit den hebephrenischen Verblödungsprozessen nur äußere Ähnlichkeiten, nicht
aber eine innere Gemeinsamkeit haben.
Herr Pilcz erwähnt einen Fall von katatonem Stupor, wo im Erbrochenen
weder Salzsäure noch Pepsin noch Lab sich fand, so daß ein Kollege die Dia¬
gnose auf Atrophie der Magenschleimhaut gestellt hatte. Plötzlich eines Abends
erhebt sich Patient aus dem Stupor, beginnt zu essen und nimmt nun Wochen
hindurch beliebige Quantitäten der schwerstverdaulichen Speisen zu sich, bis er
plötzlich wieder zu abstinieren beginnt und beim Versuche der künstlichen Er¬
nährung erbricht, so daß er rektal ernährt werden mußte.
Herr Mayer (Innsbruck) unterschätzt die Untersuchungen des Vortr. keines¬
wegs, nur befremdet ihn die Art der Gruppierung, die sich ergibt.
Herr Stransky führt auch Momente an, die gegen die Art der Gruppierung
sprechen.
Herr Mayr führt zum Schlüsse an, daß er die Untersuchung von Paralytikern
unterlassen habe, um schweren organischen Läsionen von vornherein aus dem
Wege zu gehen.
Herr Tandler: Zur Entwicklungsgeschichte des Qeokogehirnes. (Anatom.
Hefte XXXIII.)
Herr Wintersteiner: Augenspiegelbefande bei Psyohosen. Bei diesen
an 1000 Geisteskranken der Klinik von Wagner unternommenen Untersuchungen er¬
gab sich, daß angeborene Augenhintergrundsveränderungen, welche als Degenerations¬
zeichen gedeutet werden dürfen, bei solchen Psychosen gehäuft Vorkommen, welche
auf hereditärer Veranlagung beruhen. So waren bei der Paranoia die positiven
Befunde doppelt so häufig als die negativen, während bei der progressiven Paralyse
die negativen Befunde die positiven ums Doppelte übertrafen. Interessant ist das
Ergebnis bei 111 Fällen von Alkoholpsychosen. Bei 32 hereditär Veranlagten
fanden sich 18 mal positive Spiegelbefunde, unter den 45 ohne hereditäre Belastung
nur 6. Die erworbenen Augenhinlergrundsveränderungen sind bei der progressiven
Paralyse (284 Fälle) am häufigsten. Es fanden sich 52 mit Abblassung der
Papille, 30 mit Atrophie des Opticus (genuine). Nach dem Stadium der Krank¬
heit gruppiert ergeben sich: im ersten Stadium in einem Viertel der Fälle, im
zweiten in etwas über der Hälfte, im dritten in Dreiviertel der Fälle Atrophie.
Bei den Paralytikern überrascht das seltene Vorkommen von Chorioretinitis,
hzw. von Residuen einer Iritis, welche ja zu den häufigsten Manifestationen der
Lues zählen, diese war aber bei der größten Mehrzahl der Paralytiker anamnestisch
nachzuweisen. Dekoloration des Nervus opticus fand Bich in l8°/ 0 , Atrophie
in lO,5°/ 0 , Chorioiditis in 3,86°/ 0 , Iritis in 1,76"/ 0 - Vortr. führt das zurück
auf die Selektion bei der Erkrankung, indem einmal ektodermale, das andere Mal
mesodermale Gebilde affiziert werden. Unter den 111 Alkoholpsychosen war 39 mal
eine Abblassung eines temporalen Papillensektors und 5 mal eine Atrophie des
OptiouB zu konstatieren, was einem Prozentsätze von 39,t! entspricht.
Diskussion: Herr v. Wagner meint dazu, daß die Seltenheit der Chorioiditis
bei Paralytikern ihm schon lange aufgefallen sei. Die Ursache dafür liege darin,
daß ein Antagonismus bestehe zwischen Kranken, welche zu Sekundärerscheinungen
bei Lues disponiert sind und Individuen mit Disposition zur Paralyse.
Herr Wintersteiner stimmt diesen Angaben Wagners bei.
Herr E. Raimann berichtet über 4 Fälle von Melancholie, die planmäßig
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nur ein fremdes Leben angriffen, vor dem Selbstmord zurückschreckten, sich
geradezu zu salvieren versuchten. Diese Fälle erscheinen dem Vortr. theoretisch
von Interesse, sie sind es aber auch praktisch wegen ihrer forensischen Wichtig¬
keit, ihrer Häufigkeit und dem Umstande, daß in keinem Falle die Umgebung, auch
nicht die ärztliche, das drohende Unheil merkte. Es folgt daraus, daß melancho¬
lische und hypochondrische Zustandsbilder immer ernst zu nehmen und unter Auf¬
sicht zu halten sind. Weiter plädiert Vortr. dafür, daß sie nach Begehung ihrer
das menschliche Gefühl abstoßenden, geradezu soheußlichen Morde nicht in die
Heil- und Pfiegeanstalten, sondern in die von v. Wagner postulierten Staats¬
anstalten aufgenommen werden mögen.
Diskussion: Herr Bertze berichtet über den Weiterverlauf zweier dieser
eben vorgebrachten Fälle, von denen der eine bereits ungezählte Selbstmord¬
versuche durch Erhängen unternommen hat. Pat. geht dabei in raffiniertester Weise
zu Werke. Ferner hat er eine Fülle hypochondrischer Klagen. Im zweiten Falle
trat eine Verschlimmerung der melancholischen Verstimmung und Angst ein, die
jedoch in nicht zu langer Zeit in eine auffällige Besserung übergeht Er konnte
schließlich geheilt entlassen werden.
Herr Stransky möchte die Möglichkeit von Verblödungsprozessen bei der¬
artigen Fällen nicht ganz von der Hand weisen. Als Ursache des Deliktes sei
vielleicht melancholische Denkungsweise anzusehen. Er morde, um sich selbst
noch mehr belasten zu können.
HerrRaimann hält in seinen Fällen an der Diagnose Melancholie fest und
führt an, daß der Fall II in dem unmittelbar nach der Tat geschriebenen Testa¬
ment erklärte, er könne seine Frau nicht allein auf der Welt zurücklassen.
Fall IV erklärt, daß sie (die Mutter) ihren Sohn für tuberkulös verloren hielt
und ihm langes und fürchterliches Leiden ersparen wollte, ein Raisonnement, das
für Melancholie spricht.
(Schluß folgt)
V. Vermischtes.
Zweier Jubiläen haben wir mit den besten Wünsohen für die Zukunft zu gedenken:
Am 15. November ist zu Frankfurt a/M. das neue Senckenbergische neurologische
Institut eröffnet worden; gerade vor 25 Jahren begann der Direktor des Institutes. Herr
Prof. Edinger, seine Untersuchungen über die Anatomie des Gehirns.
In Wien feiern am 23. November die Schüler des neurologischen Institutes an der
Universität das 25jährige Gründungsfest des Institutes. Gleichzeitig hiermit wird die Büste
des Gründers und Chefs Hofrat Obersteiner enthält.
Zahlreiche wertvolle Arbeiten sind aus diesen beiden Instituten hervorgegangen, sie
zeigen die Schaffensfreudigkeit und -kraft an, die daselbst walten und sicherlich auch in
Zukunft dort walten werden.
VI. Personalien.
Unserm sehr verehrten Mitarbeiter Herrn Dozent Dr. Pilcz (Wien) ist der Titel eines
a. o. Professors verliehen worden.
Herr Prof. Dr. Fritz Hartmann wurde als Nachfolger Antons zum Direktor der
neurolog.-psychiatr. Klinik in Graz ernannt.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzokb & Wrana in Leipzig.
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Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet Ton Prof. E. MendeL
Herausgegeben
Ton
Dr. Kurt Mendel.
Sechsnndzwanzigster Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907. 1. Dezember. Nr. 23.
Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Zur sakralen Form der Sclerosis multiplex, von
H. Oppenheim. 2. Über die Hervorrufung von Schmerzen bei Ischias durch Hyperextension
der Extremität und über die Unfähigkeit beide Beine zu strecken, von Prof. Dr. W. v. Bach-
terew in St. Petersburg. 3. Traumatische Rückenmarksblutung bei beginnnender Tabes
dorsalis, von Giovanni Salz. 4. Vaguslähmung (vorzugsweise Kehlkopfmuskellähmung) bei
Syringobulbie. Vorläufige Mitteilung von Dr. N. S. Iwanow.
II. Referate. Anatomie. 1. Über den zeitigen Aufbau der Nervenfasern auf Grund
mikrohistochemischer Untersuchungen. I. Teil: Die ehern. Bestandteile des Nerven mar kes,
ihr mikrochem. und farberisches Verhalten, von Reich. 2. Sul nucleo di origine del faoiale
superiore, per Gianelli. 8 . Eine bisher übersehene Wurzel des N. glossopharyngeus und
vagus, von Huguenin. — Pathologische Anatomie. 4. Über Alters Veränderungen
der Ganglienzellen im Gehirn, von Saigo. — Pathologie des Nervensystems.
5. Über die paroxysmelle Tachykardie und ihre Beziehungen zu den Erkrankungen des
Nervensystems, von Schlesinger. 6. Neuralgie, Myalgie, von Peritz. 7. Der Kopfschmerz
und seine physikalische Behandlung, von Riedel. 8. Über Kopfschmerz, von Pinelef.
9. Migraine and hemianopsia, by Thomas. 10. Beitrag zur Erklärung der ophthalmo¬
plegischen Migräne, von Plavec. 11. Über Hypothermie infolge von Migräneanfällen bei
Tuberkulösen, von Mantoux. 12. Neuralgie oder Zahnschmerz? von Berger. 13. Exstirpation
des Ganglion Uasseri und Keratitis neuroparalytica beim Menschen, von Weiss. 14. Über
das Verhalten der Sensibilität im Trigeminusgebiet nach vollständiger Exstirpation des
Ganglion Gasseri, von Pruschinin. 15. Zur Kasuistik der tiefen Resektion des 2. und 3. Trige¬
minusastes bei Neuralgien, von Lissowsky. 16. Ein geheilter Fall von Zygomaticus- und
Infraorbitalneuralgie operiert nach der Bardenheuer sehen Methode (Neurinsarkoklese), von
Grabowski. 17. Drei Fälle von Zungenneuralgie, von Hoeflmayr. 18. Über Interkostal¬
neuralgie, von Janowski. 19 Überein bisher unbekanntes pathognoraonisches Symptom der
Ischias, von Gara. 20. Durch Retroflexio uteri bedingter Fall von echter Ischias, von Offer-
geld. 21. Bemerkungen zur Diagnose und Therapie der Ischias, von Bosänyi. 22. Peri¬
neurale Infiltrationstherapie der Ischias, von Bum. 23. The treatment of sciatica by means
of saline injections, by Hay. 24. Über Nervendehnung, mit besonderer Berücksichtigung
der Neuralgien, von Reich. 25. Über unblutige Nervendehnung bei Neuritis und Neuralgie,
von Pazeller. — Psychiatrie. 26. Klinische Beiträge zur Lehre von den Degenerations¬
psychosen, # von Bonhoeffer. 27. Degeneratie (eene espulatirogene correlatie stoornis), per
Cox. 28. Über eine besondere Form von Gehörshalluzinationen bedingt durch Cerumen-
pfropf, von Stein.
III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten am 11. November 1907. — XXXVIII. Versammlung der südwestdeutschen Irren¬
ärzte in Heidelberg am 2. und 3. November 1907. (Schluß.) — XVII. Kongreß der Psychiater
und Neurologen Frankreichs und französisch sprechender Länder in Genf und Lausanne vom
I. bis 6. August 1907. (Schluß.) — Österreichischer Irrenärztetag in Wien vom 4. bis 6. Ok¬
tober 1907. (Schluß.)
IV. Mitteilung an den Herausgeber.
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I. Origmalmitteilungen.
1. Zur sakralen Form der Sclerosis multiplex. 1
Von H. Oppenheim.
Ich möchte Ihnen heute einen Fall demonstrieren, der eine etwas ungewöhn¬
liche Symptomatologie bietet und mir Anlaß geben wird, über einen speziellen
bisher nicht genügend berücksichtigten Typus einer bekannten Krankheitsform
zu sprechen.
Der 46jährige Herr ist vor 12 Jahren plötzlich erkrankt mit Harnverhaltung
und Schwäche in den Beinen. Bald trat Besserung ein, aber die Blasen-
beschwerden blieben bestehen und äußerten sich besonders in Inkontinenz.
Im Jahre 1906 erneuter Anfall von Blasenlähmung, er ging ins Kranken¬
haus.
Im Juni d. J. dieselben Erscheinungen, dazu drückende und reißende
Schmerzen in den Beinen, ferner Incontinentia alvi, die auch früher schon in
leichterem Grade bestand. Seit 2 Jahren Impotenz.
Keine cerebralen Beschwerden, nur gelegentlich etwas Schwindel
Die geschilderten Symptome deuten ohne weiteres auf das Sakralgebiet des
Rückenmarkes oder die aus ihm entspringenden Wurzeln der Cauda — um so
sicherer, wenn, wie Sie an dem Gange des Patienten sehen, keine wesentliche
Bewegungsstörung in den Beinen vorliegt.
Und in der Tat entspricht dem das Ergebnis der objektiven Untersuchung:
keine wesentliche Motilitätsstörung in den Beinen, keine Anästhesie an denselben,
dagegen: völliges Fehlen des reflektorischen Sphinkterschlusses für den Anus.
Fehlen des Analreflexes und eine leichte, aber sichere cirkumanale Anästhesie
für Berührungen und Schmerzreize.
Aber mit dieser Annahme einer auf den Conus beschränkten Erkrankung
deckt sich der weitere Befund nicht. Zunächst deutet freilich das Fehlen des
linken Fersenphänomens auf denselben Sitz, aber die Kniephänomene sind un¬
gewöhnlich lebhaft und es läßt sich beiderseits das BABmsKi’sche Zeichen, rechts
das dorsale Unterschenkelphänomen auslöscn und schließlich fehlt der Bauch¬
reflex, der übrigens vor einiger Zeit noch schwach auslösbar war.
Das ist der Status praesens.
Wir müssen also doch mehrfache Herde annehmen.
Damit kommen wir dann gleich zu einer bestimmten Diagnose. Es kann
sich wohl nur um Lues spinalis oder multiple Sklerose handeln.
Auch die Art der Entwicklung in Schüben, unter Remissionen und Exa¬
cerbationen, würde mit dieser Annahme im Einklang stehn.
Bezüglich der Lues kann ich zunächst nur soviel sagen, daß sie in Abrede
gestellt wird, und daß jeder Anhaltspunkt für diese Annahme fehlt
1 Nach einer Krankendemonstration in der Novembersitzung der Berliner Gesellschaft
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
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Wie steht es aber mit der Diagnose Sclerosis multiplex?
Mit unsern früheren Anschauungen würde diese Diagnose im vollen
Widerspruch stehen. Ich habe dann aber gezeigt, daß Störungen der Blasen*
Mastdarmfunktion nicht eine seltene, sondern eine recht häufige Erscheinung bei
Scler. mult bilden, und es ist das von v. Frankl-Hochwabt, E. Müller u. a.
vollauf bestätigt worden.
Immerhin handelt es sich da meist um leichtere, temporäre Störungen, hier
aber stehen sie im Vordergründe, hier handelt es sich geradezu um den vesiko*
ano-genitalen Symptomenkomplex.
Nun, mit der multiplen Sklerose ist es ja eigentümlich gegangen. Wir
haben immer neue Spezialformen derselben kennen gelernt, deren Wesen be*
sonders darin beruhte, daß sich das Leiden trotz seines multilokulären Charakters
doch in einer Gruppe von Fällen in diesem Bezirk, in einer anderen in jenem
Bezirk festsetzt, daß es häufig nicht nur von einem bestimmten Abschnitt des
Nervensystems ausgeht, sondern auch für lange Zeit bzw. für Jahre an diesem
festhaftet, bzw. immer wieder sich dort ansiedelt Ich erinnere Sie an die oku¬
läre, optische Form, an die von mir erschlossene und auf meine Anregung von
Cassirer ausführlich beschriebene cervikale Form, an die bulbäre, cere-
bellare usw.
Ich möchte heute von der sakralen Form der multiplen Sklerose sprechen,
und zwar nicht nur auf Grund dieses Falles, sondern eines halben Dutzend
derartiger Fälle, die ich gesehen und zum Teil weiter verfolgt habe.
Es bleibt ja hier der Einwand, daß es sich vielleicht doch um einen spezi¬
fischen Prozeß handelt, aber da muß ich auf meine weiteren Beobachtungen, die
ich bald zusammenstellen zu können hoffe, verweisen. Auch möchte ich noch die Be¬
merkung anfügen, daß der Entwicklung der Lehre von der Sclerosis multiplex
nichts so sehr im Wege gestanden hat, als die bei vielen Elinikem herrschende
Tendenz, für alle möglichen sonst schwer zu deutenden Erankheitsbilder, nament¬
lich wenn sie zu Remissionen neigen, die Lues verantwortlich zu machen.
2. Über die Hervorrufung von Schmerzen bei Ischias durch
Hyperextension der Extremität und über die Unfähigkeit
beide Beine zu strecken. 1
Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg.
Außer den längst bekannten V ALLEix’schen Schmerzpunkten ist als hervor¬
ragendes diagnostisches Merkmal der Ischias das LASiouE’sche Symptom zu
nennen, bestehend in Schmerzen beim Erheben der affizierten Extremität im
Liegen. Das BoNNET’sche Merkmal besteht im Auftreten von Schmerzen bei
Adduktion der affizierten Extremität.
1 In der rassischen Literatur erschien eine
heft der Zeitschrift Obosrenie psichi&trii.
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Beschreibung dieses Symptomes im April-
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Als besonderes diagnostisches Merkmal der Ischias bezeichnet neuerdings
Montabd-Mabtin das Auftreten von Schmerzen in der neuralgischen Extre¬
mität bei Flexion des gesunden Beines im Hüftgelenk. Diese „kontralaterale"
Schmerzen, gewöhnlich in der Gesäßgegend oder öfter am Tuber ischiadicum,
stellen sich nach M. bei einer Flexion der gesunden Extremität ein, deren Grad
je nach dem Fall wechselt, gewöhnlich aber größer ist, als die Ausgiebigkeit der
Flexion im Hüftgelenk der kranken Extremität, die nötig ist, um gleichstarke
Schmerzen hervorzurufen. 1
Ich habe dieses Symptom schon 1906 bemerkt und in einer Reihe von Fällen
näher verfolgt Nach meiner Beobachtung ist es recht konstant in Fällen von
Ischias wurzeligen Ursprunges und besonders bei Ischiasschmerzen im Anschluß
an Neubildungen des Cauda equina-Gebietes, in welch letzterem Falle die Schmerzen
bei Flexion des Oberschenkels der gesunden Seite in der Tiefe der Kreuzbein-
gegend auftreten. In anderen Ischiasfällen habe ich das Symptom vermißt
In der klinischen Praxis übe ich schon seit längerer Zeit ein Verfahren,
das sich mir am Krankenbett als konstantes und bequemes diagnostisches Merk¬
mal der Ischias bewährt hat. Faßt man die kranke Extremität am Unter¬
schenkel und sucht man sie so zu erheben, dann flektiert der Kranke das Knie¬
gelenk, um so instinktiv einer Hyperextension des N. isohiadicus entgegenzu¬
wirken. Übt man nur mit der Hand einen Druck auf das Knie aus, um die
Extremität gerade zu richten, so treten Schmerzen im Verlaufe des Ischiadicus
auf, insbesondere in der Wade und am Tuber ischiadicum. Bei diesem Ver¬
fahren ergibt sich, daß die auftretenden Schmerzen durch Hyperextension des
erkrankten Nerven bedingt sind. Das Flektieren des Kniegelenkes bei Erheben
der ganzen Extremität geschieht, um einer Überdebnung des affizierten Nerven
vorzubeugen.
In letzter Zeit bat man mehrfach das Erscheinen des KEBNio’schen Sym-
ptomes bei der Ischias bemerkt Auch mir ist dieses Symptom bei Ischias auf¬
gefallen. Es ist nach meinen Beobachtungen in allen Fällen reflektorisch be¬
dingt und hängt direkt von den bei Streckung oder Dehnung des Beines ein¬
setzenden Schmerzen ab.
In Fällen neuralgischer Schmerzen im Bereich des Ischiadicus, die von
Neubildungen der Cauda equina-Gegend abhängen, konnte ich mit dem ge¬
schilderten Handgriff Schmerzen nicht nur im Verlaufe des Nerven, sondern auch
in der Tiefe der Lendengegend erzielen. In solchen Fällen von Erkrankung der
Cauda equina, die mit Schmerzen im Ischiadicus des einen Beines verlaufen,
bewirkte nicht nur Hyperextension dieses Beines bei flektiertem Knie Schmerzen
im affizierten Ischiadicus und in der Tiefe der Sakralgegend, sondern auch Hyper-
extension des gesunden Beines erzeugte unter gleichen Verhältnissen Schmerzen
in der Tiefe der Sakralgegend und im affizierten Ischiadicus.
Auch bei anderen Neuralgien ruft Hyperextension bzw. Überdehnung des
1 Society des höpitaux zu Paris, Sitzung vom I. Februar 1907. Vcrgl. Vraiebn. gas.
1907. S. 194.
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N. ischiadicus, wo dies erzielbar, Schmerzen im Verlauf des Nerven hervor. Das
Merkmal gilt daher allgemein für alle Arten der Neuralgie.
Ferner ist mir in den einzelnen hochgradigen Fällen der Ischias eine eigen*
tümliohe Erscheinung an der unteren Extremität aufgefallen.
Bei schwerer Ischias kann die kranke Extremität im Sitzen gewöhnlich nur
bis zu einem gewissen Winkel gestreckt werden (KBBNio’sches Symptom).
Läßt man den Kranken aber das gesunde Bein ausstrecken, dann vermag
er das kranke fast gar nicht mehr zu strecken: sucht der Kranke zuerst das
kranke Bein auszustrecken, so vermag er nicht gleichzeitig auch das andere
gerade zu richten. Und doch kann er jedes Bein für sich strecken, nur daß
das kranke eine Winkelstellung des Kniegelenkes dabei behält
Dieses merkwürdige Symptom geht, sobald die Ischiasschmerzen nachlassen,
allmählich zurück. Es ist ein Anzeichen von schwerer Erkrankung.
Ein damit bis zu einem gewissen Grade ähnliches Symptom beschreibt
Grassbt bei organischen Paralysen. 1 Die betreffenden Kranken können beide
Beine nicht gleichzeitig heben, wohl aber das gelähmte Bein für sich.
Nach Ansicht von Bychowsky ist dieses Symptom bei Hemiplegien durch
bilateralen Einfluß der gesunden Hemisphäre bedingt; beim Erheben der kranken
Extremität allein sei die gesunde Hemisphäre stärker beteiligt, als in dem Fall,
wenn beide Beine zugleich gehoben werden. Grasset bestreitet diese Auflassung;
bei den Bewegungen spielen immer zwei Faktoren eine Bolle, nämlich einerseits
die Muskelkraft, die zur Bewegung dient, und die Muskelkraft, deren es zur
Fixation des Stützpunktes bei der Bewegung bedarf. Wenn jemand im Liegen
ein Bein heben will, so stützt er sich auf den Rumpf und auf das andere Bein;
werden aber beide Beine gehoben, dann wirkt der Rumpf allein als Stütze und
es bedarf dann seitens der Beine einer stärkeren Anstrengung als im ersten
Falle.
Zum Beweise dafür betont Grasset folgendes: 1. das vom ihm beschriebene
Symptom tritt manchmal im Anfangsstadium der Paraplegia inferior auf, wo
also von einer Kompensation seitens der gesunden Hemisphäre keine Rede sein
kann; 2. ein Gesunder hebt im Liegen mit einem Beine eine größere Last, als
mit beiden Beinen; 3. hat der Kranke die gelähmte Extremität gehoben, dann
sinkt sie wieder herab, sobald der Arzt das zweite Bein erhebt; 4. bei Hemi-
plegikem erfolgen bilaterale Bewegungen überhaupt leichter als unilaterale;
5. einige Kranke können beide Beine gleichzeitig heben, wenn man durch Druck
auf die Crista ileum ihnen hilft, das Becken zu fixieren.
Was das von mir beschriebene Symptom betrifft, so liefert weder Bychowsky’s
noch Grasset’s Auffassung dafür eine Erklärung. In meinem Falle konnte von
einer gesunden oder kranken Hemisphäre nicht die Rede sein, sondern beide
waren gesund, und es handelte sich um eine periphere Affektion. Grasset’s
Erklärung ist hier unzulänglich, denn das Symptom wurde in meinem Falle bei
sitzender Haltung beobachtet, wo beim Erheben eines oder beider Beine der
Stützpunkt derselbe bleibt.
1 Revue neurolog. 1907. Nr. 6.
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Die Entstehungsweise des von mir beschriebenen Symptomes hängt, wie es
scheint, zusammen mit der Verteilung der Innervation bei einseitiger und zwei¬
seitiger Muskelkontraktion. Durch den Druck einer Hand können wir am
Dynamometer eine größere Wirkung erzielen, als bei gleichzeitigem Zusammen¬
drücken beider Hände. Das gleiche gilt von den Extremitäten. Bei der Ischias
ist die motorische Kraft der kranken Extremität unzweifelhaft herabgesetzt, was
auch objektiv (auf Widerstand z. B.) nachweisbar ist und nicht selten Hinken
erzeugt. Infolge dieser Herabsetzung der Muskelkraft kann die kranke Extre¬
mität für sich gestreckt werden; wird aber der Versuch gemacht, gleichzeitig
auch das gesunde Bein auszustrecken, dann reicht der Innervationsstrom nicht
mehr hin, um auch das kranke in gestreckter Lage zu erhalten. Wurde zuerst
das gesunde Bein ausgestreckt, dann erweist sich die Innervationsenergie bei dem
Versuch, das kranke Bein zu heben, bei ihrer bilateralen Verteilung nicht stark
genug, um das kranke Bein gerade zu streoken.
Jedenfalls aber ist das hier erörterte Symptom, soviel ich weiß, bei der
Ischias bisher nicht bemerkt worden; es verdient als neues diagnostisches Merk¬
mal schwerer Ischiasformen beachtet zu werden.
[Ans dem Nervenambulatorium der Poli&mbalanz zu Triest.]
(Vorstand: Prof. Dr. A. Marina..)
3. Traumatische Rückenmarksblutung bei beginnender
Tabes dorsalis.
Von Dr. Giovanni Sais.
Es erscheint mir der vorliegende Fall einer Veröffentlichung wert, da er
die Kombination einer Systemerkrankung und einer akuten akzidentellen Bücken¬
markserkrankung wiedergibt
Anamnese. Es handelt sich um einen 40jährigen intelligenten Maurer.
Vater Potator. Patient fiel mit 5 Jahren von einem Baum herunter und trug
eine Verletzung an der rechten Supraorbitalgegend davon. Ob er Kommotions-
erscheinungen dargeboten hat, ist nicht bekannt. Bis zum 25. Jahre schwerer
PotuB (drei und mehr Liter Wein), in den letzten 15 Jahren mäßiger Alkohol¬
genuß. Mit 20 Jahren Tripper, mit 32 Schanker ohne Sekundärerscheinungen:
wurde örtlich behandelt. Sonst stets gesund.
Am 15./XU. 1906 stürzte er von der II. Etage eineB Neubaues herunter.
Er stieß zunächst gegen das Gerüst des ersten Stockwerkes und fiel dann auf
die Straße hinab. War durch 1 / 2 Stunde bewußtlos; kein Erbrechen. Er kann
nicht angeben, wie er gefallen sei. Er trug eine Fraktur der linken Fibula in
der Supramalleolargegend und eine Riß- und Quetschwunde an der linken Ohr¬
muschel davon. Einige Blutstropfen quollen aus dem linken äußeren Gehörgang
hervor. Als er wieder zu Bewußtsein kam, merkte er sofort, daß der linke Arm
vollständig gelähmt war, und daß er den Muud nur auf wenige Millimeter öffnen
konnte. Eine Verletzung der Knochen und Gelenke konnte nicht nachgewiesen
werden; der radioskopische Befund war negativ.
An den unteren Extremitäten wurde ein Gipsgehverbond angelegt^ und die
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Fraktur war nach 40 Tagen geheilt. Die Lähmung der oWeu Extremität
blieb zum Teil hartnäckig bestehen; im Laufe der nächsten Wochen nahm zwar
die Hand- und Vorderarmmuskulatur ihre Funktion teilweise wieder auf, aber der
Oberarm blieb gelähmt. Dabei fehlten Parästhesien und Schmerzen vollständig.
Erst 1 Monat nach dem Trauma traten durch einige Tage — zur Zeit der strengen
Winterkälte — ganz leichte Schmerzen an der Außen- und Innenseite des linken
Oberarmes auf, doch diese verschwanden spurlos. Nach 2 1 / 2 Monaten klagte Pat.
durch zwei Wochen über Stiche an der Dorsalfläche der Mittel- und Endphalanx
des linken Zeigefingers; doch auch diese Schmerzen traten bald vollständig zurück.
Erscheinungen von seiten der rechten oberen Extremität und von seiten der
unteren Extremitäten fehlten, ebenso fehlten Hlasen-Mastdarmstörungen vollständig.
Der NervenstatuB wurde wiederholt, zum erstenmal 15 Tage nach dem Trauma,
aufgenommen. Der Befund war im großen ganzen stets derselbe. Ich gebe hier
einen Auszug aus dem letzten
Status praesens wieder (3i/IV. 1907).
Wohlgenährter kräftiger Mann. Kopfperkussion nicht empfindlich.
N. olfactorius o. B.
Linke Pupille um 1 / 3 weiter als die rechte (doch schwankte dieses Verhalten
sehr; an manchen Tagen war umgekehrt die rechte Pupille weiter als die linke).
Beide unregelmäßig. Die rechte Pupille ist vollständig lichtetarr; die linke
reagiert auf Licht sehr träge und mit minimaler Exkursion. Beide reagieren
prompt auf Akkommodation und Konvergenz. Fundus und Gesichtsfeld normal.
Bulbusbewegungen frei. Kein Nystagmus.
Sensibler Trigeminus o. B. Kornealreflex prompt.
Kraft der Kaumuskulatur gut erhalten. Masseterenreflex vorhanden, nicht
gesteigert. Bei geöffnetem Munde deutliche Abweichung des Unterkiefers nach
links. (In den ersten 2 Monaten bestand Unvermögen den Mund weit zu öffnen
[auch passiv]; Patient konnte den Unterkiefer nur auf wenige Millimeter vom
Oberkiefer entfernen.) Fazialis symmetrisch.
Vestibularis und Cochlearis o. B.
Zungenbewegungen frei. Zunge nicht atrophisch. Keine Bißnarbe.
Schlucken normal.
Linke obere Extremität: Erhebliche Atrophie der Mm. deltoides, biceps,
brachialis, sup. long. und triceps. Die Konturen dieser Muskeln sind fast voll¬
ständig verschwunden. Die Funktion dieser Muskeln ist vollständig aufgehoben.
Leichte Atrophie der Mm. supra-infraspinatus, serratus, rhomboidei. Fibrilläre
Zuckungen nicht nachweisbar. Parese dieser Muskeln sowie des M. subscapularis,
Pectoralis und Latissimus dorsi, der Pro- und Supinatoren, sowie aller Vorder¬
arm-, Hand- und Fingermuskeln. Leichte Parese des Cucullaris und Lev. ang. scap.
Alle letztgenannten Muskeln bewahren ihr normales Volumen.
Elektrische Untersuchung: Vollständige Entartungsreaktion im Deltoi-
deus, Biceps, Brachialis; unvollständige Entartungsreaktion (sehr träge Zuckung
bei direkter galvanischer Beizung; keine Zuckung bei indirekter galvanischer
Beizung; minimale Zuckung bei faradischer Beizung) am Sup. long. und Triceps.
Quantitative Veränderungen (leichte Herabsetzung der Erregbarkeit bei prompter
Zuckung) an allen Vorderarm-, Hand- und Fingermuskeln; leichte Steigerung der
elektrischen Erregbarkeit (bei prompter Zuckung) im N. accessorius und im
M. cucullaris.
Die Lähmung ist schlaff. Der Trizepsreflex fehlt links, ist rechts deutlich
vorhanden. Der Skapularreflex von Bechterew fehlt beiderseits. Periostreflex
vom Badiusende symmetrisch.
Handklonus links.
Sensibilität: Berührungen werden überall gut empfunden und richtig
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lokalisiert. Nur am Daumen und Zeigefinger ist der Lokalisationsfehler im Durch¬
schnitt etwas größer als rechts. Analgesie und Thermanästhesie im Bereich
des Daumens, Zeigefingers, teilweise auch des Mittelfingers (vorwiegend die radiale
Hälfte desselben, und zwar alle 3 Phalangen betreffend), im Bereich der radialen
Hälfte des Vorderarmes und der Außenseite des Oberarmes. Die Thermanalgesie
reicht bis 5 Querfinger unter dem Akromion (in den ersten 2 Monaten nach dem
Unfall reichte die Thermanalgesie bis zum Akromion). An der oberen Grenze
des thermanalgetischen Feldes ist keine hyper ästhetische Zone nachweisbar. Im
Bereich der Thermanalgesie besteht Pallanästhesie. Bathyästhesie normal
Stereognose geschädigt wegen der Parese der Handmuskeln.
Die Plexus brachialis sind beiderseits oberhalb des Schlüsselbeines ganz
leicht druckempfindlich.
Die Haut an der Dorsalfläche aller Finger ist atrophisch, gespannt, faltenlo6,
glänzend.
Callus an der linken Fibula oberhalb des Malleolus ext. An den unteren
Extremitäten besteht leichte Hypotonie. Sonst ist die Motilität, Sensibilität
(auch Bathyästhesie) an den unteren und an dem rechten oberen Gliedmaße
normal. Die Nervenstämme an den unteren Extremitäten sind nicht druck¬
empfindlich. Rein Las&gue.
Pate Harr eflexe: rechts mit Jendrassik spurweise erhältlich, links erloschen.
Achillessehnenreflex: fehlt beiderseits.
Schmerz auf Druck der Achillessehne gering (Abadib).
Sohlenreflex beiderseits plantar.
Abdominal- und Kremasterreflex prompt.
Es besteht kein Tremor, keine Ataxie, kein Romberg. Sprache o. B.
Innere Organe o. B. Herztöne rein. Mäßige Arteriosklerose.
Wir wollen zunächst von der Papillenstarre und den fehlenden Sehnen¬
reflexen an den unteren Extremitäten absehen und wenden unser Augenmerk
auf die Lähmung der linken oberen Extremität.
Es besteht daselbst vollständige schlaffe Lähmung mit Atrophie und Ent¬
artungsreaktion an den vier vom EnB’schen Punkt aus erregbaren Muskeln
(Deltoideus, Bizeps, Brachialis, Sup. long.), sowie am Trizeps. Schulter¬
gürtel-, Vorderarm- und Handmuskeln sind paretisch. Der Trizepsreflex fehlt;
es besteht Handklonus. Außerdem ist eine dissoziierte Empfind ungslähmung im
Bereich der radialen Hälfte der linken oberen Extremität nachweisbar.
Sitzt die Läsion im Plexus brachialis, in den Wurzeln oder im Rücken¬
mark?
Gegen eine Plexusläsion spricht die Gruppierung der paretischen Muskeln.
Eine Plexusläsion könnte uns die Lähmung der Oberarmmuskeln und die Parese
der Hand- und Vorderarmmuskeln erklären. Doch finden wir hier eine Parese
der Rhomboidei, des Serratus, des Cucullaris und des Lev. ang. Die zwei letzten
Muskeln werden vom N. accessorius innerviert und könnten daher bei einer
Läsion, welche bloß den Plexus brachialis betrifft, nicht in Betracht kommen.
Aber auch schon das Mitergriffensein des Serratus und der Rhomboidei spricht nach
einigen Autoren (Gbenet, W abrington und Jones) für eine höher sitzende
(inter- oder intravertebrale) Läsion, weil die entsprechenden Nerven (N. thoracicus
longus für den Serratus und N. dorsaüs scapulae für die Rhomboidei) schon
hochoben vom Plexus abgehen.
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Ferner spricht gegen eine Plexusläsion das vollständige Fehlen von Par-
ästhesien und das völlige Zurücktreten von Schmerzen. Die leichten vorüber¬
gehenden Schmerzen in einem umschriebenen Gebiet müssen eher auf die strenge
Winterkälte und auf die Cirkulationsstörungen in der gelähmten Extremität
zurückgeführt werden. Der Plexus ist kaum druckempfindlich; übrigens bestand
dasselbe Verhalten auch auf der gesunden Seite! Auch die dissoziierte Em¬
pfindungslähmung spricht im Verein mit den anderen Faktoren gegen den Sitz
im Plexus.
Eine Wurzelläsion ist aus denselben Gründen abzulehnen. Bei den
Wurzelläsionen treten Reizerscheinungen in den Vordergrund, lanzinierende
Schmerzen, Parästhesien, Hyperästhesien, Spasmen, Reflexsteifigkeit der Wirbel¬
säule, während hier die Lähmungserscheinungen durchaus das Krankheitsbild
beherrschen. Die Wirbelsäule war stets frei beweglich; Schmerzen in der
Gegend der Halswirbelsäule traten nie auf.
Wenn wir den Prozeß in das Rückenmark verlegen, so werden uüs alle
Symptome, die Patient darbietet, leicht verständlich. Wir müssen einen Herd
annehmen, der die graue Substanz im Bereich des 5. und 6. linken Cervikal-
segmentes zerstört, denn wir finden atrophische Lähmung mit Entartungsreaktion
im Bereich der vom EsB’schen Punkt aus erregbaren Muskeln. Es wird uns
auch die Läsion der Rhomboidei, Serratus, Supra-Infraspinatus, Pectoralis ver¬
ständlich, weil diese den größten Teil ihrer Fasern aus diesen Segmenten be¬
ziehen. Die atrophische Lähmung mit Entartungsreaktion des Trizeps deutet
uns das Mitergriffensein des Vorderhorns des 7. Halssegmentes an.
Die dissoziierte Empfindungslähmung im Bereich der radialen Hälfte der
linken oberen Extremität (Thermanalgesie und Pallanästhesie bei intakter tak¬
tiler Empfindung und Bathyästhesie) findet in der Zerstörung des Hinterhorns
des 5. bis 7. linken Halssegmentes ihre Erklärung.
Die Parese der Vorderarm-, Hand- und Schultergürtelmuskulatur muß als
indirektes Herdsymptom aufgefaßt und auf Cirkulationsstörungen, auf den Druck,
den der primäre Prozeß auf die zunächst höheren und tieferen Segmente ausübt,
zurückgeführt werden. Eine Parese des Diaphragma, welche bei Kompression
des vierten Cervikalsegmentes auch mit in Frage käme, konnte nicht festgestellt
werden. Doch ist dies ein Symptom, welches sich allzu leicht der Beobachtung
entzieht Die Parese des Lev. ang. scap. und des Cucullaris wäre auf die Be¬
einträchtigung, welche die Ursprungskerne der spinalen Accessoriuswurzel, die
ja bis in das 3. Cervikalsegment bin unterreicht, durch Cirkulationsstörungen oder
durch Kompression von Seiten des primären Erkrankungsberdes erleiden, zurück¬
zuführen.
Den Handklonus können wir vielleicht damit erklären, daß der Erkrankungs¬
herd im Bereich der grauen Substanz die angrenzenden Fasern der Pyramiden¬
seitenstrangbahn in Mitleidenschaft zieht Nun sind gerade diejenigen Pyramiden¬
fasern, welche mit den nächst unteren Vorderhörnern in Beziehung treten, der
grauen Substanz naturgemäß am nächsten und diese werden daher am ehesten
geschädigt werden. Die Läsion der Pyramidenfasem hat den Klonus zur Folge.
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Der Klonus wäre in unserem Falle als indirektes Herdsymptom aufzufassen.
Damit stimmt auch das starke Schwanken der Intensität dieses Symptoms gm
überein; an manchen Tagen kaum auslösbar, trat der Klonus an anderen Tagen
fast spontan anf. Sollte dieser Befund in anderen ähnlichen Fällen Bestätigung
finden, so könnte dieses Zeichen eine gewisse Bedeutung erlangen zur Diagnose
von Prozessen, welche in den grauen Hinterhörnern des 5. bis 7. Cervikalsegmentes
sich befinden.
Das plötzliche, geradezu apoplektiforme Einsetzen aller Erscheinungen nach
einem Trauma, läßt mit Sicherheit die Diagnose auf eine Blutung stellen.
Die Erweichung, Myelomalacie, würde uns nicht die elektive Zerstörung der
grauen Substanz erklären. Alle anderen Prozesse, die eventuell in Frage kommen
könnten, selbst die akute Myelitis, verlaufen viel langsamer. Es ist bekannt,
daß Rückenmarksblutungen vorwiegend die graue Substanz betreffen, und daß
die Halsanschwellung einen Prädilektionsort für diese Blutung abgibt Es ist
möglich, daß die bestehende mäßige Arteriosklerose (falls sie sich auch auf die
Rückenmarksarterien erstrecken sollte) beim Zustandekommen der Blutung be¬
günstigend gewirkt hat. Nach Doerb spielen bei der spontanen Rückenmarks-
blntung Veränderungen der Gefäßwände gar keine Rolle. — Die Blatung
würde die graue Substanz des linken 5., 6. und teilweise auch des
7. Cervikalsegmentes zerstört haben.
Nun bietet Patient rechts das ABGYLL-RoBEBTSON’sche Phänomen und auch
links ist die Licbtreaktion äußerst dürftig, während die Konvergenzreaktion und die
akkommodative Reaktion gut erhalten ist. Einige Autoren, in erster Linie Bach,
lokalisieren das Pupillenreflexcentrum im untersten Abschnitt der Med. oblong,
oder im obersten des Halsmarkes. Wir müssen erwägen, ob nicht die Hämato-
myelie dieses hypothetische Centrum, das im Hinterstrang, zwischen dem Gonn-
schen und BunDACH’schen Strang, in der sogen. BECHTEBEw’schen Zwischenzone
zu suchen wäre, zerstört oder wenigstens dessen Funktion indirekt beeinträchtigt
haben könnte. Wir müssen eine solche Auffassung von vornherein ablehnen,
weil Patient das AnoYLn-RoBEBTSON’sche Phänomen beiderseits darbietet, sogar
auf der rechten gesunden Seite in noch höherem Grade als auf der linken
Seite, der Seite der Rückenmarksläsion. Übrigens verhält sich die Mehrzahl der
Autoren gegenüber der Rolle, welche die BECHTEREw'sche Zwischenzone für das
Zustandekommen des Pupillenlichtreflexes spielen sollte, recht skeptisch gegen¬
über. Denn die meisten neigen zur Annahme eines cerebralen und eines peri¬
pheren Pupillenreflexoentrum8, welch letzteres im Ganglion ciliare zu
suchen ist
Unser Patient bietet außer dem ABGYLL-RoBEBTSON’schen Phänomen das
WESTPHAii’schen Zeichen (links fehlt der Patellarsehnenreflex vollständig, rechts
mit Jendbassik spur weise erhältlich); Achillessehnenreflexe fehlen beiderseits.. Der
Schmerz auf Druck der Achillessehne ist sehr gering (Abadie). Es besteht
beiderseits Hypotonie. Wir haben allen Grund, die Koexistenz eines tabischen
Prozesses anzunehmen, welcher mit dem vor 8 Jahren akquirierten Ulcus in
Beziehung zu bringen ist. Sicherlich bestand die Tabes schon vor dem Trauma
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und sie wurde gleich bei der ersten Untersuchung nach dem Trauma festgestellt.
Multiple kleine ftlutungen im Rückenmark als Ursache des Erloschenseins der
Reflexe anzunehmen, erscheint gekünstelt, um so mehr als man das Abgyll-
RoBBBTsoN’sche Phänomen damit auch erklären müßte. Ich erwähne ausdrück¬
lich, daß Patient nie an lanzinierenden Schmerzen gelitten hat, nie Blasen¬
störungen, Parästhesien, Krisen, Doppeltsehen usw. dargeboten hat. Objektiv
ist auch die tiefe Sensibilität und die Schmerzempfindlichkeit an den unteren
Extremitäten normal, der Augenhintergrund ist intakt. Nichtsdestoweniger er¬
scheint mir die Diagnose Tabes zur Genüge erhärtet
Wir sehen somit hier eine Hinterstrangsklerose, welche zurzeit
vorwiegend das Lendenmark betrifft, mit einer Blutung in der
grauen Substanz des Halsmarkes vereint.
Patient konnte dnrch 2 Monate den Mnnd nicht öffnen; jetzt bemerkt man
bei geöffnetem Munde eine deutliche Abweichung des Unterkiefers nach links.
Man hätte einen Augenblick daran denken können, ob nicht der hämorrhagische
Herd im 5. bis 7. Cervikalsegment die spinale Trigeminuswurzel, welche in den
obersten Cervikalsegmenten nachweisbar ist, gereizt und dadurch Trismus bedingt
haben könnte. Doch muß man diese Annahme ohne weiteres fallen lassen, weil
die spinale Trigeminuswurzel eine rein sensible Bahn ist. Die motorischen Fasern
des Trigeminus stammen auB dem Nucleus masticatorius und aus der cerebralen
Trigeminuswurzel. Nach meinem Erachten lag hier eine Infraktion der knöchernen
Wand des linken äußeren Gehörganges vor. Diese Infraktion kommt durch
Traumen zustande, welche den Unterkiefer von der Seite treffen und gibt sich in
dem Unvermögen den Mund zu öffnen kund. Der otoskopische Befund, welcher
jedoch leider erst 3 Monate nach dem Unfall aufgenommen wurde, ergab normales
Verhalten des äußeren Gehörganges. Doch muß man bedenken, daß sofort nach
dem Trauma einige Blutstropfen aus dem äußeren Gehörgang geflossen waren;
auch die Abweichung des Unterkiefers nach links läßt auf eine Läsion schließen,
welche nur die linke Seite betrifft und somit dem rechten M. pterygoideus ext.
ein Übergewicht gegenüber dem linken verschafft. Der M. pteryg. ext. schiebt
bekanntlich den Unterkiefer nach der entgegengesetzten Seite.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. Mabina für die Unter¬
stützung sowie für die liebenswürdige Überlassung des Falles meinen ergebensten
Dank auszusprechen.
4. Vaguslähmung (vorzugsweise Kehlkopfmuskellähmung)
bei Syringobulbie. 1
[Vorläufige Mitteilung.]
Von Dr. N. S. Iwanow,
Assistenten der Universitäts-Nervcnklinik zu Moskau.
In den ersten Arbeiten über Syringomyelie (Roth, Kahleb, Schultz u. a.)
sind bereits Bulbärsymptome erwähnt. Eine ausführliche Beschreibung und
Abgrenzung eines besonderen Typus dieses Leidens — der Syringobulbie —
finden wir zuerst in Schlesingeb’s Monographie. Aber auch bis jetzt existiert
1 Vortrag auf dem Pirogotfschen Ärztekongreß am 30. April 1907.
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die Syringobulbie nicht als selbständige Krankbeitsform, sie gilt bloß dann als
erwiesen, wenn die Symptome der Syringomyelie vorhanden änd. Im Laufe
der letzten 3 Jahre hatte ich Gelegenheit 40 Fälle von Syringobulbie zu sammeln,
die ich demnächst veröffentlichen werde. Hier liegt es mir daran, eine eigen¬
artige Kehlkopfmnskelstörung zu beschreiben. Nach Sohlbsingrb läßt die
Rekurrenslähmang bei Syringomyelie dieselben Stadien erkennen, wie eine
centrale Rekurrenslähmung aus anderen Ursachen, zuerst scheint Postikuslähmung
aufzutreten, der dann rasch komplette Rekurrenslähmung folgt. Die Lähmungen
sind bei Syringomyelie, im Gegensatz zur Tabes, in der Regel nur einseitig.
Eine derartige stereotype Affektion der Kehlkopfmuskeln bei den verschiedensten
Erkrankungen der Medulla oblongata erweckte in mir Zweifel. Mit Rücksicht
auf den langsam fortschreitenden Krankheitsprozeß und auf die Ausdehnung des
Vaguskemes war bei der Syringobulbie ein der Gliosis der Vorderhömer
analoges Krankheitsbild zu erwarten, und zwar mehr oder minder starkes Be¬
fallensein einzelner Muskeln bei Intaktheit der übrigen vom selben Nerv ver¬
sorgten. Von diesem Gesichtspunkte aus wurden meine Kranken vom Laryngo-
logen Dr. A. Th. Iwanoff untersucht Unsere Erwartungen wurden bald be¬
stätigt: 35 Patienten mit Syringobulbie (im Ganzen waren ihrer 40) wurden
laryngologisch untersucht Bei 28 waren Kehlkopfstörungen vorhanden. Ver¬
gleichsweise sei erwähnt, daß Lamacq bei 52 aus der Literatur gesammelten
Fällen von Syringobulbie 21 mal, Schlesingeb 12 mal Kehlkopfstörungen ge¬
funden haben. Doppelseitige Lähmung traf Schlesingeb bei einem seiner
Patienten und 5 mal in der Literatur. Ich fand unter meinen Fällen 12 mal
doppelseitige Kehlkopflähmung. Rekurrenslähmung mit anfänglicher Postikus¬
lähmung oder ohne sie halten Schlesingeb u. a. für typisch bei der Syringo¬
bulbie, ich fand nur in 7 Fällen das typische, in 21 Fällen ein atypisches Bild.
Letzteres ist aber meiner Meinung nach für die Syringobulbie charakteristisch.
Auf Grund meiner Fälle komme ich zu folgendem Schluß: der Syringobulbie
ist eine elektive Störung einzelner Kehlkopfmuskeln oder Muskelgruppen eigen,
z. B. Lähmung der Mm. thyreoarytaenoidei interni oder M. postici plus Lähmung
noch eines Muskels oder fast völlige Lähmung des N. recurrens, wobei irgend
ein Muskel oder bloß einzelne Muskelbündel erhalten sind oder schließlich Läh¬
mung des N. recurrens auf einer Seite plus Lähmung irgend eines Muskels auf
der anderen Seite. In meinen Fällen waren die Mm. interni am häufigsten
ergriffen; eine Postikuslähmung ohne gleichzeitige Lähmung eines anderen Muskels
habe ich keinmal gefunden. Ich führe beispielsweise 3 Fälle an:
1. Typische Syringomyelie mit partieller Empfindungslähmung, Muskel¬
atrophie, Skoliose usw., von seiten der Hirnnerven sind befallen: VII. d., V., IX.
und X. utriusque. Das Gaumensegel wird beim Phonieren nach links hinüber¬
gezogen. Schwache Stimme. Schlingstörungen. Keblkopfuntersnchung (13./V.
1905): mäßiger Grad von Lähmung der Mm. interni und transversi beiderseits,
links sind die Lähmungen stärker ausgeprägt: 31./IIL 1907: Zur Lähmung der
Mm. interni und transversi beiderseits bat sich eine Parese des N. recurrens sin.
hinzugesellt.
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2. Humeroscapulartypus der Syringomyelie. Von Hirnnerven sind betroffen
X., XI. und XII. Schluckbeschwerden. Lähmung der linken und Parese der
rechten Gaumensegelhälfte, heisere, näselnde Sprache. Laryngoskopische Unter¬
suchung: bei völliger Lähmung der linken Kehlkopf hälfte ist die Beweglichkeit
des Apex cartilaginis arytaenoideae erhalten.
3. Der sjringomyelitische Prozeß hat das ganze Halssegment und fast das
ganze Dorsalsegment des Rückenmarkes ergriffen. Von Hirnnerven sind links
affiziert: V., VH., IX. und X. und beiderseits N. XI. Das Gaumensegel ist
normal. Keine Schluckbewerden. Laryngoskopische Untersuchung: 11./XII. 1906
Paralysis n. recurrentis sin. ohne Abweichung nach links. 15./I. 1907 Beweg¬
lichkeit des linken Stimmbandes gebessert, letzteres ist deutlich ausgebuchtet
(Paral. m. interai). Die Bedeutung der angeführten Kehlkopfstörungen für die
Diagnose der Syringobulbie kann dadurch illustriert werden, daß Dr. A. Th. Iwa¬
now auf Grund dieses Symptomes bei zwei Patienten in der Klinik für Hals¬
krankheiten Syringobulbie annahm. Diese Diagnose wurde von mir nach Unter¬
suchung des Nervensystems bestätigt Ohne die Bedeutung dieses Symptomes
zu überschätzen — es ist nicht für die Syringobulbie ausschließlich pathogno-
monisch, sondern kommt auch bei anderen Erkrankungen vor, z. B. bei der
progressiven Bulbärparalyse —, muß jedoch zugegeben werden, daß dieses Sym¬
ptom die Diagnose Syringobulbie erleichtert
Gaumensegellähmung beobachtete ich 32mal; in 26 Fällen war sie ver¬
gesellschaftet mit einseitiger Lähmung der Stimmbänder; in 12 Fällen fehlte
die VII-Lähmung, aber selbst in den Fällen, wo sie vorhanden war, bestand
gleichseitige Lähmung des Gaumensegels und der Stimmbänder. Meine Fälle
sprechen für die Abhängigkeit der Innervation des Gaumensegels vom Vagus.
In 10 Fällen wurden Schlingbeschwerden, in 5 Fällen Störungen der Herztätig¬
keit konstatiert In meinen Fällen steht, entgegen der herrschenden Ansicht,
an erster Stelle die Affektion des Vagus, nicht die des Trigeminus — ersterer
war 32 mal in 40 Fällen, letzterer 28mal betroffen.
Zum Schluß einige Worte über das SEMON’sche Gesetz: bei progressiven
organischen Erkrankungen der Kehlkopfnerven oder ihrer Centren werden vor
allem, oder sogar ausschließlich, die Stimmbanderweiterer betroffen. Im Laufe
von 30 Jahren widersprach diesem Gesetz nur ein einziger Fall von R. Saundybd
und S. Hewetson (1904) und selbst dieser Fall wurde, im November v. J., von
Rosenbach widerlegt Meine Fälle zwingen zur Annahme, daß dieses Gesetz
einer Durchsicht bedarf, da in der Mehrzahl die Adduktoren der Stimmbänder
erkrankt, die Abduktoren normal waren. Letzterer Umstand ist eine natürliche
Folge des pathologisch-anatomischen Prozesses. Da bloß ein Stimmbanderweiterer,
jedoch einige Adduktoren vorhanden sind, so ist es klar, daß letztere im Vagus¬
kerne durch eine größere Zahl von Zellen repräsentiert werden. Bei der be¬
trächtlichen Ausdehnung des Kernes können die Zellen und Nervenfasern, welche
die Adduktoren versorgen, häufiger durch den pathologischen Prozeß in Mit¬
leidenschaft gezogen werden, als die Abduktoren, besonders, wie aus unseren
Fällen ersichtlich, zu Beginn des Leidens.
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II. Referate.
Anatomie.
1) Über den zeitigen Aufbau der Nervenfasern auf Grund mikrohisto-
ohemischer Untersuchungen. I.Teil: Die ohem. Bestandteile des Nerven-
markes, ihr mikroohem. und färberisches Verhalten, von Dr. F. Reich.
(Journ. f. Psychol. u. Neur. VIII. 1907.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Die Arbeit wird von jedem, der sich wissenschaftlich mit mikroskopischer
Technik beschäftigt, mit großer Freude begrüßt werden. Sie bringt in dem vor¬
liegenden ersten Teile eine Reihe wichtiger Aufschlüsse über die physiologisch¬
chemischen Eigenschaften der Substanzen der Markscheide und deren Darstellungs¬
weise. Diese Substanzen sind das Cholesterin, Lecithin, Protagon, das
Neurokeratin und das seiner chemischen Einheitlichkeit bereits entkleidete
Cerebrin. Alle diese Substanzen sind hinsichtlich ihrer Kristallisationsformen
und ihrer Löslichkeitsverhältnisse von Reich genau untersucht worden.
Besonders interessant sind seine Versuche über den mikrochemischen und
färberischen Nachweis der Myelinstoffe, weil diese eine praktische Bedeutung für
unsere Färbetechnik besitzen. Die wichtigsten Resultate seiner Arbeit faßt er in
folgenden Sätzen zusammen:
Das Cholesterin ist löslich in Äther und erwärmtem Alkohol, weniger lös¬
lich in kaltem Alkohol. Es ist erkennbar an der Form Beiner Kristalle, deren
Doppelbrechungsvermögen und an bestimmten chemischen Farbreaktionen. Gegen
die üblichen Färbungen verhält es sich völlig negativ.
Das Lecithin ist leicht löslich in Äther und Alkohol, es bildet myelinartige
Quellungsfiguren bereits in kaltem Wasser, es besitzt ein Doppelbrechungs¬
vermögen, das vom Grade seiner Quellung abhängig ist; es gibt nach voraus¬
gegangener Müller-Härtung eine der Weigertschen Markscheidenfärbung
entsprechende Färbung mit Hämatoxylin und eine ähnlich beständige und in¬
tensive Färbung mit Säurefuchsin. Es nimmt bei Osmiumbehandlnng eine
grauschwarze Farbe an.
Das Protagon besteht in reinem Zustande au6 Kristalldrusen. Es ist un¬
löslich in kaltem Alkohol und Äther, löslich in einem auf 45° erwärmten
Alkohol. Es wird von Thioninlösung metachromatisch in karmoisinrotem
Farbenton gefärbt.
Diese metachromatische Färbung des Protagons ist eine Entdeckung von Be¬
deutung. Durch pathologische Prozesse wird nämlich die Markscheide chemisch
in ihre Komponenten zerlegt; der eine ihrer Zerfallsstoffe ist das Lecithin, welches
durch Osmium schwärzbar ist. Durch diese Eigenschaft ist dieser Körper neben
dem Fett zum Substrat der für pathologisch-anatomische Zwecke so wichtigen
Osmiummethoden geworden, unter denen die Marchische obenan steht. Ein
anderes Zerfallsprodukt ist das Protagon, welches durch seine metachromatische
Färbung mit violettstichigen blauen Anilinfarbstoffen ein Indikator für degenerative
Prozesse werden kann. „Es ist Aussicht vorhanden, daß es bei weiterer Ver¬
vollkommnung der Methode gelingen wird, die Osmiummethode mehr oder weniger
durch Anwendung des Thionins und ähnlicher Farbstoffe zu ersetzen, indem man
nunmehr statt der Darstellung des Fettes die Darstellung des Protagons zum Nach¬
weise der Degeneration benutzt.“ Ref. kann diese Ansicht des Verf.’s aus eigener
Erfahrung vollauf bestätigen. Die Metachromasie des Protagons ist unter Um¬
ständen sogar ein viel feinerer Indikator als die Osmiumschwärzung des Fettes;
nur muß man auf jede Einbettung des Materiales, sei es in Paraffin oder in
Celloidin bzw. Photoxylin, verzichten, weil durch die Entwässerungsprozeduren
mit Alkohol und besonders durch die der Colloidineinbettung vorangehende Durch-
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tränkuog mit Ätheralkohol das Protagon ganz oder zu einem großen Teile ex¬
trahiert oder seiner Färbbarkeit beraubt wird. An Gefrierschnitten von formol-
fixierten Gewebsblöcken gelingt die Farbreaktion aber stets. Der Referent benutzt
anstelle des vom Autor bevorzugten Tbionins einen Farbstoff, welcher zu Oxazinen
gehört, das Cresylviolett RR oder R extra. Dieser wegen seiner metachroma¬
tischen Eigenschaften auch sonst geschätzte Körper färbt das Protagon in einem
leuchtenden hellroten Farbton auf blauem Grunde. Außer den größeren Farben¬
kontrast besitzt er vor dem Thionin noch den Vorzug, daß die Präparate viel
länger haltbar bleiben.
2) Sol nucleo di origine del faoiale superiore, per A. Gianelli. (Rivista di
Patol. nervosa e mentale. XI. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin).
ln der Arbeit wird die anatomische Untersuchung eines Falles mitgeteilt,
bei welchem 50 Jahre vor dem Tode der Stirnast des Facialis bei der Operation
einer Cyste durchschnitten worden war. Es fand sich eine leichte Rarefikation
der Fasern auf einigen Schnitten durch das Knie des Facialis, vor allem aber
eine deutliche Atrophie eineB Kernes, der in einer Einsenkung des hinteren Längs¬
bundeis liegt. Eine Anzahl feiner Fasern, die sich von diesem Kerne aus zum
hinteren Längsbändel gesellen, war gleichfalls auf der Seite der Läsion rarefiziert.
Dagegen war der Kern des Facialis beiderseits völlig intakt. Der Fall bestätigt
somit die von Mendel (auf Grund von Tierversuchen) geäußerte Anschauung,
daß der obere Facialis nicht vom Facialiskern, sondern vom distalen Teil des
Okulomotoriuskernes entspringt und daß die betreffenden Fasern im hintern Längs¬
bündel verlaufen, auch für den Menschen.
3) Eine bisher übersehene Wurzel des N. glossopharyngeus und vagus, von
Prof. Huguenin. (Korresp. f. Schweizer Ärzte. 1907. Nr.20.) Ref.: KurtMendel.
Allgemein wird angenommen, daß sowohl der Glossopharyngeus wie auch
der Vagus ihre sensiblen Fasern zum größten Teil und ihre Geschmacksfasern
alle in den Fasciculus solitarius senden. Verf. wendet sich gegen diese Ansicht
und weist nach, daß z. B. vom Vagus nicht 1 / 5 seiner sensiblen Fasern diesen
Weg gehen, daß vielmehr da, wo die in die Med. oblong, eintretenden Stämme
des N. IX und X auf die große Trigeminuswurzel stoßen, sehr bedeutende Anteile
vom Glossopharyngeus und vom Vagus nach unten umbiegen, um sich der Trige¬
minuswurzel auf ihrem Verlaufe nach unten anzuschließen. Sensible Faserung
weiter unten gelegener Nerven schließt sich also an diejenige des weiter oben
gelegenen Trigeminus an, die Geschmacksfasern biegen aber nach außen ab,
um sämtlich in das Ganglion des Fasciculus solitarius zu gelangen. Letzterer
hat neben der Funktion für den Geschmack wohl auch noch andere Bedeutung
(vielleicht für die Respiration). Die sensiblen Fasern des N. IX und X ge¬
langen schließlich wie die Trigeminusfasern in das große sensible Ganglion, die
Subst. gelatinosa der Trigeminuswurzel. (Verf. vermutet sogar, daß Fasern vom
Vagus nach hinten abbiegend, peripher um den Pedunculus cerebelli als Stratum
zonale herumlaufend, zu den Hintersträngen und deren Kernen gelangen.) In der
Subst. gelatinosa Rolandi treten dann die sensiblen Vagus- und Glossopharyngeus-
fasern auf irgend eine Weise in Bezug zu den Zellen des Ganglions, um schlie߬
lich quer durch die Med. oblong, die gekreuzte Schleife zu gewinnen. Einzelne
sensible Fasern der beiden Nerven laufen aber doch höchstwahrscheinlich in den
FasciculuB solitarius hinein, letzterer nimmt allerdings in der Hauptsache Ge¬
schmacksfasern auf
Pathologische Anatomie.
4) Über Altersveränderungen der Ganglienzellen im Gehirn, von Y. Saigo.
(Virchows Archiv. CXC. 1907.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
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Der Autor will in dieser Mitteilung die von ernsthaften Leuten wohl nie
diskutierte Hypothese Metschnikoffs widerlegen, nach welcher die Alters-
Veränderungen an den Ganglienzellen dadurch bedingt sind, daß sie von Leuko-
cyten, sogen. Makrophagen, aufgefressen werden. Die lakunäre Ausbuchtung der
Ganglienzellleiber, welche Metschnikoff im Sinne seiner Hypothese gedeutet
hat, kommt zwar durch Anlagerung kleiner mononuklearer Bundzellen zustande;
dieses Bild findet sich aber in allen Lebensaltern mit Ausnahme der frühesten
Kindheit und kann demnach nicht als Charakteristikum des Greisenalters gelten.
Ein Teil jener Ausbuchtungen ist, wie man übrigens längst weiß, durch die Prä¬
paration, speziell durch die Einwirkung des Alkohols, bedingt. Der Autor hebt
hervor, daß die Rundzellen Metschnikoffs keine weißen Blutkörperchen, sondern
Gliazellen sind, und daß mit atrophischen Prozessen am Zellkörper eine Ver¬
dichtung der Umgebung der benachbarten Gliasubstanz mit Kernproliferation
Hand in Hand geht. Wie stets, so gilt das auch für die pigmentöse Zellatrophie,
welche im Senium so häufig vorkommt, daß man sie als charakteristisch für
dieses Alter bezeichnen darf. Pigmentöse Atrophie und Gliaverdichtung sind
beide wohl auf primäre Veränderungen am Gefäßapparat zurückzuführen.
Pathologie des Nervensystems.
5) Über die paroxysmelle Taohykardie und ihre Beziehungen zu den Er¬
krankungen des Nervensystems, von Herrn. Schlesinger. (Volkmannsehe
Sammlung klin. Vorträge. N. F. Nr. 433.) Bef.: H. Marcuse (Dalldorf).
Das Symptomenbild der paroxysmellen Tachykardie ist subjektiv und objektiv
gut charakterisiert. Bezüglich seiner Ätiologie gehen die Anschauungen aus¬
einander. Verf. verfügt über eine relativ große Anzahl eigener Beobachtungen.
Er sah das anfallsweise auftretende Herzjagen bei hysterischen und neurasthenischen
Zuständen, viermal bei Epilepsie, zweimal bei Urämie und einmal bei Tabes.
Andere beobachteten es bei schweren Kopftraumen, Meningitis basilaris, Gehirn¬
tumor. Es scheint demnach: „Die paroxysmelle Tachykardie kann als allgemeines
Cerebralsymptom bei Hirnaffektionen verschiedener Art und verschiedener Lokali¬
sation auftreten.“ Fehlen cerebrale Erscheinungen, so ist die periphere Auslösung
des Symptoms wahrscheinlich. Diese Annahme kann sich bisher nur auf einen
positiven anatomischen Befund stützen. Pal fand bei Lungentuberkulose sym¬
pathische Nervenfasern in einen bindegewebigen Zug eingebettet und nahm an,
daß sich dadurch ein Erregungszustand im benachbarten Grenzstrang und damit
im N. accelerans ausgebildet habe. Ein Fall des Verf. zeigte dagegen den rechten
N. vagus mit indurierten Lymphdrüsen verwachsen und teilweise degeneriert
Weder Lähmung des Vagus noch Beizung des Accelerans kann für sich die
paroxysmelle Tachykardie erzeugen. Man muß vielmehr annehmen, „daß dieselbe
uns unbekannte Ursache gleichzeitig eine Lähmung der herzhemmenden und
Beizung der herzbeschleunigendon Fasern herbeiführt“.
Die Arbeit enthält noch eine Fülle von Einzelheiten, die sich auf die Pro¬
gnose, den Verlauf und die Therapie der Erkrankung beziehen.
0) Neuralgie, Myalgie, von G. Peritz. (Berliner klin. Wochenschrift 1907.
Nr. 30.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Verf. sucht beide Erkrankungsformen differentialdiagnostisch abzugrenzen und
findet die Myalgie charakterisiert vor allem dadurch, daß bei ihr ein oder mehrere
Muskeln in der Gegend, in die der Patient seine Schmerzen verlegt, auf Druck
schmerzempfindlich sind. Über diesen schmerzhaften Muskelpartien ist meistenteils
die Haut gegen Nadelstiche hyperalgetisch ebenso wie gegen faradische Reize.
Dieses Merkmal ist so konstant, daß man mit seiner Hilfe versteckte Myalgien
auffinden kann. Ein Einstich oder eine Kochsalzinjektion ( 1 / 4 bis 1 / s ccm) in den
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erkrankten Muakel ruft — nach Anästhesierung der Haut — einen sehr starken
Schmerz hervor. Ein weiteres wichtiges Symptom der Myalgien sind parästhetische
Beschwerden, die in ihrer Ansdehnung immer den hyperalgetischen Bezirken über
den erkrankten Muskelstellen entsprechen und sich durchaus nicht auf den Bezirk
eines Hautnerven beschränken. Die Druckschmerzhaftigkeit der myalgisch er¬
krankten Partien ist ganz konstant zu finden auch in der schmerzfreien Zeit.
Aus der Beschreibung der Topographie und der Prädilektionsstellen für Myalgien
geht besonders hervor, daß die erkrankten Bezirke meistens an exponierten Stellen
liegen und zwar vor allem am Ursprung oder am Übergang des Muskels in
seine Endsehne, d. b. an seinen dünnsten Stellen. Während bei den Neuralgien
die Druckpunkte den Nervenaustrittsstellen entsprechen, also einen ganz be¬
grenzten Umfang haben, ist die Mindestgröße der myalgischen Druckstellen die
eines Talers.
Zum Schluß teilt Verf. die Krankengeschichte eines 52jährigen Herrn mit,
der längere Zeit an schwerer Angina peotoris litt; es fand sich eine Myalgie des
freien Bandes des Pectoral. major, nach deren Behandlung durch Kochsalzinjektion
(0,2:100,0, Novocain 0,5) alle Beschwerden verschwanden.
7) Der Kopfschmerz und seine physikalische Behandlung, von Stabsarzt
Dr. Biedel. (Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 20; vgl. d. Centralbl.
1907. S. 358.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Verf. unterscheidet 4 Formen von Kopfschmerz: eine vasomotorische, rheu¬
matische, neuralgische und neurasthenische. Wichtig ist, sich über die genaue
Lebensweise des Patienten ein klares Bild zu schaffen. Wertvolle Fingerzeige für
Diagnose wie Therapie bietet die sorgfältige Bestimmung der Lokalisation des
Kopfschmerzes. Für die Grade desselben schlägt Schoen folgende zweckmäßige
Unterscheidung vor:
1. Benommenheit, Eingenommenheit (Cephalaea),
2. Kopfdruck, wozu der Casque asthönique Charcots gehört,
3. dumpfer Schmerz,
4. stechender, bohrender Schmerz; hierzu ist der Clavus hystericus zu rechnen
(2 bis 4 — Cephalalgia).
Die stärksten Kopfschmerzen verursachen die Trigeminusneuralgien und
Migräneanfälle sowie der Tumor cerebri.
Der hyperämische Kopfschmerz beruht auf einer Blutstauung im Gehirn. Die
Therapie muß berücksichtigen, ob die Blutstauung akut oder chronisch, oine aktive
oder passive, arteriell oder venös ist. Sie hat die Gelegenheitsursachen auszu-
sohalten, ohne dabei die Allgemeinbehandlung zu vernachlässigen. Aufmerksam¬
keit erheischt die Kopfhaltung der Patienten. Im besonderen ist beim hyper-
ämischen Kopfschmerz eine ableitende Behandlungsweise indiziert. Der Hydro¬
therapie gebührt der erste Platz. Im akuten Stadium sorgt man für Kopfkühlung.
Umschläge in Wasser von 10 bis 15°, alle 5 bis 10 Minuten erneuert, 2 Stunden
lang werden verordnet. Dann pausiert man etwa 1 Stunde und macht nachher,
wenn nötig, die Umschläge von neuem. In der Zwischenzeit legt man eine Eis¬
krawatte oder einen feuchten kalten Umschlag um den Hals, welcher den Nacken
frei läßt, besonders aber die Carotidengegend trifft. Bei empfindlichen Patienten
fängt man erst mit etwas wärmeren Temperaturen an. Angenehmer als die Um¬
schläge sind die von Winternitz eingeführten Kühlschläuche. Gleichzeitig wird
noch für Blutableitung durch feuchtwarme Packungen gesorgt. Ein Klysma oder
Laxans wirkt oft Wunder. Oft ist mit der Kopfkühlung eine Stammpackung —
Einwickeln der Kranken von der Achsel bis zur Symphyse in ein feuchtkaltes
Laken — zu verbinden. Bei den mehr paroxysmal verlaufenden Kopfschmerzen
empfiehlt Verf. entsprechend der Zahl der Anfälle ganz kurze, kalte Kopf¬
waschungen vorzunehmen; gute Dienste leistet auch das fließende Fußbad von 8
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bis 10°, 10 Minuten lang. Neben der Hydrotherapie kommen hier die Naegeli-
schen Handgriffe in Betracht. In Frage kommen der Kopfstütz- und der Kopf-
b treckgriff.
Der anämische Kopfschmerz beruht auf allgemeiner Anämie oder Chlorose.
Hoohlagerung und ableitende Therapie ist indiziert. Warme Tücher um den
Kopf, heiße Kompressen, über die Stirn oder in den Nacken gelegt, werden
gut vertragen und genügen meist den Anforderungen. Gründliche Massage der
gesamten Kopfhaut ist im chronischen Stadium empfehlenswert
Der rheumatische Kopfschmerz hat seinen Sitz in der Haut* und Kopf¬
schwarte; seine Grundlage ist eine Myositis rheumatica. Als wichtigster Heil¬
faktor bei der rheumatischen Kephalalgie gilt die Massage. Die Massagekur dauert
so lange, wie die Empfindlichkeit besteht, und sie währt, wenn man täglich jede
Sitzung etwa 1 / 4 Stunde ausdehnt, bis zur vollständigen Heilung meist 1 Monat
Neben Massage wird oft mit Erfolg die Heißluftdusche angewendet, desgleichen
warme Kopfumschläge in Form der trockenen Wärme 1 bis 2 Stunden lang vor
dem Zubettegehen. Bei den paroxysmalen Attacken Bind zum Koupieren etwas
intensivere Wärmeapplikationen in Gestalt von Kompressen, Schlauchkappen
u. dgl. indiziert.
Bei der Kopfneuralgie müssen die Points douloureux genau festgestellt werden.
Die Therapie besteht in Wärmeapplikationen und Massage. Verf. massiert be¬
sonders die Gegend der Nerveudruckpunkte und bedient sich mit Vorliebe der
Vibration. Bei reflektorischen Vorgängen muß die Therapie stets eine kausale sein.
Ist der Kopfschmerz durch Neurasthenie bedingt, so sucht die Therapie zu¬
nächst den Gesamtorganismus zu kräftigen. Der Arzt hat die im Verlauf be¬
stimmter Nerven sich zeigenden Valleixschen Druckpunkte aufzufinden. Durch
Massage werden die Nervenpunkte zunächst vorübergehend, allmählich dauernd
beruhigt und zum Schwinden gebracht. Der einzelne Fall kann bei täglich
1 /, ständiger Massage bis zu 40 Sitzungen erfordern. Verf. kombiniert diese Be¬
handlung meist mit der Hydrotherapie, speziell mit Packungen. Die Punktmassage
ist hauptsächlich von Cornelius angewendet worden. In Frage kommen beim
neurasthenischen Kopfschmerz ferner das Sonnenbad und das elektrische Blau-
Lichtbad. Herz hat gute Erfolge zu verzeichnen mit einer Methode, die eine
Verquickung der Bierschen Stauung mit ableitender Kopfmassage, dem Naegeli-
sehen Kopfstützgriff und Vibration der Brustwirbelsäule darstellt.
8) Über Kopfsohmerz, von Pineles. (Wiener klin. Rundschau. 1907. S. 21.)
Ref.: Pilcz (Wien).
Für den praktischen Arzt sehr lesenswerter und belehrender Aufsatz, nach
einem von dem Verf. in einem Vortragscyklus für praktische Ärzte gehaltenen
Vor trage.
0) Migraine and hemianopsia , by John Jenks Thomas. (Journ. of Nerv.
and Ment. Dis. 1907. März.) Ref.: M. Bloch.
Verf. teilt 3 Fälle von Migräne mit, in deren Verlauf es zu einer persistiren-
den Hemianopsie kam, die noch nach Jahren nachgewiesen werden konnte. In
einem der Fälle handelt es sich vielleicht um eine symptomatische Migräne, während
die beiden anderen sicher der idiopathischen Form angehören. Die Details der
interessanten Krankengeschichten werden besser im Original nachzuleBen sein.
10) Beitrag zur Erklärung der ophthalmoplegisohen Migräne, von Dr. Vielav
Plavec. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch.
20jähr. Mädchen, in dessen Familie keine Fälle von Migräne zur Beobachtung
gelangten. Schon im Alter von 2 Jahren bemerkten die Eltern, daß das Kind
zeitweise verdrießlich war, weinte und erbrach. Dieser Zustand dauerte gewöhn¬
lich einen Tag, worauf dann Wohlbefinden eintrat. Später, als das Kind sprechen
konnte, klagte es bei jedem derartigen Anfall auch über Kopfweh. Zur Zeit des
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beginnenden Schulbesuches wiederholten Bich die Anfälle oft schon nach 14 Tagen
und die Kopfschmerzen dauerten 2 bis 3 Tage. Dabei wurde auch bemerkt, daß
das linke Auge im Anfall nach außen und etwas nach unten verdreht wurde.
Die Parese ging innerhalb einiger Tage dann wieder zurück. Seitdem besteht
links Abnahme der Sehkraft. Während die Anfälle länger dauerten und inten¬
siver wurden, stellte sich vom 12. Lebensjahre an dabei auch eine linksseitige
Ptose ein. Seit den letzten 5 Jahren sind die Kopfschmerzen sehr heftig, dauern
2 bis 5 Tage, sind von Erbrechen begleitet und am Ende des Anfalles stellt sich
Schlaf ein. Die abweichende Stellung des Auges ist eine dauernde und besteht
auch nach dem Anfall unverändert fort, nur die Ptose bessert sich langsam. Inner¬
halb der letzten 15 Jahre schwankt die Zahl der jährlichen Anfälle zwischen 12
bis 17, die im Sommer seltener auftreten alB während der übrigen Jahreszeiten.
Die Menstruation war regelmäßig und hing mit den Anfällen nicht zusammen.
Seit 3 Jahren besteht eine Struma mäßigen Grades. Bei der Untersuchung findet
sich ein Tieferstehen des linken Oberlids, die nur unvollständig gehoben wird.
Linke Augenspalte mißt nur 1 / 2 cm, die rechte dagegen 1 cm. Linker Bulbus
nach außen und unten gedreht, Bewegung nach innen und unten verlangsamt
und etwas beeinträchtigt, nach oben vollständig unmöglich. Linke Pupille
etwas diktiert, Reaktion auf Licht und Akkommodation und konsensuell = 0.
Links beträchtlicher Astigmatismus. Visus links herabgesetzt, linkes Gesichts¬
feld ergibt nur für Blau normalen Befund, während Rot und Grün nur schwierig
erkannt werden. Sensibilität des Gesichtes auf beiden Seiten gleich. In diesem
Fall war also die Lähmung eine totale und auf den linken N. oculomotorius be¬
schränkt; eine periodische Steigerung der Paralyse betraf nur den M. levator pal-
pebrae sup., an dem sich in den freien Intervallen nur eine schwache Parese
nachweisen ließ. Während der 15 Jahre, seit Bestehen der periodischen Okulo¬
motoriuslähmung, dürften mehr als 200 Anfälle aufgetreten sein, so daß von einem
rezidivierenden, organischen Prozeß als einziger Ursache der Attacken wohl nicht
gesprochen werden kann.
Verf. nimmt an, daß die Grundlage der ophthalmoplegischen Migräne die
echte Migräne ist, und daß diese Migräne als Ursache der Okulomotoriuslähmung
aufzufassen ist. Sowohl die gewöhnliche, als auch die ophthalmoplegische Migräne
sind eine basale lokale Erkrankung, wahrscheinlich durch eine periodische Schwellung
der Hypophysis hervorgerufen. Bei der einfachen Migräne ist diese Schwellung
eine allgemeine oder einseitige, bei der ophthalmoplegischen ist sie immer eine
einseitige, vielleicht durch eine laterale Verlagerung der Hypophysis bedingt. Bei
der gewöhnlichen Migräne handelt es sich um einen aktiven Prozeß (Hyperämie),
bei der ophthalmoplegischen Form indessen hauptsächlich um eine venöse Stase
der Hypophysis. Da die letztere auf einer besonderen, lokalen, anatomischen An¬
lage beruht, so braucht sie nicht hereditär aufzutreten, wie dies bei der gewöhn¬
lichen Migräne meist der Fall zu sein pflegt.
11) Über Hypothermie infolge von Migrftneanfällen bei Tuberkulösen, von
Mantoux. (Wiener med. Presse. 1907. S. 550.) Ref.: Pilcz (Wien).
Bei vier tuberkulösen Patienten, welche gleichzeitig an typischer Migräne
litten, beobachtete Verf. konstant ein Absinken der Temperatur während der
Migräneanfälle, sogar in einem Falle eine wirkliche Hypothermie; und zwar ließ
sich dieses Verhalten bei Rektalmessungen feststellen.
Verf. deduziert daraus, daß bei Tuberkulösen der Migräneanfall eine Herab¬
setzung der centralen Temperatur bewirkt, während bei Gesunden (nach Unter¬
suchungen von Stekel) die Migräneattacke ein AbBinken zwar der peripheren
(Achselhöhlen-)Temperatur hervorruft, die centrale (Rektal-/Temperatur aber nicht
oder nur selten und wenig beeinflußt. Kurze Mitteilung von vier Kranken¬
geschichten und zwei Temperaturkurven im Texte.
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12) Neuralgie oder ZahnsohmerzP von Franz Berger. (Gyögyäszat. 1906.
Nr. 28.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
In zweifelhaften Fällen kann folgender Vorgang Aufklärung bringen: Der
auf die Schneide* oder Kaufläche des fraglichen Zahnes einwirkende faradiscbe
Strom bringt bloß leichtes Kriebeln hervor, wenn der Zahn gesund ist; bei ent¬
zündeter Pulpa entsteht lebhafter Schmerz, bei abgestorbener Pulpa gar keine
Empfindung.
13) Exstirpation des Ganglion Gasserl und Keratitis neuroparalytica beim
Menschen, von Dr. K. E. Weise. (Klin. Monatsblätter f. Augenheilk. XLV.
1907.) Ref.: Fritz Mendel.
Nach vollständiger dauernder Durchtrennung des linken Trigeminus bei einem
47jährigen Patienten ist die Hornhaut während der 4jährigen Beobachtung klar
geblieben, niemals trat eine Keratitis neuroparalytica auf. Aus diesem und ähn¬
lichen Fällen ergibt sich die praktische Folgerung, daß die Gefahr einer Keratitis
neuroparalytica nach Exstirpation des Ganglion Gasseri sehr gering ist, so daß
von augenärztlicher Seite, namentlich bei einseitiger Trigeminusneuralgie, Bedenken
der Exstirpation des Ganglion nicht entgegenstehen.
14) Über das Verhalten der Sensibilität im Trigeminusgebiet nach voll¬
ständiger Exstirpation des Ganglion Gasseri, von H. Pruschin in. (In-
augural-Dissertation. Berlin 1906.) Ref.: S. Klempner.
Krause war der erste, der darauf aufmerksam machte, daß nach totaler
Exstirpation des Ganglion Gasseri die Sensibilität in den Ausbreitungsbezirken
des betroffenen Trigeminus in mehr weniger vollkommener Weise wiederkehrte.
Verf. gibt eine Übersicht der bisher in der Literatur beschriebenen Fälle
und fügt aus eigener Beobachtung einen neuen Fall hinzu, wo trotz der sicher
festgestellten vollständigen Ganglionexstirpation überall die Sensibilität partiell
oder vollständig wieder eintrat.
Im Gegensatz zu anderen Fällen kehrte auch die Empfindung in den Schleim¬
häuten wieder, ebenso stellte sich der Geschmack in der betroffenen Zungenhälfte
wieder ein.
Verf. erklärt sich diese weitgehende Restitution durch die Annahme, daß in
die peripheren Stümpfe des Trigeminus Fasern von den mit ihnen anastomosieren-
den Cervikal- und Occipitalh&utnerven, vielleicht auch vom Trigeminus der anderen
Seite an der Mittellinie hineinwachsen und auf diese Weise die Leitung wieder
lierstellen. (Ein analoges Verhalten hat Münzer in seinen bekannten Tierver¬
suchen festgestellt und damit das wichtigste Argument Bethes für dessen Lehre
von der autochtonen Regeneration der peripheren Nerven erschüttert. Ref.)
16) Zur Kasuistik der tiefen Besektion des 2. und 3. Trigeminusastee bei
Neuralgien, von Dr. Lis6owsky. (Russisch med. Rundschau. 1907. H. 2.)
Ref: Georges L. Dreyfus (Heidelberg).
Verf. veröffentlicht einen gut beobachteten Fall von Trigeminusneuralgie im
2 . und 3. Ast. Bei dem betreffenden Kranken wurde die tiefe Resektion der
zwei erkrankten Trigeminusäste mit gutem Erfolg ausgeführt. Die Schmerzen
zessierten sofort nach der Operation. 1 Jahr und 2 Monate nach der Operation
war noch kein Rezidiv aufgetreten.
16) Ein geheilter Fall von Zygomatious- und Infraorbitalneuralgie ope¬
riert nach der Bardenheuer sohen Methode (Neurinsarkoklese), von Dr.
Grabowski. (Zeitschr. f. Chir. LXXXVI.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim).
Verf. verfügt über zwei Fälle von Neurinsarkoklese, die er vollständig hat
ausheilen sehen. Beide Fälle haben jeder anderen Therapie gespottet und bei
beiden waren die neuralgischen Schmerzen so groß, daß die bereits im höheren
Lebensalter stehenden Patienten sich entschlossen, den Eingriff machen zu lassen,
der beide Male den gewünschten Erfolg hatte. Die Operation besteht in Frei-
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legung des affizierten Nerven aus seiner Knochenwandung, Unterschiebung eines
Periostmu8kellappens zwischen Nerv und Knochenwunde und subkutaner Hautnaht.
17) Drei Fälle von Zungenneuralgie, von L. Hoeflmayr. (Münchener med.
Wochen8chr. 1906. Nr. 51.) Ref.: Kurt Mendel
In allen 3 Fällen von Zungensohmerz war der objektive Befund völlig negativ.
Eine Regelung der Darmfunktion als Haupttherapie führte zum allmählichen Ver¬
schwinden der Zungenschmerzen. Mundspülungen mit Kamillenthee und Kal. chlor,
wurden außerdem verordnet. In allen 3 Fällen handelte es sich um mäßig neur-
asthenische Patienten mit träger Darmtätigkeit. Der N. IX und XII waren völlig
unbeteiligt Die Schmerzen traten nur im Ausbreitungsgebiet des N. lingualis auf.
Als Ursache der Lingualisneuralgie sieht Verf. die habituelle Obstipation an, durch
Vermittlung des Sympathicus wird die Neuralgie ausgelöst, und zwar wahrschein¬
lich infolge Wirkung eines bei der Darmfäulnis entstehenden und von der Darm¬
wand resorbierten Toxalbumins. (Nach Ansicht des Ref. beruhen fast alle Fälle
von „Glossodynie“ auf Hypochondrie, auch Fall 2 und 3 des Verf.’s zeigen hypo¬
chondrische Vorstellungen (Furcht vor Zungenkrebs), bei Fall 1 wird nur erwähnt,
daß Pat neurasthenisch war.)
18) Über Interkostalneuralgie, von W. Janowski. (Therapie der Gegenwart.
1907. Heft 3 u. 4.) Ref.: Kurt Mendel.
Häufigkeit: 9°/ 0 aller Kranken des Verf.’s litten an Interkostalneuralgie.
Geschlecht: 73°/ 0 Frauen, 27°/ 0 Männer. Alter: am häufigsten 20. bis 40. Jahr.
Meist linksseitig. Prädisponierende Ursachen: hauptsächlich Neurasthenie, Gicht,
Lungentuberkulose. Auslösende Momente: Erkältung, Infektionskrankheit (In¬
fluenza, Angina), Pleuritis, hartnäckiger Husten (Bronchitis, Keuchhusten), mora¬
lische Erschütterung.
Prognose gut.
Therapie: Zugpflaster an jedem genau zu bestimmenden Schmerzpunkt an-
legen, ferner Brom mit Antipyrin, laue Bäder, allgemeine Behandlung gegen die
prädisponierende Ursaohe.
Die Beschwerden, über welche die an Interkostalneuralgie Leidenden klagen,
werden genau durchgesprochen.
Siegel (Therapie d. Gegenwart. 1907. Heft 6) schreibt bei der Interkostal¬
neuralgiebehandlung der Massage die Hauptwirkung zu.
19) Über ein bisher unbekanntes pathognomonisohes Symptom der Isohias,
von Gara. (Wiener med. Wochenschr. 1907. Nr. 23.) Ref.: Pilcz (Wien).
Bei vielen Fällen von Ischias konnte Verf. anamnestisch erheben, daß den
typischen Schmerzen in den Beinen ein plötzlich einsetzender „lumbago“artiger
Schmerz wochenlang vorausging. Dadurch aufmerksam gemacht, untersuchte Verf.
systematisch die Wirbelsäule dieser Patienten und fand nun konstant, auch in
den Fällen von Ischias ohne jene „prodromalen 4 ' Kreuzschmerzen, eine eminente
Druckschmerzhaftigkeit deB Dornfortsatzes des letzten Lendenwirbels. Diese Druck¬
empfindlichkeit war an dem vorletzten Lendenwirbeldornfortsatz schon weit weniger
ausgesprochen, an den übrigen nicht nachweisbar. Verf. erbliokt in diesem Sym¬
ptom eine Stütze für die Auffassung der Ischias als Wurzelerkrankung.
Drei Krankengeschichten werden kurz mitgeteilt.
20) Duroh Retroflexio uteri bedingter Fall von eohter Isohias, von Dr.
Offergeld. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr.öl.) Ref.: Kurt Hendel.
43jährige Patientin mit rechtsseitiger Ischias (Muskelatrophie, Nervenstämme
druckschmerzhaft, Lasögue, Fehlen des rechten Achillesreflexes). Jegliche Therapie
erfolglos. Gynäkologisch: Retroflexio uteri mit geringer perimetritischer Fixation
nach der rechten Seite. Operative Behandlung der Retroflexio. Darauf Schwinden
der Muskelatrophie, Wiederkehr des Achillesreflexes. Heilung der Ischias.
Es kann wegen der topographischen Verhältnisse eine direkte Druckwirkung
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auf den Stamm des Isohiadicus zustande kommen (besonders bei retroflektiertem
gravidem Uterus) oder es können uterine Reizvorgänge in reflektorischen Bahnen
auf das psychische Organ fortschreiten. Im vorliegenden Fall neigt Verf. der
Ansicht zu, daß es sich um eine echte Druckneuritis handelte.
Die über 16 Jahr steril verheiratete Frau konzipierte übrigens kurze Zeit
nach Reposition des Uterus.
21) Bemerkungen zur Diagnose und Therapie der Ischias, von B. Bosänyi.
(Budapesti Orvosi Ujs&g. 1907. Nr. 9.) Ref.: Hudovernig (Budapest).
In der Diagnose der Ischias ist von großer Bedeutung die Schmerzhaftigkeit
des N. isohiadicus, sowie die vorhergehende Lumbago; letztere pflegt oft der eigent¬
lichen Ischias voranzugehen, und zeigt sich temporär, manchmal Jahre hindurch.
Während bei der wirklichen Ischias die Schmerzen sich auf die ganze untere
Extremität erstrecken, ergreifen dieselben bei Hüftgelenkserkrankungen bloß den
Oberschenkel. Namentlich bei schweren Fällen ist mehr Erfolg von lokalen
Scblammumschlägen zu erwarten als von Vollbädern.
22) Perineurale Infiltratlonstherapie der Isohlas, von A. Bum. (Wiener
med. Presse. 1907. Nr.46.) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. verfährt bei der Ischiasbehandlung folgendermaßen: er gebraucht ein
Instrumentarium bestehend aus einer graden oder gekrümmten Kanüle, einem
kurzen Verbindungsschlauch aus auskochbarem Durit, der die Übertragung der
Bewegungen der Spritze auf die Kanüle verhindert, und einer 100 ccm fassenden
Glasspritze. Auskochen des Instrumentariums in Sodalösung. Eintauchen des
Duritschlauches in sterile 8 °/ 00 ige Kochsalzlösung, hierdurch Füllung der Spritze
mit dieser Lösung. Einstechen der Kanüle in Knie-Ellenbogenlage des Patienten
an der mit Äther sorgfältig gereinigten Stelle der Beugeseite des Oberschenkels
(da, wo der lange Kopf des Biceps vom Glutaeus max. geschnitten wird). So¬
bald Pat. Ischiadicussymptome — blitzartiges Zucken der ganzen Extremität,
heftiger Schmerz in centrifugaler Richtung, ParästheBien in Unterschenkel und
Fuß — zeigt und meldet, wird der distale Ansatz des mit der Injektionsflüssig¬
keit vollständig gefüllten Schlauches unter langsamem Nachdrücken des Spritzen-
Stempels an die Kanüle gesteckt und die Injektion in continuo vollendet. Ein¬
tritt etwaiger Luftblasen ist durch Hochhalten des proximalen Spritzenendes zu
vermeiden. Nach Entfernung der Kanüle Gaze und Heftpflaster auf die Einstich¬
stelle. 36 bis 48 Stunden nach der Injektion Ruhelage.
Meist sofortiger Effekt. Injektion event. 2 bis 4 mal in Intervallen von 4
bis 6 Tagen zu wiederholen.
Verf. behandelte auf diese Weise 73 Fälle. In 6 Fällen konnte er den End¬
effekt nicht eruieren, 42 wurden vollständig geheilt ( = 62,6 °/ 0 ) und hlieben bisher
— nach 2 bis 30 Monaten — rezidivfrei, in 14 Fällen (=20,8°/ o ) erhebliche
Besserung, in 6 Rezidiv, in 6 keine nennenswerte Besserung. Bei 26 der ge¬
heilten Fälle genügte eine Injektion. Nie unangenehme Zwischenfälle.
Die Wirkung der perineuralen Injektionen ist eine ausschließlich mechanische
auf das Neurilemm sowie auf etwaige Verklebungen der Scheide mit der Nach¬
barschaft.
Bei allen Formen unkomplizierter, essentieller, subakuter und chronischer
peripherer Ischias hält Verf. sein Verfahren für indiziert. Für akute Fälle von
Ischias empfiehlt er es nicht.
23) The treatment of solatioa by means of aaline injeotione, by Archibald
G.Hay. (Glasgow med. Journ. 1907. Mai.) Ref.: Georges L. Dreyfus
(Heidelberg).
Verf. berichtet über 4 Fälle von Ischias, die durch mehrfach wiederholte
Salzinjektionen (jedesmal 10 ccm) in den N. isohiadicus dauernd von ihren Schmerzen
befreit worden sein sollen. Verf. wählte die Stelle zwischen Trochanter und Tuber
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ischii, um den Nerven zu treffen. Schon nach 1 bis 2 Injektionen ließen die
Schmerzen bei seinen Kranken nach.
24) Über Nervendehnung, mit besonderer Berücksichtigung der Neural*
gien, von Nikolaus Reich. (Budapesti orvosi ujs&g. 1906. Nr. 3.)
Ref.: Hudovernig (Budapest).
ln vielen Fällen von Neuralgie hat Verf. eine abnorme Spannung des be¬
treffenden Nerven beobachtet. Die Nervendehnung selbst wirkt nicht durch die
Dehnung des Nerven, sondern dadurch, daß auf die Cirkulation desselben und der
umgebenden Gewebe ein mechanischer Zug ausgeübt wird. In erster Reihe kommt
in Betracht die auf die Venen ausgeübte Dehnung; so manche als neuralgisch
erscheinende Schmerzen sind bloß vaskuläre Schmerzen, welche durch Blutstauung
bedingt sind, und deshalb durch die Nervendehnung behoben werden. Durch
strukturelle Veränderung des Nerven bedingte Neuralgien sind relativ selten.
25) Über unblutige Nervendehnung bei Neuritis und Neuralgie, von H. Pa-
zeller. (Wiener med. Presse. 1907. Nr. 45) Ref.: Kurt Mendel.
Verf. sah gute Erfolge von einer mäßig starken, doch öfter wiederholten,
unblutigen Nervendehnung bei Neuritiden und Neuralgien. Er gibt die Stellen
an, wo die einzelnen Nerven am besten auf der Knochenunterlage gedehnt werden,
und zwar
1. N. auriculo-temporalis: auf der Schläfenbeinschuppe am äußeren Ende des
temporalen Jochbogenfortsatzes;
2. N. buccinatorius: am inneren Rande des Proc. alveolaris des Os zygomati-
cum, in der Gegend des 1. und 2. oberen Molarzahnes;
3. N. cervico-occipitaÜB: auf den Querfortsätzen des 4. und 5. Halswirbels,
am inneren Rande des M. cucularis;
4. N. radialis: bei erhobenem Arme in der Achselhöhle zu fassen und herunter¬
zuziehen, oder er wird in der Ellenbogenbeuge in der Furche zwischen Supinator
long. und Brachialis internus auf dem HumeruB gedehnt;
5. N. ischiadicus: knapp nach seinem Austritt aus dem Foramen ischiad.
(Knieellenbogenlage);
6. N. cut. fern, eit.: an der Spina anter. sup. ossis ilei nach außen und oben
zu dehnen;
7. N. peroneus: am Capitulum fibulae nach innen und oben.
Psychiatrie.
26) Klinisehe Beiträge zur Lehre von den Degenerationspsyohosen , von
Prof. Dr. K. Bonhoeffer. (Samml. zwang]. Abhandl. a. d. Geb. d. Nerven-
u. Geisteskr. VII. Halle a.;S. 1907, Carl Marhold.) Ref.: Berze (Wien).
Das Gebiet der Syndromes öpisodiques bei Degenerierten im Sinne Magnans
ist ein sehr engbegrenztes geworden, seitdem unter dem Einflüsse der Lehren
Kraepelins ein Teil dieser psychotischen Episoden im manisch-depressiven Irre¬
sein und in der Dementia praecox untergegangen ist, eine Gefahr, die um so
größer ist, ak sich, wie Verf. richtig betont, nicht selten „eine sachlich nicht
begründete Vereinfachung der klinischen Diagnostik fühlbar macht“. Die vor¬
liegende hochwichtige und interessante Arbeit des Verf.’s. wird wesentlich zur
Klärung beitragen. Verf. stützt sich auf das an degenerativen Zuständen außer¬
ordentlich reiche Material der Breslauer Beobachtungsstation für geisteskranke
Gefangene. Bei 12 °/ 0 der 221 Kranken dieser Station sind nach Verf. degenerative
Psychosen (einschließlich Hysterie) zu diagnostizieren.
Verf. beschäftigt sich nun mit drei Gruppen dieser Psychosen. Die erste
Gruppe umfaßt die einfachen paranoiden Erkrankungen bei Degene¬
rierten. Akut oder subakut kommt es bei erhaltener Besonnenheit und äußerer
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Orientierung zu Beziehungswahn und Erklärungswahnideen. Immer treten, wenn
auch nicht massenhaft, Gehörstauschungen auf. Dauer von einigen Monaten bis
zu zwei Jahren. Nach längerem oder kürzerem Stationärbleiben des Wahn¬
bildungsprozesses stellt sich allmählich Krankheitseinsicht ein], die Wahnideen
treten zurück, es bleibt keine Veränderung der Persönlichkeit zurück. — Verf.
möchte diese Gruppe, welcher durchweg Personen von „erethischer Debilität“ an¬
gehören, mit den episodischen Erkrankungen bei endogener hysterischer oder
epileptischer Anlage in eine Linie stellen. Ausgezeichnet sind sie aber durch die
geordnete paranoische Wahnbildung. Die degenerative Anlage verrät sich auch
in der Zeit der Wahnbildung durch die bekannten Merkmale des degenerativen
Charakters. Stets kommt äußeren Einflüssen eine größere Bedeutung für den
Krankheitsverlauf zu als bei den echt paranoischen Prozessen.
Die Fälle der zweiten Gruppe stellen sich als akute Steigerungen
bereits vorher bestehender Erscheinungen paranoischer Veranlagung
und Denkrichtung dar. Es handelt Bich um Personen mit einer dauernden
in einer Temperamentsanomalie begründeten „Neigung zu einer Disharmonie in
der Dynamik der Vorstellungen in dem Sinne, daß bestimmte Vorstellungsgebiete
von einem andauernden Afifektüherschuß begleitet sind, so daß Gegenvorstellungen
nicht die entsprechende Betonung finden“. Aus beliebigen erregenden Anlässen,
wie sie sich gerade im Gefängnisleben leicht ergeben, kommt es zur Bildung von
überwertigen Ideen im ursprünglichen Sinne Wernickes, die den Kern für eine
Wahnbildung abgeben. Die krankhaften Symptome gehen zuweilen über den
durch die dominierende Idee gegebenen Kreis hinaus; ängstliche Erregungen,
ängstliche Träume, Hallucinationen stellen sich ein. Diese Symptome treten, wenn
sich die Krankheitseinsicht fühlbar zu machen beginnt, als die ersten zurück,
während der Komplex der überwertigen Wahnidee noch längere Zeit fortbestehen
kann. Verf. meint, daß „in der Praxis des sogen. Querulantenwahnsinns die Fälle
die häufigeren sind, in denen es sich lediglich um derartige paranoische Episoden
bei abnorm veranlagten Individuen handelt“.
Von größtem Interesse sind wohl die Ausführungen des Verfs. über die dritte
Gruppe seiner Fälle. Die „Labilität des Persönlichkeitsbewußtseins“,
eine Erscheinung, die nach Verf. als ein weit über das Gebiet der Hysterie
hinausreichendes Degenerationssymptom zu betrachten ist, ermöglicht es in diesen
Fällen, daß sich, namentlich oft im Anschlüsse an unangenehme Gefangniserlebnisse,
weit schneller, als dies bei der echten chronischen Paranoia der Fall ist, zuweilen
geradezu subakut — auf autosuggestivem Wege — eine paranoische Um¬
wandlung des ganzen, die eigene Person betreffenden individuellen
Erfahrungsinhaltes „in der Richtung der Erhöhung der äußeren
Person“ vollzieht. Eine ausgesprochene „Verarbeitung“, eine eigentliche Wahn¬
bildung wie bei der Paranoia fehlt. Es fehlt auch ein deutlicher Beziehungs¬
wahn; dagegen tritt die Lust zu fabulieren mehr oder weniger hervor. „Die
Größenideen wie die Beeinträchtigungsideen sind eines Tages nach Art der Pri¬
mordialdelirien da.“ Oft fallt Gemütsstumpfheit auf; doch handelt es sich nicht
wie bei der Dementia praecox um „generelle Abstumpfung des Interesses“, zeit¬
weise tritt vielmehr „eine deutliche Aktivität insofern hervor, als eine Neigung
zum Aufhetzen und zu Disziplinstörungen besteht“. Die Trennung der Wahn¬
ideen von einfachen und Phantasielügen ist in diesen Fällen recht oft kaum durch¬
führbar. Groß ist die Ähnlichkeit mit Simulation — begreiflicher Weise, da
langdauernde Simulation wohl nur auf dem Boden einer degenerativen Anlage
vorkommt und auch die Simulanten, ähnlich den Kranken der dritten Gruppe,
nicht selten autosuggestiv „mit ihren Rollen verwachsen“. — Selbst nach mehr¬
jähriger Dauer kann bei Fällen dieser Art überraschender Weise Heilung mit
völliger Krankheitseinsicht eintreten.
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Manchen diagnostischen und, was für die Praxis vielleicht noch wichtiger ist,
manchen prognostischen Irrtum wird der Psychiater vermeiden, der des Yerfs.
überzeugende Ausführungen berücksichtigt. Recht sehr zu wünschen und wohl
auch zu erwarten ist es, daß uns Verf. auch über seine weiteren Erfahrungen auf
dem Gebiete der im allgemeinen viel zu wenig gekannten und auch viel zu wenig
gewürdigten DegenerationBpsychosen beriohten wird.
27) Degeneratie (eene espulatirogene oorrelatie stoornis), per Dr. W. H. Cox
(Utrecht). (Psychiatr. enneur.Bladen. 1907. Nr.l.) Ref.: Giesbers (Rotterdam).
In einer größeren Arbeit kommt Verf. auf Grund anthropologischer Unter¬
suchungen und Überlegungen zu folgenden Folgerungen:
Bevor man sich den Begriff Degeneration genauer klarlegen kann, muß man
erst den Begriff Genus näher bestimmen.
Das Genus einer Pflanze oder eines Tieres ist nach de Vries (Mutations¬
theorie) bestimmt durch einen Komplex von elementären Eigenschaften, die konstant
sind nach Art und Zahl. Den Zusammenhang, der zwischen verschiedenen Unter¬
teilen bei organischen Wesen besteht, nennt er nach Darwin Korrelation. Eine
Störung dieser Korrelation will er als Degeneration bezeichnen. Die Bewohner
von Westeuropa bestehen nach den neueren Ansichten aus zwei Hauptrassen und
deren Kreuzungsprodukten, der teutonischen mit blonden Haaren, blauen Augen,
dolichocephal, und der alpinen mit braunen Haaren und Augen und rundem Schädel.
Jede dieser Rassen hat eine bestimmte Korrelation der Eigenschaften. Korrelations-
Störungen kommen hauptsächlich bei Kreuzungsprodukten vor, als Hypertrophie
einer oder mehrerer Eigenschaften mit Hypotrophie anderer. Betrifft dies die
psychischen Eigenschaften, dann entstehen nach der einen Seite einseitige Talente,
Genies, nach der anderen Desiquilibrierte und Verbrecher. Je weitergehend die
Kreuzung, desto größerer Korrelationsverlust, desto mehr Polymorphie.
28) Über eine besondere Form von Qehörshallozinationen bedingt duroh
Cerumenpfropf, von Stein. (Prager med. Wochenschr. 1907. S.429.)
Ref.: Pilcz (Wien).
78jähriger Mann. Seit 2 Jahren hat derselbe die Empfindung anfangs,, daß
er ein wirklich gehörtes Wort oder kurzes Satzgefüge etwa 20 mal im Kopfe
wiederholen hört; später hörte er noch öftere Wiederholungen und zwar solange,
bis er ein anderes reales Wort hörte, das nun seinerseits im Kopfe wiederholt
wurde; schließlich nahmen die Gehörshalluzinationen auch musikalischen Charakter
an, insofern als jede Phrase nach irgend einer bestimmten Melodie wiederholt
wurde (Pat. ist nicht musikalisch). Die Erscheinung hält den ganzen Tag an,
wird bei Ablenkung der Aufmerksamkeit (intensive Arbeit) schwächer, umgekehrt,
wenn sich Pat. die Ohren zuhält, deutlicher. Pat. gibt an, auf dem linken Ohre
schlechter zu hören. Die otologische Untersuchung ergab: links: Krustenbildung
im Gehörgange. Trommelfell blaßgrau, leichte Gehörseinschränkung, Knochen¬
leitung gut; rechts: harter voluminöser Ceruminalpfropf. Hörfähigkeit bei ob¬
jektiver Prüfung, entgegengesetzt den Angaben des Patienten, rechts schlechter
als links. Knochenleitung gut. Nach Entfernung des Ceruminalpfropfes schwanden
die Gehörstäuschungen vollständig und definitiv. Psychischerseits in den letzten
Tagen „leichter“ BeziehungBwahn (!), Reizbarkeit.
In den Erklärungsversuchen rekurriert Verf. auf die Arbeit von Pick:
„Über Halluzinationen in pathologisch veränderten sensorischen Mechanismen“, die
übrigens nicht, wie Verf. irrtümlich angibt, in der Wiener klin. Wochenschrift
1907 Nr. 7 erschienen ist, sondern ebenda 1905 Nr. 7; er faßt die Gehörshallu¬
zinationen auf als Reaktionen des durch Gehörtes noch im Erregungszustand be¬
findlichen Wortcentrums, und betont, daß zum Zustandekommen der Symptome
außer dem Ceruminalpfropf noch die veränderte Psyche des Kranken notwendig war.
Ref. kann nicht umhin, den Fall als einen mangelhaft beschriebenen aufzu-
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fassen; die Frage: Hallucinose (Wernicke), Paranoia, seniler Beeinträchtigungs-
wahn wird gar nioht berührt; es ist nichts gesagt, ob die Halluzinationen uni¬
lateral waren, nichts über den weiteren Verlauf, nioht einmal, wie lange denn
nach der Operation die Erscheinungen „definitiv 1 * beseitigt waren; die Frage der
Dissimulation wird gar nicht erörtert. Aach die schönen und gerade in diesem
Falle unbedingt zu berücksichtigenden Arbeiten von Berze: „Über das Bewußt¬
sein der Halluzinirenden“ (Jahrb. f. Psych. 1897) und von Redlich-Kaufmann:
„Ohrnntersuchungen bei Öehörshalluzinanten“ (Wiener klin. Wocbenschr. 1896)
scheint Verf. nicht zu kennen.
III. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psyobiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 11. November 1907.
Herr Oppenheim hält einen warmen Nachruf auf Hitzig.
Tagesordnung: 1. Herr Oppenheim: Demonstration eines Falles von
sakraler Form der multiplen Sklerose. (Vgl. Originale I in dieser Nummer.)
Diskussion: Herr Jacobsohn fragt, ob bei dem Pat. eine Lumbalpunktion
gemacht ist und mit welchem Ergebnis.
Herr K. Mendel hat einen ganz gleichen Fall beobachtet, der aber außerdem
eine temporale AbblassnDg der Papillen darbot, letztere sicherte die Diagnose
„multiple Sklerose“. Im Anfang hatten Symptome einer Halbseitenlähmung be¬
standen, so daß zunächst an einen Bückenmarkstumor gedacht wurde, später aber
entwickelte sich das gleiche Symptomenbild, welches der Fall des Vortr. darbietet.
Herr Oppenheim verneint die Frage von Herrn Jacobsohn. In anderen Fällen
der gleichen Art hat anch er die Diagnose sichernde Begleitsymptome gesehen.
2. Herr Brodmann: Zur histologisohen Lokalisation des menschlichen
Scheitellappens. (Mit Demonstrationen.) Im Anschluß an seine frühere lokali-
satorische Einteilung der Großhirnrinde bei den Affen und an die kürzlich voll¬
endete, noch unveröffentlichte topographische Feldergliederung der Halbaffenrinde
hat Vortr. neuerdings auch die kortikale Lokalisation des menschlichen Großhirns
in Angriff genommen und gibt zunächst eine abgeschlossene histotopographische
Einteilung des Lobus parietalis (und des Lobus occipitalis). In dem in
Frage kommenden Gebiete lassen sich folgende durch ihren cytologischen Schichten¬
bau voneinander abweichende Strukturtypen unterscheiden und diesen entsprechende
Bindenfelder (Areae cytoarchitectonicae) räumlich abgrenzen: I. In der Begio
Rolandica, wie schon vor Jahren beschrieben: 1. Die Area gigantopyra-
midalis — Typus 4 der niederen Affen (Biesenpyramidentypus) —, auf die
kaudale Rinde des Gyrus centralis anterior beschränkt. 2. Die Area frontalis
agranularis — Typus 6 — nach vorn an den Biesenpyramidentypus sich an¬
schließend, gehört im kaudalen Abschnitt ebenfalls der Begio Bolandica an, da
das Feld den vorderen Umfang des Gyrus centralis anterior fast in ganzer Längen¬
ausdehnung, ausgenommen dessen dorsalsten Teil, einnimmt. 3. Die Area post-
centralis oralis — Typus 3 —, ein schmaler Bindenstreifen, welcher in der
Hauptsache auf die vordere Lippe des Gyrus centralis posterior beschränkt ist.
4. Die Area postcentralis intermedia — Typus 1 —, der Kuppe der hin¬
teren Centralwindung entsprechend. 5. Die Area postcentralis caudalis —
Typus 2 —, welche im wesentlichen die hintere Lippe des Gyrus centralis
posterior einnimmt und teilweise auf den angrenzenden Lobulus parietalis su-
perior übergeht. Diese 5 Typen sind bei den Affen in allen wesentlichen
Strukturmerkmalen ebenso ausgebildet und auch ihre topische Lokalisation ist die
gleiche wie beim Menschen, so daß an der Homologie kein Zweifel sein kann.
Bei den Halbaffen sind Typus 4 und 6 gleichfalls vorhanden, dagegen findet sich
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an Stelle von Typus 1, 2 und 3 (der Area postcentralis oralis, intermedia und
caudalis) nur ein einziges Strukturgebiet, die Area postcentralis communis, welche
gewissermaßen ein Mischtypus der drei genannten ist und daher das indifferenzierte
Ausgangsstadium von jenen darstellen dürfte. — Die gleichen Verhältnisse wie
bei den Halbaffen sind bei den lissencephalen Krallenaffen (Hapalidae) vorhanden.
II. Im eigentlichen Scheitellappen: 6. Die Area praeparietalis — ein
Rindentypus, der vom Vortr. zuerst hei den Affen als Typus 5 beschrieben und
jüngst (Euch bei den Halbaffen nachgewiesen wurde und der mit dem Riesen-
pyramidentypus das Gemeinsame hat, daß in der 5. Schicht außerordentlich große
Ganglienzellen vorhanden sind. Er nimmt beim Menschen einen ganz kleinen
Bezirk im vordersten Teile des oberen Scheitelläppohens ein und greift, zwerch¬
sackförmig über die Mantelkante hinweghängend, auf den hinteren Rand des
Lobulus paracentralis über, wo er mit der Area gigantopyramidalis zusammenstößt.
Biologisch bedeutungsvoll ist es, daß das homologe Feld bei den Halbaffen nicht
nur räumlich am ausgedehntesten, sondern auch strukturell am differenziertesten
ist, während die Affen eine Mittelstellung einnehmen. Sein Vorkommen bei
niederen Tieren (auch bei Chiropteren) läßt auf elementare Funktionen, denen
es vorsteht, schließen. 7. Die Area parietalis superior gehört in der Haupt¬
sache dem oberen Scheitelläppchen und an der Medialfläche dem Praecuneus an.
8. Die Area supramarginalis und 9. die Area angularis, beide annähernd auf
die gleichnamigen Windungszüge beschränkt. Die letzteren 3 Typen sind struk¬
turell einander am ähnlichsten, bieten aber für eine genauere histologische Analyse
hinreichend Unterschiede, um sie als besondere Felder abgrenzen zu können. Bei
den Affen und Halbaffen findet sich an ihrer Stelle nur ein Feld, die Area parie¬
talis communis (Typus 7 der Affen). Ob dieses Feld allen drei menschlichen
Scheitellappentypen entspricht, und als deren tektogenetisches Ausgangsglied an¬
gesehen werden muß, oder ob es nur einem von ihnen, etwa der Area parietalis
superior homolog ist, läßt sich vorläufig nicht sicher entscheiden. Im letzteren
Falle wären die Area supramarginalis und angularis als spezifisch menschliche
Bildungen aufzufassen. III. Im Occipitallappen sind ganz übereinstimmend
mit Affen und Halbaffen von den angrenzenden Parietaltypen zu unterscheiden:
10. Die Area striata — Calcarinatypus oder Typus 17 der Affen —, schon
1903 im Anschluß an Bolton auch beim Menschen eingehend lokalisatorisch be¬
handelt. 11. Die Area occipitalis — Typus 18 — ein koronales Rindenfeld,
das wie bei den Affen und Halbaffen die Area striata gürtelförmig an der
medialen und lateralen Hemisphärenfläche umgreift. 12. Die Area praeoccipi-
talis — Typus 19 der Affen —, welche die Area occipitalis koronaartig rings
umschließt, wie diese die Area striata. Oralwärts grenzt sie an die Area parie¬
talis superior und die Area angularis. — Vortr. geht nicht so weit, die von ihm
abgegrenzten Rindenfelder für irgend eine physiologische Anschauung oder gar
jedes für eine ganz bestimmte Funktion in Anspruch nehmen zu wollen; es ist
jedoch zu beachten, daß in den letzten Jahren sowohl auf klinischer Seite (Fälle
von Mills, Spiller und Monakow einerseits und von Redlich, Oppenheim,
Grasset, Monakow, Durant, Lemos u. a. andrerseits) wie von experimentell
physiologischer Seite (Rindenreizungen von Sherrington und Grünbaum, C. und
0. Vogt an Affen, Horsley, Stewart, F. Krauße u. a. beim Menschen), sich
die Erfahrungen mehren, welche für eine funktionelle Scheidung der hinteren
Centralwindung bzw. des Sch eitel lappens von der vorderen Centralwindung sprechen.
Von diesem Gesichtspunkte aus könne den anatomisch lokalisatorischen Fest¬
stellungen vielleicht sehr bald praktische Bedeutung zukommen. Autoreferat.
Diskussion: Herr M. Rothmann: Wir alle sind wohl Herrn Brodmann
für die Demonstration dankbar, welche eine wesentliche Bereicherung und Ver¬
feinerung der anatomischen Differenzierung der Scheitellappenrinde darstellt. Be-
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sonders angenehm fiel mir die große Zurückhaltung auf, die der Vortr. in bezug
auf physiologische Schlußfolgerungen aus den anatomischen Differenzen ver¬
schiedener Rindenabschnitte heute geübt hat. Wenn er zum Schluß seiner Aus¬
führungen darauf hinwies, daß gewisse RUokschlüsse auf die funktionelle Bedeutung
des Scheitellappens sich aus dem Verhalten der Rinde, die von dem „motorischen“
Rindentypus beträchtlich abweicht, entschieden aufdrängten, so ist immer wieder
zu betonen, daß beim Affen dieses Gebiet unbedingt mit entfernt werden muß.
damit die von der Großhirnrinde abhängigen Bewegungen der Extremitäten
dauernd zum Ausfall kommen. Die von H. Munk festgestellten Grenzen der
Extremitätenregion, die sich bei allen Nachuntersuchungen bewährt haben, um¬
fassen, vor allem im Gebiet des Lobus parietalis sup., auch große Abschnitte des
Scheitellappens. Sogar die Versuche Brodmanns selbst, bei denen bald die
vordere, bald die hintere Centralwindung entfernt wurde, bestätigen ja die Resti¬
tution der Bewegungen nach alleiniger Ausschaltung der Gebiete vor dem Sulcus
centralis. Ich möchte auf diese Verhältnisse heute nicht näher eingehen und nur
nochmals betonen, wie vorsichtig man bei der Übertragung anatomischer Ergeb¬
nisse auf das funktionelle Gebiet sein muß. Nur das physiologische Experiment
kann hier, gestützt auf die Resultate anatomischer Forschung, das entscheidende
Wort sprechen. Dann möchte ich den Herrn Vortr. um eine Aufklärung bitten.
Bekanntlich bat Campbell auf dem gleichen Gebiet ausgedehnte Untersuchungen
angestellt. In seiner zusammenfassenden Arbeit grenzt er eine besondere Scheitel¬
lappenrinde eigentlich nur entsprechend dem Lobus parietalis superior ab, während
fast das ganze Gebiet des unteren Scheitellappens mit Ausnahme eines schmalen
Streifens an der hinteren Centralwindung zusammen mit den unteren Windungen
des Schläfenlappens sein audito-psychisches Feld darstellt. Sie sehen, daß
Campbell in der Übertragung der anatomischen Ergebnisse auf die Funktion
besonders weit geht. Eine derartige Ausdehnung der mit dem Gehörssinn in Be¬
ziehung stehenden Rindengebiete erscheint nun, auch nach den experimentellen
Ergebnissen, wenig wahrscheinlich und stimmt, so weit ich verstanden habe, auch
mit den Resultaten des Vortr. nicht überein. Vielleicht gibt uns Herr Brod-
mann noch genauere Auskunft, wie sich seine Untersuchungen zu denen Camp-
b el 1 s stellen. Autoreferat.
Herr Vogt behauptet auf das entschiedenste, daß hintere und vordere Central-
windung physiologisch streng getrennt sind, sowie daß Exstirpationen der beiden
Regionen ganz verschiedene Bilder in klinischer Beziehung darbieten.
Herr M. Rothmann: Nachdem der Vorredner so nachdrucksvoll auf die Be¬
ziehungen der vorderen und hinteren Centralwindung eingegangen ist, muß ich
doch mit einigen Worten meinen Standpunkt wahren. Eis kann beim niederen
Affen durchaus nicht als gesicherte Tatsache gelten, daß nur die vordere Central¬
windung elektrisch erregbare Foci enthält. H. Munk uud ich selbst konnten
solche Foci auch in der hinteren Centralwindung nachweisen, wenn dieselben auch
hier in geringerer Zahl und Ausdehnung vorhanden Bind. Aber der Nachweis
der elektrischen Erregbarkeit ist hier nicht das Wesentliche, da elektrische Er¬
regbarkeit und motorische Funktion durchaus nicht in der Großhirnrinde unbedingt
zusammenfallen. Hätte Herr Vogt seine Affen mit exstirpierter vorderer Central¬
windung nicht nur 3 Wochen, sondern einige Monate am Leben erhalten, so
würde er sich von der Wiederkehr der isolierten Bewegungen in den geschädigten
Extremitäten leicht überzeugt haben. Das beweist aber, daß hinter der Central¬
furche auch Centren für die Motilität vorhanden sind. Daß der motorische Aus¬
fall bei Entfernung der vorderen Central windung größer ist als bei Entfernung
der hinteren, das erklärt sich aus der weit mächtigeren Entwicklung der ersteren.
Ob die Verteilung der sensiblen und motorischen Centren in beiden Central¬
windungen die gleiche ist, das ist allerdings fraglich. Ein Überwiegen der sensiblen
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Lokalisation in der hinteren Centralwindung und in dem Parietallappen ist sehr
wohl möglich; aber daran ist nach den Ergebnissen des physiologischen Experi¬
mentes unbedingt festzuhalten, daß die ganze Extremitätenregion im Uunkschen
Sinne motorische Elemente enthält, deren Erhaltensein auch nur hinter der Central¬
windung zur Auslösung der isolierten Bewegungen ausreicht. Autoreferat.
Herr Vogt hat nie von motorischen und sensorischen Funktionen gesprochen,
sondern nur von der elektrischen Reizbarkeit bestimmter Stellen (elektrischen
Foci) und von dem verschiedenen Aussehen der Ausfallserscheinungen. Auch be¬
züglich der Dauer der Störungen ist er anderer Meinung als Herr Roth mann.
Herr Brodmann (Schlußwort): Wenn Herr Rothmann jetzt eine ver¬
schiedene physiologische Dignität des Gyrus centralis anterior und posterior an¬
erkennt, so kommt er unserem Standpunkte immer näher. Herr Campbell
ist in seiner lokalisatorischen Gliederung der menschlichen Hirnrinde nicht so
weit gekommen, wie ich (zeitlich vor ihm) bei den niederen Affen. Er hat
in der hinteren Centralwindung nur zwei Typen unterschieden, im Ocoipital-
lappen trennt er die strukturell ganz differente Area occipitalis nioht von der
Area praeoccipitalis, die Area praeparietalis wurde von ihm ganz übersehen,
obwohl sie bereits früher von mir beschrieben war. Den Lobulus parietalis
inferior, in dem ich zwei Felder abgrenze, faßt er mit dem ganzen Lobus tem-
poralis zu einem einheitlichen Gebiet zusammen, während ioh in der ersten
Schläfenwindung allein wieder drei, in den übrigen Temporalwindungen mindestens
zwei Felder unterscheiden kann. Seine Lokalisation kann also gerade in bezug
auf die wichtigen Rindenabschnitte des Scheitel- und Schläfenlappens nicht als
erschöpfend und ausreichend bezeichnet werden. Autoreferat.
3. Herr Reich (Herzberge): Arefiexie der Cornea bei Tumor des Stirn-
hirns (Neuroglioma ganglionare). Vortr. berichtet über einen Tumor des rechten
Stirnhirns, der klinisch und anatomisoh mancherlei interessante Eigenheiten dar¬
bot. Bezüglich der Symptome war besonders auffällig Beugung des Kopfes
nach der Seite des Tumors, Drehung des Gesichtes und der Augen nach
der dem Tumor entgegengesetzten Seite, verbunden mit starrer Kontraktur des
Sternocleidomastoideus auf der Seite des Tumors, Verkrümmung des
Rumpfes mit der Konvexität nach der vom Tumor abgekehrten Seite. Die Ex¬
tremitäten der dem Tumor entgegengesetzten Körperseite befanden sich in dem
Zustande einer eigenartigen tonischen Lähmung, die, in den distalen Teilen
am wenigsten ausgeprägt, proximalwärts progressiv zunahm und besonders
stark in Schulter und Hüfte ausgebildet war. Dieselbe ging in den letzten
Stadien der Krankheit auch auf die andere Seite über. Außerdem bestand eine
Arefiexie der rechten Cornea, aus der sich allmählich eine fast völlige
sensible Lähmung des rechten Trigeminus entwickelte. Von weiteren Symptomen
seien erwähnt: Neuritis optica (r. > 1.) mit Ausgang in Atrophie, hochgradige
anscheinend central ausgelöste Schmerzhaftigkeit in den befallenen Gliedern und
auch im Rumpfe, Atrophie der gelähmten Muskeln ohne Entartungsreaktion,
Temperaturdifferenz beider Achselhöhlen, Drehschwindel, Gangstörung, Bradyphasie,
Benommenheit, Halluzinationen usw. Die Diagnose wurde hauptsächlich mit
Rücksicht auf die Arefiexie der Cornea vermutungsweise auf Tumor der rechten
hinteren Schädelgrube gestellt. Die übrigen Symptome schienen mit einer solchen
Diagnose nicht ganz imvereinbar. Anatomisch fand sich ein gut abgegrenzter klein¬
apfelgroßer Tumor, der sich in dem Sulcus frontalis 1 des rechten Stirnhirns ent¬
wickelt hatte und die erste Stirnwindung stark medialwärts, die zweite und dritte
Stirnwindung nach lateral unten und das Mark der hinteren Teile des Stirnhirns
nach hinten verdrängt hatte. Die mediale Fläche des linken Stirnhirns war durch
den Druck von rechts her stark ausgehöhlt. Außerdem fand sich eine auf Serien¬
schnitten verfolgte hochgradige Degeneration des rechten Trigeminus, die sich auf
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«len Nervenstamm und die auf- und absteigende Wurzel erstreckte, und im Qaer-
schnittbild deutlich als scharf abgegrenztes helles Feld hervortrat. Nur die
motorischen Fasern waren wenigstens partiell erhalten. Im motorischen Ker-i
fanden sich rechts zahlreiche, links spärliche Zellen mit chromolytischer Dege¬
neration. Der Ramus ophthalmicus des Trigeminus und das Ganglion ciliare
waren unversehrt. Das rechte Ganglion Gasseri zeigte sich verkleinert, etwas
arm an Zellen und in seiner allgemeinen Konfiguration etwas deatruiert. Neben
dem rechten Ganglion Gasseri fand Bich völlig frei in der Impressio trigemini
unterhalb der Dura liegend eine länglich runde wie ein Fettträubchen aussehende
Bildung von etwa ReiskorngröBe. Dasselbe bestand mikroskopisch aus einem
neurogliären Grundgewebe, das reichlich feine Nervenfasern und Ganglienzellen
enthielt. Letztere zeigten zum Teil etwas atypische Formen, zum Teil aber
handelte es sich um ganz große Zellen von ausgeprägt stiohochromem Typus mit
groben Nisslschen Granulis von charakteristischer Anordnung. Eis war dabei
eine deutliche Schichtung in Mark und Rinde vorhanden derart, daß die Nerven¬
fasern im wesentlichen im Centrum, die Ganglienzellen hauptsächlich an der Peri¬
pherie angeordnet waren. Auch eine kleine Pia, die die Geschwulst einhüllte
und von der aus die Gefäße ins Innere zogen, war vorhanden. Es handelte sich
also um ein Gebilde, das die histologische Struktur des Gehirns im kleinen wieder¬
holte, also gewissermaßen um ein kleines „Nebengehirn“. Will man dies Gebilde
als Geschwulst auffassen, so wäre es als Neuroglioma ganglionare zu bezeichnen.
Der große Tumor bestand aus atypischen sternförmig verästelten Zellen. Sie
hatten zum Teil Kerne, die wie die der Ganglienzellen aussahen, es ließen sich
in ihnen nach Bielschowskys Verfahren Fibrillen darstellen, auch gelang es
mit basischen Anilinfarbstoffen meist mehrfÖrroig angeordnete färbbare Substanz¬
portionen in ihnen nachzuweisen. Vortr. glaubt, daß die Annahme nicht ganz
von der Hand zu weisen ist, daß die große Geschwulst sich ebenso wie die kleine
als „Nebengehirn“ charakterisierte Bildung auB einem verirrten Keime neuro-
epithelialer Art entwickelt haben dürfte. Dieser Keim hätte sich dann in dem
einen Falle zu typischem organoidem Gewebe, im andern Falle durch atypische
Wucherung zu einer großen deletären Geschwulst entwickelt. Vortr. meint, daß
genauere Untersuchung der Gehirngeschwülste mit den feineren Methoden der
neurologischen Technik wohl manche der als Sarkome und mit ähnlichen Namen
bezeichneten Geschwülste ah neuroepithelialer Natur erkennen lassen würde. Er
hat selbst erst vor kurzem an anderer Stelle zeigen können, daß eine Gehirn-
geschwulst, die in vieler Hinsicht den Charakter eines Spindelzellensarkoms zeigte,
nicht aus Zellen bindegewebiger Natur, sondern aus neurofibrillenbildenden, also
nervösen Zellen bestand. Bezüglich der einzelnen klinischen Symptome glaubt
Vortr. zunächst, daß die Areflexie der Cornea, die sonst als ein typisches Symptom
für Tumoren der hinteren Schädelgrube gilt, hier zustande gekommen ist durch
vereinigte Wirkung beider Tumoren. Die eigenartige Kombination von Blick¬
wendung, Kopfdrehung, Rumpfbeugung und Lähmung von Schulter und Hüfte
hängt wohl direkt von der Lokalisation des Tumors ab, der, wenn man ihn in
das übliche Lokalisationsschema einträgt, entsprechend seiner Lage zwischen dei
ersten und zweiten Stirnwindung, so gelegen ist, daß sein Druck sich medialwärta
gegen das in der ersten Stirnwindung gelegene Rumpfcentrum, lateralwärts gegen
das in der zweiten Stirnwindung gelegene Centrum für Kopfdrehung und Blick¬
bewegung und nach hinten gegen die am Fuße der ersten Frontalfurche an¬
einanderstoßenden Centren für Schulter und Hüfte richten mußte. Vortr. hält es
für möglich, daß das Symptom einer derart kombinierten Lähmung eventuell in
späteren Fällen für die Lokaldiagnose von Stirnhirntumoren verwertet werden
könnte. Autoreferat. Martin Bloch (Berlin).
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XXXVIII. Versammlung der südwestdeutsohen Irrenärste in Heidelberg
am 2. und 3. November 1907.
Referent: Hugo Levi (Stuttgart).
(Schluß.)
Herr Fuchs: Psychiatrie und Mneme. Neben der klinischen Zusammen¬
gehörigkeit sind die biologischen und anthropologischen Zusammenhänge von Be¬
deutung. Die moderne Naturwissenschaft, die den Gedanken Herings von dem
Gedächtnis als einer allgemeinen Funktion der organischen Materie annimmt und
damit Gedächtnis, Vererbungsfähigkeit, Regulations- und Regenerationsvermögen
einheitlich erklärt, gestattet Analogieschlüsse auf allen Gebieten der Naturwissen¬
schaft. Aus den Vererbungsgesetzen (Mendel), dem Gesetz der Anpassung, der
Zuchtwahl, ans den Erfahrungen der Tierzüchter, der Pädagogen wie der Psychiater
geht hervor, daß die psychische Individualität aus Einzelbestandteilen sich zu-
sammensetzt, die sich gegenseitig mehr weniger glücklich im Sinne der Funktion
ergäuzen, und daß davon die Art der Reaktion auf Erlebnisse sowie die Leistungen
abhängen. Autoreferat.
Herr L. Mann (Mannheim): Die psychiatrischen Aufgaben der Gemeinden.
In der Mehrzahl der Städte ist im Gegensatz zu dem sonstigen Verständnis für
sozial-hygienische Aufgaben die Versorgung der Geisteskranken vor der Aufnahme
in die Anstalt eine ungenügende. Die paar Zellen, die gewöhnlich zur Verfügung
stehen, können nur der Verwahrung dienen, eine Behandlung ist so gut wie aus¬
geschlossen. Die Gemeinden müssen entweder in Form eigener psychiatri¬
scher Abteilungen der Krankenhäuser oder von Asylen — beide unter
spezialistischer Leitung — für eine sachgemäße Vorbehandlung Geisteskranker,
Versorgung akut hilfsbedürftig Gewordener (Epileptiker, Hysteriker, Alkoholiker,
Deliranten, Psychopathen usw.), die rasch wieder zur Entlassung kommen, sorgen.
In größeren Städten ist dieser Einrichtung die Begutachtung event. Behandlung
und Erziehung von Fürsorgezöglingen und Jugendlichen anzuschließen, wie dies
Frankfurt durchgeführt hat. Der klinischen Einrichtung ist eine psychiatrische
Beratungsstelle anzuschließen mit Poliklinik für das Heer der psychisch Ner¬
vösen und mit einer Auskunftsstelle für alle Fragen des Irrenwesens, in welcher
Gesunde und Kranke über die rechtlichen Verhältnisse, Anstaltsunterbringung, Ent-
mündigungsangelegenheiten, Verfahren mit Alkoholikern usw. unentgeltlich Aus¬
kunft erhalten. In Verbindung hiermit wäre eine Centrale zur Bekämpfung
des Alkoholismus zu schaffen. Ferner wird die Einrichtung von Kursen für
Freiwillige und Berufsirrenpfleger ermöglicht, die den Anstalten einen
Nachwuchs von geeignetem Material liefern können. Es ist anzunehmen, daß bei
dem Wechsel der Lage des Arbeitsmarktes sich genügend Leute für den Pfleger¬
beruf finden, wenn sie Gelegenheit haben, diesen vorher kennen zu lernen. Vortr.
verspricht sich hiervon Vorteile für die Qualität des Pflegepersonals. Ebenso
werden Kurse für Juristen, Verwaltungsbeamte, Lehrer und die Polizei abzuhalten
sein, wie dies Dannemann, der in allen diesen Fragen besondere Verdienste
hat, für letztere durchführte. Sehr wichtig ist die Fürsorge für die entlassenen
Geisteskranken und Fürsorgepfleglinge. Die Hülfsvereine für entlassene Geistes¬
kranke genügen nicht; es muß ein psychiatrischer Arbeitsnachweis ge¬
schaffen werden, der einerseits in Verbindung mit den entlassenden Anstalten,
andererseits in Verbindung mit den städtischen allgemeinen Arbeitsnachweisen und
den Arbeitgebern stehen soll. Wenn ein Kranker zur Entlassung kommt, so soll
schon eine Unterkunftsstelle und Arbeitsstelle für ihn bereit sein. Die Centrale
übt dann die weitere Kontrolle aus und erledigt die Erkundigungen der Anstalten.
Weiter muß die Centrale in Verbindung stehen 1. mit der Schulbehörde, 2. mit
der Aushebungskommission (rechtzeitige Ausschaltung Minderwertiger vom
Militär), mit den Gerichtsbehörden (bei Einleitung von Zwangs- und Fürsorge-
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erziehung, Verfahren bei Jugendlichen), 4. mit dem Bezirksamt oder der ent¬
sprechenden Verwaltungsbehörde (Begutachtung und Verfahren bei Landstreichern,
Prostituierten usw.). Schließlich wird die Stadtpsychiatrie bei der Statistik der
Psychosen und Psychoneurosen, bei anamnestischen und katamnestischen Erhebungen,
bei der Familienforschung, bei der Erforschung der sozialen Ursachen und sozial¬
hygienischen Prophylaxe (Einfluß von Beruf, Wohnungsverhältnissen, Arbeits¬
verhältnissen, Kinderarbeit usw.) wertvolle Dienste leisten können. Autoreferat.
Diskussion: Herr Sioli (Frankfurt) und Kreuser (Winnenthal) stimmen
dem Vortr. bei.
Herr M. Friedmann: Zur Indikationsstellung für den künstlichen
Abort wegen psyohiaoher Krankheit. Nach Vortr. sind zwei prinzipiell
geschiedene Anzeigen für den Abort wegen psychischer Krankheit zu trennen.
Bisher hat es sich fast durchweg in den Erörterungen um die sogen. Graviditäts¬
und Puerperalpsychosen gehandelt und dabei um die kausale Frage, ob der
Abort die Entstehung einer solchen Psychose verhindern oder die Heilung einer
bereits ausgebrochenen Psychose herbeiführen könne. Diese Frage wird im
allgemeinen verneint (zuletzt von Alzheimer). Jolly dagegen hatte behauptet,
daß die Schwangerschaft als ungünstige Komplikation einer Melaucbolie und
Katatonie erscheinen und daß daher ihre Beseitigung normalere Heilungsmöglicb-
keit schaffen könne. In der ärztlichen Praxis indessen besitzt nach langjähriger
Erfahrung des Vortr. die Frage des Abortes bei allen echten Psychosen überhaupt
nur recht geringe Bedeutung. Sehr viel häufiger ergibt sich hier die zweite
Indikation, welche freilich bisher anscheinend nur von Pick literarisch vertreten
worden ist, und welche Vortr. veranlaßt hat, bisher binnen 12 Jahren in fünf
Fällen den Eingriff zu befürworten. Es handelt sich hier um ausnahmsweise
schwere atypische und psychogene Erregungen, aUo um eine abnorme
psychopathische Reaktion, welche ihrer Art nach vergleichbar ist beispiels¬
weise mit gewissen atypischen Haftpsychosen (Willmanns), vielen traumatischen
Neurosen und der „neurasthenischen Melancholie“, wie sie Vortr. selbst schon
früher beschrieben hat. Zugrunde liegt die Angst und Furcht der Frauen vor
der Geburt oder vor der neuen Mutterschaft und zwar dann, wenn jene in seltenen
Fällen zu hochgradiger und abnormer „Überwertigkeit“ anwächst. Das
Symptomenbild wird in erster Linie beherrscht von der andauernden und schweren
Angst bzw. von besonderen schweren Angstanfallen. Dazu tritt fast regulär
ein intensiver Selbstmorddrang, häufig Feindseligkeit und Wutanfälle gegen
den Ehemann und regelmäßig ein Erlöschen aller sonstigen geistigen Interessen
und nützlicher Betätigung. Die Stimmung ist die einer kontinuierlichen dumpfen
oder erregten Verzweiflung begleitet von rascher körperlicher Abnahme. Objektiv
sind die Ursachen der Geburtsangst an und für sich betrachtet nicht sehr erheblich
gewesen (z. B. vorangehende schmerzhafte Entbindung, ärmlich gewordene Ver-
mögensverhältnisee bei den Frauen). Vor Eintritt der Schwangerschaft indessen
sind die Frauen schon nervös erschöpft und überdies oft neuropathisch belastet
gewesen. Charakteristisch für den psychogenen Ursprung der Psychopathien ist,
daß sie fast sofort nach Beseitigung der erregenden Ursache zur Heilung gelangen.
In der Tat sind sämtliche 5 Patienten des Vortr. sogleich nach der Ver¬
richtung des Abortes normal und ruhig geworden, und nur ein Fall wurde
später rückfällig. Die Gefahren der Zustände liegen begründet: 1. in dem
starken Selbstmordtriebe und den schon ausgeführten Selbstmordversuchen; 2. in
der raschen köperlichen Abnahme, welche in der Tat in dem nicht geheilten Falle
nach 2 2 / 2 Jahren den Eintritt einer floriden Lungentuberkulose mit Exitus binnen
3 Monaten zur Folge hatte; 3. in einer hartnäckigen schweren Neurasthenie und
wahrscheinlich auch einer echten Melancholie, welche hinterher in Fällen des Vortr.
sich einstellten, wo der Abort nicht ausgeführt worden war; 4. in einer dauernden
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psychischen Alteration mancher Frauen, welche sie späterhin zu kouseijuenter Ver¬
weigerung des ehelichen Zusammenlebens (und einmal seihst zur Ehescheidung*
veranlagte. Als Hilfsmittel gegen die Selhstmordgefahr hat Vortr. nicht die Ein¬
schließung in einer Irrenanstalt dem Aborte vorgezogen, weil jene 1. die Frauen
noch Monate lang ihrer Angst überantwortete, weil 2. die Frauen gar nicht
wirklich geisteskrank sied (so wenig wie ein übertriebener Eifersüchtiger oder
Hypochondrischer) und weil sie auch kaum ohne Zwang in die Anstalt zu bringen
wären, und weil 3. die Anstalt die Frauen ihren Kindern und ihrer Familie ent¬
reißen würde. Richtig ist, daß diese psychogenen Angstzustände nur in seltenen
und besonders schweren Fallen den Abort rechtfertigen. Zu verlangen ist, daß
1. stets zwei Arzte und darunter ein Psychiater die Indikation billigen und daß
2. stets der Patientin gegenüber der Eingriff zunächst verweigert und daß eine rationelle
Nervenkur zuvor erprobt wird. Da es sich um schwere und nicht unbedenkliche
Krankheitszustände hier handelt und da der Abort fast mit Sicherheit sofortige
Hilfe bringt, da auch das psychische Verhalten bei den Frauen selbst auf krank¬
haft abnormaler Grundlage beruht, so wird die Rücksicht auf die Humanität
sicherlich zugunsten des Eingriffs sprechen. Der Arzt, welcher ihn dennoch ver¬
weigert, maß sich klar darüber sein, daß er sich dabei nicht lediglich von ärzt¬
lichen, sondern auch von ethischen und sozial-juristischen Anschauungen und
Gesichtspunkten leiten läßt. Ob aber das öffentliche Rechtsbewußtsein vom Arzte
eine solche Strenge verlangt, das erscheint Vortr. mindestens zweifelhaft.
Diskussion: Die Herren Alzheimer, Gaupp und Schüle bekämpfen den
Standpunkt des Vortr. Gaupp führt aus, daß für das Handeln des Arztes das
bestehende Gesetz maßgebend sein muß, daß die Einleitung des Aborts nur dann
gerechtfertigt sei, wenn direkt das Leben der Mutter ohne dieselbe verloren sei;
davon könne in den Fällen des Vortr. nicht die Rede sein, da durch Unter¬
bringung der Patientinnen in der Irrenanstalt die Gefahr des Selbstmordes be¬
seitigt worden wäre. Schüle hält es direkt tur gefährlich, wenn der Standpunkt
des Vortr. im großen Publikum bekannt würde. Herr Wo 11 e u b e rg tritt
dieser Ansicht Schüles mit Nachdruck entgegen. Die Stellungnahme Jollys
zu dieser Frage *in Hamburg habe auch keinen Schaden gebracht. Wollenberg
kann sich sehr wohl denken, daß es Fälle gibt, in welchen das Vorgehen des
Vortr. in Frage kommen kann. Es muß von Fall zu Fall entschieden werden.
Herr Neu mann (Karlsruhe) legt das Hauptgewicht auf die Frage: ist es ein
pathologischer oder physiologischer Angstzustand.
Herr Quensel: Mit dem gleichen Thema wie der Herr Vortragende habe
ich mich kürzlich beschäftigt in einem Vorträge in der Leipziger Gesellschaft für
Geburtshilfe und Gynäkologie, der demnächst in der „medizinischen Klinik“ er¬
scheinen soll. Auf Grund eigener langjähriger Erfahrungen in der psychiatrischen
Klinik zu Leipzig bin ich zu im ganzen den gleichen Resultaten gekommen wie
Herr Alzheimer. Die Heilung bei unseren Graviditätspsychosen erfolgte meist
ganz unabhängig von der Entbindung, entweder vor oder lange nach derselben,
nur zweimal in kurzer zeitlicher und wohl auch ursächlicher Folge. Bei einer
dieser Kranken war (nach dem Vorschläge Jollys) auf unseren Rat ein Abort ein¬
geleitet. Bei einer neuen Depression in graviditate ist ohue Hinzuziehung eines
Psychiaters wiederum so und, wie ich erfahren habe, mit noch schnellerem Er¬
folge verfahren worden. Ich selbst hätte nicht wieder dazu geraten, da die Frau
inzwischen mehrfach auch normale Entbindungen durchgemacht hat, trotzdem auch
da in der Gravidität die gleiche Komplikation eingetreten, aber auch ohne Abort,
geheilt war. Es dürlte doch sehr schwer sein, die Fälle auszusondern, hei welchen
die Schwangerschaftsunterbrechung auch nur erfolgreich sein wird, und wenn man
hierbei auf die Mitwirkung psychogenbedeutsamer Faktoren besonderes Gewicht
legt, läuft man die Gefahr zu großer Konnivenz gegen nicht immer kontrollierbare
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Wünsche seiner Kranken. Ich möchte nur noch kurz erwähnen, daß mir meine
Erhebungen Material auch zur Prüfung einer anderen wiederholt aufgeführten
Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung geliefert haben, nämlich der, man
solle damit die Wiedererkrankung von Frauen verhüten, welche früher einmal
eine Psyohose im Anschluß an Gravidität oder Entbindung durchgemacht haben.
Von meinen derartigen geheilten Kranken haben eine große Anzahl später noch
eine oder mehrere Entbindungen durchgemacht, fast alle aber sind, gewisse ohnehin
periodische Kranke abgerechnet, trotzdem dauernd gesund geblieben. Es kann
also diese Indikation nach der einfachen klinischen Erfahrung künftig nicht mehr
aufrecht erhalten werden. Autoreferat.
Herr Friedmann (Schlußwort) erkennt an, daß heute noch die Mehrzahl der
Ärzte einen von dem seinigen verschiedenen Standpunkt einnimmt.
Herr Oppenheim (Freiburg): Plasmazellenbefunde im Rüokenmark
bei progressiver Paralyse. In Analogie zur Rindenerkrankung beanspruchen
bei der progressiven Paralyse auch im Rückenmark neben den degenerativen die
entzündlichen Vorgänge besondere Beachtung. In 13 Fällen von progressiver
Paralyse, bei welchen Vortr. das Rüokenmark untersuchte, fanden sich als Aus¬
druck der entzündlichen Veränderungen Plasmazelleninfiltrate in der Pia nnd den
Adventitialscheiden der Rückenmarksgefäße. Häufig wurde eine direkte Fort¬
setzung der Piainfiltration auf die im Rückenmark eintretenden, feineren Gefäße
beobachtet. Bevorzugt erwiesen sich die Gefäße der Seitenstränge und der hinteren
Wurzeln, während sich in der grauen Substanz nur spärliche Plasmazellen fanden.
An Stellen, die Weigertdegeneration zeigten, besonders in alten, sklerotischen
Partien, fanden sich stets nur wenige oder gar keine Plasmazellen, während an
den Stellen der reichlichsten Plasmazellinfiltration Marchidegenerationen bald
nachweisbar waren, bald fehlten. Ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen
degenerativen und entzündlichen Vorgängen ließ sich demnach nicht feststellen.
Die entzündlichen Prozesse spielen also im Rückenmark bei der progressiven
Paralyse eine nicht zu unterschätzende Rolle und können auch in Fällen, wo
Faserdegenerationen fehlen, die Beteiligung des Rückenmarks an der paralytischen
Erkrankung erweisen. (Der Vortrag wird demnächst in ausführlicher Form er¬
scheinen.) Autoreferat.
Herr Quensel demonstriert Präparate mit aktiven Zelldegenerationen
naoh Hirnstammverletzung bei Kaninchen. Bei gemeinsam mit Kohnstkmm
ausgeführten experimentellen Untersuchungen fanden sich im Anschluß an eine
Läsion, die in der Höhe des motorischen Trigeminuskernes gerade die Raphe
und den mittleren Teil der Formatio reticularis, von den hinteren Längsbündeln
an bis ventral in den Trapezkörper, zerstörte, eine Tigrolyse caudal gelegener
Zellen in der Formatio reticularis bis zur Höhe der Hinterstrangskerne abwärts. —
Diese Reaktion läßt dieselben als Ursprungszellen eines in der Formatio reti¬
cularis ansteigenden Systems erscheinen. Ein solches ist zu postulieren als wesent¬
liches Glied in der dritten großen corticopetalen, der Leitung von Schmerz- und
Temperatureindrücken dienenden Bahn (Kohnstamm, Gesellsch. deutscher Nerven¬
ärzte 1907), dem mit dem (zum Kleinhirn bestimmten) Gowersschen Bündel ver¬
laufenden tractus anterolateralis ascendens. Das System stammt aus Hinterhorn-
zellen, kreuzt in der ventralen Commissur, ein kleiner Teil (spinotectale Bahn
von Edinger) erreicht die Vierhügel (Hoche, v. Sölder u.a.), ein noch kleinerer
gelangt zum Thalamus (spinothalamische Bahn, Mott, beim Menschen zuerst vom
Vortr. beobachtet). Die Hauptmasse endet in der Formatio reticularis, wie
demonstrierte M ar ch i präparate zeigen (Centrum receptorium medullae oblongataeK.).
Aus der Oblongatu steigen in der Formatio reticularis ventral und lateral vom
Fase, longitudinalis post. Faserzüge auf (Forelsche Faszikel von Lewandowsky),
die den Thalamus und damit den Anschluß an die Rinde erreichen. Sie ver-
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laufen in unmittelbarer Nähe der sekundären Trigeminusbahnen, für die nach
klinischen wie anatomischen Erfahrungen durchaus analoge Verhältnisse bestehen.
Als Sohlußstein in der Kette der inultineuronalen Schmerz- und Temperatursinnes¬
leitung fehlte uns bisher nur die Kenntnis der Ursprungszellen für die aus der
Medulla oblongata entspringenden Fasern. Unsere Präparate zeigen sie genau an der
zu erwartenden Stelle degeneriert. Unsere Deutung findet gewisse Schwierigkeiten
darin, daß, wie Kohnstamm gezeigt hat, Zellen der Formatio reticularis, speziell
auch im unteren Lateralkern (Nucleus reticularis lateralis) nach Rückenmarksdurch-
schneidungen aufsteigend degenerieren, also absteigende Axone aussenden. Dem¬
gegenüber ist zu bemerken: 1. Es handelt sich zum Teil hier um andere Zellen,
besonders auch um mittelgroße im dorsalen Teile der Formatio reticularis grisea,
direkt ventral vom hinteren Längsbiindel gelegene. 2. Von den großen, ventraler
gelegenen Zellen ist von Kölliker, Ramon und von Held beobaohtet, daß sie
einen Achsenzylinderfortsatz aussenden, der sich in einen auf- und einen ab¬
steigenden Ast teilt. Damit ist die Möglichkeit einer reaktiven Degeneration
sowohl auf- als absteigend durchaus gegeben. Die Zellen stellen das Glied einer
centripetalen Kette dar. Wie so oft bei centralen Elementen sind sie aber damit
in ihrer Funktion nicht erschöpfend charakterisiert, sondern erfüllen zugleich noch
reflektorische und koordinatorische Funktionen. Als Reflexelemente sind sie denn
auch schon von Held u. a., als sensibles Neuron dritter Ordnung von Kölliker
angesprochen worden. Autoreferat.
Herr Merzbacher (Tübingen) spricht über eine eigenartige familiäre Er¬
krankung des Centralnervensystems, die bei 11 Mitgliedern einer Familie
in gleichartiger Weise aufgetreten ist. Die Erkrankung beginnt im 4. Lebens¬
monat mit Nystagmus und Tremor des Kopfes und führt allmählich zu einem Ge¬
samtbilde, das sehr an eine schwere multiple Sklerose erinnert. Bei zwei Familien¬
mitgliedern kamen noch Muskel atroph ien, Lähmungen der Extremitäten und
eigenartige Erkrankungen der Knochen hinzu. Die klinische Stellung der Er¬
krankung erscheint noch unsicher. Vortr. gelangte auch in den Besitz des Gehirnes
eines 20jährigen verstorbenen Mitgliedes dieser Familie. Die Veränderungen am
Gehirn sind sehr merkwürdig. Die Markscheiden sind fast ganz verschwunden,
die Markstreifen und so auch der Balken auf ein Minimum reduziert. Die im
Jahre 1885 von Pelizäus beschriebene familiäre juvenile multiple Sklerose
zeigt weitgehende Analogien mit der vom Vortr. gefundenen Erkrankung. Die
Untersuchungen sind noch im Gange, nach Abschluß derselben erfolgt ausführliche
Mitteilung in einem Fachblatte. Autoreferat.
Herr Homburger: Fragestellungen zur Lehre von der Struktur der
fhserlgdn pathologischen Neuroglia. Weigert hatte festgestellt, daß in der
Anordnung der normalen Neurogliafasern, deren Wesen ab Stützsubstanz ent¬
sprechend, mechanische Momente der Zug-, Druck-, Schubfestigkeit mitbestimmend
Bind und daß die normale Neuroglia von dem Rouxschen Maximum-Minimum¬
gesetz keine Ausnahme mache. Für die pathologisch neugebildete faserige Glia
beanspruchte er die Geltung seiner Schädigungstheorie in dem Sinne, daß durch
Ausfall nervösen Gewebes eine Glianeubildung ausgelöst wird mit der Tendenz
zur Überproliferation. Vortr. bringt nun einige Beispiele dafür bei, daß auch
unter pathologischen Bedingungen an der gliösen Abgrenzung von apoplektischen
Cysten bzw. Erweichungshöhlen und am Rande traumatischer Hirnrindendefekte
echte Stützgerüstformationen Vorkommen, welche dem Maximum-Minimumprinzip
entsprechen. Diese Bildungen stellen in konstruktiver und biologischer Hinsicht
einen scharfen Gegensatz dar gegenüber den strukturlosen, unentwirrbaren Faser¬
massen, die man um Erweichungen usw. gewöhnlich findet. In diesen einander
gegenüberstehenden Bildungen kommen zwei Formen des Maximum-Minimum¬
gesetzes zum Ausdruck: 1. Die gewöhnliche und für normale Verhältnisse durch-
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weg gütige: Ein Minimum an Material leistet ein Maximum an Funktion durch
die mechanisch hochwertigste Anordnung der Elemente. Unter pathologischen
Verhältnissen der seltenere Fall. 2. Ein Maximum neugebildeten Materiale*
leistet die reparatorische Funktion in einem Minimum von Zeit, wobei die An¬
ordnung der Elemente in den Hintergrund tritt; die Druckausgleichung duich
Raumausfüllung ist das wesentliche. In der Geltendmachung des zeitlichen
Momentes sieht Vortr. ein wesentliches Charakteristikum formativer Prozesse unter
krankhaften Bedingungen. Von diesen Gesichtspunkten aus ist es an sich schon klar,
daß die pathologische Neubildung von Gliafasern nicht unabhängig von derjenigen
der zelligen Glia verständlich ist; in jedem Falle sind folgende Fragen zu stellen:
1. nach der Fähigkeit der Zellen Fasern zu bilden, 2. nach der Möglichkeit
hierzu nach Maßgabe der Spannungsverhältnisse zwischen nervöser Substanz,
Flüssigkeiten und Neuroglia selbst, 3. nach dem mechanischen Erfordernis zur
Bildung von Fasern. Hierfür Kriterien zu schaffen, ist die Aufgabe späterer
Untersuchungen. Autoreferat,
Herr Rosenfeld (Straßburg): Die Serodiagnose der syphilidogenen Er¬
krankungen des Centralnervensystems. Vortr. referiert zunächst diejenigen
Arbeiten, nach welchen mit Hilfe der Komplementbindungsmethode Antistoffe in
der Cerebrospinalflüssigkeit und im Serum gefunden wurden (Wassermann.
Plaut, Marie, Levaditi, Schütze, Neisser, Bruck, Schucht u. a.). Die
beiden zuerst genannten Autoren fanden bei ihren ersten Untersuchungen in
41 Fällen von 54, Antistoffe in der Cerebrospiualflüssigkeit; in 19 Fällen von
20 auch im Serum. Marie und Levaditi konnten dieselben in 29 Fällen von
39 nach weisen. Bei Tabikern scheint der positive Ausfall der Reaktion nicht so
häufig zu sein. Nach der Untersuchung von Schütze fanden sich in 11 Fällen
von Tabes nur achtmal Antistoffe; dabei war es auffällig, daß in den vier übrig
bleibenden Fällen auch die luetische Infektion geleugnet wurde. Zahlreiche Fällt,
in denen sich Antistoffe nachweisen ließen, hatten angeblich keine Infektion durch¬
gemacht. Für den Ausfall der Reaktion war es gleichgültig, ob die Zustands-
bilder schwer waren, ob eine antiluetische Behandlung stattgefunden hatte und
ob der Zeitpunkt der Infektion schon lange zurücklag. Ein Parallelismus zwischen
der Lymphocytose und dem Vorhandensein von Autistoffen ließ sich nicht Dach¬
weisen. Bei späteren Untersuchungen von Plaut stieg die Zahl derjenigen Fälle,
in welchen sich Antistoffe im Serum und Cerebrospinalflüssigkeit nachweisen
ließen, fast auf 100 Prozent. Bei Lues cerebri und bei Lues ohne cerebrale
Affektion war die Zahl der Fälle, welche eine positive Reaktion gaben, eine
geringe. Das Vorkommen von Antistoffen in der Cerebrospinalflüssigkeit erscheint
demnach als pathognomonisch für Paralyse. Vortr. berichtet dann ferner über
Untersuchungen, welche von Fornet und Schereschewsky im Bakteriologischen
Institut zu Straßburg angestellt worden sind. Die genannten Autoren suchten
mit Hilfe der Präzipitatreaktion den Nachweis zu führen, daß in dem Serum von
Paralytikern und Luetikern sich spezifische korrespondierende Körper nachweisen
lassen. Das Material zu diesen Untersuchungen stammte aus der Klinik für Haut¬
krankheiten und der Psychiatrischen Klinik zu Straßburg. Die genannten Autoren
ließen das Serum eines Luetikers, bei welchem sie die Spirochaeta pallida nach¬
gewiesen hatten, mit dem Serum verschiedener Paralytiker und Tabiker reagieren.
In der Mehrzahl der Fälle traten spezifische Präzipitate auf, während weder das.
Serum der Luetiker noch das der Paralytiker und Tabiker mit normalem Menschen-
sernm zusammen die gleiche Reaktion gaben. In einer Reihe von Fällen sicherer
Paralyse und in einem Falle von Paralyse mit Knochensyphilis fiel die Präzipitat-
reaktion aber negativ aus. Der Vorzug der von den genannten Autoren an¬
gegebenen Methode ist zunächst der, daß sie leicht auszuführen ist Ob sie sich
in der Praxis ebenso bewähren wird wie die Komplementbindungsmethode, wird
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durch weitere Untersuchungen erst noch festgestellt werden müssen (Literatur
vergl. Fornet und Schereschewsky, Serodiagno9e bei Lues, Tabe9 und Para¬
lyse durch spezifische Niederschläge. Münchener med. Wochenschrift. 1907. Nr. 30
und Über Luespräzipitine und Luespräzipitinogene. Vortrag gehalten auf dem
XIV. Internat. Kongreß für Hygiene und Demographie, Berlin 1907.) Autoreferat.
Diskussion: Herr Alzheimer (München) weist darauf hin, daß nach den
neueren in München angestellten Untersuchungen die Komplementbindungsmethode
zuverlässiger ist als die Präzipitationsmethode.
Herr Rosenfeld gibt dies zu, betont aber nochmals, daß der Vorzug der
letzteren darauf beruhe, daß sie wesentlich leichter ausführbar sei.
Herr Spielmeyer (Freiburg i. Br.): Über die nervösen Veränderungen
bei der Dourine (Mal de coit) der Tiere. Die Dourine, eine besondere Form
der Trypanosomiasis, die bei Pferden in bestimmten Bezirken Afrikas, Asiens usw.
als Seuche herrscht, hat nach Infektionsmodus, Verlauf und Symptomatologie viel
Ähnlichkeit mit der Syphilis (Verbreitung durch den Geschlechtsakt, Primäraffekt,
Allgemeinexanthem usw.). Auch anatomisch lassen sich nahe Beziehungen zwischen
dieser Form der Trypanosomiasis und der Syphilis, bzw. deren nervösen Nach¬
krankheiten, auffinden. Die Haut- und Knochenhautaffektionen der Donrinetiere
ähneln den syphilitischen Granulomen, die Veränderungen am Rückenmark der
Pferde (speziell die meningitischen Veränderungen) gleichen denen am para¬
lytischen Rückenmark und drittens kann die Dourine in seltenen Fällen zu
zirkumskripten Plasmazellinfiltraten der Rindenpia führen. Außerdem wurden
hei 2 von 12 Hunden, die mit dem Trypanosoma des Mal de coit infiziert worden
waren, diffuse Veränderungen vom Typus der Schlafkrankheit des Menschen ge¬
funden, die damit also auch an das Gewebsbild bei der Paralyse erinnern. Diese
klinischen und anatomischen Befunde hei dem Mal de coit bringen weitere Stützen
für die Ansicht, daß die Trypanosomenkrankheiten zur Syphilis und ihren so¬
genannten Nachkrankheiten in verwandschaftlich nahen Beziehungen stehen. Diese
Ansicht gründet sich nicht auf einzelne histopathologische Eigentümlichkeiten,
die beide Krankheitsgruppen miteinander gemeinsam haben, sondern auf die ge¬
meinsamen Züge in dem ganzen Komplex von pathologisch-anatomischen,
klinischen und allgemein biologischen Merkmalen. (Eine ausführliche Veröffent¬
lichung des Vortrages erfolgt demnächst im Centralblatt für Nervenheilkunde und
Psych i at ri e.) Autoreferat.
Herr Ranke (Heidelberg) begrüßt die im Vortrage zum Ausdruck ge¬
kommene Konvergenz der Anschauungen Spielmeyers über die Ähnlichkeit des
liistopathologischen Bildes bei syphilitischen und raetasyphilitischen Prozessen
einerseits, den Trypanosomenerkrankungen des Centralnervensystems andererseits
mit den Ansichten, zu welchen Nissl und seine Schüler im Heidelberger Labora¬
torium gekommen sind. Nach den heutigen Kenntnissen können die von
Schaudinn (auf Grund seiner Beobachtungen über den Entwicklungsgang des
Trypanosoma der Athene noctua und über die morphologischen Eigenschaften der
Spirochaeta pallida) angenommenen nahen Beziehungen zwischen Spirochäten und
Trypanosomen nicht als sicher erwiesen gelten, im Gegenteil dürfte es vorläufig
richtiger sein, sich den von Robert Koch, Laverran, Sobernheim u. a.
vorgebrachten Bedenken anzuschließen. Zum Belege seiner Anschauung, daß die
Spirochaeta pallida weit eher den Bakterien als den Trypanosomen verwandt sein
dürfte, zeigt R. eine Zeichnung nach Präparaten, in welcher die Syphilis¬
spirochäte eine deutliche Lagerung in Ketten (vermutlich als Zeichen einer Ver¬
mehrung durch Querteilung zu deuten) erkennen laßt. Auch die Stütze, welche
die Histopathologie der Erkrankungen des centralen Nervensystems durch die ver¬
schiedenartigen Trypanosomeninfektionen, sowie durch luetische und metasyphili¬
tische Prozesse der biologischen Hypothese Schaudinns zu briugen schien, ist
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mit größter Vorsicht zu bewerten. Untersuchungen in Nissls Laboratorium
haben einmal gezeigt, daß subakute experimentelle TrypanoBomeninfektion
sehr abweichende Bilder von der kongenitalen Hirnlues erkennen läßt, d&Ü
aber die entzündlichen Veränderungen bei diesen Erkrankungen Bowohl, wie bei
der gleichfalls parasitären Schlafkrankheit von dem Bilde der progressiven
Paralyse des Menschen (in den feineren histologischen Details und in der
Verteilung des Prozesses) weit stärker ahweichen, alB manche experimentell
erzeugte (weder durch Spirochäten noch durch Trypanosomen bedingte) Ent¬
zündungen des tierischen, manche Spontanerkrankungen sowohl des tierischen wie
des sehr jugendlichen menschlichen Gehirns. Auch die Beurteilung der sekun¬
dären Strangdegenerationen bei den syphilitischen (bzw. metasyphilitischen) und
den durch Trypanosomeninfektion bedingten Erkrankungen des centralen Nerven¬
systems begegnet noch den größten Schwierigkeiten, solange uns weder etwas
sicheres über ihre Pathogenese noch über ihre feineren histologischen Eigen¬
tümlichkeiten bekannt ist. Zusammenfassend stimmte R. dem Vortr. in dem
Satze durchaus bei, daß nach unseren heutigen Kenntnissen aus gewissen histo¬
logischen Ähnlichkeiten trypanosomatischer, syphilitischer und paralytischer Binden¬
erkrankungen irgendwelche Schlüsse auf eine etwaige biologische Verwandtschaft
der Spirochäten mit den Trypanosomen sich nicht ziehen lassen. Autoreferat.
Herr Pfersdorff (Straßburg) Über Störungen der Spraohe im manisch-
depressiven Irresein. Vortr. berichtet über die Ergebnisse von Assoziations¬
versuchen bei 5 Kranken, die im depressiven Stadium des manisch-depressiven
Irreseins sich befanden. Bei allen bestand eine stark ausgeprägte psychomotorische
Hemmung. In drei der Fälle trat in unregelmäßigen Intervallen eine motorische
Erregung auf. Die während derselben spontan produzierten sprachlichen
Äußerungen zeigten ebenso wie die durch Beizworte (im Stadium der Hemmung)
hervorgerufenen sprachlichen Reaktionen folgende auffallende Merkmale: Voll¬
ständiges Fehlen von Klangassoziationen; Prävalieren der Wortstammassoziationen
und der Wortergänzungen. Die Reihenproduktion war ungestört. Wir haben
hier eine rein motorische sprachliche Leistung, welche von dem unkomplizierten
manischen Rededrang, der durch Klangassoziationen und das Auftreten von Reihen
charakterisiert ist, sich vor allem durch das Fehlen von Klangassoziationen aus¬
zeichnet. Es hat hier die Trennung der sprachlichen Vorstellungen in rein
motorische und sensogene, lautliche Vorstellungen, welche Heilbronner in
seinem Münchener Referat (1906) als wahrscheinlich hinstellte, tatsächlich nach¬
gewiesen werden können. Diesen eigenartigen Rededrang konnten wir bereits
bei Kranken nachweisen, bei denen Rededrang bei Denkhemmung bestand. Diese
Kranken geben an, daß ihnen „angefangene Worte einkommen, die sie innerlich
ergänzen müssen usw.“ Auch der „dialogisierende Rededrang“ ist durch das Prä¬
valieren von Wortassoziationen ausgezeichnet. (Der Vortrag erscheint in extenso
im Centralblatt f. Nervenheilkunde.) Autoreferat.
Herr Nissl (Heidelberg): Experimentalergebnisse zur Frage der Hirn-
rindensohichtung. Vortr. berichtet über Versuche, die er an jungen Kaninchen
und Hunden angestellt hat. Trotz Ablösung der Hirnrinde von allen Verbindungen,
entwickelten sich doch sämtliche Schichten der Hirnrinde, die innersten durch
mangelhafte Blutversorgung stets am schlechtesten. Vortr. widerspricht auf Grund
der Ergebnisse seiner Untersuchungen der Lehre von Monakows über die Be¬
ziehungen des Thalamus opticus zur Hirnrinde.
Herr Ranke (Heidelberg): Klinische und histopathologisohe Demon¬
stration foetaler Erkrankungen. Vortr. demonstrierte 3 Geschwister, welche
an einer familiären epileptischen Idiotie mit Erscheinungen einer in¬
fantilen Cerebrallähmung leiden. Bei allen dreien traten in den ersten
Lebenswochen „Gichter“ auf, welche in schwere epileptische Anfalle übergingen.
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Qrigiinal fro-m
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Die intellektuellen Leistungen sind bei dem ältesten Kinde 15 jährig) sehr gering,
(spricht einige Worte, versteht einfache Aufforderungen, kennt die gebräuchlichsten
Gegenstände mit Namen, kann aber weder lesen noch schreibend, bei den zwei
jüngeren (12 und 6jährig) gleich null (fixieren nicht, kennen weder Mutter noch
Geschwister, äußern keinerlei Lustgefühle). Bei allen dreien ist eine gewisse
Progredienz des Leidens unverkennbar: Das älteste Kind bekam erst im 10. Jahre
schwere epileptische Anfälle, das zweite erlitt im 6. Jahre einen „Schlaganfall 4 *,
das dritte verlernte unter heftiger werdenden Anfällen das mit 4 Jahren gelernte
Gehen im Alter von 5 1 '* Jahren wieder. Bei allen drei Kindern endlich sind
Erscheinungen einer infantilen Cerebrallähmung vorhanden. Das älteste zeigt
eine leichte rechtsseitige Schwäche und Hypotrophie, das zweite eine schwere
spastische Paraplegie sämtlicher Extremitäten (r. > 1.), das dritte leichtere
Spasmen und ebenfalls geringe, doch sichere Halbseitenerscheinungen. Zwischen
dem ersten und zweiten lebenden Kinde ist eins gestorben, das mit schlaffer
Paraplegie der sämtlichen Extremitäten auf die Welt kam, ebenfalls „Gichter 4 *
und später schwere epileptische Krämpfe zeigte und im Alter von 6 Jahren an
einem Schube seiner Krankheit (an „Hirnentzündung“) starb. Auch zwischen
dem 2. und 3. Kinde starb eins, bereits im Alter von 5 Monaten, an „Gichtern 44 ,
das niemals irgendwelche psychischen Regungen gezeigt hatte. Nach dem letzten
lebenden Kinde hat die Mutter noch dreimal geboren: einmal lebensunfähige
Zwillinge.im 6. Fötalmonate, ferner ein Kind, das idiotisch war wie die andern
und mit 7 Monaten an „Hirnhautentzündung 44 starb, endlich worde kürzlich auf
ihren Wunsch — bei der völligen Aussichtslosigkeit auf ein gesundes Kind —
im 5. Monate der Gravidität der Abort eiugeleitet. Als wahrscheinliche Ursache
dieser familiären Idiotie ließ sich nur ein sehr schwerer chronischer Alkoholismus
des Vaters feststellen. Anschließend an diese klinische Demonstration sprach
Vortr. über den histologischen Nachweis feinerer Entwicklungsstörungen bei solchen
Hirnkiankheiten, bei welchen wir annehmen dürfen, daß sich ein bestimmter
pathologischer Prozeß auf einem für diesen besonders geeigneten Boden entwickelt
hat. Neben einigen normalen und pathologischen Föt&lpräparaten, welche uns
derartige Veränderungen im fertigen Gehirn besser verstehen lassen, zeigt er
Bilder von juveniler Paralyse (auf dem Boden einer hereditären Lues) und ge¬
nuiner Epilepsie. Bei dieser fanden sich (in allen daraufhin untersuchten Fällen)
in der obersten Rindenschicht eigentümliche nervöse Elemente, welche in be¬
stimmten Fötalzeiten eine große Rolle zu spielen scheinen, später aber normaler
Weise wieder verschwinden; bei jener dagegen ließen sich die von Sträupler-
Prag zuerst mitgeteilten eigentümlichen Störungen der Purkinjezellen des Klein¬
hirns (Doppel- und Dreikernigkeit, ganz eigentümliche Formen auch der einkernigen
Zellen) an vier Fällen konstatieren. Endlich fand sich in einem Falle von ju¬
veniler Paralyse eine eigentümliche Zellraaüe im äußersten Saume des Großhirns,
welche sich auf eine bestimmte Entwicklungsstörung zurückführen läßt. Autoreferat.
Herr Re iss (Tübingen): Über paranoide Symptomenkomplexe bei De-
generierten. Vortr. zeigt an der Hand eines Falles, daß auch im gewöhnlichen
Leben paranoide Erkrankungen Vorkommen, die als pathologische Reaktionen auf
Grund einer eigentümlichen degenerativen Veranlagung aufgefaßt werden müssen.
Diese Erkrankungen entsprechen durchaus der von Bonhoeffer in seiner Arbeit
über Degenerationspsychosen geschilderten ersten Gruppe von Gefäugmspsychosen,
für die daher die gleiche Auffassung gilt. Eine Zusammenstellung der in der
Tübinger Klinik beobachteten hierher gehörigen Fälle bestätigte diese Annahme,
(Der Vortrag wird im Centralblatt f. Nervenheilkunde u. Psychiatrie in extenso
veröffentlicht werden.) Autoi eferat,
Herr Zöllner (Straßburg): Über einen Fall von Hypophyeentumor (mit
Demonstration einer Photographie der Hirnbasis). Der Fall bietet in folgenden
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Punkten ein Interesse: Es hatten sich im Laufe der 5 Jahre, in denen der Tumor
Symptome machte und schließlich zum Exitus führte, eigenartige Wachstums-
Störungen (Zurückbleiben im Größenwachstum, Fettreichtum, kindlich-weiblicher
Habitus) bei dem jungen Manne eingestellt. Bei der Sektion fand sich ein um¬
fangreicher Tumor der Schädelbasis, der vom Vorderlappen der Hypophyse aus¬
gegangen war. Der Tumor hatte das Keilbein und das Siebbein durchwuchert,
war in beide Augenhöhlen und in der Nase bis nahe an die Nasenlöcher vor-
gedrungen. Auf der Schädelbasis wölbten sich 4 Geschwulstmassen vor, durch
deren eine die Brücke eine tiefe Impression erlitten hatte. Die Hirnnerven II,
III, IV, r. V, VI waren durch den Druck schwer beschädigt. Zu Lebzeiten be¬
standen keine Erscheinungen, die auf die Schädigung der Brücke hin weisen
konnten, geringe seitens der Hirnnerven. Eine absteigende Degeneration in den
Pyramidenbahnen war nicht vorhanden. Es dürfte wohl möglich sein, die Diagnose
Hypophysentumor bei solchen Tumoren der Nase bei Lebzeiten durch Probe-
excision pathalogisch-anatomisch zu begründen. Eine ausführlichere Bearbeitung
des Falles liegt dem Archiv für Psychiatrie zum Druck vor. Autoreferat.
Herr Berliner (Gießen): Zur Kasuistik der Diplopie. Vortr. berichtet
über eine eigenartige Form von Diplopie, die, abgesehen von Symptomen einer
Verengerung der rechten Tuba Eustachii, mehrere Monate hindurch das einzige
Symptom eines von der Schädelbasis ausgegangenen Sarkoms bildete: Der Patient
sah Objekte, die sich in einer Entfernung von weniger als 60 cm befanden,
einfach. Außerhalb dieses Umkreises entstanden gleichnamige und gleich hoch
nebeneinander stehende Doppelbilder, deren Abstand beim Geradeaussehen mit der
Entfernung vom Patienten zunahm. Bei seitlicher Verschiebung des Objekts
wuchs ebenfalls der Abstand der Doppelbilder, in gleichem Maße bei Verschiebung
nach rechts wie nach links. Die Annahme einer doppelseitigen Abducensparese
genügte zur Erklärung der Störung nicht. Dagegen sprachen zwei Feststellungen:
1. erwiesen sich alle Bewegungen der Augen als ungestört; auch .die Abduktion
beider Augen war beim Seitwärtsblicken nach l’echts oder nach links völlig intakt.
2. Verschob man innerhalb des Abstandes von 60 cm das Objekt seitlich, nacli
rechts oder nach links, so blieb das Bild einfach, auch bei maximaler Seitwärts-
vrendung des Blickes. Es wurde demnach binocular (nach Verdecken des dem
Gegenstände zugekehrten Auges wurde dieser weiter wahrgenommen) einfach
gesehen, auch wenn an die Leistungsfähigkeit der Nervi abducentes hohe An¬
forderungen gestellt wurden. Mit der Annahme einer Lähmung der Divergenz
war das Verhalten der Doppelbilder bei Verschiebung des Objekts nach rechts
oder links von der Medianlinie nicht vereinbar. Nach Straub gehört es zu den
Symptomen der Divergenzläbmung, daß die Doppelbilder sich dabei nähern und
schließlich zusamraenfallen. Im vorliegenden Falle entfernten sich die Doppel¬
bilder außerhalb des Fernpunktes der Konvergenz immer weiter voneinander, je
weiter das Objekt seitlich verschoben wurde. Dieser Befund wurde in der Zeit
von Anfang Juli bis Ende August bei wiederholten Untersuchungen immer wieder
festgestellt. Eine Änderung trat während dieser Zeit nur insofern ein, als der
Konvergenzfernpunkt immer näher rückte, der Patient schließlich nur im Um¬
kreise von 8 cm noch einfach sah. Im August wurde bei Untersuchung in der
Ohrenklinik eine kirschgroße Geschwulstbildung am Ostium pharyngeum tubae
gefunden. Ein zur Probe exzidiertes Stück zeigte Sarkomstruktur. Im Laufe des
September trat eine Schwellung in der Gegend des rechten Jochbogens ein,
außerdem rechtsseitige Ptosis; die bis dahin normalen Pupillen wurden ungleich,
die linke weiter als die rechte. Eine Operation (von der Regio zygomatica aus)
war ohne Erfolg. Bei der letzten Untersuchung zeigte sich beim Blicken
geradeaus sowie nach links der gleiche Befund w r ie früher, während beim Seit¬
wärtsblicken nach rechts nunmehr das für Abducenslähmung charakteristische
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Verhalten der Doppelbilder konstatiert wurde. In der Literatur fand sich nur
eine der obigen ähnliche Schilderung der Diplopie. Dor hat eine 16 Monate
andauernde Diplopie bei einem 12jährigen Knaben beobachtet, die sich von der
vorliegenden nur insofern unterschied, als dabei die Entfernung der Doppelbilder
beim Blicke geradeaus wie zur Seite bei gleichem Abstande die gleiche blieb.
Autoreferat.
Herr Bayerthal (Worms): Sohulärstliche Erfahrungen. (Der Vortrag
wird in der psychiatr.-neur. Wochenschrift erscheinen.)
Am Sonntag, den 3. November, fand nachmittags noch die Besichtigung der
neuen Anstalt Wiesloch statt.
XVn. Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs
und französisch sprechender Länder in Genf und Lausanne vom
1. bis 6. August 1907.
Referent: R. Hirschberg (Paris).
(Schluß.)
Herr Rögis (Bordeaux): Die präsenile Phase bei Jean*Jacques-Rousseau.
Der pathologische Zustand von J. J. Rousseau ist uns trotz zahlreicher Arbeiten
kaum bekannt. Eb steht immerhin fest, daß er Neurastheniker und zwar auf
arteriosklerotischer Basis war. Auf diesem konstitutionellen Boden entwickelte
sich später melancholischer Verfolgungswahn. In den 2 letzten Jahren seines
Lebens erkannte und beschrieb Rousseau selbst, daß seine intellektuellen Fähig¬
keiten progressiv abnahmen. In seinen Briefen namentlich schildert er in sehr
drastischer Weise die Symptome von präseniler Gehirninvolution: 1. Schwierigkeit
Sensationen in Ideen wiederzugeben. 2. Abnahme der Scbaffensmacht. 3. Ver¬
engerung des Gehirnfeldes. 4. Im geistigen Leben Prädominieren von Reminis-
cenzen und Automatismus.
Herr Ernest Dupr6 und Herr Paul Camus (Paris): Die Cenestopathien.
Im allgemeinen bieten die Cenestopathien Störungen der allgemeinen und inneren
Sensibilität. Die Wichtigkeit solcher Störungen bei Geisteskrankheiten ist all¬
gemein bekannt. Es gibt aber Patienten, die nicht geisteskrank sind und über
eigentümliche Sensibilitätsstörungen klagen, die eher lästig als schmerzhaft sind.
Auf Grund von 7 Krankengeschichten werden diese Sensibilitätsstörungen, die nie
zu hypochondrischen Wahnideen Anlaß gaben, als Cenestopathien von den Vortr.
beschrieben.
Herr Hirschberg (Paris) bemerkt, daß er im Jahre 1893 in der Revue
neurologique einen Fall unter dem Namen von Paresthösies multiples ohez
une degdneree höreditaire veröffentlicht hat, der entschieden in die Kategorie
von Cenestopathien gehört.
Herr L. Marchand und Herr M. Olivier: 3 Fälle von Hypothermie
nervösen Ursprungs. Fall I: 54jähriger Mann mit progressiver Paralyse.
1 Tag vor dem Exitus rektale Temperatur 28°. Die Temperatur sinkt allmählich
und beträgt unmittelbar vor dem Tode 23°. Fall II: 40 jähriger Paralytiker.
3 Tage vor dem Tod rektale Temperatur 29° und unmittelbar vor dem Tode 28,5°.
Fall III: Chronische Meningitis und Sklerose der Gehirnrinde bei einem 57 jäh¬
rigen Manne. Kurz vor dem Tode fällt die Temperatur von 36 auf 30,7 °. Die
Vortr. sind der Meinung, daß diese Hypothermie centralen Ursprungs sei, da der
Harn der Patienten nichts Pathologisches enthielt und man sonst bei der Unter¬
suchung der Brust- und Bauchorgane nichts Abnormes fand.
Herr Anglade und Herr Latreille: Meningocerebellitis bei progressiver
Paralyse. Die Vortr. fanden bei der Untersuchung des Kleinhirns progressiver
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Paralytiker charakteristische Veränderungen in der Kleinbirnrinde, die sie als
interstitielle Meningocorticalitis bezeichnen.
Herr Yanniris (Athen): Die progressive Paralyse und die alkoholischen
Psychosen in Griechenland. Statistische Daten. Die progressive Paralyse ist
sehr verbreitet in Griechenland (15,20°/ 0 ), und sehr selten bei Frauen: unter
380 Kranken nur 19 Frauen. 75°/ 0 der progressiven Paralyse sind syphilitischen
Ursprungs. Dagegen sind die Alkoholpsychosen selten (4,11 °/ 0 ). Unter 2000 Geistes¬
kranken 83 Fälle und davon 3 Frauen. Bei den Griechen in Konstantinopel
sind Alkoholpsychosen häufiger (16°/ 0 ), wahrscheinlich deswegen, weil sie minder¬
wertigen Alkohol, namentlich „Raki“ verzehren.
Herr Roger Mignot und Herr G. Bouchaud (Paris): Atoxyl in 2 Fällen
von progressiver Paralyse. Bei einem Paralytiker mit tertiären syphilitischen
Erscheinungen (cirkumskriptes Gumma an der unteren Lippe) wurde Atoxyl an¬
gewandt. Das Gumma heilte rasch, dagegen blieb dieses Mittel auf die para¬
lytischen Erscheinungen ohne jeglichen Einfluß. In einem anderen Falle von
progressiver Paralyse war das Atoxyl auf den Verlauf der Krankheit von gar
keiner Wirkung.
Herr Antheaume und Herr Roger Mignot (Paris): Hyperhidrose bei
Dementia praeoox. Die Vortr. fanden die Schweißabsonderung besonders ver¬
mehrt bei der Dementia praecox, und hauptsächlich bei den unbeweglichen Kata-
tonikem. Am meisten schwitzen die Hände und die Finger. Dagegen soll bei
Melancholischen die Schweißabsonderung sistieren.
Herr Henri Fran$ais (Paris) und Herr Gustav Darcanne (Fougeres):
Über Psyohosen kardialen Ursprungs. Eine eigentliche Herzpsychose scheint
nicht zu existieren. Die Symptome, die man bei herzkranken Geisteskranken
konstatiert, sind hauptsächlich depressiver Natur. 3 Krankheitsgeschichten als Beleg.
Herr Chaumier und Herr Taty (Lyon): Verwirrtheit, Glykosuria,
Aoetonurie in einem Falle von Achondroplasle. Bei einem 28 jährigen Manne,
der an Achondroplasie litt, trat Verwirrtheit auf. Man konstatierte gleichzeitig
in seinem Urin Zucker und etwas Aceton. Auf Behandlung mit Brom und
alkalischen Salzen verschwand der Zucker, gleichzeitig besserte sich auch der
geistige Zustand. Es wurde dann Jodothyrin angewandt, und Pat. verließ die
Klinik vollständig geheilt Es blieb nur Polydipsie und einfache Polyurie zurück.
Die Vortr. sind der Meinung, daß bei diesem Kranken die geistige Verwirrung
auf einen toxischen Einfluß des Zuckers zurückzuführen ist.
Herr Antheaume und Herr Roger Mignot (Paris): Kantharldennephritis
und spätes toxialkoholisohes Delirium. Bei einem gewesenen Alkoholiker,
Abstinenzler seit 2 Jahren und der früher nie psychisch krank war, trat akutes
Delirium nach dem Auflegen eines Blasenpflasters ein. Infolge von ungenügender
Nierenausscheidung sammelten sich die Toxine im Blute an und das Delirium
kam zum Ausbruch. Mit der Besserung der Kantharidennephritis besserte sich
auch der geistige Zustand des Pat. Bei Leuten, die chronische Alkoholiker
waren, selbst nach längerer Abstinenz, sind deswegen die Nieren in sorgfältiger
Weise zu überwachen.
Herr J. Rayneau (Orleans) und Herr H. Nouet (Blois): Chronisches
Sohwangersohaftsdelirium bei einer Schwachsinnigen. Die Einbildung einer
Schwangerschaft ist häufig bei Geisteskranken beschrieben worden. Im Falle der
Vortr. handelt es sich um eine Patientin mit kongenitalem Schwachsinn, die seit
5 Jahren sich schwanger glaubt. Der Grund dieser persistenten Wahnidee ist
wahrscheinlich in einer Anästhesie des Abdomens, die die Kranke bietet, zu suchen.
Herr Arnaud (Vanves): Psyohasthenie und Delirium. Es existieren
drei verschiedene Modalitäten von Assoziation von delirierenden Zuständen mit
Psychasthenie. In die erste Kategorie sind Neurastheniker mit Zwangsideen zu
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reihen, die zufällig einen Anfall von Delirium bekommen. Interessant ist, daß
während der Däner des Deliriums die Zwangsideen verschwinden und erst dann
wieder auftauchen, sobald der Kranke von seinem Delirium wieder befreit ist.
Die zweite Kategorie umfaßt eine mehr intime Assoziation von neurasthenischen
und eigentlichen Delirideen. Die gewöhnlichsten Formen dabei sind Melancholie
und Verfolgungswahn. Solche Kranke sind oft unheilbar. In der dritten Kategorie
endlich handelt es sich um Patienten, bei welchen die gewöhnlichen psychastheni-
sehen Zwangsideen kolossal exageriert werden. Die Zwangsideen bleiben in ihrer
Art dieselben, nur sind die Kranken nicht mehr imstande, eine Selbstkritik zu
üben. Das psychasthenische Delirium findet man nur in sehr schweren Fällen.
Herr Bernard Leroy: Kleptomanie bei einer Hysterischen. Es handelt
sich um eine 49 jährige Frau, die sich meldete, um von einem unwiderstehlichen
Zwange, Gegenstände, die ihr vollständig unbrauchbar sind, zu stehlen, befreit
zu werden. Diese krankhafte Passion trägt alle Anzeichen der klassischen Klepto¬
manie. Die Kranke ist vermögend und stiehlt Stückchen Kohle, Hundehalsband
(trotzdem sie gar keinen Hund besitzt), Datteln (die sie sonst gar nicht gerne
ißt). Die gestohlenen Gegenstände hat sie nach der verübten Tat wieder zurück¬
erstattet. Die Kranke ist sich ihres krankhaften Zustandes vollständig bewußt
und behauptet, daß sie beim Begehen der Tat sich von einer Macht beherrscht
fühlt, der sie nicht widerstehen kann. Interessant ist, daß diese Patientin schon
vorher mit verschiedenen krankhaften Passionen behaftet war. So hatte sie vor
10 Jahren einen ebenso unbegründeten wie unwiderstehlichen Haß gegen ihren
Mann gefaßt und trug sich mit dem Gedanken, denselben zu töten. Sie hatte
sogar einen ganzen Plan ausgearbeitet, wie sie ihre Tat verüben wird und ging
bis zum Versuch, ihren Mann mit einem Kissen zu ersticken. Als der Versuch
mißlang, erzählte sie ihm die ganze Geschichte. Später verspürte sie einen un¬
widerstehlichen Drang für das Militär, blieb stundenlang vor Kasernen stehen
und liebäugelte mit Offizieren. Um sexuellen Drang handelte es sich dabei nicht
Sie fühlte sich von der Uniform angezogen.
Herr Belletrud und Herr Mercier: Aufhebung von Qesohmaoksillu-
sionen durch Anwendung von Aoidum gymnemioum. Das Acidum gymnemicum
(C 32 H 66 0 ]2 ), wirkendes Prinzip von Gymnema sylvestris, besitzt die bemerkens¬
werte Eigenschaft, auf die Zunge gestrichen, den Geschmack für süß und bitter
aufzuheben. Bei mehreren Kranken gelang es den Vortr., damit Geschmacks¬
illusionen momentan zu unterdrücken. Die Patienten aßen dann mit gutem Appetit
Speisen, die sie vorher verweigerten.
Herr A. Marie und Herr Bourilhet (Villejuif): Tuberkuline Oph¬
thalmoreaktion bei Geisteskranken. Die Vortr. fanden, daß die tuberku¬
lösen und Tuberkulose-verdächtigen Geisteskranken auf die Calmettereaktion sehr
gut reagieren. Da es von großer Wichtigkeit ist, in Krankenanstalten die
Tuberkulösen zu isolieren, so ist die Ophthalmoreaktion für Geisteskranke von
reellem Werte.
Österreichischer Irrenirstetag in Wien vom 4. bis 6. Oktober 1907.
Referent: Otto Marburg (Wien).
(Schloß.)
Herr v. Wagner referiert über den Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen
im Strafgesetz. (Erscheint ausführlich in Aschaffenburgs Monatsschr. f. Kri¬
minalpsychologie u. Strafrechtsreform; vgl. d. Centr. 1907. S. 872). Vortr. ver¬
weist auf Formulierungen des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen, welche in der
Komiteeberatung vorgeschlagen wurden. 1. Hövel: „Ein Verbrechen oder Ver-
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"ehen ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat in einem dauernden
oder vorübergehenden Zustande von Geistesstörung sich befand, durch welchen
sein Handeln in entscheidendem Maße beeinflußt wurde.“ — 2. Hart mann:
..Nicht- strafbar ist, wer zur Zeit der Tat wegen zurückgebliebener Entwicklung
des geistigen Lebens, Schwäche des Verstandes, Trübung des Bewußtseins, Störung
der geistigen Tätigkeit nicht imstande war, das Strafbare seiner Handlung ein-
zusehen.“ — 3. Stransky: ,,Die Tat wird als Verbrechen oder Vergehen oder
Übertretung nicht zugerechnet, wenn der Täter zur Zeit der Tat an einer er¬
fahrungsgemäß vollentwickelten, dauernden oder vorübergehenden Geistesstörung
ohne Rücksicht auf den Grad derselben gelitten hat. Dauerzustände seelischen
Defektes oder seelischer Verkehrtheit sind nur dann einer Geistesstörung im obigen
Sinne gleich zu achten, wenn dabei die Störung der Verstandes- oder Willens¬
tätigkeit oder beider einen Grad oder Charakter erreicht hat, w r odurch der Täter
entweder dauernd oder in Ansehung der besonderen Umstände zur Zeit der Tat
der Einsicht für die Tat oder der Widerstandskraft gegen dieselbe erfahrungs¬
gemäß vollkommen beraubt war. Dauerzustände seelischer Verkehrtheit oder
seelischen Defektes, durch die die Einsicht für die Tat oder die Widerstandskraft
gegen dieselbe wohl nicht vollkommen und dauernd aufgehoben, aber doch herab¬
gesetzt ist, gelten als Milderungsgründe. (Unter Voraussetzung einer Änderung
des Strafvollzuges.) Die Berauschung durch Alkohol oder andere Genußgifte zur
Zeit der Tat ist nur dann einer vollentwickelten (ausgesprochenen) Geistesstörung
gloichzusetzen, wenn sie einen die Einsicht für die Tat oder die Widerstandskraft
gegen dieselbe vollkommen ausschließenden Grad erreicht hat. (Der Bestrafung
der Trunkenheit als solche soll durch diese Bestimmung nicht präjudiziert
werden.) — Vortr. motiviert, warum er selbst keine eigene Formulierung des
Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen vorgeschlagen, sondern nur Anträge zu dessen
Formulierung stelle. Diese Anträge lauten: 1. Es soll im Gesetze (Strafgesetz
oder Strafprozeßordnung) ausdrücklich bestimmt werden, daß dem Sachverständigen
nur die Aufgabe zukomme, sich über die Geistesstörung auszusprechen; daß es
aber Sache des Richters sei, die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu entscheiden.
2. Die Unzurechnungsfähigkeit bedingenden psychischen Störungen sollen im Ge¬
setze, um Mißverständnisse zu vermeiden, als Geistesstörung, Geistesschwäche und
Bewußtseinsstörung ("oder Bewußtlosigkeit) angeführt werden. 3. Das Gesetz soll
in geeigneter Weise ansdrücken, daß nur ein gewisser Grad von geistiger Störung
Unzurechnungsfähigkeit bedinge. 4 Falls der Ausdruck „freie Willensbestimmung“
in das Gesetz aufgenommen werden würde, wäre das nur zulässig unter der Be¬
dingung, daß ein Ausspruch hierüber nicht vom Arzte, sondern nur vom Richter
verlangt werde. 5. Das Gesetz soll ausdrücklich bestimmen, daß die Beurteilung
der Zurechnungsfähigkeit nicht bloß im allgemeinen, sondern auch in Beziehung
auf die konkrete Strafhandlung zu erfolgen habe. 6. Falls über die Beziehung
der Trunkenheit zur Unzurechnungsfähigkeit eine gesetzliche Bestimmung getroffen
wird, soll der Ausspruch „volle Berauschung“ vermieden und auch hier aus¬
gesprochen werden, daß die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit mit Beziehung
auf die konkrete strafbare Handlung zu erfolgen habe. 7. Es wäre als ein Fort¬
schritt anzusehen, wenn das neue Strafgesetz die verminderte Zurechnungsfähigkeit
aufnehmen wnirde, was allerdings entsprechende Änderungen im Strafvollzüge not¬
wendig machen würde. 8. Als eine notwendige Ergänzung der strafgesetzlichen
Bestimmungen über die Unzurechnungsfähigkeit Geisteskranker sind gesetzliche
Anordnungen über die Verwahrung gemeingefährlicher krimineller Geisteskranker
zu treffen. Am meisten zu empfehlen und hei den Verhältnissen unseres Irren¬
wesens einzig gangbar ist die Errichtung von Staatsirrenanstalten für krimi¬
nelle Irre.
Auf v. Haibans Antrag beschließt die Versammlung, von einer Diskussion
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über die vorliegenden Formulierungen des UnzurechuungBfähigkeitsparagraphen
abzusehen und gleich die Referentenanträge zu erörtern. Herr Raimann halt
es für unmöglich, ein modernes Strafgesetz auf den unfaßbaren und so viel Aus¬
nahmen zulassenden Zurechuungsbegriff atifzubauen. Jeder, der in der mensch¬
lichen Gesellschaft lebt und leben will, ist für seine Handlungen verantwortlich
zu machen, sozial verantwortlich und ohne Ausnahme. Herr v. Wagner hält es
für ganz aussichtslos gegen die Mächte anzukämpfen, welche das Prinzip der
subjektiven Verschuldung aufrecht erhalten und meint, man müsse sich, um über¬
haupt etwas erreichen zu können, auf den Boden des herrschenden Strafgesetzes
stellen. Herr Pick spricht sich für die Form des französischen Gesetzes aus.
Geistesstörung (Demence) bedinge Unzurechnungsfähigkeit. Dadurch entfiele die
Nötigung, daß im Strafgesetze ausgesprochen werde, es sei nicht Sache des
Psychiaters, über Zurechnung zu entscheiden. Herr Türkei konstatiert Über¬
einstimmung der Arzte und Juristen. Der Arzt habe auf Grund seiner medi¬
zinischen Kenntnis die Prämissen zu liefern, aus denen der Jurist leicht seine
Konklusionen ziehen kann. Die Frage nach Geistesstörung, Geistesschwäche,
Bewußtlosigkeit kann jeder Psychiater beantworten; auf Grund dieser Antwort
kann der Richter dann jederzeit die gesetzliche Bestimmung über die Zurechnung
zur Anwendung bringen. Die Stilisierung der Bestimmung muß so sein, daß
beide Funktionäre nicht mit völlig disparaten Begriffen arbeiten. Herr Ober¬
staatsanwalt Högel kommt als Jurist zu den gleichen Konklusionen. Herr
Stransky erklärt eine allgemeine Fassung als sehr bequem für den Psychiater,
sie helfe aber dem Richter nichts. Ausführliche Bestimmungen sind namentlich
für Sachverständige am Lande erwünscht. Herr Kaan empfiehlt die Gutachten
mit dem Schlußsätze zu beenden: Mit einer Geistesstörung behaftet. Der Richter
möge dann über die Zurechnungsfähigkeit entscheiden. Eine Reihe von Be¬
merkungen der nächsten Redner beziehen sich auf die Verantwortlichkeit der
Ärzte für ihr Gutachten und die Stellung des Arztes überhaupt in foro. Prof. jur.
Löffler spricht sich gegen Punkt 1 aus, wiewohl er die Anschauung v. Wagners
teile, gehöre dieser Punkt vom juristischen Standpunkt, wie schon Türkei
bemerkt hat, nicht in das Gesetz. Allenfalls könnte man eine Resolution dieses
Inhaltes an die Gesetzgebung richten. Sondei bestimmungen nur für den Psychiater
hält Löffler als Jurist für unbrauchbar, im Gesetz für überflüssig und schädlich.
Herr Pankratz beantragt als Ausweg eine Eingabe an das Justizministerium,
es möge die Gerichte an weisen, sich der Frage der Zurechnungsfähigkeit an die
Ärzte nicht mehr zu bedienen. Herr Türkei stellt den Antrag, der Irrenärztetag
beschließe als Resolution, daß in der Praxis der Grundsatz beobachtet werde, daß
dem Sachverständigen nur die Aufgabe zukomme, sich über die Geistesstörung
auszusprechen, es aber Sache des Richters sei, die Frage der Zurechnungsfähigkeit
zu entscheiden. Herr v. Wagner spricht sich gegen Resolutionsanträge aus und
erklärt eine gesetzliche Remedur für angezeigt. Danach wird Punkt 1 in der
vom Vortr. beantragten Fassung angenommen. Punkt 2 wird auf Picks Antrag
nach dem Vorschläge des Vortr. angenommen. Zu Punkt 3 bemerken Herr Berze
und Herr Pankratz, daß es schwer sein werde, den Grad geistiger Störung zu
bestimmen, der Unzurechnungsfähigkeit bedinge. Herr Raimann wendet sich
gegen das dehnbare W T ort „gewisser“ in diesem Punkte, das über Schuld oder
Unschuld eines Menschen entscheiden solle. Herr Löfller erklärt, daß eine
Präzisierung doch noch möglich sei, vielleicht würde sich der Irrenärztetag darüber
aussprechen, ob man mit den Bezeichnungen „erheblich, schwer“ oder dgl. arbeiten
kann. Herr Högel wendet sich gegen W T orte wie: „ernst, erheblich und schwer“,
mit denen weder Mediziner noch Juristen arbeiten können. Es handelt sich
darum, die Brücke zu finden, die vom Psychiater zum Juristen führt : eine juristische
Formulierung, nach welcher man dann an den Psychiater die Frage stellen kann.
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Herr Türkei pl&idiert für die Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit.
Dann wäre nur die letztere zu determinieren und man brauche die Gradbeat immun?
der Geistesstörung gar nicht. Herr Pick tritt gegen Herrn Türkei auf, indem
er Bich Mendel anschließt, der gegen die verminderte Zurechnungsfähigkeit an¬
führte, daß mit ihrer Einführung an die Zurechnungsfähigkeit ein höherer Maßstab
gelegt wird. Herr v. Wagner bemerkt in seinem Schlußwort, daß es eine
Menge von Strafgesetzen (Schweiz, Frankreich, Niederlande) gäbe, in denen keine
Gradbestimmung vorkommt. Die Mediziner geben den Juristen nur einen Rat
was in das Gesetz hineinzunehmen ist. Richter und Verteidiger müssen aufgeklärt
werden, daß eine Quantitätsbestimmung erforderlich ist. Das österreichische Straf¬
gesetz enthält in dem Worte „ganz“ eine Quantitätsbestimmung. Auch das deutsche
enthält eine solche. Punkt 3 wird dann in der vom Vortr. beantragten Fassung
angenommen.
In der Fortsetzung der Diskussion werden zunächst Punkt 7 und'8 besprochen.
Herr Pick meint: daß der einzig gangbare Weg der Minderwertigenfürsorge
die Errichtung von Staatsirrenanstalten sei, glaube er nicht. Er befürwortet
die Errichtung von Adnexen an Strafanstalten, da eine solche Aktion schon im
Zuge sei (Böhmen). Herr v. Wagner schließt sich dieser These Picks an und
fügt seiner Formulierung den Satz zu: „Daneben ist auch die Errichtung von
Adnexen bei Strafanstalten, nicht aber bei Irrenanstalten zu empfehlen. Herr
Högel verweist darauf, daß in England die einzige solche Anstalt in Europa
bestehe. In Frankreich sei sie eingegangen, in Italien dem Eingehen nahe. Die
Zahl der hierher gehörigen Individuen sei unverhältnismäßig klein. Herr
v. Wagner erwidert darauf, daß das Bedürfnis nach diesen Anstalten rasch
wachsen wird; und bei der Möglichkeit einer sicheren Versorgung werden Ge¬
schworene und Richter bei Degenerierten sich eher für Unzurechnungsfähigkeit
entscheiden. In Holland bestehe eine solche Anstalt, in Amerika mehrere. (Punkt 7
in der modifizierten Fassung angenommen.)
Zu Punkt 8 spricht Herr Löffler, der für die Aufnahme der verminderten
Zurechnungsfähigkeit ist. Wenn eine größere Mannigfaltigkeit geboten wird zur
Behandlung der Verbrecher, dann erhalten die Organe des Staates die Möglich¬
keit, das dem einzelnen Fall Entsprechende vorzukehren. Ein Irrtum in der Grenz¬
bestimmung wird nicht so böse Folgen haben wie heute. Man wird an die
Unzurechnungsfähigkeit ernstere Ansprüche stellen. Die Praxis wird den Begriff
der Minderwertigkeit reinigen und begrenzen. Nicht jeden Defektmenschen wird
man als minderwertig ansehen dürfen, da es überhaupt nicht viele Normalmenschen
gibt. Jedenfalls ist eine Dreiteilung der Menschen für die Gesellschaft von höchstem
Nutzen. (Punkt 8 wird angenommen.)
Zu Punkt 4 bemerkt Herr v. Wagner, daß viele Ärzte vor dem Wort
„freie WillenBbestimmung“ zurückschrecken, vielleicht aber lege gerade der Gesetz¬
geber einen Wert auf dasselbe. Herr Högel meint, daß für den Juristen es
notwendig sei zu erfahren, welche Konsequenzen der Geisteszustand des Inkulpaten
für Einsicht und Willen habe. Aus dem Gutachten müsse der Jurist schließen
können, ob der Inkulpat des Willens beraubt gewesen sei. Die Frage der Willens¬
freiheit läßt sich konstruieren. Wer die Fähigkeit zur Einsicht hat, einen
Willensentschluß zu fassen, sei auch haftbar. Herr Löffler bedauert gerade im
Punkt 4 dem Vortr. die schärfste Opposition machen zu müssen. Er stellt den
Antrag, der Arzt ist nicht in der Lage, auf die Frage, ob beim Angeklagten freie
Willensbestimmung vorhanden ist, eine wissenschaftlich begründete Antwort zn
geben. Herr v. Wagner meint, daß im Strafgesetze nur der Indeterminismus des
Volkes zum Ausdruck komme. Das Strafgesetz sei auf eine andere brauchbare
Basis zu stellen: „Sicherung der Bevölkerung vor verbrecherischen Angriffen.“
Die Juristen sollen nichts Willkürliches konstruieren, sondern dem Rechtsbewußt-
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sein der Bevölkerung Ausdruck verleiben. Die freie Willensbestimmung, wie sie
z. B. das deutsche St.G. anerkennt, entspricht der allgemeinen Empfindung. Herr
Löffler halt seinen Antrag aufrecht und erklärt es für unzulässig, daß eine
Versammlung von Naturforschern von freier Willensbestimmung spreche. Ein
Strafgesetz soll lediglich auf Erscheinungen der Empirie begründet werden. Der
Antrag Löfflers wird schließlich angenommen.
Herr v. Wagner leitet Punkt 5 ein und meint, es gebe Fälle, bei denen
Unzurechnungsfähigkeit nicht für alle strafbaren Handlungen eines Individuums
bestehe. Bei Rauschzuständen wird allerdings gewöhnlich so differenziert, daß
bei kleinen Delikten freigesprochen, bei schweren genau auf Volltrunkenheit ge*
achtet wird. Vortr. gibt zu, daß in der vorliegenden Frage die Psychiater selber
uneins sind, bezeichnet aber die Annahme des Punktes als wünschenswert, so¬
lange es keine partielle Zurechnungsfähigkeit gibt. Herr Stransky erinnert an
die verschiedene Wertung derselben Handlung nach äußeren Umständen. Danach
modifiziert Herr v. Wagner seinen Antrag der Anregung Picks folgend, indem
vor die Worte „in Beziehung auf die konkrete Handlung“ eingefugt werden solle:
„nicht bloß im allgemeinen, sondern auch . ..“ Herr Högel fragt, ob es sich
da nicht um die Sexuell-Perversen handle. Herr v. Wagner meint, es kommen
vielerlei Arten von Geistesschwachen in Betracht, so die beginnende senile Demenz,
Menschen mit krankhaften Trieben, Schwachsinnige, die für gewöhnlich vollständig
attsreichen, durch besondere Umstände aber in eine Pflichtkollision gelangen, aus
welcher ein Gesunder den Ausweg findet. In bezug auf die Homosexuellen vertritt
Vortr. den Standpunkt, es wäre am besten, den § 129 lb ganz abzuschaffen. Herr
Högel bezweifelt das Krankhafte der Sexual Verbrecher und führt aus seiner Er¬
fahrung Beispiele an. Herr Türkei tritt dem entgegen. Herr v. Wagner führt
an, daß das Auftreten von sexuellen und pervers-sexuellen Regungen im Senium
eine so typische Erscheinung sei, daß ihre Krankhaftigkeit gar nicht bezweifelt
werden kann. Er besorgt keine Gefahr von der Annahme des Punktes 5. (Punkt 5
und Punkt 6 werden angenommen.) Nach dem Vorschläge von Herrn v. Wagner
und Herrn Löffler werden das Referat und die Referentenanträge dem Justiz¬
ministerium überreicht.
Herr A. Schüller demonstriert 3 Fälle von Geistesstörung lm Kindes¬
alter. 1 . 6 1 / s jähriger Knabe mit einer im Ablauf begriffenen funktionellen Psy¬
chose vom Charakter des manisch-depressiven Irreseins. 2. 11 jähriger Knabe mit
Imbezillität, tikähnlicher motorischer Unruhe, Fettsucht und ganz rudimentären
Genitalorganen („Fettkind“). 3. 10jähriger Knabe mit angeborener cerebraler
Kinderlähmung, leichter Imbezillität und seit einigen Monaten bestehender Epi¬
lepsie. (Petit mal, klonische Zuckungen der gelähmten Extremität, epileptische
Reizbarkeit.) An der gelähmten Hand wurde vor vier Jahren eine Sehnentrans¬
plantation mit gutem Erfolg ausgeführt.
Herr Emil Redlich: Demonstration eines Falles von Epilepsie mit
Aphasie. Der heute 16jährige Knabe erlitt im 6. Lebensjahre ein leichtes
Schädeltrauma. Seit seinem 14. Jahre in Intervallen von vier Wochen epilep¬
tische Anfälle. Mai 1907: Sturz im Anfall mit Schädel Verletzung; danach nicht
druckempfindliche Hautnarbe Uber dem linken Scheitel, am 15. Juli Status epi-
lepticus durch drei Tage. Danach konnte Patient nicht sprechen und verstand
auch die Sprache nicht, war verwirrt, lief davon und wurde von der Polizei der
Klinik übergeben. Patient, der Linkshänder ist, hat schwere Störungen deB
Sprachverständnisses, der Spontansprache, der Wortfindung. Der Sprachschatz ist
eingeschränkt, Nachsprechen anfänglich schlecht, später besser. Lesen tadellos,
ebenso Schreiben, ohne aber Gelesenes und Geschriebenes zu verstehen. Diktat¬
schreiben unmöglich. In der Folgezeit besserte sich das Sprachverständnis, Nach¬
sprechen im allgemeinen gut, Lesen tadellos, auch Leseverständnis besser. Nach
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1152
den Anfällen Reflexdifferenzeu. Es handelt sich demnach um einen Fall juveniler
Epilepsie mit einer aphasischen Störung, die teilweise den Charakter der trans-
kortikalen sensorischen, teilweise mehr den der subkortikalen Form besitzt. Vortr.
erwähnt einen zweiten ähnlichen Fall, meint, ob es sich hier nicht um eine ana¬
tomische Läsion analog den Fällen sogenannter traumatischer Spätapoplexien
handle, da die Symptome infolge ihrer Intensität kaum als epileptische Er¬
schöpfungssymptome gedeutet werden können.
Herr Bonvicini und Herr Otto Pötzl: Beine Alexie (vgL dieses Centr.
1907 S. 873).
Herr Dr. Erwin Lazar: Über Hilfsschulen für schwachsinnige Kinder.
Einleitend gibt Vortragender eine Geschichte der Hilfsschulen, von denen Öster¬
reich nur wenige besitzt. Das Schülermatcrial seien Schwachsinnige leichteren
Grades, die Imbezillen im engeren Sinne und die schwereren Fälle der Debilen
Nicht geeignet sind die Idioten und die sogen, schwach Befähigten, desgleichen
Epileptiker. Den schwach Befähigten gehöre der Volksschulunterricht mit Nach-
hilfe. Die Aufnahme begutachte in Wien ein Pädagoge und ein Arzt. Das
Ziel der Schule sei gewöhnlichen Druck lesen lernen, etwas schreiben, rechnen.
Auch die Sorge für die Zukunft der Zöglinge beginne man jetzt ins Auge zu
fassen. Die Tätigkeit des Arztes bestehe in heilpädagogischer Behandlung der
Schwachsinnigen und in der Möglichkeit psychologischer Studien, die sich dann
nutzbringend anwenden lassen.
Herr Stransky: Über Veränderungen in den peripherischen Nerven
bei einzelnen Geistesstörungen. (Erscheint ausführlich in der Festschrift für
das Jubiläum des Wiener Neurolog. Institutes.)
IV. Mitteilung an den Herausgeber.
Sehr geehrter Herr Kollege!
In ihrem interessanten Aufsatz über die operative Behandlung der Tumoren
der Hypophysisgegend (Nr. 21 d. Centr.) erwähnen v. Eiseisberg und v. Frankl-
Hoch wart eine Beobachtung des Unterzeichneten in der Zahl solcher Beobachtungen,
welche auf die Veröffentlichung Fröhliche folgten und die Beobachtung Fröh¬
lich» über die Dystrophia adiposo-genitalis stützten und erweiterten. Ich lege
Wert darauf, festzustellen, daß meine beiden Beobachtungen der Fröhlicbschcn
nicht folgten, sondern ihr etwa 1*/ Ä Jahr vorangehen. Die Publikation Fröhlich«
stammt vom 23. November 1901, während meine beiden Beobachtungen in dem
Sitzungsbericht der Berliner Gesellschaft für Neurologie am 1. Juni 1900 im
Neurolog. Centralhl. veröffentlicht sind.
Ich wies am Schlüsse meiner Bemerkungen zwar nicht so scharf wie Fröh¬
lich auf die Hypophyse hin, ßtellte jedoch schon meinerseits unter Hinweis aui
die Akromegalie die Hypothese auf, daß die eigentümliche Fettanhäufung und
Veränderung der Haut hei den beiden von mir beobachteten Kranken cerebralen
Ursprungs sei. TT . _
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr
Dr. Schuster.
Um Einsendung von 8eparatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaktion sind zn richten an Dr. Kurt Mendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21.
Verlag von Vkit & Uomp. in Eeipzig. — Druck von Mktzgkb ä Wittiö in Leipzig.
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Original frnm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Neurologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten.
Begründet ron Profi XL MendeL
Heraasgegeben
von
Dr. Kurt Mendel.
Sechsundzwanzigster Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direkt von der Verlagsbuchhandlung.
1907.
16. Dezember.
Nr. 24.
Inhalt I. Oriainalmittellungen. 1. Über das verschiedene Verhalten der Neurofibrillen
in den Fortsätzen und dem Zellleib der motorischen Ganglienzellen, von Dr. med. Nie. Gierlich
in Wiesbaden. 2. Über einen früheren Fall von Heterotopie des Nucleus arcuatus, von
Priv.-Doz. Dr. Milt. Oeconenakis in Athen. 3. Hämangiom im Pons Varoli, von Dr. Taka-
kazu Nambu aus Tokio.
II. Referate. Anatomie. 1. Zar Anatomie des centralen Nervensystems von Elephas
indicus, von Dexler. — Physiologie. 2. Die Funktionen des centralen Nervensystems.
Ein Lehrbuch von Lewandowsfcy. — Pathologie des Nervensystems. 3. Zur Kenntnis
der metastatischen diffusen Sarkomatose der Meningen, von Stursberg. 4. Über Meningo*
encephalitis unter dem Bilde des Delirium acutum verlaufend, von Finkelnburg. 5. Zur
Kenntnis der umschriebenen Arachnitis adhaesiva cerebralis. von Placzek und Krause. 6. Ein
Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Meningitis serosa (interna acuta)
im Kindesalter, von Beck. m 7. Über seröse Meningitis, von Riebold. 8. Meningitis gonor¬
rhoica. von Rombach. 9. Über Meningitis cerebrospinalis pseudoepidemica, von Baginsky.
10. Experimental cerebrospinal meningitis in monkeys, by Flexner. II. Über Veränderungen
der Ganglienzellen des nückenmarkes bei der Meningitis cerebrospinalis epidemica, von
Ludwig. 12. Über Herpes bei Meningitis cerebrospinalis epidemica, von Einhorn. 13. Über
die Beugekontraktnr im Kniegelenk bei Meningitis, von Kernig. 14. Erfahrungen mit Menin¬
gitis cerebrospinalis epidemica bei Kindern in Berlin, von Cassel. 15. Über sporadische
Meningitis cerebrospinalis epidemica und ihre diagnostische Abgrenzung von anderen menin-
gealen Erkrankungen, von Hölker. 16. Über epidemische Cerebrospinalmeningitis, von Meyer.
17. A case of cerebral-spinal meningitis. by Darling aud Wilson. 18. Meningitis cerebro¬
spinalis. Heilung, von Reimann. 19. Cerebrospinalmeningitis, by Eider and Jevere. 20. Über
die bisherigen Erfahrungen mit dem Meningokokken-Heilserum bei < jenickstarrekranken,
von Wassermann. 21. Der Wert der systematischen Lumbalpunktion in der Behandlung
der Cerebrospinalmeningitis, von v. Bökay. 22. Zur Symptomatologie und Pathogenese des
erworbenen Hydrocephalus internus, von Weber. 23. Beitrag zur Frage der chirurgischen
Behandlung des Hydrocephalus internus, von Trinkler. 24. Erblindung infolge Tonsillitis
phlegmonosa auf dem Wege der Tbrombosinusitis cerebralis, von Seggel. — Psychiatrie.
25. Ear affections and mental disturbances, by Amberg. 26. Dementia prirnitiva (praecox),
Hebephrenie, Katatonie, Paranoia, von Oeconomakis. — Forensische Psychiatrie.
27. Beitrag zur forensischen Psychiatric, von Seiffer. 2m. Die pathologische Anschuldigung:
Beitrag zur Reform des § 164 de» ^tratge.-e'zbu'die-» und de» $ 56 der Strafprozeßordnung,
▼on Bresler.
III. Aut den Gesellschaften. Deut-'-he Gesellschaft lur Urologie in Wien.
IV. Personalien.
V. Register 1907.
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7 '»
Original frem
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1154
L Origin&lmitteilungen.
1. Über das verschiedene Verhalten
der Neurofibrillen in den Fortsätzen und dem Zellleib der
motorischen Ganglienzellen.
Von Dr. med. Nie. Gierlioh , Nervenarzt in Wiesbaden.
Nachdem Cajal und Bielsghowsky jüngst zwei Methoden zur Darstellung
der Neurofibrillen angegeben haben, die den bisherigen an Einfachheit und
Sicherheit weit überlegen sind, dürfte es von besonderem Interesse sein, das
Verhalten der Fibrillen in den einzelnen Teilen der Ganglienzellen bei Ent¬
wicklung und Degeneration der letzteren einer genaueren Prüfang zu unter¬
werfen. Ich beschränke mich hier zunächst auf die Untersuchung der motorischen
Zellen, da ihre Entwicklung und Degeneration leicht dem Studium zugänglich
ist, will aber nicht unterlassen zu bemerken, daß nach meinen bisherigen Unter¬
suchungen in den Zellen der CLABKE'scben Säulen des Rückenmarkes und ein¬
zelnen sensiblen Kernen der Medulla oblongata mit kräftig entwickelten Fibrillen
ähnliche Verhältnisse obwalten, wie sie im folgenden beschrieben werden.
Daß in der vollentwickelten normalen motorischen Zelle die beiden obigen
Methoden insofern einen Unterschied im Verhalten der Fibrillen erkennen lasen,
als Cajal’s Verfahren eine netzartige Verbindung derselben, die Imprägnation
nach BrEL8CHOwsKY dagegen glatte, isolierte Fasern zur Anschauung bringt, ist
für die hier interessierende Frage ohne Belang.
Beide Färbeverfahren zeigen darin volle Übereinstimmung, daß sie im
embryonalen Leben die Fibrillen in den Fortsätzen der motorischen Zellen
früher zur Darstellung bringen als in dem Zellleib. Bbock \ der mit Cajal’s
Methode an Schweineföten Untersuchungen anstellte, gibt dies für die Pyrv
midenzellen des Gehirns, für die motorischen Zellen des Rückenmarkes und des
verlängerten Markes an. Fragnito * fand das gleiche mit Donaggio’s Methode
in den Vorderhornzellen der Hühnerembryonen. In den Pyramidenzellen des
Gehirns konnte ich 3 nach Imprägnierung mit Bielschowbky’s Verfahren an
menschlichen Föten das gleiche Verhalten im Auftreten der Fibrillen erkennen
und ebenso in den motorischen Zellen des Rückenmarkes. In den Fortsätzen
aller dieser Zellen erscheinen zuerst schwarze ungeformte Massen und in den
späteren Stadien sind dann in den Fortsätzen bereits feine, erst gewellte, dann
geradegerichtete Fädchen entwickelt, während das Zellinnere nur schwarze Schollen
erkennen läßt, die oft in etwas dichterer Lage den Kern umgeben (Figg. I u. 2).
1 Brock, Untersuchungen über die Entwicklung der Neurofibrillen des Schweioefotus.
Monatsschr. f. Psych. n. Neurol. XVI. S. 467.
1 Fragnito, Su la genesi delle fibre nervöse centrali. Annali di nevrofogia. XXIII.
Fase. 1 bis 2.
* Gisblich, Über die Entwicklung der Neurofibrillen in der Pyramidenbabn des
Menschen. Deutsche Zeitscbr. f. Nervenheilk. XXII. S. 97.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1155
Eine genaue Durchsicht meiner Präparate daraufhin, ob ein Fortsatz —
etwa der Achsencylinderfortsatz — in der Entwicklung der Fibrillen bevorzugt
sei und den anderen vorangehe, ließ ein solches Prävalieren nirgends hervor¬
treten. Man sieht zunächst in den äußersten Spitzen der Fortsätze — in den
längeren früher als in den kürzeren — kleine gewellte Fäserchen, die bald sich
strecken, an Dicke zunehmen und nach dem Zellleib hin sich ausdehnen. Erst
wenn letzterer nahezu erreicht ist, schiebt sich hie und da eine Faser in den
Zellleib hinein, um oft in einen anderen Fortsatz umzubiegen oder auch sich
dem Kerne anzulegen. Solche weit hervorragende einzelne Fasern treten bald
aus diesem, bald aus jenem Fortsatz aus, ohne daß eine Gesetzmäßigkeit im
Fig. 1. Pyramidenzelle aus der vorderen
Centralwindung eines menschlichen Fötus aus
dem 9. bis 10. Monat. Die Fibrillen in den
Fortsätzen sind bereits gut entwickelt, wäh¬
rend der Zellleib noch frei von solchen ist.
Bielscbowsky-Färbung. Zeichnung mit Zeiss
Apochrom. 2 mm Oc. 8.
Fig. 2. Vorderhornzelle aus dem Halsmark eines
menschlichen Fötus vom Anfang des 5. Monat.
Die Fibrillen der Fortsätze sind bereits völlig
ausgebildet, während im Zellleib sich schwarze
Schollen finden, die rings um den Kern be¬
sonders dicht gelagert sind. Bielschowsky-
Färbung. Zeichnung mit Zeiss Apochrom.
2 mm Oc. 8.
Verhalten zu den einzelnen Dendriten — etwa der Länge derselben — zu er¬
kennen wären. Im Großen und Ganzen scheint für das erste Auftreten der
Fibrillen in den Fortsätzen die Entfernung vom Zellleib das ausschlaggebende
Moment zu sein. Die Bildung der Fibrillen in den Fortsätzen geht der im Zell¬
leib stets voraus.
Ein umgekehrtes Verhalten beobachtet man bei dem Zerfall der motorischen
Zellen. Lache 1 , der in dem Laboratorium der Berliner neuro-psychiatrischen
Klinik Studien über die Autolyse der Neurofibrillen machte und sich zur Im¬
prägnation der CAJAL’schen Methode bediente, fand, daß in den Pyramidenzellen
1 Lache, Altärations cadaveriques des neurofibrilles.
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Revue neur. 1906. Nr. 5.
73^iginal from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1156
und Vorderhornzellen erst die Fibrillen im Zellleib sioh auf lösten, bevor der
Zerfall in den Fortsätzen eintrat. Den gleichen Befund konnte ich bei Darstellung
der Fibrillen nach Beelsghowskt's Methode bei der Autolyse obiger ZeUarten
beobachten (Figg. 3 u. 4).
Auch bei der Degeneration der motorischen Zellen treffen wir wieder auf
gleiche Art des Zerfalles. In den Pyramidenzellen des Gehirns fanden Bmr
SOHOW8KY und Bbodmann 1 bei Paralyse sowohl wie bei Dementia senilis das
Zellinnere meist schon in Auflösung und Zerfall begriffen, während in den
Fig. 3. Vorderhorn zellen au dem Halsmark eines augetragenen Kindes,
dessen Rückenmark 24 Standen der Laft des Laboratoriums (etwa 15 # )
ansgeBetzt war. Die Fibrillen der Fortsätze sind noch gut erbalten, während
der Zelleib kurz verklumpte Fasern and Schollen aufweist. Der Kern
wandständig and dankel tingiert. Bielschowsky-Färbung. Zeichnung mit
Zeiss Apochrom. 2 mm Oc. 8.
Dendriten noch relativ wohlausgebildete Fibrillen vorhanden waren, ein Verhalten,
welches ich in gemeinsam mit Herrn Dr. Hebxhbimeb 3 ausgeführten Unter-
suchungen bei verschiedenen krankhaften Prozessen der Hirnrinde bestätigen
konnte. Im Rückenmark fiel Mabinesco 3 , der sich Cajal’s Methode bediente,
bei Myelitis ein Persistieren der Fibrillen in den Fortsätzen bei Zerfall im Zell-
1 Bielschowsky and Bbodmann, Zar feineren Histologie and Histopathologie der Gro߬
hirnrinde. Jonrn. f. Psychol. u. Neurol. V. Heft 5.
* Gieblich and Hebxhbimeb, Über die Neurofibrillen Im Centralnervensystem des
Menschen. Wiesbaden 1907, Bergmann.
* Mabittesco, Lösions des nenrofibrilles dans certains ötats pathologiqnes. Journal de
neurol. 1005. S. 221.
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Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1157
leib auf. loh sah das Gleiohe in einem Fall von Myelitis an Bielschowsky-
Bildem, name ntlich in Schnitten, die in einiger Entfernung oberhalb und unter¬
halb des Herdes angelegt waren (Fig. 5). Es soll besonders hervorgehoben
-werden, daß auf diesen Schnitten die intra- und extraspinalen vorderen Wurzeln
keine erkennbaren Veränderungen aufwiesen und dieselben auch in den weiter
dem Herde sich nähernden Schnitten sich stets besser erhalten zeigten als die
Yorderhornzellen. Auch in einem Falle spinaler Kinderlähmung, dessen spezielle
Beschreibung an anderer Stelle erfolgen soll, ließen sich in den befallenen Zell-
Fig. 4. Vorderhomzelle aas dem HalBmark desselben R&ckenm&rkes wie
bei Fig. S, nachdem dasselbe 48 Standen der Loft des Laboratoriums aas¬
gesetzt war. Aach hier sind in den Fortsätzen, namentlich peripherwärts
vorn Zellleib, die Fibrillen noch leidlich darstellbar, während im Zellleib nar
Schollen and Vakaolen sich finden. Vom Kern ist nichts za sehen. Biel-
schowsky-Färbang. Zeichnung mit Zeiss Apochrom 2 mm Oc. 8.
gruppen oft Zellen auffinden, deren Fortsätze noch wohlerhalten waren, während
das Zellinnere mehr oder weniger sich in körnigem und scholligem Zerfall befand,
hie und da Vakuolen anfwies und vom Kern nichts mehr zu erkennen war (Fig. 6).
Ein genaues Durchsehen der Präparate ließ bei der Autolyse und Degene¬
ration kein augenscheinliches Überwiegen des fibrillären Zerfalles in dem einen
oder anderen Fortsatz wahrnehmen, vielmehr erfolgte derselbe nach der Auf¬
lösung der Fibrillen im Zellleib ziemlich gleichartig in den einzelnen Fortsätzen
und schien die Entfernung vom Zellleib für die Auflösung der Fibrillen in den
Fortsätzen im Großen und Ganzen der maßgebende Faktor zu sein. Dabei ist
der gesamte Schwund der Fortsätze in den einzelnen pathologischen Prozessen
ein verschieden schneller. Es ist nach diesen Untersuchungen anzunehmen,
daß bei dem Aufbau der. motorischen Zellen die fibrilläre Faserung der Zellen
zuerst in den Fortsätzen, später erst im Zellleib nach unsern Methoden dar-
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Original fram
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1158
stellbar, also auch zur Entwicklung gekommen ist, andererseits — was all¬
gemeinen biologischen Anschauungen wohl entspricht — bei der Degeneration
das zuletzt entstandene zuerst vergeht, d. h. die Fibrillen des Zellleibes früher
dem Zerfall anheimfallen als die der Fortsätze, ohne daß ein auffallender Unter¬
schied in den einzelnen Fortsätzen zutage träte.
Fig. 5. Vordcrhornzelle aus dem oberen Lum- Fig. 6. Vorderhornzelle aus dem Halsmark
baimark eines menschlichen Rückenmarkes in eines Rückenmarkes mit Poliomyelitis anterior,
einiger Entfernung oberhalb eines myelitischen In dem Fortsatz treten die Fibrillen noch deut-
Herdes. In dem in der Schnittebene gut ge- lieh hervor, während in dem geschrumpften
trotfenen Fortsatz sind die Fibrillen noch Zellleib nur kurze dicke Fasern, Schollen und
wohl erhalten, während im Zellleib nur kurze £roße Vakuolen sichtbar sind. Vom Kern
dickeFasern, verklumpte Massen und Vakuolen ist nichts zu sehen. Bielschowsky-Färbung.
anzutreffen sind. Die hellere runde, dem Kern Zeichnung mit Zeiss Apochrom. 2 mm Oc. 8.
entsprechende Stelle in der Nähe des Abganges
des Fortsatzes ist von dichteren Massen um¬
lagert. Bielschowsky-Färbung. Zeiohnung mit
Zeiss Apochrom. 2 mm Oc. 8.
Obige Untersuchungen wurden im pathologischen Institut des städtischen
Krankenhauses zu Wiesbaden ausgeführt und bin ich dem Prosektor, Herrn
Dr. Herxheimeh, für Überlassung des Materiales und Arbeitsplatzes, sowie sein
Interesse für die,Untersuchungen zu vielem Danke verpflichtet.
2. Über einen früheren Fall von Heterotopie des
Nucleus arcuatus.
Von Priv.-Doz. Dr. Milt. Oeoonomakis in Athen.
Bei der Bearbeitung eines in vielen Beziehungen interessanten Falles, den
ich vor 2 Jahren veröffentlichte, 1 war mir unter anderem eine beträchtliche Ab-
1 Oeconomakis, Über umschriebene mikrogyrische Verbildungen und ihre Beziehung
zur Porencephalie. Taenia pontis als pedunkuläres Bündel. Archiv f. Psych. u. Nerven¬
krankheiten. XXXIX. Heft 2.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1159
weichung in der Lage und Gestalt des Nncleus arcuatus, besonders der einen
Pyramide, die auch etwas hypertrophisch aussab, während die andere stark
atrophisch war, aufgefallen. Diese Abweichung wurde in jener Veröffentlichung
kurz als Nebenbefund erwähnt. Darin liegt wahrscheinlich der Grund, daß
dieser Fall dem Kollegen Catöla entging, der in der Bibliographie am Anfang
seiner jüngsten Mitteilung denselben nicht erwähnt. 1
Fla Py
Fig. 1. Fla Fissura longitudinalia anterior, Py Pyramide, Faea Fibrae arcuatae externae
anterior, hypertrophisch. Na Noclens arcuatus. Markscheidenfärbung nach Weigeret.
Durch die Arbeit dieses Autors sehe ich mich nun veranlaßt, auf meinen
Fall zurückzukommen, um eine eingehendere Beschreibung jener Abweichungen
zu geben, wodurch die Schlußfolgerungen des genannten Autors über die Be¬
ziehungen des N. arciformis zu den Fibrae arcuatae externae anteriores im
wesentlichen ergänzt werden sollen.
An der Ebene, gleich unterhalb der Brücke, d. i. in der Höhe der oberen
1 Catöla, Ein Fall von Heterotopic des Nudeus arciformis. Neurolog. Centralblatt*
1907. Nr. 11.
D ' ! GO ‘glC UNIVERSITY OF CALIFORUt ? 1
1160
Olivenregion, behält der Nucleus arcuatus, als eine unmittelbare Fortsetzung der
grauen Substanz der Brücke, seinen gewöhnlichen Platz an dem medial-ventralen
Rand der linken Pyramide bei. Er ist kräftig entwickelt und von den Fibrae
arcuatae ext ant wie gewöhnlich umsäumt. Dieses periphere Auftreten des
N. arcuatus hört aber auf den nächstfolgenden Schnitten allmählich auf; je
weiter die Schnitte spinalwärts liegen, desto mehr ändern sich die Verhältnisse:
der N. arcuatus erscheint nunmehr mitten im Pyramidenfelde, das somit durch
mehrfach gegabelte graue Züge in mehrere kleinere Felder zerteilt wird.
Fla Py
Fig. 2. Fla Fissura long. anter., Py Pyramidenfeld, vom hirschgeweihartig gegabelten
Nucl. arcuatus durchsetzt, Faea Fibrae arc. ext. ant.
Auf den ersten Schnitten durchläuft er in horizontaler Richtung das Feld
der Pyramide, indem er von der Mitte des medialen Randes derselben eindringt
und sich zum Sulcus praeolivaris hinzieht (Fig. 1). Auf anderen folgenden zeigt
er eine mehrfache, hirschgeweihartige Verzweigung, wodurch die Pyramide in
vier bis fünf von einander getrennte kleine Felder zerfällt (Fig. 2). Und weiter
unten durchzieht er wieder in einfachem Zug, bogenförmig mit ventraler Kon¬
kavität, das ganze Pyramidenfeld von der Stelle der Vereinigung der zwei late¬
ralen mit dem medialen Drittel des ventralen Pyramidenrandes an zu dem
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1161
lateralen Band desselben und teilt somit dasselbe in ein ventrales, mehr ovales,
und ein dorsales, halbmondförmiges Feld (Fig. 3).
Parallel mit diesen Veränderungen des N. areuatus macht sich eine auf¬
fällige Hypertrophie der Fibrae arcuatae eitemae anteriores, besonders an ihrem
seitlichen Teile (Praetrigeminales 1 ) bemerkbar. Hier — in der mittleren und
unteren Olivenregion — erreichen dieselben eine derartig starke Entwicklung.
Flp Faep
aea
Fig. 8. Flp Fissura long. posterior, Faep Fibrae arc. eiternae posteriores. Pt/a atrophische
Pyramide, Fa Nucleus areuatus, Fla Fissura loug. anterior.
daß es zu einer richtigen Überwucherung der linken Olive kommt, wobei die
Sulci prae- und postolivaris gänzlich verschwinden. An dem lateralen Quer¬
schnittsrande liegt dann eine breite und kompakte Schicht der Länge nach
getroffener Markfasern an, die sich nach oben und unten in eine Anzahl von
Flechten auflöst, welche einerseits das Gebiet des Corpus restiforme und auderer-
1 Minoazzini, Sülle origini e connessioni delle fibrae arciformeß u. Ulteriori ricerche
intorno alle fibrae arciforraes ed al raphe. Monatsschrift f. Anat. u. Physiol. IX u. X.
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Original from
UNIVERSITY OF CALII
1162
seits dasselbe der homolateralen Pyramide mehrfach gesohlängelt durchsetzen
(Fig. 1 a. 2). In der Pyramide folgen diese Faserzüge dem mannigfachen Ver¬
laufe des heterotopischen N. arcuatus treu, nnd es läßt sich anf mehreren
Strecken ganz deutlich nachweisen, wie letzterer somit zwischen zwei gleichstarken
Schichten dieser transversal verlaufenden Fasern eingebettet liegt.
An der Peripherie der Pyramide vermißt man den bogenförmigen Saum,
den diese Fasern gewöhnlich bilden und dem sie den Namen „arcuatae“ ver¬
danken, gänzlich. Nur am medialen Bande des Pyramidenfeldes bleibt dieser
Saum erhalten; da ja die ihn bildenden Fasern sich bald an der Übergangs¬
stelle vom medialen zum ventralen Bande umbiegen und der Wanderung des
N. arcuatus nach innen folgen.
Außerdem sei noch erwähnt, daß einige Teile des so reichlich innerhalb
der Pyramide entwickelten und verzweigten N. arcuatus, noch weit im Gebiete
der Seitenstränge der Medulla oblongata, von ihm abgetrennt oder auch als
unmittelbare Fortsetzung desselben, zu verfolgen sind; sie liegen dem Innenrande
der breiten Schicht der hypertrophischen Fibrae arc. eit dicht an (Fig. 2 u. 3).
Weiter unten, wo der Schnitt keine Olive mehr trifft, fällt schließlich am
dorsalen Bande des Querschnittes der Medulla oblongata eine links ungewöhnlich
stark ausgebildete Schicht der Fibrae arcuatae externae dorsales s. posteriores
auf, die die Peripherie des Gebietes der Hinterstränge umgibt (Fig. 3). Diese
Fasern bilden bekanntlich den Hinterstrangsanteil des Corpus restiforme 1 und
hier sehen wir ganz klar, wie sie teils mit dem Nuoleus gracilis in Verbindung
treten, teils ihn überspringen, um sich in der Tiefe der Fissura longitudinalis
posterior umzubiegen.
Obige Befunde bestätigen, wie wir sehen, die enge Beziehung, welche
zwischen dem N. arcuatus und den Fibrae arcuatae externae anteriores besteht:
einmal, weil es klar hervortritt, wie letztere treu und unentwegt dem anomalen
Verlauf des ersteren im Inneren der Pyramide folgen; weiter aber auch, weil
die ausgesprochene Hypertrophie der seitlich verlaufenden Fibrae arc. ext ant
mit einer reichlicheren Entwicklung des N. arcuatus zusammenfällt, sowie mit der
sich bis ins Gebiet der Seitenstränge erstreckenden Fortsetzung desselben.
[Aas dem pathologischen Institute in Straßbarg (Direktor: Prof. Chubi).]
3. Hämangiom im Pons Varoli.
Von Dr. Takakaau Nombu ans Tokio.
Bei der am 11. Dezember 1906 im Institute vorgenommenen Sektion der
Leiche eines 63jährigen Mannes wurde beim Durchschneiden des Pons Varoli
die im Titel bezeichnete Geschwulst gefunden. Da Hämangiome im Gehirn nur
selten Vorkommen, möchte ich mir erlauben, diesen Fall hiermit zur Kenntnis
1 Obekstkikbe, Anleitung beim Stadium der nervösen Centralorgane, 1901.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1163
zu bringen. Klinisch hatte über den Patienten nichts weiter erniert werden
können, da der Patient in moribandem Zustand eingeliefert worden war.
Die Sektion ergab den Befund von Morbus Brightii chronicus, Cirrhosis
hepatis gradus levioris, Pachydermia laryngis, Tuberculosis obsoleta apicum pul¬
monum et glandularum lymphaticarum peribroncbialium, Defectus partialis septi
narium, Lien accessorius.
Die weichen Schädeldecken waren blaß. Der Schädel maß 54 cm im Hori¬
zontalumfang. Die Meningen und das Gehirn waren blaß und ohne patho¬
logische Veränderungen bis auf einen nahezu 1, 4 ccm großen dunkelroten Herd
in der linken Hälfte des Pons in der Höhe der Loci caerulei, etwas über der
Mitte des linken Pyramidenfeldes (vgl. Fig. 1). Zunächst hielt man den Herd
für eine Blutung oder einen hämorrhagischen Erweichungsherd. Zu weiterer
i
Fig. 1.
Untersuchung wurde der Pons in Formol-Müller gehärtet, hierauf mit Alkohol
von steigender Konzentration behandelt und dann in Celloidin eingebettet. Die
Schnitte wurden mit Hämatoxylin-Eosin, Hämatoxylin- van Gieson’s Gemisch
und nach der Weigert* sehen Markscheidenmethode gefärbt; ferndf wandte ich
noch die Elastinfärbung nach Weigert und Unna-Taenzer, sowie die Fibrin¬
färbung nach Weigert an.
Schon bei flüchtiger Betrachtung der Schnittpräparate konnte man den
Befund eines Tumor cavernosus konstatieren. Der Tumor begrenzte sich ganz
scharf gegen die Umgebung und bestand aus zahlreichen Hohlräumen von ver¬
schiedener Größe (vgl. Fig. 2). Diese Hohlräume waren meist rundlich, hier und
da aber unregelmäßig gestaltet. In ihren Lumina fand sich Blut. Die Scheide¬
wände, die die einzelnen Alveolen voneinander trennten, waren verschieden dick,
zuweilen dünner, zuweilen beträchtlich dick. Sie bestanden aus hyalinem, ganz
kernarmem, faserigem oder fast homogenem Gewebe. Elastische Fasern und
glatte Muskelfasern waren in ihnen nirgends wahrzunehmen, ebenso ließen sich
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UNIVERSUM OF CALIFORNIA
1164
im Tumor keine nervösen Elemente und keine Glia nach weisen. Nur in der
Peripherie des Tumors fanden sich einzelne markhaltige Nervenfasern. Ab¬
gesehen davon erschien aber der Tumor bei der WEiGEBx’schen Markscheiden¬
färbung gegen die Umgebung ganz scharf begrenzt und ließ sich in der Um¬
gebung des Tumors keine Degeneration der Nervenfasern konstatieren. Die mit
Blut gefüllten Hohlräume trugen ein deutliches Endothel. Manche Hohlräume
zeigten aber Verödung und waren mit homogenen Massen ausgefüllt, welche
wie Thrombeu aussahen, aber keine Fibrinfärbung gaben. Augenscheinlich
durch ältere solche Thrombose war stellenweise eine völlige Verödung des Tumors
| I 1*t. __ 1
Fig. 2.
eingetreten. Ein Zusammenhang des Tumors mit den Blutgefäßen der Umgebung
ließ sich in den Schnitten nirgends feststellen.
Auf Grund dieser mikroskopischen Untersuchung halte ich mich für be¬
rechtigt, diesen Tumor im Pons Varoli als ein Haemangioma cavemosnm an¬
zusprechen. Es hatte dasselbe keinen ausgesprochenen arteriellen oder venösen
Charakter, war aber ausgezeichnet durch stellenweise offenbar alte Thrombose
der Bluträume und hyaline Metamorphose der Scheidewände.
Ob der Ponstumor in meinem Fall irgendwelche Symptome gemacht hatte,
vermag ich mangels einer Anamnese nicht zu sagen. Wahrscheinlich ist es
nicht, da die Medulla spinalis keine sekundäre Degeneration zeigte.
Eine Mitteilung über Hämangiom im Pons konnte ich in der mir zugäng¬
lichen Literatur nicht finden.
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II. Referate.
Anatomie.
1) Zar Anatomie de« centralen Nervensystem« von Elephas Indiens, von
Prof. H. Dealer. (Arb. ans dem Wiener nearolog. Institut XV. S. 137.
[Festschrift Obersteiner]) Ref.: Otto Marburg (Wien).
In einer umfassenden Darstellung macht uns der Autor mit den makro¬
skopischen Verhältnissen deB Elephantengehirn und Rückenmark bekannt Bis ist
unmöglich, in einem kurzen Referat die vielen interessanten Details dieser mono¬
graphischen Darstellung zu geben. Das Gehirn wog 2040 g (das ganze Tier 240 kg).
Das Rückenmark wog 187 g. Letzteres war im Vergleich zum Großhirn klein,
obwohl es bis in das Os sacrum hinabreichte. Es war nur eine Lendenansohwellung
vorhanden. An der Dura fiel ein starkes dorsales Band, an der Pia ein starkes
ventrales auf. Die Fissura mediana dorsalis ist ziemlich tief, auch finden sich
zahlreiche intersegmentäre sensible Wurzeln. Das Großhirn zeigt eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem des Delphin. Die eigentlichen äußeren Formverhältnisse des
Gehirns werden auf die Entwicklungsmechanik desselben in dem kurzen Schädel¬
raum zurückgefiihrt. Überaus mächtig entwickelt ist das Kleinhirn. Im Gegen¬
sätze dazu ist der Epithalamus gering entwickelt, während entsprechend der
Kleinhirnentwicklung die Oliven und die Brücke ziemlich beträchtlich vorspringen.
Dasselbe gilt auch für den Thalamus opticus und die Kniehöcker. Der Kleinheit
des Gehirnstammes entsprechen die rudimentären Pyramiden. Dies nur einige
Details aus dem reichen Materiale, das ein Beispiel exakter anatomischer Forschung
genannt zu werden verdient.
Physiologie.
2) Die Funktionen des centralen Nervensystems. Ein Lehrbuch von M. L e w a n -
dowsky. (Jena 1907.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin).
Eine große Aufgabe hat sich Verf. in diesem Buche gestellt; er will die
Lehre von den Funktionen der Centralorgane von Anfang an und von den ein¬
fachsten Voraussetzungen beginnend bis dahin entwickeln, wo die Psychologie die
Weiterführung übernimmt.
In einem einleitenden Kapitel wird über die Begrenzung des Stoffes gegen¬
über benachbarten Disziplinen gesprochen, und wenn auch manche Vorstellung des
Verf.’s, wie die von der psycho-physischen Identität, nach der alles psychische
Geschehen durch materielle Vorgänge in den „Molekülen des centralen Nerven-
systems“ bedingt wird, anfechtbar ist, so ist doch mit Freuden zu konstatieren,
daß die hier liegenden Probleme als solche klar erfaßt und dargestellt worden
sind. Nach einem kurzen Überblick über die Phylogenese des Nervensystems wird
die Struktur und ihre Beziehungen zur Funktion erörtert. Man wird sich hier
im allgemeinen mit der Darstellung einverstanden erklären können. Wenn Verf.
Schwannscbe Scheide und Neurilemm identifiziert oder das Hyaloplasma Leydigs
mit der Kaplanschen Achsencylindersubstanz auf die gleiche Stufe stellt, so sind
das kleine Ungenauigkeiten, die nicht schwer ins Gewicht fallen. Die Neuronen¬
lehre in ihrer krassen Schulform wird vom Verf. abgelehnt; nach den Forschungs¬
ergebnissen Apäthys und späterer Autoren ist au der histologischen Kontinuität
der nervösen Leitung nicht zu zweifeln, und auch funktionell kommt der Zelle
als Individuum im Centralnervensystem ebensowenig wie sonst die Bedeutung
einer funktionellen Einheit zu. „Die Leitung durch die Centralorgane der Wirbel¬
tiere muß sicherlich Zellen passieren, aber auch für die Leitung ist nicht die
Zelle die Einheit, sondern die Fibrille.“
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Ausgezeichnet ist das 3. Kapitel, welches vom Reflex handelt. Der Reflex
ist die Grundlage aller Verrichtungen des Nervensystems und der Schl Eissel zur
Entwirrung des ganzen Getriebes des centralen Apparates. Dementsprechend
werden seine Erscheinungsformen eingehend geschildert und im Zusammenhang
damit die ihm verwandten Grundeigenschaften der centralen grauen Substanz, die
Summation, Bahnung und Hemmung behandelt. Daß Verf. bei der Definition der
Bahnung gegen die törichte „bahnende Übungstherapie“ gewisser Kliniker (elek¬
trische Reizung der freigelegten Rinde bei Hemiplegikern!) zu Felde zieht, ist
sehr am Platze.
Vermißt hat Ref. bei diesem Kapitel eine kurze Darstellung der Beth eschen
Forschungen über das Wesen der Leitung; eine Erwähnung hätten die An¬
schauungen dieses Autors über die Fibrillensäure und ihre cöntrale „Konkurrenz-
Substanz** verdient.
In den folgenden Abschnitten über das Rückenmark als Centralorgan und
seine Gliederung werden die Arten der Reflexe, der Muskeltonus und die Reflex¬
wege ausführlich erörtert. Gegenüber der alten Streitfrage über die Rücken¬
marksseele teilt Verf. den Standpunkt von Goltz, daß eine Feststellung der
Grenzen von willkürlicher Bewegung und Reflex undurchführbar ist. „Jede Defi¬
nition, die nur subjektivistischer Tüftelei die Tür öffnen würde, ist hier vom
Übel; nicht als wenn die Erforschung des Psychischen kein Gegenstand der Natur¬
wissenschaft wäre. Aber weil wir das Entwicklungsprinzip auch für alles Psy¬
chische voraussetzen, dürfen wir uns mit der objektiven Feststellung begnügen,
daß das Rückenmark niederer Wirbeltiere zweckmäßiger und jeweils zweckmäßig
veränderter Abwehrbewegungen fähig ist.“
Die Atonie und Areflexie der unteren Extremitäten bei totalen Qerschnitts-
läaionen des Rückenmarkes im Dorsalteil beurteilt Vortr. im Sinne der alten
Basti an sehen Lehre: die Reflexcentren bedürfen beim Menschen eines Zusammen¬
hanges mit den höheren Gehirnteilen. Gegen diese Auffassung lassen sich aber
eine Reihe klinischer Beobachtungen ins Feld führen, aus denen hervorgeht, daß
der Reflexverlust nicht der Qberläsion als solcher, sondern sekundären Kompli¬
kationen zuzuschreiben ist, die sich in dem abgetrennten Rückenmarksfragmente
entwickeln.
Mit erfreulicher Gründlichkeit wird dann das sympathische System besprochen,
ein Gebiet, welches in den physiologischen Lehrbüchern im allgemeinen recht
stiefmütterlich behandelt wird. Das Material ist hier mit großem Fleiß zusammen¬
getragen und kritisch verwertet worden. Die verdienstvollen Arbeiten Langleys
über die Wege der sympathischen Fasern sind nach Gebühr berücksichtigt. Von
klinischem Interesse ist hier der Hinweis auf die Sensibilität der Muskelfasern,
insbesondere der glatten Gefäßmuskeln. Die Parästhesien der vasomotorischen
Neurosen und gewisse Formen des Kopfschmerzes lokalisiert Verf. in die Wan¬
dung der Blutgefäße.
Den trophischen Funktionen des Nervensystems widmet Verf ein besonder«
Kapitel, in dem er die reziproken Beziehungen von Centrum und Peripherie dar¬
stellt. Die Frage, ob besondere trophische Nerven, oder aüoh nur trophisch
wirkende Nervenerregungen vorhanden sind, ist nicht unbeantwortbar. Fest steht,
daß die Lösung des Zusammenhanges zwischen der Peripherie und den Central¬
organen in einer Reihe von Fällen trophische Störungen bewirkt, ohne daß eine
besondere Art trophisoher Nerven oder trophischer Nervenerregung nachgewiesen
wäre. „Weiter kann viel gefragt, aber nichts beantwortet werden.“
Bei der Erörterung der Funktionen des Hirnstammes gibt Verf. nach des
notwendigen anatomischen Vorbemerkungen eine Darstellung seiner wichtigstes
Reflexe, um sich dann den Problemen der Atmung zuzuwenden, welche mit großer
Anschaulichkeit vorgetragen werden.
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Das nächste Kapitel ist der allgemeinen Bedeutung des Hirnstammes gewidmet,
dessen Gesamtfunktion sich nur aus den Folgen der totalen Großhirnexstirpation
erschließen laßt. Die Darstellung, welche Verf. von großhirnlosen Tieren, speziell
von den Goltzechen Hunden entwirft, ist vortrefflich. An der Hand des bisher
gesammelten Tatsachenmateriales kommt Verf. zu dem Standpunkt, daß hier die
phylogenetische Betrachtungsweise notwendig ist. Bei .den niederen Klassen der
'Wirbeltiere besitzt der Hirnstamm die Funktion eines dem Bückenmark über¬
geordneten Centralorganes, welches insbesondere eine geordnete Lokomotion er¬
möglicht. Diese Rolle wird nach oben hin stetig kleiner, bis schließlich beim
Menschen alle Suprematie dem Großhirn zufällt.
In dem folgenden Abschnitt über den Einfluß der Sensibilität auf die Be¬
wegung werden die Ergebnisse der experimentellen Pathologie und klinische Be¬
obachtungen dahin gedeutet, daß das Bestehen der peripheren Sensibilität für die
Regulierung der spontanen und speziell willkürlichen Bewegung von größter Be¬
deutung ist, daß aber, die Möglichkeit willkürlicher Bewegungen bei deren Aus¬
schaltung nicht vernichtet wird. Auch ohne centripetale Impulse behalten die
Extremitäten die Fähigkeit bestimmte Synergien zu leisten, welche im Central¬
organ bis zu einem gewissen Grade motorisch präformiert sein müssen.
Auf seinem Spezialgebiet befindet sich Verf. bei der nun anschließenden Dar¬
stellung der Kleinhirnfunktionen. Hier kann er mit einer ganzen Reihe eigener
anatomischer und experimentell-pathologischer Untersuchungen aufwarten, deren
Resultate längst bekannt geworden sind. Im Gegensatz zu Luciani, welcher das
Cerebellum als motorisches Verstärkungsorgan auffaßte, vertritt Verf. den Stand¬
punkt, daß dieses Organ der Träger sensorischer, bzw. sensomotorischer Funktionen
ist. Ein prinzipieller Gegensatz zwischen der sensiblen Wurzelataxie und der
Kleinhiraataxie besteht nicht, wenn auch die klinische Beobachtung am Menschen
scheinbar weitgehende Differenzen hervortreten läßt.
Auch in dem folgenden Kapitel über die Leitungsbahnen der Sensibilität zum
Großhirn kann Verf. auf eigene Arbeiten hinweisen. Nach seiner Meinung kommen
für die Körpersensibilität nur zwei Wege in Betracht: Spinalganglion—Hinter¬
strang—Hinterstrangskern—Hauptschleife—Thalamus —Großhirnrinde oder Spinal¬
ganglion—C1 arkesehe Säule —Kleinhirnseitenstrangbahn—Kleinhirnrinde—Corpus
dentatum—Bindearm — Thalamus — Capsula interna—Großhirnrinde. Ein in den
Kommissuren des Rückenmarkea kreuzendes und im Seitenstrange aufwärts streben¬
des langes System erkennt Verf. nicht an. Da aber die klinische Erfahrung,
insbesondere der BrownrSequardsche Komplex, die Annahme einer im Rücken¬
mark gekreuzt verlaufenden Bahn notwendig macht, so ist es wahrscheinlich, daß
dieselbe sich aus einer Kette kurzer Systeme zusammensetzt.
Nach einer recht ausführlichen Einleitung über die phylogenetische Entwick¬
lung des Palliums, seine Cytoarchitektonik und Myelogenese — bei welcher Ge¬
legenheit das bekannte Flechsigsche Grundgesetz kritisch beleuchtet und ab¬
gelehnt wird —, geht Verf. zu den Funktionen der Großhirnrinde über und
schildert zunächst die Bedeutung der Reizmethode für unsere Kenntnis von der
Lage der sogen, motorischen Punkte. Es wird betont, daß durch den elektrischen
Reiz nicht nur Kontraktionen einzelner Muskeln, sondern auch spezifische Be¬
wegungskombinationen ausgelöst werden, die entweder in der Rinde selbst lokali¬
siert sind oder durch einen Anstoß von der Rinde in niederen Centralteilen in
Tätigkeit gesetzt werden. Das Experiment und die klinische Erfahrung bei der
Jacksonschen Epilepsie weisen darauf hin, daß wahrscheinlich auch die genuine
Epilepsie in der Rinde entsteht und dort abläuft. — Es folgen die experimen¬
tellen Erfahrungen über die Lokalisation im Hirnmantel nach umschriebenen Ver¬
letzungen. Hier hat sich Verf. mit der Projektionslehre Munks zu befassen,
welche er, den Argumentationen Hitzige folgend, in ihrem vollen Umfange nicht
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anerkennt. Der hohe Wert einzelner Feststellungen dieses Forschers wird dabei
aber gebahrend betont. Bei der Charakterisierung der sensomotorisehen Region
wird hervorgehoben, daß je isolierter eine Bewegung erscheint, um so groß««
Rindengebiete zu dieser Isolierung mitgewirkt haben müssen. Innerhalb dies«
Region bestehen bestimmte Felder, deren Zerstörung die Motilität und Sensibilität
eines Gliedes besonders stark schädigt; ihre Grenzen öberlagern sich aber im
allgemeinen mehr oder weniger stark.
Es folgt die Darstellung der cerebralen Lähmungen und Bewegungsstörungen
des Menschen, unter denen die Kontraktur ausführlich geschildert wird. Dann
wendet sich Verf. wieder einem anatomischen Gebiete, den motorischen Leitangs¬
bahnen, zu. Die direkte Verbindung zwischen Hirnrinde und Rückenmark wird
von den Pyramidenbahnen gebildet, welche als Axone der großen Riesenpyramiden
der motorischen Region zu betrachten sind. Diese endigen nach Verf.’e Meinung
nicht direkt an den motorischen Vorderhornzellen, sondern in der sogen. Zwischen¬
zone und sind mit jenen durch „Schaltneurone" verbunden. Zu dieser Auffassung
wird Verf. duroh seine Marchi-Präparate hingeleitet, in welchen bei sekundären
Degenerationen niemals die charakteristischen Schollen bis ins Vorderhorn ver¬
folgbar sind. Dieses Argument ist aber nicht stichhaltig, weil die Endstrecken
der fraglichen Fasern marklos sind und keine nach Marc hi. färbbaren Zerfalls¬
produkte liefern.
Die Pyramidenbahn nimmt in der Reihe der Säugetiere bis zum Menschen
hinauf immer mehr an Mächtigkeit zu. Bei den tiefer Btehenden Säugern kommt
neben ihr für die Leitung centrifugaler Impulse das Monakowsche Bündel sehr
in Betracht, welches aus dem roten Haubenkern des Mittelhirns entspringt. Der
Anschluß der Großhirnrinde an den Nucl. ruber erfolgt aber nicht direkt oder
auf dem relativ kurzen Wege über den Thalamus (Probst), sondern auf einem
Umwege über das Kleinhirn. Die einzelnen Stationen der Bahn sind: Kortex—
innere Kapsel — Hirnschenkelfuß — Brückengrau — Brückenarm—Kleinhirnrinde—
Corp. dent.—Bindearm (kreuzend) — roter Kern — Monakow sch es Bündel—Rücken¬
mark. Außerdem können für die Leitung motorischer Reize noch die im Deiters-
sehen Kern entspringenden Vorderstrang- und Vorderseitenstrangfasern in Frage
kommen, sowie die Vierhügelvorderstrangbahnen und die Fasern aus der Formatio
reticul. pontis et med. obl. Bemerkenswert ist, daß Verf. eine Kreuzung der
Pyramidenvorderstrangfasern in der Commissura alba des Rückenmarkes strikte
in Abrede stellt.
Den Problemen der Aphasie und Apraxie sind dann zwei besondere Kapitel
gewidmet, welche zeigen, daß Verf. auch mit diesem Stoff vertraut ist und ihn
anschaulich vorzutragen weiß. In einzelnen Punkten wird mancher Leser aller¬
dings anderer Meinung sein, so z. B. in der Beurteilung der transkortikalen moto¬
rischen Aphasie und der Alexie.
Den Schluß bildet eine Abhandlung über die Cerebrospinalflüssigkeit, welche
alB cerebrale Lymphe definiert wird. Sie stammt, wie Injektionsversuohe lehren
sollen, aus den Gefäßen und der Substanz des Nervensystems. Die Frage nach
der Herkunft dieser Flüssigkeit ist aber heutzutage doch noch nicht mit solcher
Sicherheit zu beantworten; um so weniger, als unsere Kenntnisse über die Lymph-
wege in den Centralorganen zum Teil noch recht lückenhaft sind. Wenn Verf
die Plexus chorioidei für unbeteiligt an der Bereitung des Liquor cerebro-spin.
erklärt, so unterschätzt er diese Gebilde sehr; zum mindesten hätte er Beine An¬
sicht etwas begründen müssen.
Soll ein Gesamturteil gefällt werden, so wird man das vorliegende Buch als ein
sehr gutes bezeichnen müssen. Die Anordnung des Stoffes ist überall eine klare,
und die Diktion so lebhaft und gewandt, wie man es in Lehrbüchern leider nur
sehr selten findet. Den Vorwurf einer farblosen Kompilation wird man keinem
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Kapitel machen können; immer weiß Verf. etwas eigenes zu sagen und bei strittigen
Fragen seinen Standpunkt mit Temperament zu betonen. Unter diesen Umständen
ist es begreiflich, daß mancher verdienstvolle Autor etwas zu kurz kommt, und
daß die persönliche Auffassung des Verf.’s mitunter zu stark in den Vordergrund
rückt. Aber dieser Nachteil wird durch die Vorzüge reichlieh aufgewogen. Dem
Lernenden . wird das Buch eine vortreffliche Einführung in diesen schwierigen
Stoff bieten und dem Kundigen manche wertvolle Anregung.
Pathologie des Nervensystems.
3) Zur Kenntnis der metastatisohen diffusen Sarkomatose der Meningen,
von Privatdozent Dr. H. Stursberg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde.
XXXIII.) Ref.: L. Borchardt (Berlin).
Verf. teilt einen bei der Seltenheit der Affektion bemerkenswerten Fall mit,
der beweist, daß auch außerhalb des Nervensystems entstandene Sarkome in
ähnlicher Weise wie Karzinome eine über die ganze Pia verbreitete, nur mikro¬
skopisch nachweisbare Metastasierung hervorrufen können, die durchaus der
primären Sarkomentwicklung in den weichen Häuten entspricht; es zeigt dieser
Fall ferner, daß derartige Tumorbildungen unter den Erscheinungen einer Poly-
nenritis ohne eine Andeutung von meningitischen Symptomen verlaufen können.
Daß hier nicht die zufällige gleichzeitige Entwicklung zweier Tumoren vorlag,
beweist die Gleichartigkeit der zeitigen Gebilde, auch die analoge Art des Wachs¬
tums — nicht unter Bildung von Geschwulstknoten, sondern unter diffus infiltra¬
tiver Ausbreitung — der beiden Tumormassen. Das Fehlen der meningitischen
Erscheinungen ist schwer zu erklären, ebenso bietet die Deutung des Verhaltens
der sensiblen Reizerscheinungen große Schwierigkeiten: die Schmerzen saßen
nämlich keineswegs in allen von den Tumormassen ergriffenen Nerven, ferner
ließen sie teilweise trotz der Weiterentwicklung des Leidens nach.
4) Über Meningoencephalitis unter dem Bilde des Delirium acutum ver¬
laufend, von Privatdozent Dr. Rudolf Finkelnburg. (Deutsche Zeitschr. f.
Nervenheilk. XXXIII.) Ref.: L. Borchardt (Berlin).
Kasuistische Mitteilung. Bei einem früher gesunden, nur etwas nervösen
Knaben entwickeln sich ohne nachweisbare Veranlassung schwere cerebrale
Allgemeinerscheinungen, psychische Störungen, die dem klinischen Bilde des
Delirium acutum entsprechen. Nach anfangs fieberlosem Verlauf steigt die
Temperatur sehr bald beträchtlich an, meningitische Symptome oder Herd¬
erscheinungen fehlen vollkommen. Am 19. Krankbeitstage Exitus. Die Obduktion
ergab eine chronische Leptomeningitis nebst frischen entzündlichen Veränderungen,
ferner Entzündungserscheinungen an den Hirngefüßen der centralen Ganglien und
der inneren Kapsel. Für Lues oder Tuberkulose fehlte jeder Anhaltspunkt.
5) Zur Kenntnis der umschriebenen Arachnitis adhaesiva cerebralis, von
S. Placzek und F. Krause. (Berliner klinische Wochenschr. 1907. Nr. 29.)
Ref.: Bielschowsky (Breslau).
P. fand bei einer 25jährigen Dame Erbrechen, Kopfschmerz, Schwindel,
Veränderungen des Ganges, Taumelgefühl, Neigung nach links zu fallen, fast
komplette Lähmung aller äußeren Augenmuskeln beiderseits, vollständige Lähmung
der rechten Gesichtshälfte mit Einbeziehung des Stirnastes und diagnostizierte auf
Grund des Befundes einen raumbeengenden Tumor in der hinteren Schädelgrube.
Krause schloß sich der Ansicht P.'s an. Nach genauer differential-diagnostischer
Erwägung des Sitzes wurde von K. zweizeitig operiert und außer einer ungewöhn¬
lichen Verdickung des Schädelknochens, einer Verdickung der harten Hirnhaut
und starker Verwachsungen derselben mit der weichen Hirnhaut eine abgekapselte
FlüsBigkeitsansammlung an der unteren Fläche der rechten Kleinhirnhemisphäre
gefunden. Bei der Geringfügigkeit des Befundes glaubte P. nur eine Krankbeits-
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Ursache an der Schädelbasis annehmen zu müssen, doch fand sich bei genauem
Absuchen derselben kein Anhalt für diese Annahme, auch ließ eine Palpation der
Kleinhirnhemisphäre keinerlei Vermutung für den Sitz eines Tumors im Kleinhirn
selbst bestehen. Schon am Tage nach der Operation gingen die Erscheinungei
zum Teil zurück, das Allgemeinbefinden war ausgezeichnet. 10 Tage jedoch nach der
Operation begannen Temperaturen bis 40°, Schüttelfrost, Erbrechen, dabei sehr
guteB Wohlbefinden, keine meningitischen Erscheinungen, alle Lähmungssymptome
waren geschwunden. Erst nach 3 Monaten wich dieser sonderbare Zustand der
Norm und voller Genesung. Es läßt sich nur annehmen, daß das Betasten des
Kleinhirns, die Druckwirkung auf Kleinhirn und Medulla ohlongata durch den
Spatel diese hyperthermischen Zustände verursacht haben. Im zweiten Teil der
Arbeit schildert K. detailliert den Operationsverlauf und schließt mit einer Be¬
trachtung Uber die Entstehung des Leidens, daB er als Arachnitis adhaesiva circum¬
scripta bezeichnet. Die übermäßig verdickte Dura, die breiten Verwachsungen
zwischen der oberen Kleinhirnfläche und der unteren Seite des Tentoriums sind
als Folgen chronisch entzündlicher Vorgänge anzusehen, die cystenartige Fl&ssigkeits-
anhäufung an der inneren unteren Kleinhirnfiäche auf entzündliche Verlötungen
der Arachnoidalmaschen zurückzuführen und als sekundäre Liquorstauung in den
abgeschlossenen Hohlräumen aufzufassen.
0) Ein Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Menin¬
gitis serosa (interna acuta) im Kindesalter, von Dr. med. Carl Beck.
(Jahrb. f. Kinderheilkunde. VIII.) Ref.: Zappert (Wien).
Die primäre seröse Meningitis ist nicht so selten, als es nach Angabe einzelner
Autoren zu vermuten wäre. Doch ist ihre Diagnose in vivo recht schwer zu stellen.
Als charakteristische Symptome sind hervorzuheben: meningeale Initialsymptome.
Verdrießlichkeit, Obstipation, Erbrechen, Vergrößerung des Schädel umfanget
(bei kleineren Patienten), Konvulsionen, frühzeitiges Auftreten der Neuritis
optica. Fieber und Puleverlangsamung fehlen oft, Trübung des Sensorinms.
Strabismus, Nystagmus Bind im weiteren Verlaufe der Krankheit stets vorhanden
Die Lumbalpunktion ergibt eine wasserklare Flüssigkeit mit geringem Eiweis¬
gehalt, ohne Sediment und ohne Bakterien, die unter höherem Drucke entleert
wird, als dies der Norm entspricht. Die Krankheit endet nach oft wochen- und
monatelangem Verlaufe meist tötlich; von 5 Fällen des Verf.’s genas nur einer.
Pathologisch-anatomisch kann man eine Meningitis serosa externa, bei welcher nur
Gehirn und Hirnhäute serös durchtränkt sind, und eine Meningitis serosa interna
unterscheiden, welche sich durch ein mächtiges VentrikelexBudat auszeichnet.
Histologisch fand Bich in allen obduzierten Fällen eine trübe Schwellung und
Proliferation des Ependyms, Anhäufung von Rundzellen unter dem Ependym.
zeitige Infiltration in der Hirn- und Rückenmarkssubstanz und deren Lepto-
meningen, vornehmlich längs der Gefäße. Ein ätiologisches Moment für die
Krankheit ist nicht bekannt; nur in einem Falle wuchsen Staphylokokken und
Streptokokken aus der Lumbalfiüssigkeit.
7) Über seröse Meningitis, von Dr. Riebold. (Deutsche med. Wochenschr.
1906. Nr. 46.) Ref.: R. Pfeiffer.
Umfassende Darstellung des Krankheitsbildes der serösen Meningitis unter
Mitteilung interessanter Krankheitsfälle und unter Hinweis auf die große
diagnostische und therapeutische Bedeutung der Lumbalpunktion bei diesem Leiden.
Mit Recht betont Verf., daß die seröse Meningitis wohl häufiger anzutreffen ist
als man annimmt, und auch in ganz leichten Formen auftritt. Sehr fraglieh
erscheint aber dem Referenten die Behauptung, daß „manche jener nicht seitens:
Fälle, in denen während der letzten Menstruationstage oder bei einer hartnäckigen
Obstipation für mehrere Tage äußerst intensive Kopf* und Nackenschmerzen, bis¬
weilen mit Übelkeit und Erbrechen auftreten, als leichteste (toxische) seröse
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Meningitis anzusprechen sind“. Selten dürften ferner die Fälle sein, wo „einem
hartnäckigen, scheinbar habituellen Kopfschmerz und verwandten Zuständen, die
-vielleicht manchmal unberechtigterweise als neurasthenische aufgefaßt werden,
eine chronische seröse Meningitis zugrunde liegt“.
8) Meningitis gonorrholoa, von K. A. Rom bach. (Ned. Tijdschr. v. Gen. II.
1907.) Ref.: Giesbers (Rotterdam).
Kasuistische Mitteilung über einen Patienten, der mit Meningitis ins Kranken¬
haus kam, ohne daß man zunächst die Ursache finden konnte, bis sich heraus-
stellte, daß bei Druck gonokokkenhaltiges Sekret aus der Urethra hervorzu¬
bringen war. Die erste Lumbalpunktion ergab trübe Flüssigkeit ohne Bazillen.
In der zweiten viele Leukocyten mit in- und extracellulären Diplokokken, die sich
auf AsciteBbouillon züchten ließen. Therapie: wiederholte Lumbalpunktion, 01.
Santali innerlich und kleine Dosen Pyramidon. Heilung.
9) Über Meningitis cerebrospinalis pseudoepidemioa , von A. Baginsky.
(Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 14.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Verf. sieht nur in dem positiven Nachweis des Meningococcus das Kriterium
für die Diagnose der Meningitis cerebrospinalis epidemica. Die vier von ihm
beobachteten Fälle imitierten in den ersten bedeutsamen klinischen Erscheinungen
die epidemische Krankheit so vollkommen, daß lediglich der weitere Verlauf, der
rasche, günstige Ausgang und vor allem die bakteriologische Untersuchung der
Fälle vor diagnostischem Irrtum schützen konnte. Es fanden sich als Erreger
Pneumokokken, Diplococcus crassus, Staphylo- und Streptokokken. Derartige Formen
spricht Verf. als pseudoepidemische an und hält ihnen gegenüber die strengeren
Absonderungsvorschriften für unentbehrlich.
10) Experimental oerebrospinal meningitis in monkeys, by Dr. Simon
Flexner. (Proceedings of the New York pathological society. VI. Nr. 7 u. 8.)
Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg).
Verf. injizierte Affen in den Lumbalsack Kulturen von Diplococcus intra-
cellularis und erzeugte so experimentell das Bild der Cerebrospinalmeningitis.
Die ersten Symptome der Krankheit zeigen sich nach wenigen Stunden und nehmen
an Schwere bis zum Tode, der 12 bis 50 Stunden nach der Einverleibung der Diplo¬
kokken eintritt, stetig zu. Die Krankheitserscheinungen sind verschieden schwer,
je nach der Dauer der Krankheit. Die Zeit des Lebenbleibens hängt zum Teil
von der Menge der injizierten Kokken, zum Teil aber auch von der Widerstands¬
kraft des Individuums ab. Ein Teil der Affen gesundet aber von der künstlich
erzeugten Krankheit. Nach abermaligen Injektionen mit sorgsam graduierten
Dosen der Kultur wird ein langdauerndes Kranksein gezeitigt, von welchem die
Tiere sich aber eventuell doch noch wieder erholen können. Das histologische
Bild ist das einer eitrig fibrinösen Meningitis und akuten Encephalitis.
11) Über Veränderungen der Ganglienzellen des Rückenmark bei der
Meningitis cerebrospinalis epidemica, von Dr. Ludwig. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch.
In einem Fall von epidemischer Genickstarre, der nach 4monatiger Beob¬
achtung im Jahre 1894 zur anatomischen Untersuchung kam, wurde außer den
für dieses Leiden charakteristischen Symptomen eine ungewöhnlich Btarke Ab¬
magerung bemerkt. Es fand sich an den Nerven ein Zerfall der Achsencylinder
und in den Muskeln eine deutliche Vermehrung der Kerne im interstitiellen Ge¬
webe, in den Muskelzellen und Unregelmäßigkeit im Kaliber der Fibrillen. Dieser
Befund ließ vermuten, daß die Muskelatrophie durch eine Affektion der nervösen
Centren des Rückenmarkes hervorgerufen war. In sieben weiteren Fällen, die seitdem
anatomisch untersucht werden konnten, wurden die Ganglienzellen des Rücken¬
markes einer genauen Prüfung unterworfen. Es fanden sich Veränderungen der
chromophilen Substanz und außerdem Sohwund des Kerns und Kernkörperchens,
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Vakuolenbildung im Zellleib und Schwinden der NissIschen Zellkörperchen. Die
klinisch festgestellte Muskelatrophie in Verbindung mit dem Schwund der Ganglien¬
zellen der Vorderhörner weist deutlich auf das anatomische Bild der Poliomyelitis
hin, nur besteht der Unterschied wahrscheinlich darin, daß bei der Meningitis cere¬
brospinalis zunächst die motorischen Zellen der ganzen Spinalachse affiziert werden.
12) Über Herpes bei Meningitis cerebrospinalis epidemica, von Einhorn.
(Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 700.) Ref.: Pilcz (Wien).
Der Herpesausschlag auf der äußeren Haut zeichnet sich bei der Cerebro¬
spinalmeningitis aus durch ungewöhnliche Mächtigkeit (in einem Falle erstreckte
er sich von der Stirn bis zur Mamma), durch große Ausdehnung und relativ lange
Eruptionsdauer (6 bis 8 Tage, die Bläschen bleiben nach ihrer Eintrocknung
14 Tage und länger noch kenntlich); die Heilung erfolgt langsamer als bei dem
gewöhnlichen Febrilen, mitunter auch mit Narbenbildung (Verf. beobachtete die
zweimal). Isolierte Blaseneruptionen und atypische Lokalisationen sind häufig,
d. h. bei der Cerebrospinalmeningitis finden sich Herpeseruptionen oft nur gerade
an Stellen, an welchen sie bei anderen fieberhaften Erkrankungen nicht vorzu-
kommen pflegen (Ohrmuschel, ein solitäres Bläschen am Augenlide, am Gaumen usw.).
Bei der Epidemie, welche Verf. zu beobachten Gelegenheit hatte, kamen auch
sehr häufig an der Schleimhaut Eruptionen von Herpes vor (am Gaumen, an den
Seitenrändern der Zunge usw.).
Auffallende Schmerzen kommen dem Herpes bei der Cerebrospinalmeningitis
nicht zu, auch nicht Komplikationen und Folgezustände.
Diflerentialdiagnostisch kommt die Maul* und Klauenseuche in Betracht,
Pemphigus und Herpes laryngis et pharyngis (Glas).
Im Bläscheninhalte fand Verf. Lymphozyten, spärliche Epithelzellen, kleine
Gram-positive Diplokokken usw., jedoch niemals die typischen Meningokokken.
Eine prognostische Bedeutung besitzt der Herpes bei der Cerebrospinal¬
meningitis nach den Erfahrungen des Verf.’s nicht.
13) Über die Beugekontraktur im Kniegelenk bei Meningitis, von W. Kernig.
(Zeitschr. f. klin. Med. 1907.) Bef.: Hugo Levi (Stuttgart).
In einer groß angelegten Arbeit bespricht Verf. den Wert des von ihm selbst
1884 beschriebenen und nach ihm benannten Symptoms, auf Grund von nunmehr
208 Fällen. 181mal oder in 87,0°/ 0 war das Kernigsche Symptom vorhanden.
Auf die richtige Technik kommt hei der Prüfung alles an.
Das Symptom besteht darin, daß, während an dem liegenden Kranken keine
Kontraktur an den Beinen vorhanden ist, an dem sitzenden oder aufgerichteten
Kranken die Beine im Knie nicht mehr gestreckt werden können; die Kontraktur
in den Kniegelenken tritt dann ein, wenn bei Meningitiskranken die Ober¬
schenkel in einem gewissen Grade von Beugung, nämlich etwa in einem rechten
Winkel zum Bumpf sich befinden. Bei Kindern, zumal bei ganz jungen Kindern,
ist das Symptom entschieden seltener. Es kann dauernd oder nur vorübergehend
vorhanden, ferner nur einseitig oder einseitig stärker ausgesprochen sein. Un¬
mittelbar nach der Lumbalpunktion kann es verschwinden. ParallelismuB zwischen
Knie- und Nackenkontraktur besteht nicht. Ein wichtiger Punkt ist das Ver¬
schwinden der Flexionskontraktur, sobald Lähmung eintritt, auf der Seite der
Lähmung. Unter 10 Fällen ferner von durch die Sektion konstatierter Lepto-
meningitis chron. fibrosa, die mit Lues, Tuberkulose und Alkoholismus zusammen-
hingen, war 9 mal die Flexionskontraktur vorhanden.
Verf. meint, daß auf diese Weise wohl das unerwartete Vorkommen des
Symptoms bei anderen Krankheiten in einzelnen Fällen zu erklären sein könne.
Auch bei Meningealblutungen wurde es wiederholt beobachtet, ferner bei
Urämie, Gehirnabszeß mit sekundärer Meningitis. Wenn bei Otitis und Mastoiditis
Kernig positiv ist, ist auch die Meningitis schon eingetreten. Nur in einem von
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168 Fällen von Typhus abdom. war Kernig positiv, doch bestand in diesem Falle
eine Leptomeningitis chron. Dagegen ist Kernig positiv, wenn sich zum Typhus eine
eitrige Meningitis gesellt und dann wird die Differeutialdiagnose eventuell schwierig.
Die Fälle, in welchen du Symptom bei Gesunden oder anderen Kranken
(Tetanusrekonvalescenz, Sonnenstich, Kleinhirntumor, Hirnabszeß ohne Meningitis)
gefunden wurde, sind verschwindend selten.
Die echte Flexionskontraktur ist unüberwindbar; gelingt die Streckung, wenn
auch unter Schmerzen, so ist Kernig negativ. Du Zurückhalten des Oberkörpers
bei der Prüfung hat nichts mit dem Symptom zu tun, es muß im Gegenteil ver¬
hütet werden. Zuweilen tritt gleichzeitig eine Beugekontraktur im Ellenbogengelenk
auf. Zwischen Flexionskontraktur und den Patellarreflexen bestehen keine Beziehungen.
Das Symptom ist nicht pathognomonisch. Sein Fehlen schließt
eine Meningitis nicht aus. Sein Vorhandensein weist in akuten
Fällen mit sehr großer, wenn nicht äußerster Wahrscheinlichkeit
auf Meningitis hin.
14) Erfahrungen mit Meningitis oerebrospinalis epidemioa bei Kindern in
Berlin, v.Dr. Cassel. (Deutschemed. Woch. 1907. Nr.44.) Ref.: KurtMendel.
In den Jahren 1897 bis 1907 sah Verf. 90 Fälle von Mening. tubercul.
(Diagnose durch Lumbalpunktion oder Sektion gesichert) und 20 Fälle von
Meningitis cerebrospinalis epidemica. Erstere zeigt im Frühjahr ein gehäuftes
Auftreten. Benommenheit, Spannung der Fontanelle, Kontraktur der Nacken¬
muskeln, Druckschmerz an den Proc. spinosi, namentlich der Halswirbel, Haut¬
hyperästhesie und das Kernigsche Symptom lassen die Meningitis cerebrospinalis
diagnostizieren. Das plötzliche Auftreten des Fiebers sowie das Fehlen tuber¬
kulöser Belastung oder des Verkehrs mit Tuberkulösen sprechen gegen die Mening.
tuberculosa. Von größter Wichtigkeit für die Diagnose ist aber die Lumbal¬
punktion, die in keinem Fall unterlassen werden sollte. In 4 Fällen fand Verf.
ausnahmslos die typischen Weichselbaumschen Meningokokken. Von 10 Fällen
der beiden letzten Jahre starben sieben. Therapie: gute hygienische Bedingungen,
allgemeine Körperpflege, heiße Bäder, Lumbalpunktion. Die Gefahr der Über¬
tragung der Genickstarre ist nicht groß. Verf. sah nie eine zweite Erkrankung
in derselben Familie, konnte auch nicht nachweisen, daß von einem seiner Fälle
anderweitig eine Übertragung stattgefunden hätte.
15) Über sporadische Meningitis oerebrospinalis epidemioa und ihre
diagnostisohe Abgrenzung von anderen meningealen Erkrankungen,
von Hölker. (Berl. klin. Woch. 1907. Nr. 34.) Ref.: Bielschowsky (Breslau).
Verf. bespricht kurz 15 in die II. mediz. Klinik der Charite unter dem Ver¬
dacht der epidemischen Genickstarre aufgenommenen Fälle. Bei drei von diesen
Kranken ergab die sofortige Untersuchung der Lumbalflüssigkeit das Bestehen rein
eitriger Meningitis, ein 4. Fall zeigte Tuberkelbazillen im Punktat, bei 2 Fällen
fanden sich am 21. Behandlungstage typische Meningokokken, bei zwei weiteren
zeigten sich diese einmal Ende der zweiten und einmal Ende der fünften Woche.
Der 9. Fall zeigte zwar Diplokokken im Rückenmarkskanal, die Sektion ergab
jedoch eine Meningitis tuberculosa. Bei den noch verbleibenden sechs gab die
Untersuchung der Lumbalflüssigkeit keinen Anhaltspunkt für die Art der
meningealen Erkrankung. Lymphocytose im Liquor cerebrospinalis gilt nach
Verf. als nicht ausschlaggebend für die Diagnose der syphilitischen bzw. para-
syphilitischen oder tuberkulösen Meningitiden, da auch bei Meningitis cerebrospin.
epidem. verschiedene Formen weißer Blutkörperchen sich Anden.
10) Über epidemische Oerebrospinalmeningitis, von Fritz Meyer. (Charite-
Annalen. XXXI. S. 35.) Ref.: Heinemann (Berlin).
Verf. bringt zwei Krankengeschichten von Cerebrospinalmeningitis. Die erste
ist dadurch interessant, daß es sich (es bestand außerdem rechtsseitige Otitis media
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mit Übergreifen auf den Processus mastoideus, sowie Beteiligung der Lungen an
der Erkrankung) um eine Mischinfektion von Pneumokokken und Meningokokken
handelt, doch wurde die Meningitis nur durch die Meningokokken bedingt. Der
zweite Fall ist durch die Therapie bemerkenswert. Verf. wandte, gestützt auf
die bakteriologischen Ergebnisse Büppels, Injektionen von Meningokokkenserum
an. Außerdem empfiehlt er wiederholte ausgiebige Spinalpunktionen (er ent¬
leerte einmal bis zu 60 ccm Liquor cerebrospinalis), und die von Aufrecht*, in
die Therapie eingefiihrten heißen Bäder (40° C.). Verf. legt einer Hypersensibilität
der inneren Oberschenkelpartien großen Wert für die Diagnose der Meningitis bei.
17) A oase of oerebral-spinal meningitis , by J. Singleton Darling and
W. James Wilson. (Brit. med. Journ. 1907. 23.Febr.) Ref.: E. Lehmann.
Bei einem tötlich verlaufenden sporadischen Fall von Cerebrospinalmeningitis
wurden durch mehrfache Lumbalpunktionen ein Diplococcus gefunden, der zur
Gruppe des Streptococcus faecalis gehört und mit dem „Microooccus rbeumaticus*
identisch ist. Näheres im Original.
18) Meningitis cerebrospinalis. — Heilung, von Re im an n. (Prager medizinische
Wochenschr. 1907. Nr. 6.) Ref.: Pilcz (Wien).
Verf. gibt die genaue Krankheitsgeschichte eines Mädchens von 4 1 /, Jahren, das
ohne nachweisbare Ätiologie an schweren meningealen Symptomen erkrankte, bei
welchem, nachdem das kontinuierliche hohe Fieber mit Sopor allmählich nachgelassen
hatte, eine ausgeprägte motorische Aphasie zurückblieb, und das schließlich vollständig
genas. Eine Lumbalpunktion war nicht vorgenommen worden (!), was Verf. noch
zur Bemerkung veranlaßt, die Heilung dieses Falles wäre sonst gewiß auf Rechnung
des Lendenstiches gesetzt worden.
Ref. muß gestehen, daß ihm trotz zahlreicher zweifellos meningealer Er¬
scheinungen (Trismus, Clonismen, ori hydrocöphalique, Sopor, Fieber, Nackenstarre,
Strabismus ubw.) der Fall gerade ob des Fehlens eines Befundes den Liquor cerebro¬
spinalis betreffend keineswegs als einwandsfrei beweisend für die Auffassung.
„Meningitis cerebrospinalis-Heilung“ erscheint.
18) Cerebrospinalmeningitis, by William Eider and Nena Jevers. (Scottish
medical and surgical Journal. 1907. März.) Ref.: Georges L. Dreyfus.
Die Verff. beschreiben fünf klassische Fälle von gut beobachteter Cerebro¬
spinalmeningitis. In allen Fällen fand sich in der Lumbalfiüssigkeit der Dipio-
coccus intracellularis. de Rienzis Antipneumokokkenserum versagte bei den
Kranken, von welchen vier Btarben, völlig. Die mehrfach wiederholte Lumbal¬
punktion schien günstig, aber nur vorübergehend, auf das Allgemeinbefinden
einzuwirken.
20) Über dio bisherigen Erfahrungen mit dem Menlngokokken-Heilserum
bei Oeniokstarrekranken, von A. Wassermann. (Deutsche med. W’ochenschr.
1907. Nr. 39.) Ref.: Kurt Mendel.
Das Heilserum (von Pferden gewonnen) wurde in Flaschen von je 10 ccm
unentgeltlich abgegeben. Über 102 Fälle wurden (zum Teil reoht ungenügende)
Berichte eingereicht. Von ihnen waren, als mit genügenden Angaben versehen,
nur 57 zu verwerten. Von diesen 57 Kranken sind 27 (=* 47,3 °/ 0 Mortalität '
gestorben. Ordnet man aber diese Fälle nach dem Zeitpunkt des Einsetzens der
Serumtherapie im Verhältnis zum Beginn der Erkrankung, so ergibt sich folgendes:
Am 1. bis 2. Krankheitstage wurde die Serumtherapie eingeleitet bei
14 Kranken; von diesen starben 3 (*= 21°/ 0 ): am 3. Krankheitstage bei 7 Kranken,
es starben 2 («= 2S,5°/ 0 ). Am 5. Krankheitstage wurden 7 Fälle behandelt, es
starben 2 (= 28 °/ 0 ); am 6. bis 7. Krankheitstage 4, es starben 3 (Mortalität
75°/ 0 ). Von nun an nimmt die Mortalität, je später die Therapie eintritt, mehr
und mehr zu.
Mit jeder Entfernung des Einleitens der Serumtherapie von den
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Beginn der Krankheit an nimmt die Sterblichkeit konstant zu, so
daß die geringste Sterblichkeit bei derjenigen Gruppe von Fällen
sich findet, die möglichst frühzeitig der Serumtherapie unterworfen
wurden.
Übereinstimmend wird von den Beobachtern angegeben, daß das Serum (auch
für Kinder) unschädlich ist, sowohl subkutan gegeben, wie auch bei Einführung
in die Venen oder direkt in den Rückenmarkskanal. Nur zuweilen wurden nessel-
artige Hautausschläge beobachtet.
Ist die Krankheit in das subakute oder chronische Stadium eingetreten, so
hat die Serumtherapie keine Aussicht mehr auf Wirkung.
21) Der Wert der systematischen Lumbalpunktion in der Behandlung der
Cerebrospinalmeningitis , von J. v. Bökay. (Deutsche med. Wochenschr.
1907. Nr. 47.) Ref.: Kurt Mendel.
Mit gutem Erfolg wandte Verf. Lumbalpunktionen (Wiederholung derselben
in Zwischenräumen von 1 bis 2 bis 3 Tagen, nicht mehr als 30ccm pro Punktion!)
bei 10 Fällen von Cerebrospinalmeningitis an, von denen fünf das erste Lebensjahr
noch nicht überschritten hatten. Bei Kindern unter einem Jahr ergibt eine
neuerlich gesteigerte Hervorwölbung der Fontanelle die Indikation für die erneute
Punktion. Durch die Punktion wird der innere Hirndruok auf mechanischem
Wege verringert, ferner gehen aber dabei pathogene Bakterien in größerer Anzahl
ab und der Körper wird von toxischen Substanzen befreit.
In 7 Fällen des Verf.’s konnten auch die ausgeführten Lumbalpunktionen den
letalen Ausgang nicht verhindern.
22) Zur Symptomatologie und Pathogenese des erworbenen Hydrooephalus
Internus, von L. W. Weber. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.
Ref.: Heinicke (Waldheim).
Nach kurzen einleitenden Bemerkungen über den Hydrocepbalus internus,
der heutzutage ein eignes, im Verlauf, Symptomenkomplex, anatomischen Befund
und selbst in der Diagnose ziemlich fixiertes Krankheitsbild darstellt, macht uub
Verf. an der Hand von 6 Krankengeschichten mit einer Reihe von Hydrocephalien
bekannt, die klinisch und anatomisch genau analysiert werden konnten.
In einem zweiten Abschnitt behandelt Verf. die Frage, ob die geschilderten
Fälle auch klinisch als Hydrocephalien angesprochen werden können.
Das allgemeine Resultat dieser klinisch-diagnostischen Erwägungen faßt Verf.
in folgende Sätze zusammen:
Sekundäre und sonstige in Begleitung von nicht raumbeengenden, lokalisierten
Gewebsprozessen auftretende Erweiterung eines oder mehrerer Ventrikel mit ver¬
mehrter Liquorbildung sind auch klinisch als Hydrocephalien anzusehen, wenn
die Folgen des gesteigerten Liquordruckes auch in sicheren klinischen Erscheinungen
(sogenannten Allgemeinsymptomen oder schwankenden Herdsymptomen) zu
erkennen waren; oder klinisch-diagnostisch ausgedrückt:
Wenn bei langsamem Verlauf neben konstanten Herdsymptomen auch solche
von schwankender Intensität und wechselnder Verteilung und außerdem sichere
Allgemeinsymptome vorhanden sind, so liegt diagnostisch der Verdacht auf einen
einseitigen Hydrocepbalus nahe.
In einem weiteren „pathologische Anatomie und Pathogenese“ betitelten
Kapitel bespricht der Verf. die Frage, wie die bei den Hydrocephalien beob¬
achteten einseitigen oder mehrere Ventrikel betreffenden Erweiterungen zu er¬
klären seien.
Vor allem sind es mechanische Momente, die dazu führen.
I. Eine vermehrte Liquorbildung (hervorgerufen durch Entzündungen,
StauungBvorgänge, oder durch Hydrops ex vacuo).
II. Die Behinderung des Liquorabflusses aus den Ventrikeln (durch lokale
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Verschlüsse der Ventrikelausgänge, durch eine diffuse chronische Leptomeningitis,
durch perivasculäre Zellwucherung in der Hirnsnbstanz, durch Funktionsstörung
des Duralsinus).
III. Verringerte Widerstandsfähigkeit der Ventrikelwand (durch entzündliche
Prozesse oder durch Sklerosen).
Das I. und III. Moment, jedes für sich allein, genügt nicht, um eine Hydro-
cephalie hervorzurufen, sondern beide müssen zusammen wirken oder mit dem IL
kombiniert sein.
In einem 4. Abschnitt beschäftigt sich Verf. damit, wie sich zu diesen
Befunden die akuten und angeborenen Hydrocephalien stellen; er findet, daß auch
bei diesen diese drei Momente in Betracht kommen; beim angeborenen Hydro-
cephalus mehr Momeat II kombiniert mit Moment III, das schon a priori gegeben
ist durch die geringere Widerstandsfähigkeit des fötalen Gehirns.
Nach einer eingehenden Betrachtung über den „idiopathischen Hydrocephalus“,
worunter Verf. nur Fälle verstanden wissen will, bei denen die mehrfach erwähnten
mechanischen Entstehungsbedingungen durch entsprechende pathologisch-anatomische
Betrachtungen nicht aufgeklärt werden können, wendet er sich zum Schluß den
exogenen für die Entstehung von Hydrocephalien verantwortlich gemachten
Schädlichkeiten, als Alkoholismus, physisches und psychisches Trauma, Insolation,
Infektion und vasomotorische Fluxion zu, die alle geeignet sind, ätiologisch
schädigend zu wirken; bezüglich des psychischen Traumas seien wir zurzeit noch
ganz auf Vermutungen angewiesen.
23) Beitrag sur Frage der chirurgischen Behandlung des Hydrooephalus in¬
ternus, von Dr. N. P. Trinkler. (Archiv, f. Kinderh. XXXVII.) Ref.: Zappert.
Nach einer Einleitung, welche die Pathogenese des angeborenen und erwor¬
benen Hydrocephalus zum Inhalt hat, bespricht Verf. die Krankengeschichte eines
selbst beobachteten und chirurgisch behandelten Falles. Der jetzt 9jährigs Knabe
hatte seit seinem 7. Lebensjahre an Kopfschmerzen, Erbrechen, später au Ver¬
schlechterung des Sehvermögens und leichten klonischen Krämpfen der Extremitäten
zu leiden. In letzter Zeit war auch der Schädel bedeutend gewachsen, bis er
den Umfang von 54 cm erreichte; es entstand beginnende Atrophie des Nervus
opticus. Die Operation bestand in Anlegung einer Öffnung am Stirnbein und
Einführung einer Kanüle 6 cm tief in die Hirnsubstanz. Eis entleerte sich sofort,
auch später durch die liegen gebliebene Kanüle, reichlich Cerebrospinalflüssigkeit
und das Befinden, namentlich das Sehvermögen, besserte sich zusehends. Doch
waren nicht alle Besserungssymptome von Dauer, so daß die Punktion noch
zweimal wiederholt werden mußte.
Ob eine Dauerheilung erzielt wurde, ist aus der Mitteilung nicht ersichtlich;
ebenso ist nicht einzusehen, warum Verf. nicht zuerst die Lumbalpunktion ver¬
sucht habe, bevor er den immerhin nicht unbedenklichen intracerebralen Eingriff
vorgenommen.
24) Erblindung infolge Tonsillitis phlegmonosa auf dem Wege der Throm-
bosinusitis cerebralis, von Generalarzt Dr. K. Seggel. (Klin. MonatsbL
f. Augenheilk. XLV. 1907.) Ref.: Fritz Mendel.
Bei dem 20jährigen Patienten tritt zugleich mit einer heftigen phlegmonösen
Entzündung der rechten Tonsille unter Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Erbrechen
und mit in der Folge intermittierendem Fieber akut ein rechtsseitiger hochgradiger
Exophthalmus mit Schwellung der Lider und Chemosis der Bindehaut auf. Fast
gleichzeitig tritt Erblindung und Pupillenstarre dieses Auges ein, worauf die des
anderen Auges rasch nachfolgt. Außerdem läßt sich 2 Tage nach Auftreten des
rechtsseitigen Exophthalmus bei Schmerzhaftigkeit und Schwellung der gleichen
Halsseite ein harter derber Strang fühlen, der seinem Verlaufe nach der Vena
jugularis interna entspricht.
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Die Erblindung läßt sich nach Heubner so erklären, daß von den Blut¬
leitern des Gehirns fast ausschließlich der von lockerem Bindegewebe umgebene
-Sinus cavernosus imstande sei, einerseits durch Druck seiner prall gefüllten
Wandungen, andererseits durch Schwellung des perivenösen Bindegewebes auf die
Umgebung zu wirken.
Therapie: Einreibungen mit Unguent. einer, in den Hals mit vorsichtiger
absteigender Massage der Vena jugularis, Eisbeutel, gegen die Kopfschmerzen
Phenazetin.
Patient wurde wieder völlig hergestellt, die nahezu völlige Erblindung blieb
bestehen unter allmählich zunehmender Sehnervenatrophie.
Psychiatrie.
25) Ear affeotions and mental disturbanoes, by Emil Amberg. (Journ. ot
Nerv, and Ment. Dis. 1906. Sept./Okt.) Ref.: M. Bloch (Berlin).
Nach Mitteilung 11 eigener Beobachtungen und kritischer Würdigung der
Literatur kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
1. Das Ohr beteiligt sich, direkt und indirekt, an der Erzeugung psychischer
Störungen.
2. Funktionelle Störungen des Gehörorgans können den normalen Denkprozeß
aus dem Gleichgewicht bringen.
3. Die psychischen Störungen können erstens dadurch hervorgerufen werden,
daß durch die Erkrankung des Gehörorgans Halluzinationen bzw. Illusionen ver¬
anlaßt werden, deren Einfluß je nach der Disposition des befallenen Individuums
stärker oder geringer ist.
4. Von Grund aus verschieden sind diejenigen Störungen, die ihre Entstehung
toxämischen Zuständen oder Abscessen verdanken, deren primärer Sitz das Ohr
bzw. dessen Umgebung ist.
5. Die unter 3 und 4 genannten Störungen können psychische Erkrankungen
hervorrufen bzw. schon vorhandene wesentlich verschlimmern.
6. Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch ohne eine Prädisposition infolge der
schwer belästigenden subjektiven Geräusche zunächst ein Erschöpfungszustand und
auf dessen Boden Psychosen zustande kommen können.
7. Diese Zustände haben auch eine hervorragende forensische Bedeutung, die
so wohl für Zeugenaussagen im Auge zu behalten ist, als auch nach der mediko-
legalen Seite hin (Einwilligung zu Operationen usw.) Berücksichtigung erfordert.
8. Geisteskranke sollten einer Untersuchung der Gehörorgane regelmäßig
unterzogen werden.
9. Patienten mit psychischen Störungen, die Symptome von seiten des Gehör¬
organs darbieten, müssen sorgfältiger Untersuchung auch der inneren Organe, be¬
sonders der Nieren, unterworfen werden.
10. Chirurgische Eingriffe sind nicht selten von wohltätigem Einfluß bei oto¬
genen Psychosen und sollten daher in geeigneten Fällen stets versucht werden.
20) Dementia primitiva (praeoox). Hebephrenie, Katatonie, Paranoia, von Dr.
Milt. Oeconomakis. (Athen. Druck. Sakellarios, 1907.) Ref.: Kurt Mendel.
Vorliegende Arbeit ist die erste in griechischer Sprache über
Dementia praecox.
Verf. gibt zunächst in kurzen Zügen eine Geschichte der Krankheit. Die
Herrschaft der französischen Schule, der die griechischen Psychiater bis vor
kurzem meistens folgten, stand der schnellen Annahme der Dementia praecox
bindernd entgegen. Verf. hat das Verdienst, die Kraepelinschen Anschauungen
n Griechenland eingeführt zu haben. Auf seinen Vorschlag hin ist in der Athener
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Klinik der Terminus „Dementia primitive“ statt „praecox“ eingeführt, da der Ver¬
fasser letzteren für anfechtbar hfilt.
Die klinische Beschreibung, die der Verf., der Kraepelinschen Dreiformen¬
teilung getreu folgend, gibt, begleiten Schriftproben und Abbildungen seiner
Kranken sowie Betrachtungen über eigene Beobachtungen, die er in der Uni-
versitäts- und seiner Privatklinik gesammelt hat. Zwei von seinen eigenen Fällen
erklärt Verf. für besonders wichtig für die Ätiologie der Krankheit. Bei dem
einen Fall fiel ihm besonders eine beträchtliche Schwellung der Nacken- und
Halsdrüsen sowie der Schilddrüse auf, deren Auftreten 6 Jahre vor Beginn der
Krankheit (Hebephrenie) zurückdatiert; die Schwellung wuchs mit dem Zunehmen
der Krankheit und erreichte ihre Höhe mit dem Eintritt der Demenz.
Dem anderen Fall gingen auffällige Störungen der Menstruation voraus, und
nach Ausbruch der Krankheit (Paranoide Form) rief jede folgende Menstruation
eine beträchtliche Verschärfung der KrankheitBsymptome hervor.
Die als vollständig geheilt in der Literatur zitierten Fälle von Dementia
praecox sind, nach Verf.’s Ansicht, auf diagnostische Irrtümer und Verwechslungen
mit anderen toxischen Zuständen zurückzuführen.
An die Behandlung seines Stoffes schließt Verf. ein reichliches, wohlgeordnetes
Verzeichnis der einschlägigen Literatur.
Forensische Psychiatrie.
27) Beitrag zur forensischen Psyohiatrie, von W. Seiffer. (Charite-Annalen.
XXXI. 1907. S. 191.) Ref.: Walter Heinemann (Berlin).
Bericht über zwei zur forensischen Begutachtung überwiesene Patienten. Im
ersten Falle handelt es sich um einen 31jährigen Kaufmann, der, des betrügerischen
Bankerotte usw. angeklagt, auf dem Boden einer psychopathischen Konstitution
eine Paranoia chronica hallucinatoria simuliert. Aus dem ganzen Gebahren des
Pat. während seiner Beobachtung geht die Absicht der Simulation hervor; der
§ 51 des StrGB. konnte in diesem Falle nicht in Anwendung gezogen werden,
da es sich nur um eine geistige Minderwertigkeit handelt. Reine Fälle von
Simulation einer Geistesstörung, zumal der Paranoia, sind selten. Jedoch muß
man stets daran denken, daß bei einem psychopathischen Individuum, das zur Zeit
eine Geisteskrankheit heuchelt, späterhin wirklich eine solche ausbrechen kann.
Im zweiten Falle handelt es sich um folgendes: der 22jährige Kaufmann R. ist
des mehrfachen Betruges angeklagt. Es bestand schon vorher eine psychopathische
Konstitution. Während der Untersuchungshaft Ausbruch hysterischer Dämmer¬
zustände und schließlich Übergang in hysterische Dauerpsychose. Auf Grund des
§ 51 wird das Strafverfahren unterbrochen.
28) Die pathologische Anschuldigung: Beitrag zur Reform des § 164 des
Strafgesetzbuches und des § 56 der Strafprozeßordnung, von Johannes
Bresler (Halle a/S. 1907, 42 S., C. Marhold.) Ref.: Berze (Wien).
Verf. zeigt, bei welchen Formen von Geistesstörung und in welchen geistigen
Ausnahmezuständen eine pathologische Anschuldigung möglich ist und wie sie
entsteht. Er faßt unter pathologischer Anschuldigung drei Gruppen zusammen:
Die wissentlich falsche Anschuldigung auf Grund krankhafter Lügen¬
haftigkeit oder Triebe (hauptsächlich auf dem Boden des hysterischen Charakters
erwachsend), die falsche Anschuldigung auf Grund krankhaft gestörter
Wahrnehmung oder Denktätigkeit (Illusionen und Sinnestäuschungen bei
Alkoholpsychosen, Eifersuchtswahn der Trinker und auch der Kokainisten, Fieber¬
delirien, Verfolgungswahn im Rahmen der Paranoia, Querulanten wahn, Zustände
von Benommenheit und Betäubung infolge von Kopfverletzungen und Kopf¬
erschütterungen, in den wachen ZuBtand übernommene Traumerlebnisse, Defekte
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der Beobachtungsgabe und Reproduktionstreue bei Kindern), und die inhaltlich
richtige, aber krankhaft motivierte Anschuldigung (Geistesschwäche,
ethische Depravation). An der Hand des bekannten Falles von Kreuser zeigt
Verf. auch, wie es in allerdings seltenen Fällen bei Paranoischen zu Selbstanklagen
und im Falle der Nichtberöcksichtigung derselben zu Anschuldigungen der Polizei
und der Gerichte kommt, weist besonders darauf hin, daß es „bei einer patho¬
logischen Anschuldigung nicht genügt, die Nichtigkeit der letzteren in bezug auf
ein etwaiges Rechtsverfahren erwiesen zu haben, sondern, daß derjenige, welcher
eine solche Anschuldigung erhebt, als ein durchaus gemeingefährlicher Geistes¬
kranker zu gelten hat und unschädlich gemacht werden muß“. Auch die falsche
Anschuldigung durch Kinder wird kurz behandelt; namentlich wird auf jene „schlecht
gearteten, wenig anpassungs- und erziehungsfähigen“ Kinder hingewiesen, bei
denen es sich, wie Verf. sagt, um krankhaft bedingten Selbstbetrug handelt. —
Im Anschlüsse an diese Ausführungen stellt Verf. eine Reformforderung hinsichtlich
des § 164 des deutschen Strafgesetzbuches und eine zweite hinsichtlich des § 56
der deutschen Strafprozeßordnung auf. Die letztere geht dahin, daß der § 56,
welcher die eidliche Vernehmung von Geisteskranken oder Schwachsinnigen nicht
ausschließt, wenn sie nur von dem Wesen und der Bedeutung des Eides genügende
Vorstellung haben, eine Bestimmung, die, wie Verf. zeigt, die erhöhte Gefahr einer
irrtümlichen Verurteilung in Fällen pathologischer Anschuldigung mit sich bringt,
im Sinne der österreichischen Bestimmungen abgeändert werde, von denen in
Betracht kommen: § 151 der StPO., welcher besagt, daß diejenigen Personen nicht
als Zeugen abzuhören sind, welche zurzeit, als sie das Zeugnis ablegen sollen, wegen
Leibes- oder Gemütsbeschaffenheit außerstande sind, die Wahrheit anzugeben, ferner
§170 der StPO., nach welchem an einer erheblichen Schwäche des Wahrnehmungs¬
oder Erinnerungsvermögens leidende Personen nicht beeidigt werden dürfen, endlich
§ 140 der früheren österr. ZPO., der eine ähnliche Bestimmung enthält. Was
den § 164 des deutschen RStG. betrifft, so findet es Verf. im Hinblick auf die
pathologische Anschuldigung bedenklich, daß nach der jetzigen Fassung dieses
Paragraphen zur Verfolgung auf Grund desselben die falsche Anschuldigung einer
bestimmten oder wenigstens erkennbar bezeichneten Person vorliegen muß, somit
in Fällen pathologischer Anschuldigung ohne Bezeichnung des Täters für die
Behörde mangels eines strafbaren Tatbestandes kein Anlaß zur Intervention vorliegt;
da der anschuldigende Geisteskranke aber in vielen Fällen als gemeingefährlich
angesehen werden muß, hält Verf. eine Änderung des § 164 für nötig, welche
„die Möglichkeit, Ermittelungen über den Geisteszustand eines geisteskranken
Anzeigenden einzuleiten und eventuell seine Internierung und Unschädlichmachung
herbeizuführen“, auch dann bietet, wenn es der Anzeiger unterlassen hat, eine
bestimmte Person in kenntlicher Weise als Täter zu bezeichnen.
III. Aus den Gesellschaften.
Deutsche Gesellschaft für Urologie in Wien.
Oktober 1907.
Referent: Otto Marburg (Wien).
Herr L. v. Frankl-Hochwart (Wien): Zur Differentialdiagnose der juve¬
nilen Blasenstörungen (sugleioh ein Beitrag zur Kenntnis der spinalen
Blasenstörung). Vortr. berichtet über zwei Fälle klinischer Beobachtungen von
juveniler Blasenstörungen, die in ihrem Aspekt den spinalen glichen. Als
Ursache derselben war anscheinend zunächst kongenitale Klappenbildung anzusehen:
eine interessante Wendung bekam die Sache, als Vortr. in einem der Fälle in
der Lage war, post mortem das Rückenmark zu untersuchen. In einem Falle
handelte es sich um einen 17jähr. Hilfsarbeiter, der bis auf Erscheinungen
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einer leichten Apicitis immer gesund war, und der Mitte August 1906 unter
paralytischem Harnträufeln erkrankte. Das willkürliche Urinieren war sehr er¬
schwert, der Harndrang herabgesetzt, der Residualharn ziemlich bedeutend. Der
Katheter stieß auf ein Hindernis, passierte aber dann leicht Die cystoskopische
Untersuchung ergab Trabekelbildung, sowie an der unteren Übergaugsfalte ein
kleines, lappenartiges Gebilde. Die Prostata war kleiD, die Blase war zeitweilig
expressibel; Sexualentwicklung hatte nie stattgefunden. Im zweiten Falle handelte
es sich um einen l&jähr. Schuhmacher, der als Kind enuretisch war und
enuretische Geschwister hatte. Anfang August.1906 erkrankte er unter Schmerzen
an der Glans penis sowie an Harnträufeln. Die Beobachtung ergab kontinuier¬
liches Harnträufeln, fast völliges Unvermögen zu urinieren, starken Residualharn,
Albuminurie, Leukocytose, vereinzelte granulierte Cylinder, Expressibilität der
Blase, welche durch die Bauchdecken alB ein großer Tumor tastbar war. Bald
kam es zu Kopfschmerzen, Erbrechen, Sensoriumtrübung, zum Exitus. Bei der
Nekropsie fand sich Schrumpfniere, Hydronephrose, Hypertrophie der Blasen¬
wand, etwas vergrößerte halbmondförmige Klappe unterhalb des Caput galinaginis,
Ureterendilatation. Die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarkes ergab
Erweiterung des Centralkanales, der im 5. Lumbalsegment verdoppelt erscheint.
Die Untersuchung des Sakralmarkes zeigt Veränderungen der dorsolateralen Zell¬
gruppe, die im 2. Sacralis angedeutet, im S. und 4. Sacralis sehr ausgesprochen
ist. Die Veränderungen bewegen sich im Rahmen der axonalen Degeneration.
Die Betrachtung der Fälle zeigt Übereinstimmung mit den Beschreibungen, wie
sie bei derartigen Störungen in neuerer Zeit öfters gegeben wurden. Die Indi¬
viduen waren schwächlich, die Sexualentwicklung hatte nicht stattgefunden. Hin¬
gegen trat zurzeit der geschlechtlichen Reife Dysurie mit Retention sowie para¬
lytisches Harnträufeln auf, daneben die bisher bei derartigen Fällen noch nicht
beschriebene Expressibilität. Der Nervenbefund war beide Male völlig negativ.
Die Kleinheit der Klappe in unseren Fällen sowie auch in denen mancher anderer
Autoren schien aber nicht hinzureichen, um die schweren Miktionsanomalien za
erklären. Man könnte in dem nekroskopisch untersuchten Falle in der Erweiterung
des Centralkanales eine weitere Disposition erblicken; viel wichtiger aber er¬
scheinen die Veränderungen in den Vorderhornzellen. Es ist möglich, daß wir
es hier mit einer Art von cirkumskripter Poliomyelitis des Vesico-Sexualcentrums
zu tun haben, und daß der Klappe nur die Bedeutung eines akzidentellen Momentes
zukommt. Hat ja doch Blum nach Vortr. in einem ähnlichen Falle von MiktionB-
anomalie bei einem Knaben einen negativen Lokalbefund erhoben, daneben aber
eine Verdoppelung des Centralkanales, sowie ähnliche Veränderungen im Sakral¬
mark, wie sie Vortr. Bchon beschrieben. Es ist ja bekannt, daß die alte Lehre
vom spinalen rektovesikalen Centrum in neuerer Zeit durch die Untersuchungen
von Goltz-Ewald, Nussbaum, Nawrocky und Skabischewski, Wlasow,
Fröhlich und Vortr. insofern eine Erweiterung erfahren hat, daß nebst dem
spinalen noch ein ganglionäres Centrum angenommen werden müsse. L.R.Mü 11 er
vertrat in neuerer Zeit die Ansicht, daß es überhaupt nur ein ganglionäres und
kein spinales Blasencentrum gebe. Die mitgeteilten Fälle zeigen aber, daß das
Rückenmarkscentrum nun wohl mit Sicherheit naohgewiesen ist.
IV. Personalien.
Unser sehr verehrter Mitarbeiter Herr Dr. C. Hudovernig habilitierte sich in Budapest.
In Breslau starb, 63 Jahre alt, der Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Ludwig Hirt, Chef¬
arzt der städt. Armenhäuser daselbst. Von seinen neurologischen Schriften sind besonders
bekannt geworden seine „Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten“ (Wien 1892 und
1894), sowie sein „Lehrbuch der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie“ (Wien 1893).
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Register 1907.
I. Originalaufsätze.
Seit»
1 Zar Kenntnis der sogen, angeborenen Maskeischlaff heit v Muskelschwäche (Myo-
hypotonia, Myatonia congenita), von Prof. M. Bernhardt.
2. Ein Fall von genuiner Epilepsie mit darauffolgender Dementia paralytica, von Dr.
Pelz.
3. Sehweißanomalien bei Rückenmarkskrankheiten, von H. Higier.
4. Beiträge zur Entwicklung des Säugergehirns. Lage und Ausdehnung des Bewegungs¬
centrums der Maus, von Dr. Döllken. Mit Beihilfe von Frau Trude Döllken
5. Neuritis, verursacht durch Creosotum phosphoricum, von Dr. W. G. Hu et . . .
6. Zur Frage der Hysterie bei Tieren, von Prof. H. Dexler.
7. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer Neugeborener, von Otto Ranke
112 .
2
14
19
50
60
98
157
8. Zur Wahrung meiner Priorität in Sachen der Kontinuitätslehre des Centralnerven-
Systems, von Prof. B. Haller...118
9. Zur Funktion der Schweißsekretion, von Prof. Dr. A. Adamkiewicz .... 123
10. Ein Fall von wiederholter transitorischer halluzinatorischer Verwirrtheit bei Tetanie,
von Michael Lapinsky .146
11. Zur Phänomenologie der cerebralen Hemiplegie, von Dr. Z. Bychowski . . . 154
12. Über den Mechanismus und die Lokalisation der psychischen Vorgänge, von Prof.
Ernst Jendrässik . 194. 254
13. Zur Ätiologie und spezifischen Therapie des Morbus Bosedowii nach praktischen
Versuchen mit Antithyreoidin-Moebius, von Dr. med. Rattner .201
14. Horizontale Bulbusschwingungen bei Lidschluß, eine bisher nicht beschriebene Art
von Mitbewegungen, von Pror. Dr. Hermann Schlesinger .242
15. Zur Pathologie der kontinuierlichen rhythmischen Krämpfe der Scblingmuskulatur
(2 Fälle von Erweichungsherden im Kleinhirn), von Privatdozent Dr. Klien . . 245
16. Ein Fall von Landryscher Paralyse kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascen-
dierenden Rückenmarkstoroors vortäuschend, von Dr. L. Jacob . 264. 299
17. Über nur unter besonderen Bedingungen eintretenden statischen Tremor, von A. Pick 290
18. Über einen weiteren Fall von zeitweisem Fehlen der Patellarreflexe bei Hysterie,
von Dr. Wigand .293
19. Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur Myelogenie mit be¬
sonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri, von K. Brodmann .338
20. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren der motorischen Region des Großhirns
nebst Beiträgen zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis cerebri
und bei genuiner Epilepsie, von Dr. G. Stertz . 349. 393
21. Beiträge zum intramedullären Verlaufe von hinteren Wurzeln des Conus medullaris,
von L. Jacobsohn .386
22. Über Schmerzempfindlichkeit der Gesichtsknochen bei Degeneranten, von Priv.-Doz.
M. Schaikewicz .391
23. Das Kausal Verhältnis zwischen Syphilis und progressivem Nervenschwund, von
Max Loewenthal .434
24. Über Myasthenia gravis, von Prof. Dr. Alessandro Borgherini .445
25. Die Sehnenreflexe angestrengter Körperteile. Untersuchungen an Marathonläufern,
von Milt. Oeconomakis .. 498. 563
26. Ein handliches Dynamometer, von Prof. Dr. Maximilian Sternberg . . . . 503
27. Ein Fall von Heterotopie des Nucleus arciformis, von Dr. G. Catola.505
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1182
S«ft*
28. Myatonia congenita, Myobypotonia, yon William G. Spiller.50S
29. Kürze Bemerkungen über Fibrillogenie im Centralnervensystem des Menschen zur
Arbeit Brodmanns: „Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur
Myelosrenie mit besonderer Berücksichtigung des Cortex oerebri“, von Dr. Nie.
Gierlich.511
30. Zur Etymologie der Ausdrücke: „Crampus“ und „Krampf“, von Medizinalrat Dr.
P. Näcke.546
31. Über den Schlaf, von Dr. Paul Kronthal.553
32. Über die Ausfallserscheinungen nach Läsionen des Centralnervenaystems, von Max
Rothmann.594
33. Zum Andenken an Emanuel Mendel, von Tb. Ziehen.642
34. Ein Fall von dauernder hysterischer „Retentio urinae“, von J. Raimist . . . 646
35. Über Reizungen des Kleinhirns, von A. Louriö.652
36. Beitrag zur Frage der „sukzessiven“ Kombination von Psychosen, von Dr. Blum 662
37. Der Doppelmotor im Gehirn, von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz.690
38. Über Bahnung der Patellarreflexe, von Dr. Karl Kroner.700
39. Über ein abnormes Bündel des menschlichen Rhombencephalon. Kurze Mitteilung
von Prof. Karl Schaffer.73S
41. Familiäre Tabes auf erblich-degenerativer Grundlage, von Privatdozent Dr. W. Stroh -
mayer.754
42. Über den Eintritt der Sehbabn in die Hirnrinde des Menschen, von Dr. med. et phil.
Erwin Niessl v. Mayendorf.786
43. Ein Fall von linksseitiger Apraxie und Agraphie, von Dr. Otto Maas .... 789
44. Das Vorkommen von Wadenkrämpfen im orientalischen Gebiete in alter und neuer
Zeit. Mediko-historische und folkloristische Studie, von Medizinalrat Dr. P. Näcke 792
45. Phylogenetische Verlagerungen der motorischen Oblongat&kerne, ihre Ursache und
Bedeutung, von C. U. Ariens Kappers.834
46. Fall von Hypophysistumor mit Röntgen-Photogramm, von Privatdozent Dr.Schns ter 841
47. Zur Freilegung der Hypophysis, von Dr. Ludwig Löwe.842
48. Ein Fall von Hemiatrophia facialis progressiva mit Augennervensymptomen, von
Dr. Siegfried Salomon.846
49. Ein Fall von Alexie und Agraphie nach Trauma, von Dozent Dr. Alessandro
Marina.881
50. Über mangelnde Wahrnehmung (Autoanästbesie) der Blindheit bei cerebralen Er¬
krankungen, von Prof. Dr. Emil Redlich und Dr. Giulio Bonvicini . . . 945
51. Über das Verhalten des proximalsten (extramedullären und -pialen) Teiles der
hinteren Wurzeln bei Degeneration und Regeneration, von Prof. Dr. G. Bikeles 951
52. Kurze Bemerkungen zu der Freud sehen Lehre über die sexuelle Ätiologie der Neu¬
rosen, von Hofrat Dr. A. Friedländer.953
53. Ein Fall von rhythmischen, kontinuierlichen Krämpfen der Schling- und Respiration!»*
muskulatur auf der Basis einer funktionellen Neurose (traumatische Neurose), von
Dr. E. Ernst. .954
54. Über operative Behandlung der Tumoren der Hypophysisgegend, von A. Freiherrn
v. Eiseisberg und L. v. Frankl-Hochwart.994
55. Akute multiple Sklerose oder disseminierfce Myelitis? Von E. Stadelmann und
M. Lewandowsky.•.1001
56. Ist die Erkrankung des Sehapp&rates für die Differentialdiagnose zwischen multipler
Sklerose und chronischer cerebrospinaler Lues von maßgebender Bedeutung? Ein
57. Otogener Hirnabsceß. Mitgeteilt von Prof. Karl Schaffer.1042
58. Über das Fehlen des Achillesphänomens, von Dr. Georg Flatan .1052
59. Zur sakralen Form der Sclerosis multiplex, von H. Oppenheim .1106
60. Über die Hervorrufung von Schmerzen bei Ischi&B durch Hyperextension der Extre¬
mität und über die Unfähigkeit beide Beine zn strecken, von Prof. Dr. W. v. Bech¬
terew .1107
61. Traumatische Rückenmarksblutung bei beginnender Tabes dorsalis, von Dr. Gio¬
vanni Saiz.1110
62. Va<ruslähmuug (vorzugsweise Kehlkopfmuskellähmung) bei Syringobulbie. Vor-
i__r»_i__ _ o t __ . tu:
63. Über das verschiedene Verhalten der Neurofibrillen in den Fortsätzen und dem Zell¬
leib der motorischen Ganglienzellen, von Dr. med. Nie. Gierlich. 1154
64. Über einen früheren Fall von Hefcerotopie des Nucleus arcu&tus, von Priv.-Doz.
Dr. Milt. Oeconomakis...1158
65. Hämangiom im Pons Varoli. von Dr. Takakazu Nambu. 1162
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II. Namenregister.
(Die mit * bezeiohneten Ziffern bedeuten: Literaturangaben. — Die in Parenthese ein-
geklammerten Zahlen bedeuten*. Bemerkung in der Diskussion.)
Abels: *783.
Abraham: Sexuelle Jugend-
traumen u. Dem. praecox
534. »880.
Abruzzetti: Cerebellare Ataxie
135.
Abt: *189.
Acchiote: *878.
Adam: Paralyse durch elektr.
Starkstrom 36.
Adamkiewicz: Schweißsekre¬
tion 123.
Doppelmotor im Gehirn 690.
Adler: *190. *493. *494.
Minderwertigk. von Organen
869.
Agostini: *879.
Fibrill. Substanz derNerven-
zellen bei Geisteskranken
1012. *1037.
Alagna: *189.
Albertoni: *188.
Myasthenie 671.
Albrecht: Entweichungen
Geisteskranker 286. *336.
*496.
Arteriosklcrot. Geistesstörug
729. *880.
Alessi: *334. *879.
Alexander: (423). (475). *781.
Ali Cohen-. *332.
Alix: Entzündung der Nerven-
wurzeln bei einer Stute760.
Allan: *189.
Allen: *333.
Allen Starr: *189. *879.
d’Allocco: *493. *494.
Alquier: Syringomyelie 71.
Gland. parathyreoid. 215.
Blutungen unter der Pia bei
Epilepsie 330. *333. *334.
*493. *782.
Pottsche Krankheit u. Mye¬
litis 812. *878.
Pottsche Krankheit 1022.
Alquin: *493.
Alt: Syphilit. Antistoffe bei
Paralyse 35. *190. *335.
*496.
Familienpflege 984 u. 992.
(986). *1037.
Altavilla: *192.
Altmann: *189. *333.
Cystische Mißbildung des
Bückenmarkes 572.
Alzheimer: Anatom. Unter¬
suchungen bei Epilepsie
470. (472). *877. (1137).
(1141).
Amberg: *191.
Amberg: Ohraffektion u.
Geisteskrankheit 1177.
Amblard: *780.
Andenino: *334.
Anders: *334.
Andre-Thomas: *493.
Friedreich sehe Krankheit
766. *1037.
Anfimow: Blutungen unter der
Pia bei Epilepsie 330.
Angell: Hypästhesie u. Hyp-
algesie 361.
Angelozzi: *877.
Angiolella: *880.
Anglade: *495. *880. (1093).
i Meningocerebellitis bei Para¬
lyse 1145.
i Antheaume: *496.
Graphische Stereotypie 725.
Period. Psychosen 1034.
*1040.
Hyperhidrose bei Dementia
1 praecox 1146.
Kantharidennephr. u. Alko-
I holdelir 1146.
Anton: (237). (240). (471).
(920). *1040.
Geistiger Infantilismus 1079.
: Antonini: *784.
' Antonino: *192.
Apelt: *333.
Apert: Nystagmus 679.
Archambault: *492.
Archangelsky: *493.
Argutinsky: *190.
Armand-Delille: Poliomyelitis
669.
Arnaud: Psychasthenie u.
Delir 1146.
Aronheim: Basedow 223.
Arsimoles: Gravidität bei Epi¬
lepsie 317.
Aschaffenburg: *192.
Hysterie 933. *1039.
Aschcrson: *782.
Ascoli: *332.
v. Aster: *191.
Atwood: *1040.
Aubineau: Nystagmus-Myo-
klonic 592.
Audenino: *192.
Epilept. Mörder 821. *384.
*835. *784.
Auerbach: *780. *876. (917).
(961).
Akromegalie u. Myxödem
1015.
v. Auffenberg: *784.
Aufrecht: Behandlung des Del.
tremens 908. *1039.
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Avellis: *191.
Awtokratow: *1039.
Hab: *335.
v. Babarczi-Schwartzer: Be¬
schränkte Zurechnungs¬
fähigkeit 183.
Babel: *335.
Babes: *493. *1038.
Babinski: *190.
Skopolamin bei Chorea 330.
*782. (1091).
Babonneix: *781.
Chron. Rheumat. d. Wirbel¬
säule 1018. *1036.
Bacaloglu: *190.
Baccarani: *1038.
Bach: *331. *493. *877.
Pathologie der Pupille 974.
Bachon: Nerv. Komplikat.
bei Infektionskrankheiten
707.
Baer: Trunksucht 681.
Baginsky: *495. *780.
Mening. cerebrospin. pseudo-
epidern. 1171.
Bahr: *493.
Bailey: *334.
Unfallnervenkrankh. 515.
Baillart: *495.
Baisch: *333.
Balduzzi: *1037.
Ballantvne: *1037.
Ballet: ‘*192.
Zurechnungsfähigkeit 1032
(1034). (1035).
Balli: *188.
Balz: Besessenheit 92. *879.
Bamberger: *878.
Bär: *334.
Baranyi: (478).
Läsion des Vestibularappa-
rates 478 u. 870.
Bard: *493.
Idiotie 524.
Babinskischer Reflex 858.
*877.
Barhani: *782.
Barker: *493.
Barlow: *332.
Barnes: *877.
Barr: Extraduraler AbBceß
175.
Barraquer: Atrophie des
Unterhautzellgewes 1072.
Barrucio-Wichmann: *782.
Bartels: Geschw. der Hypo¬
physengegend 274. *388.
Baschieri: *333.
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1184
Bassenge: Krebsgeschwulst
des Kreuzbeins 580.
Basta: *1039.
Batten: Ataxie bei Kindern
135. *493. *781.
Baudouin: *493. *494. *879.
Bauer: Incontinentia urinae
inf. infantiler Hysterie
364.
Wirkung der X-Strahlen auf
Hirn-n. Rückenmark 1093.
Baum: *334. *1038.
Baumann (muß heißen: Baum¬
garten) : Beschränkte Zu¬
rechnungsfähigkeit 186.
Baumann: *191.
Baumgarten: Beschränkte Zu¬
rechnungsfähigkeit 186.
*1038.
Bäumler: (628).
Bayard: *494.
Bayerthal: Schädelumfang u.
Intelligenz 1058.
Pseudobulbärparal. 1088.
Schulärztliche Erfahrungen
1145.
Beaujard: *781.
Bebe: *190.
v. Bechterew: Schädeltrauma
187. *190. *885.
Automat Schreiben 724.
*783. *877. *879.
Objektive Psychologie 987.
Ankylose der Wirbelsäule
1020 .
Ischiasphänomen 1107.
Beck-. Deckung von Schädel¬
defekten 175.
Schädelinhalt u. Hirngew.
213. *331.
Meningitis serosa im Kindes¬
alter 1170.
Becker: *188. *191. *882.
Aneurysma der Carotis 881.
Simulation von Unfallkrank.
535.
Sklerodermie 619.
Neurogb'a 682.
Beevor: *493. *780.
Beijermann: *1038.
Belitzki: Bindencentrum u.
Spcicbelsekretion 270.
Belkowski: Syphilit. Erkrank,
der Extremitätengef. 815.
Belletrud: Geschmacksillusion
1147.
Bellini: *880.
Bendersky: *784. *1040.
Benedikt: Metamere Sensibili¬
tätsstörungen 411. *493.
Bennion: *494.
Benussi: *879.
Blrcel: Facialisläbmung bei
Geburt 461.
Berdez: *332.
Bergamasco: *493.
Berger: *334.
Athetose 1062.
Neuralgie oder Zahnschmerz
1124.
Bergmark: *782.
Berliner: Hirntumor 535.
Diplopie 1144.
Bernhard: (379).
Bernhardt M.: Myatonia con¬
genita 2. Basedow 217.
*834.
Spina bifida 355.
Nerven pfropfung b. Facialis-
lähmung 462. *493.
Trauma u. Arteriencrkrank.
518. (537). (615).
Markhaltige Nervenfasern
I in Netzhaut 708. *780.
j *784.
I — P.: Hyster. Geistesstör. bei
| einer Epileptischen 83.
j Bernbeim-, Myxödem 225. *382.
*780. (1090).
! Theorie der Tabes 1096.
I ( 1100 ;.
j Bernheimer: *831.
Bernstein: Landrysche Para-
I lyse 459.
| Bertoldi: *880.
! Bertolotti: *188.
Berze: § 2 ÖStG. 730 (1104).
Besnöit: Chorea electrica beim
lamm 1063.
Bessmer: *191.
| Grundlagen der Seelen¬
störungen 910.
I Besta: *191.
Blutserum der Epileptiker
315.
I Blutdruck der Epileptiker
i 815. *334. *496. *782.
; Huntington scheChoreal066.
| Bethe: *493.
i Färberische Differenzen ver-
i schiedener Fasersysteme
1 682.
1 Regener. der Nervenfasern
i 664.
Sauerstoff u. Reflexerregbar¬
keit 1011.
Bettmann: Pruritus b. Herpes
| zoster 458.
I Bevan-Lewis: *495.
; Beyer: (628).
I Bezzola: *783.
[ Biach: Centralkanal b. Säuge¬
tieren 166.
I Bianchi: *331. *493.
| Hirnrinde des Huhns 848.
j Alkohol u. Nervenkrankheit
I 903.
I Bianchini: *335.
Biancone: Verdoppelung der
| Persönlichkeit 368.
| Biedert: Das Kind 271.
! Bielschowsky: *832.
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Bielschowsky *. Epithelgeschw.
der A dergeflechte des Hi rns-
453.
Bihler: *191.
Hyster. Geistesstörungen
367.
Bikeles: Hintere Wurzeln bei
De- u. Regeneration 951.
Binet: *335.
Bing: *1S9.
Binswangen (471). (932).
Herderscbein. bei Epilepsie
938.
Bioglio: *494. *781.
Birnbaum: DegenerativePban-
tasten 380. *783. *1040.
Bittorf: *190. *879.
de Blasio: *192. *784.
Bleibtreu: *494.
Bles: *192.
Bleuler: *335.
Affektivität, SuggesÜbilität,
Paranoia 1029.
Bliss, Epidera. mult. Neuritis
455.
Bloch (Wien): Lepra 75.
— E.s *331. *334.
Willkür!. Erweiterung der
Papillen 355.
Neuronlebre 667.
— J.: *335.
Sexualleben unserer Zeit 415.
Blum: *192.
Successive Kombination vjn
Psychosen 662.
Blumen Psychasthenie 367.
Bockenheimer: Tetanus-
bebandlung 382.
Bodington: *788.
Boedekcr: Krankhafte psych.
Reaktion auf einen somaL
Krankheitsprozeß 688.
Boege: *1040.
de ßoer: Gegenaatsl. Begriff
943
Boettiger: (46). (774). (775).
(777). (778).
Bogen: *780. *878.
v. Bökay: Lumbalpunktion bei
Cerebrospinalmeningitis
1175.
Bökelmann: *384.
Bolle: *879.
Bolognese: *189.
Bolte: Assoziation«versuche
543.
Bolten: *335. *1039.
v. Boltenstern: *192.
Bolton: *192. *496.
Bond: *876.
Bonfigli: *782. *878.
Bonboeffer: *784.
Degenerationspsychosen
1127.
Bonjour: Epilept. u. hyster.
Krisen 1099.
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1185
Bonne*. Cerebellare Hemi-
agenesie 184. *780. *1039.
Hirnrinde 1055.
Bonnier: Augenmuskellähmug
nach Lnmbalinjektion 459.
*782.
Bonniot: Tetanoa 330.
Bontemps: (87).
Bonvicini: Alezie 873.
Mangelnde Wahrnehm, der
Blindheit 945.
Booth: *878.
Borchardt, M.: Tumor des
Kleinhirnbrückenwinkels
173 u. 587. *332. (588).
*1037.
Borgherini: Myasthenie 239 u.
445.
Boruttau-. *381. *1040.
Bosanyi: Ischias 1126.
Boschi: Pott sehe Paraplegie
580.
Bosse: *493.
Bouchaud: Predigerhand bei
Paralyse 38. *192.
Atoxyl bei Paralyse 1146.
Bouche: AtioL der Friedreich* '
sehen Krankheit 30. I
Boudet: *833.
Poliomyelitis 669.
Boughton: Oculomotorins bei
Ratten u. Katzen 22.
Bouman: *334.
Boardin: *496.
Bourilhet: Taberk.Ophthalmo- j
reaktion bei-Geisteskr. {
1147.
BourneTille: *191. *495.
Idiotie 524.
Le Boutillier: *494.
Bouygue8: *190.
Boret: *783.
Bowlby. *495.
Bra: Mikroben bei Epilepsie
815. *878.
Bradäch: Selbstverstümmlung
Bresler: Patholog. Anschuldi- j
gung 1178.
Brettschneider: *1038.
Breuer: *783.
Breukink: *1087.
Briand: Tuberkulose in An¬
stalten 1076.
O’Brien: *880.
Brissard: *335.
Brisaaud: Trauma u. Paralyse
85. *835. *782.
Kyphose bei einem Tuber¬
kulösen 1024. *1038.
Broadbent: *877.
Brock: *876.
Brodmann: Fibrillogenie u.
Myelogenie 838. (685).
Scheitellappen 1130. (1133).
Brodski: Tabes bei Weibern
27.
Broschniowski : *1037.
Brouardel: Opium, Morphium,
Kokain 901.
Brower: *835.
Browning: Famil. progr.
Muskelatrophie 676. *783.
Brubacher: *780.
Bruce: *493.
Brühl: *190.
Brünings: *780.
Bruns (Hannover): Hirn- i.
Rückenmarkschirurgie
589. (917).
Rückenmarkshantgeschw.
959. (961). (963).
Geschwülste des Nerven¬
systems 1077.
— O.: Neuralgien bei Melan¬
cholie 864. *880.
Brustein: *192.
Bryant: *191.
Buch: Globusgefühl u. Aura
860.
van den Buch: *332.
Buchholz: (734).
Bücking: *496. |
908. Bucura: *780.
Bradshaw: Syringomyelie 75. Büdingen: *1039.
Bramwell: *832. Buhler: *879.
Brassert: *493. Bull: *780.
Halswirbelfraktur u. reflekt. Bullard: *334.
Pupillenstarre 858. Diffuse Gliose 408. *1038.
Bratz: (472). Bum: (239). *334.
Bregman: Absceß der Varol- Ischiastherapie 1126.
sehen Brücke 175. *189. Bumke: *188.
Rückenmarksgeschwülste Zwangsvorgänge 327.
584. Papillenstarre im hyster.
Diplegia facialis 874. Anfall 362.
Rhinorrhoea cerebrospinalis Pupillencentren in der Med.
874. oblong. 631.
Myotonie u. Myoklonie 875. Pathologie der Pupille 974.
Bregmann: *878. *1037.
Bresler: Petit mal 319. *835. Burr: *493. *495. *880. *1037.
Proponal 865. *879. , Busch: *495.
Grelaenalter u. Kriminalität Buschan: *331. *880.
1030. Gehirn u. Kultur 896.
Digitize-dl
bv Google
Butler: *493.
Buttino: *334.
Nervöse Initialsymptome
der Syphilis 808.
Buzzard: *493. *780. *781.
*876.
Bychowski: Cerebrale Hemi¬
plegie 154.
Reflexe 939. *1037.
Cabannes: *192.
Cagiati: Halbseitige Hyper¬
trophie 514. *783.
Cagnetto: *494.
CaUewaert: *494.
Traumat. Hysterie 521.
Mac Callum: *190.
Cameron: *881.
Camp: *783. *877.
Paral. agit 1060.
Campbell: *492. *496.
Doppelseitige gummöse Er¬
krankung der Nucl.
caudati 776. (778).
Camus: *192. *783.
Manisch-depressives Irresein
861.
Cenestopathien 1145.
Cans: *835.
Alkoholismus, Nikotinismus
u. Paralyse 905. *1039.
Cappuccio: *879.
Carleton: *878.
Caro: *782.
Carusi: *336.
Cassel: *191.
Meningitis cerebrospin. bei
Kindern 1173.
Cassirer: Erkrankung spino-
cerebellarer Fasern 370.
(536). *780. *878.
Ther. der Erkr. der Cauda
equina 960. (961).
Catöla: Paralyse o. Spirochäta
35. *190.
Heterotopie des Nucleus
arciformis 505.
Mult. Sklerose u. Syphilis
804.
Catsaras: Katatonische Er¬
scheinungen 932.
Cavazzani-. *190.
Rückenmarksläsion n.
Pupillenreflex 852.
Cave: *1039.
Ceni: *188. *191.
Blutserum der Epileptiker
Ql* *7öO
Cerletti: *190.’ *782.
Injektion von Hypophysis-
saft 1013.
Chabrol: *1038.
Chalupecky: *878.
Champy: Vorderhörner bei
Arthropathien 1097.
«^Original fron
UMIVERSITY OF CALIFORNIA
1186
de Ohamptassin: *1039.
Chanutina: *190.
de la Ohapelle: *334.
Charon: *880.
Charpentier: Klei nachritt gacg
329.
Kriminalpsychologie 943.
(982). (1096).
Charticr: *190.
Syringomyelie 328. *334.
‘ Aecendierende Neuritis 455.
Sypbilit. Osteitis bei Tabes
764. *781. *878.
Chaumier: Verwirrtheit, Gly-
kosurie bei Achondropla-
sie 1146.
Cheatle: *1036.
Chiadini: Friedreicbscbe
Krankheit 31.
Chiari: Corpora amylacea des
Centralnervensystems979.
Cbiodi: *189.
Chirardini: *495.
Chirone: *1040.
Cbisholm-. *189.
Chotzen: *334. *782. *880.
Morphiumabstinenz 902.
Atypische Alkoholpsychosen
906.
Transitor. Alkoholpsychosen
906.
Chndovszky: *493.
Chvostek: *782. *878.
Ciaccio: Neubildung von
Nervenzellen 69. *188.
Cimbal: (42). *333.
Citron: Komplementbindungs¬
versuche 763. *1088.
Claparede: *189.
Zeugenaussage 272.
Agnosie u. Asymbolie 709.
*783. *879. *880. (1091).
Clark: *877. *879. *1040.
Clarke: *192. *877. *1039.
Claude: Erkrank, der Pyra¬
midenbahn 78. *190. *494.
*877.
Akromegalie 1016. *1038.
Hysterie 1088.
Cleary: *493.
Cleghorn: *782.
de Clerambault: *335.
Psych. Infektion 1028.
Cloötta: *877.
Coats: Encephalocele 668.
Cohen: *879.
Cohn, S.: *1037.
— T.: *336.
Cohnstamtn; Hypnot.Behandl.
von Menstruationsstör.
635.
Collctt: *1037.
Collins: *332. *780.
Colombo: *336.
Comby: Hyster. Fieber beim
Kind 364.
del Conte: *1036.
Cook: *493.
Coombs: *879.
Coppioli: *780.
Cornelius: *189. *191. *781.
Cornell: *1040.
Corner: *189.
Cortesi: *1037.
Courbon: *335. *495.
Courtellemont: Famil. spast.
Paraplegie 1097.
Cox: *783.
Degeneration 1129.
McCrae: *383.
Cramer: (474). (529).
Cysticerken im Gehirn 541.
(628).
Chorea 1064.
Crämer: *334.
Crotbers: *191. *495.
Cruchet: Hemispasmus facialis
461. *494.
Cullerre: *1039.
Myopathie + Myotonie 1097.
Curschmann : Kontralaterale
Mitbewegungen 128.
Karzinose desCentraluerven •
Systems 172. *188. *190.
*191.
Vasomotor. u. troph. Neu¬
rosen 633.
Torticollis bei Labyrinth¬
erkrankung 923. (923).
*1038. *1039.
Cushing: *189. *333.
Hypophysistumor 1014.
v. Cyon: *876.
v. Czyhlarz: *782.
Daeubler: *1040.
Damman: *879.
Dammann: *335.
Dana: *188. *494.
Dannemann: (529).
Sicherheitswaoben 535.
Darcanne: Psychosen kardialen
Urepr. 1146.
Darkschcwitech: Perverser
Gescblechtstrieb 828.
Darling: *493.
Cerebrospinalmening. 1174.
Darnall: *333.
Darre: Hered. Syphilis 807.
| Davenport: *332.
| Davidsohn: *189.
Davie*. Hirntumor 174.
Davies: *1036.
| Debray*. *331.
Decroly: *335. *879.
I Degand: *335. *879.
i Deganello: *188.
Dege: *333.
| Degenkolb: (95).
Kombin. von Seelenstörung
mit Hysterie 1085.
Dehio: Dauerbäder 1084.
Dejerine: *493. *494.
Friedreich sehe Krankheit
766. *877. *878. *1037.
(1093). (1100).
Delbrfick: Alkohol u. Paralyse
905. *1039.
Delille: *333.
Delius: *191.
Delmas: *495.
Denker: *1036.
Denks: *1037.
Denslow: *877.
Deny: *783.
Manisch-depressives Irresein
861.
Deroum: Kleinhirnsarkom 133.
*192. *494.
Dernini: *388.
Descomps: *494.
Syphil. Osteitis bei Tabes
764. *781.
Mening. eer.-spin. 1095.
Determann: *880.
Deutsch: Kretinenbebandlung
231. *1040.
Deutechländer: (46).
Devaux: Hirnabsceß 176.
van Deventer: Pflegepersonal
in den Anstalten 980.
(981).
Dewey: *191.
Dexler*. Hysterie bei Tieren 98.
*191.
Nervensystem des Elephas
indious.il 65.
Diefendorf: *192.
Diesing: *333. *878.
Dieterle: *190.
Dietz: *1040.
Dinkler: Perniciöse Anämie mit
spinalen Störungen 620.
Ditthorn: *493.
Dixon: *331. *782. *879.
Alkohol u. Blutkreislauf 903.
*1036.
Dobracbansky: Motor. Phäno¬
men bei Paralyse S8.*l92.
*496.
Paralyse mit 14 jähriger
Remission 824. *880.
Dobson: *334.
Doerr: *333.
Dogiel*. *493.
Döllken: Bewegungseentrum
der Maos 50. *334.
Die ersten Nervenbahnen
im Großhirn 926. (927).
(1079).
Halluzination, u. Gedanken-
lautwerdeu 1086.
Don: *876.
Donald: *780.
Donath: Poriomanie 319. *333.
(481). (488). *494. *782.
*878.
Digitizedl
bv Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1187
Donegana: *878.
Donitrenko: *493.
Douglas: *191. *493.
Drastich: Der geiBtig Minder¬
wertige in der Armee 80.
Drenkhahn: *333.
Dreyer: *190. *879.
Dreyfos: Ätiologie der Para¬
lyse 34. *192.
Melancholie 631 u. 1028.
Inanition 726. *880.
Drinkwater: *1039.
Dromard: Basedow 221.
Drosihn: *495.
Dabar: *834.
Aphasie 717.
Dabois: *495.
Augensymptome bei Para¬
lyse 821.
Dubose: Nystagmus 679.
Ducoete: *495. *788.
Paralyse 821.
Fagues 861. *1040.
Dadgeon: *190.
Toxämische Diphtherie 707.
*877.
Duhem: *495.
Dujarier: *879.
Dfiller: *1037.
Dnnger: Uräm. Neuritis 457.
Dunin: *190.
Neurasthenie 856.
Dann: *189.
Dapraz: *190.
Duprö: Hirnabsceß 176. *192.
*783.
Paralyse u. andere Demenz-
formen 931. (1035).
Myosklerose bei Greisen
1098.
Cenestopathien 1145.
Dorante: *188. *780.
Dürck: Beri-Beri 979.
Dostin: *496.
Elasterbrook: *191.
Sanatoriambehandl. 985.
Eastman: *782.
Ebstein: Chirurgie des prakt.
Arztes 81. *331. *333. *334.
— E.: Grabbes Krankheit 682.
— W.: Schopenhauer 682.
Inspektion, Palpation, Per¬
kussion, Auskultat. 1078.
Eccard: *879.
Edgeworth: *382.
Edinger: Gehirn des Amphi-
oxus 22. *334.
Nervenaufbrauoh 637. *781.
*876. *1036.
Egger: *332. (627).
Agnosie 708. *876.
Ehreke: Schlafmittel 865.
Eichelberg: Delirium tremens
776. *879.
Digitized by Gougle
Eichhorst: *189.
Pathol. u. Ther. der Nerven-
krankh. 1077.
Eijkmann: *494.
Einhorn: *877.
Herpes bei Mening. cerebro- j
spin. 1172.
Eisath: Arteriosklerot. Hirn- !
erkr. 728. *780. *877. j
1037*.
v. Eiselsberg: Knöcherne Tu¬
moren des Schädeldachs
169.
Hypophysistomoren 964 u.
994.
Eiselt: *1039.
Eider: *780.
Cerebrospinalmening. 1174.
Elliott: *1036.
Elmiger: *191.
Paralyse im Kanton Luzern
819.
Ely: *334.
Emin: *1037.
Engel: *383.
Engelen: Tränenfließen naoh
Facialislähmang 461.
Engelken: (474).
Engelmann: (91). *188.
Ennen: *1040.
Epstein: Aufnahmebeding. in
Irrenanstalten 480. *496.
Erb: *334. *494.
Syphilogene Erkr. des Cen-
tralnervensystems 622.
(681).
Poliomyel. 669.
Intermitt Hinken 669. *878.
Erben: Simulation u. Über¬
treibung 515.
Ataktische Tabiker 971.
Erdheim: Tetania parathyreo-
priva 277. *331. *334.
Erichsen: *190.
Ernst: Kkytm. Krämpfe der
Schling- u. Bespirations-
muskul. 954.
Escherich: (94). (95).
Hirnembolie bei postdiph-
ther. Herzschwäche 408.
*780.
Eschle: *495. *783.
Gruudzüge der Psychiatrie
826.
Eshner: *780.
Esser: Bttckenmarkshaut-
geschwulst 583. *781.
*782.
Etienne: Arthropathie bei Pa¬
ralyse 39. *879. *1037.
Vorderhörner bei Arthro¬
pathien 1097.
Zonaart. Ecchymosen 1098.
Eulenburg: Epilepsiebehand¬
lung 322. *334. *783. *879.
Eve: *1037.
Ewald, B.: Labyrinth-Tonus
929.
v. Eysselt-Klimpöly: Kretinen-
behandlung 230. *334.
Fabinyi: Famil. Irrenpflege
429.
Fackenbeim: *880.
Fahr-. Endotheliom im linken
Stirnhirn 771.
FairbankB: *782.
Cerebrale Syphilis bei Kin¬
dern 809.
Fales: *782.
Falk: *189.
Falkenberg: *1040.
Fankhauser-. *495.
Farrar: Dementia praecox 141.
Federici: *332.
Federschmidt: *878.
Feer: Blutsverwandtschaft der
Eltern 1026. *1087.
Feilchenfeld: *879.
Feix: *190.
Untersuchung des Patellar-
u. Achillesreflexes 856.
Fejör: *877.
Feldmann: (630).
Felicine: Hyster. Psychoneu-
rosen 367.
Fellner: *783.
Fenneil: *783.
Förö: Träume der Epileptiker
318.
Psyoh. u. phys. Antipathien
325. *495. *880.
Ferenczi: Tabes mit Neuritis28.
Sexuelle Übergangszustände
417.
Feri: Akustikuskerne 475.
Fermi: *1036.
Fernet: *191.
Ferrannini *877. *879.
Ferrari: Erziehung geistig zu¬
rückgebliebener Kinder
985.
Ferris: *1040.
Fialovski: Trunkenheit vom
forensisch-ärztl. Gesichts¬
punkte 909.
Fiea'i: *1037.
Fick: *1038.
Finckh: Hitzepsychosen 231.
*335.
Paralysenähnl. Krankheits¬
bilder 811.
Finkelnburg: Meningoence¬
phalitis 1169.
Finkeistein: (95).
Finny: *782. *878.
Maniakal. Chorea 1065.
Finzi: *877.
Fisch: Landrysche Paralyse
459.
Fischei: *876.
75* Original frcm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1188
Fischer, J.: Anfnahmefahig-
keit moderner Anstalten
491.
— M.: Herzneurosen u. Base¬
dow 223. *784.
— Oskar: Hirnrinde bei Para¬
lyse 86 u. 978.
Hyster. Dysmegalopsie 237.
Maskfaseransfall bei Para¬
lyse 240. *833. *494.
Moskelzncknngen bei Para¬
lyse 823. (917). (921).
Fisch!: *334.
Period. Erbrechen u. kind¬
liche Hysterie 364.
Fisohler: Alkoholinjekt. bei
Neuralgie u. Neuritis 639.
*1038.
Fisher: *386. *496.
Flashman Gehirn der Manu-
pialier t67.
Flatan, E.: Tumor mediastini
u. des Bückenmarkes 587.
— G.: Ponsblutung 616.
Achillesreilex 972 u. 1052.
Flatau *332. *833. *334.
Extramedulläre Rücken-
markstumoren 581.
Hirntumor 876.
Flechsig: Hörsphäre 1078.
(1079).
Fleig: *877.
Flexner: *189.
Cerebrospinalmeningitis bei
Affen 1171.
Florian: Chron. Trophödem
830. *878.
Fodor: (478).
Fonck: *493.
Forest: Myelitis nach Angina
78.
Forli: *781. *1088.
Fornet: Serodiagnose bei Lues,
Tabes. Paral. 762. *1089.
Forssner: *781.
Förster: Funktion der Glia
537. (539). (613).
Affekt bei Paranoia 933.
Förster: Frkr. der Pyramiden-
bahn 76.
Behandl. von Stör, des Ner¬
vensystems auf syphil.
Grundl. 815.
Försterling: (687).
Foreyth: *494. *876.
de Fortunitö: *192.
Augensymptome bei Para
lyse 822.
Fournial: Babinski bei Para¬
lyse 40. *335.
Fowler: *333.
Fraenkel (Hamburg): Schwei-
zer-Käse-Gehirn 84.
RückenmarkBerkr. durch Me¬
ningokokken verursacht
785.
Digitized by Gougle
Fragnito: *492.
Franyais: Syringomyelie 73 n.
74. *332.
Psychosen kardialen Urspr.
1146.
Frank, 0.: *876.
Franke: (734). (735).
Fränkel, K.: Chron. ankylos.
Wirbelsäulen Versteifung
1021. *1038.
— J.: Infantile cerebr. Henri-
plegiey 136 .
Franken bäuser: *836.
v. Frankl-Hoch wart: *335.
(476). (477). (478).
Tetanie 867. (870). (871).
S (966). (974). (975).
ysistumoren 964 u.
994.
Juvenile Blasenstörungen
1179.
Franz: *831. *780. *878.
Fratint: *190. *191. *783.
Frazier: *169. *332 :
Frenkel (Heiden): Übungstbe-
rapie 29. *496.
Freund: Sklerodermie u. Base¬
dow 218. *494. *782.
Frey: Reflexepilepsie811.*879.
*1039.
Fridenberg: *879.
Friedenreich: *382.
Friedländer, J.: *1039.
Friedländer: *784.
Sexnolle Ätiol. der Neurosen
953.
Friedmann: Zwangsvorstel¬
lungen 680. *783.
Künstl. Abort wegen psych.
Krankh. 1136.
Friedrich: *836.
Fries: Epilepsie mit Tetanie
476.
Froeblich: *781. *1038.
Froin: Akromegalie 275.
Frommer: Parathyreoideale
Insufficienz 277. *334.
Fry: *781.
PottBche Krankheit 1023.
Fuchs: (239).
Reflexepilepsie 311. *333.
Facialislähmung 462.
Traumat. Ptosis 476.
Funktionelle Sprachstörung
478. *494. *1039.
Ton. Krämpfe des Rumpfes
1061.
Psychiatrie u. Mneme 1135.
Fürbringer: *495.
Behandlung der Impotenz
866 .
Fürnrohr: *189.
Röntgen-Strahlen in der
Neurologie 370. *876.
*1089.
Fürstenau: *189.
Oalvagni: *781.
Ganser: *495.
Behandlung des Delir, trna.
908.
Gantz: Rekurrenslähmung bei
Tit. cordis 463.
Gara: *878.
Iscbiaasymptom 1125.
Garbini: *334.
Gardner: Friedreich sehe
Krankheit 31.
Gaskeil: Entw. des Central¬
nerv. bei Vertebraten 939.
Gasne: Schädelbruch beim
Kind 519.
di Gaspero: Psych. Infantilis¬
mus 860. *1039.
Ganjonx: *877.
Gaupp: *191. *334. *495.(62tM.
(1137).
Gausael: Kleinhirnaffektion u.
Augenbewegungen 133.
*190.
Akromegalie 275. *333.
Geelvink-. Trunksucht 531.
van Gehuchtcn: Anatomie 800.
Mechanismus der Reflexe
991.
Geinitz: *188.
Geist: *189. *783.
Geitlin: *189. *332.
Gejerstam: *333.
Geltond: *878.
Gemelli: *780. *1038.
Gendron: *332.
Kaumuskeln bei Hemiplegie
409.
Gerber: *1038.
Gerhardt: *334.
Gerönne: *384.
Getzowa: *878.
Giachetti: *496. *781.
Gianelli: *331. *492. *877.
Facialisnrsprungskem 1119.
Gierke: *782.
Gierlick: *333.
Infantiler Kernschwund 406.
Fibrillogenie 511.
Neurale Muskelatrophie 636.
Period. Paranoia 727. *1036.
Neurofibrillen in den Fort¬
sätzen u. im Zellleib 1154.
Gildemeister: *493.
Gimlette: *190.
Gindes: *1037.
Giraud: (1033).
i Glinski: *333.
Godelstein: *189.
Goett: *334.
Goldberg: *1089.
Goldflam: *334.
Famil. Ankyl. der Finger-
gelenke 674.
Goldscheider: *190.
Physikalische Therapie 419.
*496.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1189
Goldscheider: Psycboretiekt.
Krankheitssymptome 515.
*780. *784.
Goldstein: Polioencephal. infer.
407.
Amnest. Aphasie 719. *781.
Alkoholpsychosen 905.
*1089.
Goodall: *192.
Gordinier: *876.
Gordon: Salzlose Diät bei Epi¬
lepsie 323. *333. *494.
*876. *877.
Paradoxer Bengereflex 858.
*1038.
Gonld: *191. *332.
Gourevitch: *189.
Gowers: *383. *334. *878.
*1037.
Hemiatr. faciei 1072.
Grabley. Luftbäder 925.
Grabower: *188.
Grabowski: Zygomaticus- n.
Infraorbitalneuralg. 1124.
Gradig: Entwicklungsstör. in
Kleinhirn nsw. 132.
Gramegna: *333.
Grasset: Schntz gegen die
Geisteskranken 287.
Monoplegie 409. *498.
Sprachfunktion 718. *780.
(1033).
Grassmann: *493.
Grares: Sensibilitätsstörung
am Warzenhof 861. *1039.
Chorea n. Tic 1064
Grawitz: Senile Atrophie der
Augenmuskeln 460.
Graziani: Pott sehe Paraplegie
580.
Greenbaum: *878.
Greene: Tuberkulose in An¬
stalten 1076.
Gregor: *494.
Korsakoffsohe Psychose 907.
Stupor 1083.
Grenet: Akromegalie u. Dia¬
betes 329.
Grenier de Cardenal: Tabes n.
Schanker 26.
Griffith: *781.
Grills: Eine Hirnheinisphäre
für beide Körperseiten 129.
Grimme: Prophylaxe der Haus¬
epidemien in d. Anstalt 542.
Grinker: *334. *782.
Grober: Nenrit. Plexuslähm.
463.
Grohmann: *192.
Gross: Tetanie u. weibl. Sexual¬
apparat 278. *784.
Sekundäre Funktion 943.
Grossmann: *190.
Iscbiasbehandl. 239.
Trigeminus u. Vagus 270.
Spina bifida 572. *780.
Digitized by Google
Grund: *332. (630). *1037.
Griitzner: *381.
Gnerra Coppioli: *877.
Gudvara: *781.
Mult. Sklerose 803.
Guillain: Syringomyelie 71.
Syringobnlbie 72.
Tremor merourialis 458.
*495.
Guinon: Diphther. Lähmung
456.
Gnndobin: *879.
Garewitsch: Dispsomanie 908.
Gurwitsch: *494.
Guthrie: Künstl. Cirkulation
n. Hirntätigkeit 895.
Guttmann: Beknrrensparalyse
463.
Untersnchnng des Patellar-
reflexes 856.
Gutzmann: *192.
Behandlung der Aphasie 424.
Hören u. Begreifen 940.
Gy: *782.
Haardt: *880.
Haase: Hyster. Laryngismus
364
Hackländer: *384.
Aufnahme opt. Beize 535.
Haenel: (920). (1079).
Ataktische Gehstörungl081.
(1082).
Hager: Jodpräparate 816.
Hajek: *781.
Haiborn: *189.
Hall: *494. *782.
Haller: KontinuitätBlehre 118.
*188.
Hallervorden: *885-
Halliburton: *780. *876.
Halliday: *878.
Hailös: Pseudodelir, tremens
489.
Trinkerbehandlung 491.
Halsted: *1038.
van Hamei: Geisteskr. Ver¬
brecher 981.
Hammer: *338.
Tabes 764.
Hammond: *332.
Hamoir: Kindertuberkul. 610.
Hampe: *335. *495.
Sprachsinn 525.
HarDitz: *189.
Harnack: *876.
Harper: *780.
Harris: *493. *494.
Harrison: Peripher. Nerven
125. *331.
Hartenberg: *884.
Psychother. bei Neurasthen.
1100.
Hartmann: Motor. Großhirn¬
funktionen 238. *493.
Hartmann: Größe der Muskel¬
arbeit u. geistige Arbeit
530.
Apraxielehre 721. *878.
Asymbolie, Apraxie, Aphasie
985.
Operable Hirnerkrankungen
962. (963).
Maß der psych. Tätigkeit
1102 ( 1102 ).
Harttung: Behandl. von Stö¬
rungen des Nervensyst.
auf syphil. Grundl. 815.
*879.
Harvey: *1039.
Haeebrock: (48).
Hasenknopf: Plötzliche Er¬
blindung im Kindesalter
362.
Hashimoto: Scbußverl. periph.
Nerven 467.
Haäkovec: Basedow 218.
Exophthalmus bei Basedow
219. *333. *835.
Hateber: *880.
Hatschek: Nucleus ruber 870.
Hay: *878.
Ischiastherapie 1126.
Haymann: *496.
Angeborener Verbrecher 729.
Head: Gefühlsempfindungs¬
bahnen 705. *781.
Heber: Elektrotherapie 41.
Hecht: *494.
Hegar: *836.
Hegler: *335.
Hegyi: Dem. praec. 492.
Heilb ronner: Paralyse 37.*189.
*192. *334.
Gehäufte kleine Anfälle 365.
(471). (473).
Agrammatismus 718.
Melancholie 864. *879.(920).
(973). (975). *1037. *1040.
Heine: Otitische Hirnerkrank.
175.
Heinemann: *879.
Aufrechter Gang des Men¬
schen 897.
— W.: Hemiatrophia faciei
1072.
Heinze: Basedow 224.
Heiser: *878.
Heitz: *189.
Hintere Wurzeln 758.
Held: Entwickl. der Ganglien¬
zellen u. Bau der Neu-
roglia 1079.
Heller: *190.
Beschäftigungstherapie bei
abnormen Kindern 591.
*788.
Hellpach: (680). *1037.
Das Unbewußte 1087.
Hempel: *1036.
Henkel: *495.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1190
Henneberg: '"882.
Intelligenzprüfung 378.
(732).
Henry: *788.
Henschen: *781.
Henze: *192.
Hercz: Forena. Bedeutung der
Hysterie 491.
Hermann: *783.
Herrin^-. *331.
Sensible Leitung im Rücken¬
mark 571.
Hertel: *833.
Herxheimer: *1036.
Herz: *334. *496. *880.
Herzog: Vibrationsgefühl 168.
*189.
Hesdörffer: *1038.
Hess: (91). (144). *189. *335.
(773). (776). (975).
Heubner: (94).
Heuking: *190.
Heumann: *836.
Hevesi: Sehnenplastik 139.
Hewlett: *1038.
Hey: *784.
Heyde: Carcinose des Central¬
nervensystems 172.
Heymans: *191. *783. (942).
Klassifikation der Charak¬
tere. 944.
Heyn: Atiol. der Idiotie 522.
v. Hibler: *1037.
Higier: Schweißanomalien bei
Rückenmarkskrankb. 19.
*334.
Famil. amaurot. Idiotie 675.
Hilbert: Stiohverletznng des
Rückenmarks 78.
Hildebrandt: Kpendymärc Gli¬
ome 173. *189.
Hillenberg: *1039.
Hilty: *189. *332.
Hirose: Erythromelalgie 285
Hirsch, K.: Medianusverletz.
466.
Hirschberg, A.: *333.
— R.: Therapie der Tabes
1097. (1145).
Hirschfeld: *192.
Jahrbuch für sexuelle Zwi¬
schenstufen 416. *879.
Hirschl: (477).
Medianusverletzung 477.
Dem. praec, u. Syphilis 871.
(871).
His: (629).
Hitochmann: (871).
Hnatek: *190.
Raynaud 283.
Hoohe: Folgen der Uufall-
gesetzgebungen 625. (631).
Hochheim: *493.
Hock: *494.
Hockauf: *336.
Hodgson: *1037.
Hoeflmayr: *333.
Zungenneuralgie 1125. 1
Hoehl: lürmschädel-Röntgeno-
gramme 1081. (1082).
Hofftuann, A.: *190.
Hoffmann (Düsseldorf): (627).
Hofmann, F. B.: *1036.
_ T . *109
Hogel: (1149).
Hohlbeck: *191.
Hohn bäum: *192.
Hoke: *495.
Holden: Frühdiagnose der Pa¬
ralyse 37.
Hölker: *1087.
Sporadische Cerebrospinal¬
meningitis 1173.
Holländer: *783.
Holmes: *191.
Famil. amaor. Idiotie 675.
*780.
Sekundäre Degener. 898.
Holmgren: Struma 220.
y. Holst: *336. *783. *878.
*1038.
Holterbach: *880.
Holub: Wir u. die Öffentlich¬
keit 1101.
Homburger: Faserige pathol.
Neuroglia 1139.
Homön: *191. *334.
Hönck: Sympathicus bei Erkr.
des Wurmfortsatzes 282.
*494.
Höniger*. (966).
Honigmann: Kriegsneurosen
425.
Honl: *332.
Hoorweg: *1036.
Hoover*. *1038.
Hopf: *1040.
Hopkins: *494.
Hoppe: Bebandl. der Geistes¬
kranken 81. *189. *192.
Proponal bei Epilepsie 324.
*334. *493. *1039.
Horoszkiewicz: *189.
Horsley: *781.
Horstmann: *335.
Horvath: Cerebrale Kinder¬
lähmung 138.
Hösel: *192.
Strafrechtl. Zurechnungs¬
fähigkeit der Hysterischen
368.
Hovorka: *1039.
Howard: *878.
Hübener: *1037.
Hübner: *334.
Pupillenreaktion 353.
Involutionsmelancholie 531.
*1038. *1040.
Hudovernig: *190. *192.*1036.
Huet: Neuritis durch Creosot
60.
Hüfler: *192.
Digitized by
Gck igle
Huguenin: Wurzel des N. IX
u. X 1119.
Huismans: *191.
Famil. amaor. Idiotie 427
u. 676.
Halles: Sensible Wurzeln in
Med. oblong. 757.
Hummel: *190.
Hummelsheim: Pupillenstud.
852.
Hunt: *493. *1038.
Hunter: *781.
W irbelsäulcnverstcif. 1022.
Hutinel: *1036.
Hyslop*. *1039.
Ibba: *191.
Idelsohn: *783.
Ikegami: Ursprung d. Lungen*
vagus 756. *780.
Ilberg: Geisteskrankheiten 827.
*879.
Imhofer: Ohrmusehel bei
Schwachsinnigen 526.
Imora: *191.
Infeld: (237). *1037.
Ingbert: *495.
Muskeldystrophie 1070.
Ingegnieros: *189.
Ingram: *782.
Irel&nd: *191. *783.
Zunahme von Nerven- und
Geisteskran kh. 985.
Isakowitz: Traumat. Abdn-
censlähmung 518.
Isemer: *495.
Isbihara: *189.
Schluckreflex 609.
Issailowitch-Duscian: *190.
Isserlin: *880. *1039.
Istvän: Myoklonie 1062.
Iveziö: *784.
Iwanow: Vaguslähmung bei
Syringobulbie 1115.
Jach: Laevulosurie u. Para¬
lyse 40. *335.
Jackson: *780. *781.
Jacob: Landrysche Paralyse
u. Hysterie 264 u. 299.
Jacobi: Tetanie u. Schilddrüse
488. *494.
Jacobs: *783.
| Jacobsohn, L.: Hintere Wur¬
zeln des Conus medullaris
, 386. *493. (535). (613.U
(686). (1130).
— Ludwig: Sexuelle Enthalt¬
samkeit 416. *783.
| Jacoby: *781. *878.
| Jacquin: *495. *880.
! Jadassohn: *494.
i Jagitta: Ursprung des Lungen-
vagus 756.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1191
Jahrmärker: *1040.
Jakowenko: *494.
v. Jakgeh: Manganintoxikation
424.
Jalaber: Myopathie and Myo¬
tonie 1097.
Janet: Entstehen der Hysterie
933.
Janknra: *877.
Janowski: *781.
Interkostalneuralgie 1125.
Jansens: Hypermnesie bei Im-
becillität 591.
Jansky: *782. *1040.
Jardini: *493. *780.
Jasper: *332.
Jastrow: *783.
Jastrowitz: *1038.
v. Jauregg: *190.
Behandl. des endem. Kreti-
nismns 227. *494. *783.
Mariner Kretinismus 226.
(238). (240).
Kretin. Hand 475. (476).
(478).
Unzurechnungsfähigkeits-
paragraph 872.
Jcdliifka: Operat. Ther. der
Epilepsie 325.
Jelgersma: Bildung u. Nerven-
affektionen 929.
Hirndarchschnitte 931.
Hysterie 933.
Jelliffe: *782.
Jellinek: Elektr. Unfälle 182.
*336. *782.
Jendrässik: Psych. Vorgänge
194 u. 254.
Jenkel: Heterotopie d. Rücken¬
marks 383.
Jevers: *780.
Cerebrospinalmeningiti8
1174.
Jezierski: *782.
Jodl: Wahrnehmung u. Vor-
Stellung 942. (943).
Joffroy: *495. *880. (1033).
Jogischess: *1038.
Jollasse: Hypophysistumor
734.
Jolly, W. A.: Funktion der
Schilddrüse 214.
Jonas: Allochirie 939.
Jones: *191. *333.
Mikrocephalie 405. *493.
Taktile Aphasie 709. *781.
*783. *1038. *1040.
Jordan: Ligatur der Carotis
381.
Joteko*. *495.
Joulia: *784.
Jourdan: *192.
Syphilis n. Paralyse 770.
Julinsburger: (143).
Behandl. der forens. Alko-
hollsten 236.
Digitized by Gougle
Jung: *191. *384. *495. *496.
Hysterie 933. *1036. *1039.
Juquelier: *1040.
Maan: (1149).
Kaes: *492.
Großhirnrinde 703.
Kagi: *192.
Kahaue: *880.
Kalb: *877. *878.
Kalischer: Schläfenlappenfunk¬
tion 309.
Kalmus: *335.
Kalt *. *334.
Kämmerer: *1088.
te Kamp: *877.
Kappers: Verlagerangen der
motorischen Oblongata-
kerne 834. 939.
Karplus: Variabilität u. Verer¬
bung am Centraineryen¬
system 167.
Kattwinkel: *1038.
Kaaffmann: *189. *783.
Angstpsychose u. Diabetes
1082.
Kausch: *782.
Kayser: *1040.
Keen: *494.
Kellner: *334.
j Kentzler: Tetanus traumaticus
31.
j Rückenmark nach Blutinjek¬
tion 573.
Kepballinos: Gelenkrheuma t ,
Chorea u. Endocarditis
1064.
Kern: *495.
Kernig: *877. *1037.
Kernig sches Symptom 1172.
Kerris: 1040.
v. Kötly: Tabes u. Syphilisbe-
bandlung 26. *333.
Myasthenie 672.
Kilvington: *1086.
Kindler: Physik. Beh. der Ta¬
bes 765. *781.
King: *334. *781.
Kirby: *335.
Kitagawa: *188.
Klare: *333.
Kleist: Motilitätspsychos. 534.
Kortikale Apraxie 721. *877.
Klempner: *189,
Klien: Rhythm. Krämpfe der
Schlingmuskulatur 245.
Gesichtsieldeinengung 363.
*494.
v. Klimpely: *494.
Kling: Rückenmarkstumoren
585. *781.
Klinke: *783.
Klippel: *493. *1038.
Kluge: Fürsorgeerziehungf)27.
(529).
Knapp: Worttaubbeit 532.
bil. Sensibilitätsstör, am
umpf 813.
Knauer: Paralyse? 37.
Pseudotumor 636.
Knauth: *493.
Kneidl: Idiotie 522.
Knobel: Dysenterie in Anstal¬
ten 1076.
Knust: *334. *495.
Familiäre Fürsorgepflege für
Trinker 909.
Koch: *783.
Köcher: *190.
Kochmann: *188.
Koelichen: *332.
Tumor mediastini u. des
Rückenmarks 587.
Syringomyelie 875.
Kohn: *784. *878.
Kohnstaram: Vagusursprünge
403.
Behandl. der Verstopfung
427. *779. (922). (924).
Med. oblong. 967.
van der Kolk: Hypermnesie bei
Imbecillität 591.
Kollarits: *495. *1038.
Kölpin: Sy ringomy elie 71. * 191.
Erweichung in d. Med. ob¬
long. 670.
Kohts: Kleinhirntumor 134.
Kollarits: *876.
Konräd: Unterbring.Geisteskr.
in Ungarn 430.
Retrograde Amnesie 490.
*782. *1040.
Kopczyfiski: Jacksonsche Epi¬
lepsie 874.
Einseitige Erkr. sämtl. Hirn¬
nerven 874. *877.
Koplik: *780.
Köppen: Idiotie mit cerebr.
Kinderlähmung 136. *879.
*1039.
Simulation bei Geisteskran¬
ken 1076.
Kornfeld: Sklerodermie u. Base¬
dow 217. *335.
v. Kornya: *335.
Korolkow: Jodipin 816.
Kosaka: *1036.
Köster: Tumor der Rücken¬
markshäute 582. *781.
Fehlen derPatellarreflexebei
Hysterie 857. *877. *878.
Kotzenberg: *1039.
Kouindjy: *333.
Kovalevsky: Epilepsie u. Mi¬
gräne 314. *335.
Kraepelin: Lehrbuch der Psy¬
chiatrie 177. (474).
Krajewski: Schußverletz, des
Rückenmarks S73.
Kral: Angstznstände 366.
Kramell: Iiellexepilepsie 311.
Original from
UNIVERSITV OF CALIFORNIA
1192
Kramer: *781. (1102).
Krause: *879.
Krause, A.: Chron. Steifigk.
der Wirbelsäule 1020.
Krause, F.: *382. *333.
Rückenmarkslähm ungen
383 u. 424.
Chir. Ther. der Hirnkrankh.
916. (918). (968). (967).
*1037.
Arachuitis adhaesiva cerebr.
1169.
Krauss : N euro tische Muskelatr.
1071.
Krehl : *384.
Kren: *190.
Kreuser: *885.
Kreuzfuchs: *782.
Krieger: *878.
Krogli: *189.
Krohne: *493.
Krokiewicz: *494.
Krön: *876. (968). (971).
*1039.
Kroner*. Bahnung der Patellar-
reflexe 700.
Krönig: *190.
Kunstgriff zur Erzeugung
des Kniereflexes 856.
Krönlein: Exstirpation eines
Hirnglioms 174. *332.
Kronthal: *188.
Schlaf 553.
Neutralzellen 667.
Kroph: *493.
Krotes: Pflegerausbildung in
Amerika 980.
Krougb: *190.
• Krückmann: (974). (975).
v. Krüdener: *332.
Krüger: *335. *496.
Bromural 865.
Kryfiski: Jacksonsche Epilepsie
874.
Kubo: *331.
Kuhn: Diät bei Tetanie der
Kinder 282.
Kühne: Bezold- Edelmann sehe
Tonreihe 965. (967).
Kühner: *880.
Kulemann: *192.
Kummer: *1039.
Kunow: Verdeutschung 683.
v. Kunowski: *784.
Entlass, geisteskr. Rechts¬
brecher 826.
Kürbitz: *190.
Knrella: Gesundheitsscbäd. am
Telephon 516.
Küster: *495.
Kutner: Polyneurit. Psychosen
457.
Transkortikale Tastlähmung
708. *780. *781.
Reflexe im Schlaf 857.
Kutscher: *189. *332.
Digitizer! by Gougle
Kutscher: Mikrocephalus u.
Encephalocele 801. *876.
*1037.
Kwascha: *191.
üabhardt: Nerven in der Sub¬
stanz des Uterus 166.
Lachmund: *335. *877.
Klon. Gaumenkrampf 1060.
Ladame: *332.
Diffuse Hirnsyphilis 1095.*
Laehr: ßeschäftigungsther. f.
Nervenkr. 239. *336.
Heilerfolg der Anstalten für
Nervenkranke 369.
v. Lagiewski: Chron. ankyl.
Wirbelsäulenentz. 1021.
Lagriffe: *192.
Laignel-Lavaatine: *189. *192.
Neuronophagie 310. *331.
*493. *783.
Lambrior: Amyotr. Lateral¬
skier. 78. *189.
Emotionelle Gelbsucht 365.
Lamini&re: *1037.
Lamy: *493.
Pseudobulbärparalyse 671.
*877. *1087.
Landesberg: *494.
Landois: *493.
de Lange: Anatomie 930.
Lange, F.: Huntingtonsohe
Chorea 1066.
— J.: Neuralgiebehandlung
423.
Langelaan: *877.
Langenbach: *1037.
Langmead: *780.
Lapicque: *331. *1036.
Lapinsky: Tabes 27.
Hallucinat. Verwirrth. bei
Tetanie 146. *189. *191.
*498.
Reflexe nach Rückenmarks-
durchtrennung 576 u. 577.
*781.
Läsionen der hinteren Wur¬
zeln 1011.
Lappois: Spinale Syphilis 611.
Lapponi: *191.
Laquer, B: *334.
Krankheiten im Brauerge¬
werbe 517.
Trunksucht 681. *879.
Alkoboliamus im Orient 904.
— L.: *192 (529). (631). *783.
*784. *1039.
Laqueur: *190. *1040.
Lardy: *878.
Larionoff: *331.
Feine Struktur u. Färbungs¬
methode des Hirns 894.
*1036.
Laroche: Tremor mcrcurialis
458. *496.
Lasalle: *492.
Lasarew: *1038.
Latreille: Meni ngocerebellitis
bei Paralyse 1145.
Lattes, *192. *784. *877.
Lauschner: Quinquaud sehea
Zeichen 904.
Läwen: *331. *334.
Lazar: Hilfsschule f. Schwach¬
sinnige 1152.
Lazarus: *189. (732).
Löal: *1040.
Lechner: *495.
Lecomte: *332.
Ledderhose: *191.
Lederer: *1036.
Leers: *191.
Exhibitionismus 978.
Lehmann: *782.
Lebndorff: *1038.
Lehrmann: *1040.
Löjonne: Erkrank, der Pym-
midenbahn 78. *190.
Syringomyelie 328. *332.
*334.
Ascendierende Neuritis u.
Rheumatismus 455.
Myasthenie 673. *781. *877.
*878. *1038.
Lemaitre: *783.
Lemberger: *1036.
Lemoine: *191.
Eisen bei Neurasthenie 421.
Lemos: Infantilismus 225.
Melanch anxiosa 1028.
v. Lenhossek *331.
Lenoble: Nystagmus-Myodo-
nie 592.
Löpine: *333. *1037.
Leppmann, A.: Zwangsvorstel¬
lungen 613. *1039. *1040.
— F.: *191.
Lercbenthal: *333.
Löri: *189. *880.
Leroy: Kleptomanie bei Hyste¬
rie 1147.
Lesern: *191.
Leszynsky: *1037.
Leubuscher: *782.
Leuven: Basedow 223.
Levaditi: *496.
Syphil. Antikörper bei Paral.
u. Tabes 817. *1040.
Levassort: Basedow 221.
Levi: *780. *677.
— E.: Myasthenie 671.
Hintere Röckeumarkswur-
zeln 757.
— L.: Scbilddrüsenneurasthc-
nie 329.
Levi-Bianchini: *191.
Katameniale Epilepsie 317.
L6vi: *333. *1038. (1096).
Scbilddrüsennervosität 1099
( 1100 ).
Levinsohn: *493. *780.
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1193
Levinsohn: LidreHeie 852.
I..evy: *494.
Lew»Ddowsky : Athetose
double 137. *331. (539).
Apraxie des Lidschlusses
720. *877.
Farbeusinn bei Herderkr. im
Hirn 938.
Akute multiple Sklerose 1101.
*1037.
Funktionen des centralen
Nervensystems 1165.
Lewin, J.: *190.
Lewis: *188.
Lewit: *190
Lewitt: Geschlechtliche Ent¬
haltsamkeit 416.
Ley: Niederländ. Pflege 980.
(984).
v. Leyden: Krebsgeschwulst
des Kreuzbeins 580.
Kompressionsmyel. 1024.
Lhermitte: *332. *338. *781.
*1038.
Libensky: Spontan frakturen
75.
Lieben: *188.
Liebers: *494.
Liebrecht: (41). (772).
Liebscher: Liquor cerebrospin.
bei Geisteskranken 32.
„Ganser“ 238. *335. *878.
Liefmann: *192.
Liepman n: Sensor ische A phasie
143. (234). (236).
A phasie u. Apraxie473. (474).
(687). *877.
Asymbolie, Apraxie, Aphasie
935. (937).
Ligouzat: *780.
Likudi: *192.
Lilienstein: (972).
Linbart: *880.
Link-. Muskelton 639.
Linsmayer: (478).
Lipschitz: *333.
Aberrierende Bfindel bei
Facialislähm. 380. *1038.
Lissmann: Fußrückenreflex
859. *877.
Lissowsky: *494.
Resektion des 2. u. 3. Tri-
geminusasteB 1124.
Littlejobn: *1039.
Lloyd: *331.
Loeb: *493.
Loehlein: *1037.
Loewe: Operation an der Hypo¬
physis 615 u. 842.
Loewentbal: Tetaniebehand¬
lung 281. *334. *1038.
— Max: Syphilis und progr.
Nervenschwund 434.
Loewy: *335.
Löffler: (1149). (1150).
Lohmann: *331.
Digitized by Gougle
Lombroso: *335. *495. *784.
*879.
Lomer: Witterungseinflüsse bei
Epilepsie 316. *495. *782.
*783.
Schädelmaße u. Beruf 1058.
van Londen: *190.
Long: *781. *878.
Cerebrale Ageneaie 1094.
Tabes 1096.
Longard: Moral insanity 914.
Lorenzi: *879.
Lortat-Jacob: *494.
Lorthiois *192.
Augensymptome bei Paralyse
822.
Louriö: Reizungen des Klein¬
hirns 652.
Löwe: Freilegung der Hypo¬
physis 615 u. 842.
Löwenstein: *782.
Löwenthal: (968).
Löwy: *190.
Lucas: *331.
Lüders: Syringomyelie 74.
Ludwig: *877.
Rückenmark bei Mening.
cerebrospin. 1171.
Lugaro: *188.
Lugenbühl: Myaton. congen.
1067.
Lugiat: *191.
Lugiato: *496.
Lukäcs: Myoklonie 1062.
I Lundgreen: *333.
Lunn: Hirntumor 173.
Lutaud: Idiotie 524.
Maas: Hyster. Sprachstörung
363.
i Artikulationsstörung 409.
*493.
Multiple Tumoren 731.
Apraxie u. Agraphie 789.
Mabon-. Freiluftbehandl. 984.
Macdonald: *189.
Elektrokution 938.
Behandl. Geisteskr. i. Staate
New-York 990.
Macewen: *189.
Mackenzie: *877.
Mackey: *191.
Mackintosh: Mult.Sklerose 805.
Macnamara: Landrysche Para¬
lyse 459.
Maeder: *335. *879.
Magnus: Basedow 224. *333. j
*877.
Magri: *332.
Mahaim: Aphasie 1093. (1094) 1
Maillard: Hirntumor 172.
Majano: Verdoppelung der Per¬
sönlichkeit 368.
Makaroff: *876.
Mailing: *334. |
Malloizel: *879.
Malm: *495.
Manasse: *1039.
Mandel: Irrenabteilungen 431.
Paranoide Psychosen der
Trinker 907.
Mann, I,.: *495. *496.
Myotonie 677.
Elektromedicin. Apparat 866.
*879.
Coutract. bei Hemiplegie
938. (966.)
Mann (Mannheim): Psych. Auf¬
gaben der Gemeindenll35.
v. Man teuffei: Ärztl.Tätigk.auf
dem Schlachtfeld 521.
Mantoux: *781.
Hypothermie inf. Migräne
bei Tuberkulösen 1123.
Marandon de Montyel: *192.
Zwillingsirresein 415.
Marbe: *190.
Reflexe bei Hemiplegie 427.
*784.
Marburg: Hypertrophie des
Gehirns 169. (239). (240).
*331.
Altersveränderungen der
Hirnrinde 475. *781.
Marchand: *191. *332.
Entzünd. derNervenwurzeln
bei einer Stute 760.
Hypothermie 1145.
Marcowicb: *332.
Marcus: Verwirrtheitszust. auf
syphil. Boden 933.
Marguliös: Ideator. Apraxie
720. *780. *1039.
Mariani: *335.
Marie, A.-. *496.
Syphil. Antikörper bei Paral.
u. Tabes 817.
Geisteskrankh. nach Kopf-
verl. 983.
Familienpflege 984 n. 992.
*1040.
Geisteskr. u. Tuberk. 1075.
Tnberk. Ophthalmoreakt b.
Geisteskranken 1147.
— P.-. Syphilit. Araber u. Para¬
lyse 35.
Mal perforant u. Paralyse
39. *189. *192.
Demenz 286. *335.
Ponsblutung 411.
Eunuchen n. Erotismus 418.
*493. *495.
Subkortikale Aphasie 710.
Aphasiefrage 712.
Funktion der Sprache 714.
Seniles Gehirn 715.
Brocasche Aphasie 715 u.
716.
Erweichungsherd in F a 716.
Marina: Alexie u. Agraphie
nach Trauma 882.
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1194
Marinesco: *833. *493.
Regeneration des Rücken¬
marks 574.
Nervenregeneration 665.
*780. *876.
Kerne des Vagus 894.* 1036.
*1037.
Ganglien u. hintere Wurzeln
bei Tabes 1096.
Marrassini: *781.
Marriera: Leitung der Anstal-
stalten u. Staatsaufsicht
983.
Marro *. *784.
Martin: *495. *878. *1040.
Chorea gravidarum 1066.
Martini: *189.
Marx: *192. (376). *879.
Masiui: Epilept Mörder 822.
*784.
Masiny: *189.
Mason: *495.
Massagl ia: Parathyreoi dec t o-
mirte Hunde 513.
Massalongo: *1039.
Massei: *333.
Massenti: Entfernung d. Schild¬
drüse 215.
Matiegka: Hirn u. Beschäftig
gang 23.
Mattauschek: *782.
Hysterischer Dämmer* j
zustand 870. j
Rasseneigentümlichkeiten
Bosniens u. der Herzego¬
wina 921. |
di Mattei: *781. *1036.
Neurofibrillennetz u. Ver- \
fäulnis 1059.
MatthieB: *496.
Maurer: *782.
Maxweiler: *495.
v. Mayendorf: *332.
Leitung vom opt.zumkinäst-
thet. Rindencentrum 722.
Eintritt der Sehbahn in die
Hirnrinde 786. *877. *1037.
Mayer*. Basedow 223. *833.
(1102). (1103).
Mayor: *880.
Mayr: Magensaftsekretion bei
Geisteskranken 1073 u.
1102. (1103).
May weg: *1039.
Me 9 zkowski: Aneurysmen der
Hirnarterien 412.
Medea: *190.
Parenchymat. Neuritis 454.
Neuritis bei Geisteskr. 457.
Meeus: Myotonie 677.
Familienpliege 992.
Meier, G.: Serumdiagnostik bei
Lues 818.
Mcisl: *495.
Meitzer: *331.
Vagusreizung 849.
Meitzer: Optikusatrophie u.
Turmschädel 1081.(1082).
Mende: *333.
Spondylitis tuberc. 1026.
Mendel, E.: (143). *835.
Revision des § 51 372.
(377).
Gicht u. Psychose 681.
— K.: Nekrolog 593. (615).
*879. (1130)
Mendelsohn: Diät bei Tetanie
der Kinder 282.
Mendicini Bono: 1091.
Mennell *493.
Mercadö: *495.
Mercier: *191.
Geschmacksillnsion 1147.
Mercklin: *385.
Mergler: *1039.
v. Mering: *496.
Merk: *878.
Merzbacher: Körnchenzellen
472.
Famil. Erkr. des Central-
nervensystemB 1139.
v. Meyei: *1089.
Meyer, E.: *191. *494.
Hysterie u. Invalidität 515.
(529).
Amyotr. Lateralsklerose mit
Hirncysticerken 590.
Path. Anat. der Paralyse 770.
*781. *788. |
Nervensystem Syphilitischer 1
808.
Paral. u. Lues cer.-spin. 819. j
(920). (921). *1089 *1040. j
— F.: Cerebrospinalmeningitis |
1173.
— G.: *1039.
— O. B.: Fnßrückenreflex 859.
, *1038.
! — S.: *832.
j Der Schmerz 683.
! Meyers: Asyle in großen Städten
982.
Meynier: *388.
Myoklonie 1062.
Mezie: *495.
Mickle: *192.
Mignot: *496.
Graph. Stereotypie 725.
Angenstörungen bei Para¬
lyse 822. *880. *1040.
Atoxyl bei Paralyse 1146.
Hyperhidrose bei Dem. prae¬
cox 1146.
Kanthai idennephritis u. Al¬
koholdelir 1146.
Milhit: Hirntnmor 172.
Miller: *877.
Mills: *188. *191. *332.
Sensibilitätslokalis. i. d. Hirn¬
rinde 1010.
Milner: Raynaud 285.
Minea: *333. I
Minea: Regener. des Rücken¬
markes 574. 1037.
Ganglien u. hintere Wurz,
bei Tabes 1096.
Mingazzini: *331. *333. *491
*781. (922). (965).
Transkortikale Aphasie 969
(973). (975).
Spondylose rhizomel. 1021.
Minkowski: *1037.
Minnich: (487).
Minor: *876.
Quinquandsches Zeichen 904.
Miodowski: *332.
Mirallie *332.
Kaumuskeln bei Hemiplegie
409.
Mvopathie u. Myotonie 1097.
v. Miram: *188. *190.
Mitchell: *782.
Mittermaier: *496.
Miura: Beri-Beri 458.
Miyake: Alters Veränderungen
der Hirnrinde 168. *1040.
Möbius: Schumanns Krankheit
232. *335. *495.
Moeli: Anstaltsbauten 82.
Zurechnungsfähige Minder¬
wertige 233. (235). (236 i
(374). (379).
Moffitt: Lepra n. Syringomyelie
75.
Moher : *880.
Mohr: Zeichnungen von
Geisteskranken 414. *495.
Mohnnann: *1038.
Moll, A.: *336, *783.
Mollard: *783.
Möller: (687). *780.
v.Monakow: *332. (918). (922;.
Asymbolie, Apraxie, Aphasie
934.
Mondino: *494.
Reflex bei Facialiskontraktoir
855
Mondio: *782.
Mönkem oller: *835.
Geisteskrankheit in Satire,
Sprichwort n. Humor 86$.
*876.
Monro: *190.
de Montel: *876.
Monteverdi: *191.
Montier: Ponsblntnng 411.
Brocasche Aphasie 715 u.
716.
ErweicbungBherd in F 716.
Kyphose bei einem 'fuber-
knl. 1024.
Monzardo: *784.
Moon: *191.
Moravcsik- (186).
Motor. Bigentfiml. d. Geistes¬
krank. 428. (480). (490).
Mörchen: *190.
Moreira: *1039, *1040.
Digitizedl
bv Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1195
Morel: Geisteskranke Verbre¬
cher 981. (984).
Morelli: *332.
Morgan: *334.
Morgenroth: *783.
Syphil. Antikörper b. Para¬
lyse 818.
Moriyasn: Fibrillen bei Para¬
lyse 819. *1040.
Moritz: Dncbene-Erbeche Läh¬
mung 465.
Morselli: *332. *498.
Tuberkulose u. Geisteskrank¬
heit 1075.
Moriz: (628).
Morro: Psychol. der Pubertät
940.
Morton Prince: Dissooiation
einer Persönlichkeit 215.
*332.
PlötzL Bekehrung 1059.
Tic. 1063.
Moschcowitz: *190. *494.
Moses: *385.
Idioten fürsorge 534.
Hilfsschule: 591.
v. Mosetig-Moorhof: *1040
Moskowicz: *878.
Mosny: *879.
Mossaglia: *190.
Mosse: Basedow 220, *494.
Motschutkowsky: *190.
Ätiol. der Tabes 761.
Mott: *191.
Beschälkrankheit 573. *780.
*781. *782. *783.
Chron. Geistesstör, durch
Alkohol 930.
Hirnrinde bei Halbaffen 939.
*1037.
Montier: *189.
Moxon -. *332. I
Muggia: *880.
Müller, Arthur: Kopfform u.
Geburtsmechanism. 1009.
— (Augsburg): Empfindung
in unsern inneren Orga¬
nen 959.
— Ed.: *332.
Friedreich sehe Krankheit
767. *781.
Paraplcgie nach Tollwut¬
schutzimpfung 1080.
— L. R.: *833. *782.
— 0.: *780.
Müller-Kannberg: *1038.
Munk: Funktionen des Klein¬
hirns 214. *492.
Munson: *878.
Münsterberg: *788.
Murat: *332.
Muratoff: Nebennieren bei
periodischem Irresein 727.
Murphy: *781. !
Muskens: Fürsorge für Epilep- |
tische 986. {
Digitizeö by Google
Muskens: Exstirp. des Floccu-
lus 1030.
Muthmann: *879.
Mygind: *190.
Machsidow: *192.
Näoke: Ein Knabe als Predi¬
ger 80.
Verbrechen u. Homosexuali¬
tät 141.
Entartung der romanischen
Völker 285. *338.
„Crampus“ u. „Krampf“ 546.
Wadenkrämpfe im oriental.
Gebiete 792.
Familienmord 977.
Kontrastträume 1012.*1040.
Plötzl. Bekehrungen 1058.
(1082).
Nadedje: *332.
Nagelschmidt: Hochfrequenz¬
ströme 867. *1040.
Nageottc: Nervenregeneration
24. *780.
Naka: Erkrank, der Pyra¬
midenbahn 77. *189. *493.
Patb. Anat. der Paral. agit.
1060.
Nambu: *493.
Mult. Sklerose 803.
\ Lues cerebrospin. 812. *879.
| Hämangiom im Pons 1162.
! Narbut: *1038.
Nedwill: *332.
Negro: *190. *333. *494.
Kleinhirnlokalisation 571.
Abadieschea Symptom 765.
*781.
Neisser: *191. (378).
Erbliches Zittern 679. *880.
Hirnpunktion 915. (918).
Nepallek: CentraleTypose476.
Nerlich: *334.
Neter: *191.
Neu: *189. *1039.
v.Neumann: Lepra 75.
Neumann, E.: *1036.
— Max: Paralyse 34.
Otitische Facialisparcscn
461. (1137).
Neumark: *333.
Neurath: Angeb. Oculomoto¬
riuslähmung 475. *780.
*877.
Newmark: *334.
Ascendicrende Lähmung589.
Familiäre spast. Paraplegic
676
Mc Nieholl: *495.
Nickolauer: *1038.
NicolaYdcs: *780.
Nielsen: *493.
Nienhaus: *878.
Veronalvergiftung 900.
Niessl: (920). *1037. (1079).
Nikitin: Psychomotor. Centren
beim Schaf 70.
Gehirn u. Milchabsonderung
187.
Nissl: Hirnrindenschichtung
1142.
Nitzsche: Ohron. Manie 532.
Noack: Epilept. Schwachsinn
320.
Noica: *189. *332. *333.
Reflexe bei Hemiplegie 427.
Spastische Tetraplegie 578.
Taktile Aphasie 709. *781.
Knochenreflexe 851 u. 852.
Nolan: *192.
Noll: *1036.
Nolte: *784.
Nonne: Pseudosystemerkr. im
Rückenm. bei Ale. chron.
41. (85).
Mening. cerebrospin. 86.
Ponstumor 86. (92).
Primäre kombin. System-
erkrankung 144. *333.
Spast. Spinalparalyse 624.
(628). (738). (735). (774).
(961).
Differentialdiagn.des Tumor
cerebri 961.
Norris: *878.
v. Nottbaft: *880. *1040.
Nouet: Schwangerschaftsdelir
1146.
Oberndorfer: *780.
Oberndörffer: Hirnabsceß 175.
*189.
Stoffwechsel bei Akromega¬
lie 731.
Obersteincr: (475).
Oberwarth: Turraschädel 405.
*10QQ
Obraszoff:' *783.
O’Brien: *880.
O’Cdnnor: *189.
Oeconomakis: Marathonläufer
tu ihre Sehnenreflexe 498
u. 563.
Heterotopie des Nueleus
areuatus 1158.
Dementia praecox 1177.
Gehler: *1038.
Oesterreich: *191. *495. *783.
*879.
Oettinger: *334.
Offergeld: *338.
Retroflexio uteri u. Ischias
1125.
Ohanessian: *191.
Ohliuacher*. *189.
Ohm: Gastr. Krisen 29.
Liquor cerebrospin. 413.
Einseit. reflektor. Pupillen-
sfcarrc 852. *1038.
Olivier: *191.
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1196
Olivier: Hypothermie 1145.
Onufrowicz: Epilepsie u. Myo¬
pathie 314.
van Oordt: *496.
Seler. niult. ocl Lues cerebr.-
spin. 637 u. 1005.
Oppenheim(Freibnrg):Rücken-
mark bei Paralyse 1138.
— H.: Bornasche Krankheit
274. *332.
Nervenkrankheit n. Lektüre
358.
Kleinhi rnbriicken winkelge-
schwülste 536. (537).
Rackenmarkstnroor538.934.
(539). (615). *780. (918).
(961). (963).
Prognose derNervenkrankb.
968. *1037.
Sakrale Form der malt. Skle¬
rose 1106 u. 1130. (1130).
Oppert: *1038.
Orbison: *877.
Orr: *780.
Toxinwirkung aaf Hirn- n.
Rückenmarksnerven 932.
Orschansky: *334.
Ortali: *189.
v. Orzechowsky: Rückenmark
nach Amputation 574.
Kernteilungen in den Vorder-
hornzcllen 612.
Osann: *189.
Bulbärparalyse bei Lipomä-
tose 670.
Osborne: *334. *1036.
08chima: *781.
Osler: *780.
Ossig: *781.
Röntgenbild der Halswirbel¬
säule 1017.
Ovazza: *189.
Paderstein: *878.
Pagani: Pott sehe Krankheit
mit Kernigschem Zeichen
1023.
Pagano: *331.
Pal: Akromegalie 276.
Palägyi: Reaktionszeit 491.
Palmer: *189.
Pänczöl: *781.
Pändy: (481).
Gehirn mit lobärer Sklerose
482.
Luet. Psychosen 486. (487).
(488).
Frühzeit. Gehirndefekte 488.
Psychiatr. Seltenheiten 490.
Luet. Brown-Sequard-Läh-
mung 814.
Panella: *188.
Pankratz: (1149).
Pansier: Augensymptome bei
Paralyse 821. *1089.
Digitized by Gck igle
Pansini: *189.
Panski: Diplegia facialis 462.
Paoli: Blut bei Dem. praecox
913.
Papadia: *782.
Pappenheim: *494.
Paroxysmale Fieberzustände
bei Paralyse 828. *880.
Parant: *880.
Pardo: *788.
Parhon: *190.
Melancholie 231.
Chron.Trophödem 330. *832.
*782. *878.
Vaguskerne 894.
Riesenwuchs 1014.
Experimentelle Tetanie 1099.
Parrot: Angensymptome bei
Paralyse 822. *880.
Parry: *879.
Parsons: Encephalocele 668.
Famil. amaur. Idiotie 675.
*878.
Pascal: *885. *783.
Pastine: *190.
Pater: Diphther. Lähmung456.
Patrick: *878.
Patrizi: Physiologie des Klein¬
hirns 131.
Paul: Cerebrale Elemente der
Reflexe 850.
Paulesco: *878.
Pauli: *336.
Pawlowskaja: Psycb. Erkr.
nach polit. Ereign. 81.
Payr: *383.
Malum suboccipitale 1025.
Pazeller: Unblutige Nerven¬
dehnung 1127.
LaPegna:Lumbalpunktion bei
Geisteskranken 82. *335.
Peiser: *333.
Peixoto: *1039.
Pel: Myasthenie 424.
Pelletier: Mal perforant u. Pa¬
ralyse 39.
Pelnär: Raynaud 284.
Pelz: Epilepsie u. Dementia
paral. 14. *494. *495.
Period. Bewußtseinsstörung
nach Trauma 518.
Myotonie 678.
Penafiel: *1040.
Penta: *192.
Peritz: *334.
Neurasthen. Kopfschmerz.
358. *1088.
Neuralgie, Myalgie 1120.
Perkins: *877.
Perpöre: *496.
Perrero: *190.
Friedreich sehe Krankheit u.
Höredoataxie cöröb. 769.
Perrin-. Arthropathie bei Pa¬
ralyse 89.
Perroncito: *831.
Pershing: *878.
Perwuschin: Spondylitis tu-
berc. 829.
Petitjean: *783.
Perry: Akromegalie 276.
Perusini: *190.
Peters: Familienpflege 992.
Petersen-Börstel: Gasvergift
u. Geisteskrankh. 899.
Peterson: *1036.
Petit: *332.
Mult. Sklerose 806.
Petrazzani: *782.
Petrön: *335. *782.
Pexa: Encephalomyelitis 407.
*1039.
Peyri: *879.
Pfeifer: *493. (917).
Cysticercus cerebri 969.
Pfeiffer: *878.
Pfcrsdorff: Rededrang 634.
Manisch-depressiv. Irresein
1142.
Pfister: *332.
v. Pfungen: Kortikales Dann¬
centrum 453.
Piccard: *1038.
Pick, A.: Stat. Tremor 290.
*335.
Störungen motor. Funk¬
tionen 357. *493. *494.
Folgeerschein. von Krampf¬
anfällen 824.
Umschriebene Hirnatrophie
832 n. 990.
Konventionelle Fixierung <L
Kniephänomens 855. *877.
Asymbolie, Apraxie, Aphasie
934. (974). (976). (1149).
(1150).
Pickenbach: *1038.
Pieraccini: *188.
Pighini: *192. *495.
Blnt bei Dementia praecox
019
Pike: *881.
Künstl. Cirkulation n. Hirn¬
tätigkeit 895.
Pilcz: (238). (477).
Argyll-Robertson 853. (871).
*1038. *1040. (1108).
Piltz: Sensibilität bei Paralyse
287
Pineles: Tetaniestar 280. *494.
Kopfschmerz 1122.
Pinkhof: (980).
Pirie: *493.
v. Pirquet: Galv. Unters, am
Sängling 95.
Anod. Ü bererregb. der Säug¬
linge 468. *492.
Placzek: *1037.
Arachnitis adhaesiva cerebr.
1169.
Plantenga: *934.
Plant: *335.
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1197
Plaut: Serolog. Luesnachweis
762. *1039. *1040.
Plavec: *781.
Ophtbalmopleg.' Migräne
1122.
Plehn: *782.
Podeata: *191.
Seel. Erkr. in der Marine
725. *1040.
Poggio: *493.
Polimanti: *331.
Frontallappen 404. *492.
Pollack: *191.
Pollak: Entwicklungsanoma-
lien d. Centralnervensyst.
572.
Polland: Vasomotorencentrain
216. *494.
Pomeroy: *783. *879.
Pope: *877.
Popp: Veronal Vergiftung 901.
Porot: *332.
Spinale Syphilis 611.
Porter: *878.
PoschariBsky: *493.
Posey: *1037.
Posner: *880.
Potte: *1037.
Pötzl: (477).
Delirinm acutum 870. (871).
Atypische Paralyse 872.
Alexie 873. (1103).
Poynton: *191.
Famil. amaur. Idiotie 675.
Prandi: *781.
Preindlsberger*. *333.
Preiser: (48).
Prengowski: *381.
Luft- u.Wasser-Luftdouchen
420. *496.
Preobraschensky: Akute Ataxie
407.
Pretori: (975).
Prevost: Experimentelle Epi¬
lepsie 1031.
PriDce: s. Morton Prince.
Pringle: *780.
Probst: *335.
Prunier: *878.
Praschinin: *190.
Exstirp. des Gang. Gass. u.
Gesichtssensibil. 1124.
Purser: *780.
Puscarin: Amyotr. Lateralskier.
78. *189.
PiiBchmann: Kleinhirnbrücken-
winkelgescbwulst' 173.
Pussep: Nikotin n. Blutkreis¬
lauf im Gehirn 903.
Putnam: Kleinhirntumor 133.
*191.
Epilepsie u. Hysterie 315.
Hysterie 368 (932).
Landrysche Paralyse,939.
Neuritis mult. 939.
Myasthenie 989.
Digitizer! by Gougle
%uensel: Großhirnf&semng
402. (1137).
Zelldegeneration nach Hirn-
stammverletznng 1138.
Quosig: Tetanie intestinalen
Ursprungs 279.
Rabino witsch: *494.
Rachmaninow: *782.
Todesfälle bei Chorea 1065.
Rachmanow: Färbung der
Neurofibrillen 188.
Neurofibrillen u. chromato-
phile Substanz 895.
Racine: Analgesie d. Achilles¬
sehne bei Tabes 28.
Radmann: Chirurg. Beh. der
Cerebrospinalmening.978.
Raecke: Epilept. Irresein 321.
*782.
Forens. Bedeut, der malt.
Sklerose 807. *1038. *1039.
Raffisn: *783.
Muskelatrophie Charcot-
Marie 1071.
Raimann: (477). *879.
Melancholie mit Angriff auf
ein fremdes Leben 1103.
(1104). (1149).
Raimist: Hyster. Retentio uri-
nae 646.
v. Raisz: (482).
Ram6n yCajal: Traum. Degen,
der Achsencyl. 934.
Ranke: Gehirn luet. Neuge¬
borener 112 u. 157. *385.
(1141).
Foetale Erkrankungen 1142.
Ranschburg: (481). (488.) *495.
Ransom: *190.
Ranson: *188.
Ratner: Paralysis agitans 427.
Rattner: Basedow-Behandlung
201 .
Bornyval 420.
Rausohke: *190.
Ravaut: Hered. Syphilis 807.
Raviart: *192. *334.
Aphasie 717.
Augensymptome bei Para¬
lyse 822.
Rawlings: Meningomyelitis
78. *781.
Raymond: Syringobnlbie 72.
Syringomyelie 73u.74.*332.
Akute Encephalitis 407.
Heredität u. Apoplexie 408.
Dipbtber. Lähmung 456.
Plexuslähmung 464. *494.
Myasthenie 673. *780. *781.
Mult. Sklerose 803.
Chron. Rheumat. d. Wirbel¬
säule 1018. *1038. (1090).
Rayneau: Schwangerschafts¬
delir 1146.
Rebizzi: *188.
Redlich: *191. (240).
Gigantismus infantilis 277.
Ätiol. der Epilepsie 312.
Halbseitenerschein. bei Epi¬
lepsie 316.
Epilepsiebehandl. 322. (476).
(477). (478). (918).
Mangel d. Selbstwahrnehm,
des Defektes bei cerebral
bedingter Blindheit 919 u.
945. (921). (964).
Epilepsie mit Aphasie 1151.
Redmann: *1037.
van Reekom: (981).
Rlgis: Trauma n. Paralyse
85. *335.
Traumat. Neurose bei Ar-
terioskl. 621. *782. (1034).
(1085).
Jean- JacquesRousseau 1145.
Rehfisch: *188.
Rehm: Manisch-depress. Irre¬
sein 530.
Rehn: *333.
Reich: Alog. Aphasie 83.(235).
(236). (379). (471). (535).
(683). *779.
Chem. Bestandteile des Ner-
venmarks 1118.
Areflexie der Cornea bei
Stirnhirntumor 1133.
Reich, N.: Nervendehnung
1127.
Reichard: *780.
Reichardt: Gewicht d. Klein¬
hirns 180. *493. *879.
Reicher: Kinematographie in
d. Neurologie 496, 965 u.
977.
Reid: *385.
Nystagmus d. Bergleute 802.
Reik: *878.
Reimann: *493.
Cerebrospinalmeningitis
1174.
Reinke: *1036.
Reiss: Paranoide Symptome b.
Degenerierten 1143.
Reissert: *190.
Remak: (537).
Bleilähmung 899. *1038.
*1039.
Remond: *880.
Rdmont: *192.
Renaud: *493.
Rendu: *191.
Epilepsiebehandl ung 323.
van Renterghem: Psycho¬
therapie 986.
Rentoul: *192.
R4thi: *783.
Reuter: Ersatzmittel des Jod¬
kalium 816.
Revenstorf: *879.
Rhein: *832.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1198
Revesz: *1039.
Rhese: Innere Uhr nach Kopf¬
ersehtitterung 520.
Ribierre: Myosklerose bei
Greisen 1098.
Ribüt: *783.
Rieca: *783.
Ricci: *191.
Richard: *188.
Richardsou: *334. *494.
Richartz: Tetanie bei Magen-
er Weiterung 278.
Ridnik: *494.
Riebold: *332.
Seröse Meningitis 1170.
Riedel: *783.
Kopfschmerz 1121.
Rieländer: Mikrocephalus u.
Encephalocelc 801. *876.
Rietschel: Spasmus nntans
1061.
Riggs: *332. *780.
van Rijnberk: *781.
Tonus des Cerebellum 930.
Riklin: *335. *1039.
Rimbaud: *878.
Rinne: *191.
Operative Behandl. der Epi¬
lepsie 324.
Ris: *783.
Paralyse u. Syphilis 817.
Riva: *331. *781. *876.
Roasenda: *494.
Kleinbirnlokalisation 571.
*781.
Seltene Symptome der Para¬
lyse 823.
Roberte: *493.
Robert-, Babinski bei Paralyse
40. *335. *1038.
RobertSimon: *782.
Robertson: Paralyse 36. *880.
*1037.
liobin: Hyperchlorbydrie bei
Epilepsie 317.
Robinovitch: *492 *876. (1098).
Robinowitsch: Elektr. Strom
938 u. 1098.
Tod durch denselben 938.
Blutdruck bei der elektr.
Epilepsie 1098.
Robins: *877.
Robinson: *1039.
da Roeha: *192.
Mau.-depr. Irresein 915.
Rochard: *1039.
Rockwell: *784.
Rodhe: *333.
Atyp. mult. Sklerose 806.
Rodiet: *335.
Angensymptome bei Para¬
lyse 821.
Alkoholismus, Nikotinismus
u. Paralyse 905. *1039.
Rodriguez: Polyneurit. Psy¬
chose 457.
Roemhcld: *783.
Korsakowsche Symptomen-
komplex bei Hirnlues 810.
Roger: *878.
Rogers: *190.
Rohdc: Vererbungsproblem
972. *1039.
Rohleder: *783.
Rohn: *332.
Roith: *492. *780.
Uolet: *192. *335.
Rolleston: *190.
Rombach: Meningitis gonor¬
rhoica 1171.
Romberg: *190.
Neurasthenie 356.
v. Römer: Albada sehe Theorie
zur Erklär, psychol. Pro¬
bleme 943.
Richten des Geschtitzes 944.
Roncoroni: *188. *. 35. *779.
*782.
La Roque: *878.
Ros¬f: Diät bei Epilepsie
qoo
Rose: *190.
Rosenbach: *494.
Verstärkung des Kniephä-
noinens 856.
Rosenberg: *191.
Hcschlscbe Windungen 685.
Myatonia congenita 1067.
Rosenblath: *332.
Rosenfeld :Vasomotor. Neurose
634. *1037. *1089.
Serodiagnose 1140 (1141).
Rosenheck: *1038.
Rosenbeim: *1036.
Rosenstein: *333.
Rosenthal: *336. *781.
Rosenwasser: *1039.
Rossi: *335. *492. *493. *780.
*781.
Sehfonktion 801.
Durchschneidung hinterer
Wurzeln 849. *877. *87».
Fibrilläre Sahst, d. Nerven¬
zellen bei Geisteskranke
1012. *1037.
Kortik. motor. Centren 1094.
Rota: *335.
Rothinann: *833.
Hemiplegie 371. (539).
Ausfallserschein, nach Lä'
sion des Centralnerven
Systems 594. *876. (917),
Hintere Vierhügel 922.(923).
(961). (966). (968). (971).
(1079). (1131). (1132).
de Rothschild: Schilddrüsen
neurasthenic 329 n. 1099,
*1038.
Botstadt: Myasthenie 875.
Progr. Muskelatrophien
1068.
Roubier: *189.
Digitizetf by
Gck igle
I Ronbinowitsch: Maladie des
tics 1063.
Roug£: *496.
Rons: *781.
Rousset: Exhibitionismus 419.
Roussy: *1037.
Kortikale motor. Centren
1094.
Roux: *189.
Hintere Wurzeln 758.
Rovighi: *189.
Bows: *780.
Toxinewirkong auf Hin- o.
Rückenmarksnerven 932.
Roxo: *192.
Roy: Akromegalie 275.
Royer: *495.
Boyet: Nenrasth. n. Nasen-
rachenerkr. 1099.
Bngh: *190.
Rühlmann: (976).
Rumpf: *494.
Runclc: *784.
Bündle: *1037.
Bassel: *332. *494.
Buysch: (981). (982).
Irrenpflege 983. (984). (985).
Rybakoff: Cirkuläre Formen
der Paralyse 40.
Geisteskrank!!, u. polit Er¬
eignisse 139. *191. *334
» 879 .
van Rvnberk: *877. *878.
Rystedt: Solitärtuberkel im
Rückenmark 586. *781.
Sabatier: *1039.
Sachartschenko: Psych. Stör,
bei Myotonie 678.
Morpbiumabstinenz 902.
Sachs: *189. *332. *335. (476).
Muskeltransplant.b. Kinder¬
lähmung 670. *782.
Saenger: (42). (45).
Morb. Addison 85.
Neur. opt. retrobulbaris 85.
(88). (91). *332.
Stauungspapille bei Hirn¬
blutung 732.
Kleinhirnfunktion 733. (775).
(778).
Hypophysistumor 779. 939.
Juvenile Tabes oder Tabo-
paralyse 779. (920). (923).
(961). (964).
Herdsymptome bei diffusen
Hirnerkr. 964.
Saigo: Altersveränderung, der
Ganglienzellen im Hirn
1119.
Saiz: *496. *763.
Ätiologie der Manie 862.
| Plethysmograph. Unters,
bei affektiven Psychosen
868. *880.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1199
Saiz: Traumat. Rückenmarks-
blutnng bei Tabes 1110.
Sakelara: *338.
Sala: *191.
Salager: *1039.
Salajer: *192.
Salecker: Combin. Strangde¬
generation 589, *781.
Salgö: *192.
Seraelle Perversität 418.
Therapie des Alkoholismas
479. (482). (483). (487).
(488).
Salle: *189.
Aufsteig. Myelitis 577.
La Salle-Archambaalt: Asso¬
ciationsfasern 608.
Salmon: Hirnblutung b. Kind
409. *877.
Salomon: Hemiatropbia faciei
614 u. 846.
Saltykow: *1086.
S&mter: Operativ geheilte Ser-
ratuslähmung 382. *878.
Sand: Simulation 515.
Sander-. (83).
Sandner: *1040.
Sandri: *496.
Blut bei Dementia praecox
913.
Sanna Salaris: *495.
Sante de Sanctis: Dementia
praecox 181.
Geistige Schwächezust. 523.
Santini: *333.
Sarbö: (482). (490). *782.
Sarvonat: *878.
Sanvinean: *334.
Ptosis bei Hysterie 361.
Hysterische Mydriasis 362.
*494.
Savage: *783.
Savill: Neurasthenie 370. *494.
*878.
Scaffidi: *1036.
Searpini: *188.
Schäfer: *192.
Schaffer: *192.
Affekte 429. (483).
Infantile spast. Hemiplegie
483.
Famil. amaur. Idiotie 485 n.
674 n. 925.
Kopftetanas 487 a. 489.
Abnormes Bündel d.Khomb-
encephalon 738.
Otogener Hirnabsceß 1042.
Schaikewicz: Schmerzempfind¬
lichkeit der Gesichts¬
knochen bei Degeneranten
391.
Akinesia algera 741.
Sohaikewitsch: *191.
Schanz: *877.
Chirurg.-orthopäd. behan¬
delte Lähmungen 967.
Digitized by Gougle
' Schanz: Insufficientia verte-
i brae 1017. *1038.
I Scharling: *1036.
1 Scheel: *1039.
Schereschewsky: Serodiagnose
bei Lues, Tabes, Paral.
762. *1039.
Scheren: *781.
Schieferdecker: *188.
Schiff: Baynaud 284.
Schilling: Spondylitis 1024.
Schirbach *192.
Opium-Brombehandl. bei
Epilepsie 323.
Schlesinger: Schwachbegabte
Schulkinder 522.
Sprachstörungen derselben.
525.
— E.: *493. *495. *879.
— H.: *189.
BulbuBschwingungen bei
Lidschluß 242. (476).(478).
Blaseneruptionen an d. Haut
850. *877. *1037.
Paroxysmelle Tachykardie
1120.
Schloffer: *878.
Operation bei Hypophysis-
tumor 1016 u. 1017.
Schlöss: Geistige Defektzust.
.. 287. *495.
Ätiol. der psych. Defektzust.
521.
Schlösser: Alkoholeinspritzung
bei Neuralgien 422.
Schlubt *493. *1039.
Schmidt, A.: *877.
— C.: (924).
— Pr.: *878.
— H.: *877. *1038.
— J.: Eisenbahnkr.des Rindes
668 .
Schmidt-Rimpler: *332.
Schmiergeld: *878.
SchmolcK: *494.
Schmoller: *385.
Schneider: *495. *879.
Veronalvergiftung 900.
Schnitzer: *1039.
Schnyder: *782.
Hysterie 1089.
Schob: Path. Anat. der mult.
Sklerose 802. *1038.
Schoenborn: *877.
Scholz: Kretinengehirne 225.
*332. *1040.
Sohönhals: Neurasthenie u.
Hysterie bei den Arbeitern
356.
Schöppler-. *332.
Sohrameck: Augensymptome
bei Paralyse 822. *880.
Schreiber: *879.
Schröder, P.: *192. *782.
*878.
Arterioskler. Demenz 926.
Schröder, P.: Chron. Geistes¬
störungen durch Alkohol
931.
v. Schuckmann: Bildchenbe¬
nennungsmethode 725.
*788.
Schüle: (1137).
Schüller: Atyp.Verlaufsformen
der Tabes 26. (238). (239).
Keimdrüsen u. Centralorg.
bei Schwachsinn 240.
Halisterese der Schädel¬
knochen 478. *782.
Atyp. Paralyse 872. (921).
Sohädelröntgenographie963.
(964). (965).
Geistesstör, im Kindesalter
1151. (1103).
Schultz, J. H.: Blut bei Ner¬
ven- und Geisteskranken
911. *1037.
— W: *780.
Schnitze, E.: *495.
— F.: *877. *1038.
— Fr.: Neuralgien 421. (424).
Psych. Unterr. in Greifswald
469. *494. (631). *781.
*878.
— K.: *782.
— 0.: *878.
Schulze: Stupidität 686. i688).
Schunkow: *878.
Schupfer: *494.
Schuster: *334. (539).
Sensibilitätsleit. im Bücken¬
mark des Hundes 706.
(782).
Hypophysistumor 841.(963).
Antisyphilit.Behandl. in der
Anamnese 970. (971).
Dystrophia adiposo-genitalis
1152.
Schütte: *190.
Schütze: LaDdrysche Paralyse
nach Typhus 459.
Schuyter: Pädologie 943.
v. Schwab: *385. *1039.
Schwabe: *192.
Schwalbe, E.: Entwicklungs¬
stör. im Kleinhirn 132.
— J.: Chirurgie des prakl..
Arztes 81.
Therap. Technik 233.* 336.
Schwarz: *782.
Akute Ataxie 969. *1036.
Schweiger: Kleinhirnsklerose
132.
de Schweinitz: *332.
Schweizer: *1038.
Schwerdt: *878.
Sedziak: *494.
Seelig: (529).
Segale: *334.
Seggel: Thrombosinusitis 1176.
Seglas -. Petit mal 318. *494.
*784.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1200
Seglas-. Kataton. Symptome
bei Paralyse 824.
Segre: *783.
Beweg, während d. Schlafes
1060.
S4guin: *495.
ldiotiebehandl. 527.
Seiffer: *1040.
Forensische Psychiatrie
1178.
Seitz: *879. *1037.
Sönöchal: *1039.
Senet: Nyctophobie 366.
Senger: *332.
Serbsky: Mischformen 326.
Särieux: *783.
Paralyse 821.
Sezary: *495.
Shanahan: *878.
Epilepsie n. Akromegalie
1016. *1039.
Shaw: *783.
Psych. Prozesse b. Verbrech.
981
Shepherd: *190.
Sheppard: *781.
Sherren: ischiadicnsnaht 467.
*494.
Sherrington: *781.
Shimamnra: Katayauiakrank-
heit 405.
Shimer: *782.
Shoemaker: *336.
Show: *495.
Shukowski: Amyotr. Lateral¬
sklerose 79.
Shuttlewort: Pflegepersonal
980.
Sibelius: *190.
Sicard: Wirkung d. X-Strahlen
auf Hirn u. Rückenmark
1093.
Mening. cer.-spin. 1095.
Sidis; *879.
Siebeck: *780.
Siebold: Ätiologie d. Epilepsie
313.
Siefert: *335.
Siegel: *878.
Interkostalneuralgie 1125.
Siegert: Myxödem 224.
Siemens: Ärztl. Nachwuchs f.
Anstalten 474. *880.
Siemerling: Augcmnuskel-
lähmung 406. *782.
Sigerist: Inkomplette Formen
von Tabes 26.
Signorelli: *190.
Sigwart: *191.
Silbermann: *782.
Simon: Caries vertebralis bei
ankyl. Entz. der Wirbel¬
säule 579. *781.
Simpson: *331.
Sensible LeitungBbahn im
Rückenmark 571.
Sinclair: *332.
Sinkler: *333.
Sioli: Beobachtungsabteil, für
Jugendliche 528. (529).
*782.
Trinkerfürsorge 909.
Sippel: Mißbildete Knaben 674.
SitBen: *333.
Myasthenie 673.
Siövall: *781.
Skljar: Geisteskrankh. u. poli¬
tische Ereignisse 139.
Sklodowski: Basedow-Behand¬
lung 224.
Sleeswijk: Psycholog. Denken
940.
Sloan: *880.
Smitt: *880.
Smurthwaite: *335.
Snyder: *780.
Soca: Krückenlähmung 465.
Sokalsky: *496.
Akute Psychosen 1028.
Solley: *333.
Sollier: *783. *878.
Affekte 941. (1091). (1100).
v. Sölyom: Prozeßrechtliche
Fragen 186.
Somers: *190.
Somerville: *494.
Sommer: *189.
Geistesschwäche bei psycho¬
gener Neurose 367.
Mord u. Selbstmord 469.
Familienforschung 474.
*496.
Elektr. Eigenströme 535.
(535).
Diagnostik u. Therapie der
psych.u. nerv. Krankheiten
859. (942).
Vorgeschichte der Psycho¬
pathen 944. *1039. (1084).
Genealogie Göthes 1085.
Sommerville: Basedow 222.
Soprana: *1036.
Sorrentino: *189.
Souöek: Neuritis molt nach
Keuchhusten 456.
Soukhanoff: *335.
Hyster. Psychoneurosen
367. *494.
Morphiumabstinenz 902.
Souques: Motor. Aphasie 716.
Soury: *780.
Soutbard: *189.
Soutzo: *783. *784.
Spaet: *335.
Spearman: *835.
Specht: *879. *1040.
Spielmeyer: Pathologie der
Tabes 25. *333. *492.
Stützsubstanz des Central¬
nervensystems 512.
Schlafkrankh. u. Paralyse
529.
Spielmeyer: Experimentelle
Tabes bei Hunden 760.
Atoxyl bei Paralyse 825.
*880. *1040.
Dourine der Tiere'1141.
Spiller: Meningomyelitis 76.
*189. *190. *332. *494.
*495.
Myatonia congenita 508.
*877.
Mnskelatrophie Cbarcot-
Marie 1070.
Spirtow: Farbige Beleuchtung
u. Blutdruck 896.
Spitzka: Gehirn Powells 306.
Sresnewski: Kniereflex u.
Schreck 856.
Stadelmann: *334. *494. *782.
Erlebnis u. Psychose 924.
— E.: Akute mult. Sklerose
1001.
Stalberg: *877.
Starck: Hirngeschwülste 619.
Starlinger: Beschäftigungs¬
therapie bei Geisteskr.
289. *880.
Pflegerfrage 1101.
Stary: Tetanie bei Magen kr.
u. Typhus 279.
Stander: Epileptif. Krämpfe
bei Diabetes 817.
Stcherbak: *780.
Vibrationen u. Nervensystem
849. *877.
Stechow: *877.
Stein:. (481).
Störungen im Hörnerven¬
apparat 520. *1040.
Gehörshalluzination durch
Cerumenpfropf 1129.
Steiner: Verlauf der Paralyse
40.
Steinert: Muskelatrophie bei
supranukleär. Lähmungen
410. *780.
Störungen im okulomotor.
Apparat 976.
Steinhaus: *878.
Steinhausen: Hitsschlag 516
u. 977.
Mechanik des Zitterns 927.
Stemmermann: *783.
Stender: *495.
Sterling: *833.
Extramedulläre Bücken-
markstumoren 581.
Hirntumor 875.
Progr. Muskel- u. Knochen¬
erkrankung 939.
Stern: *831.
Pickscbes Bündel 478. *493.
— S.: Psyohognosie 513.
Endziele aller bewußten
Menschenarbeit 928.
Sternberg: Dynamometer 427
u. 503.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1201
Stertz: *189.
Tumoren der motor. Region
349 u. 393. *788.
Syphilit. Antikörper bei
Paralyse 818.
Steven: *189.
Stewart: *189. *331. *332.
Facialislähnmng 462.
Künstliche Cirknlation u.
Hirntätigkeit 895.
Steyerthal: TorticolLspasmod.
1061.
Sticker: (426).
Stieder: Uranismns 417.
Stier: Begutachtung akuter
Trunkenheitszuständel42.
(143). *495. *1039.
Stierlin: *1038.
Stiller: *876.
Stites: *334.
Stockmäns: (981)
Stoddart: *879.
Stoeltzner: *190.
Kindertetanie 278 u. 280.
Stoenesco: *495.
Sto'icesco: *190.
Stowell: *191.
Stradiotti: *494.
Straehelin: *780.
Stranginan: *878.
Stransky: *192. (239).
A.Tilkowskyf 288. (477).
*783.
Paralysefrage 820. (871).
Mediänus bei Paranoia 873.
(1102). (1103). (1104).
(1149). (1151).
Periph. Nerven bei Geistes¬
störungen 1152.
Strasburger: *190.
ßauchmuskellähmung 612.
Strasser: Hirnpräparation 70.
*784.
Physikal. Therapie 866.*878.
*880.
Strassmann: Familienmord
977.
Stratton: *189.
Strauss, M.: Rankenneurom
454. *878.
Sträussler: Kegcner.imRücken-
mark 240. (921).
Strobl: *335.
Strohmayer: Tabes auf erblich-
degenerativer Grundlage
754.
Strom inger: Knochenrefiex 851.
Strubell: *192.
Strümpell: *879.
Stscherbakow: Nervengang-
lien in der Gebärmutter¬
wand 165. *188.
Stucky: *335.
Stumpf: *331.
Stursberg: Extramedullärer
Tumor 584. *781. *1037.
Digitized by Google
i Stursberg: Sarkomatose der
Meningen 1169.
Suchanoff: *192.
Sndeek: Muskelatrophie 44.
*879.
Sussana: *188.
] Sutherland: *331. *788.
Sutter: Gynäkol. Erkrank, u.
Neurosen 418. *494.
Syme: *191.
Szigeti: (432).
! Takasu: Kleinhirnrinde 132.
Idiotie 524. *879.
Talbot: *495.
Tandler: *782.
Geckogehirn 1103.
j Tanon: Akromegalie u. Dia*
i betes 329.
1 Tasawa: *788.
; Taty: Verwirrtheit, Glukosurie
bei Achondroplasie 1146.
Taylor: Somnolentia 319. *494.
rottsche Krankheit 579.
Friedreich sehe Krankheit
769. *1037.
, Telegdy: (482).
. Telliffe: *1040.
Terrien: Nachahmung u.
Hysterie 359.
Phobien 366. (1090).
Terrier: *495. *879.
Tetzner: *334. *493.
Thalwitzer: *191.
Epileptiker als Autofahrer
321.
Thayer: *384.
Chorea 1065.
Theobald: *496.
Thövenet: *189.
Thiele: Senile Atrophie der
Augenmuskeln 460.
Thiemich: Eklampt. Säuglinge
94.
Thierfelder: *188.
Thies: Tabes u. Gravidität 27.
Thomalla: *190.
Thomas: *494. *781. *878.
(1094). (1096).
Migräne u. Hemianopsie
1122 .
Thomayer: *1038.
Thompson: *332. *338.
Gefühlsempfindungsbahnen
705. *781.
Thomson: *189. *780. *1087.
i Thorei: *781.
Thrap-Meyer: Basedow 222.
Thurscb: *192.
Tiberti: *384.
Tiedemann: *190.
Lues cerebrospin. 812. *879.
Tigges: *783.
Tilipkicvitz: *877.
Tillgrcn: *780.
Tillisch: *879.
Tilmann: *782.
Tilney: Myasthenie 613. *781.
Timme: *1087.
Timpano: Neurasthenie 358.
, Phobie 366. *494.
j Tinkelmann: t^uerulator.
Psychosen 542.
Tintemann: *1040.
Többen: Chorea 1064.
Tobias: Physikal. Behandl. d.
Tabes 765. *781.
! Tobler: Lymphocytose bei kon-
genit. Syphilis 807. *1039.
Myatonia congenita 1068.
Todde: *191.
Isolyse bei Hysterie u. Epi¬
lepsie 316.
Tokuoka: Schuß Verletzung
periph. Nerven 467.
Tomaschny: Alkoholversuche
bei zweifelhaften Geistes¬
zuständen 182. *191.
Tombinson: *335.
Tomellini: *880.
Tommasi: *783.
v. Torday: Basedow-Behand¬
lung 224. *333.
Törne: Hyster. Aphonie 363.
Török: Analyse des Juckens
484. *1036.
Torrington: Syringomyelie mit
Neur. opt 74.
Töth: *782.
Tournay: Idiotie 524.
Tovo: *335.
Towbin: *494.
Trendelenburg: Durchschnei-
düng hinterer Wurzeln
bei Vögeln 23 u. 758.
Pupillencentren in der Med.
oblong. 631. *1037.
Trepsat: Fußödem bei Imbe¬
zillen 526.
Trinkler: Hydrocephalus in¬
ternus 1176.
Trolard: Fascia dentata 69.
*188.
Trömner: *191.
Senile Abasie 735. (772).
Abasie 772. (775). (777).
Poliomyelitis nach Vaccina-
tion 778.
Hypnotherapie 923.
Truelle: *1040.
Tschagowez: Gal van. Wechsel-
: ström 271.
{ v. Tschermak: *1036.
Tschisch: Geisteskrankh. bei
Prostituierten 825.
Tsuchida: *331.
Tsumoda: Katayama-Krank-
heit 405.
Tuoker: *877.
Tuckett: Ganglion supremum
des Sympathicus 282.
iralfram
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1202
Tuczek: Idiotenforschung 527.
Türkei: (1149). (1150).
Turner: *494.
Epilepsie 730.
Tarnowsky: Kontraktur nach
Ablaktation 1062.
Tuscbida: *188.
Ilbertis: *332.
Uchermann: *877.
Uexküll: *780.
Ugolotti: Infantile Cerebro¬
plegie 188. *188.
TJblich: *336.
UhthoiF: Hirnainusthrombose
974.
Hypophysisaffektion 1015.
Ultz: *1040.
Umber: Neurofibromatose 89.
Unger: *332.
Epitbelgeschwülste der
A'iergeflechte des Hirns
453
Unna: *878.
Upson: *335.
Urban: *333. *495.
Urbantschitsch: *191.
Refiexepilepsie 311.
Urdchö: ExperimentelleTetanie
1099.
Urquhart: *783.
Urstein: *191.
Uspenski: *1040.
Vagedes: *1037.
van Valkenburg: *1038.
Vargas: Pottscne Krankheit
1023.
Variot: *332. *493.
Vaschide: *191.
Brom 323.
Psychologie bei Aphasie
709. *877.
Vasiliu: *1038. r ,
de Vecchi: *780. °" <ö
Veillard: Mult. Sklerose' 1 $f>.
v. d. Velden: *188. *496/.
Bromural 865. ? ' '
Veraguth: Objekt. Nachweis
von Hyperästhesien u. rin-
ästhesien 426.
Psychogalvan. Refiexphäno-
rnen 850 u. 969. *877.
di Verce: *783.
v. Vcrebely: *782.
Verger: Tabes u. Schanker 26.
*1038.
Vermes: Basedow 222.
Vernet: *1037.
Versal *781.
Vestberg: Psychosen in einer
Familie 679.
Vetlesen: *784.
v. Vietingboff-Schcel: *191.
Digitized by Google
Vilanova: *780.
Vinaj: *1040.
Vincent: Funktion der Schild¬
drüse 214.
Vitali: *1040.
van Vleuten: Apraxie 234.
*832. *1037.
Vocke-Eglfing: *495. *880.
Vogt.H.: Famil. Mikrocepbalie
70. *189. *192. *335.
Epilepsie 471. (472). *1040.
Mongolismus 1073.
- (Berlin): (1182). (1183).
Voisin, R.: *191.,
Neuronophagie 310. *331.
*493.
— J. n. R.: Epilepsiebehand¬
lung 323.
Voivenef: *880.
Volland: *191.
Geburtsstörungen u. Epilep¬
sie 818.
Volpi-Ghirardini: *877.
Völsch: *331. *876.
Vorberg: Paralyse u. Syphilis
34.
Vorhees: *878.
Vorkastner: Operation bei
Jacksonscner Epilepsie
174.
Kombination hyster. u. or¬
ganischer Symptome 380.
Vasoinot. Neurasthenie 684.
Vorschütz: *879.
Voss: *332.
v. Voss: *190.
de Vries: *495.
Wachsmuth: *880.
Wagner: *1040.
v. Wagner: *190.
Behandl. des endem. Kreti¬
nismus 227.
Mariner Kretinismus 226.
(238). (240).
Kretin. Hund 475. (476).
(478). *494. *783. (871).
U nzurechnn ngsfähigkeits-
paragraph 872 u. 1147.
.. (U01).
A rzteaustausch 1102. (1103).
(1149). (1150). (1151).
Waldenburg: (944).
Walker: *783.
Wall: *780.
Wallenberg: *1036.
Walton: Operation bei Hirn¬
tumoren 174. *332. *333.
*335.
Schädelbasisbruch 519.
Famil Atrophie von peron.
Typus 674.
Cerebr. Element der Reflexe
850. *1039.
Wandel: *333.
! Wandel: Störungen im Gebiet
1 des N. medianus 466.
I Wanke: *335.
Heilung der Neuraathenie
| 1084.
j Warncke: Med. oblong'. 968.
*1036.
' Warrington: *333.
I Wassermann, M.: Serum-
I diagnostik bei Lues 818.
Wassermann: *385. *1039.
Meningokokken-Heilserum
1174.
Wassermeyer: Pupillen bei
Geisteskranken 914.*1039.
Waterman: Kleinhirntnmor
133.
Epilepsie u. Hysterie 315.
Watermann: *334.
Waterston: *498.
Watson: *780.
Wayenburg: (933).
Webb: *494.
Weber: Hirntumoren 170.
— E.: *1036.
— Ernst: *188. *331.
Gefäßerweiternde u. ver¬
engernde Nerven für das
Hirn 1010. *1036.
— L. W.: *332. *335. *495.
*781.
Argyll-Robertson 854.
Diagnostik 899. *1037.
Hydrocephalus internus
1175.
Wedenski: Psych. Störungen
bei Myotonie 678.
Wegelin: *333.
Akute mult. Sklerose 806.
Wehrli: Rindenblindheit 723.
Weidanz: *495.
Weigert, R.: Kalkgehalt des
Gehirns 404.
Weiler: Arbeitssohreiber bei
Unfallkranken 529.
Weinberg: *188. *493.
„Doppelbildungen“ am Ge¬
hirn 570.
Weisenburg: *188. *832. *780.
Sensibilitatslokalisat. in der
Hirnrinde 1010.
Weiss: *192. *1038.
Exstirp. des Gangl. Gassen
1124.
Weissenburg-. Syringomyelie
mit Neur. opt. 74.
Kontrakturen 77.
Wendenburg: *334.
Werner: *192. *496.
Wernich: *782.
Wertheim Salomonson: Elek-
trodiagramm 933.
Westenhoeffer: *189.
Westermann: *1037. *1039.
Westboff: *385.
Westphal: *496.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1203
Westphal: Pupillenstarre bei
Hysterie 855.
Akromegalie 1015. *1088.
van Westrienen: *189.
Wette: *495.
Weygandt: *495.
Schwachsinnige Schulkinder
525.
Amnestische Aphasie 616.
(629).
CerebrospinalflÜBsigkeit bei
Tabes 762. *783.
White: *784.
Wholey: *494.
Wicart: *877.
Wickel: Neuronal 866. *1040.
Wickraan: Akute Poliomyelitis
612. *781.
Widal: Akromegalie 275.
Wiebrecht :Tetaniebehandlung
281. *334. *1038.
Wieland: *879.
Angeborener partieller
Riesenwuchs 1069.
Wiersma: *191. *783.
Wiesel: (478).
Wiesinger: Sarkom der Dura
42.
Wigand: Fehlen der Patellar-
refleie bei Hysterie 293.
*879.
Wiki: Cerebrale Agenesie 1094.
Wilbrand: *332.
Wilbrandt: *1037.
Wiljamowski: *879.
Wille: *784.
Williams: *1037.
Williamson: Degeneration der
hinteren Wurzeln 25.*781.
*879. *1037. *1038.
Wilm: *496.
Wilmanns: *1040.
Gefängnispsychosen 1086.
Wilms: Lumballähmung bei
hyster. Kontrakturen 421.
Wilson: *493. *780. *1039.
Cerebrospinalmeningitis
1174.
Wimmer: *332. *493.
Traumat. Spätapoplexie 517.
*783.
Syphilit. Spinalparalyse 814.
*877. *879.
Windscheid: Unfallneurosen
626. *783.
Winkler: Labyrinth* Tonus930.
Winocouroff: *879. *1037.
*1089.
Dystr. musc. progr. famil.
1070.
Winternitz: *1040.
Winterstein: *188.
Wintersteiner: (476). (478).
Augenspiegelbefunde bei
Psychosen 1103.
Witasek: *495.
Witry: *334.
Witte: Akromegalie 276.
Witthauer: *496.
Wittmaack: *333.
Wohlberg: *192.
Wolfe: *1040.
Wolff: Psychiatr. aus Syrien
533.
— M.: Hypophysensarkom
beim Pferd 1013.
Wolfrum: (975).
Wolfsohn: *1040.
Heredität bei Dem. praecox
1074.
Wolfstein: Vagusursprünge
403. *779.
Wollenberg: (1137).
Wollenweber: *493.
Woltär: Fugues 320. *494.
Woode: *1038.
Woods: *333. *495.
▼. Wosinski: Anstaltsbeh. der
Epileptiker 324. (432).
*494.
Wulffen: Schillers Bäuber u.
Ibsens Nora 273. *335.
Wyler: *192.
Wyllie: *493.
Wynaendts-Francken, Träume
bei Männern u. Frauen 94
Wynter: *782.
Yagita: Seitenstrangkern 12
*331. *780. *1036.
Yanniris: Paralyse u. Alkohol¬
psychose in Griechenland
1146.
Yoshikawa: *334.
Idiotie mit Erweichungsherd
in den Centralganglien
414.
Toshimotoi *832. *333. *834.
Zabriski: *780.
Zacharias: *493.
Geburt bei Tabes 765.
Zalplachta: *496.
Dementia praecox 609.
Zalplacta: *782.
Riesenwuchs 1014.
Zanietowski: Kondensator¬
methode 467.
Zanon: *495.
Zbinden: *835.
Nervosität 355.
Zenner: *782.
Zerner: Hyster. Erschein, iin
Sekundärstad, der Syphilis
809.
Zickel: Elektrotherapie 41.
Ziehen: Hirntumor u. Hirn¬
thrombose 171.*189. *191.
(374). (379).
Facialislähmung 460. *495.
(537).
Zum Andenken an E. Mendel
642 u. 731. (686). (687).
(731).
Untersuchung des Intellektes
989.
Wahnvorstellungen 1072.
Ziemssen: Heilung der Ischias
976.
Zimmer: *1038.
Zingerle: *192.
' Kretinengehirne 225.
Zipkin: *189.
Ziveri: *877. *879.
Zöllner: Hypophysentumor
1143.
Zörnlaib: VeronalVergiftung
900.
Tuckerkandl: Übergangs¬
windungen 124. *385.
r: *878.
>k: *189. *332.
rdemaker: *1036.
* r: *494.
Z\. litzky: *188.
1 . ärmeregulierung durch
die Hautgefäße 453.
in. Sachregister.
(Die mit * bezeichnten Zahlen bedeuten: Literaturverzeichnis.)
Abadiesches Symptom bei Ta¬
bes 28 u. 765.
Abasie 772. 773. 774. 775. —
senile 735.
Digitized b>'
Gougle
Abnormes Bündel des Rhomb-
encephalon 738.
Abort, künstl. bei psychischer
Krankheit 1136. 1137.
Abstinenzbewegung 481. 482.
Achillesreflexe, Untersuch, der¬
selben 856. — Fehlen der¬
selben 972 u. 1052.
"6* Original frem
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1204
Achillessehne, Analgesie 28 n.
765.
Achondroplasie, Verwirrtheit
u. Glycosnrie dabei 1146.
Achsencylinder, traumatische
Degeneration derselben 984.
Acusticuskerne 475.
Addison sehe Krankheit 85.
Adipös, dolor. *495.
Affekte 429. — bei Paranoia
938. — Lange-James sehe
Theorie derselben 941.
Affektepilepsie 471.
Affektivität 1029.
Agenesie cerebrale 1094.
Agnosie 708. 709.
Agrammatismus 718.
Agraphie *189. 717. 723. —
u. Apraxie 789. — nach
Trauma 882.
Akinesia algera 741.
Akranie *332.
Akromegalie *190. *494. *782.
275 (2). 276 (2). 1015 (2).
— Stoffwechsel dabei 731.
— und Myxödem 1015. —
und Epilepsie 1016. — ohne
Riesenwuchs 1016. — mit
Infantilismus 276. — und
Diabetes 329.
Alexie *877. 728. 873. — nach
Trauma 882.
Alkohol u. Blutkreislauf 903.
— u. Nervenkrankheiten 903.
— u. Paralyse 905.
Alkoholismus *191. *334. *495.
*782. *879. *1039. 531. 681.
— s. auch Delir, tremens.
— akuter, cf. Trunkenheit.
— chron. Pugues dabei
861. — im Orient 904. —
u. progr. Paralyse 905. —-
Rückenmarkserkrankung 41.
— in Griechenland 1146. —
forensisch 236. 491.909.
— Therapie 479. 491. —
famil. Fürsorgepflege 909.—
Trinkerfürsorge bei Frank¬
furt 909.
Alkoholparalyse 906.
Alkoholpsychoseu 905. 930. —
atypische 906. — transitor.
906. — paranoide 907.
Alkohnlversuche als diagnost.
Hilfsmittel 182.
Allochirie 939.
Alogie 234.
AlterBveränder. der Hirnrinde
475. — der Ganglienzellen
des Hirns 1119.
Amaurose, hysterische 362.
Amnesie, retrograle 490.
Amnestische Aphasie siehe
Aphasie.
Anatomie des Nervensystems
800 .
Digitized by Gougle
Angstpsychosen 366. — und I
Diabetes 1082. (
Anidrosis, cf. Schweißanomal. 1
Ankylos. Entz. der Wirbel- j
säule, cf. Spondyl. rhizom. |
Anschuldigung, patholog.
1178.
Anstalten s. Irrenanstalten.
Antipathien bei Degenerierten
325.
Antisyphil. Behandl. in Anam
nese der metasyphil. Er¬
krankten 970.
Antithyreoidin (Möbius) 201.
222. 223 (2). 224 (2).
Aphasie *189. *332. *493. *780.
*877. *1037. 409 (2). 424.
478. 606. 710. 711. 713.714.
715. 716. 717. 934.935. 937.
1093. — Psychologie dabei
709. — Geschichtliches 711.
— alogische 83. — am¬
nestische 321. 616. 717.719.
1044. 1049. — motorische
409. 715 (2). 716 (3). 717.
719. — subkortikale 710.
— transkortikale 719. —
sensorische 143. 457. 717.
723. 969 (2). — taktile 708.
709 (3). — u. Epilepsie 1151.
Aphasiebehandl. 424.
Aphonie, hysterische 363.
Apoplexie *382. *498. *1087,
cf. Hemiplegie, Hämorrhag.
cerebr.
Apraxie, einseitige motorische
*493. *877. *1087. 234. 371.
478. 606. 721. 934. 935. -
des Lidschlusses 720. —
ideatorische .720. — korti¬
kale 721. — u. Agraphie
789.
Arachnitis adhaes. cerebr.
1169.
Arachnoiditis spin. 424.
Areflexie der Cornea und |
Stirnhirntumor 1133.
Argyll-Robertson, prognost.Be¬
deutung 853. 854. — und
Trauma 518. 521.
Arteriosklerose des Central
nerv. *493. — des Rücken- \
j marke *493. — und Hirn- j
' erkrankungen 728. — und |
1 Geistesstörung 729.
1 Arteriosklerot. Demenz, Hirn¬
rinde dabei 926.
Arthropathie bei Tabes, Vorder-
.. hörner hierbei 1097.
: Ärztcaustausch zwischen Kli-
I niken u. Anstalten 1102.
I Assoziation gegensätzlich. Be¬
griffe 943.
i Assoziationsfasern 608.
i Assoziationsfeld, hinteres von
Flechsig 308.
Assoziationsrersncbe * 1039
543.
Asyle in großen Städten 982.
Asymbolie 83. 709. 934. 935.
937.
Ataxie 1081. — in Kindheit
135. — oerebellare 131. 135.
— akute 407. 969. — ba
Tabes 971. — typische Form
atakt. Gebstörung 1081.
Athetose 1062.
Athetosis duplex 137.
Aufbrauchtheorie *876. 637.
Aufrechter Gang 897.
Auge, Neurologie *332.
Augenbewegungen *331.
Augenmuskeln, cf. Deviation,
konjugierte 976. — senik
Atrophie derselben 460.
Augenmuskellähmung, path.
Anat derselben 406. — uu4
Hirnlokalisation 976.
Ausfallserscheinungen nach Lä¬
sionen des Centralnerveo-
Systems 594.
Auskultation 1078.
Autoanästhesie 945.
Avellisches Syndrom 72.
Aussage, Psychologie den. 525.
Automatische Bewegung. 724.
Babiuski scher Reflex 40.144.
859 (2). — im Schlaf 857.
— u. peripherische Fakto¬
ren 858.
Balken, Agenesie 134. — Funk¬
tion 238. — Tumor 947.
Basedowsche Krankheit *190.
*338. *494. *782. *878. *1038.
217. 218. 220. 221. — Ei-
ophthalmus 219. — Hals¬
rippen 217. — Herzneurose
223. — bei Eheleuten 217.
— a. Sklerodomie 217. 218.
— und Psychose 221. —
Therapie 201. 222 (Sk
223 (3). 224 (4).
Banchmuskellähmung 612.
Begreifen und Hören 940.
Bekehrungen, plötsliche 1058.
1059.
Beleuchtung, farbige ul. Blut¬
druck 896.
Bellsches Phänomen 248. 537.
v. Bergmann, Ernst t 336.
Beri-Beri *190. *484. *782.
*878. *1038. 457. 458. —
Path. Aust. 979.
Beruf u- Scbädeliuaße 1058.
Beschäftigungstherapie bei ab¬
normen Kindern 591.
Beschälkrankheit 573.
Besessenheit 92.
Bewegungscentren s. motor.
Centren.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1205
Bezold • Edelmann Bebe Ton¬
reihe 965.
Bildchenbenennnngsmethodc
725.
Bildang als prädisponierende
Ursache für Nervenaffektio-
nen 929.
Blasencentrnm 1180.
Blasenernptionen bei central.
Affekt, des Nervensyst. 850.
BlasenstörungeD, juvenile
1180 .
Bleilähmung *1039. 638. 899.
Blindheit, Mangel der Selbst¬
wahrnehm. des Defektes bei
cerebral bedingter 919u. 945.
Blut bei Nerven- u. Geistes¬
kranken 911. — bei Demen¬
tia praecox 913 (2).
Blutgefäße, Syphilis 1U. —
u. vasomotor. Neurosen 633.
Blutserum bei Epileptikern 315.
816 (3).
Blutsverwandtschaft237.1026.
Borna sehe Krankheit 274.
Bornyval *496. 420.
Brom 822. 323 (2).
Bromopan 322.
Bromural 865.
Brown-Seqaardscher Sympto-
menkomplex 383. 814.
Bulbärparalyse *189. *332.
*781. — cf. Medulla oblong.,
Myasthenie, Pseudobulbär¬
paralyse. — bei Lipomatosc
670.
Bulbus olfact *492.
Bnlbnssehwingungen als Mit-
bewegung 242.
Carotis, Aneurysma arterio-
▼enosum 381. — Ligatur
381
CaudaaffektioD *190. — The¬
rapie derselben 960. 961.
Cenestopathien 1145.
Centralkanal, Ban desselben
166. — Verdoppelung des¬
selben 572.
Centralnervensystem, Konti¬
nuitätslehre 118. — Funk¬
tionen desselben 1165. —
Hemmungen unter Wirkung
des galvanischen Wechsel¬
stroms 271. — Variabilität
u. Vererbung 167.
Centralwindungen, Erregbar¬
keit derselben 917.
Charaktere, Klassifikation der¬
selben 944.
Chiasma, Cystofibrom 173.
Chirurgie der Gehirnkrankh.
ausschl. der Gescb w ülste 916.
Chorea *191.*334. *782. *1039.
1065. — u. Gelenkrheumat.
Difitized by Gck igle
1064. — xl Tic 1064. —
Pathogenese derselben 1C64.
— maniakalischo 1065. —
Todesfälle’ bei Chorea 1065.
— Chorea gravidarum 1066.
— Huntington sehe 1066(2).
— electrica beim Lamm
1063. — Skopolamin dabei
330.
Chromatophile Substanz 895.
Cirkuläres Irresein, Ätiol. des
selben 862.
Consanguinität 237. 1026.
Contrakturen *333. 77. — bei
Erkrankung der Pyramiden¬
bahn 76. — Therapie 138.
Conus medull., hintere Wur¬
zeln desselben 386.
Corpora amylacea 979.
Coimora quadrigemina, deviirt.
Coojugation 132.
Corpus callosum, cf. Balken,
restiforme 124.
I „Crarapus“ 546.
Creosotum phosphorienm, Neu¬
ritis dadurch 60.
Cysticcrken im Hirn 541. 590.
969.
Cytodia^nose, cf. Liqu. cere¬
brospinalis.
Dämmerzustand, hyst. 870.
Darmcentrum, kortikales 458.
Dauerbäder 1084.
Defektzustände, psych. 521.
Degeneration 1129.
Degeneration, sekundäre 898.
1138.
492. 679. 687. 1177. — Blut
dabei913(2).— in Syrien 533.
— u. sexuelle Jugendtrau¬
men 584. — Fugues dabei
861. — u. Syphilis 871. —
Heredität 1074. — Patbol.
Anat. 609. — Hyperhidrose
1146.
Dementia senilis, Fugues da¬
bei 861.
Denken, psychologisches 940.
Dorcumsche Krankheit *335.
Deviation, konjugierte, der
Augenmuskeln 132.
Diabetes u. Akromegalie 329.
— u. Angstpsychose 1082.
Diagnostik psych. u. nervöser
Krankh. 859. — der Nerveu-
krankh. 899.
Diaschisis 597.
Diphtherie. Veränder. dabei 707.
Diplopie 1144.
Dipsomanie 908. — n. Trauma
518.
Doppelbilder 1144.
„Doppelbildungen“ am Gehirn
570.
Doppelmotor im Gehirn 690.
Dourine 573. 1141.
Dura mater, cerebrale, Sarkom
derselben 42.
Dynamometer 427. 503.
Dysenterie in Anstalten 1076.
Dysmegalopsie, hyster. 237.
238.
Dystroph, adiposo - genitalis
997. 1152.
Degenerationspsychosen 1127.
1129.
Degenerierte, paranoide Sym-
ptomenkompl. bei ihnen
1143. — Antipathie bei
diesen 325. — Schmerz-
empfindl. der Gesichtsknoch.
bei ihnen 391. — Parästhe-
sien 1145.
Delirium und Psychasthenie
1146. — Schwangerschafts¬
delir. 1146. — acutum *496.
870. — u. Meningoencephal.
1169.— hallucin. bei Tetanie
| 146. — Pseudodelirium trem.
489. — tremens, u. Selbst¬
verstümmelung 908. — und
Kantharidennephritis 1146.
— Mortalität u. Behandl.
776. — Behandl. desselben
*1039. 908 (2).
j Dementia 286. — arterioskle-
! rotica 926.
| Dementia paralytica, cf. Pa-
ralys. progr.
Dementia praecox *496. *783.
*880. *1040. 141. 178. 181.
Kisenbahnkrankheit des Rin¬
des 668.
Elektrizität, cf. Galvanischer
Wechselstrom.
Elektrische Eigenströme im
Körper 535.
Elektrische Gesundheitsschäd.
am Telephon 516.
Elektrischer Starkstrom und
progr. Paralyse 36. — und
Gefiihllosigkeit 938. — und
Tod 938. 1098.
Elektrodiagnostik 467. — im
Säuglingsalter 95. 468. —
bei geheiltem Tetanus 330.
Elektrodiagramm 933.
Elektrokution 938. 1098.
Elektromedizin. Apparat 866.
Elektrotherapie *1040. 41.
Elcphas indicus, Ccntralncr-
vensystem 1165.
Empfindungen in unseren in¬
neren Organen 959.
Encephalitis acuta *493. *780.
407.
Encephalocele *332. *876. 668.
801.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1206
Encepbalomyelitis 407 (2).
Entartung der romanischen
Völker 285.
Entweichungen Geisteskranker
286.
Entwicklung des Centralnerv.
bei Vertebraten 989.
Enuresis 1180.
Epilepsie *191. *884. *494.
*782. *878. *1039. 471. 780.
cf Petit mal, Stat. epilept. —
experimentelle 1031.1098(2).
— olektr. 1098. — Babinski-
scher Reflex 321. — Halb¬
seitenerscheinungen 316. —
Herderscheinungen 988. —
und Migräne 314. — und
Aphasie 1151. — u. Chorea
electrica 317. — u. Paralys.
progr. 14. 662. — famil.
epil. Idiotie 1142. — und
Myopathie 312. 314. — u.
Akromegalie 1016. — und
Hysterie 315. — u. Tetanie
476. — Autofahren 821. —
Poriomanie 319. — Blut¬
druck, Puls, Temperatur
816. — Blut 912. - Blut¬
serum 315. 316. — Isolyse
316. — Witterungseinfluß
316. — Hyperchlorhydrie
317. — Trauine 818. — u.
Läsion des Vestibularappar.
478. — u. Psychose 321.
477. — u. Aphasie 321.
— Mörder 321. 322. - u.
Perseveration 321. — Sta¬
tus beiniepilepticus 349. —
Ätiologie 312. 313. 471.
— durch Reflex 311 (3). —
Aufhören der Menses 317.
— Gravidität 817. — Ge¬
burtsstörungen 318. —
Path. Anatomie 470. 471.
472. — Neurokokken 315.
— Blutungen der Pia cere-
bralis 330. — Diagnose
u. Hysterie 315. 365. 471.
1099. — Therapie 322
(2). 323. 730. — Diät 322.
— Brom 322. 323 (3).
— Flechsig sehe Methode
323. — Proponal 324. —
Anstaltsbehandlung 324.
— Operative Behandlung
322. 324. 325. — Fürsorge
986.
Kpilepsia tarda 490.
Epilcptiforme Krämpfe u. Di¬
abetes mellitus 317.
Erbrechen, periodisches und
Acctonurie 364.
Erlebnis und Psychose 924.
Erythromelalgie 285.
Eunuehisraus 418.
Exhibitionismus 419. — Kri¬
minalbiolog. Bedeutung des¬
selben 978.
Exophthalmus pulsans 381.
Facialis, Ursprungskern des¬
selben 1119.
Faoialiskrampf *190.
Facialislähmung *190. *333.
*877. *1038. — aberrierende
Bündel 381. — peripher, n.
hyster. 460. — otitische 461.
— Tränenfließen bei VII-
Lähm. 461. — nach Geburt
461. — Hemispasmus nach
Lähmung 461. — doppel¬
seitige 462. — Kontraktur
nach Lähmung 855. — Be-
handl. 462 (3).
Familiäre Krankheiten *191.
♦334. *495. *783. *1039. 679.
cf. Friedreich sehe Krank¬
heit usw. — Famil. jnven.
ranit. Sklerose 1139. —
Kleinhirnataxie 675. — An¬
kylose der Fingergelenke674.
— Muskelatrophie von pe-
ronealera Typus 674. —
progress. Muskelatr. 676. —
spast. Paraplegie 676 und
1097. — ffystagmus 679.
— Zittern 679
Famil. amanr. Idiotie *879.
*1039.427.485. 674. 675 (2).
676. 925.
Familiale Irrenpflege *496.
429. 909. 983. 984. 992.
Familienforschung u. Psychia¬
trie 474. 469.
Farnilienmord 977 (2).
Färbenjethoden *1086. 188.
632. 894.
Farbensinn bei Herderkrank.
im Gehirn 938.
Farbige Beleuchtung u. Blut¬
druck 896.
Fascia dentata 69.
Faßciculus longit inf. 608. —
optic. centr. 608.
Fascic. solitarius 1119.
Faserung des Großhirns 402.
Fibrillogenie 338. 511.
Flechsig sehe Methode der Epi-
lepsiebehandlung 323.
Flocculus-ExBtirpat. 1030.
Folie ä deux 1028.
Forensische Psychiatrie *191.
*192. *335. *496. *784. *880.
*1040. 183. 186. 320. 367.
368. — Homosexualität 141,
— Alkoholismus 236. —
Alcoholismus acutus 142. —
Epilepsie 321. 322.
Freiluftbehandlung 984. 985.
Freudsche Theorie 933. 938.
953.
Friedreich sehe Krankh. *190.
*493. *781. 30. 31 (2). 371.
— patholog. Anatomie 76*.
768. 769. — Pathologie 767
— mit Opticusatrophie 7^.
— Übergangsform zur He*
rödo-ataxie cereb. 769.
Fugues bei Psychosen u. De¬
menz 861.
Funktion, sekundäre 943.
Fürsorgeerziehung 527. 534.
Fußrüclcenrcflex *1038.859^2
dal vaniseber W echselstroiL,
Hemmungen durch der¬
ben 271.
Gang, aufrechter heim Mtr-
seben 897.
Ganglienzellen, Zusammen¬
hang n. Entwickl. derselh
1079. — Altersverändenni:
1119. — Neurofibrillen i:
denselben 1154.
Gangrän, symmetr., cf. Ray¬
naud sehe Krankheit
Gasvergiftung xl Geisteskrank
heit 899.
Gaumen, klon. Krampf
weichen 1060.
Geburt n. Kopfform 1009.
Geckogehirn 1103.
Gedankeulautwerden 1086.
Gerängnispsy chosen 1086.
Gefaßverengernde u. -erwei¬
ternde Nerven 1010.
Gehörshallucin. durch Oe Tu¬
rnen pfropf 1129.
Gehphobie 329.
Gehstörungen, psychisch be¬
dingte 357.
Geisteskranke Verbrecher 9?-.
— Entlass, derselben a-^
Anstalten 826.
Gemeingefahrlichkeifc 826.
Geruchsemptindung *188.
Ge8chinacksillusion, Aufbeb
derselben 1147.
Gesichtsfeldeinengung, psjv;
bedingte 363.
Gicht u. Psychose 681.
Gigantismus infantilis 277.
Glandula parathyreoid.. Funk
tion 214. 215 (21. 277 (J
— Präparate bei Tetan
281. — pinealis, Vergröße¬
rung 169. — pituitaria, d
Hypophysis. — thyreoi*
dea, Funktion 214. 215. —
Hypertrophie 231. — Hyp 1
thyreoidie u. Neurasthin
329. 1099. 1100. - u. Hirn¬
tumor 875. — partielle Ex¬
stirpation bei Basedowscher
Krankheit 224.
Glia 537. 613. 632. - Bau
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1207
derselben 1079. — Struktur
der faserigen pathologischen
1139.
Gliafasern 512.
Gliose der weißen Hirnsub¬
stanz 408.
Globus c60.
Glosöopharyngeus, Wurzel
desselben 1119.
Goethe, Genealogie desselben
1085.
Gowerssches Bündel 1138.
Gr&bbes Krankheit 682.
Gräfe sches Symptom bei Un-
fallsneurose 478.
Greisenalter und Kriminalität
1030.
Großhirnrinde 691. 699. 703.
1010.
Gyri.*188. — Anomalien 184.
— Übergangswindung. 124.
Haematomyelie*190. *493. 71.
Haemorrhagie, cerebr. 409. —
Heredit dabei 408.
Halbseitenläsion, cf. Brown-
S4quardsche Lähmung.
Halisterese d. Schädelknochen
478;
H alluci n ati onen, En tstehung
derselben 905. — u. Gedan-
kcnlautwerden 1086.
Hallucinator. Schwachsinn der
Trinker 906.
Halsmark u. Heterotopic 132.
Halsrippe u. Basedowsche
Krankheit 217.
Halswirbelsäule, Röntgenbild
derselben 1017.
Harnblase, nervöse Erkran¬
kungen *335.
Hemianopsie tempor., Wachs¬
tumsanomalien dabei 1015.
Hemiatrophia faciei *879.1072
(2). — mit Augennerven-
symptomen 614. u. 846.
Hemikranic, cf. Migräne.
Hemiplegie *332. *780 * 1037.
— cerebrale infantile 136.
137. 138. 483. — cerebrale
409. — „Ersatzphaenomen“
155. — Apraxie 371. — Kie¬
ferbewegungen dabei 409. —
Muskelatrophie dabei 410. —
metamere Seusibilitätsstör.
411. — Sehnen- u. Haut- I
reflexe 427. — sekund. Kon- '
trakturen 938.
Herdsymptoroe bei diffusen
Hirnerkr. 964.
Heredität 167. 237.
Hörödo-ataxie ceröb. u. Fried¬
reich sehe Krankb. 769.
Herpes bei Cerebrospinalmen.
1172.
Digitized by Gougle
Herpes zoster. Pruritus als
Initialerschein. 458.
Herznerven *876.
Herzneurosen, Rodagen dabei
223.
Heschlsche Windungen 685.
Heterotopie von Medulla oblon-
gata-Kleinhirn 132. — des
Nncl. arciformis 505. 1158.
— im Rückenmark 383. 586.
Hilfsschule 591. 1152.
Hinken, intermittierendes 669.
I Hintere Wurzeln, Durchschnei¬
dung derselben beim Hund
849. — Proximalster Teil
derselben bei De- u. Regene¬
ration 951. — motor. Stör,
bei Läsion derselben 1011.
Hinterstränge, Degeneration
derselben 25.
Hirn *188. *331. *780. — bei
Amphioxus 22. — u. Kultur
896. — Praeparation 70. —
Schweizerkäsegehirn 84. —
Kalkgebalt 404. — Agenesie
desselben 1094. — Einfluß
auf Milchabsonderung 187.
Hirnabsceß *189. *332. *781.
*877. *1037. 175 (8). 176.
— otogener 1042.
Hirnarterien, Aneurysmen 412.
413.
Hirnatrophie, halbseitige 136.
— umschriebene 832. 990.
Hirnblutung, cf. Apoplexie.
Hirnchirurgie cf. Trepanation
*189. *332.
Hirncysticerken 541. 590.
Hirndefekte 488.
Hirnembolie 405. — postdiph¬
therische 408. 413.
Hirnentwicklung bei Säugern
50.
Hirnfaserung 402.
Hirngeschwülste *189. *332.
*780. *877. *1037. 173. 174.
535. 536.539. 540. 619.1077.
— Veränderungen im Ge¬
webe des Hirns 170. — glio-
matöse 173. — Adenokarzi¬
nom 171. — Karzinose 172.
— Sarkom 170. — Endothe-
liom im Stirnhirn 771. —
u. Arefl. der Cornea 1133.
— der motor. Region 349 I
u. 393. — der Adergeflechte
453. — Differentialdiagnose
mitThroinbosis 171.— Diffe¬
rentialdiagnose 961. — u.
Schlaf 172. — mit Ausgang j
von derGland. thyreoid. 875. !
— Operabilität 174. — Mor- I
phium 963. —Röntgenb.963. ■
Hirngewicht *331. — n. Be¬
schäftigung 23. — Bestim- |
mung desselben 213.
Hirnhauttnmor 961. 962.
Hirnhemisphären, Bedeutung
129.
Hirnhyperplasie 169.
Hirnhypertrophie, kompensa¬
torische 138. — u. Pseudo¬
hypertrophie 169.
Hirnnerven, einseit. Befallen¬
sein sämtlicher 874.
Hirnphysiologie *188. *331.
Hirnpunktion 915. 917. 918.
962. 969.
Hirnrinde, cf. Lokalisation
*492. 691.1167. —Altersver¬
änderungen 168. 1119. — u.
Speichelsekretion 270. —
Pnysiol. 691. 1055. — Ana¬
tomie 703. 1055. — des
Huhns 848. — beim Halb¬
affen 939. — Schichten der¬
selben 1142.
Hirnsklerose *189. 482.
Hirnstamm Verletzung , Zell-
degener. danach 1138.
Hirnsyphilis 112. 157. — dif¬
fuse 1095.
Hirntätigkeit bei künstlicher
Cirkulation 895.
Hitzepsychosen 231. 516.
Hitzig + 832.
Hitzschlag 516. — atyp. For¬
men desselben 977.
Hocbfrequenzströme 867.
Homosexualität *495. 416. —
u. Verbrechen 141.
Hören 309. — u. Begreifen 940.
Hörnervenapparat u. Trauma
520 (2).
Hörsphäre 1078. 1079.
Hydrocephalus intern. 1175. —
Chirurg. Behandl. desselben
1176.
Hydrotherapie *1040.
Hypaesthesie 361.
Hypalgesie 861.
Hyperidrosis, cf. Scbweißauo-
malien. — bei Dem. praec.
1146.
Hypertrophie, halbseitige 514.
Hypnose bei Menstruationsstö¬
rungen 635.
Hypnotherapie 923. 986.
Hypoglossuslähm. *1038.
Hypophysengegend, Platteu-
epithelgeschwülste 274.
Hypophysensaft, Injektion des¬
selben 1013.
Hypophyßis *190. *333. *878.
*1038. 274. 275. 276 (2). —
tumor *782. 734. 735. 77t).
— mit Röntgogramm 841.
• 939. 963, 964. 994. 1014(2).
1015 (3). 1143. 1152. —
beim Pferd 1013. — tumor
u. Myasthenie 613. — Ope¬
ration 615. 964.1016. 1017.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1208
Hypophysis, Freilegung der¬
selben 842. — u. Genital¬
atrophie 965.
Hypothermie, nervösen Urspr.
1145. — bei Migräne u.
Tnberkul. 1128.
Hysterie *190. *334.*494. *782. 1
*878. *1038. *1039. — De- ,
flnition n. Wesen derselben
1088. 1089. 1090. 1091. —
Entstehen derselben 933.
— Blut dabei 912. — Asso- i
ciationsversuche dabei 544. j
— Kombin. mit verschiede¬
nen Seelenstörnngen 1085. I
— Dysmegalopsie 287. — j
Dämmerzustand 320.— Psy-
chose 83. 367. (2). — Sen-
sibilitätsstörangen 361. —
am Warzenhof 361. — Geh¬
phobie (Kleinschrittgang)
329. — Globus 360. — Iso¬
lyse 316. — Erbrechen 864.
— Incontinentia urinae 864.
— Ketentio urinae 646. —
Fieber 364. — Phobien 366.
—Amaurose 862.— Gesichts¬
feld 363. 648. - Ptosis
paralytica 861. — Mydria-
sis362. — Pupillenstarre 362.
— Combination mit organ.
Symptomen 380. — combi-
niert mit Landry scher Para¬
lyse 264. 299. — Pseudo-
appendicitis 360. — Sprach¬
störungen 363. — Aphonie
363. — Dämmerzustand 870.
1178. — Worttaubheit 582.
— u. gynäkol. Erkrankung
413. — Laryngismus 364.
— Kleptomanie 1147. —
Aetiologie. — bei Tieren
98. — bei Arbeitern 356.
— Nachahmung 869. —
s. Trauma 626. — Diag¬
nose mit Epilepsie 315.365.
471. 1099. — Therapie,
kathartische Methode 369.
— Heilung hyster. Kontrak¬
turen 421. — Hyst. bei Kin¬
dern u. Beschäftigungsthera¬
pie 591.—Forensisch.367.
368(2).491. — u. Invalidität
515. — Kleptomanie 1147.
Schwachsinn. — Erziehung
985.
Impotenz *495. — Behandl.
derselben 866.
Inanition 726.
Incontinentia urinae 364.
Infantilismus *782. — angio-
spasticus 78. — u. psych.
Degenerescenz 225. — u.
Akromegalie 276. — psych.
860. — geistiger t079.
Infektionskrankheiten, nervöse 1
Komplikat. dabei 707.
Infraspinatusrefiex *1038.
Inspektion 1078.
Instrument zum Richten des
Geschützes 944.
Insufficientia vertebrae 1017.
Intelligenz u. Schädelumfang
1058.
Intelligenzprüfung 378. 989.
Interkostalneuralgie 1125.
Intermittierendes Hinken *783.
669.
Intoxikation, s. Vergiftung.
Intoxikationspsychosen *192.
*496. *783.
i Involutionsmelancholie 531.
Irrenanstalten *496. *880.
480(2). 431. 528. — Auf
nahmebeding. 430. — Ärztl.
Nachwuchs 474. *1040. —
Aufnahmefähigkeit 491. —
Buch 82. — Hausepidemien
542. — Verwaltung 988. —
Entlassung geisteskr. Ver¬
brecher 826. — Staatsauf¬
sicht 983..
Irrenarzt u. Öffentlichk. 1101.
Irrengesetz 287.
Irrenpflege, famil. 429. 480.
909. 983. 984. 992.
Ischiadicus, Naht 467.
Ischias *333. *494. *878. -
Symptom dabei 1107. 1125.
— durch. Rctrofl. uteri 1125.
— perineurale Kochsalzin¬
filtration 289. 1126 (2). —
behandl. 976. 1126.
Jackson sehe Epilepsie 174.
175. 349. 457. — Ätiolog.
derselben 405. — Operative
Behandl. derselben 874.916.
917. 918.
Katayama-Kraukheit 405.
Keratitis neuroparal. 1124.
Kcrnigschcs Symptom 1173.
Kernschwund infant 406.
Kind, geistige u. körperliche
Pflege 271.
Kinderlähmung, cerebrale
186. *877. — cf. Hemiplegia
cerebralis infantil. — Thera¬
pie 138. — spinale *781. —
s. Muskclatr., Poliomyelitis.
— Muskeltransplantation
dabei 670.
Kinematographie 496. 965.
Kleinhirn *492. *493. *781.
*877. *1037. 536. 691. —
Entwicklungsstörung 132.
184. — Reizungen desaelb.
| 652. — Gewicht 130- —
Tonus desselben 930. —
I Anatomie 783. 734. — Lo¬
kalisation 571. 652. — Phy-
i Biologie 131. 214. 652. 691.
738. *781. 1031. — Muskel-
i tonus 131. — u. Geschlechts-
i trieb 130. — Absceß *189.
*332. — Sklerose 182. —
Tumor 89. 133. 134. 733.
*781. *1037. - Sarkom 138.
170. — Erweichungsherde
245. — n. Ataxie, cf. diese. —
familiäre 675. — u. konju¬
gierte Deviation 133.
Kleinhirnbrückenwiukel *332.
*1037. — Tumor 88. 90.
91. 173(2). 536. 537.
Kleinhirnrinde, histolog. Ver¬
änderungen 132.
Kleptomanie bei einer Hyste¬
rischen 1147.
Knochenfrakturen, spontane75.
Knochenreflexe 851. 852.
Kohlenoxyd *495. 899.
Kokain 901.
Kollaterolen im Rückenmark
1011.
Kombination, sukzessive von
Psychosen 662.
Kondensatormethode 467.
Kontraktur nach Ablaktation
1062.
Kontrastträume 1012.
Kopfform n. Geburt 1 ih> 9
Kopfschmerzen *332. *335.
*494. *783. 1121. 1122.
Ibsens Nora 273.
Icterus u. Gemütserregung365.
Idiotie *495. *783. *879. *1040.
522(3). 523. 524(2). 527.
534. — famil. epilept. 1142.
— Blut 912. — pathol.
Anatomie 136. 524. —
mit Erweichungsherd in den
Centralganglien 414. —
Ätiologie 522 (3). — The¬
rapie 527 (3). 534.
Imbecillitas *192. *335. *495.
522(3). 523. 525. - cf.
Digitized by Gougle
, Jodipin 816.
1 Jodkali, Ersatzmittel desselben
816.
Jodpr¶te 816.
Jacken, Analyse dessclb. 484.
Kantharidennephr. u. toxial-
kohol. Delir. 1146.
Katatonie, Blot dabei 912.
Katatonische Symptome 428.
— ihr diagnost. n. prognost.
Wert 932. — bei Paralyse
824.
Kopfverletz. u. Geisteskrankh.
983.
Körnchenzellen 472.
Korsakoffsche Psychose 9o7.
920. — Gedächtnisstör, da¬
bei 907.
Krämpfe *333. *334.
Krampf, Etymologie d. Aus¬
drucks 546. — klonische d.
weichen Gaumens 1060. —
tonischer des Rumpfes 1061.
Kretinismus *190. *334. *494.
— beim Hund 475. — ma-
Qriginal from
UNIVERSUM OF CALIFORNIA
1209
riner226.— path. Anatomie Magensaftsekretion u.psycho- i Meningoencephalitis 110V>.
225.475. — Therapie 227. patlxol.Zustandsbilder 1073. Meningokokken-Heilserum
230. 231. 1102. 1174.
Kreuzbein, Krebsgeschwulst Maladie des tics 1063. Meningomyelitis 78. 735.
desselben 580. M&lum suboccipitale, Opera- Menschenarbeit, Endziele der-
Kriegsneurosen 425. I tion dabei 1025. j selben 928.
Kriininalpsycholog. in Schillers Manganintoxikation 424. ] Migräne *333. *494.*781.*878.
Räubern 273. | Manie *192. *783. — ebro- — u. Epilepsie 314. 358.
Kriickenlähmung 465. nische532. — Ätiologie der- | — u. Hemianopsie 1122. —
Kultur u. Gehirn 896. selben 862. — Plethysrao- ophthalmoplegische 1122.—
Künstliche Cirkulationu. Hirn- graphische Untersuchungen Hypotherm. infolge Migräne
tätigkeit 895. 863. — u. Magensaffcsekre- bei Tuberkulösen 1122.
I tion 1073. Mikrocephalie *189. *332.405.
liabvrinthcrkrank., luetische Manisch-depressives Irresein 801. — familiäre 70.
870. — spastische Torti- *783.*1040.530.533.679.861. Milch, Einfluß des GehirnB auf
kollis b. Labyrintherkr. 923, 862. 915. 1035. — in Syrien Absonderung derselben 187.
Labyrinthtonus 929. } 533. — beim Kind 1151. Minderwertige, geistige 80.
LaevnloBürie 40. Pugues dabei 861. — komb. Minderwertigkeit von Organen
Landrysche Paralyse *333. mit Hysterie 1085.—Sprach- 869.
*494. *1038. 264.299.459(2) Störungen dabei 1142. Mißbildete Knaben 674.
939. — nach Typhus 459. Masochismus *1040. Mitbewegungen, kontralate-
Laryngospasmus, er. Spasmo- Massage *1040. rale 128. — horizontale Bul-
philie 282. Medianus. Stöi ungen im Ge- busschwingungen 242.
Lateralsklerose *189. *333. — biet des Nerven 466. — Mneme u. Psychiatrie 1135.
amyotrophische 78. 79. 590. Verletzung des Nerven 466. ; Mongolismus *1040. 1073.
1094. 477. i Monismus mitralis 78.
Lepra *333. *494. *782. *878. Medulla oblongata, cf. Bulbär- Monoplegie, kortikale 409.
*1038. 75(3). paralyse. — mediane Spal- Moral insanity 914.
Lidreflexe 852. tung derselben 609. — sen- Mord n. Selbstmord 469.
Liquor cerebrospinalis *333. sible Wurzeln derselben 757. Morphinismus *334.
*335.32.1168. — cf. Lum- — physiol. Anatomie 967. Morphium 901. — bei Hirn-
balpunktion. — Blutgehalt 968. —Vasomotorencentrura tumoren 963.
u. Lymphocyten desselben 217. —u. BachschePupillen- | Morphiumabstinenz, psych.
413.— bei Mikroccphalus u. centren631.—Erweicbungs- j Störungen dabei 902(2).
Encephalocele 801. berde in derselben 670. : Motilitätspsychosen 534.
Littleschc Krankheit 136. — Melancholie *880. 231. 531. Motorische Centrcn im Kortex
Orthopädie dabei 967. 631. 688. 1028 (2). 1103. 1 1094.
Lob-Litzmann sehe Maß der 1104. — Plethysmograph, j Motorische Eigentümlichkeit
psych. Tätigkeit 1102. Untersuchungen dabei 863. Geisteskranker 428.
i.obus frontalis *188. *492. — Psychopathol. derselben Multiple Sklerose, s. Sklerose,
— Function 238. — Anato- 864. — Neuralgien bei multiple.
mie u. Physiologie 404. — Melancholie 864. Muskelarbeit u. geistige Arbeit
temporalis, Funktion 309. Mendel, E., zum Andenken 530.
Lokalisation in der Hirn- 593. 642. Mnskelatonie, s. Myatonie,
rinde *188. 1010. 1094. — Menieresche Krankheit 923. Muskelatrophie *190. • *334.
Bcwegnngscentrum bei j Meningen *189. *332. *493. j *495. *783. *879. *1039. 44.
der Maus 50. — beim Schaf \ *780. *877. — Sarkomatose | — bei supranukleären Lah-
70. — beim Beutelmarder j derselben 1169. mungen 410. — progressive
167. — für Hören 309. — Meningitis cerebrospinal.*189. 1068. — neurale 636. 1070.
im Kleinhirn 571. — im | *332. *493. *780. *877. *1037. 1071 (2). — von peroncalem
Rückenmark 571. 1174(4). — experiment. beim Typus 674. — famil. progr.
iombrosos Werk 1030. i Affen 1171. — bei Kindern j 676.
mes cerebrospinalis 637. 812. 1 1173. — Rückenmark dabei I Muskeldystrophie *334. 1069.
— Jodipin dabei 816. — ' 1171. — Herpes 1172. — 1070(2).
Erkr. des Sehapparates da- ; Kernigsches Symptom 1172. MuBkclermüdung bei para-
bei 1005. i —Herdsymptome dabei 964. thyreoiden Hunden 513.
.uftbäder bei Neurasthenie u. i — Cerebrospinalflüssigkeit Muskellähmungen, Therapie
Anaemie 925. dabei 1095.1173.—Chirurg. 139.
nftdouchen 420. Behandlung derselben 978. Muskelschwäche 2.
umbalanästhesic *493. *1038. ; — purulenta 86. 87. — go- Muskelton 639.
nmballähmung zur Heilung | norrhoica 1171. — spora* Muskeltonus 131.
hy8ter. Kontrakturen 421. 1 dische 1173. — pseudoepi- Myalgie 1120.
umbalpunktion *190. *495. demica 1171. — Lumbal- Myasthenie *189. *333. *781.
*1038.— bei Geisteskrankli. punktion 1173. 1174. 1175. *877. *1037. 239. 445.671.
32. — bei progress. Para- Meningitis serosa 1170. — im 672. 673 (2). 875. 939. —
lyse 33. — beiCcrebrnspinal- Kindesalt. 1170.— spin.3S3. u. Hyperleukocytoso 424. —
nieningitis 117:yH74 1175.i Meningococcus u. Rückci.- u. Hypophysistumor ,
.jmpbocytose be\Tfllfc& 63^. j markserkrankungen 735. Myatonia *8j7jh^ *19^^...54J8.
1210
1067 (2). 1068. - u. Myo¬
pathie 1097.
Mydriasis, hysterische 362.
Myelitis *189. *333. *877. —
acuta 78. — aufsteigende
577. — Compressionsrayc-
litis 579. 1024. — syphil.
812. — tubercul. 812. 829.
— oder akute mult. Sklerose
1001.
Myohypotonie 2.
Myoklonie *877. 875. 1062 (2).
Myopathie u. Epilepsie 312 u.
314. — u. Myotonie 1097.
Myosklerose der Greise 1098.
Myotonie *494. *877. *1039.
677 (2). 875. — atypische
Formen derselben 678. —
psychische Störungen dabei
678.
Myxödem *190. *333. *334.
*491. *782. *878. 524. —
kongenitales 224. — atypi¬
sches 225.
ÄTasenerkrankung u. Epilepsie
811.
Nasenrachenerkrankung u.
Neurasthenie 1099.
Nebennieren bei period. Irre¬
sein 727.
Nervenbahnen, die ersten im
GroBbirn 926.
Nervendehnung 1127(2).
Nervenfasern, in Substanz des
Uterus *492. 166. — Ent¬
wicklung derselben 125. —
zeitiger Aufbau derselben
1118. — roarkhaltigc in
Netzhaut 708. — chemische
Bestandteile 1118. — Rege¬
neration *780. *876. 24
664. 666. 683.
Nervenganglien in Gebär¬
mutterwand 165.
Nervenkrankheiten *189. *780.
— Pathol. u. Therap. 1077.
— Beschäftigungstherapie
237. — diphther. 456 (2).
Nervenlähmungen *190. *833.
*781.
Nervenpfropfnng 462.
Nervenzellen *188. — Neu¬
bildung derselben 69. — bei
Geisteskranken 1012.
Nervosität 355.
Netzhaut, markhaltige Nerven¬
fasern 708.
Neuralgie *190. *781. *878.
Digitized by
*1038. 421. 1120. — s. Tri¬
geminusneuralgie, Zungen-
ueuralgie, Migräne, Inter¬
kostalneuralgie, Ischias usw.
— u. Melancholie 864. —
oder Zahnschmerz 1124. —
Nervendehnung dabei 1127
(2). — Behandl. derselben
421. 422; mjj Alkohoteiu-
v Google
Spritzung 422. 639; mit In¬
jektionen unter hohem Jlruck
423; mit Kokaininjektionen
428; mitKochsalzumktionen
1121 .
Neurasthenie *190. *384. *494.
*782. *878. *1038. — s.
Trauma- u. gynäkolog. Er¬
krankung 413. — u. Hypo-
thyreoidie 829. 856 (8). 358
(2). 870. — u. Nasenrachen¬
erkrankung 1099. — Forens.
Bedeut. 491. — Behandlung
mit Eisen 421. — Luftbäder
925. — Heilung derselben
1084. — Psychotherapie
1100.
Neurinsarkoklese 1124.
Neuritis . *190. *333. *494.
*782. *878. *1038. — cf.
Beri-Beri. — des Plexus
brach. 463. 464. — alcoho¬
lica .41.— ascend. u. Rheu¬
matismus 455. — urämische
457. — durch Creosot 60.
— experim. parenchymat.
454. — Nervendehnung da¬
bei 1127. — Alkoholinjekt.
dabei 639.
Neuritis interstit. im Gebiet
der Sakralwurzeln bei einer
Stute 760.
Neuritis multiplex *494. 3.
939. — epidemische 455.
— nach Keuchhusten 456.
— Psychose dabei 457 (3).
Neuritis optica u. Syringo¬
myelie 74. — retrobulbaris
85.
Neurofibrillen *1036. — Färbe¬
methoden 188. 338 895. —
u. Verfäulnis 1059. — in
den Fortsätzen und im Zell¬
leib der Ganglienzellen 1154.
Neurofibromatosis multiplex
89.
Neuroglia, cf. Glia.
Ncurohyperästheaie 358,
Neuroma cirsoideum 454.
Neuronal 866.
Ncuronenlehre *188. *331.119.
667.
Neuronophagie 810.
Neurosen, vasomotor. u. tro-
phische 633. 634.
Neutralzellen des centralen
Nervensystems 667.
Nikotin: *495. - u. Blutkreis¬
lauf im Gehirn 903.
Nikotinismus u. progr. Paral
905.
Nuclei caudati, doppelseitige
Erkrankung derselben 776.
777. 778. — Anatomie u.
Physiol. derselben 776. 777.
Nucleus arciformis, Heteroto-
pie desselben 505. 1158. [
Nucleus ruber 870.
I Nyktophobie 366.
NystagmuB 478. — assoziiert
248. — famil. 679. — «s!
Bergleute 802.
Nystagmus-Myoklonie 592.
Oblongatakerne, phyloee>
Verlagerung derselben
Obstipation, Behandlung L
selben 427.
Occipitallappen, Rinde i-
selben 723. 786. 801.
Ocnlomotor. Apparat u. R ■
lokal isation 976.
Oculomotorius, cf. Ptosis -
lähmung: angeboren -f.
periphere 852. — Wunt-
fasern 22.
Oesophagismus 360.
Öffentlichkeit u. Irrenarzt-
1101 .
Ohrenerkrankung n. Epik-
311. — u. Geisteskrank:
1177.
Ophthalmoplegie *877.
Opium 901.
Opticusatrophie u. Tuns-
Bchädel 1081.
Optische Reize 535.
Orthopädie bei Lähmung?.!
967.
Palpation 1078.
Paradoxer Reflex 858.
Paralysis agitans *783. -
Kontrakturen 77. — p*_.
Anat. 427.1060(2). — Pik
genese 1060.
ParalyBis progressiva *ic
*385. *496. *783. *83a *104
84. 86. 37. — Symptemi
tologie 829. 821. 823. -
Blnt dabei 912. — kt.
872. — Arthropathie 39. -
Augensymptome 37. 82!
822(2). 1103. — u. Cho¬
rioiditis 1103. — Muskei
Zuckungen 823. — Fcgto
861. — u. Epilepsie 14. -
n. Schlafkrankheit 529. -
Malum perforans 39. -
Paroxysm. Fieberaustäud;
823. — Krampfanfälle m.t
aknst. Folgeerschein. 824
— Predigerband 38. — I,ae-
vnlose 40. — Babinsluscber
Reflex 40. — Säuglings
reftex 38. — Sensibilitäu-
störungen 287. — u. Amy»
trophie 820. — Kataton
Symptome 824. — Ätio¬
logie 490. — Syphil. Anti¬
körper 817.818. — u. frühen
antisyphiliti. Behandlung
970. — Serodiagnose 762
(3). 763. 818. — End- '
genese 84. — Syphilis 26.
34(2). 35(3). 434. 762. 770.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1211
817 (2). — in Bosnien 921.
— in Syrien 533. — in Grie¬
chenland 1146. — im Kan¬
ton Luzern 819. — Trauma
35. — elektr. Starkstrom
36. — bei Prostituierten
825. — Verlauf 40. 490.
cirknlärer 40. — 14 jährige
Remission 824. — Pathol.
Anatomie: 819. — Me-
ningocerebellitis 1145. —
Plasmazellen im Rücken¬
mark 1138. — Liquor cere¬
brospinalis 32. 33. 762. 763.
817. 818. 819. 823.— Diph-
thcroid 36. — Fibrillen bei
Paral. 819. — Markfaser¬
schwund in d. Hirnrinde 36.
973. — Bedeut, f. forens.
u. Unfallpraxis 770. —
fleckenweiser Markfaseraus¬
fall 240. 973. — Diagnose:
Cytodiagnose 33. — Früh¬
diagnose 37. — u. andere
Demenzformen 931. —The¬
rapie: 26. 37. 824. 825.
— Atoxyl 825. 1146.
Paranoia, period. *880. *1040.
1029. 727.1178. — Medianus
dabei 873. — Affekt dabei
933. — u. Magensaftsekre-
tion 1073.
Patellarreflexe, cf. Sehnen¬
reflexe. — Bahnung derselb.
700. — Fehlen bei Hysterie
293. 857.
Pellagra *782. *1038.
Periodische Psychosen 476.
477.1034.1035. - u.Trauma
518. — Nebennieren dabei
727.
Periphere Nerven *493. — u.
Wärmeregulierung 453. —
Beh. der Scbußverletz. peri¬
pherer Nerven 467. — Ge¬
schwülste derselben 1077.
— u. Psychosen 1152.
Perkussion 1078.
Perniciöse Anämie, Rücken¬
mark dabei 620.
Perseveration 321.
P ersö □ 1 i ch kei t, D issoc i ation
derselben 215.
Perverser Geschlechtstrieb
828, s. auch unter Sexuelle
Pervers.
Petit mal, epilept. 318. 319.
Pflegepersonal in Anstalten
980(3). 981. *1040. 1101.
Phantasten, degenerative 3S0.
Phobien 366 (2). — cf. Nykto-
phnbie.
Phrenicus bei Duehenne-Erb-
scher Lähm. 465.
Phylogenetische Vcrlager. der
OLlnngatakcrnc 834 9:59.
Physikal. Thor:
Sßßi.gitized bv
Pia mater, Sarkom 174.
Picksches Bündel 478. —
Plethysmograph. Unters uch.
bei affektiven Psychosen 863.
Plexus brachial», Lähmung
463. 464. 465(2).
Polioencephalitis 451. — infer.
407.
Poliomyelitis ant. *781. *877.
— ci. Muskelatrophie, Kin-
derlähra. — u. Bauchmuskel,
lähm. 612. — acuta 612-
669. — subacuta infant.
669. — nach Vakzination
778.
Polyneuritis, cf. Neuritis
multiplex.
Pons Varolii, Läsion u. sekund.
Degener. 898. — Tnmor 86.
— Hämangiom 1162. —
Absceß 175. — Blutung
*189. 411. 615. — deviierte
Konjugation 133.
Porencephalie 138. 488. *1036.
Poriomanie 319. 320.
Pottsche Krankh. *493. 579. !
580. *781.812.1022.1023(3). !
1024. — beim Affen 1022. !
— mit Kernigschem Zeichen
1023.
Prognose d. Nervenkrankh.968.
Progress. Knochen- u. Muskel¬
krankheit 939.
Proponal bei Epilepsie 324.
865 (2).
Prostituierte, Geisteskrank!).
bei ihnen 825.
Protagon 1118.
Pseudoappendicitis 360.
Pseudobulbärparalyse *493.
671. — xx. Ptosia 1088.
Pseudodelirium tremens 489.
Pseudotumor 636.
Psychasthenie u. Delir 1146. |
Psychiatrie 171. *495. — u.
Mneme 1135. — Grundztige
derselben 826. 910.
Psychiatr. Aufgaben der Ge¬
meinden 1135.
Psychiatr. Unterr. in Greifs¬
wald 469. *495.
Psych. Defektzustände 521.
Psychische Vorgänge. — Me¬
chanismus 194. 254.
Psychogalv. Reflexphän. 850.
Psychognosie 513.
Psychologie *191. *335. *495.
513. *783. *879. *1039.
— psychol. Denken 940. —
Psychol. der Pubertät 940.
— kriminelle 943. — Erklär,
psycholog. Probleme 943
— objektive Psychologie
987.
Psychopathen, Vorgesch. der¬
selben 914.
Psychopathische Konstitution
1072. 117ö.
Psychoreflektor. Symptome
515.
Psychosen *191. *335. *783.
*879. *1039 827, s. period-
Psych. — in d. Marine 725.
— in Satire, Sprichwort u.
Humor 869. — u. Erlebnis
924. — u. Mageasaftsekre-
tion 1073. 1102. — nach
Kopfverletzung 983. — u.
Tuberkulose 1075. — akute
u. ibre Klassifikation 1028.
— Zunahme derselben 985.
— u. Epilepsie 320. 321. —
kardialen Ursp. 1146. —
Mischformen 326.—Pupillen
354. — Augenspiegelbefnnde
1103. — Ätiologie: im
Anschluß an polit. Ereignisse
81. 139. — Morb. Basc-
dowii 221. — u. Struma
231. — durch Hitze 231. —
bei Prostituierten 825. —
Diagnose: Lumbalpunk¬
tion 33. — Alkoholversuch
182. — Intelligenzprüfuugen
378. — Therapie: *192.
*335. *496.*784.*880.*1040.
81. — Beschäftigungsthera¬
pie 2:-,9. — inNew-York 990.
Psychotherapie 986.
Ptosis paralytica 361. — nach
Trauma 476. — u. Pseudo¬
bulbärparalyse 1088.
I Pubertät, Psychol. derselben
940.
Papillen, cf. Mydriasis 852. —
Pathologie derselben 974.
— willkürliche Erweiterung
, 355. — bei Geisteskr. 914.
Pupillencentren 631.
Pupillenreaktion 353.
Pupillenreflexe *190. *1038. —
u. Rückenmarksläsion 852.
Pupillen, springende *334.
Pupillenstarre 975. — im
hyst. Anfall 362. 855. — im
kataton. Stupor 855. — ein¬
seitige reflektorische 852.
— xx. Halswirbelfraktur 853.
— reflektor. 853. 854.
Pupillenunruhe 914.
Pyramidenbahn *188. *189.78.
1168. — Erkrankung u.
Kontrakturen 76.— u. spast.
Spinalparalyse 77.
4fcuecksilberYcrgiftung,Zittern
dabei 458.
Querulator. Psychosen 542.
Quinquaudsches Zeichen *876.
904 (2).
Radium und Nervensystem
*493.
Rasseneigentümlichkeiten der
Wehr \> Hiebtigen, Bosniens u.
der Horn-govgftäy ^CALIFORNIA
1212
Raynaudsehe Krankheit *190.
♦782. 283. 284 (2). 285.
Reaktionszeit 491.
Recurrens *188. *333. — lähm.
463 (2).
Rededrang 684.
Reflexe *190. *333. *493. *781.
*877. *1038. 939. 1166. -
cf. Babinskiscber Reflex.
Knochenreflexe, Lidreflex,
Sehnenreflexe, Achillesrcflex,
Fußrückenreflex, paradoxer
Reflex. Säuglingsreflex. —
im Schlaf 857. — bei
Hemiplegie 427. — nach
Ruckenmarksdurchtrennung
576 u. 577. — nach Durch¬
schneidung der hinteren
Wurzeln 849. — cerebrales
u. spinale« Element derselb.
850. — Mechanismus der¬
selben 991.
Reflexepilepsie, cf. Epilepsie.
Reflexerregbarkeit u.Sauerstoff
1011.
Regeneration f. Nervenfasern
*493. 664. 665. 666. 688. -
im Rückenmark 240. 574.
Retrograde Amnesie 490.
Rhinorrhoea cerebrospin. 874.
Riechrinde 926.
Riesenwuchs 1014. — dystroph.
Form desselben 1069.
Rindenblindheit 723.
Rindertuberkulose 610.
Rodagen u. Herzneurosen 223.
Röntgenbild der Halswirbel-
säuie 1017.
Roentgenographie des Schädels
963.
Röntjgenstrahlen *189. *876. —
bei Basedow scher Krankheit
224. — u. Neurologie 870.
— Wirkung derselben auf
Hirn- u. Rückenmark 1098.
Rousseau 1145.
Rückenmark, cf. Hinterstränge
usw. *189. *331. *781. *877.
*1038. 1166. — nervöse Re¬
generation in demselben 240.
574. — Hcterotopie 586. —
traumat. Heterotopie 383.
— traumat. Blut, bei Tabes
1110. — Sensible Leitungs¬
bahnen in demselben 571. —
u. Blasenschluß 1180. —
nach Blutinjektionen 573. —
nach Amputation 574. —
Cystische Mißbildung des¬
selben 572.—Entwicklungs¬
anomalie desselben 572. —
Kombin. Strangdegeneration
589. — System at. Erkr. des¬
selben (aufsteig. einseit.
Paralyse) 589. - bei perni¬
ziöser Anacmic 620. — bei
Mtming. cerebrqBpin. 1171.—
i Ajqdäelben 873.
Rückenmarkserkrankangen
*333. *1038. 960. — u. A1-
koholisraus 4 l. — n. Schwei߬
anomalien 21.
Rückenmarksgeschwülste
*189. *493. *781. *877. —
Extra- n. intramedulläre 538
539. 541. 584. 585. 586. 587.
1077. — Extramedulläre 581.
584. — operative Behand¬
lung 584. 934.
Rückenmarkshautgeschwölstc
582. 583. 959. 961.
Rückenmarkskompression 578.
579. 898.
Rückenroarkslähmungen 424.
Rückenmarkssyphilis 611. 812.
Rückenmarkstuberkulose 812.
Rückenmarksverletzung *189.
*333. 78.
Rückenmarkswurzeln, cf. Wur¬
zeln.
Sadismus *1040.
Sarkomatose d. Meningenll69.
Sauerstoff u. Reflexerregbar¬
keit 1011.
Säuglinge. — eklamptische 94.
— Tetanie 94. — galva¬
nische Untersuchungen 95.
Säuglingsreflex 38.
Schädel — Bestimmung des
Inhalts 213. — Turmschädel
405.
Schädelbasisbruch 519 (2). 874.
Schädeldach — knöcherne
Tumoren 169.
Schädelmaße u. Beruf 1058.
Schädelschüsse 521.
Schädelumfang u. Intelligenz
im Schulpflicht. Alter 1058.
Scheitellappen, histol. Lokalis.
1130. 1131. 1132. 1133.
Schilddrüse, cf. Glandula tby-
reoidea.
Schilddrüsennervoßität 1099.
Schlaf 553. — Bewegungen
während desselben 1060.
Schlafsucht bei Hirntumor 172.
SchliugmuBkulatur, rhytmische
Krämpfe 245. 954.
Schluckreflcx 609.
Schmerz 683.
Schopenhauer 682.
Schreiben, automatisches 724.
— Stereotypie dabei 725.
Schulärztl. Erfahr. 1145.
Schumann, Robert, Krankheit
232.
Schwachsinn, epileptischer
322. 1142. 1151. — ange¬
borener *192, *335. *495
522. (3). 523. 525. 528. -
Ohrmuschel bei Schwachsin¬
nigen 526. — Fußödem 526.
— Hvpermnesie 591. —
Terapie527. — Erziehung
Schwauger8chaftsdelir b. einer
Schwachsinnigen 1146. —
Schwannsche Scheide 952.
Schweißanomalien, F unktion
der Schwei ßsekretion 123.
— bei Rückenmarkskrank-
heiten 19. — bei Hirnaffek¬
tion 187.
Schwindel — neurasthen. 35$,
Seelenstörungen, Grundlagen
derselben 910.
Sebb&hn, Eintritt derselben in
die Hirnrinde 786. 801.
Sehnenplastik 138.
Sehnenreflexe u. Kleinhirn 131.
— im Schlaf 857. — cf.
Patellarreflcxe — ange¬
strengter Körperteile 498.
637. — bei Marathonläufern
498 u. 563. — Bahn au?
der Patellarrefl. 700. — Con¬
vention. Fixier, derselben
855. — Zur Untersuchung
derselben 856 (4). — Knie¬
reflex nach Schreck dureL
Schuß 856. — Fehlen des
Kniereflexes bei Hysterie
293. 857.
Sehnenüberpflanzung 138.
I Sehsphäre, kortikale 723.
Seitenstrangkern 124.
Sekundäre Degeneration 89$.
Selbstmord *191.
’ Selbstverstümmelung im Alko¬
holdelir 908.
Senile Abasie 735.
Sensibilität, cf. Tiefensensibili-
tät — Lokalis. derselben in
der Hirnrinde 1010.
Sensibilitätsstörungen. meta-
mere bei Hirnerkr.*493.411.
— object. Nachweis dersel¬
ben 426. — syphil. am
Rumpf 813.
Sensible Leitungsbahnen im
Rückenmark 571. 705. —
beim Hund 706.
Serodiagnose bei Lucs, Tabe*.
Paralyse 762 (3). 1140.
Serratuslähmung, operative
Heilung *878. 382.
Sexualleben u. Kultur 415.
Sexuelle Perversität*192. *495.
*788. *879. *1040. 418 (2)
419. 828. — Foren s. Be¬
deutung derselben 418. — cf.
I Homosexualität 416. 417(2).
I — Sexuelle Enthaltsamkeit
*783. *879. *1040. 416(2). -
| Übergangszuständc 417.
Sexuelle Aetiologie der Neu¬
rosen 933. SS8. 953.
Sicherheitswachen 535.
Simulation 515 (2). 535. 62$.
629.— Alkobolversuche 182.
— einer Geisteskrankheit
943.—Entlarvung derselben
NIV^IfTY OF CALIFORNIA
1213
Sinosthrombose, Angensymp-
tome dabei 974.
Sklerodermie *190. *878.
*1038. 619. — a. Basedow¬
sche Krankheit 217. 218.
Sklerose, cf. Hirnsklerose. —
des Kleinhirns 132.— mul¬
tiple *190. *333. *493. *781.
*1038. 132. 637. — famil.
juvenile 1139.— Path.Anat.
802. 803. 804. — Symptom¬
atologie 803. 805. 806 (3).
— Erkr. des Sehapparates
dabei 1005. — akute oder
Myelit disaemin. 1001. —
akut verlaufende 806. — u.
Syphilis 80-1. — sakrale
form 1106. 1130. — Forens.
Bedeut 807.
Skopolamin bei Chorea 330.
Somnolentia 819.
Spasmophilie 94. 280.
Spasmus *494. nutans *1038.
1061.
Spastische Spinalparalyse u.
Syphilis 624. 814.
Speicheldrüsen u. Rindencen¬
trum 270.
Spina bifida *493.132. — lum-
bosacralis 355. — cystica
572.
Spinalganglien *493.)
Spinalparalyse. — spas¬
tische 77. — u. Syphilis
*877. 624. 814.
Spondylitis tnberc. 829. — Be-
bandl. mit Rauchfufl scher
Schwebe 1024. — Operative
Behandl. derselben 1025. —
Heberdrainage dabei 1026.
Spondylosis rhizomelica *1038.
579.1018. 1020 (2) 1021 (3).
1022 .
Sprachsinn 525.
Sprachstörungen 363, cf. Apha¬
sie. — funktionelle 478. —
Schwachbegabter Schulkin¬
der 525.
Stammbaum, Erforschung 469.
474. 679.
Status hemiepilcpticus 349 u.
393.
Stauungspapille bei Hirnblu¬
tung 782. — bei Hydrocepb.
chron. 733. — u. Neuritis
opt 772. — bei Hirntumor
772.
Stereognostischer Sinn, Loka¬
lisation desselben in d. Hirn¬
rinde 1010.
Stereotypie, graphische 725.
Stirnhirntumor u. Areflexie der
Cornea 1133.
Stirnwindung, Verdoppelung
570.
Strafgesetz, deutsches § 51.
372.730. — Reform des StG.
U78.:itized by
Strafgesetz, österr. § 2. 730.
Strickkörper, cf. Corpus resti-
forme.
Struma, cf. Basedowsche
Krankheit 221.
Stupidität 687.
Stupor, psych. Prozesse dabei
1083.
Stübsubstanz des Central¬
nervensystems 512.
Suggestibilität 1029.
Sympathie ns *333. *494. *782.
*878. *1038. 959. 1166 —
Reizung desselben u. Hirn-
volumeu 1011. — Kopfsym-
pathicus 403. — Gangl. cer-
vical. supr. nach Anaemisi-
rung 282. — u. Erkrankung
des Wurmfortsatzes 282.
Syphilis *191. *334. *782. *879,
*1039. — s. auch Lues-
cerebrospinalis 812. — bei
Neugeborenen 112. 157. —
Lymphocytose der Cerebro¬
spinalflüssigkeit 807. —
heredit. 807. — Serodiagnose
762. 763. 818. — Nerven¬
system Syphilitischer 808
(2). 809. — des Rücken¬
marks 611. — u. spast.
Spinalparalyse 624. 814. —
Hirnlues 811. — Hirnlues
u. Korsakow 810. — cere¬
brale bei Kindern 809. —
Psychosen 486. 487. — u.
akute Verwirrtheit 983. —
u. Erkr. der Extremitäten¬
gefäße 815. — Behandl.
816 (3).
Syphilitische Sensibilitätsstör.
am Rumpf 818.
Syphilogene Erkr. des Central-
nervensysteros 622. — Be¬
handlung derselben 815.
Sypbil. Wirbelerkr. 814.
Syringobulbie 72. — Vagus-
lähmnng dabei 1115.
Syringomyelie *190.*333.*781,
*877. *1038. 71 (2). 72. 73.
74 (3). 75 (2) 328. 585. 875.
Systemerkrankungen, combi-
nierte 41. — path. Anatomie
144.
Tabakrauch u. Blutkreislauf
im Gehirn 903.
Tabes *190. *333. *493. *781.
*877. *1038. 623. — experi¬
mentelle bei Hunden 760.
— Theorie derselben 1095.
1096. — Symptomato¬
logie 27. 765. — Blut da¬
bei 912. — ataxo-spasmod.
Form 1096. — Analgesie
der Achillessehne 28 u. 765.
— Arthropathie 1097. —
traumat Rückenmarksblut,
dabei 1110. — Krisen, gastri¬
sche 29. — Ataxie 971. —
u. Osteomyel. gummosa 764.
— u. Neuritis 28. — Aba-
diesches Zeichen 28 n. 765.
— Lymphocytose 623. —
unvollständige Formen 26.
— Geburt bei Tabes 765.
— Ätiologie 26. 761. 764.
765. 817. — auf erblich-
degenerativerGrundlage754.
— u. Diabetes in der As-
cendenz 755. — juvenile
Tabes 779. — Syphilisätio¬
logie 761. 752(3). 817. —
Serodiagnose 762 (3). 763.
817. — geschlechtl. Abusus
761. — u. frühere antisyphi¬
litische Behandlung 970. —
Verlauf, Dauer, atypisch
26. — Gravidität 27. —
path. Anatomie 25. 26.
1095. 1096. — Läsion der
Wurzelfasern 25. — Diph-
theroid 36. — Ganglien u.
hintere Wurzeln 1096 (2).
— Vorderhörner 1097. —
Diagnose 27. — Thera-
pie26.765.1097. — Übungs¬
therapie 29. 766. 1081.
Tachykardie, paroxysmelle
1120.
Tastlähmung, transkortikale
708. 709 (3).
Telephonschädigungen 516.
Tetanie, Behandlung mittels
Nebenschilddrflsenpräparat.
281. — als Kalciumvergift.
280.
Tetanie *190. *384. *494. *782.
*878. *1038. 867. - Ätio¬
logie 488. — experimentelle
1099. — der Säuglinge 94.
278. — der Kinder 280. —
Tetaniestar 280. — halluz.
Verwirrtheit dabei 146. —
parathyreopriva 277. 1099.
— u. weiblicher Sexual¬
apparat 278. — intestinalen
Ursprungs 279. — u. Magen¬
erweiterung 278. — bei
Magenkrankheiten 279.
Tetanus traumaticus *191.
*334. *494. *782. *878. 487.
489. *1039. — Therapie 31.
382. — elektr. Reaktionen
330.
Therapie *192. *335. *496.
*784. *880. *1040. 234. 239.
859. — physikalische 419.
*784.
Thomsensche Krankheit, s.
Myotonie.
Thrombosinusitis cerebr. 1176.
Thymus, hypertrophische 7.
Tic 1063 (2). — u. Chorea
1064.
Tiefenseusibilität ^ |na| from
1 '\W*Wer'S\-W OF CALIFORNIA
Tollwutschutzimpfung, akute
Paraplegie danaoh 1080.
Torticoliis »494. 1061.
Toxine, ihre Wirkung auf Hirn-
u. Rückenmarksnerven 982.
Traum bei Männern u. Frauen
941. —Kontrastträume 1012.
Trauma *191. *884. *496.
*782. *879. *1089. 515. 542.
— cf. Simulation. — elek¬
trisches 182. 516. — am
Telephon 516. — im Brauer¬
gewerbe 517. — Meningitis
cerebrospinalis 86. 87. —
u. Abducenslähm. 518. —
u. Störungen im Hörnerven¬
apparat 520. — u. Arterien¬
erkrankung 518. 521. — u.
inneres Ohr 520. — u. Apo¬
plexie 517. — u. progressive
Paralyse 35. 36. — u. Dip¬
somanie 518. — Rücken¬
mark *388.78.— des Schädels
187. 519 (2). 521. — u.
Neurosen 425 478. 521 (2).
626. — Untersuch, mit d.
Arbeitsschreiber bei Unfall¬
kranken 529. — Serratus-
lähmung 382. — Rhythm.
Krämpfe der Schling- u.
Respirationsmuskulatur bei
traumat. Neurasth. 954. —
Folgen der Unfallgesetz¬
gebungen 625.
Tremor, Mechanik desselben
927. — statischer 290. —
famil. 679.
Trepanation bei Epilepsie 324.
325. — bei Großhirnge¬
schwulst 174 (2). — bei
Kleinhirntumoren 133.134.—
beiKleinhirnbruckentumoren
173(2). — bei Hirnabsceß
175(2). — bei Jacksonscher
Epilepsie 174. — bei Rücken¬
markslähmungen 383.
Trigeminus, intrabulbäre Ver¬
bindungen zum Vagus 270-
Trigeminusneuralgie*190*494.
*878. 681. — Exstirpat. des
Gangl. Gasseri 1124 (3). —
Neurinsarkoklese 1124. —
Lingualisneuralgie 1125.
Trinkerfürsorge 909 (2).
Trophödem, chronisches 330.
Trunkenheit, akute in foro 142.
Trypanosomenerkrank. 1141.
Tuberkuline Ophthalmoreakt.
bei Psychosen 1147.
Tuberkulose u. Nervensystem
*493. 1075. — u. Psychosen
1075. — in Anstalten 1075.
1076 (2). — beim Rind 610.
Tumoren, multiple im Umkreis
des Nervensystems 781.
Turmschädel u. Opticusatro¬
phie 1081. — Röntgenauf¬
nahmen 1081.
Typose, centrale 476.
Cebererregbarkeit, anodische
der Säuglinge 468.
Übergangswindungen, cf.Gyri.
Übungstherapie 29.
Unbewußte 1087.
Unfall, s. Trauma.
Unfallgesetze u. deren klinische
Folgen 625.
Unfallverletzte *191. *334.
Unterbringung Geisteskranker
430. 431. 432.
Unterhautzellgewebe, Atroph,
desselben 1072.
Unzurechnungsfahigkeitspara-
graph872.1147.1148. 1149.
1150. 1151.
Uranismus 417.
Vagus, intrabulbäre Verbin¬
dungen mit Trigeminus 270.
—\Ursprünge desselben *779.
403. 894. 1119.— Ursprung
des Lungenvagus 756. —
Reizung desselben 849. —
Ursprungskerne 894. —
Lähmung bei Syringobulbie
1115.
Vasomotorencentrum 217.
1010.
Vasomotorische Neurosen 634.
684. — u. Gefäße dabei 638.
Ventrikelblutungen u. Lumbal¬
punktion 962.
Ventrikelpunktion 962.
Verbrechen, psych. Prozesse
dabei 981. — der Greise
1030.
Verbrecher, angeborener 729.
Verdeutschung 683.
Vererbungsproblem 972.
Vergiftung *495. *782. *878.
— mit Quecksilber 458. —
durch Lumbalinjekt. 459.
Veronal 865.
VeronalVergiftung *495. 900
(3). 901.
Verstopfung, Behandlung der¬
selben 427.
Verwirrtheit, halluzinat., cf.
Delirium hallucinat — mit
Glykosurie u. Achondropla-
sie 1146.
Vibration u. Nervensystem 849.
Vibrationsgef&hl 168.
Vicq d’Azyrscher Streifen >
Vierbügel, hintere, Funfc-
derselben 922.
Vorbeireden 238.
Vorderhornzellen, Kern¬
teilungen in denselben ^
Vorstellung u. Wahrnehmr:
942.
Wadenkrämpfe i m orieii
lischen Gebiet 792.
Wahnideen, paranoische 7:'
Wahnvorstellungen 1072.
Wahrnehmung u. Vorstell: -
942.
Wallersche Degeneration v’-
Wärmecentren *188.
Wärmeregulierung 453.
Winduogen, cf. Gyros.
Wirbelcaries 579.
Wirbelgeschwülste 1077.
Wirbelsäule *333. *781. *?r
— Krebsgeschwulst 58*. -
Erkrankung ders. (Ta<i:
vertebrae) 1017. — cter
Rheumat derselben VA"
— cf. Spondyl. rhizomd. -
Auskultation derselben 107t
Worttaubheit, funköoneiJe
532.
Wurzeln des Rückenmarks
hintere Durchschneiden*
u. Bewegung der Vögel
u. 758 — hintere. normal*
u. patliol. Anatomie d<r±
757. — experiment. Dureh-
schneidnng derselben 75?
— Entzünd, derselben kl¬
einer Stute 760. — secsibie
der Med. oblong. 757.
Zeichnungen von Geistes¬
kranken 414.
Zeugenaussagen 272.
Zirbeldrüse, cf. Glandula
pinealis. 1
Zittern, cf. Tremor.
Zonaartigc Ecchymosen
Zunahme von Nerven- u.
Geisteskranke 985.
Zungenneuralgie 1125.
Zurechnungsfähigkeit 372.87-,
981 (2). 982. 1032. 1CÄ
1034. 1148. — vermindev.
183. 233. 375. 377.981.103?-.
Zwangsbewegungen, auto¬
matische 724.
Zwangsvorgange 327. 367.
Zwangsvorstellungen 680.
*1040. — forens. Bedeutung
613.
Zwillingsirresein 415.
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Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird ge beten.
Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Hendel
in Berlin NW, Luisenstr. 21. _ _ ^
Toiglßp & Comp, in Leipzig. — Druck von M^zgkb & Wim« in Leippg.
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Original frorn
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