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Full text of "Neurologisches Centralblatt. V. 26.1907. UC"

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NEUROLOGISCHES 

CENTRALBLATT 


ÜBERSICHT 

DER 

LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATOMIE, 
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN- 
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN. 


BEGRÜNDET von Prof. E. MENDEL. 


SECHSUNDZWANZIGSTER JAHRGANG. 

MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT. 



LEIPZIG, 

VERLAG VON VEIT & COMP. 
1907 


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Original fro-m 

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Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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Ideologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 


Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Hendel 

(unter Mithilfe Ton Dr. Kort Mendel) 

Seehsnndzw&nsigster " B * rlin ‘ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Za beziehen durch 
alle Buchhandlangen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 2. Januar. Nr. 1. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Zar Kenntnis der sogen, angeborenen Muskel- 
Schlaffheit, Muskel sch wache (Myohypotonia, Myatonia congenita), von Prof. M. Bernhardt. 

2. Ein Fall von genuiner Epilepsie mit darauffolgender Dementia paralytica, von Dr. Pelz. 

3. Schweißanomalien bei Rückenmarkskrankheiten, von H. Higier in Warschau. 

II. Referate. Anatomie. 1. Einiges vom „Gehirn“ des Amphioxus, von Edinger. 
2. The increaee in the number and size of the medullated fibres in oculomotor nerve of 
the white rat and of the cat at different ages, by Boughton. — Physiologie. 3. Über 
die Beziehungen zwischen dem Gewichte des Gehirns und der körperlichen sowie geistigen 
Beschäftigung des Menschen, von Matiegka. 4. Über die Bewegung der Vögel nach Durch- 
schneidung hinterer Rückenmarkswurzeln. Ein Beitrag zur Physiologie des Centralnerven- 

? ’8tems der Vögel (nach Untersuchungen an Columba domestica), von Trendelenburg. — 
athologische Anatomie. 5. Regeneration collatörale de fibres nerveuses terminees par 
dee massues de croissance ä Retat pathologique et ä Rötat normal; lösions tabefciques des 
meines mödullaires, par Nageotte. 6 . Forms of degenerations in the posterior columns 
ofthe spinal cord, by Williamson. — Pathologie des Nervensystems. 7. Ein Beitrag 
mr Pathologie der Tabes, von Spielmeyer. 8 . Tabes pendant Revolution duquel apparait 
an chancre vraisemblablement syphilitique. Retard dans Involution auatomique des lesions 
mädullaires. Nevrites peripberiques intenses en rapport avec une arthropathie du genou, 
per Verger et Grenier de Cardenal. 9. Kann die Entwickelung der Tabes oder der Paralyse 
durch entsprechende Behandlung der Syphilis verhindert werden? von v. Kdtly. 10. über 
inkomplette Formen von Tabes dorsalis (Formes frustes), von Slgerist. 11. Über atypische 
Verlaufsformen der Tabes, von Schüller. 12. Einige wenig beschriebene Formen der Tabes 
dorsalis, ron Lapinsky. 13. Zur Frühdiagnose der Tabes bei den Weibern, von Brodski. 
14. Tabes dorsalis nnd Gravidität, von Thies. 15. Ein Fall von mit Neuritis komplizierter 
Tabes, ron FereRCzi. 16. Über Analgesie der Aohillessehne bei Tabes (Abadiesches Sym¬ 
ptom), ron Racine. 17. Ein forensisch bedeutungsvoller Fall von gastrischen Krisen, von 
Obm. 18. Grundsätze der Übungstherapie bei Tabes, von Frenkel. 19. Contribution 
* l’ätude de Retiologie de la maladie de Friedreich, par Bouchd. 20. A family in which 
wme of the signs of Friedreichs ataxy appeared discretely, by Gardner. 21. Un caso di 
malattia di Friedreich interessante per una rarissima parti colarita, per Chiadini. 22. Drei 
mit Serum behandelte Fälle von Tetanus traumaticus, von Kentzler. — Psychiatrie. 23. Die 
oytologische und chemische Untersuchung des Liquor cerebrospinalis bei Geisteskrankheiten, 
insonderheit bei progressiver Paralyse, von Liebscher. 24. La citiodiagnosi nelle diverse 
forme mentali. per La Pegna. 25. Die progressive Paralyse, von Neumann. 23. Welche 
Bolle spielt die Endogenese in der Ätiologie der progressiven Paralyse? von Dreyfus. 
27. Dementia paralytica und Syphilis, von Vorberg. 28. La legende de Rimmunite des 
arabes syphilitiques relativement ä la paralysie gdndrale, par Marie. 29. A proposito deila 
patogenesi della paralisi progressiva e dello spirochaete pallida Schaudinn-Hoffmann, pel 
vatöta. 30. Die Plaut-Wassermann sehen Untersuchungen über syphilitische Antistoffe bei 
Paralytikern, von Alt. 31. A propos des rapports du traumatisme et de la paralysie gend- 
nde, par Brlssaud et Regle. 82. Lin Fall von progressiver Paralyse im Anschluß an einen 
Unfall durch elektrischen Starkstrom, von Adam. 33. Tue p&thology of general paralysis 
of the insane, by Robertson. 34. Über einen eigenartigen Markfaserschwund in der Hirn¬ 
rinde bei Paralyse. Vorläufige Mitteilung von Fischer. 35. Progressive Paralyse? von 
Knauer. 86. Frühdiagnose und Behandlung der progressiven Paralyse, von Heiibronner. 
37. The early ocular signs of demeutia paralytica, by Holden. 88. Über ein bei gewissen 


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VerblödungsprozesseD, namentlich der progressiven Paralyse auftrefcendes, wenig bekannte» 
motorisches Phänomen, von Dobrschansky. 39. Un cas de main de pr4dicatenr chez nn 
paralytique genöral, par Bouchaud. 40. Arthropathie nerveuse chez un paralytique general 
non tabetique, par Etienne et Perrln. 41. Mal perforant et paralysie generale, par Marie 
et Pelletier. 42. Le rÄflexe de Babinski dans les ictus 6pileptiformes et apoplectilormes de 
la paralysie g4n£rale, par Robert et Fournlal. 43. Laevulosurie und Paralyse, von Jach. 
44. Zirkuläre Formen der progressiven Paralyse, von Rybakoff. 45. Zum Verlauf der pro¬ 
gressiven Paralyse, von Steiner. — Therapie. 46. Elektrotherapie. Die Technik und An¬ 
wendung elektrischer Apparate in der ärztlichen Praxis, von Heber und Zickel. 

III. Aus den Gesellschaften. Ärztlicher Verein in Hamburg. 

IV. Vermischtes. 


1. Originalmitteilungen. 

1. Zur Kenntnis der 

sogen, angeborenen Muskelschlaffheit, Muskelschwäche 
(Myohypotonia, Myatonia congenita). 1 

Von Prof. M. Bernhardt. 

Im März 1904 habe ich in der Deutchen Zeitschrift für Nervenheilkunde 
(XXVI, S. 78) eine Arbeit veröffentlicht unter dem Titel: Neuropathologische Be¬ 
trachtungen und Beobachtungen. Ich hoffe, nicht besonderer Anmaßung be¬ 
schuldigt zu werden, wenn ich sage, daß diese Arbeit in der späteren neuro¬ 
logischen Literatur wenig Berücksichtigung gefunden bat. Meine damaligen 
Betrachtungen begannen mit folgenden Worten: 

In der vorliegenden Arbeit habe ich versucht, mir selbst und, soweit ich es 
vermochte, auch anderen Klarheit Uber die interessante, klinisch in einer Reihe 
von Krankheiten konstatierte Tatsache zu verschaffen, daß man bei bestimmten 
Erkrankungen des Nervensystems, speziell des peripherischen, in einem gar nicht 
gelähmten und nie gelähmt gewesenen Nerv-Muskelgebiet die elektrische Erregbar¬ 
keit verschwunden oder mindestens enorm herabgesetzt und eventuell in den 
Formen partieller oder kompletter Entartungsreaktion einhergehend antreffen kann. 

Ich habe diesen Auseinandersetzungen hier und da einige von mir gemachte 
klinische Beobachtungen heigefügt, welche vielleicht geeignet erscheinen dürften, 
die in der Arbeit besprochenen Symptomenkompleze der Polyneuritis besonders 
im frühen und frühesten Kindesalter sowie die Lehre von der spinal- 
neuritischen Form der progressiven Muskelatrophio zu illustrieren bzw. zu er¬ 
weitern. 

Aus dieser meiner Arbeit erlaube ich mir nun zunächst folgende zwei Be¬ 
obachtungen, da sie mit dem, was ich später zn sagen habe, im Zusammenhänge 
stehen, hier zu reproduzieren: 

Ausgangs des Jahres 1894 hatte ich Gelegenheit, ein damals 2 1 / a jähriges 
Knäbchen zu beobachten, welches angeblich bis vor etwa 9 Wochen ganz gesund 
war. Der Knabe hatte mit l l / 2 Jahren laufen gelernt und lief schon ausgezeichnet, 
Fieber hatte angeblich nie bestanden; Krämpfe waren nie vorhanden gewesen; er 
fing an schlechter zu laufen, fiel oft hin und konnte zuletzt gar nicht mehr 
gehen. Ob er wirklich, wie mir auf eindringliches Fragen von der Mutter mit¬ 
geteilt wurde, einige Zeit schlechter geschluckt, lasse ich dahingestellt; aus der 
Nase sind Flüssigkeiten nie beim Schlucken zurückgekommen. Der Knabe machte 

1 Der Redaktion eingesandt am 15. Oktober 1906. 

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durchaus den Eindruck eines gesunden KindeB, wenn er auf dem Schoße der 
Matter saß; Gesicht, Ärmchen, Hände und Finger wurden in normaler Weise be¬ 
wegt. Er ist munter, hat Herrschaft über Blase und Mastdarm; Pupillen gleich, 
rat reagierend. An den Beinen besteht eine vollkommene Paraplegie; Spuren 
von Beugung in den Hüftgelenken sind noch zu bemerken, sonst ist alles an ihnen 
bis auf die Zehen herab unbeweglich. Die Kniephänomene, die Kitzelreflexe von 
der Sohle aus sind verschwunden. Die elektrische Prüfung der Nerven und 
Muskeln der unteren Extremitäten ergibt das Bestehen einer vollkommenen Ent* 
artangsreaktion. Aber auch die stärksten faradisohen Ströme waren 
nicht imstande, an den scheinbar gar nicht affizierten, jedenfalls 
frei beweglichen Nerven und Muskeln der oberen Extremitäten auch 
nar die geringste Reaktion auszulÖBen. 

Dieser Fall, welcher seiner eigentümlichen elektrischen Reaktionen wegen 
meine besondere Aufmerksamkeit erregte, kam zu einem erfreulichen Ende. Etwa 
1 Jahr nach meiner Untersuchung, welche mir die Berechtigung zu geben schien, 
eine Polyneuritis zu diagnostizieren, erhielt ich von der Mutter die Nachricht, 
daß im Verlauf eines Vierteljahres nach seiner Vorstellung bei mir das Kind wieder 
stehen und seine Füße in alter Weise gebrauchen konnte. Er turnt, wie die 
Mutter schreibt, mit seinen Geschwistern um die Wette und ist seiner körper* 
liehen und geistigen Entwickelung nach einem Kinde seines Alters durchaus 
entsprechend. 

Nach Mitteilung dieses Falles, auf den ich später noch einmal zurück¬ 
kommen werde, lasse ich eine andere Beobachtung folgen, die mit dem, was 
ich weiter noch zu sagen habe, im engsten Zusammenhänge steht Ich sagte 
damals: 


Neben diesem soeben mitgeteilten Fall von Polyneuritis in frühem Kindes¬ 
alter wird, glaube ich, auch folgende Beobachtung Interesse erregen, welche ich 
gleichfalls der Gruppe der Polyneuritiden zurechnen möchte. Es handelte sich 
(September 1895) um ein 9 Monate altes, von gesunden Eltern stammendes Kind 
(wie ich jetzt, leider verspätet hinzufüge, ein Knabe), welches innerhalb des ersten 
Vierteljahres seines Lebens ebenfalls gesund und munter war. Es bewegte beim 
Baden in der Badewanne Hände und Füße und erschien der Mutter durchaus so 
wie andere Kinder dieses Alters. Vom 4. Lebensmonat an nahm die Lebhaftig¬ 
keit der Bewegungen immer mehr ab, bis sie, wenigstens was die Beine betrifft, 
nunmehr hei dem 9 Monate alten Kinde fast ganz aufgehört hat. Jedenfalls sind 
im Hüft- und Kniegelenk keine willkürlichen Bewegungen wahrzunehmen; dagegen 
sind links an dem in Pes-varo-equinus-Stellung verharrenden Fuß leichte Streck- 
und Beugebewegungen der Zehen zu sehen, welche in noch geringerer Intensität 
auch rechts zustande kommen. Die Bewegungen in den Schultern und 
Armen sind sehr wenig ausgiebig; man mnß schon genau Zusehen, um sie zu er¬ 
kennen; besser steht es mit der Möglichkeit, die Hände und Finger zu beugen 
und zu strecken. Die Bewegung der Augen und Gesichtsmuskeln ist intakt, nur 
scheint die rechte Unterlippen-Kinnmuskulatur etwas kräftiger zu agieren als 
links. Das Köpfchen fällt stets nach hinten über; nach vorn kann es nicht ge¬ 
bracht werden. Überhaupt macht das Kind mit seiner so überaus schlaffen 
Muskulatur den Eindruck einer größeren Puppe, deren Glieder nach allen 
Bichtungen in exzessive Stellungen gebracht werden können. Sehr starke faradische 
Ströme, durch welche bei Erwachsenen kräftigste Kontraktionen erzielt werden, 
sind nicht imstande, die Streck- oder Beugemuskeln des Kindes an Oberarmen 
oder Unterarmen und auch nicht die kleinen Fingermuskeln zur Zusammenziehung 
zu bringen; das gleiche gilt (faradisch) für die Muskeln der Beine, an denen man 


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speziell an der Peronealmuskulatur durch sehr starke galvanische Ströme (10 bis 
12 U.A.) langsame träge Zuckungen auslöst. 

Auch die auf ihre Erregbarkeit geprüften Gesichtsmuskeln zeigten sich, selbst 
gegen sehr starke Ströme, im deutlichsten Gegensatz zur Reaktion Gesunder, kaum 
erregbar. 

Ich fuhr in meiner Beschreibung nun folgendermaßen fort: 

In der mir zugänglichen Literatur habe ich eigentlich nur die Mitteilung 
Oppenheims als hierhergehörig auffinden können. In einem Aufsatz betitelt: Über 
allgemeine und lokalisierte Atonie der Muskulatur (Myatonie) im frühen Kindes* 
alter bespricht der Autor Zustände, welche offenbar mit denjenigen, welohe ich 
in dem mitgeteilten Fall beobaohten konnte, die größte Ähnlichkeit haben. 

Nach genanntem Autor handelt es sich in solchen Fällen um eine verzögerte 
und verspätete Entwickelung der Muskulatur und nicht um eine Krankheit des 
zentralen Nervensystems; wenige Zeilen später sagt er, daß sich aber auch nicht 
ausschließen ließe, daß der primäre Sitz der Entwickelungserscheinung nicht in 
den Muskeln, sondern in den Vorderhornzellen zu suchen ist. 

Wie ich oben schon angedeutet, rechne ich meinen Fall und ähnliche zur 
Klasse der Polyneuriditen; dieses Leiden kann in außergewöhnlicher und 
ätiologisch nicht aufgeklärter Weise das früheste Kindesalter be¬ 
fallen. Sollte sich bei weiteren Untersuchungen tatsächlich ergeben, daß ent¬ 
zündliche oder degenerative Prozesse in den peripherischen Nerven gefunden 
werden, so könnte es sich nach den von mir und auch von Oppenheim erhobenen 
elektrodiagnostischen Befunden wohl um eine derjenigen Formen handeln, welche 
neben der zur Wallkb sehen Degeneration führenden Veränderung der peripherischen 
Nerven zugleich auch diejenige Form der Neuritis aufweist, welche, von Gombaui/t 
beschrieben, als die P&ÄWALLEB’sche, nur die Markscheiden befallende 
Affektion der Nerven auftritt. Eher als an eine verzögerte und verspätete 
Entwickelung der Muskulatur kann man meiner Meinung nach an eine verzögerte 
und verspätete Entwickelung der peripherischen Nerven in solchen Fällen denken, 
wenn sich herausstellen sollte, daß eine entzündliche, sei es parenchymatöse oder 
interstitielle Neuritis, nicht vorhanden ist. 

Über diesen von Oppenheim zuerst 1900 in der Monatsschrift f. Psychiatrie 
u. Neurologie 1 beschriebenen Symptomenkomplex hat derselbe Autor später in 
seinem Lehrbuch der Nervenkrankheiten in der 3. Auflage, S. 200 und weiter 
in der 4. Auflage vom Jahre 1905, S. 223, sowie im Verlaufe einer Kranken- 
vorstellung in der Berliner med. Gesellschaft 1 seine Meinung dahin abgegeben, 
daß es sich um eine Entwickelungshemmung, um eine unvollkommene, un¬ 
vollendete Entwickelung der Muskulatur, des Muskelgewebes handelt, aber er hat 
auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß eine Entwickelungshemmung 
im zentralen, spinalen Gebiet, vielleicht eine mangelhafte Ausbildung der Vorder* 
hornzelle zugrunde liege. 

Von späteren Beschreibungen des in Bede stehenden Leidens kenne ich, 
abgesehen von der Mitteilung Spillebs, nur noch die jüngst veröffentlichte 
Arbeit L. Rosenbbbg’s 3 aus eignem Studium. Die in der Mitteilung Rosen¬ 
bbbg’s erwähnten Beobachtungen Muggia’s, Bebti’s und die Dissertation 

1 Heft 3. S. 232. 

* 24. Februar 1904. 

* Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. S. 130. 

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W. Kuhdt’s kenne ich nur durch die eben genannte Arbeit Weder Spillbb 
noch die von Rosenbebg erwähnten Autoren, noch Rosebebg selbst haben von 
meiner oben reproduzierten Mitteilung aus dem Jahre 1904 (die Beobachtung 
selbst stammt übrigens aus dem Jahre 1895) Kenntnis genommen. Von den 
soeben näher bezeichnten Beschreibungen der hierhergehörigen Fälle ist der von 
Spillbb 1 deshalb der wichtigste, weil er zum erstenmal einen Obduktionsbefund 
brachte. Ich will hier den Befund Spillbb’s nicht noch einmal wiederholen, 
da der interessierte Leser das Wesentliche in der genannten RosENBEBG'schen 
Arbeit nachlesen kann. Nur soviel sei gesagt, daß der amerikanische Autor 
das centrale sowohl wie das peripherische Nervensystem intakt fand, dagegen 
erhebliche Veränderungen des parenchymatösen sowohl wie des interstitiellen 
Muskelgewebes nachweisen konnte. 

Dieser Fall Spilleb’s gibt aber zu einigen Bedenken Anlaß. 

Zunächst war das betreffende Kind von seinem 5. Lebensmonat ab blind und 
schielte. Der klinisch erhobene Augenspiegelbefund leidet an erheblicher Un¬ 
klarheit. Bei der Untersuchung durch Spilles post mortem wurden beide 
Nn. optici gesund befunden. (Über das Verhalten der Retina und der Mucula 
lutea liegt kein Befund vor.) 

Während ferner die ungemein ausgebildete Hypotonie der Muskeln hervor¬ 
gehoben wird, heißt es von dem elektrischen Befund kurz, daß die Muskeln auf 
den faradischen Strom reagierten. Wenn auch von Oppenheim selbst und ferner 
z. B. von Muggia das Erhaltenbleiben der elektrischen Erregbarkeit in leichteren * 
Fällen beschrieben wird, muß es doch gerade im SpiLLBB’schen Fall auffallen, 
daß die elektrische Erregbarkeit keine Veränderung zeigte, da ja gerade in diesem 
einzigen bisher obduzierten Fall eine ziemlich hochgradige Veränderung der 
Muskulatur nachgewiesen wurde. Während ferner sonst alle Autoren ein Frei¬ 
bleiben der Augen-Zungen-Schlundmuskulatur hervorheben, heißt es vom 
SpiLUBB’schen Kinde, daß es, von der Brust abgesetzt, mit einiger Schwierigkeit 
schluckte. 

Der Bericht Spilleb’s wurde nun in der Oktobemummer desselben, vorher 
schon genannten amerikanischen Blattes 2 von Allen J. Smith ergänzt Sp il l e s 
hatte, wie Smith noch einmal referierend berichtet, weder im Gehirn noch im 
Rückenmark, den Sehnerven und den peripherischen Nerven von oberen und 
unteren Extremitäten irgend gröbere oder feinere Veränderungen gefunden. 
Aber im Muskelgewebe der Fußsohlen, der Wade und in den Rückenmuskeln 
fand Spilles hyaloide Fasern; die Querstreifung war erhalten, die Längsstreifung 
weniger deutlich, die Muskelfasern, besonders die von der Sohle und Wade 
s chmal und die vom Fuß besonders wegen Anhäufung von Fettgewebe und be¬ 
trächtlicher Vermehrung der Bindegewebskerne. Die Thymus, so heißt es in 
dem von Spillbb mitgeteilten Obduktionsbefund, ist vorhanden; sie zeigt keine 
groben Anomalien. 

Smith hat nun die vom Neurologen weniger in Betracht gezogenen Gewebe 

1 Univ. of Penna. Medical Bulletin. XVII. 1905. Januar. 

* XVin. Nr. 8. 

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einer genaueren Untersuchung unterzogen. Es ist nicht meine Absicht, hier die 
Ergebnisse dieter Untersuchungen ausführlich wiederzugeben; immerhin erlaube 
ich mir das Hauptresultat des Verfassers zu reproduzieren. 

Er sagt: Meine Fände, Fibrosis der Thymus mit Vergrößerung der Har ra r.*- 
schen Körperchen, die endotheliale Wucherung in der Thymus und den 
MALPlOHi’Bchen Körperchen der Milz, die in der Thymus und der Milz nach¬ 
gewiesene Arteriosklerose, die Anwesenheit yon Lymphknoten in der Lunge und 
die Wucherung lymphoider Elemente in den Lymphknoten des Mesenteriums 
stempeln den vorliegenden Fall zweifellos zu einem interessanten. Eis kann nach 
Smith zwar nicht mit Sicherheit behauptet werden, daß diese Befunde in diesem 
einzelnen Falle alB wesentlich für das Zustandekommen der Muskelhypotonie an¬ 
gesehen werden müssen, aber sie fordern zu weiteren Untersuchungen nach dieser 
Richtung fraglos auf. 

Apbiobi mag vom theoretischen Standpunkt Oppbnhxim’s, die durch die 
positiven Befunde Spilleb’b in diesem Falle bestätigt werden, die Muskelveränderung 
wenigstens versuchsweise (at least tentatively) als definitive Grundlage des Leidens 
angesehen werden. 

Unsere Kenntnis von den Funktionen der Thymus und ihren HAS&AL’schen 
Körperchen aber, fährt er fort, ist noch zu unsicher, um mehr als nur Ver¬ 
mutungen zuzulassen; immerhin könnte man im Auge behalten, daß die Thymus, 
sei es durch innere Sekretion oder durch Zerstörung schädlicher Stoffwechsel¬ 
produkte einen Einfluß auf die Entwickelung aller oder einiger Körperteile aus¬ 
übt, sei es direkt oder durch eine Wirkung auf die trophischen Nervenfunktionen, 
Außerdem habe man die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß für die be- 
•schriebenen Muskel- und Thymusveränderungen irgend ein Zustand von Auto¬ 
intoxikation bestände, und es wäre begreiflich, daß durch einen so gestörten 
Stoffwechsel ein reizender Einfluß auf die Gefäß- und Lymphendothelien, die 
Lymphzellen selbst und das Bindegewebe der Gefäßwände und auf die ThymuB 
ausgeübt würde, ein Einfluß, der den nervösen tropbischen Einfluß so störe, daß 
er zu den erwähnten Muskelveränderungen Veranlassung gebe. Für diese Annahme 
liegt, wie der Autor vorsichtig hinzufügt, zwar kein Beweis vor, aber das Bild 
des mitgeteilten FalleB sei mit dieser Annahme nicht unverträglich. 

Ich halte diese Ausführungen des amerikanischen Autors deshalb für ganz 
besonders interessant, weil sie mit Befunden WeigbbtV in einem Falle von 
Myasthenie gravis manches Übereinstimmende haben. In diesem Falle (klinisch 
von Laquer beobachtet) sah man an den makroskopisch scheinbar normalen 
Muskeln bei mikroskopischer Untersuchung an vielen Stellen des Perimysium 
externum und internum hier und da in schmalen Zügen zwischen die Muskelfasern 
selbst eindringend, verbunden mit (mikroskopischen) freien Blutmassen reichliche 
Zellenanhäufungen, die den in der Tbymusgeschwulst (von der sofort die Bede 
sein wird) geschilderten glichen. Auch hier waren die kleinen lymphoiden Zellen 
diejenigen, welche die Hauptmasse bildeten, während die größeren epithelioiden 
nur spärlich vorhanden waren. Die HASSAi/schen Körperchen fehlten ganz. 
Ausnahmsweise sah man die Zellen auch in Bäumen, die durch ihre Endothel¬ 
begrenzung als Kapillaren zu erkennen waren. Im Bereiche der Zellmassen 
waren die Bindegewebs- und elastischen Fasern vielfach rarefiziert Die Muskel- 

1 Neurolog. Centralbl. 1901. S. 597. 

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fasern selbst zeigten eine schöne Querstreifung, nur hier und da waren ver¬ 
einzelte Faserstücke, die in die eingelagerten Zellmassen hineinragten, ohne 
solche. 

Im vorderen Mediastinum fand sich eine abnorme Gewebsmasse, die bei 
ihrer Lage und mikroskopischen Struktur zweifellos von der Thymus abstammte. 
Es war ein Tumor der Thymusdrüse, und nach Weigebt waren die Zell¬ 
anhäufungen in den Muskeln wohl als Muskelmetastasen des bösartigen Thymus¬ 
tumors aofzufassen. Nach W. ist diese Kombination der Myasthenia gravis 
mit einer Erkrankung der Thymusdrüse bemerkenswert, insofern schon mehrere 
derartige Befunde vorliegen. In vorsichtiger Weise gibt übrigens der Autor zu, 
daß gerade gewisse Thymustumoren in ihren Metastasen speziell die Muskeln 
befallen; darüber hätten nooh weitere Untersuchungen zu entscheiden. Besonders 
scheint mir nun wichtig, dafi W. es für denkbar hält, daß die Zellanhäufungen 
in den Muskeln keine conditio sine qua non für das Zustandekommen von Be¬ 
wegungsstörungen bei Tbymuserkrankungen darstellen, sondern daß hier wieder 
jene dunklen intermediären Stoffwechselprodukte eine Rolle spielen, die in 
neuerer Zeit soviel von sich reden gemacht haben. Freilich hätten wir uns bei 
der Thymus diese rätselhaften Einflüsse genau umgekehrt zu denken, wie etwa 
bei der Schilddrüse. Während bei dieser die Anwesenheit von mindestens 
eines genügenden Restes der Drüse für die normalen entsprechenden Funktionen 
notwendig ist, wäre bei der Thymus gerade die Abwesenheit oder Gering¬ 
fügigkeit des normalen Gewebes nach Abschluß des Wachstums für die Gesund¬ 
heit erforderlich. Eine hypertrophische Thymus sei übrigens auch bei 
kleinen Kindern vom Übel. Ob aber alle Thymustumoren diesen Überschuß 
von normalem Gewebe enthalten, ist durchaus nicht sicher und es muß weiteren 
Beobachtungen Vorbehalten werden, hierüber in Klare zu kommen. 

Beide Autoren, Weigebt sowohl wie Smith sind, wie schon hervorgehoben, 
in ihren Schlußfolgerungen sehr vorsichtig und betonen beide, daß ihre Befunde 
vorläufig durchaus nicht als pathologisch-anatomische Grundlage, sei es für die 
Myasthenia gravis (Weigebt), sei es für die Myatonia congenita (Smith) in 
allen Fällen angesehen werden sollen. Immerhin halte ich dafür, daß trotz 
aller klinischen Verschiedenheiten der genannten Krankheiten doch auch 
wieder gewisse Berührungspunkte zwischen beiden sich finden, die die Annahme 
einer der Erkrankung zugrunde liegenden Autointoxikation (vielleicht von der 
irgendwie veränderten Thymusdrüse her) mindestens erwägenswert machen. 

Als ich eingangs dieser Mitteilungen sagte, daß ich meinen Fall und 
ähnliche zur Klasse der Polyneuritiden rechnen zu müssen glaubte, fügte ich 
hinzu, daß diese Polyneuritis in außergewöhnlicher und ätiologisch nicht auf¬ 
geklärter Weise das früheste Kindesalter befallen könne. Daß dies nicht 
gerade allzuhäufig vorkommt, weiß ich wohl aus eigener Erfahrung. Daß das 
Leiden aber bei sehr jungen Kindern auftreten kann, beweist mein gleich zu 
Anfang beschriebener Fall des 2*/ 2 jährigen Knaben, dessen Leiden meiner An¬ 
sicht nach tatsächlich durch die Annahme einer mit der WALLEB’schen 
degenerativen Neuritis kombinierten periaxilen Neuritis (Gombault) seine Er- 


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klärung findet Zwar sagt ein so erfahrener Autor wie Oppenheim, 1 daß die 
Krankheit im Kindesalter, abgesehen von der diphtheritisohen Form, recht selten 
sei und daß er sie einige Male bei Kindern im Alter von 4—6 Jahren be¬ 
obachtet habe. Ob mein kleiner erster Patient Diphtherie durchgemacht hat, 
ist sehr unwahrscheinlich: er soll zwar, wie ich mitgeteilt, nach Aussage der 
Mutter einige Zeit schlechter geschluckt haben; da aber jede Auskunft über eine 
schwerere Erkrankung, die der Mutter doch sicherlich aufgefallen wäre, fehlt, so 
sind begründete Zweifel am Platz, ob es sich in diesem Falle um Diphtherie 
gehandelt hat 

Ich kann aber auch auf die Mitteilungen noch eines anderen, in diesen 
Fragen äußerst kompetenten Autors verweisen, so Rbmax, der in seiner Be¬ 
arbeitung der Neuritis und Polyneuritis 1 Mitteilungen über die akute amyo- 
trophische Plexusneuritis des Kindesalters macht 

Es waren speziell Fälle, die dem von demselben Autor aufgestellten Ober* 
anntypus entsprachen und betrafen sie, die sich durch einen günstigen Verlauf 
auszeichneten, Kinder im Alter von 10, 14, S 1 /, Monaten. Es ist hier nicht 
der Ort, auf die Überlegungen des genannten Autors in bezug auf die Richtig¬ 
keit seiner Diagnose einzugehen; bezeichnend aber ist der auch mit meinen 
Ansichten übereinstimmende Ausspruch Remak’s, daß man eine gelegentlich auoh 
im Kindeealter vorkommende infektiöse Plexusneuritis annehmen dürfe, deren 
Regeneration aus anderweitigen Erfahrungen verständlich ist Interessant 
sind in diesem Sinne auch die von R. wiedergegebenen Erfahrungen Fbbt’s 
und SsBiiiGMüiiLEB’s. Fbby hat 1874 einen typischen Fall von unter Fieber 
aulgetretener rechtsseitiger Armlähmung mit schweren elektrischen Veränderungen 
eines 17 Monate alten Knaben mitgeteilt, bei Welchem binnen 2 Monaten die 
Beweglichkeit sich völlig wieder herstellte, wahrend die fsradische Erregbarkeit 
der Streckmuskeln am Vorderarme und an den Oberarmmuskeln noch nicht 
wiedergekehrt war. Auch Seeliomülleb erwähnte 1880 einen Fall von 
kompletter Lähmung der Muskeln des rechten Oberarmes mit Herabsetzung der 
faradiachen Erregbarkeit bei einem 10 Monate alten Knaben, der in 4 1 /, Monaten 
in vollkommene Genesung überging. Erkennt man, fahrt Rbmak fort, aber die 
Möglichkeit an, daß eine infektiöse amyotrophische Neuritis und Polyneuritis im 
Kindesalter eine spinale Kinderlähmung (Poliomyelitis) Vortäuschen kann, so 
können in dieser Weise auch auffallend günstig verlaufende Fälle der 
Unterextremitäten erklärt werden, bei welchen, wie schon Duchenne angab 
und ich (Rbmak) bestätigt habe, auch schließlich nur ein einziger Muskel, z. B. 
der tibialis anticus gelähmt bleibt 

Aus dem, was ich bisher anführte, ersieht man, daß meine Vorstellung, es 
bei der sogen. Myatonia congenita vielleicht mit einer Polyneuritis zu tun zu 
haben, nicht so ganz von der Hand zu weisen ist Von den Autoren, die ihre 
Erfahrungen über die angeborene Muskelschlaffheit und ihre Meinung über die 
ihr zugrunde liegenden pathologischen Veränderungen bekannt gegeben bzw. 

1 Lehrbach. 4. Aufl. S. 525. 

* Pathologie von H. Nothnagel. Wien 1900, Hölder. 8. 297. 

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dieses Leiden von anderen, mit denen es verwechselt werden könnte, diagnostisch 
zu trennen versneht haben, sind, wie von Oppinheim zuerst die Poliomyelitis 
anterior acuta, Hämorrhagien ins Mark, Zustände bei Rachitis, bei der Barlo w’- 
scben Krankheit, der P aerot’ sehen syphilitischen Pseudoparalyse, bei den durch 
äußere Verletzungen (Zug an einem Gliede) entstandenen schmerzhaften Läh¬ 
mungen, die infantile Muskeldystrophie erwähnt worden. Die Möglichkeit, daß 
es sieh eventuell um eine gleichviel wie entstandene Neuritis oder Polyneuritis 
handeln könne, wurde von Oppenheim selbst, soweit ich sehe, nie in Betraoht 
gezogen. In der oben zitierten Arbeit Rosenbero’s wird gelegentlich in der kurz 
referierten Arbeit Muogia’s erwähnt, daß dieser Autor, unbekannt mit der 
OppENHEDt’schen Publikation, nach Erwähnung der Geburtslähmung, der syphi¬ 
litischen Pseudoparalyse, der Poliomyelitis anterior acuta und schließlich auch 
einer Polyneuritts zur Annahme einer Aplasie des Rückenmarkes kam. Was 
Spilles über die pathologisch-anatomische Grundlage seines Falles berichtete, 
haben wir oben gesehen. Er fand Veränderungen an verschiedenen Muskeln, aber 
am zentralen sowohl wie am peripherischen Nervensystem keine. Daß er des¬ 
wegen an das Vorhandensein einer Affektion der peripherischen Nerven nicht 
einmal dachte, ist hiernach nicht zu verwundern. 

Auch Rosenberu hat in seiner Arbeit die differentielle Diagnose eingehend 
besprochen. Zum Teil bewegen sich seine Ausführungen in den schon von 
Oppbnheix angegebenen Bahnen: seine wertvollen Auseinandersetzungen möge 
man im Original nachlesen. Aber er erwähnt auch, was von Oppenheim nicht 
geschehen, in der Besprechung der Differentialdiagnose die Polyneuritis. Bei 
so jungen Kindern, sagt R., brauchen wir nur die diphtheritische Polyneuritis 
in Erwägung zu ziehen und zwar die generalisierte Form. Ich will mich hier, 
da es zu weit führen würde, nicht auf eine genauere Wiedergabe seiner 
Schilderung des Verlaufes dieser nach Diphtherie eventuell zu beobachtenden 
Polyneuritis, die ich nioht in allen Stücken billigen kann, einlassen. Ich glaube 
in dem Vorangegangenen teils durch meine eigenen Mitteilungen, teils durch 
das Heranziehen so erfahrener Autoren wie Duchenne, Remak, Feit, Seelig- 
müllbb gezeigt zu haben, daß auch bei jungen Kindern nicht nur die 
diphtheritische und nicht nur die generalisierte Form der Polyneuritis vor¬ 
kommt 


Ich komme nunmehr auf einen sehr wichtigen Punkt zu sprechen, nämlich 
auf die in Fällen von sogen, angeborener Muskelschwäche und Schlaffheit, von 
den Autoren berichteten elektrischen Reaktionen der entweder vollkommen 
gelähmten oder doch wenigstens sehr sohwach agierenden Muskeln. Hier sind 
offenbar die Reaktionen in den leichten Fällen von denen, wie sie bei schweren 
zu beobachten sind, zu trennen. Die elektrische Prüfung, sagt Oppeneim, ließ 
in den schweren füllen eine beträchtliche quantitative Abnahme der Erregbar¬ 
keit bis zum völligen Erlöschen derselben erkennen. Nur einmal schien bei 
direkter galvanischer Reizung ein Teil der befallenen Muskeln mit einer etwas 
verlangsamten Zuckung zu reagieren. In den leichten Fällen war die Reaktion 
erhalten. Bei der Demonstration des 19 Monate alten Kindes (Geschlecht?) in 


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der Berliner Med. Gesellschaft zeigte Oppenheim, daß selbst mit den stärksten 
elektrischen Strömen in der Mehrzahl der Nerven nnd Muskeln der unteren 
Extremitäten keine Reaktion zu erzielen war. Nur vom Peroneus aus konnte 
eine sohwache Zuckung bei sehr starken Strömen erreicht werden. 

In dem von Rosenbebg erwähnten Fall Muggia’s waren die Gliedmaßen 
in absoluter schlaffer Lähmung. Die elektrische Erregbarkeit aber vom Nerven 
wie vom Muskel ans, war weder für den faradischen noch für den galvanischen 
Strom herabgesetzt In 4 Monaten keine Veränderung des Zustandes bei sonst 
guter Entwickelung des Kindes. In dem SpiLLEB’schen Fall, in dem die Glieder 
in allen Gelenken willkürlich bewegt werden konnten und wo nur eine Schwäche 
der Muskulatur vorhanden war, wird, wie oben schon beschrieben, gesagt: Die 
Muskeln der Glieder reagieren auf den faradisohen Strom. Da gerade dieser 
SPELLB&’sche Fall der einzige ist, wenn er überhaupt hierher gerechnet werden 
darf (ich habe meine Bedenken schon oben auseinandergesetzt), in dem eine 
Obduktion vorliegt, centrales und peripherisches Nervensytem frei und die Muskeln 
allein erheblich verändert gefunden wurden, so scheint mir ein gewisser Wider¬ 
spruch in dieser Betonung der schweren Muskelveränderung und der nicht ver¬ 
änderten elektrischen Erregbarkeit zu liegen, da nach allem, was wir wissen, so 
bedeutend in ihrer Struktur veränderte Muskeln doch kaum ohne eine Ver¬ 
änderung ihrer elektrischen Erregbarkeit zu zeigen, angetroffen werden dürften. 

In Bebti’s erstem Fall waren die Muskeln faradisch nicht erregbar, im 
zweiten war die elektrische Erregbarkeit, speziell für den faradischen Strom, 
herabgesetzt; im KuNDT’schen Falle reagierten die Muskeln am Unterschenkel 
faradisch und galvanisch normal; am Oberschenkel reagierten nur die Beuger. 
Die direkte Reizung des Quadriceps mit sehr starken galvanischen Strömen ergab 
eine Zuckung, die nicht träge ist. 

Im RosENBBG’schen Fall endlich reagierten die Muskeln an den Ober¬ 
schenkeln und in der Gesäßgegend weder auf mechanische noch auf elektrische 
Reize. Selbst mit den stärksten faradischen oder galvanischen Strömen läßt 
sich in den Glutäalmuskeln, im Quadriceps, in den Adduktoren, in den Beugern 
am Oberschenkel weder direkt noch indirekt irgend eine Reaktion erzielen. An 
den Unterschenkeln ist nur der N. peroneus erregbar und zwar erst mit starken 
faradischen oder galvanischen Strömen (10 M.A.). Die Zuckung ist blitzartig. 
Etwa 2 Monate später besteht die Reaktion der beiden Nn. crurales auf starke 
faradische Ströme. 

Aus den soeben mitgeteilten elektrischen Befunden der Autoren an den 
entweder vollkommen oder nur wenig beweglichen Muskeln und deren zugehörigen 
Nerven der mehr oder weniger schlaffen Gliedmaßen der untersuchten Kinder 
gebt nun hervor, daß da, wo bestimmte Angaben gemacht sind, die Schwer¬ 
oder Unerregbarkeit der genannten Gebilde in der Mehrzahl aller Fälle fest¬ 
gestellt worden ist Freilich sagt Oppenheim (1900), daß er in leichten Fällen 
die Reaktion erhalten gefunden habe und dasselbe gibt auch, wie wir gesehen, 
Muggia für seinen übrigens durchaus nicht leichten Fall an. Wenn ich den 

^SpiLLEB’schen Fall hier nicht noch einmal auziehe, so tue ich dies, weil ich die 

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beobachteten und beschriebenen Symptome nach verschiedener Richtung hin 
von dem bisher gezeichneten, gleichsam normalen Bild der in Rede stehenden 
Krankheit abweichend gefunden habe. Freilich ist das Vorhandensein einer 
langsamen trägen Zuckung der erkrankten Muskeln bei direkter galvanischer 
Reizung nur einmal von Oppenheim und dann von mir in meinem Falle er¬ 
wähnt. Es genügen indessen diese Angaben, um darzutun, daß eine derartige, 
der Entartungsreaktion, wie wir sie kennen, durchaus gleiche Reaktion auch an 
den schlaffen bzw. gelähmten Gliedern der erkrankten Kinder vorkommt. Es 
ist also hiernach der Ausspruch Rosenbkbg’s: „ausgesprochene Entartungs¬ 
reaktion wurde nicht gefunden“, zu modifizieren. Noch mehr aber spricht für 
eine Veränderung in den peripherischen Nerven die speziell von mir in meinem 
Falle eruierte Tatsache, daß wie in anderen Fällen von, wie ich wahrscheinlich 
za machen versuoht habe, GoMBAULT’scher periaxiler Neuritis auch gar 
nicht gelähmte Gebiete (die Gesichtsmuskeln z. B.) dieselben Abweichungen von 
der normalen elektrischen Erregbarkeit darboten, wie die tatsächlich befallenen 
Muskelgruppen. 

Eingangs dieser Mitteilung habe ich meine im März 1904 über diese 
Affektion ausgesprochene Meinung dahin ‘präzisiert, daß ich nicht sowohl an eine 
verzögerte und verspätete Entwickelung der Muskulatur, sondern an eine eigen¬ 
tümliche Affektion der peripherischen Nerven denke. Da mir aber keine 
Obduktionsbefunde zu Gebote standen, so erklärte ich, daß, wenn sich heraus¬ 
steilen sollte, daß in derartigen Fällen eine entzündliche sei es parenchymatöse 
oder interstitielle Neuritis nicht vorhanden sein sollte, man an eine verzögerte 
und verspätete Entwickelung der peripherischen Nerven denken könne. Selbst¬ 
verständlich habe ich in meiner damaligen Arbeit auch der Tatsache gedacht 
und das darüber Bekannte mitgeteilt (vgl S. 89flg.), daß Nerven und Muskeln 
neugeborener Kinder in den ersten Lebenswochen bis zu einem gewissen, nicht 
für alle Fälle gleichen Zeitpunkt wesentlich schwerer elektrisch zu erregen sind 
als die Nerven und Muskeln Erwachsener. Die hierhergehörigen Arbeiten von 
Soltmann, C. und A. Westphal sowie von S. Maybb sind von mir ausführlich 
dort besprochen worden. Immerhin hat diese Eigentümlichkeit bei normal sich 
weiter entwickelnden Kindern mit dem zweiten spätestens dritten Lebensmonat 
ihre Endschaft erreicht. Bleibt sie aber weiter bestehen, wie etwa in den bis 
jetzt bekannten Fällen von Myatonie, so läßt sich eine derartige abnorm ver¬ 
spätete bzw. ihre normale Endscbaft überhaupt nicht erreichende Ausbildung 
der Nervenfasern mindestens ebenso gut annehmen, wie die in Betracht gezogene 
verzögerte Entwickelung der Muskulatur. Ja ich muß sagen, daß die von Oppen¬ 
heim und einigen anderen der genannten Autoren betonte Möglichkeit des Aus¬ 
gleichs oder doch wenigtens der Besserung der in Rede stehenden Affektion, mir 
eher für die ja so häufig zu konstatierende Besserung bei Neuritis oder Poly- 
neuritis zu sprechen scheint, als für eine mangelhafte Muskelentwickelung. 


Freilich ist in bezug auf eine Erkrankung bzw. mangelhafte Entwickelung 
des peripherischen Nervensystems in diesen Fällen bisher noch nichts festgestellt 
worden; die Befunde von Spilles, der ja, wie wir gesehen, die peripherischen 


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Nerven intakt fand, sprechen sogar dagegen. Ich möchte mich nicht gern 
wiederholen, bin aber doch gezwungen zu sagen, einmal daß dieser einzige 
SpiLiiEB’sche Befund unmöglich als die Norm oder Grundlage unserer An¬ 
schauungen für diese Fälle gelten kann, um so weniger, als die Zugehörigkeit 
seiner Beobachtung zum in Rede stehenden Leiden nioht ganz mit Unrecht be¬ 
stritten werden kann. 

Überblicken wir, was seit den ersten Mitteilungen Oppenheim’s die Antoren 
über das Wesen bzw. die pathologisch-anatomische Grundlage der angeborenen 
Muskelschwäche oder Muskelschlaffheit (Myatonia congenita) mitgeteilt haben, 
so treffen wir zunächst anf die von Oppenheim aufgestellte Hypothese, daß es 
sich um eine primäre Entwickelungshemmung in den Muskeln handele. Seine 
dabei geäußerte weitere Ansicht, daß die Entwickelungshemmung nieht sowohl 
in den Muskeln, sondern in den Vorderhornzellen zu suchen sei, scheint zurzeit 
wenigstens von seinen Schülern (ich denke hierbei besonders an die Rosen- 
BEBo’sche Arbeit) nicht mehr aufrecht erhalten zu werden. In dem einzigen 
bisher bekannt gewordenen Obduktionsbefunde des hinreichend oft herangezogenen 
Falles von Spilles wird von einer irgendwie sich knndgebenden Veränderung 
der Vorderhorazellen ebensowenig etwas berichtet, wie von einer Veränderung 
der peripherischen Nerven. 

Daher wäre es auch möglich, daß in Zukunft sich Fälle repräsentieren, die 
die von mir vermutete degenerative Affektion der peripherischen Nerven dartun 
könnten. Ich erinnere hier nochmals an die von Weigebt für die Myasthenia 
gravis und von Smith für die Myatonia congenita ausgesprochene Hypothese, 
daß durch Autointoxikation von einer erkrankten bzw. zu lange bestehenden und 
nicht frühzeitig zurückgebildetn Thymus her, eine Veränderung in den Muskeln 
und Nerven entstehen könne, die zu dem in Rede stehenden Leiden und speziell 
auch zum Krankheitsbilde der Myatonia congenita führen könne. 

Sollte auch diese Hypothese durch die Wucht später eruierter Tatsachen 
in den Hintergrund treten müssen, so wäre immer noch zu untersuchen, ob es 
sich nicht um eine abnorm spät eintretene Entwickelung des peripherischen 
Nervensystems handelt, da diese Hypothese nichts an sich hat, was den tat¬ 
sächlichen beobachteten klinischen Erscheinungen widerspräche. 

Weitere Betrachtungen nach dieser Richtung anzustellen, unterlasse ich; 
der klinisch und besonders pathologisch-anatomisch genauer untersuchten Fälle 
sind noch zu wenige, als daß man gestützt auf das vorliegende Material zu einer 
abschließenden Meinung über diesen interessanten Symptomenkomplex schon jetzt 
gelangen könnte. 

Zum Schluß erlaube ich mir nur noch wenige Bemerkungen. Auch in 
meinem Falle waren die unteren Gliedmaßen hauptsächlich affiziert. Soweit 
man bei so jungen Kindern von Intaktheit der Psyche, der Sinne und der 
Hirnnerven sprechen kann, waren diese auch in meinem Falle in Überein¬ 
stimmung mit den Befunden der übrigen Autoren (der SpiLLER’sche Fall ist 
ausgenommen) frei. In einigen Fällen, so auch in dem von mir mitgeteilten, 
war die Nacken- und Halsmuskulatur mitergriffen. Daß an den unteren Ex- 

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tremitäten die Peroneal- bzw. Tibialgruppe in den Muskeln motorisch und 
elektrisch etwas weniger gelitten hatte, als die für die Bewegungen in den Knien 
und Hüften verantwortlichen Muskeln, s timm t auch in meinem Fall mit den 
Angaben der anderen Autoren überein. Endlich möchte ich, ohne zunächst be¬ 
sonderen Wert darauf zu legen, noch erwähnen, daß mein kleiner Patient, was 
ich in der ersten Mitteilung nicht berichtet habe und was ich hiermit naohhole, 
gerade so wie der Patient Rosenbbbg’s einen Nabelbruch gehabt hat. Ich glanbe 
übrigens nicht, daß diese bei kleinen Kindern sich so häufig findende Läsion 
für die im Yorangegangenen aufgeworfenen Fragen von irgend wesentlicher Be¬ 
deutung ist oder werden könnte. Daß bei der schweren Beeinträchtigung der 
Motilität und elektrischen Erregbarkeit der unteren Extremitäten die Sehnen¬ 
reflexe häufig schwach oder gar nicht ausgelöst werden konnten, ist unschwer 
verständlich. 


Daß das Leiden im frühesten Kindesalter innerhalb der ersten Tage 
oder Wochen nach der Geburt auftritt, ist nach den bisher vorliegenden Mit¬ 
teilungen fast sicher. Ob es aber tatsächlich als angeboren, als kongenital be¬ 
zeichnet werden darf, bedarf doch noch weiterer Forschung, die sich auf das 
Feststellen der Affektion gleich nach der Geburt zu richten hat. Nach Oppen¬ 
heim werden Kinder in den ersten Lebensmonaten bzw. im ersten oder zweiten 
Lebensjahr befallen. Immer, fährt er fort, scheint es sich um ein kongenitales 
Leiden zu handeln, wenn auch die Angehörigen nicht immer gleich nach der 
Oeburt des Kindes auf den Zustand aufmerksam geworden sind. Das von 0. 
in der Berliner Med. Gesellschaft vorgestellte Kind war 1 Jahr 7 Monate alt; 
sein pathologischer Zustand soll bald nach der Geburt bemerkt worden sein. 
Das Kind von Spilles (ein Knabe) war, als es zur Beobachtung kam, 22 Monate 
alt; bis zum 5 Monat soll es nichts abnormes dargeboten haben; damals wurde 
die Blindheit entdeckt Ob nicht doch von Beginn an eine sehr erhebliche 
Muskelschwäche vorhanden war, wie sie ja später konstatiert wurde, ist nioht 
ganz sicher; vielleicht kann man annehmen, daß es der Fall war, „da das Kind 
zu keiner Zeit etwas in seiner Hand festhalten konnte“. Sicher ist aber die 
Annahme der gleich nach der Geburt bemerkten Muskelhypotome nicht 

Muggia’s kleine Patientin zeigte die Affektion einige Tage nach der Geburt, 
ebenso der erste Patient Bbbti’s (ein Knabe) ein Paar Tage nach der Geburt 
und sein zweiter Patient (ein 5 V a jähriges Mädchen) schon am Tage nach der 
Geburt Kundt’s Patient (ein Mädchen) soll von Beginn an eine Lähmung der 
Beine aufgewiesen haben. Rosenbkbg’s 2 1 / a jähriger Knabe konnte mit 7 Monaten 
sitzen; zwischen dem 7.—11. Monat bemerkte man die Lähmung an den Beinen. 
Mein Patient (ein Knabe) war 9 Monate alt und zeigte das Leiden erst vom 
4. Lebensmonat ab. Es ist also, wie gesagt, sehr wahrscheinlich, daß das Leiden 
alsbald nach der Geburt ausgeprägt sein kann; es ist aber nach den doch im 
ganzen noch sehr spärlichen Berichten, nicht ganz von der Hand zu weisen, daß 
die in Bede stehende große Muskelschwäche auch erst in einigen Tagen und sogar 
Wochen nach der Geburt auftritt Diese Überlegungen führen wohl dazu, für 
die Entstehung des Leidens, wie ich vermute, verschiedene Ursachen anzunehmen, 


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nämlich eine mangelhafte Ausbildung der Muskeln bzw. der Vorderhörner des 
Rückenmarks, wie Oppenheim meint, oder eine mangelhafte Entwickelung des 
peripherischen Nervensystems, wie ich es wahrscheinlich zu machen versuchte, 
oder, wie ich gleich in meiner ersten Mitteilung hervorhob, eine bisher noch 
nicht näher in ihren Ursachen erkannte, vielleicht auf Infektion oder Auto¬ 
intoxikation zurückzuführende degenerative Entzündung der peripherischen Nerven, 
eine Polyneuritis. 

Ob Knaben oder Mädchen häufiger betroffen werden, ist bei der geringen 
Anzahl genauerer Beobachtungen zunächst nicht zu entscheiden. Wo über das 
Gesohlecht des betroffenen Kindes bestimmte Angaben vorliegen (7 Fälle), waren 
es fast ebensoviele Mädohen wie Knaben, 3 Mädchen, 4 Knaben. 


[Aus der psychiatrischen Universitätsklinik zu Königsberg (Prof. E. Him).] 

2. Ein Fall von genuiner 
Epilepsie mit darauffolgender Dementia paralytica. 

Von Dr. Pols, ehemaligem Assistenzarzt. 

Krankheitsgeschichte. 

Karl H., Weinreisender, 44 Jahre alt; in die Klinik aufgenommen am 
14. Juni 1905. 

Anamnese: Eine Stiefschwester, von derselben Mutter, an Krämpfen ge¬ 
litten; sonst keine hereditäre Belastung festzustellen. Patient selbst hatte von 
Jugend an eineu „starken Kopf“; man habe an Wasserkopf gedacht. Mit zwölf 
Jahren Typhus. Ziemlich gut gebaut. Kaufmann. Seit dem 18. Lebensjahr 
Reisender für Wein und Bier. 

Seit dem 16. Lebensjahr — nach Angabe des Vaters — an Krämpfen 
leidend: zuerst starker Schweißausbruch, dann unnatürlicher Schrei, bewußtloses 
Hinstürzen, Zuckungen im ganzen Körper, blaue Verfärbung des Gesichtes, Elin¬ 
nässen, Zungenbiß, Schaum vor dem Munde; Dauer des Krampfes bis zu zehn 
Minuten, dann mehrere Stunden anhaltender Schlaf und noch bis zum folgenden 
Tag Benommenheit im Kopf. Zuweilen merkte Patient das Nahen des An¬ 
falles und konnte sich noch rechtzeitig auf das Sopha legen. Die Anfälle traten 
gleichartig in unregelmäßigen Pausen auf, bald zweimal wöchentlich, bald Monate 
aussetzend: die Pausen wurden allmählich länger, aber die Krämpfe waren noch 
so heftig, daß er aus dem Bett fiel. Patient wurde wegen der Krämpfe vom 
Militärdienst befreit. Seit 8 Jahren haben die Krämpfe ganz aufgehört. Über 
Schwindelanfälle, Verstimmungen, Petit mal usw. war nichts festzustellen, da 
Patient als Reisender wenig mit seinen Angehörigen zusammen war. Infolge 
seines Berufes war Patient überaus starker Trinker. Von syphilitischer Infektion 
war nichts festzustellen. 

Patient ist Beit 1896 verheiratet; zwei lebende gesunde Kinder, eines litt 
an Zahnkrämpfen. Keine Aborte, keine Früh- oder Totgeburten. Die Frau 
schildert den Patienten als einen jähzornigen und leicht heftigen, dabei aber 
andererseits gutmütigen und weichherzigen Menschen. Schon gleich nach der 
Verheiratung fing er an, Eifersuchtsideen zu äußern (Ehefrau 17 Jahre jünger). 

Vor 4 Jahren soll Patient auf der Reise in einem Hotel eine kurzdauernde 
völlige Lähmung einer Seite gehabt haben. Vor 2 Jahren erlitt er ebenfalls auf 

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der Reise eine totale Lähmung der linken Körperhälfte, sogar das linke Lid war 
herabgefallen. Am Tage darauf fing er an zu „toben“, 3 Tage lang; er sah 
Schornsteine, Häuser einstürzen, er sah Tiere, er zog Bich Fäden vom Kopf usw. 
Die Lähmung war nach 2 Tagen verschwunden. Patient blieb 14 Tage zu Bett, 
nahm 4 Wochen Urlaub und ging dann wieder auf Reißen bis zum Herbst 1903, 
wo er vom 10.—16. September 1903 wegen Delirium tremens in der hiesigen 
städtischen Krankenanstalt behandelt wurde. Danach weniger getrunken, aber 
berufsunfähig; von Ersparnissen gelebt. 

Seit 1903 Verfolgungsideen: verschloß ängstlich Türen; fürchtete, daß man 
einbrechen könne, meinte die Angehörigen wollten ihn umbringen. Nahrungs¬ 
sorgen quälten ihn; sprach vom Erschießen; er sei nichts wert; sein Leben sei 
verfehlt. 

Anfang Mai 1905 Krämpfe, 8mal in einer Stunde, einen ganzen Tag lang: 
Aufschrei, Einnässen, Schaum vor dem Mund. Am folgenden ganzen Tage be¬ 
sinnungslos. Einen Tag lang wieder linke Seite gelähmt. Allmählich wieder zu 
sich gekommen, aber völlig verwirrt, sprach vom Reisen, glaubte im Wagen zu 
fahren, bot laut Wein zum Kauf an: Kaufe ab! Kaufe ab! ich habe eine Familie 
zu ernähren usw. 

Am 9. Juni 1905 deswegen'Aufnahme in die Delirantenabteilung der städt. 
Krankenanstalt. Von dort am 14. Juni wegen beginnender Paralyse nach der 
Klinik verlegt. 

Status praesens 1 : 

Patient ist bei der Aufnahme örtlich orientiert, zeitlich völlig desorientiert. 
Er weiß nicht, wie lange er sich schon hier in diesem Zimmer befindet. Fragt 
spontan, ob er irrsinnig sei, ob er Krämpfe gehabt habe; er leide daran, er sei 
Epileptiker. Die Krämpfe seien aber nach Genuß von Zwiebelsaft, den ihm eine 
Zigeunerin empfohlen habe, weggeblieben. Auf Befragen schildert er die Aura 
der Krämpfe; dann spontan: Ich habe ja keine Frau, ich bin ja geschieden, Herr 
Doktor, was gibts zum Abendbrod? Ich habe ja kein Geld. Abgaben brauche 
ich doch nicht zu bezahlen. Ich bin doch verrückt. In meiner Krankheit bin 
ich verarmt. Ist nicht neulich hier eingebrochen worden? (Nein!) Sehen sie, 
dies ist mein Wahn; ich bin geisteskrank, nicht wahr? usw. Auf Befragen, er 
sei von dem vielen Trinken verrückt geworden. Patient bewegt sich fortwährend 
in denselben Gedankengängen, stellt wiederholt dieselben Fragen, als hätte er sie 
noch nie gefragt. Daß Frau und Schwester vor 1 / 2 Stunde zu Besuch bei ihm 
waren, hat er bereits völlig vergessen. Auf einfaches Suggestivfragen glaubt 
Patient hier in einer Konditorei zu sein; bittet um Erlaubnis hier liegen zu 
dürfen; es sei sehr hübsch hier; weiter erzählt er auf Befragen, daß er heute 
Vormittag auf den „Hufen“ (Vergnügungsort) spazieren gegangen sei. Die Frau 
schimpft er eine Hure, sie sitze im Zuchthaus, habe ihn ermorden wollen; aber 
es war wirklich ein hübsches Weib. Glaubt, daß im Nachbarbett seine Schwester, 
hinter der Wand seine Frau sei, ruft sie. Patient spricht sehr viel, sich oft 
wiederholend, und, entsprechend der gänzlichen Verkennung der Umgebung, völlig 
verworrenes Zeug; besonders oft wiederholt er, daß er verrückt sei, daß er Epilep¬ 
tiker sei. Einfache Rechenaufgaben löst er noch ziemlich prompt. Auch Ge¬ 
dächtnis für elementare Kenntnisse und für persönliche Daten ziemlich gut. 
Aber sehr erhebliche Störung der Merkfähigkeit. Patient gibt auf Befragen an, 
daß er Geschwüre und Aussatz — „ganz eklig“ — gehabt und geschmiert habe; 
die Zeit ließ sich nicht genau bestimmen. Die Stimmung ist ohne Beständigkeit 
und Tiefe; zumeist humorvolle launige Euphorie. 


* Ich gebe, da die vollständige Wiedergabe einer weitläufigen Paralytikerkranken- 
geschieht» kein Interesse hat, nur einen kurzen Anszug. 

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Status somatiouB: 

Schädelumfang 59,5 cm — Emphysem der Lungen. Nicht beträchtliche 
Arteriosklerose. Exophthalmus. Ptosis links. Rechte Nasolabialfalte verstrichen. 

Pupillen eng, reohts Spur > 1., L/R 0, C/R +; Augenhintergrund frei. 

Insufficienz der Recti intemi. Motilität und Sensibilität im ganzen frei. 
Romberg angedeutet. Ko/Ph0. Ach/Ph 0. Crem/R 0. 

Schwere paralytische Sprachstörung. 

Aus der weiteren Krankheitsgeschichte seien neben dem Fortbestehen der 
hochgradigen Störung der Merkfähigkeit und der fortgeschrittenen Demenz und 
der Neigung zum Fabulieren usw. erwähnt ein fast täglicher Wechsel zwischen 
heftigsten Angstznständen mit unsinnigsten Verfolgungsideen: Vergiftung, Ermordung 
von seiten der Frau mit schreckhaften Sinnestäuschungen, besonders szenenhafter 
Natur, mit angstvollem Jammer usw.; und in plötzlichem Übergang harmloseste 
Heiterkeit, unbesorgte Euphorie. Dabei dauernd unerträglich geschwätzig. 

Erinnert in euphorischer Phase sehr an den KoBSAxOFr’schen Symptomen- 
komplex; begrüßt Wärter und Arzte wie alte Bekannte, glaubt sich im Hotel, 
habe gestern nur wenig Kundschaft besucht usw., halluziniert. Dabei wiederholt 
er vielmals, daß er ja verrückt sei. 

Am 29. Juni unverändert nach der Provinzialanstalt K. überführt Aus dem 
gütigst überlassenen Bericht der Anstalt sei mitgeteilt, daß der Zustand dort bis 
Oktober 1905 im wesentlichen unverändert blieb. Mitte Oktober stellten sich 
wiederholte paralytische Krampfanfälle ein, sin deren Folgen H. am 29. Oktober 
1905 starb. Eine Sektion fand nicht statt. 

Es ist wohl kanm nötig, des Ausführlicheren die Diagnosen, wie sie im 
Titel ausgedrückt wurden, zu analysieren und zu begründen. 

Die Paralyse des Patienten liegt „faustdick“ zutage. Sie bietet kaum irgend¬ 
welche klinischen Besonderheiten. Die Pupillenstarre, das WESTPHAL’sche Zeichen, 
die schwere, durchaus typische Sprachstörung, die motorischen Lähmungs¬ 
erscheinungen in dem III. und VII. Hirnnerven, die Demenz, die urteilslose 
Euphorie, der Wechsel der Erscheinungen, die Unsinnigkeit der Wahnideen usw. ( 
sie lassen kaum einen Zweifel auf kommen. Wegen der alkoholischen Antezedentien 
und wegen der zweifellos etwas alkoholischen Färbung des Bildes ließe sich 
höchstens an die Möglichkeit einer „Alkoholparalyse“ denken; aber das ganze 
Bild sprach dagegen. 

Daß der Patient, in dessen Familie Epilepsie vorgekommen ist, nach der 
genauen anamnestischen Schilderung an Epilepsie gelitten hat, die in der 
Pubertät begonnen und nach einer Beibe von Jahren sich nicht mehr in Krampf¬ 
anfällen geäußert hat, ist wohl ebenfalls unzweifelhaft Daß die epileptischen 
Krämpfe nach einer gewissen Dauer der Krankheit cessieren können, ist eine 
nicht unbekannte Tatsache, die keiner besonderen Ausführungen bedarf. 

Nur eins muß gleich hier aufgeworfen und beantwortet werden! Handelt 
es sich nicht vielleicht bei den epileptischen Erscheinungen um ein durch eine 
lange Remission getrenntes Prodromalstadium der Paralyse, so daß wir keine 
Epilepsie mit darauffolgender Paralyse, sondern nur eine Paralyse mit initialen 
Krampfanfällen haben? Die Frage ist von allgemeiner Bedeatung, da eine 
große Anzahl der an sich seltenen Fälle, wo der Paralyse eine andere Psychose 
angeblich vorangegangen ist oder sich mit ihr verbunden hat, sich bei genauerer 
Kritik nur als lang hingezogene Paralysen mit weiten Remissionen erwiesen 

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haben. Für unsere Beobachtung aber ist diese wohl sicher auszuschließen. In 
frühester Pubertät ist Patient an seiner Epilepsie erkrankt; 8 Jahre liegen 
zwischen dem Latentwerden der Epilepsie und dem Auftreten der ersten para¬ 
lytischen Erscheinungen; dazwischen hat Patient die beiden Schädigungen erlitten, 
die für Paralyse ätiologisch eine so große Bolle spielen, die Syphilis und der 
chronische Alkoholismus. Für die Annahme — um auch das nicht unerledigt 
zu lassen —, daß es sich etwa um eine juvenile Paralyse auf dem Boden einer 
hereditären Lues gehandelt habe, haben sich Anhaltspunkte nicht ermitteln 
lassen. 


Es ist demnach wohl zweifellos, daß es sich hier um zwei völlig gesonderte 
Krankheiten gehandelt hat, daß wirklich eine genuine Epilepsie bestanden hat, 
und dann in späteren Jahren eine Paralyse zur Entwickelung gekommen ist. 
Damit soll natürlich die Frage, ob überhaupt kein Zusammenhang zwischen der 
späteren Paralyse und der vorausgegangenen Epilepsie besteht, nicht entschieden 
sein, sondern ihre Erörterung soll bald folgen. Zunächst sei noch, was unseren 
Fall betrifft, betont, daß überaus starker Alkobolmißbrauch in der Anamnese 
sicher und Lues nach den eigenen Angaben des Patienten sehr wahrscheinlich 
besteht. Die Angaben des Patienten mit seiner Demenz und mit seiner Sucht 
zu renommieren zu erschüttern zu suchen, geht nicht an. Er machte diese 
Angaben außerordentlich prompt und bestimmt, wie er auch alle anderen persön¬ 
lichen Daten noch durchaus richtig anzugeben vermochte. 


Die Feststellung dieser ätiologischen Momente ist von Bedeutung. Watten- 
bebo(1) hat nämlich die These aufgestellt, daß die Epilepsie fließend in die 
Paralyse überleiten kann, unter Ausschluß exogener Ursachen für die Paralyse, 
und hat einen angeblich beweisenden Fall, unter Zusammenstellung der Literatur, 
mitgeteilt Die Beobachtungen, in denen eine allgemeiner Paralyse voraus¬ 
gegangene sichere Epilepsie festgestellt wurde, sind außerordentlich selten, und 
zumeist handelt es sich nur um statistische Angaben. Überhaupt bat sich die 
merkwürdige Tatsache ergeben, daß selbständige Psychosen und nicht bloß 
remittierende Prodromalzustände in der Vorgeschichte von Paralytikern auf¬ 
fallende Seltenheiten sind, und insbesondere für Epilepsie hat Wattenberg 
außer seiner eigenen Beobachtung nur ganz wenige ausführliche Mitteilungen 
in der Literatur finden können. Wollenberg (2) konnte bei 750 Paralytikern 
nur ein einzigesmal alte Epilepsie nach weisen. Mendel (3) fand unter 210 Fällen 
von Paralyse 2 Fälle, die bereits früher einmal geisteskrank, aber nicht Epileptiker 
gewesen waren. Er erwähnt aber eine Beobachtung von Legrand du Saulle, 
wo Paralyse nach Epilepsie aufgetreten sei, und eine Kranke von Burlureux, 
die, nachdem sie 21 Jahre an Epilepsie ohne geistige Störung gelitten hatte, 
nach und nach in Paralyse verfiel. Ascher (4) fand unter 643 Paralytikern 
die verhältnismäßig hohe Zahl von acht vorangegaugenen Epilepsien, von denen 
bei vier die Krämpfe zur Zeit der Pubertät aufgebört batten. Kaes(5) fand 
unter 1412 Paralytikern nur 7 mal voraufgegangene Epilepsie. Auch West- 
phal(6) berichtet, daß er in der Anamnese von Paralytikern zuweilen Epilepsie 
gefunden habe. Sein von ihm selber mitgeteilter Fall ist nicht ganz sicher 


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Unser Fall ist also, sowohl was das Vorhergehen einer Psychose als auch einer 
Epilepsie im besonderen angeht, eine kasuistische Rarität, und das war es haupt¬ 
sächlich, was seine Mitteilung veranlaßt hat Denn die Schlußfolgerungen, 
welche Wattenberg an seinen Fall geknüpft hat, daß 1. die genuine Epilepsie, 
eine bisher als selbständig aufgefaßte Psychoneurose, der progressiven Paralyse 
vorangehen und fließend in sie überleiten könne; 2. daß die progressive Paralyse 
nicht an das Vorangehen von Lues gebunden sei, vielmehr endogen auch ohne 
solche zur Entwickelung gelangen könne, und ö. daß es sich vermutlich bei 
der genuinen Epilepsie wie bei der progressiven Paralyse um pathogenetisch nahe 
verwandte, endogene Stoffwechselerkrankungen handeln müsse; für diese weit¬ 
gehenden Folgerungen enthält unsere Beobachtung keine Stütze. In unserem 
Falle sind Lues und Alkohol, die überwiegend angenommenen Ursachen der 
Paralyse, sicher vorhanden gewesen. Aber überhaupt scheint mir für ein so 
schwieriges, umstrittenes Problem, wie es die Ätiologie der Paralyse auch heute 
noch ist, die Ausbeutung eines einzigen Falles im Sinne einer ganz neuen 
Hypothese nicht gerechtfertigt Der einzelne Fall kann oft alles beweisen; 
ebenso wie sich leicht Ein wände gegen ihn erheben lassen. Wenn Watten¬ 
berg für seine Auffassung anführt, daß nicht die mindesten Anhaltspunkte für 
vorausgegangene Lues, Trauma oder Alkoholismus nachgewiesen werden konnten, 
so darf wohl eingewendet werden, daß es ja bekannt sei, wie wenig oft der 
negative Ausfall der anamnestischen Inquisition auf voraufgegangene Lues be¬ 
deuten will; wie schwer es oft ist, und in wie hohen Prozentzahlen es mißlingt, 
die primäre Infektion selbst da anamnestisch nachzuweisen, wo tertiäre Er¬ 
scheinungen die Existenz der Syphilis absolut sicher machen. 

Wattenberg glaubt, daß es sich bei Epilepsie uud Paralyse um „nahe 
verwandte“ endogene Stoffwechselerkrankungen handele, die in einem ab origine 
dazu disponierten Körper auftreten. Wenn dem so wäre, wenn beide Krank¬ 
heiten „nahe verwandt“ sind, wenn ihnen gleiche Disposition zugrunde liegt, ist 
es da nicht auffällig, daß tatsächlich, wie Wattenberg selber ausgeführt hat, 
das Zusammenvorkommen von Epilepsie und Paralyse schon überhaupt eine auf¬ 
fallende Seltenheit ist, daß besonders aber das unmittelbare Übergehen von 
Epilepsie in Paralyse ohne andere „auslösende“ Momente und ohne dazwischen¬ 
fallendes, jahrelanges Cessieren der Epilepsie kaum beobachtet ist? Es kann 
also wohl kaum der Versuch Wattenbebg's, Epilepsie und Paralyse in „nahe 
verwandte“ Beziehungen zu bringen, gestützt werden. Seine erste Schlu߬ 
folgerung, daß die bisher als selbständig aufgefaßte Epilepsie fließend in eine 
Paralyse überleiten kann, führt sogar die alten Lehren von der „Umbildung 
einer Psychose in eine andere“ (Nasse) oder von sogen, „sekundären“ Zuständen 
wieder herauf. Vielmehr haben wir es in solchen Fällen mit der seltenen Er¬ 
scheinung der Kombination zweier Psychosen zu tun. Die Lehre von den 
kombinierten Psychosen hat ja in letzter Zeit wieder vermehrtes Interesse 
gefunden. Ich nenne nur die Arbeiten von Mönkemöller (7), Gaupp (8), 
Stbanskt (9) u. a. Die Voraussetzung solcher Kombination zweier Psychosen 
ist ihre völlige Unabhängigkeit voneinander. Zum größten Teil handelt es sich 

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um Fälle, bei denen die Psychosen nebeneinander hergehen, wo also die Kom¬ 
bination „simultan“ ist. Unser Pall gehört zu den selteneren Beobachtungen 
von „sucoessiver“ Kombination, und zwar in der Nomenklatur Febenczi’s(IO) 
um eine Kombination koordinierter Geistesstörungen, d. h. eine endogene und 
eine exogene Psychose haben sich hier kombiniert, im Gegensatz zu den „assi¬ 
milierten“ Psychosen, wenn je zwei endogene oder exogene Geisteskrankheiten 
zusammen Vorkommen. Anatomisch gedacht, handelt es sich — um so inter¬ 
essanter — kaum um eine successive Kombination. Wir dürfen doch wohl für 
beide Krankheiten eine exquisit diffuse und dauernde histologische Veränderung 
annehmen. Für die Paralyse haben dieses Resultat die Arbeiten von Nissl, 
Alzheimer n. a. ja sicher gestellt; für die Epilepsie ist die Tatsache, wenn auch 
ein spezifisches histologisches Bild noch fehlt, durch die Arbeiten von Alzheimer, 
Bbatz, Weber, Bleuler u. a. wenigstens wahrscheinlich gemacht Wir dürfen 
uns also vorstellen, daß in dem Gehirn unseres Patienten gleichzeitig zwei 
difiuse, chronische, verschiedenartige Prozesse stattgefunden haben. Solche Vor¬ 
kommnisse sind schon für die allgemeine somatische Pathologie selten, um so 
bemerkenswerter für die Pathologie des Gehirns und der Geisteskrankheiten. 

Literatur. 

1. W attknbebg, Archiv f. Psychiatrie. XXXII. — 2. Wollenbbro, Ebenda. XXVI. 
S. 508. — 3. Msm dkl, Die progressive Paralyse. Monographie 1880. — 4. Ascher, Allgem. 
Zeitschr. f. Psycb. XLVL — 5. Kaks, Ebenda. XLVIIII. — 6. Wkstphal, Gesammelte 
Abbandlangen. I. 8.438. — 7. Mönkbmölleb, Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. — 
8. Gaüpp, Central bl. f. Nervenbeilk. n. Psych. 1903. — 9. Strahbkt, Allgem. Zeitsohr. f. 
Psych. LX1II. 1906. S. 73. — 10. Fkbkrozi, Bef. in Neurolog. Centralbl. 1902. S. 865. 


' 3. Schweißanomalien bei Rückenmarkskrankheiten. 

Von H. Higier in Warschau. 

Wiederholt hatte ich Gelegenheit, intensive Schweißstörungen bei spinalen 
Leiden zu beobachten, die teilweise vorübergehend sich einstellten, teilweise 
permanent nachblieben. 1 In den letzten Jahren kamen mir mehrere einschlägige 
Fälle zur Untersuchung, die einer kurzen Besprechung wert sind, zumal die 
Schweißanomalien in der neurologischen Semiotik ziemlich wenig Beachtung bei 
Myelopathien zu finden pflegen. 

Bekanntlich ist der Ursprung der Schweiß bahnen, ebenso wie der der 
Tränen- und Speichelabsonderung, in der Hirnrinde zu suchen, wo sie durch 
doppelseitige Centren vertreten sind. 2 Vom Hirnstamm kaudalwärts absteigend, 
konzentrieren sie sich in der Oblongata, wo die Hauptzentren für alle vier 
Extremitäten gelagert sind. Die Medulla spinalis ist fast ihrer ganzen Länge 
nach von Schweißfasern und Schweißzentren durchzogen. 


1 H. Hiqibb, Zar Klinik der Schweißanomalien bei Poliomyelitis anterior (spinale 
Kinderlähmung) und posterior (Herpes zoster). Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 1901. 

* Gbibojbdow bst 8chweißzentren experimentell bei Katzen im Gyros antecrnoiatns 
der Hirnoberfläche festgestellt 


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Schlesinger unterscheidet im Rückenmark vier paarige Hauptterritorien, 
die einigermaßen mit den segmentalen sensiblen Versorgungsgebieten überein* 
stimmen, dieselben jedoch an Umfang übertreffen: 1. für das Gesicht, 2. die 
obere Extremität, 3. die obere Rumpfhälfte, Hals, Nacken und behaarten Kopf 
und 4. die untere Extremität Die sudoralen Anomalien sollen sich meistens 
mit Sensibilitätsstörungen vergesellschaften, während sie bei ausschließlich moto¬ 
rischen Defekten kaum Vorkommen und sie okkupieren nicht selten Territorien 
mit den gleichen Grenzen, derart jedoch, daß bei einseitigem Auftreten der 
Sensibilitätsstörung sie an den entsprechenden Stellen der anderen Körperseite 
zu erscheinen pflegen. 1 

Ich lasse nun nach diesen einleitenden Worten im Auszug das Wichtigste 
aus meinen Krankengeschichten folgen, insofern es die betreffenden Schwei߬ 
anomalien berücksichtigt, die zur Gruppe der regionären, dauernden Anidrosen 
gehören. 

Fall I. 28jährige Dame. Erkrankt im Laufe von 3 Tagen ohne Fieber¬ 
erscheinungen an Lähmung der unteren Extremitäten mit allmählich sich ent¬ 
wickelnder beiderseitiger Blindheit. Komplette Paraplegia inferior. Herabsetzung 
der Kniescheiben- und Achillessehnenreflexe. Retentio urinae et alvi. Ab¬ 
schwächung sämtlicher Sensibilitätsqualitäten an den Beinen. Doppelseitige akute 
optische Neuritis. 

Die Diagnose schwankte die erste Woche zwischen multipler Sklerose, 
luetischer Meningomyelitis und diffuser infektiöser Encephalo- 
myelitis, bevorzugend die lumbale Intumescenz. Bei Anwendung intensiver 
schweißtreibender Mittel (Salicyl und Pilokarpin) und Einpackungen fiel es auf, 
daß die untere gelähmte Körperhälfte am profusen Schwitzen beinahe keinen 
Anteil nahm (Anidrosis inferior). 

Fall II. 41jähriger Zimmermann. Stürzt von einstöckiger Höhe, wobei 
sich im Laufe einer Woche das Bild einer schweren flasken motorischen Läh¬ 
mung der Beine entwickelt mit Aufhebung der Sensibilität, besonders des 
Schmerz- und Temperatursinnes, mit Atrophie der Muskulatur, Schwäche der 
Sehnen reflexe, Inkontinenz der Blase und des Mastdarmes und absoluter Impotenz. 

Die Diagnose lautete: centrale Hämatomyelie im Gebiete des Lumbal¬ 
markes, wahrscheinlich kombiniert mit extramedullärer Blutung. Bei 
einer interkurrenten Influenz erwies sich, daß die untere Körperhälfte ganz 
trocken bleibt, wenn die obere profus schwitzt (Anidrosis inferior). 

Fall III. 52jährige Frau. Leidet seit über 25 Jahren an progredienter 
Schwäche der rechten Hand. Rechts Krallenhand, dissoziierte Sensibilitätsstörung 
an beiden oberen Extremitäten und der rechten Gesichtshälfte. Anzeichen von 
Bulbärparalyse. Fehlen des Schwitzvermögens am Arm und Rumpf rechts. 

Die einzig zulässige Diagnose war die einer schleichend sich entwickelnden 
Syringomyelie, welche vom rechten Vorderhorn der Cervikalanschwellung des 

1 H. ScoLEsraoBE, Separat-Abdruck aus der Festschrift zu Ehreu von Mobitz Kaposi 

1900. 

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Rückenmarkes ausgehend, nach oben und unten um sich greift und die exquisite 
Schweißanomalie verursacht (Anidrosis superior dextra). 

Fall IV. 4Sjähriger Rentier. Vor 5 Jahren Exstirpation der linken, ge¬ 
schwulstartig degenerierten Niere. Im Laufe von */ 4 Jahren entwickelte sich 
— etwa 4 Jahre nach der glücklich überstandenen Operation — eine enorm 
schmerzhafte, später schmerzlose schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten 
mit Aufhebung sämtlicher Reflexe, Retentio et Incontinentia alvi et urinae, 
Gefühllosigkeit der Beine, Decubitus sacri und Metastase in der linken Tibia. 

Die Diagnose lautete: Sarcomatosis diffusa caudae equinae mit nach¬ 
folgender lumbosakraler Kompressionsmyelitis. Patient, der normaliter 
zu den leicht schwitzenden Personen gehörte, war in den letzten Wochen seines 
Lebens äußerst beunruhigt über Anfälle enormen Schwitzens des Gesichtes und 
der Kopfoberfläche. Bei genauer Nachforschung erwiesen sich die Schweißanfälle 
als septische, vom Decubitusgeschwür herstammende Erscheinung, wobei die un¬ 
gewöhnliche Intensität der Schweißsekretion am Gesicht und Kopfe darin ihre 
Erklärung fand, daß die Beine und die untere Rumpfhälfte an der Elimination des 
Schweißes nicht teilnabmen und deswegen der Organismus gezwungen war, 
sämtliche Ausscheidungsprodukte der oberen Körperhälfte zu überlassen (An¬ 
idrosis inferior). 


Es waren somit in dreien meiner Fälle der lumbale, bzw. auch sakrale 
Rückenmarksabschnitt affiziert, in einem die cervikale lutumescenz ergriffen, 
wobei in jenen Fällen der Prozeß bilateral symmetrisch, in diesem sich vorzugs¬ 
weise an einer Seite lokalisierte. Die betroffenen Schweißterritorien waren 
gleichzeitig mit den motorischen und sensiblen Gebieten lädiert. 

Die Schweißdrüsensekretion ist somit nicht als physikalischer Filtrations¬ 
prozeß zu betrachten, bei welchem das Nervensystem nur indirekt durch Ver¬ 
mittelung der vasomotorischen Nerven einwirkt. Ob die Sekretionsnerven, die 
wahrscheinlich durch das ganze Rückenmark zerstreut sind, ihre Centren in den 
Vorderhörnern neben den motorischen Ganglienzellen (Adamkiewicz, Biedl), 
oder in der Basis der Hinterhörner (Chaboot) besitzen, ist aus unseren Be¬ 
obachtungen kaum zu erschließen, da der Krankheitsprozeß diffus die spinalen 
Intumescenzen affizierte. Ergriffen kann die Schweißbahn auf ihrem ganzen 
Verlaufswege werden, der, nebenbei gesagt, ziemlich kompliziert ist. So treten 
beispielsweise bei der Katze die Schweißfasern für die Hinterpfoten (Nawhockj, 
Lanoley) in den vorderen centrifugalen Wurzeln — in der 12. Dorsal- und den 
vier obersten Lumbalwurzeln — aus dem Rückenmark aus, um in der Nähe 
der spinalen Ganglia intervertebralia auf dem Wege der weißen Rami communi- 
cantes den Sympathicus zu erreichen. Den sympathischen Grenzstrang durch- 
passiereud, verlassen die Schweißfasern denselben, um auf dem Wege der grauen 
Rami cominunicantes von den zwei letzten sympathischen Lumbal- und zwei 
ersten Sakralganglien zum Plexus ischiadicus, der die Hinterpfote innerviert, zu 
gelangen. 

Reizung bzw. Unterbrechung können die sekretorische Nervenbahn betreffen: 
in ihrem peripheren Verlaufe (Narbe), im sympathischen Grenzstraug (Lymphom), 


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im Intervertebralganglion (Herpes zoster), oder endlich in den Zentren des 
Rückenmarkes'(Poliomyelitis) and der Hirnrinde (Migräne). 

Ich bin der Meinung, daß Schweißanomalien (Anidrose, Hyperidrose, para¬ 
doxe Schweißsekretion) sich bei den Myelopathien, die hier zur Besprechung ge¬ 
langten, bedeutend häufiger würden nachweisen und diagnostisch verwerthen 
lassen, wenn sie nur gesucht und beachtet werden. 


II. Referate. 


Anatomie. 


1) Einiges vom „Gehirn" des Amphioxus, von L. Edinger. (Anat. Anzeiger. 

XXVIII. 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Mit der von Bielschowsky angegebenen Silber-Aldehydmethode hat Verf. 
eine Reihe bisher ganz unbekannter Strukturen am Kopfende des Centralorganes 
von Amphioxus nachgewiesen. 

Hierhin gehört zuerst ein noch nicht beschriebener Nerv, der genau wie ein 
Riechnerv von der basalen Fläche des Gehirns entspringt und ganz an dessen 
Spitze noch vor dem bisher als erstem Nerven bezeichneten dicken Bündel ge¬ 
legen ist. Er wendet sich zur Frontalwand des Organes, kreuzt dort mit einem 
Teile seiner Fasern und zieht schließlich zu einem an der Dorsalseite des Kopfes 
gelegenen epithelbedeckten Kanal, dessen funktionelle Bedeutung noch unklar ist. 
Möglicherweise handelt es sich um das Riechorgan des Tieres. Ferner konnte 
Verf. feststellen, daß von dem erwähnten sogen, ersten Nervenpaare ganz vorn 
sich zwei „Ästchen“ loslösen, welche in dem Pigmentfleck der „Augen“ verschwinden. 
Durch diesen Befund wird die Annahme, daß der Pigmentfleck ein Sinnesapparat 
ist, befestigt. 

Durch die Reduktionsmethode wurde in Querschnitten aus dem Rückenmark 
eine solche Fülle von Nervenfasern aufgedeckt, daß sie ganz wie bei den anderen 
Vertebraten auf Einzelschnitten gar nicht zu deuten und zu übersehen Bind. Die 
Stränge der weißen Substanz ließen sich aber an Längsschnitten im wesentlichen 
als aufsteigende Wurzelfasern analysieren. Am deutlichsten trat dies bei 
den dickfaserigen Dorsalsträngen und den feinen Ventralsträngen hervor. 

An den dorsalen Riesenzellen des Frontalabschnittes, der „Oblongatä“ der 
Autoren, sah Verf. zahlreiche Nervenbahnen sich verästeln, ohne daß es ihm ge¬ 
lungen wäre, den genaueren Verbindungsmodus zwischen Faser und Zelle zu er¬ 
kennen. 


2) The inorease in the nuxnber and Bise of the medullated flbres in ocolo- 
motor nerve of the white rat and of the oat at different ages, by Tho¬ 
mas Harris Boughton. (Journ. of comparative Neurology and Psychology. 
XVI. 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Verf. hat sich der mühsamen Arbeit unterzogen, eine genaue Zählung der 
Wurzelfasern des 3. Hirnnerven bei weißen Ratten und Katzen in verschiedenen 
Lebensaltern vorzunehmen. Bei beiden Arten findet nach der Geburt eine starke 
Zunahme der Markfasern statt. Bei der Katze beträgt die Zunahme zwischen 
dem Alter von einem Tage und von 6 Monaten 157 °/ 0 . Die Annahme eines 
früheren Autors (Schiller), daß die Wurzelfasern des N. oculom. schon bei der 
Geburt vollzählig vorhanden seien, ist demnach nicht zutreffend. An den Mark¬ 
fasern des Okulomotorius findet ferner eine Kaliberzunahme während der ganzen 
Lebensdauer der Tiere statt, wobei aber immer eine Differenz zwischen den 
jüngeren, schmäler aussehenden und den älteren, breiteren Elementen erkennbar 


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bleibt. Es liegt also in dem relativen Kaliber der Faser stets ein Hinweis für 
ihr Alter. 


Physiologie. 

3) Über die Bestehungen zwischen dem Gewichte des Gehirns und der 
körperlichen sowie geistigen Beschäftigung des Mensohen, von Prof. Dr. 
J. Matiegka. (Revue e neurologii. 1906.) Ref.: Peln&r (Prag). 

Verf. zeigt anf Grand von zahlreichen Untersuchungen, daß es möglich ist, 
eine gewisse Beziehung zwischen dem Gewichte des Gehirns und der Beschäftigung 
zu eruieren. Die Untersuchung muß natürlich sehr eingehend sein und muß allen 
irreführenden Verhältnissen zu entweichen verstehen. Diese Beziehungen lassen 
sich durch zweierlei Umstände erklären: 1. eine gewisse Geschicklichkeit und 
Fähigkeit, die zu einer vorteilhaften Treibung gewisser Beschäftigung nötig ist, 
hängt von gewisser physischer und psychischer Eigentümlichkeit ab; 2. Organe 
können durch Tätigkeit und Übung verändert werden. Es gibt typische Variationen 
des Hirngewichtes je nach dem Alter, nach der Konstitution, Muskelentwickelung, 
Ernährung des Menschen, je nach dem Zustande der Gesundheit, Krankheit und 
der Art des Ablebens. Jedoch werden gewisse Beziehungen zwischen dem Gehirn¬ 
gewichte und der Intelligenz durch verschiedene Statistiken klargelegt. Die Art 
der geistigen Beschäftigungen hat zwar keinen entscheidenden, aber doch einen 
konstatierbaren Einfluß auf das Gewicht des Gehirns. 

4) Über die Bewegung der Vögel nach Durchschneidung hinterer BQeken- 
markswurzeln. Ein Beitrag zur Physiologie des Centralnervensystems 
der Vögel (nach Untersuchungen an Columba domestica), von Dr. Wilh. 
Trendelenburg. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1906.) Ref.: S. Klempner. 

Untersuchungen über die Bewegungsstörungen, welche nach DurchschneiduDg 
der centripetalen Nerven einer Extremität eintreten, sind bisher außer an Säugern 
nur noch am Frosch ausgeführt worden. 

Da die Abhängigkeit der Bewegung von den centripetalen, bei der Bewegung 
ausgelösten Erregungen in erster Linie von dem Bewegungsmodus selbst abhängt, 
so sind gerade bei den Vögeln von der Durchschneidung hinterer Rückenmarks¬ 
wurzeln interessante Ergebnisse zu erwarten, weil es sich erstens um Zweifüßer 
bandelt, wo der Sensibilitätsverlust eines Beines eine wesentlich andere Bedeutung 
hat als beim Vierfüßler, vor allem aber in der FlugbeweguDg eine Bewegung 
gegeben ist, die von der Gehbewegung in verschiedener Hinsicht prinzipiell ab¬ 
weicht. 

Verf. hat im ganzen 56 Hinterwurzeloperationen ausgeführt, davon 14mol 
einseitige Flügeloperationen (d. h. Durchschneidung sämtlicher zu einem Flügel 
in Beziehung stehender Wurzeln), 15 mal doppelseitige, 19 mal einseitige Bein¬ 
operation (d. h. Durchschneidung sämtlicher zu einem Bein in Beziehung Btehender 
Wurzeln), 8 mal doppelseitige. 

Außerdem wurden 25mal Exstirpationen von Großhirn und Labyrinth mit 
Hinterwurzeloperationen kombiniert. 

Die wichtigsten Schlüsse, die vom Verf. aus dieser bedeutenden Arbeit ge¬ 
zogen werden, sind folgende: 

1. Alle Erscheinungen an den operierten Tauben sind reine Ausfalls¬ 
erscheinungen. 

2. Der die normale Flügelhaltung bedingende Tonus ist nicht am Flügel 
reflektorisch ausgelöst. Die Flügelreflexe selbst werden wahrscheinlich in erster 
Linie durch Vermittelung der lumbalen Hinterwurzeln ausgelöst. 

3. Bei einseitig flügeloperierten Tieren werden die Bewegungen normal aus¬ 
geführt, bei denen der normale Flügel mitbewegt wird, wo einseitige Flügeltätig¬ 
keit erfordert wird, zeigt sich der Bewegungsausfall auf der Operationsseite. 


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4. Da Erhaltensein der centripetalen Flügelnerven die Bedingung des fre- 
quenten, zum Fluge befähigenden Flügelschlages ist, tritt kein Erlernen de6 
Fliegens bei doppelseitig operierten Tieren auf. 

5. Bei einseitiger Beinoperation treten die centripetalen Reize der normalen 
Seite nicht vikariierend ein, wie am Flügel; die Besserung der Erscheinungen 
nach einseitiger Beinoperation beruht auf funktionellem Ersatz; diese Besserung 
bleibt bei doppelter Beinoperation aus. 

6. Durch die Hinterwurzeln werden wahrscheinlich normalerweise Hemmungen 
vermittelt, welche in reflektorischer Hemmung der Beinhebung bestehen, daher 
das abnorme Hochheben der Beine bei den Tieren nach Durchschneidung der 
Hinterwurzeln des Beines. 

7. Der Gesichtssinn hat für den Ausgleich der Gangataxie keine Bedeutung. 

8. Durch eine der Flügeloperation nachfolgende Labyrinthexstirpation tritt 
keine Änderung der Flügelhaltung ein, dagegen tritt durch eine der Beinoperation 
nachfolgende ein- oder doppelseitige Labyrinthexstirpation eine erhebliche Storung 
der bereits eingetretenen Kompensation ein. 

9. Der Flügeltonus kommt nicht unter Vermittelung des Großhirns zustande. 
Großhirnexstirpation hebt die nach einseitiger Beinoperation erlangte Kompensation 
nicht auf; auch die großhirnlose Taube kann die nach der Beinoperation ein- 
tretende Bewegungsstörung noch gut kompensieren. 

Pathologische Anatomie. 

5) Regeneration collsterale de flbres nerveuses terminees par des massues 
de orolssanoe ä l’öt&t pathologique et ä 1’ötat normal; lesions tabötiquea 
des racines medullaires, par Nageotte. (Nouv. Iconogr. de la Salp. 1906. 
Nr. 3.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Den ganzen Inhalt der Arbeit in einem kurzen Referat wiederzugeben, ist 
unmöglich, es muß auf das Original verwiesen werden. Die Schlüsse, die Verf. 
aus der mikroskopischen Untersuchung seiner 5 Fälle (einer eine Wurzelläsion 
beim Rektumkarzinom, zwei Paralysen, ein Fall von Tabes mit Muskelatrophie) 
zieht, sind folgende: 

Der Form der Nervenregeneration, welche allein bis jetzt bekannt ist und 
welche man Regeneratio terminalis nennen könnte, kann man eine andere an die 
Seite stellen, welcher der Name Regeneratio collateralis zukommt. Bei der ersten 
Form entstehen die neugebildeten Fasern an der Außenseite des Stumpfes des 
amputierten Stückes; bei der zweiten entstehen die neugebildeten Fasern im Ge¬ 
biete des Neurons, das dem Lebenscentrum des Nerven am nächsten liegt, sei es 
am Zellkörper, sei es am Neuriten, in Form von Kollateralen. Die letzteren 
Formen wie die der terminalen Regeneration endigen in Wachstumskeulen (Cajal), 
welche beim Erwachsenen die Wachstumszapfen der embryonalen Periode dar¬ 
stellen. Die pathologische kollaterale Regeneration ist weiter nichts als eine 
Übertreibung der normalen kollateralen Regeneration. Am bequemsten beobachtet 
man die normale kollaterale Regeneration an den Rückenmarksganglien und an den 
sympathischen Ganglien des Menschen und junger Tiere, das sind die in Kugeln 
endigenden Fasern von Cajal. Man findet ähnliche Bildungen in der grauen 
Rückenmarkssubstanz des Menschen im normalen und pathologischen Zustande 
wieder. Cajal faud sie in der Gehirnrinde junger Hunde, die an der „Maladie 
des jeunes chiens“ litten; es handelt sich also nicht um einen Prozeß, der aus 
schließlich den hinteren Wurzeln eigentümlich ist, sondern höchstwahrscheinlich 
um eine Allgemeinerscheinung. 

Die pathologische kollaterale Regeneration kann leicht an den Rückenmarks¬ 
ganglien der Tabiker studiert werden, wo sie das Streben hat, die zugrunde ge- 

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gangenen Wurzelfasern zu ersetzen, ohne natürlich dazu zu gelangen, wenigstens 
in den beobachteten Fällen, ihren Zweck zu erreichen. Es ezistirt bei der Tabes 
eine Läsion der Wurzelfasern, welche ihrer völligen Zerstörung vorangeht, und 
welche durch die Methode von Ramon y Cajal entdeckt ist. Die Läsion, welche 
in einer rosenkranzähnlichen Anschwellung der Achsencylinder besteht, nimmt das 
ganze Gebiet der hinteren Wurzelfaser ein. In der vorderen Wurzel findet sie 
sich nur, wenigstens im Beginn der Krankheit, in der Gegend und unterhalb des 
Entzündungsherdes der transversalen Neuritis. 

6) Forms of degenerations in the posterior oolumns of the spinal oord, 

by R. T. Williamson. (Medical Chroniole. 1906. Okt.) Ref.: M. Rhein boldt. 

Verf. gibt eine Übersicht über verschiedene — nicht sekundäre — Degene¬ 
rationen der Hinterstränge des Rückenmarkes. Einer Gruppe von Degenerationen 
mit Beginn in den intramedullären hinteren Wurzeln direkt nach deren Eintritt 
in das Mark wurde eine zweite Gruppe Hinterstrangdegenerationen gegenüber¬ 
gestellt, welche diesen Beginn nicht erkennen lassen (also centralen Ursprunges 
sind?). Verf. beschreibt bei schwerem Diabetes mellitus extra* und intraspinale 
Marchi-Degeneration der hinteren Wurzeln (mediales Bündel) und in höheren 
Rückenmarksabschnitten G oll sehe Strangdegeneration und statuiert Analogien des 
klinischen Bildes der schweren Diabetes zu dem der Tabes (Reflex-, sensible- 
trophische Störungen). Des weiteren beschreibt Verf. Hinterstrangdegenerationen 
bei Tumoren, schwerer Anämie, multipler Sklerose. 

Pathologie des Nervensystems. 

7) Bin Beitrag zur Pathologie der Tabes, von Dr. W. Spielmeyer. Aus 
der psychiatr. Klinik in Freiburg (Prof. Dr. Ho che). (Archiv f. Psych. u. 
Nervenkrankh. XL. 1905.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz). 

Von der Erwägung ausgehend, daß nach der neuen Cajal-Methode behandelte 
Rückenmarkspräparate uns Aufschluß bringen über das Verhalten des marklosen 
Nervengewebes, die ihre Ergänzung durch den Vergleich mit entsprechenden 
Neurogliapräparaten finden — das Gliabild ist gewissermaßen das Positiv des 
Nervenfaserbildes —, färbte Verf. Rückenmarksteile von Tabeskranken nach diesen 
beiden Methoden. 

Um die Fehlerquellen des Cajal sehen Färbeverfahrens, die in unvollständiger 
und ungleicher Inprägnation bestehen, einigermaßen zu vermeiden, fertigte Verf. 
möglichst dünne Schnitte aus wenig umfangreichen Stücken (nur Rückenmarks- 
hälften oder auch nur sektorförmige Ausschnitte) an. 

Die Resultate, die er bei seinen Untersuchungen erhielt, sind kurz folgende: 

„Das Achsencylinderpräparat Cajals zeigt in den centralen Endstätten des 
erkrankten, sensiblen Protoneurons die Ausfälle marklosen Faserwerkes, vor allem 
die Ausfälle pericellulärer Neuritenausläufer an. Besonders prägnant sind die 
Bilder aus Clarkeschen Säulen und aus den Hinterstrangskernen. Das Glia- 
präparat zeigt eine Wucherung der gliösen Begleitfasbrn an Stelle der zugrunde 
gegangenen Hinterwurzelfasern, eine diffuse Vermehrung der Stützsubstanz (Goll- 
scher Kern) und eine exquisit pericelluläre Gliawucherung (Clarke sehe Säulen). 

Es ist also das Gliapräparat das Positiv zu dem nach der Cajal sehen 
Methode gefundenem Bild. 

Aus der Art und W T eise der Anordnung des Stützgewebes in den tabischen 
Hintersträngen gewinnt Verf. den Eindruck, daß neben der Richtung der dege¬ 
nerierten Nervenfasern vor allem auch statische Momente für das Verhalten der 
Neurogliafasern untereinander in Betracht kommen. 

Entsprechend der Vermehrung der Glia in der Kleinhirnrinde lassen sich in 
dem Achsencylinderpräparat Cajals deutliche Faserausfälle in der molekulären 

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Schicht, vor allem wechselnd starke Lichtungen in den Dendritenverzweigungen 
der Purkinjeschen Zellen nachweisen.“ 

8) Tabes pendant Involution duquel apparait un ohanore vraisemblable- 
ment syphilitique. Retard dans Involution anatomique des lösions 
medullairea. Növrites periphöriques intenses en rapport aveo une 
arthropathie du genon, par H. Verger et H. Grenier de Cardenal. 
(Revue neurologique. 1906. Nr. 13.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Das Wesentliche des Inhaltes der vorliegenden Mitteilung ist schon im Titel 
derselben enthalten. Es handelte sich um einen ziemlich protrahiert verlaufenen, 
jedenfalls auch klinisch einigermaßen bemerkenswerten Tabesfall (Sektion, mikro¬ 
skopische Untersuchung). (Ref. bemerkt, daß als erstes Symptom angeblich lan- 
zinierende Schmerzen aufgetreten sein sollen, bald wieder verschwanden und erst 
nach 17 Jahren wiederkehrten; in die Zwischenzeit fällt die [luetische?] Genital¬ 
affektion; absolut sichergestellt möchte es dem Ref. nach der Beschreibung nicht 
erscheinen, daß tatsächlich die erstgenannten Symptome bereits der tabischen Er¬ 
krankung angehörten.) Die Verff. betonen den Seltenheitswert, der diesem ihrem 
Befunde innewohnen würde. Von Interesse sind noch die Degeneration der von den 
Verff. histologisch untersuchten Nerven der beiden unteren Extremitäten, die in ganz 
besonders erheblichem Maße die Nervenfäden um das arthropathische linke Knie¬ 
gelenk betraf (kurzer Hinweis auf die Theorie von Pitres und Vaillard), sowie 
die relative Geringfügigkeit der Läsion im Rückenmark trotz der langen Krank¬ 
heitsdauer. 

9) Kann die Entwickelung der Tabes oder der Paralyse durch ent¬ 
sprechende Behandlung der Syphilis verhindert werden? von Prof K. 

v. Kötly. (Orvosi Hetilap. 1906. Nr. 1.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Verf. führt aus, daß der größere Teil der syphilitisch Kranken entweder 
überhaupt keiner oder nur einer mangelhaften Behandlung teilhaftig werde und 
es sei daher zweifelhaft, ob bei Kranken, die Syphilis erworben hatten und spater 
der Tabes verfielen, tatsächlich eine Ausheilung der Lues erfolgte. Man kann 
annehmen, daß das syphilitische Virus nur dann Tabes oder Paralyse hervorrufe, 
wenn es nicht rechtzeitig vertilgt wurde und daher meint er, daß man durch 
entsprechende und ausdauernde Behandlung der Syphilis die Folgeerkrankungen 
des Nervensystems in den meisten Fällen zu verhindern imstande ist. 

Im Laufe seiner 40jährigen Praxis sah Verf. bei keinem der von ihm be¬ 
obachteten und zum Teil behandelten Syphilitiker Tabes oder Paralyse auftreten. 

10) Über inkomplette Formen von Tabes dorsalis (Formes frustes), von 

Albert Sigerist. (Inaug.-Dissert. Tübingen 1906.) Ref.: S. Klempner. 

Verf. beschreibt 17 Fälle von atypischer, sogen, inkompletter Tabes, wo eins 

oder mehrere Symptome der Trias: Argyll-Robertson, Westphal, Romberg fehlen. 

Es ergibt sich, daß in Übereinstimmung mit den meisten neueren Autoreil 
das Erlöschen des Achillessehnenreflexes das frühzeitigere und häufigere Symptom 
der inzipienten Krankheitsformen zu bezeichnen ist. 

Romberg war nur in 2 Fällen positiv, in zwei andeutungsweise, lokomoto- 
rische Ataxie in 4 Fällen, das Biernakische Symptom fand sich in keinem 
der Fälle. 

Kältehyperästhesie des Rumpfes bestand in 5 Fällen. 

Von größter Bedeutung für die Frühdiagnosen sind die intestinalen und 
vasomotorischen Krisen (2 mal Larynxkrisen, 6 mal Magenkrisen, 3 mal sonstige 
Intestinalkrisen bei sonst geringen und inkompletten Symptomen.) 

7 mal wurde der Liquor cerebrospinalis untersucht, es ergab sich in jedem 
Falle positiver Befund, d. h. Vermehrung der Lymphocyten. 

11) Über atypische Verlaufsformen der Tabes, von Schüller. (Wiener 

med. Wochenschr. 1906. Nr. 17 u. 18.) Ref.: Pilcz (Wien). 

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Als atypische Tabesformen gelten die mit besonders benignem und die mit 
rasch fortschreitendem Verlauf, ferner die abnorm lokalisierten und die mit anderen 
Nervenerkrankungen kombinierten Formen. Eine Verlaufsform, die Tabes mit 
plötzlich auftretenden schweren Lähmungen, wird ausführlicher besprochen. Es 
werden 5 Fälle beschrieben, bei welchen derartige Lähmungen teils unter dem 
Bilde der akuten Paraplegia inferior, teils unter dem Bilde der Landry sehen 
Paralyse auftraten. Charakteristisch ist der Eintritt der Lähmungen in einem 
frühen Stadium, die Schlaffheit derselben mit gleichzeitiger Ataxie, endlich der 
rasche [Rückgang der Lähmungen. 

Ähnlich kommen vor akute monoplegische und hemiplegische Formen. Diese 
plötzlich auftretenden Lähmungen können unter der Bezeichnung „tabische Attacken“ 
zusammengefaßt werden. 

Wie in früheren Arbeiten des verdienstvollen Autors, finden sich auch hier 
zahllose höchst bemerkenswerte Daten anscheinend ganz in parenthesi eingestreut, 
welche von der Belesenheit wie persönlichen Erfahrung des Verf.’s beredtes Zeugnis 
ablegen; so z. B. der interessante Hinweis, daß die cervikalen Fälle vorwiegend 
Frauen betreffen, ferner Mitteilung eines Falles von Tabes subacuta unter dem 
Bilde der Bulbärparalyse (mit histologischem Befunde), therapeutische Ratschläge 
(Verf. plädiert bei den „Attacken“ für eine Jod-Quecksilberkur) usw. 

12) Einige wenig beschriebene Formen der Tabes dorsalis, von Professor 

Michael Lapinsky in Kiew. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXX. 
1906.) Ref.: E. Asch. 

In 5 Fällen von Tabes fanden sich in den Anfangsstadien die sensiblen 
Störungen in einem geringen Grade ausgebildet oder fehlten vollständig, während 
eine Verminderung der motorischen Funktionen mehr in den Vordergrund trat. 
Und zwar handelte es sich dabei um Muskelschwäche mit und ohne Atrophie in 
den Extremitäten, Abnahme des Muskeltonus bei normaler elektrischer Reaktion 
der Muskeln und Nerven. Meistens tritt nach einiger Zeit unter dem Einfluß 
einer geeigneten Therapie Besserung ein. Es handelt sich dabei wahrscheinlich 
um eine Affektion der Zellen der Vorderhörner, welche aber nicht als Degeneration, 
sondern als Herabsetzung ihrer Funktion, aufzufassen ist. Ähnliche Verände¬ 
rungen wurden nach Durchschneidung der Hinterwurzeln experimentell hervor¬ 
gerufen, wobei sich Aufquellen des Zellkörpers mit Lageveränderung des Kerns 
und chromatolytischen Erscheinungen fand. Möglicherweise kommt aber dabei 
auch die Herabsetzung der Reize in Betracht, welche von der Peripherie her 
durch die hinteren Wurzeln zu den Vorderhörnem gelangen und den allgemeinen 
Tonus der Zellen der Vorderhörner erhöhen. 

13) Zur Frühdiagnose der Tabes bei den Weibern, von Dr. J. Brodski. 

(Korsak. Journ. f. Psych. u. Neur. 1906.) Ref.: Krön (Moskau). 

In 2 Fällen traten als Frühsymptom Clitoriskrisen auf. Während der Arbeit, 
selbst im Schlafe, stellte sich ein Kitzeln in der Vagina und im Uterus ein, dem 
bald eine Erektion der Clitoris folgte. Die geschlechtliche Erregung steigerte 
sich und führte schließlich zu einer reichlichen Absonderung einer gelben, schleimigen 
Flüssigkeit. Sofort darauf empfanden die Kranken äußerst intensive Schmerzen 
in den Genitalien, der Blase und in der Lendengegend. In beiden Fällen lag 
Abusus in Venere vor. 

14) Tabes dorsalis und Gravidität, von Dr. J. Thies. Aus der Univ.-Frauen- 

klinik zu Leipzig. (Centr. f. Gynäk. 1906. Nr. 20.) Ref.: Jacoby (Mannheim). 

Es besteht eine Tabes dorsalis im paralytischen Stadium, bei der die Hirn¬ 
nerven wenig affiziert sind. Als Ursache ist eine syphilitische Infektion anzu- 
nehmen. Auffällig ist die geringe Schmerzhaftigkeit bei der Geburt und der 
schnelle Verlauf derselben. Der Eintritt der Geburt wurde erst beim Einschneiden 
des Kopfes bemerkt. Die Bauchpresse trat überhaupt nicht in Tätigkeit, da 


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ebenso wie die Muskulatur der Beine auch die der Bauchdecken so stark ge¬ 
schwächt war, daß eine Spannung derselben überhaupt nicht völlig möglich war. 
In dem beschriebenen Falle waren schwere Störungen sowohl der sensiblen, wie 
der motorischen Nerven vorhanden, und doch war die Innervation des Uterus eine 
vollkommene. Neben den Extremitäten sind auch die Funktionen der Blase und 
des Mastdarms schwer geschädigt Da die motorischen und hauptsächlich die 
sensiblen Nerven der unteren Thoraxhälfte und Extremitäten in ihrer Tätigkeit 
schwer gestört sind, werden auch namentlich die centripetalen Uterusnerven 
affiziert sein, die vom Uterus ausgehenden spinalen Reflexe werden fehlen. Die 
Uterusbewegung wird demnach zumeist von den Uterusganglien ausgehen. Die 
Erkrankung wurde nicht durch die Gravidität .beeinflußt und nach der Geburt 
trat eine Besserung ein. 

15) Ein Fall von mit Neuritis komplizierter Tabes, von Dr. S&ndor Ferenczi. 

(Pester med.-chirurg. Presse. 1906. Nr. 2.) Ref.: S. Klempner. 

Patient ist hereditär nicht belastet, für Potus, Lues, Bleiintoxikation be¬ 
stehen keine Anhaltspunkte. Seit dem 30. Lebensjahre Schwäche und Parästhesie 
in den Beinen, seit dem 35. Jahre lanzinierende Schmerzen. Im Alter von 40 Jahren, 
angeblich nach einer stärkeren Erkältung, stürzt Pat., von plötzlicher Schwäche 
befallen, nieder. Keine Bewußtseinsstörung; Lähmung beider Beine und Blasen¬ 
lähmung. Im Laufe der Jahre langsam fortschreitende Besserung der Lähmungs- 
erscheinungen. 

Stat. praes.: Miosis und absolute Lichtstarre der Pupillen, schlaffe, sym¬ 
metrische Lähmung der Mm. tibialis ant. und peron., ext. et flexor. halluc. et digit. 
und tric. surae, Parese der Kniebeuger mit Fehlen bzw. Herabsetzung der elek¬ 
trischen Erregbarkeit für beide Stromesarten, Steppergang, Fehlen des Knie- und 
Achillessehneureflexes, entsprechend dem Gebiete der Lähmung taktile und ther¬ 
male Hypästhesie, sowie Hypalgesie. 

Verf. schließt Poliomyelitis acuta, Syringomyelie und multiple Sklerose aus 
und möchte den Fall als eine mit Neuritis komplizierte Tabes deuten. (Eine 
komplizierende Myelitis zieht Verf. nicht in den Kreis seiner differential-diagnosti¬ 
schen Erwägungen. Ref.) 

10) Über Analgesie der Achillessehne bei Tabes (Abadiesches Symptom), 

von Dr. Racine in Essen. (Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 20.) 

Ref.: E. Asch. 

Die von Aba die in Bordeaux beschriebene Analgesie der Achillessehne soll 
ein Frühsymptom der Tabes sein und häufig vor dem Verlust der Patollarreflexe 
oder der reflektorischen Pupillenstarre Vorkommen. Um den Druck auf die Sehne 
genau zu bestimmen, konstruierte Verf. eine einfache Zange, deren Branchen bei 
Kompression den ausgeübten Druck in Kilogramm angeben, wie dies bei dem 
Dynamometer der Fall zu sein pflegt. Es fand sich, daß beim normalen Menschen 
die unangenehme Koinpressionsempfindung bei 5—10 kg, die Schmerzempfindung 
bei 10 und mehr Kilogramm Druck aufzutreten pflegt. Wichtig ist, daß stets 
eine bestimmte Stelle gedrückt wird und liegt dieselbe direkt hinter den Knöcheln. 
Eine leichte Dorsalflexion des Fußes läßt dieselbe noch mehr hervortreten. Immer¬ 
hin gibt es Menschen, die bestimmt nicht an Tabes leiden, bei welchen eine starke, 
auf die Achillessehne vorgeuommene Kompression von 20 und mehr Kilogramm 
keine Schmerzen hervorzurufen braucht. In 33 Fällen von charakteristischer Tabes 
war die Empfindlichkeit 9mal herabgesetzt, in 17 Fällen aufgehoben und in 
7 Fällen (21,7 °/ 0 ) vorhanden. Stets war die Herabsetzung und der Verlust der 
Empfindlichkeit bilateral, wenn auch nicht selten in bezug auf die Stärke ver¬ 
schieden. 

Bei der disseminierten Sklerose konnte im Gegensatz zu Abadie Verf. das 
Symptom nicht michweisen. Hingegen fand sich dasselbe gelegentlich bei der 

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allgemeinen Paralyse* Eis durfte eich bei dem neuen Symptom weniger um ein 
„tabisches Stigma“, als um ein beachtenswertes Zeichen handeln, das aber an 
Wichtigkeit hinter dem Westphalschen, Argyll-Robertsonschen und Rom¬ 
berg sehen Symptom zurückbleibt. 

17) Ein forensisoh bedeutungsvoller Fall von gastrischen Krisen, von Ohm. 

(Charite-Annalen. XXX. 1906.) Ref: Martin Bloch (Berlin). 

31 jähr. Patient, der im 18. Jahre ein Ulcus penis ohne Sekundärerscheinungen 
gehabt, leidet seit 3 Jahren an Augenmuskellähmungen und Doppelbildern. Am 
28./IX. 1904 nach Genuß eines Eisbeines starke Leibschmerzen, heftiges Erbrechen 
und Durchfall; die Symptome werden vom erstbehandelten Arzt und angeblich 
auch in einem Krankenhause, wo er 3 Wochen verblieb, als Fleischvergiftung 
aufgefaßt. Gewichtsabnahme von 30 Pfund. Am 2l./XI., nachdem Pat. wieder 
versucht hatte zu arbeiten, abermals Magenschmerzen und Erbrechen, die bis zum 
24./XI., dem Tage der Aufnahme in die Charite, anhielten. Objektiv findet sich 
doppelseitige Okulomotoriuslähmung mit Kontraktur der Externi, absolute Pupillen¬ 
starre, Rombergsches Zeichen, lokomotorische Ataxie, Hypalgesie in der Höhe 
der Rippenbögen, lebhafte Reflexe. In der Zeit der Beobachtung wiederholten 
sich die Anfälle mehrfach und waren 4mal mit epileptiformen Anfällen kompli¬ 
ziert. Diagnose: Beginnende Tabes mit gastrischen Krisen. 

Die Diagnose wurde durch den im Juli folgenden Jahres in Bethanien er¬ 
hobenen Sektionsbefund erhärtet. 

Eine Klage des Patienten bzw. seiner Hinterbliebenen gegen den Schlächter, 
der das Eisbein geliefert hatte, wegen Gesundheitsschädigung durch verdorbene 
Nahrungsmittel, wurde abgewiesen. 

18) Grundsätze der Übungstherapie bei Tabes, von Frenkel-Heiden. (Berl. 

klin. Wochenschr. 1905. Nr. 23.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Die Übungstherapie will die Störung der Koordination, die sich als mehr 
oder minder starke Ataxie bemerkbar macht, beseitigen. Die Ataxie ist hervor¬ 
gerufen durch die Verminderung oder das Schwinden der Sensibilität der Haut, 
der Gelenke und ganz besonders der Muskeln. 

Die Koordinationsstörungen der Extremitäten sind natürlich das auffälligste 
Symptom. Zu wenig ist aber bisher beachtet worden, daß bei dem Unvermögen 
zu gehen, zu stehen und zu sitzen, die Störungen der Koordination der Rurapf- 
muskulatur eine hochbedeutende Rolle spielen. Derselben ist die Fähigkeit ver¬ 
loren gegangen, in jedem Moment den Schwerpunkt des Gesamtkörpers so einzu- 
stellen, daß die Schwerlinie in der Verbindungslinie der Drehpunkte beider Fu߬ 
gelenke oder in den Drehpunkt eines Fußgelenkes führt, trotz der fortwährenden 
Verschiebung der Lage der einzelnen Teile des Körpers zueinander. 

Praktische Aufgabe der Übungstherapie ist es, durch genaue Anweisungen 
dem Kranken beizubringen, in welcher Weise die einzelnen Teile Kopf, Rumpf 
in seinen verschiedenen Abschnitten, Nacken, Oberschenkel usw. bei jeder moto¬ 
rischen Leistung zueinander gestellt werden müssen, damit die angegebenen Be¬ 
dingungen für den Schwerpunkt erfüllt werden. Durch langsames Fortschreiten 
von leichten zu schweren Aufgaben und unter steter Berücksichtigung der Gesetze 
der normalen Bewegungen wird es möglich sein, dies zu erreichen. Eine Besserung 
bleibt selten aus. Der Grad derselben richtet sich weniger nach der Schwere der 
Koordinationsstörung als nach der Dauer der Kur. Damit der Erfolg ein dauer¬ 
hafter bleibt, ist eine mehrmonatliche Kur erforderlich. Bei 6—12 monatlicher 
Behandlung geben auch die allerschwersten Fälle eine gute Prognose. Als un¬ 
günstige Komplikation sind anzusehen langdauernde Schmerzanfälle, heftige Krisen, 
starke Pulsbeschleunigung, hoher Grad von Hypotonie. Bei der Behandlung muß 
im Auge behalten werden 1. daß die Pulsfrequenz wesentlich steigt, auch wenn 
jede einzelne Übung nur 2—3 Minuten dauert, und 2. daß das Ermüdungsgefühl 

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fehlt Vor der Massage als unterstützendes Moment der Übungsbehandlung warnt 
der Verf. 

19) Contribution 4 l’etude de l'dtiologie de la maladie de Friedreich, par 

Dr. G. BouchA (Memoire couronne au concours pour lee courses de voyage 

en 1904. Bruxelles, imprimerie scientifique L.Severeyns 1905.) Bef.: Eduard 

Müller (Breslau). 

Den Ausgangspunkt dieser sehr bemerkenswerten Studie (auch ausgiebiges 
Literaturverzeichnis) bildet die genaue klinische Beobachtung einer Familie (drei 
Fälle), deren Glieder die Kombination von Friedreichscher Krankheit mit here¬ 
ditärer Syphilis zeigten. Die Erörterung der Frage nach der Häufigkeit der er¬ 
erbten Syphilis bei der hereditären Ataxie und nach den Wechselbeziehungen 
beider Erkrankungen veranlaßte den Verf. zu dem Versuch, alle in der Literatur 
vermerkten Krankheitsursachen dieses Nervenleidens kritisch zu sichten; er hat 
dabei unter gleichzeitiger Berücksichtigung klinischer und pathologisch-anatomischer 
Einzelheiten aber auch jene Einzelfälle gesammelt, in denen ätiologische Anhalts¬ 
punkte völlig fehlen (insgesamt 260 Fälle mit 5 Eigenbeobachtungen aus zwei 
Familien). In pathologisch-anatomischer Hinsicht hebt auch er hervor, daß die 
überaus häufige Kleinheit des Rückenmarkes schon bei frühzeitigem Tode des 
Eiranken gefunden wird. Dadurch wird die Annahme einer sekundären Atrophie 
hinfällig. Für die tiefgreifende Entwickelungsstörung und Unterentwickelung des 
Rückenmarkes sprechen auch die ganz gewöhnlichen Anomalien des Centralkanals, 
die Kleinheit der Zellen und die Dünne der Fasern. Für diese Auffassung fallen 
unter den klinischen Gesichtspunkten in die Wagschale der oft gelingende Nach¬ 
weis des familiären Charakters, der Krankheitsbeginn in der Kindheit oder 
wenigstens noch im Jugendalter, sowie die große Häufigkeit von Entwickelungs¬ 
hemmungen an anderen Organen sowohl bei den Kranken selbst, als auch bei 
Familienangehörigen. In einer gewissen Zahl von Fällen (vor allem bei den 
obenerwähnten Familien) scheint die hereditäre Syphilis, bzw. die Heredo-Para- 
Syphilis eine ursächlich bedeutsame Rolle zu spielen. 

Die mannigfachen, nach der Geburt einwirkenden GelegenheitsurSachen sind 
hingegen von ganz untergeordneter Bedeutung. Auch die Eigenbeobachtungen 
des Verf/s lehren, daß die ersten Anfänge meist viel weiter zurückliegen als die 
angeblichen Krankheitsursachen. Die „Infektionstheorie“, die namentlich in Frank¬ 
reich viele Anhänger hat und die sporadischen Fälle erklären soll, ist irrig. 
Zweifellos sind Infektionen und vor allem akute Exantheme in den Vorgeschichten 
nicht selten. Infektionen sind auch imstande, zu analogen klinischen Krankheits¬ 
erscheinungen Anlaß zu geben (z. B. die Syphilis). Sie können aber nach Verf. 
niemals das charakteristische anatomische Bild der hereditären Ataxie hervorrufen. 
Die ungemein langsame Entwickelung des Leidens mit zunächst unscheinbaren 
Frühsymptomen macht eine genauere zeitliche Feststellung des Krankheitsbeginnes 
fast unmöglich und erschwert dadurch jede Forschung nach exogenen Krankheits¬ 
ursachen außerordentlich. 

Die Infektionskrankheiten sind bei der Friedreichschen Krankheit, wie 
Verf. in scharfer Kritik der von Demoulin für die Infektionshypothese an¬ 
geführten Beweise eingehend begründet (Thöse de Lille 1902), höchstens agents 
provocateurs; sie kommen aber als solche besonders dann in Frage, wenn beim 
familiären Vorkommen eines der Geschwister im direkten Anschluß an eine In¬ 
fektion wesentlich früher erkrankt als alle übrigen. In vielen Fällen, die man 
für die Infektionshypothese verwertete, läßt sich nachweisen, daß Geschwister des 
Patienten in annähernd demselben Alter gleichfalls an hereditärer Ataxie, aber 
ohne äußere Ursachen erkrankten. Manchmal erbringt die genaue neurologische 
Untersuchung der scheinbar noch gesunden und von subjektiven Beschwerden 
freien Geschwister eines Kranken doch den endgültigen Nachweis der familiären 

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Anlage. Sporadische Falle sind namentlich in Frankreich selten, wo die Familien 
mit mehr als drei Kindern ebenfalls selten sind. Rasches Wachstum des Körpers 
(Rekonvalescenz, Pubertät) löst manchmal die ersten deutlichen Frühsymptome 
aus. Bei mindestens einem Viertel hat man trotz genauer Untersuchung keine 
Anhaltspunkte für eine nervöse Erkrankung in der Ascendenz gefunden. Rücken¬ 
marksaffektionen bei den Eltern und Geschwistern, sowie in der Seitenverwandt¬ 
schaft, sind relativ selten; oft findet man nur neuro- bzw. psychopathische Kon¬ 
stitution, Epilepsie, Psychosen u. dergl. Diese Momente sind nur prädisponierende; 
sie bilden also in der erkrankten Familie einen günstigen Boden für die aus 
anderen, noch unbekannten Ursachen entstehende hereditäre Ataxie. Unter 
122 Fällen mit Friedreichscher Krankheit ist Alkoholismus I8mal verzeichnet. 
In der großen Mehrzahl dieser Fälle aber finden sich neben der Intoxikation noch 
andere ursächlich vielleicht bedeutsame Momente; zudem ist der Alkoholismus oft 
nur der Ausdruck der neuro- bzw. psychopathischen Veranlagung. 

Unter den Schlußfolgerungen des Verf.’s sind folgende hervorzuheben: 

Die Friedreichsche Krankheit beruht auf einer Entwickelungshemmung der 
Hinterstränge; zu in symptomatologischer Hinsicht ähnlichen Erkrankungen können 
entzündliche Prozesse führen, die aber ursächlich und pathologisch-histologisch 
von der hereditären Ataxie verschieden sind. Die Ursachen der Friedreich- 
schen Krankheit sind unter denen zu suchen, die fähig sind, Entwickelungs- 
hemmungen hervorzurufen. Die Kritik beweist, daß nur in seltenen Fällen von 
einer gleichartigen bald direkten, bald von der Seitenlinie ausgehenden Vererbung 
die Rede sein kann; am häufigsten findet man in der Familie nur Zeichen einer 
nervösen Entartung. Diese Entartung beruht in einem Teil der Fälle auf ge¬ 
wissen Intoxikationen bzw. Infektionen bei den Erzeugern ("Alkohol ismus, Tuber¬ 
kulose, Syphilis). 

20) A famüy in which aome of the signs of Friedreichs ataxy appeared 
discretely, by Lui Gardner. ("Brain 1906. S. 112.) Ref: L. Bruns. 
Verf. zeigt zunächst aus der Litteratur, daß bei den hereditären Nerven¬ 
krankheiten Übergänge von der einen in die andere Form in der ausgedehntesten 
Weise Vorkommen — namentlich auch bei den der Fried re ich sehen Krankheit 
zugehörigen Formen von der spastischen in die ataktische Form. Er berichtet 
dann von einer Familie, bei der die Mutter Nystagmus und Intentionstremor 
zeigte: die älteste Tochter Nystagmus, spastische Parese der Beine, gesteigerte 
Sehnenreflexe und Babinski, veränderte Sprache. Klumpfuß mit Pes cavus und 
Krallenstellung der Zehen; drei anderen Geschwistern fehlen die Sehnenreflexe: 
davon eine auch Pes cavus und Skoliose. Es fehlt hier aber in allen Fällen die 
Ataxie. 

21) Un caso di malattia di Friedreich interessante per ans rarissima par- 
tieolarita, per Chiadini. *Riv. critica di clinica medica. 1906. Nr. 10. > 
Ref.: Arth. Herrn. Hübner 'Bonn . 

Bei einem erblich nicht belasteten, aber körperlich stets zurückgebliebenen, 
jetzt 24 Jahre alten Mädchen, das seit mehreren Jahren den Symptomenkomplex 
der Friedreichschen Krankheit bot, fand sich eine ungewöhnliche Stellung der 
3.—5. Finger beider Hände. Dieselbe bestand darin, daß die ersten Phalangen 
hyperextendiert, die zweiten flektiert waren. Choreatische oder athetoide Be¬ 
wegungen fehlten, es war nur ein leichtes Oszillieren in den betroffenen Fingern 
zu beobachten. Da Knochen und Gelenke nicht deformiert waren, muß es sich 
usch Verf. um eine durch Lähmung und nachfolgende Atrophie der Muskulatur 
bedingte Stellungsanomalie handeln. 

Der Arbeit sind Abbildungen der Kranken und der Hand beigegeben. 

22) Drei mit Serum behandelte Fälle wen Tetanus traumatica* , von 
J. Kentzler. ^Orvosi Hetilap. 1906. Nr. 34- 35.) Ref.: Hndovernig. 

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Verf. berichtet über die Serotherapie bei 3 Fällen von traumatischem Tetanus: 
Die ersten Erscheinungen der Krankheit zeigten sich 10, 7 bzw. 14 Tage nach 
der Verletzung. Der 1. Fall war in 27, der 2. und 3. Fall in 26 Tagen geheilt. 
Der 1. Pat erhielt 19,95 g trockenes Tizzonisches Antitoxin, der zweite 1100, 
der dritte 1500 Einheiten Behringschen Serums. Die Injektion ergab keine 
lokale Reaktion, als allgemeine Reaktion zeigten Bich in 2 Fällen leichte Haut¬ 
eruptionen. In keinem Fall zeigte sich schon nach der ersten Injektion eine aus¬ 
gesprochene Besserung, sondern noch eine leichte Verschlimmerung, welche jedoch 
nach kurzer Zeit in Heilung überging. Ohne aus 3 Fällen allgemeine Schlu߬ 
folgerungen über den Wert des Serums zu ziehen, glaubt Verf., daß die Anwen¬ 
dung des Serums immerhin einen bedeutenden Fortschritt der Tetanusbehandlung 
bedeutet. Im Anschluß stellt Verf. eine Statistik sämtlicher bisher publizierter 
Fälle von Tetanus zusammen, nach welcher er zu dem Ergebnisse kommt, daß 
Fälle mit kurzer Inkubationsdauer (1—10 Tage) eine größere Mortalität auf¬ 
weisen ; vor der Serumanwendung war der Prozentsatz der Mortalität ein bedeutend 
höherer, was für die Vorteile dieser Behandlung spricht. Besondere Nachteile 
der Serotherapie sind nicht nachweisbar; unter 564 Fällen zeigte sich bloß bei 
17 Kranken leichtes Exanthem. 


Psychiatrie. 

23) Die oytologisohe und ohemisohe Untersuchung des Liquor cerebro¬ 
spinalis bei Geisteskrankheiten, insonderheit bei progressiver Paralyse, 

von Liebscher. (Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr.45.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. schildert zunächst genau die Technik, derer er sich bediente. Punktion 
in linker Seitenlage, Entnahme einer stets gleichen Menge. Zusatz von 2 bis 
3 Tropfen Formol, ®/ 4 Stunden bei etwa 2000 Rotationen in der Minute Centri- 
fugieren. Rasches Ausgießen der Flüssigkeit bis auf den durch Adhäsionskraft 
verbleibenden Rest. Entnahme eines Tropfens mit einer stets gleichen Kapillar¬ 
pipette. Fixation im Thermostat. Färbung mit Ehrliche Hämatoxylin, bzw. 
Eisen-Hämatoxylin-Eosin. Zählung nach der Formel a—a' / n, wobei a die 
niedrigsten, a' die höchsten ermittelten Lymphocytenwerte, n das arithmetische 
Mittel sämtlicher Lymphocytenbefunde bedeutet. 

Außerdem wurde der Eiweißgehalt nach der Brandheryschen Methode be¬ 
stimmt. 

Zur Untersuchung kamen 62 Paralytiker, 9 Fälle von Dementia praecox, 
12 von Epilepsie, je einer von manisch-depressivem Irresein, Melancholie und 
Idiotie mit Littlescher Lähmung. 

Die Befunde, welche sowohl detailliert in Tabellen wiedergegeben, wie durch 
epikritische Bemerkungen erläutert werden, führen Verf. zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Lymphocytose ist der Ausdruck entzündlicher Veränderungen der 
Meningen, wie sie vornehmlich der progressiven Paralyse zukommen. 

2. Neben der Lymphocytose findet sich bei der Paralyse Eiweiß in mehr 
oder weniger großen Mengen (0,03—0,3). 

3. In Fällen von Lues findet man gelegentlich wohl auch eine ganz be¬ 
trächtliche Menge von Lymphocyten, während Eiweiß in kaum meßbaren Spuren 
vorhanden ist, und stehen daher derartige Fälle hierdurch in einem gewissen 
Hegensatze zur Paralyse. 

Aus der interessanten Arbeit des Verf.’s geht insbesondere auch die hohe 
differentialdiagnostische Bedeutung der Ergebnisse der Lumbalpunktion hervor. 

24) La oltiodiagnosl nelle diverse forme mentali, per Eugenio La Pegna. 

(Napoli 1906. 131 S.) Ref.: Merzbacher. 


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Eine Monographe über den diagnostischen Wert der Lumbalpunktion bei 
Geisteskranken, eine der ersten italienischen Arbeiten auf diesem Gebiete. 

Das Gros der Arbeit ist einer Rekapitulation der Ergebnisse auf diesem 
Gebiete gewidmet, soweit sie in der Literatur niedergelegt sind. Eine besondere 
kritische Stellongsnabme zu diesen Ergebnissen ist nicht zu finden. An eigenen 
Beobachtungen bringt der Verf. die Punktionsergebnisse von 65 Fällen. In 
10 Fällen, in denen die Diagnose progressive Paralyse sicher stand, war der 
cytologische Befund positiv (es beruht lediglich auf ein Schreib versehen, wenn im 
Falle 58 wir in der Bemerkung über das Endergebnis den Worten „negativer 
Ausfall“ begegnen, denn bei der Mitteilung über das Ergebnis der mikroskopischen 
Untersuchung lesen wir: „im Gesichtsfelde finden wir über 50 Elemente“.) In 
2 Fällen ist die Diagnose progressive Paralyse ungewiß: einmal ist hier der 
Befund negativ, einmal positiv (Ref. erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß es 
sich in einem der beiden Fälle um eine Lues cerebri handeln möge). Ein Fall 
von Dementia praecox und ein Fall von Melancholie boten positiven Befund; beide 
Kranke waren vor 10, bzw. 2 Jahren syphilitisch infiziert gewesen. Alle 
anderen Fälle, Kranke mit den verschiedensten klinisch sichergestellten Diagnosen, 
boten einen negativen Befund. 

Die Art und Weise, wie der Verf. die Eiweißuntersuchung vornimmt, 
entspricht nicht den Anforderungen der Technik, wie sie jetzt allgemein angewendet 
zu werden pflegt (Essbach + Centrifugierung in graduierten Röhrchen); auch der 
italienische Verf. konstatiert Vermehrung des Eiweißgehaltes bei der Paralyse und 
bei Arteriosklerose (ein Ref. auch bekannter Befund). Der Verf. hat die durch 
Punktion gewonnenen Flüssigkeiten auch regelmäßig der kryoskopischen Unter* 
Buchung unterzogen; bei der Paralyse gibt die Kryoskopie im allgemeinen niedrigere 
Werte als bei anderen Geisteskrankheiten. 

Als besonders bewerkenswert erscheint die Tatsache, daß der Liquor der 
Paralytiker hervorragende toxische Eigenschaften zu besitzen scheint. Sämtliche 
Meerschweinchen, die intravenös mit Liquor von Paralytikern behandelt wurden, 
gingen nach kurzer Zeit unter schweren Vergiftungserscheinungen zugrunde, 
während diejenigen Tiere, die mit der Cerebrospinalflüssigkeit von Nichtparalytikern 
behandelt wurden, keine nennenswerten Erscheinungen boten. 

Recht bedenklich erscheint es uns, und dies ganz besonders im Interesse 
der Punktierten, daß der Verf. zu diagnostischen Zwecken ungemein große 
Flüssigkeitsmengen abläßt, in der Regel 30 ccm (!). 

Die eigenen Beobachtungen hätten unserer Erwartung gemäß den Verf. zu 
einem begeisterteren Anhänger der Lumbalpunktion machen sollen als er sich in 
Beinen zusammenfassenden Schlußbemerkungen entpuppt. Er schätzt zwar den 
Wert der Lumbalpunktion sehr hoch ein, meint aber neben anderen Bedenken 
auch, ein negativer Ausfall der Lumbalpunktion spräche noch nicht mit absoluter 
Sicherheit gegen Paralyse. Diese Reserviertheit scheint uns auf Grund der 
sowohl vom Verf. als von anderen einwandsfreien Untersuchern gewonnenen 
Befunde nicht berechtigt: uns selbst — und wir verfügen über eine sehr große 
Erfahrung (120 Punktionen bei Paralysen!) — ist kein ein wandsfreier Fall 
von Paralyse bekannt, der einen negativen cytologischen Befund 
gezeigt hätte; jedesmal, wo er sich negativ erwies, handelte es sich eben auch 
um keine Paralyse, wir halten den cytologischen Befund für den allerwichtigsten 
und ausschlaggebendsten und lehnen deshalb die Diagnose Paralyse ab, wenn die 
cytologische Untersuchung negativ ausfällt. Es ist sicher richtig, daß bei der 
Verwertung eines positiven Befundes noch andere Momente herangezogen werden 
müssen; recht wichtige Hinweise gibt hier die Betrachtung des Eiweißbefundes, 
eine Tatsache, die der Verf. nicht genügend betont. Den Wert der Lumbal¬ 
punktion lernt man erst dann richtig schätzen, wenn man bei einer Reihe zweifel- 


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hafter Fälle dureb den Ausfall der Punktion über vorher bestehende diagnostische 
Zweifel hinweggekommen ißt und der Verlauf der Erkrankung dem Ausfall der 
Punktion recht gegeben hat. Zweifelhafte Fälle zu punktieren hat nun der Verf. 
sich kaum Gelegenheit genommen. 

25) Die progressive Paralyse, von Dr. Max Neumann in Karlsruhe. (Leipzig, 
1906, Benno Konegen.) Ref.: G. Dreyfus (Heidelberg). 

Verf. gibt in seiner 54 Seiten umfassenden Schrift [Heft 6 aus der Sammlung: 
Die wichtigsten Nervenkrankheiten in Einzeldarstellungen für den praktischen 
Arzt, herausgegeben von Dr. G. Fl atau (Berlin)] in möglichster Kürze ein klares 
Bild der Paralyse. Die Arbeit ist in 5 Kapitel: Ätiologie, Pathologische Anatomie, 
Krankheitsverlauf, Diagnose nebst Differentialdiagnose und Therapie gegliedert. 
Dem Zweck der Arbeit entsprechend, legt Verf. mit Recht das Hauptgewicht auf 
eine möglichst detaillierte Schilderung der Symptomatologie, insbesondere des 
Krankheitsbeginns, und gibt auf Grund scharfer Beobachtungen dem Praktiker 
in anschaulicher Form die Möglichkeit der Erkennung der Paralyse an die Hand. 

Bei der Ausführung der diagnostischen Hilfsmittel legt Verf. auffallend wenig 
Wert auf die große Bedeutung der gerade für den praktischen Arzt sehr wichtigen 
Lumbalpunktion. 

26) Welche Rolle spielt die Endogenese in der Ätiologie der progressiven 
ParalyseP von Dreyfus. (Allg.Zeitschr.f. Psych. LXII1) Ref.: Zingerle(Graz). 
Verf. hat 268 Fälle von progressiver Paralyse, die in den letzten 15 Jahren 

in der Würzburger Klinik zur Aufnahme gelangten, hinsichtlich der Bedeutung 
der endogenen Anlage für die Ätiologie dieser Erkrankung bearbeitet. Aus diesem 
Materiale hat sich ergeben, daß die hereditäre Anlage bei der Par. progr. keine 
Seltenheit ist und beinahe gerade bo häufig angetroffen wird, wie bei den anderen 
Geisteskrankheiten und daß zweitens in der Vorgeschichte einer großen Anzahl 
von Paralytikern Zeichen einer krankhaften Veranlagung in Form von leichteren 
oder höheren Graden psychischer Abnormitäten (Idiotie, Imbezillität, Mikrocephalie, 
Epilepsie) und sogar ausgesprochenen Geisteskrankheiten gefunden werden. Man 
ist also nicht berechtigt zu sagen, das endogene Moment spiele bei der Paralys. 
progr. eine wesentlich geringere Rolle, wie bei anderen Geisteskrankheiten. 

In 24,4 °/ 0 war eine vorausgegangene luetische Infektion mit Sicherheit oder 
größter Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Die Syphilis spielt also in der Ätiologie 
nicht eine so wichtige Rolle, wenn auch in einer Anzahl von Fällen ihre Be¬ 
deutung nicht in Abrede gestellt werden kann. Wie es schon die großen 
Variationen des klinischen Verlaufes und des anatomischen Befundes wahrscheinlich 
machen, hat man es vermutlich bei der Paral. progr. mit einer Zusammenfassung 
verschiedener Krankheitsprozesse zu tun, die in ihrer Ätiologie und ihrem Wesen 
verschieden sind; eine (kleinere?) Gruppe ist auf vorhergegangene syphilitische 
Infektion Zurückzufuhren, die zweite entsteht, wie andere Psychosen, auf rein 
endogener Basis. 

Man ist daher nicht berechtigt, aus der Tatsache, daß jemand paralytisch 
ist, zu folgern, daß der Betreffende früher syphilitisch gewesen sein muß. Ebenso* 
wenig spricht das Vorhandesein einer starken erblichen Belastung gegen die 
Wahrscheinlichkeit einer Paralyse und kann auch der Standpunkt nicht mehr ver¬ 
treten werden, daß die Nachkommenschaft der Paralytiker durch die Paralyse nur 
insofern belastet sein könne, als hereditäre Lues in Betracht komme. 

27) Dementia paralytioa und Syphilis, von Dr. Gaston Vorberg. (Leipzig 
u. Wien, 1906, Deuticke.) Ref.: G. Dreyfus (Heidelberg). 

Verf. benutzte hei seiner Darstellung zum Teil das Material von Fournier 
und Raymond. Er steht auf dem Standpunkt, daß Syphilis, minderwertige Ver¬ 
fassung des Centralnervensystems und ungenügende Behandlung der Lues die 
3 Hauptfaktoren der Paralyse darstellen. Zum Schluß bringt Verf. eine — aller* 

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dings sehr kurze — Schilderung der Paralyse Maupassants und Nietzsches. 
Die Arbeit ist ein znsammenfassendes Referat einer Reihe einschlägiger Arbeiten, 
doch wird die Literatur nur sehr spärlich angeführt. 

28) La lösende de l’immunitö des arabes syphilitiqaes relatlvement 4 la 
paralysie gönerale, par Uarie. (Revue de mödecine 1906. Nr. 5.) Ref.: 
W. Seidelmann (Breslau). 

Bei Gelegenheit von Untersuchungen an geisteskranken Arabern des „Asile 
Abbassieh“ in Kairo richtele Verf. sein Augenmerk auf die viel diskutierte Frage 
naoh dem Vorkommen der Paralyse bei syphilitischen Arabern. Er fand die 
Paralyse, entgegen der gewöhnlichen Annahme, bei den Arabern sehr häufig, und 
unter diesen Paralytikern waren eine große Zahl Syphilitische. So betrug im 
Mittel die Zahl der als syphilitisch erkannten Paralytiker 79°/ 0 . Verf. hat ferner 
berechnet, daß unter den paralytischen Arabern 6 mal so oft Syphilis nach¬ 
weisbar war, als unter den Arabern mit anderen Geisteskrankheiten. Diese 
Resultate würden allerdings gegen die Annahme sprechen, daß die syphilitischen 
Araber bezüglich der progressiven Paralyse immun seien. 

20) A proposito della patogenesi della parallsi progressiva e dello spiro- 
ohaete pallida Sohaudinn-Hoffmann, pel Catöla (Rivista di patologia 
nervosa e mentale. XI. 1906. Fase. 6.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin). 
Bei 5 Paralytikern, die sämtlich syphilitisch infiziert gewesen waren, unter¬ 
suchte Verf. die Baucheingeweide, Muskeln, Lymphdrüsen, Gehirn, Rückenmark 
und Meningen auf zahlreichen Schnitten nach der Levaditischen Methode, ohne 
jemals Spirochäten zu finden. Auch in ganz frischen perivaskulären Wucherungen 
war der Befund negativ. Die Paralyse kann also nicht durch direkte und un¬ 
mittelbare Einwirkung der Spirochäte entstanden sein. 

30) Dia Plaut-Wassermannsohen Untersuchungen über syphilitische Anti¬ 
stoffe bei Paralytikern, von Konrad Alt. (Psych.-neur. Woch. 1906. 
Nr. 36.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. fordert eine gemeinsame Forschung der Syphilidologen und Psychiater, 
um den Causalzusammenhang zwischen Lues und Paralyse aufzudecken, insbesondere 
festzustellen, wie viel Syphilitiker Bpäter Paralyse bekommen. Dieses Zahlen¬ 
verhältnis könnte wohl am ehesten mit Hilfe der Sanitätsämter der Armee und 
Marine aufgeklärt werden, weil während der Dienstzeit viele junge Leute Syphilis 
erwerben und deshalb ins Lazarett kommen, der gediente Mann aber mit Hilfe 
des Bezirkskommandos jederzeit wieder aufzufinden ist. Verf. schließt mit 
einem Appell an die Generalstabsärzte und der Bitte um wirksame Mithilfe in 
der Erforschung der Paralyse-Syphilisfrage. 

31) k propoa des rapports du traumatisme et de la paralysie genörale, par 

Brissaud et Rögis. (Rev. neur. 1906. Nr. 21.) Ref.: Stransky (Wien). 
Der Grundgedanke der obengenannten Ausführungen ist aus den bezüglichen 
Stellen des Referates über den Lille • Kongreß (dieses Centralbl. 1906. Nr. 22, 
S. 1080) zu ersehen; er erscheint nunmehr etwas weiter ausgesponnen, und seitens 
beider Forscher wird ihr abweichender Standpunkt insbesondere an der Hand 
eines konkreten forensischen Einzelfalles, in dem Regis als Gutachter für die 
Annahme einer traumatisch entstandenen Paralyse plädierte, wogegen wieder 
Brissaud polemisiert, verfochten. Rögis rechtfertigt seine Annahme mit dem 
Hinweis 1. auf die absolute Gesundheit der betroffenen Person vor dem Trauma; 
2. auf das Mißverhältnis zwischen der relativen Geringfügigkeit des letzteren und 
der Schwere der Folgeerscheinungen; 3. auf die etwa mittlere, l 1 /,—2 Jahre be¬ 
tragende Zeitdistanz zwischen beiden (diesen Punkt erklärt Brissaud für be¬ 
sonders anfechtbar); endlich noch auf das Fehlen anderweitiger ätiologischer 
Momente in der Anamnese, obwohl Regis die Möglichkeit einer trotzdem statt¬ 
gehabten syphilitischen Infektion bzw. dadurch gesetzter Prädisposition keineswegs 


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bestreitet. Im allgemeinen warnt Begis davor, Annahmen von rein wissenschaft¬ 
lichem Charakter, seien sie auch noch so überzeugend (wie die Lues-Paralyse- 
Lehre) in der Praxis, doktrinär zu handhaben. 

32) Ein Fall von progressiver Paralyse im Anschluß an einen Unfall 
durch elektrischen Starkstrom, von Adam. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie 
LXIII.) Bef.: Zingerle (Graz). 

34 jähriger Monteur, kein Alkohol, nicht syphilitisch, verheiratet, 8 gesunde 
Kinder. — Am 29. Juli 1902 Unfall, geriet durch Kurzschluß in einen Stromkreis 
von etwa 200 Ampöre. Brandwunden am rechten Arm und Gesicht, war einige 
Zeit bewußtlos. — Nach einem Jahre Gedächtnisschwäche und Störungen der 
Sprache. September 1903 paralytischer Anfall mit vorübergehendem totalem Verlust 
des Sprachvermögens. Februar 1904 Größenideen. Bei der klinischen Unter¬ 
suchung bestand Abmagerung, Tremor der Hände. Pupille nicht ganz rund, 
minimale Lichtreaktion. Patellarreßex gesteigert. Bömberg angedeutet. Starke 
Sprachstörung. Zittrige Schrift. Psychisch zeigte sich hochgradige Demenz, 
euphorische Stimmung mit kindischen Größenideen. Verlauf mit zunehmender 
körperlicher geistiger Schwäche. Tod unter den Zeichen allgemeiner Erschöpfung. 
März 1905 Obduktion: Verdickung deB Schädeldaches. Hydrocephalus externus, 
Pachymeningitis haemorrhagica, weiche Häute an der Gehirnoberfläche adhärierend, 
starke Atrophie des Gehirnes, besonders über den Stirnpartien, sehr erweiterte 
Seitenventrikel, Ependymgranulationen im 4. Ventrikel. Gehirngewicht 1180 gr. 

33) The pathology of general paralysis of theinaane, by W.Ford Bobertson. 
(Scott, med. and surg. journ. 1906. März.) Bef. Blum (Nikolassee-Berlin). 
Nach Ansicht des Verf. sind die progressive Paralyse sowie die Tabes eine 

echte Infektionskrankheit. Der Erreger dieser Krankheiten ist ein dem Klebs- 
Löf flerschen Diphteriebazillus ähnliches Lebewesen; derVerf. nennt ihn Diphtheroid. 
Er findet seine Eintrittspforten in den Körper an der durch Syphilis, Alkohol usw. 
geschwächten Schleimhaut des Bespirations- und Verdauungstractus und der Blase 
durch die Harnröhre. Es ist gelungen, in mehreren Fällen den spezifischen Er¬ 
reger aus dem Blut, der Cerebrospinalfiüssigkeit und dem Urin solcher Patienten 
durch besonderes Verfahren zu züchten, und Überimpfungsversuche auf Batten, 
Ferkel und eine Ziege haben bei diesen Tieren Veränderungen des Gehirns hervor¬ 
gerufen, die mit den bei der progressiven Paralyse beobachteten große Ähnlichkeit 
darboten; auch die klinischen Symptome, Krämpfe usw. sollen lebhaft daran er¬ 
innert haben. Des weiteren Bucht Verf., auf seine Hypothese gestützt, die einzelnen 
Begleiterscheinungen der progressiven Paralyse aus seiner Infektionstheorie heraus 
zu erklären. Die Tabes führt er z. B. darauf zurück, daß Toxine längs der Nerven¬ 
scheiden centralwärts wanderten und so zur Erkrankung der hinteren Wurzeln 
führten; den diese Toxine produzierenden Herd will er in 10 Fällen in der Blase 
gefunden haben. Die Abwehrkräfte gegen die Bakterienüberflutung des Organismus 
bestehen hauptsächlich in den Leukocyten, welche diese diphtheroiden Bazillen sehr 
rasch auffressen; nächstdem entstehen noch bakteriolytische Antikörper. Zur Unter¬ 
stützung dieser menschlichen Hilfsmittel könnte man bei Tieren durch Impfen mit 
diesen Bazillen solche Antikörper erzeugen und sie dem Patienten in geeigneter 
Weise zuführen. Diese Therapie soll von jetzt ab am Kgl. Edinburger Asyl pro¬ 
biert werden. 

34) Über einen eigenartigen Markfasersohwund in der Hirnrinde bei 
Paralyse. Vorläufige Mitteilung von Oskar Fischer in Prag. (Wiener klin. 
Wochensclir. 1906. S. 661.) Bef.: Otto Marburg (Wien). 

Infolge einer das gleiche Thema behandelnden Arbeit Bordas sieht sich der 
Autor genötigt, jetzt schon Mitteilung von einem eigenartigen Befund an Paralytiker- 
gebirnen zu machen, den er in einem hohen Prozentsatz seiner Fälle erheben 
konnte. Es finden sich nämlich beinahe durchwegs in den tieferen Bindenpartieen 

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— im Baillargerschen Streifen und den darunter liegenden Schichten — an 
Weigert-Präparaten rundliche oder längsovale vollkommen myelinfreie Stellen. 
Meist liegen die Herde um Gefäße, sie sind kleiner oder größer und vergrößern 
sich durch Konfluenz. In den oberen Schichten werden sie nie getroffen. Jede 
sekundäre Degeneration fehlt. 

Dem selbstgemachten Einwurf, es könnten dies Artefacte sein, vielleicht durch 
die angewendete Methode bedingt, begegnet der Autor durch Modifikation der 
Technik, die ein gleiches Resultat ergab. Die Fränkelsche und K»plansche 
Methode zeigte gleiche Befunde und des letzteren Achsencylinderfarbung erwies 
die Axone im Herd ungefärbt. Trotzdem muß man mangels sekundärer Dege¬ 
nerationen eine Intaktheit der Achsenoylinder annehmen. Sonst zeigte das Gewebe 
solcher Herde nur eine leichte Lockerung mit Lückenbildung und deutlicher Kern¬ 
vermehrung. In 25 Fällen von Paralyse konnten diese Befunde 13 mal erhoben 
werden. Eingehendere Mitteilungen werden in Aussicht gestellt. (Diskussion 
über diese Mitteilung s. Sitzung des Vereines für Psychiatrie und Neurologie vom 
8. Mai 1906.) 

36) Progressive Paralyse P von Dr. Georg Knauer in Wiesbaden. (Münchener 

med. Wochensohr. 1906. Nr. 8.) Ref.: E. Asch. 

Ein 29 jähriger Kaufmann, Wirtshausreisender (!), der durch seinen Beruf 
gezwungen war, tagtäglich größere Mengen Alkohol zu sich zu nehmen, der außerdem 
einer sehr nervösen Familie entstammt und selbst von Jugend auf leicht reizbar 
gewesen sein soll, hatte wegen einer vor 5 Jahren akquirierten Lues schon mehr¬ 
fach antiluetische Kuren durchgemacht. In der letzten Zeit hatte Patient im 
Traum Anfälle von starker Erregung und Somnambulismus, wobei er weiße Ge¬ 
stalten mit einem großen Schlüssel drohend auf sich zuschreiten sah. Hierbei 
sprang er aus dem Bett und schlug auf die eine Gestalt ein, die von der er¬ 
schreckten Umgebung später als seine eigene Frau erkannt wurde, welche er in 
seinem schrecklichen Traum wahn aus dem Bette gerissen und am Hals gewürgt 
hatte. Eine von neurologischer Seite vorgenommene genaue Untersuchung hat 
angeblich somatisch nichts bemerkenswertes ergeben, insbesondere sollen Reflexe 
und Sensibilität normal gewesen sein. Epilepsie soll ausgeschlossen sein. Die 
nervöse Anlage soll durch geschäftliche Verluste und Aufregungen in der letzten 
Zeit eine Steigerung erfahren haben. Außerdem wurde eine Abnahme des Ge¬ 
dächtnisses bemerkt (!). 

Verf., der Dermatologe ist, stellte keine Diagnose und fragt, ob es sich in 
diesem Falle um eine Frühform der Paralyse oder Alkoholismus gehandelt habe. 
Zur Beantwortung der Frage und zur Stellung einer exakten Diagnose bedarf es 
in erster Linie einer eingehenderen Krankengeschichte. Namentlich fehlen über 
die Intelligenz, Sprache, Pupillen usw. irgendwelche Angaben, und ist die ein¬ 
malige Untersuchung von neurologischer Seite wohl nicht ausreichend, um mehr 
als die Differentialdiagnose — Epilepsie, progressive Paralyse, Alkoholismus — 
zu erhärten. 

36) Frühdiagnose and Behandlung der progressiven Paralyse, von Prof. 

Heilbronner in Utrecht. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr. 40.) Ref.: Pfeiffer. 

Die frühzeitige Erkennung der progressiven Paralyse ist im Interesse der 

Kranken bzw. ihrer Angehörigen außerordentlich wichtig und muß auch von dem 
allgemeinen Praktiker durchaus verlangt werden. Verf.’s glänzend geschriebener 
Aufsatz verdient weitgehendste Beachtung. 

37) The early ooular slgns of dementia paralytioa, by Ward A. Holden. 

(Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1905. November.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

Verf. hat an 70 Patienten mit progressiver Paralyse in frühen Stadien der 

Erkrankung unter sorgfältigen Cautelen Pupillenuntersuchungen angestellt, die 
folgendes Ergebnis hatten: Unregelmäßigkeiten der Pupillenränder fanden sich in 


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51 Fällen d. h. 70%, Ungleichheit bei 32 Patienten (45%), der sensorische 
Pupillenreflex fehlte bei 61 Patienten (87%); träge Pupillenreaktion auf Licht 
auf einem oder (häufiger) beiden Augen bestand bei 15 Fällen (21 %), reflek¬ 
torische Pupillenstarre ein- oder doppelseitig bei 20 Patienten (28%), träge 
Konvergenzreaktion gleichzeitig bei 6 Patienten (9 %). Der Durchmesser der 
Pupillen schwankte zwischen 1,5 und 5 mm, bei 37 Patienten (65%) war er 
kleiner, als dem Alter und dem Refraktionszustande entsprach. In der Kegel 
fehlt bei reflektorischer Pupillenstarre der sensorische Reflex; die Pupillen sind 
alsdann gewöhnlich eng, es handelt sich um spastische Miosis; bei weiterem Fort¬ 
schreiten der Krankheit läßt der Sphinkterenspasmus nach, die Pupillen werden 
weit, und auch die Konvergenzreaktion wird träge oder erlischt ganz. Bei einer 
Anzahl von Fällen von progressiver Paralyse zeigen die Pupillen auch in vor¬ 
geschrittenen Krankheitsstadien völlig normales Verhalten. Zu betonen ist, daß 
auch bei der Alkoholparalyse die Pupillen genau dieselben Veränderungen zeigen 
können, wie bei der echten Dementia paralytica, daß also die Augensymptome 
differentiell-diagnostische Anhaltspunkte nicht darbieten. 

38) Über ein bei gewissen Verblödungsprosessen, nunentlieh der progres¬ 
siven Paralyse, auftretendes, wenig bekanntes motorlsohes Phänomen, 

von Dobrschansky. (Jahrb. f. Psycb. u. Neur. XXVII. 1906. S. 144.) 

Ref.: Pilcz (Wien). 

Unter dem Namen „Säuglingsreflex“ beschreibt Verf. ein Symptom, das er 
hei 9 Paralytikern, 1 Katatonie und 1 Demenz nach Herderkrankung beobachten 
konnte, und das in einem Öffnen des Mundes bei erfolgender Annäherung von 
Gegenständen (Schlüssel, brennendes Streichholz) an das Gesicht der Patienten, in 
gleicher Weise bei Berühren der Lippen mit denselben bestand. 

Es zeigte sich, daß das Auftreten des Phänomens, daB als psychischer Reflex 
angesprochen wird, an ein gewisses Maß von Demenz gebunden erscheint, ohne 
daß dieselbe eine terminale zu sein brauchte. 

Asymbolische Störungen, namentlich die vom Verf. als „relative Asymbolie“ 
bezeichnete Erschwerung der Auffassung, insofern sie sich in Verlangsamung der 
Objektserkennung äußert, bleiben nicht ohne Einfluß auf den Ablauf des Reflexes, 
doch kommt ihnen eine ursächliche Bedeutung für dessen Entstehung nicht zu. 

Die befremdliche Erscheinung, daß trotz Mangels jeglicher Agnosie und ver¬ 
hältnismäßig geringer Demenz das Phänomen zustande kommen kann, wird durch 
die Annahme der „erschwerten Rückidentifikation“ zu erklären gesucht, worunter 
der zeitweilige Verlust der Fähigkeit verstanden wird, in dem Reizobjekt, das 
richtig die zu seiner Erkennung und Beurteilung führenden Vorstellungen geweckt 
hat, das auslösende Agens dieser Vorstellungen zu erkennen. 

Die Anschauung Stranskys, daß es sich bei dem beschriebenen Phänomen 
um ein Wiederaufleben von Bewegungsmechanismen aus früheren Entwickelungs¬ 
perioden handle, fand in den diesbezüglich angestellten Untersuchungen insofern 
ihre Bestätigung, als der Reflex unter 48 Kindern zwischen dem 1. und 3. Lebens¬ 
jahre 5 mal vorhanden war. Vor und nach dieser Epoche soheint er de norma 
zu fehlen. 

Verf. erörtert auch den Unterschied des von ihm beschriebenen Phänomens 
gegenüber dem Oppenheimschen Freßreflex und dem „räfiexe buccal“ von Tou¬ 
louse und Vurpas. 

Einige der mitgeteilten Krankengeschichten illustrieren gut die fragliche 
Erscheinung. 

39) Un cas de main de predioateur ohes un paralytique general, par 

Bouchaud. (Revue neur. 1906. Nr. 20.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Bei einem ÖOjähr. Paralytiker — Fabrikanten — entwickelte sich ziemlich 
akut im Verlaufe der ärztlichen Beobachtungszeit eine geringe muskuläre Atrophie 

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mit Lähmung und sekundäre Kontrakturstellung der rechten Hand vom Typus der 
Predigerhand; eine genauere Sensibilitätsprüfung war wegen der Demenz des Kranken 
nicht möglich; leichte rhythmische Zuckungen der Hand; elektrische Erregbarkeit 
der befallenen Muskeln (Flexoren) aufgehoben; Temperatur der rechten Hand 
herabgesetzt; leichte vasomotorische Erscheinungen und Hautveränderungen da¬ 
selbst (main succulente). Streckmuskeln des rechten Vorderarmes intakt. 

Verf. bezieht die beschriebene Veränderung auf eine komplizierende Syringo¬ 
myelie; nach eingehender differential-diagnostischer Erörterung verhehlt er sich 
aber nicht das Atypische des Befundes. 

40) Arthropathie nerveuse ohez un paralytique gönöral non tabötique, 

par Etienne et Per rin. (Nouvelle Iconographie de la SalpetriAre. 1906. 

Nr. 3.) Ref.: ErnBt Bloch (Kattowitz). 

Der Beginn des Leidens bei dem 43jährigen Kranken läßt sich bis in das 
28. Jahr verfolgen, wo er schon Größenideen äußerte. Im Jahre 1901 wurde 
bereits eine Anschwellung im rechten Knie festgestellt. Nach 6 Monaten (Radio¬ 
graphie) eine Vergrößerung der Epiphysen des Femur und der Tibia, eine ab¬ 
norme Beweglichkeit der Kniescheibe und des Kniegelenkes nach allen Richtungen 
hin. 1904 wird er seines geistigen Zustandes wegen in das Krankenhaus über¬ 
führt. Stat.: Rechtes Knie in Subluxationsstellung, Deviation des Unterschenkels 
nach außen. In der Haut ein großes Venennetz. Man fühlt die Verdickung der 
Tibia und der beiden Kondylen des Femur. Kniescheibe beweglich. Rechts 
Klumpfuß. Umfang des rechten Kniegelenkes 42 cm, links 33 cm. Wenn der 
Kranke liegt und ihm die Oberschenkel fest aneinander gelegt werden, bleiben 
die Malleoli interni 5 cm voneinander entfernt. Die Röntgen-Aufnahme zeigt eine 
große Exostose der unteren, inneren Partie des Femur. Die Tuberositas tibiae 
erscheint verdickt. An den Wadenmuskeln rechts ist die Erregbarkeit für den 
faradischen Strom aufgehoben, die galvanische an der ganzen Muskulatur der 
Hinterseite des rechten Beines schwächer als normal. Keine Umkehrung der 
Zuckungsformel. Keine Zeichen von Ataxie, Muskelsinn erhalten, Sehnenreflexe 
gesteigert, Fußklonus und Babinskisches Zeichen. Sensibilität scheint überall 
intakt, der Gang ist abgesehen von der Mißbildung am rechten Knie normal, 
Pupillen sind ungleich, rechts weiter wie links. Sprachstörung und geistiger 
Zustand eines Paralytikers. Systolisches Geräusch an der Spitze. Bei der Autopsie 
fanden sich die für Paralyse charakteristischen Erscheinungen. Das Rückenmark 
war normal. 

Der Fall unterscheidet sich von den bisherigen Veröffentlichungen. Während 
diese eine bestimmte anatomische Grundlage für die Arthropathie bieten in den 
Veränderungen der Hinterstränge, bleibt die Pathogenie dieses Falles unklar. 


41) Mal perforant et paralysie gönörale, par Dr. Marie et Dr. Madeleine 

Pelletier. (Arch. de neur. XXI.) Ref.: Stier (Rapperswil). 

Die Verflf. berichten über drei von ihnen beobachtete Fälle von Malum 
perforans bei Paralytikern. In zweien derselben war die Heilung der Eiterung 
direkt gefolgt von bedeutender Remission der paralytischen Symptome. Im 3. Falle 
setzte die praemortale Verschlimmerung des paralytischen Zustandes gleichzeitig 
mit dem Wiederbeginn der Eiterung ein. In der Beurteilung dieser Beobachtung 
sind die Verflf. sehr vorsichtig, und beschränken sich darauf, auf die (allerdings 
als etwas Gesetzmäßiges erscheinende) Coincidenz dieser Vorgänge hinzu weisen. 
Eine direkt heilende Wirkung des Eiterungsvorganges auf den paralytischen 
Krankheitsprozeß anzunehmen, scheint ihnen bei dem jetzigen Stand unserer 
Kenntnisse nicht angängig. Sie verwerfen daher auch die Erzeugung künstlicher 
Abscease zu therapeutischen Zwecken bei Paralytikern unter Hinweis auf die 
Ergebnislosigkeit der Versuche von Marie und Violet. 


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42) Le reflexe de Babinski dans lea iotua öpileptiformes et apopoleotiformea 

de la paralyaie gönörale, par Robert et Fournial. (Revue neurologique. 

1906. Nr. 21.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Im Gegensätze zu den Befunden von Erdin-Deltheil und Rouviöre 
konstatierten die Verff. die exzeptionelle Seltenheit des Babinski bei der progressiven 
Paralyse; hingegen kann man ihn in und nach den paralytischen Anfällen vorüber¬ 
gehend recht ausgesprochen finden; die Verff. teilen die Krankheitsgeschichten von 
Bieben solchen Fällen kurz mit. 

Die Verff. stellen die Häufigkeit der Pyramidenaffektion bei der Paralyse und 
die Seltenheit des Babinski bei derselben — abgesehen von den Anfällen — 
gegenüber und schließen mit Miralli6, daß der Babinski keine direkten Be¬ 
ziehungen zur Pyramidenbahndegeneration habe; die paralytische Meningoence 
phalitis, deren akute Schübe die paralytischen Anfälle hervorrufen, vermöge in der 
gleichen Weise vorübergehend auch den Babinski hervorzurufen. (Die Ergebnisse 
der Arbeit Starlingers scheinen von den Verff. nicht berücksichtigt worden zu 
sein; d. Ref.) 

43) Laevulosurie und Paralyse, von E. Jach. (Psych.-neurol. Wochenschrift. 

1906. Nr. 32.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. prüfte das Verhalten der Paralytiker auf die Zufuhr von Kohlehydraten; 
die Kranken erhielten morgens nüchtern 100 g Laevulose in l / 2 Liter Wasser 
gelöst, in den folgenden 4 Stunden wurde keine Nahrung gereicht. Der in dieser 
Zeit gelassene Urin wurde dann auf Laevulose untersucht. Von 40 Paralytikern 
schieden 29 Laevulose aus. Zum Vergleich wurde dieselbe Probe an 40 Epileptikern 
und 30 anderen Psychosen (Paranoia, Dem. praec. usw.) angestellt, Von den 
40 Epileptikern ergaben 21, von den anderen Psychosen 7 ein positives Resultat. 
Bei 20 gesunden rüstigen Pflegern der Anstalt erfolgte 4 mal eine Ausscheidung 
von Laevulose. 

Es zeigte sich also, daß die Toleranz gegen Laevulose bei den Paralytikern 
am stärksten herabgesetzt ist, nächst ihnen bei den Epileptikern, während die 
anderen Psychosen sich in ihrem Verhalten mehr der Norm nähern. 

44) Zirkuläre Formen der progressiven Paralyse, von Th. Rybakoff. (Kor- 

sakoffsches Journ. f. Psych. u. Neurol. 1906.) Ref.: Krön (Moskau). 

Langsamer Verlauf, anhaltende Remissionen und spätes Auftreten der Sprach¬ 
störungen unterscheiden die zirkuläre Form der progressiven Paralyse von der 
gewöhnlichen. Anamnestisch kommt neben Lues hereditäre Belastung in Betracht. 
Verf. glaubt, daß der zirkulären Form der Paralyse schneller und unregelmäßiger 
Wechsel der einzelnen Phasen, Größenideen im manischen, sinnlose hypochondrische 
Ideen im melancholischen Stadium eigen sind. 

46) Zum Verlaufe der progressiven Paralyse, von Steiner. (Wiener klin. 

Rundschau. 1906. S. 599.) Ref.: Pilcz (Wien). 

46 jähriger nicht belasteter Mann, mit 19 Jahren Lues; seit November 1902 
paralytische Symptome. Bei der Aufnahme pathognostische Dysarthrie. Pupillen 
r. > 1., links Argyll-Robertson. Patellarsehnenreflexe >. Psychisch einfache Demenz, 
pflegebedürftig, unrein, bettlägrig, muß „ausgespeist“ werden. März 1903 mehr¬ 
tägiges Erysipel (bis 40,3°). Einige Wochen später beginnende Remission, 
welche sich in der Folge immer mehr vertiefte. 1905 in Familienpflege übergeben. 
Bei einer Untersuchung (nachdem die Remission schon über 3 Jahre andauerte) 
besteht eine gewisse Krankheitseinsicht. Merkfähigkeit nicht besonders gestört; 
Patient beschäftigt sich gern; Schulkenntnisse dem Bildungsgrade entsprechend. 
Somatische Erscheinungen stationär geblieben. 

Verf. betont mit Recht die Seltenheit weitgehender und langdauernder 
Remissionen gerade bei schon vorgeschrittenen Fällen und speziell bei Bolchen 
der einfach dementen Form. 

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Therapie, 

46) Elektrotherapie« Die Technik und Anwendung elektrischer Apparate 

in der ftratliohen Praxis, von Georg t Heber und Dr. Georg Zickel. 

(Berlin und Leipzig 1906, Walther Rothschild.) Ref.: Toby Cohn (Berlin). 

Ein Elektro-Ingenieur und ein Arzt haben sich zusammengetan, um ein Buch 
zu schreiben, das gleichzeitig über die elektromedizinischen Apparate und die 
technische Seite des Instrumentariums genaue Auskunft geben und eine „rasche 
Orientierung über die medizinische Verwendbarkeit der einzelnen Verfahren er¬ 
möglichen“ soll, indem es „unter Fortlassung aller wissenschaftlichen Streit¬ 
fragen und theoretischen Erörterungen das für die Praxis Wichtige und Wissens¬ 
werteste aus der Physiologie, Diagnostik und Therapie über das betreffende Gebiet 
mitteilt.“ In 10 Kapiteln und einem einleitenden über die technischen Grund¬ 
lagen werden entsprechend dem Plan der Verff. alle zurzeit gebräuchlichen Formen 
der Elektrotherapie im weitesten Sinne, d. h. mit Einschluß der Radiologie, 
Galvanokaustik, Elektrolyse und Lichtbehandlung, in der Weise abgehandelt, daß 
zuerst das Apparattechnische unter Beifügung zahlreicher Abbildungen besprochen 
und danach einiges über die diagnostische und therapeutische Verwertung der 
betreffenden Stromart gesagt wird. 

Bei aller Anerkennung der prinzipiellen Zweckmäßigkeit eines Zusammen- 
arbeitens von Techniker und Arzt zur Darstellung des elektromedizinischen Ge¬ 
bietes muß man doch sagen, daß das vorliegende Buch sowohl in der ganzen 
Anordnung als in den Einzelheiten ganz und gar nicht den Anforderungen gerecht 
wird, die man an eine solche Darbietung stellen müßte. Abgesehen davon, daß 
eine übermäßige Belastung des Praktikers mit technischen Details gewiß ein 
pädagogischer Fehler ist, müßte, wenn man trotzdem nicht darauf verzichten will, 
wenigstens darauf Rücksicht genommen werden, daß das hier behandelte Gebiet 
etwas abseits von der allgemeinen ärztlichen Tätigkeit liegt und müßte nicht 
schon auf den ersten Seiten mit vorher nicht erklärten Kunstausdrücken wie 
Elektrolyt, innerer Widerstand, Spannung usw. hantiert werden, die vom 
Durchschnittsleser entweder gar nicht — oder was beinahe schlimmer ist — 
unklar verstanden werden. Dazu kommt die gänzliche Unzulänglichkeit des 
medizinischen Teils. Die gesamte Galvanodiagnostik wird auf die ganze 

Galvanotherapie auf 2 1 / 2 knapp bedruckten Seiten abgehandelt, viele wichtige 
Dinge fehlen ganz; über die Kondenaatorentladung z. B. findet sich auch nicht 
ein Hinweis; jede Kritik therapeutischer Heilwirksamkeit fehlt; wahllos werden 
die Indikationen nebeneinander gereiht. Wie man einem solchen Werk den 
Titel „Elektrotherapie“ geben kann, erscheint gänzlich unerfindlich. Es ließe 
sich allenfalls als „medizinische Elektrotechnologie“ rechtfertigen, wenn die un¬ 
zureichenden und überflüssigen medizinischen Abschnitte in Wegfall kämen. 


IIL Aus den Gesellschaften. 

Ärztlicher Verein in Hamburg. 

Sitzung vom 2. Oktober 1906. 


Herr Nonne: Über Pseudosy Steiner krankungen im Büokenmark und 
echte kombinierte Systemerkrankung bei AlooholiBmus chronicus. Ka¬ 
suistische Beiträge zum Kapitel des „Säufer-Skorbut“. (Der Vortrag er- 
oheint in der Monatsschrift f. Psychiatrie u. Neurologie.) 

Herr Liebrecht demonstriert an einer Reihe von Präparaten die Ausbreitung 
des pathologischen Prozesses im Verlaufe der Sehnerven bei einem vorgeschrittenen 
Falle von Neuritis alcoholica. Der Krankheitsprozeß beschränkt sich nicht allein 


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auf das papillomaculäre Büudel, sondern greift auch auf die Nachbarschaft über, 
ohne jemals die die Peripherie deB Gesichtsfeldes versorgenden Nervenbündel zu 
erreichen. Dementsprechend finden wir in schweren, lange bestehenden Fällen 
auch centrale Gesichtsfelddefekte < die weit über den durch das papillomaculäre 
Bündel versorgten Bezirk hinausgehen. L. nimmt als Grundlage der Prozesse 
bei dieser Erkrankung eine Systemerkrankung des papillomaculären Bündels an. 
Dieselbe ist anfangs rein und kann auch rein bleiben bei bald eintretender Heilung. 
In schwereren Fällen kommt es infolge stärkerer Wucherung der bindegewebigen 
Septen innerhalb deB erkrankten Bündels auch zu einer Schädigung der an dasselbe 
angrenzenden Nervenbündel. Der pathologische Prozeß geht über das erstergriffene 
Bündel hinaus, der Gesichtsfelddefekt wird größer, der strenge Begriff einer 
Systemerkrankung wird verwischt. L. setzt diese Befunde in Beziehung zu den 
Befunden des Vortr. im Rückenmark und fragt an, ob nicht auch hier in der 
Regel im Anfänge eine Systemerkrankung zugrunde liegen könne, wofür ihm 
mancherlei zu sprechen scheine. Autoreferat. 

Herr Saenger hält die Mitteilungen des Vortr. über die Befunde im Rücken¬ 
mark für sehr bemerkenswert. Seitdem Dejerine das Bild der polyneuritischen 
Ataxie und die Lehre der Neurotabes peripherica aufgestellt hat und diese von 
vielen namhaften Autoren speziell für den chronischen Alkoholismus bestätigt 
worden war, nahm man als gesichert an, daß ataktische Erscheinungen bei 
Potatoren auf die Erkrankung der peripheren Nerven zu beziehen seien. S. er¬ 
innert sich eines einschlägigen Falles während seiner Assistentenzeit im Eppen- 
dorfer Krankenhaus bei Herrn Dr. Eisenlohr. * Letzterer hatte bei einem 
chronischen Alkoholisten die Diagnose einer polyneuritischen Ataxie gestellt. Bei 
der pathologisch-anatomischen Untersuchung fanden sich die peripheren Nerven 
intakt, im Rückenmark jedoch Veränderungen in den Hinter- und 
Seitensträngen. S. hat in zwei ausgeprägten Fällen eine ausgedehnte Arterio¬ 
sklerose gefunden. S. fragt den Vortr., ob es möglich war, bei Beinen Fällen 
durch eine electro-diagnostische Untersuchung die DifferentialdiagnoBe zu stellen. 
Bekanntlich findet man bei der polyneuritischen Ataxie nicht selten qualitative 
Störungen der elektrischen Erregbarkeit im Gegensatz zur Hinterstrangsataxie, 
wo dieselben vermißt werden. Endlich fragt S. den Vortr., ob er in seinen Fällen 
Nystagmus beobachtet habe. Letzterer wurde bei primären kombinierten System¬ 
erkrankungen manchmal konstatiert. Autoreferat. 

Herr Cimbal (Altona) fragt nach den beobachteten psychischen Störungen. 
Er habe wiederholt klinische Zeichen einer spinalen Erkrankung neben oder ohne 
polyneuritische Störungen bei chronischen Deliranten gesehen, speziell mit den 
psychischen Symptomen der Korsak off sehen Psychose zusammen. In der Literatur 
fänden sich gleichfalls spinale Herderkrankungen nach chronischem Delir ge¬ 
schildert (Bonhoeffer). Die geschilderte Entstehung intrafunikulärer Herde habe 
große Ähnlichkeit mit der der bekannten cerebralen Herde bei chronisch-deliranten, 
so daß die Annahme eines einheitlichen Prozesses nahe liege. Die Kombination 
der typischen alkoholistischen Demenz mit diesen wechselnden cerebralen und 
spinalen Herdsymptomen können zum Krankheitsbild der alkoholistischen Pseudo¬ 
paralyse führen und gewisse Fälle derselben in der Tat besser erklären, als die 
Annahme einer kombinierten Erkrankung. Autoreferat. 


Sitzung vom 30. Oktober 1906. 

Herr Wiesinger: Fall von operiertem Sarkom der Dura mit Druok 
auf die Frontallappen des Gehirns. Vortr. demonstriert einen jungen Menschen 
von 20 Jahren, welcher wegen dieses Leidens von ihm operiert war. Der Patient 
hatte seit etwa 1 / a Jahre öfters an Kopfschmerzen gelitten, welche erst ln den 
letzten Wochen so heftig wurden, daß sie ihn von der Arbeit abhielten. Von 


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Säten de* Centrala er r eM T rt e iM waren bi» dabin sonstige Störungen nicht ar.t- 
^treten. Int dag em war intakt, Reis- oder Ausfallserscheinungen nicht vorhanden. 
Pols regeimäßig. etwa 70. Augenhintergrand normal. Seit etwa 3 Monaten be¬ 
merkte Patient auf der Mitte der Stirn eine flache, langsam wachsende Herror- 
Wölbung, die nicht schmerzte und sich auf der Unterlage nicht verschieben ließ. 
Bd «efner Aufnahme hatte dieselbe den Umfang eines Fünfmarkstückes erreicht. 
Ke Röntgen-Ehsrchleuchtung zeigte, daß die Geschwulst auch nach innen in den 
Schade! eine gewisse. wenn auch scheinbar nur geringe Ausdehnung hatte. Bei 
der Operation wurde etwa 1 cm von der Geschwulst entfernt der Knochen im 
Gesunden ringförmig durchschnitten und herausgenommen. Es zeigte sich nun, 
daß der Tumor auf der Vitrea und der Dura sehr viel weiter um sich gegriffen 
hatte, so daß nach allen Richtungen, besonders nach oben und unten. Teile des 
Stirnbeins in großer Ausdehnung entfernt werden mußten. Es gelang, den Sinus 
iongitudinalis zu unterbinden und die Dura im Gesunden zu umschneiden. Erst 
nach Zurückschlagen derselben wurde ein großer Tumorrapfen sichtbar, der von 
der Innenseite der Dura nach der Schädelbasis zu durch die Schädelhöhle sich 
erstreckte. Derselbe hatte einen Durchmesser von etwa vier und eine Länge von 
etwa 5—6 cm und hatte die Frontallappen der Großhirnhemisphären beiderseits 
nach hinten und auf die Schädelbasis platt niedergedrückt. Man konnte das 
Ende de» Tumor» mit dem ein geführten Finger an der Crista Galli erreichen, mit 
welcher er »ich verwachsen zeigte, so daß, um ihn zu lösen, ein Stückchen der 
Crista mit dem Meißel und der Knochenzange fortgenommen werden mußte. Nun 
gelang es, den großen Tumor stumpf zu lösen und mit dem umschnittenen Teile 
der Dura zu entfernen. Auch in die Stirnhöhlen nach unten war der Tumor 
eingednmgen, so daß beide Stirnhöhlen bis auf geringe Reste entfernt werden 
mußten. Da hierdurch eine Kommunikation zwischen Nasen- und Schädelhöhle 
geschaffen war und dadurch die Möglichkeit einer Infektion gegeben, tamponierten 
wir diese Gegend für sich sorgfältig. Die große Höhle, welche im Schädel nach 
Exstirpation der Geschwulst zurückblieb, wurde ebenfalls locker tamponiert. Der 
Blutverlust bei der Operation war ein nicht unerheblicher, einige Blutungen von 
der Schädelbasis her, die nicht unterbunden werden konnten, mußten durch Tam¬ 
ponade gestillt werden. Es gelang, den anfangs ziemlich kollabierten Patienten 
über den Kollaps hinweerzubringen. Nach etwa 8—10 Tagen war die große 
intrakranielle Höhle von Himmasse schon fast wieder ausgefullt, indem die Stirn¬ 
lappen des Gehirns sich wieder ausgedehnt hatten, spater trat sogar ein leichter 
Prolaps des Gehirns ein, doch zog sich derselbe wieder in die Schädelhöhle zurück. 
Eine Infektion der Wunde trat nicht ein, die Stirnhöhlen wurden stets für sich 
sorgfältig tamponiert. Der Wund verlauf, welcher ein ganz normaler war, zeigte 
als auffallende« Symptom ein Heruntergehen des Pulses während der drei ersten 
Wochen nach der Operation auf 40—60 Schläge, also ein Puls, wie wir ihn als 
Druckpuls zu bezeichnen pflegen, während doch davon selbstverständlich keine 
Rede soin konnte: auch für eine sonstige Reizung des Vagus lag kein Grund vor. 
Irgendwelche Reizungs- oder Ausfallserscheinungen von Seiten des Großhirns sind 
während der Heilung nicht eingetreten. Psychisch aber bot der Patient in dieser 
Zeit eigentümliche Erscheinungen dar, die wir als Hemmungserscheinungen der 
psychischen Sphäre und als verlangsamte Leitung derselben auffassen müssen. 
Sich selbst überlassen machte er einen völlig apathischen, leicht somnolentcn 
Eindruck, er lag mit geschlossenen Augen, ohne sich im geringsten um seine l m- 
?sbung zu kümmern oder irgendwelche Anforderungen zu stellen, da. Redete man 
ihn aber an, so erwachte er wie aus einem traumartigen Zustande und gab deutliche 


Zeichen des Verständnisses, er beantwortete an ihn gerichtete einfache Fragen 
richtig, doch kamen die Antworten langsam. Von selbst sprach er gar nicht. 


Forderte man ihn auf, Bewegungen zu machen, so vollführte er dieselben in der 


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gewünschten Weise, aber so, als müsse er sich immer erst besinnen, was er tun 
solle. Von selbst forderte er weder zu trinken noch zu essen; reichte man ihm 
Nahrung, so behielt er sie im Munde und vergaß, sie hinunterzuschlucken, bis er 
dazu direkt aufgefordert wurde. Die natürlichen Bedürfnisse verrichtete er me¬ 
chanisch, wurde er auf das Kloset gesetzt, so blieb er in sich zusammengesunken, 
ohne einen Laut von sich zu geben, so lange sitzen, bis er wieder ins Bett ge¬ 
bracht wurde. Dieses eigentümliche psychische Verhalten blieb während der drei 
ersten Wochen nach der Operation und verlor sich nur ganz allmählich. Langsam 
wurde er wieder lebhafter, nahm an seiner Umgebung wieder mehr teil, spielte 
Dame und Mühle mit seinen Mitkranken, und diese rühmten sein Verständnis, da 
er ihnen diese Spiele meistens abgewann. Jetzt, etwa 8 Wochen nach der Ope¬ 
ration, ist in seinem psychischen Verhalten kaum noch eine Andeutung dieser 
Beschwerden zu finden. Inzwischen ist die Schädelwunde durch die heruber¬ 
gezogene Haut fast ganz verheilt, es besteht jedoch noch der große Defekt im 
Stirnbein, in dessen ganzer Ausdehnung die Dura fehlt, so daß Haut und Gehirn 
miteinander verwachsen sind. Die plastische Deckung dieses Defektes wird erst 
später erfolgen können. Autoreferat. 


Sitzung vom 30. Oktober 1906. 

Herr Sudeck: Über die Muskelatrophie (Reflextheorie undIn&ktivitftts- 
theorie). Da die normale Funktion des Muskels von dem Intaktsein vieler Um« 
stände abhängig ist (Gelenkapparate, Innervation von der Großhirnrinde über die 
grauen Vorderhörner in die Endausbreitungen der Nerven, Muskeltonus, Gefaß- 
apparat), so ist von vornherein zu erwarten, daß Störungen der Funktion und 
somit des Muskelbestandes von mehreren Seiten kommen können. Die Inaktivitäts¬ 
theorie braucht also nicht die Reflextheorie auszusohließen und umgekehrt. Die 
Reflextheorie(Vulpian-Pagel) besteht in ihrer Grundmeinung, d. h. wenn man zu¬ 
nächst von Einzelheiten absieht, sicher zu Recht aus folgenden Gründen: 1. Die 
als reflektorisch bezeichnete Art der Muskelatrophie tritt nicht allmählich auf, 
sondern sie beginnt, wenigstens in den prägnantesten Fällen, akut mit Atonie der 
Muskulatur, und schon nach 8 Tagen kann eine meßbare Atrophie bestehen. Die 
Funktionsverminderung ist nicht proportional der Verminderung des Muskelvolums, 
sondern viel hochgradiger, sie kann fast bis zu einer wirklichen Lähmung ge¬ 
steigert werden. Auch die Reaktion gegen den elektrischen Strom kann fast 
aufgehoben sein. Wir haben es also nicht mit einer einfachen Verminderung der 
kontraktilen Substanz zu tun, sondern mit einer ausgesprochenen Innervations¬ 
störung, deren eigentliches Wesen in der atonischen Schlaffheit des Muskels beruht, 
und die wohl erst sekundär zur Atrophie führt. 2. Die Inaktivität ist ein kon¬ 
stanter Faktor, der sich in jedem Falle, wo er vorliegt, auch konstant äußern 
müßte. Die akute Muskelatrophie tritt aber nicht konstant auf. Zwar scheint sie 
sich bei entzündlichen Affektionen der Gelenke einigermaßen regelmäßig mehr 
oder weniger hochgradig einzustelleu; nach leichten Verletzungen aber sehen wir 
sie meistens ausbleiben und nur in besonderen Fällen eintreten. 3. Die akute 
Muskelatrophie tritt mitunter auch in solchen Fällen auf, bei denen überhaupt 
keine irgendwie nennenswerte Außerfunktionssetzung stattgefunden hat; die be¬ 
troffenen Extremitäten sind garnicht inaktiv gewesen und können deswegen auch 
nicht infolge der Inaktivität atrophisch sein. 4. Wenn die Muskelatrophie durch 
Inaktivität entstanden wäre, so müßte sie durch Übung mit einiger Sicher¬ 
heit gebessert werden können; es gibt aber Fälle, die jeder Übung, Massage, 
elektrischen Behandlung hartnäckig Trotz bieten, die jahrelang bestehen bleiben 
ja sogar auf die zu energische Behandlung eine unverkennbare Verschlechterung 
zeigen. 5. Es gibt ein vollkommenes Analogon der akuten Muskelatrophie an den 
Knochen, nämlich die sogen, akute Knochenatrophie. Gleichzeitig pflegen Ver- 

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ändernngen an der Haut (Cyanose, Glossy skin, Hypertrichosis, Nagelrissigkeit) 
aufzutreten. Diese Veränderungen an den Muskeln, den Knochen und der Haut 
gehören zusammen; sie sind eine den verschiedenen Organon entsprechende 
Äußerung auf dieselbe Schädigung. Die akute Knochenatrophie heruht sicherlich 
nicht auf Inaktivität, denn diese kann weder so rasch einsetzende noch so intensive 
Veränderungen des Knochens hervorrufen, wie wir sie bei der akuten Knochen¬ 
atrophie finden. Bereits nach einer Woche sind ausgesprochene Resorptionen 
radiographisch nachweisbar. Auch sind die Knochenveränderungen viel hoch¬ 
gradiger, als wie wir sie selbst nach vollkommener Ausschaltung des Nerven 
(Dlirchschneidung usw.), geschweige denn bei der Inaktivität sehen. Ferner tritt • 
die akute Knochenatrophie auch dort auf, wo keine nennenswerte Inaktivität 
stattgefunden hat, und umgekehrt bleibt sie bei zweifelloser jahrelang fortgesetzter 
Inaktivität aus. Ferner werden die angedeuteten Veränderungen der Haut, der 
Unterhaut, der Haare und der Nägel allgemein als vasomotorische Trophoneurosen 
angesehen, jedenfalls fallt es Niemandem ein, sie auf Inaktivität zu schieben. 
Wenn nun die obenerwähnte Auffassung von der genetischen Gleichwertigkeit 
dieser Erscheinungen an den Muskeln, den Knochen und der Haut richtig ist, so 
liegt hierin ein Argument mehr für die Annahme, daß auch die akute Muskel¬ 
atrophie eine trophoneurotische oder wenigstens nervöse Erscheinung ist. Die 
Folgen reiner Inaktivität kann man nur sehr selten beobachten. Es handelt sich 
bei Fällen, in denen die Inaktivitätsatrophie auftritt, fast stets um Immobilisation 
oder verringerte Funktion der Gelenke und der Muskeln (Ankylose der Gelenke, 
Immobilisation durch Verbände, Bewegungseinschränkung durch mechanische Ge¬ 
lenkschäden, Fixation der Gelenke durch Entzündung), wodurch notwendigerweise 
die Veränderungen eintreten müssen, die wir als funktionelle Anpassung bezeichnen. 
Wenn man aber in Hinblick darauf, daß ja in der Tat ein Muskelschwund eintritt, 
die übliche Bezeichnung Atrophie anwenden will, so würde es den Tatsachen 
vielleicht mehr entsprechen, wenn man von Immobilisationsatrophie und nicht von 
Inaktivitätsatrophie sprechen würde. Diese Art der Atrophie zeigt lange nicht 
so hochgradige Umfangsverminderung, wie die atonische Atrophie* Reine, un¬ 
komplizierte Inaktivität, d. h. Funktionsausfall ohne Immobilisation, sehen wir nur 
bei hysterischen Lähmungen. Bei diesen braucht aber keine Atrophie aufzutreten. 
Durch verminderte Aktivität (Schonung) kann keine erkennbare Atrophie hervor¬ 
gerufen werden, also durch Simulation eines txelenkleidens entsteht niemals Muskel¬ 
atrophie. Für die Praxis ist es von Bedeutung, welche Auffassung man in dieser 
Frage einnimmt, und zwar sowohl bei der Begutachtung von Unfallverletzten; als 
auch bei der Behandlung, ad Begutachtung: Objektiv vorhandene Zeichen von 
vorhandener Muskelatrophie sind ein sicheres Zeichen von vorhandener oder ab¬ 
gelaufener anatomischer Erkrankung. Fehlende Atrophie bei angeblichen Gelenk¬ 
schmerzen muß die Aufmerksamkeit das Untersuchers in bezug auf Simulation ver¬ 
schärfen. ad Behandlung: Bei der atonischen Muskelatrophie ist die Übungs¬ 
therapie und mediko-mechanische Behandlung meistens nutzlos und in der 
Übertreibung schädlich, bei der einfachen Atrophie nützlich. Autoreferat. 

Herr Saenger geht auf die neurologische Unterscheidung der neuritischen 
von der reflektorischen Muskelatrophie ein. Er erinnert aber auch daran, daß 
in manchen Fällen, deren Pathogenese noch nicht geklärt ist, es zu cerebralen 
Muskelatrophien kommt, die sogar qualitative Erregbarkeitsveränderungen dar¬ 
bieten können. Bekannt ist, daß von manchen Autoren die cerebrale Muskel¬ 
atrophie von vasomotorischen Störungen abhängig gemacht worden ist. Letztere 
spielen gewiß bei manchen Formen von Muskelatrophie eine Rolle. Betreffs der 
Inaktivitätsatrophie stimmt S. dem Vortr. im wesentlichen bei. Was nun das 
Zustandekommen der reflektorischen Muskelatrophie nach Gelenkaffektionen be¬ 
trifft, so erinnert S. an die von Hoffa gemachten Experimente, die übrigens 


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schon von den Franzosen angestellt worden waren Hoffa hatte bei einem 
Hunde, dem er auf einer Seite die hinteren Rückenmarks wurzeln des 3.—4. Lenden* 
wirbels durchschnitten hatte, eine eitrige Entzündung in beiden Kniegelenken er¬ 
zeugt. Die Atrophie der Streckmuskeln des Beines war nur auf der Seite ein¬ 
getreten, auf welcher der Reflexbogen erhalten war. S. glaubt auch, daß die 
Muskelatrophie reflektorisch bedingt sei durch die chronische Reizung der Gelenk¬ 
nerven. Als Analogon weist S. auf die Keratitis neuroparalytica hin. Hier hat 
S. durch mikroskopische Untersuchungen nachgewiesen, daß diese trophische Er¬ 
krankung der Cornea bedingt ist durch irritative Prozesse im Trigeminus. Die 
. Existenz von eigentlichen trophischen Nervenfasern hält S. für nicht erwiesen 
(vgl. Neurologie des Auges. II S.259). Was schließlich die vom Vortr. angeführte 
Tatsache betrifft, daß die Muskeln durch Arbeit nicht an Volumen zunehmen, so 
glaubt S. dies nicht eher, bis eine große Untersuchungsreihe vorliegt, die diese 
Behauptung objektiv stützt. Bis dahin möchte er an der physiologischen Tat¬ 
sache festhalten, daß häufige Arbeitsleistung die Muskeln stärker macht, wobei 
die Muskelfasern an Volumen zunehmen. Autoreferat. 

Herr Boettiger macht einige Bemerkungen zu der ersten Gruppe der von 
Herrn Sud eck geschilderten Muskelatrophien, zu den zweifellos reflektorisch, 
trophisch bedingten Atrophien. Er sah in einer ganzen Reihe von Fällen, daß 
es gerade verhältnismäßig leichte Traumen waren, die Muskelatrophien nach sich 
zogen; die Traumen betrafen immer Gelenke, z. B. Schulter-, Ellbogen- und Knie¬ 
gelenk, meist handelte es sich um einen einfachen Stoß, der keine palpablen Ver¬ 
änderungen hinterließ, aber von andauernden nagenden Schmerzen, und die sind 
bisher in der Diskussion noch nicht erwähnt, gefolgt war. Diese Schmerzen hatten 
ihren Sitz anscheinend in den Nervenverzweigungen der Gelenkkapsel. Die konse¬ 
kutive Muskel atroph ie betraf stets proximal dieses Gelenkes gelegene und an der 
Gelenkkapsel inserierende Muskeln, besonders Streckmuskeln. Entartungsreaktion 
fand er in diesen atrophischen Muskeln niemals, wohl aber quantitative Herab¬ 
setzung der Erregbarkeit, die freilich zum Teil bedingt erschien durch eine Zu¬ 
nahme des Hautwiderßtandes. Die Hochgradigkeit der Atrophie war anscheinend 
teilweise bedingt durch Schwund des subkutanen Fettes. Die atrophischen Muskeln 
waren nicht gelähmt Auch B. hat von einer aktiven Gymnastik, Massage, Faradi- 
sation und ähnlichen erregenden Prozeduren niemals einen Erfolg gesehen, dagegen 
von einer sedativen Therapie, so besonders von einer vorsichtigen und längere 
Zeit fortgesetzten Galvanisation der an der Versorgung des betroffenen Gelenkes 
beteiligten Nervenstämme. Auch dies sind gerade Fälle, die zu bedenken geben, 
daß dem elektrischen Strom doch noch andere Wirkungen als nur suggestive 
innewohnen. Autoreferat. 

Herr Deutschländer: Daß die Muskelatrophie kein ätiologisch einheitlicher 
Prozeß ist, darüber besteht wohl kein Zweifel und auch darüber nicht, daß die 
Muskelatrophie das Endstadium einer Reihe von Vorgängen darstellt, über deren 
Wesen wir vielfach im unklaren sind. Gut gekannt sind die Formen der Muskel- 
atrophie, die auf einer direkten Unterbrechung der Nervenleitung beruhen — die 
sogenannten Lähmungsatrophien — und ferner die ischämischen Muskelatrophien, 
deren Ursache die Aufhebung der Blutzufuhr ist. Diese beiden Formen haben 
auch noch das gemeinsam, daß sie irreparabel sind. Eine weitere Gruppe von 
Muskelatrophien stellen ferner die Inaktivitätsatrophien dar, die zwar Herr Sudeck 
in reiner Form nicht gelten lassen will, die aber immerhin klinisch so gut charakte¬ 
risiert sind, daß man diesen Begriff wohl nicht in Abrede stellen kann. Wesent¬ 
lich verschieden hiervon sind jedoch die Muskelatrophien, die im Anschluß an 
Traumen, akute und chronische bakterielle Entzündungen (Tuberkulose) und auch 
im Anschluß an chronische Entzündungen nicht bakterieller Natur (z. B. Arthritis 
deformans) oft überraschend schnell in wenigen Tagen auftreten, und die Herr 

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Sud eck in Beziehung zur Knochenatrophie gesetzt hat. Bezüglich dieser Formen 
stimme ich Herrn Sudeok vollkommen bei, daß sie nichts mit der Inaktivitäts¬ 
atrophie zu tun haben. Eis ist ganz auffallend, wie hierbei mit einer gewissen 
Gesetzmäßigkeit immer bestimmte Muskeln von der Atrophie gewissermaßen be¬ 
vorzugt werden, so am Knie der Quadriceps, an der Hüfte die Glutäen, an der 
Schulter der Deltoides, am Ellenbogen der Triceps usw., und bemerkenswert hier¬ 
bei ist, daß es durchweg Streckmuskeln sind, die einem raschen Schwunde anheim¬ 
fallen. Dazu kommt noch ein weiteres Moment, das m. E. ganz besonders hervor¬ 
gehoben zu werden verdient. Alle diese bevorzugten Muskeln stehen nämlich in 
einem weit engeren anatomischen Zusamenhang mit den Gelenken als die übrige 
Muskulatur des betreffenden Gelenkes; sie senden teils direkte Faserzüge zur Ge¬ 
lenkkapsel hin, teils sind sie mit ihren sehnigen Enden in breiter Ausdehnung 
mit der Kapsel verwachsen; ferner enthalten sie die Zu- und Abflußwege der 
Blut- und Lymphgefäße der Gelenke und spielen bei jeder Cirkulations- und 
Ernährungsstörung eine wichtige Rolle; ich weise hier nur kurz z. B. auf die Be¬ 
ziehungen der QuAdricepssehne zur Wand der vorderen Kniegelenkskapsel und zum 
oberen Recessus hin. Für das Zustandekommen dieser schon lange bekannten, 
akut ersetzenden Atrophien hat man die verschiedensten Erklärungen aufgestellt, 
so z. B. die Olliersche Theorie des gestörten Muskelantagonismus, die Theorie 
der ÜberdehnungBatrophie (Tilman), die Theorie der reflektorischen Atrophie, 
für die heute Herr Sudeck besonders eingetreten ist. Nach meiner Ansicht 
handelt es sich aber auch bei dieser Gruppe noch um ätiologisch recht ver¬ 
schiedene Formen, und ich glaube, daß wir nicht berechtigt sind, hierfür eine 
alleinige, allgemein gültige Erklärung aufzustellen Über bestimmte Formen, be¬ 
sonders über Atrophien bei akuten Entzündungen, habe ich mir im Laufe der Zeit 
eine besondere Anschauung gebildet, die sich an analoge pathologische Vorgänge 
anlehnt. Bekanntlich tritt bei akuten AUgemeinerkrankungen mit hohem Fieber 
(Pneumonie, Typhus, Sepsis usw.) regelmäßig eine hochgradige Abmagerung und 
eine schwere Atrophie der gesamten Körpermuskulatur in Erscheinung, die weder 
als Inaktivitäts- noch als reflektorische Atrophie zu erklären ist, sondern die 
offenbar darauf beruht, daß die gesamte Muskulatur alle ihre verfügbaren Energie¬ 
mengen zur Verfügung stellt, um den aufs höchste gesteigerten Stoffwechsel auf¬ 
recht zu erhalten. Während akute Allgemeinerkrankungen allgemeine Atrophien 
der gesamten Muskulatur nach sich ziehen, kommt es bei akuten Lokalerkrankungen 
zu lokalen Atrophien. Auch bei akuten Lokalerkrankungen vermag das befallene 
Gebiet für sich allein nicht den gesteigerten Stoffwechsel zu befriedigen, und es 
werden daher zur Aufrechterhaltung desselben weitere Organe und Gebiete beran- 
gezogen und vorzugsweise diejenigen, die am leichtesten zugänglich sind und die 
günstigsten anatomischen Verbindungen besitzen; das sind bei den Gelenken die 
genannten Muskelgruppen. Eine Bestätigung hat diese Auffassung durch die 
Erfahrungen gewonnen, die wir mit der Stauungshyperämie gemacht haben. Daß 
die Stauungshyperämie ganz allgemein einen günstigen Einfluß auf atrophische 
Zustände ausübt, ist bekannt und ist seinerzeit auch von Herrn Sudeck betont 
worden. Alle, die die Stauungshyperämie bei entzündlichen Affektionen mit Erfolg 
zur Anwendung gebracht haben haben übereinstimmend das Ausbleiben von schweren 
Atrophien hervorgehoben, und ich persönlich habe an dieser Stelle verschiedent¬ 
lich in einer Reihe von Demonstrationen gezeigt, daß, wenn man von vornherein 
die Stauungshyperämie zur Behandlung von Frakturen und Knochenopei ationen 
heranzieht, man mit einer gewissen Sicherheit Atrophien hintenanhalten kann, 
die man sonst immer hierbei zu beobachten pflegt. Ich glaube daher, daß man 
diesen Verhältnissen bei der Erklärung der akut einsetzenden Atrophie der 
Muskeln weit mehr Rechnung tragen muß. als es bisher geschehen ist. Kurz 
zusammeogefaßt, pflichte ich Herrn Sudeck darin vollständig bei, daß die akut 


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einsetzenden Muskelatrophien etwas besonderes sind und nichts mit der Inaktivitäts- 
alrophie zu tun haben; ich bin aber nicht der Ansicht, daß dieselben auschließ- 
durch die Annahme einer reflektorischen Atrophie zu erklären sind. Vielmehr 
glaube ich, daß hierbei eine große Reihe noch dunkler und wenig geklärter Vor¬ 
gänge mit im Spiele sind und daß speziell hierbei den Cirkulationsverhältnissen 
eine außerordentlich wichtige Rolle zukommt. Autoreferat. 

Herr Preiser wendet sich gegen die Auffassung Sudecks, daß die Muskel¬ 
kraft eines Menschen gewissermaßen etwas Angeborenes und später durch Übungen 
quantitativ nicht zu Beeinflussendes sei. Er habe häufig Gelegenheit gehabt, bei 
Leuten, welche anfingen, methodisch zu turnen, nach einiger Zeit direkte Volumens¬ 
zunahme, z. B. des Biceps brachii, durch Messung zu konstatieren. Auf demselben 
Grunde der Übung beruhe auch die quantitative Ausbildung bestimmter Muskel¬ 
gruppen bei verschiedenen Berufen, so des Deltoides bei Malern und bei Frauen, 
die ihre Kleider beim Ausgehen immer mit demselben Arm zu raffen und zu 
tragen pflegten oder der Unterarmmuskulatur bei Fechtern usw. Autoreferat. 

Herr Hasebrock hat auf Grund seiner heilgymnastischen Erfahrung den 
Eindruck bekommen, daß Muskelmasse keineswegs im bestimmten Verhältnis zur 
Aktivität steht. Man muß hinsichtlich der Beurteilung der Aktivität unterscheiden 
zwischen der Zahl der Wiederholungen einer relativ leichten Einzelarbeit und der 
Größe der Einzelarbeit selbst. Höchstens die Steigerung der letzteren steht nach H. 
in gewisser Beziehung zum Querschnitt, somit der Masse des Muskels. Atrophische 
Muskeln können unter Umständen normales leisten, bleiben andererseits trotz 
energischster Betätigung unverändert in ihrer Masse. Beispiel: 12jähriger ge¬ 
sunder Knabe mit einer hinsichtlich seiner Leistung symptomenlos rechtsseitigen Unter¬ 
schenkelatrophie von 2 cm Umfangsdifferenz wird */ 2 Jahr täglich in energischster 
Weise rechtsseitig gymnastisch vorgenommen, ohne daß eine Zunahme des 
Umfanges zu konstatieren war. Ferner kann sich Atrophie entwickeln trotz 
nachweisbar zunehmender Activitas. Beispiel: Pat mit Schulterkontusion 14./IV. 
1904; 19./XII. 1904 hebt den Arm um 80°. Umfange: Deltamuskel = 31: 32, 
Oberam = 29 :30 l / 2 , Unterarm = 26V 2 : 27 l / 2 cm - 2./1X. 1905 hebt den Arm 
um 70°. Umfange: resp.-resp. 31 1 / 2 :32, 30 1 / 3 :32, 27:28. 26./X. 1906 hebt 

den Arm normal, kaum mehr subjektive Beschwerden. Umfange: resp.-resp. 
32: 34, 30: 33, 26 l j 2 : 28. Woher trotz sonstiger Aufbesserung nun diese Atrophie? 
H. glaubt nicht recht an Inaktivitätsatrophie. Für die Atrophie nach ortho¬ 
pädischen Korsetts und Beinhülsen usw. nimmt H. viel eher Druckschwund an 
als Inaktivitätsatrophie. Autoreferat. 

Nonne (Hamburg). 

(Schluß folgt.) 


IV. Vermischtes. 

Vom 15.—18. April d. J. findet der 24. Kongreß für innere Medizin in Wies¬ 
baden statt. Am ersten Sitzungstage soll folgendes Referatthema zur Verhandlung kommen: 
Neuralgien und ihre Behandlung. Referent: Herr Schnitze (Bonn). — Den Neuro¬ 
logen interessiert ferner der Vortrag des Herrn Huismans (Köln): Ein Beitrag zur patho¬ 
logischen Anatomie der Tay-SachBschen familiären amaurotischen Idiotie. 


Um Einsendung von Separatabdiüeken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 


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Leipzig. — Druck von Mbtzgkb & VVittio in Leipzig. 

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Neurologisches Centralbutt. 

• • 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

Seehsandzwansiggter " B * rHn ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark« Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 16. Januar. Nr. 2. 


Inhalt I. Originalmittellungen. 1. Beitrüge zur Entwickelung des Süugergehirns. 
Lage und Ausdehnung des Bewegungscentrums der Maus, von Dr. DOIHtes. Hut Beihilfe 
Ton Frau Trude Döilken. 2. Neuntis, verursacht durch Creosotum phosphorioum, von Dr. 
W. 6. Huet in Haarlem. 

II. Referate. Anatomie. 1. La circonvolution godronnee et ses prolongemente aus* 
callenx, par Trolard. — Physiologie. 2. Sur la reproduction des cellules nerveoBes, par 
Ciscdo. 3. Über die psychomotorischen Centren im Großhirn des Schafes, von Nikitin. — 
Pathologische Anatomie. 4. Anleitung zur Gehirnpräparation, von Strasser. 5. Fülle 
von famihürer Mikrocephalie, von Vogt — Pathologie des Nervensystems. 6 . Etüde 
anatomo-clinique d’un cas de Syringomyelie spasmodique, par Alquier et Guillain. 7. Hämato- 
myelie and Syringomyelie. Ein Beitrag zur Pathogenese der Syringomyelie, von KHIpin. 
8. Un cas de syringobulbie. Syndröme d'Avellis au oours d’une syringomyälie spasmo* 
dique, par Raymond et Guillain. 9. Syringomyelie Bpasmodique avec attitude particuliire 
des membres superieurs, par Raymond et Franpais. 10. A case of syringomyelia with donble 
optic neuritis, by Weissenburg and Torrington. 11. Note snr an cas de syringomyälie aveo 
troubles sensitifs ä topographie radiculaire, par Raymond et Franpais. 12. Sechs Fälle von 
Syringomyelie, von Lüders. 18. A case of syringomyelia, by Bradshaw. 14. Zur Kasuistik 
der Spontanfrakturen, von Llbenskf. 15. Iieprosy simulating syringomyelia, by Moffitt. 
16. Ein Fall von geheilter Lepra maculo-tuberosa, von v. Neumann. 17. Über einen Fall 
von Lepra tnberoso * maculo-anaesthetica, von Bloch. 18. Die Kontrakturen bei den Er¬ 
krankungen der Pyramidenbahnen, von Förster. 19. A study of the oontractures in organic 
nervons diseases, and their treatment, by Weissenburg. 20. Eine seltene Erkrankung der 
Pyramidenbahn mit spastischer Spinalparalyse und Bulbarsymptomen, von Naka. 21. Hypo- 
trophie d’origine bacillaire. Troubles de la voie pyramidale, par Claude et Lüjonne. 
22. Über Stichverletzung des Rfickenmarkes, von Hilbert. 23. Meningomyelitis with intense 
swelling of the spinal cord and of the roots of the canda equina, by Splller and Rawllngs. 
24. Akute Myelitis nach Angina, von Forest. 25. Un cas de solürose laterale amyotrophiqne, 
par Puscarin et Lambrlor. 26. Über pathologisch-anatomische Befunde im Centralnerven* 
systcm in einem Fall von amyotrophischer Lateralsklerose, von Shukowski. — Psychiatrie. 
27. Der geistig Minderwertige in der Armee, von Drastich. 28. Ein Knabe als Prediger 
und Prophet, von Nicke. 29. Zwei Fülle von psychischer Erkrankung, entstanden im An- 
schluB an politische Ereignisse, von Pawlewskaja. — Therapie. 30. Über einige Fort¬ 
schritte in der Behandlung der Geisteskranken, nebst einem Rückblick anf die Entwicke¬ 
lung der Irrenbehandlung im neunzehnten Jahrhundert, von Hoppe. 

III. Bibliographie. Chirurgie des praktischen Arztes mit Einschluß der Augen-, Ohren* 
nnd Zahnkrankheiten (zugleich Ergänzungsband zum Handbuch der praktischen Medizin), 
von Ebstein und Schwalbe. 

IV. Aus den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein zu Berlin. — Ärztlicher Verein in 
Hamburg. — 78. Versammlung Deutscher Naturforscher nnd Ärzte in Stuttgart vom 16. 
bis 23. September 1906. Letzte Hauptversammlung. (Nachtrag.) 

V. Vermischtes. — VL Personalien. 


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I. Originalmitteilungen. 

1. Beiträge zur Entwickelung des Säugergehirns. 

Lage und Ausdehnung des Bewegungscentrums der Maus. 

Von Dr. Döllken, 

Privatdozenten an der Univereit&t Leipzig. 

Mit Beihilfe von Frau Trade Döllken. 

Bereits auf Grund seiner ersten Forschungen über die Markreifung des 
menschlichen Gehirns war Flechsig 1 zu dem Resultat gekommen, daß einheit¬ 
liche Bindenfelder annähernd gleichzeitig isoliert markhaltig werden und daß 
somit eine anatomische — auch wohl physiologische — Differenzierung der Ge¬ 
hirnrinde nach Sinnescentren und Assoziationscentren möglich ist 

Binzeinen Einwänden gegenüber, welche sich wider diese „Autoanatomie“ 
der Hirnentwickelung erhoben und die Markreifung an rein äußerliche Mecha¬ 
nismen knüpfen wollten, präzisierte Flechsig 9 nach Bearbeitung eines sehr 
großen Materiales seinen Standpunkt scharf duroh Aufstellung des myelo- 
genetischen Grundgesetzes: „Gliederung der centralen Fasermassen auf 
Grund der annähernd gleichzeitigen Ummarkung gleichwertiger Elemente, der 
sukzessiven Markumhüllung verschiedenwertiger Fasergruppen.“ 

Ich selbst konnte vor einer Beihe von Jahren an einem sehr reichhaltigen 
Material feststellen, daß die Myelinisation bei gyrenoephalen und lissencephalen 
Säugern (Hund, Katze, Kaninchen, Meerschweinchen, Ratte, Maus), wie gar 
nicht anders möglich, genau nach denselben Gesetzen wie beim Menschen ver¬ 
läuft Es ist auch bei ihnen mittels der Flechsig ’sohen Methode voll¬ 
ständiger reifungsgeschichtlicher Reihen gut möglich, bestimmte Sinnescentren 
auf der Oberfläche abzugrenzen, zwischen denen Felder anderer Wertigkeit liegen. 

Durch His ’ 3 Untersuchungen über die Entstehung der Fasersysteme haupt¬ 
sächlich im Hirnstamm des menschlichen Embryo wissen wir, daß auch die erste 

1 Flechsig, Gehirn und Seele. 1894. 2. Aufl. 1896. — Dere., Über ein nenee Ein¬ 
teilungsprinzip der Großhirnoberfläche. Nenr. Centr. 1894. — Den., Weitere Mitteilungen 
über die Sinnes- und Assoziationszentren. Ebenda. 1895. — Den., Weitere Mitteilungen aber 
den Stabkranz des menschlichen Großhirns. Ebenda. 1896. — Den., Notiz die Schleife 
betreffend. Ebenda. 1896. — Den., Lokalisation der geistigen Vorgänge. Vortrag auf der 
Naturforscherversammlung 1896. — Den., Demonstrationen. Neurolog. Centralbl. 1896. — 
Den., Über die Assoziationszentren des menschlichen Gehirns, Internation. Kongreß für 
Psychologie. 1896. — Den., Anatomie des vorderen Sehh&gelstieles. Neurolog. Centralbl. 
1897. — Den., Markbildung in den menschlichen Großhirnlappen. Ebenda. 1898. — 
Den., Projektions- und Assoziationscentren. Intern, med. Kongreß in Paris 1900. — Den., 
Myelogenetische Felder. Neurolog. Centralbl. 1903. — Den., Inoere Ausbildung des Ge¬ 
hirns. Vortrag 1908. 

3 Über die Untenuchungsmethoden der Großhirnrinde. Archiv f. Anat. u. Phys. 1905. 
Anat. Abteil. S. 387. 

3 His, Entwickelung des menschlichen Gehirns während der enten Monate. Leipzig 

1904. 

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51 


Anlage der Nervenfasern systemweise erfolgt Somit konnte man annehmen, 
daß anch im Großhirn eine isolierte Entwickelung der einzelnen Sinnesleitungen 
stattfindet, daß die erste Anlage der Centren felderweise vor sich geht Flechsig 
spricht sich daher 1904 auch dahin aus, daß der tiefere Grund für die Gesetze 
der Myelinisation „in der ersten Anlage der Fasern“ zu suchen ist Um eine 
einfache Kopie dieses frühen Vorganges jedoch handelt es sich nicht, da ja nicht 
alle Fasern des Großhirns später markhaltig werden und manche Systeme, 
Gommissura anterior, Fornix inferior, wie auch Flechsig hervorhebt, verspätete 
Markreifung aufweisen. 

Bamön y Cajal 1 , welcher die Entstehung von Zellen und Fasern des Gehirns 
wohl am größten Material studiert hat — allerdings von ganz anderen Gesichts¬ 
punkten aus und nicht an Entwickelungsreihen —, spricht sich im großen 
und ganzen für Flechsio’s Anschauungen aus, legt aber den Einwänden einiger 
Gegner allzu großes Gewicht bei. Übrigens kannte er 1. c. Flechsig’s Publi¬ 
kation von 1904 noch nicht. 

Ich habe mit Ramön’s Silberreduktionsmethoden etwa 250 embryonale und 
junge Mäusegehirne behandelt und gesehen, daß das myelogenetische Grund¬ 
gesetz sich zum allgemeinen himentwickelungs-geschiohtlichen Grundgesetz er¬ 
weitert Auf keiner Entwickelungsstnfe habe ich im Bückenmark, Hirnstamm 
oder Großhirn Befunde erhoben, die dem FLEOHSiG’schen Gesetz widersprechen. 
Im Rückenmark, wo die Untersuchungen leichter sein sollen als im Gehirn, 
sehe ich, daß die Assoziationsfasern sich stets nach den Projektionsfasem ent¬ 
wickeln. Das gilt für die homolaterale Assoziationsfaserung der vorderen 
Wurzeln, die in den Vorderstranggrundbündeln läuft, das gilt noch mehr für 
die Verbindung von Rückenmarksystemen durch die vordere Kommissur. Auf 
einigermaßen günstigen Entwickelungsstufen lassen sich diese Prozesse an einem 
Embryo in der verschiedensten Ausbildung vom Lendenmark bis zum vorderen 
Vierhügel recht sinnfällig demonstrieren. Unbedingt notwendig erscheint es 
mir, daß viel mehr, als es bis jetzt geschehen ist, die verschiedenen Arten der 
Assoziationsfasern auseinander gehalten werden. Diese entwickelungsgeschichtlich 
begründete Forderung habe ich schon in meinem Vortrag auf dem Naturforscher¬ 
tag 1906 gestellt. Eine eingehende Darstellung und Belege für die vorstehenden 
Behauptungen werde ich demnächst an anderer Stelle veröffentlichen. 

Einer der Beweise ist aber auch in der Entstehung und Ausbildung des 
Bewegungscentrums im Großhirn gegeben. Ich habe meine Untersuchungen 
über diesen Gegenstand an einer recht vollständigen Reihe geborener Mäuse vom 
1.—80. Tag und einer ziemlich vollständigen aus der zweiten Hälfte der Em¬ 
bryonalzeit (die Maus trägt 18 Tage) angestellt. Aus dieser besitze ich fünf 
Stadien, aus den ersten 10 Lebenstagen mindestens zwei verschiedene von 
jedem Tag, bis zum 20. Tage eins von jedem Tag, bis zum 30. Tage eins alle 
3 Tage. Jede Entwickelungsstufe ist 3—12mal vertreten. 


1 Ramön t Cajal, Stadien über die Hirnrinde des Menschen, 
setzung 1906. Dasselbe Werk. Heft 1—4. Deutsch 1899—1904. 

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Heft 5. Deutsche Über- 


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52 


Die einzelnen Gehirne wurden je nach Größe eine Reihe von Stunden in 
96°/ 0 igen Alkohol gelegt, dann in der Mittellinie halbiert und in einer 8 °/ 0 igen 
Lösung von Argentum nitricum bei 37 °C. 6 Tage lang gehalten. Die Reduktion 
erfolgte in einer Lösung von Hydrochinon 2, Formaldehyd 2, Natriumsulfit 1, 
Wasser 100 in 24—36 Stunden. Darauf Alkohol, Chloroform, Paraffin von 
40—52 0 C. Schmelzpunkt je nach Außentemperatur. Die Dicke der einzelnen 
Schnitte betrug 5 bis 10 p. Diese Methode ergab mir sehr konstante Werte. 
Für alle Stufen habe ich zum Vergleich auch 3tägige Alkoholfixation, Vor¬ 
behandlung mit Ammoniakalkohol, mit Formaldehyd und die direkte Silber¬ 
methode angewandt — Die jüngeren Embryonen wurden ganz eingelegt und 
geschnitten. 

Ramön gibt an, daß nach 24ständiger Vorbehandlung mit 96°/ 0 Alkohol 
das Silber die markhaltigen Fasern färbt bzw. imprägniert Das gilt für die 
erwachsene Maus mit der Erweiterung, daß auch die marklosen Anteile dieser 
Fasern bis dicht an die Zellen der grauen Substanz heran gefärbt werden. Im 
embryonalen und jungen Gehirn werden die Fasern gleioh nach ihrer Entstehung 
imprägniert, sehr lauge Zeit vor ihrer Ummarkung. Welcher Bestandteil der 
Nervenfaser die Silberreaktion gibt, weiß ich vorläufig nicht Sicher ist es kein 
Bestandteil, der sich in Äther, Aldehyd oder Alkohol löst Eiweiß, wie es in 
den Zellen enthalten ist, kann es auch nioht sein. Eine ähnliche Reaktion geben 
gewisse Bindegewebsfasern in der Haut und in den Gefäßen, ebenso Bestand¬ 
teile der Knochen von einem gewissen Alter ab. Ein Unterschied zwischen 
Bindegewebsfasern und Nervenfasern ist in den allerbesten Präparaten bei Anwen¬ 
dung stärkster Immersionssysteme (Zeiss Apochromat 1,3 mm, Komp. Ok.18) darin 
zu sehen, daß die Nervenfaser homogen, die anderen Fasern, auch Gliafasern, 
gekörnt erscheinen. Die groben Fibrillen der größten Zellen in der Formatio 
reticularis und im Trigeminuskern sind bei kurz dauernder Alkoholvorbehandlung 
ebenfalls sichtbar, nicht minder die sympathischen Fasern des Grenzstrangs beim 
Embryo. Jedenfalls differenziert die Methode weder bei minutiösester Anwen¬ 
dung des Rahön sehen Rezeptes noch in irgend einer Modifikation genau die¬ 
selben Fasern wie die Markscheidenfärbung Weigbbts und ist wie gesagt vom 
Vorhandensein einer Markscheide nicht abhängig. Aber sie differenziert bestimmte 
Gebilde und zwar ganz ausgezeichnet und vor allen Dingen konstant Daß es 
sich um eine Neurokeratinhülle handelt, ist mir nicht wahrscheinlich. Ich habe die 
Methode gewählt, weil ich so die Mäusehemisphäre bis zum 30. Tag unzerschnitten 
in Silber bringen konnte. Meine Kontrolpräparate nach den anderen Ramön sehen 
Methoden ergaben alle, mögen sie Fibrillen, Achsencylinder oder Nerven¬ 
endigungen demonstrieren, ebenso wie die Faserpräparate eine Entwickelung nach 
Systemen. 

Vor der Markscheidenfärbung hat die Versilberung der Rinde voraus, daß 
sie successive viel eingehendere Differenzierungen der Faseranordnungen bringt 

Am 12.—13. Embryonaltag der Maus sehe ich die ersten Leitungen zu 
den Rindenfeldern entwickelt Bewegungs-, Geschmacks- und Riechzentrum 
zeigen annähernd dieselbe Entwicklungshöhe. Um diese Zeit sind die Hirnwände 

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noch verhältnismäßig dünn, die Ventrikel sehr weit, das Kleinhirn noch nicht 
angelegt. Von den Zellschichten der Bewegnngsrinde ist nur die sechste (innerste) 
entwickelt, die fünfte noch wenig, während die übrigen vier nur Neuroblasten 
enthalten und schmal sind. Daher liegt das subkortikale Marklager sehr nahe 
an der Oberfläche. Bbodmann 1 weist auf Grund von Zellfärbungen mittels 
Anilinfarben darauf hin, daß bei Nagern die sechste und fünfte Schicht dauernd 
an Breite überwiegen. Denselben Befund ergeben Versilberungen. 



Fig. 1. Maas, 12.—13. Embryonaltag. Silberredaktionsmethode. B vorderes Bogenbündel, 
b basales Längsbändel Gansers, o Traotns opticus, ol äußere Riechwurzel, p Faserung des 
Lohns -pyriformis, ge snbkortikales Marklager, St Streifenhfigel. 
ln allen Präparatenzeichnnngen [sind die ungemein dünnen nnd zarten Fasern durch das 
Reproduktionsverfahren viel zu stark wiedergegeben. 

Die Faserstrahlung im Streifenhügel zeigt das bekannte Bild, wie es sich 
auch in Fig. 1 darstellt. Ein Einstrahlungsgebiet dieses Stabkranzes liegt als 
scharf umgrenztes Feld in der Konvexität. Die Art und Form der Einstrahlung 
will ich in dieser Arbeit nicht besonders behandeln. Als wichtiges Kriterium 



Fig. 2. Maus, 12.—18. Embryonaltag. B vorderes Bogenbändel, kB hinteres 
Bogenbändel, cq vordere Vierhägel, se snbkortikales Marklager, F Ventrikel. 

für die Ausdehnung des Sinnesfeldes habe ich neben der Ausbildung der 
6. Zellschioht das Vorhandensein von Ramön sehen Assoziationsfasern in der¬ 
selben betrachtet. Diese kurzen inneren Assoziationsfasem finde ich um die 

1 Bbodmahv, Histologische Lokalisation der Großhirnrinde. Über den allgemeinen Ban¬ 
plan des Cortex pallii bei den Mammaliern. Journ. f. Neurolog. u. Psychiatrie. 1906. 

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54 


Zeit in den ersten Anfängen ihrer Entwicklung in dem ganzen Felde und 
nur in diesem. Ans ihrer Zahl und Anordnung ist zu entnehmen, daß sie erst 
entstanden sein können, unmittelbar nachdem die Projektionsfasern in der Rinde 
angekommen sind (Fig. 2). 

Daß es sich hier um die Taststrahlung handelt, ist wohl nicht zu be¬ 
zweifeln. Sie ist gut in den Thalamus und in die Hauptschleife Flechsig s 
zu verfolgen. Ihr Rindenfeld hat die Lage, welche das Bewegungscentrum in 
der ganzen Saugerreihe hat 



3 4 5 6 7 8 9 


Figg. 3—9. Maas, 12.—13. Embryonaltag. Horizontalserie. O Bewegangscentrom 1. Feld. 

Die Grenzen des Centrums sind in den Horizontalschnitten Figg. 3—9 
durch Kreise angegeben und in Fig. 10 auf die Oberfläche projiziert Die 



10 11 

Figg. 10 a. 11. Maas, 12.—18. Embryonaltag. Bewegungen nde 1. Feld. 

Oberflächenprojektion. 

Umrisse der Sohnittschemata (wie aller folgenden) sind am mikrophotographischen 
Apparat gezeichnet, die Grenzen des Feldes mit dem Okularmikrometer noch 
einmal genau gemessen und bestimmt worden. 

Dieses erste Centrum umfaßt nun nicht die ganze Bewegungsrinde, sondern 
entspricht etwa der hinteren Centralwindung des Menschen. Es ist auch auf 
höheren Entwickelungsstufen noch besonders differenziert und ebenfalls myelo- 
genetisch abzugrenzen. Auch Beodmanns Körnerrinde der Area gigantopyrar 
midalis beim Ziesel hat dieselbe Lage. Allerdings erklärt dieser Autor, daß er 
nach hinten oben die Grenze nicht mit der wünschenswerten Schärfe fest¬ 
stellen kann. 

Erst unmittelbar vor der Geburt entwickelt sich auch der vordere Teil des 
Bewegungscentrums, welcher wohl der vorderen Central Windung des Menschen 
entspricht. Die Anordnung der Fasern in der Rinde ist eine etwas andere als 
im ersten Felde. Bei einer sofort nach der Geburt getöteten Maus hat das 
Feld die in Figg. 12—17 durch Punkte angegebene Ausdehnung und zeigt auf 



12 13 14 15 16 17 

Figg. 12—17. Maas, neugeboren. Horizoatalserie. O 1- Feld, • 2. Feld des Bewegangs- 

centnuDs. 


der Oberfläche die in Figg. 18, 19 angegebene Gestalt. Auf der medialen Seite 
gibt ein schmaler Streifen an der Mantelkante die Oberflächenprojektion an. 

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55 


Ein Frontalschnitt von einer 12 ständigen Maus (Fig.20) in der^Höhe der vorderen 
Kommissar charakterisiert die Lage des Systems auf diesem. 




18 


19 


Figg. 18 a. 19. Maug, neugeboren. Oberflächenprojektion der Bewegungsrinde. 

O 1. Feld. • 2. Feld. 


Eine weitergehende Differenzierung in der Entstehung des Feldes wie beim 
Menschen (Flechsig) weisen die Silberbilder bei der Maus nicht auf. 



Fig. 20. Haus, '/»Tag alt. Frontalschnitt. Gegend der Comm. ant. 
O Faserung der Bewegungsrinde. 


Beinahe selbstverständlich erscheint es, daß die inneren Bündel, welche den 
kürzesten, direkten Weg zum Centrum haben, in gewissen frühen Zeiten 
etwas dichter stehen als die äußeren. Eine besonders hohe Bedeutung kann ich 
diesem Umstand nicht beilegen. Jedenfalls habe ich bei keinem System im 
Rückenmark oder Qehira gesehen, daß sich die Fasern eines solchen sukzessive 
wie Zwiebelschalen übereinander legen. 

Einige Tage nach der Geburt beginnen aus der hinteren Abteilung der 
5. und t5. Schicht des Bewegungscentrums Längsfasern in dieselben Schichten 
der vorderen Abteilung zu gehen. Es handelt sich um ein neues Projektionssystem, 
welches beiden Feldern angehört (Fig. 21.) Dieses System gibt vielleicht den 



Fig. 21. Maua, l 1 /* Tag alt Silberreduktionsmethode. 2 vorderer, l hinterer Teil des 
Bcwegungscentruma. ce Balken. Das gemeinschaftliche Projektionaayatem markiert sich 
durch aeine längalaufenden Faaern über dem anbkortikalen Marklager. 

Schlüssel für die von den meisten Autoren gefundene Erscheinung, daß die 
Faserung der vorderen und hinteren Centralwindung sich zum Teil deckt, 
daß demnach beide nicht völlig selbständige Centren, das eine motorisch, das 
andere sensibel sind. 


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4 1 /* Tag nach der Gebart hat die Faserang des Bewegungsfeldes die Aus¬ 
dehnung wie auf Figg. 22—27. Der Anteil des vorderen Feldes am gemein¬ 
schaftlichen Projektionssystem ist durch die übergezeichneten Kreise angedeutet. 



22 23 24 25 26 27 


Figg. 22—27. Maas, 4'/, Tag alt. Horizontalserie. 

8 Tage nach der Geburt hat die Zone noch keine andere Ausdehnung als 
vorher. Die Spitze des Stirnhirns bleibt frei, nach hinten geht die Taststrahlung 
nirgends über die Grenze des Streifenhügels hinaus; das ganze Feld verjüngt 
sich stark naoh unten und hat eine schmale Basis oberhalb des Riechhirns. 
Mit einem schmalen Streifen greift die Strahlung des vorderen Feldes auf die 
mediale Oberfläche über. Das gemeinschaftliche Projektionssystem läßt den 
vordersten Teil des zweiten Feldes frei (Figg. 28—34). Um diese Zeit sind Radiär- 



28 29 30 31 32 33 34 

Figg. 28—34. Maas, 8 Tage alt. Horizontalserie, nach hinten etwas schräg abfallend. 

Die weiten Ventrikel sind Artefakt. 


fasern in die 2. Zellschicht der Rinde eingestrahlt, welche dann sofort eine innere 
Assoziationsfaserung erhält. Völlig ausgebildet ist sie am 12.—13. Tage nach 
der Geburt und hat dieselben Grenzen wie das erste Sinnesfeld beim Embryo 
(Fig. 10). Die Schemata Figg. 35 — 43 zeigen die ganze Bewegungsrinde und 



35 36 37 38 



39 40 41 



42 43 

Figg. 35—43. Maus, 13 Tage alt Horizontalserie. Q Faserung der Bewegungs¬ 
rinde 1. Feld, • 2. Feld, (_ Raodzone(?), — Assoziationsfaserung in der zweiten 

Zellschicht der Rinde. 

in der gestrichelten Linie die erwähnte Assoziationsfaserung. Die Halbkreise 
kaudal vom Bewegungscentrum zeigen eine Faserung an, die anders angeordnet 
ist als die der Bewegungsrinde und möglicherweise eine Randzone derselben 
bedeuten. Es ist aber ebensogut möglich, daß es sich um ein neues Pro¬ 
jektionssystem handelt, dessen Verbindung nach unten mit der 8Ubermethode 
nicht nachweisbar ist. Die partielle Überlagerung beider Teile des Bewegungs- 

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feldes durch das gemeinsame System zeigt sich hier so, daß die Spitze des 
vorderen Teils nicht erreicht wird (Figg. 44, 45). Das System ist vom darch 



44 46 

Figg. 44 q. 46. Maas, 18 Tage alt Oberfl&ohenprojektion des Bewegongscentrams. 

Die Einseichnong der Kreise in das vordere Feld beseichnet seinen Anteil am ge¬ 
meinschaftlichen Projektionssystem. 

Kreise zwischen den Punkten angedeutet. Im kaudalen Teil ist es nicht abzu¬ 
grenzen. 

Auch eine Maus von 20 Tagen Jäßt noch gut die Abgrenzung des Be¬ 
wegungscentrums zu (Figg. 46—53). Hier gibt die Anordnung der Radiär- 



62 68 
JFigg.48 —68. Maus, 20 Tage alt Horizontalserie. 


fasern zwischen J6. und 2. Schiebt das Charakteristikum ab, da um diese Zeit 
alle anderen Centren entwickelt sind. Die genannten Fasern sind bündelweise 



Fig. 64. Hans, 20 Tage alt. Silberredaktionsmetbode. a Randzone (?) des 
Bewegongscentrams, 3 Assoziationsfasernng der zweiten Zellschicht des 
Bcwegangaoentrams, 6 gemeinschaftl. Projektionssystem, CA Ammons- 
, born, F Fimbria, S Stirnpol, St Streifenhügel. 

• 

mit Zwischenräumen angeordnet, während sie in den angrenzenden Centren 
einzeln ziemlich dicht stehen (Fig. 54). 

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58 


Ungemein interessant war es mir, diesen Silberbildern die Besultate der 
Myelogenese gegenüber za stellen. Daß die Ummarkung, der letzte Akt, der 
Abschluß des Hirnbaues, nicht anderen Gesetzen folgen kann, als sie ihm durch 
den allgemeinen Bauplan vorgezeichnet sind, leuchtet ohne weiteres ein. Einen 
Zusammenhang mit der Funktion muß die Markscheidenentwickelung haben. 
Die sehr unreif geborene Maus erhält erst zur Zeit der Geburt Markscheiden 
in den vorderen Wurzeln des Bückenmarks und der Medulla und gleich darauf 
in deren langem homolateralen Assoziationssystem in den Vorderstranggrund¬ 
bündeln, während sonst an keiner Stelle des Centralnervensystems Mark vor¬ 
handen ist 

Erst 14—17 Tage nach der Entstehung der Taststrahlung erhalten ihre 
Fasern Markscheiden. Wenigstens sehe jch die allerersten noch sehr spärlichen 
drei- bis vierfaserigen Bündelchen nicht vor dem 9. Tage nach der Geburt in 
die Binde ziehen. Sofort aber nehmen sie den ganzen Baum ein, welcher der 



55 56 57 58 


Figg. 55—58. Maus, 9 Tage alt. Horizontalserie nach vorn Bchräg abfallend. 
Weigert'f'ärbong. + vorderes, O hinteres Feld des Bewegangscentrams. 

gesamten Bewegungszone Figg. 55—58 entspricht, die ich mit Silberbildern 
erhielt, doch bleibt die mediale Hirnoberfläche noch frei (Fig. 59). 



Fig. 59. Maos, 9 Tage alt. Markhaltige Fasern im vorderen 
and hinteren Teil des Bewegangsoentnuns. 

Erst 3 Tage später ist die Myelinisation so weit vorgeschritten, daß das 
subkortikale Marklager des Centrums markreif und die Anordnung der Binden¬ 
faserung deutlich ist (Fig. 60). Es markieren sich zwei aneinander stoßende 



Fig/60. Maos, 12 Tage alt. Weigert*Färbung. 2 vorderer, l hinterer Teil des 
Bewegangscentrams, ec Balken, F Fimbria, St Streifenhügel. 

Bindenfelder (Figg. 61—66). In die vordere Zone kommen aus dem Marklager 
nur radiäre Einzelfasern, während in der hintern die Längsfaserung in der 

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6. Schicht das auffallendste Charakteristikum ist. Die Grenzen der beiden Zoueu 
stimmen genau mit den früher an Silberbildern gefundenen überein. Eigen¬ 
tümlich muß es erscheinen, daß bei der Entstehung der vorderen Zone sich 
nicht die Radiärfasern zuerst entwickeln, im Gegensatz zu ihrer Ummarkung. 



61 62 63 64 65 66 

Figg. 61—66. Maas, 12 Tage alt. Horizontalserie. Weigert -Färbung. 


Auch am 15. Tage ist die Bestimmung der Grenzen beider Teile des 
Centrums noch ohne weiteres möglich (Figg. 67—72). Nunmehr hat auch das 



67 68 69 



Figg. 67—72. Maas, 15 Tage alt. Horizootalserie. Weigert-Färbung. 


früher erwähnte gemeinsame Projektionssystem Mark erhalten. Sein Anteil an 
der vorderen Zone ist in Figg. 78 u. 74 durch Kreise angedeutet In der 
kaudalen Zone ist es auch nach Wkigbbt nicht abzugrenzen. 



Figg. 73 u. 74. Maus, 15 Tage alt. Oberflächenprojektion des Bewegnngscentrums. 
Die Kreise im vorderen Teil bedeuten das gemeinschaftliche Projektionssystem, welches 

den oralen Rand nicht erreicht. 


Meine Untersuchungen haben ergeben, daß Markscheidenmethode und 
Silbermethoden ganz analoge Resultate geben und daß eine Bestimmung von 
umschriebenen Centren im Großhirn mit beiden wohl noch schärfer möglich ist 
als mit dem Studium der Rindenzellen. Die Befunde decken sich mit denen 
der Physiologie. 

Herrn Professor Dr. Kockel, Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin 
der Universität, bin ich zu großem Dank dafür verpflichtet, daß er mir ein 
Laboratorium und Mittel seines Instituts znr Verfügung stellte. 


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2. Neuritis, verursacht durch Creosotum phosphoricum. 

Vod Dr. W. Q. Huet in Haarlem. 

Im Herbst 1905 wurde in Haarlem eiue kleine Neuritisepidemie beobachtet. 
Ein in Holland nicht approbierter Arzt hat mehreren Patienten Greosotnm phos¬ 
phoricum verschrieben, von denen einzelne an Lahmungserscheinungen erkrankt 
sind. Ich habe diese Patienten fast alle gesehen und untersucht, einen Fall 
aber nicht. 1 Das Symptomenbild ist bei diesen Patienten dasselbe, nur in Einzel¬ 
heiten abweichend. Ich gebe die Krankengeschichten, der Kürze wegen das 
nicht auf die Vergiftung bezügliche, fortlassend. Zur bequemeren Übersichtlich¬ 
keit habe ich dieselben in einer Tabelle zusammengestellt. 

Fall I. Fräulein B., 23 Jahre alt. Aue tuberkulöser Familie, ist seit Jahren 
an Tuberculosis pulmonum erkrankt, hat die letzten Monate zu Bett gelegen. 
Während 10 Tage im Oktober hat Bie Creosotum phosphoricum genommen, im 
ganzen ± 25 g. Wegen Magenbeschwerden damit aufgehört; weiter keine anderen 
Medikamente als Emsersalz genommen. Ungefähr eine Woche nach dem Aufhören 
hat sie Parästhesien in den Füßen und etwas Schmerzen in den Waden bekommen, 
am folgenden Tage waren die Unterschenkel und Fuße gelähmt, 2 Tage später 
schon die Hände; Bewegung der Füße und Zehen unmöglich. Flexion und 
Extension im Kniegelenk etwas schwach, konnte nicht stehen und gehen, konnte 
die Kleider nicht zumachen. Keine objektiven Sensibilitätsstörungen. Patellar*- 
und Achillesreflex verschwunden. Plantarreflex ebenso. Gefühl der passiven 
Bewegungen vielleicht etwas herabgesetzt. Entartungsreaktion. AnS > KS. 
Träge Zuckungen. Ende November Status quo ante, nur die Funktion der 
Hände gebessert, aber deutliche Atrophie der Interossei und des Thenars. Kann 
mit Unterstützung gehen. 

Fall II. M., 31 Jahre alt, Bote. Wegen Magenbesohwerden hat er Creosotum 
phoshoricum bekommen, im ganzen ± 120 g in 4 Wochen, zu gleicher Zeit hat 
er Argontabletten 2 genommen. Während dieser Zeit Paralyse der Beine. 3. Nov. 
kam er zu mir. Steppage, konnte nicht stehen ohne Stütze, wohl aber gehen. 
Mm. peronei paralytisch. M. tibialiB ant., Extensor digit., Extens. halluc., Fu߬ 
muskeln paralytisch, Wadenmuskeln stark paretisch, Patellarreflexe lebhaft. Achilles-, 
Plantarreflexe verschwunden, keine Sensibilitätsstörungen. 10 Tage später (nach 
den Fußbeschwerden) soll er Schwäche der Hände bekommen haben. Schmerzen 
oder Parästhesien hat er nie verspürt. Ich sah Patient noch einmal einen Monat 
später, und fand aufgezeichnet: Paralyse idem, Gang idem, partielle Entartungs¬ 
reaktion, träge Zuckungen, AnS > KS, Muskeln oberhalb des Kniegelenks frei, 
Hände partielle Entartungsreaktion, Atrophien, keine Sensibilitätsstörungen. Nachher 
nicht wieder gesehen. 

Fall III. Fräulein M. K., 24. Jahre alt, Lehrerin. 2 Wochen lang Creos. 
phosph. genommen, aus Widerwillen aufgehört, nahm auch. Argontabletten. 14 Tage 
später Schmerzen in den Waden und Lähmung der Beine (den Tag vorher hat 
sie auf dem Tramwayperron gestanden in Feuchtigkeit und Kälte) den nächsten 

1 Er ist in der Klinik von Herrn Prof. Pex verpflegt worden, doch war dieser so 
freundlich, den unter Nr. VII mitgeteilten zu meiner Verfügung zu stellen, wofür ich an 
dieser Stelle meiuen Dank ausspreche. 

* Eine Spezialität des Arztes: Form: Hypophosphat, ferri, Sulf. chinini ää 200mg. 
Sulf. strychn. 2 rag 

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Tag fremdes Gefühl und Schwäche in den Händen, kann nicht stille stehen ohne 
Stütze, muß beim Gehen unterstützt werden, kein Homberg. Alle Muskeln der 
Unterschenkel gelähmt, Patellarreflexe erhalten, Achilles-, Plantarreflexe ver¬ 
schwunden, kalte Beine und Füße. Hechtes Bein subjektiv am meisten getroffen, 
Überreizbarkeit für galvanischen Strom stärker rechts als links, Entartungsreaktion, 
Heizformel umgekehrt, exquisit träge Zuckungen, Point d’election sehr tief, nahe 
den Sehnen, Muskeln oberhalb des Kniegelenks frei, Sensibilität in allen Qualitäten 
normal. Hände paretisch, kann Kleider nicht zuknöpfen, partielle Entartungsreaktion. 
5 Monate später: kann jetzt stehen und gehen ohne Unterstützung, Steppage nicht 
so stark als früher, äußerst geringe spontane Bewegung des Extens. halluc. longus, 
etwas ausgiebigere Flexion des Fußes, komplette Entartungsreaktion, Reizbarkeit 
für galvanischen Strom um vieles herabgesetzt, KS = AnS, träge Zuckungen, Hände: 
deutliche Atrophie des Thenars, des Hypothenars und der M. interossei, Opposition 
der Daumen und der kleinen Finger kaum möglich, ohne jegliche Kraft, kann 
sich selbst ankleiden. Nähen, feine Arbeit unmöglich. 

Fall IV. P. K., 50 Jahre alt, Zimmermann. 10 Tage lang Creosot. phos- 
phoricum genommen, im ganzen ± 30 g, außerdem Phosphorsäure. Erkältete sich 
am 5. Tage, nachdem er mit dem Einnehmen aufgehört hatte, blieb 4 Tage im Bett, 
konnte dann nicht mehr gehen und stehen, kam 3 Wochen später zu mir. Er 
konnte nur mit einem Stock gehen, aber nicht stille stehen, dabei mußte er die 
Füße immer wieder versetzen, um nicht zu fallen. Steppage. Paralyse der Unter¬ 
schenkelmuskulatur, keine Sensibilitätsstörungen, kein RouBXBG’sches Phänomen, 
Patellarreflexe erhalten, Achilles* und Plantarreflexe verschwunden, Hände frei, 
komplette Entartungsreaktion in den gelähmten Muskeln, an den Handmuskeln 
keine Abweichungen der elektrischen Reaktion. 6 Monate später: kann gehen und 
Stillstehen ohne Stock. Einige spontane Bewegungen der Füße und Zehen mög¬ 
lich, partielle Entartungsreaktion, Zuckungen nicht mehr so träge, AnS = KS, 
die Waden haben ihre Form und Resistenz behalten, Atrophie nicht sichtbar. 

Fall V. Frau M., 31 Jahre alt. 13. Oktober angefangen mit Creos. phosph. 
einzunehmen, 10 Tage lang, bekam Durchfall, zweimal Ohnmacht, blieb zu Bett, 
hörte mit dem Einnehmen auf (sie hat auoh Argontabletten genommen). Als sie 
4 Tage später das Bett verließ, konnte sie gut gehen, bekam aber den folgenden 
Tag Schmerzen in Waden und Hüften und konnte bald nur mit Mühe gehen. 
30. November Steppage, Paralyse der Unterschenkelmuskulatur, Patellarreflexe 
erhalten, Achilles- und Plantarreflexe verschwunden, partielle Entartungsieaktion, 
träge Zuckung, AnS > EIS, am linken Bein im M. vastus int. AnS > KS (nicht 
träge Zuckung), Hände ganz frei. 2. Mai, Gang fast normal, wenn sie ruhig geht, 
spontane Bewegung der Unterschenkelmuskeln zurückgekehrt, etwas Parese, Atrophie 
absolut nicht anwesend, partielle Entartungsreaktion, AnS — KS, Zuckungen nur 
etwas träge. 

Fall VI. V., 31. Jahre alt, Metallarbeiter. Wegen Hustens hat er Creos. 
phosph. ± eine Flasche genommen, 14 Tage später Sohwäche in den Beinen, 
einige Tage darnach Beschwerden in den Händen, keine Schmerzen. Januar 1906. 
Steppage, Paralyse der Unterschenkelmuskulatur, Patellarreflexe lebhaft, Achilles- 
und Plantarreflexe verschwunden, starke Abmagerung der Unterschenkel, Ent¬ 
artungsreaktion, Atrophie der Handmuskeln deutlich, speziell des M. interosseus I. 
Später nicht wieder gesehen. 

Fall VII. J. F., 27. Jahre alt (aus der Klinik von Prof. P. K. Pel in 
Amsterdam). Von 1. bis 16. August bekam er acht subkutane Injektionen mit 
Cacodyl. natric., zu gleicher Zeit bekam er Creosot. phosphor. 3 mal täglich 
10 Tropfen, steigend bis 3mal täglich 17 Tropfen. 14 Tage später Erbrechen, 
stellte ein paar Tage ein, und nahm dann wieder 3 mal täglich 5 Tropfen. 
8. Oktober: Durchfall ohne Erbrechen, fühlte sich matt in den Beinen, und 

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konnte im Lanfe der Woche nicht mehr gut gehen, konnte die Zehen nicht 
bewegen, die Hände nicht gut gebrauchen. 3. November in der Klinik auf¬ 
genommen, Ernährungszustand gut, keine Abweichungen der Organe. Parese und 
Atrophie der Muskeln beider Hände, die Muskeln zum Gebiete des N. medianu6 
und N. ulnaris gehörig (M. flexor. digit. profund., sublimis, flexor. pollic. longus 
et brevis, Mm. lumbricales, Mm. interossei, adductor et opponens pollicis, M. oppo- 
nens digiti quinti) atrophisch. Füße Equinovarusstellung, klassische Steppage, 
partielle Entartungsreaktion. 20. März 1906 sehr gebessert entlassen, wenig 
Atrophie der Handmuskulatur, Parese des M. adduot pollic. et digit. quinti, Parese 
des Flexor, digit. communis, Extension des FußeB möglich; beim Geben die Füße 
in leichter Flexionsstellung (b. Tabelle). 

So leicht die Diagnose war in den meisten Fällen — konnte ich doch beim 
ins Zimmertreten des dritten Falles gleich sagen, „sie haben Creosotnm ge¬ 
nommen“ — so schwierig war dieselbe, als ich die erste Kranke zur Beobachtung 
bekam. Um so mehr war dies der Fall, als ich in einem benachbarten Dorfe 
vom Arzt gerufen eine, ans Krankenlager gebundene, tuberkulöse Frau antraf 
(Fall I). 

Sie hatte vor drei Tagen Schmerzen in den Waden gefühlt, dann waren 
auf einmal die Füße gelähmt gewesen, einen Tag später hat sie Parästhesien 
in den Händen bekommen und bemerkt, daß sie sich derselben nur unter großer 
Anstrengung und ungeschickt bedienen könne. 

Wir konnten keine Ursache für diese Neuritis finden, sie hatte seit einem 
Monat das Bett gehütet und vom Arzt war Kreosot (übliche Dosierung) ver¬ 
schrieben worden. Eine tuberkulöse Neuritis annehmen, weil die Frau eine 
Phthisica war, das hieße eine Zwangsdiagnose stellen. Aus Furcht, die Polyneuritis 
möchte progressiv sein, wurde sie in ein Krankenhaus gebracht. 

Der zweite Fall wurde mir vom Urheber der Epidemie selbst zugesohickt, mit 
der Frage, welches Leiden hier vorliege. Er trat bei mir, mit klassischem Gang, 
ins Sprechzimmer hinein. Der Kranke teilte mir auf Befragen mit, daß er 
Kreosot 8mal täglich 25 Tropfen genommen (er sagte nicht Creosotum phos- 
phoricum). Bei dieser Duplizität der Fälle dachte ich, da auch die erste Kranke 
Kreosot genommen hatte, an die Möglichkeit einer Verunreinigung des Kreosots, 
und habe dem Kranken den weiteren Gebrauch desselben untersagt. Ich schrieb 
dem Arzt mein Vermuten, habe den Patienten noch einmal wieder gesehen, 
hörte später, daß er von einem homöopathischen Arzt mit Creosot phosph. 
weiter behandelt ist. Einige Tage später zeigte sioh ein Mädchen, gestützt 
durch ihre Mutter, wieder mit dem eigentümlichen Gang. Als ich gleich fragte, 
haben Sie auch Kreosot genommen, zeigte sie mir eine Flasche mit der Etiquette 
Creosot phosphor., ein mir unbekanntes Präparat 

Erst jetzt, als ich nun zu der ersten Kranken ins Krankenhaus ging und 
sagte: „Sie haben Creosot. phosphor. genommen“, da gestand sie, daß ihr Vater 
zu dem Arzt gegangen sei, ihm das Leiden seiner Tochter beschrieben habe und 
von diesem das Präparat mitbekommen hätte. Auf meine Meldung der Ge¬ 
fährlichkeit desselben hat dann dieser Arzt in den örtlichen Zeitungen vor 
dem Weitergebrauch dieses (von ihm verschriebenen) Mittels gewarnt. 

Es kamen dann in den nächsten Wochen die weiteren Fälle in meine 


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Behandlung. Wenn man die Symptomatologie betrachtet, so fällt die Gleich« 
formigkeit der Fälle auf. Es besteht die Lähmung der Muskulatur an Händen, 
Füßen und Unterschenkeln; die Beine sind zuerst und stärker getroffen worden, 
nur etwas Parese mag in der Schenkelmuskulatur (Beugeseite hauptsächlich) 
und Unterarmmuskeln vorhanden gewesen sein. 1 

Der Gang bot das typische Bild der Steppage, das Gehen mit gehobenen 
Knien und paralytischem Equinusstand der Füße. Neben der Paralyse war 
eine gewisse Ataxie bemerkbar, die jedoch mit geschlossenen Augen nur wenig 
zunahm. Die passiven Bewegungen an Füßen und Zehen wurden gut wahr* 
genommen, das Lagegefühl war nicht gestört Die oberflächliche Sensibilität war in 
allen Qualitäten normal. Die Muskulatur der Waden etwas empfindlich beim 
Kneifen, die Nervenstämme des N. peroneus, N. ulnaris nicht besonders schmerz¬ 
haft Die Kälte der Unterextremitäten ist auffallend, darüber wurde von den 
Meisten geklagt 

Die feinen Bewegungen der Hände, Knöpfen, Nähen, sind unmöglich oder 
beeinträchtigt Muskelatrophie ist in einigen Fällen besonders deutlich. 

Die Haut ist bei meinen Patienten immer gesund geblieben, keine Ab¬ 
schuppung, spröder Konsistenz wie sonst bei Neuritiden öfter gefunden wird, 
nur etwas mehr glänzend. Die Symptomatologie weist unbedingt auf eine 
Läsion des primären motorischen Neurons hin, wir haben hier eine toxische 
Neuritis mit Prädilektion für die motorischen Nerven, wie auch andere Gifte 
es zeigen. Daß nicht Myelitis hier die Ursache des Symptomenkomplexes dar¬ 
stellt, wird schon wahrscheinlich durch absolutes Intaktsein der Blasenfunktion, 
sehr schwierig wäre auch die Lokalisatiou zu verstehen. Es müßten dann 
zwei myelitische Herde bestehen, einer im Halse und einer in der Lenden¬ 
anschwellung und an der Stelle, wo der N. ischiad. entspringt, würden nur die 
Zellgruppen und Bahnen getroffen sein, aus denen die gelähmten unterhalb der 
Kniegelenke gelegenen Muskeln innerviert werden. Bei multipler Neuritis sind 
die Lähmungserscbeinungen peripheriewärts intensiver, betrachtet man den Ab¬ 
stand vom Centrum als Hauptfaktor, dann wird verständlich, warum an den 
oberen Extremitäten nur die Hand, an den Beinen schon die Muskeln bis zum 

1 Einen Widersprach möchte ich näher besprechen. Fall V, eine gesunde verheiratete 
Frau, die Oberhaupt den leichtesten Fall darstellt und schon wieder einen fast normalen 
Gang zeigt, während die anderen noch mit Steppage gehen (die Erhöhung der galvanischen 
Erregbarkeit ist auch am schnellsten bei ihr zuröckgegangen), hat auch an ihren Händen 
Beschwerden gehabt, während der viel schwierigere Fall IV (Zimmermann) absolut nichts 
an den Händen gespürt hat. Daß die Hände des Zimmermanns gewiß ebensoviel in An¬ 
spruch genommen sind, als die der Hausfrau, macht hier die Erklärung hinfällig, daß die¬ 
jenigen Muskeln vom Gift besonders geschädigt werden, die professionell angestrengt worden 
sind (bei Bleivergiftung). Nur bei dieser Patientin fand ich am Oberschenkel eine leichte 
Abänderung der elektrischen Reaktion, d. h. ich fand im M. vast. int. des linken Beines 
AnS > KS. Bei keinem anderen Falle fand ich oberhalb des Kniegelenkes auch nur eine 
Andeutung der Entartungsreaktion, ebensowenig oberhalb des Handgelenkes. Man kann 
somit sagen, daß die Lähmung nicht an eine anatomische Einheit gebunden ist, daß sie 
keine speziellen Nerven oder Muskeln bevorzugt, sondern auf einem gewissen Abstand der 
Peripherie Halt macht. 


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Kniegelenk getroffen sind. Sei es, daß die längsten Nervenfasern die empfind¬ 
lichsten sind, sei es, daß die Zirkulation eine Rolle spielt, eine so scharfe Niveau¬ 
grenze wie hier sieht man nicht oft 

Nur die anfängliche Unsicherheit beim Gehen und Stehen (die sich schnell 
gebessert hat) trotz Abwesenheit von Störungen der Sensibilität, konnte angeführt 
werden als Moment zugunsten einer Myelitis. 

Die Ätiologie der Fälle ist klar, und wenn auch in den meisten Fällen 
kurz zuvor oder zur gleichen Zeit andre Medikamente genommen sind, so wird 
man nicht mehr zweifeln und das Creosotum phosphoricum beschuldigen. Meine 
erste Patientin hatte doch, wie aus der Tabelle ersichtlich, neben Creosot phos¬ 
phoricum nur Emsersalz genommen. Mit einer so vagen Beschuldigung i 3 t aber 
nicht viel gesagt, verschiedene Momente fordern unsere Aufmerksamkeit. 

1. Haben viel mehr Leute das Creosot phosphor. genommen als erkrankt sind, 

2. sind die Dosen sehr verschieden stark gewesen, 

3. lag die Möglichkeit einer Verunreinigung des Präparates vor, 

4. das klinische Bild gleicht keinem der bekannten Bilder ganz genau, es 
zeigt Eigentümlichkeiten, 

5. ist das Creosotum phosphoricum ein Phosphat, und war es mir völlig 
unbekannt, daß es als solches gefährlich sein konnte? 

Hinsichtlioh des ersten Punktes, so war es unmöglich zu wissen, wieviel 
Personen Creos. phosphor. genommen hatten. Ich habe bei einigen Pharma¬ 
zeuten nachgefragt, und von einem vernommen, daß er allein schon an mehr 
Personen das Medikament verabreicht hatte als Leute erkrankt sind. Eine 
gewisse Prädisposition, ein auslösendes Moment, oder eine partielle Verunreinigung 
muß man voraussetzen um diese Tatsache zu erklären. 

Wie ich schon in der Tabelle angegeben, scheint mir in der Anamnese 
einiger Patienten etwas zu sein, was den Einfluß äußerlicher Momente als nicht 
ganz unbedeutend darstellt, Kälte, Feuchtigkeit, Krankheit Andrerseits weisen 
einige Tatsachen auf Verunreinigung. 

1. Fall II hat 3 Flaschen, zusammen 120 g, genommen, sein Zustand ist um 
kein Haar schlimmer als der des Falles III, der 40 g genommen hat Das Ver¬ 
muten liegt nahe, daß der Inhalt nur einer der 3 Flaschen das Übel herbeigeführt hat. 

2. Klagten einige Patienten, daß der Geschmack ein entschieden scharfer 
war, während derselbe ohne Schärfe sein soll. 

8. Das klinische Bild zeigte einige Ähnlichkeit mit Arseniklähmung. Über¬ 
einstimmung: die Gastrointestinalstörungen, das Latenzstadium und die Lokali¬ 
sation. Unterschied: Mangel an Hyperalgesie, an Störungen der Sensibilität sowie 
an trophischen Veränderungen der Haut. 

Der Gedanke, das vielleicht freies Phosphor in den Präparaten enthalten 
sei, hat mich veranlaßt, das Bild der Phosphorneuritis in der Literatur zu 
suchen. In den großen Handbüchern findet man Phosphor unter den Neuritis- 
erregenden Giften genannt, aber weiter nichts darüber. 

Ich fand: A. W. M. van Hasselt, Handleiding Vergiftleer. II S. 68, 1855 
einen Fall von Lähmung nach akuter Intoxikation. 


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Tb. und A. Huseman, Handbuch der Toxikologie 1862, unterschieden einen 
Phosphorismus acutus intestinalis und eine cerebrospinale Form (mit Lähmungen). 

In der neueren Literatur fand ich eine Beschreibung von Henschen 1 , der 
viele akute Phosphorintoxikationen und in einigen dieser Fälle nachher Neuritis 
beobachtet hat Er erwähnt die Seltenheit der Beschreibungen in der Literatur, 
er meint, die meisten seien schwere Fälle gewesen, die gestorben sind, ehe 
das Stadium der Paralyse eingetreten war. Bei den Arbeitern in Streichholz* 
fabriken kommt zwar chronisches Leiden infolge Phosphorintoxikation vor, von 
Lähmungen ist aber keine Rede 2 . 

Vergleicht man die drei von Henschen beschriebenen Fälle mit den oben 
beschriebenen, dann sieht man gleich, daß die Sensibilitätsstörungen dermaßen 
gegenüber den motorischen Erscheiuungen das Bild beherrschen, daß nur von 
einer entfernten Ähnlichkeit die Rede sein kann. 

Ich habe den Inhalt einer halbgeleerten Flasche eines meiner Patienten 
untersuchen lassen; es war keine Spur Arsen oder Phosphor vorhanden. Bei 
der Untersuchung aber zeigten sich die Eigenschaften des in der Flasche be¬ 
findlichen Präparates nicht identisch mit denjenigen, welche in der Literatur 
beschrieben sind. 

Ich fand in E. Mehck’s Index: Creosotum phosphoricum, Kreosotphoephat 
P0 4 (C 8 H 7 ) 3 reizloses, ungiftiges Ersatzmittel des Kreosot Dosis 6 g pro die; 
und in Pharmazeutische Centralhalle für Deutschland 1897: „Kreosotphosphat 
ist entschieden von gewisser Giftigkeit Wie das Bollettino chimico-pbarma- 
ceutico (1897, S. 72) nach der Rivista di Fisiologia mitteilt, wird das Präparat 
folgendermaßen dargestellt: 

Kreosot und Phosphorsäureanhydrid läßt man in Gegenwart von Natrium 
aufeinander einwirken Es resultiert eine sirupöse dicke Masse, die mit Wasser 
behandelt und dann fraktioniert destilliert wird, so daß der zwischen 190° 
und 203° siedende Anteil aufgefangen wird. Letzteres wird durch Lösen in 
Alkohol und Fällung mit Wasser gereinigt Allein zu brauchen ist nur die 
gedachte Fraktion, die frei von kaustischen oder reizenden Eigenschaften ist, und 
die der Formel P0 4 (C 6 H 7 ) 3 entspricht oder ein Trikreosotphosphat darstellt, welches 
ca. 75 % Kreosot enthält. Es ist ein dickes öl, gibt auf Papier ölähnliche 
Flecke, riecht kaum nach Kreosot und ist von adstringierendem, etwas bitterem 
Geschmack, ohne Schärfe. Unlöslich in Wasser, Glyzerin, alkalischen Lösungen 
und ölen. (Eigenschaften die es von Kreosot unterscheiden.) Löslich in Alkohol 
und jeglicher Mischung von Alkohol und Äther. Die alkoholische Lösung gibt 
beim Zusatz von Wasser eine milchige Flüssigkeit ohne Geschmack und Geruch, 
vortrefflich zu pharmazeutischen Zwecken. Mit Alkalien verbindet es sich schnell 
unter Abscheidung des Kreosots und Bildung der entsprechenden Phosphate. 
Das Fernsein jeder giftigen oder ätzenden Wirkung läßt vermuten, daß 
das Präparat, das ohne jegliche schädliche Nebenwirkung auch längere Zeit 


1 Neurolog. Centralbl. 1898 n. 1900. 

8 Auch bei der Maxillarnekrose scheint ein prädisponierendes Moment oder spezielle 
Empfindlichkeit eine Rolle zu spielen. 


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in großen Dosen gegeben werden kann, eine hervorragende Stellung im Arznei¬ 
schatz erhalten und das Kreosot verdrängen wird.“ 

Man vergleiche das Zitierte mit dem Rapport des Herrn Chemikers 
N. von deb Sleen (Januar 1906). 

„Creosot phosph. wurde untersucht auf Verunreinigung mit Arsen, Phos¬ 
phor, schweren Metallen; das Resultat war negativ. Selbst mit Hilfe des Spektro- 
skopes gelang es nicht in der Wasserstoffdamme Phosphorus oder niedrige Phos¬ 
phorverbindungen zu sehen. Weiter ergab sich, daß die Eigenschaften des 
Körpers Abweichungen zeigten von denjenigen in der Literatur beschriebenen: 

1. Phosphorusgebalt als Phosphorsäureanhydride P 2 0 6 berechnet, betrug 
nicht 20 bis 25%, sondern nur 16%. 

2. wird angegeben, daß der Körper leicht durch Alkalien verseift wird 
(Zerlegung in Phospborsäure und Kreosot), dieses gelang nur für einen kleinen 
Teil Nach stundenlangem Kochen mit Übermaß von alkoholischer KOH-Lösung 
ist nur wenig Phosphorsäure abgeschieden worden (die gewöhnliche Ortho- 
phosphorsäure schien überhaupt nicht da zu sein), indem das abgeschiedene 
Kreosot, statt reines Kreosot darzustellen, noch eine Quantität Phosphorus ent¬ 
hielt, bis 12,5% (berechnet als P 2 0 6 ). 

3. ln der pharmazeutischen Centralhalle 1897 ist angegeben, daß nur die 
Fraktion 190—203° therapeutisch verwendet ist, bei dem untersuchten Präparat 
aber, war bei gewöhnlichem Druck gar nicht destillierbar, kam erst bei 210° 
der erste Tropfen über, indem die Temperatur bis 850° stieg, unter deutlicher 
Anzeige von Dissoziation der kochenden Flüssigkeit. 

Es resultiert, daß nicht nur die Eigenschaften des untersuchten Präparates 
abweichen von der in der Literatur beschriebenen, sondern auch das Präparat 
nicht die Eigenschaften eines phosphorsauren Ester hat, der in Kreosot an¬ 
wesenden Phenole (wie aus dem Namen Creosotum phosphoricum zu verstehen 
ist). Das Präparat besteht zum größten Teil aus einer organischen Phosphor- 
verbindnng von vorläufig unbekannter Konstitution, über dessen Wirkung auf 
den Organismus a priori nichts zu sagen ist. Auf Grund dieser Untersuchung 
wird die Behauptung, daß dieses Präparat in dem Darm in Kreosot und Phosphor¬ 
säure zerlegt werden soll, äußerst unwahrscheinlich. In Übereinstimmung damit 
ist wohl die gegebene Bereitungsweise aus P 2 0 B und Na, welche die Möglich¬ 
keit zum Auftreten allerhand komplizierter Verbindungen offen stellt — wie 
auch die Bemerkung, daß das geformte Produkt durch fraktionierte Destillation 
gesäubert werden muß. Welche Konstitution den entstandenen Körpern zu- 
geschrieben werden muß, ist nur durch weitgehende Untersuchungen festzustellen, 
wenn diese nicht durch Fehlen der Kristallisationsfähigkeit unmöglich sind.“ 

Herr Prof. L. Lewin hat die Güte gehabt, auf mein Befragen mir das 
Folgende mitzuteilen: 

„Es ist sehr schwer zu sagen, worauf diese Nebenwirkungen zurückzuführen 
sind. Das Creos. phosph. soll 80 % Kreosot und 20% P 2 0 6 enthalten. Vom 
Kreosot selbst kenne ich derartige Nebenwirkungen nicht, auch nicht von der 
Phosphorsäure. Die letztere wirkt höchstens kaustisch. Ich vermute, daß bei 


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der Behandlung des Kreosots mit Fhoephorsäureanbydrid bei Gegenwart von 
Natrium — so stellt man Creos. phosphor. dar — irgend eine giftige Oxytoluol- 
verbindung entsteht. — Vielleicht bildet das Kreosol, das_ r Methylhomobrenzca¬ 
techin das Ausgangsprodukt hierfür.“ 

Prof. Lewin ist also ebenfalls der Meinung, daß die Bereitungsweise des 
Creosot. phosphoric. den Weg offen stellt zur Herstellung verschiedener Ver¬ 
bindungen unbekannter Zusammenstellung, er sieht aber nicht im Phosphorsäure- 
komponent die schädliche Substanz, vermutet aber, daß eine aus dem Kreosot 
herleitbare Verbindung die Lähmung hervorruft. 

Ich kann sehr gut verstehen, daß der Chemiker sich sträubt, dem Pbosphor- 
säurekomponent giftige Eigenschaften zuzuschreiben und die anderen Kompo¬ 
nenten oder dessen Derivate für die Ursache der Lähmungen hält Der 
Kliniker aber wird nicht so bald davon überzeugt sein, bei dem gänzlichen 
Mangel an Beschreibungen bezüglich Lähmungen, die nach Vergiftung mit 
Kreosot, Guajacol, Toluol und deren Derivaten entstanden sein sollten. 

Er sieht zwar Lähmungen, deren Bild nur Ähnlichkeit zeigt mit dem Bild 
der nach Phosphorintoxikation entstandenen Lähmungen und nicht ganz iden¬ 
tisch damit ist, aber diese Ähnlichkeit imponiert ihm als Kliniker immerhin. 

Das Bild der Neuritis durch Phosphorintoxikation ist auch nicht konstant, 
wie aus dem folgenden hervorgeht 

In seiner zweiten Mitteilung hat Henschbn einige Fälle beschrieben, 
in denen Hyperalgesie und Hyperästhesie, Anästhesie, Thermanästhesie das 
hervorragende Moment bilden und von Paralyse nichts zu finden ist, er sagt 
dann: „Vergleicht man hiermit den von mir früher 1 mitgeteilten Fall, so ist 
der Unterschied auffallend. In Übereinstimmung damit, daß die Vergiftung viel 
schwerer war, waren die Symptome auch intensiver. Bald trat Parese, ja Paralyse 
auf. Patient konnte nicht gehen, mußte den ganzen Winter das Bett hüten 
und selbst Atrophie trat ein.“ 

Wenn man andererseits sieht, daß nach dem Gebrauch von Creosotum 
phosphor. in bestimmten Fällen nur motorische Störungen vorgekommen sind, 
aber in anderen Fällen ganz sicher Hyperästhesie und Anästhesie beschrieben 
ist 2 , also das Bild auch hier nicht immer dasselbe ist: 

Wenn man weiter bedenkt, daß bei verschiedenen besser bekannten Ver¬ 
giftungen mit Arsen, Blei, Alkohol das Bild auch wechselt. 

Wenn man dies alles im Auge behält, dann wird man die Form der oben 
beschriebenen Neuritislähmungen als klinisch zugehörig zur Arsen-Phosphor- 
Neuritisgruppe betrachten. Wie das Phosphorsäureradikal, und in welcher Lage 
dasselbe giftige Eigenschaften erhalten kann, bleibt unbekannt 

Es sind schon früher Vergiftungen mit Creosot. phosph. bekannt geworden. 

Edmond Chaumier hat im Jahre 1898 einige Fälle beobachtet, er teilt sieben 
Beobachtungen mit, die er selbst und einige befreundete Ärzte gemacht haben. 


1 Neurolog. Centralbl. 1900. 

1 Edmond Chaumier. Les pnralysies par le phosphore et scs composes. Paria 1905, 
A. Male ine. 


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In seinen Fällen tritt nach ein Latenzstadium, die Paralyse auf, die ßeiue 
waren am stärksten getroffen, kurz vorher waren Schmerzen in den Waden und 
Parästhesien dagewesen. Sensibilitätsstörungen treten in den Hintergrund gegen¬ 
über den motorischen. Er sagt z. B. Observation IQ (Dr. Triaire) „La sensi- 
bilitö ne fut jamais alteree“: iu anderen Fällen sind ganz sicher Hyperästhesie, 
Hyperalgesie und Anästhesie beschrieben worden. 

Chaumieb erwähnt nicht, ob das Mittel vom Magen leicht vertragen wurde, 
oder Durchfall verursacht hat, er gibt nicht an, ob auch Personen Creos. phosph. 
genommen haben, ohne erkrankt zu sein, er meldet nichts von veranlassenden 
Momenten. Alle seine Patienten waren tuberkulöse Personen. Er betont die 
Ähnlichkeit seiner Fälle mit denjenigen von Henschen , welche nach akuter 
Phosphorintoxikation entstanden sind, er sagt: Le cas de Henschen produit par 
le Phosphore lui-möme et les cas, que j’ai rapportös, produits par des combi* 
naisons chimiques du phosphore sont trös semblables, comme je l’ai döjä dit, et 
ont la möme origine.“ Dieser Behauptung Chaumieb’s kann ich nicht bei¬ 
stimmen. Bei dem Gebrauch von Creosot. phosphoric. kann es nie freier 
Phosphor sein, der die Lähmung hervorruft. 

Im Jahre 1903 hat Lof.wknfeld 1 zwei Fälle beschrieben, die ganz identisch 
sind mit den von mir beobachteten. Er betont die Abwesenheit von Sensibilitäts¬ 
störungen und teilt mit, daß die beiden Falle sich dadurch unterscheiden, daß 
bei dem einen Kranken beträchtliche Atrophie sich entwickelte und bei dem 
anderen, trotz absoluter Paralyse der Muskeln, keine Atrophie bemerkbar war. 
Dasselbe hat sich auch gezeigt in den von mir beschriebenen Fällen. 

Loewenfeld ist ebenfalls der Ansicht, daß die Phosphorsäurekomponente 
das schädliche Agens darstellt 

Webtheim Salomonson beschreibt in d. Centralbl. (1906, Nr. 16) einen 
Fall von tonischer Polyneuritis bei einem Phthisiker, der wohl aus derselben 
Quelle stammte als der meinige. Auch er meint, daß die Möglichkeit einer 
Einwirkung des Phosphorsäureions auf die peripherischen Nervenfasern nicht 
a priori auszuschließen ist. 

II. Referate. 

Anatomie. 

1) La circonvolution godronnöe et ses prolongements sus-oalleux, par 

Trolard. (Revue neurol. 1906. Nr. 20.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Verf. beschreibt eingehend die anatomischen Lagebeziehungen und Ver¬ 
bindungen der Fascia dentata, die er gegen Dejerine u. a. nicht als eine schlecht¬ 
weg „abortive“ Windung angesehen wissen möchte. Zu kurzem Referate ist die 
fast rein deskriptive Arbeit nicht geeignet und muß im Originale nachgesehen 
werden. 


Physiologie. 

2) Sur la reproduotion dos cellules nerveuses, par C. Ciaccio. (Revue 
neurologique. 1906. Nr. 19.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 


1 Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psychiatrie. 1903. S. 237. 

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Verf. hat schon früher, wie er berichtet, im Sympathicus Neubildung von 
Nervenzellen zu beobachten Gelegenheit gehabt. Neuerdings hat er im Gehirn 
von Mäusen, wie er raitteilt, in der Rinde, auch in der Region der Pyramiden* 
zellen, Neuroblastenelemente gesehen, aus denen auf amiiotischem Wege zunächst 
neue mehrkernige Zellelemente entstünden; dann gingen die Kerne bis auf einen, 
der persiBtiere, zugrunde und beteiligen Bich an der Bildung deB Protoplasmas 
der neuen Zelle; zuweilen persistierten auch die anderen Kerne, sie werden dann 
stark chromatophil, dabei bedeutend kleiner und seien noch in einzelnen Pyra¬ 
midenzellen zu sehen. Verf. weist die Möglichkeit einer Verwechselung des 
Prozesses mit Neuronophagie zurück. 

S) Über die psyohomotorisohen Centren im Großhirn des Schafes, von 

Nikitin. (OboBrenije psich. 1906. Nr. 5.) Ref.: Wilh. Stieda. 

Auf Grund von elektrischen Reizversuchen an 6 Schafen bestätigt Verf. die 
Befunde Marcaccis und widerlegt die Befunde Ziehens. U. a. weist er darauf 
hin, daß das Centrum für Augenlidbewegungen sich in derselben Windung be¬ 
findet, wie die Centren für die kontralateralen Extremitäten und zum Teil mit 
ihnen zusammenfällt. Das beweist, daß entgegen der Meinung N. Kowalewskis 
homologe Rindenbezirke nicht bei allen Säugern die gleiche Funktion haben, da 
Reizung des betreffenden Bezirkes wohl bei Schafen, nicht aber bei anderen Tieren 
Augenbewegungen hervorruft. 


Pathologische Anatomie. 

4) Anleitung sur Gehirnpräparation, von Strasser. (Jena 1905.) Ref.: 
Max Bielschowsky. 

Das Büchlein soll den Besuchern des Präparierbodens als Wegweiser bei der 
Zerlegung des Gehirnes dienen. Die Anordnung des Stoffes ist eine so klare und 
die Vorschriften bei den einzelnen Übungen sind so zweckmäßig und leicht ver¬ 
ständlich, daß der Studierende mit Hilfe dieses Leitfadens von einem Gehirn 
mehr lernen kann, als an zehn auf eigene Faust präparierten. Er ist deshalb 
als Ergänzung zu den anatomischen Lehrbüchern und PräparieranweiBungen bestens 
zu empfehlen. 

5) Fälle von familiärer Mikrocephalie, von H. Vogt. (Allg. Zeitschrift für 
Psychiatrie. LXIII.) 'Ref.: Zingerle (Graz). 

Mißbildungen des Gehirnes sind das eine Mal Folge einer nachweisbaren 
äußeren Ursache, die das sich entwickelnde Organ traf, in anderen Fällen dagegen 
Resultat einer aus inneren Ursachen gestörten Entwickelung. Diese inneren (endo¬ 
genen) Momente spielen eine wesentliche Rolle bei allen Krankheiten, welche 
familiär auftreten. Auch die Mikrocephalie, die aus mannigfachen Ursachen ent¬ 
stehen kann, ist häufig als familiäre Anomalie beobachtet worden, und beweist 
dies, daß dann deren Genese auch in einer endogenen Anlage begründet sein 
kann. Den schon vorhandenen Beobachtungen von C. Vogt, Baillarger, Bin- 
hoff, Laborde u a. fügt Verf. vier neue über familiäre Mikrocephalie hinzu. 
Die erste betrifft eine Familie, in der von acht Geschwistern drei mikrocephal 
waren. In der zweiten litten von fünf Geschwistern drei, in der dritten von 
sieben Geschwistern drei und in der vierten Familie von drei Geschwistern zwei 
an dieser Entwickelungshemmung des Gehirnes. Der endogene Faktor spricht 
sich auch in der Tatsache aus, daß in den Familien anderweitige Affektionen des 
Nervensystems (Krämpfe) und Zeichen geringer vitaler Energie (große Kinder¬ 
sterblichkeit) sowie anderweitige Mißbildungen vorkamen. Die Familien sind 
großenteils belastet. 


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Pathologie des Nervensystems. 

6) Etüde anatomoolinique d'un oas de syringomyälie spasmodique, pur 

Alquier et G. Guillain. (Revue neurol. 1906. Nr. 11.) Ref.: Stransky. 

48jähriger Manu, Lues vor 20 Jahren akquiriert (später Tertiärerscheinungen), 
vor 4 Jahren Beginn der jetzigen Erkrankung mit vorübergehenden Gehbeschwerden, 
später passageren Schmerzen zwischen den Schulterblättern, an die sich bald 
Schwellung, Schmerzen und Flexionskontraktur in den Fingern der rechten Hand 
anschlossen (Daumen und Zeigefinger relativ weniger affiziert), letztere allmählich 
immer mehr zunehmend; allmählich auch Beweglichkeitserschwerung auch in den 
proximalen Gelenkeu der Extremität; vor 2 Jahren bestand auch bereits spastischer 
Gang, Reflexsteigerung, Babinski beiderseits (Lumbalpunktion ergab Lymphocytose), 
keine Sensibilitätsstörungen; allmähliche Zunahme der Erscheinungen. Aus dem 
Status praesens: Kopf nach vorn übergebeugt, obere Extremität in charakteristi¬ 
scher Kontrakturstellung, insbesondere die Extension stark beeinträchtigt; charak¬ 
teristische Stellung der Hand und der Finger, links die Störungen geringgradiger 
als rechts; in den unteren Extremitäten betrifft die spastische Paraplegie haupt¬ 
sächlich die Beuger; Stehen und Aufsetzen unmöglich; Atrophie und Parese der 
großen Brustmuskeln; Amyotrophie im allgemeinen geringgradig; Thorax en bäteau; 
leichte Kyphose; Sehnenreflexe an den unteren Extremitäten erhöht, nur Achilles¬ 
sehnenreflexe herabgesetzt, an der oberen Extremität fehlend; Blasenstörungen; 
elektrische Erregbarkeit bloß quantitativ in den betroffenen Gebieten herabgesetzt; 
zeitweise Schmerzanfälle im Rumpf und in der rechten oberen Extremität; leichte 
Hyperalgesie entsprechend der rechten oberen Extremität, sehr konstante Tempe- 
ratursinn8störnngen, taktile Sensibilität normal, Stereognose aufgehoben. Tod an 
Bronchopneumonie nach etwa 4jähr. Bestand des Leidens. Aus dem anatomischen 
Befund: Dura mater spinalis entsprechend dem Übergang in die Oblongata ver¬ 
dickt (Pachy- und Leptomeningitis); im oberen Brustmark eine bis in die Oblon¬ 
gata zu verfolgende Höhlenbildung. Histologisch zeigte sich, daß neben echter 
syringomyelitischer Höhlenbildung mehrere Erweichungsherde vorhanden waren, 
letztere ziemlich zahlreich im oberen Brust- und unteren Halsmark; sekundäre 
Degeneration der Pyramidenstränge vom unteren Halsmark nach abwärts. Zell¬ 
veränderungen nur gering. 

Die Verff. gehen des weiteren noch auf die Differentialdiagnose (speziell gegen 
Kompression), sowie auf die Pathogenese der einzelnen Symptome (Schmerzen, 
Geringgradigkeit der Taktilitätsstörung und der Amytrophien) ein; sie glauben 
der Lues keine ätiologische Rolle in dem Falle zuschreiben zu sollen; spezifische 
histologische Läsionen fanden sie wenigstens nicht. 

7) Haeznatomyelie and Syringomyelie. Ein Beitrag zur Pathogenese der 
Syringomyelie, von Dr. 0. Kölpin. Aus der psychiatr. Klinik in Greifswald 
(Prof. A. Westphal). (Arch.f.Psych.u.Nervenkr. XL. 1905.) Ref.: Heinicke. 

Um zur Klärung der Frage beizutragen, ob die durch Traumen, bez. durch 
Häm&tomyelie hervorgerufenen Rückenmarksveränderungen tatsächlich die Basis 
abgeben, auf der sich in einer vorher normalen Medulla spinalis das anatomische 
Bild der Syringomyelie entwickeln kann, oder ob dieselbe stets auf angeborenen 
oder frühzeitig erworbenen Entwickelungsstörungen des Rückenmarkes beruht, 
macht uns Verf. mit der Krankengeschichte einer 32jährigen, nicht belasteten 
Arbeitersfrau bekannt, die zum zweiten Male an einer, unter dem Bilde einer 
schweren Depression mit Versiindi^ungsvorstellungen, Selbstmordneigung verlaufen¬ 
den Psychose erkrankt ist. Der Mann der Kranken gibt noch an, daß die Patientin 
seit längerer Zeit viel über Schmerzen in der rechten Seite, Arm und Schulter 
geklagt habe. 

Die Untersuchung ergibt mittelgroße, örtlich und zeitlich gut orientierte, 

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schlecht genährte Frau, die an lebhafter Angst leidet und über Schmerzen in der 
rechten Seite klagt. Pupillen sind gleichweit, reagieren prompt, Augenbewegungen 
sind frei, Zunge wird gerade hervorgestreckt; rechter Facialis etwas schwächer 
innerviert als linker; lebhafte Patellarreflexe, links deutlicher, anhaltender Fuß- 
klonus; rechts nur andeutungsweise; Gang spastisch, unsicher, breitbeinig; Böm¬ 
berg; gröbere Sensibilitätsstörungen scheinen zu fehlen; innere Organe o. B.; rechte 
Seite o. B.; rechter Oberarm zeigt mehrere weiße, zehnpfennigstückgroße Narben. 

Das anfängliche Bild der Melancholie verändert sich bald insofern, als hypo¬ 
chondrische Ideen hinzukommen; nach 3 Wochen wird die Kranke apathischer, 
unrein; der körperliche Befund bleibt stationär, nur nimmt der Fußklomis stetig 
ab, tritt zuletzt nur noch auf, wenn Patientin unmittelbar vorher einige Schritte 
geht; im weiteren Verlauf kommen leichte fieberhafte Diarrhöen hinzu, die Patientin 
wird schwer soporös, auf beiden Augen stellt sich Keratitis ein und etwa acht 
Wochen nach der Aufnahme erfolgt der Exitus. 

Die Sektion ergab: Gehirn normal; im Halsmark in der Gegend des Hinter- 
hornes eine Spaltbildung; im übrigen normaler Befund; keine Lues; keine Nephritis. 

Nachträglich gab der Mann noch an, daß ihm nicht bekannt sei, daß die 
Patientin jemals gefallen sei; auch soll sie nie unempfindlich gegen schmerzhafte 
Beize gewesen sein, oder sich, ohne es zu merken, verbrannt haben; nur Bei es 
ihm aufgefallen, daß ihr rechter Arm nach Anstrengungen öfter anschwoll und 
schmerzte; die Haut der rechten Hand sei auch viel leichter aufgesprungen und 
habe viel mehr geschilfert als links. 

Die weitere Untersuchung ergab in ihren Hauptpunkten zusammengefaßt eine 
Gliose, die sich vom zweiten Dorsalsegment bis zum oberen Drittel der Oliven 
hinauf erstreckte; an ihren beiden Enden besteht sie auf lange Strecken aus 
einem schmalen Streifen grobwelliger Gliafasern mit Neigung zur Spaltbildung; 
in der Mitte imponiert sie bald als Tumor, bald weist sie ein oder auch zwei 
Höhlen auf. Ihren Sitz hat die Gliose durchweg im rechten Hinterhorn, bez. 
auch im basalen Teil des rechten Vorderhornes, im verlängerten Mark, in der 
Substantia gelatinosa. Der Centralkanal liegt stets gesondert von der Gliose mit 
Ausnahme vom 6. Cervikalsegment, wo er in der Geschwulst mit einbegriffen ist. 
Nur an dieser Stelle und nur an seiner ventralen Wand trägt der Hohlraum 
hier eine Auskleidung mit Centralkanalepithelien. Vom zweiten Dorsalsegment 
bis zur Pyramidenkreuzung fanden sich in der linken grauen Substanz Blutungen, 
die die centralen und basalen Partien des Vorderhorns, sowie das ganze Hinter¬ 
horn einnehmen; auch in der Medulla oblongata fanden sich einige kleine häma¬ 
togene Erweichungsherde. Die Glia reagiert unmittelbar in der Nähe dieser 
Hämorrhagien durch Bildung von homogenisierten Partien und großen Spinnen¬ 
zellen. An einigen Punkten des Halsmarkes finden sich auch kleine Blutungen 
in dem rechten Vorderhorn, desgleichen, aber bedeutend spärlicher, auch in den 
an den Hohlraum angrenzenden Partien der Gliose im Halsmark. Die Gliosen- 
bildung im verlängerten Mark verläuft in der Gefäßrichtung, wird streckenweise 
von den Gefäßen begleitet, sie zeigt zahlreiche quer- und längsgetroffene Gefäße; 
die Gliose und das angrenzende Gewebe hat Neigung zur Spaltbildung; es finden 
sich in ihr frische Blutungen und klumpiges Blutpigment; an mehreren Stellen 
der Nachbarschaft sind hämorrhagische Erweichungsherde zu sehen. 

Verf. kommt auf Grund dieser Befunde zu dem Resultat, daß mit recht 
großer Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Hämatomyelie 
und Syringomyelie besteht. 

Interessant ist übrigens die Kombination von Syringomyelie und Psychoße. 

8) Un cas de syringobulbie. Syndrome d’Avellis au cours d’une Syringo¬ 
myelie spasmodique, par F. Raymond et G. Guillain. (Revue neurolog. 
1906. Nr. 2.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

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41jahrige Kranke, erblich belastet. Beginn der Affektion vor einigen Jahren 
(bulbäre Sprachstörung, Gaumenparese, später Parese im rechten Schultergürtel, 
geringe Thermonästbesie, Nystagmus, Schwäche in der rechten Hand; Spitzen¬ 
tuberkulose); es bestand eine alte Otitis supp, rechts; Zunahme der Lähmungs- 
erscheinungen im Laufe der Jahre. 9 Jahre nach Beginn bestanden außerdem 
Flexionskontraktur in den drei letzten Fingern der rechten Hand (Daumen und 
Zeigefinger intakt), weniger in der linken, geringe muskuläre Atrophie; Herab¬ 
setzung der elektrischen Erregbarkeit in einzelnen Muskeln, besonders der rechten 
oberen Extremität; leichte vasomotorische Störungen. Patellarsehneni'eflexe beider¬ 
seits gesteigert, Kloni, Babinski und kontralateraler Adduktorenreflex beiderseits; 
geringe Deformität der Wirbelsäule und des Thorax; halbseitige Atrophie der 
Gaumenmuskulatur rechts; nasale Sprache, Begurgitation beim Schlucken, rechts¬ 
seitige Stimmbandlähmung; Taubheit rechts; Facialisgebiet intakt; eine kleine 
anästhetische Zone am linken Vorderarm außen (Schmerz- und Taktilität), Stereo- 
gnose in beiden Händen aufgehoben; rechts Herabsetzung der Temperaturempfindung. 

Die Verff. heben hervor, daß die Entwickelung des Falles anfangs eher an 
multiple Sklerose habe denken lassen; später allerdings sei der Aspekt durch die 
Art der sensiblen Störungen verschoben worden, ferner durch die Knochen¬ 
veränderungen, die „main en pince-Stellung“ der Hand der Autoren. Die Verff. 
erkannten in dem Falle das Bild ihrer spasmodischen Form der Syringomyelie, 
vergesellschaftet mit den Symptomen der Syringobulbie, in Form des Avellis- 
sehen Syndroms (einseitige Lähmung des inneren Astes des Accessorius). 

9) Syringomyelie spasmodique avec attitude partiouliere des membres 
supörienrs, par F. Raymond et H. Frangais. (Revue neurologique. 1906. 
Nr. 8.) Ref.: Erwin StranBky (Wien). 

40jährige Frauensperson, mehrmals an Rheumatismen erkrankt; seit 12 Jahren 
Bestehen der jetzigen nervösen Affektion, Beginn mit Parästhesien in den oberen 
Extremitäten, später Schmerzen in den Fingern, Armen und Schultern, mit Vor¬ 
liebe anfallsweise auftretend, die nach mehreren Monaten schwanden; typische 
Sensibilitätsstörungen, Atrophien in den Händen, späterhin gefolgt von allmählich 
ascendierenden Kontrakturen in beiden oberen Extremitäten ziemlich gleichzeitig, 
die allmählich immer mehr Zunahmen; nur Daumen und Zeigefinger konnten noch 
eine Zeitlang nach Art einer Pinzette verwendet werden; seit 4 Jahren auch Geh¬ 
störung. Aus dem Status praesens: Psyche normal; Kopf nach vorn gebeugt, 
Schulter etwas nach vorn gerückt; beide Vorderarme werden stark überstreckt 
und proniert gehalten, parallel zum Rumpfe und derart, daß Olecranon und Palma 
nach außen sehen, Hände extendiert, Finger in Beugestellung; in der linken oberen 
Extremität Fingerbeugen möglich, Strecken nur im Daumen und Kleinfinger, 
Interossei, Opponens poll., Thenar (weniger Antithenar) gelähmt bzw. atrophiert, 
Supination des Unterarmes aufgehoben, ebenso (außer Pronation) übrige Willkür¬ 
bewegungen, Atrophie vorzüglich in der Schulterregion: ähnliche Verhältnisse 
betreffs der rechten oberen Extremitäten; spastisch-paraplegischer Gangtypus; 
Rumpfmuskelschwäche, Kyphoskoliose der Wirbelsäule, Thorax en bäteau; elek¬ 
trische Erregbarkeit in den am stärksten betroffenen Muskeln recht stark herab¬ 
gesetzt; Patellarsehnenrefiexe beiderseits sehr erhöht, Kloni, Babinski, Adduktoren¬ 
reflexe beiderseits; Bauchhautreflexe fehlen; leichte nystaktische Zuckungen bei 
Extremstellungen der Bulbi; ausgebreitete, scharf begrenzte Hypalgesie vom 
Trigeminusgebiete (ausschließlich) nach abwärts bis zum ersten Sakralsegmente 
(einschließlich) reichend; ähnlich, doch nicht so symmetrisch verteilt (r. > 1.), 
Thermalanästhesie lokalisiert; Stereognose in beiden Händen aufgehoben, Gelenk- 
sensibilität in den oberen Extremitäten fehlend; Störungen der Knochenempfindung 
nicht konform denen der übrigen Qualitäten; taktile Empfindung allenthalben ohne 
Störung; keine sonstigen Besonderheiten. 

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Die Verff. stellen die Diagnose auf Syringomyelie (spastische Form) und ver¬ 
weisen auf die Besonderheiten der Kontrakturstellung der oberen Extremität in 
dem Falle; die Reizerscheinungen, die zu Beginn der Lähmung und Atrophie 
vorangingen, konnten auch den Gedanken an das Bestehen einer Pachymeningitis 
cervic. hypertr. nahelegen, deren Beziehungen zur Syringomyelie bekannt seien. 

10) A case of syringomyelia with double optio neuritis, by T. H. Weissen- 
burg and James Torrington. (American Journal of medical Sciences. 1905. 
Dezember.) Ref.: M. Rhe i nboldt (Bad Kissingen). 

Das 16jährige, außerordentlich schlanke Mädchen, hereditär mit Krebs und 
„Gehirnlähmung“ belastet, war, abgesehen von Kinderkrankheiten, bis zum 7. Jahr 
gesund. Von da ab außerordentlich schnelles Wachstum (jetzt 6 Fuß groß). 
Vom 12. Jahr ab allmählich zunehmender Schwachsinn, jetzt indolent, unlenksam. 
Damit gleichzeitig beginnende Unsicherheit des Gehens (kein Schwanken) infolge 
zunehmender Schwäche der Beine bis zur Unfähigkeit zu gehen und zu stehen. 
Seit 2 Jahren Kopfweh und gelegentlich Brechreiz; gleichzeitig Abnahme der 
Sehkraft, rechts mehr als links. Kein Schwindel. Jetzt ist das rechte Auge 
völlig blind, das linke fast gänzlich. Ataxie der oberen Extremität bei erhaltener 
aktiver Beweglichkeit, links stärker als rechts. Nacken- und Tricepsreflex fehlen. 
Es besteht eine seitliche Abweichung der dorsalen Wirbelsäule nach rechts, des 
Kopfes nach links. Flexionskontraktur in beiden Kniegelenken. In den Fu߬ 
gelenken sind geringe aktive Bewegungen möglich. Patellar- und Achillessehnen¬ 
reflexe gesteigert. Zuweilen Fußklonus nachweisbar. Kein Babinski. Empfindungs¬ 
verlust für Schmerz, Hitze und Kälte bei erhaltener Berührungsempfindung in 
unregelmäßigen Flecken im linken Vorderarm, Schulter und Rumpf. Die zeit¬ 
weise vorhandene Inkontinenz der Blase und des Mastdarmes ist Verf. geneigt 
auf die seelische Hemmung zu beziehen. Anscheinend ist das Gehör links herab¬ 
gesetzt. Beiderseits besteht Stauungspapille (engorgement) mit beginnender 
Atrophie, rechts weiter ausgebildet als links. In Ruhestellung divergieren beide 
Bulbi. Es besteht Schwäche beider Mm. recti externi(?) und der Bewegungen 
nach unten und oben. Verf. diagnostiziert neben Syringomyelie bestehenden 
Hydrocephalus internus analog den beiden einzigen von ihm in der Litteratur 
gefundenen Parallelfällen. 

11) Note Bur un o&s de syringomyölie aveo troubles sensitifs ä topo- 
gr&phie radiculaire, par F. Raymond et H. Frangais. (Revue neurolog. 
1906. Nr. 6.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Mitteilung eines Falles von Syringomyelie, der einmal ein differential- 
diagnostisches Interesse darbot, indem mancherlei Symptome — von den charakte¬ 
ristischen Sensibilitätsstörungen abgesehen — anfänglich an multiple Sklerose 
hätten denken lassen können (Reflexsteigerungen, Nystagmus). Die Sensibilitäts¬ 
störungen betrafen nicht nur die Schmerz- und Temperatur-, sondern auch die 
Gelenk- und Knochenempfindlichkeit; sie zeigten in selten ausgeprägter Weise 
den radikulären Verteilungstypus (Gesicht, Brust, obere Extremitäten); die Knochen- 
sensibilitätsstörimgen zeigten diese Anordnung nicht. Ein nicht häufiges Symptom 
bei dieser Affektion ist auch der im vorliegenden Falle gefundene Nystagmus. 
Es bestanden auch Störungen der Ejakulation; Kremasteren- und Bauchreflexe 
fehlten. Der Prozeß muß demnach eine beträchtliche Längenausdehnung besitzen 
(Sakralmark, Halsmark, Trigeminusgebiet). 

12) Seohs Fälle von Syringomyelie, von Otto Lüders. (Deutsche Zeitschr. 
f. Chirurgie. LXXXII1.) Ref’.: Max Jacoby (Mannheim). 

In 5 Fällen waren männliche Personen, in einem eine weibliche von Syringo¬ 
myelie befallen. Die Gelenkerkrankungen betrafen 3 mal das Ellenbogengelenk, 
2mal das Handgelenk, 1 mal das Sternoklavikulargelenk. 3mal waren neben 
einem großen Gelenk auch eines oder mehrere der Fingergelenke erkrankt. Nach 

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Abschluß der Arbeit kamen nooh 3 Fälle zur Beobachtung, bei denen das Ellen¬ 
bogengelenk 3 mal, das Schulter- und Handgelenk je einmal erkrankt waren. 

13) A case of ayringomyelia, by F. B. Bradshaw. (Brit. med. Journ. 1905. 

8. Juli.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Klinische Besprechung eines Falles von Syringomyelie. Hierbei gibt Verf. 
differentialdiagnostisch an, daß der Krankheitsfall sich von Tabes — abgesehen 
von dem Vorhandensein der charakteristischen, für Syringomyelie sprechenden, 
hier nicht näher zu erwähnenden Symptome — durch das Fehlen von Tachy¬ 
kardie auezeichne. In letzter Hinsicht macht Verf. darauf aufmerksam, daß er 
gerade die Tachykardie als wertvolles diagnostisches Zeichen bei Tabesfällen in 
dem ersten Stadium ansehe. Er habe gegenwärtig 5 Tabesfälle in Beobachtung, 
welche sich im verschiedensten Stadium der Erkrankung befänden, und welche 
alle ständig sehr schnellen Puls hätten (100 i. d. M.). 

14) Zur Kasuistik der Spontanfrakturen , von Dr. V. Libensk^. (Casopis 

ces. 16k. 1906. S. 633.) Ref.: Pelnar (Prag). 

Ein 36jähriger Tischler erlitt ein geringfügiges Trauma auf der rechten 
Scbultergegend (einige leichte kleine Bretter fielen ihm auf die Gegend des rechten 
Schultergelenkes). Er arbeitete ohne jede Therapie weiter. Spürte außer einer 
Schwerfälligkeit der rechten oberen Extremität keine Beschwerden. Erst nach 
dem Trauma entwickelten sich auf der Extremität einige objektive und subjektive 
Symptome einer nervösen Erkrankung, und als er sich einige Monate später 
in der böhmischen Poliklinik in Prag (Prof. Hn&tek) vorstellte, wurde eine 
doppelte Fraktur des Schulterblattes mit enormer Kallusbildung, eine ungeheilte 
Ruptur der Rippe und eine typische Syringomyelie mit Dissoziation der Sensi¬ 
bilität auf den oberen Extremitäten konstatiert. Verf. erwähnt aus der Literatur 
die einzige pathologische Fraktur des Schulterblattes, welche Charcot bei der 
Autopsie eines Tabikers mit Arthropathien entwickelte. Ein schönes Röntgeno¬ 
gramm illustriert die Arbeit. Am Skelett wurden keine Abnormitäten konstatiert 
und Verf. glaubt auf Grund dieses Befundes und der bisherigen literarischen An¬ 
gabe, daß die Ursache der Spontanfrakturen bei der Syringomyelie nicht in den 
tropischen Anomalien der Beine, sondern in den Sensibilitätsstörungen und ab¬ 
normen Muskelwirkungen zu suchen sei. 

16) Leprosy simulating syrlngomyelia , by H. C. Moffitt. (Journ. of Nerv. 

and Ment. Dis. 1906. April.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

Interessanter Fall von degenerativer Muskelatrophie der linken Hand und 
des rechten Fußes mit ausgedehnten trophischen Störungen der Haut und Störungen 
der Sensibilität, besonders des Schmerz- und Teraperatursinnes, Verdickung einzelner 
Nervenstämme, ohne Pupillenerscheinungen, Skoliose, Spasmen und Reflexsteigerung 
bei einem 11jährigen Knaben aus den Cap Verde sehen Inseln. Verf. nimmt bei 
der Verbreitung der Lepra in der genannten Gegend und unter Berücksichtigung 
des eigenartigen Symptomenkomplexes an, daß es sich um Lepra nervosa handelt, 
trotzdem Bazillen nicht nachgewiesen werden konnten. 

16) Ein Fall von geheilter Lepra maoalo-tuberosa, von v. Neumann. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 85.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Den Neurologen interessiert von dieser sehr gründlichen Arbeit hauptsächlich 
der Umstand, daß bei zweifelloser (auch bakteriologisch sichergestellter) Lepra 
eine Dauerheilung (Beobachtungszeit 3 Jahre) mit völliger Restitutio eingetreten 
ist. Der Fall bot übrigens keinerlei Sensibilitätsstörungen. Behandlung bestand 
in Kur mit Snlol. Jothion und täglich 200—250 gutt. Chaulmoograöl (01. Gyno- 
pardive). 

17) Über einen Fall von Lepra tuberoso-maoulo-anaesthetica, von Bloch. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 303.) Ref.: Pilcz (Wien). 

34jähriger Arbeiter aus Xanthi (Türkei). Beginn der Erkrankung vor zwei 

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Jahren mit Fieberanfällen. Status praes. (abgesehen von typischen dermato¬ 
logischen Veränderungen): Muskulatur beider Antithenar sehr schwach. N. ulnaris 
im rechten Sulcus bicipitalis stark verdickt. In einer bandförmigen Zone an 
Außen- und Vorderseite des rechten Unterschenkels und der Patellargegend, ebenso 
an einer unregelmäßig begrenzten Stelle der Streckseite des linken Ellbogens 
Sensibilität für alle Qualitäten erloschen. Tiefe Sensibilität und Druckempfindung 
intakt. Am linken Unterschenkel und Fuße, ebenso an den entsprechenden Haut¬ 
partien der rechten unteren Extremitäten distal warte zunehmende Thermohypästhesie, 
bzw. Anästhesie bei intakter Tast- und Schmerzempfindung; Perversion der Em¬ 
pfindung für kalt und warm, Leitungßverlangsamung. Stereognose und Lagesinn 
ungestört. Leichte Atrophie der Interossei und Antithenar. Gang normal, kein 
Romberg, keine Blasenmastdarmstörung. Patellarsehnenreflexe herabgesetzt. Sehnen¬ 
reflexe der oberen Extremitäten nicht auslösbar. Bauchdecken-, Kreranster- und 
Soblenreflex sehr lebhaft. Korneal- und Würgreflex fehlen. 

Bazillen konnten weder im Nasensekret, noch an Schnitten eines excidierten 
Knotens gefunden werden. 

Andere Einzelheiten der Krankengeschichte haben für den Neurologen weniger 
Interesse. 

18) Die Kontrakturen bei den Erkrankungen der Pyramidenbahnen, von Dr. 

Otfried Förster. (Berlin 1906, S. Karger. 65S.) Ref.: Baumann (Breslau). 

Im 1. Kapitel seiner Studie gibt Verf. zunächst eine Einteilung und Über¬ 
sicht der verschiedenen Arten von Kontrakturen. Man teilt die myogen bedingten 
Kontrakturen 1. in Schrumpfungskontrakturen und 2. spastische Kontrakturen. 
Letztere entstehen durch eine aktive Spannungsentwickelung, stellen also eine 
Veränderung des Funktionszustandes dar. Sie kommen zustande durch patho¬ 
logische Reizung entweder eines peripheren Nerven oder durch Reizung des 
centralen motorischen Systems oder sie entstehen infolge Ausfalls eines der zahl¬ 
reichen übereinander geschalteten Innervationsraechanismen (sog. Ausfallskontrak- 
turen). Verf. behandelt im wesentlichen nur die bei den Erkrankungen der 
Pyramidenbahnen entstehenden Kontrakturen. Der Versuch Rothmanns, nach¬ 
zuweisen, daß die Kontrakturen nicht zum Bilde der Pyramidenerkrankungen 
gehören, muß entschieden zurückgewiesen werden. — Woher kommt es nun, daß 
bei den spastischen Lähmungen die einzelnen Gliedteile meist nur in ganz be¬ 
stimmten, oft geradezu charakteristischen Stellungen fixiert gehalten werden? Es 
bestehen bisher im wesentlichen 3 Theorien von van Gehuchten (Überwiegen 
der nicht gelähmten Muskeln über die gelähmten durch Zug), L. Mann (Erhalten¬ 
sein eines gewissen Grades von willkürlicher Erregbarkeit bei Muskeln, die in 
Kontraktur geraten) und von Monakow (Kontrakturen sind die Folge eines 
abnorm starken Erregungszustandes der subkortikalen Zentren und der grauen 
Substanz des Rückenmarkes). Es muß auffallen, wie ungemein wechselnd von Fall 
zu Fall die Kontrakturstellungen sind, wie fast jeder Fall seine Eigentümlichkeit 
und Besonderheit hat. Wie ist nun diese große Mannigfaltigkeit der Kontraktur¬ 
stellungen zu erklären? Auf Grund eigener Beobachtungen kommt Verf. zu der 
Ansicht, daß an total gelähmten Gliedern die Ausbildung der Kontrakturstellung 
von der zufälligen Lagerung der Glieder und dem längeren Verweilen in dieser 
Stellung abhängt. Kommt als neues Moment die Wiederkehr der aktiven Be¬ 
weglichkeit hinzu, sei es der direkten willkürlichen Beweglichkeit der einzelnen 
Gliedabschnitte, sei es der gesetzmäßigen unwillkürlichen Mitbewegung eines ein¬ 
zelnen Gliedabschnittes in Verbindung mit bestimmten willkürlichen Bewegungen 
eines anderen Gliedteiles, so hat diese Wiederkehr einen nicht unerheblichen 
Einfluß auf die weitere Ausbildung und Ausgestaltung der Kontrakturen. Aber 
dieser Einfluß kommt im wesentlichen auf dasselbe Grundmoment hinaus, welches 
im Stadium der totalen Lähmung entscheidend war, nämlich darauf, daß längeres 

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Verweilen eines Gliedes in einer bestimmten Stellung zur Kontraktur in dieser 
Stellung fährt. Es ist prinzipiell belanglos, ob das Glied in diese Stellung passiv 
oder durch aktive Muskeltätigkeit gebracht und darin erhalten wird. Als stellung¬ 
gebendes Moment können aber nach des Verf. Meinung neben passiven und aktiven 
Muskelbewegungen auch unwillkörliche Bewegungen, welche das spastisch ge¬ 
lähmte Glied auf irgend einen Beiz hin ausführt, in Betracht kommen. Das 
Gemeinsame bei der Mannigfaltigkeit der stellunggebenden Faktoren ist daB Er¬ 
haltenbleiben in der erteilten Stellung. Diese Theorie zeigt eine weitgehende 
Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Experimente H. Munks an Affen. 
Das Wesen der Kontraktur beruht also darauf, daß jede Muskelgruppe dazu neigt, 
wenn ihre Insertionspunkte durch irgendwelche Faktoren einander genähert werden, 
sich dieser Näherung vermittels aktiver, unwillkürlicher, ällmählich progredienter 
Spannungsentwickelung anzupassen und in diesem Zustand der Verkürzung weiter 
zu verharren. Diese Neigung der Muskeln tritt in einer zur Kontraktur führenden 
Stärke erst hervor, wenn die vom Cortex cerebri zu den subkortikalen Zentren 
ziehenden Bahnen unterbrochen sind. Die Kontraktur ist somit ein subkortikaler 
Fixationsreflex, oder, richtiger gesagt, sie ist die Steigerung des normalen Fixations¬ 
reflexes, des normalen Widerstandes, den jeder Muskel seiner Dehnung reflek¬ 
torisch entgegenstellt. 

Die beiden letzten Kapitel verwendet Verf. zur Besprechung der Kon¬ 
trakturen bei der Paralysis agitans bzw. der senil-artiosklerotischen Muskel¬ 
starre und bei den akinetischen Zuständen der Geisteskranken. Er kommt zu 
dem Resultat, daß bei der ersteren die Erscheinung, daß die Glieder in passiv 
ihnen erteilten Stellungen durch unbewußte Muskelspannung fixiert erhalten 
werden, noch in stärkerem Grade vorhanden ist als bei den Pyramidenbahn¬ 
erkrankungen ; bei der Flexibilitas cerea der Geisteskranken ist die volle Fixations- 
spannung bei Annäherung der Insertionspunkte unmittelbar gegeben. 

19) ▲ study of the eontractures in organic nervous diseases, and their 
treatment, by T. H. Weissenburg. (University of Pennsylvania Medical 
Bulletin. 1905. Juli/August.) Ref.: M. Rheinboldt (Bad Kissingen). 

Die Studie gibt eine Zusammenfassung der bekannten Theorien über die 

Kontrakturen und bezweckt, deren Natur bei den verschiedenen Nervenkrank¬ 
heiten klinisch zu determinieren. Verf. scheidet die Kontrakturen in passive und 
aktive. Die passiven Kontrakturen treten auf als Folge von Gelenksaffektionen, 
Muskelerkrankungen (zu welch letzteren auch die Paralysis agitans gerechnet 
wird), Neuritis, Poliomyelitis anterior. Die passive Beweglichkeit der Glieder 
ist, wenn überhaupt vorhanden, sehr gering. Außere Einwirkungen (Schlaf, Tages¬ 
zeit, Temperatur) haben keinen Einfluß. Die aktiven Kontrakturen sind stets an 
Erkrankungen des Centralnervensystems gebunden. Die therapeutischen Resultate 
(durch Massage, Elektrizität, Mechanotherapie) beurteilt Verf. relativ günstig, 
frühzeitiges Eingreifen vorausgesetzt. 

20) Eine seltene Erkrankung der Pyramidenbahn mit spastisoher Spinal¬ 
paralyse und Baibärsymptomen, von Dr. Kinichi Naka. (Archiv für 
Psychiatrie u. Nervenheilk. XLII. 1906.) Ref.: G. Ilberg. 

Eine 68jährige Frau erkrankte im Anschluß an einen im Februar 1904 
stattgefundenen Fall aufs Knie an den erst in den Beinen, dann auch in den 
oberen Extremitäten sieb geltend machenden typischen Symptomen der spasti¬ 
schen Spinalparalyse. Dazu gesellten sich Sprachstörungen und Schluck¬ 
beschwerden; Atrophien traten nicht auf. Unmotiviertes Lachen und Weinen be¬ 
stand. Im Dezember 1904 kam es zu Thrombosen in den Pulmonalarterien, 
dyspnoischen Anfällen und Tod an Herzschwäche. 

Die anatomische Untersuchung ergab eine Degeneration des kortiko- 
spinalen Neurons der ganzen motorischen Bahn. Mit Pal-Weigert- 

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Giesonscher Methode konnte man eine hochgradige Degeneration der Seitenstrange 
im ganzen Rückenmark nach weisen. Ferner waren die Pyr&midenvorderstränge 
in Hals- und Brustmark und die Pyramidenbahn nach oben bis zum Hirnschenkel¬ 
fuß degeneriert. Mit March ischer Methode waren leichte Veränderungen der 
inneren Kapsel und der Centralwindung zu erkennen. Die motorischen Zellen 
der Paracentral Windung waren vermindert. Leichte Veränderungen zeigten sich 
in einem Teil des Balkens. — Die motorischen Zellen im Halsmark waren leicht 
vermindert Die Bulbürkerne waren nicht stark, bzw. nicht verändert. Verf. 
faßt unter diesen Umständen die Bulbärsymptome als spastische Symptome auf. 

21) Hypotrophie d’origine bacillaire. Troubles de la voie pyramidale, 
par Claude et Lßjonne. (Nouv. Icouographie de la Salpetriere. 1906. 
Nr. 2.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

20jährige Schneiderin, in die Salpetriere aufgenommen wegen Gangstörung. 
Vater war Alkoholiker und tuberkulös, Mutter litt an Dementia senilis, ein 
Bruder starb an Meningitis tuberculosa. Die Kranke Belbst ist von blassem Aus¬ 
sehen, hat mit 15 Jahren Hämoptoe gehabt. Mit 18 Jahren erste Menstruation, 
seitdem unregelmäßig. Mitralinsufficienz und Stenose, 2*/ 2 Millionen rote Blut¬ 
körperchen, über der rechten Lungenspitze SchallabschwächuDg. Zwei Jahre vor 
der Aufnahme bemerkte sie Schmerzen beim Gehen und im Kreuz, zu denen sich 
mit der Zeit auch eine gewisse Schwierigkeit des Ganges gesellte. Sie kann sich 
kaum erheben, wenn sie längere Zeit stillgesessen hat. Die Steifigkeit läßt nach, 
wenn sie ein paar Minuten gegangen ist, kommt aber nach einer halben Stunde 
wieder. Bei passiven Bewegungen geringer Spasmus. Sämtliche Reflexe erhöht. 
Rechts Fußklonus. Intelligenz unter dem Durchschnitt. Die Lumbalpunktion 
verlief negativ. Der Fall erinnert an den Infantilismus angiospasticus von 
Bri&saud und an die in den letzten Jahren veröffentlichten Fälle von Monismus 
mitralis. 

Die Verff. halten diesen Mitralfehler für Folge einer zur Heilung gekommenen 
intrauterinen Endocarditis tuberculosa und weisen auf die Veröffentlichungen von 
Potain, Teissier und Tripier hin. Sie halten die Pyramiden ebenfalls für 
betroffen, ohno sich über den Ort und die Art und Weise der Erkrankung näher 
auszusprechen. Die Läsionen des Herzens wie der Pyramiden seien bis zum 
Beginn der Pubertät latent geblieben. 

22) Über Stichverletzung des Rückenmarkes, von Prof. Hilbert in Königs¬ 
berg. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 30.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Kurze Mitteilung über 2 Fälle von Stichverletzung des Rückenmarkes ohne 

klinische oder therapeutische Sonderheiten. 

23) Meningomyelitis with intense swelling of the spinal cord and of the 
roots of the cauda equina, by William G. Spiller and Eva Rawlings. 
(Proceedings of the patholog. society of Phil.) Ref.: Baumann (Breslau). 

Der wichtigste Befund bei dem von den Verfl'. veröffentlichten Fall war, wie 

schon die Überschrift besagt, die intensive Schwellung des Rückenmarkes und die 
Einlagerung von Knoten in die Bahnen der Cauda equina, die durch die zellige 
Infiltration und die Schwellung der Gewebe verursacht wurde. 

24) Akute Myelitis nach Angina, von Dr. Forest in Straßburg. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1906. Nr. 23.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Myelitis bei einem 2jähr. Kinde nach Angina. 4 l j 2 Monate später wiederum 
Angina, neues Einsetzen der Myelitissymptome. Vor Abheilung derselben noch¬ 
malige Angina und Auftlaramen der spinalen Erscheinungen. 

25) Un cas de sclerose laterale amyotrophique, pur E. Puscarin et A.A.Lam- 
brior. (Revue neurolog. 1906. Nr. 17.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 
40jähriger Arbeiter, nicht belastet, nicht syphilitisch; jetzige Erkrankung 

seit 5 Monaten datierend, Beginn mit abnormen Sensationen und Beweglichkeits- 

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er8chwernng in den oberen Extremitäten, die immer mehr zunimmt; vor kurzem 
begann auch Schwäche in den unteren Extremitäten aufzutreten, sowie auch 
Schmerzen im Nacken und Behinderung der Sprache. Aus dem Status praesens: 
Zahlreiche fibrilläre Zuckungen im Gesichte, Lähmung der Gesichtsmuskulatur, 
hochgradige Parese der Zunge, Lähmung des weichen Gaumens, bulbäre Sprache, 
Kau- und Schluckbeschwerden, Masseterenreflex gesteigert; Atrophie der kleinen 
Handmuskeln (r. > 1.), der Vorderarmmuskulatur, des Biceps und des Deltoideus 
(wieder r. > L); hochgradige Steifigkeit und Parese in den Extremitätenmuskeln, 
fibrilläre Zuckungen, Steigerung der mechanischen Muskelerregbarkeit, Steigerung 
der Sehnenreflexe an den oberen Extremitäten; Sensibilität intakt; Nacken- und 
Brustmuskeln leicht affiziert, sonst die Rumpfmuskeln ziemlich frei; Beginn der 
Affektion auch an den unteren Extremitäten, Steigerung der Sehnenreflexe, spastische 
Parese daselbst, entsprechende Gangstörung, Babinski positiv; Sphinkteren frei, 
Psyche intakt; elektrische Herabsetzung der Erregbarkeit (Entartungsreaktion in 
einzelnen Partien) in den ergriffenen Muskeln. Verlauf: rasche Zunahme der 
Symptome, besonders der Kontrakturen (namentlich am Halse) und der bulbären 
Störungen, Auftreten von Herzschwächeerscheinungen und Atemstörungen (schlie߬ 
lich von Cheyne-Stoke8Schem Charakter); Exitus letalis 2 Monate nach der 
Spitalsaufnahme. Aus dem Sektionsbefunde: Geringes Aortenatherom und Herz¬ 
hypertrophie, sonst nichts nennenswertes. Histologisch: Degeneration der Pyramiden¬ 
bahn — von den Hirnschenkeln nach abwärts durch die Oblongata und das ganze 
Buckenmark zu verfolgen —, in den ungekreuzten Bändeln etwas geringgradiger, 
sowie des anterolateralen und — im Halsmark — zum Teil auch des Gowers- 
schen Bändels, geringe Sklerose des GolIschen Stranges im Halsmark; Atrophie 
der motorischen Vorderhornzellen, besonders intensiv in der Höhe der Hals¬ 
anschwellung und entsprechend dem InnervationBbereich der rechten oberen Extre¬ 
mität; minder ausgesprochene Läsionen der Strangzellen in den korrespondierenden 
Höhen; beiderseits fanden sich ferner Läsionen im Kerngebiet des N. XII, X, 
VII und des motorischen N. V (celluläre und solche der Fasern). 

Die Verff. beschränken sich lediglich auf die Mitteilung des voranstehend im 
Auszüge wiedergegebenen klinischen und anatomischen Befundes und verzichten 
auf einen Kommentar hierzu. 

26) Über pathologiaeh-anatomisohe Befunde im Centralnervensystem in 

einem Fall von amyotrophiseher Lateralsklerose, von Shukowski. 

(Obosrenije psich. 1906. Nr. 6.) Ref.: Wilh. Stieda. 

Beschreibung eines Falles von amyotrophiseher Lateralsklerose, der an 
Bulbärerscheinungen zugrunde ging. Die histologische Untersuchung ergab eine 
Atrophie und Pigmentdegeneration der Vorderhornzellen, der Zellen der bulbären 
Nerven (Hypoglossus, Glossopharyngeus und Facialis) und der Zellen der motori¬ 
schen Rinde. Auf Präparaten nach Pal war vor allem die gesamte Pyramiden¬ 
bahn degeneriert und zwar unterhalb der Kreuzung stärker als oberhalb. Ferner 
fanden sich Degenerationen im Vorderseitenstrang, besonders um das Vorderhorn 
und die Pyramidenstränge herum (entsprechend der Sclerose supplementaire Pierre 
Marie’s), z. T. in den Vorderwurzeln und in den Kernen der drei Bulbärnerven. 
Auf Marchi sehen Präparaten waren die Degenerationen nach oben zu stärker 
ausgesprochen als unten, sie ergriffen ebenfalls das gesamte Pyramidensystem bis in 
die Centralwindungen hinein, wobei sogar vereinzelte kurze Assoziationsfasern der 
Rinde degeneriert waren, ferner den Vorderseitenstrang, den Kleinhirnseitenstrang 
und das Gowerssche Bändel, die Kerne der Bulbärnerven, sie waren vereinzelt in 
der Medulla oblongata, im Fasciculus longitudinalis und in der Substantia reticularis 
zu bemerken und betrafen schließlich auch noch die Peripherie der Hinterstränge 
und etwas die hinteren Wurzeln, besonders im unteren Halsteil. Die kombinierte 
Färbung nach Pal mit oxalsaurem Karmin ergab außer den Degenerationen eine 

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geringe Verdickung der Gefäßwände sowie der Pia im Gebiet der Hinterstränge 
des unteren Halsteiles. 

Die Ansicht, daß in der arayotrophischen Lateralsklerose der Prozeß ein auf- 
steigender ist f findet in diesem Fall eine Stütze in der Differenz zwischen Pal- 
scher und Marchischer Färbung. Nach der Palschen Färbung, die haupt¬ 
sächlich ältere Degenerationen zeigt, war hier eine Abnahme des Degenerations¬ 
prozesses nach oben zu bemerken, während die Marchisehe Färbung stärker 
die oberen, frischeren Degenerationen zeigte. Die Degenerationen im Fase, longi- 
tudinalis und in der anliegenden Substantia reticularis entsprachen wohl Asso¬ 
ziationsbahnen zwischen den drei Bulbärkernen und vielleicht auch gewissen 
Pyramidenbahnen. Als Besonderheit dieses Falles sind die Degenerationen der 
Hinterwurzeln und im Gebiet der Hinterstränge anzusehen. Verf. glaubt sie z. T. 
auf die Kachexie zurückführen zu können, z. T. aber auf die Verdickungen der 
Pia, die wahrscheinlich wohl durch dasselbe toxische Agens hervorgerufen war, 
wie die ganze Erkrankung. Die Degenerationen im Kleinbirnseitenstrang und im 
Go wer8sehen Bündel sind schon so oft bei dieser Erkrankung beschrieben worden, 
daß man sie wohl als zum Bilde gehörig ansehen muß. 

Psychiatrie. 

27) Der geistig Minderwertige in der Armee, von Drastich. (Organ d. 

militär-wissenHchaftl. Vereins. LXXHI. 1906.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Der bekannte Verf. des für Militärärzte so ungemein empfehlenswerten „Leit¬ 
fadens .“ erörtert hier in extenso die Frage der Behandlung der psychisch 

Minderwertigen in der Armee, wobei besonders eindringlich die Wichtigkeit einer 
richtigen frühzeitigen Diagnose betont wird. Derlei Individuen eignen sich über¬ 
haupt nicht für den Heeresdienst; ob ihrer Disziplinarlosigkeit, ihrer Hemmungs¬ 
unfähigkeit, ihrer Alkoholintoleranz (pathologische Rauschzustände), ihres Affekt¬ 
lebens usw. verbringen derartige Leute den größten Teil im Arreste oder Zuchthause 
zu, ohne daß die Armee irgend welchen Nutzen von dem Weiterverbleiben der¬ 
selben im Heeresverbande hätte. 

Tritt Verf. demnach für den Standpunkt ein, daß geistige Minderwertigkeit 
die Diensttauglichkeit in den meisten Fällen ausschließe, so postuliert er anderer¬ 
seits doch — gewiß mit Recht —, daß psychopathische Minderwertigkeit an sich, 
d. h. ohne Psychose s. str. nicht als Strafausschließungsgrund in foro criminali 
gelten dürfe. 

Eingehend werden die verschiedenen Typen der Minderwertigen und deren 
spezielle Beeinflussung durch Dienst, Disziplin usw. erörtert, wie überhaupt das 
genaue Individualisieren des militärischen Verf. sehr zu loben ist. 

Der Aufsatz, dem einige instruktive Krankheitsgeschichten beigegeben sind, 
verdient nicht nur von Fachkollegen, sondern auch von Juristen usw. gelesen 
zu werden. 

28) Ein Knabe als Prediger und Prophet, von Näcke. (Archiv f. Kriminal¬ 
anthropologie usw. XXV.) Autoreferat. 

Ein gesunder, sehr gescheiter Junge von 13 Jahren fängt in einem günstigen 
Milieu plötzlich an zu predigen und Verschiedenes zu prophezeien. Im Predigen 
gibt er auch Gastrollen. Wenn er predigt, ist „der Geist Gottes, der Geist 
Melchisedeks“ über ihn gekommen. Der Ortsgeistliche sucht ihn von seinem 
Treiben abzubringen; umsonst! Da der Zulauf zu dem Knaben immer größer 
ward, schritt die Behörde ein. Der Pfarrer und die Gemeinde halten ihn für einen 
Simulanten; der Arzt, der ihn im Gefängnisse, wo er kurze Zeit war, untersuchte, 
desgleichen. 7 Monate lang ward er dann in einer Irrenanstalt beobachtet und das 
Gutachten hält den Knaben im ganzen damals mehr für krank, als für einen Simu- 

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lanten, obgleich während der Beobachtungszeit auch nicht das geringste Krank» 
hafte vorlag. Das weitere Schicksal des interessanten Falles wird kurz geschildert. 
Der Junge hat weder vorher, noch nachher, den Akten nach, Krankhaftes dar» 
geboten, Verf. hält ihn daher nicht fiir einen pathologischen Schwindler, sondern 
für geistesgesund, oder höchstens zu 25°/ 0 pathologisch. Die „Zustände“ machten 
durchaus den Eindruck des Gemachten und später gestand der Junge als Student 
auch ein, er habe alles auf Betreiben seines Vaters angestellt. Die Pubertät kommt 
kaum in Frage, da der Beginn der „Zustände“ sich bis zum 11. Jahre, ja sogar 
bis zum 9. zurückdatieren lassen. Verf. beleuchtet endlich näher den Jungen, 
aber auch das Milieu, wo man die Kernbildung einer Sekte studieren konnte. 
Auch die Psychologie der plötzliohen „Bekehrungen“ und die der Prophezeiungen 
wird berührt. 

29) Zwei Fälle von psyohisoher Erkrankung, entstanden im Ansohluß an 

politische Ereignisse, von Pawlowskaja. (Obosrenije psichiatrii. 1906. 
Nr. 6.) Ref.: Wilh. Stieda. 

Eine kurze Mitteilung zweier Krankheitsgeschichten, die beweisen sollen, daß 
politische Ereignisse kein ursächliches, sondern nur ein auslösendes Moment in 
der Ätiologie von Geisteskrankheiten sind. In dem einen Fall handelt es sich 
um eine schwer belastete Hysterica, die nach eifrigem Besuch von revolutionären 
Meetings und verschiedenen Unannehmlichkeiten mit der Polizei an hysterisch¬ 
ekstatischen Dämmerzuständen und großen Krampfanfällen, sowie einer allgemeinen 
Verschlechterung ihres Zustandes erkrankte und nach einem Monat Anstaltsbehand¬ 
lung bedeutend gebessert entlassen wurde. Der zweite Fall betraf eine ebenfalls 
schwer belastete Jüdin, die angeblich im Anschluß an die Judenexzesse in 
Krementschug, von denen auch ihre Angehörigen betroffen wurden, an einem 
schweren Depressionszustand mit massenhaften Halluzinationen, Verfolgungsideen 
und Selbstanklagen, Nahrungsverweigerung und Selbstmordversuchen erkrankte. 
Sowohl in den ekstatischen Visionen und Reden der einen, wie in den Hallu¬ 
zinationen und Wahnideen der anderen Kranken spiegelten sich die revolutionären 
Ereignisse wieder, jedoch ließ sich nachweisen, daß bei beiden die Anfänge der 
Erkrankung schon vorher vorhanden gewesen waren. 


Therapie. 

SO) Über einige Fortschritte in der Behandlung der Geisteskranken, nebst 
einem Büokbliok auf die Entwickelung der Irrenbehandlung im neun¬ 
zehnten Jahrhundert, von Dr. H. Hoppe. (Therap. Monatsh. 1906. Mai- 
Juni.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Ein vor praktischen Ärzten gehaltener Vortrag, der die bekannten Elemente 
der modernen Irrenbehandlung — Bettruhe, Beschäftigung, Wachsaal mit Ab¬ 
schaffung der Isolierung, Bäder, Einschränkung der medikamentösen Beruhigungs- 
mittel usw. — ausführlich darstellt, und mit einer Schilderung der Familien¬ 
pflege am Vorbild der Gheeler Kolonie schließt; Verf. bezeichnet die familiäre 
Irrenpflege für einen großen Teil der Geisteskranken als die Verpflegungsform der 
Zukunft. 


III. Bibliographie. 

Chirurgie des praktischen Arztes mit Einschluß der Augen-, Ohren- und 
Zahnkrankheiten (zugleich Ergänzungsband zum Handbuoh der prak¬ 
tischen Medizin), von W. Ebstein und J. Schwalbe. (2. Aufl. I. Hälfte. 
Stuttgart 1907, F. Enke. 384 S.) Ref.: Adler (Berlin). 

Das vorliegende Buch stellt einen Ergänzungsband der zweiten Auflage des 
bekannten Handbuches der praktischen Medizin dar. Während in der ersten 


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Auflage des Werkes die chirurgische Therapie der inneren Krankheiten immer 
im Anschluß an die betreffenden Abschnitte anhangsweise bearbeitet war, haben 
sich die Verff. entschlossen, in der zweiten Auflage die chirurgische Therapie der 
internen Krankheiten als selbständiges Werk herauszugeben, welches einerseits 
für das Handbuch eine unentbehrliche Ergänzung darßteilt, andererseits aber auch 
unabhängig von diesem Handbuch dem praktischen Arzte den gegenwärtigen Stand 
der Chirurgie in völliger Abrundung so weit darstellt, als er ihrer bei seiner 
täglichen Arbeit am Krankenbett bedarf. In der bis jetzt erschienenen ersten 
Hälfte des Werkes sind die Anästhesierungsmethoden, die allgemeine Wundbehand¬ 
lung, die Chirurgie des Schädels, der Wirbelsäule und des Nervensystems, der 
Augen-, Ohren-, Nasen-, Zahn- und Mundkrankheiten, die Chirurgie des Halses 
und des Thorax von hervorragenden Fachmännern bearbeitet. Die zweite Hälfte 
wird die Chirurgie des Gefäßsystems, die gesamte Bauchchirurgie und die Chirurgie 
der Extremitäten enthalten. 

Das ausgezeichnete Werk kann dem Praktiker angelegentlichst empfohlen 
werden. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Psyohiatrlsoher Verein zu Berlin. 

Sitzung vom 15. Dezembar 1906. 

1. Herr Moeli macht einige Bemerkungen über Anstaltebauten im An¬ 
schluß an die Besichtigung von Buch. Vortr. will insbesondere die Gründe 
darlegen, welche für eine Anzahl von Einrichtungen maßgebend waren und er¬ 
läutert diese durch eine Reihe von Diapositiven, wodurch Vergleiche mit der 
Anordnung und den Einrichtungen anderer neuerer Anstalten in klarer Weise 
ermöglicht werden. Die Größenverhältnisse der neuen Anstalt sind einmal durch 
die großstädtischen Verhältnisse im allgemeinen bedingt, dann aber insbesondere 
durch den Umstand, daß der Anstalt eine ungemein große Zahl von körperlich 
Kranken, deren körperliches Leiden durch cerebrale Veränderungen bedingt ist, 
zuströmt. Während diese Kranken in der Provinz zumeist in Hospitälern, Armen¬ 
häusern und anderen Anstalten verbleiben, werden sie in Berlin, wo die Möglich¬ 
keit sie in einer Irrenanstalt unterzubringen wesentlich erleichtert ist, in letztere 
aufgenommen. Der Anteil dieser Personen unter den Anstaltsinsassen mußte als 
ein so großer angenommen werden, daß dadurch der Anstalt gleichsam ein be¬ 
sonderes Gepräge verliehen wurde. Es mußte aber durch die Größenverhältnisse 
die Anstalt etwas Kasernenhaftes erlangen. Der Baumeister hat eine glückliche 
Lösung, um diesen Eindruck zu vermindern, dadurch gefunden, daß er eine Mittel¬ 
achse einschob, in welcher andere Gebäude, als solche, die zur Krankenaufnahme 
bestimmt waren, eingeschoben wurden. Die Übersichtsbilder, welche Vortr. von 
einer Reihe neuerer Anstalten gab, bewiesen nun, wie gegenüber der Anstalt Buch, 
wo große regelmäßige Gebäude in genau symmetrischer Anordnung vorhanden 
sind, bei anderen modernen Anstalten wie Galkhausen, Langenhorn, Johannisthal und 
anderen eine gewisse Regellosigkeit vorherrscht, und wie doch wieder vorgezogen 
wurde, eine große Menge kleinerer Gebäude aufzuführen. Die einzelnen Gebäude 
zeigen nach den verschiedenen Bestimmungen verschiedenen Typ. Berücksichtigt 
ist dabei, daß wieder in den großen massig erscheinenden Häusern diese in kleinere 
Abteilungen zerlegt werden, einerseits damit die Beaufsichtigung nicht zu sehr 
erschwert wird, anderseits damit die Kranken bei einer zu großen Anhäufung 
sich nicht gegenseitig stören. Das Korridorsystem findet sich in den Häusern, 
welche als Lazarette und als Aufnahmestationen bestimmt sind. Vortr. legt dar, 
wie die Anordnung der Einzelräume, welche zu einer Wachabteilung gehören, in 
praktischer Weise bei dem Korridorsystem zur Durchführung gelangen konnte, 


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wie außerdem die Korridore den Kranken, welche, sei es durch körperliche Krank¬ 
heit, sei es zum Zwecke der zunächst durchzuführenden Überwachung, mehr bez. 
ständig ans Haus gefesselt sind, eine größere Bewegungsfreiheit gestatten. Ver¬ 
zichtet ist dagegen auf die den Bau sehr erschwerenden Korridore in denjenigen 
Häusern, welche für solche Kranke bestimmt sind, die tagsüber außerhalb des 
Hauses in Werkstätten oder auf dem Felde beschäftigt sind. Zum Schluß be¬ 
spricht Vortr. noch die Einrichtungen des Verwahrungshauses. Es wurde damit 
gerechnet, daß für etwa 3 °/ 0 der männlichen Anstaltsbevölkerung in diesem Platz 
vorhanden sei, naturgemäß wurde beachtet, daß absolute Sicherheit durch das 
Haus gewährleistet werde. Während in der Anstalt Langenhorn die Schlafräume 
der Wartepersonals sich zwischen den Einzelzimmern der Kranken befinden, hat 
man in Buch davon Abstand genommen, da man davon ausging, daß dem Warte¬ 
personal die Nachtruhe gewährleistet werden müßte und auch nicht erwartet 
werden könnte, daß es zu einer Zeit, wo es schlafen soll, den Kranken einige 
Aufmerksamkeit widmen kann. Demgemäß sind in dem Bücher Verwahrungshaus 
viele kleine Zimmer, und es sind nur so viel Wärter auf der Station vorhanden, 
wie zur Zeit gebraucht werden, während für die dienstfreien außerhalb des Hauses 
besondere Wohnungen vorhanden sind. 

Herr Sander fragt nach der Höhe der Kosten für die Anstalt Buch. 

Herr Moeli erwiderte, daß seines Wissens hierüber noch keine genauen 
Angaben vorliegen. Begründet sei dies dadurch, daß die Centralanlagen für 
mehrere Anstalten eingerichtet sind und daß die ursprünglichen Pläne während 
des Baues noch manche Änderung erfahren hätten. Er glaube nicht, daß der 
Bau zu teuer sei. 

2. Herr Paul Bernhardt (Dalldorf): Hysterisobe Geistesstörung bei einer 

Epileptischen. Vortr. stellt ein junges Mädchen aus stark und gleichartig be¬ 
lasteter Familie vor, das im Anschluß an eine Schwängerung bzw. Entbindung 
epileptisch geworden ist. Infolge von Kummer und Sorgen wurde sie dann 
hysterisch, es haben sich hysterische Zufälle eingestellt und sind jetzt zu einer 
viele Monate lang währenden Bewußtseinsstörung mit Unterbrechung von wechseln¬ 
der Tiefe zusammengeflossen. Aus dieser Trübung lassen sich vier Einzelbilder 
hysterischer Zustände herausheben und umschreiben. 1. Seltene Anfälle, die der 
grande hystörie sich nähern. 2. Farbenprächtige Delirien, in denen eindrucks¬ 
volle und namentlich traurige Geschehnisse aus dem ganzen Leben der Kranken 
sehr dramatisch wieder durchlebt und zu versöhnenden Lösungen geführt werden. 
Auch ekstatische Phantasien kommen vor. 3. Eine Art Stupor mit trauriger 
Grundstimmung. 4. Eine hysterische Moria (aber mit Bewußtseinseinengung). 
Diese Zustände reihen sich zur Zeit nach erkennbaren Regeln aneinander und 
werden von echten epileptischen Zufällen durchbrochen. Mit einem Reminiscenzen- 
delir antwortet die Kranke gewöhnlich auf Ärgernisse, aber auch auf den Versuch 
geistiger Anstrengung, im letzteren Falle steht das Delir mit augenblicklichem 
völligem Verschwinden der Schmerzempfindlichkeit am ganzen Körper im Ver¬ 
hältnisse des gegenseitigen Ersatzes zu einem Vorbeirededämmerzustand ohne 
Analgesie. Dies wird der Versammlung an der Kranken selbst gezeigt. Weshalb 
bzw. inwieweit es sich trotz der unzweifelhaft vorhandenen Epilepsie um Hyste¬ 
rismen handelt, wird des Näheren begründet. (Eine ausführliche Beschreibung 
ist beabsichtigt). Autoreferat. 

In der Diskussion werden von Herrn Falkenberg und vom Vortr. einige 
kurze Bemerkungen über die zu dem obigen Thema gehörige Literatur gemacht. 

3. Herr Reich: Demonstrationen des anatomischen Befundes in dem in 
der Sitsong vom 18. Märs 1905 vorgestellten Fall von „alogischer* 4 Aphasie 
und Asymbolie. Es hatte sich in diesem Falle (vgl. den betr. Sitzungsbericht 
d. Centr. 1905. S.376) um ein aus Asymbolie, motorischer und sensorischer Aphasie 


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bei erhaltenem Nachsprechen, Apraxie, Alexie und Agraphie sich zusammensetzendes 
Symptomenbild gehandelt, wobei die fraglichen Symptome in sehr ausgeprägtem 
Maße vorhanden waren. Motorische oder sensible Lähmungen oder Störungen 
auf dem Gebiete der höheren Sinnesorgane bestanden nicht, auch gelang es wahr* 
scheinlich zu machen, daß die Erinnerungsbilder der verschiedenen kortikalen 
Gebiete erhalten seien. Das Symptomenbild wurde bo erklärt, daß bei Erhalten¬ 
sein sämtlicher kortikaler Gebiete im Sinne Wernickes durch einen diffusen 
Prozeß in der Rinde diejenigen Gebiete beschädigt seien, die der Verbindung der 
kortikalen Gebiete dienen. Die Erkrankung wurde daher mit Rücksicht darauf, 
daß vermutlich die zugrundeliegende Störung dadurch bedingt sei, daß das für 
die Erkennung und Vorstellung erforderliche kiyeiv oder millifeiv (Sammeln) der 
Erinnerungsbilder der verschiedenen kortikalen Gebiete aufgehoben sei, als Alogie 
und ihre Komponenten als alogische Aphasie, Asymbolie und Apraxie bezeichnet 
Die Sektion ergab entsprechend dieser Annahme eine ausgedehnte 'Atrophie der 
Hirnrinde der linken Hemisphäre, die in elektiver Weise die Bezirke der Flechsig- 
schen Assoziationscentren ergriffen hatte, während die Gebiete der Projektions- 
centren von der Atrophie verschont geblieben waren. Es waren von der Atrophie 
ergriffen an der linken Hemisphäre der Frontallappen (vorderes Assoziationscentrum), 
die Insel (mittleres Assoziationscentrum) und ferner in Form eines gemeinsamen 
Herdes der Gyrus supramarginalis, angularis und die Temporalwindungen mit Aus¬ 
nahme der hinteren Hälfte des ersten (großes hinteres Assoziationscentrum). Ver¬ 
schont geblieben waren dagegen der Fuß der dritten Stirnwindung (Broca’sche 
Stelle — Erinnerungsfeld der Sprachbewegungsvorstellungen), die hintere Hälfte 
der ersten Schläfen Windung (Wernicke’sche Stelle = akustisches Erinnerungsfeld), 
die vordere und hintere Centralwindung (Gebiet der sensiblen und motorischen 
Erinnerungsbilder) und der Occipitallappen (Gebiet der optischen Erinnerungs¬ 
bilder). An der rechten Hemisphäre bestand Atrophie nur in der Rinde des 
Temporallappens und zwar mit Ausnahme der ersten Temporalwindung. Vortr. 
spricht sich dafür aus, daß in seinem Falle die Rindenatrophie als eine System¬ 
erkrankung der Rindenfasern der späten Markreife anzusehen sei und glaubt, daß 
wohl auch eine Anzahl derjenigen Fälle, die als zirkumskripte Rindenatrophie 
beschrieben sind, in der Weise zu erklären sind, daß in ihnen dasselbe Faser¬ 
system partiell erkrankt ist, dessen Atrophie in dem demonstrierten Falle in der 
linkeu Hemisphäre in ganzer Ausdehnung stattgefunden hat. Ascher (Berlin). 


Ärztlloher Verein in Hamburg. 

Sitzung vom 6. November 1906. 

Herr Fraenkel zeigt Präparate und Photogramme von sogen. Sohweizer- 
Käse-Gehirnen und erläutert die Entstehung dieses seit dem Jahre 1870 durch 
Clarke bekanut gewordenen, von diesem Autor sehr zutreffend als Gruyöre-cheese- 
condition bezeichneten, seiner Genese nach erst in den letzten 6 Jahren klar- 
gestellten, Zustandes. Besonders die Untersuchungen von F. Hartmann, von Pick, 
von Westenhöfer, von Chiari und von Saltykow sowie von Pierre Marie 
haben den Beweis dafür erbracht, daß man es mit postmortal entstandenen, auf 
das bereits ante mortem erfolgte Eindringen gewisser Bakterien zurückzufuhrenden 
Hohlräume zu tun hat, die, teils subpial gelegen, gewaltige Erweiterungen der 
Hirnfurchen darstellen, teils die eigentliche Hirnmasse durchsetzen und dadurch 
der Schnittfläche eine an das Aussehen von Schweizer Käse erinnernde Beschaffen¬ 
heit verleihen. Für die postmortale Entstehung der Hohlräume spricht einmal 
das Fehlen klinischer, auf eine vorangegangene Erkrankung des Hirns hinweisender 
Erscheinungen und anatomisch die absolute Reaktionslosigkeit der die Hohlräume 

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begrenzenden Wandungen, innerhalb deren man dagegen reichliche Bazillen- 
anhänfnngen trifft, ebenso wie in ihrer Umgebung. Auch in den Hirngefäßen 
begegnet man isolierten oder zu Schwämmen vereinigten Bazillen. Meist handelt 
es sich um anaerobe Bakterien, am häufigsten um den B. phlegmon. emphysematodes, 
indes kommen auch andere anaerobe Bakterien, möglicherweise auch das Bact. 
coli in Betracht. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die Hohlraumbildung 
noch an in Formol konservierten Gehirnen vor sich gehen kann, wofür besonders 
eine von Chiari mitgeteilte Beobachtung beweiskräftig ist. Chiari hatte die 
eine Hälfte eines Gehirns, dessen andere er gleich nach der Sektion in Formol 
eingelegt hatte, frisch zerlegt und frei von jeglichen Veränderungen gefunden, 
während er in der längere Zeit nach der Formolhärtung aufgeschnittenen Hemisphäre 
den ausgebildeten etat du fromage de Gruyöre nachwies. Vortr. hat die Frage 
experimentell bearbeitet, indem er in völlig normale Gehirne von beliebigen 
Leichen von der Arteria basilaris und von der Carotis interna aus Kultur¬ 
aufschwemmungen des Bac. phlegmon. eraphysem. injizierte und die 
Gehirne für meherere Tage bei Bruttemperatur in Formol konservierte. Die 
Gehirne schwammen dann in der Formollösung und zeigten aufgeschnitten, 
wie an zwei der demonstrierten Gehirne kenntlich ist, das klassische Bild des 
etat du fromage de Gruyäre. Die lufthaltigen, in der Größe sehr wechselnden 
Räume waren in allen Teilen des Gehirns aufgetreten, besonders zierliche Bilder 
boten Durchschnitte durch die Varolsbrücke und die Kleinhirnhemisphären. Auch 
histologisch unterschieden Bich solche Hirne in nichts von jenen, bei denen sich 
der Zustand spontan entwickelt hatte und gleich bei der Sektion des der Leiche 
frisch entnommenen Gehirns festgestellt worden war. Das Schweizer-Käse-Gehirn 
ist, wie aus diesen Darlegungen bervorgeht, den Schaumorganen zuzurechnen und 
der sogen. Schaumleher oder Schaumniere an die Seite zu stellen. Autoreferat. 

Herr Nonne erinnert an die CaiBSonkrankheit, bei der eB ebenfalls zu Gas¬ 
austritt aus den Blutbahnen in die Gewebe kommt. Er Bebildert die einschlägigen 
Fälle, wie sie von von Leyden, Schultze, Schrötter, Hoche u. a. klinisch 
geschildert und anatomisch untersucht sind. 

Herr Saenger demonstriert 1. die Nebennieren und eine Niere einer an 
Morbus Addisonii verstorbenen Frau. Eine 37 jährige Frau kam am 25. Sep¬ 
tember 1906 in die Sprechstunde des Vortr. mit den Angaben, daß sie sehr 
nervös sei und sich bo matt fühle, daß sie nicht imstande sei, etwas zu tun. Wegen 
Nervosität sei sie an die See geschickt worden, wodurch sie sehr eingebrannt sei. 
Früher war Bie stets gesund, außer daß sie einmal eine Unterleibsoperation durch¬ 
gemacht habe. Dem Vortr. fiel sofort die dunkle Pigmentation des Gesichtes, 
namentlich um die Augen herum, auf. Auf der Schleimhaut der Lippen, in der 
Mundhöhle, auf dem Zahnfleische fanden sich fleckweise Pigmentationen. Auf der 
Brust- und Bauchhaut befanden sich tiefbraune Pigmentationen. Die Untersuchung 
des Nervensystems ergab keine Abweichung von der Norm. Da dem Vortr. vom 
Gatten der Patientin mitgeteilt worden war, daß bei der Unterleibsoperation von 
dem Operateur eine tuberkulöse Unterleibsaffektion konstatiert worden war, so 
wurde vom Vortr. die Diagnose auf Morbus Addisonii gestellt infolge von Tuber¬ 
kulose der Nebennieren. Die Patientin kam ins Krankenhaus. Suprarenalin 
wurde ohne jeden Erfolg gegeben. Die Schwäche nahm immer mehr zu. Bald 
erfolgte der Exitus. Die Sektion ergab eine doppelseitige Verkäsung der Neben¬ 
nieren. Die rechte Niere war in einen dünnwandigen Sack mit dickem Käse 
umgewandelt. Kompensatorische Hypertrophie der linken Niere. In beiden Lungen¬ 
spitzen Schwielen. Operativer Defekt einer Tube. Am Bauchfell einige Ver¬ 
wachsungen. 

2. demonstriert Vortr. die mikroskopisohen Präparate einer Neuritis 
optioa retrobulbaris. Eine 55 jährige Frau kam am 19. April d. J. ins 

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Allgemein© Krankenhaus St. Georg wegen Schwäche in den Armen, Schmerzen 
in den Gelenken und Schwäche in den Beinen. Am 27. Juni klagte die Patientin 
über Schmerzen im rechten Auge. Am 29. Juni Abnahme des Sehvermögens bei 
normalem Augenhintergrund. Am 1. Juli völlige Amaurose rechts und Pupillen¬ 
starre direkt; indirekt reagierte die Pupille. Die linke reagierte direkt, indirekt 
jedoch nicht. Vortr. stellte daraufhin die Diagnose einer akuten retrobulbären 
Neuritis im Canalis opticus, weil er annahm, daß durch die frische Entzündung ein 
Druck auf die nicht entzündeten Teile des Opticus ausgeübt worden sei, welche 
infolge des umschließenden Canalis optic. dem Drucke nicht aus weichen konnten; 
hierdurch wurden alle Fasern des Opticus, also auch die Pupillenfasern, leitungs¬ 
unfähig. Daher völlige Amaurose und Pupillenstarre. Die Sektion bestätigte die 
Diagnose. Schon makroskopisch sah man auf dem Querschnitte des geschwollenen 
Opticus vom Canalis opticus eine in der Mitte gelegene, runde rote Zone. Nach 
Erhärtung zeigte sich beim Schneiden, daß in der Mitte eine entzündliche klein¬ 
zellige Infiltration vorhanden war. Das angrenzende Gebiet des Opticus war zum 
Teil degeneriert. Die Randpartien erschienen jedoch wenig verändert. Die Bündel 
waren erhalten. Nur in einzelnen waren Lücken vorhanden. Autoreferat. 


Sitzung vom 20. November 1906. 

Herr Nonne zeigt das Hirn und Rückenmark eines Falles von Meningitis 
oerebrospinalis purulente, welche entstanden war im Anschluß an eine 
Kugelverletsung des Gehirns, die vor 0 Jahren stattgefunden hatte. Patient 
war 2 Tage vor der Aufnahme akut erkrankt ohne nachweisliche Ursache. Die 
bakteriologische Untersuchung der trüben und abnorm druckerhöhten Spinal¬ 
flüssigkeit sowie des aus der rechten Vena mediana entnommenen Blutes (20 ccm) 
ergab Reinkultur von Pneumokokken (L&nceolatus). Tod nach 2 Tagen. Bei der 
Sektion fand sich ausgedehnte Leptomeningitis cerebr. basalis, außerdem eine 
Eiteransammlung (Diplococcus lanceolatus im Ausstrichpräparat) auf der Oberfläche 
des linken Nucleus caudat. Bei senkrechtem Einschneiden fand man eine halbe 
Kugel, welche im vordersten Schenkel der inneren Kapsel, an der Verbindungs¬ 
stelle zwischen äußerer und innerer Kapsel, dicht nach außen vom äußeren Glied 
des Linsenkernes saß. Das Gewebe zwischen Kugel und Oberfläche des Nucleus 
caudat. war eitrig imbibiert. Keine Einkapselung der Kugel. Vom Schu߬ 
kanal nichts zu finden. Die andere Hälfte der Kugel fand sich an der 
Innenseite des linken Schläfenbeines, dicht an der Grenze zum Stirnbein. Patient 
hatte vor 6 Jahren sich mit einer Revolverkugel in die rechte Schläfe geschossen 
und hatte damals keine Lähmungs- oder sonstige Erscheinungen davon getragen. 
Vor 4 Jahren hatte der Patient einmal kurz hintereinander zwei schwere echt 
epileptische Anfälle, war seither ganz gesund und speziell ohne alle nervösen Be¬ 
schwerden gewesen. Eine andere Ursache für die Eiterung im Hirn fand sich 
auch nach Sektion aller Nebenhöhlen sowie der Körperorgane nicht. N. weist 
auf die lange Symptomlosigkeit des durchaus nicht indifferent intracerebral ge¬ 
legenen Projektils hin, sowie darauf, daß auch die bisherigen Erfahrungen ergeben 
haben, daß bei Spätabscessen nach eingedrungenen Projektilen sich dieselben immer 
in der Tiefe des Hirns fanden. 

Herr Nonne zeigt weiter das Präparat eines Falles von Tumor des 
Pons, der unter dem Bilde des Kleinhirnbrückentumors verlaufen 
war. Es handelte sich um einen 40jährigen Mann, der 10 Monate auf der 
Abteilung des Vortr. war. Er war 10 Wochen vor der Aufnahme auf die Ab¬ 
teilung unter Erscheinungen von Kopfschmerz und Erbrechen erkrankt, hatte das 
Bewußtsein verloren und war vorübergehend am linken Bein paretisch gewesen. 
Die weitere Anamnese ergab, daß er bereits seit 5 Monaten an Kopfschmerz und 
Abnahme der geistigen Fähigkeiten litt; anamnestisch sonst nichts von Bedeutung, 


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speziell kein Potus, keine Lues, kein Trauma. Die Untersuchung ergab leichte 
Benommenheit vom Charakter der „Tumorbenommenheit“, leichte Empfindlichkeit 
des Hinterhauptschädels, abnorme Frequenz (!) des Pulses (100—120 Schläge in 
der Minute), Lebhaftigkeit der Sehnenreflexe beider unteren Extremitäten, An¬ 
deutung von BabinBki links. Innere Organe normal, Urin frei von Eiweiß und 
Zucker. Allmählich entwickelte sich eine rechtsseitige Fazialisparese von peri¬ 
pherischem Charakter, dann fiel eine Störung des Hörvermögens rechterseits auf, 
welche (Dr. Thost) für nervös erklärt wurde. Ferner trat auch eine Lähmung 
des rechten Abducens und im weiteren Verlauf Areflexie der rechten Cornea sowie 
Hypasthesie liir alle Qualitäten der Sensibilität an Stirn und Wange rechterseits auf. 
Schon vorher war Schwanken und Taumeln aufgetreten wie bei cerebellarer Er¬ 
krankung, außerdem eine an Intensität stetig wachsende Stauungspapille. Der 
Spinaldruck war erhöht (530 mm Wasser); im Spinalpunktat mikroskopisch aus¬ 
gesprochene Lymphocytose. Lähmungen an den Extremitäten traten nicht auf. 

Die Sehnenreflexe blieben lebhaft, und meistens — nicht immer — waren sie in 
der linken unteren Extremität lebhafter als rechterseits. Babinski nicht konstant, 
aber häufig, linkerseits. Die Diagnose wurde gestellt auf einen Tumor im Klein- 
birnhriickenwinkel der rechten Seite. Im weiteren Verlauf trat auch Schwerhörigkeit 
auf dem linken Ohr auf und ferner, zunächst vorübergehend, dann dauernd, Beiz¬ 
zustände im linken Facialis. Eine Schmierkur brachte nur vorübergehend subjektive 
Besserung. Wegen der ausgesprochenen Lymphocytose wurde bis zuletzt mit der 
Möglichkeit eines gummösen, gegen Quecksilber refraktären Tumors gerechnet. 

Von dem Versuch einer Operation wurde Abstand genommen, weil wegen der 
Doppelseitigkeit der Facialis- und Acusticus-Erscheinungen, in Ansehung der aus 
der Literatur sich ergebenden Häufigkeit der Multiplizität der Tumoren im Klein¬ 
hirnbrückenwinkel, auch hier eine Doppelseitigkeit für wahrscheinlich gehalten 
wurde. Die Sektion zeigte, daß es sich um ein derbes, sehr zellarmes Fibro-Sarkom 
handelte, welches zwischen Brücke und Kleinhirnhemisphäre rechts saß, die Klein¬ 
hirnhemisphäre nur komprimierte und in die Brücke hineingewuchert war. Nerv, 
facialis, acusticus, abducens und trigeminus wurden vom Tumor gedrückt. In dem 
PonB war der Tumor biB in die linke Seite hinüber gewachsen, während der linke 
Facialis und acusticus an der Basis von Druck frei waren. N. bespricht die 
Symptome der langsam wachsenden Ponstumoren sowie der Tumoren im Klein¬ 
hirnbrückenwinkel, der centralen Neurofibromatose usw. (Henneberg und Koch, 
Funkenstein u. a.). 

Diskussion: / 

Herr Bontemps berichtet über einen Fall von Meningitis purulenta 
1 s / 4 Jahre nach HirnBchuß mit eingeheilter Kugel. Im verflossenen Winter 
wurde im hiesigen Hafenkrankenhaus ein 15jähriges Mädchen eingeliefert, das 
die Symptome einer eitrigen Meningitis bot. Die Anamnese ergab, daß die Pa¬ 
tientin l»/ 4 Jahre vor Ausbruch der jetzigen Krankheit versehentlich von einem 
Spielkameraden mit einer Pistole gesohoBsen war. Das Geschoß war dicht ober¬ 
halb des medialen Endes des linken Supraorbitalrandes in die Schädelkapsel ein¬ 
gedrungen. Die Wunde war damals reaktionslos verheilt, ohne Funktionsstörungen 
motorischer, sensibler oder psychischer Art zurückzulassen. In der Zwischenzeit 
war Patientin nicht krank gewesen. Vor dem Ausbruch der jetzigen Krankheit soll 
Patientin auf den Kopf gefallen sein, ohne aber irgendeine Verletzung davon¬ 
getragen zu haben. Da die Anamnese den Gedanken nahe legte, daß die im 
Gehirn zurückgebliebene Kugel den Ausbruch der Meningitis veranlaßt hätte, so 
wurde von Herrn Oberarzt Dr. Lauenstein die Trepanation versucht. Das 
Röntgogramm des Schädels ließ die Kugel im rechten Hinterhauptslappen er¬ 
kennen. Auf den vermutlichen Sitz wurde nun eingegangen, die Kugel wurda 
jedoch nicht gefunden. Gleich nach der Operation starb Patientin. Die Sektion 


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ergab eine eitrige Meningitis, als Erreger derselben fand ich Pneumokokken. 
An der Großhirnbasis und am Kleinhirn fanden sich reichliche Eitermassen, die 
Ventrikel enthielten bei der späteren Eröffnung trübe Flüssigkeit. Die Keilbein* 
höhle, Stimbeinhöhlen, Siebbeinhöhlen waren frei von Eiter. Die verheilte alte 
Einschußöffnung an dem Stirnbein war nur durch einige Knochenrauhigkeiten 
kenntlich. An der Hirnoberfläche war keine Narbe zu finden, nur der linke 
Stirnlappen zeigte eine geringe bräunliche Verfärbung an der Basis, die in Gestalt 
eines kleinen Streifens nach hinten und medialwärts verlief. Um den genauen 
Sitz der Kugel zu finden und das Präparat zu erhalten, wurde das Gehirn nach 
vorherigem Härten in Formalin röntgographiert. Auf dem Röntgogramm fand 
sich die Kugel im rechten Hinterhauptslappen dicht unter der Oberfläche der 
Hemisphäre, an derselben Stelle, welche auch das alte Röntgenbild de6 Schädels 
als Sitz der Kugel angezeigt hatte. Nach vorsichtigem Sondieren wurde dann 
die Kugel im rechten HinterhauptBlappen etwa 1 mm weit von der Oberfläche der 
Hemisphäre, 5 cm weit von der Spitze und Mitte des Hinterhauptslappens und 
2 cm oberhalb deB Tentorium cerebelli gefunden. Die Kugel selbst war von einer 
Bindegewebskapsel umgeben, ihre Umgebung war frei von Eiter. Wenige Centi- 
meter von der Kugel befanden sich nach vorn zu einige bräunlich pigmentierte 
Stellen in der Hirnmasse. Sonst wies nichts auf die frühere Durchschießung des 
Gehirns hin. Makroskopisch sichtbare Narben waren nirgends zu finden. Autoreferat. 

Herr Saenger hat 4 Fälle von Geschwülsten des Kleinhirnbrücken¬ 
winkels beobachtet. Den letzten Fall sah er im Januar 1906. Es handelte 
sich um einen 14 jährigen Jungen, bei dem vor 2^ Jahren eine Schwerhörigkeit 
links sich eingestellt hatte. Seit 2 Jahren hatte er einen unsicheren Gang. Seine 
Intelligenz soll unvermindert sein. Er war immer einer der besten Schüler. Die 
Untersuchung ergab einen taumelnden Gang; das linke Bein wurde spastisch 
ataktisch aufgesetzt. Es bestand eine Ataxie und Tremor der Hände, speziell der 
linken Hand. Beiderseits war das Babinskische Phänomen nachzuweisen. Pa- 
tellar- und Achillesreflexe waren vorhanden, ebenso sämtliche Hautreflexe. Die 
Sensibilität war intakt, speziell auch im Trigeminusgebiet. Es bestand keine 
Areflexie der Cornea. Ein leichter Nystagmus, ferner doppelseitige Stauungs¬ 
papille waren zu konstatieren. Während der Beobachtungszeit litt Patient an 
heftigem Kopfschmerz, an Krampfanfällen, wobei alle Extremitäten zuckten und 
der Kopf nach links herumgeschleudert wurde. S. stellte die Diagnose auf einen 
Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel, wahrscheinlich ausgehend vom Acusticus. Er 
schlug die Palliativtrepanation über der linken Kleinhirnhemisphäre vor. Der 
Vater ging mit dem Sohne nach Berlin zu Herrn Prof. Oppenheim. Letzterer 
bestätigte die Diagnose, und Herr Prof. Fedor Krause machte denVersuch, die 
Geschwulst zu exstirpieren. Leider starb der Knabe unmittelbar nach der Ope¬ 
ration. Die Sektion bestätigte die Diagnose. — Im 2. Falle handelte es sich um 
eine 46jährige Frau, die seit 1897 leidend war. 1896 war sie mit dem Kopf 
gegen eine Tür gestürzt und bewußtlos geworden. In der Folge oft heftige Kopf¬ 
schmerzen mit Erbrechen. Einmal war sie bewußtlos niedergestürzt. Wesentliche 
Verschlechterung des Gedächtnisses. 1898 litt sie unter heftigen Kongestionen 
gegen den Kopf, plötzlichem Erbrechen, Zittern der Hände. Die Untersuchung 
ergab taumelnden Gang, doppelseitige Stauungspapille, linksseitige Hemiparese, 
Herabsetzung des linksseitigen Corneal- und Konjunktivalreflexes, Hemmung der 
assoziierten Augenbewegungen nach links, Abnahme des linksseitigen Hörvermögens 
und Zittern der Zunge und Lippen beim Sprechen. Im Juni 1898 wurde eine 
Palliativtrepanation über der linken Kleinhirnhemisphäre gemacht. Hierauf gingen 
die Stauungspapillen vollständig zurück, und das Sehvermögen hob sieb. Die 
Kopfschmerzen und das Erbrechen traten nicht mehr so intensiv auf. 8 / 4 Jahre 
nach der Operation erfolgte der Exitus. Die Sektion ergab an der Hirnbasis 


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einen kartoffelgroßen Tumor, der zwischen Kleinhirn, Pons und Medulla oblongata 
auf der linken Seite eingekeilt war. Der linke Trigeminus erschien platt, wie 
aufgefasert, der linke Abducens und linke Facialis verdünnt, und der linke 
AcusticuB war in der Geschwulst untergegangen. Im 3. Fall, den er auf der 
Abteilung des Herrn Dr. Jollasse gesehen hatte, handelte es sich um eine 
cerebellare Gangstörung, doppelseitige Stauungspapille, dysarthrische Sprachstörung, 
Zittern der Hände. Erst später stellte sich links eine Gehörstörung ein. Ganz 
plötzlicher Exitus. Bei der Autopsie fand sich ebenfalls ein Fibrom des Acusticus, 
das eine ähnliche Lage wie das vorherbeschriebene hatte, aber wesentlich kleiner 
war. Einen 4. Fall erinnert sich S. im Altonaer Krankenhause gesehen zu 
haben. Der betreffende Patient, war völlig blind und taub. Atrophia optici ex 
neuritide beiderseits. Taumelnder Gang. In beiden Kleinhirnbrückenwinkeln 
befand si,ch je ein etwa wallnußgroßer Tumor. 

Zum Schluß demonstriert Vortr. eine haselnußgroße Geschwulst, die in der 
Rinde der linken Kleinhirnhemisphäre gelegen war. Die angrenzende subkortikale 
Partie war überwallnußgroß, cytisch degeneriert und reichte bis zum Bindearm 
hin. Der Sitz dieser Geschwulst war von S. diagnostiziert worden. — Es 
handelte sich um einen 32 jährigen Mann, der von jeher schwächlich und hereditär 
schwer belastet war. (Geisteskrankheit, Diabetes). In letzter Zeit stellten sich 
bei dem Patienten Störungon des Ganges und eine Blasenstörung ein. Nebenbei 
bot er exquisit hysterische Symptome dar. Die Untersuchung ergab Fehlen der 
Patellar- und Achillesreflexe; Ataxie der linken Hand und des linken Beines. 
Linksseitige Hemiparese. Links Neuritis n. optic. Rechts Hyperaemie des 
Opticus. Fehlen der Bauch* und Cremasterreflexe. Der Gang war stark 
taumelnd. Patient grimassierte viel und warf sich mit grotesken Bewegungen 
im Bett umher. Autoreferat. 

Herr Umber: Im Anschluß an die Ausführungen von Nonne und Saenger 
berichtet U. über einen Fall von multipler, symmetrischer, centraler und 
peripherer Neurofibromatose, den er vor 3 Jahren auf seiner Abteilung des 
Altonaer städtischen Krankenhauses beobachtet hat, und der durch manche 
klinische und anatomische Eigenschaften besonders ausgezeichnet ist, vor allem 
auch dadurch, daß der betreffende Kranke auch vorzugsweise symmetrisch 
angeordnete Neurofibrome der Haut aufwies, die in derartigen Fällen für die 
Differentialdiagnose wertvoll sind. (U. fragt die Vorredner, ob in ihren Fällen 
gleichfalls Neurofibrome der Haut vorhanden gewesen sind.) Die klinische 
Beobachtung, die sich leider nur auf 4 Tage vor dem plötzlich eintretenden 
Tode erstreckte, war folgende: 17jähriges Mädchen, das erst im dritten 
Lebensjahre laufen gelernt hat. Es hat sich zwar in früher Kindheit an den 
Spielen Beiner Altersgenossen beteiligen können, ist aber der Umgebung durch 
häufiges Stolpern und Fallen von jeher aufgefallen. Von Kindheit an soll bereits 
eine leichte Parese der rechten Gesichtshälfte bestanden haben, das rechte Auge 
soll von jeher nicht geschlossen worden sein, außerdem habe das rechte Auge 
„nie sehen können“. Vom 12. Lebensjahr an war die rechte Gesichtshälfte völlig 
gelähmt, und besteht seitdem rechts Lagophthalmus. Vor 2 Jahren — also im 
15. Lebensjahre — Anfall von heftigen Kopfschmerzen, Schmerzen in den Gliedern 
und im Rücken, die wochenlange Bettruhe notwendig machten. Nach dem Auf¬ 
stehen wahrnehmbare Schwäche des rechten Beines und rechten Armes, Hand¬ 
arbeiten konnten von da ab nicht mehr angefertigt werden, weil die Hand die 
Nadel nicht mehr zu führen vermochte. 4 Wochen vor der Aufnahme in die 
Abteilung plötzlicher Schwindelanfall und Hinstürzen. Als man ihr aufhelfen 
wollte, vermochte sie nicht mehr zu stehen, weil das rechte Bein, ebenso wie der 
rechte Arm völlig gelähmt waren. Dabei bestanden heftige Kopfschmerzen, „als 
ob der Kopf in der Mitte abgeteilt sei“, besonders nach dem Schlafen, sowie 

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Schmerzen im ganzen Körper, und ein gewisses Krampfgefühl im Schlund nach 
dem Schluckakt. Der Stuhl seitdem angehalten, Urinlassen erschwert Menses 
seit dem 12. Lebensjahr, regelmäßig, zuletzt vor 3 Wochen. Vater ist geistes¬ 
krank, sonst keine familiäre Belastung. Bei der Aufnahme auf der Abteilung 
(5./XI. 1903) erwies sich die Kranke als intelligentes und lebhaftes Mädchen in 
mittlerem Ernährungszustand, auftällige Zwangslage im Bett, indem Rumpf und 
Wirbelsäule einen nach rechts konvexen Bogen bilden, der Kopf krampfhaft 
nach links gedreht wird, infolge schlaffer Lähmung der ganzen rechten Körper¬ 
hälfte bei erhöhter Muskelspannung der linken Seite. Die schlaffe Lähmung betraf 
den rechten Sternocleidomastoideus, die rechte obere und untere Extremität, die 
rechten Brust-, Bauch- und Rückenmuskeln, die rechte Zwerchfellshälfte. Von den 
Hirnnerven war der rechte Facialis völlig gelähmt und zwar der untere wie der 
obere Ast (Lagophthalmus), es bestand rechterseits eine völlige nervöse Taubheit 
und rechtsseitige Opticusatrophie. Die rechte Lidspalte ist größer wie die linke, 
das Blinzeln auf dem rechten Auge ist völlig aufgehoben, es besteht eine leichte 
Insufficienz des rechten Rectus internus mit ausgesprochenem horizontalem 
Nystagmus beiderseits bei Konvergenz sowie bei Blickrichtung nach innen und 
nach außen. Auch erreicht die rechte Cornea beim Blick nach außen nicht 

den äußeren Lidwinkel. — GeruchBvermögen rechterseits nachweislich herab¬ 
gesetzt, aber nicht aufgehoben. Auf der rechten hinteren Zungenhälfte ist das 
Geschmackvermögen für süß und bitter merklich herabgesetzt. Beim Atmen 

bewegt sich nur die linke Thoraxhälfte und die linke Zwerchfellhälfte. Auf der 
linken Körperhälfte ist vor allem eine ausgesprochene Hemiatrophia linguae 

bemerkenswert. Die Zunge weicht beim Herausstrecken nach links ab, zeigt fibrilläre 
Zuckungen. Die linke Papille zeigt eine beginnende Neuritis optica, Nn. III, 
V, VI, VII, VIII (Ticken der Uhr auf 33 cm wahrnehmbar) IX, X, XI sind links 
völlig funktionstüchtig. Am Stamm und den Extremitäten keinerlei sichtbare 

Atrophie der Muskeln, keine fibrillären Zuckungen. Die Sensibilität ist allerwärts 
erhalten, für alle Qualitäten, vielleicht in toto etwas herabgesetzt. Die Reflexe 
sind allerwärts erhalten und durchaus lebhafter als normal, Knie- und Achilles- 
sehnenreflexe am schlaff gelähmten rechten Bein stark erhöht, ausgesprochener 
Fuß- und Patellarklonus rechts. Bauchdeckenreflexe rechts erloschen, links erhalten. 
Blasen- und Mastdarmlähmung. Herzaktion regelmäßig, Pulse leicht beschleunigt, 
schwanken zwischen 90—110, Herztöne rein. Lungenbefund normal, keine 
Temperaturerhöhungen. Weitere Untersuchung wurde durch plötzlichen Exitus 
bereits am 10./XI. vereitelt. Besonders zu bemerken ist das Bestehen mehrfacher, 
vorzugsweise symmetrisch angeordneter pigmentierter Neurofibrome der Haut: zwei 
gut haselnußgroße weiche Tumoren in der Haut der Sakralgegend. Im oberen 
äußeren Sektor der rechten Mamma ein pfennigstückgroßer nicht erhabener Naevus 
pigmentosus und beiderseits in der Linea mammillaris eine Anzahl stark pigmen¬ 
tierter erhabener Knötchen in der Haut, die sich nachher bei der mikroskopischen 
Untersuchung als Neurofibrome (Demonstration der Präparate) erwiesen. Sie 
erinnerten an akzessorische Mammillen bei Polythelie. Die Obduktion hatte 
folgendes Ergebnis: Im Kleinlurnbrückenwinkel beiderseits symmetrische Fibrome: 
rechts ein wallnußgroßes, links ein kirschgroßes Fibrom, das beiderseits nicht vom 
Acusticus, sondern vom Facialis ausging. Das rechtsseitige wallnußgroße Facialis- 
fibrom hatte die Funktion des Nerven also völlig aufgehoben und sich — der 
Anamnese zufolge — zweifellos schon in der ersten Kindheit entwickelt, das 
linksseitige kirschgroße hatte die Funktion nicht beinträchtigt. DaB mikroskopische 
Präparat (Demonstration) — die Präparate hat Dr. Geelvink angefertigt — 
gibt die Erklärung hierfür: die Nervenbündel laufen unversehrt über die Ober¬ 
fläche des Tumors hinweg und zum Teil auch im Centrum desselben (Weigertsche 
Markscheidenfärbung der Nervenelcmente, v. Giesonsche Färbung des Tumor- 

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gewebee). Außerdem befanden sich spindelförmige, etwa reiskorngroße, gleichfalls 
von der Nervenscheide ausgehende Fibrome beiderseits vom Acusticus, beiderseits 
vom Trigeminus (motorische Wurzel) und Ahducens, es zeigt sich auch an diesen 
Nerven deutlich das Intaktbleiben der Nervenbündel in den kleinen Geschwülsten 
(Demonstration). Die Medulla oblongata war verdickt, ebenso das obere Halsmark 
und zwar, wie aus dem mikroskopischen Präparat ersichtlich ist, infolge fibro- 
sarkomatöser Infiltration, die ihren Ausgangspunkt in einer hinteren Rücken- 
markswurzel hatte, dazu war im oberen Halsmark sekundäre Erweichung und 
Blutung hinzugetreten. Es handelte sich also um multiple symmetrische Neuro¬ 
fibrome mit sarkomatöser Entartung. Autoreferat. 

Herr Hess betont unter Beferierung noch anderer Fälle (Püschmann und 
A. Fuchs) die Schwierigkeiten, die Bich mitunter namentlich in bezug auf die 
Lokalisation in die rechte oder linke Hälfte des Pons bieten. Ebenso hängen die 
Symptome fast ausschließlich von dem mehr oder weniger hohen oder tiefen Sitz 
(bzw. der Flächenausbreitung) des Tumors ab, der mitunter weitgehende direkte 
und indirekte Druck- und Ferndruckwirkungen verursache. Auch Cholesteatome 
kommen vor (Boström). Autoreferat. 

Herr Engelmann: Die Eieinhirnbrückenwinkeitumoren sind auch für die 
Ohrenärzte von größtem Interesse. An ihnen müßten sich eigentlich sowohl Reiz¬ 
erscheinungen und später Ausfallserscheinungen, welche durch die Affektion des 
AcusticuB hervorgerufen sind, studieren lassen. Das ist aber für die Weiter¬ 
entwickelung der Otiatrie von größter Bedeutung. Denn wie man weiß, liegt die 
exakte Diagnose bei uns noch recht im Argen. Die große Mehrzahl der Labyrinth¬ 
affektionen, welche uns zur Sektion kommen, Bind eitrige und daher meist durch 
Meningitis, Schmerzen usw. kompliziert, deshalb nur schwer zu verwerten. Wenn 
ich recht verstand, war Herrn Nonne8 Fall leicht benommen, ich möchte daher 
gern etwas näheres über die Technik der Hörprüfung erfahren. Die funktionelle 
Prüfung macht nämlich bei sonst Gesunden oft derartige Schwierigkeiten, daß ich, 
trotzdem ich seit etwa 16 Jahren eingehend mich mit Hörprüfungen beschäftige, 
auf die Ergebnisse der Untersuchung fiebernder Patienten z. B. nur sehr wenig 
Wert lege. Auch Herrn Saenger möchte ich bitten, sich näher auszulassen, z. B. 
welche Töne ausfielen, denn Gradenigo hat behauptet, daß zuerst die mittleren 
Töne ausfallen bei Affektionen des Acusticusstammes. Ferner möchte ich gern 
etwas über die Art des Schwindels, besonders auch über den Nystagmns, bei 
welcher Blickrichtung er stärker wurde, ob er mit der Zeit umschlug oder 
schwand, erfahren. Autoreferat. 

Herr Saenger richtet an den Vortr. die Frage, ob er in seinen Fällen 
Blicklähmung, Areflexie der Cornea und Nystagmus beobachtet habe. Auf die 
Anfrage des Herrn Umber erwidert S., daß er in seinen Fällen keine 
Fibrome an der Haut beobachtet habe. Herrn Engelmann beantwortet 
er seine Fragen dahin, daß genauere Gehörsuntersuchungen nicht angestellt 
worden seien. Aus der Art des Nystagmus könne zurzeit noch keine Lokal¬ 
diagnose gestellt werden. Herrn Hess stimmt S. bei, daß zuweilen es sehr 
schwierig sei, zu diagnostizieren, auf welcher Seite der Tumor läge. Als zu¬ 
verlässigstes Mittel empfiehlt S., durch regelmäßige ophthalmoskopische Unter¬ 
suchungen festzustellen, auf welcher Seite sich zuerst die Stauungspapille einstelle. 
Nach seiner Erfahrung tritt sie zuerst auf der dem Tumor entsprechenden Seite 
auf. Ferner sei die Hemiataxie ein recht brauchbares Symptom. Endlich die Ge¬ 
hörsstörung. Letztere beiden Symptome sind auch gleichseitig in Beziehung auf 
den Sitz des Tumors. Dagegen könne man aus dem Sitz des Kopfschmerzes nichts 
bestimmtes aussagen, zumal da schon beobachtet worden sei, daß z. B. bei einem 
linksseitig belegenen Eieinhirntumor hauptsächlich über rechtsseitigen Stirnkopf¬ 
schmerz geklagt wurde. Autoreferat. 

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Herr Nonne antwortet Herrn Saenger, daß Nystagmus in seinem Fall nicht 
vorlag, ferner, daß die Areflexie der Cornea bereits bald nach dem Auftreten der 
Acusticus- und Facialislähmung bemerkt worden sei. Herrn Hess gegenüber be¬ 
merkt N., daß eins der sichersten Symptome für die Diagnose der Seite der 
Erkrankung in dem Pons die Blicklähmung sei, wenn solche konstatiert würde. 
Herrn Umber antwortet N., daß in seinem Fall Fibrome bzw. Fibrosarkome der 
Haut nicht bestanden hätten, Herrn Engelmann, daß die Funktionsprüfung der 
Ohren von Dr. Thost gemacht sei und er näheres über die Technik der Unter¬ 
suchung nicht angeben könne. 

Sodann vermehrt Herr Nonne im Anschluß an die von Saenger ge¬ 
brachten Fälle die Kasuistik noch um einen Fall: Vor 12 Jahren sah er 
in Altona in der Praxis des Herrn Dr. Weiland ein 26jähriges Mädchen, 
welches seit einigen Wochen über zunehmenden heftigen Kopfschmerz klagte. 
Es entwickelte sich dann eine Schwerhörigkeit auf der linken und dann auf der 
rechten Seite. Dann trat doppelseitige Stauungspapille auf, welche schnell wuchs. 
Schließlich entwickelte sich eine rechtsseitige Hemiparese mit pathologischer 
Steigerung der Sehnenreflexe und hochgradiges Taumeln beim Versuche zu 
stehen und zu gehen. Dies Bild blieb bis zum Exitus, der nach etwa 
6 monatlicher Beobachtungsdauer erfolgte, im wesentlichen unverändert. Bei der 
Sektion fand sich ein gut hühnereigroßer sehr derber Tnmor, welcher im Klein¬ 
hirnbrückenwinkel saß, die linke Kleinhirnhemisphäre Bowie den Pons stark 
drückte und den linken Acusticus platt gedrückt hatte. Der Tumor saß 
an einem ganz dünnen Stiel, welcher mit der Durascheide zusammenhing. 
Er erwies sich mikroskopisch als Fibrom. Für die Exstirpation hätte der 
Tumor durch seine anatomische Natur die denkbar günstigsten Chancen geboten. 
Da der Fall jedoch bereits vor 12 Jahren zur Beobachtung kam, bo ist es 
begreiflich, daß N. bei der damaligen Sachlage die Möglichkeit einer Operation 
nicht erwog. Nonne (Hamburg). 


78. Versammlung Deutsoher Naturforscher und Amte in Stuttgart 
vom 16.—23. September 1806. 

Letzte Hauptversammlung. 

Keferent: Dr. Hugo Levi (Stuttgart). 

(Nachtrag.) 

Herr Bälz (Stuttgart): Über Besessenheit und verwandte Zustände. Vortr. 
erwähnt zunächst, daß die dämonische Besessenheit, die auf der ganzen Welt 
vorkommt, auoh bei uns nicht so ganz der Vergangenheit angehört, wie man 
gewöhnlich glaubt. Und noch heute wird von vielen, namentlich von katholischen 
und protestantischen Geistlichen, der Teufel als ihre Ursache betrachtet. Vortr. 
hat in Ostasien selbst Fälle von Besessenheit beobachtet, deren Symptome mit den 
in der Bibel beschriebenen völlig identisch sind. Er bedauert, daß die Wissen¬ 
schaft, namentlich in Deutschland, diese psychologisch und medizinisch höchst 
lehrreichen Erscheinungen zu wenig beachtet. Die Vorstellung, daß Krankheiten 
überhaupt, aber namentlich das scheinbare Auftreten einer neuen Persönlichkeit 
im Menschen — darin besteht das Wesen der Besessenheit — auf dem Einfluß 
böser Geister beruhen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie findet sich zu 
allen Zeiten, bei allen Völkern, bei allen Bassen, bei Wilden und bei Kultur¬ 
völkern. Diese Erklärung ist also offenbar die der menschlichen Natur nächst- 
liegende. Aber sie befriedigt den modernen Menschen nicht, der dem Dämonen¬ 
glauben skeptisch gegenübersteht. Für ihn werden jene Erscheinungen verständlich 
durch die Wirkung der Suggestion — sei es nun Auto- oder Alterosuggestion — 
der Hypnose und der psychischen Ansteckung, Wirkungen, die uns erst in neuerer 

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Zeit in ihrer ganzen Ansdehnung bekannt wurden. Die Suggestion ist ma߬ 
gebend nicht bloß für die Besessenheit durch böse Dämonen, sondern auch für 
die durch gute Geister, d. h. für die Fälle, wo der Geist eines Gottes (oder auch 
eine abgeschiedene Seele) auf einen Menschen herabgerufen wird, oder von selbst 
auf ihn herabsteigt, wie es bei den Propheten geschah, und wie es auch bei 
Schamanen, Zauberern, Wahrsagerinnen (Pythien), Medizinmännern, spiritistischen 
Medien von jeher angeblich der Fall war, um Krankheiten zu heilen, die Zukunft 
zu lesen, das Schicksal Verstorbener zu erforschen usw. Auch die mystisch¬ 
religiöse Ekstase und der Stigmatismus, bei welchem die Wundenmale Christi am 
Leibe gewisser Frauen sichtbar wurden, gehören hieher. Immer wird dabei der 
in der Regel stark prädisponierte Mensch durch fremde oder eigene Suggestion 
in einen hypnotischen, oft dem hysterischen ähnlichen Zustand versetzt, mit Ein¬ 
engung oder Ausschaltung einiger Gebiete des Nerven- und Seelenlebens und ab¬ 
normer Verschärfung anderer. Ganz der schweren Hysterie ähnlich sind die oft 
epidemischen, mit wilder Erregung, Krämpfen, Verzückung, tollen Bewegungen 
verbundenen Zustände, wie sie sich in Amerika und Europa noch neuerdings bei 
den Revivals der Methodisten abspielten und wie sie der Vortr. am Grabe eines 
buddhistischen Heiligen in Japan in großer Zahl beobachtet hat. Bei einer solchen 
Epidemie in Paris, am Grabe eines Priesters, im Jahre 1731 bis 1734 ließ sich eine 
Frau mehrere Jahre nacheinander am Karfreitag ganz in der Art Christi ans Kreuz 
nageln, ohne Schmerzen zu äußern, so vollständig war ihre Anästhesie. Daß auch 
das Hexenwesen mit all seinen Greueln auf krankhafter Suggestion beruhte, ist klar. 
Hier ging die ansteckende Macht der Suggestion sogar so weit, daß sich Frauen und 
Kinder freiwillig vor Gericht als Hexen und Verbündete des Teufels anklagten, 
obwohl sie wußten, daß es für sie einen qualvollen Tod bedeutete. Bei der eigent¬ 
lichen Dämonenbesessenheit (auch im Neuen Testament lautet der griechische Aus¬ 
druck Dämon, nicht Teufel) erscheint plötzlich und ausfallsweise im Körper des 
Menschen ein neues feindliches Ich, das durch den Mund dieses Menschen redet, 
mit seinem Gehirn denkt, durch seinen Körper sich bewegt und handelt. Der 
Mensch besteht also jetzt aus einer körperlichen Person und aus zwei „Seelen“, 
die einander widersprechen und sich bekämpfen. Diese feindliche fremde Macht 
erklärt sich der Mensch als bösen Dämon, und zwar ist zu bemerken, daß der 
Dämon immer die Form hat, die dem religiösen und kulturellen Ideenkreis des 
Besessenen entspricht. Daher ist er für den Christen der Teufel (der übrigens 
eine Erfindung der Perser ist), in Ostasien ist er der Fuchs. Dieser war dort 
ursprünglich das Symbol einer Gottheit, er wurde aber schließlich an Stelle dieser 
Gottheit selbst verehrt. Er kann alle Gestalten anuehmen, mit Vorliebe aber 
schlägt er in Körpern von Menschen seinen Wohnsitz auf, wobei er dumme 
Frauen oder Mädchen auf dem Lande oder durch Krankheit Geschwächte auf¬ 
fallend bevorzugt Noch nie ist ein Mensch von einem Fuchs besessen worden, 
der nicht an diese Macht des Fuchses glaubte, ein schlagender Beweis für die 
Rolle, welche die Autosuggestion bei dem Vorgang spielt. Da darf man sich 
mit Recht wundern, wenn man hört, daß protestantische und katholische Geist¬ 
liche in China diesen Fuchsdämon für den Satan der Bibel erklären, und daß sie 
ihn mit dem Namen Jesu Christi beschwören. Ja die eingeborenen Christen in 
China erklären offen, daß sie in dieser Teufelsaustreibung ein Propagandamittel 
für ihren Glauben sehen. Und ein hochgebildeter christlicher Missionär in China 
hat ein dickes Buch geschrieben, in dem er nachweist oder nachweisen will, daß 
Satan und Fuchsdämon identisch seien. Den Beweis dafür erblickt er in der 
Wirkung des Namens Christi auf den Dämon, der, so bedroht, den Menschen ver¬ 
lasse. Daß Taoisten, Schamanen, Buddhapriester dieselben Erfolge haben, daß in 
vielen Fällen eine einfache Bedrohung mit Schwert und Lanze den Fuchs zum 
Ausfahren bestimmt, also die Krankheit heilt, davon spricht Dr. Naevius — so 

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heißt dieser Geistliche — nicht. Vortr. hat Gelegenheit gehabt, in Tokio Fälle 
solcher Besessenheit genau zu studieren, und es besteht für ihn kein Zweifel, daß 
es sich stets um Autosuggestion handelt. Aber auch er hat eine Erscheinung 
beobachtet, die immer wieder bei Besessenen hervorgehoben wird: die Intelligenz 
und die Bedefertigkeit des Dämons, die weit über denen des besessenen Menschen 
zu stehen scheinen. Er zieht zur Erklärung das Unterbewußtsein heran, das eine 
viel höhere und viel geordnetere Tätigkeit entfalte als man gewöhnlich annimmt. 
Beim Wegfall von Hemmungen und bei gewissen Reizen greife es manchmal 
plötzlich in die Sphäre des normalen Bewußtseins ein, wobei es wahrscheinlich 
überwiegend die eine, gewöhnlich ruhende, Hirnhälfte benützend, den „Anfall“ 
von Besessenheit hervorrufe. Vortr. sieht im Gehirn des Menschen eine Kraft- 
statiön, aus der im gesunden Zustand in harmonischer zweckdienlicher Weise die 
richtigen Mengen Energie in die einzelnen Nervengebiete geleitet werden. Bei 
Krankheiten, namentlich solchen des Geistes, strömen abnorme Mengen Energie 
in einzelne Gebiete, durch eine Art Kurzschluß werden abnorme Verbindungen 
zwischen verschiedenen Assoziationsbahnen hergestellt und so die gewaltsamen 
Erscheinungen hervorgerufen, die wir als Krämpfe, Delirien, Wahnideen usw. 
bezeichnen. Die Behandlung erfolgt durch Suggestion und ist meist erfolgreich. 
Sehr chronische Fälle trotzen aber oft jeder Behandlung. Der Vortr. schließt 
mit einem Appell an die Naturforscher und Ärzte, diesen interessanten psychischen 
Vorgängen mehr Aufmerksamkeit als bisher zu schenken. 

Abteilung für Kinderheilkunde. 

Herr Thiemich (Breslau): Über die Entwickelung eklamptisoher Säug¬ 
linge in der späteren Kindheit. Die verschiedenen Formen der Säuglings¬ 
krämpfe sind noch nicht genau voneinander zu trennen. Eine Gruppe jedoch 
läßt sich genau abgrenzen: die Eclampsia infantum, die sich auf Grund der 
Spasmophilie entwickelt. Vortr. hatte Gelegenheit, 53 Kinder, die im Säuglings¬ 
alter an Eclampsie oder wenigstens an latenter Spasmophilie (Laryngospasmus) 
gelitten hatten, mehrere Jahre zu beobachten, die meisten bis inB schulpflichtige 
Alter. Von diesen 53 Kindern zeigten später nur 18 einen normalen Intellekt, 
21 waren schwach begabt, 14 noch unsicher. Außer den intellektuellen Defekten 
bestanden auch neuropathische Zustände (Pavor nocturnus, große Schreckhaftig¬ 
keit, Enuresis, Wadenkrämpfe usw.). Unter den normal Begabten fanden sich 
auffallend viele einzige Kinder, denen naturgemäß ein größeres Maß von Auf¬ 
merksamkeit gewidmet wird als anderen Kindern. Man darf also auch bei diesen 
nicht zu viel aus ihren normalen Leistungen schließen; vielleicht tritt auch bei 
einem Teil von ihnen später ein Versagen der geistigen Fähigkeiten ein. Der 
Verlauf der Säuglingseklampsie (Rezidive, Schwere der Anfälle, Einfluß der 
Therapie, Latenz der Spasmophilie) hat gar keinen Einfluß auf die Prognose der 
späteren Entwickelung. Über das Entstehen der Epilepsie aus den Säuglings¬ 
eklampsien geben die Beobachtungen des Vortr. keinen Aufschluß, da die Kinder 
noch nicht bis in das Alter verfolgt wurden, das für das Auftreten der Epilepsie 
am günstigsten ist. Neuropathische Zustände spielen in der Heredität der Eklampsie 
eine große Rolle; Alkoholismus, Tuberkulose und Epilepsie ließen keinen merk¬ 
lichen Einfluß erkennen. 

Herr Escherich (Wien) weist die Hausärzte auf die Aufgabe hin, solche Fälle 
zu verfolgen. Eclampsia infantum und Spasmophilie sind für ihn nicht identisch; 
das Fazialisphänomen ist bei eklamptischen Kindern selten. Zwischen Tetanie 
der Kinder und der Erwachsenen bestehen pathogenetische Beziehungen. 

HerrHeubner (Berlin) ist anderer Meinung als Escherich: die meisten Fälle 
von Säuglingstetanie sind weder bezüglich der Ätiologie noch bezüglich der Form 
mit der Tetanie der Erwachsenen identisch. Die eklamptischen Krämpfe gehören 

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doch ganz gewiß zum Bilde der Tetanie oder Spasmophilie. Freilich gibt es 
auch Krämpfe anderer Herkunft. 

Herr Degenkolb (Roda) glaubt auf Grund seiner Erfahrungen an einen Zu¬ 
sammenhang zwischen Eklampsie und Epilepsie. 

Herr Esc he rieh hat nie daran gedacht, daß Tetanie der Kinder und der 
Erwachsenen dieselbe Ätiologie haben, nur ihre Pathogenese ist identisch. 

Herr Finkeistein betont, daß man mit dem Wort Spasmophilie einen Dauer¬ 
zustand bezeichnen will, während „Tetanie“ nur ein Symptom ist. Er bestätigt 
die Beobachtungen Thiemichs. 

Herr Thiemich: Für die Diagnose der latenten Spasmophilie sind die gal van. 
Untersuchungen sehr wichtig. Sie sind eine viel feinere Untersuchungsmethode 
als Fazialisphänomen und mechanische Erregbarkeit. Spasmophilie nennt er die 
Krankheit deshalb, weil der Name Tetanie zu Verwechslungen führt Die beiden 
Begriffe decken sich, wenn man unter „Tetanie“ einen Zustand meßbarer erhöhter 
Reizbarkeit versteht Über den Zusammenhang von Epilepsie und Eklampsie 
findet man in der Literatur widersprechende Angaben. 

Herr v. Pirquet (Wien): Galvanische Untersuchungen im Säuglings¬ 
alter. Schon Werte unter 5 M.-A. bei der AOZ. beweisen eine nervöse Über¬ 
erregbarkeit Vortr. untersuchte den Einfluß verschiedener Momente auf die 
Erregbarkeit: Medikamente (Brom, Phosphor, Leberthran, Kalcium) zeigten keinen 
Einfluß, auch die Entwöhnung von der Brustnahrung nicht Das Gregorsche 
Phänomen (Herabsetzung der Erregbarkeit bei Weglassen der Kuhmilch) ist wohl 
manchmal vorhanden, aber nicht konstant Nur ein Faktor zeigte einen stets 
gleichbleibenden Einfluß: die meteorologischen Verhältnisse. Die Erregbarkeit 
sinkt bei Aufenthalt in guter Luft. Von solchen Momenten rührt auch die Häufung 
der Tetaniefälle im Frühjahr und Herbst her. 

In der Diskussion bemerkt Herr Finkeistein, daß alle Einflüsse, die 
schwächend auf den Körper einwirken, die Tätigkeit des Nervensystems so herab¬ 
setzen, daß alimentäre Faktoren wirksam werden. Er hält an der Lehre Gregors 
fest. Wie beim Diabetes, so wird auch bei der Tetanie durch eine unbekannte 
Noxe eine Intoleranz gegen einen bestimmten Nahrungsstoff erzeugt, beim Diabetes 
gegen Zucker, bei der Tetanie gegen die Kuhmilchmolke. Leberthran und rohe 
Milch oder Phosphorleberthran bei Ernährung mit gekochter Milch haben ihm 
gute Dienste bei der Behandlung der Tetanie getan. 

Herr v. Pirquet hat bei Injektion von Kuhmilchmolke keine Erscheinungen 
gesehen, die für ihre Wirksamkeit sprechen. 


V. Vermischtes. 

Ein internationaler Kurs für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie 

findet an der Universität Gießen von Montag, den 15. bis Sonnabend, den 20. April 1907 
in der Klinik für psychische und nervöse Krankheiten (Frankfurterstraße 99) statt. Der¬ 
selbe ist in erster Linie für Juristen und Arzte bestimmt, die mit psychiatrischen Gut¬ 
achten zu tun haben, sodann auch für Beamte an Straf-, Besserungs- und Erziehungs¬ 
anstalten, besonders im Hinblick auf angeborene geistige Abnormitäten, ferner für Polizei¬ 
beamte, die öfter mit geistig Abormen zu tun haben. 

Als Vortragende sind außer dem Unterzeichneten beteiligt: Prof. Dr. Aschaffen bürg 
(Köln a/Rh.), Privatdozent Dr. Dannemann (Gießen) und Prof. Dr. Mittermaier (Gießen). 

Als Themata sind in Aussicht genommen: l. Die Formen der Kriminalität bei den 
verschiedenen Arten von Geistesstörung. (Dannemann.) — 2. Der angeborene Schwach¬ 
sinn in bezug auf Kriminalität und Psychiatrie. (Dannemann.) — 3. Die angeborenen 
psychischen Abnormitäten in bezug auf die Lehre vom geborenen Verbrecher unter Be¬ 
rücksichtigung der morphologischen Abnormitäten. (Sommer.) — 4. Die Epilepsie als 
Moment der Kriminalität und Psychopathologie. (Sommer.; — 5. Die hysterischen (psycho¬ 
genen) Störungen vom klinischen und forensischen Standpunkt. (Sommer) — 6. Simu¬ 
lation von Geistesstörung. (Dannemann.) — 7. Der Alkoholismus als Quelle der Krimi- 


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nalität und Geistesstörung. Die psycho - physiologischen Wirkungen des Alkohols, die 
klinischen Formen des Alkoholismus, die strafrechtliche und soziale Seite desselben. 
(Aschaffenburg.) — 8. Die Technik der Gutachten. (Achaffenburg.) — 9. Die ver¬ 
schiedenen Formen der Kriminalität. (Aschaffenburg,) — 10. Die Bedeutung von Anlage 
und Milieu für die Kriminalität. (Aschaffenbürg.) — 11. Die verschiedenen Strafrechts¬ 
theorien. (Mittermaier.) — 12. Determinismus und Strafe. (Mittermaier.) — 13. Die 
psychologischen Momente im Zivil- und Strafprozeß. (Mittermaier) — 14. Die straf¬ 
rechtliche Untersuchung vom psychologischen Standpunkt. (Mittermaier.) — 15. Psycho¬ 
logie der Aussage. (Sommer.) — 16. Psychologie und Psychopathologie des Polizeiwesen. 
(Dannemann.) 

Stundenverteilung: Früh 9—10 Uhr Dannemann; 10—11 Sommer; 11—12 
Aschaffen bürg; 12—1 Uhr Mittermaier. Um 11 Uhr Pause. 

Nachmittag von 4—7 Uhr finden Demonstrationen (Kurven, Bilder, Schädel usw.), 
wenn möglich auch Besprechungen bestimmter Fälle statt, an einigen Tagen Besichtigungen 
der Klinik, einer Irren- und einer Strafanstalt Einige Stunden sollen auf freie Diskussion 
verwendet werden, wobei die deutsche, französische und englische Sprache zulässig ist 

Die Begrüßung findet am Sonntag, den 14. April, abends 7*9 Uhr, im Hötel Gro߬ 
herzog von Hessen (Bahnhofstrafie) statt. 

Teilnehmerkarten zu 20 Mk. bei dem Begrtißungsabend oder in der Klinik. 

Anmeldungen am besten vor Ende Februar 1907. 

Prof. Dr. Sommer (Gießen). 

Klinik für psychische und nervöse Krankheiten. 


Die nächste Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie wird am 
26. u. 27. April 1907 in Frankfurt a/M. und Gießen stattfinden. — Es sind folgende Referate 
vorgesehen: I. Die Gruppierung der Epilepsie. Ref.: Alzheimer (München) und 
Vogt (Langenhagen). II. Der ärztliche Nachwuchs für psychiatrische An¬ 
stalten. Ref.: Siemens (Lauenburg). III. Die Mitwirkung des Psychiaters bei 
der Fürsorgeerziehung. Ref.: Kluge (Potsdam) (im Auftrag der Kommission für 
Idiotenforschung und Idiotenfürsorge). — An Vorträgen sind bisher angemeldet: 
1. Hübner (Bonn): Über Geistesstörungen im Greisenalter. — 2. Sioli (Frankfurt a/M.): 
Die Beobachtungsabteilung für Jugendliche bei der städtischen Irrenanstalt zu Frank¬ 
furt a/M. — 3. Geelvink (Frankfurt a/M.): Die Grundlagen der Trunksucht.— 4. Knapp 
(Halle): Körperliche Erscheinungen bei funktionellen Psychosen. — 5. E. Meyer (Königs¬ 
berg): Untersuchungen des Nervensystems Syphilitischer. — 6. H. Liepmann (Berlin): 
Beiträge zur Aphasie und Apraxie-Lehre. — Weitere Anmeldungen werden erbeten an 
Sanitätsrat Dr. Hans Laehr in Zehlendorf-Wannseebahn, Schweizerhof. 


VI. Personalien. 

Am 9. d. M. starb zu Leipzig Dr. Paul Möbius im noch nicht ganz vollendeten 
54. Lebensjahre. Den Lesern dieses Centralblattes ist seine ungemein ausgedehnte wissen¬ 
schaftliche Tätigkeit bekannt. Möbius war bei reichem Wissen ein origineller Kopf, er 
ging seine eigenen Wege und kam dadurch vielfach mit seinen Anschauungen in Konflikt 
mit anderen. Bestechend wirkte in seinen Schriften die fesselnde Art der Darstellung. 
Hervorgehoben sei an dieser Stelle noch seine Tätigkeit für die Schaffung von Heilstätten 
für unbemittelte Nervenkranke, welche im Jahre 1896 mit seiner Schrift: „Die Behandlung 
von Nervenkranken und die Errichtung von Nervenheilstätten“ inauguriert wurde. M.. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 

Verlag von Veit & Comp, in I^eipzig. — Druck von Metzger 4 Wittiq in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurf Mendel) 

Seehsundzwanzigster " B * rUn Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt ron der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 1. Februar. Nr. 3. 


Inhalt.. I. Originalmitteillingen. 1. Zur Frage der Hysterie bei Tieren, von Prof. 
H. Dexler. 2. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer Neugeborener, von Otto Ranke 
in Wiesloch. 3. Zur Wahrung meiner Priorität in Sachen der Kontinuitätslehre des Central¬ 
nerven Systems, von Prof. B. Haller in Heidelberg. 4. Zur Funktion der Schweißsekretion, 
von Prof. Dr. A. Adamkiewicz. 

II. Referate. Anatomie. 1. Zur Anatomie der Übergangswindungen, von Zucker- 
kamt!. 2. Über die Veränderung der Medulla oblongata nach einseitiger Zerstörung des 
Strickkörpers, nebst einem Beitrag zur Anatomie des Seitenstrangkernes, von Yagita. — 
Physiologie. 3. Further experiments in the development of peripheral nerves, by Harrison. 
4. Beiträge zur Physiologie und Pathologie der kontralateralen Mitbewegungen, von Cursch- 
mann. — Pathologische Anatomie. 5. A case of one cerebral hemisphere supplying 
both sides of the boay, by 6rills. — Pathologie des Nervensystems. 6. Über das 
Gewicht des menschlichen Kleinhirns im gesunden und kranken Zustande, von Refchardt. 
7. Sur quelques points controversös de la physiologie du cervelet. Contributiou experimen¬ 
tale, par Patrizi. 8. Entwicklungsstörungen in Kleinhirn, Pons, Medulla oblongata und 
Halsmark bei Spina bifida, von Schwalbe und Gradig. 9. Zur Kenntnis der Kleinhirnsklerose, 
von Schweiger. 10. Über die histologischen Veränderungen der Kleinhirnrinde bei ver¬ 
schiedenen Nerven-und Geisteskrankheiten, von Tafcasu. 11. La paralysie des mouvements 
assoeies de lateralite des yeux dans les affections du cervelet, des tubercules quadrijumeaux 
et de la protubörance, par Gaussei. 12. Sarcoma of the cerebellum; sarcomatous Infiltration 
of the spiual pia, by Dercum. 13. A contribntion to the study of cerebellar tumors and 
their treatment, by Putnam and Waterman. 14. Über Kleinhirntumoren, von Kohts. 15. Hemi- 
agenäsie ceröbelleuse; agenesie partielle du corps calleux et du lobe limbique; anomalies 
des circonvolutions cerebrales, par Bonne. 16. Contributo allo studio clinico delT atassia 
cerebellare, per Abruzzetti. 17. Ataxia in Childhood, by Batten. 18 Die infantile cerebrale 
Hemiplegie, von Fränkel. 19. Über halbseitige Gehirnatrophie bei einem Idioten mit cere¬ 
braler Kinderlähmung, von Ktfppen. 20. Uber die Bewegungsstörungen der infantilen 
cerebralen Hemiplegie und über die Athetose double, von Lewandowsky. 21. Ipertrofia com- 
pensatoria in un caso di cerebroplegia infantile, per Ugolotti. 22. Die orthopädische und 
chirurgische Behandlung der infantilen cerebralen Lähmungen, von Horväth. 23. Sehnen- 
übeqjfianzung und Sehnenplastik bei Muskellähmung und Kontrakturen, von Hevesi. — 
Psychiatrie. 24. I. Über Geisteskrankheiten, entstanden im Anschluß an die politischen 
Ereignisse in Rußland, von Rybakow. II. Über den Einfluß der politischen Ereignisse auf 
die Entstehung geistiger Erkrankungen, von Skljar. 25. Dementia praecox in France with 
some references to the frequency of this diagnosis in America, by Farrar. — Forensische 
Psychiatrie. 26. Vergleich von Verbrechen und Homosexualität, von Näcke. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — Ärztlicher Verein in Hamburg. 


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I. Originalmitteilungen. 


[Ans dem tierärztlichen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag.] 


1. Zur Frage der Hysterie bei Tieren. 

Von Prof. H. Dexler. 


Es ist ein naheliegender Gedanke, unter den Beobachtungen der bei den Tieren 
vorkommenden Neurosen und Psychosen nach Material für die Analyse gewisser 
menschlicher Geistes- und Nervenkrankheiten zu suchen. Tatsächlich finden wir 
trotz der großen Spärlichkeit verwendbaren Materials in der neurologischen 
Literatur wiederholt Mitteilungen, die von derartigen Betrachtungen ausgehen 
und auch zu Versuchen einer Systematisierung der bezüglichen Krankheiten geführt 
haben, wie mir solche z.B. von den Psychiatern Nasse(I) und Laüder Lindsay (2) 
zugänglich gewesen sind. Die veterinär-medizinischen Autoren haben sich dieser 
Forschungsrichtung, namentlich was die Psychosen anbelangt, nur wenig an¬ 
geschlossen. ln den gebräuchlichen Handbüchern der Pathologie und Therapie, 
sowie auch in der periodischen Literatur finden wir nur kurze Andeutungen 
hierüber; die Aufstellung eines Schemas hat Vogel (3) unternommen und 1865, 
wie ich Zübn(4) entnehme, auch Gleisbeeg, ohne jedoch eine Gefolgschaft 
finden zu können. Den meisten dieser Arbeiten fehlt die Gewinnung jener 
Gesichtspunkte, die sich aus den Beziehungen zu den gleichnamigen Krankheiten 
des Menschen erwarten ließen, wodurch sie eines allgemeineren Interesses er¬ 
mangeln und zur zusammenhanglosen Kasuistik werden. Ferner teilen die 
tierischen Psychosen und Neurosen mit den analogen menschlichen Krankheiten 
vielfach die düstere Prognose, wodurch ein Anlaß zu ihrem genaueren Studium 
noch mehr in Wegfall kommt. Wie die Durchsicht der einschlägigen Literatur 
ferner ergibt, nimmt die Literatur beider verwandter Wissenszweige viel zu 
wenig Rücksicht auf die normale Psychologie der Tiere; auch vermißt man eine 
gegenseitige engere Berührung. Die veterinäre Literatur ist den Wandlungen 
und Fortschritten der Psychiatrie und Neurologie zu langsam gefolgt und den 
Nervenärzten ist das angesammelte Beobachtungsmaterial vielfach unbekannt 
geblieben; insbesondere betrifft das die Kenntnis der Klinik der tierischen 
Nervenkrankheiten, die dem Psychiater aus eigenen Beobachtungen wohl kaum 
zu Gebote stehen dürfte. Daher finden wir auf der einen Seite häufig eine zu 
geringe Rücksichtnahme der führenden Lehren der humanen Medizin und eine 
sehr gewöhnliche Verwechslung von Identitäten und äußeren Ähnlichkeiten, 
wogegen auf der anderen Seite oft eine Vielgestaltigkeit und weitgehende 
Homologien angenommen werden, wo solche nicht bestehen und auch von der 
künftigen Forschung kaum erhofft werden können. Da sich aber das Wesen 
mancher dieser Krankheiten nur durch fortwährende Vergleiche richtig erfassen 
oder wenigstens in manchen Punkten genauer analysieren läßt, müssen wir uns 
bei Erörterungen über tierische Psychosen in allen unseren Schlüssen und Aus- 
* sagen solange eine doppelte Zurückhaltung auferlegen, ehe nicht durch neue 


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Beobachtungen und moderne Unteruchungsmethoden die berührten Kardinalfehler 
nach Tunlichkeit ausgeschaltet worden sind. 

Ich habe mich seit vielen Jahren bemüht, durch Heranziehung konkreter 
Typen aus der Klasse der Nervenkrankheiten der Haustiere und ihre Be¬ 
arbeitung im Lichte der modernen Neurologie einen Beitrag zu geben, der zur 
Aufklärung derartiger Differenzen möglicherweise dienen könnte. Hinsichtlich 
der Epilepsie bin ich dadurch zur Anschauung gebracht worden, daß sie bei 
den Tieren noch enger an die akuten Infektionskrankheiten gebunden ist wie 
beim Menschen, daß sie fast nur symptomatisch oder sekundär und sich am 
häufigsten beim Hunde auf dem Boden der Staupe entwickelt; bei Staupe-immunen 
Tieren ist sie ungleich seltener und ebenfalls kaum genuin, trotzdem ich zugebe, 
daß die anatomische und auch die histologische Untersuchung auch einmal 
bei epileptischen Tieren im Stiche lassen mag, so lange uns keine anderen 
Präparationsmethoden zur Verfügung stehen wie die jetzt bekannten. Äbnlioh 
verhalte ich mich der sogen. Chorea der Hunde gegenüber (5). 

Hinsichtlich der tierischen Psychosen bin ich zu einer noch größeren Ein¬ 
schränkung gekommen. Theoretisch zwar existenzberechtigt, sind echte Psychosen 
bei den höheren Tieren gewiß sehr selten, und ihre Erforschung bleibt noch 
der genaueren Bearbeitung Vorbehalten. Das meiste, was uns unter diesem 
Titel bisher vorgeführt worden ist, kann uns nicht zur Annahme einer rein 
funktionellen Hirnerkrankung besonderer Art im Sinne Weenicke’s zwingen. In 
fast allen Fällen handelt es sich um sekundäre psychotische Erscheinungen, wie 
wir sie bei der Lyssa, Hirnparasiten, Hirntumoren, Encephalitiden, Entwicklungs¬ 
störungen usw. seit langem kennen. Meistens treten sie dem somatischen Er¬ 
scheinungskomplex gegenüber so weit zurück, daß wir kaum oder nur höchst 
selten einen Grund haben, eine Psychosis e cerebropatbia circumscripta an¬ 
zunehmen. Die Staupe der Hunde gibt auch hier wieder einen höchst wichtigen 
ätiologischen Faktor ab, der leicht zu Störungen der Bewußtseinstätigkeit führen 
kann. Es kann uns aber auch die disseminierte Staupeencephalitis mit dem sie 
oft begleitenden Verblödungsprozesse kein Anlaß sein, unsere Stellungnahme in 
dieser Frage zu ändern (6). 

Bei den Tieren nach echten Psychosen zu suchen, wird immer zu sehr 
bescheidenen Resultaten führen müssen. Ihre Psyche steht auf einer niedrigeren 
Stufe als diejenige des Menschen; an die Widerstandsfähigkeit ihres Nerven- 
systemes werden unvergleichlich geringere Anforderungen gestellt, es kann nie¬ 
mals durch den Daseinskampf so erschüttert werden, wie das dort der Fall ist, 
und endlich ergibt die Unmöglichkeit, gewisse psychische Störungen ohne sub¬ 
jektive Äußerung zu erkennen, einen weiteren Grund gegen zu weit getriebene 
Analogisierungen. .. 


Trotz zahlreicher.Ergänzungen'..unü Wandlungen erfreut sich auch heute 
noch die Lehre Daäwim’s. einer fast allgemeinen.Anerkennung, wonach die uns 
sichtbaren Handlungen der Tiere‘dutch Instinkte', im- weitesten Maße beherrscht 
werden. Ziegler (7) sieht in den Instinkten das Bindeglied zwischen der 
menschlichen und tierischen Psyche, läßt aber die Handlungsweise der Tiere 


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größtenteils durch Instinkte und Reflexe bestimmen. Die Assoziationen befinden 
sich dagegen noch auf der untersten Stufe. Zwischen der bei vielen Tieren 
vorhandenen Lautverständigung und dem, was man unter menschlicher Sprache 
versteht, ist ein so weiter Unterschied, daß wir den Tieren eine eigentliche 
Sprache und die dazu gehörige Vorstellungswelt abstrakter Begriffe, die den 
größten Teil unserer Psyche ausmacht, kaum zuerbennen können. Die Art und 
den Umfang der Bewußtseinstätigkeit selbstverständlich an die Entwicklung 
des Großhirn gebunden erachtend, kommen wir materiell zu den gleichen 
Schlüssen. Der Mangel weiter differenzierter Assoziationen ist, wie uns die 
komparative Anatomie lehrt, schon im Baue des Tierhirnes festgehalten, das, 
bei sonst ähnlicher Gliederung der übrigen Gehirnteile, über ein so mächtiges 
Organ, wie es uns in Gestalt der menschlichen Assoziationssysteme entgegentritt, 
nicht verfügt, jene Strukturen, die ein Specificum höher organisierter Gehirne 
sind und die wir sowohl mit den geistigen Leistungen in eine Parallele stellen, 
als auch als Sitz der Geisteskrankheiten auffassen dürfen. Die Basalganglien, 
Projektionssysteme und -felder stehen bei den Tieren proportional viel weniger 
zurück; einzelne können sogar eine beträchtlich stärkere Entwicklung zeigen 
als beim Menschen, wie z. B. im Riechhirn der makrosmatischen Säuger, oder 
die Sehlappen der Vögel, was uns mit größter Wahrscheinlichkeit auch eine 
Qualitätsänderung der Bewußtseinstätigkeit vermuten läßt. Das Tierhirn ist 
daher nicht ein „teilweises“, wie Fbiedbeioh will, nicht ein reduziertes Menschen* 
hirn, sondern ein kleineres Hirn mit wesentlich anderer Verteilung seiner 
Elementarorgane. Bei der anerkannten Zuordnung gewisser höherer Lebens¬ 
äußerungen und psychischer Reaktionen zu einzelnen Abschnitten des Gehirnes 
wird auch auf eine andere Gruppierung dieser Funktionen geschlossen werden 
müssen. Es wird sich also unter normalen wie auch unter pathologischen Um¬ 
ständen ein mehr oder minder großer qualitativer Unterschied zwischen der 
Psyche des Menschen und derjenigen der Tiere herausstellen müssen, der auch 
tatsächlich besteht Gröbere Läsionen der Projektionssysteme können häufig 
zugleioh auch die Assoziationssysteme treffen, beim Menschen öfters und 
intensiver, beim Tiere, wegen der Rudimentarität der letzteren, weit weniger; 
daraus folgt, daß psychische Störungen beim Menschen als Begleiterscheinungen 
solcher Destruktionen gewöhnlich und hochgradig, beim Tiere seltener und oft 
kaum palpabel sein werden — ein theoretischer Schluß, der durch die praktischen 
Beobachtungen völlig gedeckt wird. 

Abgesehen davon, daß ein einfach gebauter Organismus weniger von 
Fährlicbkeiten bedroht ist als ein komplizierter, fehlen beim Tiere viele Ur¬ 
sachen, die beim Menschen pathogen wirken, wie Alkohol, Lues, Surmenage usw. 
und viele Infektionskiaqliheiten. .Diesbezüglich , kommen beim Tiere nur das 
Virus der Lyssa, der*Hundestaupe, *:öyeatueli noch, der Dourine und die 

Domestikation in Betracht. ** ... , 

; .. .*•*.■* i ---■ 

Nicht zuletzt sei -a^dh -noclj ß#t‘. eogeu'- Gr^nzen unserer Diagnostik ge¬ 
dacht. Wir sprechen von bewußten und unbewußten Handlungen der Tiere, 
wir definieren gewöhnlich die Stetigkeit des Pferdes als vorsätzliche, bewußte 

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oder auf Eigenwillen beruhende Widersetzlichkeit gegen angemessene Dienst¬ 
leistungen, wir diskutieren über Geistes- und Bewußtseinstörungen, obwohl wir 
beim Tiere ebensowenig wie beim Neugeborenen wissen, welche Handlungen 
mit und welche ohne Bewußtsein ausgeführt worden sind. Es gibt beim Tiere 
kein exaktes Reagens für bewußt und unbewußt (Ziegleb) und die moderne 
Tierpsychologie sucht sich eines solohes Nachweises immer mehr zu entledigen 
(Buttel-Reepen [8]). Selbst bei Menschen ist vielfach ein Aufschluß über 
gewisse psychische Vorgänge erst durch die Sprache erhältlich, wie sich aus 
demselben Grunde sehr viele Störungen der Bewußtseinstätigkeit nur aus den 
sprachlichen Äußerungen erkennen oder beurteilen lassen. Vor der Erforschung 
der centralen Sprachbahnen durch Webnicke hat man worttaube Menschen für 
dement gehalten, während wir heute wissen, es mit einem Herdsymptome des 
Schäfenlappens zu tun zu haben; Munk (9) hat schon vor 20 Jahren auf die Ver¬ 
wechslung von Seelenblindheit und Seelentaubheit des Hundes mit dem hin¬ 
gewiesen, was wir „oberflächlich“ Blödsinn nennen und ich selbst (6) konnte bei 
den Untersuchungen der Staupeencephalitis zeigen, daß der sogen. Blödsinn des 
Hundes keine echte Dementia ist; es handelt sich dabei vielmehr um mancherlei 
psychomotorische Störungen oder Herdsymptome, bei gleichzeitiger Einengung 
des Sensorium8, um eine symptomatische, sekundäre Demenz. 

Methodologisch ist ferner interessant, daß dem Untersucher psychischer 
Anomalien der Tiere sehr oft positive Erkennungsmerkmale gar nicht zur Hand 
sind; er muß vielfach nach negativen Momenten suchen und Exklusious* 
diagnostik treiben. Er erkennt ein Pferd dann als stetig an, wenn es nicht 
zieht, dem Antreiben nicht richtig gehorcht usw. Ausschließungsdiagnosen 
können aber naturgemäß immer nur Annäherungswerte geben. Die daraus ent¬ 
springende Unsicherheit finden wir auch darin praktisch dokumentiert, daß, um 
bei dem gewählten Beispiele zu bleiben, forensische Attestierungen stetiger Pferde 
heute meist nur sehr ungern und selten oder, nach dem Muster der Wiener 
Schule gar nicht mehr vorgenommen werden. Fböhneb(IO) hat in der neuesten 
Auflage seines Handbuches die Bewußtseinsklausel in der Begriffsbestimmung 
der Stetigkeit bezeichnender Weise weggelassen. 

Bei sogen, funktionellen tierischen Neurosen sind wir wohl etwas besser 
daran als bei solchen psychotischer Natur, wenn auch da noch zahlreiche Fehler¬ 
quellen existieren. Wie misslich es mit Perimeteraufnahmen von Kindern und 
weniger intelligenten Erwachsenen steht, weiß jeder Augenarzt und die Schwierig¬ 
keit, ja Unmöglichkeit, Tastsinnstörungen bei Tieren zu umschreiben, wenn sie 
nicht totalen Funktionsaufhebungen entspringen, haben zur Schaffung ziemlich 
komplizierter Methoden, wie der LANGENDOBFE’schen Blutdruckmessung, oder 
der Schusterschen Untersuchungen (25) geführt 

Alles, was wir über einen abnormen Zustand bei einem Tiere, wie auch 
beim Menschen, ermitteln können, geht uns durch die Beobachtung von Be¬ 
wegungen zu; es gibt aber auch Störungen jenseits der formalen Bewegung. 
Es gibt aber keine Methode, die es gestatten würde, festzustellen, ob bei einem 
Tiere eine Handlung zweckmäßig, oder ob sie zweckgemäß im Sinne Liepmann’s 


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ist, uDd uns entgeht abermals ein diagnostischer Behelf. Eine brauchbare 
Anamnese unterstützt uns in den seltensten Fällen auf unserer Suche nach der 
Krankheitsart. Gibt es doch Menschen, und zwar solche auch ohne Intelligenz¬ 
defekte, die erst im zweiten Dezennium ihres Lebens, oder auch noch später ge¬ 
legentlich anderweitiger Untersuchungen erfahren, daß sie eine Katarakt, eine 
partielle Gesichtsfeldeinschränkung, eine Hypodaktylie usw. haben, wobei doch der 
Mensch ungleich länger, intensiver und öfter der ärztlichen Untersuchung aus¬ 
gesetzt wird wie ein Tier. Dieses wechselt den Besitzer, wird oft nicht von 
diesem selbst, sondern von Wärtern betreut und wird, selbst wenn es sich seit 
seiner Geburt in der Hand eines Besitzers befand, nur von einem Laien, nicht 
aber von einem geschulten Beobachter geprüft. Wenn es daher heißt, der be¬ 
treffende Hund usw. sei nie krank gewesen, sondern bisher stets gesund oder 
normal, so hat das nur sehr bedingten Wert; es wurde nur nichts Krankhaftes 
bemerkt. 


Die angeführten Differenzen zwischen den Psychosen und Neurosen 
des Menschen und der Tiere lassen sich u. a. auch an dem Schulbeispiele der 
Epilepsie sehr deutlich demonstrieren. Bei der Epilepsie des Menschen kennt 
man eine ganze Reihe von habituellen psychischen Störungen und eigentlichen 
epileptischen Geistesstörungen, die, von ungemein seltenen Ausnahmen abgesehen, 
jede länger bestehende Epilepsie nach sich zieht Beim Hunde kennt man eben¬ 
falls postepileptische psychische Alterationen, die uns als Abnahme der Intelligenz 
eutgegentreten, oder, exakter ausgedrückt, die der Epilepsie des Hundes ge¬ 
wöhnlich zugrunde liegende Staupeencephalitis kann auch verblödungsartige Zu¬ 
stände herbeiführen. Diese psychomotorischen Erscheinungen sind aber ver¬ 
hältnismäßig selten oder doch so geringgradig, daß sie übersehen werden. Über 
derartige Störungen bei der Epilepsie der übrigen staupe-immunen Haustiere weiß 
man bisher nichts (Mabek). Beim epileptischen Meerschweinchen endlich 
nehmen wir nur die Krämpfe wahr und ich wüßte nicht, wer eine eventuelle 
Intelligenzabuahme bei einem so stumpfsinnigen Geschöpfe konstatieren wollte. Bei 
ihm erschöpft sich die Definition der Epilepsie mit anfallsweisen Konvulsionen, 
eine Charakterisierung, die beim Menschen als viel zu enge erkannt werden 
müßte. Ähnliches sehen wir bei der Wut, die beim Menschen einen viel um¬ 
fangreicheren psychotischen Komplex schafft als beim Hunde oder bei anderen 
Haustieren; die somatischen Symptome verlaufen gleich. Dieser Wegfall 
oder die Reduktion der psychischen Komplemente des Krankheits¬ 
bildes gegenüber den somatischen, ist ein wesentliches Differenzmerkmal der 
Psychosen und zum Teile auch der Neurosen und Zwischenstufen; es tritt uns 
naturgemäß am krassesten bei jenen Krankheiten vor Augen, bei denen die 
psychischen Anomalien vorherrschen, also bei den echten Geisteskrankeiten und 
den Psychoneurosen. Man nimmt es aber auch bei einfachen Nervenleiden wahr. 
Ich verweise nur auf den Unterschied zwischen den gewöhnlich sehr bedeutenden 
psychischen Alterationen tauber oder nur schwerhöriger Menschen und der Psyche 
jener stocktaub geborenen, pigmentlosen Hunden, die uns oft erst im 2. oder 
3. Lebensjahre zur Untersuchung ihres Sinnesdefektes vorgeführt werden. Bis 


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dabin haben sie mehr oder weniger normal gegolten, da ihr ganzes Verhalten 
sie von vollsinnigen Hunden nicht unterscheiden ließ. Beim Menschen steht der 
Gehörsinn mit dem Gemütsleben nicht nur in einem engeren Verhältnis wie die 
anderen Sinne, sondern außerdem noch in einem viel innigeren Zusammenhänge 
wie beim Hunde; bei letzterem erhält der Geruchsinn die höchste Bedeutung 
und bei seinem rudimentären Gemütsleben kommt eine diesbezügliche Ausfalls¬ 
erscheinung durch Hörstörungen kaum zustande. 


Hierher gehören vielleicht auch Vergleiche von Kachektischen oder Phthisikern. 
Die Karzmomkachexie des Menschen ist auch bei schmerzfreien Neoplasmen sehr 
häufig von sehr beträchtlichen Depressionszuständen begleitet. Ein karzinomkranker 
Hund weicht in der Regel bis zu seinem Lebensende kaum von seinem normalen 
Gebaren ab. Auch er hat eine Facies hippocratica. In einem weiter vor¬ 
geschrittenen Rrankheitsstadium sind seine Schläfengruben tief eingesunken, der 
Parietalkamm steht weit vor, die Augäpfel sind soweit in die Orbita zurilck- 
getreten, daß der Blinzknorpel das Sehloch fast ganz verdeckt. Aber auch hier 
ist die Ähnlichkeit nur eine äußerliche; eB fehlt ihm die Krankheitseinsicht, die 
Todesfurcht, das Mitleid mit sich selbst und alle jenen entsetzlichen Seelenqualen, 
die das Leben mancher Karzinomatösen auch bei relativ geringen somatischen 
Anomalien so peinvoll machen. Die gestaltliche Veränderung ist im Gesichte des 
Menschen wie des Hundes da; bei ersterem spricht sich das psychische schwere 
Leid im Blicke und im Gesichtsausdrucke aus; bei letzterem ist es nicht vor¬ 
handen und jedenfalls nicht in uns lesbarer Weise; seiner Facies hippocratica 
mangelt also die innere Bedeutung des Begriffes. 


Ein Hund kann keine volle Hysterie haben oder eine Paranoia, ebenso¬ 
wenig wie etwa ein Idiot, dessen Seelenleben von den Psychiatern herkömmlicher¬ 
weise als auf einer „tierähnlichen“ Stufe stehend charakterisiert wird. Beide 
können keine systematisierten, progredienten Wahnideen, überhaupt keine auto- 
psychische Tätigkeit höherer Art produzieren, weil sich das Gehirn bei dem 
einen noch nicht zur Bildung höherer Vorstellungs- und Assoziationskomplexe 
empordifferenziert hat und bei dem anderen die normale psychische Entwicklung 
durch einen angeborenen Defektzustand aufgehalten wurde. Es verrät sich hier 
ein ähnlicher Parallelismus wie in der anatomischen Charakteristik des tierischen 
und des menschlichen Gehirnes. 

Ich habe bei diesen einleitenden Bemerkungen etwas länger verweilt, weil 
sie als Ergänzung meiner früher publizierten Auseinandersetzungen über die 
tierischen Psychosen dienen sollen, und ferner weil ich mich damit in einen 
klar umschriebenen Widerspruch mit Lindsay setzen möchte, dessen von 
anthropomorphistischen Behauptungen getragene Essays über das gleiche Thema 
nicht übergangen werden können. 

Im übrigen wird man auch bei sehr vielen moderneren Arbeiten eine 
ähnliche Färbung vertreten finden und die in obigen Sätzen bemängelte zu 
geringe Rücksichtnahme auf die normale Psychologie und auf unsere eng¬ 
begrenzte Diagnostik bewirkten notwendigerweise Fehlschlüsse, die den hierher¬ 
gehörigen Publikationen im bunten Wechsel anhaften. Sie auszumerzen, kann 
nicht durch allgemeine Erklärungen und Gegenfragen versucht werden, sondern 
nur durch das Aufsuchen aller konkreteu Fälle, sowohl in der Literatur wie auch 


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im Leben und durch ihre genaueste Analyse von den besprochenen Gesichts¬ 
punkten aus. Es ist das gewiß eine ebenso mühsame wie undankbare Aufgabe, 
die aber meines Erachtens nach nicht umgangen werden kann, wenn dem in 
der Einleitung erwähnten Zwecke gedient werden soll. Es ist eine solche 
Methode in einem Wissenszweige nicht zu vermeiden, bei dem, wie in der 
normalen und pathologischen Psychologie, das frische, zweifelbefreiende Experiment 
so wenig anwendbar ist und bei dem, man mag die Sache wenden und drehen 
wie man will, vorläufig noch so vieles von persönlichen Definitionen, von der 
subjektiven Beeinflussung des Beobachters abhängt und auf Glauben und Un¬ 
glauben ankommt. 

Soviel zur Kennzeichnung meiner reservierten Stellung, die ich mit FAnfi(12) 
teile und der sich auch Näcke(13) und neuestens auch Hutyba-Mabek (14) 
angeschlossen haben. 

Damit komme ich auf den Hauptpunkt meiner Besprechung, auf die Frage 
nach der Hysterie der Tiere, die durch die neueste Publikation Mainzers (15) 
aktuell geworden ist. Es ist dies meines Wissens die erste Arbeit über dieses 
Thema, die so viel Objektivität und Genauigkeit aufweist, daß man über sie in 
eine ersprießliche Diskussion eintreten kann. An der Hand von drei von ihm 
selbst beobachteten Fällen kommt Mainzer zu dem Schlüsse, daß wir wohl oder 
übel das Vorkommen hysterischer Symptome bei den Tieren zugeben müssen, 
wenn auch recht tiefe Unterschiede zwischen den gewöhnlichen Hysterien und 
diesen bestehen. Wenn ich auf seine wichtige Publikation des Ausführlichen 
zurückkomme, so geschieht dies weniger, um die erfreuliche Beipflichtung meines 
Standpunktes zu konstatieren, sondern um womöglich einige Abstriche zu machen, 
die bei diesem Gegenstände kaum zu umgehen sein dürften. 

Neben seinen eigenen Fällen beruft sich Mainzer nach dem Vorgänge von 
Higier auf die drei von Gilles de la Todrette (16) zitierten Fälle und zwei 
von Higier beschriebene. Er übergeht aber die von Gibotti, Flahaüt, 
Rübticüs und Thirion, die allerdings ebensowenig beweisen wie diejenigen 
Hiqier’s, worüber ich mich an anderer Stelle (6) schon geäußert habe. Die 
kategorische Behauptung Higier’s, daß ein samt dem Käfig von der Mauer 
fallender Kanarienvogel sich körperlich nicht verletzt, soudera nur einen 
psychischen Shock erlitten hätte, kann als gegenstandslos übergangen werden, da 
auch solche Behauptungen sich nicht zur Macht einer Argumentation erheben 
können. Daß weiter eine tief in den Rücken gebissene Katze paretisch werden 
und dann plötzlich geheilt erscheinen kann, wird niemand Wunder nehmen, 
dem die klinische Propädeutik der Haustierkrankheiten geläufig ist. 

Befragen wir zunächst unsere modernen Kliniker, denen die Psychoneurosen 
durchaus nicht so weit abliegen, wie der Autor voraussetzt und ihre in den 
gangbaren Lehrbüchern niedergelegten Anschauungen, so haben wir allen Grund, 
an unserer Skepsis festzuhalten. Prof. Fröhner(17) 1 glaubt wohl bei Hunden 
schon hysteroide Symptome gesehen zu haben und hat auch bei diesem Tiere 


1 Briefliche Mitteilung. 

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einen Fall von Katalepsie (16) beschrieben, jedoch bisher noch keinen Anlaß 
genommen, in seinem Lehrbnche dem Begriffe der Hysterie näher zu treten. 
Ähnlich verhalten sich CadEac (18), Hütyra-Mabek und vor ihnen Diekeb- 
hofp, Schneidemühl, Geblach, Röll und die älteren Autoren. Schneide¬ 
mühl (19), der speziell die bei Mensch und Tier vorkommenden Nervenkrank¬ 
heiten behandelt und sogar noch das, schon zu seiner Zeit bezweifelte gemeinsame 
Vorkommen der Tabes vermutet, nennt die Hysterie nicht. Die periodische 
Literatur enthält nur die oben angeführte Kasuistik. Die Häufigkeit des Vor¬ 
kommens ist also sicherlich nicht größer, als Mainzeb nach den ihm bekannt 
gewordenen Veröffentlichungen anzunehmen geneigt ist. Wäre dem nicht so 
und kämen solche Fälle nur einigermaßen gehäuft vor, so würden sie ihrer 
Darstellung wohl kaum entgangen sein, wenn man nicht annehmen will, daß 
alle diese Kliniker bei ihrem nach vielen Tausenden zählenden Krankenmateriale 
sie außer acht gelassen haben, eine Annahme, die ich nicht vertreten möchte. 
Auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifend, habe ich während meiner Tätig¬ 
keit an der Wiener Schule unter einem Krankenmateriale von 6 bis 7000 Hunden 
nicht einen einzigen Fall gesehen, den ich als Hysterie hätte deuten können, 
obwohl ich unter dem Einflüsse meines Lehrers Obebstbineb und seiner Schule 
unausgesetzt nach Nervenfällen gesucht habe. Auch ist mir in den letzten 
Jahren bei einem allerdings weit kleinerem Materiale nie derartiges unter- 
gekommeu, trotzdem mich die anamnestischen Angaben wiederholt zwangen, 
nach dieser Richtung besonders achtsam zu sein. Mit dem Sexualleben zu¬ 
sammenhängende ephemere Phänomene bei Hunden und das Brutgeschäft un- 
begatteter, lange in Gefangenschaft gehaltener exotischer Vögel usw. boten meist 
Anlaß dazu; Hysterie war aber dabei nie zu konstatieren. 

In meinen Aufzeichnungen befindet eich die Krankheitsgeschiche eines 
16 Monate alten Foxterriera, der angeblich stets gesund war und von 2 Anfällen 
heimgesucht wurde, die sich in einer allgemeinen Muskelstarre von 30 bis 
90 Sekunden Dauer äußerten. Das Tier blieb ohne sichtliche äußere Veranlassung 
stehen, hob den linken Hinterfuß bei weiten, starren Pupillen, Anrufen un¬ 
zugänglich. Erst 1 Jahr später, nachdem Bich niemals eine Störung mehr eruieren 
ließ, wurde mir entgegen der Anamnese von dem Züchter versichert, daß das 
Tier eine schwere Staupe durcbgemacht habe und epileptisch geworden sei. Die 
typischen Konvulsionen hörten nach 3 Monaten auf und der Hund wurde verkauft. 
Die Annahme von petit mal wäre unfraglich eher vertreten gewesen als die eines 
hysteroiden Zustandes. 


Nun zu den MAiNZEB’schen Fällen selbst Den 3. Fall seines Materiales 
schaltet er spontan mit den Worten aus: „ist wegen ungenügender Beobachtung 
nicht sicher zu deuten und hat viel Ähnlichkeit mit der Schreckstarre hypnotischer 
Tiere.“ 1 Seine Resümierungen beziehen sich auf die beiden anderen Fälle und 
sind ebenso exakt wie reserviert gehalten. 

Im ersten Fall handelt es sich um einen Hund, der einen Beckenbruch durch 
Hufschlag, dann einen Bruch des rechten Vorderbeines erlitten und außerdem 


1 In einem gewissen Widerspruche hierzu steht 
daß alle 3 Fälle noch hysterisch zu nennen sind 

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auf der früheren Seite der Passus, 

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2 mal von Radfahrern überrannt worden war. Eines Tages versuchte er eine 
steile, mit leichtem Geröll und kleinen Steinen bedeckte Böschung zu erklimmen, 
wobei ihn der abrutschende Schutt immer wieder nach unten riß. Plötzlich sank 
er um und zog in der Seitenlage das rechte Hinterbein kräftig zusammen. Daun 
kontrahierte sich die Muskulatur des linken Hinterbeines; hierauf Strecktonus 
beider Vorderbeine und OpisthotonuB. Nach 2 Minuten Rückgang der Krämpfe; 
nur das Hinterteil blieb paretisch; erst nach 5 Monaten lief der Hund wie 
früher. Tod an Vergiftung nach einem Jahre. Die Gehirnsektion erwies die 
Intaktheit dieses Organes. Ein Krampfanfall bei einer organischen Hirnerkrankung 
war ausgeschlossen. 


Beim Menschen würde Mainzeb unbedenklich Hysterie diagnostiziert haben, 
wenn, wie ich hinzufügen möchte, dieser angegeben hätte, daß er sich bei der 
anstrengenden Bewegung durch ein mitunterlaufenes Trauma, eine Zerrung an 
einer beliebigen Körperregion oder eine schmerzhafte Sensation von seiten der 
vielen, wenn auch schon verheilten Brüche zugezogeu hätte, die schwer genug 
waren, ein durch 1 / a Jahr dauerndes Hinken zu erzeugen. Ein Krampf von 
seite des Gehirnes ist vielleicht gar nicht anzunehmen, war aber nicht beweisend 
ausgeschlossen; wenigstens sind Hinweise auf eine genaue Hirnuntersuchung 
nicht erbracht. Makroskopische Untersuchungen encephalitischer Hunde (und auch 
anderer Tiere) sind nach dieser Richtung sehr gewöhnlich ganz erfolglos, worüber 
ich wiederholt berichtet habe ([20], 1. c.). Der Vergiftuugstod ist ebenfalls nicht 
genauer berücksichtigt. Wurde das Tier absichtlich vergiftet, um seiner los zu 
werden, oder starb es an einer accidenteilen, nur vermuteten Vergiftung, die 
wir in der Anamnese kranker Hunde so oft angegeben finden? In prinzipiell so 
strittigen Fällen genügt der einfache Hinweis auf den negativen Gehirnbefund 
keinesfalls. Er kann nicht mit einigen Worten abgetan werden, weil auf ihn 
das Schwergewicht der ganzen Untersuchung liegt; er muß unbedingt in extenso 
ausgeführt werden, damit man seine Negativität nicht glauben, sondern selbst 
ersehen kann. Insolange das nicht geschehen ist, kann ich den Fall unmöglich 
als Hysterie auffassen. 


Der zweite Fall entspricht den diagnostischen Anforderungen weit besser. Er 
betrifft einen Hund hoher Rasse, noch nicht 1 Jahr alt. Das angeblich bisher 
gesund gewesene Tier erkrankte an unvermittelt einsetzenden, mit Bewußtseins¬ 
einengungen verbundenen, konvulsivischen Krämpfen, wenn es auf ein bestimmes, 
freies Feld gebracht wurde, wenn es sich im Straßengewühl oder in einem Korn¬ 
feld verlor. Nach einem halben Jahre soll der Zustand verschwunden sein. 


Ein Zweifel an der Art der Anfalle scheint dem Beobachter nicht zu be¬ 
stehen, wenn er auch im Resum6 wörtlich zugibt, daß auch hier die Vor¬ 
sicht noch mehr beschränkende Macht ist als sonst, weil es mit unserer 
Kenntnis der Gesamtmimik der Tiere noch schlechter bestellt ist, als mit deren 
Ausdrucksfahigkeit und weil die Schlußfolgerungen von der Bedingung ab- 
hängen, wie weit wir nach den Umständen urteilen können. Die überwiegende 
Mehrzahl der menschlichen Hysterien hat einen anderen Verlauf; es unterbleibt 
beim Tiere „die wesentliche innere Verarbeitung der Anfälle, weil 
die Assoziationen zu einfach sind und weil die hysterische Ver¬ 
anlagung beim Tiere fehlt“. Es genügt überzeugt zu sein, daß, obwohl 


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wir die vorgeführten Fälle „wohl noch hysterische“ nennen können, doch recht 
tiefe Unterschiede zwischen den gewöhnlichen Hysterien und solchen lvrank- 
heitsbildem existieren. 

Diese Worte, aus dem Munde eines Nervenarztes wie Mainzer, sind für 
die Diagnostik der Tierhysterie von größter Bedeutung und es ist von jedem 
künftigen Beobachter dieser Krankheit ihre genaueste Berücksichtigung zu 
fordern, ihre Verwendung als diagnostischer Sohlüssel. Ich gehe einen Schritt 
weiter und verlange dazu noch die genaue Kenntnis der Klinik der tierischen 
Neurosen, die erst nach allen Richtungen hin angewendet werden muß, ehe 
man sich auf die Diagnose Hysterie einläßt. Ferner gehört dazu nicht eine 
einmalige, sondern eine oft wiederholte und Monate, selbst Jahre dauernde Be¬ 
obachtung solcher Individuen, um den intervalläreu psychischen Zustand genau 
zu studieren und so womöglich jenen Aufschluß über den Seelenzustand der Tiere 
zu erfassen, der bei der Hysterie eine so große Rolle spielt Wir werden nicht 
zu vergessen haben, daß wir selbst bei der Berücksichtigung aller dieser und 
noch anderer Punkte nur zu einer relativen Erkenntnis kommen werden und 
der Kobold Hysterie wird, um ein Wort Oppen ueim’s zu gebrauchen, auch den 
kundigsten Beobachter noch viel eher täuschen können, als wie dies beim 
Menschen der Fall ist 

Wie ungemein zahlreich die Fehlerquellen uns von allen Seiten umstellen, 
lehrt der in der 2. Krankheitsgeschichte angeführte Satz über die Platzangst 
Wie aus vielen anderen Erfahrungen wissen wir auch aus den chirurgischen 
Kliniken, daß man den feurigsten Hengst auch ohne Narkose (wie dies früher 
die Regel war) kastrieren kann, ohne eine besondere momentane psychische 
Reaktion zu erzielen. Die Tiere lassen sich ruhig abreiben und nehmen sogleich 
Futter auf, wenn sie solches erhalten können. Ähnlich verhalten sich andere 
Tiere bis zu dem Kaninchen Gad’s, das die ihm eben exstirpierte Niere an¬ 
fraß. Es gibt aber Ausnahmen, die eine gewisse Merkfähigkeit voraussetzen 
lassen. So merken sich namentlich Hunde sehr gut derartige Ereignisse und 
vermeiden den Ort, wo der schmerzhafte Eingriff erfolgte, wo sie geprügelt oder 
gebissen wurden, sehr lange Zeit Ja, manche reißen ihren Wärtern unweigerlich 
aus, wenn sie nur in die Nähe der betreffenden Straße oder Örtlichkeit geführt 
werden. Es sind das Erinnerungseffekte, die dem psychischen Symptome 
der auf einer Zwangsvorstellung beruhenden Agoraphobie äußerlich zwar 
ähnlich, dem Wesen nach aber ganz verschieden sind. Da wir ein solches Er¬ 
eignis bei dem Hunde 2 nicht sicher ausschließen können, dürfen wir ihn auch 
nicht agoraphobisch nennen, sondern, wie Mainzer in berechtigter Vorsicht tut, 
höchstens agoraphobieähnlich. Ich möchte aber auch das vermieden haben; denn 
das Wort erhält in seinem Zusammenhänge mit der Schilderurg des hysterischen 
Symptomenkomplexes in gewissem Sinne einen dogmatischen Beiklang, der 
unsere Analyse zu trüben vermag und sollte ganz eliminiert werden, da der 
Zustand nicht wahrscheinlich und sicherlich nicht beweisbar war. 


Ähnliches gilt von dem emotionellen pathogenetischen Moment, das in 
allen Fällen als stigmatisierend hervorgehoben wurde. 


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Daß beftige Erregungen auch bei Tieren Krämpfe auszulösen vermögen, ist 
von vielen Seiten als eine längst bekannte Tatsache hingestellt worden. Ich 
zitiere hier nur nach Cad£ac und nach Fböhneb den Ausbruch epileptiformer 
Konvulsionen beim Erblicken eines hingeworfenen weißen Tuches, eines plötzlich 
auffliegenden Storches, bei Gewehr- und Geschützfeuer, Lokomotivsignalen, Zugs¬ 
lärm usw. Laposse beschreibt ein Pferd, das jedesmal einen Anfall bekam, wenu 
es sich einer bestimmten Brücke näherte, und Bebnabd ein anderes, das ebenfalls 
erkrankte, so oft es über eiue bewegliche oder über eine mit polternden Holz¬ 
bohlen belegte Brücke zu gehen hatte. Ähnlich kann starkes, direktes oder 
auch reflektiertes Licht bei disponierten Tieren wirken. Diese Anfälle müssen 
keinesfalls immer typisch verlaufen; sie mögen zuweilen vielleicht auch hysterisch 
sein; wegeu des Zurückstehens des psychischen Momentes bei tierischen Neurosen 
und wegen der größeren Häufigkeit der Epilepsie wird man wohl aber zuerst 
das näherliegende, die Epilepsie, annehmen müssen, wie auch das Krankheitsbild 
des Hundes des Falles 2 durch vermutliche Bewußtseinsstörungen und das un¬ 
bekannte Verhalten der Pupillenreaktion nach dieser Richtung hin nicht völlig 
abgegrenzt erscheint Man wird also in Zukunft auch der engeren Differenzierung 
beider Krampfarten ein erhöhtes Augenmerk zu schenken haben, was um so 
schwerer sein wird, als beim Tiere auch das Verhalten der hysterischen Plaques, 
der bysterogenen Zonen, Gesichtsfeldeinschränkung usw. noch nicht bekannt ist. 

Noch verschlungener gestaltet sich aber der Weg zur Erkenntnis, wenn wir 
uns erinnern, daß alle die eben angeführten Beispiele gar keine 
emotionelle Grundlage im eigentlichen Sinne des Wortes haben; 
es sind durchaus keine Handlungen, die ausgiebige, große, assoziative Verbände 
umfassende intrapsychische Tätigkeiten zum Anstoß haben; es sind keine Hand¬ 
lungen, die dem psychischen Gefühle, der Stimmung, entspringen und daher 
gleich den Erscheinungen der Hysterie werden; es sind das nur Reaktionen auf 
periphere Reize, die nach Art eines Reflexes ablaufen, im besten Falle vielleicht 
somatopsychische genannt werden dürfen. Wie sollten wir auch über solch» 
Zustände des tierischen Individuums, die ausschließlich von einer intrapsychischen 
oder antopsychischen Quelle ausgehen, Kunde erhalten, von jenen Phänomenen, 
die als subjektive, niemals auf das. Objekt bezogene Gemütsvorgänge (Wündt) 
klassifiziert werden? Die Stimmungen verraten sich dem äußeren Beobachter 
durch nichts oder nur wenn sie in Affekte übergehen; sie aber bei dem Über¬ 
gewicht des Instinkt- und Trieblebens bei Tieren deuten zu wollen, ist eine 
meist sehr mißliche Sache. 

Nun bleibt noch ein anderes Hauptmerkmal der Hysterie, die suggestiv¬ 
motorischen Ercheinungen, die pathologische Steigerung der Suggestibilität zu 
betraohten, das indirekt mit der Frage nach der Fähigkeit der Simulation zu¬ 
sammenhängt; das Vorkommen der letzteren wurde beim Tiere ebenso oft be¬ 
hauptet wie widerlegt, von niemandem aber noch bewiesen. Mich über die 
Suggestion bei Tieren zu äußern, habe ich hier keine Veranlassung, da ich über 
diesen Gegenstand schon an einem anderen Orte (20) referiert habe. Wir können 
einem Tiere nichts suggerieren, so wenig wie 6ich die Tiere unter einander 


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suggestiv beeinflussen können. — wenigstens nicht, wenn wir an der gebräuch¬ 
lichen Definition der Suggestion festhalten wollen, wie sie Bechterew (21) und 
Webkicke gegeben haben. Damit können wir bei den Tieren noch viel weniger 
anfangen und wir sind gezwungen, den Hysteriebegriff bei ihnen nicht oder 
nur sehr sparsam mit emotiven und suggestiven Attributen auszngestatten. 
Geradezu beängstigend unsicher fühlen wir uns aber, wenn wir noch einige 
andere Merkmale, die in dem Wesen der Hysterie eine leitende Stellung ein¬ 
nehmen, wie Denkhemmungen, emotive Hemmungen, Phantasiespiele, psychisches 
Trauma, Zwangsvorstellungen usw. unter der Kontrolle der gangbaren Lehren 
der Psychologie in das Bild der Tierpsyche einzubauen versuchen. 

Wenden wir uns zur Definition der Hysterie selbst, so begegnen wir neuen, 
fast nnübersteigbaren Schranken, wenn wir sie dem Tierischen anpassen wollen. 
Nach oben hin, gegen das Gebiet der Psychosen, existiert nicht einmal bei dem 
Menschen eine scharfe Scheidung und nach unten, gegen dasjenige der 
reflektoiden und automatischen Akte, sind wir nur beim Tiere, nicht 
aber beim Menschen genauer informiert; es gibt keine scharfe Grenze, die uns 
sagen könnte, was noch und was schon Hysterie ist und dieser Mangel bildet 
naeh meinem Dafürhalten eine Hauptgrundlage für die Annahme einer Tier- 
byaterie; wie man zugeben wird, ein schwaches Fundament. 

Fragen wir uns nun, wie das Ergebnis unserer Analyse lauten würde, wenn 
wir diese Forderungen, welche die Hysterie charakterisieren, weniger streng 
fassen wüden, indem wir eine niedere Psyche, eine ganz primitive Assoziations¬ 
tätigkeit, Emotionsfahigkeit, Suggestibilität usw. und ein einfaches Symptomen- 
bild, ähnich dem epileptischen Petit mal oder der Hysterie der Kinder an¬ 
nehmen. Namentlich der letztgenannte Punkt wäre von vornherein nicht von 
der Hand zu weisen. Bei jungen Kindern ist die Hysterie eine relativ sehr 
seltene Erkrankung, die wir meist als Forme fruste oder monosymptomatisch 
agnoszieren. Es bestehen nur einzelne Krankheitserscheinungen, oder eine 
Kombination solcher Einzelsymptome wie Astasie-Abasie mit Aphasie (Bins- 
wangeb, Bruns), eventuell auch Erbrechen, das sich ohne nachweisbare 
somatische Ursache einstellt und einer suggestiven Behandlung bereits zu¬ 
gänglich ist (Fischl); sonst findet sich nichts; vor allem fehlen die hysterischen 
Stigmata. Diesen Symptomenausfall führt Bruns (24) auf die größere Einfach¬ 
heit des kindlichen Seelenlebens und auf die geringere Kompliziertheit seiner 
Überlegungen zurück. Mit dem absteigenden Lebensalter wird die Hysterie 
immer seltener und das Alter von 3 Jähen wird gewöhnlich als jene Grenze 
angenommen, unter welcher die kindliche Psyche nicht imstande ist, hysterische 
Manifestationen zu produzieren. Wollen wir auch einem alten erfahrenen Jagd¬ 
hunde vielleicht einen größeren Besitzstand an einfachen Vorstellungen zugebeu 
als einem Säugling, so fehlt doch beiden sicher eine namhafte assoziative Be¬ 
wußtseinstätigkeit Die menschliche Psyche entwioklungsgeschiohtlich als 
Kontinuum der tierischen aufgefaßt, hat das seltene oder das Nichtvorkommen 
der Hysterie beim jungen Kinde in gewissem Sinne eine rückschließende Kraft 
auf die Art und die Häufigkeit des gleichen Vorkommens bei den Tieren; zum 


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mindesten ist darnach eine Seltenheit der Erscheinung vorauszusetzen. Wird sie 
dennoch konstatiert, so ist vor allem ihre Dignität zu prüfen. Während beim 
Kinde eine geometrisch begrenzte Hypästhesie erst durch unser Wissen von der 
Möglichkeit einer krankhaften Vererbung und von der Entwicklung des Leidens 
im späteren Leben als hysterisch charakterisiert wird, würden wir zu einer 
solchen Auslegung bei dem eventuellen Nachweise eines derartigen Symptomes 
bei einem Hunde nicht ohne weiteres berechtigt sein. 


Übertragungsversuche vom Menschen auf das Tier begegnen also auch unter 
den festgelegten Voraussetzungen ganz ernsten Schwierigkeiten. Die Begriffe 
niedere Psyche und Assoziation widersprechen sich in vielen Punkten. Nehmen 
wir weiter an, die Suggestibilität hätte beim Tiere nur eine geringe Bedeutung 
oder sie fiele ganz weg. Wir können uns nach dem, was wir über dieses Phänomen 
durch die Arbeiten von Heubel und Pbbteb wissen, leicht entschließen. Es 
bleibt uns nur noch das Feld der Emotionen. Als niedere Grade der Affekte 
definiert ist ihre Gegenwart bei den höheren Tieren innerhalb gewisser Grenzen 
wohl zuzugeben. Der Stimmungswechsel ist ein Hauptsymptom bei der Lyssa 
des Hundes. Leider ist die objektive Kenntnisnahme mangels einer Sprach¬ 
verständigung und feineren Ausdrucksbewegung meist zu schwierig, um immer 
aus ihiem Verhalten diagnostische Anhaltspunkte gewinnen zu können. Beim 
Pferde schließen wir aus dem Niederlegen der Ohren nach rückwärts auf Ärger 
oder Zorn, der sich eventuell durch Beißen und Schlagen äußert Wir denken 
bei seinem freudigen Herumtollen auf eine Lust-, bei seinem panikartigen 
Dahinrasen auf eine Angstempfindung. Wir sind damit aber schon unwillkürlich 
auf das Gebiet der Affekte geraten, was uns um so begreiflicher erscheint, als 
die Affekte das Leben der Tiere noch viel mehr beherrschen als das des 
Menschen, und als nur die in Affekt befindlichen Tiere uns verständlich handeln. 
Über ihre Stimmungen wissen wir nur sehr wenig. Im allgemeinen zwingt uns 
nichts, den Stimmungen in dem Seelenleben der höheren Tiere auch nur annähernd 
jene Bedeutung geben zu wollen, die sie beim Menschen haben. Wir haben 
jedenfalls keinen Anlaß, ein psychisches Gefühl höheren Grades und feinerer 
Gliederung dem Tiere zuzumuten, dem ich besten Falles nur einfache, von der 
Sprache unabhängige Vorstellungen, viel weniger aber ein begriffliches Denken 
zumuten möchte. 


Alle die eben berührten Momente zusammengenommen, drängen uns zu 
dem Schlüsse, daß das Hauptpostulat der Abhängigkeit hysterischer Phänomene 
von seelischen Einflüssen und ihre Reaktion auf solche uns nicht gestattet, die 
bedeuteten Annahmen zu akzeptieren und in eventuellen hysteroiden Er¬ 
scheinungen ohne weiteres einen Beweis für den Bestand einer Hysterie zu er¬ 
blicken. Die Katalepsie kann selbst beim Menschen, wenn sie keine besondere 
Form annimmt, nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose rechtfertigen, kaum aber 
beim Tiere. Zum Schlüsse bliebe vielleicht noch eine theoretische Konstruktion 
— eine Hysterie ohne Beziehungen zu psychisch abnormen Zuständen, die wir 
im Hinblicke auf das von uns besonders betonte Differenzmerkmal der Reduktion 
oder des Wegfalles der psychischen Komplemente bei den Psychosen der Tiere 


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noch erwähnen müssen. Wir nehmen damit der Hysterie ihr essentielles 
Element und gelangen zu diagnostischen Problemen, deren Diskussion ganz 
unersprießlich ist Wie bei den Psychosen müssen wir auch bei ihr uns un¬ 
ausgesetzt auf die normale Psychologie zu stützen versuchen. Als Vergleichs¬ 
objekt kann uns dabei nur jene hoch komplizierte, schwer zu definierende Er¬ 
scheinungsgruppe dienen, die wir menschliche Psyche nennen und der wir beim 
Tiere die Gesamtheit jener Handlungen gegenüberstellen müssen, die wir nach 
Wcttdt wegen der Bedingungen ihres Zustandekommens und wegen ihrer 
Ähnlichkeit mit unseren eigenen psychischen Lebensäußerungen auf seelische 
Vorgänge beziehen. Nehmen wir hier nach dem Vorgänge der RoMANEs’schen 
Schule Weiterungen vor, so sind der beweislosen Spekulation Tür und Tor ge¬ 
öffnet, weil wir, wenn wir uns auf dieser Bahn weiter bewegen, zu Grund¬ 
begriffen gelangen, die eine unbegrenzte Zahl von Möglichkeiten zulassen, bis 
hinab zu den Funktionen der Amöbenseele; sie sind dann allumfassend, aber 
nichtssagend. 

Ich halte es bei unserem derzeitigen Erkenntnisstandpunkte über die 
normale Psychologie der Tiere, der noch nicht genügend ausgebildeten Semiologie 
der tierischen Nervenkrankheiten und der kleinen Wirkungssphäre der objektiven 
Diagnostik für ganz unmotiviert, bei Bewegungsstörungen aus fehlenden Er¬ 
klärungsmomenten auf die Anwesenheit von Hysterie bei Tieren zu schließen. 
Ich glaube, daß die Hysterie, la grande maladie simulatrice von Chabcot, bei 
Tieren nur höchst selten oder überhaupt nicht vorkommt, weil das spezifisch 
Tierische, das Fehlen der Einsicht in die Relationen der Erscheinungen zu ein¬ 
ander (Mobgan), dem im Wege steht Unter den Bewegungsstörungen, die bei 
den Haustieren die Neurosen begleiten, mag es vielleicht auch solche geben, die 
durch emotionelle Anlässe hervorgerufen werden könnten, die uns aber nur dann 
zur Vermutung der Existenz hysterischer oder hysteroider Symptome drängen 
können, wenn sie von epileptischen Attacken und jenen bei Tieren vorkommenden 
Zuständen getrennt worden sind, die uns in den von Vebwobn studierten Be¬ 
wegungshemmungen auf starken Sinneseindruck, in der von Mainzeb erwähnten 
Schreckstarre, von höheren Reflexen usw. bekannt geworden sind. Derartig 
isolierte, neuropathische Erscheinungen sind jedenfalls so selten und so schwer 
eruierbar, daß jeder neue Fall einer umfassenden Analyse unterworfen werden 
sollte, um dadurch vielleicht zu einer Entscheidung in den hier berührten Frage¬ 
punkten gelangen zu können. 

Literatur. 

1. Nasse, Vom Irresein der Tiere. Nasse’sche Zeitschrift f. psychische Arzte. 1620. 
6. 170. — 2. Laudbr Lindsay, Madness in animals. Journ. of mental science. 1872. S. 181 
u. Mental epidemics among animals. Ebenda. S. 525. — 3. Vogel, Über Psychopathien 
der Haustiere. Adam's Repertorium. 1888. S. 291. — 4. Zürn, Geist und Seele des Pferdes. 
Unsere Pferde. Stuttgart 1898. S. 5. — 5. Dexleb, Pathologie des Nervensystems. Er¬ 
gebnisse von Lubabsch-Obtbbtag. 1900—1901 u. Entzündung des centralen und peripheren 
Nervensystems des Hundes. Oberateiner’s Arbeiten. 1894. S. 43 u. Nervenkrankheiten des 
Pferdes. Wien 1899, Deuticke. S. 225. — 6. Dexleb, Über die psychotischen Erkrankungen 
der Tiere. Monatshefte f. Psych. u. Neurologie. XVI. S. 99. — 7. Ziegler, Begriff des In¬ 
stinktes einst und jetzt. Jena 1904. — 8. Büttel-Reepen, Kritik von Lukas' Psycho- 


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112 


logie der niedersten Tiere. Archiv f. Rassen u. Gesellsch&ftsbiologie. 1906. S. 579. — 

9. Münk, Großhirn. Berlin 1890, Hirschwald. S. 59. — 10. Fböhmkb, Pathologie und 
Therapie. 1904. — 11. Liepmann, Ober die Störungen des Handelns bei Gehirnkranken. 
Berlin 1905, S. Karger. — 12. FAb£, lies maladies mentales. Compte rend. de la Soc. de 
Biol. 1893. 8. 206 n. L’immobilitö da cbeval. Rev. nenrol. 1995. S. 39. — 13. Näcke, 
Allgem. Zeitschr. f. Psyeh. u. ger. Med. 1903. S. 276. — 14. Hütyba-Mabbk, Pathologie 
nnd Therapie. Jena 1905/6, Fischer. — 15. Maibzeb, Mitteilangen Ober die „Hysterie 14 der 
Tiere. Neurolog. Centralbl. 1906. S. 441. — 16. Gillks ob la Toübbttb, Hysterie. 1894. 
S. 76. — 17. Fröhnbr, Fall von Katalepsie beim Hände. Deutsche Zeitschr. f. vet. Med. 
1883. — 18. CadIao, Pathologie interne des animauz domestiques. XIII. 1899. — 
19. SchnbidbmÜhl, Vergleichende Pathologie and Therapie. Leipzig 1898. — 20. Dbxleb, 
Pathologisch-anatomische Untersuchungen über die Bornasche Krankheit. Zeitschr. f. Tier* 
’tnedizin. 1900. S. 110. — 21. Dexlbb, Die Tierpaniken. Stampede of horses. Arehiv f. 
Psych. u. Neurol. 1906. — 22. v. Bechtbbbw, Die Bedeutung der Suggestion im sozialen 
Leben. Wiesbaden 1905. — 23. Vbbwobn, Die sogenannte Hypnose der Tiere. Beiträge 
zur Physiologie des Centralncrvensystems. Jena 1898. — 24. Bbüns, Die Hysterie des 
Kindessiters. Halle a/S. — 25. P. Scbüsteb, Die Sensibilitätsleitung im RBckenmarke des 
Hundes. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie. XX. Heft 2. 

2. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer 

Neugeborener. 1 

Von Otto Banke in Wiesloch. 

M. H.I Es ist in weiten Kreisen bekannt and durch exakte klinische Be¬ 
obachtungen der letzten Jahrzehnte für die Wissenschaft erwiesen, daß die Ehen 
syphilitischer Personen, in welchen überhaupt eine lebensfähige Nachkommen¬ 
schaft erzeugt wird, eine überaus große Anzahl nerven- und geistesdefekter In¬ 
dividuen liefern. loh erinnere Sie nur an die Statistik Julliens(I), eines 
Schülers von Foubnier, welcher unter 162 lebensfähigen Kindern aus 43 syphi¬ 
litischen Ehen in 50°/ 0 meningitisch-eklamptische Symptome fand; oder an die 
Erhebungen Zibhbn’s (2), der bei einer großen Anzahl geistesschwacher und 
idiotischer Kinder in 10°/ 0 mit Sicherheit, in weiteren 17 °/ 0 höchstwahrscheinlich 
eine Lues der Erzeuger nachweisen konnte. 

Bisher fehlte uns ein anatomisches Verständnis dieser klinischen Tatsachen. 
Zahlreiche Sektionen hereditär-syphilitischer Individuen, welche während des 
Lebens Erscheinungen von seiten des Centralnervensystems dargeboten hatten, 
haben gezeigt, daß die als spezifisch luetisch anerkannten Prozesse: gummöse 
Neubildungen und die ÜEUBNEB’sche Endarteriitis nur recht selten im nervösen 
Centralorgan sich auffinden lassen. Auch meningitische Veränderungen, die 
gelegentlich beschriebenen Meningoencephalitiden und Meningomyelitiden, sind 
in der Literatur über die Erbsyphilis ein sehr vereinzelter Befund geblieben. 
Vibchow’s Anschauung einer interstitiellen Encephalitis der syphilitischen Neu¬ 
geborenen (3) hat sich — wenigstens in der von ihm angenommenen Form und 
Bedeutung — als irrig erwiesen. Auch Mbaöek’s Ansicht einer hämorrhagischen 

1 Vortrag, gehalten anf der XXXI. Wanderveraammlong der sftd westdeutschen Neuro¬ 
logen und Irrenärzte in Baden-Baden am 27. Mai 1906. 

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Diathese bei kongenitaler Lues (4), welche etwa zu Blutungen in das Central¬ 
nervensystem und seine Hüllen führe, hat eine eigentliche Klärung der Sach¬ 
lage nicht gebracht So wurde von mancher Seite die Frage erhoben: sind wir 
überhaupt berechtigt, für alle, oder auch nur für die Mehrzahl der Fälle von 
hereditärer Syphilis mit nervösen Symptomen einen nachweisbaren histo-patho- 
logischen Prozeß im Centralorgan anzunehmen? Haben wir es nicht vielmehr 
mit funktionellen Störungen zu tun, die sich jedem Versuch eiuer morphologischen 
Analyse entziehen? 

M. H.! Ehe wir mit einer solchen Meinung den Bankerott unseres ana¬ 
tomischen Könnens erklären und auf ein naturwissenschaftliches Verständnis der 
in Frage stehenden Erscheinungen Verzicht leisten, sollte kein Weg, der auch 
nur einige Aussicht auf Erfolg böte, unbeschritten bleiben. Was wissen wir 
denn bisher über die feineren normal-histologischen Verhältnisse des embryonalen 
und neugeborenen Centralorgans, über seinen Gefäßapparat, sein Stützgewebe, 
seine spezifischen Funktionsträger? Was wissen wir über die mannigfachen 
Möglichkeiten seiner Erkrankung, welche vielleicht von den noch größtenteils 
unbekannten pathologischen Prozessen im erwachsenen Nervensystem weitgehend 
verschieden sind? Und was wissen wir endlich über spezifisch-luetische Prozesse 
im embryonalen Gehirn und Rückenmark? 

Solange wir, wie bisher, auf die erste Frage, nach den normalen Verhält¬ 
nissen, wenig, auf die beiden anderen aber so gut wie nichts zu antworten ver¬ 
mögen, ist es wohl noch ein wenig zu früh, mit der Annahme „funktioneller 
Störungen“ auf eine weitergehende Erkenntnis zu verzichten. 

Freilich bedarf es umfangreicher und mühsamer Forschung, um auf ana¬ 
tomischem Wege Klarheit in die Zusammenhänge zwischen hereditärer Lues 
und Nerven- und Geisteskrankheiten zu bringen. Wie ich schon andeutete, ist 
die feinere Histologie des embryonalen und neugeborenen Centralnervensystems 
uns bisher noch fast völlig unbekannt Es gilt also als erstes, eine größere An¬ 
zahl normaler Präparate zu sammeln und diese mit allen Mitteln moderner 
histologischer Technik durchzuarbeiten; daneben Veränderungen bekannter Ätio¬ 
logie — nach Geburtstraumen, septischen Infektionen u. dgl. — eingehend zu 
studieren, und endlich nachzusehen, ob in Fällen einwandfreier hereditäre/ 
Syphilis pathologische Veränderungen Überhaupt, ob insbesondere charakteristische, 
als spezifisch aufzufassende Veränderungen sich nachweisen lassen. 

Erst von dieser Basis aus läßt sich dann — wie ich meine — die Finge 
nach der anatomischen Grundlage der im späteren Leben bei hereditär syphi¬ 
litischen Individuen auftretenden nervösen und psychischen Störungen erfolgreich 
in Angriff nehmen. 

An der Hand einiger Präparate, Zeichnungen und Mikrophotogramme möchte 
ich Ihnen heute über die ersten Anfänge derartiger Untersuchungen kurz be¬ 
richten. 1 


1 Eine ausführlichere Bearbeitung des Gegenstandes wird im 3. Bande von Nissl’s 
„Histolog. u. histopatholog. Arbeiten“ erscheinen. 


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Zuerst wolleu wir nur zusammen einen schnellen Blick auf die Resultate 
werfen, welche die bisherige histologische Forschung über pathologische Ver¬ 
änderungen in anderen Organen bei hereditärer Lues gezeitigt hat. 

Ich beziehe mich dabei vornehmlich auf die Arbeiten von R. Hecker (5), 
der in neuerer Zeit wohl die eingehendsten Untersuchungen über diesen Punkt 
angestellt, auch zum ersten Male an einem größeren Materiale das histologische 
Verhalten der normalen Organe von verfrüht und ausgetragen geborenen Kindern 
zum Vergleiche herangezogen hat Als wichtigstes allgemeines Resultat hat 
Hecker gezeigt, daß sich in den Organen nahezu aller syphilitischen Föten und 
Säuglinge gewisse charakteristische Veränderungen nach weisen lassen. Im speziellen 
aber kam er, wie auch die früheren Autoren, zu der Anschauung, daß die kon¬ 
genitale, ebenso wie die akquirierte Lues hauptsächlich im interstitiellen Gewebe, 
meist erst sekundär im Parenchym der Organe angreift. Und zwar kann sie 
hier bewirken: 

1. die charakteristischen Gefäßerkrankungen, 

2. eine diffuse kleinzellige Infiltration, 

3. eine umschriebene Rundzellenanhäufung, das miliare Syphilom, 

4. cirkumskripte und diffuse Bindegewebswucherungen. 

Neben diesen gröberen histopatbologischen Veränderungen sind recht inter¬ 
essante Störungen der Entwickelung bei kongenitaler Lues beschrieben worden. 
Die Franzosen Hutinel und HudElo(ö) betrachteten merkwürdige Inseln be¬ 
sonders lebhafter Proliferation in Leber und Niere als durch eine entwickelungs¬ 
fördernde Wirkung des syphilitischen Virus hervorgerufen. Für die Leber trat 
Hecker ihnen bei, bezüglich der Niere äußerte er aber, speziell in seiner letzten 
Arbeit einige Bedenken, ob wir es bei der als pathologisch betrachteten „neogenen 
Zone“ nicht mit einem uormalen Bildungsvorgange zur Zeit der Geburt zu tun 
hätten. 


Im Gegensätze zu diesen Bildungen werden der fötalen Syphilis auch ent- 
wickelungshemmende Einflüsse zugeschrieben, besonders von Karvonen (7), welcher 
die Zellinfiltration der Nierengefäße bei kongenitaler Lues auf fötale Bildungs- 
verhältuisse zurückzuführen sucht, vor allem aber die sogenannten „Pseudo- 
glomeroli“ in den Nieren luetischer Kinder als eine Hemmungsbildung anspricht. 

Endlich haben in allerueuester Zeit die Untersuchungen über das Vor¬ 
kommen des Lueserregers in den Organen bei kongenitaler Syphilis einige be¬ 
merkenswerte Gesichtspunkte ergeben, auf die wir zum Schlüsse ganz kurz ein- 
gehen werden. 

Meine eigenen Untersuchungen erstreckten sich bisher auf etwa 50 Gehirne, 
welche Kindern vom 3. Fötalmonat bis zu einigen Monaten nach der Geburt 
angehörten. Die meisten (nämlich 38) stammten aus der Zeit des 5. Fötal¬ 
monates bis zur vollen Geburtsreife. Von diesen Präparaten waren 11 von 
Kindern, bei welchen eine kongenitale Lues mit voller Sicherheit nachgewiesen 
werden konnte, nämlich ein Kind von 4 Wochen, sieben reife Neugeborene (von 
diesen drei totgeboren), eine Frühgeburt aus dem achten, und zwei aus dein 
7. Monate. 


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Da nun nach Heokek’s sehr eingehenden Untersuchungen etwa 75 °/ 0 aller 
Frühgeburten durch Syphilis bedingt sind, so wird die Zahl der luetischen 
Präparate unter meinen etwa 40 Frühgeburten aus dem 3.—8. Monate sicher 
eine noch beträchtlich größere sein; in der Tat fanden sich auch manche der 
Veränderungen, welche ich Ihnen sogleich aus meinen Fällen sicherer Lues be¬ 
schreiben werde, noch in einer ganzen Anzahl anderer Präparate. 

Auf das makroskopische Verhalten meiner Präparate will ich hier nicht 
näher eingehen, da es nur selten einen speziell auf Lues verdächtigen Gesichts¬ 
punkt ergab. 

Nur müssen die Blutungen der Pia und Hirnsubstanz, besonders des Markes, 
erwähnt weiden, welche sich in 4 Fällen schon dem bloßen Auge zeigten, vom 
Mikroskop aber in allen 11 Präparaten nachgewiesen werden konnten. 

Über diese Blutungen ist bereits viel geschrieben und gestritten worden. 
Ich muß mich hier darauf beschränken, der Untersuchungen Aknold Hellke’s (8) 
und seiner Schüler kurz zu gedenken, welche in ihnen eine wichtige, wenn nicht 
die hauptsächlichste Ursache für den so häufigen Tod in der Geburt und die 
Pädatrophie kongenital syphilitischer Kinder sehen, sowie die Annahme Mba&ek's (4) 
noch einmal zu erwähnen, der an der Hand eines großen Materiales auf die in 
manchen Fällen von hereditärer Lues in allen Organen ungeheuer zahlreichen 
Hämorrliagien hinwies und aus ihrem Vorhandensein im Anschluß an Behbknd (9) 
eine besondere hämorrhagische Diathese syphilitischer Neugeborener, eine „Syphilis 
haemorrhagica neonatorum“, abzuleiten versucht hat. 

Mein eigenes Material hat mir gezeigt, daß solche Blutungen bei Früh¬ 
geburten, besonders solchen aus früheren Schwangerschaftsmonaten (4.—6.), fast 
niemals vermißt werden. 


Wir finden sie, oft in ungeheuren Mengen und großer Ausdehnung, in den 
Hirnhäuten subpial, in der Binde, besonders reichlich im Mark, auch im Hirn- 
stamme, nicht selten im Plexus, gelegentlich die ganzen Ventrikel ausfüllend. In 
den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um ganz frische, während der Ge¬ 
burt zustandegekommene Extravasate. Während wir solche frische Hirnblutungen 
bei kongenitaler Lues nun auch in jedem der reifen, ausgetragenen Fälle fanden, 
kommen sie normalerweise in dieser Zeit der Entwickelung nur noch äußerst 
selten zur Beobachtung, und zwar fast nur bei Kindern, deren Geburtsverlauf ein 
schwieriger, protrahierter war, oder bei denen Kunsthilfe angewendet werden mußte. 

Als die gemeinsame Ursache dieser Hämorrhagien in früheren Fötalstadien 
sowohl wie bei luetischen Neugeborenen glauben wir gewisse Besonderheiten in 
der Gefäßwand ansprechen zu dürfen. 


Bis etwa zum 7. und 8. Fötalmonat nämlich zeigen sich die Kapillaren und 
Präkapillaren normalerweise im Anilinfarbenbild (Färbung mit Thionin, besonders 
aber mit Toluidinblau) als stark protoplasmatische, kernreiche, in ganzer Aus¬ 
dehnung dunkel gekörnte Schläuche. Erst etwa zur Zeit der normalen Geburts¬ 
reife gewinnen sie das von den Hirnkapillaren des Erwachsenen wohlbekannte 
Ansehen, wie es Fig. 1 von einem gesunden, unter der Geburt gestorbenen Neu¬ 
geborenen darstellt. 

Bei den ausgetragenen luetischen Früchten fanden wir nun fast durchweg 
„embryonale“ Verhältnisse (Fig. 2). 


Ob wir es bei diesem Befunde mit einer „Entwickelungsstörung“ oder mit 


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dem Ausdruck eines entzündlichen Reizes zu tun haben, ist schwer zu sagen; am 
wahrscheinlichsten dürfte es sich hier — wie bei anderen, später zu schildernden 
Verhältnissen — um das Fortbestehen einer in früherer Fötalzeit normalen Proli- 



Fig. 1. Hirn kapillaren eines normalen reifen Neugeborenen. 

feratiou durch einen entzündlichen Reizzustand handeln. Übrigens ist zu betonen, 
daß wir durchaus das gleiche „embryonale 14 Verhalten der kleinsten Gefäße von 
manchen Fällen acquirierter diffuser Hirnlues kennen, wie sie Alzheimer (10) 
beschrieben und abgebildet hat. 









ä-.rv 






Fig. 2. Hirnkapillaren von einem 4 Wochen alten syphilitischen Säugling. 


Die Gefäßveränderungen bei der kongenitalen Lues sind aber nicht auf die 
Kapillaren beschränkt. In mehreren Fällen fanden sich auch weitgehende 
Schädigungen der Arterien wand, besonders ihrer Intima 

(Endothelwucherung und-Vakuolisation, gelegentlich auch Abstoßung endo¬ 
thelialer Elemente, daneben Vakuolenbildung in der Muskulatur und nicht 
selten Adventitialwucherung, vgl. Fig. 3), 


und sehr hochgradige Proliferations- und Degeneratiouserscheinungen innerhalb 
der pialen Venen. 


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Besonders fiel in den letzteren die Abstoßung gewucherter, großkerniger 
Endothelzellen auf, welche oft fast das ganze Lumen ausfüllten und bereits in 


Fig. 8. Flachschnitt durch eine piale Arterie, das gewucherte, vakuolisierte Endothel zeigend. 

dem gestauten Blutstrom weitgehende makrophagische Fähigkeiten entwickelten 
(Fig. 4). 


Fig. 4. Pialvene mit stark gewucherter Wand. Abgestoßene Endothelien (Makrofngen) im 

Lumen. 


Die pathologischen Erscheinungen in der Hirnsubstanz lassen sich am besten 
im Anschluß an die genannten Veränderungen der Gefäßwände studieren; sie 
stehen offenbar zum größten Teil mit ihnen im direkten ursächlichen Zusammen¬ 
hang und zeigen uns an, daß die geschädigte Gefäßwand dem Erreger der 


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Syphilis und seinen Giftstoffen leichtesten Durchtritt gestattet ln mehreren 
Fällen fanden sich ausgebreitete leukocytäre Infiltrate in der adventitiellen Lymph- 
scheide der Gefäße. Und zwar wurden meist Plasmazellen, zweimal aber auch 
sehr reichliche Mastzellen beobachtet. 

Die Herkunft der Infiltrationselemente aus dem Blutstrome ließ sieh bei 
unseren Fällen kongenitaler Lues mühelos dadurch nachweisen, daß die gleichen 
Zellen untermischt mit „Vorstufen“, welche morphologisch zu dem prozentuell 
weitaus häufigsten Element des embryonalen Blutstromes, dem einkernigen Leuko- 
cyten mit stark fingiertem, leicht gekörntem Protoplasma hinüberführten, meist 
in großer Zahl das Lumen der infiltrierten Gefäße erfüllten. 

Bekanntlich bilden ähnliche Infiltrate (von Lymphocyten und Plasmazellen) 
einen wichtigen Bestandteil der pathologischen Veränderungen bei bestimmten 
Formen der acquirierten Hirnlues und bei der progressiven Paralyse. Während 
sie sich aber im erwachsenen Gehirn streng au die Grenzen der Lymphseheide 
zu halten pflegen (vgl. darüber besonders Nissl[U] und Alzheimer [10]), 
zeigen die leukocytären Elemente im neugeborenen Centralorgan eine aus¬ 
gesprochene Tendenz, sich in das benachbarte Gewebe auszubreiten. Und zwar 
ließ sich aus dem bisher untersuchten Material der Schluß ziehen, daß diese 
Tendenz eine umso größere ist, in einem je früheren Entwickelungsstadium sich 
das betreffende Gehirn befindet. 

Bei zwei aus dem 6. Schwangerschaftsmonate stammenden (vermutlich nicht 
luetischen) Föten fand sich nämlich eine sehr ausgedehnte Gefäßscheiden¬ 
infiltration, das eine Mal mit Plasmazellen, das andere Mal mit großen, poly¬ 
morphkernigen, vermutlich aus dem Endothel stammenden Elemeuten, welche sich 
von der Nachbarschaft der Gefäße über weite Strecken der HirnBubstanz, im 
zweiten Falle fast duroh die ganze Rinde und das Mark ausgebreitet hatte. 

(Schluß folgt.) 


3. Zur Wahrung meiner Priorität in 
Sachen der Kontinuitätslehre des Central nerven svstems. 

Von Prof. B. Haller in Heidelberg. 

Das feinere Verhalten innerhalb des Centralnervensystems hat im Laufe 
der Zeit verschiedene Beurteilung erfahren. Bis zur Entdeckung der Kontinuität 
durch J. Geblach (4) zu Beginn der siebziger Jahre, waren die Begriffe darüber 
höchst dürftig, man sprach sogar von „apolareu Ganglienzellen“. Diesem Zu¬ 
stande gegenüber bildete Gerlach’s Entdeckung, wonach durch ein feines ner¬ 
vöses Netz eine vollkommene Kontinuität innerhalb des Centralnervensystems 
besteht, einen gewaltigen Fortschritt. Allein Geblach’s Auffassung ist nicht 
durchgedrungen und nur Einzelne schlossen sich, ohne direkt für die Sache 
Stellung zu nehmen, an. Der Grund lag gewiß darin, daß jenes feine Netz 
bei den Säugetieren, die ja von den Anatomen und Neurologen jener Zeit aus¬ 
schließlich für die Untersuchung verwendet wurden, schwer und nur bruch¬ 
stückweise zur Beobachtung gelangt. Gerlach’s Lehre fußte soweit weniger 

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auf direkter Beobachtung als vielmehr auf scharfsinniger Verwertung einiger 
bruchstückweiser Befunde. 

Nur wenige waren es, die mit einiger Reserve allerdings die Kontinuität 
annahmen, so der Pathologe Salomon Stricker und Unger in Wien (15), 
Yirchow(18), Golgi, denen sich dann etwas später auch Dietel(2) anreihte. 
Nach neuerlichem Bekenntnis soll im Stillen auch Pflüger (14) dieser Lehre 
vom kontinuierlichen Zusammenhänge des gesamten Nervensystems von Anfang 
an angehört haben. Dieser einsichtsvollen Gruppe gehörte unbestreitbar Victor 
Hensen (10) an, der ja sehr nachdrücklich für die Kontinuität eintrat. 

Mit dieser ersten Etappe schließt aber die unbestrittene, doch nicht all¬ 
gemein durchgedrungene Herrschaft der Kontinuitätslehre insofern ab, als von 
nun an zwei Richtungen sich geltend machen. 

ln 0. und R. Habtwig’s berühmten Werke über das Centralnervensystem 
und die Sinnesorgane der Medusen (11) wird die philosophische Auffassung 
von der Kontinuität des Nervensystems aufrecht erhalten, der „primäre Zell¬ 
verband“ begründet. Da treten auch meine Arbeiten ein. 

Eine zweite Richtung wird mit der technischen Methode Golgi’s ein¬ 
geleitet. Allmählich wurde der Begründer dieser Methode in seiner früheren 
Auffassung schwankend, er sagt: „Es (das centrale Nervennetz, Haller) ist bis 
jetzt wie ein Mythus geblieben, ist es beinahe noch jetzt und droht, es wieder 
zu werden.“ Den Höhepunkt der Unsicherheit erreichte Golgi aber erst 1894, 
wie dies seine Aussage am besten beweist: „Daß aus den unzähligen Weiter¬ 
verteilungen durch komplizierte Anastomosen ein Netz im strengsten Sinne des 
Wortes entsteht und nicht ein bloßes Geflecht, ist sehr wahrscheinlich; 
nach der Prüfung einiger seiner Präparate könnte man es aunehmen; aber 
daß es wirklich der Fall sei, erlaubt eben die außerordentliche 
Komplikation nicht, sich zu versichern“ (5) 1 . 

War auf diese Weise Golgi über das centrale Nervennetz ins Schwanken 
geraten, so führte die einseitige Verwertung seiner sonst so Wertvolles leistenden 
Methode zu einer ganz unrichtigen Auffassung. Diese Richtung wird ge¬ 
kennzeichnet durch die völlige Vernachlässigung der vergleichen¬ 
den Methode und somit durch eine unphilosophische Betrachtungsweise. 
Denn von nun an galt nur das, was die technische Methode zur Darstellung 
brachte, und da die Silberschwärzung, wie denn alle technische Methoden, 
nur unvollständiges leistete und durch andere Methoden ergänzt hätte werden 
sollen, so mußte auf einen Irrweg gelangt werden. So entstand die so lange 
die Nervenlehre beherrschende Neuronenlehre. 

Der Hauptvertreter dieser Irrlehre, der seineu Irrtum mit ins Grab 
nahm, der alte Köllikeb, bestimmt den Begriff des Neurons, welcher bei vielen 
anderen Vertretern der Lehre oft nur zu unklar war, folgendermaßen: „Die 
Neuronen sind nicht nur in ihrer Entwickelung selbständige Bildungen, sondern 
erhalten sich auch später als solche, verschmelzen nicht miteinander und wirken 
nur durch Kontakt aufeinander.“ 


1 Breitgedruckt v. iu. 

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Es schlossen sich zuerst Viele, daun aber Alle der Nenronenlehre an und 
ich blieb mit der Verteidigung und dem weiteren Ausbau der Kontinuitätslehre 
ganz allein, wenigstens auf dem offenen Felde des Kampfes, denn daß 
Mancher im Stillen gleicher Ansicht war, nützte schließlich nichts! 

Ich wurde viel angegriffen, ohne daß die von mir untersuchten Objekte 
geprüft worden wären und hat einer, der sich daran machte, Bawitz(16) nämlich, 
wenigstens für die Mollusken meine Angaben in allen Punkten bestätigt! Zum 
Schlüsse artete der Kampf insofern aus, als die Wirbellosen überhaupt für 
einige Zeit bei Seite geschoben wurden, obgleich ich auch bei den Fischen und 
sogar mit der GoLOi’schen Methode für die Kontinuität eintrat 


Nun und jetzt! Jetzt wird die Kontinuität von sehr vielen angenommen, 
die ehedem tapfer im jenseitigen Lager kämpften, es wird die Neuronenlehre 
von ihnen bekämpft, und derjenige und dessen Ergebnisse, der zwanzig Jahre 
hindurch allein die Fahne hochhielt, wird totgeschwiegen. Und dies wohl¬ 
weislich, denn es ist doch zu unangenehm, so lange an einer Irrlehre 
kritiklos gehangen zu haben. So z. B. schreibt Nissl (13), der früher 
Neuronenanhänger war, ein großes polemisches Buch im Interesse der Kon- 
tinuitätslehre, ohne auch nur mit einem einzigen Worte meiner Ergebnisse zu 
gedenken! Aber außer ihm machte sich noch eine ganze Anzahl früherer Neuro- 
nisten zu Aposteln der Kontinuitätslehre, die gleich ihm Vorgehen. 

Ob dies berechtigt ist, möge hervorgehen aus Betrachtungen der Ergeb¬ 
nisse meiner Arbeiten über die Struktur des Centralnervensystems. Schon 1882 
habe ich kurz meine Resultate zusammengefaßt, allein erst 1885 habe ich meine 
ausführliche Untersuchung über die Textur des Centralnervensystems rhipidoglosser 
Schnecken veröffentlicht (6). Bei diesen Tieren handelt es sich um ein verhältnis¬ 
mäßig primäres Centralnervensystem, und, da die Neuroglia darin nur ganz geringe 
Ausdehnung erreicht, auch um ein sehr klares, äußerst lehrreiches Objekt, das ich 
zu wiederholten Malen völlig erfolglos zur Nachuntersuchung empfahl. Ich bräunte 
(1885 gab es noch keine Methyleublaufarbung) das lebensfrische Gewebe mit 
Überosmiumsäure, und ob ich auch nur einen Strich mehr in meine Abbildungen 
gesetzt, als das Objekt erlaubt, möge die Nachuntersuchung, die wohl daneben auch 
mit der Methyleublaufarbung arbeiten wird, entscheiden. Vor allem verweise ich 
den mit dieser Arbeit Unbekannten auf die Fig. 17 und die ganzen Tafel XXI u. 
XXIII, wo er nicht nur das centrale Nervennetz besser dargestellt findet als 
das bisher durch irgend eine Methode erreicht wurde, sondern auch den Zu¬ 
sammenhang von Ganglienzellen untereinander in einer Weise, wie er es noch» 
nirgends deutlicher gefunden. Ich behaupte ohne Zögern, daß für den Fall, 
daß diese Befunde seinerzeit nachgeprüft worden wären, die Kontinuität des 
Nervensystems sofort Eingang gefunden hätte und wir heute in der Nervenlehre 
weiter wären, vor allem aber ein lärmender Streit und viel Mühe gespart worden 
wäre. Das Resultat dieser Arbeit aber war, daß das Centralnervensystem 
des Rhipidoglossen aus einer G anglienzellrinde und einem centralen 
Nervennetz besteht, wobei die Ganglienzellen sich mit einem Teil 
ihrer Fortsätze im centralen Nervennetz auflöseu, mit andern sich 


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untereinander verbinden und manche Fortsätze zu Achsenfasern peri¬ 
pherer Nerven werden. Solche Achsenfasern gaben Nebenäste (jetzt Colla- 
terale genannt) ab (Fig.67). Achsencylinder können sich auch aus dem 
centralen Nervennetze bilden (jetzt dort auflösen). 

Ich frage nun, sind wir heute nach 21 Jahren diesbezüglich etwa weiter 
gekommen? 

Mit der gleichen Methode untersuchte ich 1889 (8) das Centralnerven¬ 
system der Würmer, wobei ich zu gleichem Ergebnis gelangte. 

Aber auch die GoLGi’sche Methode, angewandt an Knochenfischen, führte 
1894, wo doch die Neuronenlehre in voller Blüte stand, zu dem gleichen Er¬ 
gebnis, welches in einer Rückenmarksarbeit von mir (7) zu finden ist. In dieser 
Arbeit ist aber für Wirbeltiere zumeist mit der GoLGi’schen Methode die Kontinuität 
so begründet und erwiesen, daß es wohl genauer auch seither nicht erfolgte. 
Auch habe ich mich bezüglich der Besprechung des phyletischen Werdens des 
Nervensystems gegen die His’sche Auswachsungstheorie gewandt, wie dies ent¬ 
schiedener bisher nicht geschehen. Doch bitte ich an genannter Stelle (1. c. 
S. 50—52) naehlesen zu wollen. 

Auch meine letzte diesbezügliche Arbeit, in der ich hauptsächlich mit der 
Methylenblaufärbung meine Ergebnisse erreichte bei tracheaten Gliedertieren, 
war wesentlich der Kontinuität gewidmet. 


Wie kommt es denn nun, daß trotz all dieser Errungenschaften meine 
Ergebnisse totgeschwiegen werden, jetzt, wo die Kontinuität sich größerer Popu¬ 
larität erfreut? 

Pflügeb, der sich post festum zur Kontinuitätslehre öffentlich bekennt, 
meint, es gebühre ApAtht das Verdienst, die Kontinuität erwiesen zu haben. 
Er sagt wörtlich: „Wenn auch verschiedene Forscher schon vor Apäthy die 
herrlichsten Anastomosen centraler Ganglienzellen bei Wirbellosen dargestellt 
haben, wie z. B. Dr. Geobg Walter, bei Wirbeltieren vor Allen Wagneb und 
Besser, die sogar von C. Golgi, wenn auch als Ausnahmezustände anerkannt 
werden, so bleibt doch Stephan Apäthy das große Verdienst, die Kontinuität 
des gesamten Nervensystems wenigstens für die Wirbellosen durch seine Methode 
mit solcher Sicherheit festgesetzt zu haben, daß jeder Widerspruch verstummen 
muß“ (1. c. S. 56). 

Somit hätten wir hier bei Pflügeb, der meine Ergebnisse kurzerhand tot¬ 
schweigt, einen Anhaltspunkt für weitere Betrachtungen. 

In der Tat maßt sich Apäthy, der ehedem kein Anhänger der Kontinuitäts¬ 
lehre war, das Verdienst an, die Annahme der Kontinuität errungen zu haben, 
oder wenn ich ihn recht verstehe, , will er die Kontinuität des Nervensystems 
sogar entdeckt haben (I, S. 524). Hierzu habe ich mich kürzlich geäußert 
(IX, S. 242). 

Betrachten wir aber die Sache ganz ruhig, so hat die Kontinuität J. Gerlach 
bei Wirbeltieren entdeckt und ich habe diese für eine große Zahl von Wirbel¬ 
losen und Fischen nacbgewiesen, denn obgleich schon vor mir Manches gesehen 
ward, so ausführlich wie ich hat diesen Gegenstand niemand bearbeitet, um so 


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entschieden behaupten zu dürfen: Die Ganglienzellen anastomosieren unter¬ 
einander im ursprünglichen Verhalten, indessen ihre übrgen Fortsätze sich im 
centralen Nervennetz auf lösen, und Nervenfasern haben doppelten Ursprung: 
aus der Ganglienzelle oder aus dem centralen Nervennetz. 

Innerhalb dieses Nervennetzes und in den Ganglienzellen nun hat Apäthy 
eine schon von Max Schultze bei Torpedo gesehene, doch auch bei Wirbel¬ 
losen von Mauchen, so auch von mir(6), nebenbei beobachtete Netzstruktur 
ungemein deutlicher als je vor ihm und in großer Ausdehnung „mit solcher 
Sicherheit festgestellt, daß jeder Widerspruch verstummt“. Dies ist doch klar 
und ich will dabei gern zugeben, daß Apäthy’s ungemein klaren mikro¬ 
skopischen Bilder besonders bei denjenigen, denen die Zustände bei den Rhipido- 
glossen, dann bei Hydra usw. nicht bekannt waren und dann die vergleichend 
anatomische Methodik eine terra incognita ist, ausschlaggebend waren, doch 
erklärt dies das Totschweigen der Ergebnisse einer zwanzigjährigen Arbeit für 
diese Sache durchaus uicht. 

Der Grund hierfür liegt allein und einzig darin, daß eine 
große Zahl von Nervenforsehern lange Zeit, während der ganzen 
Dauer meiner erwähnten Tätigkeit, dogmatisch fest an die Neu¬ 
ronenlehre sich klammerte und auf die Diskontinuität schwor, da 
ja die GoLGi’schen Bilder (wenigstens in den meisten Fällen) dies 
zeigten. Dabei hatten die Herren diesbezüglich ein begrenztes Gesichtsfeld 
und wollten nicht auch dorthin blicken, wohin ich sie verwies. Alles Flehen 
war vergeblich, ja sogar die Beweise der vergleichenden Methodik blieben 
unberücksichtigt Nun aber, da in dieser Kontinuität eine Struktur mit 
großer Deutlichkeit durch einen sehr gewandten Techniker dargestellt wird, 
sind von ihnen Viele bereit, die Kontinuität anzunehmen. 

Der Irrtum ist aber zu groß, um glattwegs zugestanden zu werden und 
dies würde unbedingt geschehen müssen, bei entsprechender Würdigung meiner 
Ergebnisse! 

Mancher Neurologe wird vielleicht meinen, er hätte meine Ergebnisse nicht 
gekannt, und es wäre von ihm bei so riesigem Anwachsen der Literatur zu viel 
verlangt, zoologische Arbeiten, die noch unter dem Titel „Untersuchungen über 
marine Rhipidoglossen usw.“ (allerdings stand gleich darunter „Die Textur des 
Centralnerveusystems) erschienen sind, zu kennen. 

Allein auch Diesen läßt sich etwas erwidern: In drei allgemein bekannten 
großen Referaten wurden meine Ergebnisse erörtert, von Edingeb(3), Waldeyee(17) 
und v. Lekiioss£k (12). Letzterer, ein heute noch unerschütterlicher Anhänger 
der Neuronenlehre, nannte mich seinerzeit den eifrigsten und konsequentesten 
Vertreter der Koutinuitätslehre. 


Von nun an sind meine Arbeiten wohl leichter zu finden — sie sind unten 
alle angeführt— und die Verwahrung erfolgt in dem Neurologischen Centralblatt. 

Literatur. 

1. St. v. Apathy, Die leitenden Elemente des Ccntralncrvensystcms usw. Mitteil, aus 
der Zool. Station zu Neapel. XII. 1895. — 2. J. DiF.TEL. Die Gewebselemente des Nerven- 


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Systems bei wirbellosen Tieren. Berichte des naturw.-med. Vereins in Innsbruck. 1878. — 
8. L. Edingbb in Schmidts Jahrb. d. ges. Medizin. — 4. J. Gerlach, Von dem Rücken¬ 
mark. Strickens Handbuch der Lehre von den Geweben. Leipzig 1871. — 5. C. Golgi, 
Untersuchungen über den feineren Bau des centralen und peripheren Nervensystems. Aus 
dem Italien, übersetzt von R. Teüscher. Jena 1894. — 6. B. Halles, Untersuchungen über 
marine Rhipidoglossen. II. Textur des Centralnervensystems usw. Morpholog. Jahrb. XI. 
1885. — 7. Derselbe, Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier. Ebenda. XXIII. 
1894. — 8. Derselbe, Beiträge zur Kenntnis der Textur des Centralnervensystems höherer 
Würmer. Arb. a. d. zoolog. Institut der Universität Wien. VIII. 1889. — 9. Derselbe, 
Über den allgemeinen Bauplan des Tracheaten-Lyscerebrums. Archiv f. mikr. Anatomie. 
LXV. 1904. — 10. V. Hbnsen, Über die Entwickelung des Gewebes und der Nerven im 
Schwänze der Froschlarve. Virchow’s Archiv f. Pathologie. XXXI. 1864. — II. 0. und 
R. Hertwig, Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen. Leipzig 1878. — 
12. M.v.Lenhoss£k, Der feinere Bau des Centralnervensystems. Berlin 1893. — 13. Fr. Nissl, 
Die Neuronenlehre nnd ihre Anhänger. 1903. — 14. E. Pflüger, Über den elementaren Bau 
des Nervensystems. Archiv f. d. ges. Physiologie. CXII. 1906. — 15. S. Stricker und 
Unger, Untersuchungen über den Bau der Großhirnrinde. Sitzungsber. d. K. Akademie d. 
Wissensch. in Wien. 111. 1879. — 16. B. Rawitz, Das centrale Nervensystem der Acephalen. 
Jenaische Zeitschr. f. Natorwissensch. XX. N.-F. XIII. — 17. W. Waldbybb, Über einige 
neuere Forschungen im Gebiete der Anatomie des Centralnervensystems. Deutsche med. 
Wochenschr. 1891. — 18. R. Vibchow, Die Cellularpathologie usw. Berlin 1871. 


4. Zur Funktion der Schweißsekretion. 

Von Prof. Dr. A. Adamkiewicz. 

Die Sekretion des Schweißes bildet ein so außerordentlich wichtiges 
Kapitel der Physiologie und der Pathologie des Menschen, daß jeder Autor, der 
diesem Kapitel aus irgend einem Grunde seine Aufmerksamkeit schenkt, nicht 
übersehen darf, welches die Grundlagen der wissenschaftlichen Erkenntnis dieser 
so überaus wichtigen Funktion gewesen sind und wie und wann die Wissen¬ 
schaft sie erworben hat. Und doch wird in diesem Punkte viel gesündigt Ja, 
die Beharrlichkeit, mit welcher das von gewisser Seite geschieht, muß immer 
mehr Grund zu der Befürchtung legen, daß der hier zur Gewohnheit ausartende 
Verstoß gegen die literarische Pflicht der Wahrheit und dem wissenschaftlichen 
Verständnis einer wichtigen Funktion zum Schaden gereichen müsse. 

Durch den in diesem Centralblatte (1907, Nr. 1) veröffentlichten Aufsatz 
des Herrn Dr. Higieb (Warschau) erhält diese Befürchtung wieder neue Nahrung. 
Auch dieser Autor schreibt nach dem nicht nachahmungswürdigen Beispiel ge¬ 
wisser seiner Vorgänger über „Schweißauomalien bei Rückenmarkskrankheiten“, 
ohne den Leser darüber zu informieren, wie er uud die von ihm zitierten Autoren 
zum Verständnis ihrer Beobachtungen gelangt sind. 

Ich sehe mich daher genötigt, endlich einmal daran zu erinnern, daß die 
Schweißsekretion als eine Nervenfunktion im Jahre 1878 von mir entdeckt 
worden ist, und daß in meiner Monographie: „Die Sekretion de3 Schweißes. 
Eine bilateral-symmetrische Nervenfunktion“ 1 das System der Scliweißnerveu 


1 Berlin 1878, Hirschwald. 

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und ihrer Beziehungen zum Gehirn, zum verlängerten Mark, zu den cerebro¬ 
spinalen und den sympathischen Nerven genau erörtert worden sind, und daß 
dieses System als Schema vorbildlich geworden ist für eine bestimmte Kategorie 
von Funktionen, die in der Seele beginnen und in Organen des vegetativen 
Lebens ausklingen, und die ich deshalb als die „psycho-physischen Prozesse“ 1 
bezeichnet habe. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Zur Anatomie der Übergangswindungen, von E. Zuckerkand!. (Arbeiten 
aus dem neurolog. Institut an der Wiener Universität. XIII. 1907.) Ref.: 
Otto Marburg (Wien). 

Die ungeheure Variabilität der menschlichen Übergangs wind ungen auf ein¬ 
fache Grundformen zuräckzufUhren, gelingt dem Verf. durch Heranziehen der 
Verhältnisse bei den Affen. 

So zeigt sich bei den niederen Ostaffen die erste Übergangswindung meist 
defekt und mit der zweiten zur schrägen Übergangswindung vereinigt. Bei den 
Semnopitheci ist die Schlingenform der ersten Übergangswindung bereits typisch. 
Das gleiche gilt für Hylobatiden und anthropoide Affen, bei denen die Windung 
außerdem oberflächlich gelagert ist. Beim Menschen verhält sich die erste Über¬ 
gangswindung ähnlich, wiewohl sie gelegentlich auch in zwei Hälften zerfallen 
kann. Die zweite und dritte Übergangswindung sind teilweise durch Tiefen¬ 
windungen verschiedener Größe ersetzt. Sie können rudimentär sein, gelegentlich 
sogar fehlen. Es werden eine ganze Reihe verschiedenartigster Kombinationen 
angeführt und deren Bedeutung erörtert. Auch die Furchen des Cuneus und 
des Lobulus parieto-occipitalis (bei den anthropoiden Affen) erfahren eine ein¬ 
gehende Bearbeitung. 

2) Über die Veränderung der Medulla oblongata nach einseitiger Zerstörung 
des Strickkörpers, nebst einem Beitrag zur Anatomie des Seitenstrang¬ 
kernes, von Dr. K. Yagita. (Okayama-Igakkwai-Zasshi. 1906. Nr. 201.) 
Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Bei einem Hunde, dem bei der Durchtrennung der IX., X. und XL Wurzeln 
auch der Strickkörper der rechten Seite zerstört worden war, wurde die ganze 
Medulla oblongata in lückenlose Serienschnitte zerlegt, und diese nach Nisal ge¬ 
färbt. In den Präparaten traten mannigfaltige Zellveränderungen qualitativer und 
quantitativer Art zutage, aus welchen Verf. folgende Schlußfolgerungen zieht: 

1. Die Hinterstrangskerne geben ihre Nervenfasern weder in den gekreuzten 
noch in den ungekreuzten Strickkörper ab, weil eine erkennbare Veränderung 
nach Strickkörperverletzung nirgendwo in den Hinterstraugkernen hervortritt. 

2. Die Fibrae olivo-cerebellares nehmen ihren Ursprung nicht im Kleinhirn, 
sondern in der Olive, und zwar größtenteils gekreuzt. 

3. Alle Abteilungen des Seitenstrangkernes stehen auf dem Wege des 
Corpus restiforme mit dem Kleinhirn in Verbindung. Die sich daraus ergebende 
Bahn ist aufsteigender Natur, und zwar entstammt sie größtenteils dem homo¬ 
lateralen, zum minimalen Teile dem kontralateralen Seitenstrangkerne. 


1 Artikel „Schweiß“ in der Real-Encyklopädic d. gcs. Heilk. 1. u. 2. Aufl. — Verhand¬ 
lungen der Berliner Gesellschaft vom 26. Januar 1877 und 28. Dezember 1879. „Die 
Funktionsstörungen des Großhirns/ 4 Berlin 189S, Hans Th. Hoffmanu. 


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4. Von den Zellen der Formatio reticul. begeben sich keine Nervenfasern 
nach dem Corpus restiforme, weil alle diese Zellen nach totaler Strickkörper- 
verletzung keine Veränderung aufweisen. 

5. Bei Hund und Kaninchen entwickelt sich der Seitenstrangkern viel stärker 
als beim Menschen und tritt schon distal von der Olive auf, während er bei 
letzterem erst in derselben Ebene mit dem unteren Ende der medialen Nebenolive 
zum Vorschein kommt. 

6. Der Seitenstrangkern erreicht seine größte Entwickelung im Niveau des 
unteren Teiles der Olive, wo er sich bei Hund und Kaninchen in 5 bis 6 ziem¬ 
lich gut begrenzte Abteilungen zerlegt. 

7. Etwas proximal von der Eröffnungsstelle des Centralkanals zerfällt der 
Seitenstrangkern des Menschen in zwei Abteilungen: eine mediale und laterale, 
die in der Regel durch die lose eingeschaltete Formation des Nucl. abiguus von- 
einander getrennt sind. Die mediale Abteilung hat ihre Lage an der dorso- 
lateralen Seite der dorsalen Nebenolive, während die mediale an der ventro- 
medialen Seite der Substantia gelat. trig. anliegt. 

8. Die obere Grenze des Seitenstrangkernes findet sich beim Menschen un¬ 
gefähr in der Höhe des proximalen Endes des Hypoglossuskernes; bei Hund und 
Kaninchen jedoch liegt sie etwa im Niveau, wo die untere Olive ihr vorderes 
Ende erreicht. 


Physiologie. 

3) Further experlments in the development of peripheral nerves, by Ross 

GranviIle Harrison in Baltimore. (American Journal of Anatomy. V. 

1906. S. 121.) Ref.: M. v. Lenhossök (Budapest). 

Vorliegende Arbeit bringt in knapper Form auf einigen wenigen Seiten eine 
Fülle wichtiger neuer Tatsachen. Sie wird gewiü nicht verfehlen, allseitiges 
Interesse zu erregen, ebenso wie schon die erste einschlägige experimentelle Arbeit 
des Verf.’s vom Jahre 1904 (vgl. d. Centr. 1905. S. 215) in hohem Grade die 
Aufmerksamkeit der Fachkreise auf sich gelenkt und den Namen Harrisons rasch 
zu einem bekannten gemacht hat. Aus den bisherigen, an Widersprüchen so 
reichen Diskussionen über die Bildungsweise der peripherischen Nervenfasern 
scheint dem Verf. nur die eine Tatsache mit Sicherheit hervorzugehen, daß diese 
wichtige Streitfrage rein histologisch nicht endgültig geschlichtet werden kann, 
sondern daß auch hier, wie in manchen anderen ähnlichen Fragen, das Experiment 
einzugreifen hat, um eine unanfechtbare Entscheidung herbeizuführen. Diesen Weg 
hat Verf. im Jahre 1904 als Bahnbrecher auf diesem Gebiete betreten. Um die 
Frage zu lösen, ob die peripherischen Achsencylinder, wie His lehrte, Auswüchse 
der centralen Neuroblasten, oder, wie Dohm, Apäthy, Bethe u. a. behaupten, 
plurizellulare Bildungsprodukte der ihnen anliegenden Schwannschen Zellen sind, 
ging Verf. damals so vor, daß er bei sehr jungen, noch im Stadium vor der 
Bildung der peripherischen Nerven befindlichen Larven von Rana esculenta die 
Quelle, woraus sich die Schwannschen Zellen hauptsächlich herleiten, die Ganglien¬ 
anlagen, entfernte. Die Bildung des sensiblen Nerven unterblieb natürlich, aber 
die motorisAen Nerven, die nicht aus den Ganglienanlagen, sondern aus dein 
ventralen Teil des Medullarrohres hervorgehen, hatten sich nach dem Eingriff in 
normaler Weise bis in ihre Endverzweigungen, in der Bauchmuskulatur bis zur 
Mittellinie entwickelt, aber nicht in ihrer gewöhnlichen, mit Schwannschen 
Kernen besetzten Form, sondern als vollkommen kernlose Faserbiindel. Hieraus 
schloß Verf., daß die Schwannschen Zellen an der Bildung der peripherischen 
Achsencylinder nicht beteiligt sind, sondern nur bei der Entstehung ihrer Hüllen 
eine Rolle spielen. 

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12G 


Aus der vorliegenden Arbeit erfahren wir zunächst, daß Verf. diese Ver¬ 
suche seitdem auch an anderen Froschgattungen (R. sylvatica und palustris) und 
ebenso an den motorischen Himnerven mit demselben Erfolg wiederholt hat. 
Auch die Hirnnerven entwickeln Bich ohne Mitbeteiligung der Schwannschen 
Zellen. 

Um der Frage auch von einer anderen Seite beizukommen, hat Verf. nun 
ein anderes Experiment ausgeführt. Er hat bei sehr jungen Froschlarven, un¬ 
mittelbar nach Schluß des Medullarrohres, die ventrale Hälfte des Rückenmarkes 
ihrer ganzen Länge nach entfernt, unter Schonung der dorsalen Hälfte und der 
Ganglienanlagen. Der Versuch scheint auf den ersten Blick fast unausführbar und 
doch gelang er in den Händen des Verf.’s. Es mußte hierzu zunächst die dorsale 
Rückenmarkshälfte samt den Ganglienanlagen in Form eines Streifens unter Er¬ 
haltung eines Verbindungsstieles abgelöst, dann die ventrale Hälfte des Medullar¬ 
rohres entfernt und schließlich der zuerst abgelöste Streifen wieder an seine normale 
Stelle eingefügt werden. Es ist dies ein Experiraentum crucis dafür, ob die 
peripherischen Sch wann sehen Zellen beim Embryo auch ohne Beteiligung des 
Centralorganes „autogen“ motorische Nervenfasern bilden können oder nicht. Das 
Ergebnis war negativ; mit Abrechnung von einigen Fällen, wo die motorischen 
Zellgruppen des Rückenmarkes nachweisbar nicht vollkommen entfernt worden 
waren, wo es demnach doch zur Entstehung einiger weniger Nervenbündel kam, 
unterblieb die Bildung der peripherischen motorischen Nervenbahnen vollkommen, 
woraus jedenfalls soviel bestimmt hervorgeht, daß jene von einigen Forschern so 
überschätzten Schwan nschen Zellen für sich allein unfähig sind, Nervenfasern 
an der Peripherie zu bilden. 

Diese Versuche beziehen sich alle auf das motorische Nervensystem. Bei 
den sensiblen Nerven sind derartige Experimente deshalb weniger entscheidend, 
weil die Ganglienanlagen nicht nur den sensiblen Nervenfasern, sondern auch den 
Schwannschen Zellen zum Ursprünge dienen. Nimmt man die Ganglien weg, 
so wird alles entfernt, was zur Bildung der Nervenfasern in Betracht kommen 
kann. Hier bietet aber schon die rein histologische Beobachtung wichtige An¬ 
haltspunkte für die Entscheidung der in Rede stehenden Frage, vor allem in der 
Tatsache, daß bei den Amphibienlarven jene sensiblen Nerven, die aus den sog. 
Rohon-Beard8chen Riesenzellen des Rückenmarkes entspringen, abweichend von 
den anderen Nerven vollkommen kernfrei sind; ihre Endverästelungen bilden unter 
der Haut der Froschlarven zierliche Geflechte, worin sich auch kein einziger 
Kern nachweisen läßt. Ebensolche kernlose Geflechte sind auch die Endveräste- 
lungen der Schwanznerven bei Tritonenlarven. 0. Schultze hat kürzlich diese 
vom Verf. schon früher beschriebene Tatsache in Zweifel gezogen, doch weist der 
Verf. nach, daß die abweichenden Angaben Schnitzes darin ihre Erklärung 
finden, daß er von viel zu vorgerückten Stadien ausgegangen ist, von Stadien, 
wo sich in das ursprünglich kernlosen Geflechte schon längst Zellkerne eingelagert 
haben. „Schultze hat die ersten grundlegenden Stadien übersehen und ist so 
dazu gekommen, die in Wahrheit lediglich sekundären Beziehungen der Scheiden¬ 
zellen zu den Nervenfasern als primäre genetische Beziehungen aufzufassen.“ 

Nach alledem kann also nicht mehr daran gezweifelt werden, daß die „Ketten¬ 
theorie“ einer jeden Grundlage entbehrt, und daß die Schwannscheii Zellen bloß 
als Scheidenbildner oder Lemmoblasten, wie sie Ref. kürzlich benannt hat, und 
nicht als Nervenbildner in Betracht kommen können. Es mag hier nebenbei be¬ 
merkt sein, daß in letzter Zeit auch andere gewichtige Stimmen in diesem Sinne 
laut geworden sind. So hat sich namentlich Held in einer kürzlich erschienenen 
ausfürlichen Arbeit sehr bestimmt gegen eine nervenbildende Bedeutung der 
Schwannschen Zellen ausgesprochen. Ihm schloß sich Rabl an, und auch Dohrn, 
lange Zeit hindurch ein eifriger Anhänger der Ivettentheorie, soll von ihr ueuer- 


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dings abgefallen sein, mit Rücksicht auf die Beobachtung, daß sich hei Selachiern 
einzelne Nerven, wie der N. trochlearis, ganz ohne Kerngebilde anlegen. Alle 
stimmen nun dafür, daß die peripherischen Nervenfasern aus den centralen Ganglien¬ 
zellen, und bloß aus diesen, hervorgehen. 

Nun sind aber hierbei zwei Möglichkeiten vorhanden. Nach der Hisschen 
Lehre wachsen die Nervenfasern mit wirklichen freien Spitzen von ihren centralen 
Ursprungszellen her nach der Peripherie. Eine andere Anschauung läuft dahin 
aus, daß die auswachsenden Nervenfasern nicht frei in den Gewebslücken Vor¬ 
dringen, sondern sich sofort in das Protoplasma anderer Zellen hineinlagern und 
intraprotoplasmatisch durch die Mesenchym- und anderweitigen Zellen und ihre 
Zellbrücken hindurch nach der Peripherie ihren Weg nehmen. Damit kommt 
man freilich wieder zur Kettentheorie zurück, denn bei dieser Annahme bleibt 
es durchaus dem subjektiven Ermessen überlassen, ob man diese Art der Ent¬ 
wickelung als ein wirkliches Vorwachsen der Nervenfasern, d. h. als das Vordringen 
einer von der centralen Ganglienzelle gelieferten Substanz oder aber bloß als eine 
zwar vom Centrum nach der Peripherie fortschreitende und wohl auch dem Ein¬ 
fluß der centralen Ganglienzelle unterworfene, aber doch lokale Differenzierung 
des Protoplasmas der betreffehden peripherischen Zellen auffassen soll. In diesem 
Sinne hat sich unlängst Braus ausgesprochen und auch Held ist bis zu einem 
gewissen Grade hierher zu rechnen, indem er jenes merkwürdige, bedenklich 
gerinselartig aussehende, feine, kernfreie Gespinnst, das man hei jungen Embryonen 
in den Spalten zwischen den Keimblättern findet, als protoplasmatische Wachs¬ 
tumsbahn der peripherischen Nervenfasern bezeichnet. Demnach hätte also Hensen 
mit der Hypothese Recht, daß die Nerven nicht frei an ihre Endgebiete lierau- 
wachsen, sondern von allem Anfang an sowohl mit dem Centrum wie mit ihrem 
Endorgan Zusammenhängen. 

Auch in dieser Frage bringt Verf. wichtige, ja man kann sagen entscheidende 
Tatsachen bei. Die wichtigsten bestehen in den Ergebnissen, die er bei Trans¬ 
plantationen des Rückenmarkes und der Ganglienanlagen erhielt. Stückchen des 
im ganzen entfernten Medullarrohres wurden von ihm bei sehr jungen Frosch¬ 
larven unter die Epidermis der Bauchwand gebracht. Nach einiger Zeit wachsen 
aus den motorischen Ganglienzellen des transplantierten Stückes schwache Bündel 
von Nervenfasern hervor, die sich innerhalb der Bauchwand nach allen Richtungen 
regellos ausbreiten. Eiu ähnliches Auswachsen von Nervenfasern ließ sich auch 
aus den gelegentlich mitsamt dem Rückenmark transplantierten Ganglienanlagen 
feststellen. Hier nun kam in einem Falle ein sehr wichtiger Befund zur Be¬ 
obachtung. Die sensiblen Faserbündel breiteten sich in diesem Falle nicht wie 
sonst in der Bauchwand aus, sondern wuchsen frei durch den Hohlraum 
der Bauchhöhle hindurch — der schlagendste Beweis gegen die Annahme, 
daß die Nervenfasern im Protoplasma anderer Zellen weiterwachsen, zugleich eine 
vollkommene Widerlegung der Hensenschen Hypothese, daß die embryonalen 
Nerven schon vor ihrer sogenannten Entwickelung, wenn auch unsichtbar, an Ort 
und Stelle vorhanden sind. 

Nach Entfernung des Medullarrohres tritt eine eigentliche Regeneration des 
Organes bei Froschlarven nicht ein. Die entstandene Lücke füllt sich sehr bald 
mit Mesenchym aus. Nach einiger Zeit aber findet man, daß vom erhalten ge¬ 
bliebenen Gehirn aus in dieses neugebildete lockere Gewebe longitudinale Nerven¬ 
bündel hineinwachsen, die man schon einige Tage nach ihrem Auftauchen über 
6 bis 8 Segmente kaudalwärts verfolgen kann. Hier ist es, wie Verf. hervor¬ 
hebt, vollkommen unmöglich, von präformierten Bahnen, die bei der Entwickelung 
der Nervenfasern nur aktiviert werden sollten, zu sprechen. Die Achsencylinder 
dringen hier in ein vollkommen neugebildetes, auf die Anlage von Nerven un¬ 


möglich 

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vorbereitetes Gewebe hinein. 

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Noch immer erblicken manche eine große Schwierigkeit darin, daß man sich bei 
der Annahme eines freien Hervorwachsens der Nerven ihr sicheres Hingelangen 
an ihr respektives Endorgan nicht recht vorstellen kann. So sagte erst kürzlich 
van Wijhe: „Wenn der Nerv zu seiner weit entfernt liegenden Muskulatur 
hinauswachsen sollte, so müßte man sich doch fragen, wie es kommt, daß er nie 
einen Irrweg einschlägt.“ Ein solcher Einwand ist geradezu unerklärlich. Alle 
Entwickelungsvorgänge sind ähnliche Wunder, nicht geringere als dieses. Wölfi¬ 
scher und Müllerscher Gang wachsen von ihrer Ursprungsstelle aus an ihre weit 
entfernt liegende spätere Einmündungsstelle heran, ohne ihr Endziel zu verfehlen, 
Leber- und Pankreasgänge gelangen an ihre richtige Stelle im vorderen und 
hinteren Mesogastrium, und doch wird niemand an der Tatsache des freien 
Hervorwachsens dieser Gebilde zweifeln usw. Bei den Nerven wird das Problem 
übrigens etwas vereinfacht durch die vom Ref. schon im Jahre 1895 hervor¬ 
gehobene Tatsache, daß die Nerven schon zu einer sehr früher Zeit zur Ent¬ 
wickelung gelangen, wo Centrum und Endorgan noch dicht bei einander liegen, 
und daß die späteren großen Entfernungen, die für manchen dem Verständnis 
eine solche große Schwierigkeit darbieten, erst später durch Wachstumsdifferenzen 
entstehen, wobei die schon angelegten Nerven durchr interstitielles Wachstum eine 
Längenzunahme erfahren. Verf. führt hierfür als schönes Beispiel die Nerven 
der Seitenlinie bei Froschlarven an. Hier ist das Ganglion zur Zeit, wo die 
sensiblen Nerven aus ihm hervorgehen, in unmittelbarem Kontakt mit den rudi¬ 
mentären Sinnesorganen, worin die Nerven endigen. Der Fortsatz der Spinal¬ 
ganglienzelle hat bloß eine Strecke, die geringer ist, als der Durchmesser einer 
Zelle, zurückzulegen, um die Verbindung mit dem Endorgan herzustellen. In der 
Folge wandert das Sinnesepithel vom Kopf bis an die Schwanzspitze und Hand 
in Hand damit erreicht der N. lateralis vagi allmählich seine spätere enorme Länge. 

Verf. faßt die Ergebnisse seiner Versuche zum Schlüsse in folgenden Worten 
zusammen: Der Achsencylinder der Nervenfaser entsteht als Ausläufer je einer 
einzigen Ganglienzelle, mit der er auch zeitlebens in Kontinuität bleibt. Er 
wächst Schritt für Schritt vom Centrum nach der Peripherie hin, um erst sekundär 
mit seinem Endorgan in Verbindung zu treten. Die anderen Zellgebilde, die 
Schwannschen Zellen, die man im Verlauf der embryonalen Nerven findet, haben 
mit dessen Entwickelung unmittelbar nichts zu tun, mögen sie. vielleicht auch als 
Schutz- und Nährgebilde der Nervenfasern eine wichtige Rolle spielen. 

4) Beiträge zur Physiologie und Pathologie der kontralateralen Mit¬ 
bewegungen, von Dr. Hans Curschmann. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬ 
heilkunde. XXXI. 1906; vgl. d. Centralbl. 1906. S. 483.) Ref.: E. Asch. 

Aus der sehr ausführlichen Arbeit, welche sich zu einer kurzen Besprechung 
wenig eignet, seien hier nur die hauptsächlichsten Gesichtspunkte wiedergegeben. 
In der frühesten Jugend vollzieht sich die Innervation aller motorischer Impulse 
bilateral und infolge davon besteht sowohl bei willkürlichen, wie bei rein reflek¬ 
torischen Bewegungen die Neigung zu symmetrischen, kontralateralen Mitbewe¬ 
gungen. Durch die allmähliche Entwickelung kortikaler Hemmungen wird diese 
bilaterale Anlage im Laufe der Zeit eingeschränkt. Sie wird aber nicht voll¬ 
kommen zerstört, sondern bleibt latent bestehen und zeigt sich bei jungen Kindern 
in Form von kontralateralen, symmetrischen Mitbewegungen (infantiler Typus). 
Bei anderen stellen sich diese Mitbewegungen erst bei Ermüdung und dadurch 
notwendig werdender Impulssteigerung ein (Ermüdungstypus). Diese symmetrischen 
Mitbewegungen der Gegenseite bestehen dauernd nur an den Enden der Extremi¬ 
täten (Hand und Fuß) fort, und zwar regelmäßig nur bei den Spreiz- und Ad¬ 
duktionsbewegungen, namentlich des Daumens und der übrigen Finger. Auffallend 
ist, daß hei Willkürbewegungen der linken oberen Extremität viel früher und 
leichter kontralaterale Mitbewegungen auftreten, als bei solchen der rechten Hand. 


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Es ist dies wohl dadurch bedingt, daß die Iunervation der linken Hand ungeübter 
und schwächer ist als die der rechten. Charakteristisch ist ferner, daß sich Links¬ 
händer umgekehrt verhalten, indem bei ihnen rechtsseitige Mitbewegungen schon 
hei geringer Belastung auszulösen sind. Die Bewegungen der sensiblen Reflexe 
lösen nur so lange konsensuelle Reflexe der Gegenseite aus, Ä als von seiten der 
Pyramidenstränge noch die kortikale Hemmung entbehrt wird. Sobald aber die 
reflexhemmenden Bahnen dieser Stränge ausgebildet sind, scheint die Neigung zu 
identischen, kontralateralen Reflexbewegungen zu erlöschen (1.—2. Lebensjahr). 
Auf passive Bewegungen stellten sich bei jungen Kindern und jüngeren Erwachsenen 
niemals identische Mitbewegungen ein und scheinen solche auch im frühesten Alter 
zu fehlen. Nach arthrogenen und peripher-neurogenen Veränderungen kommt es 
sehr häufig zu kontralateralen Mitbewegungen, die, wie die physiologischen, nur 
an den Extremitätenenden auftreten. 

Bei Amputierten treten bei beabsichtigten Bewegungen des amputierten 
Gliedes nur dann kontralaterale, symmetrische Mitbewegungen auf, so lange noch 
Bewegungsillusionen bestehen. Mit dem Erlöschen der Impulserinnerung fällt 
auch das auslösende Agens der Mitbewegung fort. Bei den supranukleären Läh¬ 
mungen führt auf der einen Seite die Unterbrechung in den Pyramidenseitenstrang- 
bahnen zu Verlust der Hemmung und auf der anderen die zur Überwindung der 
spastischen Parese erforderliche Impulssteigerung zu besonders intensiven Mit¬ 
bewegungen der Gegenseite. Die symmetrischen Mitbewegungen, wie sie bei 
reinen Koordinationsstörungen (Tabes, Chorea) auftreten, entsprechen der durch 
die kompensatorische Bemühung bedingten Impulssteigerung. Bei Myasthenie, 
Myotonie, weniger bei Paralysis agitans, zeigen die Mitbewegungen der Gegenseite 
charakteristische Züge, indem sich die Mitbewegungen zur Stärke der Bewegungs¬ 
impulse proportional verhalten. Hingegen fehlten in allen Fällen von hysterischer 
halbseitiger Bewegungsstörung kontralaterale Mitbewegungen ganz und gar, und 
zwar auch bei bis zur Ermüdung fortgesetzter Bewegung der praktischen Extre¬ 
mität. Diese Tatsache läßt sich durch den transkortikalen Sitz der Läsion er¬ 
klären. Hier ist nicht die motorische Bahn zwischen Kortex und Peripherie ge¬ 
stört, sondern die Beziehungen der Assoziationsorgaoe zum motorischen Projektions¬ 
feld sind betroffen. Dabei läßt Verf. es aber unentschieden, wie man sich diese 
Störung vorzustellen hat. 


Pathologische Anatomie. 

5) A oase of one cerebral hemisphere supplying both sides of the body 9 


by G.H.Grills. (Brit. med. Journ. 1906. 5.Mai.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Der mitgeteilte Gehirnbefund stammt von einer 42jährigen Blödsinnigen. 
Letztere hatte an leichter spastischer Parese der rechten Extremitäten gelitten. 
Der Gang war nicht ataktisch; Sehnenreflexe, sowie die Sensibilität auf beiden 
Körperhälften gleich; keinerlei Atrophie. 

Die betreffende Patientin verstand gesprochene Worte und konnte auch aus 
frühester Kindheit sich alter Bekannter erinnern und dieselben bei richtigem 
Namen nennen. 

Kurz vor dem Tode wurde der Gang der Patientin schwankend und dann 
trat zunehmende Hilflosigkeit ein. Neigung zu epileptischen Anfällen war nicht 
vorhanden gewesen. 

Bei der Sektion erschien die linke Großhirnhemisphäre an Größe der rechten 
gleich. Jedoch bestand erstere nur aus einem mit Flüssigkeit gefüllten Sack, 
dessen Wandung keinerlei typische Nervenzellen zeigte. Der Balken wurde durch 
eine zarte, leicht zerreißbare Membran repräsentiert. Die rechte Kleinhirnhälfte 
war atrophisch. Die Basalganglien waren mit Ausnahme des Nucleus caudatus 


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nicht atrophisch. Die linke innere Kapsel zeigte sich als ein sehr dünnes, weißes 
Band; der rechte Seiten Ventrikel hatte nur die Hälfte der normalen Ausdehnung. 

Der mitgeteilte Fall regt den Verf. zur Stellung mannigfacher Fragen an, 
auf deren Beantwortung er nicht näher eingeht. Er hält sich u. a. zu folgenden 
Schlüssen berechtigt: 

Die rechte Großhirnhemisphäre enthält meistens für beide Körperhälften das 
Centrum für Motilität und Sensibilität. 

Die Brocasche Windung lag im vorliegenden Falle ebenfalb wahrscheinlich 
rechterseits. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Über das Gewioht des menschlichen Kleinhirns im gesunden und 
kranken Zustande, von Reichardt. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. LXIIL) 
Ref.: Zingerle (Graz). 

Das Kleinhirngewicht beträgt bei gesunden Personen mittleren Alters meist 
130 bis 150 g, schwankt aber schon physiologisch in erheblichen Grenzen. Als 
seltene Anomalie findet man ein angeboren abnorm leichtes oder schweres Klein¬ 
hirn. Ein gesetzmäßiger Einfluß der Körpergröße oder einer interkurrenten Todes¬ 
ursache auf das Kleinhirngewicht hat sich nicht feststellen lassen. Eine universelle 
hochgradige Körperabraagerung läßt das Gesamthirngewicht und damit auch das 
Kleinhirngewicht unbeeinflußt. 

Abgesehen von den erwähnten individuellen Schwankungen ist Größe und 
Gewicht des Kleinhirns abhängig von der Größe und dem Gewichte des Gro߬ 
hirns. Um zu prüfen, ob ein Kleinhirn normal groß ist oder nicht, ist sein 
Gewicht in Beziehung zum Gewicht der Großhirnhemisphäre zu bringen. Der 

Gewichtsquotient liegt beim Erwachsenen fast durchweg zwischen 

Kleinhirn allem 

7 und 8,5. Er läßt jede Gewichtsvermehrung bzw. Verminderung von 25 g und 
mehr erkennen und gestattet z. B. allein eine zahlenmäßige Angabe über den Grad 
einer bestehenden Kleinhirnatrophie. Da aber auch das Großhirn sich seinerseits 
pathologisch verkleinern oder vergrößern kann, muß bei der Berechnung des 
Quotienten auch die Schädelkapazität berücksichtigt werden. 

Bei der Geburt und in den ersten Lebensmonaten ist der Quotient ein be¬ 
deutend höherer, als beim Erwachsenen. Dem letzteren gleich wird er erst am 
Ende des ersten Lebensjahres, infolge des schnelleren Wachstums des Kleinhirns, 
die in der zunehmenden Fähigkeit, koordinierte Bewegungen zu erlernen, zum 
Ausdrucke kommt. Im Greisenalter trifft man unverhältnismäßig niedrige Klein¬ 
hirngewichte und dementsprechend höhere Quotienten. Auf diese stärkere Klein¬ 
hirnatrophie sind vielleicht einzelne Motilitätsstörungen des Greisenalters zu be¬ 
ziehen. Bei den Hirnkrankheiten, die zu einem Schwund des Gesamthirns führen 
(besonders Paralysis progressiva und Dementia senilis), kann der Quotient bei 
gleichmäßiger Atrophie des Groß- und Kleinhirns innerhalb normaler Grenzen 
bleiben. In manchen Fällen (besonders bei Paralysis progressiva) wird der 
Quotient durch stärkere Großhirnatrophie zu klein, oder (häufiger im Senium) 
größer, wenn vorwiegend das Kleinhirn schwindet. Bei Mikrocephalie ist in der 
Mehrzahl der Fälle der Quotient abnorm niedrig, bei einer pathologischen Ver¬ 
größerung des Großhirns (Tumor, Hirnschwellung usw.) steigt selbstverständlich 
auch der Quotient an. 

Im Anhänge bekämpft Verf. die von Moebius wieder aufgenommene Gall- 
sche Lehre vom Zusammenhang zwischen Kleinhirn und Geschlechtstrieb. Im 
Besonderen weist er an der Hand eigener Beobachtungen nach, daß Verlust der 
Geschlechtsdrüsen keine Kleinhirnveränderungen zur Folge hat, und daß auch 


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zwischen Sezualentwickelung und Kleinhirngewicht (z. B. beim Infantilismus) eine 
Beziehung nicht besteht. 


7) Sur quelques points oontroversös de la Physiologie du oervelet. Con- 
tribution experimentale , par Prof. M. L. Patrizi. (Arcb. ital. de Biologie. 
XLV. 1906.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

Verf. benutzte als Material bei seinen interessanten Versuchen 4 Hunde, bei 
welchen die linke Kleinhirnhälfte vollständig abgetragen war. Die Folge* 
erscheinungen waren zunächst die üblichen, allgemein bekannten Ausfallserschei¬ 
nungen. Die erste Streitfrage, zu welcher Verf. Stellung nimmt, betrifft die von 
Luciani behauptete, von Ferrier und v. Monakow bestrittene, von Lewan¬ 
dowsky auf eigenartige Weise erklärte Herabsetzung des Muskeltonus. Während 
Luciani namentlich auf die stärker ausgesprochene Erschlaffung der Muskeln 
der operierten Seite, auf die Herabsetzung des Widerstandes bei passiven Be¬ 
wegungen auf der lädierten Seite, auf die abnorme Beugefähigkeit usw. hingewiesen 
hatte, hatte Ferrier eingewandt, daß bei seinen Versuchstieren der Tonus er¬ 
halten gewesen sei, was aus der Steigerung der Sehnenreflexe hervorgegangen sei. 
Diese Ausführungen hatte v. Monakow namentlich durch den Hinweis auf das 
klinische Verhalten der Sehnenreflexe in Fällen von Affektion des Kleinhirns 
unterstützt. Lewandowsky hat zugegeben, daß der Widerstand bei passiven 
Bewegungen herabgesetzt sei, aber er führte dies nicht direkt auf eine Herab¬ 
setzung des Muskeltonus zurück; er nimmt vielmehr an, daß das Tier durch den 
Verlust des Muskelsinns sich nicht mehr Rechenschaft über die Lage seiner Glieder 
zu geben vermag und dadurch zu ungeschickt ist, um den passiven Bewegungen 
geordnete aktive entgegenzusetzen. 

Die eingehenden Untersuchungen, die Verf. unter Anwendung der graphischen 
Methode (die Einzelheiten eignen sich nicht zu einem kurzen Referat) angestellt 
hat, bilden eine entschiedene Stütze der Lehre Lucianis von der Herabsetzung 
des Mukeitonus. 

Die zweite Frage, zu welcher Verf. Stellung nimmt, betrifft das Verhältnis 
des Muskeltonus zu den Sehnenreflexen. 

Luciani hatte gegenüber den obigen Einwänden von Ferrier und v. Mo¬ 
nakow erklärt, er sehe nicht ein, warum ein gewisser Grad von Muskelatonie 
den Sehnenreflex abschwächen oder aufheben sollte, es scheine ihm im Gegenteil, 
daß derselbe dadurch gesteigert werde, wenn nicht in der Intensität, so doch im 
Grad des Ausschlags. Die Untersuchungen des Verf.’s, wiederum angestellt unter 
Anwendung der graphischen Methode, ergaben, daß trotz Hypotonie die lebhaftesten 
und stärksten Kniesehnenreflexe vorhanden sein können. Weiterhin batte Luciani 
wie eine Atonie, so eine Asthenie, eine Herabsetzung der Kraft, auf der operierten 
Seite konstatiert, die Ferrier bestreitet, während Lewandowsky sie wiederum 
nur für eine scheinbare hält, herbeigeführt durch die Koordinationsstörung, eine 
Folge der Läsion des Muskelsinnes. Auch hier stützen die Versuche des Verf.'s 
die Annahme von Luciani und in besonderer Versuchsanordnung wird die Hypo¬ 
these von Lewandowsky widerlegt. Eine weitere Frage ist die, ob das Klein¬ 
hirn die Elementarreize, die vom Großhirn zu den willkürlichen Muskeln strömen, 
verstärkt. Diese Annahme wurde gemacht zur Erklärung der „astasischen“ Sym¬ 
ptome, der dritten Kategorie von Phänomenen der cerebellaren Ataxie (Zittern, 
Titubation usw.). Verf. stellt die Hypothese auf, daß diese Symptome peripheren 
Ursprungs, das direkte Resultat der Muskelhypotonie sind, nicht bedingt sind 
durch den Ausfall einer speziellen Kleinhirnfunktion. Zuletzt wirft Verf. noch 
die Frage auf, ob man nicht bei der Erforschung der Elemente der cerebellaren 
Ataxie (besonders der „Dysmetrie“) außer der Tonusherabsetzung (Luciani) oder 
der „spezifischen Läsion“ des Muskelsinnes (Lussanna-Lewandowsky) in Be- 


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tracht ziehen muß eine „funktionelle Störung“ -des Muskelsinnes selbst (in Zu* 
s&mmenh&ng mit der Atonie und der Asthenie). 

8) Entwiokelungsstörungen in Kleinhirn, Pons, Medulla oblongata und 
Halsmark bei Spina bifida, von Ernst Schwalbe und Martin Gradig. 
(Centr. f. allg. Path. u. path. Ant. XVII. 1906.) Ref.: Max Bielschowsky. 

Bei einer großen Zahl von Sektionen bei Spioa bifida lumbosacralis stellten 
die Verfif. eine räumliche Reduktion des Kleinhirns, des Pons und der Medulla 
oblongata fest. Ferner fanden sie auf der dorsalen Seite des Halsmarkes 
tumorähnliche Massen. Diese tumorähnlichen, mit dem Halsmark verwachsenen 
Gebilde erwiesen sich bei der mikroskopischen Betrachtung als Heterotopien von 
Teilen der Medulla oblongata und des Kleinhirns mit Plexus chorioideus. Die 
Bilder erwecken den Eindruck, als habe eine Verschiebung einzelner Teile des 
Centralnervensystems gegeneinander stattgefunden, als sei die Medulla oblongata 
am Rückenmark nach unten geglitten. Eine ausführliche Beschreibung der inter¬ 
essanten Befunde wird in Aussicht gestellt. 

9) Zur Kenntnis der Kleinhirnsklorose, von Dr. Ludwig Schweiger. (Arb. 
a. d neur. Inst. a. d. Wiener Univers. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

Der Fall, eine schwachsinnige 58jährige Magd mit den Erscheinungen der 
multiplen Sklerose betreffend, ist insofern bemerkenswert, als neben einer typischen 
Cerebellarsklerose älteren Datums, mit den eutsprechenden Folgeerscheinungen, 
die Zeichen akuter multipler Sklerose im Rückenmark bestanden. Das führt 
Verf. dahin, beide Prozesse von einem Gesichtspunkte aus zu betrachten. 

Die Folge der Kleinhirnsklerose war eine komplette Brückenatrophie. Der 
Brückenarm bestand fast nur aus einer gliösen Masse, wohingegen die fronto- und 
temporo-pontinen Systeme wenn auch hochgradig atrophiert, so doch vorhanden 
waren. Das Brachium conjunctivum ist intakt, desgleichen der rote Kern. 

Das Corpus restiforme ist hochgradig atrophisch, und zwar infolge Fehlens 
der olivo-cerebellaren Fasern. Die retrotrigeminalen dieser letzteren sind jedoch 
intakt und können deshalb kaum mit den defekten Kleinhirnpartien (Dachkeru, 
X. globosus, sowie Lobi laterales in ihrer Hauptmasse) in Beziehung stehen, was 
dagegen für die nucleo-cerebellaren Systeme Geltung hat. Die Atrophie des ven¬ 
tralen Lateralkernes oder der von ihm ausgehenden äußeren Bogenfasern spricht 
gleichfalls für innigen Zusammenhang mit den ausgefallenen Cerebellarpartien. 

10) Über die histologisohen Veränderungen der Kleinhirnrinde bei ver¬ 
schiedenen Nerven* und Geisteskrankheiten, von Dr. K. Takasu. (Monats¬ 
schrift f. Psych. u. Neur. XIX. S. 458.) Ref.: Probst (Wien). 

Verf. untersuchte mittels der Färbung nach Nissl, Pal und van Gieson 
die Kleinhirnrinde in Fällen von Delirium tremens, Dementia praecox, Dementia 
paralytica, Dementia senilis, Arteriosklerose, tuberkulöser Meningitis, Hirntumor, 
multipler Sklerose, Epilepsie, Amentia, Leukämie, Idiotie usw. Die Veränderungen 
der Ganglienzellen im Nucleus dentatus bestehen in dem sogen, centralen Zerfall, 
Zerfall der Granula in Körnchen vom Centrum gegen die Peripherie und Schwund 
der letzteren, exzentrische Lage und Form Veränderung des Kernes, unregelmäßig 
konturierte Kernmembran, Schwund der Granula und der Fortsätze, Vermehrung 
des Pigmentes. 

Bei den Purkinjeschen Zellen beginnt der Zerfall der Granula sowie die 
Anhäufung des Pigmentes stets an der Wurzel des Protoplasmafortsatzes und 
schreitet von da nach der Basis der Zelle fort, wo die Granula meist knollig 
zerfallen sind. Seilten tritt Vakuolisierung und exzentrische Lagerung des 
Kernes ein. 

11) La paralysie des mouvements associes de latöralite des yenx dans 
les afleotions du oervelet, des tubercules quadrijumeaux et de la 


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protubörance, par A. Gaussei. (Revue de med. 1905. S. 809.) Ref.: 

Eduard Müller (Breslau). 

Ausführliche anatomisch - physiologische und klinische Studie über das Vor¬ 
kommen der Deviation conjuguee bei Läsionen des Kleinhirns, der Brücke und 
der Corpora quadrigemina. Eine flüchtige konjugierte Seitwärtsablenkung der 
Augen sieht man gelegentlich im Einklang mit experimentellen Erfahrungen be¬ 
sonders bei solchen Erkrankungen des Kleinhirns, die mit einer raschen Zerstörung 
von Substanz einhergehen (Blutungen, Erweichungen). Die dauernde Ablenkung 
und die Blicklähmungen gehören jedoch nicht zum Bilde reiner Kleinhirnaffektionen. 
Umschriebene Erkrankungen der Corpora quadrigemina verursachen keine echten 
Blicklähmungen. Bei experimenteller Reizung kommt nur eine Döviation conjuguöe 
vor; die nachträgliche Zerstörung bleibt aber ohne Einfluß auf die Augenbewe¬ 
gungen. Blicklähmungen sind jedoch ein wichtiges Ponssymptom; sie sind dabei 
manchmal die einzige motorische Krankheitserscheinnng. Wenn bei Paresen der 
Seitwärtsbewegungen Konvergenz und Blick nach oben und unten ungestört sind, 
so handelt es sich um ein pathognomonisches Zeichen einer Läsion im oberen 
Teile der Brücke. 

12) Sarooma of the oerebellum; saroomatous Infiltration of the spinal pia, 

by F. H. Dercum. (Journ.ofNerv.andMent.Dis. 1906. März.) Ref.: M.Bloch. 

17jähriger Patient klagt seit 3 Monaten über Kopfschmerzen mit zeitweilig 
auftretendem Schwindel, sowie schießenden Schmerzen in den Beinen. Die Unter¬ 
suchung ergibt Rom bergsches Zeichen, ataktischen Gang, doppelseitige Stauungs¬ 
papille. Im weiteren Verlauf nimmt der Kopfsohmerz zu, es tritt Neigung nach 
links zu fallen auf, ferner Schmerzen im Genick, besonders beim Versuch, den 
Kopf zu bewegen, Übelkeit; die linke Pupille reagiert nur träge, Abnahme des 
Gehörs rechts, Parese des rechten Facialis. Bei der Operation wölbte sich das 
Cerebellum stark hervor, doch wurde ein Tumor nicht gefunden. Exitus 8 Stunden 
nach der Operation in Koma. Die Autopsie ergab ein Sarkom, zum größten 
Teil aus Rundzellen, zum kleineren aus Spindelzellen bestehend, im 4. Ventrikel, 
ferner eine sarkomatöse Infiltration der Pia bis zum Lendenmark, besouders in 
den hinteren Partien des Rückenmarkes, die stellenweise sich bis in die weiße 
Substanz des Rückenmarkes und im Hinterhorn fortsetzt; in den Hintersträngen 
und Hinterwurzeln frische Degenerationen. Die letztgenannten anatomischen Ver¬ 
änderungen erklären die heftigen Schmerzen in den Beinen, über die Pat. klagte. 


13) A oontributlon to the study of oerebellar tumors and their treatment, 

by J. J. Putnam and G. A. Waterman. (Joum. of Nerv, and Ment. Disease. 

1906. Mai.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

Die Verff. berichten ausführlich über 9 Fälle von Tumoren der hinteren 
Schädelgrube, von denen sieben operativ behandelt wurden, davon drei mit wesent¬ 
lichem therapeutischem Erfolge, über die im folgenden näheres mitgeteilt werden soll: 

I. 40jähr. Patientin erkrankte vor 1 1 j 2 Jahren mit Übelkeiten und an Inten¬ 
sität zunehmenden Kopfschmerzen, die nur in der rechten Seitenlage erträglich 
waren. Frühjahr 1903 wurde Stauungspapille konstatiert, Sept. 1903 Amaurose 
links, Sehschwache rechts. April 1904 wurde hochgradige Ataxie, Pupillendifferenz, 
1. > r. f Parese beider Abducentes, leichte Steigerung der Sehnenreflexe, r. > 1., 
leichte Ataxie beider Hände, Fehlen der Bauchreflexe konstatiert. Daneben be¬ 
standen Halluzinationen des Geschmackes. Die Operation wurde zweizeitig aus¬ 
geführt. Es fand sich ein taubeneigroßer Tumor der linken Kleinhirnhemisphäre, 
der ausgeschält werden konnte und sioh als ein Rundzellensarkom erwies Die 
Patientin Uberstand die Operation gut, ihr Zustand besserte sich fortwährend, und, 
abgesehen von einer leichten Parese der linken Körperhälfte, geringer Unsicher¬ 
heit beim Gehen und der nicht mehr völlig auszugleichenden Sehstörung befand 
sich Patientin, wie die Verff. noch nach 19 Monaten konstatieren konnten, gut. 


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II. lOjähr. Patient erkrankte an Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen 
wenig später Sehstörungen und Abducenslähmung, erst ein-, dann doppelseitig- 
Die Untersuchung im März 1904 ergab doppelseitige Stauungspapille, Lähmung 
beider Abducentes, leichte Ataxie der Arme und Beine, Fehlen der Kniephänomene; 
Pat. war sehr reizbar, es bestanden Gesichts- und Gehörshalluzinationen. Bei der 
Operation im April 1904 wurde ein Tumor nicht gefunden, aber der Zustand 
des Pat. besserte sich erheblich, so daß Pat. nach 5 Monaten sich völlig wohl 
zu fühlen schien, die Patellarreflexe fehlten weiter, es bestand noch eine Parese 
des linken Abducens. An der Stelle der Operation hatte sich ein Hirnprolaps 
entwickelt, der allmählich zunahm. Die Allgemeinsymptome waren verschwunden, 
bis im Oktober 1905, also fast 1 1 / 2 Jahre nach der Operation, von neuem Er¬ 
brechen, Kopfschmerzen, Benommenheit, Ataxie und stärkere Sehstörungen auf¬ 
traten. Beim Gehen Schwanken nach links, starke Ataxie der linken Hand. Bei 
der Operation fand sich an der Stelle des Prolapses eine Cyste, an deren Grund 
sich nach Entleerung größerer Flüssigkeitsmengen ein Tumor, der allmählich in 
die Kleinhirnsubstanz überging, fand. Völlige Entfernung des Tumors gelang 
nicht, Pat. überstand die Operation gut. Die Verff. halten für möglich, daß der¬ 
selbe einer neuen längeren Periode relativen Wohlbefindens entgegengeht. 

III. 15jähriger Patient klagt seit fast einem Jahre über gelegentlich auf- 
tretendes Erbrechen, Anfälle von Schwäche, unsicheren Gang, Kopfschmerzen, 
Schwindel, hin und wieder Doppeltsehen und Abnahme der Sehkraft. Objektiv: 
Pupillen weit, reagieren nicht auf Konvergenz, leichte Ataxie der Arme, doppel¬ 
seitige Stauungspapille. Bei der Operation wurden große Mengen seröser Flüssig¬ 
keit entleert, das Kleinhirn wölbte sich stark vor, ein Tumor wurde nicht ge¬ 
funden. Erhebliche Besserung: alle Allgemeinsymptome schwanden, so daß Pat. 
nach 7 Monaten einen völlig gesunden Eindruck machte. Es bestand nur noch 
geringe Parese und Ataxie der linken Hand, der linke Opticus ist atrophisch. 
Eine eigroße Hernie über der linken Hinterhauptsgegend hat aus noch nicht völlig 
geschlossenen Nahtstellen bis 5 Monate nach der Operation häufig größere Mengen 
Cerebrospinalflüssigkeit entleert. 

Auch die übrigen Fälle, über die berichtet wird, bieten, wie die mitgeteilten 
Sektionsbefunde, mancherlei interessantes, so daß die Lektüre des Originals warm 
empfohlen werden kann. 

14) Über Kleinhirntumoren, von Prof. Kohts. (Deutsche med. Wochenschr. 
1906. Nr. 8.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Im unterelsässischen Ärzteverein zu Straßburg referiert Verf. über die seit 
1874 in der Kinderklinik beobachteten Fälle von Kleinhirntumoren und bespricht 
dabei den Wert der einzelnen klinischen Symptome, ohne wesentlich Neues zu 
bringen. 

15) Hemiagönösie oeröbelleuse; agenösie partielle du oorpa oalleux et du 

lobe limbique; anomalies des oirconvolutions cörebrales, parCh.Bonne. 

(Archiv, de neurologie. XXII. 1906. Nr. 128.) Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

Patient, Metzger von Beruf, kam (26jährig) wegen „Epilepsie mit geistiger 

Schwäche“ in das Asyl von Braqueville. Er zeigte sich hier ruhig, bildungsfähig, 
beschäftigte sich. Die Krampfanfälle wurden allmählich immer seltener; dafür 
traten häufiger Schwindel, jedoch stets ohne Hinfallen auf; ferner häufige Schwei߬ 
ausbrüche bei der leichtesten Erregung. Nie wurde das geringste Anzeichen einer 
Kleinhirnaffektion beobachtet, weder eine Störung der Orientierung, noch des 
Gleichgewichtes. Der Schädel war asymmetrisch, in der Stirnregion gleich stark 
wie am Hinterhaupt. 1904 erste Anzeichen beginnender Lungentuberkulose, die 
in den nächsten Monaten stark zunahm. Im folgenden Jahre wurden die Krampf¬ 
anfälle wieder häufiger. Beim Fallen war nie eine Körperseite besonders bevor¬ 


zugt. 

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Anfang September 1905 Tod im Status epilepticus. 

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Anatomischer Befund: Rechte Kleinhirnhemisphäre normal. Wurm mit 
derselben verschmolzen, nur schwer abzugrenzen, im vertikalen wie anteroposterioren 
Durchmesser verkleinert. Linke Kleinhirnhemisphäre auf ein etwa erbsengroßes 
Läppchen mit deutlicher Lamellierung reduziert; dasselbe ist der Brücke seitlich 
angelagert, nach hinten und zwischen den AuBtrittsstellen vom N. trigeminus 
einerseits, N. facialis und acusticus andererseits und stellt die Flocke dar. Die 
drei Kleinhirnstiele der linken Seite Bind durch einen voluminösen weißen Strang 
ersetzt, der in nach unten konkavem Bogen von der Flocke nach dem Wurm hin 
zieht. Sein unterer Rand liegt frei und begrenzt eine weite Bucht, auf deren 
Grunde die regelmäßig gebildeten Rückflächen von Pons und tiedulla liegen. 
Linke Olive normal; die rechte äußerlich nicht sichtbar, zeigt sich auf Schnitten 
zu kleinem, kaum sichtbarem Streifen reduziert. Beide Pyramiden von gleicher 
Gestaltung. In der Brücke ist die Fußregion rechts weniger entwickelt als links. 
Nucleus ruber ebenfalls rechts weniger entwickelt als links. Nucleus dentatus 
rechts normal. Die Großhirnhemisphären zeigen außer zahlreichen nicht sym¬ 
metrischen Windungsanomalien eine Deformation der hinteren Partien, die in 
deutlicher Beziehung zur Asymmetrie des Hinterhirnes steht, auf; rechter Occipital- 
pol liegt weiter vor als der linke; rechte Hemisphäre wiegt (nach Härtung in 
Müller und Abzug der Pia) 420 g und ist 145 mm lang, die linke wiegt 450 g 
und mißt 152 mm. Beide Temporallappen sind namentlich im vorderen Teil ver¬ 
kleinert. Der Balken i6t zu einer schmalen weißen Platte, im vorderen Teil von 
etwa 1—l'/jmm Dicke, nach hinten noch schmäler, reduziert. Fornix, vordere 
und hintere Kommissuren sind normal. Gyrus fornicatus links wenig entwickelt, 
rechts nur im vorderen Drittel deutlich differenziert. Mißbildungen der Windungen 
im übrigen so zahlreich und kompliziert, daß genaue topographische Bestimmung 
nicht möglich ist. 

Der Beginn der Entwickelungshemmung ist an das Ende des 3. Fötalmonates 
zu legen. Die Ursache, bleibt dunkel, da Entzündungserscheinungen fehlen, auch 
daB klinische Bild keine Anhaltspunkte gibt. 

10 Abbildungen veranschaulichen die geschilderten Anomalien. 

Die mikroskopische Untersuchung unterblieb. 

16) Contributo allo Studio olinioo dell* at&ssia oerebellare, per Abruzzetti. 

(Riv. critica di clin. med. 1906. S. 245.) Ref.: Hübner (Herzberge*Berlin). 

Im Anschluß an einen vom Verf. beobachteten Fall werden die Gang- und 

Gleichgewichtsstörungen bei verschiedenen Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten 
besprochen. 

17) Ataxia ln Childhood, by Frederick E. Batten. (Brain. Autumn, Winter 

1905.) Ref.: L. Bruns. 

Verf. beschreibt drei seltenere Arten der Ataxie bei Kindern. Die erste Form 
ist angeboren und hat eine Tendenz zur Heilung. Es handelt sich hier offenbar 
um eine Form cerebraler Diplegie, in der cerebellare und auch bulbäre Störungen 
— skandierende und langsame Sprache — stark hervortreten. Manche dieser 
Fälle erinnern auch wohl an choreatische und athetotische Diplegie. Eine Ten¬ 
denz zur Heilung besteht offenbar dann, wenn die cerebralen Symptome sehr 
gering sind, weil dann das Großhirn die Funktionen des Kleinhirns übernehmen 
kann. Die zweite Form ist die bekannte akute Ataxie Leydens, die disserainierte 
Encephalomyelitis, die neuerdings von Nonne als akute Encephalitis cerebelli 
bezeichnet wurde. Charakteristisch ist ihr akutes Eintreten unter Fieber oder 
nach fieberhaften Erkrankungen und die Häufigkeit voller, oft rascher Heilung. 
Verf. erkennt selber an, daß auch bulbäre und cerebellare Störungen — Sprach¬ 
störung, Benommenheit — dabei Vorkommen, event. auch spinale (Blasenstörungen). 
Die Erhöhung der Reflexe kann auch spinaler oder bulbärer Natur sein. Der 
Name Encephalomyelitis disseminata, den Ref. in seiner fast immer übersehenen 


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Arbeit benutzt, ist deshalb wohl richtiger, obwohl oft die cerebellaren Symptome 
überwiegen, ln dritter Linie folgen in ihren Symptomen ganz gleiche Fälle eines 
progressiven und wohl in der späteren Kindheit beginnenden Leidens, das natür¬ 
lich sehr viel Ähnlichkeit mit Friedreichs und Maries Ataxie hat — es fehlen 
aber Nystagmus, Sehnervenaffektion und Gelenkdeformitäten. 

18) Die infantile cerebrale Hemiplegie, von J. Frankel. (Zeitschr. f. ortho¬ 
pädische Chirurgie. XV. S. 207.) Bef.: Adler (Pankow/Berlin). 

Verf. hat das Material der Universitätsklinik für orthopädische Chirurgie in 
Berlin, welches sich auf 60 Beobachtungen erstreckt, eingehend bearbeitet und 
kommt auf Grund einer hauptsächlich ätiologisch-klinischen Betrachtungsweise zu 
dem Schlüsse, daß die infantile cerebrale Hemiplegie einen Symptomenkomplex 
darstellt, welchem eine vaskuläre Entstehung zugrunde liegt. Von Bedeutung 
sind alle vaskulären Schädigungen, welche während der Fötalperiode, des Geburts¬ 
aktes usw. zur Geltung kommen. Als solche sind zu nennen hereditäre Lues, 
Cirkulationsstorungen im Fötus, Encephalitis, Meningitis, Embolie und Thrombose. 
Die Littleschen Momente sind für die cerebrale Hemiplegie von größerer Be¬ 
deutung, als man bisher glaubte, und Verf. sieht die schweren Geburten, ins¬ 
besondere Zangengeburten, als direkte Ursache der Hemiplegie an, während die 
Frühgeburt und ein Teil der schweren Geburten als Folgen pränataler Momente 
gedeutet werden müssen. Die akuten Infektionskrankheiten spielen bei der Ver¬ 
anlassung der cerebralen Hemiplegie in manchen Fällen nur insofern die aus- 
lösende Rolle, als die Toxinwirkung ein schon vorher geschädigtes Gehirn in der 
am meisten betroffenen Gegend (Prädilektionsstelle: Verbreitungsbezirk der Arteria 
cerebri media) am intensivsten trifft. Die infantile cerebrale Hemiplegie steht 
den cerebralen Diplegien (Littlesche Krankheit) am nächsten. Die schweren 
Deformitäten der Hand nach cerebraler Hemiplegie sind heutzutage einer erfolg¬ 
reichen chirurgischen Behandlung zugänglich, mittels welcher ein gutes kosmetisches 
und funktionelles Resultat erzielt werden kann. Durch die Sehnenplastiken läßt 
sich aber nicht nur eine bessere Stellung und Funktion der betroffenen Glied¬ 
abschnitte erzielen, sondern es wird durch dieselben auch die Intensität des 
Spasmus verringert. Die Operation beseitigt ferner nicht nur die schon vorher 
bestehende choreatische Unruhe, sondern sie hemmt auch das Auftreten der post- 
hemiplegi sehen Chorea. 

10) Über halbseitige Gehirnatrophie bei einem Idioten mit cerebraler 

Kinderlähmung, von Prof. Dr. M. Köppen. (Archiv f. Psych. u. Nerven¬ 
krankheiten. XL. 1905). Ref.: Hei nicke (Großschweidnitz). 

Von der Voraussetzung ausgehend, daß solche Fälle, wo eine Hemisphäre in 
der Entwickelung zurückbleibt, und wo eine genaue Untersuchung jede Spur von 
Meningitis, Sklerosen, Defektbildung oder Gefäßveränderung ausschließen läßt, am 
meisten Licht in das Dunkel einer geringeren Ausbildung des Gehirns bringen 
können, bespricht Verf. 2 Fälle, bei denen einseitige Hemisphärenatrophie be¬ 
obachtet wurde. 

Im ersten Fall handelt es sich um einen in die Anstalt für Epileptische zu 
Potsdam untergebrachten Kranken, der von frühester Kindheit an — wann? — 
eine Lähmung der linken Körperseite hatte, mit 4 Jahren Kopftyphus durchmachte 
mit darauffolgenden Ohnmachtsanfällen. Seit dem 16.—17. Jahre traten epilep¬ 
tische Anfälle auf. Pat. war von Jugend auf geistig schwach, hat aber 4 Schul¬ 
klassen durchgemacht, konnte lesen und schreiben, liebte Musik bis zur Begeisterung. 

Somatisch ließ sich folgendes feststellen: linker Arm ist im Wachstum zurück¬ 
geblieben und einwärts rotiert; er ist im Ellenbogengelenk gebeugt; ebenso im 
Handgelenk. Die Finger sind in den Metakarpophalangealgelenken flektiert, in 
den Phalangealgelenken überstreckt; auch das linke Bein ist kürzer; es steht 
einwärts rotiert mit der Fußspitze nach unten; der Patellarreflex ist links stärker 


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als rechts und führte links zu klonischen Nachzuckungen; der Achillessehnenreflex 
ist ebenfalls links stärker. Der Tod trat durch Schädelbruch bei einem An¬ 
fall ein. 

Die Autopsie ergab einseitige Atrophie der rechten Hemisphäre als wahr¬ 
scheinliche Folge einer Cirkulationsstörung in den kurzen und langen Kortikal¬ 
gefäßen. Es fanden sich drei Grade der Erkrankung: Herde mit grobmaschigem 
Glianetz, Partien mit Vermehrung und Verdickung des Kapillarnetzes und endlich 
bloße Lockerung des Gewebes. Die langen Bahnen waren gegenüber den kurzen 
Assoziationsbahnen gut erhalten. An die rechtsseitige Hemisphärenatrophie mit 
starkem HvdrocephaluB hat sieb eine Atrophie des rechten Nucleus ruber, des 
linken Bindearmes und der linken Kleinhirnhemisphäre angeschlossen. 

Im zweiten Fall handelt es sich um ein nicht belastetes epileptisches Mädchen, 
das im 1. Lebensjahr bald nach der Impfung einen Krampfanfall bekam, nach 
deqa eine Verkrüppelung des rechten Armes und Beines zurückblieb. Im 7. Lebens¬ 
jahre Auftreten bis dahin aussetzender Anfälle; während des ganzen Krankheits- 
Verlaufes nahmen die geistigen Kräfte stetig ab. In körperlicher Hinsicht ließ 
sich Parese der linken Körperhälfte nachweisen. Der Ober- und Unterarm, sowie 
Hand befanden sich in der charakteristischen spastischen Haltung. Der rechte 
Arm war 1 cm kürzer wie der linke; desgleichen war der Umfang geringer. Das 
rechte Bein war ebenfalls verkürzt und zeigte wie der Arm Atrophie. Die Sehnen¬ 
reflexe waren auf der rechten Seite lebhafter. 

Mit 26 1 /] Jahr Exitus an Herzschwäche nach Pneumonie. 

Autopsie: Verkleinerung der linken Hemisphäre vorwiegend im Stirnlappen. 
Sie zeigte keine Atrophie, nur eine allgemeine Verkleinerung der Substanz. In 
der Hirnrinde waren die Tangential fasern abnorm tief gelagert. Wahrscheinlich 
handelt es sich in diesem Falle um eine primäre Erkrankung der Basalganglien, 
speziell des Corpus striatum; denn hier fand sich ein abnormes Auftreten von 
Nervenfasernetzen an einer Stelle, wo Nervenfasern sonst sehr spärlich sind. Diese 
Irregularität der Nervenfasern ist wahrscheinlich das Anzeichen eines abgelaufenen 
ausgeheilten Prozesses. 

20) Über die Bewegungsstörungen der infantilen, cerebralen Hemiplegie 

und über die Athetose double, von Dr. M. Lewandowsky in Berlin. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXIX. 1906.) Ref.: E. Asch. 

In 2 Fällen von infantiler Cerebrallähmung, deren Krankengeschichten mit¬ 
geteilt werden, war die Wernicke-Mannsche Dissoziation der Hemiplegie nicht 
vorhanden und statt dessen ließ sich eine paarweise Lähmung und Funktions¬ 
untüchtigkeit der Muskeln feststellen. Die wichtigste Unterart der infantilen Hemi¬ 
plegien, bei welchen es kurz nach dem Insult zu dauernden spastischen Muskel¬ 
spannungen kommt, ist die Athetose. Charakteristisch für dieselbe ist der 
Rhythmus, die Langsamkeit der Bewegungen und die zeitweise auftretende, un¬ 
überwindliche Spannung der betroffenen Glieder. Verf. ist der Ansicht, daß die 
Athetose ein spezifisches Symptom der infantilen Hemiplegie darstellt und wahr¬ 
scheinlich gar nicht besonders zu lokalisieren ist. In einzelnen Fällen ließen sich 
außer den bekannten Mitbewegungen solche nachweisen, welche durch andere 
Bewegungen und speziell durch das Gehen ausgelöst wurden, und welche als 
Pseudoathetose aufzufassen wären. Was die echten identischen Mitbewegungen 
betrifft, so sind sie als Folgen pathologischer Verbindungen anzusehen, welche 
möglicherweise in der Anlage bestanden, aber unter der Wirkung der hemi- 
plegischen Affektion zustande kamen. 

Im Anschluß daran werden 4 Fälle von Athötose double besprochen, deren 


Besonderheit nicht durch die Doppelseitigkeit der Bewegungen ausgemacht wird, 
sondern deren Eigentümlichkeit in den Beziehungen zwischen den Bewegungen 


der einzelnen Körperteile 

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und Glieder untereinander besteht. Es handelt sich 

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dabei um eine Art generalisierter, aber nicht identischer Mitbewegungen, ln 
allen ausgebildeten Fällen ist das Gesicht betroffen und sind die wilden Zuckungen 
am ehesten als Grimassieren zu bezeichnen. In sämtlichen Beobachtungen des 
Verf.’B gelang es nicht den Augen* und den Mundfacialis einer Seite isoliert zu 
innervieren. Der Gang der an Athetose double Leidenden ist nur dann deutlich 
spastisch, wenn zu gleicher Zeit spastische infantile Diplegie besteht; ist dies 
aber nicht der Fall, so ist er eigentümlich verzerrt, als ob jemand mit leichten 
Spasmen auf Eiern gehen wollte. Als seltene Komplikationen fand sich in einer 
Beobachtung die Unmöglichkeit, die Augen nach oben zu bewegen und in einem 
weiteren Fall das Versagen des willkürlichen Augenschlusses. 

21) Ipertrofla oompensatoria in an oaso di cerebroplegia infantile, per 

F. Ugolotti. (Rivista di patol. nerv, e ment. 1905. Sept.) Ref.: Flörsheim. 

Verf. berichtet über einen Fall von Hemiplegia spastica infantilis dextra, der 

im 16. Lebensjahr an einer akuten Erkrankung zugrunde ging. Es fand sich eine 
ausgedehnte Porencephalie der linken Hemisphäre. Der linke Pedunoulus war 
sehr klein, der linke Hirnschenkelfuß fehlte ebenso wie die linke Pyramide völlig; 
die entsprechenden rechtsseitigen Gebilde waren hypertrophiert. Im Cervikalmark 
war die rechte Pyramidenvorderstrangbahn hypertrophisch, die linke fehlte; die 
linken Pyramidenseitenstrangfasern hatten normale Dimensionen, das Volumen der 
rechten war stark verkleinert. In der grauen Substanz fanden sich, abgesehen 
von einer leichten Verkürzung des rechten Hinterhornes, keine Differenzen. Nach 
abwärts glichen sich die Differenzen beider RückenmarkBhälften allmählich aus, 
um im Dorsal mark ganz zu verschwinden. Trotz dieser weitgehenden Zerstörungen 
hatte das Individuum lange Zeit seine rechten Extremitäten leidlich gebrauchen, 
auch verständlich sprechen können. Verf. betont, daß nicht die basalen Ganglien 
der erkrankten Hirnhälfte, sondern ausschließlich die Centren der anderen Hemi¬ 
sphäre die Funktionen der zerstörten übernommen haben. 

22) Die orthopädische and chirurgische Behandlung der infantilen oere* 

braten Lähmungen, von Michael Horv&th. (Pester med.-chirurg. Presse. 

XL. Nr. 35u.f.) Ref.: Adler (Pankow/Berlin). 

Über die Frage der Gruppierung der cerebralen Kinderlähmungen ist eine 
Einigung noch nicht erzielt worden. Für den Praktiker genügt nach Ansicht 
des Verf.’s eine Einteilung in heilbare und unheilbare Fälle; als Basis und aus¬ 
schlaggebend für die Prognose ist die Entwickelung der Intelligenz anzuBehen. 

Die Indicatio causalis tritt nur ein, wenn in der Anamnese Lues nachgewiesen 
ist, sonst muß man sich vorwiegend an symptomatische Behandlung halten. Diese 
hat aber auch nur dann statt, wenn die Intelligenzstörung nicht einen zu hohen 
Grad erreicht hat. Therapeutisch am wichtigsten sind die Motilitätsstörungen, 
die als Lähmungen, spastische Kontrakturen oder choreatische Bewegungen auf- 
treten können. Lähmung entsteht — nach der am meisten anerkannten Freud- 
sehen Theorie — wenn die Rindenzellen, das kortikale Neuron, vollständig ihre 
Tätigkeit versagen; ist die Aufhebung der Tätigkeit nicht vollständig, findet nur 
eine Abschwächung Btatt, so tritt Spasmus ein. In beiden Fällen besteht eine 
mehr oder weniger große Störung des Gleichgewichtes in den Muskeln, die durch 
die Antagonisten hervorgerufen wird. Diese Störung zu beseitigen, ist die Auf¬ 
gabe der orthopädischen und chirurgischen Behandlung. Sie kann beseitigt werden 
1. durch Verminderung der Wirkungen des Spasmus, 2. durch Stärkung des 
Antagonisten. Der erste Weg kann zum Ziele führen durch Übung der noch 
dem Willen unterworfenen Teile des Muskels oder, falls Bolche Teile nicht mehr 
vorhanden sind und reiner Spasmus besteht, duroh plastische Verlängerung der 
Sehnen, bzw. bei gleichzeitiger Parese durch Kombination von Sehnenverlängerung 
und Sehnentransplantation. Die Antagonisten werden durch Massagen usw. gestärkt. 

23) Sehnenüberpflanzung und Sehnenplastik bei Muskelläbmung und Kon- 


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trakturen, von J. Hevesi. (Peeter med.-chirurg. Presse. XL. Nr. 3u. t.) 

Ref.: Adler (Pankow/Berlin). 

Das Hauptverdienst um die Einführung der Überpflanzung und Plastik von 
Sehnen spricht Verf. — abgesehen von einigen älteren Autoren, die nur vereinzelte 
Versuche machten — Nicoladoni zu, der im Jahre 1880 einen Pes calcaneus 
paralyticus nach der genannten Methode operierte. Die „Funktionsübertragung 
der Muskeln“ hält Verf. in allen Fällen für indiziert, in denen die Funktions¬ 
fähigkeit wichtiger Muskeln oder Muskelgruppen dauernd gestört ist und durch 
andere Methoden nicht wieder hergestellt werden kann. Dies ist der Fall 1. bei 
Sehnendefekten, 2. bei motorischen peripheren Lähmungen nach Traumen, 3. bei 
schlaffen Lähmungen centralen Ursprunges. Bei spinalen Kinderlähmungen nach 
Poliomyelitis anterior werden besonders häufige und günstige Resultate erzielt, 
4. bei spastischen Lähmungen, ferner bei Littlescher Krankheit, bei Knie¬ 
kontraktur nach Entzündungen, habitueller Verrenkung der Kniescheibe u. a. 

Für die Operation selbst ist von größter Wichtigkeit die Feststellung, welche 
Muskeln gelähmt und welche funktionsfähig sind. Neben der Gestaltung der 
Deformität kann man dies nach Ansicht des Verf.’s am besten bei der Operation 
selbst bestimmen. Die Korrektur der Deformität muß Btets vor der Sehnen¬ 
operation vorgenommen werden, bei der peinlichste Asepsis zu beobachten ist und 
vom Verf. auf die Blutleere verzichtet wird, wegen der später auftretenden par¬ 
enchymatösen Blutung. "Was den Wert der vielen verschiedenen Arten der Über¬ 
pflanzung betrifft, so hält Verf. die ursprüngliche Transplantation von Sehne zu 
Sehne für die zweckentsprechendste und natürlichste. Die vollständige Über¬ 
pflanzung kann stattfinden, wenn die Funktion des kraftgebenden MuskelB nicht 
in Betracht kommt. Künstliche Sehnen wendet Verf. nur an, wenn die vorhandene 
znr Spaltung zu dünn ist. 

Verf. gibt nun bei einer Reihe von Fällen die spezielle Technik an. So 
wurde am Oberarm der gelähmte M. deltoideus durch den Pectoralis, von anderen 
durch den Cucullaris ersetzt, der Triceps durch den Deltoideus; am Vorderarm 
traten die verschiedensten Substitutionen auf. Am Oberschenkel kommen der 
Glntaeus maximus, der Quadriceps femoris, die Überpflanzung der Beugemuskeln 
auf die Streckseite (bei entzündlicher Kniekontraktur) u. a. in Betracht. Fu߬ 
deformitäten nach Lähmungen werden — infolge der Verschiedenartigkeit der 
betroffenen Muskeln — auf die verschiedenste Weise und mit günstigem Erfolge 
korrigiert. 

Die ersten Erfolge der Operation zeigten sich in der gewünschten Stellung 
des betreffenden Gelenkes. Die aktive Muskeltätigkeit, die nach richtiger Ver¬ 
teilung der gesunden Muskeln erfolgt, tritt gewöhnlich erst längere Zeit nach der 
Operation und oft erst nach geeigneter Nachbehandlung durch Massage auf. 


Psychiatrie. 

24) I. Über Geisteskrankheiten, entstanden im Anschluß an die poli¬ 
tischen Ereignisse in Rußland, von Rybakow. (Russki Wratsch. 1905. 
Nr. 51; 1906. Nr. 3. u. 8.) — II. Über den Einfluß der politischen Er¬ 
eignisse auf die Entstehung geistiger Erkrankungen, von Skljar. 
(Ebenda. 1906. Nr. 8. u. 15.) Ref.: Wilh. Stieda. 

In der ersten Arbeit teilt R. sieben kurze Krankheitsgeschichten aus der 
Zeit von Ende Oktober bis Mitte November 1905, der Zeit des Ausbruchs der 
Revolution in Rußland mit. Verf. hat die Kranken z. T. nur ambulatorisch ge¬ 
sehen und berichtet dementsprechend nur über Anamnese und augenblicklichen 
Status. Nichtsdestoweniger stellt er auch sofort die Diagnose und meint, daß 
fünf von den Patienten eine Paranoia, einer eine Vesania maniacalis und einer 


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eine Vesania melancholica mit paranoiden Zügen hatten. AIb allen diesen Fällen 
gemeinsame Eigentümlichkeiten gibt er an: 1. den akuten Beginn und die schnelle 
Entwickelung der Krankheit; 2. eine ausgesprochen depressive Stimmungslage; 
3. deutlich ausgesprochene Anzeichen von Angst, Unruhe und Erwartung von 
etwas Schrecklichem; 4. Inkonstanz der Wahnideen; 5. remittierenden Verlauf 
und 6. massenhafte Halluzinationen und Illusionen. Erbliche Belastung habe er 
nur selten finden können. 

Verf. weist darauf hin, daß er nie früher in so kurzer Zeit so viele der¬ 
artige Krankheiten gesehen habe und meint, daß man wohl annehmen könne, daß 
die durch die politischen Ereignisse (politischen Streiks, Massenprügeleien, revolutionäre 
Meetings mit nachfolgender KosackenVerfolgung, Teilnahme an der verbotenen 
sozialdemokratischen Bewegung) erzeugte psychische Wunde so tiefgreifend sein 
müsse, daß sie auch auf nichtprädisponiertem Boden geistige Erkrankungen hervor- 
rufen könne, die wohl ätiologisch zusammengehörten. 

In seiner zweiten Arbeit teilt Verf. noch fünf weitere Krankheitsfälle mit, 
die ein ähnliches Bild boten. Im allgemeinen wiederholt er dieselben Ansichten, 
wie in der ersten Arbeit, unterstreicht besonders das paranoide und depressive 
Element der Erkrankungen und berichtigt nur Beine Angaben dahin, daß es doch 
scheint, als spiele die erbliche Belastung eine große Rolle beim Entstehen dieser 
Erkrankungen. Daher sei wohl anzunehmen, daß ein rüstiges, gesundes Hirn alle 
geistigen und gemütlichen Erschütterungen überstehen könne, die einem erblich 
belasteten oder noch nicht ganz entwickeltem Hirn verderblich werden können. 

Was die Prognose anlangt, so meint Verf., man könne in diesen Fällen einen 
— mindestens für den Anfall — günstigen Ausgang erwarten, da sie alle akut 
und stürmisch begonnen hätten. Jedoch hänge die Prognose in jedem einzelnen 
Fall von dem Grade der somatischen und psychischen Widerstandsfähigkeit der 
Kranken ab. 

In der dritten Arbeit endlich faßt Verf. noch einmal alles vorher Gesagte 
zusammen. Er beleuchtet eingehend den Zusammenhang der Erkrankungen mit 
den politischen Ereignissen und spricht die Ansicht auB, daß die Eigenart der 
„psychischen Wunde“ nicht nur auf den Inhalt der Wahnideen und Halluzinationen, 
sondern wohl auch auf die Art der Erkrankung bestimmend wirken könne. 

In derselben Nummer der Zeitschrift veröffentlicht Skljar als Antwort auf 
die erste Arbeit Rybakows vier Fälle von Geisteskrankheit ähnlichen Ursprungs, 
wie die von R. mitgeteilten, bezeichnet aber drei von ihnen als Verblödungs¬ 
psychosen und einen als alkoholischen halluzinatorischen Wahnsinn. S. protestiert 
energisch gegen die Auslegung solcher Erkrankungen als einer besonderen Form, 
die durch die politischen Ereiguisso zu erklären wäre, und weist nach, daß die 
von R. notierten Eigentümlichkeiten (der akute Beginn, die massenhaften Halluzi¬ 
nationen, die Inkonstanz der Wahnideen und der remittierende Verlauf) durchaus 
charakteristisch für die Gruppe der Dementia praecox sind. Ferner widerlegt er 
die Behauptung R.'s, daß seine Patienten nur wenig erblich belastet gewesen 
wären und meint, daß weder R.’s noch seine eigenen Fälle Anlaß dazu gegeben 
haben, anzunehmen, daß die politischen Ereignisse auch ein nichtprädisponiertes 
Hirn zur Erkrankung bringen könnten — eine Ansicht, die, wie oben mitgeteilt, 
mittlerweile aber schon R. selbst berichtigt worden war. 

In seiner zweiten Arbeit kommt Skljar auf Grund der letzten Arbeiten 
von R. noch einmal auf die Frage zurück, wiederholt, daß R.’s Fälle keine 
irgendwie spezifischen Züge aufgewiesen haben, und warnt davor, auf Grund so 
kurz dauernder Beobachtung neue Krankheitsbilder aufzusteilen. Auch weist er 
darauf hin, daß R. einen Fehler begehe, wenn er, ohne die Fälle genauer zu 
diagnostizieren, auf Grund des akuten und stürmisohen Beginns eine gute Pro¬ 
gnose stelle. In dieser allgemeinen Fassung ausgesprochen, sei so eine Prognose- 


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Stellung nur vom Standpunkt der Einheitspsychose möglich. Nehme man aber 
gesonderte natürliche Krankheitseinheiten an, so müsse jede ihren besonderen Ver¬ 
lauf und eine dementsprechende Prognose haben, wie z. B. die Katatonie und die 
Amentia, die beide oft einen akuten stürmischen Beginn haben, eine ganz ver¬ 
schiedene Prognose geben. 

(Bef. möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die hier skizzierte 
Kontroverse so recht den Unterschied zwischen der alten, symptomatologischen 
und der neueren, klinischen Forschungsrichtung beleuchtet. Nur in der letzteren, 
die sich nicht nur auf das augenblickliche Zustandsbild, Bondern auf den ganzen 
Verlauf der Krankheiten stützt und natürliche Krankheitseinheiten aufzustellen 
sucht, liegt der weitere Fortschritt in der Psychiatrie.) 

26) Dementia praeoox in Franoe with aome referenoes to tbe frequency 
of thls diagnosis in Amerioa, by Clarence B. Farrar. (Amer. Journ. 
of Insanity. 1905. Oktober.) Bef.: G. Dreyfus (Heidelberg). 

Der Verfasser ist ein begeisterter Anhänger der Kraepelinscben Einteilung 
der Psychiatrie, insbesondere vertritt er mit Nachdruck die Berechtigung, eine 
Reihe von Krankheitsformen unter dem Namen „Dementia praecox“ zusammen¬ 
zufassen. Er schildert, wie sich in Frankreich die Psychiater in zwei Gruppen 
gespalten haben, auf der einen Seite Deny, der in der Dementia praecox-Frage 
ganz auf der Seite Kraepelins steht, während B6gis, Vallon und Marandon 
de Montyel zäh mi der alten Nomenklatur festhalten und von der neuen Ein¬ 
teilung nichts wissen wollen. 

Eine Anzahl instruktiver Kurven veranschaulicht die klinischen Ansichten 
der amerikanischen Psychiater. Man ersieht daraus, wie in den letzten Jahreu 
in den amerikanischen Irrenanstalten die Aufnahmen von Dementia praecox- 
Kranken außerordentlich zugenommen haben, während die Diagnosen: Manie, 
Melancholie nsw. immer seltener gestellt werden, ein Beweis dafür, auf wie frucht¬ 
baren Boden die Ansichten deutscher Psychiater in Amerika gefallen sind. 

• 

Forensische Psychiatrie. 

26) Vergleich von Verbrechen und Homosexualität, von Näcke. (Monats¬ 
schrift f. Kriminalpsychologie usw. 1906. S. 477.) Autoreferat. 

Lombroso hatte in einem Vortrage nachweisen wollen, daß zwischen In¬ 
version und Verbrechen viel Berührungspunkte bestehen. Er Bchien also für 
beide Phänomene eine gleiche oder ähnliche Wurzel anzunehmen. Dagegen wendet 
sich energisch Verf. und weist die ganze Hohlheit der Lombrososchen Deduk¬ 
tionen auch hier nach. Natürlich parallelisiert L. wieder Kinder und Wilde mit 
Verbrechern, was absolut falsch ist. Nur sehr wenige Kinder lügen oder sind 
wirklich grausam und ähnliches gilt von vielen Wilden. Man muß stets nach 
den mannichfachen Motiven Bpüren, bevor man Identitäten aufstellt und Lom- 
broBo verwechselt letztere konstant mit bloßen äußeren Analogien. Auch wirk¬ 
liche Neigung zu Homosexualität bei Kindern ist sehr selten und dann bleibend. 
Häufiger tritt sie aber nur vorübergehend in der Pubertät auf und zwar faute 
de mieux. Wer homosexuell bleibt, dokumentiert aber damit eine angeborene 
Anlage dazu. Die Inversion an sich ist wohl kein Stigma und Homosexuelle 
sind wahrscheinlich nicht öfter psychopathisch, mit Stigmen behaftet oder erb¬ 
lich belasteter, als die Heterosexuellen. Echte Homosexualität, die sich also 
schon von klein auf zeigt, wobei die Gelegenheitsursachen, z, B. Sehen von nackten 
Körpern usw., nur ganz sekundäre und triviale 1 sind, erscheint einer Therapie 


1 Ich freue mich, daß Dr. Iwan Bloch, einer der Hauptrepräsentanten der psycho¬ 
logischen Theorie der sexuellen Perversion, speziell der Homosexualität, jetzt, wie er mir 


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unzugänglich. Mehr dagegen kann man bei Bisexuellen ausrichteu und jeder 
Mensch ist wahrscheinlich ab ovo bisexuell, aber mit nur geringer homosexueller 
Komponente ausgestattet. Der homosexuelle Trieb ist also wohl sicher eingeboren 
wie der andere und ihm an die Seite als seltenere, aber normale Art der Libido 
zu setzen. Die absolut falschen Urteile Lombrosos und der Anderen über Homo¬ 
sexualität kommen hauptsächlich daher, daß die Autoren die Urninge draußen nicht 
kennen können, nur aus der Sprechstunde. 


m. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 14. Januar 1907. 

1. Herr Stier: Die Begutachtung akuter Tronkenheitssustftnde in foro, 
mit besonderer Berücksichtigung der militärischen Verhältnisse. Bei Be¬ 
urteilung der Trunkenheitsdelikte gestattet auch das militärische Strafgesetzbuch 
die Anwendung des § 51 des RStrGB ohne jede Einschränkung, wenn die Trunken¬ 
heit als krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder als Bewußtlosigkeit aufzu¬ 
fassen ist. Hat die Trunkenheit diesen Grad nicht erreicht, dann kann sie im 
allgemeinen als Strafmilderungsgrund in Betracht kommen; nur bei den für die 
Armee besonders wichtigen Vergehen gegen die Disziplin besteht eine gewisse, 
praktisch aber fast belanglose Einschränkung dieser milderen Beurteilung. — 
Bei der Frage der Anwendbarkeit des § 51, bei der also Unterschiede zwischen 
den militärischen und bürgerlichen Verhältnissen nicht bestehen, machen vor allem 
diejenigen Trunkenheitszustände Schwierigkeiten, welche nicht echte pathologische 
Rauschzustände sind oder nicht deutlich solche Symptome aufweisen, die dem 
Rausche des vollsinnigen Mannes fremd sind. Den von Cramer, Heilbronner u.a. 
gemachten Vorschlag, die dabei vorliegende Schwierigkeit einer prinzipiell ver¬ 
schiedenen Auffassung dieser Zustände seitens der Richter und der Psychiater 
dadurch zu umgehen, daß man in diesen Fällen einer mittleren, nicht eigentlich 
pathologischen Trunkenheit auf ein ärztliches Endgutachten verzichten und die 
Entscheidung lediglich dem Gericht überlassen soll, hält Vortr. für nicht durch¬ 
führbar, da wir als zweifellos Sachverständige zur Abgabe eines Gutachtens ver¬ 
pflichtet sind. Die Abgabe eines für das Gericht verwendbaren, ärztlich unan¬ 
fechtbaren Endurteiles erscheint auch möglich, wenn wir nach dem Vorschläge 
von v. Liszt für diese, nicht eigentlich krankhafte Trunkenheit und ähnliche 
Zustände den Begriff der „Bewußtlosigkeit“ aus dem §51 reservieren, und 
sie von den Zuständen einer im em/eren Sinne des Wortes krankhaften Trunken¬ 
heit, die ebenso wie alle echten Psychosen als „krankhafte Störung der Geistes¬ 
tätigkeit“ anzusehen ist, abtrennen. Als Bewußtlosigkeit ist nach der Definition 
des Reichsgerichtes derjenige Grad von Trübung des Bewußtseins zu bezeichnen, 
bei welchem dem Täter die Erkenntnis von dem Wesen und Inhalt der vor¬ 
genommenen konkreten Handlung gefehlt hat. Der große Vorteil dieser Stellung 
zu dem Problem liegt für den Psychiater darin, daß wir auf diese Weise die 
nicht eigentlich pathologische Trunkenheit mit einem anderen Maß messen können 
als die eigentlichen Psychosen und so am ehesten zu einem Endurteil gelangen 
können, das nicht nur theoretisch einwandfrei, sondern auch praktisch brauchbar 

Ende November 19u6 schrieb, seine frühere Meinung fast ganz aufgegeben und im all¬ 
gemeinen meinen und Hirsch fei ds Ansichten sich angeschlossen hat. Das zeigt auch 
sein neues und vortreffliches Werk: Das Sexualleben unserer Zeit (Berlin 1907, Marcus). 
£>eine Meinung änderte er infolge genauerer Bekanntschaft mit vielen Homosexuellen 
draußen. Wenn er trotzdem noch eine „erworbene“ Form neben der angeborenen annimmt. 
so fällt dieselbe mit der von Krafft-E bing, mir u. a. aufgestellten „tardiven* 4 zusammen, 
da Bloch sicherlich auch in diesen Fällen eine angeborene Disposition aunehmen wird. 

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ist. (Der Vortrag ist ein Teil einer größeren, bei Fischer-Jena erscheinenden 
Arbeit.) Autoreferat. 

Diskussion: 

Herr Juliusburger betont, daß es sich bei allen im Zustande der Alkohol¬ 
intoxikation begangenen Straftaten um Produkte einer pathologischen Gehirn¬ 
arbeit handelt. Infolgedessen sollten wir es aufgeben, mit den Juristen Kom* 
promisse zu schließen, uns vielmehr in jedem einzelnen Falle gegen die Zulässigkeit 
der Bestrafung des Deliktes erklären. Eine solche ist immer ungerecht, um so 
mehr, als die Gesellschaft durch ihre Trinksitten mit die Schuld an der Entstehung 
der Alkoholdelikte ist. Ihre wirksame Bekämpfung kann nur durch weitgehendste 
Aufklärung bewerkstelligt werden, die Alkohol Verbrecher selbst müssen in Spezial - 
anstalten, und so lange es solche nicht gibt, in Irrenanstalten untergebracht werden. 

Herr E. Mendel teilt völlig den Standpunkt des Vortr,, daß der psychiatrische 
Sachverständige sich der Beantwortung der Fragen des Richters nicht entziehen 
soll. Leider werden im allgemeinen Sachverständige bei Alkohol delikten, welche 
vor das Schöffengericht kommen, von dem unter Umständen auf langdauernde 
Gefängnisstrafen erkannt werden kann, noch viel zu selten hinzugezogen, wie M. 
au9 eigener Erfahrung als Beisitzer im Schöffengericht bestätigen kann. Psychiatrisch 
fällt der weitaus größte Teil der Alkoholstraftaten unter den Begriff der Bewußt¬ 
losigkeit, den M. aber, von der vulgären Auffassung der letzteren abweichend, als 
Trübung bzw. Aufhebung des Selbstbewußtseins aufgefaßt zu sehen wünscht. 

Herr Stier konstatiert mit besonderer Genugtuung die Übereinstimmung 
zwischen der Auffassung des Vorredners und der seinigen, betont aber, daß es 
für den Sachverständigen am zweckmäßigsten sei, sich auf die von ihm zitierte 
jüngste Entscheidung des Reichsgerichtes zu beziehen; in dieser fehle allerdings 
der Begriff des Selbstbewußtseins, der auch so schwierig zu definieren sei, daß 
man besser auf ihn nicht zurückgreife. Nicht unbedenklich ist auch eine allzu 
weite Ausdehnung der Zuziehung von Sachverständigen; bei vielen geringfügigen 
Delikten sei dieselbe nicht durchaus angezeigt; es könne nicht immer als ein 
Unglück oder eine Unregelmäßigkeit angesehen werden, wenn jemand einen 
Rausch durch eine ihm auferlegte Geldstrafe etwas teurer bezahle, ein Umstand, 
dessen erziehliche Wirkung nicht ganz von der Hand gewiesen werden könne. 
Herr Juliusburger stehe im wesentlichen auf demselben Standpunkte, wie 
Hoppe, der aber Geltung habe wohl für die Straftaten der chronischen Alko- 
holisten, nicht aber für den akuten Alkoholrausch, auf den Vortr., wie er ein¬ 
leitend bemerkt hat, sich in erster Linie bezogen hat, da nur er beim Militär 
eine wesentliche Rolle spiele. Es könne gar keine Rede davon sein, jeden Soldaten, 
der einmal im Rausch eine mehr oder minder schwere Straftat begangen hat, in 
eine Irrenanstalt zu verbringen. Ganz abgesehen davon aber müsse der Sach¬ 
verständige vor Gericht sich mit dem Gesetz abfinden, wie es einmal ist, und den 
Verhältnissen der Praxis Rechnung tragen. 

2. Herr Liepmann demonstriert eine 86jährige Frau mit sensorisoher 
Aphasie. Die Krankheit besteht seit etwa 10 Monaten. Die Worttaubheit ist, 
wie gewöhnlich, im Grade schon erheblich zurückgegangen, ist aber immer noch 
recht schwer. Ganz schlecht ist das Nachsprechen und die Spontansprache, welche 
von paraphasischen Bildungen aller Art wimmelt. Schreiben, außer kopieren, 
aufgehoben; Lesen äußerst schwer gestört. Zweck der Demonstration ist, zu zeigen, 
daß im Gegensatz zu vielen anderen Aphasischen hier keine Spur von Apraxie 
besteht: die Frau macht alle Bewegungen richtig nach, führt (wenn man für 
Verständnis gesorgt hat) alle Ausdrucksbewegungen richtig aus und manipuliert 
fehlerlos. Es ist diese Feststellung von Wichtigkeit gegenüber der Behauptung 
von Pierre Marie, daß Aphasie und Apraxie auf eine „Intelligenzstörung“ 
zurückzuführen sei durch Läsion ein und desselben Gebietes, dos in diffuser Weise 


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alle erlernten Begriffe beherberge. Man sieht hier, daß Aphasie und Apraxie 
ganz getrennt ausfallen können, daß eine schwere Aphasie neben vollkommener 
Eupraxie bestehen kann. Wenn schon Eupraxie ein gewisses Maß von Intelligenz 
sichert (nicht ist umgekehrt Apraxie immer als Defekt der Intelligenz aufzufassen), 
so erweist sich auch im übrigen die 86jährige Frau trotz ihres Gehirnherdes 
recht intelligent. Das läßt sich bei der Schwierigkeit der Verständigung weniger 
durch eine ausdrückliche Prüfung erweisen, als durch ihr angemessenes Verständnis 
und taktvolles Verhalten in den verschiedensten Situationen. Will man bei der . 
Bemessung der Intelligenz den Hauptwert auf den Besitz der Begriffe legen, so 
besitzt sie eben alle Gegenstandsbegriffe (keine Agnosie), alle Begriffe von dem 
Gebrauch der Gegenstände, den konventionellen Bewegungen, von den verschiedenen 
Situationen, in die sie gerät, und den passenden Reaktionen auf dieselben. Die 
Merkfähigkeit ist recht gut Nur das Rechnen ist sehr schlecht, was ich un¬ 
gewöhnlich oft bei Aphasischen beobachtet habe. Kurz summarisch gesagt, ist 
hier nur die Sprachfunktion in allen Richtungen gestört, und zwar sehr schwer. 

Autoreferat. 

Martin Bloch (Berlin). 

Ärztlioher Verein in Hamburg. 

Sitzung vom 4. Dezember 1906. 

Herr Nonne demonstriert die mikroskopischen Präparate von 3 Fällen 
von primärer kombinierter Bystemerkrankung. Im 1. Falle hatte sich die 
Krankheit zuerst entwickelt unter dem Bilde der spastischen Spinalparalyse, zu 
der sich sekundär Ataxie und Blasenstörcng hinzugesellt hatte und bei der die 
Sehnenreflexe an den unteren Extremitäten im Verlauf der Behandlung ver¬ 
schwunden waren. In den beiden andern Fällen hatten die Hinterstrangssymptome 
zunächst bestanden, und erst später entwickelte sich das Babinskische Zehen- 
phänomen sowie Lebhaftigkeit der Sehnen- und Periostreflexe der oberen Extre¬ 
mitäten. Eine sichere Ätiologie ließ sich in keinem der 3 Fälle nachweisen. — 
N. bespricht die Klinik und Pathologie der primären kombinierten System¬ 
erkrankung. 

Herr Hess: Während das Babinskische Zeichen in typischer Form in einer 
trägen Dorsalflexion der großen Zehe besteht, kommen doch auch neben dieser 
Dorsalflexionen sämtlicher Zehen vor, ferner ist die Dorsalflexion nicht immer 
träge, sondern mitunter schneller. Auch wechselt die (Trägheits)form bei ein 
und demselben Patienten, wie H. vor kurzem in einem Fall von syphilitischer 
Meningomyelitis, in dem spastisch paretische Symptome der unteren Extremitäten 
bestanden, nachweisen konnte. — Man wird alle diese Varianten unter „Babinski“ 
mit einrechnen, wenn man sich die enge Nachbarschaft der Centren für die Zehen 
im Cortex vergegenwärtigt und den jeweiligen Grad der Pyramidenläsion (Leitungs¬ 
störung oder „Degeneration“) berücksichtigt. Autoreferat. 

Nonne (Hamburg). 


Um Einsendung von Separatabdrüoken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 

Verlag von Veit & Comp, in I ^eipzig. — Druck von Mktzoeb & Wiitio in Leipzig. 


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Original fro-rn 

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Neurologisches Centralblatt. 

• • 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe Ton Dr. Kurt Mendel) 

Seehsimdzw&iizigster " BerlllL Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern* Preis des Jahrganges 24 Mark* Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 15. Febrnar. Nr. 4. 


Inhalt I* Originalmittsillingen. 1. Ein Fall von wiederholter transitorischer hallu¬ 
zinatorischer Verwirrtheit bei Tetanie, von Michael. Lapinsky. 2. Zur Phänomenologie der 
cerebralen Hemiplegie, von Dr. Z. Bychowski. 3. Über Gewebsveränderungen im Gehirn 
luetischer Neugeborener, von Otto Ranke. (Schluß.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Zur Frage von den Nervenganglien in der Gebärmutter¬ 
wand, von Sfscherbakow. 2. Das Verhalten der Nerven in der Substanz des Uterus, von 
Labhardt. 3. Vergleichend-anatomische Untersuchungen über den Bau des Central kanales 
bei den Säugetieren, von Biach. — Physiologie. 4. Zur Kenntnis der Variabilität und 
Vererbung am Centralnervensystem des Menschen und einiger Säugetiere, von Karplus. 

5. A prelimiuary note on the motor areas in the cerebral cortex of marsupials, by Flashman. 

6. Über das Vibrationsgefühl, von Herzog. — Pathologische Anatomie. 7. Beiträge 
zur Kenntnis der Altersveränderungen der menschlichen Hirnrinde, von Miyake. — Patho¬ 
logie des Nervensystems. 8. Zur Kasuistik der knöchernen Tumoren des Schädel¬ 
daches, von v. Eiseisberg. 9. Hypertrophie, Hyperplasie und Pseudohypertrophie des Gehirns. 
Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der diffusen Hirngliome, von Marburg. 10. De quelques 
alterations du tissu ceröbral, dues ä la prösence de tumeurs (suite), par Weber. 11. Zur 
Differentialdiagnose des Gehirntumors und der Gehirnthrombose, von Ziehen. 12. Un cas 
de tumeur cerebrale avec sommeil, par Maillard et Milhit. 13. Zur Kenntnis der generali¬ 
sierten metastatischen Karzinose des Centralnervensystems, von Heyde und Curschmann. 

14. Cerebral basal tumour: double white atrophy, death after seventeen years, by Lunn. 

15. Fall von Kleinhirnbrückenwinkelgeschwulst, von PUschmann. 16. Zur Operation der 
Tumoren des Kleinhirnbruckenwinkels, von Borchardt. 17. Zur Kenntnis der gliomatösen 
Neubildungen des Gehirns mit besonderer Berücksichtigung der ependymären Gliome, von 
Hildebrandt. 18. Case of obscuro intracranial tumour: meningeal sarcoma with extension 
to fourth ventricle, by Davie. .. 19. Erfolgreiche Exstirpation eines malignen Glioms des 
Großhirns, von Krönlein. 20. Über Schwierigkeiten der Indikationsstellung zur Operation 
bei Jackson scher Epilepsie, von Vorkastner. 21. The operability of brain tumors from the 
poinfc of view of autopsied cases, by Wal ton. 22. Über eine neue Methode der Deckung 
von Schädeldefekten, von Beck. 23. Case of otitic extra-dural abscess, associated with 
paralysis of sixth cranial nerve and double optic neuritis, by Barr. 24. Über otitische Hirn¬ 
erkrankung, von Heine. 25. Zur Differentialdiagnose otitischer und metastatischer Hirn- 
abscesse, von Oberndörffer. 26. Beiträge zur Pathologie der Varol sehen Brücke. II. Über 
einen metastatischen Absceß der Brücke, von Bregman. 27. Abscfcs cerebral, necrose oorti- 
cale, syndröme meningö, par Dupr6 et Devaux. — Psychiatrie. 28. Psychiatrie. Ein 
Lehrbuch für Studierende und Ärzte, von Kraepelin. 29. Sopra alcune varieta della demenza 
precoce, per de Sanctis. — Forensische Psychiatrie. 30. Über Alkoholversuche bei 
Beurteilung zweifelhafter Geisteszustände, von Tomaschny. 

III. Aus den Gesellschaften. Verein für innere Medizin zu Berlin. — IV. Landes¬ 
kongreß der ungarischen Irrenärzte in Budapest am 29. und 30. Oktober 1906. — Wissen¬ 
schaftliche Versammlung der Ärzte der St. Petersburger psychiatrischen und Nervenklinik. 

IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. September bis 81. Oktober 1906. 


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Original frern 

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I. Originalmitteilungen. 


1. Ein Fall von wiederholter 

transitorischer halluzinatorischer Verwirrtheit bei Tetanie. 

Von Michael Lapinsky, 

Professor der Kiewer Universität. 

Die Möglichkeit einer Kombination von Geistesstörungen und Tetanus ist 
zuerst von TonellE 1 konstatiert worden. Dieser Autor erwähnt in seinem vor- 
züglichen , r in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (1832) erschienenen 
Aufsatz, daß eine Krampfdiathese in Verbindung mit einer Psychose auftreten 
kann, und empfiehlt die von ihm beschriebene reine Form von Tetanus von 
der durch eine Geisteserkrankung komplizierten Form zu trennen. TonellS 
urteilt übrigens auf Grund von Mitteilungen anderer Klinizisten, hat in dieser 
Beziehung keine persönlichen Erfahrungen und führt auch keinerlei Kranken¬ 
geschichten an, die seine Beschreibung illustrieren könnten. Die Zeitgenossen 
Tonellä’8 und die Arzte der zunächst folgenden Epoche interessierte die an¬ 
geregte Frage gar nicht und infolgedessen übergeht die Literatur im langen 
Zeiträume von 1882 bis 1889 diese Frage mit Stillschweigen. Die einzelnen 
am Ende des vorigen Jahrhunderts erschienenen Krankengeschichten, die wir 
weiter unten anführen werden, erschöpfen die Besonderheiten dieser Erkrankung 
durchaus nicht; deswegen sind auch weitere, diesbezügliche kasuistische Be¬ 
obachtungen durchaus notwendig; aus diesem Grunde teilen wir auch an dieser 
Stelle einen eigenen Fall von Tetanie, der durch eine psychische Erkrankung 
kompliziert wurde, mit 

Der 13 jährige Patient St, Sohn intelligenter und vollständig gesunder Eltern, 
wurde im Herbst 1905 nach Kiew gebracht, um ihn ärztlich behandeln zu lassen. 
Der Patient hat sich von jeher durch einen außerordentlich schlechten Er¬ 
nährungszustand ausgezeichnet. Sein Längenmaß beträgt etwas über 90 cm. Körper¬ 
gewicht gegen 55 Pfd. (russisch). Die Haut ist von schmutziggelber Farbe und läßt 
sich überall leicht in Falten hoch emporheben. Hände und Füße fühlen sich kalt 
an und sind von klebrigem Schweiß bedeckt. Das Unterhautfettgewebe ist bis 
zum äußersten Grade atrophiert. Die Lymphdrüsen des HalseB, des Ellenbogens 
und der Leistengegend sind vergrößert. Die Schilddrüse weicht nicht von 
der Norm ab. Der Brustkorb weist Spuren von Rachitis auf; er weitet sich 
beim Atmen am meisten in den oberen Teilen aus, der untere Teil bewegt sieb 
beim Atemholen nur wenig. Der Leib ist stark ausgedehnt, aufgetrieben, un¬ 
förmig verdickt und fühlt sich sehr hart an. Bei der Perkussion stellt es sich 
heraus, daß sich die untere Grenze des Magens unterhalb des Nabels befindet 

Die oberen Extremitäten sind willkürlich und passiv nur im Schulter- und 
Ellenbogengelenk beweglich; die distalen Teile dagegen —Handteller und Finger — 
weisen eine Kontraktur auf; wobei die Endphalangen aller 5 Finger einander 
genähert sind; die Hand mitsamt den Fingern sieht konisch abgerundet aus und 
erinnert in ihrer Stellung an die untersuchende Hand des Geburtshelfers. Patient 
führt mit den Fingern keine aktiven Bewegungen aus; beim passiven Auseinander- 
biegen der, wie beschrieben, gefalteten Hand entsteht ein so heftiger Schmerz, 


1 Tonelle, Memoire sur wie noovelle maladie convulsive des eDfants. Gazette ined. 
de Paris 4 832. 

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147 


daß der Versuch, der kranken Hand eine normale Stellung zu geben, aufgegeben 
werden muß. Die unteren Extremitäten sind im Knie- und Fusselgelenk gebeugt, 
lassen sieb aber passiv auseinanderbiegen, obgleich die Schmerzen, die Patient 
hierbei spürt, recht bedeutend sind. Die Hände und Füße sind leicht ödematös 
und cyanotisch. Die Schmerz- und Temperatursensibilität, sowie die taktile 
Sensibilität ist normal. Der Druck auf die Nervenstämme ist schmerzhaft. 
Symptome von Tbousseau und Hoffmann-Chvostek sind deutlich. 

Die Sehnenreflexe sind an den oberen und unteren Extremitäten etwas ge¬ 
steigert Der Hautreflex der Sohle und der Kremasterreflex sind normal; die Bauch¬ 
reflexe fehlen. Der Pharynxreflex und der Konjunktivalreflex des Auges sind normal. 
Harnlassen, Defäkation und der Schluckackt verlaufen wie beim normalen Menschen. 

Sämtliche Pupillenreflexe sind unverändert Die Bewegungen der Augen 
weichen naoh allen Richtungen hin nicht von der Norm ab. Die Kontraktionen 
der Kinnbacken und Gesichtsmuskeln, sowie die Bewegungen der Zunge sind 
normal. Der Puls ist klein und weich — 74 in der Minute. Alle diese Daten 
lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß wir es mit einem Fall von Tetanie 
zu tun haben. Ein hervorragendes Interesse bietet der Pat. durch den' Zustand 
seiner Psyche und durch den allgemeinen Verlauf der Krankheit. In dieser Be¬ 
ziehung lassen sich einige Phasen und Stadien konstatieren, die einander folgen. 

In einer dieser Phasen ist die Stimmung des Patienten deprimirt. Er iBt 
finster, ruft beständig den Tod herbei, ist zerstreut, beachtet seine Umgebung nicht, 
weint, sagt einem Grobheiten, wenn man mit ihm spricht, oder antwortet ungern 
nur auf einige gestellte Fragen. Die Antworten sind klar und deutlich, woraus 
sich schließen läßt, daß sein Bewußtsein nicht gestört ist. 

Der beschriebene Zustand der Psyche und die tonisohen Kontrakturen halten 
nicht lange an und werden nicht beständig beobaohtet. Der Zustand von Reiz¬ 
barkeit, Zerstreutheit, Depression usw. fällt immer mit der Zeit der Kontrak¬ 
turen zusammen und sistiert beim Auf hören der letzteren; die letzteren haben 
einen periodischen, anfallsartigen Verlauf und verschwinden nach 2—5 Stunden, 
7—15 Tagen und zuweilen nach 2—8 Wochen. 

Das Verschwinden der Kontrakturen fällt gewöhnlich mit einer Veränderung 
des gesamten Krankheitsbildes zusammen, die sich hauptsächlich nach zwei Rich¬ 
tungen hin ausBpricht und zwar tritt entweder eine allgemeine Erregung des Pat. 
oder im Gegenteil eine vollständige Beruhigung im Gebiete aller Sphären ein, so 
daß die Angehörigen diesen Zustand „eine Rückkehr zur Norm“ nennen. 

Im enteren Falle — d. i. zweite Phase — wird der unbeweglich im Bett liegende, 
finBter gestimmte, schweigsame Pat. ohne jeglichen sichtbaren Grund erregt, beginnt 
zu sprechen, setzt sich im Bett auf, fuchtelt mit den Armen um sioh, steht auf, 
will gehen oder sogar laufen, wobei weder in den oberen noch in den unteren 
Extremitäten die geringste Spur von Rigidität und Steifheit der Glieder zu bemerken 
ist, die in der vorhergehenden Periode beobachtet und soeben beschrieben wurde. 
Anfangs richtet er seine Worte an die ihn umgebenden Personen; er verlangt eine 
Erklärung darüber, was die Tiere zu bedeuten haben, die er sieht und deren 
Brüllen er hört; die beruhigenden Antworten der Angehörigen wirken wenig auf 
ihn, er gibt sich nicht die Mühe das anzuhören, was ihm gesagt wird. Mit dem 
Auftreten der Halluzinationen verdunkelt sich das Bewußtsein des Pat. schnell; 
er bemerkt die Gegenwart seines Vaters und seiner Mutter nicht mehr. Der Pat. 
richtet seine Augen ins Leere und sieht um sich her das Erscheinen neuer Gegen¬ 
stände. Seine Gesichtszüge nehmen einen erschreckten Ausdruck an. Er springt 
entsetzt vom Bett auf und versteckt sioh hinter einen Stuhl, augenscheinlich droht 
Gefahr, der er sich ausgeBetzt sieht: er springt auf das Sofa, kriecht auf den 
Tisch, stürzt durch die offenstehende Tür in das benachbarte Zimmer, wirft Möbel 


um usw. 

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Hierbei ruft er um Hilfe, schreit, weint und verteidigt sich. In einem 


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2Q .Original frem 

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Winkel zusammengekauert oder von Nahestehenden gehalten, zittert er vor 
Angst, hört die beruhigenden Worte nicht oder reagiert wenigstens nicht auf 
dieselben. Nach wie vor sieht er die Ungeheuer, die ihn so sehr in Schrecken 
versetzen. Es ist möglich, daß er ihr Gebrüll usw. hört. Er flüstert oder 
schreit mit lauter Stimme. Seine Sprache ist in dieser Zeit äußerst unvollständig. 
Der Pat. stößt größtenteils einzelne Ausrufe aus: ,,öh!“, „Äh!“, „Ai“. Zuweilen 
spricht er Hauptworte aus: „Hund“, „Blut“, „Feuer“, „Rachen“, oder fügt auch 
noch Eigenschaftsworte hinzu: „schrecklich“, „rot“; selten braucht er Verba, so daß 
kurze Sätze entstehen: „die Zähne klappern“, „das Blut fließt“. In seiner Sprache 
ist eine finstere Stimmung ausgesprochen, und zwar Furcht, Gram, Ver¬ 
zweiflung und niemals Zufriedenheit oder Begeisterung. Diese Stimmung drückt 
sich in einzelnen bekümmerten, ärgerlichen oder traurigen Ausrufen aus. Pat. 
beschreibt nicht, was er fühlt, sieht oder hört. Die Halluzinationen des Pat. 
entstehen nicht nur in der Gesichts- und Gehörssphäre, sondern auch im Gebiet 
der Haut* und Muskelempfindung und des Geschmackssinnes. Hierüber läßt sich 
daraufhin urteilen, daß der Pat. sich schüttelt als wenn er etwas Unangenehmes 
abschütteln wollte, auch schreit er: „es schmerzt“, „es ist kalt“, so als wenn 
er gebissen, gekniffen, mit heißem oder mit kaltem WasBer übergossen wird. 
Halluzinationen des Geschmackssinnes lassen sich aus dem Grunde vermuten, weil 
auf dem Gesicht des Pat. deutlich ein Ekelgefühl ausgeprägt ist und weil er 
wütend ausspeit und dabei ausruft: „bitter, bitter“. 

Auf in dieser Zeit gestellte Fragen antwortet er nicht; die vom Pat. aus- 
gestoßenen Laute, die von seinen Eltern als Antworten betrachtet wurden, stellen 
nur eine Reaktion auf die Halluzinationen dar und haben nichts mit Antworten 
auf die gestellten Fragen gemein. 

Die beschriebene Erregung und das Auftreten von Halluzinationen haben 
den Charakter von Anfällen, und jeder dieser Anfalle hat seinen Kulminations¬ 
punkt — die Mitte des Anfalles — und zwei geringer ausgeprägte Stadien — 
den Beginn und das Ende desselben. Der Kulminationspunkt zeichnet sich durch 
vollständige Trübung des Bewußtseins aus; zu Beginn und zum Schluß des An¬ 
falles ist das Bewußtsein klar. In dieser letzteren Periode erkennt der Patient 
die ihn umgebenden Personen und unterscheidet sie von den halluzinatorischen 
Gestalten: er bittet seine Angehörigen um Aufklärung und um Schutz vor 
dem ihn umgebenden Trubel trügerischer Sinnestäuschungen. Solch ein Anfall 
dauert 2—6, zuweilen 10 Stunden lang und hinterläßt im Gedächtnis des Patienten 
nur undeutliche Erinnerungen an die überstandenen Schrecken, oder dieselben 
schwinden auch vollständig aus dem Gedächtnis. Zuweilen gehen einem solchen 
Anfall äußerst schmerzhafte, kurze Zeit andauernde, tonische Krämpfe voran; in 
einigen Fällen schließt ein solcher Anfall mit den erwähnten Krämpfen und dann 
bleibt vom gesammten Anfall der halluzinatorischen Erregung nur das Anfangs- 
Stadium und das Endstadium der tonischen schmerzhaften Krämpfe übrig. Niemals 
wurden im Verlauf eines derartigen Anfalles, mit Verlust des Bewußtseins, irgend¬ 
welche Krampfanfälle beobachtet. 

„Die Rückkehr zur Norm“, wie die Eltern die dritte Phase des Zustandes 
ihres Sohnes nennen, besteht darin, daß der Patient über Schmerzen in den 
Gliedern zu klagen aufhört und daß die tonischen Krämpfe und die Kontrakturen 
verschwinden. Diese Periode kann zuweilen Monate lang anhalten. Der Patient 
steht in dieser Periode auf, geht umher, kann sogar Rad fahren und lernt, wobei 
sein Lehrer seine geistigen Fähigkeiten als äußerst befriedigende bezeichnet. 
Patient erlernt in dieser Zeit gut Sprachen und Geschichte, löst mathematische 
Aufgaben richtig, schreibt gute Aufsätze usw., nur sehen die Angehörigen auf 


dem erschöpften Gesiebt des Knaben niemals ein Lächeln. Die gespannten 
Gesichtszüge ^rücken Trauer aus; in allem, was er tut, fehlt die kindliche 


Gesic 

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ungirai Trcm 

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Lebhaftigkeit; seine Bewegungen sind matt und apathisch. Die Stimmung ist 
mutlos, finster und trübselig. Diese „Rückkehr zur Norm" kann viele 
Monate hindurch anhalten, ohne daß die trübe Stimmung, die Reizbarkeit, der 
Egoismus, „der zurückhaltende und verschlossene Charakter" den Patienten 
verlassen und hierin zeigt sich eben die Geistesstörung des Patienten. Sein Be¬ 
wußtsein ist in dieser Zeit vollständig klar, seine Aufmerksamkeit ist gut und 
Halluzinationen kommen nicht vor. 

Dieser verhältnismäßig gute Zustand ist jedoch nicht dauerhaft. 

An einem von diesen „ruhigen" Tagen treten plötzlich tonische, schmerzhafte 
Krämpfe der oberen und unteren Extremitäten auf, die den Knaben auf mehrere 
Stunden, zuweilen auch Tage und Wochen an das Bett fesseln, wobei von Zeit 
zu Zeit in dieser Periode die beschriebenen halluzinatorischen Erregungsanfälle 
mit vollständigem BewußtseinsverluBt auftreten. 

Ein derartiges trauriges Dasein fährt der kleine Patient schon mehr als 5 Jahre. 

Aus der Anamnese erfahren wir, daß er schon von frühester Kindheit an, 
im Alter von ungefähr 4 Jahren, an einer hartnäckigen Enterocolitis zu leiden 
begann, die den Patienten bis zur Gegenwart nicht verläßt. Zu den flüssigen, 
äußerst übelriechenden Ausleerungen war zuweilen Blut beigemengt, was zuweilen 
im Verlauf von mehreren Wochen anhielt. Diese Blutungen wichen keinerlei 
lokalen oder innerlich verabreichten, blutstillenden Mitteln. Zeitweilig beruhigten 
sich die Erscheinungen der Gastroenterocolitis unter dem Einfluß der angewandten 
Therapie, oder auch ohne dieselbe, und verschwanden auch vollständig. 

Schon viele Jahre vor der beschriebenen Epoche wurde bei dem Patienten 
eine Magendilatation, Schmerzhaftigkeit des Leibes und Rigidität der Bauchdecken 
konstatiert und aus diesem Grunde auch tuberkulöse Peritonitis vermutet; durch 
letztgenannten Prozeß wurde auch die hartnäckige Enteritis erklärt. Mehrfach 
wurde der Harn auf Eiweiß und Zucker hin untersucht und in dieser Beziehung 
jedesmal als normal befunden. 

Am Ende des 3. Jahres der Erkrankung deB Verdauungskanales, nachdem 
durch therapeutische Mittel ein Sistieren der Diarrhöen erzielt worden war, zeigte 
sich beim kleinen Patienten im Verlauf der 2. Woche der „Genesung des Darmes“ 
der erste Anfall von schmerzhaften, tonischen Krämpfen, die sich im Verlauf von 
2 Wochen mehrmals täglich wiederholten und dann plötzlich auf hörten. Soviel 
sich aus den Angaben der Eltern konstatieren läßt, traten, augenscheinlich gleich 
nach dem Auf hören der Krämpfe, oder vielleicht auch 2 Tage vorher, blutige, 
äußerst reichliche, dünnflüssige Ausleerungen auf. Auf dieses zeitliche Zusammen¬ 
treffen der Krämpfe in den Extremitäten mit der Obstipation und andererseits 
des Durchfalles mit der „Rückkehr zur Norm“ war gar nicht geachtet worden. 
Bei genauem Ausfragen läßt es sich jedoch konstatieren, daß die Serie solcher 
Krampfatacken immer mit Verstopfung einherging und daß dem Verschwinden 
der ersteren das Auftreten von Durchfall voranging, daß also Verstopfung das 
Auftreten der Krämpfe begünstigte und im Gegensatz häufige Ausleerungen die¬ 
selben sistierten. 

Während einer dieser Epochen des besonders „trägen Darmes“ wurde die 
Krampfdiathese des Patienten durch halluzinatorische Verwirrtheit und durch Er¬ 
regtheit kompliziert. Aber auch diesesmal sintierte die plötzlich eintretende 
Periode der Durchfälle nicht nur die Krämpfe, sondern auch die halluzinatorisohen 
Anfälle. Im weiteren Verlauf wird ein Abwechseln der Symptome beobachtet — 
Verstopfung wird von Krämpfen oder Halluzinationen begleitet; mit Durchfällen 
beginnt das Aufhören der Krämpfe und der Eintritt klaren Bewußtseins. Eine 
trübe Gemütsstimmung begleitet die Diarrhöen usw. Diese Symptomarten folgten 
derartig beständig aufeinander, als wenn das eine Symptom die Folge des 
anderen wäre~, 

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Original fn>m 

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Wenn wir diese Beobachtung kurz resümieren, sehen wir folgendes: Wir 
haben eine chronische Erkrankung des Verdauungskanales vor uns, die sich 
durch häufige Diarrhöen dokumentierte, wobei die Ausleerungen dünnflüssig, 
übelriechend und zuweilen mit Blut vermengt waren. Zeitweilig werden (unter 
dem Einfluß der therapeutischen Maßnahmen) die Durchfalle auf kurze Zeit von 
Verstopfung abgelöst. 

Parallel mit der Störung des allgemeinen Ernährungszustandes des Patienten 
entwickelt sich eine eigenartige Affektion der motorischen Sphäre, die durch 
Anfälle von schmerzhaften, tetanischen Krämpfen in den Extremitäten charak¬ 
terisiert wird, wobei hei der objektiven Untersuchung außer der typischen Form 
der Kontrakturen der Extremitäten auch noch das Phänomen von Tboüsbeau 
und Chvostek-Hoffmaxn konstatiert werden kann. 

Im weiteren Verlauf der Krankheit gesellt sich hierzu noch eine zweifellose 
Störung in der psychisohen Sphäre des Patienten und zwar nach zwei Richtungen 
hin, je nach dem jeweiligen Zustande des Verdauungskanales. 

Zur Zeit der dünnflüssigen und häufigen Ausleerungen ist das Bewußtsein 
des Patienten vollständig klar und seine Perzeptionsfähigkeit ist normal. Er 
konnte lernen, seine Aufmerksamkeit anspannen, sein Gedächtnis mit verschiedenen 
Kenntnissen bereichern und konnte Schlußfolgerungen machen, wobei nicht die 
geringsten Anzeichen von Sinnestäuschungen oder Wahnideen vorhanden waren. 
Während dieser Periode hot der Patient das Bild eines vollständig gesunden 
Menschen dar und nur seine Gemütsstimmung zeigte eine deutlich 
ausgeprägte Abweichung von der Norm, ohne daß ein besonderer 
Grund hierfür vorlag; der Patient war immer trübe gestimmt, reiz¬ 
bar, weinerlich; sein Charakter verschlossen und egoistisch. Mit 
dem Aufhören der Diarrhöen veränderte sich der Gemütszustand. 


Die Epoche der Verstopfung brachte diejenigen Motive mit sich, die heim 
Patienten im vorhergehenden Stadium für die krankhafte Gemütsstimmung 
fehlten. In dieser Epoche entwickelten sich bei ihm starke Schmerzen in den 
kontrahierten Extremitäten, die ihm den Schlaf raubten und Stöhnen hervor¬ 
riefen; Tränen raubten ihm die Möglichkeit, seine Aufmerksamkeit auf irgend 
etwas zu konzentrieren, was ihn von seinen unangenehmen Empfindungen ab¬ 
lenken konnte und brachten ihn auf die traurigsten Gedanken; als natur¬ 
gemäße Reaktion auf diese Schmerzen trat die niedergeschlagene, trübe Gemüts¬ 
stimmung auf. 

In dieser Zeit konnte der Patient zweifellos seine Aufmerksamkeit nur 


schlecht anspannen; die Fähigkeit, Vorgänge wahrzunehmen, war stark herab¬ 
gesetzt, er war zerstreut. Wünsche und Bestrebungen fehlten ihm. Der Patient 
zeigte völlige Interesselosigkeit für seine Umgebung, eine indifferente Apathie 
und sowohl körperliche, als auch geistige Unbeweglichkeit. 

Derartig war der psychische Zustand des Patienten während des größten 
Teiles der Epoche der Verstopfung. Während des kleineren Teiles der¬ 
selben Epoche der „trägen Darmtätigkeit“ wurde dieses monotone 


Bild der Erkrankung, in dem auf allem der Stempel von Apathie 


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151 


and Depression liegt, episodisch von einem entgegengesetzten Zustand ab¬ 
gelöst, in dem Symptome von körperlicher und psychischer Erregung vor¬ 
herrschten und wodurch die Klarheit des Bewußtseins litt Der Patient sprang 
vom Bette auf, lief davon, kämpfte, versteckte sich, verteidigte sich und sprach 
schnell und laut. In dieser Zeit nahm sein Bewußtsein, das in den anderen 
Krankheitsstadien vollständig klar war, sehr stark an Klarheit ab. Der Patient 
begriff absolut nicht, was um ihn her vor sich ging. Seine Perzeption wurde 
gestört und an Stelle von faktischen Wahrnehmungen mußte er Sinnestäuschungen 
verarbeiten. HaUnzinationen des Gesichtes, des Gehöres, des Geschmackes und 
des allgemeinen Gefühles verdeckten die reale Wirklichkeit vor ihm vollständig. 
Diese akut entstandene halluzinatorische Ver«virrtheit hielt einige Stunden hin¬ 
durch an, hörte ebenso schnell, wie sie sich entwickelt hatte, wieder auf und ließ 
im Bewußtsein keinerlei Spuren zurück. 

Wir haben es in der gegebenen Beobachtung zweifellos mit einem Fall von 
Tetanie zu tun, zu dessen Gunsten die Stellung der krampfhaft kontrahierten 
Finger und Zehen der Extremitäten und die Symptome von Tbousseau und 
Chvostbk-Hoffmann sprechen. Zum Symptomenkomplex der Tetanie müssen 
auch noch die Veränderungen der Psyche gerechnet werden, von denen beim 
Patienten 2 Arten deutlich zu erkennen sind. Der zweifellose Zusammenhang 
und der Wechsel dieser Störungen, die mit dem Verlauf der Tetanie vollständig 
übereinstimmen, geben einen genügenden Anhalt dafür, um auch die Geistes¬ 
erkrankung für eine Erscheinung der Tetanie zu halten. 

Man kann diese psychischen Störungen mit um so größerer Berechtigung 
zur Symptomatologie der Tetanie hinzurechnen, als wir in der Literatur analoge, 
wenn auch wenig zahlreiche Beobachtungen anderer Autoren besitzen. 

Fbankl-Hochwabt l , der seine Aufmerksamkeit ganz besonders auf diese 
Art von psychischen Störungen richtete, konnte im Jahre 1889 genau be¬ 
schreiben, worauf Tonellä im Jahre 1838 hingewiesen hatte. Fbankl-Hoch- 
wabt beobachtete 3 Fälle einer Geisteserkrankung, die sich im Verlauf von 
Tetanie entwickelt hatte. 

In der ersten hierher gehörenden Krankengeschichte wird ein 18jähriger 
Schneider beschrieben, der im Anfang März 1888 an typischen Tetaniekrämpfen 
erkrankt war. Zum Ende desselben Monats hin nahmen die Krampferscheinungen 
stark zu und es entwickelte sich gleichzeitig ein beständiges Angstgefühl; es 
traten massenhafte Halluzinationen auf, das Bewußtsein war getrübt, der 
Patient sprach unzusammenhängend und seine Rede war der Umgebung un¬ 
verständlich. Von schrecklichen Halluzinationen verfolgt, sprang der Patient in 
einen Fluß, wurde aber rechtzeitig gerettet und in das Krankenhaus gebracht; im 
Krankenhause kehrte sein Zustand sehr bald wieder zur Norm zurück und 
gleichzeitig mit dem Eintritt des geistigen Gleichgewichtes verschwanden die 
letzten Anzeichen von Tetaniekrämpfen. 

Die 2. Beobachtung Fbankl-Hochwabt’s bezieht sich auf einen 16 jährigen 
Schuster, der lange Jahre hindurch an Tetaniekrämpfen litt Zur Zeit, als ihn 


1 Fhahkl-Hochwa 

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V’AHT, 

gTe 


Die Tetanie. Wien 1900. 


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der Autor beobachtete, hatten die Krämpfe an Häufigkeit und Intensität zu¬ 
genommen, und gleichzeitig hatte sich eine halluzinatorische Verwirrtheit akut 
entwickelt, die sehr bald nach dem Aufhören der Krämpfe verschwand. Die 
Folgen der überstandenen Psychose dokumentierten sich in einer Herabsetzung 
der Geisteskräfte. 

Der 3. Patient Fbakkl-Hoohwabt’s, ein 18 jähriger Weber, wurde in die 
psychiatrische Abteilung von Meynebt eingeliefert und zeigte Symptome sehr 
starker Erregung und halluzinatorischer Verwirrtheit; von Furcht geplagt, 
klammerte er sich an den Arzt und bat um Schutz, gleichzeitig hielt er Reden, 
deren Sinn unverständlich blieb. Nach Verlauf von einigen Tagen zeigten sich 
einige typische tetanieartige Krampfanfalle; in den Zwischenräumen zwischen 
denselben war der Patient vollständig normal. Dieser ruhige Zustand wurde 
dann wieder von einem neuen Anfall halluzinatorischer Verwirrtheit und Er¬ 
regtheit abgelöst, wobei der Patient schrie, sich durch Flucht zu retten suchte, 
die Wände mit Fäces beschmutzte usw. Dieser letzte Anfall halluzinatorischer 
Verwirrtheit hielt nur kurze Zeit an, dann trat eine vollständige Wiederher¬ 
stellung des geistigen Wohlbefindens ein und gleichzeitig hörten die Krämpfe auf. 

Eine diesen 3 Fällen analoge Beobachtung machte auch Schultze. 1 

Seine Patientin — ein junges Mädchen — bot einige Anzeichen von Kreti¬ 
nismus dar. Patientin litt an einem Struma und war geistig zurückgeblieben. 
Die Patientin wurde infolge von tetanieartigen Krämpfen — zugunsten der 
Diagnose Tetanie sprachen die Anzeichen von Tboüsseau und Hoffmann- 
Chvo8TBk — in die Klinik für innere Krankheiten aufgenommen; hier zeigte 
sie starke Erregtheit, der sich Furchtsamkeit und Halluzinationen hinzugesellten. 
Zeitweilig wurde dieser Zustand von grundlosem Lachen und von maniakalischer 
Erregung abgelöst Die Patientin stürzte sich ohne jeglichen Grund auf ihre 
Nachbarinnen, schlug sie mit Fäusten und biß dieselben. Allmählich beruhigte 
sie sich, das Bewußtsein klärte sich auf, die Patientin verlangte nach Arbeit und 
die Tetaniekrämpfe verschwanden, worauf sie nach Hause entlassen wurde. 

Soviel sich aus den mir zugänglichen Quellen urteilen läßt, ist mit diesen 
4 Fällen die Literatur in der Frage über: durch Tetanus komplizierte, hallu¬ 
zinatorische Verwirrtheit erschöpft. Diese Armut an kasuistischen Beobachtungen 
erklärt sich augenscheinlich nicht durch das Fehlen von Interesse für derartige 
Erkrankungen, sondern durch die Seltenheit derselben. Häufiger als dieses 
Symptom wird bei den an Tetanie leidenden Patienten ein anderer psychischer 
Symptomenkomplex beobachtet, der in trüber Gemütsstimmung, Reizbarkeit, trüber 
Weltanschauung, Gedächtnisschwäche und Veränderung des Charakters besteht; 
aber auch über diesen Symptomenkomplex finden wir nur äußeret kurze Auf¬ 
zeichnungen, was dafür spricht, daß auch dieses Symptom größtenteils unbemerkt 
vorübergeht. 

Trotz der geringen Anzahl von Mitteilungen in der Literatur über die uns 
interessierende Frage, finden wir dennoch eine vollständige Analogie zwischen 
den psychischen Veränderungen unseres Patienten und denjenigen der Patienten 


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1 Schultze, Tetanie und Psychose. 

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Berliner klin. Wockenschr. 1897. 

Original frorn 

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anderer Autoren, allerdings mit dem Unterschiede, daß die psychischen Störungen 
unseres Patienten sich durch Vielseitigkeit auszeichneten. Bei ihm finden wir 
beide Formen der psychischen Störungen, die bei Tetanie beobachtet wurden, 
und zwar finden wir bei ihm sowohl Anfalle von halluzinatorischer Verwirrtheit 
mit Erregtheit verbunden, als auch trübe Gemütsstimmnng und einen egoistischen, 
reizbaren Charakter. Diese verschiedenen Gemütsstimmungen, die bei vielen Per¬ 
sonen, die an Tetanie leiden, gewöhnlich einzeln auftreten, sind hier in einem Indi¬ 
viduum konzentriert, wechseln jedoch miteinander und lösen einander ab; außerdem 
zeichnete sich die halluzinatorische Verwirrtheit und die allgemeine Erregung 
durch akute Entwickelung und durch einen äußerst kurzen Verlauf aus; die 
trübe Gemütsstimmung und die Reizbarkeit hingegen zeichneten sich durch chroni¬ 
schen Verlauf aus. Die erstere trat nur in der Periode auf, in der der Patient von 
Krampfanfallen befallen wurde, die 2. Form zeigte sich in der krampffreien Periode. 
Die halluzinatorische Verwirrtheit entstand zur Zeit der Obstipationen. Die trübe 
Gemütsstimmung fiel mit der Periode der stinkenden Durchfälle zusammen. 

Der Dauer nach kam ein Anfall von halluzinatorischer Verwirrtheit der 
Dauer einiger Krampfanfälle, die ohne Intervalle einander folgten, gleich. Solch 
ein Anfall von halluzinatorischer Verwirrtheit kann als Äquivalent der Krampf¬ 
erscheinungen, z. B. analog der Epilepsie, betrachtet werden, wo ja kompensatorisch 
verschiedene Stadien einer Bewußtseinstrübung, einschließlich bis zu einer hallu¬ 
zinatorischen Psychose, an Stelle der Krampfanfälle beobachtet wurden. Zugunsten 
einer derartigen Annahme spricht der Umstand, daß die betreffende psychische 
Störung nur in der Periode der häufig aufeinanderfolgenden Krämpfe beobachtet 
wurde und daß während der Dauer eines Anfalles der halluzinatorischen Ver¬ 
wirrtheit gar keine KrampfanMe vorkamen und die Kontrakturen verschwanden, 
so daß es den Anschein hatte, als wenn die halluzinatorische Psychose die Er¬ 
regungserscheinungen der motorischen Sphäre ersetzte. Die Annahme einer 
Äquivalenz der Halluzinationen und der Krampfanfälle folgt auch noch aus dem 
Umstande, daß diese beiden Symptome nur zur Zeit der Obstipation auftraten; 
hierbei entstanden dieselben nicht einander parallel und nicht unabhängig von 
einander, obgleich ihre Ursache die gleiche war und sie nur in einer bestimmten 
Spanne Zeit auftraten, sondern sie wechselten einander ab, traten der Reihe nach 
hervor und stellten jedes für sich die Folge eines krankhaften Prozesses des 
Großhirnes dar. 

Die besprochene Psychose zeichnet sich von den Beobachtungen der zitierten 
Autoren, in denen die Erregung und die halluzinatorische Verwirrtheit einige Tage 
bis viele Wochen hindurch anhielt, durch ihre kurze Dauer aus. Dennoch gibt 
diese kurze Dauer der Psychose uns nicht das Recht, dieselbe für eine neue 
Erscheinung im Krankheitsbilde der Tetanie anzusprechen, da erstens die Dauer 
einer Krankheit nicht zur Zahl der wichtigen diagnostischen Anzeichen gehört 
und da zweitens die anderen, wichtigeren Bestandteile der Erkrankung, und zwar 
die Erregung, die Halluzinationen, die Trübung des Bewußtseins und das Angst¬ 
gefühl vollständig mit dem übereinstimmen, was von den anderen Autoren in 
ihren Tetaniefällen beobachtet worden ist. 

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Die Ätiologie der Psychose ist im Falle von Frankl-Hochwabt nicht 
analysiert worden. Sohültze war offenbar geneigt, die psychischen Störungen 
der gesteigerten Produktion der Schilddrüse zuzuschreiben. Hierauf läßt sich 
daraus schließen, daß er seine Patientin mit Thyreoidin behandelte. 

Bei unserem Patienten steht die psychische Störung offenbar im engsten 
Zusammenhang mit der Anhäufung derjenigen Produkte der veränderten Ver¬ 
dauung im Darm, die für gewöhnlich aus seinem Organismus durch die häufigen 
und flüssigen Ausleerungen entfernt wurden. Diese Annahme stimmt wenigstens 
vollständig mit dem Umstande überein, daß der psychischen Störung stets 
Obstipation voranging. 

Schlußfolgerung: Wir erlauben es uns auf Grund des oben Gesagten 
den Schluß zu ziehen, daß die psychische Störung in Form einer akuten 
halluzinatorischen Verwirrtheit gemeinsam mit Erregung und Tobsucht in Form 
eines akuten, kurze Zeit dauernden Anfalles dauern kann, auf den eine voll¬ 
ständige Klärung des Bewußtseins folgt. 

Diese Attacken der halluzinatorischen Verwirrtheit werden in der Periode 
der schnell aufeinanderfolgenden, krampfhaften Kontrakturen der Extremitäten 
beobachtet und können teilweise als Äquivalent dieser Krampfanfälle beobachtet 
werden. Der Zwischenraum zwischen den einzelnen Krampfanfällen wird durch 
eine äußerst trübe Gemütsstimmung und durch eine Herabsetzung der Auf¬ 
merksamkeit charakterisiert; das Bewußtsein jedoch ist in dieser Periode mehr 
oder weniger klar. In der von Krämpfen und halluzinatorischer Trübung des 
Bewußtseins freien Periode kann eine veränderte Gemütsstimmung beobachtet 
werden, das Gedächtnis hingegen, dessen Schwächung einige Autoren beschrieben 
haben, kann mehr oder weniger normal bleiben. 


[Ana der Abteilung für chronische Nervenkranke im Krankenhaus Praga (Warschau).] 


2. Zur Phänomenologie der cerebralen Hemiplegie. 1 

Von Dr. Z. Byohowski, Prim ärarat. 


Wenn ein Hemiplegiker bzw. Hemiparetiker cerebralen Ursprungs sich in 
Rückenlage befindend das gesunde Bein bei gestrecktem Knie H' cm und das 
erkrankte entweder gar nicht oder nur H'cm (H>H') heben kann, so wird er 
aufgefordert beide im Knie gestreckte Beine gleichzeitig zu heben, die Höhen 
H bzw. H' nur selten erreichen. Man kann dann je nach der Dauer der 


‘ Anmerkung bei der Korrektur: Dieser Aufsatz ist an die geehrte Redaktion 
im Juli v. J. eingesandt worden. Inzwischen kam mir ein Aufsatz von Prof. Gkasset 
und Gaussbl (Un eigne de paralysie organique du membre inferieur. Revue nenrologique. 
1905) in die Hände, worin auf dasselbe Phänomen aufmerksam gemacht wird. Wenn 
es mir schließlich nur angenehm Bein kann, daß Prof. Gbasset meine Beobachtung bestätigt, 
erlaube ich mir doch zu bemerken, daß ich das hier in Rede stehende Phänomen, für welches 
die französischen Autoren übrigens eine ganz andere Erklärung geben, schon vor 4 Jahren 
auf der Abteilung meines früheren Chefs Herrn Dr. E. Ziei.inski demonstrierte. — Was nun 
das Übersehen des Aufsatzes in der Revue neurologique anbetrifft, möge mir als lindernder 
Umstand die Tatsache dienen, daß ich das ganze Jahr 1905 in der Mantschurei zubringen 
mußte, wo ich nicht nur auf die medizinische Journalistik, sondern auch auf viele andere 
kulturelle Bedürfnisse verzichten mußte. 

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Krankheit folgendes beobachten. Der Kranke, der vor einer Weile das gesunde 
Bein allein bis auf 45—50 cm und das erkrankte entweder gar nicht oder doch 
bis auf 10—15 cm beben konnte, kann jetzt, wenn er beide Beine gleichzeitig 
heben will, dieselben überhaupt fast gar nicht vom Fleck bringen. Also auch 
das gesunde Bein bleibt trotz verschiedener zu beobachtender Muskelspannungen 
fast gänzlich auf der Unterlage liegen. 

ln einer anderen Gruppe wird das gesunde Bein zwar gehoben, aber nicht 
so hoch wie früher, als es allein gehoben werden sollte. Schließlich — und das 
ist am häufigsten der Fall — hebt der Kranke — nach einer gewissen Anstrengung 
— zwar beide Beine, er kann aber nicht die früheren B[öhen H und H' erreichen. 

Bei Ausführung des Versuches muß selbstverständlich aufgepaßt werden, 
daß das erkrankte Bein sich nicht an das gesunde anlehne, was gewöhnlich 
instinktiv stattfindet Ich lasse also den Versuch mit leicht abduzierten Beinen 
ansführen. Gesunden Menschen gelingt es leicht beide Beine gleichzeitig so 
hoch wie jedes Bein besonders zu heben. Auch bei verschiedenen Rückenmarks¬ 
krankheiten und ablaufender Polyneuritis ist in dieser Beziehung dasselbe Ver¬ 
halten wie beim gesunden Menschen zu beobachten. Wie sich die hysterische 
Hemiplegie dem hier in Rede stehenden Phänomen gegenüber verhält, hatte ich 
leider keine Gelegenheit zu beobachten. 

Wie ich schon früher angedeutet habe, gehört das hier beschriebene Phä¬ 
nomen nicht zu den unbedingten Attributen der cerebralen Hemiplegie. Bei 
längere Zeit dauernden Hemiplegieen, die vom Anfang an rationell und syste¬ 
matisch behandelt worden sind, kann man es auch vermissen oder nur sehr 
schwach angedeutet finden, — das ist jedoch nicht häufig der Fall. Häufig 
aber, wie ich mich auf Grund eines großen Materiales überzeugt habe, kann 
das Phänomen viele Monate, ja auch viele Jahre — besonders bei vernach¬ 
lässigten Fällen — nach dem Schlaganfalle demonstriert werden. Je frischer 
die Hemiplegie, desto ausgesprochener das Phänomen. Ich habe das Phänomen 
aber auch bei alten Hemiparetikern, die ziemlich leidlich mit Stock gehen 
konnten, noch deutlich gefunden. Und mancher Kranke, der jedes Bein allein 
ganz leicht heben konnte war ganz verblüfft, als er die Aufforderung beide 
Beine gleichzeitig zu heben nicht auszuführen imstande war. 

Es fragt sich nun, welche sozusagen physiologische Motive liegen diesem 
Phänomen, das ich aus später folgenden Überlegungen kurz als Ersatzphänomen 
bezeichnen möchte, zugrunde. Wahrscheinlich befindet sich dasselbe im engen 
Zusammenhang mit den vielen anderen interessanten Erscheinungen, die wir 
bei der cerebralen Hemiplegie zu beobachten letztens gelernt haben. Liegt ja 
in der subtilen Analyse der cerebralen Hemiplegie, wie sie von Wbbnioke, 
Mann, Rothmann, Monakow, Pbobst u. A. ausgeführt worden ist, der Schlüssel 
zur Lösung vieler Grundprobleme der Gehirnphysiologie und -pathologie über¬ 
haupt, wie z. B. das gegenseitige Zusammenwirken beider Hemisphären, der 
Ersatz einer Hemisphäre bzw. eines ihrer Teile durch die andere, das Einschleifen 
neuer oder richtiger gesprochen im Laufe der Phylogenese verlassener extra- 
pyramidaler Bahnen u. 

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a. Überhaupt wird ein genaues Studium der bei den 

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15G 


cerebralen Hemiplegien vorkommenden Ausfalls- and Ersatzerscheinungen uns 
Aufklärung über die Entstehung und Zweckmäßigkeit verschiedener Synergien 
geben. 

Indem ich mir eine ausführliche Behandlung dieses Gegenstandes än der 
Hand des reichen Materials unserer Abteilung Vorbehalte, möchte ich hier nur 
in groben Strichen die vermutliche Grundlage des Ersatzphänomens andeuten. 

Es ist ja festgestellt, daß nach Läsion einer Hemisphäre bzw. ihrer psycho¬ 
motorischen Gentren, in der anderen Hemisphäre die Tendenz entsteht, für die 
lädierten symmetrischen Centren vikariierend einzutreten. Je weniger indi¬ 
vidualisiert eine Synergie ist, je früher sie in phylogenetisoher Beziehung ent¬ 
standen ist, desto rascher wird sie durch die unlädierte Hemisphäre ersetzt 
(Rumpf-, Bauchmuskulatur), so daß manche sich sogar genötigt sahen, für diese 
und ähnliche Synergien eine beiderseitige Repräsentation in einer jeden Hemi¬ 
sphäre annehmen zu müssen. Auch die Tatsache, daß bei der cerebralen Hemi¬ 
plegie in der unteren Extremität willkürliche Bewegungen früher als in der 
oberen auftaucben, hat ja höchst wahrscheinlich ihren Grund darin, daß die 
zielbewußten Bewegungen der oberen Extremität individualisierter und jünger 
als die der unteren sind. Bei dem Hemiparetiker fließt also der Bewegungs¬ 
impuls von der gesunden Hemisphäre in zwei Richtungen in die contra- und 
homolaterale Seite. Wird nun an diese Hemisphäre die Forderung gestellt, den¬ 
selben Bewegungsimpuls gleichzeitig in beide Richtungen zu schicken — was 
eben bei dem Ersatzphänomen der Fall ist — scheint sie diese Aufgabe nicht 
bewältigen zu können. Der Bewegungsimpuls — bildlich gesprochen — verteilt 
sich und besitzt nicht, wenn entsprechende Übung nicht vorausgegangen war, 
die genügende Intensität den Bewegungseffekt auszulösen, den der nicht verteilte 
Bewegungsimpuls auszulösen imstande war; arbeiten ja überhaupt die unteren 
Extremitäten gleichzeitig und in derselben Richtung nur selten (beim Springen 
und Schwimmen). Es ist also begreiflich, daß die einzige Hemisphäre, die hier so 
zu sagen etwas Ungewöhnliches zu leisten hat, diese Aufgabe entweder gar nicht 
oder nur mangelhaft erfüllen kann. Ganz anders sind ja die Verhältnisse beim 
Schließen der Augen, Spannen der Bauchpresse u. a., wo die Leistungen aus 
leicht begreiflichen Gründen immer synchron und bilateral sein müssen. Viel¬ 
leicht läßt sich auch dadurch die von mehreren Seiten konstatierte Tatsache er¬ 
klären, daß im Beginn der Hemiplegie auch die „gesunde“ Seite in ihrer 
motorischen Leistuugsiähigkeit herabgesetzt ist. Daß hier der Shock und die 
im Schädelraume eingetretenen veränderten Druckverhältnisse eine Rolle spielen, 
ist ja leicht begreiflich. Es ist ja aber auch möglich, daß die in der gesunden 
Halbkugel sich emporarbeitende Tendenz die Leistungen des beschädigten Nach¬ 
bars zu übernehmen in der ersten Zeit, wenn jene sich zu der neuen Aufgabe 
noch nicht angepaßt hat, einen Teil ihrer psychomotorischen Energie ablenkt, 
was eben eine transitorische Erschlaffung der kontralateralen Synergien zur 
Folge hat 


Ist die hier für das Ersatzphänomen vorgeschlagene Erklärung richtig, so 
folgt daraus auch mancher Wink für die Behandlung der Hemiplegie. Beim 


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Hemiplegiker soll man, was ja übrigens Leyden, Goldscheideb u. a. schon 
seit langem betonen, womöglich früh — nach Abklingen der Shockerscheinnngen — 
mit passiven Übungen beginnen. Also aoßer auf Massage lege ich besonderes 
Gewicht aof jeden Tag vorzunehmende leichte Flexionsbewegungen im flüft- 
und Kniegelenk und £xtensionsübungen im Sprunggelenk, welche Bewegungen 
beim Gehen ja hauptsächlich in Betracht kommen. Dann, was mir eben sehr 
wichtig scheint, lasse ich den Kranken im Bett eben dieselben Gehbewegungen 
mit dem gesunden Bein ausführen und zwar in gleichmäßigem bestimmtem Tempo 
abwechselnd eine aktive Bewegung mit dem gesunden Bein und eine passive 
seitens des Masseurs mit dem gelähmten. Nicht selten bekommt man nämlich 
zu sehen, daß, wenn man einen Hemiplegiker, der lange aus „Schonungsgründen“ 
im Bett gehalten worden ist, mit fremder Stütze gehen lassen will, er auch das 
gesunde Bein sehr ungeschickt in Betrieb setzt. Es bleibt stramm gestreckt am 
Boden haften, als wären die üblichen Gehbewegungsvorstellungen für dasselbe 
gänzlich verschollen. Das Massieren, Elektrisieren usw. des gelähmten Beines 
ist entschieden nicht ausreichend. Man muß also vom Anfang an daran denken, 
der gesunden Halbkugel die ihr bevorstehende Aufgabe zu erleichtern. Das 
geschieht dadurch, daß man 1. die für die kontralaterale Seite bestehenden 
Gehbewegungsvorstellungen und die entsprechenden Leitungsbahnen immer¬ 
während so zu sagen auffrischt und unterhält; 2. analoge Bewegungsimpulse 
für die homolaterale Seite auslöst und Leitungsbahnen für sie ausschleift und 
5. die gesunde Halbkugel einübt, ihre Bewegungsimpulse rasch und rhythmisch 
wechseln, d. h. sukzessiv kontra- und homolateral senden zu können, wodurch 
eben das Gehen ermöglicht sein wird. 


3. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer 

Neugeborener. 

Von Otto Banke in Wiesloch. 


(Schloß.) 

Aus diesem Befunde glauben wir zwei theoretisch interessante Schlüsse 
ziehen zu dürfen. Einmal kommt offenbar die von Nissl postulierte „biologische 
Grenzscheide“ zwischen ektodermalem und mesodermalem Anteil des Hirngewebes, 
welche im erwachsenen Centralorgan nur im Falle herdförmiger, zur ausgebreiteten 
Zerstörung von Nervensubstanz führender Prozesse durchbrochen wird, erst zu 
einer recht späten Zeit der embryonalen Entwickelung, vermutlich sogar erst 
postnatal zur völligen Ausbildung. Dann aber läßt sich auch bei frühauftreten- 
den, diffus einsetzenden entzündlichen Veränderungen, die mit Emigration leuko- 
zytärer Elemente einhergehen, aus der Verbreitung der Infiltrationszellen ein 
Bückschluss auf die Zeit ziehen, in welcher dieser Prozeß begann. Im speziellen 
glauben wir für unsere bisher untersuchten Fälle luetischer Neugeborener an¬ 
nehmen zu dürfen, daß der Infiltrationsprozeß erst in der letzten Schwanger- 
sohaftsperiode, sichet nach dem 6. Monat eingesetzt hat, da die Infiltrate, wenn 
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sie auch über die Lymphscheiden hinausgingen, sich doch an die nächste Um« 
gebung der Gefäße hielten. 

Viel weiter hinein in das Hirngewebe als die lenkocytäre Infiltration erstreckt 
sich bei der kongenitalen Lues ein anderer, von den Gefäßen ausgehender 
Prozeß: die Ablösung adventitialer Elemente aus dem Gefäßverbande, welche — 
in Gestalt und Ausbreitung durchaus den „Stäbchenzellen“ Nissl’s und Alz- 
heimeb’s bei der Paralyse entsprechend — sich bei mehreren Fällen in großer 
Anzahl im Mark und in der Binde fanden. Daß es sich bei ihrem Auftreten 
um eine pathologische Erscheinung handelt, ließ sich aus normalen Neugeborenen¬ 
gehirnen mit Sicherheit nach weisen; inwieweit dasselbe aber für die kongenitale 
Lues charakteristisch ist, müssen erst künftige Untersuchungen lehren. 

In derselben Ausdehnung, wie die bisher beschriebenen Veränderungen, 
zeigte das ektodermale Stützgewebe eine ausgesprochene Proliferation: 

Große, protoplasmareiche, oft auch faserbildende Gliazellen fanden sich in 
großer Menge cirkumvaskulär, sandten meist ihre kräftigsten Fortsätze gegen die 
Wand eines oder mehrerer Gefäße (vgl. Fig. 5); daneben kam es einige Male 
zu einer diffusen Gliawucherung im Mark, besonders auch in der Nachbarschaft 
der Ventrikel, und endlich wurde in 3 Fällen eine starke Gliaproliferation im 
zellarmen Bindensaum und auch in tiefere Rindenschichten hinein an solchen 
Stellen beobachtet, wo die Pia nachher zu beschreibende weitgehende Veränderungen 
aufwies. 



Fig. 5. Gewucherte, faserbildende Gliazelle aus der Mednlla oblongata, zu drei Gefäßen in 

Beziehung tretend. 


Neben den bisher genannten, mehr diffus verbreiteten Erscheinungen kamen 
auch herdförmig begrenzte Prozesse zur Beobachtung, welche nach ihrem histo¬ 
logischen Verhalten sich am ehesten als bedingt durch dieselben, aber an be¬ 
schränktem Ort besonders heftig einsetzende pathogenetisohe Faktoren deuten 
ließen. 


Es handelte Bich bei ihnen um kleinste, mit bloßem Auge eben noch als 
gelbliche Pünktchen erkennbare Stellen, welche unter dem Mikroskop bei geeigneten 
Färbungen Bich als zusammengesetzt erwiesen, aus Plasma- und Mastzellen, den 


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soeben beschriebenen stäbchenförmigen adventitialen Elementen, stark gewucherter 
Glia und bröckeligen Resten aller dieser Elemente (Fig. 6). 


Herd mit zahlreichen Plasmazellen ans dem Mark, 


Stäbchen 

zellen. 


, Spongio 
Masten. 


•Kervenzdle 


Leukozyt im, 
Ocfässlumen.J^ 


GcfiLsse, 

Herd in der Rinde, ansgehend von einem fast obtnrierten Gefäß 


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160 


Wo solche Herdchen sich in der Rinde fanden, zeigten natürlich auch die 
Nervenzellen weitgehende Degenerationserscheinungen (Fig. 7 ). 

Meist ließ sich im Centrum oder doch in nächster Nachbarschaft dieser 
Herde ein feines Gefäß mit besonders starken Wandveränderungen nachweisen, 
die unter Umständen zu einem Verschluß des Lumens geführt hatten. 

Erwähnenswert erscheint mir, daß es — entgegen anderen, noch immer 
wieder in der Literatur auftauchenden Angaben — niemals gelang, an den 
nervösen Elementen in der Nachbarschaft dieser Proliferationsinseln irgendwelche 
als aktive Reaktion aufzufassende Veränderungen nachzuweisen. 

Herdförmige Bildungen ganz anderer Art fanden sich in 3 Fällen nahe dem 
Ventrikel. Sie bestanden aus den dunklen, kleinkernigen Zellen der embryo¬ 
nalen Stützsubstanz (Spongioblasten), welche normalerweise in früherer Fötalzeit 
die aus dem Plexus in die Ventrikel wand einstrahlenden größeren Venen in 
Form dichter Mäntel umscheiden, ein Verhalten, das wohl gelegentlich zu der 
Annahme einer „lymphocytären Infiltration“ um die Markgefäße geführt hat. 
In den genannten Fällen von kongenitaler Lues, in denen diese ausgedehnte 
cirkumvaskuläre Proliferationszone sich bereits — der normalen Entwickelung 
entsprechend — fast völlig zurückgebildet hatte, ließen sich nun hie und da 
gegen die zellreiche Umgebung wohlabgegrenzte Haufen derartiger Elemente in 
der Nachbarschaft der Venen nachweisen, wie sie von mir bisher nur in einem 
Falle schwerer Entwickelungsstörung des Gehirns gefunden und zur Bildung 
einer besonderen Art von „Heterotopien“ in Zusammenhang gebracht worden sind. 1 

Mit einigen Worten muß ferner der pialen Veränderungen gedacht werden, 
die bei mehreren Fällen schon makroskopisch als eine Verdickung, weißliche 
Trübung und Adhärenz der Pia mit der Dura bemerkt werden konnten. Die 
häufigen pialen und snbpialen Blutungen wurden bereits erwähnt. Zweimal fand 
ich eine weitgehende Bindegewebswucherung (bei zwei intrauterin abgestorbenen 
reifen Neugeborenen), die zu einer starken, schwartigen Verdickung geführt hatte. 
In zwei anderen Fällen ließen sich sehr schwere frischere Störungen nachweisen: 

Lebhafte Fibroblastenproliferation, Infiltration des Pialgewebes mit Plasma¬ 
zellen, Riesenzellenbildang and an einzelnen Stellen nekrotischer Zerfall des Ge¬ 
webes. In eben diesen Fällen griff die piale Wucherung stellenweise auf die 
angrenzende Rinde über, führte zu einem Einwandern von Fibroblasten und 
adventitialen Elementen in den zellarmen Rindensaum und zu besonders hohen 
Graden der oben kurz geschilderten Rindenveränderungen (Gefäßwandwucherung, 
Lymphscheideninfiltration, Stäbchenzellenemigration, Gliaproliferation, Zerfall der 
Nervenzellen). 

Besonders interessant erscheint mir eine Infiltration der pialen Maschen 
mit charakteristischen, oft mehrkernigeu „großen Rundzellen“, welche in keinem 
unserer Fälle hereditärer Syphilis vermißt wurde. 


1 Vgl. doa Referat über meinen bei der Jahresversammlung des Vereins bayrischer 
Psychiater 1905 in München gehaltenen Vortrag: Über eine besondere Form von Entwicke- 
lnngsstörnngen der menschlichen Großhirnrinde. Neurolog. Central bl. 1905. Nr. 14. Eine 
ausführlichere Besprechung der betreffenden Verhältnisse erscheint im 3. Bande von Nissl’s 


histologischen und biBtopathologischen Arbeiten. 

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161 


Die Herkunft und Bedeutung der betreffenden Elemente ließ sich bisher 
nicht sicher stellen; doch stehen sie offenbar mit dem normalen Bildungsprozeß 
der Pia in engstem Zusammenhänge. Sie fanden sich nämlich bei 29 Frühgeburten 
aus dem 4.—7. Monat jedesmal, und zwar bis zum 6. Monat in zunehmender, 
dann wieder in abnehmender Menge. Bei ausgetragenen Neugeborenen waren sie 
dagegen normalerweise nicht oder doch nur in ganz vereinzelten Exemplaren 
vorhanden. 

Wenn wir sie nun bei reifen syphilitischen Früchten stets in großer Zahl, 
öfters aber geradezu massenhaft und das histologische Bild der Pia bestimmend 
fanden, so dürfen wir darin sicherlich ein pathologisches Geschehen erkennen, 
das sich wohl am ehesten ebenso wie die Gefaßwucherung und die Bildung der 
Spongioblastenknötchen durch das Andaaern einer in gewisser Zeit der Ent¬ 
wickelung normalen Proliferation infolge des luetischen Reizzustandes erklärt. 

Erwähnt sei endlich, daß mehrere Fälle von kongenitaler Lues mit der 
MABGHi’schen Methode und den neueren Fettfärbungen auf das Vorhandensein 
lipoider Substanzen untersucht wurden. Dabei konnten weder Vibchow’s (3) 
Angaben, noch deren Widerlegung durch Jabtrowitz(12) bestätigt werden. 

Fettartige Körper fanden sieb, ebenso wie im normalen embryonalen Gehirn, 
doch augenscheinlich in größerer Menge, in den „großen Rundzellen“, in den Ge¬ 
fäßwänden und in den pathologisch gewucherten Fibroblasten der Pia, außerdem 
reichlich in den Gefäßwänden (Endothel und Adventitia) der cerebralen Gefäße 
und massenhaft in den cirkumvaskulären Gliazellen, hie und da auch in einzelnen 
gliösen und adventitialen Elementen („Stäbchenzellen“) zerstreut im Gewebe. Eine 
reichliche, lokal beschränkte Anhäufung von Fettsubstanzen ließ sich nur in den 
oben beschriebenen Herden von Infiltratzellen, adventitialen Elementen und ge¬ 
wucherter Neuroglia nachweisen. 

Zum Schluß erscheint es zeitgemäß, auf die Frage des Spirochätennachweises 
in unseren Präparaten kurz einzugehen. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist in 
einer großen Anzahl von Fällen bei primären und sekundären luetischen Pro¬ 
dukten der Nachweis von Schaudinn’s Spirocbaeta pallida im Ausstrich, neuer¬ 
dings auch mittels Silberimprägnation nach Levaditi 1 im Gewebe gelungen, und 
es ist heute, nach den Übertragungsversuchen durch Metschnikotf und Roux, 
sowie durch Neisseb und Finoeb, bei denen sich auch im Allen an den Impf¬ 
stellen und in sekundären Eruptionen der Parasit fand, und nach den sehr aus¬ 
gedehnten, diagnostischen Zwecken dienenden Untersuchungen Simmonds (13) 
kaum mehr möglich, an der pathogenen Bedeutung der Spirocbaeta pallida für 
die Syphilis zu zweifeln. Besonders massenhaft fand man die Spirochäten in 
den Primäraffekten, sowie in fast allen Organen bei der kongenitalen Lues, bei 
letzterer namentlich in den Affektionen, welche man früher als den tertiären 
Gummen der Erwachsenen analog angesehen hatte. 

Im Centralnervensystem ist — soweit mir bekannt — der Nachweis von 
Spirochäten auch bei kongenitaler Lues bisher nicht gelungen, nachdem die 
Untersuchungen von Levaditi (14) (von Gehirn, Rückenmark, Spinalganglien und 


1 Über die Methode vgl. E. Giebkb: Das Verhältnis zwischen Spirochäteu und den 
Organen kongenital syphilitischer Kinder. Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 9. 


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Plexus zweier luetischer Neugeborener) und Bose (15)'(Gehirn, 1 Fall) erfolglos 
geblieben waren. 1 

Von meinen Fällen wurden bisher zwei, welche die weitestgehenden Ver¬ 
änderungen zeigten, und von denen mir am meisten Material zur Verfügung 
stand, mittels der LKVADiTi’schen Methode untersucht; in beiden fanden sich 
Spirochäten in großen Mengen, und zwar in einer den beschriebenen patho¬ 
logischen Erscheinungen durchaus entsprechenden Lagerung und Häufigkeit. 



Fig. 8. Kleine Arterie der Pia mit Spirochäten, die zwischen den Endothelzelleu 
in die Gefäßwand einwandern, vereinzelt in der Muskulatur und massenhaft in der 
Adventitia liegen. Eindringen von Parasiten in den Rindensaum. 



Fig. 9. a zwei wohlerhaltene Spirochäten in einer „großen Rundzelle“ 
der Pia, b drei degenerierte Spirochäten in einer mehrkernigen „großen 

Ruudzelle 4 *. 

Vereinzelt unter den angestauten leukocytären Elementen der Gefäße, be¬ 
sonders der Venen liegend, dringen sie zwischen den gewucherten und degenerierten 

1 Anmerkung bei der Korrektur: Nach Abschluß dieser Arbeit faud ich in der 
Münchener med. Wochenschrift vom 3. und 17. Juli 1906 (S. 1302 und 1434) zw^ei ganz kurze 
Angaben über das Vorkommen der Spirochaeta pallida im Gehirn. Simmonds fand sie bei 
kongenitaler Lues, Bknda (Berlin) bei einer doppelseitigen Erweichung der Großhirnhemi¬ 
sphären mit syphilitischer Endarteriitis und Mesarteriitis. Außerdem fand ich nachträglich, 
daß Schridde bereits am 19.; VII. 1905 in einer Sitzung des ärztlichen Vereins in Marburg 
über Spirochäten berichtete, deren Anwesenheit er in der Cerebrospiualflüssigkeit eines here¬ 
ditär luetischen Neugeborenen festgestellt hatte. 

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168 


Endothelzellen in die Gefäßwand, finden eich in wenigen Exemplaren in der 
Muskularis auch der größeren Arterien, in ungeheuren Massen aber zwischen 



Fig. 10. Größere Vene der Rinde. Massenhaft Spirochäten in der Lymphscheide, vereinzelte 

in das Hirngewebe fiberwandernd. 



Fig. 11. Gefäß in der Medulla oblongata, dessen Lymphscheide mit Spirochäten ganz 
angeffillt ist. Links unten eine Kapillare mit zahlreichen Spirochäten in der Wandung. 


den adventitialen Bindegewebszügen, in denen sie sich lebhaft zu vermehren 
scheinen (Fig. 8). Die Pia ist an manchen Stellen ganz geschwärzt von Spiro¬ 
chäten, besonders dort, wo histologische Methoden Zerfallserscheinungen an den 


Zellen nachgewiesen hatten. 

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Selten findet man an solchen Plätzen auch intra- 

|]Qr ‘alfrem 

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164 


cellular liegende Exemplare; in einem Falle sah ich offenbare Degenerations¬ 
produkte von Spirochäten innerhalb einer „großen Rundzelle“ der Pia (vgl. Fig. 9), 
wie sie auch von Lbvaditi und Frohwein (16) beschrieben worden sind. 

An Stellen, wo die pialen Veränderungen direkt auf die Rinde übergreifen, 
wandern auch vereinzelte Spirochäten ungehindert in die Gehirnsubstanz ein. 
Sehr viel zahlreicher sieht man sie in den Lyraphscheiden der infiltrierten und 
gewucherten Rindengefäße, aus denen sie hie und da in einzelnen Exemplaren, 
selten in Häufchen von 5—7 in das Nervengewebe eindringen, wie wir es nach 
den beschriebenen Erscheinungen erwarten konnten (Fig. 10). Besonders reichlich 
fanden sie sich auch in den Lymphscheiden und im Gewebe der Medulla oblongata 
in einem Falle, bei dem eine sehr hochgradige diffuse Gliawucherung der Medulla 
nachgewiesen werden konnte (Fig. 11), 



Fig. 12. Herd wie in Fig. 7, Spirochätenfärbung. 


Die geschilderten Knötchen aus Gefäßwandzellen, leukocytären Elementen und 
gewucherter Glia endlich sind ganz durchsetzt von Spirochäten, so daß man sie 
schon bei schwächsten Vergrößerungen als dunkle Flecken in dem bräunlichen 
Gewebe erkennt (Fig. 12). Und auch in den oben beschriebenen Haufen von 
Elementen des embryonalen Stützgewebes nahe dem Ventrikel ließen sich ver¬ 
einzelte Spirochäten nachweisen. 


M. H.! Ich konnte Ihnen zeigen, daß im Centralnervehsystem luetischer 
Früchte sich gewisse, in ihrer Gesamtheit recht charakteristische Veränderungen 

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1C5 


erkennen lassen, und daß dieselben größtenteils auf die direkte Anwesenheit der 
SoHAüDiNK’schen Spirochäte zurückgeführt werden können. Damit ist für die 
Frage nach den Beziehungen zwischen der ererbten Lues und Nerven- und 
Geisteskrankheiten noch nicht eben viel gewonnen; doch hoffe ich, daß weitere, 
eingehende Untersuchungen mit unserer verfeinerten histologischen Technik auch 
für die im späteren Leben bei hereditär luetischen Individuen auftretenden ner¬ 
vösen und psychischen Störungen eine anatomische Grundlage finden werden, 
die in manchen Stücken mit den Veränderungen beim Fötus und Neugeborenen 
übereinstimmen mag. Auch der Spirochätennachweis dürfte uns insofern weiter¬ 
führen, als er uns die durch Anwesenheit des Lueserregers selbst und durch 
seine Toxine allein bedingten Veränderungen mit Sicherheit zu unterscheiden 
gestattet. 

Literatur. 

1. Julush, Herödo-Syphilis. Archive g£n£rale de mödecine. V. 1901. — 2. Ziehen, 
zitiert nach Bbksler: Erbsyphilis und Nervensystem. Scbhidt’s Jahrbücher. 1904. — 
3. Vibcbow. Encephalitis congenita. Berliner klin. Wochenschr. 1883; vgl. auch Vibchow’b 
Archiv. XXXVIII. 1867. — 4. Mba2bk, Syphilis haemorrhagica neonatorum. Vierteljahr¬ 
schrift f. Dermatologie u. Syphilis. 1887. Heft 1. — 5. Bon. Heckes, Beitrag zur Histo¬ 
logie und Pathologie der kongenitalen Syphilis, sowie zur normalen Anatomie des Fötus 
und Neugeborenen. HabilitationBschr. 1898 u. Vorträge, gehalten auf der 16. u. 18. Ver¬ 
sammlung d. Gesellsch. f. Kinderheilk. (1899 und 1901). — 6. Hutinel et Hus£lo, Etüde 
sur les ldsions syphilitiques du foie chez le foetus et les nouveau-nds. Archive de mdd. exp. 
H. 1890. Heft 4. — 7. Kabvonbn, Die Nierensyphilis. Berlin 1901. — 8. E. Wethe, 
Über die Häufigkeit von Hämorrbagien in Schädel und Schädelinhalt bei Säuglingen. Diss. 
Kiel 1889. S. Salomon, Über den Zusammenhang zwischen Pachymeningitis intern, chron. 
und Atrophie bei Säuglingen. Dies. Kiel 1897; vgl. auch den Vortrag Döhlb’s auf dem 
internat. med. Kongr. in Berlin 1890. — 9. Bebrbnd, Deutsche Zcitschr. f. prakt. Medicin. 
1878. — 10. A. Alzheimer, Histologische Studien zur Differentialdiagnose der progressiven 
Paralyse. Nissl’s histolog. u. bistopatholog. Arbeiten über die Großhirnrinde. I. 1904. — 
11. F. Nibsl, Zur Histopathologie der paralytischen Rindenerkrankung. Histol. u. bisto- 
pathol. Arbeiten. I. — 12. Jastbowitz, Entgegnungen auf Vibchow's Anschauung einer 
kongenitalen interstitiellen Encephalitis bei Lues. Berliner klin. Wochenschr. 1888. — 
18. Simmonds, Über den diagnostischen Wert des Spirochätenbefundes bei Syphilis congen. 
Vortrag im ärztlichen Verein in Hamburg, Sitzung vom 1. Mai 1906. — 14. Lbvaditi, 
Annales de l’institut Pasteur. XX. 1906. Nr. 1. — 15. Bose, C. rend. LX. 1906. Heft 7. 
— 16. Fbohwein, Spirochätenbefunde im Gewebe. Medicin. Klinik. 1906. Nr. 17. 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Zur Frage von den Nervenganglien in der Gebärmutterwand, von Viktor 
Stscherbakow. (Inaug.-Dissert. Berlin 1906.) Ref.: Max Bielschowsky. 
In der Uteruswand der Katze fand Verf. Ganglien, welche er in drei Gruppen 
sondert. Zur ersten gehören solche, die in der Serosa des Cervix liegen. Ihre 
Verteilung ist je nach der genaueren Örtlichkeit variabel; die Form der Zellen 
nähert sich deijenigen in den großen sympathischen Ganglien. Zur zweiten Gruppe 
gehören die eigentlichen intraneuralen Ganglien in den oberflächlichsten Schichten 
der Mosoularis in den seitlichen Cervixpartien und im unteren Corpusahschnitte. 
Die letzte Gruppe wird von Zellanhäufungen in tieferen Schichten der Uterus- 
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muskulatur gebildet. Sie liegen in der vorderen und hinteren Corpuswand, ohne 
die größte Sagittalebene des Uteruskörpers zu erreichen. Einzelne Häufchen liegen 
in der Nachbarschaft größerer Blutgefäße und stehen mit Nervenstämmchen von 
stärkerem Kaliber in Zusammenhang. In der Mucosa und Submucosa des Organs 
hat Verf. Nervenzellen nicht gefunden. 

2) Das Verhalten der Nerven in der Substanz des Uterus, von Dr. Alfred 
Labhardt. (Archiv f. Gynäkolog. LXXX.) Bef.: MaxJacoby (Mannheim). 

Verf. faßt die Ergebnisse seiner Untersuchungen folgendermaßen zusammen: 
Im UteruB des Kaninchens findet sich ein ausgebreitetes Nervensystem. Die 
dickeren Stämme verlaufen zwischen den zwei Hauptmuskelschichten und geben 
Zweige ab, die interfascikulär verlaufen und ihrerseits intrafascikuläre Fasern 
abgeben. Die größeren Stämme enthalten neben zahlreichen blassen noch eine 
kleinere Anzahl von myelinhaltigen Fasern, die jedoch innerhalb der dickeren 
Stämme schon ihre Markscheide verlieren. Im Uterus des Menschen findet sich 
ebenfalls ein reiches System von Nerven. Die dickeren Stämme verlaufen inner¬ 
halb der mittleren Muskelfaserschicht und geben von hier aus Zweige ab, die 
intrafascikulär liegen und von denen intrafascikuläre Aste entspringen. Die 
dickeren Stämme enthalten neben zahlreichen blassen Fasern einzelne doppelt 
konturierte, die jedoch innerhalb der dickeren Nervenstämme ihre Markscheide 
verlieren. Die Endigungsweise der Nerven in der Muskulatur und in der Schleim¬ 
haut ist weder beim Kaninchen-noch beim Menschen durch die Golgische Methode 
und Methylenblau in genügender Werne darzustellen gewesen. Weder im Uterus 
des Kaninchen noch dem des Menschen sind Ganglienzellen nachzuweisen. Die 
Annahme eines intraneuralen Gangliensystems iet durohaus unbegründet. Die 
Kontraktionen der Gebärmutter erfolgen auf neurogenem Wege durch Beizung 
des Ganglion cervicale oder durch einen Beflex, auf myogenem Wege durch direkte 
Beizung der Muskulatur. 

3) Vergleichend-anatomisohe Untersuchungen über den Bau des Central¬ 
kanales bei den Säugetieren, von Paul Bi ach. (Arb. aus dem neurolog. 
Institut der Universität Wien. XIII. 1907.) Bef.: Otto Marburg (Wien). 

An einem Material, das Vertreter aller Vertebratenklassen enthält, zeigte sich 
bezüglich des Centralkanales eine auffallende Uniformität in der Gestalt dieses, 
sowie ein fast völliger Mangel pathologischer Veränderungen. Der Centralkanal 
ist fast immer offen, schließt meist ein feinfädigeB Gerinnsel ein, in dem sich 
deutlich bei vielen Tieren der Beissnersehe Faden abhebt. Bemerkenswert ist 
ein eigentümliches Verhalten der Natautia, bei denen die Existenz eines Central¬ 
kanales im Cervikalmark fraglich erschiene, da dort nur Ependyminseln vorhanden 
sind, wenn nicht an deren Stelle im unteren Dorsal-, im Lumbal- und Sakral¬ 
mark ein echter Kanal zu finden wäre. 

Die Substantia gelatinosa centralis zeigt ein wechselndes Verhalten. Bald 
verschwindend klein wie beim Igel, den Pinnipediern, Bodentiern und EdentateD, 
bald beträchtlich entwickelt wie bei den Chisopteren, zeigt sie bei diesen letzteren 
dorsale Fortsätze, die sich in einer Spitze bis in die Bolandosehe Substanz 
verfolgen lassen. 

Der auffallende Befund von Ganglienzellen und Nervenfasern in der centralen 
gelatinösen Substanz sei gleichfalls hervorgehoben, ein Befund, der die Bedeutung 
der gelatinösen Substanz als eines einfachen Stützgewebes wohl illusorisch zu 
machen geeignet ist. Eine große Fülle von Details läßt sich leider in einem 
kurzen Beferate nicht wiedergeben. 


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Gck igle 


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167 - 


Physiologie. 


4) Zur Kenntnis der Variabilität und Vererbung am Centralnervensystem 
des Mensehen und einiger Säugetiere, von J. P. Karplus. (Wien-Leipzig 
1907, F. Deuticke.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

In weiterer Verfolgung seiner Untersuchungen, die seinerzeit das hoch bedeut¬ 
same Resultat der Existenz einer Vererbung der Hirnfurchen neben vielen anderen 
erbrachten, zieht jetzt Verf. außer seinen 26 Menschengruppen (20 zu je 2, 5 zu 
je 3, 1 zu 5 Mitgliedern) 4 Gruppen vom Macacus (Mutter und Fötus bzw. Sohn), 
4 Gruppen von Hund und vier von der Katze, sowie drei von der Ziege heran. 

Während beim Menschen in bezug auf die Furchen Varietäten die beiden 
Hirnhemisphären beträchtlich differieren und diese Differenz auch in der Vererbung 
zum Ausdruck kommt, die beim Menschen immer gleichseitig ist, fehlt eine der¬ 
artige Differenz beider Hemisphären bei den Macacen trotz großer Variabilität 
der Furchen; es fehlt aber gleichzeitig (ein einziger Fall ausgenommen) die Ver¬ 
erbung von Varietäten. Letztere findet sich dagegen bei Katze und Hund, deren 
Gehirne gleichfalls zahlreiche Windungsvarianten in den verschiedenen Familien 
aufweisen, wobei wiederum beide Hemisphären sich annähernd gleich verhalten. 
Betreffs der Ziege ist eine Entscheidung noch unmöglich. 

Die Vererbbarkeit hei Hund und Katze im Gegensätze zu der fehlenden hei 
Macacus ist vielleicht in dem Umstand begründet, daß Hund und Katze Gipfel¬ 
formen ihrer Reihe sind, der Macacus aber tief in seiner Reihe steht. 

Von der größten Bedeutung für die Lehre von den endogenen Krankheiten 
des Nervensystems sind die nun folgenden histologischen Untersuchungen des Be¬ 
obachtungsmateriales. Welche Unsumme von Arbeit darin steckt, kann man 
einzig aus dem Umstande ersehen, daß 42 Rückenmarksserien zur Durchmusterung 
kamen. Es fand sich dabei Asymmetrie der Vorderstänge, die auf Rechnung der 
Pyramidenhahn zu setzen ist (Vater und Sohn), familiäres Auftreten von Hydro- 
myelie oder überaus mächtige Entwiokelung der Stützsubstanz. In der Medulla 
oblongata seien rundliche Zellanhäufungen im Hypoglossuskern, Vorkommen von 
eigentümlichen Absprengungen der Suhstantia gelatinosa trigemini, familiäres Auf¬ 
treten eines Conductor sonorus erwähnt. Auch der Tractus peduncularis trans- 
versus und die Fasciculi arcuati superiores isthmi fanden sich bei zwei bzw. drei 
Geschwistern besonders gut entwickelt. 

Das in nuce die Resultate eineB vieljährigen Studiums, dessen Gründlichkeit 
und umfassende Kritik ganz im Verhältnis zu seiner Bedeutung steht, die kaum 
trotz der bescheidenen Zurückhaltung des Verf.’s verkannt werden kann. 

5) A preliminary note on the motor areas ln the cerebral cortex of mar- 
supials, by J. Froude Flashraan. (Reports from the pathological laboratory 
of the lunacy departement. Sydney 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Verf. hat sich die dankenswerte Aufgabe gestellt, das bisher physiologisch 
wenig erforschte Gehirn der Marsupialier auf seine elektrisch erregbaren Rinden- 
foci zu untersuchen. Als Versuchsobjekt diente ihm Dasyurus viverrinus, der Beutel¬ 
marder. Alle motorischen Punkte liegen bei ihm unmittelbar hinter einer von dem 
frontalen Teile der Hirnbasis nach aufwärts und etwas nach vorn an der Kon¬ 
vexität verfolgbaren Furche, dem Sulcus orbitalis. Im basalsten Teile dieser 
hinteren Lippe des Sulcus orbicularis liegt ein Focus für Zungen- und Kiefer¬ 
bewegungen. 

Reizt man etwas höher dorsalwärts, dann treten komplizierte Angriffsbewe¬ 
gungen auf, bei denen das Tier die Schnauze nach oben bewegt und nach der 
entgegengesetzten Seite hin beißt; gleichzeitig erfolgten komplizierte Schlag¬ 
bewegungen mit den vorderen Extremitäten in der Weise, daß sich der Fuß der 


gereizten Seite mit extendierten Krallen, wie die Schnauze, nach entgegengesetzter 


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Richtung wendet; gleichzeitig erfolgen auch Vorwärtsbewegungen der kontra¬ 
lateralen Pfote. Etwas höher oben von diesem Gebiete liegen die Reizpunkte der 
oberen und dann die der unteren Extremitäten. Beide Foci decken sich zum 
Teil miteinander. Die betreffenden Bewegungen sind von den einzelnen Punkten 
aus scheinbar nicht in konstanter Weise erzielt worden; jedenfalls war eine exakte 
Lokalisation einzelner Mnskelgruppen nicht möglich. Das Gehirn von Dasyurus 
soll für diesen Zweck zu klein sein. 

6) Über das Vibrationsgefühl, von Dr. Franz Herzog. (Deutsche Zeitschrift 

f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

Zur genauen Untersuchung des Vibrationsgefühles wurden Stimmgabeln von 
96 Schwingungen (G) und Bolche von 256 Schwingungen (c') benutzt; letztere 
eignen sich wegen des schwächeren Reizes besser zur Feststellung einer Herab¬ 
setzung des Vibrationsgefühles. Dasselbe kann nur dann als eine besondere 
Sensibilitätsart mit eigenen Nerven aufgefaBt werden, wenn sich in pathologischen 
Fällen bei im übrigen intakter Sensibilität ein isolierter Verlust desselben nach- 
weisen läßt oder wenn dasselbe bei Erloschensein der übrigen Sensibilität erhalten 
ist. In jedem Falle muß sich die Sensibilitätsprüfung auf Haut, Weichteile und 
Knochen erstrecken. Aus kleineren Veränderungen des Vibrationsgefühles oder 
der übrigen Sensibilität sind indessen keine allgemeinen Schlüsse zu ziehen, denn 
solche lassen sich auch ohne die Annahme besonderer Nerven für das Vibrations¬ 
gefühl erklären. 

Die Untersuchungen wurden durch einfaches Aufsetzen der Stimmgabel ohne 
eine genauere Messung der Empfindungsdauer vorgenommen. Bei einer Anzahl 
organischer Affektionen des Nervensystems entsprechen die stärksten Störungen 
des Vibrationsgefühles jenen des Drucksinnes, weniger denen des Bewegungsgefühles 
und bei Anästhesien der Haut war oft nur durch leises AufBetzen der Stimmgabel 
eine Herabsetzung des Vibrationsgefühles zu bemerken. In einem Fall von Poly- 
neuromyelitis ließ sich die Beziehung desselben zur Schmerz-, Kälte- und Wärme¬ 
empfindung bestimmen. Es bestanden dabei starke Ataxie, Störungen der taktilen 
Sensibilität, des Drucksinnes, der Bewegungsempfindung und des Vibrationsgefühles. 
An den Extremitäten war der Drucksinn fast gänzlich aufgehoben und die Vibration 
vollkommen erloschen, während Schmerz-, Wärme- und Kälteempfindung normal 
waren. Daraus erhellt, daß diese Qualitäten der Sensibilität mit der Vibrations¬ 
empfindung nicht in Zusammenhang stehen. 

Diese Beobachtungen beweisen also nicht, daß das Vibrationsgefühl eine be¬ 
sondere Sensibilität ist, sondern sie lassen nur annehmen, daß dasselbe keine 
spezifischen Nerven besitzt und von den Nerven der taktilen Sensibilität sowie 
von den sensiblen Nerven der tieferen Teile fortgeleitet wird, während die der 
Schmerz- und Temperaturempfindung dabei unbeteiligt sind. 


Pathologische Anatomie. 

7) Beiträge zur Kenntnis der Altersveränderungen der menschlichen Hirn¬ 
rinde, von Koichi Miyake. (Arbeiten aus dem neurolog. Institut an der 
Wiener Universität. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

An etwa 30 Fällen seniler Gehirne, von denen nur einige von geistig Er¬ 
krankten herrührten, wurden unter besonderer Berücksichtigung der Nissl-Alz¬ 
heim ersehen Befunde genaue Rindenuntersuchungen vorgenommen. Sie ergaben 
in allen Fällen Verbreiterung der Pia durch Wucherung des Bindegewebes, Ver¬ 
mehrung der zeitigen Elemente — der fixen und der aus dem Blute stammenden; 
letzteres nur dann, wenn das Gehirn einem Kranken entstammte, der an einer 
Infektion oder Intoxikation oder Karzinose gestorben war. Schwartenartige Ver¬ 
dickungen der Pia, die gleichfalls ohne Psychose bestanden, ähnlich wie Ver- 


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wachsung der Pia mit der gliösen Rindenschicht, werden auf in der Kindheit 
übentandene Prozesse bezogen. 

ln der Rinde selbst ist die Glia — die faserige und die zellige — allent¬ 
halben vermehrt, letztere teilweise degeneriert. Plasmazellen fehlen, während 
Stäbchenzellen vereinzelt Vorkommen. Gelegentliche Kernvermehrungen infiltrativen 
Charakters betreffen meist diffus die Rinde, weniger die frontalen Partien und 
das Kleinhirn, stärker ausgesprochen in den tieferen Rindenschichten. Die In- 
flltratzelleu sind meist Leukocytoide. Dort wo sich ein Infiltrat findet (Neoplasmen, 
Infektion, Intoxikation) ist es mitunter stärker als bei senilen Psychosen (Paralyse 
ausgeschlossen). Die Gefäßveränderungen halten nicht Schritt mit dem Alter. 
Ihnen verdanken perivaskuläre Sklerosen und eigentümliche Lichtungsbezirke im 
Gewebe ihr Entstehen. Die Ganglienzellen zeigen entweder staubförmigen Zerfall 
der Tigroide oder eine eigenartige Netzstruktur. Am wenigsten geschädigt er¬ 
scheinen die großen Pyramidenzellen und die Purkinjeschen Zellen. 

Die Befunde, von denen nur ein Teil wiedergegeben ist, lassen sich auf zwei 
Ursachen zurückführen: 1. auf das normale Senium (Glia- und Bindegewebs¬ 
wucherung, Gefäßveränderungen, event. durch Zelläsionen), 2. auf die Krankheit, 
der das senile Individuum erlegen ist (Infiltration). Die Grenzen zur Psychose 
sind fließende und die Differenzen jedenfalls nicht so sehr in den akuten Ver¬ 
änderungen zu suchen, als vielmehr in dem gesteigerten Parenchymabbau, der zur 
Psychose Anlaß geben könnte. 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Zar Kasuistik der knöchernen Tumoren des Schädeldaches, von Prof. 

Freiherr v. Eiseisberg. (Archiv f. klin. Chir. LXXXL) Ref.: UaxJacoby. 

1. Osteoma frontis. Exstirpation, wobei ein Stück des Siebbeines mit ent¬ 
fernt wird. Sekundäre Einlegung einer Celluloidplatte. Heilung. 7 Wochen 
später akquirierte Patient einen Schnupfen, welchem eitrige Meningitis mit 
Exitus folgt. 

2. Multiple Exostose des Schädels, von denen eine mächtige zur Bildung 
eines sogenannten Thurmschädels führte. Abtragung von Knochen in mehreren 
Sitzungen. Heilung. */ 4 Jahre später Entfernung einer auf Sarkom verdächtigen 
Partie hinter dem BulbuB. Später Rezidive mit Entwickelung von Drucksymptomen. 

3. Entfernung einer Knochencyste, die, schnell gewachsen, Druckerscheinungen 
auf das Auge erzeugte und im Anschluß an ein Trauma entstanden war. Die 
Wandung der Cyste enthält an einer Stelle ein deutliches Spindelzellensarkom. 
Der Ausgangspunkt des Tumors war die hintere Partie des Jochbeines und das 
Sohläfenbein, sowie das Os petrosum. Pat. ist 14 Monate nach der Operation frei 
von jeglichem Rezidiv und allen Beschwerden. 

9) Hypertrophie, Hyperplasie und Pseudohypertropbie des Gehirns. Zu¬ 
gleich ein Beitrag aur Kenntnis der diffusen Hiragliome, von Otto Mar¬ 
burg. (Arb. a. d. neurol-Inst. a. d. Wiener Univ. XIII. 1907.) Autoreferat. 

Die Mehrzahl der bisher beschriebenen Hypertrophien und Hyperplasien des 
Gehirns gehören in das Gebiet der sekundären Sklerosen (Pseudohypertrophien). 
Die vorliegende Beobachtung aber, die eine 38jährige Frau betrifft, ergab bei 
der histologischen Untersuchung zweifellos den Befund von Vergrößerung und 
Vermehrung der parenchymatösen und interstitiellen Teile. Letztere waren stellen¬ 
weise bo gewuchert, daß sie den Eindruck einer diffusen gliomatösen Geschwulst, 
die im Pons am stärksten entwickelt war, hervorrief. Tatsächlich verlief die 
Krankheit unter dem Bilde eines Hirntumors des Ponsgebietes. 

Auffällig war in diesem Falle die Vergrößerung der Zirbeldrüse, deren Rolle 
bei den Wachstumsstörnngen neben den anderen beim Wachstum beteiligten Drüsen 
erörtert wird. 


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Man könnte die ganze Affektion im vorliegenden Falle vielleicht so erklären, 
daß die hypertrophische Drüse, die im embryonalen Leben und in der frühesten 
Kindheit die Wachstumssteigerung des ganzen Gehirns veranlaßte und so die 
Hypertrophie und Hyperplasie bedingt, postembryonal dann wirkt, wenn die 
Wachstumswiderstände durch irgend einen degenerativen Vorgang (Trauma) eine 
Verschiebung erfahren haben. 

10) De quelques altörations du tissu cdröbral, dues a la presence de tu« 

meurs (suite), par Weber. (Nouvelle Iconogr. de la Salpetriere. 1906. 

Nr. 3.) Bef.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Verf. fügt den schon mitgeteilten 5 Fällen (vgl. d. Centralbl. 1906. Nr. 1) 
zwei neue hinzu. 

I. Ein 43jähriger Kellner, Alkoholiker. Mit 37 Jahren Pleuritis, 5 Jahre 
darauf Luftröhrenkatarrh, von dem er sich nicht recht erholen konnte. Bei seiner 
Aufnahme klagt er über heftige Kopfschmerzen. Wird bald bettlägerig, hat Mühe 
zu sprechen, läßt Urin und Kot unter sich. Status: Sehr mager, müder, schlaffer 
Gesichtsausdruck. Pupillen sehr weit, reagieren nur spurweise auf Licht. Ataxie 
der Zunge, Arme und Beine. Gang spastisch, Patellarreflexe sehr stark, vor¬ 
geschrittene Lungentuberkulose. Stupor, ab und zu unterbrochen durch Hallu¬ 
zinationen. Man hat den Eindruck, daß es sich mehr um eine Verlangsamung 
des geistigen Eindrucksvermögens handelt, als eine völlige Zerstörung desselben. 
Späterhin bessert sich sein Zustand etwas, der Kranke wird klarer. Keine 
Pulsverinngsamung, kein Erbrechen. Kann Arm und Bein nicht mehr erheben, 
Pupillen werden vollständig reaktionslos. Leichte Divergenz der Bulbi, Schwierig¬ 
keiten bei der Konvergenz. Exitus im Marasmus. Diagnose: Tuberkel in der 
Gegend der Corpora quadrigemina. Autopsie: Dura mater gespannt, beim Ein¬ 
schneiden entleert sich ziemlich viel Liquor cerebrospinalis. Pia verdickt. Das 
Großhirn macht den Eindruck eines leeren Sackes. Die gewöhnlichen Zeichen 
des Hirndruckes, Verschwundensein der Furchen, abgeplattete Windungen usw. 
waren wenig ausgeprägt. In der linken Hemisphäre des Kleinhirns eine Neu¬ 
bildung, die erst aussah wie ein Tuberkel, sich aber bei der mikroskopischen 
Untersuchung als ein Sarkom erwies. Seitenventrikel sehr stark dilatiert, von 
der Gehirnmasse ist durchschnittlich 8,9 mm übrig. Die Vergrößerung der Ven¬ 
trikel ist hauptsächlich auf Kosten der weißen Substanz erfolgt. Von dem Corpus 
callo8um ist nur noch ein Streifen von 2 mm erhalten. Das Ependym ist verdickt 
und durchzogen von feinen, pinselförmigen Streifen, ähnlich wie sie Chaslin bei 
Epilepsie beschrieben hat. Dann folgt eine 5 mm, stellenweise 8 mm dicke Zone, 
durchsetzt von Vakuolen. In dieser Zone sieht man multipolare Zellen und mit 
der Weigertsehen Färbung rosenkranzartig angesohwollene Stränge, welche nach 
der Peripherie an Zahl abnehmen, ebenso sind die Fasern und Zellen der Binde 
an Zahl vermindert. Aquaeductus Sylvii Rehr stark erweitert. Der linke hintere 
Vierhügel ist ganz zerstört, ebenso beide Okulomotoriuskerne, während der Troch- 
leariskern unversehrt iBt Das Sarkom, ausgehend vom Plexus chorioideus, hat 
die umgebende Substanz nur verdrängt, nicht zerstört. Die Fasern sind voll¬ 
ständig normal. Der Befund deckt sich mit den Bchon veröffentlichten Fällen, 
weshalb hier nicht näher darauf eingegangen zu werden braucht. Nur ist der 
Mechanismus der Verdrängung dadurch etwas komplizierter, daß der Tumor im 
Kleinhirn sitzt. 

II. 40jähriger Mann, im Dämmerzustand ins Krankenhaus eingeliefert. Beider¬ 
seits Protrusio bulbi, Ptosis rechts, das rechte Auge in extremer Divergenzstellung. 
Lichtreaktion beiderseits aufgehoben, Nasolabialfalten beiderseits verstrichen. 
Ödem des Gesichtes. Auf Aufforderung streckt er die Zunge aus, vergißt sie aber 
zurückzuziehen. Puls 100, Temperatur 38,8°. Autopsie: Dura mater gespannt, 


leichte Leptomeningitis. 

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Windungen abgeplattet, Furchen verwischt. Auf dem 

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Längsschnitt sieht man auf dem Frontalschnitt eine gelbliche Stelle, aus der sich 
beim Einschnitt ein dünner Blutfaden entleert. 16 Neubildungen, vier davon 
sitzen in der Rinde und sind nur mikroskopisch zu sehen, 11 sind erbsengroß 
und sitzen in der weißen Substanz, ein größerer Tumor im linken Frontallappen. 
Zwei Herde im Ependym im Hinterhorn des Seitenventrikels. Sämtliche Neu¬ 
bildungen sind Adenokarzinome. (Weil nur die Gehirnsektion gemacht wurde, 
konnte der Hanptherd nicht aufgefunden werden.) Die Metastasen sind durch die 
Blntbahn erfolgt, alle Tumoren sind gegen das umliegende Hirngewebe streng 
abgegrenzt, alle haben eine Vacuolenzone um sich herum. Der Tumor im Frontal¬ 
lappen ist von einer Hämorrhagie frischen Datums umgeben. Die Vorderhörner 
der Seitenventrikel sind stark ausgedehnt, dagegen liegen die Wandungen der 
Hinterhörner dicht aufeinander. Die weiße Substanz ist normal, nur links, in 
der Gegend der CommisBura anterior, hatte ein Stück Kaütschukkonsistenz, das 
kleine Hämorrhagien enthielt, ferner Vacuolen. Die centrale Partie färbt sich 
schlecht nach Weigert-Pal, sie weist zahlreiche degenerierte Fasern auf. Da¬ 
zwischen große Zellen mit Fortsätzen, ähnlich den Spinnenzellen, nur viel größer. 
Die Rinde ist nicht vergrößert bis nahe an den Tumor heran. Dort stehen die 
Zellen nicht mehr senkrecht zur Oberfläche, sonden in kleinen Haufen zusammen 
und Bind geschrumpft. Im Kleinhirn sind ebenfalls etwa 15 Metastasen. Korn- 
pressionserscheinungen fehlen. Der Fall ist analog der Beobachtung III der 
früheren Veröffentlichung von Weber und Papadiki. 

Während die Verff. der ersten Arbeit sich sehr unbestimmt aussprechen, viel 
das Wort „scheint“ gebrauchen, drückt sich Verf. in seinen Schlußfolgerungen 
ziemlich sicher aus. 

Von den Schlüssen, die er aus insgesamt 7 Fällen jetzt zieht, sind die Haupt¬ 
sachen folgende: 

Die Neubildungen entwickeln sich in der weißen Substanz, sie zergliedern 
sich gewissermaßen, um den Lymphstrom aufzunehmen, welcher nach den Ventrikeln 
hin gerichtet ist. Die Abplattung der Vorderhöruer der Seitenventrikel gibt 
ein Mittel an die Hand: Entleerung der Ventrikel. Durch eine Entleerung der 
Ventrikel ist man imstande, einer Vermehrung des Druckes, welcher notwendiger¬ 
weise durch das Wachstum des Tumors eintreten muß, hintenanzuhalten. In der 
Praxis also könnte es dahin kommen, daß es durch die Punktion der Ventrikel 
gelänge, die Nebenerscheinungen eines Tumors latent zu gestalten, natürlich nur 
für eine gewisse Zeit. Die Parese des Okulomotorius iBt nur eine Fernwirkung 
und kann leicht zu einem Irrtum in der Diagnose führen. Die Rinde widersteht 
dem Druck besser als die weiße Substanz, vielleicht weil sie eine reichlichere und 
bessere Ernährung aufzuweisen hat. Das Ependym reagiert auf eine Vermehrung 
des intraventrikulären Druckes durch ein Dickerwerden seiner Wandungen .und 
durch die Bildung pinselförmiger Fasern (Chaslin). Vielleicht ist die Verdickung 
der Wandungen als eine Verteidigung, eine Art Selbsthilfe des Organismus auf¬ 
zufassen. 

II) Zar Diflferentialdiagnose des Gehirntumors und der Gehirnthrombose, 

von Prof. Ziehen. (Med. Klinik. 1906. Nr.37.) Ref.rPaul Liss mann (München). 

Verf. weist darauf hin, daß es Fälle von Tumor cerebri gibt, bei welchen 
die Hirndrucksymptome, insbesondere die Stauungspapille, fehlen können, und die 
deswegen auch ihrer Genese nach zu Verwechselung mit Gehirnthromhosen führen 
können. Als Beispiel gibt er die Krankengeschichte einer 62jährigen Frau, bei 
der infolge Fehlens der Stauungspapille bis zum Tode die Diagnose zwischen 
Tumor und Thrombose schwankte. Bei der Sektion fand sich ein kleinapfelgroßer 


Tumor des Occipitotemporallappens. 

Umgekehrt darf aber nicht aus dem Vorhandensein einer Papillitis ohne 
weiteres auf einen Tumor geschlossen werden; denn auch bei Thrombose sowie 


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Nephritis findet sich nicht gar selten eine Stanungspapille. Erst die Gegenwart 
anderer Hirndrucksymptome rechtfertigt die Diagnose eineB Tumors. 

12) Un oas de tumeur oöröbrale aveo sommeil, par G. Maillard et Milhit. 

(L'Encöphale. 1906. Mai-Juni.) Ref.: Baumann (Breslau). 

Der von den Verff. geschilderte Fall von Hirntumor zeichnete sich aus durch 
eine unüberwindliche Schlafsucht; es handelte sich nicht um Coma, Somnolenz 
oder einen ähnlichen Zustand, sondern um wirklichen Schlaf, der vom physio¬ 
logischen nur durch die Länge der Dauer und die größere Tiefe geschieden war. 
Die histologische Untersuchung ergab, wie bei den meisten bisher publizierten 
Fällen von Hirntumor mit Schlaf, ein Gliosarkom. Als Ort des Sitzes werden 
von den einzelnen Autoren die verschiedensten Hirnstellen angegeben; daraus 
folgt, daß der pathologische Sohlaf nicht unter der Einwirkung eines bestimmten 
Centrums steht. Auch die Hypothese, daß dieser Schlaf infolge der allgemeinen 
Kompression des Gehirns entstehe, muß fallen gelassen werden, seit man Fälle 
mit ganz kleinen Tumoren, welche die Schlafsucht darboten, gefunden hat. Am 
wahrscheinlichsten erscheint den Verff. die Annahme, daß es sich um eine wirk¬ 
liche Intoxikation handelt, die duroh die Zellen des Neoplasma entsteht. Dafür 
spricht die rapide außerordentliche Abnahme des Pat. nach Eintritt des Schlafes, 
die bei Abwesenheit jeder anderen organischen Ursache nur auf eine Intoxikation 
bezogen werden kann. 

13) Zar Kenntnis der generalisierten metastatisohen Karsinose des Central’ 

nervensystems, von Heyde und Curschmann. (Arbeiten aus dem pathol.- 

anat. Institut zu Tübingen. V.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Die Verff. berichten über folgenden klinisch und anatomisch bemerkenswerten 
Fall. Ein 46jäbriger Mann erkrankt angeblich nach Influenza an allgemeinen 
Beschwerden, die als Neurasthenie, später als progressive Paralyse gedeutet werden 
konnten, an Kopfschmerzen, Schwindel, bisweilen Erbrechen, leichter Unsicherheit 
beim Gehen, Druck und Steifigkeit im Rücken, vorübergehendem Doppelsehen und 
psychischem und intellektuellem Rückgang. Weiterhin traten zn der deutlichen 
Rückensteifigkeit und rechtsseitig lokalisierten Schmerzen eine ganz komplett 
werdende Okulomotoriuslähmung links und eine Facialislähmung rechts, etwas später 
eine leichte Hypoglossuslähmung rechts. Dabei keine Stauungspapille, nur Zeichen 
einer alten Neuritis links und rechts, kein Vaguspuls. Unter langsamer Zunahme 
der Hirnnervenstörungen, wachsender Benommenheit, Delirien, Koma mehrten sich 
die spinal-meningitischen Symptome (Nacken* und Rückenstarre und langsamer 
Schwund aller Sehnenrefiexe). Nach 7 Vs Monaten Krankheitsdauer Exitus an 
Lungenödem. Bei der Autopsie fand sich ein ausgedehnter Krebs der rechten 
Pleura und Lunge und ein kirschkerngroßer Tumor im rechten Lobus paracentr., 
der sich bei mikroskopischer Betrachtung als ein Gliom erwies. Die Pia mater 
des Centralorganes ließ bei der Betrachtung mit bloßem Auge nur eine milchige 
Trübung erkennen. Um so überraschender war der mikroskopische Befund: die 
Pia war allenthalben von Geschwulstzellen durchsetzt, die meist in 
drüsenartigen Bildungen ihre Maschen auBfüllten. Es konnte keinem Zweifel 
unterliegen, daß es sich hier um infiltrativ wachsende Metastasen des Pleurakrebses 
handelte, welche wahrscheinlich durch die Lymphscheiden benachbarter Interkostal¬ 
nerven kontinuierlich bis zum Rückenmark vorgedrungen waren. Da wo die 
Wurzeln der Rückenmarks- und Hirnnerven die erkrankte Pia passieren, setzen 
sich die Geschwulstelemente direkt auf das Perineurium derselben fort. So sind 
der linke Oculomotorius und der rechte Facialis ganz von Krebszellen durch¬ 
wachsen. Die klinischen Symptome vonseiten dieser beiden Nerven finden somit 
eine zwanglose Erklärung. 


Die Verff. glauben folgende Schlüsse für die Diagnostik derartiger Fälle aus 
ihrer Beobachtung ziehen zu dürfen: Wenn bei einem exquisit chronisch ver- 


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laufenden Cerebralleiden mit langsam auftretenden, zu Anfang intermittierend sich 
steigernden und vermindernden Hirnnervenlähmungen, das dem Allgemeinzustand 
nach dem Tumor cerebii ähnelt, aber oft schwere Stauungserscheinungen vermissen 
läßt, in späteren Stadien die Symptome einer allgemeinen chronischen Meningitis 
cerebrospinalis auftreten, so liegt der Verdacht einer generalisierten Karzinomatose 
oder Sarkomatose der Hirnhäute nahe, auch wenn der Primärtumor nicht nach* 
weisbar ist. 

14) Cerebral basal tumour: double white atrophy, death alter seventeen 
years, by JohnR. Lunn. (Brit.med. Journ. 1906. Juni.) Ref.: E.Lehmann. 
Der mitgeteilte Krankheitsfall betrifft einen Arbeiter, welcher im 27. Lebens* 

jahr aufgenommen und 17 Jahre lang im Hospital beobachtet werden konnte. 
Die Krankheitssymptome bestanden in Kopfschmerz, rasch sich entwickelnder 
beiderseitiger Opticusatrophie, Mydriasis und träger Reaktion der Pupillen auf 
Lichteinfall. Erbrechen fehlte. Später treten linksseitige Krämpfe und Parese 
der linken Körperhälfte auf; kurz vor dem Tode Nystagmus. Tod nach Eintritt 
epileptischer Anfälle, an die sich ein komatöser Zustand ansohloß. 

Die Autopsie ergab in der Gegend des Chiasmus ein taubeneigroßes Cysto* 
fibrom. 

15) Fall von Kleinhirnbrückenwinkelgeschwulst , von Dr. Pöschmann. 
(Deutsche med. Wocbenschr. 1906. Nr. 21.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Im vorliegenden Falle entsprach das klinische Bild im wesentlichen dem 
Symptomenkomplex, wie er als typisch für die Kleinhirnbrückenwinkelgegend von 
Monakow, Henneberg, Koch u. a. geschildert ist. Die Operation (Dr. Riese) 
maßte abgebrochen werden, da Patient kollabierte. Die Sektion ergab zwischen 
Kleinhirn, rechtem Schläfenlappen und Brücke ein Cholesteatom. 

16) Zur Operation der Tumoren des KleinhirnbrüokenWinkels , von 
M.Borchardt. (Berl. klin. Wochenschr. 1906. Nr.33.) Ref.: Bielschowsky. 
Mitteilung einer Krankengeschichte einer wegen Fibrosarkom des Kleinhirn¬ 
brückenwinkels operierten Patientin. Trotz des letalen Ausganges empfiehlt Verf. 
frühzeitige Operation. 

17) Zur Kenntnis der gliomatösen Neubildungen des Qebirns mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der ependymären Gliome, von Kurt Hilde* 
brandt. (Inaug.-Dissert. Berlin 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 
Den Untersuchungen des Verf.’s liegen 3 Fälle zugrunde, von denen besonders 

der erste bemerkenswert ist. 

Bei einem schwer belasteten Mädohen, welohes vom 7. Jahre an epileptische 
Anfälle gehabt hatte, treten im 12. Jahre Kopfschmerz, Erbrechen und Schmerzen 
im Unterleib auf. Seit dem 16. Jahre kommen Schwindelanfälle und taumelnder 
Gang hinzu. Da allgemeine Hirndrucksymptome sich in deutlichen Stauungs¬ 
papillen objektiv manifestieren, wird die Diagnose Cerebellartumor gestellt (Dr. 
Kurt Mendel). 

Später wurde die Patientin in die Charite aufgenommen, wo folgende Sym¬ 
ptome notiert wurden: Blickparese nach rechts, Internusschwäche links beim Kon¬ 
vergieren, Parese des rechten unteren Fazialis. Die ausgestreckten Hände zeigen 
ein leichtes Schütteln. Fußklonus, kein Babinskischer Reflex. Die Kranke ist 
leicht deliriös verwirrt, unorientiert. Unter Temperatursteigerung bis auf 39°, 
starker Pulsbeschleunigung, Cheyne-Stokesschein Atmen ging sie zugrunde. 

Die VermutungsdiagnoBe lautete: Ponstuberkel, kompliziert durch tuberkulöse 
Meningitis. Bei der Obduktion fand sich die Medulla oblongata mit Ausnahme 
ihres distalen Endes in einen sehr derben Tumor verwandelt, welcher sich dorsal- 


wärts über das Organ fortsetzt und den IV. Ventrikel fast vollkommen ausfüllt. 
„Bei der Zerlegung der Hemisphären zeigen sich die Ventrikel Wandungen in sehr 


merkwürdiger Weise verändert. Sie sind von einer Geschwulstmasse überzogen, 


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die mit der Geschwulst im IV. Ventrikel übereinstimmt.“ In analoger Weise ist 
die Wandung des III. Ventrikels affiziert, nur die Oberfläche der Thalami opt. 
ist ohne sichtbare Veränderungen. 

Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß es sich in den erkrankten Ge* 
bieten durchwegs um gliomatöse Wucherungen handelte, deren histologischer 
Charakter aber an verschiedenen Stellen ein verschiedener war. Während es sich 
in der Medulla oblongatn um einen harten, faserreichen Tumor von rein infil¬ 
trierendem Wachstum handelte, änderte die Neubildung unter dem Ependym der 
Rautengrube ihre Wachstumsart und pflanzte sich als zellreiches, weiches Glio* 
sarkom durch die subependymäre Gliaschicht aller Ventrikel fort. — Verf. gibt 
eine eingehende Motivierung für die Bezeichnung „Gliosarkom“ in seinem Falle. 
Als Gliosarkom will er diejenigen Tumoren benannt wissen, die histologisch voll* 
ständig oder teilweise den Sarkomen gleichen, deren gliösen Ursprung mau aber 
aus anderen Gründen annehmen muß. 

18) Oase of obsoure intraoranial tumour: meningeal sarooma with exten- 

Sion to fourth ventriole, by G. H. Grant Davie. (Brit. med. Journ. 1906. 

11. August.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Eine 38jährige Patientin, bei der seit etwa 2 Monaten Krankbeitserscheinungen 
bestanden, klagte bei der ersten ärztlichen Untersuchung über Eingenotmnensein 
der Hinterhauptgegend, von welcher Schmerzen nach den Augenhöhlen ausstrahlen 
sollten. Sobald Patientin sich aus der Rückenlage plötzlich aufrichtet, wird sie 
schwindelig. Beim Gehen hat die Kranke das Gefühl, als ob sie auf ihren Zehen 
vorwärts laufe. Später traten dann leichte Schlingbeschwerden, sowie retardierter 
Stuhlgang ein. 

Augenhintergrund stets normal. 

Unter Zunahme der Kopfschmerzen, welche sich nicht nur auf die linke Obr¬ 
und Kiefergegend, sondern bald auch auf Nacken und beide Schultern erstreckten, 
trat plötzlich der Tod ein. 

Bei der Sektion fand sich ein von der Pia mater ausgehendes Rundzellen¬ 
sarkom, welches die vordere Hälfte der unteren Fläche der linken Großhirn¬ 
hemisphäre umfaßte und sich bis zum Boden des IV. Ventrikels erstreckte. Letzterer 
sowie die übrigen Ventrikel waren dilatiert. 

19) Erfolgreiche Exstirpation eines malignen Glioms des Großhirns, von 

Prof.Dr.Krönlein. (Archivf.klin.Chir. LXXXI.) Ref.: Jacoby (Mannheim). 

Ausführliche Wiedergabe einer Krankengeschichte über einen diffus infil¬ 
trierenden Hirntumor (Glioma malignum), dessen Exstirpation zunächst einen voll¬ 
ständigen Erfolg errungen hat. 

20) Über Schwierigkeiten der Indikationsstellung snr Operation bei Jaok- 

sonsoher Epilepsie, von Dr. Vorkastner. (Berliner klin. Wochenschrift. 

1905. Nr. 24 u. 25.) Ref.: Bielscbowsky (Breslau). 

In klarer ausführlicher Weise bespricht Verf. die Differentialdiagnose aller 
der Krankheiten, zu deren Symptomatologie rindenepileptische Anfälle* zählen 
können. Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß die Epilepsie häufig Veranlassung 
zur Fehldiagnose eines Tumors gibt und zur unnützen Bloßlegung des Gehirns. 
Genauere Details Bind, da sich die umfangreiche Arbeit nicht zum Referat eignet, 
im Original nachzusehen. 

21) The operability of braln tumors from the point of view of autopsied 

oases, by Dr. Walton. (Department of Neurology, Harvard medical School.) 

Ref.: Bau mann (Breslau). 

Verf. hat etwa 374 Fälle von Hirntumor bezüglich ihrer Operabilität studiert; 
als Resultat ergab sich: Operable Tumoren (Endotheliome, Psammome und Tumoren 
mit hyaliner Degeneration oder Kalcifikation) 7,6 °/ 0 ; inoperable Tumoren (Tumoren, 
die weit in die Hirnsubstanz hineinwachsen, bzw. Metastasen bilden) 79,4°/ 0 ; he- 


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züglich der Operabilität zweifelhafte Tumoren (Gliome, nicht verkapselte Sarkome 
in zugänglicher Gegend und Cysten) 18,1 °/ 0 . 

22) Über eine neue Methode der Deokung von Sohädeldefekten, von Dr. 

Carl Beck. (Archiv f. klin. Chir. LXXX.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 
Jackson beobachtete, daß die Bindenepilepsie von ganz geringfügigen Ge¬ 
websveränderungen, besonders Narben, ausgelöst werden kann; durch Entfernung 
von Narbenteilen oder ähnlichen Veränderungen ist es einzelnen Operateuren ge¬ 
lungen, Heilung bei der Jacks onschen Epilepsie zu erzielen. Verf. scheint die beste 
Gewähr für eine Heilung darin zu liegen, daß nach Exstirpation des Narben¬ 
gewebes eine feste Wiederverwachsung verhindert wird. Verf. bedient sich zur 
Deokung von Schädeldefekten eines Lappens aus dem Temporalis, den er mitsamt 
dem Periost so umklappt, daß auf dem entblößten Gehirn die Fascie des Muskels 
zu liegen kommt; das Periost bleibt oben, allmählich bildet sich aus ihm eine 
gute Schutzdecke. Hierdurch glaubt Verf. intimere Verwachsungen mit dem Ge¬ 
hirn zu umgehen, zugleich aber eine gute plastische Deckung zu erzielen. Im 
Auschluß hieran Bericht über einen Fall von Jacksonscher Epilepsie, der sich 
im Anschluß an ein Trauma — komplizierte Schädelfraktur — entwickelte. 
Heilung durch oben beschriebene Methode. 

23) Caee of otitic extra-dural absoess, asaooiated with paralysis of sixth 
cranial nerve and double optio neuritis, by Dr. J. Stoddart Barr. 
(Glasgow Medical Journ. 1906. August.) Ref.: S. Klempner. 

Bei dem 17jähr. Patienten, der über Kopfschmerzen, Sohwindel und Übel¬ 
keit klagt, findet sich eine rechtsseitige Mittelohreiterung, starke doppelseitige 
Neuritis optica und Lähmung des rechten Abducens. Puls und Temperatur normal. 
Die Aufmeißelung des rechten Warzenfortsatzes ergibt einen extraduralen Absceß, 
der ausgeräumt wird. 

3 Monate nach der Operation Heilung der Abducenslähmung, erst 4 Monate 
nach der Operation beginnt die Opticusneuritis zu schwinden. 

24) Über otitisohe Hirnerkrankung, von Heine. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift. 1906. Nr. 38.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Verf. berichtet über 3 Fälle von subduraler otitischer Eiterung aus der 
Lucaeschen Klinik. 

Die Diagnose der subduralen Eiterung ist vor der Operation unmöglich;-die 
Erkrankung verläuft unter dem Bilde einer Meningitis oder eines HirnabscesseB. 
Die Operation besteht in breiter Spaltung der Dura und Drainage mit Gaze¬ 
streifen, die vorsichtig in den Subduralraum vorgeschoben werden. 

26) Zur Differentialdiagnose otitisoher und metastatischer Hirnabsoesse, von 
Dr.ErnstOberndörffer. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr. 40.) Ref.: R. Pfeiffer. 
Metastatischer Absceß im rechten Scheitellappen bei einem Patienten mit 
chronischer Bronchoblennorrhoe und chronischer Otitis media purulenta dextra. 
Die klinische Diagnose lautete: otitischer Hirnabsceß, wahrscheinlich im rechten 
Schläfenlappen. Der Absceß wurde bei der Operation daselbst nicht gefunden. 
Sektionsdiagnose: Großer Absceß im rechten Scheitellappen. Verf. hält in seinem 
Falle die pulmonäre Genese des Abscesses für sicher und sucht an der Hand der 
Eigenbeobachtung und der. Literatur Anhaltspunkte zu finden zur Differential¬ 
diagnose otitischer und metastatischer Hirnabscesse. 

Nach der Ansicht des Ref. dürfte in analogen Fällen die Hauptsache sein, 
überhaupt an die Möglichkeit des metastatischen Abscesses zu denken und dem¬ 
entsprechend bei der Hirnpunktion vorzugehen. 

26) Beiträge zur Pathologie der Varol scheu Brüoke. II. Über einen 
metastatischen Absceß der Brüoke, von Dr. L. Bregman in Warschau. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

Bei einem 38jährigen, früher meist gesunden Lehrer traten vor 4 Wochen 


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ziemlich akut Kopfschmerz, Schwindel, Ohrensausen, Erbrechen, Kälteparästhesien 
in der rechten Körperhälfte, Schwäche der rechtsseitigen Extremitäten, Sprach- 
und Schluckbeschwerden, Diplopie, Harnheschwerden und erschwertes Aushusten 
auf. Es fand sich allgemeine Erregung, assoziierte Blicklähmung nach beiden 
Seiten bei erhaltener Bewegung nach auf- und abwärts, geringe Pupillendifferenz, 
leichte Fazialisparese des linken unteren Astes, Abweichen der Zunge nach rechts, 
Gaumensegelparese, bulbäre Spracho, beiderseitige Abnahme des Gehörs (1. > r.), 
Schluck- und Atemstörungen, Parese der Extremitäten rechts mit vasomotorischen 
Störungen, sehr deutliche Verminderung der Sensibilität für alle Qualitäten, starke 
Ataxie (an der linken oberen Extremität geringer ausgebildet als rechts), Schwäche 
der Rumpfmuskeln. Der Zustand verschlimmerte sich rasch, es trat noch beider¬ 
seitige Taubheit ein, die linksseitige Fazialisparese wurde deutlicher und am linken 
Auge stellte sich Strabismus convergens ein. Nach 7 Tagen Exitus letalis. Bei 
der Autopsie fand sich eine starke Vereiterung der rechten Niere, deren Gewebe 
fast völlig eingeschmolzen war und ein grober Absceß der VaroIschen Brücke, 
welcher im proximalsten Teil der Medulla begann und sich im distalen und 
mittleren Brückenabschnitt fast auf den ganzen Querschnitt ausdehnte, sowie ein 
zweiter, kleinerer Absceß im rechten ventralen Winkel der Brücke, der an einer 
Stelle mit dem ersten in Verbindung stand. Da die Hauben- und Schleifengebiete 
dabei stark betroffen waren, so erklären sich demgemäß die ausgesprochenen sen¬ 
siblen und ataktischen Störungen. Die bulbären Symptome sind nur als Folge¬ 
erscheinungen der Affektion der supranukleären Bulbärbahnen aufzufassen. 

27) Abscöa oörebral, neorose oortioale, syndrönae möninge , per Dupre et 
Devaux. (Nouv.Icon.delaSalp. 1906. Nr.3.) Ref.: Ernst Bloch(Kattowitz). 
ööjähriger Sträfling, ins Hospital eingeliefert wegen vorgeschrittener Lungen¬ 
tuberkulose. In der Jugend Typhus, Syphilis mit 26 Jahren, vor 2 Jahren Blei¬ 
kolik. Status: Schwere Alteration des AllgemeinzuBtandes, Abmagerung trotz 
wohlerhaltenen Appetites und trotz Fieberlosigkeit. Psychische Reizbarkeit ab¬ 
wechselnd mit großer Indolenz. Eines Tages treten heftige Schmerzen im Hinter¬ 
kopf und rechten Arm auf. Schwierigkeiten beim Sprechen. Die Schmerzen im 
Arm verschwinden im Laufe des Tages, am anderen Morgen war eine leichte 
Lähmung deB rechten Armes zu konstatieren. Am nächsten Tage neuer Anfall, 
gefolgt von Krämpfen im rechten Arm, darauf Hemiplegie rechts mit Aphasie. 
Am nächsten Tage bietet er das Bild einer schlaffen rechtsseitigen Lähmung, 
Döviation conjuguöe der Augen, Status comatosus. Die Sehnenreflexe sind auf¬ 
gehoben. Sphinkterenlähmung. Besserung, ein paar Tage darauf eine Kontraktur 
in der rechten unteren Extremität. Sehnenreflexe beiderseits gesteigert. Geringere 
Empfindlichkeit gegen Nadelstiche im rechten Arm, Hals Rücken und Gesicht, 
alles rechts. Babinski rechts, spasmodische Erschütterungen in der rechten Wade. 
Sensorische Aphasie, keine Hemianopsie. Am folgenden Tage kahnförmig ein¬ 
gezogenes Abdomen, abnorme Reizbarkeit der Haut, permanente Extension der 
großen Zehe rechts (Dauer-Babinski). Nach 8 Tagen Exitus im Koma. 

Autopsie: Dura mäßig gespannt. Über der Fissura Sylvii und um das 
Chiasma herum Leptomeningitis. Auf Frontalschnitten sieht man einen nußgroßen 
Absceß in der weißen Substanz des Frontallappens, übergreifend auf die graue 
Partie der Pars orbicularis dieses Lappens. Der Inhalt ist dickflüssig, grünlich. 
Ein zweiter Absceß gleichen Inhaltes, von der Größe einer mäßigen Apfelsine, in 
der Regio occipito-temporalis links, die Centren dieser Hemisphäre ausfüllend. 
Die den Absceß umgebende Partie ist schwärzlich gefärbt. Mikroskopisch: 
Die Absceßmembran hat drei Schichten: 1. Äußere Schicht. Die nervösen Zellen 
unterscheiden sich nicht von denen der Rinde, die Neurogliazellen sind gewuchert 
und teilweise stark verästelt. Methylenblau färbt sie sehr wenig, es sind Mast¬ 
zellen. Die Gefäße sind umgeben von einer Lage von runden Zellen mit stark 


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vergrößertem Kern, reich an Chromatin, mit einer Protoplasmaanhäufung am Pol. 
Die Zellen sind zum großen Teil im Zustand der Karyokinese. Mitten unter 
ihnen zahlreiche Gitter* und Plasmazellen. 2. Die mittlere Schicht besteht aus 
einem gespannten Netzwerk von Gefäßen, zwischen denen sich ein Gewebe von 
großen Zellen mit dunklen Kernen befindet. Die Gefäße selbst haben embryonale 
Wandungen. Im Gefäßnetz selbst viele Fibroblasten, Plasmazellen und Gitter¬ 
zellen. Zahlreiche polynukleäre Leukozythen. Die 3. Schicht besteht aus Schollen 
und Trümmern der unter 1 und 2 genannten Zellen. Biesenzellen und Tuberkel¬ 
bazillen finden sich nirgends. In der ganzen Rinde sind die Zellkörper konturiert, 
unregelmäßig. Der Ursprung des Achsencylinders ist färbbar mit basischen Farben, 
die Kerne sind dunkel und gezackt. Die Gefäße sind dick, aber nicht infiltriert. 
Die Zellen zeigen tiefgreifende Veränderungen, auf welche hier nicht eingegangen 
werden kann. Die Rinde, besonders im Stirn- und Schläfenteil rechts, zeigt die 
Charakteristika des Zellenunterganges. Die Veränderungen der Kerne sind nicht 
so bedeutend wie die de6 Protoplasmas und der Kernkörperchen. Sie färben sich 
nach Nissl schlechter als normal, besonders in der motorischen Region, wo auch 
die Neurogliazellen tiefgreifende Veränderungen zeigen. 


Psychiatrie. 


28) Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte, von Prof. Dr. 

Emil Kraepelin. Siebente, vielfach umgearbeitete Auflage. Zwei Bände. 

(.Leipzig 1903/04, Joh. Ambr. Barth.) Ref.: Ar ne mann (Großschweidnitz). 

Beim Erscheinen einer neuen Auflage von Kraepelins bekanntem Lehrbuch 
ist man zunächst gespannt, zu erfahren, ob man wieder umlernen muß. Dos ist 
nun in der vorliegenden 7. Auflage nur in geringem Maße nötig, ganz wesentlich 
sind nur die letzten Abschnitte des Werkes umgestaltet worden. 

Der Umfang der beiden Bände ist ziemlich bedeutend gestiegen, der all¬ 
gemeine Teil ist um 116 Seiten vermehrt worden, der spezielle Teil um 285 Seiten, 
eine größere Anzahl von Abbildungen ist dazu gekommen, die Bilder pathologisch¬ 
anatomischer Präparate sind vielfach durch neue ersetzt worden. 

Im ersten allgemeinen Teil ist die Anordnung des Stoffes dieselbe geblieben. 
Der Hauptabschnitt, welcher die Erscheinungen des Irreseins behandelt, hat eine 
wesentliche Erweiterung erfahren, eingehendste klinische Beobachtungen und 
psychologische Versuche haben das Material dazu geliefert. Die ursächliche 
Bedeutung des Alkohols für die Entstehung der Psychosen wird mit beredten 
Worten geschildert und mit zahlenmäßigen Angaben bewiesen, zum erstenmal 
finden wir auch auf die Frage, wer als Trinker zu bezeichnen ist, eine bestimmte 
Angabe: Wahrscheinlich werden sich bei der Mehrzahl derjenigen Personen, welche 
täglich 80 bis 100 g Alkohol zu sich nehmen, Andeutungen psychischer Ver¬ 
änderungen nachweisen lassen. Die Schwefelkohlenstoffpsychosen bilden 
nach der Ansicht des Verf.’s keine spezifischen Krankheitsbilder, sondern ent¬ 
sprechen hauptsächlich der Hysterie und der Dementia praecox. Die Frage nach 
der Bedeutung der Gefäßerkrankungen ist zurzeit eine noch ganz unent¬ 
schiedene, jedenfalls läßt sich noch gar nicht sagen, wie weit dieselben Ursachen 
und wie weit sie nur Begleiterscheinungen von Psychosen sind.' Die Puerperal - 
psychosen stellen kein einheitliches Krankheitsbild dar, auffallend häufig ist 
allerdings die Katatonie; sehr viele Katatoniker gibt es auch unter den Ge- 
fängnispsychosen, zurzeit ist es aber noch nicht möglich, alle Gefängnis¬ 
psychosen zu deuten, möglicherweise stellen eine Reihe derselben ganz eigenartige 
Erzeugnisse der Gefangenschaft dar. 


Die Auffassung, daß Sinnestäuschungen als Ursache von Wahnideen anzusehen 
seien, wird als irrig bekämpft und es wird darauf hingewieseu, daß vielmehr der 


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Ausbildung von Wahnideen eine allgemeine Störung des psychischen Gesamt* 
zustandes zugrunde liegt. Einer besonderen Besprechung werden die Träume 
der Geisteskranken unterzogen, die große Ähnlichkeit derselben mit Dämmer¬ 
zuständen wird erwähnt und der Ansicht de Sanctis beigepflichtet, daß Träume 
bei Epilepsie und Hysterie hänfig geradezu als Äquivalent aufgefaßt werden 
können. Das Kapitel, welches den Störungen des Wollene und Handelns ge¬ 
widmet ist, ist namentlich in Rücksicht auf die Symptomatologie der Dementia 
praecox erweitert worden; Verschrobenheit und Stereotypie finden eine ausführ¬ 
liche Schilderung, und die Art des Bewegungsablaufes bei der Dementia praecox 
wird in treffender W T eise als Verlust der Grazie gekennzeichnet. 

In prognostischer Hinsicht erwartet Verf., daß sich mit der Zeit sichere 
Gesetzmäßigkeiten finden lassen werden, namentlich erhofft er von einem intensiven 
Studium der Endzustände der Psychosen wichtige Aufschlüsse zu erhalten. Aub 
dem Abschnitt über allgemeine Therapie sei noch besonders hervorgehoben, daß 
Verf. zwar die grundsätzliche Verbannung des Alkohols aus der Irrenanstalt als 
Genußmittel fordert, daß er aber die Verwendung desselben als Schlafmittel bei 
einer Reihe von Krankheitszuständen empfiehlt, fernerhin daß er -sich der An¬ 
sicht derjenigen Autoren nicht anschließen kann, welche die Einleitung des 
Abortus bei Melancholie befürworten (Jolly u. a.). 

Aus der Lektüre des speziellen Teiles ergibt sich, daß die Amentia in 
der vom Verf. gegebenen Umgrenzung eine ziemlich seltene Krankheit ist; 
nur diejenigen Erkrankungen werden dazu gerechnet, welche sich an eine Bchwere 
äußere Schädigung anschließen und nicht günstigen Ausgang haben. Die Zahl 
der verwertbaren Fälle schrumpft dadurch zugunsten der Katatonie und des 
manisch-depressiven Irreseins auf 1 j 2 bis 1 °/ 0 zusammen. Auf die Amentia folgt 
die erworbene Neurasthenie, welche als chronisch nervöse Erschöpfung be¬ 
schrieben wird, während die angeborene Neurasthenie oder Nervosität ihren Platz 
in einem späteren Kapitel unter den originären Krankheitszuständen gefunden hat. 

Eine ganz erhebliche. Erweiterung hat der Abschnitt über Alkoholismus 
erfahren. Unter den Ursachen des chronischen Alkoholismus spielt die angeborene 
oder ererbte Veranlagung eine nicht geringe Rolle. Neu ist die Besprechung 
der Korsakowschen Psychose. Die für diese Krankheit charakteristischen Sym¬ 
ptome können zwar durch verschiedene Ursachen bedingt sein, Verf. empfiehlt aber 
die auf dem Boden des Alkoholismus erwachsenden Krankheitsbilder grundsätzlich 
von den anderen abzutrennen. Hinzugekommen ist dann noch der halluzinatorische 
Schwachsinn der Trinker (Alkoholparanoia), der sich teils als Endstadium des 
Trinkerwahnsinnes, teils des Delirium tremens darstellt; von dem bekannten 
Eifersuchtswahn der Trinker ist er wohl zu unterscheiden. Die im Gefolge 
schwerer Trunksucht auftretende Epilepsie (Alkoholepilepsie) hat gewisse klinische 
Eigentümlichkeiten, welche es ermöglicht, sie von anderen Formen der Epilepsie 
abzugrenzen. 

Die Gruppe der Autointoxikationspsychosen wird gebildet von dem thyreogenen 
Irresein, der Dementia praecox und der Dementia paralytica. Die Besprechung 
der Dementia praecox nimmt nächst der Paralyse den größten Raum im ganzen 
Lehrbuch ein, hebephrenische, katatonische und paranoide Formen werden, wie 
bisher, unterschieden, auf einen gemeinsamen Grundzug des Krankheitsbildes der 
Dementia praecox weist Verf. besonders hin, es ist dies der Verlust der inneren 
Einheitlichkeit der Verstandes-, Gemüts- und Willensleistungen. Für die Diagnose 
ausschlaggebend dürfen nicht vereinzelte Krankheitszeichen sein, sondern nur 
das Gesamtbild; katatone Symptome sind ebenso wie hysterische oft nur Begleit¬ 
erscheinungen von irgend einer Psychose. Das Verhalten katatoner Kranken 
macht bekanntlich vielfach den Eindruck zielbewußter Verstellung; durch weitere 
Beobachtung solcher Fälle hat Verf. so häufig einen Ausgang in Verblödung fest- 


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gestellt, daß er bei der Bejahung der Simnlationsfrage zur größten Vorsicht mahnt. 
Bemerkenswert ist ferner, daß er neuerdings nicht selten Fälle als Katatonie mit 
periodischem Verlauf bezeichnet, die er früher dem manisch-depressiven Irresein 
zuwies. Neue Anhaltspunkte zur Stellung der Prognose im Einzel fall sind 
noch nicht mit Sicherheit gefunden, allgemein kann nur angenommen werden, daß 
bei der Katatonie akuter Beginn sowie ausgeprägte Stupor- und Erregungs¬ 
zustände für Neigung zu Remissionen sprechen. Da berechtigte Aussicht vor¬ 
handen ist, daß das Studium der Endzustände in Zukunft einige Erfahrungssätze 
an die Hand geben wird, so ist zum ersten Male eine Übersicht über die ver¬ 
schiedenen Ausgänge der Dementia praecox gegeben worden, 9 Gruppen lassen 
sich dabei unterscheiden: Heilung, Heilung mit Defekt, einfache Verblödung, 
Schwachsinn mit Sprachverwirrtheit, halluzinatorischer Schwachsinn, halluzina¬ 
torische Verrücktheit, Dementia paranoides, faselige Verblödung und schließlich 
stumpfe Verblödung. Möglicherweise sind gewisse Formen der Idiotie, bei denen 
ausgeprägte katatonische Störungen beobachtet werden, als Frühformen der Dementia 
praecox aufzufassen. 

Bei der Paralyse wird ätiologisch der Lues die Hauptrolle zugeschrieben, 
der von anderer Seite stark betonte Einfluß der Erblichkeit wird nicht anerkannt, 
dagegen den gemütlichen Überanstrengungen eine gewisse Bedeutung eingeräumt; 
durch Kopfverletzungen wird echte Paralyse nicht erzeugt. Zum ersten Male 
werden die für die Diagnose wichtigen Erscheinungen der Drucksteigerung und 
der Vermehrung der Leukozyten erwähnt. Eine sehr große Bedeutung kommt der 
Abgrenzung der echten Paralyse von ähnlichen Krankheitsbildern zu, welche 
neuerdings immer weitere Fortschritte macht Nach Anschauung des Verf.’s bilden 
die auf luetischer Basis entstandenen Fälle wahrscheinlich eine einheitliche Gruppe, 
sie zeigen pathologisch-anatomisch als wichtigste Veränderung eine Anhäufung von 
Plasmazellen in den Gefäßscheiden. In Zukunft dürften viele Fälle, welche jetzt 
noch zur Paralyse gerechnet werden, bei genauerem Stadium dem luetischen 
Schwachsinn, der arteriosklerotischen Rindenerkrankupg usw. zuzuweisen sein. 
Die Schilderung dieser Krankheitsbilder ist unter eingehender Würdigung der 
Differentialdiagnose im folgenden Kapitel gegeben worden. (Irresein bei Herd¬ 
erkrankungen.) 

Von der Dementia senilis wird eine kleine Gruppe von Fällen, welche 
hauptsächlich bei Frauen zur Beobachtung kommen, als Presbyophrenie abgetrennt; 
die manischen Erregungszustände des Greisenalters sind als Spätform des manisch- 
depressiven Irreseins aufzufassen. 

Beim manisch-depressiven Irresein ist besonderer Wert gelegt worden 
auf die Kenntnis der höchst interessanten Mischzustäude, welche die nahe Ver¬ 
wandschaft zwischen manischen und depressiven Bildern erkennen lassen. Von 
den verschiedenen vorkommenden Formen werden der manische Stupor, die zornige 
Manie, die depressive Erregung, die gedankenarme Manie, die ideenflüchtige 
Depression und die manische Hemmung beschrieben. Das Vorkommen einer ein¬ 
fachen Manie, d. h. eines einzigen Anfalles manischer Erkrankung wird zwar zu¬ 
gegeben, aber als äußerst seltene Erscheinung angesehen. 

Die Epilepsie ist aus den allgemeinen Neurosen herausgenommen worden; 
da bei ihr die krankhafte Veranlagung die Hauptrolle spielt, so wurde sie mit 
dem manisch-depressiven Irresein und der Paranoia in einer Gruppe vereinigt. 
Den Epilepsiebegriff faßt Verf. relativ weit, indem er das Bestehen einer selb¬ 
ständigen , von äußeren Einflüssen wesentlich unabhängigen Periodizität der 
Störungen vom ersten Beginn der Krankheit an als maßgebend ansieht. Wahr¬ 
scheinlich ist es ihm, daß die Epilepsie von heute keine klinische Einheit dar¬ 
stellt, daß vielmehr von diesem Sammelbegriff mit der Zeit eine Reihe von Er¬ 
krankungen abgespalten werden muß. 

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Als psychogene Neurosen werden dann zusammengefaßt: das hysterische 
Irresein, die Schreckneurose und eine unter der neuen Bezeichnung Erwartuugs- 
neurose beschriebene Erkrankung. Der Begriff des hysterischen Irreseins wird 
im Gegensatz zu anderen Autoren erheblich eingeschränkt, nach genauer Analyse 
der Symptome wird oftmals an Stelle einer psychogenen Neurose angenommen, 
daß es sioh nur um psychogene Begleiterscheinungen irgend einer Psychose 
handelt Die Annahme einer Hysteroepilepsie ist mit der Auflassung des Yerf.’s vom 
Wesen der Epilepsie und Hysterie unverträglich. Die Schreckneurose deckt 6ich 
mit dem sonst geläufigen Begriff der traumatischen Neurose; bei ihr kann durch 
psychologische Versuche Klarheit darüber gewonnen werden, ob etwa Simulation 
vorliegt. Die Erwartungsneurose stellt eine Gruppe von nervösen Störungen dar, 
welche auf Grundlage der ängstlichen Erwartung sich entwickeln. 

Die beiden nächsten Abschnitte zeigen gegenüber der letzten Auflage die 
wesentlichsten Unterschiede. Während früher den psychopathischen Zuständen 
(Entartungsirresein) nur ein Kapitel gewidmet war, in welchem auf etwa 40 Seiten 
die konstitutionelle Verstimmung, das Zwangsirresein, das impulsive Irresein und 
die conträre Sexualempfindung besprochen wurden, werden jetzt in zwei Kapiteln 
auf etwa 100 Seiten die originären Krankheitszustände und die psychopathischen 
Persönlichkeiten abgehandelt. Zu den ersteren gehören die Nervosität, d. h. die 
angeborene Form der Neurasthenie, die konstitutionelle Verstimmung, die kon¬ 
stitutionelle Erregung, das Zwangsirresein, das impulsive Irresein und die ge¬ 
schlechtlichen Verirrungen, zu den psychopathischen Persönlichkeiten dagegen 
der geborene Verbrecher, die Haltlosen, die krankhaften Lügner und Schwindler, 
die Pseudoquerulanten. Eine scharfe Scheidung dieser genannten einzelnen 
Gruppen ist allerdings nicht möglich, überall lassen sich Übergänge finden. Daß 
die geborenen Verbrecher als besondere Gruppe angesehen und von den Haltlosen 
(Instablen) geschieden werden, ist deshalb zu empfehlen, weil Bie sich wesentlich 
durch ihre angeborene sittliche Stumpfheit kennzeichnen und weil sie geradezu 
einen berufsmäßigen Kampf gegen Gesetz und Gesellschaftsordnung führen. Bei 
der Besprechnng der Therapie des Zwangsirreseins wird die von Dornblüth 
empfohlene planmäßige Opiumbehandlung ata außerordentlich bedenklich verworfen, 
ferner beim impulsiven Irresein darauf hingewiesen, daß vorläufig wohl noch 
manche Fälle dahin gerechnet werden, welche sich später ata zur Epilepsie gehörig 
erweisen dürften. 

Den Schluß bildet die Darstelung der Imbezillität und der Idiotie. Auch 
die Imbezillität ist wahrscheinlich ein Krankheitsbegriff, der eine ganze Beihe von 
verschiedenen Krankheitsformen umschließt. Ein großes Gebiet der Imbezillität 
wird wohl dem Entartungsirresein angehören, andererseits sind gewisse Fälle, wie 
oben schon erwähnt wurde, ata fötale oder infantile Erkrankungen an Dementia 
praecox anzusehen. 

Überblicken wir das gesamte Werk des Verf.’s, so sehen wir, daß die 
Kenntnis der Psychosen eine ganz außerordentliche Vertiefung erfahren hat; 
nicht zum mindesten ist dies das Verdienst des Verf.’s. Dabei war es nicht zu 
vermeiden, daß da6 alte Lehrgebäude der Psychiatrie allmählich gewaltige Ver¬ 
änderungen erlitten hat: die reine Manie ist ganz geschwunden, reine Melancholie 
wird nur bei Krankheitsfällen im Bückbildungsalter diagnostiziert, die Zahl der 
Paranoiafälle ist auf 1 °/ 0 zusammengeschrumpft, die Paralyse hat sich ata Sammel¬ 
begriff für eine größere Anzahl von verschiedenen Krankheiten erwiesen, die zum 
Teil schon mit Sicherheit abgetrennt werden können, deren weitere Erkennung 
aber der Zukunft Vorbehalten bleibt; das gleiche gilt von der Epilepsie und der 
Imbezillität. Im Gegensatz zu diesen gleichsam auflösenden Resultaten der 
Forschung stehen die aufbauenden Resultate, denen wir in dem manisch-depressiven 
Irresein und in der Dementia praecox begegnen. Fast jede Auflage von dem 


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Lehrbuch des Verf.’s bringt einen weiteren Ausbau dieser beiden Krankheits¬ 
gruppen, mit der Zeit bat allerdings die Dementia praecox einen beängstigenden 
Umfang angenommen. Bedenkt man, daß bei ihr die Zahl der atypischen Fälle 
sehr groß ist, daß Frühformen, Spätformen und Formen mit periodischem Verlauf 
festgestellt worden sind, so kommt sie jetzt differentialdiagnostisch fast bei jedem 
Krankheitsfall in Betracht, und es ist sogar soweit gekommen, daß bei Neu* 
aufnahmen von Kranken schon das Pflegepersonal die Diagnose in dubio auf 
Dementia praecox stellt. Verf. gibt auch selbst die Verbesserungsbedürftigkeit 
der Dementia praecox zu, jedoch weiß er vorläufig noch nichts besseres an ihre 
Stelle zu setzen. Andere Autoren haben ja auch ihren „großen Topf', in dem 
sie einen erheblichen Prozentsatz aller praktisch vorkommenden Fälle unterbringen, 
der eine nennt ihn Amentia, der andere Paranoia usw.; es hat aber den Anschein, 
als ob die Klassifikation des Verf.’s trotz der ihr noch anhaftenden Unvollkommen¬ 
heiten immer mehr Sympathie fände. 

Hag man nun im einzelnen über die Anschauungen des Verf/s denken wie 
man will, so kann dies doch das Urteil über das Lehrbuch im allgemeinen nicht 
beeinträchtigen. Es ist ein Werk von allergrößter Bedeutung, das auf Grund 
eigener Untersuchungen und Beobachtungen entstanden ist, es bietet nicht nur 
eine Fülle von Belehrung, sondern wirkt im höchsten Grade anregend zu weiterer 
wissenschaftlicher Forschung. Da außerdem die Darstellung eine Formvollendung 
zeigt, wie man sie in den psychiatrischen Lehrbüchern sonst nicht findet, so ist 
es nicht zu verwundern, daß die Nachfrage nach diesem Werk eine stetig zu¬ 
nehmende ist. 

29) Sopra alcune varieta della demenza preoooe, per Sante de Sanctis. 

(Riv. sperim. die Freniatria. XXXII. S. 141.) Ref.: Merzbacher (Tübingen). 

Verf. in dem Bestreben eine Sichtung all des großen Materiales, das unter 
der Marke Dementia praecox sich anhäuft, zu versuchen, bespricht hier einige 
Gruppen von Fällen, die zunächst atypisch erscheinen. — An der Hand seiner 
Beobachtungen wirft er 4 Fragen auf: 1. Gibt es eine Dementia praecox subsequens 
oder comitans, d. h. eine Dem. praecox,* die sich einem bereits vorhandenen 
Schwachsinn zugesellt? 2. Gibt es eine Dem. praecox, die, da sie in den ersten 
Kindeijahren zur Entwickelung kommt, den Beinamen praecocissima verdient? 
3. Gibt es eine Spätkatatonie, d. h. eine Dem. praecox, die erst naoh dem vierten 
Dezennium zur Manifestation kommt? 4. Lassen sich in den Fällen, die unter 
2 und 3 erwähnt werden, schon vor Ausbruch der Erkrankung besondere Vor¬ 
läufer der sich entwickelnden Erkrankung erkennen? 

Sämtliche Fragen werden bejaht und durch eine Anzahl von Beispielen 
illustriert Bei der Beantwortung der 3. Frage macht Verf. mit Recht darauf 
aufmerksam, daß in der Mehrzahl der Fälle eine exakte Anamnese darauf hin¬ 
weist, daß vor Ausbruch der akuten Erscheinungen hinlänglich Anzeichen zu 
finden sind, die für eine bereits seit längerer Zeit bestehende Erkrankung 
sprechen, so daß der Name retardierte Dem. praecox für diese Fälle geeigneter 
erscheint (und nicht Dementia praecox tarda). In einer weiteren großen Anzahl 
der Fälle erfolgt die Diagnose Spätkatatonie lediglich per exclusionem, die Fälle 
sollen mit besonderer Vorsicht rubriziert werden. 


Der Verf. erhebt prinzipielle Bedenken, diejenigen Kranken, die aus voller 
geistiger Gesundheit heraus von dem Symptomenkomplex der Dem. praecox er¬ 
griffen werden, in eine Krankheitsgruppe zu vereinen mit solchen Individuen, die 
von jeher geistig nicht intakt erschienen sind, und bei denen dann in einer 
bestimmten Entwickelungsperiode sich außerdem die Dem. praecox entwickelt hat. 
Ob d ese Fälle schließlich doch nicht verschiedenen Krankheitsgruppen angehören 
sollten? Auch die päthologische Anatomie der Dem. praecox scheint darauf aufmerk¬ 


sam zu machen, daß die Dem. praecox prädisponierte Gehirne vorzufinden pflegt. 


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Forensische Psychiatrie. 

30) Über Alkohol versuohe bei Beurteilung zweifelhafter Geisteszustände, 

von Tomaschny. (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIII.) Ref.: Zingerle (Graz). 

Verf. erläutert an 7 Fällen die hohe diagnostische Bedeutung der Alkohol¬ 
versuche für die forensische Begutachtung. Diese gestatten experimentell die 
Wirkungen des Alkobolgenusses auf den Organismus, speziell auf die Geistes¬ 
tätigkeit festzustellen und ermöglichen daraus einen Schluß, ob ein der Straftat 
vorausgegangener Alkoholgenuß geeignet war, einen krankhaften Geisteszustand 
hervorzurufen. Durch solche gelingt es auch vielfach, das Bestehen einer Epilepsie 
mit Sicherheit nachzuweiBen, was von Wichtigkeit sein kann, wenn die Tat ver¬ 
dächtig ist, Ausfluß einer epileptischen Bewußtseinstrübung zu sein. 

Weiters sind die Alkoholversuche auch zur Entlarvung von Simulations¬ 
versuchen brauchbar, indem die Untersuchten in der Trunkenheit ihr abnormes 
Benehmen aufgeben, die Motive desselben verraten und frühere unwahre Aussagen 
richtig stellen. Im Gegensätze hierzu haben Versuche bei wirklich Geisteskranken 
(Katatonie) ergeben, daß abgesehen von Pulsbeschleunigung, Vertiefung der Atmung 
und Gesichtsrötung die psychischen Erscheinungen (Mutacismus, Verbigeration) 
gänzlich unbeeinflußt blieben. 

Ausschlaggebend ist nur der positive Ausfall des Experimentes, aber auch 
der negative spricht nicht gegen das Bestehen einer pathologischen Alkohol¬ 
erregbarkeit bei dem betreffenden Individuum, da dieselbe oft erst bei Koincidenz 
noch anderer schädigender Momente in Erscheinung tritt. Eine Simulation hält 
Verf. auch beim Alkoholversuche für möglich, jedoch bieten ein zuverlässiges 
Mittel für deren Erkennung die bei der pathologischen Alkoholreaktion auf¬ 
tretenden Störungen der Pupilleninnervation. 

Infolge der schädigenden Wirkungen, die der Alkoholversuch zur Folge haben 
kann, 6oll ein solcher nur bei unklaren Fällen und mit Einverständnis des zu 
Untersuchenden zur Anwendung kommen. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Verein für innere Medizin zu Berlin. 


Sitzung vom 21. Januar 1907. 

Herr Jellinek (Wien): Pathologie, Therapie und Prophylaxe der elek¬ 
trischen Unfälle. Die durch atmosphärische und elektrische Elektrizität ver¬ 
ursachten Gesundheitsstörungen sind durch eine durchgreifende Identität aus¬ 
gezeichnet und nehmen eine Sonderstellung in der Pathologie ein. Die technisch- 
elektrischen Unfälle ereignen sich in den allermeisten Fällen derart, daß eine 
einpolige Berührung den Stromübergang bei guter „Erdung“ vermittelt; in den 
seltensten Fällen sind es Funkenentladungen von Hochspannungsanlagen, die zu 
Unfällen Anlaß geben. Die durch Blitzschlag entstandenen Schädigungen wären 
einzuteilen in falsche und echte, letztere mit der Unterabteilung von direkt 
und indirekt (z. B. am Telephon usw.). Die in ätiologischer Hinsicht wichtige 
Hauptfrage: „Welche Spannung ist gefährlich?“ ist nicht leicht zu beantworten, da 


nicht weniger als acht Faktoren ^ g — -jy~ - AT, • K 2 j dafür verantwortlich, warum 

derselbe Strom einmal tötet und das andere Mal nahezu ungefährlich; von Belang 
ist die Unterscheidung von stromsicheren und stromgefährlichen (z. B. Badezimmer) 
Räumen. 

Die Symptomatologie hetrifft Lokalsymptome und Allgemein¬ 
symptome. 

Zu den Lokalsymptomen gehören: Brandwunden, brandwundenartige (!) 


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Veränderungen, Versengungen, mechanische Zerstörungen, Imprägnierungen, Blut* 
austritte, Ödeme, Erytheme und Blitzfiguren, Pigmentierungen. 

Die Allgemeinsymptome wären einzuteilen inFröh- und Spätsymptome; 
su den ersteren gehören: Bewußtlosigkeit, Erbrechen, Krämpfe, Lähmungen, Albu¬ 
minurie, Ikterus, Fieber, Abortus usw. 

Zu den Spätsymptomen gehören: Sinnesverwirrungen, Lähmungserschei¬ 
nungen mit Entartungsreaktion, trophoneurotische Erscheinungen, chronische atro- 
phisierende ankylosierende Gelenksprozesse, Embolia cerebri, paralyseähnliche Zu¬ 
stände usw. 

In pathologisch-anatomischer Hinsicht wären hervorzuheben die mikro¬ 
skopischen Befunde im centralen und peripherischen Nervensystem: 

a) frische Veränderungen: Gefäßzerreißungen, Blutaustritte, Zellzertrümme¬ 
rungen, Kernverlagerungen usw., 

b) ältere Veränderungen: Degeneration der Seitenstränge (nach Marchi 
und Weigert), der peripheren Nerven (nach Marchi), der Spinalganglien. 

Zur Diagnose sind heranzuziehen: 1. charakteristische Hautveränderungen 
(pathognomonischl), 2. Kleidungsstücke, 3. elektrotechnische Materialschäden, 
4. äußere Verhältnisse, 5. Anamnese. 

Die Prognose im allgemeinen günstig, doch Vorsicht wegen Spätformen 
(in etwa 1 / 7 der Fälle!). 

Die Therapie im allgemeinen exspektativ, Bettruhe, blande Diät und strenge 
Überwachung wegen event. Auftretens plötzlicher Geistesstörungen, beim Unfälle 
unter Beobachtung von Selbstschutz Stromkreis unterbrechen, dann künstliche 
Atmung, Herzreizung (in desperaten Fällen event. neuerliche Einwirkung des töd¬ 
lichen Stromes), dann Lumbalpunktion; Wiederbelebungsversuche nicht zu früh 
aufgeben. 

Die Prophylaxe beruht außer in zweckentsprechenden Schutzvorkehrungen 
vorwiegend in Belehrung der Schuljugend und der breiten Massen der Bevölkerung. 
Doch muß die Ärzteschaft den elektropathologischen Forschungen ihr Augenmerk 
zuwenden, da noch viele sogen, indirekte Wirkungen der Starkströme unbekannt, 
wie eine Vergütung des Wasserleitungswassers beweist. Die Ergründung der 
Gefährlichkeitszone bleibt weiteren Forschungen Vorbehalten. Äutoreferat. 


IV. LandezkongreB der ungarischen Irrenärzte in Budapest 
am 29. und 90. Oktober 1906. 


I. Sitzung am 29. Oktober 1906, Vormittags. 

Präsident des Vorbereitungskomitees, Otto v. Babarczi-Schwartzer, be¬ 
grüßt die erschienenen Mitglieder und behördlichen Vertreter. Auf seinen Vor¬ 
schlag werden gewählt: Präsident: C. v. Chyzer; Vizepräsident: G. Raisz; 
Sekretär: C. Hudovernig; Schriftführer: J. Fischer, M. Dösai, K. D&csi, 
J. Hollös, S. Telegdy, R. Fabinyi. Nach Erledigung der geschäftlichen Vor¬ 
bereitungen folgt die wissenschaftliche Tagesordnung. 

Herr Otto v. Babarczi-Schwartzer erstattet sein Koreferat: Über die 
beschränkte Zurechnungsfähigkeit. Vortr. erstreckt seinen Vortr. auf die 
psychiatrischen und juridischen Beziehungen der Frage, würdigt sämtliche darauf 
bezüglichen Meinungen psychiatrischer und juridischer Vereinigungen, der unga¬ 
rischen und ausländischen Fachliteratur und skizziert die diesbezüglichen Krank- 
beitsbilder und konkreten Gesetzentwürfe. Besonders eingehend werden gewürdigt 
die Verhandlungen des ungarischen Juristenvereines, der ungarischen psychiatrischen 
Gesellschaften, des internationalen Kongresses für Gefängniswesen (Budapest 1905), 
der internationalen strafrechtlichen Gesellschaft und der 27. Deutschen Juristen- 


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Versammlung, welche zum Ausbau der aufgeworfenen Frage bedeutend beigetragen 
haben. Bei Skizzierung der einzelnen Krankheitsbilder bespricht Vortr. den Ein¬ 
fluß, welchen Entartung, Schwachsinn, Epilepsie, Hysterie und Alkoholismus auf 
den Geisteszustend ausöben, und welchen man in foro oft begegnet, als den 
Ursachen der beschränkten Zurechnungsfähigkeit. Von den bisherigen Gesetz¬ 
entwürfen werden eingehend gewürdigt jene von Liszt, Oetker, Seuffert, 
E. Balogh, Babarczi-Schwartzer, ferner die ungarischen und schweizer Ent¬ 
würfe. Nach dieser Einleitung geht Vortr. zur Entwickelung seines eigenen 
Standpunktes über. Vorerst bezeichnet er den Ausdruck „beschränkte Zurechnungs¬ 
fähigkeit“ als unhaltbar vom juridischen Gesichtspunkte aus und proponiert die 
Bezeichnung „geistige Minderwertigkeit“. Die diesbezügliche Reform sollte nach 
folgenden drei Richtungen durchgefübrt werden: die Strafmilderung, die Durch¬ 
führung der Strafe und die Sicherheitsmaßnahmen nach Durchführung der Strafe. 
Bezüglich der Strafmilderung ist Vortr. der Ansicht, daß diese nur insoweit obli¬ 
gatorisch festzustellen wäre, daß ein Individuum mit beschränkter Zurechnungs¬ 
fähigkeit zum Tode oder zu lebenslänglichem Zuchthause nicht verurteilt werden 
kann; eine weitere obligatorische Strafmilderung aber ist nicht motiviert, und es 
genügt vollkommen, die im § 92 des StrGB vorgesehene Strafmilderung anzu¬ 
wenden. Eine Milderung bzw. Abkürzung der Strafdauer ist für derartige In¬ 
dividuen meist nachteilig, da sie weder eine bessernde noch eine abschreckende 
Wirkung ausübt, weil hierzu eine längere Zeit erforderlich ist, und weil der Be¬ 
treffende mit unveränderter Konstitution in die Gesellschaft zurückkehrt und ihm 
die Möglichkeit zur Verübung neuer straffälliger Taten geboten wird. Als un¬ 
erläßlich aber bezeichnet Vortr., daß die Strafe solcher Individuen anders voll¬ 
zogen werde, als jene gewöhnlicher Verbrecher. Von diesem Standpunkte aus 
wären bloß jene als beschränkt zurechnungsfähig zu bezeichnen, deren krankhafter 
Geisteszustand jenem psychischen Zustande nahe steht, welcher eine Unzurechnungs¬ 
fähigkeit bedingt. Bei solchen kranken, irritablen Geschöpfen ist die normale 
Durchführung der Strafe nur von schädlichem Einfluß und würde die Strafe selbst 
so verschärfen, wie das weder Gesetzgeber noch Richter bezwecken wollten. Die 
Strafe wäre demnach in einer eigenen Anstalt durchzuführen, welche keine Irren¬ 
anstalt, sondern eine besondere Strafanstalt ist; unter dem dominierenden Einflüsse 
eines psychiatrisch gebildeten Fachmannes soll daselbst die Strafe unter Fern¬ 
haltung aller schädlichen Momente und bei Ausnützung aller bessernden, heilenden 
Faktoren, somit unter vollkommener Berücksichtigung des abnormen seelischen 
Zustandes und unter Wahrung der ganzen Strenge der gesetzlichen Bestrafung 
durchgeführt werden, wobei vor Augen zu halten sei, daß die Betreffenden wo¬ 
möglich zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden. Bezüglich 
der Maßnahmen nach vollzogener Strafe schließt sich Vortr. jener Ansicht an, 
welche sowohl vom Standpunkte der Gesellschaft, als auch im Interesse der In¬ 
dividuen es als nötig bezeichnet, daß die gemeingefährlichen und geistig minder¬ 
wertigen, ebenso wie die Geisteskranken in Verwahrung genommen werden selbst 
dann, wenn sie noch keine strafbare Handlung begangen haben; denn, besteht die 
Gemeingefährlichkeit, wäre cs absolut unrichtig, die Begehung einer Rechts¬ 
verletzung abzuwarten, sondern es muß für die Vermeidung einer solchen gesorgt 
werden. Andererseits aber warnt Vortr. vor der Übertreibung, daß die Furcht 
vor einer etwa zu begehenden geringfügigen strafbaren Handlung zur lebens¬ 
länglichen Inhaftierung berechtigen würde; die Präventivverwahrung ist bloß dann 
berechtigt, wenn gegründete Aussicht besteht, daß das geistig minderwertige In¬ 
dividuum bei seiner Belassung in Freiheit eine schwerere strafbare Handlung be¬ 
gehen würde: eine Gefährdung des Vermögens kann aber keinesfalls als Motiv 
der präventiven Verwahrung dienen. Diese Sicherheitsverwahrung aber soll nicht 
in einer Strafanstalt vollzogen werden, sondern in einer speziell diesem Zwecke 


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dienenden Anstalt, welche nicht den Charakter einer Straf-, sondern den einer 
Heil- und Pflegeanstalt besitzen solL Die quasi notgedrungene Vereinigung einer 
solchen Verwahrung mit der Entmündigung kann Vortr. nicht als richtig be¬ 
zeichnen, nachdem die Bedingungen der privatrechtlichen Geschäftsfähigkeit nicht 
identisch sind mit jenen der Gemeingefährlichkeit, und da es geistig Minder¬ 
wertige gibt, welche trotz ihrer Gemeingefährlichkeit imstande sind, ihre privat¬ 
rechtlichen Angelegenheiten selbständig zu führen. Als unrichtig wird ferner 
bezeichnet, daß die Internierung durch den Strafrichter verfügt werde; den darauf 
bezüglichen Beschluß möchte er eher den administrativen Behörden zuweisen, und 
zwar in der Weise, daß die Internierung unter richterlicher Kontrolle erfolge, so 
wie dies der von ihm (Vortr.) ausgearbeitete Gesetzentwurf bestimmt. Außer der 
Anstaltsinternierung wünscht er noch, jeder Aufsichts- und Unterstützungsinstitution, 
der weitgehendsten Patronage einen weiten Spielraum zu belassen. Die nach ver¬ 
büßter Strafe nötigen Bestimmungen sind nicht im Strafgesetze, sondern im Irren¬ 
gesetze aufzunebmen. Zur Verwirklichung seiner Konklusionen proponiert Vortr. 
die folgenden konkreten Vorschläge auf Modifikation der bestehenden Gesetze: 
I. Nach § 88 des StrGB (G.-A. V. 1878) wäre der folgende Paragraph einzu¬ 
schalten: § 88 a. Deijenige, weicherein Verbrechen oder ein Vergehen in solchem 
Zustande begeht, welcher den im Sinne des § 76 die Zurechnungsfähigkeit aus¬ 
schließenden Zuständen nahestebt, kaum zum Tode oder zu lebenslänglichem Zucht- 
hause nicht verurteilt werden. — II. Nach § 48 des Strafgesetzes ist folgender 
Paragraph neu einzuschalten: § 48a. Wird das Verbrechen oder das Vergehen in 
einem anhaltend krankhaften Zustande begangen, welcher den im Sinne des § 76 
die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zuständen nahesteht, muß die Freiheits¬ 
strafe, insofern sie die Datier eines Monates überschreitet, unter Berücksichtigung 
des Zustandes und der Individualität in einer diesem Zwecke dienenden Spezial¬ 
anstalt verbüßt werden. — III. Im projektierten Irrengesetze muß folgendes ver¬ 
fügt werden: 1. Jene nicht geisteskranken, aber mit dauernd krankhaftem Geistes¬ 
zustände behafteten Individuen, bezüglich welcher begründeter Verdacht besteht, 
daß sie bei Belassung ihrer unbeschränkten Freiheit durch das Strafgesetz als 
Verbrechen qualifizierte und nicht ausschließlich gegen dos Vermögen gerichtete 
strafbare Handlungen begehen könnten, sind in zu diesem Behufe zu errichtenden 
Heilanstalten unterzubringen und so lange in denselben zu belassen, als ihre 
Gemeingefährlichkeit, bzw. ihr pathologischer Geisteszustand besteht. 2. Die Ver¬ 
fügungen des Irrengesetzes über Aufnahme in die Anstalt, Entlassung aus der¬ 
selben, insbesondere über die richterliche Kontrolle, sind auch auf diese Individuen 
in entsprechender Weise anzuwenden. 3. Wurde der Beklagte wegen krankhafter 
Störung der geistigen Fähigkeiten als unzurechnungsfähig erkannt und die An¬ 
klage rechtskräftig fallengelassen, oder aber das gegen ihn eingeleitete Straf¬ 
verfahren rechtskräftig eingestellt, ist die zur Irrenkontrolle berufene kompetente 
Behörde hiervon zu verständigen, unter Beifügung des das Verfahren einstellenden 
Beschlusses und der in der Strafsache abgegebenen Sachverständigengutachten. 
4. Der Vollzug der Freiheitsstrafe ist bei solchen Individuen, welche im Sinne 
des Punkt 1 in einer Anstalt unterzubringen sind, unter Beifügung der Akten 
der kompetenten Irrenkontrollsbehörde zur Kenntnis zu bringen. &. Jene Ver¬ 
hafteten, gegen welche im Sinne des Punkt 3 das Strafverfahren eingestellt wurde, 
sowie die im Punkt 4 Genannten müssen nach Vollzug ihrer Strafe der nächsten 
Aufsichtsbehörde für Irrenwesen übergeben werden, welche dann bezüglich ihrer 
gesetzlichen Unterbringung verfügt. 6. Die in Spezialanstalten untergebrachten 
Individuen müssen unter Berücksichtigung ihrer Individualität und ihres psychischen 
Zustandes, und falls dieser es erheischt, ärztlich behandelt werden. (Der Vortrag 
erschien in extenso in Eime-es Idegkörtan. 1906. Nr. 4 und wird auch in deutscher 
Sprache publiziert werden.) 


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Herr J. Baumann als Koreferent weist aus dem Entwickelungsgange der 
Frage der beschränkten Zurechnungsfähigkeit nach, daß sich der strittige 
Punkt auf die Zurechnungsfähigkeit der „geistig Minderwertigen“ oder „Unvoll¬ 
kommenen“ bezieht. Hierher gehören die mit einem geistigen oder gemütlichen 
Defekte Behafteten, die an einer Entartung der Instinkte Leidenden, schließlich 
die Trinker und einige Nervenkranke. Obwohl bei keiner der genannten Kate¬ 
gorien eine eigentliche Geisteskrankheit nachweisbar ist, besitzen dennoch alle 
eine geringere Einsicht und Widerstandsfähigkeit. Der Grad ihres Verbrecher¬ 
tums ist demnach geringer, hingegen ihre Gemeingefährlichkeit größer als ge¬ 
wöhnlich. Sodann bespricht Vortr. eingehend sämtliche Vorschläge, welche sich 
mit der besonderen Lage derartiger Individuen befaßten; darunter sind solche, 
welche diese Geschöpfe als Kranke bezeichnen und sie in Asylen bzw. Heilstätten 
unterbringen möchten; andere wieder wollen die Minderwertigen vor den Straf¬ 
richter stellen, aber sie, mit Berücksichtigung des geringeren Grades ihrer Zu¬ 
rechnungsfähigkeit, in milderer Weise bestrafen. In neuerer Zeit fand sich in 
Deutschland ein angesehener Vertreter jener Ansicht, daß beide Standpunkte ver¬ 
einigt werden könnten: Der minderwertige Verbrecher wäre vorerst zu bestrafen 
und dann bei bestehender Gemeingefährlichkeit einer besonderen Anstalt behufs 
Behandlung zuzuweisen. Demgegenüber weist Vortr. eingehend nach, daß ein 
Individuum, welches für die gesetzlichen Verbote und für die Wirkung einer 
Strafe empfänglich ist, seines Selbstbestimmungsrechtes nicht beraubt werden darf 
bloß deßhalb, weil sein Charakter gemeingefährlich ist. Mit Berücksichtigung 
dieses Umstandes empfiehlt Vortr. bei den geistig Minderwertigen eine verlängerte 
Dauer der Strafe, aber eine mildere Durchführung derselben, wobei auf die ver¬ 
minderte Einsicht und Widerstandsfähigkeit derartiger Verbrecher Rücksicht zu 
nehmen wäre. 

Herr E. E. Moravcsik beantragt die Vertagung der Diskussion über die 
gehörten hochwichtigen Fragen auf den nächsten Psychiaterkongreß aus folgenden 
Motiven: Eine Besprechung einer so wichtigen Angelegenheit kann nicht nach 
einmaligem Anhören der Referate erfolgen; die in der Kongreßdiskussion zum 
Ausdrucke gebrachten Meinungen werden bei der neuen Kodifikation des Straf- 
geseszbuches berücksichtigt werden, weßhalb dieselben reiflich erwogen sein müssen, 
und gerade dieser Umstand läßt die Diskussion als nicht dringlich erscheinen. 
Sollte aber eine dringende Notwendigkeit einer baldigen Diskussion auftauchen, 
möge das Vorbereitungskomitee ermächtigt werden, einen außerordentlichen Kou- 
greß einberufen zu können. 

Der Kongreß akzeptiert diesen Vorschlag. 


II. Sitzung, 29. Oktober 1906, Nachm. 

Herr Andor v. Sölyotn hält unter dem Titel: Proseßreohtliohe Fragen 
einen Vortrag, in welchem er vorerst betont, daß sich das zivile Recht und die 
ärztliche Wissenschaft zumeist auf dem Gebiete des materiellen Rechtes berühren, 
weil gerade hier manche Gruppen rechtlicher Verhältnisse ohne ärztliche Wissen¬ 
schaft überhaupt nicht geregelt werden können. Nachdem aber die Rechtsform 
die Anwendungsart der materiellen Rechtsregeln bestimmt, dürften auch auf diesem 
Gebiete so manche Fragen auftauchen, welche selbst dann das Interesse des Ge¬ 
richtsarztes beanspruchen, wenn sie auch nicht in engerem Zusammenhänge mit 
der ärztlichen Wissenschaft stehen. Gerade die Rechtsverhältnisse der Geistes¬ 
kranken bilden jenen Weg der Rechtspflege, auf welchem Arzt und Richter nur 
gemeinsam und in paralleler Tätigkeit wandeln können. Sodann bespricht Vortr. 
die Prozeßfähigkeit der Geisteskranken und die Obliegenheiten des Gerichtshofes 
in solchen Fällen, wenn die Anklage einem nicht unter Vormundschaft stehendem 
Geisteskranken zugestellt werden muß, oder wenn das Urteil einem erst später 


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geisteskrank gewordenen Angeklagten übergeben werden soll. Weiters bespricht 
er den oft vorkommenden nnd bisher ungelösten Fall, wenn jemandem der proze߬ 
entscheidende Schwur zugesprochen wird, der Schwur aber wegen Geisteskrankheit 
des Betreffenden nicht abgelegt werden kann, und für welche Eventualität die 
höheren Gerichtsformen die sogen. Beglaubigung durch den Todesfall nicht an¬ 
wendbar sein ließen. Bei der Frage des Beweises der Geisteskrankheit weist 
Vortr. aus der richterlichen Praxis nach, daß eine Revision des Sachverständigen¬ 
gutachtens bloß dann statthaft sei, wenn ein effektiver Irrtum der Sachverständigen 
nachweisbar ist. Die analoge Berechtigung zu neuerlicher Prozeßaufnahme, bzw. 
Revision desselben müßte aber auch dann möglich sein, wenn es sich herausstellt, 
daß der Richter, welcher das Urteil fällte, zur Zeit der Urteilsfällung geisteskrank 
gewesen ist. Schließlich bespricht Vortr. noch einige Fragen des Eberechtes und 
bezeichnet es im Sinne des deutschen Reichsgesetzes als motiviert, daß die Geistes¬ 
krankheit in gewissen Fällen auch in Ungarn als Scheidungsgrund angenommen 
werde; unerläßlich aber ist es, daß auch gegen eine geisteskranke Ehehälfte der 
Scheidungsprozeß eingeleitet werden könne, wenn solche Scheidungsgründe nach¬ 
gewiesen sind, welche noch vor der Geisteskrankheit bestanden haben. 

(Fortsetzung folgt.) 


Wissensohaftliohe Versammlung der Ärzte der St. Petersburger 
psychiatrischen und Nervenklinik. 


Sitzung vom 10. März 1905. 

Herr W. von Bechterew: Demonstration eines Kranken mit einem 
8ohfideltrauma. Bei einem Kranken, der eine Läsion der centralen Windungen 
der linken Hemisphäre durch eine Kugel erhalten hatte, war in der paretischen 
rechten Körperseite eine Herabsetzung der Temperatur und eine vermehrte 
Schweißabsonderung vorhanden. Der'mitgeteilte Fall dient zur Bestätigung 
der Voraussetzung, daß das motorische Gebiet der Hirnrinde einen Einfluß ausübt 
auf die Schweißabsonderung der gegenüberliegenden Körperhälfte. Derartige Fälle 
sind von einigen Autoren bereits beschrieben worden. Die experimentellen Unter¬ 
suchungen von Gribojedow, die im Laboratorium der hiesigen Klinik aus¬ 
geführt sind, bestätigen ebenfalls diese Ansicht. 

Herr M. P. Nikitin: Über den Xiinfluß des Gehirns auf die Ab¬ 
sonderung der Milch. (Vorläufige Mitteilung.) Vortr. hat 38 Versuche an 
Ziegen ausgefilhrt. In die Zitzen der Tiere wurden besondere Kanülen eingeführt, 
durch welche die Milch abfloß. Zur Registrierung der Quantität der abgesonderten 
Milch wurde anfangs die Abzählung der fallenden Tropfen angewandt, später aber 
die graphische Methode, wobei das Fallen von Milch tropfen durch Zeichen auf 
dem Rotationsstreifen des Kymographen registriert wurde. Die Milch entfließt 
anfangs strahlenförmig, nach 10—15 Minuten aber verbleibt die Absonderung 
auf einer gewissen konstanten Norm. Nach Eintreten dieses Zeitpunktes wurde 
bei dem Tiere die Trepanation des Schädels unter Kokain ausgeführt. Nach Be¬ 
endigung der Trepanation wurde dem Tiere etwas Ruhe gegönnt, worauf die 
Reizung der Hirnrinde durch den faradischen Strom (15—11 cm Rollenabstand 
des normalen Schlittenapparates) erfolgte. In einigen Versuchen wurden auch 
die subkortikalen Ganglien gereizt. Die faradische Reizung dauerte 3—5 Minuten. 
Bei Reizung der Hirnrinde wurde im Frontalgebiet in der Nähe des Sulcus 
cruciatus eine Stelle gefunden, von wo aus eine Verstärkung der Milchabsonderung 
aus der gegenüberliegenden Drüse hervorgerufen werden konnte. Von 3 Versuchen 
mit Reizung der Corpora quadrigemina wurde nur in einem Falle eine vermehrte 
Milchabsonderung beobachtet (bei Reizung des hinteren Abschnittes der Vierhügel). 


Reizung des Thalamus opticus blieb ohne Effekt. 

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Herr A. W. Bachmanow: Zar Frage über die Färbung der Neuro« 
fibrillen. . Das Eigentümliche des Verfahrens besteht darin, daß bei Anwendung 
desselben keine vorhergehende spezielle Bearbeitung des ganzen zur Untersuchung 
gelangenden Gehirnteiles nötig ist — es werden einzelne Schnitte gefärbt. Es 
können ferner bei dieser Färbung der Neurofibrillen auch die übrigen Teile der 
Zellen und das übrige Gewebe mit anderen Farben gefärbt werden. Aus Gehirn¬ 
teilen, die in 96°/ 0 Alkohol fixiert und in Paraffin eingebettet Bind, werden 
Schnitte angefertigt, welche auf gewöhnliche Weise auf die Objektträger auf¬ 
geklebt werden. Die Schnitte werden vom Parffin durch Xylol befreit, mit 
Alkohol und Wasser abgespült und gelangen auf 24 Stunden in eine 5 °/ 0 ige 
Argentum nitricum-Losung bei einer Temperatur von 35—37° C. Die Objekt¬ 
träger mit den Präparaten werden mit Aq. dest. durchgewaschen und mit dem 
Entwickler Ubergossen. (Der Entwickler besteht aus Natr. sulforosi 40,0; Kalii 
carbonici 30,0; Aq. dest. 100,0; nach Auflösung 5,0 Hydrochinin hinzufugen. 
Bei Anwendung wird 1 Teil der Lösung auf 10 Teile Wasser genommen.) Nach 
der Entwickelung, die —1 Mitnute dauert, werden .die Objektträger durch¬ 
gewaschen und in folgende Lösung getaucht: Natr. hyposulforosi 20,0; Natrii 
sulforosi 10,0; Kal. chodonati 5,0; Aq. dest. 200,0. Nach dieser Behandlung 
verlieren die Schnitte die bei der Entwickelung erhaltene hellgelbe Farbe und 
werden bräunlich gefärbt. Es folgen Durch Waschung der Schnitte, ihre Ent¬ 
wässerung, Aufhellung und Einbettung in Balsam. E. Giese (St. Petersburg). 


IV. Neurologische und psychiatrische Literatur 

vom 1. September bis 31. Oktober 1906. 


1. Anatomie. Weinberg, Hirnoberfiäche. Arch. f. Psych. XLU. Heft 1 . — Bertolotti, 
Oculogire. Riv. di Pat. nerv. XI. Pasc. 9. — Tuschida, Sehstrahlungen. Arch. f. Psych. 
XLH. Heft 1 . — Engelmann, Markhaltige Nervenfasern. Tijdschr. voor Geneesk. Nr. 12. 
— Trolard, Circonvolution godronnee. Revue neur. Nr. 20. — Bumke, Pyramidenbahn, 
Archiv f. Psych. XLII. Heft 1 . — (Jgolotti, Vie piramid. Riv. sper. di Freu. XXXU. 
Pasc. 3—4. — Stscherbakon, Nervenganglien in d. Gebärmutterwand. Inaug.-Diss. Berlin. 


II. Physiologie. Haller, Phylogenese des Großhirns der Säugetiere. Arch. f. mikr. 
Anat. LXIX. Heft 1. — Kitagawa u. Thierfelder, Cerebron. Hoppe-Seylers Zeitschr f. 
phys. Chemie. XLIX. Heft 2 u. 3. — Schielferdecker, Neurone. Leipzig, J. A. Barth. 
323 S. — Kronthal, Konstruktionsprinzipien des Nervensystems. Neur. Centr. Nr. 20. — 
Lewis, Neuron theory. Journ. of ment. sc. LII. Nr. 219. — Ciaccio, Reproduction des 
cellules nerveuses. Revue neur. Nr. 19. — Becker, C. t PhyB. d. Nervenzelle. Neur. Centr. 
Nr. 19. — Lugaro , Rigen. delle rad. poster. Riv. di Pat. nerv, e ment. XI. Pasc. 8. — 
Lugaro, Autogene Regener. Neur. Centr. Nr. 17. — Rebizzi, Variazioni delle neurofibrille. 
Ebenda. — von den Velden, Geruchsempfindung. Fortschr. d. Med. Nr. 28. — Kochmann, 
Erregbarkeit des Yaguscentrnms. Ztbl. f. Phys. Nr. 13. — Mills and Weisenburg, Repres. 
of sensibility in cerebr. cortex. Journ. of Nerv, and Ment Dis. XXXIII. Nr. 10. — Sussana, 
Canal, semicirc. Riv. sper. di Fren. XXXU. Fase. 3—4. — Scarpini, Iperterm ia sper. 
Ebenda. — Balli, Lesioni del retic. neurofibr. Ebenda. — Dana, Distrib. of trigeminus. 
Journ of Nerv, and Ment. Dis. XXXIII. Nr. 9. — Lieben, Großhirnrinde u. Pilomotoren. 
Centr. f. Phys. Nr. 15. — Roncoroni, Punz. del lob. front. Arch. di psich. XXVII. Fase. 4 
bis 5. — Grabower. Recurrensfrage. Arch. f. Laryng. XVIII. Heft 3. — Zwonitzky, Periph. 
Nerven und Wärmeregulierung. Arch. f. Anat. u. Phys. Physiol. Abt. Heft 5 u. 6. — 
Weber, Ernst, Großhirnrinde und Blutdruck. Ebenda. — v. Miram, Hohe Temperatur und 
Froschnerv. Ebenda. — Rehfisch, Hejzvagus. Ebenda. Suppl.-Bd. — Albertoni, Epuisement 
de l’activitd. Aren. ital. de biol. XLVI. Fase. 1. — Deganello, Yoies aconst. centr. de la 
grenouille. Ebenda. — Panella, Cerveau chez les animaux ä jeun. Ebenda. — Geinitz u. 
Winterstein, Erhöhte Temperatur und Froschrückenmark. Pflügers Arch. LXV. Heft 3 
u. 4. — Richard, Lokalisation in der Hirnrinde. Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Heft 3. — 
Ranson, Retrograde degener. in spinal nervös. Dissertation Chigago. — Dorante, Trans- 
formations du tube nerveux. Rev. neur Nr. 18. — Pieraccini e Ceni, Tetano farad. Riv. crit. di 


clin. 

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med. Nr. 37. — Curschmann. Contralater. Mitbew. 

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Deutsche Zeitschr. f. Nerv. XXXII. 

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189 


Heft 1—2. — Herzog, Vibratioosgeföhl. Ebenda. — Hess, Zwerchfellinnervation. Mönch, 
med. Wochenschr. Nr. 36. —. Sommer n. Fürstenau, Elektr. Vorg. an der Haut. Klin. f. 
psych. u. nerv. Kr. I. Heft 3. Pansini, Rekurrier. Sensib. Rif. med. Nr. 87 n. 38. — Sommer 
u. Fürstenau, Scheinbare elektr. Ladungen des Körpers. Deutsche med. Woch. Nr. 36. 

III. Pathologische Anatomie. Hoppe, Weigertscbe Gliafärbung. Neur. Cenfcr. 
Nr. 18* — van Westrienen, Abnorme Entwickelung des Hirns. Tijdschr. voor Geneesk. 
Nr. 10. — Hilty, Mikrocephalie. Inaug.-Diss. Zürich. — Vogt, Famil. Mikrocephalie. Allg. 
Zeitschr. f. Psych. LX1IL Heft 5. 


IV. Neurologie. Allgemeines: Eichhorst, Path. u. Ther. der Nervenkr. I. Teil. 
Urban u. Schwarzenberg. 468 S. — Stewart, Diagnosis of nerv, diseasis. London, Arnold. 
390 S. — FUrnrohr, Röntgen-Strahlen in der Neurol. Berlin, 8. Karger. 375 S. — Bing, 
Blutuntersuchungen an Nervenkranken. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 36. — Cornelius, 
Nervöse Leiden. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 20. — Schlesinger, H., Paroiysmelle Tachykardie. 
Samml. klin. Vortr. Nr. 483. — Meningen: Thdvenet et Roubier, Extradurale Abscesse. 
Gaz. d. höp. Nr. 108. — Ohlmacher, Meningococcus. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 3. — 
Soulhard and Stratton, Akute Mening. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 16. — Westenhoeffer, 
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Vierteljahrsschr. f. ger. Med. XXXII. Heft 2. — Martini, Epidur. Bluterguß in verbrannten 
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Ithlbara, Schluckreflex nach Spaltung der Med. oblong. Ctbl. f. Phys. Nr. 13. — Osann, 
Bulbärparalyse bei Lipomatose. Aren. f. Psych. XLII. Heft 1. — Krogh, Bulbärparalyse 
ohne anat. Bef. Norsk. Mae. f. Laegev. Nr. 10. — Kauffmann, Stoffwechsel b. Myasthenie. 
Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Heft 4. — Rückenmark: Gourevitch, Cell. nerv, de la 
moelle des lapins. Riv. sper. di Fren. XXXII. Fase. 3—4. — Zipkin, Durchquetschung 
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de Eaponevr. palm. Arch. gön. de med. LXXX1II. Nr. 40. — Periphere Nerven¬ 
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Berliner klin. Woch. Nr. 39. — Romberg, Neurathenie. Deutsche med. Woch. Nr. 38. — 
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im russ.-jap. Krieg. Petersb. med. Wochenschr. Nr. 86. — Alkoholismus: Tomaschny, 
Alkoholversuche bei zweifelhaften Geisteszuständen Allgem. Zeitschr. *f. Psych. LXHI. 
Heft 5. — Fernet, Alkoholismus. Sem. med. Nr. 36. — Rybakoff, Alkoholismus. Russk. 
Wratsch. Nr. 35. — Pollack, Harnsäure bei Gicht und Alkohol. Deutsches Arch. f klin. 
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Roseoberg, L., Myatonia congen. Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXI. Heft 1—2. — 
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im Larynx. Arch. f. Laryng. XVIII. Heft 3. — Lesern, Acroparesthesia. Med. Record. 
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TI. Psychiatrie. Allgemeines: Dexler, Scheuen der Pferde. Arch. f. Psych. XLII. 
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exper. XVIII. Nr. 5. — Rentoul, Kastrierung Degenerierter. Brit. med. Journ. Nr. 2887. 

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Kinder. Zeitschr. f. jugendl. Schwachsinn. I. Nr. 1. — Nenze, Hilfsschulwesen. Ebenda. 

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Ebenda. — Laquer, L., Behandlung von Schwachsinnigen. Klin. f. psych. u. nerv. Kr. L 
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Sexuelles Leben u. Entsteh, von Nerven- u. Geisteskr. Münchener med. Woch. Nr. 37. — 
Blum. Priapismus. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 38. — Strubeil, Yohombin. Wiener klin. 
Wochenschr. Nr. 37. — Funktionelle Psychosen: Suchanoff, Hallucinose. Russ. med. 
Rundschau. IV. Nr. 9. — Thursch, Manie. Inaug.-Diss. Berlin. — Franco de Rocha, Psych. 
maniaque ddpress. Ann. med-psychol. LXIV. Nr. 2. — Marandon de Montyel, Folie 
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Nachsidow, Dem. praec. Russk. Wratsch. 37. — Clarke and Dercum, Dem. praec. Brit med. 
Journ. Nr. 2387. — Bolton, Amentia and dement. Journ. of ment. sc. LI1. Nr. 219. — 
Intoxikationsj)sychosen: Schröder, P., Intoxikationspsychosen. Allg. Zeitschr. f. Psych. 
LXIII. Heft 5. - Ballot et Laignel-Lavastlne, L^sions cortic. dans les psych. d’origine tox. 
L'Enc^phale. Nr. 5. — Progr. Paralyse: Dreyfus, Endogenese u. progr. Paralyse. Allg. 
Zeitschr. f. Psych. LXIII. Heft 5. — Wickle, Prog. Paral. Brit. med. Journ. Nr. 23b7. 

— Dietendorf, rrogr. Paral. Ebenda. — Jourdan, Syphilis et par. gen. Progr. med. Nr. 88. 

— Heilbronner, Frühdiagnose und Behandlung der Paralyse. Deutsche med. Wochenschr. 
Nr. 40. — Bouchaud, Main de predic. chez un paral. gen. Rev. neur. Nr. 20. — Raviart. 
de Fortunifi et Lorthiols, Sympt. ocul. de la par. gen. Revue de mdd. Nr. 10. — Forens. 
Psychiatrie: Latfes, Cerveau de la la femme criminelle. Turin, Fr. Bocca. 11. S. — 
Nolan, Lunacy and legislation. Journ. of ment. sc. LU. Nr. 219. — Wyler, Vergleich. 
Irrenrecht. Halle a/S., C. Marhold. 181 S. — Schwabe, Notzucht in d. Hypnose. Zeitschr. 
f. Medizinalb. Nr. 17. — Schiffer, Urteilsschwäche. Psych.-neur. Woch. Nr. 25 u. Fall 
Brunke. Ebenda. Nr. 24. — Hoppe, Vermind. Zurechnungsfähigkeit. Friedreichs Bl. f. 
ger. Med. LV1I. Heft 5. — Hösel, Zurechnungsfähigkeit Hysterischer. Viertelj. f. ger. 
Med. XXXII. Heit 2. — Marx, H., Psychologie der Untersuchungshaft. Ebenda. — 
Werner, R. P., Geisteskr. Verbr. in Dalldorf. Berlin, Fischers med. Buchh. 216 3. — 
Zingerle, Forens. Bed. d. Erinnerungsfalschungen. Psych.-neur. Woch. Nr. 27. — Altavilla. 
Delinq. colposa. Arch. di psich. XXVIT. Fase. 4—5. — Audenino, Isterico omic.-suic. Ebenda. 

— Salgö, Forens. Bedeutung der sex. Pervers. Samml. zwangl. Abh. (Hoche). VII. Heft 4. 

— Penta, Simul. von Geisteskr. Würzburg, A. Stüber. 214 S. — Therapie der Geistes¬ 
krankheiten: Hoppe, Moderne Irrenanstalt. Halle a/S. 75 S. — Höfler, Nervenanstalt zu 
Chemnitz. Psych.-neur. Woch. Nr. 26. — Antonlni, Asiles d'alienes en Italic. Psych.-neur. 
Woch. Nr. 24 u. 25. — Grohmann, Vegetarier-Ansiedlung in Ascona. Ebenda. — Stransky, 
Irrenpflegepersonal. Psych.-neur. Woch. Nr. 29 u. 30. — Wyler, Staatl. Aufsicht über das 
Irren wesen. Ebenda. — Goodall, Hospit. treatment of curable cases of ment. dis. Brit. 
med. Journ. Nr. 2391. — Marie et Rolet, Tuberc. dans les asiles d'altenes. Arch. de neur. 
Nr. 180. 

VII. Therapie. Weist, J., Castor-Bromid-Weigert. Heilkunde. Heft 10. — Schirbach, 
Proponal. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 39. — Dobrschansky, Malonal. Wiener med. 
Presse. Nr. 42. — Likudi, Veronal. Russk. Wratsch. Nr. 88 u. 39. — Hofmann, J., Ersatz 
des Vicrzellenbades. Deutsche med. Woch. Nr. 87. — Bles, Elektromagnetismus. Zeitschr. 
f. phys. u. diät. Therap. X. Heft 6. — Hudovernfg. Methylatropin, brom. Berliner klin. 
Wochenschr. Nr. 42. — v. Boltenstern, Migränetabl. Deutsche Ärzte-Ztg. Heft 17. — 
Wohlberg, Winterkuren an d. Nordsee. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 38. — Hohnbaum, 
Vibriationsmassage. Hannover u. Leipzig, Hahn. 93 S. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 


Verlag von Veit & Comp, in I^eipzig. — Druck von Mxtzgkb & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Cent ra lblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

Sechs Qndzw&nci gster " BwUn ' Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 


1907. 


1. März. 


Nr. 5. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Über den Mechanismus und die Lokalisation der 
psychischen Vorgänge, von Prof. Ernst Jendrässik in Budapest. 2. Zur Ätiologie und spezi¬ 
fischen Therapie des Morbus Basedowii nach praktischen Versuchen mit Antithyreoidin- 
Moebius, von Dr. med. Hattner. 


II. Referate. Anatomie. 1. Eine Methode zur Bestimmung, des Schädelinhaltes und 
Hirngewichtes am Lebenden, von Beck. — Physiologie. 2. Über die Funktionen des 
Kleinhirns, von Munk. 3. Further observations upon tne functions of the thyreoid and 
parathyreoid glands, by Vincent and Jolly. 4. La rate du chien aprös l’ablation complöte 
de l’appareil tbyröo-parathyröoidien, par Massenti. 5. Glandules parathyroidiennes et con- 
vulsions, par Alquler. — Psychologie. 6. The dissociation of a personality. A biographical 
study in abnormal psychology, von Prince. — Pathologie des Nervensystems. 7. Die 
ätiologische Rolle des Vasomotorencentrums bei Herzneurosen, Morbus Basedowii und 
Angioneurosen der Haut, von Polland. 8 . Zur Pathologie der Basedowschen Krankheit; 
Basedowsche Krankheit und Halsrippen; Basedowsche Krankheit bei Eheleuten, von Bern¬ 
hardt. 9. Zur Pathologie der Sklerodermie und des Morbus Basedowii, von Kornfeld. 
10. Über den Zusammenhang von Sklerodermie mit Morbus Basedowii, von Freund. 11. Über 
die Basedowsche Krankheit, von Haikovec. 12. Der Exophthalmus bei der Basedowschen 
Krankheit, von Ha&kovec. 13. Zur Kenntnis einiger seltener Störungen bei der Basedow¬ 
schen Krankheit, von Mosse. 14. Inflytandet af struma, särsköldt Basedowstruma, un der 
pubertetsäldern pä längdtillväxt och förbeningsprocesser. Preliminärt meddelande af Holm- 
gren. 15. Dägenerescence mentale et maladie de Basedow, par Dromard et Levassort. 16. Case 
of exophthalmic goitre in a man treated successfully, by Sommerville. 17. Et tilfälde af 
Morbus Basedowi behandlet met blöd og melk af thyreoidektomeret gjed, af Thrap-Meyer. 

18. Über den heutigen Stand der Therapie der Basedowschen Krankheit, von Vermes. 

19. Herzneurosen und Basedow, von Fischer. 20. Ein Beitrag zur Behandlung des Morbus 
Basedowii mit Antithyreoidserum (Moebius), von Leuven. 21. Ein Fall von Morbus Base¬ 
dowii ohne Exophthalmus behandelt mit Antithyreoidin Moebius, von Aronheim. 22. Beitrag 
zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit, von Mayer. 23. Serumbehandlung af 
Morbus Basedowi, af Magnus. 24. Beitrag zur Behandlung des Morbus Basedowii mit 
Antithyreoidin (Moebius), von Heinze. 25. Die partielle Exstirpation der Schilddrüse als 
Heilmittel in einem Falle Basedowscher Krankheit, von v. Torday. 26. Beitrag zur Be¬ 
handlung Basedowscher Krankheit mit Röntgenstrahlen, von Sklodowski. 27. Angebliches 
kongenitales Myxödem bei normaler Schilddrüse, von Slegert. 28. Über zwei atypische 
Myxödemfalle, von Bernhelm. 29. Beiträge zur pathologischen Anatomie der Kretinengehirne, 
von Scholz und Zingerle. 30. Infantilisme et degönerescence psychique. Influence de l’heredite 
neuropathologique, par Lemos. 31. Über marinen Kretinismus, von v. Wagner. 32. Zweiter 
Bericht über die Behandlung des endemischen Kretinismus mit Schilddrüsensubstanz, von 
Wagner von Jauregg. 33. Ein Jahr Kretinenbehandlung mit Schilddrüsensubstanz, von 
v. Eysselt-Klimpily. 34 Mit Thyreoideatabletten behandelter Fall von Cretinismus sporadicus. 
von Deutsch. — Psychiatrie. 35. Un cas de melancolie, avec hypertrophie thyroidienne 
snccödant ä la mönopause, par Parhon. 36. Über Hitzepsychosen, von Finckh. 37. Über 
Robert Schumanns Krankheit, von Mtfbius. — Forensische Psychiatrie. 38. Über die 
zur strafrechtlichen Behandlung zurechnungsfähiger Minderwertiger gemachten Vorschläge, 
von Moeli. 


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III. Bibliographie. Therapeutische Technik für die ärztliche Praxis. Ein Handbach für 
Ärzte and Studierende, von J. Schwalbe. 

IV. Aus den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein za Berlin. — WanderVersammlung 
des Vereins für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 

V. Vermischtes. 


I. Originalmitteilungen. 

1. Über den Mechanismus 
und die Lokalisation der psychischen Vorgänge. 

Von Prof, firnst Jendrisalk in Budapest. 

Unstreitig ist es die Lehre von der Aphasie, die uns den tiefsten Einblick 
in die Werkstätte der psychischen Vorgänge eröffnet hat. Wollen wir aber den 
Mechanismus der psychischen Funktionen näher erkennen, so müssen wir außer 
den Ergebnissen der Aphasieforschung auch die Errungenschaften der verwandten 
Forschungsgebiete heranziehen, ln der Tat können Anatomie, Physiologie, 
Psychophysik, Klinik, Sprachwissenschaft auf diesem Gebiete nur Hand in Hand 
zu wirklichen Fortschritten führen, um so mehr, als der sonst so verläßliche 
Boden der pathologischen Anatomie in der Erforschung der Lokalisation der 
Gehirnfunktionen nur allzuoft unsicher wird, da die Femwirkungen der Läsion 
häufig nicht mit Bestimmtheit abgrenzbar sind. 

Ein großer Teil der Kontroversen, die heute bezüglich der Auffassung dieser 
Vorgänge herrschen, läßt sich auf die einseitige Betrachtung der Beobachtungs¬ 
tatsachen, freilich zugleich auch darauf zurückführen, daß die meisten Antoren 
in der einen oder anderen Weise den alten Begriff der Seele, wenn auch in 
moderner Bezeichnung, in ihre Theorien hineinverweben. Die Ausdrücke „centre 
d’idöation, Begriffsoentrum, Assoziationscentrum, Centrum für das innere Wort, 
innerer Befehl, Werkstätte für Begriffe, Denkorgan, Organ für abstraktes Denken, 
Centrnm für geistige Konzentration“ nsw. sind, wenigstens oft in ihrer An¬ 
wendung, nichts anderes als das noch immer seinen Spuk treibende Gespenst 
der Seele. Dieselben Autoren, die diese metaphysischen Centren annehmen, 
sind nicht einig darüber, ob es wirkliche motorische oder sensorische Centren 
gibt. Ja manche geben zu, daß wohl ein Sprechcentrum, aber kein Schreib- 
centrum existiert. Es wäre eine große Mühe, der ich mich aber nicht zu 
unterziehen gedenke, die so außerordentlich verschiedenen Ansichten der Autoren 
zusammenzustellen und ihre Begründungen kritisch zu prüfen; ich will einfach 
das Resultat meiner Studien in betreff der feineren Lokalisation der psychischen 
Vorgänge mitteilen. 

Da man boreits beginnt, diese Prozesse auf Grundlage der Fibrillenlehre 
zu erklären, will ich gleich za Beginn betonen, daß meine Ansichten auf der 
Neuronenlehre fußen. 

Um meine Ansichten so klar als möglich darznstellen, teile ioh meine 
Arbeit in drei Abschnitte, deren erster das Wahrnehmen and die Erinnerungs¬ 
bilder, der zweite die Erinnerung und die Assoziation, der dritte endlich die 
nähere Einrichtung der Centren behandelt. 

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I. Wahrnehmen und Erinnerungsbilder. 

Die äußeren Eindrücke, optische wie akustische, gelangen in der aller¬ 
größten Mehrzahl der Fälle durch einen ganz kleinen Abschnitt der Aufnahmefläche 
des betreffenden Sinnesorganes in das Gehirn. Eigentlich erkennen wir bloß das, was 
durch die Fovea centralis der Retina oder im Bereich der mittleren Töne der 
Hörfähigkeit aufgenommen wird; somit kommen im gewöhnlichen Leben alle 
Gesichts- und Gehörseindrücke durch eine kleine, zu innerst liegende Partie des 
Opticus oder Acusticus in die Rinde. Mag man sich die Aufnahmeapparate 
der Retina oder des CoMi’schen Organs wie immer eingerichtet vorstellen — 
unzweifelhaft ist es, daß die allerverscbiedensten Eindrücke nacheinander durch 
ebendieselben Leitangselemente der Occipital- bzw. der Temporalrinde zugeführt 
werden. Soweit die Kenntnis der anatomischen Wege es beurteilen läßt, und 
diese Kenntnis bekräftigt es, werden die heterogensten Gesichts- und Klangbilder 
nacheinander auf eben denselben, der Zahl nach relativ sehr beschränkten, 
Leitungsbahnen (nach einmaliger Unterbrechung der Bahn) bis zur Occipital- bzw. 
Temporalrinde geleitet Hier endigen diese Fasern aber nicht in Zellen, sondern 
in einem speziellen Geflecht, das besonders im Occipitallobus als das äußerst 
dichte und verbreitete Vicq n’AzT&*sche Geflecht bekannt ist 1 Die Beachtung 
dieser Einrichtung, die mutatis mutandis im allgemeinen auch bei den übrigen 
Sinnesgebieten angetroffen wird, ermöglicht die Erklärung der Einrichtung der 
Erinnerungsbilder. Ein jeder von außen eingedrungene Reiz verteilt sich in diesem 
Geflecht und erhält auf diese Weise die Möglichkeit, wahrscheinlich in der Form 
eines Spannungszustandes, auf eine äußerst große Menge von diversen Nervenzellen 
einzuwirken ; 1 er wird aber stets, wenigstens in wachem Zustande, bloß von einer 
Nervenzelle (oder einer einheitlichen Zellengruppe) — im Wege der Induktion — 
übernommen; welche Gesetze dabei den Ort der Reizübernahme bestimmen, läßt 
sich auf Grund der weiter unten angegebenen Eigentümlichkeiten nach weisen. Ein 
jeder neuartiger Reiz lagert sich auf diese Weise in eine Gruppe noch unbesetzter 
Nervenzellen. Diese Gruppe wird durch den ersten Eindruck gestimmt und 
verhält sich von da ab als ein Resonator für den aufgenommenen Eindruck; 
der im ganzen Geflecht erklingende Reiz findet blos in der dafür gestimmten 
Gruppe WiederbalL Die Beweise für die Richtigkeit dieser Annahme liegen 
klar zutage; ich halte dafür, daß eine nähere Begründung für solche, die mit 
der Lokalisationslebre der Hirnrinde vertraut sind, unnötig ist Aber auch die 
psychologische Beobachtung beweist die Wahrheit dieser Theorie; eine jede 
Wahrnehmung wird einzeln aufgenommen, ihr Erinnerungsbild muß einigemal 
gestimmt und neugestimmt werden, bis es die Erinnerung festhält Diese Tat¬ 
sache ist schon ein sicherer Beleg für die materielle und sogar enge Lokalisation 
eines jeden einzelnen Erinnerungsbildes, da der Erfolg der wiederholten Reizung 


* An anderen Windungen wird (wie bei Cajal) dae analoge Geflecht als das Bail- 
LABGsn’sche oder GBinraBi’sche (motorische Rinde) Geflecht bezeichnet. 

* Man maß annehmen, daß in diesem Geflecht die Enden der einzelnen Makularfascrn 
isoliert ausgebreitet sind; hierauf deuten gewisse Ausfallserscheinungen, noch mehr aber die 
bis dahin gewiß isolierte Znleitnng dieser Nervenfasern. 


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sonst kaum zu verstehen wäre. Als eine zweite Erscheinung der materiellen 
Impression (Stimmen) ist das Vergessen zu deuten: bei einem ungenügenden 
oder wenigstens für die Dauer ungenügenden Stimmen verliert die Zellgruppe 
ihre Stimmung, sie kehrt wieder in ihren ursprünglichen leeren Zustand zurück. 
Vom anatomischen Gesichtspunkt spricht die große Anzahl selbständiger Nerven¬ 
zellen ganz entschieden für die materielle Lokalisation einer jeden Wahrnehmung, 
freilich können die pathologischen Befunde nur in großem als Beweise heran¬ 
gezogen werden; Erkrankungen, die auf Zellen oder enge Zellgruppen scharf 
beschränkt sind, kommen äußerst selten vor und die klinischen sowie anatomisch- 
technischen Mittel zu deren Nachweis sind gleichfalls ungenügend. 

Wollen wir nun die nähere Beschaffenheit des sensorischen Erinnerungs¬ 
bildes klar machen, so müssen wir zunächst die wichtigen, charakterisierenden 
Eigenschaften derselben von den unwesentlichen trennen. 

Das Gebiet der Wahrnehmung optischer Eindrücke scheidet der geistreiche 
Forscher Wilbband in zwei Abteilungen: in ein Wahrnehmungsfeld und in ein 
Erinnerungsfeld. Ich denke, daß man nur durch Erinnerungsbilder wahrnehmen 
kann, entweder durch Neubelebung schon vorhandener oder durch Aufnahme 
neuer, sonst gibt es kein Wahrnehmen. Es ist undenkbar, daß man optische 
Eindrücke zuerst in ein Wabrnehmungsfeld deponiere und dieselben erst später, 
in zweiter Keihe in den Erinnerungsfeldern aufspeichere. Wilbrand sondert, 
gewiß mit Recht, die Licht- und Farbenperzeption als wenigstens in der 
Intensität nicht ganz wesentliche Bestandteile der Erinnerungsbilder; in der Tat 
macht es uns gar keine Schwierigkeiten, auf einer einfarbigen Reproduktion be¬ 
kannte, in Wirklichkeit farbige Gegenstände sofort zu erkennen, ja ihre Farb¬ 
losigkeit stört uns nicht im mindesten. Ebenso hat die Beleuchtung, der 
Schattenwurf keinen wesentlichen Einfluß auf das Erfassen der Erinnerungsbilder. 
Ich glaube also, daß man diese Elemente der Wahrnehmung — ähnlich der 
Tonhöhe (Höhe des Diapasons) der Gehörseindrücke — als allgemeine Eigen¬ 
schaften der Perzeption betrachten muß, keineswegs gehört aber in diese Kategorie 
die Formempfindung. Die Form ist von den speziellen optischen und anderen 
Erinnerungsbildern nicht zu trennen. Nach der LisSAUER’scben Theorie wäre 
diese Formempfindung oder Raumvorstellung ein Resultat mehrfacher Faktoren, 
insbesondere der Vereinigung der optischen Eindrücke mit der Tätigkeit der 
Centren der Augenbewegungen. Dieses sogen. „Abtasten der Objekte mit den 
Augen“ hat mit der Formempfindung nichts zu tun, erkennen wir doch auf 
einen Blick, ohne Bewegung der Augen (ja trotz vollkommener externer Augeu- 
muskelläbmung) die Gegenstände. Es ist ganz unnötig, den Begriff der Er¬ 
innerungsbilder komplizierter zu gestalten, als sie nach allen Erfahrungen er¬ 
scheinen. Andererseits dürfen die Erinnerungsbilder auch nicht kurzweg mit 
Photographien verglichen werden, die visuellen Erinnerungsbilder besitzen 
in ihrer Form eine gewisse Körperlichkeit, Dreidimensionalität, was einesteils 
durch die Möglichkeit des stereoskopischen Sehens (gleichzeitige Betrachtung 
eines Gegenstandes aus zwei Richtungen), andererseits aber schon durch das 
sofortige Erkennen der Objekte, von verschiedenen Seiten aus betrachtet, er- 


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wiesen ist Wäre es nicht so, dann müßten wir yon einem jeden Objekt un¬ 
zählige Erinnerungsbilder sammeln, wobei man die Identität derselben nur mit 
Mühe erfassen würde. Solange man nur das stereoskopische Bild in Betracht zieht, 
könnte man an die Lokalisation des Bildes in beiden Hemisphären denken und 
die Körperlichkeit als durch gegenseitiges Zusammenfügen beider Eindrücke 
hervorgerufen sich vorstellen (immerhin eine schwer verständliche Erklärung!); 
wenn wir aber erwägen, daß wir uns bekannte Gegenstände von allen Seiten 
her, obzwar sie in immer andersartiger Zeichnung (Form) vor uns stehen, sofort 
erkennen, so ist die Annahme der körperlichen Lokalisierung der Erinnerungs¬ 
bilder in der dreidimensionalen Form der Nervenzelle vollauf begründet. 
Eigentlich wäre es richtiger, von Erinnerungsfigürchen zu sprechen, als von 
Bildern. Daß das stereoskopische Sehen nicht von den Augenmuskeln und vom 
Gefühl ihrer Innervation abhängt, ist ja durch das Stereoskop erwiesen. In 
Fig. 1 gebe ich ein schematisches Bild, wie ich mir diese Einrichtung denke. 
Im Corp. genic. int würden sich die Fasern in zwei Richtungen verteilen, wo¬ 
durch (im Wege über das Corp. callosum) beide Hemisphären mit beiden Maculae 
in Verbindung treten könnten. Weiterhin wäre im Bereich des Vicq d’Azyr- 
Gefiechtes das Erinnerungsfigürchen beim Sehen mit zwei Augen in größerer 
Ausdehnung (ja von verschiedenen Seiten her gereizt), wie beim Sehen mit bloß 
einem Auge. Ich halte es aber für wahrscheinlich, daß die Angriflsfläche des 
Vicq D’AzYB’schen Geflechtes durch wellenförmigen Verlauf, ferner durch eventuell 
eingelagerte Zellsysteme und ihre Ausläufer vergrößert wird. 



Fig. l. 


Über die Lokalisation der optischen Erinnerungsbilder würden die Fälle von 
Seelenblindheit die klarsten Begriffe erteilen, wenn dieser pathologische Zustand 
gründlicher bekannt wäre. Man hat angenommen, daß Seelenblindheit bloß bei 
doppelseitigen Erkrankungen des Occipitalhirns vorkommt. Oppenheim gibt an, 
daß in 20 Fällen 12 mal eine doppelseitige Erkrankung gefunden wurde. Wäre 
nur ein sicherer Fall nacbgewiesen, in dem bloß der eine Lappen erkrankt 
war, so müßte man diese Theorie ohne weiteres aufgeben. Leider ist das Aus¬ 
schließen einer Fern Wirkung oft dem subjektiven Ermessen überlassen und so 
könnte man lange darüber streiten, ob unter den acht zurückbleibenden Fällen (es 
gibt vielleicht deren mehr) doch nicht einer als beweiskräftig anzunehmen wäre. 


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Alles, was wir von den Erinnerungsbildern wissen, soheint dafür zu sprechen, daß 
sie einheitlich, ja nur in einer Hemisphäre lokalisiert sind, sonst müßte ja ein jedes 
Erinnerungsbild für eine jede Gesichtsfeldhälfte eigens lokalisiert sein. Man 
könnte sich auch vorstellen, daß ein Teil der optischen Erinnerungsbilder in der 
rechten, ein anderer Teil in der linken Hemisphäre abgelagert wäre; kaum 
annehmbar erscheint hingegen eine allgemeine doppelseitige Lokalisation derselben 
Bilder. Bei der Beurteilung dieser Verhältnisse darf man eben nicht aus den 
Augen verlieren, daß der cerebrale hemianopische Defekt das wichtigste Wahr¬ 
nehmungsgebiet, die Fovea centralis, wie dies die klinische Beobachtung zumeist 
ergibt, freiläßt und dieses Gebiet eines jeden Auges mit beiden Occipitallappen 
verbunden bleibt, woraus der scheinbare Widerspruch gegen die einseitige 
Lokalisation der Erinnerungsbilder und die angebliche Notwendigkeit der An¬ 
nahme doppelseitiger Läsion bei Seelenblindheit erklärbar wird, ln Munk’s 
E xperimenten, in denen die Einstrahlungen der Sehbahn im Occipitallappen 
beiderseitig zerstört werden mußten, um die Symptome der Seelenblindheit — 
soweit dieselben am Tier erkennbar sind — zu verursachen, wurden eigentlich 
nur die Verbindungen der visuellen Bahnen mit den Erinnerungscentren ver¬ 
nichtet, doch keineswegs allein die Gentren selbst Auch sollte man bei diesen 
Versuchen, noch mehr aber bei hierher gehörigen Krankenbeobachtungen, die 
Hemisphäre, ob die rechte oder die linke betroffen ist, berücksichtigen, denn, 
wenn die visuellen Bilder bloß einseitig lokalisiert sind, so ist es klar, daß eine 
Läsion der anderen Hemisphäre keine Seelenblindheit erzeugen kann. 

Das Einstrahlungsgebiet der wichtigsten Sehbahnen des Makularbündels 
scheint ziemlich groß zu sein, da der ursprüngliche Querschnitt dieses Faser¬ 
bündels, wie dies bereits von Monakow angegeben wird, durch Divergenz der 
Fasern bedeutend vergrößert wird. Der Wirkungskreis sämtlicher Fasern breitet 
sich, unserer Ansicht nach, über den ganzen Umfang des Vioq n’AzYn’schen 
Streifens —, und zwar in beiden Occipitallappen aus. Handelt es sich um eine 
einseitige Läsion ausschließlich der zu diesem Streifen gehörigen Fasern, so 
entsteht eine cerebrale (d. h. im Sehfeld bloß periphere) Hemianopsie mit erhaltenem 
centralem Sehfeld, ohne Seelenblindheit, denn die Erinnerungsbilder können 
von der anderen Seite auch angeregt werden. Da aber nach unserer Auffassung 
bloß die Makularbündel den Vicq D’AzYB’schen Streifen bilden, so ist es be¬ 
greiflich, daß bei kortikalen Hemianopien die Makulargegend gewöhnlich frei 
bleibt. An Fig. 1 kann dieses Verhalten illustriert werden, die Unterbrechung 
der Fasern nach ihrer Zweiteilung ruft keine Hemianopie der Makulargegend 
nach sich. 

Eine weitere interessante Frage wäre, wie groß der Inhalt eines Erinnerungs¬ 
bildes ist und in wie viele Zellen es abgelagert ist. Wenn man versucht, 
durch Nachdenken optische Erinnerungsbilder zu erwecken, so findet man als¬ 
bald, daß ein größeres Objekt aus kleinen Stücken besteht; denkt man z. B. an 
eiue Person, so kann man sich höchstens den Kopf (ja nur einzelne Teile des¬ 
selben) oder eine Hand oder einen anderen Teil derselben auf einmal vorstellen; 
denke ich an ein Gebäude, ein Möbelstück, so muß ich mich mit einzelnen Details 


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begnügen, die ich zwar austauschen, aber nicht gleichzeitig vereinigen kann. Es 
scheint somit, daß die Erinnernngsbildeinheiten ungefähr die Größe eines „Blickes“ 
haben, und wenn wir die Objekte mit unseren Augen „abtasten“, so erhalten 
wir so viele einzelne Erinnerungsbilder, als wir unsere Augen verschieden ein¬ 
stellen mußten. Diese Auslegung erklärt aber vollständig, weshalb wir unsere 
Augen nicht gleichmäßig — wie andere Glieder — bewegen, sondern gleichsam 
mit den Augen von Objekt auf Objekt, von Erinnerungsbild auf Erinnerungs¬ 
bild hinüberspringen. Wir erhalten kein zusammenfließendes optisches Bild, 
sondern eine Art Autotypie, ein Mosaikbild in unserer Erinnerung. Die ganz 
besondere Bedeutung dieser Anordnung erhellt aus der Art der Ablagerung der 
Gehörsbilder, auf die wir nun übergehen. 

Im großen ganzen ist die Einrichtung des Gehörsapparates eine analoge. Auch 
hier finden wir, daß unser Ohr nicht im ganzen Umfange seines Hörgebietes gleich 
scharf differenziert: unter und über den Tönen der Musik liegen nooh viele 
Oktaven von Tönen, die zwar perzipiert werden, doch ungleich schlechter be¬ 
urteilt werden können. Das sichere Vermögen der Bestimmung der Tonintervalle 
in den musikalischen Oktaven hört in den unter- und übermusikalisohen Oktaven 
auf; diese Töne liegen sozusagen im peripheren Hörfeld. 1 Im alltäglichen Leben 
(insbesondere wenn wir von der Musik absehen) gelangt die allergrößte Menge 
der akustischen Eindrücke in der Form der Sprache durch verhältnismäßig 
wenige Fasern des Acusticus in die Rinde (wir sehen hier von der Unterbrechung 
der Bahn im Corp. gen. ext. ab, da höchstwahrscheinlich daselbst keine wesent¬ 
liche Vermehrung der Fasern eintritt, außer der hier ebenso wie in den 
Bahnen des Opticus stattfindenden Zweiteilung der Bahnen). 

Die Gehörseindrücke haben dieselben Eigenschaften, wie die optischen; die 
Tonempfindung (Intensität) und die Empfindung der absoluten Tonhöhe sind 
analoge Qualitäten mit der Empfindung der Lichtintensität und derjenigen der 
Farben in der optischen Sphäre. Sie begleiten jeden akustischen Eindruck, auch 
sind sie keine charakteristisch-wesentlichen Bestandteile der Gehörsempfindungen, 
da das gesprochene Wort, die gesungene Arie sofort erkannt wird, ob sie tiefer 
oder höher, stärker oder leiser erklingt. Das was uns über den Sinn der Ge¬ 
hörseindrücke aufklärt, ist die Klangfarbe, Harmonie und besonders die Reihen¬ 
folge der Intervalle oder der Geräusche (Form in der optischen Sphäre). Die 
elementaren Eigenschaften (Tonhöhe, Stärke) sind also bloß die Attribute des 
Gefühls, sie geben die Art an, wie die Nervenzelle gereizt wird, 
bedeuten aber ni'cht das spezielle Erinnerungsbild (Form in der 
optischen Sphäre, Reihenfolge in der akustischen, Wort, Tonbild). Diese 
elementaren Eigenschaften dürfen nicht als auf gesonderte Gebiete lokalisiert 
aufgetaßt werden, wir dürfen uns nicht etwa vorstellen, daß wir die Tonleiter 
in verschiedenen Zellen abgelagert, ähnlich den Tasten am Klavier, als Er- 


1 Eigentlich entsprechen den aaßermusikaliBchen Tönen die Lichtstrahlen an den beiden 
Enden des Spektrums, physiologisch ist aber der Vergleich insofern möglich, als die sichere 
Perseption anf beiden Gebieten sich auf die mittleren Fasern der Nerven beschränkt. 

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innerungsbilder im Gehirn haben und die Arien uns als Assoziationen dieser 
Elemente in Erinnerung bleiben. 

Um einen richtigen Begriff von der Gestaltung der Erinnerungsbilder der 
Musik zu bekommen, müssen wir die akustischen Eindrücke mit den optischen 
vergleichen. Bei diesem Vergleiche erscheint es zunächst, als ob die Mehrzahl 
der optischen Eindrücke simultane und in sich abgeschlossene Eindrücke wären, 
während die akustischen meistens sukzessiv zusammenhängende, chronologische 
sind, ja wir werden gleich sehen, daß diese Differenz eigentlich nicht besteht, 
denn wir finden ebenso simultane Eindrücke im Bereich der Hörsphäre, wie 
zeitliche im Sehgebiet Die Klangfarbe ist ein Beispiel für den simultanen 
Höreindruck; man erkennt an der Klangfarbe z. B. ein Klavier bereits beim 
Hören eines Tones, der musikalisch noch keinen Sinn hat, oder an einem Wort 
eine bekannte Person; simultaner Eindruck ist ferner die Harmonie, die das 
Analogon mit der Körperlichkeit, Dreidimensionalität der (perspektivischen und 
binocularen) visuellen Bilder darstellt Besonders instruktiv ist aber die Be¬ 
trachtung der zeitlichen optischen Eindrücke. Erblicke ich ein großes Objekt, 
das nicht mehr in ein Blickfeld aufgenommen werden kann, so stelle ich mir 
das ganze aus einer sukzessiv gesammelten Reihe, wie dies bereits oben ange¬ 
deutet war, zusammen. Die einzelnen Bestandteile eines Menschen, eines Ge¬ 
bäudes, die Motive verschiedener Musikwerke werden in Zellengruppen aufge¬ 
nommen, in die sie sukzessiv, gleichsam in gewissen Intervallen eingelagert 
werden; die Dimensionen dieser einzelnen Konstituenten des Erinnerungsbildes 
können vielleicht noch in späteren Untersuchungen exakter bestimmt werden. 
Die akustischen Erinnerungsbilder sind demnach als in Zellgruppen sukzessiv 
aufgenommene Eindrücke aufzufassen. Gelangt ein akustischer Reiz in die 
Hörsphäre, so wird er in eine Gruppe von Nervenzellen aufgenommen, bei 
Wiederholung derselben Impression hallt dieselbe Gruppe von Zellen wieder. Der 
Vorgang beim Wiedererwecken eines Erinnerungsbildes ist eigentlich ganz dem 
optischen gleich; erblicke ich von weitem eine Gestalt, so muß ich abwarten, 
bis mir nähere Details die Gestalt erkennen helfen; auf die gleiche Art erkenne 
ich ein bekanntes Musikstück erst, nachdem mehrere Töne nacheinander er¬ 
klungen sind, oder einen Satz, wenn eine genügende Reihe von Worten bereits 
angegeben wurde. 


Am klarsten aber liegen die Verhältnisse, wenn wir die Lokalisation der 
Worte betrachten. Nicht die einzelnen Konstituenten des Wortes, die Silben, 
die Buchstaben machen die Erinnerungsbilder der Worte aus, hat doch der 
Analphabet keine Ahnung von diesen Gliederungen — es sind vielmehr die 
ganzen Worte lokalisiert, Teile der Sprache, nicht Teile des Wortes. Die Buch¬ 
staben sind eigentlich bloß Zeichen, die die anatomisch-möglichen einzelnen Be¬ 
wegungen der Sprachwerkzeuge versinnlichen. Das Alphabet ist zwar im Gehirn 
des Alphabetkundigen lokalisiert als ein besonderer Erinnerungsbildkomplex, 
welcher aber mit der eigentlichen Sprache nicht zusammenhängt Vergleicht 
man die optischen Erinnerungsbilder mit denjenigen der Worte, so entsprechen 
die Buchstaben den Linien der Form des optischen Erinnerungsbildes; die einzelnen 


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Buchstaben bedeuten ebensowenig die Worte, als einzelne Linien das Wesen des 
Erinnerungsbildes ausmachen. 

Die optischen Erinnerungsbilder sind äußerst zahlreich, unvergleichlich zahl¬ 
reicher als die akustischen, dem entspricht auch die differente Organisation der 
Occipitalrinde gegenüber der der Temporalrinde; in der letzteren ist bloß eine 
schwache Andeutung des auffallenden Geflechtes des Vicq n’AzYB’schen Streifens 
bemerkbar. 

Die eigentliche motorische Rinde hat auch Erinnerungsbilder für sämtliche 
erlernte Bewegungsarten; erlernt man das Klavierspiel, so hat man nicht einfach 
die Fähigkeit, seine Muskeln rascher und kräftiger zu bewegen, eingeübt, — 
denn sonst könnte der Klavierkünstler auch Violine spielen —, sondern man 
hat die betreffenden motorischen Erinnerungsbilder in die betreffende Rinden¬ 
zone eingeprägt Von diesen Erinnerungsbildern aus gelangt der Reiz zu den 
Endungen der Pyramidenbahnen, bzw. zu den BETz’schen Zellen. 

•Eine Frage von ganz besonders prinzipieller Bedeutung ist endlich die, ob 
zur Aufnahme eines jeden einzelnen Erinnerungsbildes eine eigene Zelle oder 
Zellgruppe erforderlich ist, oder ob die Zellen auch mehrere solcher Einheiten 
aufnehmen können. Ich meine, diese letztere Annahme widerspricht allen 
unseren Erfahrungen, sie würde selbst die ganze Lokalisationstheorie über den 
Haufen werfen. Die richtige Erklärung dafür, daß wir Unterschiede zwischen 
den einzelnen Erinnerungsbildern bemerken, daß wir sie vergleichen, in chrono¬ 
logische Ordnung bringen können, kann nur in der isolierten Lokalisation ge¬ 
funden werden. Mit dieser Annahme stimmt aber auch die riesige Anzahl 
der Rindenzellen und die beobachteten Fälle von isolierten Ausfallserscheinungen. 

(Schloß folgt.) 


1 Aus der Poliklinik für Nervenkranke des Herrn Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Mendel (Berlin).] 


2. Zur Ätiologie und spezifischen Therapie 
des Morbus Basedowii nach praktischen Versuchen mit 

Antithyreoidin-Moebius. 

Von Dr. med. Rattner in Berlin, 
ehemaligem Assistenzarzt der Poliklinik. 


Wohl selten hat es ein Krankheitsbild gegeben, dessen Genese so zweifelhaft 
und bis auf den heutigen Tag so heiß umstritten wurde, als jener Symptomen- 
komplex, den man gemeiniglich als Morbus Basedowii (Graves’ Disease der 
Engländer) zu bezeichnen pflegt. 

Da einheitliche Ergebnisse der pathologisch-anatomischen Untersuchung des 
Nervensystems nicht vorliegen, so ist es erklärlich, daß die Theorien über das 
Wesen und die Grundlage dieser Erkrankung weit auseinandergehen. 

Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Auseinandersetzungen dürfte 
es angebracht erscheinen, in Kürze die hauptsächlichsten Erklärungen hier zu 
besprechen. 


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Die Annahme einer Affektion des sympathischen Nervensystems 
hat sehr viel für sich, insofern als sie einen großen Teil der Erscheinungen: 
die Tachykardie, die Dilatation der Gefäße, die sekretorischen und vasomotorischen 
Störungen, die bestehende Disposition zu funktionellen Neurosen usw. sehr wohl 
zu erklären imstande ist. Der erhobene Einwurf, daß ein Teil der Symptome 
auf einen Reiz, ein anderer auf einen Lähmungszustand dieser Nerven hinweise, 
besteht nicht zu Recht, da die Erkrankungen des Nervensystems recht häufig 
eine Kombination von Reiz- und Lähmungssymptomen in demselben Nerven¬ 
gebiete schaffen, ohne daß darin ein Widerspruch zu finden wäre. Gleichwohl 
hat man in vielen Fällen nichts Abnormes am Sympathicus nachzuweisen ver¬ 
mocht und auch die pathologische Deutung der vorhandenen Befunde ist keines¬ 
wegs einwandsfrei, so daß eine andere Erklärung, die centrale (bulbäre) 
Theorie eine Zeitlang als akzeptabeler galt 

Diese Lehre verlegt den Sitz des Leidens in die jene Nervenfunktionen be¬ 
herrschenden Apparate in der Medulla oblongata, wie dies z. B. Herr Prof. 
E. Mendel an der Hand eines pathologisch-anatomischen Präparates, das den 
Hörern seines bekannten Kollegs wohl in Erinnerung sein dürfte, in einem Fall 
nachgewiesen zu haben glaubt. Bei dieser Gelegenheit sei es mir überhaupt ge¬ 
stattet, auf die in der Literatur vorhandenen, leider sehr spärlichen und schwer 
zu deutenden pathologisch-anatomischen Befunde aufmerksam zu machen, wie 
sie in einer kleinen übersichtlichen Arbeit von dem eben erwähnten Autor 1 zu¬ 
sammengestellt worden sind. 

Sehen wir von den Befunden im Hirn und in dessen Häuten (Hyperämien, 
subarachnoidale Ergüsse, Verwachsungen der Dura mit der Schädeldecke, multiple 
Degenerationsherde usw.), von einer abnormen Erweiterung des Centralkanals 
der Medulla spinalis und sonstigen zuweilen im Rückenmark angetroffenen Ver¬ 
änderungen als von zufälligen, vielleicht interessanten Komplikationen, die jedoch 
in eine direkte Beziehung zu der BASEDOw’schen Krankheit keineswegs gebraoht 
werden können, völlig ab, so kommen nur einzig und allein die gefundenen Ver¬ 
änderungen in der Medulla oblongata in Frage, die ohne Zweifel eine größere 
Bedeutung beanspruchen. Aufgeführt seien hier u. a. die Beobachtungen über 
Erweichung der Medulla oblongata (Hammond), Erweichung der Wand des 
IV. Ventrikels und der Rautengrube (Farnbr), Erweichung der von den Oliven 
zu den Vierhügeln aufsteigenden Längsfasern und der Vierhügel (Naumann), 
Erweichung des hinteren Teiles der Medulla (Lookhabd). F. Mülleb fand bei 
seinen genauen anatomischen Forschungen in 3 Fällen am Boden des vierten 
Ventrikels, auch in der Umgebung des Vagus- und Glossopharyngeuskemes 
ziemlich zahlreiche kleine Blutungen bei im übrigen negativem Befund im 
Centralnervensystem. 

Noch auffallender und vielleicht in ihrer Wichtigkeit gar nicht genugsam 
gewürdigt sind jene an Zahl freilich noch sehr geringen Beobachtungen über 
Veränderungen im Corpus restiforme. 

1 BASBDOw’sche Krankheit. Handbuch der patholog. Anatomie des Nervensystems, 
herausgegeben von Flatau, Jaoobsohn und Minob. XXXVI. S. 1348. 

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Wie schon erwähnt, sah Mendel 1 in einem von ihm behandelten Falle 
von langdanernder BASEDOw’scher Krankheit eine Atrophie des linken Corpus 
restiforme. Außer dem Ausfall von Fasern zeigte die histologische Unsersnchung 
keine wesentlichen Veränderungen. 

Ähnliche Veränderungen der Corpora restiformia sind dann noch von Leobe, 

Ksdziob und Zanietowsky 2 beschrieben worden. 

> 

Dieser Ansicht verlieh dann noch Filehne, Dubdufi und Bienfait eine 
experimentelle Stütze dadurch, daß es ihnen gelang, durch Läsion der Corpora 
restiformia (der Durchgangsstation der betreffenden Nervenbahnen) beim Kaninchen 
die 3 Kardinalsymptome (wenn auch nicht immer alle zu gleicher Zeit) künstlich 
hervorzurufen. 

Auch klinische Beobachtungen, so die im Verlaufe der Krankheit sicher be¬ 
obachteten nukleären Lähmungen, Ophthalmoplegien, Zuckungen, Lähmungen 
und Atrophien der Muskulatur, die Meliturie usw. wurden als Stütze dieser 
bulbären Theorie herangezogen. 

Indessen auch die Oblongata-Theorie befriedigt keineswegs, indem einerseits 
bei den verschiedensten Medulla oblongata-Erkrankungen das Fehlen von Basedow- 
Symptomen geradezu Regel ist, andererseits die bisher gemachten Sektionen bis 
jetzt sehr wenig positive Befunde in bezug auf anatomisch nachweisbare Ver¬ 
änderungen der Medulla oblongata ergeben haben. 

Gleichwohl wird man — dies sind Mendel’s eigne Worte — mit Rücksicht 
darauf, daß die erwähnten Befunde einmal noch die verhältnismäßig häufigsten 
im Centralnervensystem sind, und daß andererseits die klinischen Tatsachen nach 
unseren physiologischen Kenntnissen und nach den vorhandenen physiologischen 
Experimenten zu einer Lokalisation der Krankheit in der Medulla oblongata 
drängen, nicht umhin können, zu weiteren genauen Untersuchungen in bezug 
auf jene Gegend dringend aufzufordern. Die häufig gefundenen Blutungen am 
Boden des IV. Ventrikels scheinen jedenfalls darauf hinzuweisen, daß hier ein 
Locus minoris resistentiae ist, und machen es wahrscheinlich, daß schon vor dem 
Eintritt der Blutungen eine gewisse abnorme Beschaffenheit der Gefäße oder des 
parenchymatösen Gewebes oder beider hier vorhanden war. 

Die Annahme einer funktionellen bulbären Störung im Sinne einer Neurose, 
wie man es bei Epilepsie, Chorea usw. anzunehmen sich gewöhnt hat, dürfte 
uns auch nicht weiter führen und nur als eine Umschreibung für einen Zustand 
Geltung haben können, den wir eben noch nicht kennen. 

Gegen die Ansicht einzelner französischer Forscher, die sogar soweit ge¬ 
gangen sind, den Morbus Basedowii für eine Folge der Hysterie, für eine 
Neurose (Chabcot) zu erklären, spricht schon, abgesehen von allem anderen, 
die Konstanz der Symptome. 

In neuerer Zeit ist nun von Gauthieb 3 und 1 Jahr später von 
Möbius eine Theorie aufgestellt worden, die sich unter den zahlreichen Hypo- 

1 Deutsche med. Wochenschr. 1892. Nr. 5. 

* Xeurolog. Centralbl. 1901. Nr. 10. 

* Revue de mödecine. 1900. S. 229. 

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Original frum 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



204 


thesen, welche die Natur der BASEDOw’schen Erkrankung erklären wollen, wohl des 
größten Zuspruches bei der Mehrzahl der Ärzte erfreut. Sie verlegt die Glandula 
thyreoidea in den Mittelpunkt des Krankheitsbildes, von Veränderungen der 
Schilddrüse und ihrer Funktionen das rätselhafte Syndrom ableitend. Nach 
dieser im Jahre 1886 aufgestellten thyreogenen Theorie beruht der Morbus 
Basedowii auf einer primären krankhaften Veränderung der Schilddrüsenfunktion, 
sei es nun, daß gewisse reizende Stoffe in der Glandula thyreoidea abnorm 
reichlich gebildet oder in ungenügender Weise neutralisiert werden. 

Diese Hypothese findet ihre Stütze durch die von der Mehrzahl der Autoren 
anerkannte Tatsache — nur H. Munk hat sich ihr gegenüber bisher völlig ab¬ 
lehnend verhalten —, daß die Schilddrüse ein für den Organismus unumgänglich 
notwendiges Organ ist, welches Stoffe produziert, die er nicht entbehren kann, 
bzw. die Aufgabe hat, giftige Stoffwechselprodukte zu zerstören. 

Möbius selbst nimmt als Ursache eine Störung der Schilddrüsenfunktion 
im Sinne einer Steigerung an, sich dabei auf die klinische Beobachtung be¬ 
rufend, die ihm mit Rücksicht auf den Gegensatz zwischen dem zweifellos aaf 
verminderter oder aufgehobener Schilddrüsentätigkeit beruhenden Myxoedem und 
der BASEDOw’schen Krankheit den zwingenden Beweis für die Richtigkeit seiner 
Auffassung liefert 

Diese Hypothese hat sicherlich etwas sehr Bestechendes, wenngleich man 
auch hier noch die weitere Annahme machen müßte, daß die Schilddrüse 
„nervöser“ Menschen leichter in diesen pathologischen Zustand gelangen kann, 
und daß nervöse Erregungen besonders geeignet sind, dieses Organ zur ver¬ 
mehrten Arbeitsleistung anzuregen. Die experimentellen Versuche, durch Nerven- 
reizung die Sekretion der Glandula thyreoidea anzuspornen, haben freilich zu 
negativen Ergebnissen geführt. 

Höchst auffallend ist jedenfalls der eigentümliche Gegensatz zwischen Morbus 
Basedowii und dem Myxödem (Cachexia strumipriva), der dann auch den Aus¬ 
gangspunkt für die thyreogene Theorie gab; hier die Hypertrophie der Glandula 
thyreoidea, Tachykardie, psychische Reizbarkeit, Hyperidrosis, Erhöhung der 
Körpertemperatur — dort, beim Myxödem, völliger Schwund der Schilddrüse, Puls¬ 
verlangsamung, Indolenz bis zum Stupor sich steigernd, mangelhafte Perspiration, 
subnormale Temperatur. 

Als ätiologisches Moment hätten wir also bei der Basedow-Krankheit einen 
Hyperthyreoidismus, beimMxyödemeinHypothyreoidismus anzusprechen. 

Der sichtlich in die Augen springende Heileffekt der modernen Schilddrüsen¬ 
therapie bei Myxödemkranken scheint mit großer Sicherheit für die Richtigkeit 
des angenommenen Hypothyreoidismus zu sprechen. Folgerichtigerweise müßten 
wir nun aber auch verlangen, daß die Verabreichung von Schilddrüsenpräparaten 
an Gesunde mit der Zeit die Erscheinungen des BASEDOw’schen Symptomen- 
komplexes hervorzurufen imstande wäre. Dieses ist jedoch keineswegs der Fall, 
indem die Fütterung mit Schilddrüsen die Symptome der Krankheit nicht hervor¬ 
gerufen hat. 

Die ganz vereinzelt in der Literatur beschriebenen Fälle, wo nach über- 


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Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



205 


mäßigem Genuß von Schilddrüsentabletten ein Morbus Basedowii sich einstellte, 
können als wohl nicht ganz einwandsfrei kaum als Beweismittel dienen. Mir 
sind Falle bekannt, in welchen die behandelnden Kollegen gerade auf die ver- 
ordneten Thyreoideatabletten hin, so paradox es auch klingen mag, den Rückgang 
der Basedow-Erscheinungen zu konstatieren glaubten. 

Die Annahme einer einfachen (quantitativen) Überfunktion der Schilddrüse 
als Ursache des BASEDOw’schen Leidens läßt sich nicht halten. Daher hat denn 
auch Möbius neben einer einfachen Steigerung, der Hyperthyreoidisation, eine 
qualitative Änderung der Schilddrüsentätigkeit, eine Dysthyreoidisation an¬ 
genommen. Man hätte dann also an ein durch die perverse krankhafte Tätig¬ 
keit der Thyreoidea gebildetes „Basedow-Gift“ zu denken, das, von der Drüse 
her dem Blntstrom zugeführt, eine Intoxikation des Organismus, speziell des 
Nervensystems, zu bewirken imstande wäre. 

Der möglicherweise in dem Pons und in der Medulla oblongata gelegene 
centrale Apparat, dessen ich bei Besprechung der Oblongata-Theorie Erwähnung 
tat, würde dann als ein Locus minoris resistentiae für das Basedow-Gift zu 
gelten haben, wodurch also eine Brücke zwischen diesen organischen Erklärungs¬ 
versuchen und der modernen Hypothese geschlagen wäre. 

Solange wir nun keine sicheren Kenntnisse über die physiologische Be¬ 
deutung der Schilddrüsentätigkeit besitzen und nicht in der Lage sind, uns auf 
dem Wege des Experimentes in die Wirkung jenes fraglichen Basedow-Giftes 
nähere Einsicht zu verschaffen, werden wir nicht umhin können, zur Entscheidung 
der ätiologischen Frage, da uns Physiologie und Anatomie im Stiche lassen, die 
Therapie heranzuziehen, um ex juvantibus unsere Rückschlüsse zu ziehen und 
so unsere Kenntnisse zu erweitern. 

Dieser Umstand war es denn auch, der mich veranlaßt hat, die moderne 
Behandlungsmethode des Morbus Basedowii mit Antitbyreoidinserum zu er¬ 
proben und einer Kritik zu unterziehen, nachdem mir durch meinen hochver¬ 
ehrten Lehrer und Chef Herrn Prof. Mendel, dem ich an dieser Stelle meinen 
ergebensten Dank dafür ausspreche, aus seinem großen Material einwandsfreie 
Fälle zur Nachprüfung und von der Fabrik Versuchsquanten in ausreichender 
Menge zur Verfügung gestellt worden waren. 

Von der Erwägung ausgehend, daß sich im Körper des thyreopriven 
Menschen Giftstoffe anhäufen, deren Neutralisation durch die künstliche Zu¬ 
führung von Schilddrüsensubstanz einwandsfrei nachgewiesen werden konnte, war 
man nach den Arbeiten von Ballet, Enbiquez, Lanz u. a. zu der Annahme 
gelangt, das Kachexiegift dem Basedow-Kranken einzuverleiben, um dadurch das 
übermäßig produzierte und pathologisch veränderte Schilddrüsensekret zu einer 
Mehrleistung zu zwingen und so zur Bindung des Basedow-Giftes beizutrageu. 

Injektionsversuche von Serum thyreoidektomierter Hunde und später Er¬ 
nährungskuren mit der Milch thyreoidektomierter Ziegen bei Basedow-Patienten 
wurden mehrfach gemacht und gute Heilerfolge publiziert. 


Die gleichen Überlegungen waren es denn auch, die Möbius veranlaßteu, 
von Mebck in Darmstadt das sogen. Antithyreoidiu herzustellen, das aus dem 


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Original fram 

UMIVERSITY OF CALIFORjy 



206 


Blote von Hammeln gewonnen wird, denen etwa 6 Wochen vor dem ersten 
Aderlaß die Schilddrüse exstirpiert wurde. Dasselbe enthält zur Konservierung 
einen Zusatz von 0,5 °/ 0 Karbolsäure und wird in verschlossenen Gläsern zu 
10 ccm in den Handel gebracht. 

Im folgenden gestatte ich mir nun einige Krankengeschichten aufzuführen 
und die im Laufe der Behandlung gewonnenen Ergebnisse übersichtlich dar- 
zustellen. 

I. Frau Bertha W., 33 Jahre alt, Schlossers Ehefrau. Seit etwa 5 Jahren 
bestehen bei der Patientin die ans der ersten Rubrik zu ersehenden Symptome 
der BASEnow’8chen Krankheit. In den letzten 3 Jahren hatte sich das Leiden 
noch erheblich verschlimmert. Besonders Herzanfälle, Zittern und ein plötzlicher 
Schweißausbruch belästigen die Kranke sehr. Ein ausgesprochener Exophthalmus 
ist nicht vorhanden. 

Sonst ist Patientin wohlgenährt, aus gesunder Familie; die lebenswichtigen 
Organe o. B. Im letzten halben Jahr angeblich 14 Pfund abgenommen. 

Patentin ist lange Zeit hindurch mit Brom und Galvanisation des Halses be¬ 
handelt worden, ohne daß ein besonderer Erfolg zu verzeichnen gewesen wäre. 

Seit 27./III. 1905 beseht die Medikation nur darin, daß Patientin jeden 
3. Tag 5,0 Antithyreoidinserum per os erhält. Das Serum wurde in Himbeersaft 
genommen und zwar ohne Widerwillen. Üble, auf das Medikament zurückzuführende 
Einwirkung bei der Einnahme vermochte ich nicht zu konstatieren. 

In der aufgeführten Tabelle I möchte ich versuchen, den Fortgang und Ver¬ 
lauf des Leidens während der Medikation festzulegen und übersichtlich darzu¬ 
stellen. 

Dieser Fall bestätigt die schon von Möbius behauptete Tatsache, daß die 
subkutane Methode sich nicht bewähre. 

Bei der internen Darreichung — es wurden im ganzen 60 g verabfolgt — 
sehen wir in der Tat eine Besserung des MABin’schen Symptoms und der 
Hyperidrosis. Die Herzanfalle lassen nach und Patientin selbst hängt sehr an 
der Medizin, der sie den Erfolg zuspricht 

Im folgenden gebe ich eine tabellarische Übersicht über die weiteren be¬ 
handelten Fälle, um dann erst aus den gewonnenen Daten und Resultaten 
die sich ergebenden Schlußfolgerungen zu ziehen. 

II. Frau Auguste Kr., 52 Jahre alt, Postschaffners Ehefrau. Leiden angeblich 
seit 1903 bestehend mit den sich allmählich entwickelnden Symptomen, nervöse 
Diathese; familiäre Disposition. 

III. Frau Ida Kl., 42 Juhre alt, Malers Ehefrau. Seit 10 Jahren allmählich 
Hals dicker. Seit 2 Jahren Herzklopfen. Körpergewicht von 161 jetzt auf 
119 Pfund zurückgegangen. 

IV. Frau Wilhelmine H., 39 Jahre alt, Schuhmachers Ehefrau. Stammt aus 
angeblich nervöser Familie, seit etwa 4 Jahren Dickerwerden des Halses, das der 
Umgebung auffiel; mußte sehr viel Maschine nähen, was ihr die Ursache ihres 
Leidens zu sein scheint. Augen sind in letzter Zeit größer geworden. Haupt* 
sächlich quält sie das Herzklopfen und übermäßige Schweißsekretion. 

Behandlung bisher: Brom und Galvanisatio colli. Ein 7 wöchentl. Aufenthalt 
in der Klinik in Pankow hat anfänglich eine Besserung, dann aber gar noch 
eine Verschlimmerung ihres Zustandes zur Folge. ‘Im folgenden gebe ich die 
Symptomatologie und den Einfluß der Medikation auf diese. 

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207 


Tabelle I. 


Frau Bertha W„ 33 Jahre alt, Schlossers Ehefran. 



27./III. 3 ./IV. 

3.V. 

10./V. 

Injektion 

15./V. 

Injektion , VT 

16./V. 

Puls 

I 

84 1 68 

80 

68 


1 

76 

Stroma 

(Halsumfang) 

33 32 

32 

härter 

32 


' 31 

! 

Exophthalmus 

Graefe 

Moebios 

Stellwag 

— St. idem 

4- 

4- 

4- 

St. idem 

St. idem 


St. idem 

; 

Psychisches 

Verhalten 

unruhig ruhiger, 
erregt , lebens¬ 
froher 

Verschl., 
sehr un¬ 
ruhig 

ruhiger, 

besser 


i Unruhe 
nur leicht 
angedeut. 

Marie'sch es ! 
Symptom 

+ besser 

4- 

besser 


besser 

Hyperidrosis 

4- schlimmer 

noch 

schlechter 

besser 


besser 

1 

Diarrhoe 

selten nicht mehr 

+ 

besser 


gut 

Appetit 

schlecht St. idem 

St. idem 

gut 


schlecht 

Schlaf 

schlecht besser 

— 

gut 


mäßig 

Menses 

sehr St. idem 

schwach 
seit 

6 Jahren 

St. idem 

St. idem 


St. idem 

Trockenheit 
im Munde 

+ -f 

+ 

4" 

! 

' 

! ! + 

| 

Polydipsie 

4- 4- 

I _L 

4- ; 


i ; 

1 ( . 

T 

Polyurie 1 

i 

+ 8 L. tgl. + 

1 

l 4- 

4- 


2 Liter tgl. 

1 

Ernährungs- . 
zostand 

Seit 

V* Jahren 

14 Pfond 
abgen. 

b Pfand j 
zu¬ 
genommen : 

i 



, 3 Pfund 
zu- 

1 genommen 

Besondere Bo- ! 
merkongen 

! ■ 1 

i 1 1 

i 

1 

, i 

i 

i 

i 

i 

Versuch 
d. Mittel zu 
injizieren 
Schwell., 
Rötung, 
Schmerz an 
Injektions- 
steUe trotz 
aller anti- 
u. asept. 
Kautelen 

Da 

Schmerzen 

zunehmen, 

[Mittel wie¬ 
der per os 
verabfolgt I 

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i 

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208 


Tabelle II. 

Augaste Kr., 52 Jahre alt, Postschaffners Ehefrau. 


!' 

Nach Ge- 

l 

1 


29.111. 

brauch von 

3 x 10 ccm 10./V. 

3./V. 

17./V. 

| 

— — — — - 

- -- - - 

— -- 

— - 

- ---- 

Puls 

152 

112 

112 

116 

Struma 

36,5 

36,5 

36 

35,5, Spur ! 
| weicher l 

Exophthalmus 

Graefe 

Moebius 

Stellwag 

hochgradig 

4- 

4- 

-1- 

1 St. idem 

St. idem 

' St idem i 

1 

Psyche 

Augen- 
schmerzen 
sehr un¬ 
ruhig 

: St. idem 

i 

etwas 

ruhiger 

ruhiger 

| 

i i 

Marie 

4- hoch¬ 
gradig 

1 St. idem 

etwas 

weniger 

i St. idem 
schlechter l 

Hyperidrosis 

+ 

| stärker 

4- 

| besser 

Diarrhoe 

4- 7—8 X 
täglich 

besser 

1 x täglich 

I 4—5 X 
täglich 

Appetit 

gut 

! gut 

gut 

1 gut 

Schlaf 

wechselnd 

gut 

i £Ut 

gut 

Menses 

Menop. 

| Menop. 

Menop. 

Menop. 

Trockenheit im Munde 

1 

4- 

besser 

4- 

4- I 

1 

Polydipsie 

4- 

besser 

4- 

4- 

Polyurie 

Ernährungszustand 

4- 

gut 

2 Liter p. d. 

i 

2 Liter 

i , 

2 Liter 

4 Pfuud ab¬ 
genommen ' 

Besond. Bemerkungen 

i 

s. 

Lues, 

Exanthem 

I 

t 


Subjekt. 
Wohlbefin¬ 
den ;Pat. er¬ 
klärt, daß 
keine Medi-i 
kation bis¬ 
her so gnt 
i getan 

Injekt. 3 x 
schlechter 
vertragen, 
auch hier 
lokale Reak¬ 
tion 

| 1 


19./V. 


124 


2. VI. 


12S 

36 


Obj.: Stid. 

! Subj.: 

I Augen¬ 
sehmerzen 
nachgela&s. 


) St. idem 


St. idem 
2—3 xtgl. 


besser 

besser 


Patientin fühlt sich nach dem Qebrauoh von 5 Fläschchen per os und mehreren Serum¬ 
injektionen erheblioh ruhiger; die Stimmung ist besser. Herzklopfen und Zittern zeitweise 
etwas nachgelassen; Nachlassen der Diarrhoe. 

Tabelle III. 

Frau Ida Kl., 42 Jahre alt, Malers Ehefrau. 


Puls 

Struma 


- 

- - 



29./III. 

6./1V. 

2./V- 

15./V. 

128 

120 

112 

132 

32 (hart r.> 1. 
Lappen) ( 

38,5 

38 

38 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




209 


1 

29./III. ' 

6./IV. 1 

2 ./v. ; 

i 

Exophthalmus i 

l — | 

— , 

— 

Graefe 


— 

— | 

Moebius 

| _ fehlen : 

— 

— 

Stellwag 

— 

— 

- i 

Psyche 

mäßig, erregt 

St. idem etwas ruhiger! 

t 

Marie 

+ 

i 

St. idem 

I 

Hyperidrosis 

4- 

weniger 


Diarrhoe 

3—20 X tägl. 

besser 


Appetit 

gut 

gut 

1 

Schlaf 

schlecht 

besser 

. 

Menses ; 

Klimakterium 

i 

Klimakterium 

> St. idem 1 

Trockenheit im Munde 
Polydipsie 

Polyurie 

Ernährungszustand 
Besondere Bemerkungen 

+ 

4- 

4- 

schlecht 

| 

1 

i 

S Flaschen 

3 Flaschen 


erhalten per os 

1 

erhalten per ob 
u. 2 Injekionen 
nicht besond. 
gut vertragen 1 


15./V. 


Tabelle IV. 

Wilhelmine H., 39 Jahre alt, Schuhmachers Ehefrau. 


Arbeitsfreude 


St. idem 


1 Flasche er¬ 
halten per os 


i 

1 

1 28./III. ' 

41/1V. 

Puls 

’ 120 

112 

Struma 

38 

33 

Exophthalmus 

gering 

] 

Graefe 

4- 

r St. idem 

Moebius 


Stellwag 

1 — 

) 

Psyche 

sehr erregt, 
unruhig 

St idem 

Marie 

+ 

noch stärser 

Hyperidrosis 

4- 

4- 

Diarrhoe 

+ 8—9 X tgl. 

+ 10 X tgl. 

Appetit 

mäßig 

1 

Schlaf 

schlecht 

1 St. idem 

Menses 

, sehr stark 

1 

Trockenheit i. Munde 

! + 

+ 

Polydipsie 

1 + 

+ 

Polyurie 

! + 

U- 

1 

Ernährungszustand 

' früher 118, 
jetzt 95 Pfd. 


Besondere Berner- 

Il 



klingen j 

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»./V. j 

19./V. 

18./VI. 

120 

116 

132 

83 i 

32,5 

| 

33 

St. idem 

! 

St. idem 

, deutlicher 
Exophth. 


etwas ruhiger 

sehr unruhig 


stärker 

stärker ; 


besser 

8—10 x tgl. ! 

> St. idem 


* St. idem j 

1 

| 


1 

Herzklopfen 
besser; sonst 
alles beim 
alten 

keine Gew.- 
zunahme 
Erhielt im 
ganzen fünf 
Flaschen äl 0,0 

1 Monat lang 
ohne jede 
Therapie ge¬ 
wesen 


tftiginal frcm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 






210 — 


Von der Aufführung zweier nachbehandelter Fälle, die einen fast analogen 
Verlauf während der Verabreichung des Serums (per os jeden 2. Tag 1 Teelöffel 
in Himbeersaft) bieten, dürfte hier wohl abgesehen werden können. 

Vergleichen wir die behandelten Fälle hinsichtlich ihrer Reaktion auf das 
genommene Serum, so ist zanächst hervorzuheben, daß die 3 Kardinalsymptome 
des Leidens — Tacbycardie, Struma und Exophthalmus — in sichtbarer ein¬ 
schneidender Weise und dauernd von dem Medikament nicht beeinflußt worden 
sind. In einem Fall zeigt der Puls wohl einen Rückgang von 152 auf 112 
(vgl. Fall II), doch steigt er am Ende der Behandlung wieder auf 128 an, um 
nach Aussetzen der Behandlung wieder die alte Höbe zu erreichen. Vorüber¬ 
gehende Rückgänge in der Frequenz, die auch bei jeder anderen Therapie 
häufig zur Beobachtung gelangen, können als bedeutungslos füglich übergangen 
werden. 


Das Struma bleibt im ganzen auf der Höhe der anfänglichen Cirkumferenz, 
wenn man ein Rückgehen um 1 cm (aber nur während, nicht nach der Be¬ 
handlung) nicht weiter in Betracht zieht. Eine Veränderung in der Konsistenz 
des Kropfes zum Bessern konnte ich nicht konstatieren, nur in einem Fall fühlte 
sich die zuvor sehr harte Schilddrüse nach einiger Zeit weicher an. 

Der Exophthalmus und die 3 Augenphänomene wurden objektiv in keinem 
meiner Fälle günstig beinflußt. 

Die vegetativen Funktionen zeigten ein schwankendes Verhalten, bald eine 
sogar recht erhebliche Besserung, bald wieder eine Verschlimmerung, wie bei 
jeder anderen Medikation in gleicher Weise auch. Nur die Diarrhöe und die 
Hyperidroeis schienen mir häufiger direkt auf das Medikament zurückzugehen, 
als es sonst der Fall zu sein pflegte. 

Günstig beeinflußt wurde in allen Fällen die Psyche der Kranken, welche 
sämtlich auf Befragen angaben, sich „ruhiger, weniger erregt, zufriedener, 
glücklicher“ usw. zu fühlen. 

Auch das Zittern schien, abgesehen von einem Falle, nachzulassen, während 
ich ein völliges Verschwinden dieses Symptoms nicht habe beobachten können. 

Die Schlaflosigkeit schien sich zeitweise erheblich zu bessern; diese Besserung 
hielt jedoch beim Aussetzen des Medikamentes nicht weiter an. 

Eine irgendwie auffallende Tendenz zur Zunahme an Körpergewicht bei 
bestehender Macies vermochte ich nicht festzustellen. 

Während ich also — im Gegensatz zu der Mehrzahl der Autoren, die sich 
mit dieser Materie befaßt haben — eine irgendwie nennenswerte Einwirkung auf 
die objektiven Krankkeitszeichen im ganzen keineswegs habe nachweisen können, 
muß eine Besserung des psychischen Zustandes, der subjektiven Erscheinungen 
überhaupt, so insbesondere eine Beruhigung der Herztätigkeit, durchgängig zu¬ 
gegeben werden. 

Wie verhält es sich nun aber mit der Bewertung des Zustandekommens des 
Effektes? Und haben wir es, selbst den Rückgang organischer Symptome bei 
den von anderen Autoren beobachteten Fällen zugegeben, wirklich mit einer 
„spezifischen Wirkung des Antithyreoidins“ zu tun? 


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Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



211 


Bevor ich auf eine Erörterung dieser problematischen Fragen eingehe, sei 
es mir gestattet, zum besseren Verständnis hier eines interessanteren Krankheits¬ 
falles Erwähnung zu tun. 

Lange, bevor ich meine Versuche mit dem Antithyreoidin-Serum begonnen, 
batte ich auf der weiblichen Abteilung der Poliklinik eine 21jährige Patientin 
aufgenommen, die in wahrhaft klassischer Weise den gesamten Symptomen- 
komplex des BASEDOw’schen Krankheitsbildes darbot. Die Kranke war der 
Typus eines instruktiven Schulfalles, so daß Herr Prof. Mendel auch die Ge¬ 
legenheit wahrnahm, die Patientin den Hörern seines Kollegs vorzustellen. 

Neben den organischen Symptomen ließ auch der Seelenzustand der jungen 
Dame eine abnorme Erregtheit und Reizbarkeit unschwer erkennen. Sie machte 
einen geradezu auffallend hastigen, vergeßlichen, zerstreut unruhigen und scheu 
verlegenen Eindruck, wie er besonders im Gesichtsausdruck und in dem ganzen 
Auftreten deutlich zutage trat Ihre Angaben waren widerspruchsvoll, zum Teil 
ausweichend; ein unglückliches Liebesverhältnis wurde konzediert, das sie für 
den derzeitigen Zustand ihrer Psyche verantwortlich machte. 

Als ich nun seinerzeit die hier beschriebenen Versuche vornahm, entsanu 
ich mich sofort dieser Patientin, um an ihr, als an einem einwandsfreieu 
Basedow-Falle die „spezifische Kraft des Möbius ’schen Medikamentes“ zu er¬ 
proben. So ersuchte ich sie denn schriftlich um eine Vorstellung in der Poli¬ 
klinik, nachdem sie sich V 2 Jahr der Beobachtung entzogen hatte. 

Doch wie groß war mein Erstaunen, als sie sich eines Tages in völlig ver¬ 
ändertem Zustande, bei weitem ruhiger und gesetzter, glückstrahlend und bei 
frischestem Aussehen wieder vorstellte. Der früher selbst dem Laien in die 


Augen fallende Exophthalmus und der dicke Hals waren erheblich (wie auch 
eine vorgenommene Messung ergab) zurückgegangen. Herzklopfen sehr gebessert, 
auch das Zittern hatte nachgelassen. Schon dachte ich daran, daß sie von 
anderer Seite einer spezifischen Behandlung unterzogen worden wäre; doch dem 
war nicht so, des Rätsels Lösung eine viel natürlichere: ein von ihr herbei¬ 
gesehntes, nun zur Tat gewordenes Verlöbnis unter sehr günstigen Bedingungen 
hatte dieses Wunder bewirkt. Medikamente batte sie nicht genommen und 
wollte es auch jetzt nicht wieder tun. 

Dieser Fall redet Bände und bedarf keines weiteren Kommentars; daß er 
nicht gerade vereinzelt dasteht, weiß jeder beschäftigte Arzt. 

Was ich also bei meinen Versuchen trotz eifrigen Bestrebens nicht habe 
voll und ganz konstatieren können, was andere Beobachter zwar gesehen haben, 
nämlich den Rückgang auch objektiver Krankheitssymptome, hier geschah das¬ 
selbe Phänomen spontan unter dem Einflüsse der Autosuggestion, oder wie mau 
sonst jenes unbekannte wirksame Agens bezeichnen mag. 

Wenn es schon an und für sich schwierig ist, die Beziehungen eines 
chemischen' Produktes und dessen Wirkungsweise auf dazu noch funktionelle 
Krankheitserscheinungen näher zu erörtern, weil eben jeder objektive Maßstab zur 
kritisch therapeutischen Bewertung fehlt, so scheint mir dies noch besonders der Fall 


bei diesem so wechselreichen,an nervösen Beschwerden so überreichenKrankheitsbilde. 


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14 * i 'il frcn 

UNIVER5ITY OF CALIFORNIA 



212 


Man muß sich ehrlich gestehen, daß man zumal bei derartigen Experimenten 
vielfach im Nebel wandelt; die Eigenart der Basedow-Kranken bezüglich ihres 
Status nervosus macht es oft unmöglich, die physikalisch-chemische Beinflussung 
von einer, wenn auch unbeabsichtigten, psychischen, d. h. Suggestion genau zu 
unterscheiden; doch theoretische Erwägungen bei diesem genial erdachten Mittel 
und die vielen immerhin günstigen Berichte waren zum Experimentieren sehr 
verlockend und werden es sicherlich auch noch sein. 

Soviel scheint mir jedoch schon jetzt sicher zu stehen, — wenn ich mir auch 
ein definitives Urteil in dieser Frage nicht gestatten möchte —, im ersten 
Enthusiasmus sind wohl die meisten der Lobeserhebungen zu weit gegangen; 
und bei der Kompliziertheit der in solohen Fällen mitepielenden Faktoren ist 
eine irrige Deutung, insbesondere eine Verwechslung im Sinne des post hoc, 
ergo propter hoc ja nur zu leicht möglich. 

Inwieweit nun bei der Beurteilung der Wirkungsweise des Basedow-Serum 
die direkte chemische Beinflussung des kranken Organismus, die an und für sich 
erweckte Suggestion — die eigentlich ganz nie von der Hand zu weisen ist — 
oder eine gerade besonders günstige Disposition des Menschen zum Erfolge ver¬ 
halt, dies mit Sicherheit zu entscheiden, dürfte ein Dilemma sein, über das man 
sobald nicht hinwegkommen wird. Ganz richtig sagt auch u. a. Hempel , 1 daß 
das subjektive Moment bei der Behandlung nicht anszuschalten sein dürfte, 
wenn es sich nicht gerade um Patienten handelt, die, wie im Falle Schultes,* 
in vollständig verworrenem Zustande in die Behandlung treten. 

Ob, nach der bisher vorliegenden Literatur zu urteilen, die Bekämpfung 
der Basedow ’schen Krankheit mit Präparaten, die von entkröpften Tieren 
stammen, den richtigen Weg beschritten hat, oder ob es sich hierbei um eine 
vorübergehende Suggestion von Ärzten und Patienten handelt, wage ich zwar 
noch nicht endgültig zu entscheiden, wenn ich auch nach den von mir ge¬ 
wonnenen Resultaten mich eher der letzteren Anschauung zuneigen möchte. 

Daß die von anderer Seite beobachteten zum Teil überraschend günstigen 
Erfolge, die einwandsfreie Autoren uns schildern, möglich waren, ja auch 
sicherlich jederzeit sich werden erzielen lassen, dürfte wohl als sicher hin¬ 
zustellen sein. 

Aber, wenn wir, wie z. B. in dem zuletzt geschilderten Falle, im Anschluß 
an begünstigende Gemütserregungen und schließlich auch im Gefolge einer 
jeden anderen Therapie die nämlichen Erfolge erreichen können, so vermag ich 
eine spezifische Wirkung gerade dieses Medikamentes nicht einzusehen. Eine 
Klärung der umstrittenen ätiologischen Frage ex juvantibus wäre also zurzeit 
leider noch nicht gegeben. 

Da eine dauernde definitive Heilwirkung auch von den wärmsten Befür¬ 
wortern des Mittels nicht hat konstatiert werden können, somit eine über 


1 Ein Beitrag zur Behandlung des Morbus Basedowii mit Antithyreoidin. Aus der 
Unviversitatg-Poliklinik für Hals-, Nasen* und Ohrenkrankbeiten von Prof. Obtmamn in 
Marburg. Münchener med. Wocbenschr. 1906. Nr. 1. 

* Münchener med. Wocbenschr. 1902. Nr. 20. 


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Monate, ja Jahre sich erstreckende Behandlungsdaner notwendig sein dürfte, 
so sei — nnd dies erscheint mir durchaus nicht so unwichtig, schon Möbius 
hat 1901 darauf hingewiesen — auf die enorme Höhe des Preises (10 ccm 
kosten 6 Mark) aufmerksam gemaoht, der selbst bei Bemittelten eine depri¬ 
mierende ßeaktion möglicherweise hervorrufen könnte. 

Zum Schluß sei noch bemerkt, daß Störungen durch Verabreichung des 
Basedow-Serums nicht vorgekommen sind; nur die subkutane Injektion wurde, 
wie Möbiu8 1 bereits beobachtet, nicht gut vertragen. Übrigens hatte schon 
Möbius selbst seinerzeit aus seinem Zweifel .keinen Hehl gemacht, indem er 
an einer Stelle ausruft: „Ob eine Heilung zu erreichen sei? Ich halte es für 
zweifelhaft“, ein Ausspruch, den ich übrigens in der gesamten nachfolgenden 
Literatur an keiner Stelle vorfand. 

Irgendwelche idiosynkrasische Reaktionen kamen bei meinen Kranken nicht 
vor; auch bei vorübergehenden Magen-Darmstörungen wurde das Mittel gut ver¬ 
tragen. Eine Beeinträchtigung des Appetits konnte ich auch nie konstatieren. 

Da somit das vornehmste Postulat pharmakologischer Denkungsweise, 
„primum est nihil nocere“ nicht überschritten wird, und immerhin einige Er¬ 
folge vorhanden sind, so kann behufs weiterer Sicherstellung der nun einmal 
angeregten Frage — ob nun in positivem oder negativem Sinne — zu weiteren 
Versuchen nur angeraten werden. 


n. Referate. 


A natomie. 

1) Eine Methode sur Bestimmung des 8ohftdellnhaltes und Hirngewiohtes 
am Lebenden, von Beck. (Zeitschr. f. Morphologie u. Anthropologie. X.) 
Bef.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Verf. gibt eine ausführliche Darstellung der von Bieg er angegebenen Methode 
der „Kephalographie“, durch welche eine annähernd genaue Bestimmung des Hirn¬ 
gewichtes am lebenden Menschen ermöglicht wird. 

Die Methode beruht auf einer graphischen Darstellung bestimmter durch den 
Hirnschädel gelegter Ebenen. Mit Hilfe eines Bingbandes werden zunächst zwei 
Horizontalebenen fixiert, von denen die erste über die beiden oberen Augenhöhlen¬ 
ränder und die Protuberantia occipitalis externa, während die zweite 3 cm höher 
genau parallel zu jener verläuft. Ferner werden die größte Sagittalebene und drei 
Frontalebenen bestimmt, deren Fußpunkte in der unteren Horizontalebene an leicht 
auffindbaren, stereotypen Orten liegen. Mit einem Planimeter läßt sich der 
Flächeninhalt dieser sechB Ebenen leicht in Quadratzentimetern ausdrücken. Die 
Summe der Quadratzentimeter mit 1,5 multipliziert ergibt, wie auf empirischem 
Wege aus dem Vergleich zahlreicher Kephalogramme mit dem faktischen bei der 
Sektion bestimmten Rauminhalt der Schädelhöhlen gefunden wurde, den mutma߬ 
lichen Schädelinhalt in Kubikzentimetern. Aus dem mutmaßlichen Inhalt erhält 
man die Grammzahl des Hirngewichtes dadurch, daß man 10°/ 0 von dessen Kubik¬ 
zentimeterzahl abzieht. 

In mehreren Tabellen vergleicht Verf. deii Kopfumfang mit dem Schädel- 


1 Ober das Antithyreoidin. Münchener med. Wochenschr. 1908. Nr. 4 n. Mitteilungen 
auf der Versammlung mitteldeutscher Neurologen in Jena 1901 . Schmidts Jahrbücher der 
ges. Medizin. CCLXXIll. S. 45. 


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inhalt (Hirngewicht) und er glaubt aus seinen Zahlen folgende Schlösse ziehen 
zu können: 

1. Bei einer Zunahme des Kopfumfanges um 10 mm wächst der mittlere 
Schädelinhalt um 45 cbcra, das entsprechende Hirngewicht um 40 g. 

2. Derselbe Schädelinhalt und entsprechend dasselbe Hirngewicht kann sich 
in Köpfen finden, die hinsichtlich ihres Umfanges eine Differenz bis zu 40 mm 
aufweisen können. 

3. Bei demselben Kopfumfange kann der Schädelinhalt um löOcbcm, das 
Hirngewicht um 135 g schwanken. Ein Schluß aus dem Kopfumfange allein auf 
das Hirngewicht ist nur möglich mit einer Fehlerquelle von 5 bis 6 °/ 0 . Um 
genauere Zahlen zu gewinnen, bedarf es nicht nur der Kenntnis einer Ebene, 
sondern deren mehrerer, und för diesen Zweck empfiehlt es sich, nicht aus dem 
Umfange, sondern mittels der Kephalographie den Schädelinhalt zu bestimmen. 


Physiologie. 

2) Über die Funktionen des Kleinhirns, von Hermann Munk. II.Mitteilung. 

(Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. II. 1907.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. berichtet des weiteren über seine Versuche an kleinhirnlosen Tieren 
(vgl. d. Centr. 1906. S. 611) und wendet zunächst seine Aufmerksamkeit dem 
erschwerten und ungeschickten Gehen als Folge des Kleinhirnverlustes zu. Dieser 
Gang ist hüpfend, sprungartig und darin begründet, daß durch die Kleinhirn» 
exstirpation die Art der Gleichgewichtserhaltnng verloren gegangen ist, die beim 
normalen Geben mit den normalen Gehbewegungen der Extremitäten verknüpft ist. 

Neben dem erschwerten Gehen fällt bei kleinhirnlosen Affen bzw. Hunden 
noch auf ein ungeschicktes Greifen, eine Schlaffheit der Extremitäten, die den 
passiven Bewegungen geringeren Widerstand entgegensetzen als in der Norm, 
sowie das Belassen von Wirbelsäule und Extremitäten in einigen unnatürlichen 
Lagen. Mit letzterer Erscheinung befaßt sich Verf. des näheren. Er erklärt sie 
so, daß er als eine Funktion des Kleinhirns eine Tonuswirkung ansieht, welche 
sich auf den Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten beschränkt und nur aus¬ 
schließlich in der Tiefen Sensibilität (nicht in der Hautsensibilität) ihre Quelle 
hat. Diese Funktion ist allerdings keine spezifische Funktion des Kleinhirns (wie 
die feinere Gleichgewichtserhaltung), sondern kommt auch dem Großhirn, dem 
Rückenmark, den Prinzipalcentren, den Markcentren zu. Infolge der durch 
Kleinhirn Verlust bedingten Schädigung der Tiefensensibilität (d. h. 
der Sensibilität der Muskeln, Sehnen, Gelenke, Knochen) werden abnorme Lagen 
der Extremität, die mit abnormen sensiblen Erregungen hauptsächlich von den 
Muskeln, Sehnen usw. und nur wenig von der Haut her verbunden sind, bei¬ 
behalten, wie z. B. das freie Herabhängen der Extremität jenseits des Tischrandee 
an dem auf dem Tisch stehenden Hunde (diese Lage wird vom kleinhirnlosen 
Hunde nicht korrigiert!). 

3) Further observations upon the funotions of the thyreoid and para- 
thyreoid glands, by Swale Vincent and W. A. Jolly. (Joum. of Physiol. 
XXXIV. Nr. 4 u. 5.) Ref.: Blum (Nikolassee-Berlin). 

Die Verff. haben schon in einer früheren Arbeit die Ergebnisse ihrer Unter¬ 
suchungen der Funktion der Schild- und Nebenschilddrüse niedergelegt (vgl. d. 
Centr. 1905. S. 764). 

Die vorliegende Abhandlung bestätigt noch einmal die damals gemachten 
Erfahrungen. Hinzuzufügen wäre nur, daß die Verff. diesmal ihre Untersuchungen 
auch auf den amerikanischen Dachs ausdehnten und fanden, daß auch bei diesem, 
einem ausgesprochenen fleischfressenden Tier, die Entfernung der Schild- und 
Nebenschilddrüse gar keinen Einfluß ausübte. 

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4) La rata du ohien apres l’ablation oomplete de l'appareil thyreo-para- 
thyreoidien, parV.Massenti. (Arch.it&LdeBioL XLV. 1906.) Ref.: H.Levi. 

Yerf. hat bei einer größeren Anzahl von Hunden, bei welchen vollständige 
Entfernung der Schilddrüsen und Nebenschilddrüsen vorgenommen worden war, 
die Milz einer genaueren Untersuchung unterworfen. Er kommt zu dem Schluß, 
daß beim Hund nach dieser Operation konstant in der Milz eine sklerotische 
Bindegewebswuoherung auftritt, die um so stärker ist, je länger das Tier die 
Operation überlebt Zugleich tritt eine Atrophie des Organes ein. Von einem 
vikariierenden Eintreten der Milz für die ausfallende Schilddrüse könne demnach 
keine Rede sein. 

5) Giandoles parathyroidiennes et eonvulsions, par Alquier. (Gazette des 
höpitaux. 1906. S. 1627.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf, der selbst auf dem Gebiete der Parathyroidektomie gearbeitet hat 
(vgl. auch die Inaug.-Dissertation des Verf.’s: Pathogenie de la maladie de Par¬ 
kinson, Paris 1903), liefert unter eingehender Würdigung der Literatur — speziell 
die schönen Arbeiten der Wiener Schule von Biedl, Erdheim, Pineies u. a. 
sind genau berücksichtigt — ein klares vollständiges Bild von dem gegenwärtigen 
Stande unseres Wissens über die Funktion der Nebenschilddrüsen. Wer immer 
sich rasch über diese Frage orientieren will, wird dem Yerf. nur vollen Dank 
zollen können. Der Wert dieses gründlichen Sammelreferates wird dadurch noch 
erhöht, daß Yerf. gelegentlich auch die Ergebnisse eigener Experimente einflicht. 
Bemerkenswert z. B. ist folgender Versuch: Bei einer Hündin, an welcher die 
Thyreoparathyroidektomia completa praktiziert hätte werden sollen, war, wie 
die Obduktion zeigte, eine Nebenschilddrüse dem Messer des Experimentators ent¬ 
gangen. Das Tier hatte sich nach dem Eingriffe vollständig erholt, ging aber 
3 Monate später, als es trächtig wurde, unter eklamptischen Erscheinungen zu- 
gründe. Bei der Nekropeie erwies sich die eine Nebenschilddrüse deutlich hyper¬ 
trophisch. Yerf. gibt auch an, daß er selbst niemals die klassischen Erscheinungen 
der Parathyroidektomie bei Tieren vermißt habe, an welchen die Operation (veri¬ 
fiziert durch histologische Untersuchung) als tatsächlich gelungen bezeichnet werden 
konnte. Die Symptome traten stets innerhalb des 3.—5. Tages auf. 


Psychologie. 

6) The dissooiation of a personality. A biographleal study in abnormal 
psyohology, by Morton Prinoe. (New York 1906, Longmans, Green and 
Comp 570 S.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Das umfangreiche Buch behandelt die Geschichte eines einzigen Falles und 
stellt die ausführliche Bearbeitung einer 1901 veröffentlichten (vgl. Ref. in diesem 
Centr. 1902. S. 612) kurzen Studie dar. Es handelt Bich um eine Yerschwisterung 
von drei Personen in einem Körper, die durch hypnotische Beeinflussung noch 
weiter vermehrt wurden. Die junge Amerikanerin, der Gegenstand jahrelanger 
mühsamer Behandlung und scharfsinnigen Studiums des Verf.’s, war durch die 
drei verschiedenen Persönlichkeiten, die sie beherbergte, in einen Zustand gänz¬ 
licher Anarchie geraten; niemand, auch sie selbst wußte nicht mehr, welches ihr 
eigentliches Ich sei. Sie wurde geheilt dadurch, daß es ihrem Arzte gelang, eine 
vierte Persönlichkeit in ihr zur Entfaltung zu bringen, die die früheren sämtlich 
ersetzte und sich als die wirkliche, bis dahin nicht vorhanden gewesene Miß 
Beauchamp herausstellte. Das Buch liest sich wie ein spannender Roman und 
gibt Szenen von einer Kompliziertheit der Situationen, Verwicklungen, psycho¬ 
logischen Überraschungen und Enttäuschungen, wie sie die Phantasie eines 
Novellisten nicht fesselnder erfinden könnte. 

Die ernste, zurückhaltende, fromme, strebsame Miß Beauchamp (B. I) begab 

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sich wegen verschiedener nenrasthenischer Beschwerden in Behandlung. Hypno¬ 
tisiert (B. II), zeigte sie anfangs nur ein weiter ausgedehntes Gedächtnis als B. I, 
bald aber enthüllte sich eine B. III, die in jeder Beziehung das Gegenteil von 
B. I darstellte: ein widerspenstiger, ungezogener, boshafter und leichtsinniger 
Charakter, der sich den Namen Sally beilegte, von B. I nur mit dem Ausdrucke 
der Verachtung und der Mißbilligung sprach, ihr allerhand Streiche spielte und 
sich zu einer echten zweiten Persönlichkeit auswuchs, die zwar alle Gedanken 
von B. I kannte, daneben aber ihr eigenes Bewußtseins- und Erinnerungsfeld 
hatte. Nach längerer Zeit tauchte im Anschlüsse an eine starke Gemütsbewegung 
plötzlich spontan noch eine B. IV auf, die als Charakter ungefähr zwisohen B. 1 
und Sally stand, mehr weibliche oder besser mädchenhafte Züge aufwies, in ihrem 
Erinnerungskreise zwar die ganze Kindheit und Jugend beherrschte, aber am¬ 
nestisch war für die letzten 6 Jahre ihres Lebens, von dem Moment eines anderen 
Erlebnisses an, das auf ihre Psyche stark eingewirkt hatte. Oie Vermutung, daß 
diese B. IV die eigentliche Miß Beauchamp sei, konnte aber, obwohl manches 
dafür sprach, nicht aufrecht erhalten werden, und es begann nun die „Suche 
nach der echten Miß Beauchamp“, deren Schilderung den ganzen zweiten Teil 
des Werkes ausmacht, und bei der die seltsamsten Überraschungen, Schwierig¬ 
keiten, Verwechslungen usw. eintraten, die sich im einzelnen hier nicht wieder¬ 
geben lassen. Die verschiedenen Ichs mit ihren verschiedenen Erinnerungen lösten 
einander oft in tollem Wechsel ab und brachten die Kranke in die schwierigsten 
Lagen. Manche Spur, die auf das echte Ich hinzuweisen schien, mußte als falsch 
wieder verlassen werden, mancher psychische Synthesenversuch mißlang, bis 
es schließlich Verf. doch gelang, mit Hilfe durch Narkose unterstützter Hypnosen 
und Kombinationen von zielbewußten Suggestionen, B. zustande zu bringen, die, 
von allen vorherigen B. I, B. II usw. ein Stück besitzend, doch keine von all 
diesen ganz ist und nur durch Aufopferung und Auslöschung aller — eine Art 
psychologischen Mordes — zu gewinnen war. Ein Beweis für die Bichtigkeit der 
gefundenen Persönlichkeit ist, daß sie seit über 1 / ] Jahr konstant da ist, ganz im 
Gegensatz zu dem fast unterbrochenen Wechsel der früheren Jahre, und daß sie 
ohne Mühe sich in ihre Umgebung findet und mit den Verhältnissen der Außen¬ 
welt fertig wird, im Gegensatz zu den fortwährenden Konflikten, denen die Teil- 
Persönlichkeiten auBgesetzt waren. B. ist nicht mehr neurasthenisch, nicht mehr 
suggestibel, nicht mehr launisch oder wankelmütigen Temperaments, sondern trägt 
den Stempel der harmonischen Einheitlichkeit und Stetigkeit, der das Merkmal 
geistiger Gesundheit ist. Außer der höchst interessanten Krankengeschichte — 
es ist wohl noch niemals ein Fall mit dieser Gründlichkeit beobachtet und Aus¬ 
führlichkeit dargestellt worden — gibt Verf. bei vielen Gelegenheiten und an die 
Einzelheiten des Falles anknüpfend Betrachtungen über Halluzinationen, Bewe¬ 
gungsautomatismen, Amnesien, die Psychologie der Besessenheit, der plötzlichen 
Bekehrungen und zahlreiche andere Tatsachen des Bewußtsei ns-Lebens, auf die 
durch den Fall der Miß Beauchamp interessante Lichter fallen. Das Ganze, das 
als ein Markstein in der psychologischen Literatur bezeichnet werden kann, ist, 
wie Verf. zum Schluß angibt, nur die Vorarbeit für ein größeres Werk, in dem 
die Psychopathologie als Ganzes behandelt werden soll und den Grenzen des 
Unterbewußten, diesem wichtigsten Probleme der gegenwärtigen Psychologie, noch 
weitere Untersuchungen gewidmet werden sollen. 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Die ätiologisohe Rolle des Vaaomotorenoentrums bei Herzneurosen, 
Morbus Basedowii und Angioneurosen der Haut, von B. Polland. Aus 
der Grazer dermatolog. Klinik. (Centralbl. f. innere Medizin. 1907. Nr. 2.) 
Bef.: Kurt Mendel. 


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Verf. kommt auf Grund seiner Beobachtungen zu folgenden Schlußsätzen: 

1. Es gibt eine Gruppe von meist chronischen Erkrankungen, deren Sym¬ 
ptome eine vorwiegende Beteiligung des Gefäß- bzw. Gefäßnervensystems erkennen 
lassen. Hierher gehören: die Herzneurosen, die paroxysmale Tachykardie, Morbus 
Basedowii, die Angioneurosen der Haut usw. 

2. Die Ursaohe dieser Erkrankungen ist eine abnorm gesteigerte Erregbar¬ 
keit des Vasomotorencentrums in der Medulla oblongata. 

3. Das Zustandekommen der Herz- und Gefäßerscheinungen erfolgt auf dem 
Wege eines Reflexes, der sowohl durch periphere wie centrale (Gehirn-)Reize aus¬ 
gelöst werden kann. 

4. Dazu ist ferner eine Sensibilisierung der Reflexbahnen notwendig; die 
Reflexvorgänge können (wahrscheinlich infolge hemmender Einflüsse seitens des 
Gehirns) nnter Umständen erst nach Ablauf einer gewissen Zeit aufitreten (Spät¬ 
reflexe) und sind nioht streng an den Ort des Reizes gebunden. 

8) Zur Pathologie der Basedowsohen Krankheit; Basedowsohe Krankheit 
und Halsrippen; Basedowsohe Krankheit bei Eheleuten, von M. Bern¬ 
hardt. (Berliner klin. Wooh. 1906. Nr. 27.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Im ersten Falle handelt es sich um eine 27 Jahre alte, 5 Jahr verheiratete 
Frau, nach deren erster schwerer Entbindung eine Schwellung des Halses auftrat, 
aber sich wieder besserte. Nach 2 Jahren bemerkte sie im Anschluß an eine 
Gebärmuttervorfalloperation eine erneute Anschwellung. Die Schilddrüse ist ver¬ 
größert, Halsumfaag vermehrt, Puls 132 pro Minute, Herzdämpfung deutlich nach 
rechts verbreitert, auf dem Manubrium sterni ist gleichfalls eine Dämpfung nach¬ 
weisbar. Gräfe, Stellwag, Moebius positiv. Leichtes Schwitzen, ausgeprägter Tremor 
der Hände. Beim Abtasten der Schlüsselbeingruben fanden sich rechte und links 
vom untersten Halswirbel ziemlich Bteil absteigende, bis unter die Clavicula 
reichende harte Knochenleisten, die auch auf dem Röntgen-Bilde als doppelseitige 
Halsrippen anzusprechen waren. Herztöne rein, keine Lähmungen oder Atrophien 
der kleinen Handmuskeln. 

Wenn auch Verf. keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Basedow und 
Halsrippen anzunehmen geneigt ist, so verdient doch nach den Auffassungen von 
Oppenheim und Marburg, die in der Anwesenheit von Halsrippen bei Syringo¬ 
myelie ein Degenerationszeichen sehen, dieser Fall weitere Beachtung. 

Der zweite Fall zeigt neben Vergrößerung der Schilddrüse einen geringen 
Exophthalmus, positiven Gräfe, Stellwag und Moebius, frequenten Puls. Herz¬ 
verbreiterung, Tremor der Hände; außerdem finden sich tabische Symptome: 
ataktische Gehstörungen, Störungen der Blasentätigkeit, Fehlen der Patellar- und 
Achillessehnenreflexe, Abschwächung der Schmerzempfindung an den unteren Extre¬ 
mitäten , verspätete Sohmerzleitung, Romberg, Ungleichheit der Pupillen, bei er¬ 
haltener Reaktion. Lues wird negirt. 

Interessant ist, daß auch die Frau des Patienten, 32 Jahre alt, seit 2 Jahren 
deutliche Basedow-Erscheinungen darbietet. 

Verf. hält es für möglioh, daß dieselben Ursachen, Überanstrengungen und 
Sorgen, bei Eheleuten das Entstehen derselben Affektion veranlaßt haben können. 

9) Zur Pathologie der Sklerodermie und des Morbus Basedowii, von Korn¬ 
feld. (Wiener med. Presse. 1906. Nr. 14 u. 15.) Ref.: Pilcz (Wien). 

31jährige, nicht belastete Frau. Beginn des Leidens vor etwa einem Jahre. 
Patientin bemerkte, daß sie in den Fingerspitzen auffallend leicht fror, und daß 
dieselben sich violett verfärbten unter Gefühl von Taubsein und Kribbeln. Im 
Verlaufe der folgenden 2 Monate werden die Finger blaß und starr, die Haut 
wurde verdickt, hart, glänzend, Beweglichkeitseinschränkung stellte sich ein; 
heftige Schmerzen in den Knien und Fingern, erhöhte Reizbarkeit, Weinerlich¬ 
keit, die Augen traten mehr hervor. Binnen weniger Wochen entwickelte sich 


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das typische Bild der Sklerodermie an den oberen Gliedmaßen bis zur Oberarm¬ 
mitte, an der Brost und im Gesichte. An Hals, Bauch, untere Extremitäten 
normale Haut. 

Stat. praes.: Hämoglobin 56. 3 s / 4 Millionen Erythrocyten. Thyreoidea 

nicht vergrößert, doch fühlt man einen klein-nußgroßen Knoten in derselben. 
Starrer Blick. Stellwag +, Gräfe 0. Einschränkung der Konvergenz sehr deut¬ 
lich (Refraktion unverändert). Links Otosklerose. Sehnenreflexe gesteigert (r. > L). 
Sensibilität im allgemeinen intakt. An den sklerodermisohen Partien abgestumpfte 
Tastempfindung, daselbst wird lau alB heiß empfunden, kalt nicht perzipiert. Puls 
ss 100 bis 130, bei leichter Anstreugung schon bis 150. Arteriosklerose 0. 
Universelles Kältegefühl, Kopfschmerzen und quälende Schmerzen in beiden Knie¬ 
gelenken. 

Innerhalb von 10 Monaten Gewichtsabnahme um 12 kg. An den Fingern 
häufig anscheinend Bpontan entstehende höchst torpide Geschwüreben. 

Massage und Thyreoideatabletten (bis 2 Stück pro die), Salol und Pyramidon 
brachten wesentliche Besserung. Verf. will später auch therapeutische Versuche 
mit Thymustabletten und Möb'iusBchem Antithyreoidserum anstellen. 

Im zweiten Teile will Verf., unter Heranziehung der Literatur, Beziehungen 
zwischen der Sklerodermie und dem Morbus Basedowii finden. 


10) Über den Zusammenhang von Sklerodermie mit Morbus Basedowii, 

von Freund. (Wiener klin, Rundschau. 1906. Nr. 35.) Ref.: Pilcz (Wien). 

39jährige, nicht belastete Frau. Beginn des Leidens mit Gelenkschmerzen, 
dann eigenartige Härte und Braunfärbung der Haut. Gleichzeitig Anfälle von 
Herzklopfen, Anschwellung der Schilddrüse. Gelegentlich Durchfälle. 

Stat. praes.: Starke Abmagerung. Haut des Gesichtes und besonders der 
Unterarme bronzefarben, ohne Verdickung. Muskulatur der Lippen atrophisch, 
Pfeifen unmöglich. Stellwag 0, Gräfe 0, Moebius 0. Puls 88. Arme in Supi¬ 
nationsstellung fixiert, Haut an Unterarmen straff gespannt. Weiche Struma, über 
welcher Schwirren zu hören ist. Herz von normaler Größe mit systolischem Geräusche 
an der Spitze. Muskulatur der oberen Extremitäten stark atrophisch. Schweiße 
an den nicht von der Sklerodermie befallenen Hautpartien. Lokale Anschwellung 
der Halsdrüsen. 

Urin hochgestellt, Rosenbachsche Reaktion positiv. HarnstoffauBscheidung 
im Mittel geringer als die von Kocher bei Basedow gefundenen Zahlen. 

Auffällige Besserung nach Phosphormedikation. 

Verf. glaubt auch seinen Fall als Stütze für die Leubesche Theorie vom 
Zusammenhang der Sklerodermie mit dem Morbus Basedowii auffassen zu können. 

11) Über die Basedowsohe Krankheit, von Ha&kovec. (Wiener med. Presse. 

1906. Nr. 49.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Dem Artikel liegt ein auf dem XV. internationalen Kongresse für innere 
Medizin in Lissabon erstattetes Referat des Verf.’s zugrunde. 

Aus den 8 Thesen des Verfi’s seien hier speziell angeführt: 

2. Die Lehre von der thyreogenen Entstehung der Basedowsohen Krank¬ 
heit läßt sich bis jetzt durch keine bessere ersetzen. 

4. Die Versuche des Verf.’s haben gezeigt, daß der Thyreoideasaft, in den 
Kreislauf gebracht, Tachykardie durch Reizung der Acceleransfasern und Herab¬ 
setzung des Blutdruckes durch direkte Schädigung des Herzens, zum Teil durch 
Vasodilatatorenwirkung auch außerhalb des Splanchnikusgebietes erzeugt. 

7. An der Entstehung des Basedowschen Exophthalmus sind mit größter 
Wahrscheinlichkeit mehrere Faktoren beteiligt, Dilatation der retrobulbären Ge¬ 
fäße, stärkere Transsudation in der Orbita uud vielleicht auch stärkere intra¬ 
kranielle Transsudation. Als unterstützend können Erschlaffung der Augen- 


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muskeln, sowie auch eventuell eine reichlichere Ablagerung des retrobulbären 
Fettgewebes in Betracht kommen. 

Von größter Bedeutung sind dabei bestimmte lokale Bedingungen seitens des 
Scbädelinnern und der Kommunikation mit der Augenhöhle. Aus einer Ver¬ 
schiedenheit dieser lokalen Bedingungen und unter Berücksichtigung des Umstandes, 
daß beide Hemisphären in ihrer (Zirkulation eine gewisse Unabhängigkeit haben, 
erklärt sich die Erscheinung des einseitigen Exophthalmus beim Basedow (vgl. dos 
folgende Referat). 

12) Der Exophthalmus bei der Basedowschen Krankheit, von Haökovec. 

(UV jener klin. Rundschau. 1906. Nr. 39—42.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. gibt zunächst einen Überblick über die bisherigen Anschauungen be¬ 
treffe der Genese des Exophthalmus. 

Verf. erinnert des weiteren an den mächtigen Herzstoß, an die Dilatation 
und Pulsation der Kopfgefäße, an die Hyperhidrosis; der Bulbus kann bei der 
Protrusio zurückgedrängt werden, der Exophthalmus variiert mit dem Grade der 
Tachykardie. Die pathologische Anatomie zeigt Kongestiverscheinungen im (Zentral¬ 
nervensysteme (in einem vom Verf. beobachteten Fall bestand auch Hydrocephalus 
internus). Das Verhalten des Blutdruckes ist sehr wechselnd. Verf. bringt fol¬ 
gende Krankengeschichten: 

I. 42jährige belastete Frau, seit 2 Jahren Menopause. Seither Vergrößerung 
des Halses, Glotzauge, Schlaflosigkeit, Schweiße. Puls 130, Stellwag, Graefe, 
Moebius +. Thyreoidin verschlechterte den Zustand, Arsen und Eisen brachte 
ein bischen Besserung. In wenigen Woohen aber erzielte Pulv. suprarenal, (mit 
Kognak) den schönsten Erfolg. Exophthalmus, Struma gingen zurück, PuIb = 84 
bis 90. Blutdruck (mittels Gärtnerschen Tonometers gemessen) auf der Höhe 
der Erkrankung 150 bis 145, nach der Behandlung 110 bis 100 mm Hg. 

1L 41 jährige Frau, seit 3 Jahren Menses unregelmäßig, Herzklopfen, Kopf¬ 
schmerzen, Struma, Schlaflosigkeit, Schweiße, Reizbarkeit. Puls 120, Blutdruck 
100, okuläre Symptome 0, Protrusio 0. 

III. 38jährige Frau. Seit 10 Jahren Herzklopfen, Struma, Reizbarkeit, In¬ 
somnie, Tremores. Puls 150, Blutdruck 105, okuläre Symptome 0. 

IV. 35jährige Frau. Seit 1896 epileptiforme Anfälle. Polydipsie. Seit 
1902 Kopfschmerzen, Menses unregelmäßig, Schweiße, Diarrhöen, Agrypnie, Herz¬ 
klopfen, Struma. Tremor, Exophthalmus angedeutet, ohne andere Augensymptome. 
Puls 132, Blutdruck 110. 

V. 43jährige Frau klagte 1897 über Kongestionen, Unruhe, Zittern und 
ganz eigentümliche, höchst quälende Sensationen in den Gefäßen. Objektiv: Auf¬ 
fallende Labilität der Vasomotoren. Dermographie. Mächtiger' Herzstoß bei 
fadenförmigem Pulse. 1901: Struma. Puls 126, Blutdruck 85. Exophthalmus 0. 

VI. 46jährige Frau. Seit 2 Jahren Unregelmäßigkeiten der Menstruation, 
seit 1 Va Jahren Herzklopfen, Reizbarkeit, Insomnie, Diarrhöe. Andeutung von 
Exophthalmus (1902). Bei Druck auf den linken Bulbus stärkerer Widerstand. 
Puls gespannt, 132, Blutdruck 120 links (!), 85 rechts. 1903 leichter Exoph¬ 
thalmus und Strabismus links. Puls 106, Blutdruck 115 links, 85 rechts. 

VII. 53jährige belastete Frau, seit 2 Jahren Menopause. Seither Struma, 
Herzklopfen, Schweiße; vor einem Monate auch Protrusio, die später zurückging. 
Objektiv: okuläre Symptome 0. Struma, Hyperhidrosis, kräftiger Herzstoß bei 
filiformem Pulse (120), Blutdruck 190 bis 200. 

VIII. 36jährige Frau. Allgemeine „Nervosität“, Herzklopfen, Kopfschmerzen, 
Reizbarkeit, Schweiße, Tremor, mäßiger Exophthalmus. Puls 126 im Stehen, 96 
im Liegen, Blutdruck 120. 

Bezüglich des Blutdruckes deduziert Verf., daß die Fälle mit Exophthalmus 
hohen oder seltener auffallend niedrigen Blutdruck haben, Fälle ohne Protrusio 


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gewöhnlich normalen. Verf. erwähnt Tierversuche, wonach erhöhter Blutdruck 
stärkere Transsudation verursacht Im Spinaschen Laboratorium sah Verf., daß 
sioh experimentell durch hohen Druck und künstliche Vermehrung der Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit eine Protrusio bulbi erzeugen lasse. 

Von allen Erklärungsversuchen der Genese des Exophthalmus befriedigt nach 
Verf. nur die Heranziehung mehrerer Faktoren, Dilatation der retrobulbären Ge¬ 
fäße und stärkere Transsudation in der Orbita, vielleicht auch eine stärkere 
intrakranielle Transsudation. Verf. nimmt an, daß durch Dilatation der Ge¬ 
fäße und einen kräftigen Herzschlag (wenigstens in der ersten Zeit der 
Krankheit) eine stärkere intraorbitale und intrakranielle Trans¬ 
sudation entsteht und durch Dilatation der Carotis, eventuell durch 
Schwellung der Hypophyse, vielleicht, auch noch durob andere lokale, 
angeborene Verhältnisse eine Erschwerung des BlutabfluBses aus der 
Orbita, was zu einer noch stärkeren intraorbitalen Transsudation 
führt 

Verf. führt dann seine Experimente an, wonach intravenöse Injektion von 
Schilddrüsensaft Tachykardie durch Beizung der Centren der Accelerantes bewirkte 
und gleichzeitig Herabsetzung des Blutdruckes durch direkte Schädigung des 
Herzens, teilweise auch durch Vasodilatatoren Wirkung. Die interne Verabfolgung 
von Thyreoidin beim Menschen erzeugt Tachykardie, Schweiße, Tremor, Unruhe, 
Polyurie. Der schädlich wirkende, im Blute cirkulierende Stoff der 
Schilddrüse wirkt vielleicht in spezifischer Weise auf die vaso¬ 
motorischen Centren deB Halsmarkes und der Oblongata; er reizt die 
Nn. accelerantes und die Vasodilatatoren deB Kopfes; ob direkt oder 
erst mit Hilfe von in der Schilddrüse endigenden und auf chemische Reize 
reagierenden, centripetalen Sympathikusfasern, ist nicht bekannt. 

Eine eventuelle Herabsetzung des Blutdruckes erklärt sich durch schädigende 
Wirkung des Schilddrüsensekretes auf das Herz. 

13) Zur Kenntnis einiger seltener Störungen bei der Basedow sehen Krank¬ 
heit, von M. Moese. (Berliner klin. Wochenschrift. 1907. Nr. 1.) Bef.: 

Bielschowsky (Breslau). 

I. Bei einer 38jährigen Frau, die seit Jahren an Morbus Basedowii leidet, 
findet sich rechtsseitiges G raefesches Zeichen, linksseitige Lähmung des Levator 
palpebrae. Durch dieses Zusammentreffen erhält die Theorie, welche das 
Graefesche Symptom in Zusammenhang mit dem Heber des oberen Augenlides 
bringt, eine Stütze. Es ist nach derselben angenommen worden, daß eine tonische 
Kontraktion dieses Muskels unmittelbare Ursache des Phänomens sei. Im vor¬ 
liegenden Falle läßt der Lähmungszustand des linken Muskels den Schluß zu, 
daß es sich auf der rechten Seite um einen Beizzustand desselben Muskels handelt. 
Vielleicht liegt in solchen Fällen eine doppelseitige Affektion der Levatorkerne 
vor. Je nach dem Grade der Erkrankung kann dann ein Reiz- bzw. Lähmungs¬ 
zustand des betreffenden Muskels veranlaßt werden. 

II. Eine 68jährige Frau zeigt starke Basedow-Erscheinungen, ohne daß eine 
Struma nachzuweisen ist. Der beschleunigte Puls ist auffallend unregelmäßig 
Da trotz des Alters der Patientin Zeichen von ArteriosklerosiB fehlen, ist die 
Irregularität des Pulses auf eine Schädigung des Herzens durch den Morbus 
Basedowii zurückzuführen. Unter 128 Frauen mit Basedowscher Krankheit hat 
Verf. allerdings nur den einen Fall von hochgradiger Unregelmäßigkeit der Herz¬ 
tätigkeit beobachtet. 

III. Verf. teilt die Krankengeschichte einer 34jährigen Frau mit, die neben 
Basedowscher Krankheit an spontaner Glykosurie leidet. 


14) Inflytandet af Struma, säraköldt Basedowstruma, 

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un der pubertets- 

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aldern p& l&ngdtillväxt och förbenlngsprooesser. Preliminärt medde- 

lande af Israel Holmgren. (Hygiea. 1906. S.126.) Ref.: Walter Berger. 

Bei Durchsicht des Materiales aus der medizin. Poliklinik im Serafimerlazarett 
in Stockholm fiel es dem Yerf. auf, daß in fast allen Fällen von Struma, besonders 
bei Basedow-Struma, bei im Pubertätsalter stehenden Kranken, diese eine für ihr 
Alter ungewöhnlich große Körperlänge und, wie durch Untersuchung mit Röntgen- 
Strahlen nachgewiesen werden konnte, in ungewöhnlich frühem Alter abgeschlossene 
Verknöcherung der Epiphysenknorpel zeigten; in nur wenigen Fällen, in denen 
keine Basedow-Symptome vorhanden waren, war die Körperlänge gering oder 
nicht ungewöhnlich groß und die Verknöcherung der Epiphysenknorpel war 
weniger vorgeschritten. Daß Aplnsie der Thyreoidea und aus einer anderen Ver¬ 
anlassung entstandene Aufhebung oder Hemmung der Funktion dieser Drüse in 
der Wachstumsperiode das Längenwachstum hemmt und die Verknöcherung der 
Epiphysenknorpel verzögert, ist bekannt. Daß bei vermehrter Funktion der Drüse 
das umgekehrte Verhalten stattfinden mag, ist a priori zu vermuten und wird 
durch die Beobachtungen des Verf.’s wahrscheinlich. Oh die vorzeitige Ver¬ 
knöcherung der Epipbysenknorpel direkt auf vermehrte Funktion der Schild¬ 
drüse zurückzuführen ist, erscheint dem Verf. deshalb als zweifelhaft, es scheint 
ihm, als ob diese eher mit dem Wachstum überhaupt in einem gewissen 
Verhältnisse stehe und bei großgewachsenen Individuen eher eintrete als bei 
kleinen. Man könnte vielleicht annehmen, daß ohne Rücksicht auf das Alter die 
Verknöcherung der Epiphysenknorpel das Längenwachstum abschließt, wenn die 
Körperlänge ein gewisses Maß überschreitet. 

15) Degenöresoenoe mentale et maladie de Basedow, par G. Dromard et 

J. Levassort. (Arch.deneur. XXI. 1906. Nr.21.) Ref.: S.Stier(Rapperswil). 

Das häufige Vorkommen von psychischen Störungen bei Morbus Basedowii 
ist bekannt. Die verschiedenen dafür gegebenen Erklärungen gruppieren sich 
unter folgende zwei Theorien: Nach der einen ist die Psychose Ausdruck einer 
durch die Hyperthyreoidisation erzeugten Autointoxikation; nach der anderen sind 
die psychopatkologischen Erscheinungen Symptome einer neben dem Morbus Base¬ 
dowii und unabhängig von diesem bestehenden Neurose oder Psychose. Die Verff. 
weisen nun darauf hin, daß in zahlreichen Fällen keine der beiden Theorien hin¬ 
reichende Erklärung bietet. So ist eine Autointoxikation auszuschließen, wenn 
die psychotischen Symptome zeitlich lange vor den eigentlichen Basedow-Symptomen 
auftreten. Gegen die zweite Theorie spricht, daß die bekannten typischen Neurosen 
oder Psychosen lange nicht so häufig bei Morbus Basedowii sind, wie psycho¬ 
pathische Erscheinungen überhaupt. Die Verff. erklären die häufige Koincidenz 
der genannten Affektionen damit, daß beide auf dem Boden der degenerativen 
Störung entstehen. Der vorliegende von ihnen ausführlich mitgeteilte Fall spricht 
sehr zugunsten dieser Auffassung. 

51jährige, beiderseits schwer belastete Patientin; in der Kindheit Pavor noc- 
turnus und Enuresis nocturna bis zum 7. Jahr. Immer starke Emotivität und 
Ungleichmäßigkeit; Phobien. Keine Hysterie, kein Alkoholismus. Später Gesichts¬ 
neuralgien. Allmählich exzessive Steigerung der Stimmungsanomalien, jäher 
Wechsel zwischen Heiterkeit und Depression; Drang zu unvernünftigen Handlungen. 
Vor etwa 6 Jahren 2 Jahre dauernde Remission mit leichten Rezidiven während 
Gemütserregung oder Menses. Dann wieder 1 Jahr lang erregter und so fort fast 
alljährlicher Wechsel zwischen melancholischer Stimmung und Exzitation. Etwa 
6 bis 8 Monate nach dem ersten Deutlicherwerden einer psychischen Störung 
kardiovaskuläre Symptome bemerkbar: Tachykardie, lebhafte Carotidenpnlsation, 
Beklemmung; später Struma, Tremor manuum. Kein Exophthalmus. Allmähliche 
Progression sämtlicher Basedow-Symptome. 

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Interessant und für die Annahme einer degenerativen Störung von Bedeutung 
sind hier folgende Momente: 

1. Die psychischen Symptome traten viel früher auf als die somatischen. 

2. Es bestand nicht der geringste Parallelismus zwischen den Basedow* 
Symptomen, die langsam progressiv, und den psychischen Störungen, die deutlich 
intermittierend waren. Beide Reihen wurden vielmehr durch die gleichen Ein¬ 
flüsse, Gemütserregung, Menses, verschlimmert, wie dies erfahrungsgemäß am 
häufigsten bei den desequilibrierten degenerös zum Ausdruck kommt. 

3. Die psychische Störung kann nicht mit irgend einer der bekannten Psy¬ 
chosen identifiziert werden. 

4. Die Anamnese bietet deutliche Zeichen einer degenerativen Anlage. 

16) Case of exophthalmio goltre in a man treated Buocesafully, by W. 

F. Sommerville. (Glasg. med. Journ. LXV.) Ref.: Blum (Nikolassee/Berlin). 

Verf. empfiehlt auf Grund seiner Beobachtung aufs wärmste die strenge Bett¬ 
ruhe in der Behandlung des Morbus Basedowii, und zwar in einer ärztlich ge¬ 
leiteten Anstalt, in der der Kranke dauernd beobachtet werden kann. Verf. be¬ 
schreibt den Fall eines 40jähr. Mannes, den er auf diese Weise bis auf geringe, 
weiterbestehende Tachykardie völlig geheilt habe. Er gab nebenbei Thyrodektin. 
später auch Strophantus, 2mal täglich den faradischen und alle 2 Tage 10 Minuten 
lang den konstanten Strom in 5 Milliampere Stärke, Anode auf die vergrößerte 
Thyreoidea, Kathode in den Nacken. 

17) Bt tilfälde af Morbus Basedow! behandlet med blöd og melk af thy- 

reoidektomeret gjed, af F. J. Thrap-Meyer. (Norsk Mag. for Lägevid. 

1905. S. 707.) Ref.: Walter Berger (Leipzig). 

Eine 41 Jahre alte verheiratete Frau, die von einer sehr nervösen Amme mit 
vorstehenden Augen genährt worden war, war nach der Geburt ihres ersten Kindes, 
das sie selbst stillte, im 20. Lebensjahre (im Jahre 1883) nervös geworden, hatte 
Herzklopfen bekommen und schwitzte viel. Nach der Geburt des zweiten Kindes, 
im Jahre 1887, begann sich der Kropf zu entwickeln und wurde immer größer: 
auch der übrige Zustand wurde immer schlimmer, bis die Kranke so schwach und 
hinfällig wurde, daß sie nichts mehr verrichten konnte. Verschiedene medika¬ 
mentöse Kuren hatten nicht geholfen. Blut von einer Ziege, der die Schilddrüse 
exstirpiert worden war, brachte keine weitere Veränderung, nur die Pulsfrequenz 
nahm etwas ab, aber Milch von der Thyreoidea beraubten Ziege brachte entschiedene 
Besserung. Das Befinden der Kranken wurde bald besser, das Körpergewicht 
nahm zu, die Pulsfrequenz nahm bedeutend ab. Am 15. Januar 1905 zeigte sich 
das Herz normal, die Augen waren bedeutend weniger vortretend als früher und 
die Struma war nicht mehr sichtbar. Wenn aber die Kranke die Milch einige 
Tage aussetzte, wurde sie wieder unruhig und die alten Symptome begannen 
wiederzukehren. 

18) Über den heutigen Stand der Therapie der Basedowschen Krankheit, 

von M. Vermes. (Orvosok lapja. 1906. Nr.21.) Ref.: Hudovernig(Budapest). 

Nach einer kritischen Besprechung der Prinzipien, auf welchen die moderne 
Therapie der Basedowschen Krankheit beruht, schildert Verf. folgende Kranken¬ 
geschichte: 

53jährige Frau, nicht belastet, war nie gravid, wurde vor 2 Jahren wegen 
Myoma uteri operiert, wobei eine Neubildung von 7500 g Gewicht entfernt wurde. 
Kurz nach der Operation entwickelten sich rasch die typischen Zeichen der Base¬ 
dowschen Krankheit. Höhenklima ohne Einfluß; Rodagen gleichfalls. Hierauf 
Darreichung von Moebiusschem Serum, Tagesdosis 30 bis 90 Tropfen. Nach 
Verbrauch von 10 Flaschen teils Besserung, teils gänzliches Schwinden der Krank¬ 
heitserscheinungen: Abnahme deB Halsumfanges um 25 mm, des Pulses von 140 
auf 80; Zittern und Hitzegefühl schwanden ganz. 

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19) Herzneurosen and Basedow, von M. Fischer. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1906. Nr. 32.) Ref.: E. Asch. 

Yerf. befürwortet für die Fülle von Herzneurosen, die jeder anderen Therapie 
trotzen, und in welchen eine, wenn auch ganz geringe, Vergrößerung der Thy¬ 
reoidea besteht eine Rodagenkur zu versuchen. Während ausgesprochene Basedow- 
Fälle 8 bis 10 g pro die erheischen, kommt man bei den leichteren Graden von 
Herzerregung mit 3 mal täglich 2 g vollkommen aus. In 4 Beobachtungen waren 
nach 2 bis 3 wöchentlichem Gebrauch die Herzbeschwerden gebessert und es trat 
ein angenehmes Rekonvalescenzgefühl auf. In 3 Fällen wurde eine Verkleinerung 
der Struma konstatiert 

20) Bin Beitrag sur Behandlung des Morbus Basedowü mit Antlthyreoid- 
serum (Moebius), von Dr. J. M. A. Gevers Leuven. (Münchener med. 
Wochenschr. 1906. Nr. 32.) Ref.: E. Asch. 

Das erste Symptom bildete bei der 21jährigen, unverheirateten Dame das 
Ausbleiben der vorher regelmäßigen Menstruation. Bald kamen dann auch die 
übrigen Basedow-Symptome hinzu: Struma, Halsumfang 40 cm, Verbreiterung 
de? Herzens nach links mit systolischen Geräuschen, Tremor des Gesiebtes, der 
Zunge und Hände, Puls 135, Exophthalmus, Schweiß, Unruhe, erhöhte Patellar- 
reflexe. Nach dem Gebrauch von 90 ccm Antithyreoidinserum war der Zustand 
beinahe unverändert. Eine daran angeschlossene roborierende Behandlung brachte 
allmähliche Besserung, der Tremor schwand, die Struma wurde weicher, der 
Puls ging auf 100 zurück und der Exophthalmus nahm vielleicht eine Spur 
ab; auch trat die Menstruation wieder ein. Immerhin blieb das Befinden sehr 
abhängig von psychischen Einflüssen. Wieweit die Besserung eine Folge der 
spezifischen Behandlung war, ist hier nicht zu entscheiden, da sie erst nach 
dem Aassetzen derselben unter einer roborierenden Therapie eintrat. Schädliche 
Einflüsse oder störende Nebenwirkungen von seiten des Serums wurden nicht 
bemerkt. 

21) Bin Fall von Morbus Basedowü ohne Exophthalmus behandelt mit 
Antithyreoidin Moebius, von Dr. Aronheim. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift. 1906. Nr. 32.) Ref.: E. Asch. 

Während Verf. früher Bchon über zwei Beobachtungen von Morbus Basedowü 
zu berichten wußte, in welchen nach Anwendung des Möbiusschen Antithyreoid- 
serums deutliche Besserung erzielt wurde, teilt er jetzt einen weiteren Fall von 
gleich günstigem Erfolg mit. Es handelt sich dabei um eine 30jährige Frau, bei 
der seit einigen Monaten die Menstruation unregelmäßig wurde und zuletzt aus¬ 
blieb. Seitdem besteht Mattigkeit, Herzklopfen, Angstgefühl, Husten mit Auswurf 
und nächtlichem Schweiß, kleiner, unregelmäßiger Puls (90). Halsumfang 36'/ 2 cm, 
Struma. Im Sputum keine Tuberkelbazillen. Nach Gebrauch von mehreren Dosen 
des Serums trat eine wesentliche Besserung ein, die nach rechts und links er¬ 
weiterten Herzgrenzen waren zur Norm zurückgegangen, die Herzaktion wurde 
wieder regelmäßig, die Zahl der Pulse geringer (80) und die katarrhalischen Er¬ 
scheinungen der Lunge verschwanden. Nur die Struma blieb unverändert. Auch 
nach Aussetzen des Mittels hat die Besserung angehalten. 

22) Beitrag zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit, von Dr. 

Mayer. (Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 49.) Ref.: E. Asch. 

Bei einem 23jährigen Mädchen, welches schon jahrelang ohne Erfolg mit 
den herkömmlichen Mitteln behandelt wurde, bewirkte die Darreichung des Anti- 
thyreoidserums (Möbius) ein sofortiges und dauernd günstiges Resultat. Bei 
einer Gabe von 3 mal täglich 10 Tropfen, steigend um 5 Tropfen bis zu 30 Tropfen, 
besserte sich schon am 3. Tag das Allgemeinbefinden, die Pulszahl ging von 140 
bis 150 auf 100 bis 120 zurück, der Exophthalmus nahm ebenfalls bald ab und 
der Umfang der Struma verminderte sich um 2 cm. Nach 1 / 2 Jahr war der Zu- 


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stand dauernd gut. Kleine, allmählich steigende Dosen haben hier in ganz kurzer 
Zeit die ersichtliche Besserung hervorgerufen. 

28) Serum behandling af Morbus Basedow!, af Yilhelm Magnus. (Norsk 
Mag. for Lägevidensk. 1905. S. 699.) Ref.: Walter Berger (Leipzig). 

In 4 Fällen von Basedowscher Krankheit hat Yerf. die Serumbehandlung 
nach Möbius angewendet und hat in allen gute Erfolge damit erzielt. Er kommt 
nach seinen Erfahrungen und nach den Ergebnissen in den in der Literatur be- 
kennt gewordenen Fällen zu dem Schlüsse, daß diese Behandlung in allen Fällen 
von Basedowscher Krankheit versucht werden m&sse. In einzelnen frischen Fällen 
kann sie an Heilung grenzende Besserung bringen, in schwereren und länger be¬ 
stehenden Fällen bringt sie einen Teil der am meisten beschwerlichen Symptome 
zum Schwinden, wenigstens solange die Behandlung fortgesetzt wird, besonders 
hat sie auf das subjektive Befinden einen günstigen Einfluß. 'Wirkliche Heilung 
kann man nach Yerf. nicht erwarten, wenn man nicht die Schilddrüse operativ ver¬ 
kleinert, aber da diese Operation schwierig und eingreifend ist, zieht er im all¬ 
gemeinen die Serumbehandlung vor, obgleich sie zur Zeit der Mitteilung sehr 
teuer war. 

24) Beitrag zur Behandlung des Morbua Basedow!! mit Antithyreoidin 
(Möbius), vonHeinze. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr.19.) Ref.: R.Pfeiffer. 
Die mit dem Antithyreoidin-Merk gewonnenen Resultate befriedigen so wenig, 

daß die Autoren von weiteren Yersuchen Abstand nehmen wollen. 

25) Die partielle Exstirpation der Schilddrüse als Heilmittel in einem 
Falle Basedowsoher Krankheit, von A. v. Torday. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift. 1906. Nr. 48.) Ref.: Pilcz (Wien). 

31 jährige, nicht belastete Frau. Am Tage nach dem zweiten Partus, der unter 
psychischen Noxen vor sich gegangen war, bemerkte Patientin zum ersten Male 
beginnende Struma und Exophthalmus, doch blieb sie im übrigen beschwerdelos, 
bis sie im Anschlüsse an seelische Erschütterungen, etwa 5 Jahre später, stärker 
erkrankte. Bei der Aufnahme: Schwitzen, Exophthalmus, Stellwag, Graefe, Moebius, 
Struma. Puls 120. Feiner Fingertremor. Patellarsehnenreflexe >. Agrypnie. 
Rodagen, Sympathicusgalvanisation ohne Erfolg. Bald traten auch Diarrhöen auf. 
(Moebius’ Antithyreoidin und Röntgen-Therapie scheint nicht versucht worden 
zu sein, Ref.) 30./I. 1906 Resektion beider Hälften der Schilddrüse. Seither 
zunehmende Besserung. 

Mitte Oktober 1906 außer ganz minimalem Exophthalmus keinerlei Basedow- 
Symptome. Puls 86. Arbeitsfähig. Körpergewicht vor der Operation 45,8, stieg 
im Verlaufe von 3 Monaten auf 61 kg an. 

Sorgfältige Berücksichtigung der einschlägigen Literatur. Wenn das Herz 
bereits angegriffen erscheint, ist die Operation nicht zu empfehlen. Unbedingt 
zu operieren ist, wenn die Struma ein mechanisches Hindernis bildet. Mit der 
Operation soll nicht gewartet werden, bis durch das Leiden der Allgemeinzustand 
schon sehr geschwächt ist. Speziell zu empfehlen ist die Operation dort, wo auf 
anderem Wege nichtB zu erzielen ist. 

26) Beitrag zur Behandlung Basedowsoher Eirankheit mit Böntgenstrahlen, 

von Sklodowski. (Deutsche med. Woch. 1906. Nr.33.) Ref.: R.Pfeiffer. 
Röntgen-Behandlung einer 15jähr. Patientin mit Morbus Basedowii. Rasche 
Gewichtszunahme, Auf hören der übermäßigen Schweißabsonderung und Besserung 
des allgemeinen nervösen Zustandes. Die übrigen Symptome unverändert. In 
jeder Sitzung wurde nur eine Hälfte der Schilddrüse 10 Minuten lang aus 20 cm 
Entfernung bestrahlt. 

27) Angebliohes kongenitales Myxödem bei normaler Sohilddrüse, von 

F. Siegert. (Monatssohr.f.Kinderheilk. 1906. Juni.) Ref.: Zappert (Wien). 
Yerf. hatte auf der Karlsbader Naturforscher-Yersammlung eines Falles Er- 


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w&hnung getan, der die Symptome des Myxödems dargeboten batte, aber bei der 
Autopsie eine normale Schilddröse erkennen ließ. 

Bei der prinzipiellen Bedeutung dieses Befundes veröffentlicht Verf. den Fall 
noch einmal in extenso und gibt in loyaler Weise zu, daß es sich nicht um eine 
Myxidiotie, sondern um einen Mongolismus gehandelt haben dürfte, bei dem das 
Vorhandensein einer Schilddrüse nichts Auffallendes ist. 

28) Über zwei atypische Myxödemfälle, von Doc. Dr. Bernheim. (Jahrb. f. 

Einderheilk. LXIV.) Ref.: Zappert (Wien). 

Der erste der beiden Fälle betrifft ein 20 monatliches Kind mit typisch myx- 
ödematösem Gesichtsausdruck, mit Makroglossie, mit Hautverdickung, mit Idiotie, 
aber von normaler Körpergröße, vorhandener Schilddrüse, zurückgebliebener Knochen¬ 
kernentwicklung. 

Auf Schilddrüsenbehandlung besserte sich das Allgemeinbefinden, der Zahn¬ 
durchbruch, die Stuhlverstopfung, das Körperwachstum, hingegen nicht die In¬ 
telligenz. Die Autopsie — das Kind ging an einer Encephalitis zugrunde — 
ergab eine reichlich Kolloid enthaltende, sonst normale Thyreoidea. Verf. ist 
geneigt, den Fall für eine Mischform von Mongolismus und Myxödem aufzufassen. 

Im zweiten Falle handelt es sich um die Kombination eines Myxödems und 
einer Rachitis, die von pädiatrischer Seite (Siegert.) als unvereinbar bezeichnet 
worden war. 

20) Beitrüge zur pathologischen Anatomie der Kretinengehirne, von Scholz 

und Zingerle. (Zeitschr. f. Heilk. 1906. S. 57 u. 97.) Ref: Otto Marburg. 

Unter dem Einfluß der Störung in der Schilddrüsenfunktion kommt es bei 
Kretinen zu Schädigungen des gesamten Nervensystems, wobei jedoch meist be¬ 
stimmte Partien stärker betroffen erscheinen, während das übrige Nervensystem 
wenig Veränderungen bietet. Es zeigen sich meist Entwicklungshemmungen, aber 
auch Läsionen, die auf entzündliche Veränderungen hinweisen. Die Dura ist ver¬ 
dickt, entzündet. Das Rindengrau tritt gegenüber dem Markweiß entschieden in 
den Vordergrund, die Hirnsubstanz ist im allgemeinen derber; es besteht meist 
Hydrocephalus. Ein einheitlicher Prozeß ist nicht zu finden, weshalb auch die 
klinischen Erscheinungen verschiedene sein werden, die sich dann je nach den 
Störungen des Nervensystems dem charakteristischen Bilde des Kretinismus ein- 
fügen. Die pathologische Anatomie der Kretinengehirne zeigt eine weitgehende 
Übereinstimmung mit jener der Idiotie sowohl makroskopisch als mikroskopisch. 
Asymmetrien der Hemisphären, Sklerosen der Windungen, auffallende Kleinheit 
des Kleinhirnes gegenüber dem Großhirn, Windungsanomalien sind die wesent¬ 
lichsten makroskopischen Charakteristika; mikroskopisch zeigt sich entweder die 
Erscheinung hypertrophischer Sklerose oder Entwicklungshemmungen, während die 
Zellveränderungen, die gelegentlich gefunden werden, wohl ins Bereich akuter 
Läsionen gehören. Dies im wesentlichen das Ergebnis der auf umfassenden 
Literaturstudien und Untersuchung zahlreicher eigener Fälle beruhenden überaus 
dankenswerten Arbeit. 

30) Infantilisme et degönörescenoe psychique. Influenoe de l’höredite neoro- 

pathologique, par Lemos. (Nouveile Iconographie de la Salpetrige. 1906. 

Nr. 1.) Ref.: ErnBt Bloch (Kattowitz). 

Die hereditären Verhältnisse des Kranken sind etwas verwickelt. Die Gro߬ 
eltern väterlicherseits wie mütterlicherseits waren beide Male Vettern ersten Grades. 

1. Mütterlicherseits: Ein Großonkel, zugleich Großvater väterlicherseits 
starb an Apoplexie, ein anderer Großonkel hatte Paralysis agitans. Ein Sohn von 
letzterem war Idiot, mit sämtlichen Degenerationszeichen behaftet, dessen Mutter 
geisteskrank, eine Großtante hypochondrisch, eine andere „nervös', der Sohn einer 
dritten Großtante war schwachsinnig. Der Großvater mütterlicherseits leicht reiz¬ 
bar, Bonderbar. Ein Großonkel hatte Vorliebe für weibliche Handarbeiten. Die 


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Mutter der Kranken war hysterisch, ein Onkel starb mit 18 Jahren, war ein 
Zwerg und konnte nicht gehen. Eine Tante war ein Zwillingskind, starb mit 
6 Jahren, der andere Zwilling war bis zum 9. Jahre gesund, dann stellten sich 
Schwierigkeiten beim Gehen ein, sie kann jetzt nicht mehr sprechen und ver¬ 
schluckt sich häufig. Sie muß gefüttert werden. Ein Oukel wurde nach einem 
Sturz vom Pferde geisteskrank. 

2. Väterlicherseits: Großmutter erkrankte an Dementia senilis. Vater 
in hoher Stellung, aber verschwenderisch, hielt Maitressen usw. Wurde später 
tabisch. Ein Onkel sehr intelligent, aber ebenfalls verschwenderisch, von sonder¬ 
barem Charakter. Eine Tante geisteskrank. 

Der 30 jährige Kranke wurde mit 3 Jahren entwöhnt (!), konnte mit 5 Jahren 
lesen, mit 6 Jahren lernte er englisch, wurde aber so verwirrt dadurch, daß er 
seine Muttersprache, portugiesisch, vollständig vergißt. Ein vollständiger Defekt 
für Sprachen stellt sich auf der Schule heraus. Gedächtnis für Namen und Daten 
gut. Aufnahmefähigkeit und Urteilsfähigkeit sehr gering. Sehr pretentiöses Auf¬ 
treten, sehr rascher Wechsel der Stimmung. Mit 13 Jahren wog er 82 kg. Im 
Jahre 1891 machte er eine Influenza durch, von der er sich sehr schwer erholte. 
In der Rekonvalescenz Furcht, Angst vor der Hölle, ewigem Verdammnis usw. 
Schlaf schlecht, am Tage brütet er vor sich hin. Dann erwacht er wieder aus 
einer Apathie, will sich auf die Politik stürzen, glaubt sich als Redner geboren, 
stellt tausend Projekte, verwirft sie wieder. Anstaltsaufnahme: Größenideen 
wechseln ab mit Selbstbeschuldigungen, hätte einen Menschen getötet, hätte 
onaniert usw. Er hört Stimmen und sieht Flammen. Naoh seiner Entlassung 
macht er große Reisen und verschwendet viel Geld. Wird von neuem in die 
Irrenanstalt aufgenommen, da er aggressiv wird. Man wolle ihn zur Rechenschaft 
ziehen, da er einen Mann getötet habe. Verläßt gebessert die Anstalt wieder, 
macht aber, zu Hause angekommen, sofort einen tätlichen Angriff auf einen Bruder. 
Die Diagnose wurde auf cirkuläres Irresein gestellt. Die nächsten 5 bis 
6 Jahre wechseln diese Zustände ab, ohne daß man sagen könnte, er wäre in der 
Zwischenzeit ganz gesund. 

Status: Obesitas, 166 kg Gewicht, Umfang des Schädels 66 cm, rundes Ge¬ 
sicht, pausbäckig, Nase wenig entwickelt, bartlos. Auf dem Handrücken Grübchen 
wie bei einem gutgenährten Kinde. Genitalien wenig entwickelt, Penis entspricht 
dem eines 5 jährigen Knaben. Gesellschaft von Frauen sehr angenehm, hat aber 
nie den Coitus wegen Kleinheit des Gliedes ausüben können. Hat stark onaniert, 
jedoch behauptet er, nie eine Ejakulation gehabt zu haben. Stimme' weiblich, 
gellend. Kehlkopf wenig hervorspringend. 

Pat. wurde mit roher HammelschilddrÜBe behandelt und nimmt innerhalb 
2 Monaten 32 1 / 2 kg (!) ab. Zugleich wurde Polyurie, leichte Temperatursteigerung 
beobachtet, der Puls stieg von 62 p. M. auf 117 p. M. Verf. stellt die Diagnose 
auf Infantilismus, der kompliziert wird durch Myxödem. 

31) Über marinen Kretinismus, von v. Wagner. (Wiener klin. Wochenschrift. 

1906. Nr. 43.) Ref. Pilcz (Wien). 

Sanitäts- und Rekrutierungsstatistiken ergaben in übereinstimmender Weise mit 
den Angaben Hirschs, daß die Meeresküsten so gut wie kröpf- und kretinismus- 
frei sind. (Jodgehalt der Luft? Verf.) Gelegentlich einer Studienreise auf den 
quarnerischen Inseln Veglia, Cherso und Lussin fand Verf. die Richtigkeit dieser 
Behauptung quoad strumam bestätigt, beobachtete aber an einem Punkte der Insel 
Veglia eine größere Anzahl von zwerghaften Individuen von kretinistischem Typus, 
ebenso vereinzelte des Kretinismus verdächtige Fälle an anderen Orten dieser 
Inseln. Die Krankheitsgeschichten von 15 Fällen werden in extenso mitgeteilt 
(5 Abbildungen im Texte). 

Die Symptome, welche in den Rahmen des gewöhnlichen Kretinismus hinein- 


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passen, seien hier im Referat übergangen, und nur einige, besonders bemerkens¬ 
werte Punkte hervorgehoben. Gegenüber dem Verhalten des endemischen 
Kretinismus fallt erstens die vollständige Kropffreiheit der Gegend auf, ebenso 
der Umstand, daß die 15 Fälle Beibat ausnahmslos kropffrei waren, ja eher 
(wenigstens nach dem Ergebnisse der Palpation) keine oder nur sehr wenig 
Schilddrüsen hatten. Die Kretins auf Veglia sind ferner alle Zwerge (113,3 cm 
der größte), die Genitalien weisen Entwickelungshemmungen auf, wie sie sich 
gleichfalls beim endemischen Kretinismus nicht in solcher Häufigkeit finden. 
Keiner hatte Gehörs- und Sprachstörungen; die Beeinträchtigung der Intelligenz 
war verhältnismäßig gering oder überhaupt nicht vorhanden. 

Aus all diesen Gründen deduziert Verf., daß es sich hier nicht um echten 
endemischen Kretinismus handelt, sondern daß das gehäufte Vorkommen der¬ 
artiger Fälle an einem Orte anders zu erklären sei. Genauere Nachforschungen 
haben nun als ätiologisches Moment für die Häufung gerade auf diesen Inseln 
Inzucht ergeben. Das gleichzeitige endemische Vorkommen von Albinismus, 
das Verf. gleichfalls an diesen Orten beobachtete, spricht auoh für diese Annahme. 
Inzucht spielt gerade beim eohten endemischen Kretinismus keine Rolle; Kinder 
von Eingewanderten sind viel mehr gefährdet. 

Anhangsweise erwähnt Verf. die sehr interessante Tatsache, daß auf der 
Inäel Sansego Inzucht in hohem Maße gleichzeitig mit starkem Alkoholismus seit 
jeher herrscht (die Kinder trinken Wein, sobald sie aufhören Milch zu trinken); 
gleichwohl fand Verf. daselbst einen kräftigen, gesunden Menschenschlag; kein 
Kretin, kein Zwerg, kein Epileptiker, kein Geisteskranker ist laut Angabe des 
Pfarrers auf der Insel. 


33) Zweiter Bericht über die Behandlung des endemlsohen Kretinismus 

mit SehilddrüsensubBtans, von Wagner von Jauregg. (Wiener klin. 

Wochenschrift. 1907. Nr. 2. S. 33.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf., dem bekanntlich die Thyreoidintherapie beim endemischen Kretinismus 
zu verdanken ist, berichtet nun, nachdem die Beobachtungsdauer einzelner der 
behandelten Fälle auf 5 bis 6 Jahre, bei vielen auf 3 bis 4 Jahre sich erstreckt, 
unter Beibringung zahlreicher detaillierter Krankheitsgeschichten über die Er¬ 
gebnisse dieser Therapie. 

Zunächst seien die allgemeinen Thesen angeführt, zu welchen Verf. auf Grund 
seiner Beobachtungen gelangt. 

Was die Wachsturaserfolge betrifft, so ergibt eine übersichtlich gehaltene 
Tabelle folgendes: 

In der großen Mehrzahl der Fälle ist eine Wachstumsstörung vorhanden, ein 
Zurückbleiben hinter der durchschnittlichen Körperlänge des betreffenden Alters. 
Diese Wachstumsstörung ist um so beträchtlicher, je älter das Individuum ist. 
(Vom 5. Jahre abwärts findet man sogar einen Überschuß der erreichten über die 
zu erwartende Körperlänge, woraus hervorzugehen scheint, daß die Wachstums¬ 
störung in der Regel nicht das erste Symptom des Kretinismus ist, sondern sich 
häufig erst später (4. bis 5. Jahr) einstellt.) 

Das Längen wachstum übertrifft im ersten Jahre der Behandlung fast aus¬ 
nahmslos das durchschnittliche normale Wachstum, häufig sogar sehr bedeutend. 

Die Wachstumsenergie nimmt zwar in den späteren Jahren der Behandlung 
ab, ist aber meist auoh dann noch übernormal oder erreicht wenigstens die Norm. 
Das Wachstum ist in den späteren Jahren nicht immer gleichmäßig; es scheint, 
daß gegen die Pubertätsentwickelung zu ein neuerlicher Anstieg des Wachstums 
Vorkommen kann. Einige weniger günstige Resultate dürften von unregelmäßigem 
oder unterlassenem Einnehmen der Tabletten herrühren, oder von mangelhaften 
Präparaten. (Es kommen auch bei Schafen Kröpfe vor; Schafschilddrüsen, deren 


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• al frei”. 

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einzelne Lappen mehr als 3 bis 4 g wiegen, sollten nicht zur Tablettenerzeugung 
verarbeitet werden.) 

Die Ergebnisse der Behandlung führen Verf. zu folgenden Schlußsätzen: 
Der Kretinismus wird in allen Graden und auch noch in vorgeschrittenem Alter 
(Beobachtungen bis zum 27. Lebensjahre, wie z. B. obs. Nr. 57) durch die Be¬ 
handlung mit Schilddrüsensubstanz günstig beeinflußt. 

Der Erfolg ist um so besser, je früher mit der Behandlung begonnen wird. 

In den leichteren Fällen von (wohl meist erworbenem) Kretinismus, ohne be¬ 
trächtlichere Schädigung des Gehörorganes, kann volle Heilung erzielt werden, 
wenn die Behandlung frühzeitig, d. h. zwischen dem 2. bis 3. Jahre einsetzt. 
Dieser Erfolg ist ein bleibender, d. h. auch dann fortbestehend, wenn nach längerer 
Behandlung die Thyreoidinmedikation eingestellt wird. 

Bei einer Anzahl von schweren Fällen von Kritinismus (meist dürfte es sich 
um angeborenen Kretinismus handeln) gelingt es auch bei frühzeitigem Beginne 
der Behandlung (1. biB 3. Jahr) nicht, einen vollen Heilerfolg zu erzielen. Ob in 
solchen Fällen ein noch früherer Beginn der Kur (mit 6 Wochen, wie bei zwei 
mitgeteilten Fällen, deren einer außerordentlich günstig beeinflußt wurde) zu 
einem vollen Erfolg führen wird, kann Verf. bei der Kürze der Beobachtungsfrist 
noch nicht sagen. 

Sowohl die auf Mittelohr- als auch die auf Labyrintherkrankung beruhende 
Schwerhörigkeit der Kretins wird durch die Behandlung gebessert. Jedoch ist 
dieses Symptom widerspenstiger als die anderen Symptome, und höhere Grade 
der Gehörsstörungen können auch bei Beginn der Behandlung im 2. oder 3. Jahre 
nicht behoben werden. 

Die Behandlung soll also so früh als möglich begonnen werden. Betreffs 
der Diagnose des Kretinismus im 1. Lebensjahre legt Verf. für den angeborenen 
Kretinismus großes Gewicht auf die MakrogloBsie und, wo er vorhanden, auf den 
angeborenen Kropf. Die eigentümliche Nasenbildung ist weniger charakteristisch; 
auch die Kriterien der Hautschwellungen und der bleichen Gesichtsfarbe lassen 
im Stich, da sie, wie sich Verf. überzeugte, in einigen Fällen erst am Ende des 
1. Lebensjahres sich einstellen können. In den Fällen von erworbenem Kretinis¬ 
mus liefern Anhaltspunkte für die Diagnose das Ausbleiben des Geben- und 
Sprechenlernens, später sichern die charakteristische blasse Gesichtsfarbe, die 
Hautschwellungen, die eigenartige Apathie, da6 Ausbleiben bzw. die Verspätung 
des Verschlusses der Fontanelle, des Durchbruches der Zähne, die typische Nasen¬ 
bildung und die Wachstumsstörung die Diagnose. 

Verf. betont, wie ungemein wichtig es wäre, daß die Eltern selbst möglichst 
frühzeitig die Kinder der Behandlung zuführen; die Bevölkerung in Gegenden, 
wo Kretinismus endemisch ist, sollte aufgeklärt werden über die Möglichkeit einer 
Behandlung. 

Aus der reichen Kasuistik, welche Verf. bringt (in der Tabelle findet sich 
z. B. ein Fall Nr. 69 vermerkt) seien, um den Rahmen eines Referates nicht 
zu überschreiten, nur einige wenige, besonders instruktive Fälle hier kurz angeführt. 

Obs. 8. Knabe, zu Beginn der Behandlung sprachunfähiger 2 jähriger Kretin. 
1 Jahr hindurch jeden 2. Tag 1 Tablette. — Schon nach 3 Monaten begann das 
Kind zu sprechen. 1 j i Jahr später sprach es schon so ziemlich seinem Alter ent¬ 
sprechend, war magerer geworden, konnte nach 1 jähriger Behandlung in den 
Kindergarten geschickt werden, war in 4 Jahren um 26 cm gewachsen. Gegen¬ 
wärtig (4 Jahre nach Beginn der Behandlung) frischer, aufgeweckter Knabe, bietet 
absolut nichts Kretinistisches mehr; der Erfolg blieb dauernd, obwohl die Schild* 
drüsenmedikation nur etwas über 1 Jahr fortgesetzt worden war. 

Obs. 52. 2 ] / 2 jähriger sprachunfähiger Kretin, mit weit offener Fontanelle. 
Nach 3 monatlicher Behandlung ( J / 2 Tablette pro die) war die Fontanelle fast ge- 


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schlossen. Das Kind wurde lebhafter, aufmerksamer, begann zu sprechen. Nach 
1 jähriger Behandlung Sprachentwickelung dem Alter entsprechend, — lebhaft, 
gesunde Gesichtsfarbe. 3 3 / 4 Jahre nach Beginn der Behandlung (welche seit un¬ 
gefähr l 1 /, Jahr ganz ausgesetzt worden war) um 32 cm gewachsen, sprioht 
tadellos, ist feinhörig, flink, bietet keinerlei somatische Erscheinungen des Kre¬ 
tinismus (ähnlich lauten die Berichte über obs. 63, 64, 22, 58). 

Obs. 60. 2*/ 4 jähriger Knabe, der noch fast gar nichts spricht. Somatisch 
für Kretinismus wenig Anhaltspunkte (das Kind hört speziell anscheinend gut). 
*/ 2 Jahr nach der Thyreoidinkur konnte das Kind alle Gegenstände seines Ge¬ 
sichtskreises benennen. Nach einem weiteren Jahr sprach der Knabe, wie die 
Hutter meinte, „schon zuviel“. (Es hatte darum auch seit Monaten keine Tablette 
mehr bekommen.) Wachstum während dieser Zeit 3 bis 5 cm (also wenig mehr, als 
em Durchschnitte entspricht). 

Dieser bezüglich seiner Zugehörigkeit zum Kretinismus zweifelhafte Fall gibt 
Verf. zu der praktisch wichtigen Bemerkung AnlaB, daß man auch in derartigen 
Fällen, wenn sie im Bereiche der Endemie sich ereignen, die Schilddrüsentherapie 
anwenden soll, da duroh dieselbe einerseits nie ein Schaden gestiftet werden kann, 
da andererseits das Ausbleiben der Sprachentwickelung das erste Symptom eines 
schleichend auftretenden Kretinismus sein kann, dem sich später — ohne Be¬ 
handlung — andere Erscheinungen desselben angeschlossen hätten. Der Kretinismus 
ist nur in der Minderzahl der Fälle eine angeborene Erkrankung, erst im 1. bis 
2. Jahre, ja manchmal noch später, kommen die Symptome des Kretinismus zum 
Vorschein. 

Obs. 7. Beginn der Behandlung erst im Alter von 7 */* Jahren, hatte erst 
1 1 / 3 Jahr vorher zu sprechen begonnen, sprach sehr mangelhaft artikuliert, hörte 
schlecht, links 103 cm (10 cm < Durchschnitt). Im Laufe der 2 jährigen Behandlung 
ward das Gehör normal, die Sprache artikuliere. Trotz Aussetzens der Behandlung 
machte der Knabe geistig bedeutende Fortschritte; die Wachstumszunahme (während 
der Behandlung 21 cm) betrug (nach Anssetzen der Schilddrüsentabletten) in den 
3 folgenden Jahren nur 13 cm (ähnlich die Fälle 55, 59, 40, 45). 

Die Gehörsstörongen der Kretins, auf welohe Verf. zuerst aufmerksam gemaoht 
hatte, sind nach den Untersuchungen von Alexander (über welche Verf. be¬ 
richtet) durch adenoide Vegetationen, verbunden etwa noch mit Tubenkatarrhen, 
durch Mittelohraffektionen, dann aber auch durch Labyrintherkrankungen be¬ 
dingt Erstere sind viel häufiger; es handelt sich aber um spezifische (duroh 
Thyreoidin beeinflußbare) adenoide Vegetationen, nicht um die banalen, allerwärts 
bei Kindern zu findenden. Viel schwerer und weniger beeinflußbar, wenn auch 
nicht ganz aussichtslos für die Schilddrüsentherapie, sind die Labyrintherkrankungen. 
(Überraschende Besserungen auch in dieser Hinsicht boten die obs. 3, 1, viel¬ 
leicht 61.) 

Einige der mitgeteilten Fälle sind besonders erstaunliche Beispiele für die 
Wachstumssteigerung, namentlich mit Rücksicht auf das Alter, in dem de norma 
das Wachstum sohon fast ganz abgeschlossen ist. So wuchs obs. 56, bei Beginn 
der Behandlung 19 Jahre alt, in den folgenden 3 Jahren der Behandlung um 15, 


7 und 6, also im ganzen um 28 cm; ja das Mädchen hat im letzten Halbjahr 
noch um 2 1 / 2 cm zugenommen. (In diesem Falle ist auch die Entwickelung in 
der Sexualsphäre unter dem Einflüsse der Behandlung sehr bemerkenswert.) In 
einem anderen Falle (obs. 6), der zu Beginn der Behandlung 23 Jahre (!) alt war, 
konnte in den ersten 2 Jahren der Medikation noch eine Zunahme der Körperlänge 
um 8,5, 0,5, 3 und 0,5, also im ganzen um 12,5 cm erzielt werden; ein besonders 
schwerer Fall (auch in psychischer Hinsicht, mit eigenartigen Zwangsvorstellungen, 
unrein mit Urin, im 19. Lebensjahre noch eine bedeutende Versohlimmeruug des 
von Haus ans kretinistischen Individuums) wurde im Alter von 27 Jahren (!) 


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in Behandlung genommen, und wuchs bis zu seinem 29. Jahre noch um 4 cm; 
ebenso war eine Besserung im psychischen Verhalten zu verzeichnen. 

Zwei Fälle (Geschwister) mit kongenitalem Kretinismus, die im Alter von 
2 Jahren, bezw. 10 Monaten der Behandlung zugeführt worden waren, reagierten 
zwar darauf (Beförderung der Zahnung, Fontanellenschluß, Schwinden der Haut- 
schwellung und der Makroglossie), wurden aber psychisch nicht im mindesten be¬ 
einflußt; bei einem 6 Wochen alten Kinde von der Mutter der eben erwähnten 
beiden Fälle, das auch mit Makroglossie zur Welt gekommen war, das die bleiche 
Gesichtsfarbe und die extrem kurze Sattelnase aufwies, wurde sofort die Behandlung 
eingeleitet ( 1 / 1 Tablette pro die). Als das Kind 2 1 / 2 Jahre alt war, hatte es nichts 
Kretinistisches mehr an sich. 

Interessant, nicht allein wegen der günstigen Erfolge der Behandlung, sondern 
auch in ätiologisober Hinsicht sind die obs. 9, 10 (Brüder) und 11, welche das 
Gemeinsame haben, daß die Wachstumsstörung und andere Erscheinungen des 
Kretinismus erst nach Infektionskrankheiten aufgetreten waren. (Bei obs. 9 und 
10 Scarlatina im 1 1 / a ., bezw. 3. Lebensjahre, bei obs. 11 Keuchhusten im 3. Jahre.) 

Bezüglich zahlreicher, anderer interessanter Einzelheiten, welche die ausführlich 
mitgeteilten Krankheitsgeschichten enthalten, muß auf die Originalarbeit ver¬ 
wiesen werden. 

33) Ein Jahr Kretinenbehandlung mit Sohilddrüsensubstanz, von v.Eysselt- 

Klimpöly. (Wiener med. Wochenschr. 1907. Nr. 1—3.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. steht ein Material von 46 Fällen (27 Männer, 19 Weiber) zur Verfügung, 
aus einem mährischen Amtsbezirke, woselbst endemischer Kretinismus herrscht. 
Die Fälle, von v. Wagner selbst untersucht, wurden der Schilddrüsentherapie unter¬ 
worfen, in vierteljährigen Intervallen untersucht, und Verf. publiziert nun nach 
1 jähriger Beobachtungsfrist die Ergebnisse der Behandlung (gleichfalls von 
v. Wagner selbst kontrolliert). 

Die verabfolgten Dosen waren 1 Tablette pro die; in einigen Fällen nur wurde 
nach 6, bezw. 9 monatlicher Behandlung die Dosis auf l 1 /* (in 2 Fällen auf 2) 
Tabletten erhöht. Unangenehme Nebenerscheinungen wurden nur in den wenigsten 
Fällen in Form vorübergehender Diarrhöen und Erbrechens, zweimal mäßigen 
Zitterns beobachtet; niemals traten Erscheinungen auf, wie sie Scholz gesehen hat. 

Als auffallendstes Symptom war das gesteigerte und rasche Längenwachstum 
hervorzubeben, welches auch noch in Fällen zu konstatieren war, wo, entsprechend 
dem Alter de norme das Knochemvachstum schon als abgeschlossen erachtet werden 
durfte. Diese Erscheinung war gewöhnlich schon in den ersten 3 Monaten der 
Behandlung besonders evident (in einem Falle 5,5 cm; bei einem 22 jährigen Kretin 
betrug die Wachstumszunalmie nach dem Jahre 7,5 cm, bei einem 28 jährigen (!) 
2cm, usw.; siehe die genaue Tabelle im Texte). Übrigens konnte Verf., wie 
v. Wagner seinerzeit in Steiermark, auch bei seinem Materiale eigentümliche 
regionäre Verschiedenheiten der Behandlungserfolge beobachten. Verf. erwähnt 
ferner den gesteigerten Appetit der Kranken, wodurch die anfängliche rasche Ab¬ 
magerung derselben ( herrührend von dem Schwinden der myxödematösen Symptome) 
nachträglich wieder ausgeglichen wird, die Behebung der bei Kretinen habituellen 
Obstipation, das Auftreten einer gesunden Gesichtsfarbe, Durchfeuchtung der vorher 
trockenen schilferigen Haut, das Schwinden der Kröpfe, vor allem die besonders 
markante Änderung des apathisch-torpideu Temperamentes der Kranken. 


Bei 14 bis 18jährigen Kretinen waren noch Milchzähne vorhanden, und in 
einem dieser Fälle trat während der Behandlung der Zahnwechsel ein Die 
Makroglossie ging zurück, die Störungen der Sprache und des Gehöres wurden 
günstig beeinflußt (nur bei schweren, beinahe den Grad der vollständigen Taubstumm¬ 
heit erreichenden Sprach- und Gehörsstörungen zeigte sich ein ganz unbedeutender 


oder ü 

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iberhaupt kein BehandlungserfoleV Bei zwei 18, bezw. 24jährigen Mädchen 

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war die unter der Thyreoidinmedik&tion auf tretende Entwickelung in der Sexual- 
Sphäre auffallend. (Die Menses stellten sich zum ersten Uale ein, die Bräste ent¬ 
wickelten sich, ebenso die crines.) Die Eltern mancher Kinder gaben an, daß 
dieselben infolge der Behandlung öfters urinierten als vorher. Temperaturmessungen 
konnten aus äußeren Gründen nicht in systematischer Weise angestellt werden, 
ebensowenig kann Verf. über das Verhalten der Fontanellen genauere Angaben 
machen, da die meisten seiner Fälle Kretinen in vorgerückterem Alter betrafen. 
(Der Altersstufe nach umfaßt das Material des Verf.’s Fälle von 3 1 bis 28 Jahren.) 
Verf. vergißt auch nicht, die besonders elenden Ernährungsbedingungen zu er¬ 
wähnen, in welchen gerade die Bevölkerung seines Wirkungskreises lebt. 

Verf. führt aus, daß, wo die Schilddrüse vollständig fehlt, die Behandlung 
lebenslänglich fortgesetzt werden müßte; beim endemischen Kretinismus aber, wo 
gerade häufig Beste der Thyreoidea vorhanden sind, kann die Medikation sogar 
später ansgesetzt werden. Die gestörte unzureichende Funktion kann durch die 
Behandlung in dem Maße hergestellt werden, daß dieselbe eben für den Bedarf 
des Organismus des Kretins ausreicht. [Bekanntlich wurden auch beim Myxödem 
Dauerheilungen, d. h. solche, welche auch nach Aussetzen der Schilddrüsentherapie 
anhielten, beobachtet, vgl. einen Fall des Ref. usw. (Bef.)]. 

Verf. betont schließlich die Notwendigkeit einer möglichst frühzeitigen Be¬ 
handlung, sowie die Art derselben: kleine Dosen (1, höchstens nach einiger Zeit 
1 Vj bis 2 Tabletten pro die) und lange fortgesetzte Medikation. 

34) Mit Thyreoideatabletten behandelter Fall von Cretinismus sporadious, 

von E.Deutsch. (Orvosi Hetilap. 1906. Nr. 12.) Ref.: Hudovernig. 

Bericht über die therapeutischen Erfolge bei einem an Cretinismus sporadicus 
leidenden Säugling von 4 Monaten, welche sich in Gewichtszunahme (5700 auf 
7600 g) und Aufhören der trophischen Störungen zeigten. 


Psychiatrie. 

35) Un oas de mölanoolie, aveo hypertrophie thyroidienne sucoedant a la 
menopause, par C. Parhon. (Rev. neur. 1906. Nr. 14.) Ref.: E. Stransky. 
Verf. berichtet über einen Fall von Involutionsmelancholie bei einer Person, 
bei der sich seit dem 2 Jahre vor Beginn der Psychose eingetretenen Klimakterium 
eine strumöse Halsanschwellung entwickelt hat. Er glaubt mit anderen Autoren, 
die Kropfbildung auf eine Art antagonistischer Korrelation zwischen Ovarien und 
Schilddrüse beziehen zu sollen; auf die Thyreoideahypertrophie bezieht Verf. dann 
wiederum gewisse basedowähnliche Symptome des Klimakteriums. Auf das Er¬ 
löschen der Ovarienfunktion ginge nach Verf. auch das Auftreten der melancho¬ 
lischen Geistesstörung zurück; sonach wäre eine Beziehung zwischen Struma und 
Psychose hergestellt. Diese Annahme erscheint dem Verf. um so plausibler, als 
auch beim veritablen Basedow häufig melancholische (aber auch manische) Bilder 
beschrieben werden; Verf. sieht darin eine Stütze der Kräpelinschen Ansicht 
von der Einheitlichkeit des manisch-depressiven Irreseins (vergißt aber scheinbar, 
daß Kräpelin die Rückbildungsmelancholie von jenem strikte scheidet; Ref.). 
Auch die Prädilektion der Melancholie und des manisch-depressiven Irreseins für 
das weibliche Geschlecht scheint dem Verf. im Sinne der Thyreoideahypothese zu 
sprechen, aus der er auch Hoffnungen auf eine rationelle Therapie ableitet. 

30) Über Hitzepsyohosen, von Finckh. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. LXIII.j 


Ref.: Zingerle (Graz). 

Aus der Bearbeitung der vorhandenen Literatur und des Materiales der 
Tübinger Klinik kommt Verf. zu folgenden Ergebnissen: Akute, nach Art der 
Fieberdelirien verlaufende Psychosen treten infolge intensiver und akuter Wärme¬ 


einwirkungen auf, wobei als unterstützende Momente hereditäre Belastung, körper- 


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liehe Überanstrengungen und psychische Affekte in Betracht kommen, ln den 
gemäßigten Klimaten sind diese Psychosen nicht häufig, nehmen aber mit Steigerung 
der natürlichen und künstlichen Wärme zu. Es ist nicht gelungen, spezifische 
Hitzepsychosen von längerer Dauer nachzuweisen. Dagegen kann die Hitze Ge- 
legenheitsursaohe oder eine der zu psychischen Erkrankungen disponierenden 
Schädlichkeiten werden und der durch andere Faktoren mitbedingten Psychose 
einige charakteristische Züge aufprägen, die in der Neigung zu schweren Erregungen, 
impulsiven Gewaltakten und einer Reihe vasomotorischer Störungen bestehen und 
die auch bei den akuten deliranten Zuständen Vorkommen. Nach Einwirkung 
hoher Wärmegrade sind ferner Lähmungserscheinungen, sowie psychische Defekt- 
zustände beobachtet worden, die in Herabsetzung der Widerstandskraft bei körper¬ 
licher Arbeit und Krankheit, gegen Alkohol und gemütliche Einflüsse, in einer 
Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit, der Gedächtniskraft und des sittlichen 
Niveaus und endlich in Reizbarkeit und Willensschwäche bestehen. Möglich, aber 
bisher nur in vereinzelten Fällen zuverlässig beobachtet ist endlich die Epilepsie, 
wahrscheinlich als Folge organischer und durch Hitze Wirkung entstandener cere¬ 
braler Schädlichkeiten. Etwas häufiger dürfte die Wärmebestrahlung als direkte 
erregende Ursache des ersten epileptischen Krampfanfalles fungieren. 

37) Über Robert Schumanns Krankheit, von P. J. Möbius. (Halle 1906, 

Carl Marhold.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Verf. versucht in der vorliegenden Pathographie, in der äußeren Form eines 
Gutachtens die Frage auf Grund der über Schumann vorliegenden Literatur zu 
beantworten, ob der Komponist an progressiver Paralyse gestorben sei oder nicht 
Das Gutachten kommt zu folgendem Ergebnis: R. Schumann war von vornherein 
ein von der Art Gewiohener, erblich belastet (beide Eltern „nervös“, die männlichen 
Familienmitglieder kurzlebig, eine Schwester schwer geisteskrank) und abnorm 
veranlagt. Schon mit 23 Jahren begann die erste psychische Erkrankung, von 
Schumann selbst klar als Bolche erkannt, in Form von Angstanfällen, an die sich 
Zustände von Melancholie und Hypochondrie anschlossen. In einzelnen Schüben, 
die in Abständen von Jahren aufeinander folgten und von Remissionen und auch 
Zeiten abnorm gesteigerten Wohlbefindens unterbrochen waren, entwickelte sich 
das Leiden weiter, um erst nach 23jähriger Dauer in der Irrenanstalt Endenich 
bei Bonn zu enden. Nach der anfänglichen Angst und Verstimmung bildeten sich 
einzelne wunderliche Manieren und Stereotypien heraus, eine Neigung zu Stumm¬ 
heit, Mißtrauen, zunehmende, lange Zeit fast ununterbrochen bestehende Gehörs- 
täuschungen, Erschwerung der Sprache, allmähliche Abnahme der Geisteskräfte. 
Die Schrift veränderte sich, aber auffallenderweise in dem Sinne, daß an Stelle 
der früheren Leichtigkeit, ja Flüchtigkeit und Unleserlichkeit die Buchstaben 
fester, klarer wurden und einen starren Ausdruck annahmen. Verf. rechnet 
Schumanns Krankheit zu der Form, die heute Dementia praecox genannt wird, 
hebt aber dabei hervor, daß dieser Name, ursprünglich von den schweren Fällen 
in den Irrenhäusern abgeleitet, für viele Kranke, die niemals eigentlich dement 
werden, nicht recht zutreffend ist. Von dem Arzte, der Schumann in Endenich 
behandelte, ist bekannt, daß er die Diagnose auf „die melancholische Form der 
Paralyse“ gestellt hatte; Verf. führt aber überzeugende Momente an, die ihn 
veranlassen, die Annahme, daß sich etwa auf das „Jugendirresein“ noch eine 
Paralyse aufgepflanzt habe, abzulebnen, d. h. die Diagnose des behandelnden Arztes 
zu korrigieren. Das Ergebnis ist also, daß Rob. Schumann auf Grund ererbter 
Anlage geisteskrank war, daß er sein Talent mit seiner Krankheit bezahlt hat. 


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Forensische Psychiatrie. 

38) Über die zur strafrechtlichen Behandlung zurechnungsfähiger Minder* 

wertiger gemaohten Vorschläge, von Prof. C. Möli. (Archiv f. Psych. u. 

Nervenkrankh. XXXIX. 1905.) Ref.: G. Ilberg. 

Die sogenannten vermindert Zurechnungsfähigen fallen nach Prof. Kahls 
Untersuchungen ausschließlich in das Gebiet der Personen, die jetzt bei Verübung 
eines Deliktes bestraft werden, sie sind Zurechnungsfähige mit geistiger Minder* 
Wertigkeit und müssen die Merkmale der Deliktsfähigkeit ganz deutlich haben, 
sonst sind sie überhaupt nicht zurechnungsfähig. Möli erörtert einschlägige Ver¬ 
handlungen des 27. deutschen Juristentages und der in Stuttgart abgehaltenen 
Sitzung der internationalen kriminalistischen Vereinigung und bringt einige Bei¬ 
spiele bei, wo von erfahrenen Psychiatern gesagt worden ist: wäre eine ver¬ 
minderte Zurechnungsfähigkeit gesetzlich anerkannt, so würde diese Person un¬ 
zweifelhaft darunter fallen. 

Ein Überblick über die von verschiedenen Seiten gemachten Vorschläge ergibt 
nun nach des Verf.’s Darlegung, daß über die Notwendigkeit der Berücksichtigung 
leichter psychischer Abweichungen Übereinstimmung herrscht: Grundsätzlich ist 
die allgemeine Berücksichtigung psychischer Mängel oder Schwächen auch bei 
als zurechnungsfähig Betrachteten erforderlich, und zwar sowohl beim Urteil wie 
beim Strafvollzug; namentlich müssen Sonderbestimmungen für die Behandlung 
jugendlicher Verbrecher ausgearbeitet und Geisteskranke unter ihnen müssen aus¬ 
gelesen werden. Bei den zurechnungsfähigen Minderwertigen handelt es sich aber 
nicht nur um die individuelle Berücksichtigung beim gewöhnlichen Strafvollzug, 
auch die Möglichkeit ihrer Überführung in eine am besten bei der Strafanstalt 
befindliche Abteilung für gemilderten Strafvollzug ist anzustreben. Nach 
der Strafverbüßung bieten Bewahranstalten mit gradweiser Abstufung des 
Verschlusses und der Freiheitsbeschränkung die zweckmäßigste Form sichernder 
Versorgung für anders nicht genügend zu beaufsichtigende gemeingefährliche Zu¬ 
rechnungsfähige mit psychischen Mängeln oder Schwächen. Durch räumliche 
Trennung von den Strafanstalten sollten diese Bewahranstalten den Unterschied 
zwischen Strafe und sichernder Verwahrung zutage treten lassen; für Beschäftigung 
im Freien sollten hier Einrichtungen getroffen werden. „Gemeingefährliche“ ohne 
psychische Schwächen und Mängel bieten endlich nach den Ausführungen des 
Verf.’s nur in der Minderzahl der Fälle (chronische Vergiftungen, Ernährungs¬ 
störungen) Aussicht auf erfolgreiche Behandlung in Krankenanstalten. Die 
Anstalten für Geisteskranke, Nervenkranke usw. können zur sichernden Verwahrung 
nach der Strafverbüßung bis zum Wegfall der Gemeingefährlichkeit im allgemeinen 
nicht herangezogen werden; diese Anstalten würden manchen „Gefährlichen“ 
gegenüber wenig leisten, weil sie Zwang weder zur Beschäftigung noch zur Dis¬ 
ziplin anwenden, mit den Schutzmaßregeln allein aber durchaus keinen Einfluß 
auf die schlimmen, längerer oder gar dauernder Verwahrung bedürftigen Elemente 
ausüben können. Eine solche Aufgabe muß — auch hierin wird jeder Irrenarzt 
dem Verf. lebhaft zustimmen — von den lediglich zur Gesundheitspflege be¬ 
stimmten Krankenanstalten abgewandt werden, da sie von ihrem eigentlichen 
Zweck wesentlich abweicht. 


III. Bibliographie. 

Therapeutische Technik für die ärztliche Praxis. Bin Handbuch für Ärzte 
und Studierende, von J. Schwalbe. Erster Halbband. (Leipzig 1906, 
Georg Thieme. 352 S.) Ref.: Adler (Pankow-Berlin). 

Das vorliegende Handbuch, welches sich nur an den praktischen Arzt 
und den Studierenden wendet, will durch eingehende Darstellung in Wort 


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und Bild gleich einer Demonstration im Lehrkursus eine genaue Anleitung zur 
Ausführung der praktisch wichtigen Methoden der therapeutischen Technik geben 
und so den Praktiker ohne Hilfe eines Lehrers in den Stand setzen, sich mit 
diesen Methoden vertraut zu machen. Der bis jetzt erschienene erste Halbband 
erörtert die Technik der Massage, Gymnastik und mechanischen Orthopädie (Hoffa), 
der Hydro- und Thermotherapie (Vierordt), der Radiotherapie (E. Schmidt) und 
der Arzneibereitung (Kobert). In einem besonderen Abschnitt werden die wich¬ 
tigsten Kapitel der allgemeinen chirurgischen Technik abgehandelt (Hildebrand). 
Eine eingehende Würdigung des Handbuches behalten wir uns vor, sobald das¬ 
selbe vollendet vorliegt. Soviel kann aber schon jetzt gesagt werden, daß Schwalbe 
mit Herausgabe dieses Werkes unter Mithilfe namhaftester Autoren sich ein un¬ 
bestrittenes Verdienst erwirbt, da gerade die technischen Maßnahmen in unserer 
Therapie einen immer breiteren Raum einnehmen, da ferner die gebräuchlichen 
Handbücher dieser Tatsache bisher nicht genügend Rechnung getragen haben und 
ein Handbuch der praktisch wichtigen Technik der gesamten Therapie bisher 
überhaupt nicht existiert. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Psychiatrischer Verein su Berlin. 

Sitzung vom 19. Januar 1907. 

1. Herr van Vleuten: Einseitige motorische Apraxie (Demonstration 

von Frontalsohnltten). Vortr. berichtet über einen Fall von linksseitiger mo¬ 
torischer Apraxie, welcher ein Tumor zugrunde lag, der in langgestreckter zylindrischer 
Form der ganzen Balkenseite anliegend, den linken Gyrus fomicatus, Teile des 
medianen Stirnhirns und besonders den Balken selbst fast in seiner ganzen Aus¬ 
dehnung zerstört hatte, ohne jedoch weder klinisch noch anatomisch erheblichere 
Drucksymptome hervorzurufen. Die Hirnrinde sowie, abgesehen von medianen 
Stirnhirnpartieu, auch das Mark war überall verschont, wie an einer größeren 
Anzahl von Frontalschnitten demonstriert wurde. Nach einer Skizzierung der Ent¬ 
wickelung der klinischen Erscheinungen wurde der Fall mit den bisher veröffent¬ 
lichten anatomischen Befunden bei Apraxie verglichen und unter anderem hervor¬ 
gehoben, daß das Lehrreiche des Falles besonders darin liege, daß eine Dyspraxie 
der linken Hand aufgetreten sei bei einem Herd, der, summarisch gesagt, nur 
Balkenfasern zerstört habe. Weder sei das Sensomotorium der linken Hemisphäre 
im Geringsten betroffen, noch sei die Rinde oder das Mark vom Scheitelschläfen¬ 
hinterhauptslappen irgendwo außer Funktion gesetzt. Die in Liepmanns Arbeit: 
Die linke Hemisphäre und das Handeln ausgesprochene Annahme, daß eine Balken¬ 
unterbrechung ohne Schädigung der rechten Seite linksseitige Apraxie hervor¬ 
bringen könne, werde durch den demonstrierten Befund in überzeugender Weise 
bestätigt. (Eine eingehende Veröffentlichung wird in der Allg. Zeitschrift für 
Psychiatrie erfolgen.) Autoreferat. 

In der Diskussion bemerkt Herr Liepmann, daß der Fall nach drei Richtungen 
hin Bedeutung habe: 1. zeige er, daß die rechte Hemisphäre nur ungenügend 
leistungsfähig sei, 2. beweist er, daß bei alleiniger Unterbrechung der Balkenleitung, 
wenn die linke und rechte Hemisphäre erhalten sind, Dyspraxie der linken Hand 
auftreten kann. Er habe einen 2. Fall, bei welchem die gleiche Störung vorhanden 
sei. Hier handle es sich um eine Erweichung im Balken. Es sei der linke Arm 
gelähmt, der rechte apraktisch gewesen; 3. beleuchte der beschriebene Fall die 
Bedeutung des Balkens, dessen Funktion noch nie einwandfrei dargestellt worden sei. 

2. Zur Diskussion über den Vortrag des Herrn Reich: Über Alogie 
bemerkt Herr Liepmann, daß Fälle wie der vorliegende vom Psychiater nicht 
so selten gesehen werden. Sie werden aber meist nicht so gut analysiert, sondern 


zur Demenz gezählt. Bedenken, den Fall zur transkortikalen Aphasie zu rechnen, 


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hat L. nicht. Das Nachsprechen sei erhalten, das Wortbild und das Wort- 
bewegungsbild ebenfalls, gestört seien aber die Beziehungen vom Wort zum Begriff, 
es liege daher eine transkortikale Aphasie im Sinne Wernickes vor, gleichgültig, 
ob die Verbindungen oder die Begriffe selbst als gestört gedacht würden. Freud 
hat für die vorliegende Sprachstörung die Bezeichnung agnostische Aphasie vor¬ 
geschlagen. Was Vortr. als Alogie bezeichnet, habe man bisher als Dissoziation 
der Begriffe aufgefaßt; die Störung wäre also eine dissoziative Asymbolie, das was 
W T ernicke Asymbolie durch Störung der sekundären Identifikation genannt bat. 
Es sei für die Verständigung von Wert, daß die einzelnen Fälle zu den schon 
eingeführten Begriffen in Beziehung gebracht würden. Daß in dem Falle des Vortr. 
die Einzelerinnerungsbilder erhalten, und nur ihre Assoziation zum Begriff auf¬ 
gehoben sei, lasse sich nicht strikte beweisen, insbesondere nicht aus der fehlenden 
Ratlosigkeit und dem erhaltenen Sortieren. Das Fehlen aller Herdsymptome mache 
die Annahme aber wahrscheinlich, daß es sich im wesentlichen um eine Lockerung 
der Bilder gehandelt habe. In der Tat findet sich nun eine überraschende Über¬ 
einstimmung des anatomischen Befundes mit der klinischen Analyse, wenn die 
Flechsigsche Lehre von den Assoziationscentren zugrunde gelegt werde. Ganz 
vollständig sei die Übereinstimmung aber nicht, da die hier gut erhaltene Kon¬ 
vexität des Hinterhauptlappens von Flechsig zu den Assoziationscentren ge¬ 
rechnet werde. Aber auch ohne die Annahme der Assoziationscentren Flechsige 
habe sich ein ähnlicher Befund erwarten lassen. Nach Wernicke haben das 
Brocasche Centrum, die Centralwindungen, der hintere Teil der ersten Schläfen¬ 
windung, die Fissura calcarina, und, wegen der Erhaltung der Formerkennung 
auch die Konvexität des Hinterhauptlappens intakt sein müssen, dagegen habe die 
Parietooccipitalgegend und der Rest des Schläfenlappens befallen sein müssen, 
da hier die Verbindungsbahnen gelegen seien. Es wäre demnach die Läsion auch 
nach der Auffassung Wernickes u. a. ähnlich zu lokalisieren, nur daß dann der 
Hauptwert auf die Atrophie des Markes und nicht wie bei Flechsig auf die 
Atrophie der Rinde zu legen wäre. Zn schwer wiegende prinzipielle Schlüsse 
möchte L. aus dem äußeren Bilde der Atrophie in einem Falle nicht gezogen wissen. 
L. zeigt Photographien von Gehirnen, bei denen sich bei ähnlichen klinischen 
Bildern wie im vorliegenden Fall eine andere Ausdehnung des atrophischen Pro¬ 
zesses fand. 

Herr Moeli betont die Schwierigkeiten, welche die schwankenden Ergebnisse 
der klinischen Prüfungen zu verschiedenen Zeiten der Deutung des Falles bereiteten. 
Auffällig war ihm, daß der Kranke imstande war, bestimmte Gegenstände, deren 
Erkenntnis besonders durch die Form gegeben war, zu sortieren, also eine Ope¬ 
ration vorzunehmen, bei der eine Tätigkeit relativ aufeinanderliegender Gehirn¬ 
bezirke vorausgesetzt werden muß. Trotz der Übereinstimmung nach manchen 
Richtungen bleiben in diesem und ähnlichen Fällen noch viele Fragen zu lösen. 
Erwünscht wäre es besonders, wenn Fälle zur Beobachtung kämen, in denen die 
Ausdehnung der Atrophie eine wesentlich geringere wäre als im vorliegenden Falle. 

Herr Reich sieht als das Wesentliche im vorliegenden Falle an, daß hier tat¬ 
sächlich eine Störung vorliegt, welche sich dadurch dokumentiert, daß trotz Er- 
haltenseins der kortikalen Regionen durch eine Schädigung der Verbindungen 
derselben das Erkennen eine schwere Störung erfahren hat. Es würde sich fragen, 
ob eine neue Bezeichnung sich vernotwendigt. Es sei zuzugeben, daß es sich um 
einen dissoziativen Prozeß handelt: um ihn aber als etwaB Besonderes hervorzuheben, 


habe er einen besonderen Namen gewählt. Die transkortikale Aphasie treffe hier 
nicht zu, da diese einen besonderen Herd voraussetzen lasse. Den Heubnerschen 
Fall halte er nicht für beweisend für die Flechsigsche Theorie. Fälle, in denen 
Andeutungen von aphasischen und asymbolischen Störungen vorhanden sind, seien 


nicht selten. Es gehöre aber nicht jeder Fall zu denen einer systematischen Form 


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von Atrophie. So gebe es einzelne Fälle, an denen die Atrophie nur an einzelnen 
Stellen lokalisiert sei. Dies beweise ein Fall, in welchem, wie Vortr. auf einem Bilde 
demonstrieren kann, nur das Stirnhirn atrophisch war. Als interessant würde auch 
Vortr. Fälle ansehen, bei denen eine geringere Atrophie vorhanden sei. Als sehr 
wichtiger Befund des Falles sei endlich noch zu erwähnen, daß danach zu schließen 
sei, daß die rechte Hemisphäre keinen Anteil an der Begriffsbildung hat. 

Herr M o e 1 i hält es fiir möglich, daß die gleichen Zustandsbilder auch durch 
die Beteiligung des Markes hei Intaktbleiben des Bindengebietes zustande kommen 
könnten. Er fragt, ob Unterschiede festzustellen seien, ob der Prozeß im Mark« 
lager oder in der Binde statthabe. 

Herr Beich bemerkt dazu, daß Schlaganfälle auf Erweichungen im Marklager 
hinweisen. In seinem Falle seien Schlaganfälle nicht vorgekommen. 

Herr Liepmann weist noch auf die Wichtigkeit der Untersuchung des Hirn- 
stammes hin mit Rücksicht auf das Vorhandensein von sekundären Degenerationen. 

Herr Juliusburger: Zur Behandlung der forensisohen Alkoholisten. 
Vortr. will mit seinen Ausführungen einen Beitrag zur Kritik des § öl StrQB.’s 
liefern. Daß enge Beziehungen zwischen den verschiedenen Kategorien des Ver« 
brechens und dem Alkoholismus als erzeugendem bzw. aiulösendem Faktor be* 
stehen, ist nicht zu bezweifeln. Zu unterscheiden ist das soziale Milieu und der 
duroh die akute oder chronische Alkoholwirkung auf das Gehirn hervorgerufene 
anthropologische Faktor. Über die Genese des Alkoholverbrechens herrscht dem« 
nach Klarheit, nicht aber hinsichtlich der Behandlung der forensischen Alkoholisten, 
und dies ebenso im Kreise der Juristen wie der Mediziner. Ein paar Bei¬ 
spiele illustrieren die Gegensätze der Anschauungen. Eine Frauensperson, welche 
im Zustande außerordentlicher Erregung als Folgeerscheinung von Alkohol- 
degeneration ihren Geliebten schwer verwundet hatte, wird freigesprochen. Ein 
Mensch, welcher einen anderen auf einer Bierreise im Streit erschlagen hat, erhielt 
in Hinsicht auf seine Alkoholisierung Freispruch. Dagegen wurden drei Schüler, 
welche nach dem Genüsse von Bier und Wein einen Diebstahl bei einem Konditor 
begangen hatten, mit Gefängnis bestraft. Der Psychiater hat sich dem alko- 
holistischen Verbrecher ebenso wie jedem andern Verbrecher gegenüberzustellen. 
Es ist deshalb der § öl ins Auge zu fassen. Vortr. plaidiert nun im Sinne 
Aschaffenburgs dafür, daß die Irrlehre von der Willensfreiheit aus der Wissen« 
schaft verschwindet Vortr. erinnert daran, daß von Spinoza, Hume, Kant, 
Schopenhauer, Priestley die Willensunfreiheit gelehrt wurde. Mit der Willens¬ 
freiheit fällt auch die Lehre von der moralischen Verantwortlichkeit in sich zu¬ 
sammen. Dafür hat die soziale Verantwortlichkeit zu treten, bzw., da Vortr. das 
Wort Verantwortlichkeit vermieden wissen will, die soziale Inanspruchnahme, da 
der Mensch ein soziales Wesen ist und Solidarität die Grundlage des Menschen¬ 
tums ist. Vortr. ist mit dem Aschaffenburgschen Vorschlag in bezug auf die 
Änderung des § öl im allgemeinen einverstanden. Er wünscht aber noch mehr, 
nämlich daß auch nicht mehr mit dem Begriff Krankheit und der gradweisen 
Abstufung gearbeitet wird. Nicht darüber soll man sich den Kopf zerbrechen, 
ob krankhafte Geistesstörung vorliegt oder nicht, sondern man soll prüfen, welche 
antisoziale Handlung vorliegt, welche soziale Funktion gestört ist, in welcher 
Richtung die soziale Parafunktion des Individuums liegt, aus welcher psycho¬ 
logischen Wurzel sie gewachsen ist, welches soziale Milieu auf das Individuum 
eingewirkt hat, welche anthropologischen Faktoren es determiniert haben. Nach 
Beantwortung dieser Fragen ist der jeweiligen Individualität entsprechend die 
entsprechende Anstalt auszuwählen, um in dieser die soziale Inanspruchnahme des 
Individuums vorzunehmen, entweder derart, daß eine Heilerziehung zum sozialen 
Wohlverhalten gelingt oder daß hei ihrem Versagen eine dauernde Ausschaltung 
aus der menschlichen Gesellschaft erfolgt. Es soll also die planvolle Berück- 


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sichtigung der ganzen Persönlichkeit im Hinblick auf ihre Fähigkeit, das soziale 
Getriebe wenigstens nicht zu stören, treten. Damit ist der ätiologische Faktor 
in den Vordergrund gerückt. Für alle antisozialen Handlungen, die auf das Konto 
Alkoholgenuß zu setzen sind, ist prinzipielle Straflosigkeit zu fordern, aber 
keinerlei Freispruch, sondern Unterbringung auf unbegrenzte Zeit in passende 
Anstalten, ln Ermangelung von Spezialanstalten haben die Irrenanstalten die 
alkoholistischen Delinquenten aufzunehmen; hier hat aber das Prinzip der Trinker* 
rettungsvereine zu herrschen. Auch in den Strafanstalten hat dies Prinzip sich 
geltend zu machen. Bei der Entlassung hat die Anstalt mit Enthaltsamkeits- 
Vereinen Hand in Hand zu gehen. Diesen könnte sogar die Beaufsichtigung der ent¬ 
lassenen Sträflinge, sobald sie Mitglieder der Vereine werden und es bleiben, über¬ 
tragen werden, damit die Polizeiaufsicht vermieden wird. Als ganz besonders wertvoll 
ist zu erachten, daß jedermann, auch der notorische Trinker, sobald er in den 
Kreis der Gemeinschaft eingetreten ist, brüderlich empfangen wird. Die Ver¬ 
gangenheit wird zugedeckt und der neue Freund erfährt keine moralischen Vor¬ 
würfe; dagegen wird ihm stete Mahnung und dauerndes Beispiel zuteil. Es sind 
die Vereine deshalb im Kampfe gegen das alkoholistische Verbrechen unent¬ 
behrlich. A s o h e r (Berlin). 


Wanderversammlung des Vereins für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 

II. Sitzung am 5. Oktober 1906. 

Herr Oskar Fischer (Prag): Über hysterisohe Dysmegalopsie. Eine 
an Makropsie und Mikropsie leidende Hysterica zeigte im makropischen Zu¬ 
stande Mikrographie und umgekehrt bei intaktem Akkommodationsapparat. Schuf 
man künstliche Dysmegalopsie (Homatropin, Eserin, Brille), so addierte sich die 
so erhaltene der bestehenden; erst Atropin ließ die Dysmegalopsie verschwinden, 
woraus Vortr. den Schluß zieht, daß die Störung der Größenwahrnehmung nur 
im Akkommodationsvorgange seine Ursache habe, und zwar in einem sensiblen, 
dem motorischen angegliederten Akkommodationscentrum. Da während der Dys- 
megalopsie Patientin in normaler Größe halluzinierte, so spricht dies für eine 
psychische Genese der Halluzinationen, die transkortikal im Sinne Wernickes 
seien. — Ein zweiter Fall von Sehstörung betrifft einen traumatischen Hysteriker, 
der alles was links war wesentlich größer sah als das rechts befindliche. Hier 
zeigte das Stereoskop keinerlei Störung des Akkommodationsapparates. Zudem 
waren die Halluzinationen gleichfalls verzerrt, so daß diese Dysmegalopsie im 
Gegensatz zur ersten, der kortikalen, als transkortikale zu bezeichnen ist. 

Herr Infeld verweist auf eine Selbstbeobachtung von Dysmegalopsie, die 
auch unter physiologischen Umständen vorkommt. 

Herr Jan Piltz (Krakau): Sensibilitätsstörungen bei progressiver Para¬ 
lyse. Vortr. berichtet über Untersuchungen, die insofern eine Gesetzmäßigkeit 
ergaben, als bei 14 Paralytikern eine kragenförmige hyperalgetische oder normal 
empfindende Zone am Halse, bei acht eine gtirtel- und korsettähnliche am Rumpfe, 
bei vier eine nicht näher bestimmte im Gesichte bestand, während sonst schwere 
Hypalgesie oder Analgesie vorhanden war. Die Untersuchungen werden fortgesetzt. 

Herr Anton weist auf Unterschiede in der Haut-, Nerven- und Plexus¬ 
empfindlichkeit hin. 

Herr H. Schloss: Zur Kenntnis der Ätiologie der angeborenen und 
frühaeitlg erworbenen geistigen Defektzustfinde. Auf Grund von 300 sorg¬ 
fältig erhobenen Anamnesen kommt Vortr. zum Schlüsse, daß Heredität und 
Blutsverwandtschaft ätiologisch keine so wesentliche Rolle spielen, als z. B. intra¬ 
uterine Schädigungen der Frucht durch physische und psychische Schädigung der 
schwangeren Mutter. Diese führen einerseits zu angeborener physischer Schwäche, 
andererseits zu Eklampsie. Solche Kinder werden häufig bydrocephal geboren. 


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Ebenso sind Frühgeburt, protrahierte Geburtsakte, Asphyxie ätiologisch wichtig. 
Hereditäre Lues fand sich nur einmal, dagegen Hydrocephalien häufiger. Ferner 
sind Schilddrüsenmangel, überstandene Meningitiden, die prädisponierend wirken, 
Infektionskrankheiten, letztere direkt oder indirekt durch Vermittlung epileptischer 
oder eklamptischer Anfälle, erwähnenswert Diese Bind überhaupt ein häufig in 
Frage kommendes Moment, sei es, daß eine Rhaohitis oder die Impfung bei dazu 
Prädisponierten die Anfälle auslöst. Operationen, Schädeltraumen, Alkoholismus 
seien gleichfalls genannt Doch am häufigsten ist die Eklampsie Ursache des 
Schwachsinnes, wobei oft erst eine Gelegenheitsursache die Anfälle auslöst, am 
häufigsten zwischen 6. und 8. Lebensjahr. 

Herr v. Wagner weist darauf hin, daß Konsanguinität auch abgesehen von 
aller Heredität zur Idiotie führen könne. Bezüglich des Alkoholismus verweist 
v. W. auf die Insel Sansego im adriatischen Meere, wo alles, auch die Kinder, 
nur Wein (2 Liter täglich) trinken, ohne daß Degeneration der Bevölkerung 
wahrzunehmen war. 

Herr Arthur Schüller spricht sich gegen eine ätiologische Bedeutung der 
Rhachitis, sowie des Impfens aus, wohingegen „Alterskinder“ eher für Schwach¬ 
sinn prädisponiert seien (Geburt bei vorgeschrittenem Alter der Eltern). 

Herr Pilcz macht auf Defektzustände bei Kindern aufmerksam, die nach 
langem Intervall nach den früheren Schwangerschaften geboren wurden. 

Herr Karl Liebscher (Brünn) berichtet über einen eigenartigen Fall von 
„Ganser*', bei dem er durch gewisse Maßnahmeu (Einträufelung von Atropin, Eserin 
oder destilliertem Wasser in ein Auge) eine Art von Halbseitigkeit gewisser dem 
Ganser zugehöriger Erscheinungen zeitweise hervorzubringen vermochte. Diese 
Erscheinungen bestanden darin, daß Pat. angab, an Stelle von Buchstaben und 
farbigen Abbildungen andere zu sehen, welche gewöhnlich zu den vorgezeigten 
in einer gewissen gegensätzlichen Beziehung standen. Der Pat. war sich dieser 
Störung bewußt. Außerdem bestand eine eigenartige Störung der Stereognose 
mit ähnlichen Fehlreaktionen. Durch den psychischen Einfluß der Einträufelung 
wurden diese Störungen korrigiert, und zwar derart, daß dieselben nur halbseitig 
vorhanden waren. Daneben bestand noch Dysmegalopsie psychischen Charakters. 

Herr Hartmann (Graz): Zur Pathologie der motorischen. Großhirn- 
funktionen. Auf Grund eigener klinisch und anatomisch untersuchter Fälle mit 
Störungen des Handelns kommt Vortr. zum Schlüsse, daß das Stirnhirn und der 
Balken beim Ablaufe komplizierter Bewegungsakte der Extremitäten wesentlich 
beteiligte Hirngebiete sind. Die linke Hemisphäre präponderiert (Liepmannj. 
So erzeugt Läsion des linken Stirnhirns der Seelenlähmung nahestehende Be¬ 
wegungsstörungen mit Verlust der Eigenleistungen des Sensomotoriums bezüglich der 
gegenüberliegenden Körperhälfte, läßt aber auch das Bewegungsgedächtnis und 
die Bewegungsintention der gleichseitigen Körperhälfte geschädigt erscheinen. — 
Durchtrennung des Balkens von den Ebenen der vorderen Kommissur nach hinten 
läßt scharf den Ausfall der Tätigkeit des linken Gehirnes erkennen, die für die 
rechtshirnigen Leistungen nötig ist. Während Eigenleistungen erhalten bleiben, 
sind Nachahmen, Objekthandlungen und Bewegungsgedächtnis stark beeinträchtigt. 
Trotz der nur leichten Beteiligung der rechten Extremitäten war das zweihändige 
Manipulieren mit Objekten fast ganz unmöglich. Daneben fand sich eine Störung, 
die als statisch-lokoinotorische Apraxie bezeichnet werden muß. Läsion im rechten 
Stirnhirn zeigt trotz relativ geringen Umfanges Störungen der Objekthandlungen 
und des Bewegungsgedächtnisses der linken Extremitäten. Vortr. schließt mit 
der Ansicht, daß sich gewisse (noch näher zu bestimmende) Partien des Stirnhirns 
zur Extremitätenzone der Centralwindungen so verhalten, wie die Brocasche 
Windung im motorischen Sprachmechanismus zu den motorischen Feldern der 
Hirnnerven am Fuße der Centralwindungen. 

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Herr Alessandro Borgherini (Padua): Über Myasthenia gravls. (Er* 
scheint unter den Originalmitteilungen dieses Centralblattes.) 

Herr Harburg fand gleichfalls in 2 Fällen Vermehrung von Sarkolemm- 
kernen, daneben vereinzelte Leukocyten und Lymphocyten. Doch fanden sich 
auch die Muskelfibrillen verändert, indem sich (nach Marchi) fettiger Zerfall, 
und zwar diskontinuierlich, zeigte. Danach hat man das Recht, die Muskel* 
Veränderung bei Myasthenie als Myositis parenchymatosa zu bezeichnen etwa im 
Sinne der Neuritis parenchymatosa. Etwas spezifisches scheint der diskontinuier¬ 
liche Zerfall (nach Marchi) nicht zu haben, da er sich in einem Falle von 
amyotrophischer Lateralsklerose des Herrn Piloz gleichfalls fand. 

Herr Stransky bemerkt, daß er ein gleiohes auch bei einem Paralytiker 
mit spinaler progressiver Muskelatrophie beobachtete. 

Herr A. Fuchs bemerkt, daß er die Kombination atrophischer bzw. pseudo¬ 
hypertrophischer Prozesse mit Myasthenie wiederholt gesehen habe. Die Unter¬ 
suchungen nach myasthenischer Reaktion bei reinen Fällen Erbscher Dystrophie 
blieb resultatlos. Daß die Anode nach Erschöpfung der Kathode noch Zuckung 
erzeugt, konnte F. nie beobachten. Eichte myasthenische Reaktion hat F. bisher 
nur bei Myasthenia gravis finden können. 

Herr A. Schüller fand faradische Zuckungsträgheit auch in einem Falle 
von Myositis universal». 

Herr Ernst GrosBmann: Die Behandlung der Ischias mit perineuraler 
Kochsalsinflltration. Als Resultat dieser Methode sei vor allem eklatante Schmerz¬ 
stillung gleich nach der Injektion erwähnt. Nebenerkrankungen fanden sich nie. 
Dagegen traten gelegentlich neuerlich Schmerzen auf, die einer kombinierten Be¬ 
handlung (Injektion, Einpackungen, Heißluft) wichen. So wurden 11 Patienten 
geheilt, drei wesentlich gebessert, einer ungebeilt entlassen. ■ Die Heilung war, 
soweit es an 5 Patienten eruiert werden konnte, eine dauernde. Man hat also 
in der perineuralen Infiltration ein Verfahren, das wohl kein absolutes Heilmittel 
der Ischias vorstellt, aber mit anderen physikalischen Methoden kombiniert in den 
meisten Fällen Heilung bringt. 

Herr Bum wendet jetzt nur Kochsalz zur Infiltration an, da er meint, daß 
mechanische Vorgänge die wirkenden Faktoren seien. B. injiziert etwa 100 ccm 
Kochsalzlösung in den Ischiadicus an jener Stelle, an welcher der untere Rand 
des Glutaeus maximus den lateralen äußeren Rand der Bicepssehne kreuzt. Hier 
ist der Nervenstamm am leichtesten in nioht allzu sehr forzierter Knieellbogen¬ 
lage des Patienten zu treffen. 


Sitzung am 6. Oktober 1906, 9 Uhr Vormittags. 

I. Beschäftigungstherapie bei Geisteskranken. Referent: Herr Star linger. 
Aus den Ausführungen des Referenten geht hervor, daß die Beschäftigung für 
die Geisteskranken unschädlich und ungefährlich ist. Die meisten Arbeiter liefert 
der angeborene Schwachsinn und die primäre Verrücktheit; ferner Epileptiker und 
Alkoholiker. Am geringsten ist die Beschäftigungsmöglichkeit bei Hysterie und 
Paralyse, während Manie, Melancholie, Paranoia, Epilepsie und Neurasthenie die 
Hälfte der zu Beschäftigenden stellen. Auffällig ist die geringe Beteiligung der 
Kopfarbeiter. Die Erfolge der Beschäftigung sind weitreichend, indem sie materiell 
die Verpflegung verbilligte, das Anstaltswesen ethisch hob und die Kranken ab¬ 
lenkte. In der Beschäftigung ist ein nicht hoch genug anzuschlagender Behand¬ 
lungsfaktor der Irrenanstalten gegeben. 

II. Beschäftigungstherapie für Nervenkranke. Referent: Herr Max Laehr 
(Berlin). Statt Beschäftigungsbehandlung ist besser Arbeitsbehandlung zu sagen, 
da nicht einfach ablenkende Beschäftigung, sondern tieferwirkende ernste Arbeit 
nötig ist, um ein Ziel zu erreichen. Allerdings gibt es Grenzen dafür, die in 


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der psychischen Entwickelung der einzelnen Kranken, sowie in der Krankheit 
seihst liegen, da Defekte nicht beseitigt werden, d. h. von Hause aus arbeitsscheue 
Menschen nicht zu arbeitsamen gemacht werden können. Außerdem ist sie nicht 
die einzige Behandlungsart Nervenkranker, sondern tritt erst dann recht in 
Wirksamkeit, wenn sie mit anderen Behandlungsmethoden kombiniert wird. Bei 
der Wahl der Arbeit ist streng zu individualisieren; eine ständige ärztliche Über* 
wachung und sachgemäße Anleitung ist nötig, wie sich das am besten in einer 
Heilstätte organisieren läßt. 

IV. Sitzung am 6. Oktober 1906, 3 Uhr Nachmittags. 

Herr Schüller: Über die Beziehungen zwischen Keimdrüsen und den 
nervösen Centralorganen bei Bohwaohsinnigen. (Erscheint später ausfürlich.) 

Herr Ernst Sträußler: Zur Frage der nervösen Regeneration im 
Rückenmark. In zwei Fällen fanden sich im Anschluß an ein Wurzelneurom 
Nerven von typisch peripherem Bau im Bückenmark selbst (centrale Neurome); 
im ersten Falle handelt es sich um eine Schußverletzung des Rückenmarkes, im 
zweiten um Tabes mit Erweichung. Das spricht für weitgehende Regeneration 
von Nervenfasern der Wurzeln, so daß man berechtigt ist, bei Wiederkehr einer 
Funktion auch die Regeneration von Fasern dafür verantwortlich zu machen. 

Herr 0. Fischer: Ein weiterer Bericht über den fleokweisen Markfiaser- 
ausfall bei der progressiven Paralyse. Vortr. demonstriert weitere Präparate 
mit den bereits beschriebenen (vgl. d. Centr. 1907. S. 36) marklosen Flecken, die 
man auch am Hämatoxyl in-Eosin präparate als Lockerung des Gewebes erkennen 
kann. Man findet mit der Weigertschen Gliamethode Verdichtungen. Dies alles 
nur bei Paralyse (in 65°/ 0 ). Bei seniler Demenz und arteriosklerotischer Hirn¬ 
atrophie fehlten die Flecken. 

Herr Marburg bemerkt, daß Dr. Mycake in einigen Fällen seniler Hirn¬ 
veränderung ähnliches fand wie Fischer bei der ParalyBe. Auch sei das heute 
Demonstrierte dem früheren nicht identisch, sondern gleiche eher einer perivasku¬ 
lären Sklerose. 

Auch Herr v. Wagner und Herr Redlich geben ihren Zweifeln Ausdruck, 
während Herr Anton meint, daß das Areal der Fibrae propriae sich in der Er¬ 
nährung von anderen Rindenteilen abhebt. Man trifft sehr häufig glasige Auf¬ 
hellungen bei Senilen und Arteriosklerotikern. , 

In der Erwiderung gibt Herr Fischer seinem Zweifel Ausdruck, ob unter 
den senilen Gehirnen Mycakes nicht Paralysen unterlaufen sind, die derartige 
Befunde erklärten. 

Die folgenden Vorträge: Fräul. Leonowa: Über das Verhalten der Rinde 
der Calcarina bei Mikrophthalmie und Amelie, Herr Maier (Graz): Experi¬ 
mentelle Beiträge zum bistologisohen Verhalten der nervösen Systeme im 
Rüokenmark und Herr v. Wagner: Über marinen Kretinismus sind bereits 
anderweitig erschienen oder werden in extenso publiziert (bezüglich des letzteren 
Vortrages vgl. das Referat auf S. 226 in dieser Nummer). Marburg (Wien). 


V. Vermischtes. 

[Die Gesellschaft Deutscher Nervenärzte wird ihre erste Jahresversammlung 
im September d. J. in Dresden abbalten. Die Eröffnungssitznng fällt voraussichtlich auf 
den 14. September. Die Referate (Krause-Berlin, BrunB-Hannover, Neisser-Stettin, 
L. K. Müller-Augsburg) beziehen sich in erster Linie auf die chirurgische Therapie der Nerven¬ 
krankheiten. Vorträge haben übernommen: A.Pick-Prag, Nonne-Hamburg, A. Schüller- 
Wien u. a. Weitere Vorträge sind rechtzeitig anzumelden bei Prof. Oppenheim-Berlin. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 


Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 


Verlag von Vbit & Comp, in I<einzie. — Druck von Mrtzokr & Wtttio in Leipzig 

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Neurologisches Centralbutt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben Ton 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

SeehsaiidjEW&iuiggter " Berlln ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 16. März. Nr. 6. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Horizontale Bulbusschwingungen bei Lidschluß, 
eine bisher nicht beschriebene Art von Mitbewegungen, von Prof. Dr. Hermann Schlesinger 
in Wien. 2. Zur Pathologie der kontinuierlichen rhythmischen Krämpfe der Schlingmusku¬ 
latur (2 Fälle von Erweichungsherden im Kleinhirn), von Privatdozent Dr. Klien. 3. Über » 
den Mechanismus und die Lokalisation der psychischen Vorgänge, von Prof. Ernst Jendrlssik 
in Budapest. (Schluß.) 4. Ein Fall von Landry'scher Paralyse kombiniert mit Hysterie, 
das Bild eines ascendierenden Bückenmarkstumors vortäuschend, von Dr. L. Jacob. 

II. Referate. Anatomie. 1. Über die intrabulbären Verbindungen des Trigeminus 
zum Vagus, von Grossmann. — Physiologie. 2. Über den Einfluß des Bindencentrums 
für Speichelsekjetion auf die reflektorische Tätigkeit der Speicheldrüsen, von Belitzki. 

3. Über Hemmungen des Centralnervensystems unter der Wirkung des galvanischen 
Wechselstromes, von Tschagowez. — Psychologie. 4. Das Kind, seine geistige und 
körperliche Pflege von der Geburt bis zur Keife, von Biedert. 5. Experiences collectives 
sur le tdmoignage, par Claparäde. 6 . I. Kriminalpsychologie und Psychopathologie in 
Schillers Räubern. IL Ibsens Nora vor dem Strafrichter und Psychiater, von Wulften. — 
Pathologische Anatomie. 7. Beitrag zur pathologischen Anatomie der Bomaschen 
Krankheit, von Oppenheim. — Pathologie des Nervensystems. 8 . Über Plattenepithel¬ 
geschwülste der Hypophysengegend (des Infundibulums), von Bartels. 9. Un cas d'acro- 
megalie sans hypertrophie du corps pituitaire avec formation kystique dans la glande, par 
WMal, Roy et Froin. 10. Un cas d’acromögalie avec lesions de l'hypophyse et de la seile 
turcique, par Gaussei. 11 . Über Akromegalie, von Witte. 12. A peculiar form of acromegaly, 
poasibly resulting from injury, by Perry. 13. Acromegalie partielle avec infantilisme, par 
Pal. 14. Ein Fall von Gigantismus infantilis, von Redlich. 15. Experimentelle Versuche 
zur parathyreoidealen Insufficienz in bezug auf Eklampsie und Tetanie, mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der antitoxischen Funktion der Parathyreoideae, von Frommer. 16. Tetania 
par&thyreopriva, von Erdheim. 17. Kindertetanie und Epithelkörperchen, von Stoeltzner. 

18. Über die Beziehungen der Tetanie zum weiblichen Sexualapparat, von Gross. 19. Bei¬ 
trag zur Lehre von der Tetanie bei Magenerweiterung, von Richartz. 20. Zur Kenntnis 
der Tetanie intestinalen Ursprunges, von Quosig. 21. Tetanie im Verlaufe der Magenkrank¬ 
heiten und des Abdominaltypnus, von Starf. 22. Die Kindertetanie (Spasmophilie) als Calcium¬ 
vergiftung, von Stoeltzner. 23. Tetaniestar — Zuckerstar — Altersstar, von Plneles. 24. Über 
Behandlung der Tetanie mittels Nebenschilddrüsenpräparaten, von Loewenthal und Wiebrecht. 

25 Beobachtungen über kuhmilchfreie Ernährung bei dem Laryngospasmus, der Tetanie 
und Eklampsie der Kinder, von Mendelsohn und Kuhn. 26. Degeneration of nerve-cells of 
the rabbits superior cervical syrapathetic ganglion as the result of interfering with their 
btood snpply, by Tuckett. 27. Über die Rolle des Sympathicus bei der Erkrankung des 
Wurmfortsatzes, von Hönck. 28. Beitrag zur Erkenntnis der Pathogenese der Raynaud'schen 
Krankheit, von Hnätek. 29. Ein Fall von symmetrischer Gangrän (Raynaud) auf hereditär- 
luetischer Grundlage, von Schiff. 30. Symmetrische Gängrän der Fingerkuppen, von Pelnär. 

31. An unusual case of Raynauds disease, by Milner. 32. Ein Fall von Er^rthromelalgie, 
von Hirose. — Psychiatrie. 33. Zur angeblichen Entartung der romanischen Völker, 
speziell Frankreichs, von Nicke. 34. La demence, par Marie. 35. Klinische Betrachtungen 


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242 


bei Entweichungen Geisteskranker, von Albrecht. — Forensische Psychiatrie. 36. Les 
devoirs et les droits de la socigtl vis-a-vis des alienea, par Grasset. 

III. Vermischtes. — IV. Berichtigung. 

Adalbert Tilkowsky f 


I. Originalmitteilungen. 


[Aus dem K. K. Kaiser Franz Josef-Spital in Wien.] 


1. Horizontale Bnlbnsschwingungen bei Lidschluß, 
eine bisher nicht beschriebene Art von Mitbewegungen. 

Von Prof. Dr. Hermann Sohlesinger in Wien. 


Im Laufe des verflossenen Sommers hatte ich während mehrerer Wochen 
Gelegenheit, ein Phänomen zu beobachten, das anscheinend bisher nicht be¬ 
schrieben ist und dessen wesentliche Charaktere in der Titelüberschrift angegeben 
sind. Die Bewegungsanomalie gelangte bei einem jungen (27jährigen) Manne 
zur Beobachtung, als derselbe auf meiner Spitalsabteilung einen außerordentlich 
schweren Typhus mit vielen Komplikationen durchmachte. Der Kranke war 
bereits seit mehreren Monaten leidend, hatte wiederholte schwere Darmblutungen, 
eine Bauchdeckenphlegmone überstanden und hatte im Anschlüsse an letztere 
eine Vereiterung der Parotis akquiriert Zu gleicher Zeit hatte auch eine tiefe 
Halsphlegmone in der Gegend des Unterkieferrandes zu wiederholten tiefen In¬ 
zisionen genötigt Schon beim Einsetzen, noch deutlicher aber beim Abklingen 
der Parotisvereiterung wurde eine Parese des rechten Mund- und Stirn facialis 
festgestellt Eine atrophische rechtsseitige Hypoglossusparese wurde erst ent¬ 
deckt, als die wochenlang anhaltende entzündliche Kieferklemme schwand. Die 
rechte Zungenhälfte war stark verschmälert, dünner, gerunzelt. Die Zungenspitze 
wich beim Vorstrecken der Zunge erheblich nach rechts ab; in der rechten 
Zungenhälfte waren deutliche fibrilläre Zuckungen zu sehen und Entartungs¬ 
reaktion nachweisbar. 

Zur Zeit des Abklingens der Parotisvereiterung wurde von mir das Bulbua- 
phänomen zum ersten Male beobachtet: Forderte man den Kranken auf, die 
Augenlider sanft, wie zum Schlafen, zu schließen, so bemerkte man das sofortige 
Einsetzen langsam schwingender Bewegungen der Bulbi in der Horizontalebene. 
Die Bulbusbewegungen konnten durch die sehr dünnen Augenlider (und bei 
dem vorhandenen rechtsseitigen Lagophthalmus) gut beobachtet werden; die 
Exkursionen waren erheblich und näherten die Cornea sowohl dem äußeren 
als auch dem inneren Augenwinkel ganz erheblich. 

Die Art der Bulbusschwingungen läßt sich, wie mich Kollege Sachs auf¬ 
merksam machte, noch am ehesten mit der vergleichen, die man bei Blinden 
beobachten kann. 

Einmal sah ich auch bei dem schlafenden Patienten die Bulbusschwingungen 
in ganz analoger Weise wie im wachen Zustande. Im auffallenden Gegensätze 
zu der motorischen Unruhe bei intendiertem Lidschlusse stand das Verhalten 


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'iw Bulbi bei geöffneten Augen. Die Bulbusbewegungen waren vollkommen frei, 
keine Andentang von Nystagmus oder Bulbossohwingimgen. 

Das Phänomen war während einiger Wochen deutlich, konnte auch in dieser 
Zeit in einer Ante-Vorlesung demonstriert ward«). Mit zunehmender Erholung 
des Kranken und parallel mit der Rückbildung der Facialislähmung trat aber 
eine Modifikation des Phänomens auf. Es wurde nicht mehr durch ruhigen 
Lidschlnß, sondern nur durch forcierten Lidschluß ausgelöst Schon nach wenigen 
Tagen aber rief der forcierte Lidschluß nicht mehr horizontale langsame Bulbus¬ 
schwingungen hervor, sondern es wurden wild ausfahrende Bulbusbewegungen 
ausgelöst, die ganz regellos bald nach oben oder unten, außen oder innen erfolgten. 
Allmählich wurden die Baibusexkursionen kleiner und spärlicher und zessierten 
mit zunehmender Kräftigung des Kranken bei weiterem Rüokgange der Faoialis- 
lähmung vollkommen. 

Bekanntlich wird beim Lidschluß der Bulbus nach oben oder nach oben und 
außen oder endlich nach oben und innen gewendet und verharrt in dieser 
Stellung, so lange der Lidsohluß audauert Diese unter der Bezeichnung des 
„BELLSchen Phänomens“ gekannte Bulbusbewegung ist besondere bei Facialis- 
lähmungen studiert und zum Gegenstände von Publikationen gemacht worden. 
Bernhardt bespricht diesen Gegenstand ziemlich ausführlich und betont aus¬ 
drücklich, namentlich gegenüber einigen französischen Autoren, daß es sich um 
eine bei allen gesunden Menschen nachweisbare Erscheinung handle; eine dia¬ 
gnostische Bedeutung für die Facialislähmung komme ihr nicht zu. Das Phänomen 
ist mitunter bei sanftem Lidschi usse nicht nachweisbar, stellt sich aber regel¬ 
mäßig bei stärkerer Innervation des Orbicularis orbitae (Zukneifen) ein. Ände¬ 
rungen des Phänomens sind bisher offenbar nur sehr selten zur Beobachtung 
gelaugt Zwei Autoren, Bouchaud und Coppez, haben beim Lidschi usse den 
Bulbus nach unten sich bewegen gesehen. Die anderen Autoren, die sich mit 
diesem Phänomen beschäftigten, u. a. Köster, Nagel, Miohel, Mann, heben 
ausdrücklich die Drehung des Bulbus nach oben hervor; auch finde ich er¬ 
wähnt, daß der Bulbus sich manchmal erst nach oben und innen und dann 
erst nach oben und außen wende (Bernhardt). 

Eine Art von Augenbewegungen bei forciertem Lidschluß beschrieb Stranskt 
unter dem Namen des „assoziierten Nystagmus“. Dieses Phänomen bestand 
darin, „daß nach vorsichtigem Offnen der Lidspalte der Versuch, letztere gegen 
den duroh den Finger des Untersuchen gesetzten Widerstand langsam zu 
schließen, von deutlichen, den krampfhaften Innervationsstößen in den Lid- 
sohließern parallel gehenden feinsoblägigen nystaktischen Zuckungen des Bulbus 
begleitet war“. Sämtliche von Stranskt beobachteten Fälle wiesen Zeichen 
von funktioneller Neurose auf, ebenso ein Fall von Binswanger mit denselben 
Symptomen. 

Daß das in unserem Falle beobachtete Phänomen nicht dem „assoziierten 
Nystagmus“ von Stranskt entspricht, ist sicher. Denn in unserer Beobachtung 
handelte es sich um horizontale langsame Bulbusschwingungen und nicht um 
feinschlägige Bewegungen; es traten weiter die Bewegungen nur nach erfolgtem 


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sanftem, kompletem oder inkompletem Lidschiaß oder im Schlafe auf, während 
der assoziierte Nystagmus sich zeigt, wenn der Lidschlnß intendiert wird und 
auf einen mäßigen Widerstand stößt Der assoziierte Nystagmus entspricht also 
einer früheren Phase der Augapfelbewegung beim Lidschlusse, nämlich der 
Bulbusbewegung nach oben, die horizontalen Bulbusschwingungen hingegen 
treten an Stelle der bereits eingenommenen Schlaf- und Ruhestellung der Bulbi 
(nach oben). 

Auch mit dem von Bebnheixeb und Baer beschriebenen „reflektorischen 
Nystagmus“ bat das Phänomen der horizontalen Bulbusschwingungen nichts zu 
tun, zumal lokale Schädigungen der Cornea oder des Bulbus fehlten. 

Eine vollkommen befriedigende Erklärung des sonderbaren Phänomens ver¬ 
mag ich nicht zu geben. Daß dasselbe durch die Facialis- bzw. Hypoglossus- 
lähmung veranlaßt war, ist mir sehr unwahrscheinlich, trotzdem Rückgang der 
Facialislähmung und Schwinden des Phänomens annähernd parallel gingen. 
Man müßte doch sonst schon das Symptom beobachtet haben, zumal gerade bei 
Faoialislähmungen die Bulbusbewegungen von vielen Autoren studiert wurden. 

Auch ein direkter Zusammenhang mit der Hypoglossuslähmung ist nicht 
gut anzunehmen. Allerdings fehlen darüber Angaben bzw. Beobachtungen voll¬ 
ständig, da periphere Hypoglossuslähmungen, an und für sich selten, kaum je 
infolge einer tiefen Halseiterung zur Beobachtung gelangten. Jedoch würde die 
Hypothese einer solchen Einwirkung einer peripheren Hypoglossuslähmung auf 
die Bulbusbewegungen einer tatsächlichen anatomischen Grundlage entbehren. 

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Auftreten der horizontalen Bulbus¬ 
schwingungen auf centrale Innervationsstörungen zu beziehen. Sohon die Störung 
der sehr innig miteinander verknüpften Mitbewegungen des Lidschlusses und 
der Augapfeldrehung weist auf centrale Störungen hin, da der ganze komplizierte 
Apparat, der bei diesen (normalen) Bewegungen funktioniert, nur im Centrum 
und nicht peripher gedacht werden kann (vgl. die Beobachtungen von Margdlies 
und Hering-Kohn von Störungen dieser Mitbewegungen bei centralen Er¬ 
krankungen). 

Das Symptom war an beiden Augen in gleicher Weise wahrzunehmen; sein 
Auftreten setzt die Auflösung sehr festgefügter Mitbewegungen voraus und die 
Möglichkeit, zu gleicher Zeit einen Teil der Augenmuskulatur in sehr intensiver 
Weise zu beanspruchen und einen anderen Teil vollkommen ruhig zu belassen. 

Vielleicht könnte man sich vorstellen, daß die schwere und erschöpfende 
Krankheit, während welcher das Phänomen beobaohtet wurde, vorübergehend 
schwächend auf die Augenmuskelkerne und vor allem auf das hintere Längsbündel 
gewirkt hat; motorische Impulse, die unter normalen Verhältnissen immer wieder 
die gleichen assoziierten Lid-Augapfelbewegungen zur Folge hatten, könnten infolge 
gestörter Innervation das Zusammenwirken anderer Muskelgruppen des Auges 
bewirken. Vielleicht trug auch der Versuch, auf den gelähmten Facialis durch 
stärkere Innervation einzuwirken, mit dazu bei, die gewöhnlichen Mitbewegungen 
aufzuheben und andere herbeizuführen. 

Das Schwinden der Erscheinung mit der Kräftigung des Kranken spricht 

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für die nur vorübergehende Schädigung der centralen Apparate und gegen die 
Annahme grober anatomischer Läsionen. 

Literatur. 

E. Sträubst, Assoziierter Nystagmus. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 786. — Ders., 
Zur Kenntnis des assoziierten Nystagmus. Ebenda. 1906. Nr. 1. — Bbrkhbuibb, Reflek¬ 
torischer Nystagmus. Monatsbl. f. Augenheilkunde. - Ophthalmologenkongreß 1901. — Bla, 
Archiv f. Augenheilkunde. XLV. — Binswanges, Die Hysterie. 2. Aufl. Nothnagel's Hand* 
buch. Wien 1906. — Bernhardt, Die Erkrankungen der peripheren Nerven. 1. Teil. 2. Aufl. 
Wien 1902. Kapitel: FaciaUslähmung. — Coppkz, Signe de Bell. Journ. m4d. de Bruxelles. 
1902. Nr. 20. — Bouchaod, A propos du signe de Beil dans la paralysie faciale pdripMrique. 
Journ. de neurol. 1901. S. 488. — Kohn-(Hbring), Ein Fall von Pseudobulbärparalyse* 
Prager med. Wochenschrift 1900. Nr. 17. — A. Margouss, Über das sogen. Bsu.'sche 
Phänomen bei centraler Facialisläbmung. Wiener med. Wochenschrift. 1900. S. 209. — 
Nagel, Über das BELi/sche Phänomen. Archiv f. Augenheilkunde. XLIII. Heft 3. 


[Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Leipzig. (Dir.: Prof. Flechsig).] 


2. Zur Pathologie der kontinuierlichen 
rhythmischen Krämpfe der Schlingmuskulatur (2 Fälle 
von Erweichungsherden im Kleinhirn). 

Von Privatdozent Dr. Klien. 


In der Deutschen med. Wochenschrift 1904. Nr. 17 u. 18 habe ich 2 Fälle 
von eigenartigen kontinuierlichen rhythmischen Krämpfen der Schlingmuskulatur 
beschrieben. Beide Fälle sind inzwischen zur Sektion gekommen und über den 
interessanten Befund soll im folgenden berichtet werden. Vorher ist der klinische 
Verlauf der Fälle bis zum Tode nachzutragen. 

Im ersten Fall handelt es sich um einen 53 jährigen Arbeiter, bei dem nach 
mehreren apoplektischen Insulten, von denen nichts als eine leichte, nicht 
spastische Parese der linksseitigen Extremitäten zurückgeblieben war, ein apo- 
plektischer Anfall erfolgte, als dessen unmittelbare Folge sich eine 
Erschwerung des Sehlingens und Sprechens und ein fortgesetztes 
Zacken im Kehlkopf eingestellt hatte. Die genauere Untersuchung dieser 
Krämpfe eigab, daß alle beim Schluckakt successive innervierten 
Muskeln synchron zuckten und zwar nur die Muskeln der linken Körperhälfte. 
Außerdem beteiligten sich an den Zuckungen noch in sehr geringem Grade 
die oberen Augenlider. Die Krämpfe erstreckten sich nicht auf einzelne Nerven¬ 
gebiete, sondern es handelte sich um eine elektive Beteiligung fünktionell 
zusammengehöriger Muskeln weit auseinander liegender Nerven¬ 
gebiete (V, X, XI, XII, cerv. III u. IV). Aus diesem Gründe konnten die 
Krämpfe nicht auf Reizzustände im Bereich der Nervenwurzeln oder Kerne 
zurückgeführt werden, sondern sie konnten nur supranukleär sein, nur von 
einem Zentrum — dem Schlingzentrum — ausgehen. 

In dem Zustand des Kranken trat in der folgenden Zeit keine wesentliche 
Änderung ein. Patient fühlte sich durch die fortgesetzten Zuckungen im Halse 


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hochgradig belästigt. Teils aus diesem Grund, teils infolge unangenehmer Vor¬ 
kommnisse in seinem Privatleben, beging er am 19. Juni 1904 Selbstmord. 
Die Leiche wurde der Leipziger Anatomie zugeführt und mit gütiger Erlaubnis 
des Herrn Geheimrat His erhielt ich das Gehirn. 

Der Patient batte sich durch Schuß in den Mund getötet. Folge davon 
war, daß der für die Untersuchung wichtigste Teil des Gehirns, die Medulla 
oblongata, teilweise zertrümmert war und daß ferner ein erheblicher Teil des 
Kleinhirnwurms zerstört war. Trotzdem halte ich es für nötig, den Befund 
genauer wiederzugeben, da einmal anatomische Befunde für die von mir be¬ 
schriebene Form von Schlingkrämpfen noch nioht vorliegen und da ferner dieser 
erste Fall durch den zweiten ergänzt wird. 

Das Großhirn wurde in Frontalschnitte von */s — S U cm Dicke zerlegt Die 
erhaltenen Teile des Kleinhirns, der Medulla oblongata und des obersten Kücken¬ 
markes sowie der übrige Hirnstamm wurden in Serienschnitte zerlegt und nach 
Wbigkbt auf Markscheiden behandelt; nur wenige Schnitte wurden nach anderen 
Methoden gefärbt 

Im Großhirn fand sich nur in der inneren Kapsel der linken Hemisphäre 
ein kleines keilförmiges, im Maximum etwa 12 mm langes Herd eben, ln Brücke 
und Oblongata fand sich trotz genauester Durchforschung nirgends ein Erweichungs¬ 
herd; es ist aber natürlich nicht unmöglich, daß in dem zertrümmerten Teil 
ein Herd gesessen hat und ich muß deshalb die Ausdehnung der Zerstörung 
etwas genauer beschreiben. Bereits dicht unterhalb der Striae acusticae befand 
sich im lateralsten Teil der rechten Bautengrubenhälfte ein ganz minimaler, 
durch den Schuß hervorgerufener Defekt. Diese Zertrümmerung erstreckte sich 
nach unten immer mehr nach der Mediane zu und umfaßte schließlich im Be¬ 
reich der X- und XH-Kerne den ganzen dorsalen Quadranten eines Frontal¬ 
schnittes. Im untersten Teil der XH-Kerne war das ganze Mark quer durch¬ 
getrennt und zum Teil zertrümmert. 

An der dorsalen Fläche der linken KleinhimhemiSphäre fand sich eine 
ziemlich tiefe, von einem alten Herd herrübrende Einziehung, welche vom 
Sulcus horizontal» magnus bis in die zertrümmerten Teile des Oberwurms reichte. 
Am Sulcus horizontal» umfaßte der Herd etwa das zweite vordere Viertel des 
hinteren konvexen Bandes und von hier verlief er parallel dem vorderen geraden 
Band noch dem Wurm. Er durchsetzte den Lobus superior posterior und 
medialis und die hinterste Partie des Lob. sup. ant In der Tiefe be¬ 
traf die Herderkrankung das gesamte Mark seitlioh, vorn und oben vom 
Xucleus dentatus; der dorsalste Teil des Nucleus dentatus war mit zer¬ 
stört, in den tieferen Partien war nur der mittlere Teil desselben erweicht, 
während das vordere und hintere Ende intakt war. 

An der Basis der rechten Kleinhirnhemisphäre befand sich ein zweiter 
Herd, welcher den Lobus inferior posterior und medialis quer durchsetzte. 
Dieser Herd hatte an der Oberfläche die Gestalt eines schmalen Streifens von 
maximal 1 j 2 cm Breite. Er durchsetzte das Mark der Windungen, ohne das tiefe 
Mark zu erreichen. 

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Eine genaue Schilderung der sekundären Degenerationen hat bei dem defekten 
Gehirn keinen Sinn, nur folgendes sei hervorgehoben: Von dem Herd im Nucleus 
dentatus ging eine kompakte Degeneration des Bindearmes aus, die im Quer¬ 
schnitt desselben etwa das zweite und dritte dorsale Sechstel betraf. Der kontra¬ 
laterale rote Kern, in welchen sie führte, war atrophisch. Der mittlere Klein¬ 
hirnschenkel war links teilweise stark degeneriert Das Corpus restiforme zeigte 
links starke, rechts keine deutliche Degeneration; links waren insbesondere die 
Traetus cerebello-olivares bis auf schwaohe Beste geschwunden. Höchst auf¬ 
fällig war das Verhalten der rechten Olive: Vließ und vor allem Hilms waren 
hochgradig degeneriert; letzterer enthielt stellenweise nur ganz spärliche Faser¬ 
reste. Durch diesen Schwund der dem Olivenband anliegenden Fasern muß 
dasselbe natürlich breiter erscheinen, doch war auf allen Querschnitten die 
Gegend der Olive so hervorgetrieben, daß es sich um eine wirkliche Schwellung 
der Olive mit Substauzvermehrung zu handeln schien. iBdes läßt sich hier¬ 
über in diesem Fall nichts näheres sagen, da die Oliven teilweise zertrümmert 
waren, also kein durchgehender Vergleich möglich war, und da eine Vortreibung 
der Olivengegend in diesem Fall auch durch die Quetschung bedingt sein konnte. 
Soviel ließ sich jedoch mikroskopisch feststellen, daß die Stützsubstanz beträcht¬ 
lich vermehrt war, und daß die Zellen zum größten Teil hochgradig atrophisch 
waren. Nur in unregelmäßigen Abständen waren einzelne Zellen wohlerhalten. 
Die Zahl der auf eine Raumeinheit fallenden wohlerhaltenen Zellen verhielt sich 
bei Vergleich beider Oliven wie 1:25, d. h. es war in der erkrankten Olive nur 
etwa der 25. Teil der Zellen erhalten. 

Bemerkt sei, daß die centrale Haubenbahn beiderseits gleich gut entwickelt 
war und daß sich im Rückenmark keine Degeneration des HEULWBo’schen 
Bündels nachweisen ließ. Auch sonst waren im Rückenmark an Weägert- 
Präparaten keine Degenerationen zu sehen, so daß auch auf diese Weise kein 
Anhaltspunkt für die Annahme eines Herdes in dem zertrümmerten Teil der 
OUongata gewonnen werden konnte. Immerhin kann es natürlich nicht als 
ausgeschlossen angesehen werden, daß in dem zertrümmerten Teil ein klein» 
Herd gesessen hat 


Im zweiten Fall handelte es sich um eine 52jährige Frau, bei der eben¬ 
falls im Anschluß an einen apoplektischen Insult Krämpfe ganz des gleichen 
Charakters, nur doppelseitig, aufgetreten waren. Außerdem beteiligten sich 
hier noch alle Atemmuskeln und die Maskein des rechten unteren Faeialis- 
gebietes an den Zuckungen. Links bestand eine sehr erhebliche Gaumensegel- 
lähmuog und eine schwache Zungeapamse, rechts eise spastische Parese der 
Gliedmaßen. Es wurde deshalb ein Herd unterhalb der X. und XII. Kreuzung 


vermutet 

Aus dam weiteren Verlauf des Falles ist noch folgendes bervorzubeben: 
Am 18./V. 1204 bekam Patientin einen epileptischen Anfall, der nach 
Bericht 4er Pflegerin mit Verziehung des rechten Mundwinkels begann. Naoli 
dem Anfall bestand beiderseits eine beträchtliche Zungen- und Facialis&hmung, 


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die sich nach einigen Tagen wieder bis anf den früheren Zustand behob. Die 
rhythmischen Krämpfe der Schlingmuskulatur wurden durch diesen Anfall nicht 
beeinflußt 

14./VIII. 1904 Schwindelanfall. Patientin stürzt zu Boden. 

20. /VIII. Apoplektischer Anfall. Konjugierte Augenablenkung nach rechts 
mit' fortgesetzten nystaktischen Zuckungen nach rechts. Bewußtsein dabei 
nicht erloschen. Patientin kommt einfachen Aufforderungen nach, kann aber 
den Blick nicht nach links wenden. Die Zunge kann nicht über die Zähne 
gebracht werden; im Mund deviiert sie ein wenig nach rechts. Wie früher, 
sind die Sehnenreflexe rechts stark gesteigert, links schwach und die Muskeln 
der Gliedmaßen rechts rigid, links ziemlich schlaff. Rechts sehr ausgesprochener 
Babinski, links anfangs undeutliche Beugung, später — etwa s / 4 Stunde nach 
Beginn des Anfalles — Babinski. 

Durch Schmerzreize werden von allen Stellen des Körpers aus schüttelnde 
Bewegungen des rechten Armes hervorgerufen, öfters treten dieselben auch 
spontan auf. Auf schmerzhafte Reize im Bereich der reohten Körperhälfte tritt 
lebhafte mimische Reaktion auf, bei Reizung der linken Körperhälfte nicht Nur 
im Gesicht ist dieser Unterschied nicht sehr deutlich. Die Lageempfindung 
ist jetzt im linken Arm erheblich gestört Zeitweise treten anhaltende Kau¬ 
oder vielmehr eine Art Schmeckbewegungen auf. Öfters starker Singultus. 
Pupillen weit, reagieren auf Licht Sympathische Reaktion enorm ausgiebig. 

Stärkere Benommenheit, zeitweise wieder länger anhaltende Schmeck¬ 
bewegungen mit sehr starker Salivation. Erbrechen; danach plötzliche starke 
Verengerung der Pupillen ohne Änderung der Reaktionsverhältnisse. Das rechte 
Auge kehrt aus der konjugierten Ablenkung zeitweise zurück in Mittelstellung, 
die Zuckungen der Augen bestehen fort 

21. /VIII. Mäßige Benommenheit. Deviation geschwunden. Dagegen jetzt 
links deutliche Abducenslähmung. Linke Gliedmaßen jetzt spastisch-paretisoh, 
linke Lidspalte weiter, Konjunktivalreflexe r. = 1. Pupillen miotisch. Licht¬ 
reaktion nur minimal. Sympathische Reaktion nicht mehr deutlich zu erzielen. 
Hypästhesie und Hypalgesie der linksseitigen Extremitäten. 

22. /.VIII. Völlige Bewußtlosigkeit, Schluckpneumonie. Abends Exitus. 

Während der ganzen Dauer dieses sch weren apoplektischen 

Insults haben die rhythmischen Krämpfe der Schlingmuskulatur un¬ 
verändert angehalten. Noch im Zustand der tiefsten Agonie be¬ 
standen sie fort und hörten erst ganz zuletzt mit dem Verlöschen 
des Atems und der Herztätigkeit auf. 

Von dem Sektionsresultat interessiert hier nur der Gehirnbefund. An 
den Gefäßen der Basis fanden sich zahlreiche sklerotische Plaques, am zahl¬ 
reichsten und ausgedehntesten im Gebiet des Circulus arteriosus Willisii, wo sie 
mehr als die Hälfte des Arterienareals, einnahmen. Relativ weniger betroffen 
vom sklerotischen Prozeß waren die Arteriae vertebrales und basilaris, sehr stark 
dagegen wieder deren kleinere Äste. Äußerlich waren am Gehirn keine Zeichen 
von Herderkrankung zn erblicken, 

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Das Gehirn wurde als ganzes gehärtet, dann wurde der Hirnstamm mit 
dem Kleinhirn in Serienschnitte zerlegt und nach Weigbbt auf Markscheiden 
gefärbt Nur wenige Schnitte wurden nach anderen Methoden behandelt 

Das Großhirn wurde durch Zerlegung in Vs— 3 / 4 cm dicke Scheiben auf 
Herde untersucht: es war im Gegensatz zum ersten Fall der Sitz außerordentlich 
zahlreicher kleiner Herde. So fanden sich links frischere und ältere Herde von 
einem Durchmesser von maximal 1 / 2 — s / 4 cm: im vorderen Schenkel der inneren 
Kapsel (2), im Nnoleus caudatus (2), im Linsenkem (3), in der Capsula 
externa (1), im Mark der vorderen Centralwindung und der zweiten Temporal¬ 
windung. Im Gyrus angularis zeigte sich dicht unter der Rinde, nicht ins tiefe 
Mark reichend, ein flacher, größerer Herd. Das Gehirn wurde daraufhin nicht 
weiter zerschnitten, da die von diesem Herd ausgehenden sekundären Degene¬ 
rationen untersucht werden sollen. Es ist auch der weitere Befund im Gro߬ 
hirn für den vorliegenden Fall — wie wir sehen werden — nicht von Belang. 
Es genügt, festgestellt zu haben, daß sich in dem untersuchten Teil des Gro߬ 
hirns in diffuser Verbreitung eine große Zahl kleiner Herde fand, und es ist 
anzunehmen, daß dies auch in dem nicht untersuchten Teil der Fall war. 

Die Untersuchung des Hirnstammes ist nun leider auch in diesem Fall 
keine absolut vollständige. Von dritter Seite wurde versehentlich vom untersten 
Teil der Medulla oblongata ein schmales Stück zu Kontrollpräparaten verwendet 
und war mir später nicht mehr zugänglich. Doch betrifft dieser Defekt eine 
Region, welche als vermutlicher Sitz des Herdes wohl nicht mehr in Betracht 
kommen konnte, da der erhaltene Teil der Oblongata bis unterhalb des Schlusses 
des Centralkanals reichte, also bis zu einer Stelle, die wesentlich tiefer liegt 
als das Schlingcentrum. Als Sitz des letzteren wird eine Stelle außen-oben von 
den Spitzen der Alae cinereae im Boden des IV. Ventrikels angenommen (Maäk- 
wald u. a.). 

Bei Abtragung des Hirnstammes zeigte sich, daß der Aquaeductus Sylvii 
uud die Ventrikel ausgedehnt und mit frischen Blutgerinnseln erfüllt waren. 
An den Folgen dieser Ventrikelblutung war Patientin gestorben. An den Schnitten 
sah man in der Umgebung des Aquaeductus Sylvii multiple frische Blutungen, 
von denen aus ein Durchbruch in den Ventrikel erfolgt war. 

In der Brücke zeigte sich ein kleiner alter Herd, welcher in der Höhe des 
hinteren Vierhügelpaares begann und bis in die Gegend des V. Austritts herab¬ 
reichte. Auf Frontalschnitten erreichte er eine maximale Ausdehnung von 
etwa 2 mm Höbe und 5 mm Breite; er lag lateral-dorsal von den Pyramiden¬ 
bahnen (vgl. Fig. 1). Im übrigen fand sich auch in diesem Fall überraschender 
Weise in Brücke und Oblongata nirgends ein Herd! 

Dagegen fanden sich im Innern beider Kleinhimheinisphären Herde. In 
den vordersten Sohnitten des mit der Brücke frontal geschnittenen Kleinhirns 
war das Mark beiderseits völlig gleichgut entwickelt, nirgends zeigte sich Degene¬ 
ration oder Atrophie. In den nächsten Schnitten begann sich das Mark zu 
lichten und dicht vor Beginn des Nuoleus dentatus fing ein großer, von einer 
alten Haemorrhagie herrührender Herd an, der sich in der folgenden Weise weit 


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nach hinten erstreckte: er durchsetzte den ganzen Nucleus dentatus von seinem 
proximalen zum distalen Ende in der Weise, daß der dorsalste und in den 
proximalen Abschnitten auch ein ventraler Anteil dieses Kerns erhalten blieb. 



Fig. l. 


In seiner seitlichen Ausdehnung durchsetzte er stellenweise das ganze Klein¬ 
hirnmark vom Ventrikel bis fast an die Rinde, von ihr nur durch eine ganz 
dünne Schicht von Markfasern (nur Bogenfasern?) getrennt (Fig. 2). Dicht hinter 



Fig. 2. 


dem Nucleus dentatus war der größte Teil des Kleinhirnmarkes zerstört Schlie߬ 
lich erstreckte sich der Herd bis in das Mark des Lobus superior medialis und 
posterior, ohne jedoch dessen Rinde ganz zu erreichen. 

Von diesem großen Herd aus ging von der Region des zerstörten Nucleus 
dentatus eine kompakte Degeneration aus, deren Fortsetzung in dem Bindearm 


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in Fig. 1 zu sehen ist Desgleichen sieht man hier die von dem Herd aus¬ 
gehende Degeneration im mittleren KleinhirnsohenkeL 

Im Kleinhirn fanden sich nach vorn zu von dem Herd fast gar keine 
Degenerationen; in gleicher Frontalebene und nach hinten zu war das Hark 
überall mehr oder weniger stark gelichtet Ganz hochgradig war der Zerfall 
des Markes im mittleren nnd hinteren oberen Lappen, namentlich in 
deren hintersten Teilen: hier war nur ein, ganz spärliche Markfasem enthalten¬ 
des Konvolut des Bindenbandes ächtbar. Relativ gut erhaltenes Mark fand sich 
in der Flocke. 


Etwa in derselben Hohe wie in der rechten Hemisphäre begann in der 
linken ein Herd, doch war derselbe von viel geringerer Ausdehnung. Br er¬ 
streckte sich nicht in den Nueleos dentatus, sondern lag demselben nur dicht 
außen an (vgl. Fig. 2). Seine Grüße im transversalen Durchmesser betrug nur 
etwa Vs cm > doch genügt das hier, um fast das ganze Mark zwischen Binde 
nnd Nucleus dentatus zu durchsetzen. Im dorsoventralen Durdunesser erreichte 
er eine maximale Ausdehnung von fast */ 4 cm; in seiner Längsausdehnung er¬ 
streckte er sich fast längs des ganzen Nucleus dentatus. Hinten endete 
er schließlich im Fuß des Lobus superior medialis. Von diesem Herd 
gingen Degenerationen nach oben, hinten und unten aus; die oberen (Fig. 2) 
ließen sich bis in den Oberwurm verfolgen, die anderen verloren sich im Marie. 
Sie waren hier nicht näher zu verfolgen, da sich hier noch andere Degenerationen 
fanden, die von einigen weiteren kleinen Herden ausgingen. Im Faß des Lobus 
inferior medialis lag ein etwa 1 ( t cm im Durchmesser betragendes Herdchen, 
ferner fanden sich im Mark, welches den Fuß des oberen nnd unteren 
hinteren Lappens bildet, zwei kleine Herdchen. 

Vom den sekundären Degenerationen im Hirnstamm ist bereits die des 
Bindeannes und mittleren Klemhirnschenkels erwähnt (Fig. 1). Der rote Kern, 
in welchen der degenerierte Bindearm führte, war atrophisch. Die Pyramiden- 
bahnen waren beiderseits etwas blaß, links blasser als rechte. Es sind dies 
Folgen der multiplen Großhirnberde. Rechts waren die Tractus cerebelloolivares 
hochgradig degeneriert. Die linke Olive zeigte die gleichen Veränderungen wie 
die rechte m Fall I. In den Frontalschnitten jeder Höhe war die Gegend 
der linken Olive im Vergleich zu der entsprechenden Partie der anderen Seite 
stark vorgetrieben (vgl. Fig. 2). Vließ und vor allem Hilas waren höchst faser- 
arm. Wie in Fall I, war auch hier die Stützsubstanz vermehrt und die Zellen 
waren zum größten Teil schwerster Atrophie verfallen. In unregelmäßigen Ab¬ 
ständen sah man auch hier gut erhaltene Zeilen, die sich scharf von den degene¬ 
rierten abhoben und völlig den Zellen der gesanden Olive glichen. In einem 
Baum, auf welchen in der kranken CHive 1 Zelle fiel, fanden sich in der ge¬ 
sunden 18. Es «rar also etwa der achtzehnte Teil der Zellen gut erhalten. In 
der rechten Olive erschienen Vließ und Hilus auch etwas heller ate normal, doch 
ist dies, da die andere Olive nicht als Vergleichsobjekt dienen kann, natürlich 
schwer ta enteoheiden. 


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Im übrigen sei 

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ans dem anatomischen Befund nur noch hervorgehobeu, 


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252 


daß die centrale Haubenbahn beiderseits gleich gut entwickelt war und daß im 
Kückenmark eine Differenz im Markgehalt der HsLLWEG’schen Bündel nicht zu 
entdecken war. Die rechte Pyramide war im Rückenmark, entsprechend dem 
Befund in der Brücke, etwas blässer. Im übrigen waren Degenerationen an 
den Weigert-Präparaten vom Rückenmark nicht nachweisbar. 

Beiden Fällen gemeinsam ist also im klinischen Bild in erster 
Linie das Symptom der kontinuierlichen rhythmischen Krämpfe der Schling* 
muskulatur, im anatomischen Bild die Herderkrankung des Kleinhirnes und 
die Intaktheit der Medulla oblongata. Die in beiden Fällen erkrankte Stelle 
des Kleinhirnes ist die Region außen und in der Mitte vom Nucleus 
dentatus, sowie das Mark des Lobus sup. post und medialis, und zwar 
ist die Stelle lateral vom Zahnkern und im Mark der genannten Lappen in dem 
Fall von doppelseitigem Krampf doppelseitig, in dem Fall von einseitigem Krampf 
einseitig erweicht. 

Ganz verschieden war in beiden Fällen der Befund im Großhirn: in dem einen 
Fall multiple kleine Erweichungen, in dem anderen eine einzige kleine Erweichung 
in der inneren Kapsel der zu dem einseitigen Krampf homolateralen Hemisphäre. 
Dieser Herd kann natürlich für die Krämpfe nicht verantwortlich gemacht werden. 
Nach unseren jetzigen Anschauungen über die Funktionen des Kleinhirnes 
können wir indes die Krämpfe in den vorliegenden Fällen nicht erklären. Hier 
kommt jedoch in Betracht, daß unsere sicheren Kenntnisse über die Funktionen des 
menschlichen Kleinhirnes nur recht dürftige sind. Die Ergebnisse der Tier¬ 
experimente sind aufs menschliche Gehirn nicht ohne weiteres anwendbar; unsere 
den klinischen Beobachtungen entnommenen Kenntnisse beruhen aber zum 
größten Teil auf dem Studium von Tumoren, Atrophien und Aplasien, während 
die Zahl der genauer studierten Erweicbungsherde eine recht geringe ist. Beim 
Studium von Tumoren kann man indes nie mit der wünschenswerten Bestimmt¬ 
heit sagen, inwieweit die Symptome auf Fernwirkung zurückzuführen sind, wie 
sie vor allem durch Druck auf die Oblongata und durch Vermittelung von 
Hydrocephalus bedingt werden kann. Mit einer anderen Schwierigkeit haben 
wir bei den Atrophien und Aplasien zu rechnen. Dieselben sind nicht selten 
in recht beträchtlichem Grade beobachtet worden, wenn sich intra vitam nur 
relativ geringe Symptome oder gar keine gezeigt hatten. Zur Erklärung dieser 
Tatsache hat man angenommen, daß die Funktionen des Kleinhirnes bei an¬ 
geborenen oder langsam sich entwickelnden Defekten in weitgehendem Maße 
durch die Central Windungen übernommen werden können. 

Von vorn herein kann die Möglichkeit, daß die Krämpfe in den beiden 
beschriebenen Fällen eine Folge gestörter Kleinhirnfunktion sind, nicht ausge¬ 
schlossen werden. Da aber — wie oben erörtert — die Möglichkeit, daß in beiden 
Fällen in dem fehlenden kleinen Stück der Oblongata ein Herd gesessen haben 
könnte, nicht mit aller Sicherheit auszuschließen ist, will ich nicht genauer auf die 
in der Literatur beschriebenen Fälle eingehen, in welchen bei Kleinhimerkrank¬ 
ungen, in denen eine Fern Wirkung nicht angenommen werden konnte, Störungen 
in den hier in Frage kommenden Muskelgebieten hervorgerufen wurden. Nur 


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folgendes sei hervorgehoben: Unter den Fällen von Kleinhirnherden und «Atro¬ 
phien, welche Adler 1 in seiner Monographie über die Symptomatologie der 
Kleinhimerkrankungen referiert, findet sich eine beträchtliche Zahl, in denen 
Schlackstörung, Sprachstörung oder Erbrechen beobachtet wurde, ohne daß von 
Femwirkung die Bede sein konnte. Es wäre wenigstens sehr willkürlich und 
nicht dem Begriff der Femwirkung entsprechend 2 , solche Symptome, welohe 
nach Abklingen der akuten Erscheinungen als Folge einer Hirnblutung oder 
-Erweichung dauernd Zurückbleiben, aus einer Femwirkung erklären zu wollen. 
Dasselbe gilt für die durch Cerebellaratrophie entstehenden Symptome. Unter 
dem von Adleb gesammelten Material sind folgende 2 Fälle besonders be¬ 
merkenswert. Batst et Collbt 3 sahen in einem Fall von Cerebellaratrophie 
,»Zittern der Stimmbänder“ und Sepilli 4 beobachtete in einem Fall von Klein¬ 
hirnatrophie neben Erschwerüng der Sprache „klonische Kontraktionen der 
Gesichtsmuskulatur, abwechselndes Schließen und Offnen des Mundes und Be- 
traktionen der Zunge.“ 

Aus der späteren Literatur erwähne ich einen von Anton 6 beschriebenen 
Fall, in welchem nach einer Cerebellarapoplexie unter anderen Symptomen 
heftiges Erbrechen, lallende, näselnde Sprache und Schlingbeschwerden entstanden 
und außerdem eine auffallende Verminderung des Mienenspiels zurückblieb, ln 
einem Fall Touches 6 trat als einziges Symptom einer Blutung im Corpus 
dentatum heftiges Erbrechen ein. Madeb 7 beobachtete in einem Fall, in dem 
sich 2 kleine Herdchen im Kleinhirn fanden, sehr starke Brechneigung beim 
Aufsetzen und überhaupt bei jeder Bewegung. (Siehe Krankengeschichte meines 
zweiten Falls!) Lannois und Paviot 8 sahen bei Kleinhirnatrophie skandierende 
Sprache, wie sie sich auch in fast allen bei Adler zusammengestellten Fällen 
von Kleinhiraatrophie fand. 

von Monakow 9 sagt in der neuesten Auflage seiner Gehirapathologie: 
„Sicher ist das Kleinhirn bei den lebenswichtigen Bewegungen (Schlucken, 
Bespiration) ganz unbeteiligt“ Auch das Brechen beruht nach von Monakow 
auf Femwirkung. Angesichts der oben erwähnten Beobachtungen kann man 
dieser so bestimmt geäußerten Meinung von Monakows nicht beipflichten. 
Wir können vielmehr nur sagen, daß wir über Beziehungen des Kleinhirns zu 
diesen Funktionen nichts sicheres wissen, daß aber durch eine größere Zahl von 


1 Breslau 1899. 

* Unter Femwirkung verstehen wir die Wirkung einer Lokalerkrankung des Gehirns 
auf dem Herd fernliegende Gehirnteile durch Vermittlung mechanischer oder chemischer 
Momente (vasomotorische, toxische Wirkung, Ödeme, Druck usw.), nicht durch Ver¬ 
mittlung der spezifischen Nervenleitung. 

* Nr. 46 bei Adlkb. 

4 Nr. 47 bei Adlbb. 

* Neurolog. Centralbl. 1901. S. 63. 

* Soc. de neurol. Paris. Neurolog. Centralbl. 1901. S. 917. 

7 Neurolog. Centralbl. 1903. S. 685. 

* Neurolog. Centralbl 1904. S. 33. 

» 1905. 8.1015. 

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Fällen die Vermutung nahegelegt wird, daß das Kleinhirn auf die motorischen 
Kerne und Centren der Oblongata irgend einen Einfluß — etwa regulatorischer 
Art — hat. Es würden in diesem Fall physiologischer Weise diesen Central 
Erregungen vom Kleinhirn aus zufließen und es wäre verständlich, daß bei Er¬ 
krankungen des Kleinhirns abnorme Erregungen derselben zustande kommen 
könnten. 

Die Frage, ob kontinuierliche rhythmische Krämpfe der Schlingmuskulatur 
vom Kleinhirn aus hervorgerufen werden können, kann indessen nur an der 
Hand weiterer positiver Fälle beantwortet werden. Negative Fälle, ich meine 
Fälle von Kleinhirnherden ähnlicher Lokalisation ohne solche Krämpfe sind für 
die Entscheidung nicht zu verwerten. Denn einmal können schon sehr geringe 
Differenzen in der Lokalisation des Herdes je nach dem Ergriffensein der oft 
sehr nahe aneinanderlaufenden funktionell verschiedenen Fasersysteme zu er¬ 
heblichen Verschiedenheiten des klinischen Bildes führen und zweitens sehen 
wir auch bei Herden in der vorderen Centralwindung manchmal epileptische 
Krämpfe und manchmal nicht Die näheren Bedingungen, unter denen es zu 
Krämpfen kommt, kennen wir nicht. Vermutlich ist eine besondere Disposition 
dazu erforderlich. Ähnlich können die Verhältnisse auch bei den kontinuier¬ 
lichen rhythmischen Krämpfen liegen. Schließlich muß auch die Möglichkeit 
zugegeben werden, daß Krämpfe dieser Form von verschiedenen Stellen aus¬ 
gelöst werden können. Auf eine Diskussion der übrigen Symptome und ihrer 
Beziehungen zum anatomischen Befund gehe ich nicht ein, obwohl die Fälle 
auch in dieser Beziehung manches Interessante bieten. 

Herrn Geheimrat Flechsig sage ich für gütige Überlassung des Materiales 
meinen verbindlichsten Dank. 


3. Über den Mechanismus 
und die Lokalisation der psychischen Vorgänge. 

Von Prof. Ernst Jendrässik in Budapest. 

(Schluß.) 


II. Erinnerung, Assoziation. 

Die Erweckung eines Erinnerungsbildes kann vom Sinnesorgan und auf 
assoziativem Wege erfolgen. 

Im ersteren Falle heißt das Eintreten des Beizzustandes in Zellen, die 
das Erinnerungsbild bereits aufgenommen haben, Wahrnehmen, im zweiten 
Falle: Vorstellen, Erinnern. Zwischen beiden besteht ein großer Unterschied; 
wir sahen bereits den Unterschied beim Wahrnehmen eines Gegenstandes mit einem 
Auge und beim binokularen Sehen und konnten diese Differenz durch die 
größere Ausdehnung des Angriffes am Erinnerungsbilde erklären.. Die Er¬ 
weckung des sensorisohen Erinnerungsbildes auf assoziativem Wege ist aber 
wesentlich anders, ja dieselbe geschieht bestimmt nicht durch die Endausbreitung 
der direkten Sinnesleitung (Vicq d’Azyi-, Baillarger- usw. Geflecht), da sonst 
auf diesem Wege wirkliche Sinneseindrücke, Halluzination entstehen würden, 


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255 


sondern, soweit dies überhaupt möglich ist, durch ein ähnliches, doch unab¬ 
hängiges, sehr unvollkommenes Geflecht 

Dieses Erwecken der Erinnerungsbilder der sensorischen Bezirke auf dem Wege 
der Assoziation ist eben nur in ganz beschränktem Maße möglich. Stellt man 
Versuohe in dieser Richtung an, z. B. in der Weise, daß man jemand plötzlieh 
auffordert, an eine Person, an einen Gegenstand zu denken und dabei zu ver¬ 
suchen sich denselben vorzustellen, so gelingt es zwar manchmal, eine ganz kurz 
dauernde Vorstellung von einem Teile dee betreffenden Objektes hervorzurufen, 
doch ist es kein wirkliches optisches oder akustisches Bild, das auf diese 
Weise entsteht, sondern nur ein einigermaßen dem optischen oder akustischen 
Bild ähnliches Phänomen, das sehr kurz anhält, und es gelingt nur in den 
seltensten Fällen dieselbe Vorstellung zum wiederholten Male neu zu erwecken. 
Bei diesen Versuchen überzeugt man sich, wie blaß die optische Erinnerung 
ist Noch seltener gelingt das Hervorrufen eines akustischen Erinnerungsbildes, 
vielen Menschen fehlt diese Fähigkeit ganz; hier hilft man sich aber durch 
motorische Erinnerungsbilder aus, ja diese Substitution betrifft auch das optische 
Gebiet: anstatt uns Gegenstände, Personen, Handlungen vorzustellen, begnügen 
wir uns mit ihren Namen. 


Diese Versuche beweisen, daß die sensorischen Erinnerungsbilder eigentlich 
bloß durch die vom peripherischen Sinnesorgan direkt zugeleiteten Erregungen 
erweckt werden können, die so erweckten Reize strömen weiterhin den motorischen 
Feldern zu, bis sie dann durch die motorischen Bahnen wieder der Peripherie 
zugeleitet werden. 

Man stellt sich vor, daß dieses Weiterleiten der Erregung von einem Ge¬ 
biete auf das andere durch assoziative Bahnen geführt wird. Es ist wichtig, 
daß man sich einen recht klaren Begriff von diesen „Bahnen“ mache. Der 
allgemein gebrauchte Ausdruck von Verknüpfungen zwischen den einzelnen 
Erinnerungskomponenten ist nicht glücklich gewählt, denn man könnte sich auf 
diese Weise solche Bahnen vorstellen, die in jeder Richtung fahrbar and. Dies 
widerspricht schon der Neuronenlehre, aber auch der Erfahrung: die Worte 
eines Satzes in umgekehrter Reihenfolge herzusagen gelingt schwer, das ver¬ 
kehrte Vorsingen oder Vorspielen einer Arie schon ganz und gar nicht Lernt 
man die Worte einer fremden Sprache auf die bekannte Art, daß man auf der 
einen Seite eines Papierstreifens die Worte der Muttersprache niederschreibt, 
und auf der anderen Seite daneben die entsprechenden Worte der zu erlernenden 
fremden Sprache anfügt, so kann man beobachten, daß, wenn man bereits die 
Worte der fremden Sprache bei Betrachtung derjenigen der Muttersprache ganz 
perfekt angeben kann, der Versuch die Bedeutung der Worte der fremden 
Sprache in der Muttersprache anzugeben nur bei einem Teil der Worte gelingt. 
Dieser Versuch ist ein schlagender Beweis, da es sich hier nicht nur um Auf¬ 
nahme neuer Wortbilder in das sensorische Gebiet, sondern gleichzeitig auoh in 
das motorische handelt. Es besteht dabei eigentlich keine ..Bahnung“ zwischen 
den beiden Wortbildern, sondern beim Erwecken des einen Wortbildes klingt 
das andere, immer in der Reihenfolge der Aufnahme, harmonisch an. 


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Ich werfe nun die Frage auf, in welcher Weise die Erinnerungsbilder 
motorisch, wie man sagt, durch den Willen angeregt werden können. Um diese 
Frage beantworten zu können, müssen wir vor allem den Grundsatz der Neuronen¬ 
lehre betonen, daß die Erregung immer zellulifugale Richtung hat. Dieser 
Grundsatz hat auch für jene Zellen Geltung, die wie z. £. die Interspinalganglien 
auch einen zuführenden Pol haben, da diese Zellen auch nur in zellulifugaler 
Richtung auf andere Nervenzellen einwirken. Die Übertragung des Reizes von 
einem Neuron auf das andere geschieht durch Induktion, die, ähnlich den 
Induktionserschemungen des elektrischen Stromes, bloß eine kurze Dauer hat. 1 
Ein von außen einwirkender Reiz ruft einen von Zelle zu Zelle fortschreitenden 
Reiz hervor, das Fortschreiten dieses Reizes innerhalb der Hirnrinde wird durch 
die Konsonanz (d. h. das vorhergehende Zusammenstimmen durch Lernen, durch 
Erfahrung) der erreichbaren Zellen geleitet. Der Reizzustand in der Zelle 
bedeutet einen stofflichen Wechsel, den die erhaltene Reizung auslöst; der Vor¬ 
gang beansprucht eine gewisse, doch kurze Dauer; diese Dauer ist, wie wir dies 
sofort klar machen werden, nicht einfach von dem erhaltenen Reiz abhängig, 
sondern von der Möglichkeit der Übertragung des Reizes an harmonisch ge¬ 
stimmte Zellen. Eine neue Erscheinung fassen wir viel schwerer, langsamer 
auf; es scheint, daß die Zellen einer neuen Erscheinung gegenüber resistent sich 
verhalten; der noch unbekannte Reiz wird von den leicht ansprechenden, ge¬ 
stimmten Zellen nicht angenommen, der Spannungszustand im Sinnesgeflecht 
wird allmählich stärker, bis der Reiz von einer noch ungestimmten Zelle über¬ 
nommen wird. 

Die Zeitdauer eines weiter assoziierten Reizes ist die bekannte psycho¬ 
physische Assoziationszeit; es ist bekannt, daß sie variiert, nur hat man die 
Ursache dieser Schwankungen in der Dauer nicht ganz erklärt Die kürzeste 
Zeit, die man bei der Messung erhielt, betrug ungefähr 0,3 Sekunden. Dies 
wäre also die Zeitdauer einer unbehinderten Übertragung der Assoziation. Die 
Dauer des Abklingens der Erregung eines Erinnerungsbildes habe ich durch 
folgenden Versuch zu bestimmen versucht. Ich schrieb 50 gleich lange (zwei¬ 
silbige, vier bis fünf Buchstaben enthaltende) Worte (Namen von Gegenständen 
oder sinnlose Kombinationen) leicht leserlich auf ein Blatt Papier und beauftragte 
die Versuchsindividnen, die Worte mit großer Aufmerksamkeit still oder laut 
zu lesen und dabei zu beachten, welches Wort im Texte zweimal vorkommt. 
Der Beginn und Schluß des Lesens wurde zeitlich notiert, die Zeitdauer des 
Lesens betrug, fast immer ganz gleich, 18 Sekunden; somit entfielen auf ein 
Wort 0,36 Sekunden. Dies stimmt fast genau mit der oben verzeichneten, kürzesten 
Reaktionszeit Hierbei zeigte es sich, daß das wiederholte Wort, wenn es weiter 
als am 4. bis 6. Platze war, nicht mehr erkannt wurde, d. h. nach 1,44 bis 
2,16 Sekunden war das nicht assoziierte Erinnerungsbild bereits gänzlich ab¬ 
geklungen. 


1 Meine Ansichten Ober diese Induktionswirkang werde ich in einer späteren Arbeit 
mitteilen. 


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Der Vorgang beim Sprechen nnd beim Schreiben illustriert in ganz aus¬ 
gezeichnetem Maße diese Verhältnisse. Die Gesetze der Syntax erfordern, daß 
man den vorzutragenden Stoff in Sätze bringe, selbst diese Sätze durch Neben¬ 
sätze weiter gliedere. Die physiologische Erklärung dieser Art der Redaktion 
der schriftlichen und mündlichen Mitteilung liegt darin, daß wir durch stärkere 
Betonung des Subjektes dessen Erinnerungsbilder kräftiger ertönen lassen, ja 
durch Additamente (Geschlechts-, Eigenschafls-, Umstands- usw. Worte), be¬ 
sonders aber durch rückbezügliche Fürwörter noch schärfer und von neuem au- 
regen und so sein Nachklingen bis znm Erscheinen des Verbums oder des 
Objektes wach erhalten. Die Ansnützung dieser Verlängerung des Reizzustandes 
nennen wir die Aufmerksamkeit; sie hat ihre natürlichen Grenzen. Den Sinn 
des gelesenen (gehörten, gesprochenen) Satzes aber ergibt die successiv abtönende, 
doch noch gleichzeitig bestehende Erregung der Reihe der Erinnerungsbilder; 
wir verlieren den Sinn des Zusammenhanges des Wahrgenommenen, sobald die 
Synchronizität erlischt. Dieses Nachklingen der Erregung ermöglicht das logische 
Denken. Will ich z. B. 4 und 6 addieren, so gelangt der Reiz von 4 zu ü nnd 
dann nur dadurch zu 10, daß die Erregung in 4 und 6 gleichzeitig besteht und 
mit dieser kombinierten Erregung blos 10 harmoniert (diese Harmonie ist eine 
erlernte). 

Der Begriff der Assoziation bedeutet die Möglichkeit der gegenseitigen Be¬ 
einflussung der heterogensten Erinnerungsbilder. Es ist also nicht anzunehmen, 
daß im Gehirn zwisohen allen den einzelnen Erinnerungsbildern isolierte 
Verbindungen existieren, sondern es muß angenommen werden, daß die einzelnen 
Erinnerungsbilder, die isolierten Stätten der Begriffe, durch ein ziemlich all¬ 
gemeines Geflecht miteinander verkehren können, wobei die einander folgenden 
Erregungen sich so lange gegenseitig beeinflussen, bis das Gefühl des Abschlusses 
— eigentlich auch eine Eigentümlichkeit der ganzen Einrichtung — entsteht. 
Dasselbe Gefühl, das ein unvollendeter Satz verursacht, verspüren wir bei dem 
Anhören einer unaufgelösten Disharmonie. Je mehr Nebenerscheinungen das 
Auflösen des Akkordes, das Beendigen des Satzes zurückhalten, wenn dabei die 
primäre Erregung durch Rückbeziehungen, Wiederholungen usw. erhalten wird, 
um so höher steigt in den betreffenden Elementen die Spannung und um so 
größer wird bei der Auflösung das Berubigungsgefühl. 

Derart gestaltet sich der Prozeß der Assoziation. Für die Annahme eines 
Assoziationszentrums, eines Zentrums f ür das abstrakte Denken usw. liegt nicht 
der mindeste Grund vor. Die Assoziation hat kein Centrum, sie ist ermöglicht 
durch ein, vielleicht mit Hülfe von eingelagerten Zellen vervielfältigtes Geflecht 
im Bereiche der Erinnerungsbilder; den Weg, den der Reiz in seinem Lauf 
durchmacht, schreibt ihm nicht eine „Bahnung“, ein verminderter Leitungs¬ 
widerstand vor, sondern blos die Harmonie in der Stimmung der Erinnerungs¬ 
bilder, die Wege sind alle stets offen. 


Ich bin mir woblbewußt, daß nichts leichter ist, als schematische Abbildungen 
zu verfertigen. Da aber diese zum Verstehen des Vorgetragenen sehr beitragen, 
erlaube ich mir in Fig. 2 eine schematische Darstellung des Assoziationsgeflechtes 


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lf)ri ii al frei”. 

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zu geben. Eigentlich können wir in der Erforschung der Fasernetze nur dann 
weitere Fortschritte machen, wenn wir uns auf Grund von anderweitig gewonnenen 
Erkenntnissen über die Gestaltung der Netze eine Hypothese aufstellen; ihre 
Richtigkeit könnte dann an den Präparaten nachgeprüft werden, was leider 



einstweilen noch mit zu großen Schwierigkeiten verbunden ist In Fig. 2 kann 
ein Reiz von a durch d zu b, c usw. gelangen, von b hingegen durch e nach 
a kommen. Unsere derzeitigen Kenntnisse über die Struktur der Rinde 
sprechen sehr zugunsten dieser Annahme. 

111. Die Einrichtung der Centren. 

Die Ergebnisse der Forschungen der letzten Dezennien beweisen, daß die 
Hirnrinde weder anatomisch, noch — was eigentlich dasselbe heißt — funktionell 
einheitlich ist. Die ab- und zuführenden langen Bahnen langen an verschiedenen 
Stellen der Rinde an. Die motorischen Bahnen haben an der Stätte ihrer Ent¬ 
stehung ihre Ursprungszellen, die BETz’schen Riesenpyramidenzellen, und die 
Gruppe dieser Zellen in der vorderen Zentralwindung bildet das primäre moto¬ 
rische Centrum. Aus unseren früheren Annahmen folgt, daß analoge primäre 
Centren für die sensorische Funktion der Rinde nicht vorhanden sind. 

Die Abgrenzung des primären motorischen Centrums ist, wenn auch zurzeit 
noch nicht völlig erforscht, schon anatomisch durch das Austreten der Pyra¬ 
midenfasern aus ihren Entstehungszellen gekennzeichnet. Eine Reibe höchst 
wertvoller Forschungsergebnisse legt klar, daß innerhalb dieses primären Zentrums 
eine mustergültige Ordnung herrscht; die Funktionseinheiten der einzelnen 
Glieder können bis in die kleinsten Details bestimmt und aufgefunden werden. 
Eigentlich ist aber diese Anordnung leicht erklärbar, da sie doch blos die Reihen¬ 
folge der motorischen Zellen im Rückenmarke, wenn auch anders geschichtet, 
wiederholt. Die klinischen Erfahrungen lehren schon seit langer Zeit, daß die 
Bewegungen der einen Körperhälfte in die andersseitige motorische Rindenzone 
lokalisiert sind, mit Ausnahme der zumeist bilateralen gleichzeitigen Bewegungen, 
welche auch in der Rinde bilateral vertreten sind. 

Enthalten diese Ausgangszeilen der Pyramidenbahnen zugleich die Erinnerungs¬ 
bilder sämtlicher erlernter BewegungsVorstellungen? Ganz bestimmt nicht, und 
wenn sie auch nur einige nicht enthalten, da ist die Folgerung logisch, daß sie 
überhaupt keine führen. Sie übernehmen die Anregungen in der betreffenden 
Form von den sekundären motorischen Centren, die um sie gelagert sind, und 
vermitteln sie an die Pyramidenbahnen. Enthielten diese Riesenpyramiden der 

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motorischen Zone Erinnerungsbilder eines Bewegungsaktes, so würden sie immer 
dieselbe Bewegungsform weiter vermitteln, es hat wirklich keine Wahrscheinlich¬ 
keit an sich, daß der Willensentschluß der intendierten Bewegung hier erfolgt. 
Der größte Teil der heutigen Forscher wird diesen Satz akzeptieren, da die Lehre 
von der speziellen Lokalisation der Sprache von den Meisten angenommen wird. 
Diese Annahme folgt schon daraus, daß das Rindengebiet, das von der patho¬ 
logischen Anatomie als zu der Sprachfonktion gehörend angegeben wird, sich 
bedeutend über die Grenze hinaus ausdehnt, die die Physiologie als das 
Gebiet der Lokalisation der Bewegung der Sprechwerkzeuge erforscht hat 

Hinsichtlich der Schreibbewegong sind die Autoren weniger einig. Gegen 
das Vorhandensein eines solchen Zentrums führt ein Autor sogar an, daß es 
wenig Wahrscheinlichkeit an sich trüge, daß der liebe Gott einen leeren Platz 
im Gehirn für diese Konst geschaffen hätte! Auf diese Weise freilich darf man 
ein Centrum nicht auffassen. Die Beobachtnngstatsachen sprechen aber sehr 
für ein besonderes Schreibzentrum, da doch der isolierte Verlust dieser Fähig¬ 
keit bereits öfters beobachtet wurde. Dejbiune will diese Fälle durch die An¬ 
nahme erklären, daß bei denselben die Verbindung zwischen dem Gyros angu¬ 
laris — als Lesecentrom — und dem motorischen Armzentrum unterbrochen 
wäre. Auf Grund dieser Ansicht müßte man doch des Schreibcentrom in den 
Gyros angularis verlegen, denn es ist kaum anzunehmen, daß die motorische 
Zone sich für eine jede Innervation um Rat an das sensorische Centrum des 
Gyrus angularis wenden könnte; auch könnten die Fälle, in denen der Patient 
der Fähigkeit des Lesens verlustig wurde, ohne im Schreiben behindert zu sein, 
nur gekünstelt erklärt werden. 


Es gibt aber auch andere manuelle, erlernte Fähigkeiten, die einer Erklärung 
bedürfen. Beim Spielen eines Instrumentes ist doch das visuelle Bild der Noten 
ganz anders, als dessen Ausführung; wird man da vielleicht auch annehmen, daß 
das visuelle Bild der Noten die Impulse direkt auf die motorische Bahn der 
Arme und Finger übermittelt? Oder, daß besonders beim Auswendigspielen die 
geordneten Impulse von dem visuellen Centrum der Noten ansgehen? Und das 
Spielen der Notenonkundigen? Der liebe Gott hat wahrlich keine leere Stelle im 
Gehirne Adams mit der Bestimmung erschaffen, daß einst ein recht ferner 
Urenkel durch die Funktion dieser Stelle eine Stradivariusgeige zum Tönen 
bringe, aber die Evolution des menschlichen Gehirnes hat es mit sich gebracht, 
daß in der Nachbarschaft der Ursprungszellen der motorischen Bahn eine Menge 
von Zollsystemen sich entwickelt hat; diese sind bereit zur Annahme und 
Fixierung gewisser motorisober Impulse als Erinnerungsbilder und können die 
Impulse auf die motorische Bahnen übertragen. 

Wer das Vorhandensein eines Sprechcentroms anerkennt, kann logischer¬ 
weise eio Sohreibcentrum nicht negieren. Beiden Zentren kommt doch die Auf¬ 
gabe zo, gewisse Muskeln, die auch bei Tieren vorhanden sind, zur Ausführung 
spezieller Bewegungsformen zu befähigen. 

Die Unabhängigkeit der motorischen und sensorischen Centren voneinander 
zeigt sich an vielen Eigentümlichkeiten. Sensorisch etwas zu erlernen, ist 


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wesentlich leichter als motorisch, sensorisch sich etwas vorstellen, ist kaum 
möglich, hingegen dies motorisch zu tun, mit der größten Präzision ausführbar. 
Ich kann mir sinnlich nicht gut vorstellen, wie die Instrumente eines Orchesters 
klingen, obzwar ich die Instrumente an ihrem Klang sofort erkenne; ich vermag 
aber sehr wohl eine mir bekannte Arie, ein Tonstück, die ich durch Gesang 
oder auf einem Instrumente vorführen kann, mir vorzustellen. Seine sensorischen 
Centren einüben, heißt etwas ganz anderes, als die Befähigung zur Exekution 
auf motorischem Gebiete zu erlangen. Kritisieren ist leichter als produzieren. 

Eine weitere Eigentümlichkeit dieser Centren ist die höchst interessante 
Anordnung der Erinnerungsbilder in ihnen. Die Beobachtungen häufen sich, 
in denen durch einen pathologischen Prozeß die Tätigkeit nicht eines ganzen 
Centrums aufgehoben wurde, sondern blos eines Teiles desselben und in diesen 
Fällen waren zumeist zusammengehörige Erinnerungsbilder ausgefallen. 

Ich will hier nicht alles, was diesbezüglich in der Litteratur aufgefunden 
werden könnte, zusammenstellen; es genügt einstweilen, auf einige Beispiele 
hinzuweisen; die Beispiele dürften sich häufen, sobald einmal die Aufmerksamkeit 
der Beobachter diesen Erscheinungen sich zuwenden wird. Als eine solche, in 
der Lokalisation abgesonderte Kategorie, kann das Lesecentrum von den optischen 
Centren angeführt werden. Aber auch innerhalb dieses Centrums gibt es Unter¬ 
abteilungen: hat doch Chaboot den äußerst lehrreichen Fall eines seiner Kollegen 
angeführt, der infolge einer Rindenläsion ausschließlich die Fähigkeit, Noten zu 
lesen, cinbüßte. Ich habe einen Kaufmann beobachtet, der im Laufe einer be¬ 
ginnenden Paralyse plötzlich die Fähigkeit verlor, stenographische Notizen, deren 
er sich bis dahin immer bediente, zu lesen; nach einigen Wochen kehrte die 
verlorene Fähigkeit zurück. 

Mehrere Autoren nehmen auf Grund von Beobachtungen ein besonderes 
Buchstabencentrum im Scheitellappen an. Ein Kranker von Oppenheim konnte 
blos die Hauptworte gut lesen, dagegen Zeit- und Bindeworte nicht. In der 
Hörsphäre gibt es auch eine einheitliche Gruppe für die Auffassung der Worte, 
aber auch ein abgesondertes Centrum für die musikalischen Erinnerungsbilder, 
wofür bereits einige interessante Beobachtungen Bürgschaft leisten. In betreff 
der Lokalisation der erlernten Bewegungsformen der Hände kann man außer 
der Agraphie die kaum anders als kortikal entstehenden Bewegungsstörungen 
der Schreib- und anderen Berufskrämpfe anführen, bei denen bloß die betreffen¬ 
den Berufsbewegungen behindert sind. Diesbezüglich äußerst interessant und 
lehrreich ist der Fall von Gbassbt, in dem ein Taubstummer, der sich der 
Fingerzeicbensprache bediente, diese Fähigkeit infolge einer Erkrankung der 
linken Hemisphäre verlor, obzwar er dabei keine Lähmung der Armbewegungen 
erlitt. 

Analog den Berufskrämpfen ist auch das Stottern eine Störung der Funktion 
des kortikalen Sprechgebietes. Jüngst beobachtete ich einen italienischen Jüng¬ 
ling, der die ungarische Sprache vollkommen beherrscht, doch bei einem Worte 
(tanitö = Lehrer und dessen Abkömmlinge, die dem deutschen Lehr — tan ent¬ 
sprechen) stark stottert, während er sonst die Worte mit ta... beginnend ohne 

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Schwierigkeit rein ansspricht. Tantalus ungarisch kann er bloß mit leichtem 
Stottern anssprechen, während italienisch: Tantolo ihm nicht die geringste Be¬ 
hinderung verursacht In diesem Falle ist also das Stottern nicht, wie gewöhn¬ 
lich, an die Übertragung des Wortes auf die motorische Bahn gebunden, sondern 
auf einige bestimmte Worte, also auf die Erinnerungsbilder derselben. — Die 
innere Organisation des Sprechgebietes erweckt unser größtes Interesse, da doch 
in diesem Gebiete alle unseren höheren Denkprozesse ablaufen. In den Annalen 
unserer Wissenschaft sind Fälle verzeichnet, in denen Patienten, die mehrere 
Sprachen beherrschten, infolge einer Gehirnläsion die Fähigkeit, sich einer der 
erlernten Sprachen zu bedienen, verloren. — Einige interessante Beobachtungen 
führten zur Annahme einer sogen. Akataphasie, Agrammatismus, die bereits 
Kussmadl eingehend berücksichtigt In den hierhergehörenden Fällen fehlt 
zumeist eine Art der Redeteile, in manchen die Eigennamen (Centrum von 
Bboajdbent und Mills), in anderen die Hauptworte, in anderen wieder die 
Verben; für die letztere Art ist der von Kussmaul zitierte Fall Steinthal’s sehr 
bezeichnend: Der Kranke konnte außer „ist“, „kann“ kein anderes Verbum an¬ 
wenden, während die Hauptworte ihm ganz geläufig waren. Eine hierher¬ 
gehörende Beobachtung machte ich vor einigen Jahren an einer Dame, die an 
einem Gehirntumor litt. Noch prägnanter war der Verlust der Verben in einem 
Falle, den ich seit l 1 /, Jahren in der Klinik sehr genau beobachtete und der dem¬ 
nächst ausführlicher veröffentlicht werden soll. In diesem Falle fehlte außer den 
Hilfsverben, die aber auch bloß in einigen wenigen Formen vorhanden waren, das 
Verständnis für sämtliche Verben und Verhältnisworte; der Patient konnte be¬ 
sonders die letzteren nicht richtig anwenden, und wenn man das Richtige ihm 
vorsagte, so war er doch nicht gewiß, ob es richtig sei; bei Wiederholungen war 
er ebenso unsicher. Die Verben kehrten zum Teil allmählich in seine Sprach- 
fähigkeit zurück, doch ist sein Vocabularium an Verben noch immer äußerst 
arm, der Gebrauch der Verhältnisworte besserte sich kaum. Die Konjugierung 
der Verben war ebenso schlecht, wie der Gebrauch der Verhältnisworte. — Das 
Vermögen, mit Zahlen zu operieren, scheint gleichfalls von den übrigen Fähig¬ 
keiten abtrennbar zu sein, hierher gehört ein Fall von Oppenheim; ebenso ein 
Fall, den ich vor mehreren Jahren länger beobachtet habe: Ein sehr intelligenter 
Mann (Maler) bekam nach Endokarditis schwere Embolien, infolge deren er 
nicht nur das Sprechvermögen, sondern auch das Wortverständnis und das Ver¬ 
mögen, zu lesen und zu schreiben, verloren hatte; nebstbei bestand eine schwere 
rechtsseitige Hemiplegie. Es war ganz unmöglich, mit dem Kranken zu ver¬ 
kehren, bloß eine Fähigkeit blieb ihm zurück: wenn man ihm ein Rechen¬ 
exempel vorlegte, so löste er es richtig (mit der linken Hand die Zahlen auf¬ 
zeichnend). Buchstaben, Worte konnte er auf diese Weise nicht schreiben. 

Alle diese Fälle sind so mannigfaltig, so klar in ihrer Erscheinung, die 
Unfähigkeit in gewisser Richtung mit den noch vorhandenen Fähigkeiten in 
anderer Richtung so scharf kontrastierend, daß eine andere Erklärung, als die 
Annahm e gewisser begrenzter Centren kaum denkbar ist. 

Freilich sind nicht alle Beobachtungen geeignet, auf diese Verhältnisse ein 


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Liebt zu werfen. Den meisten Beobachtern sind solche Fälle aufgefallen, in 
denen trotz sonst allgemeiner Sprechunfähigkeit der Patient einige Worte, zu¬ 
meist einen Fluch, oder irgend eine Art des Jammerns („Jessus Maria“), oder 
sinnlose Silben (ta-ta...) noch aussprechen konnte. Versuchen solche Patienten 
eine Frage zu beantworten, so kommt nur dieser eine Satz aus ihrem Munde 
hervor. Es ist klar, daß in diesen Fällen keine Assoziationssprache vorliegt und 
höchstwahrscheinlich kommt solchen Affektsätzen eine differente Lokalisation 
von derjenigen der eigentlichen Sprache zu; möglicherweise sind solche Sätze 
bilateral lokalisirt. Diese Sätze erscheinen schon physiologischerweise nicht als 
Teile der Assoziationssprache; es ist bekannt, wie schwer derjenige, der an sie 
gewöhnt ist, sich von denselben abhalten kann: ehe er es vermerkt, sind sie 
schon laut geworden. Ferner schien die bekannte Reihenfolge, nach welcher 
Aphatisohe bei der Besserung ihres Zustandes oft zuerst die Fähigkeit des Sprechens 
in ihrer Muttersprache erlangen und erst später in den weniger geübten Sprachen, 
manchen Beobachtern schwer mit der Lokalisation der Worte vereinbar, da die 
anatomische Ursache der Aphasie, die Blutung, doch an verschiedenen Stellen 
zustande kommt. Man darf aber nicht vergessen, daß in diesen Fällen weder das 
Sprachcentrum, noch weniger die einzelnen Centra der Worte zerstört sind — 
sonst käme die Fähigkeit des Sprechens nicht zurück —, es ist bloß der 
diffuse Druck, der diesen Gehirnteil in der Funktion behindert. Es ist kein 
Wunder, wenn bei allmählicher Entlastung die leichtesten Funktionen am 
raschesten wiederkehren. 


Eigentlich kann aber die Annahme besonders lokalisierter Centren uns nicht 
befremden. Schon die Betrachtung der physiologischen Verhältnisse zwingt uus 
zu einer solchen Auffassungsweise. Die Talente, die in so mannigfaltigen, doch 
begrenzten (vererbbaren) Fähigkeiten erscheinen, deuten doch an, daß an dem 
Betreffenden gewisse Teile der Rinde vollkommener entwickelt sind, als bei 
anderen. Die Talente betreffen häufig ganz genau umschriebene Fähigkeitskreise, 
wie kannten diese anders als durch bessere Entwickelung gewisser Rindenteile 
(nicht Schädelteile!) entstehen? Ebenso beweisend ist die Talentlosigkeit für 
bestimmte Fähigkeiten. Das Vorhandensein bestimmter Talente genügt an und 
für sich, um die speziellen Fähigkeiten in umschriebene Gebiete zu lokalisieren. 


Für die engere Lokalisation und gruppenweise Anordnung der Erinnerungs¬ 
bilder innerhalb der Centren kann man eine Reihe unserer sonstigen Fähigkeiten 
anführen. Folgender Ideengang mag diese Verhältnisse näher beleuchten. Nach 
unserer Auffassung wird ein von uns schon früher beobachtetes Objekt dadurch 
neuerdings erkannt, daß sein Erinnerungsbild beim Erscheinen der Erregung in 
dem betreffenden Sinnescentrum harmonisch erklingt. Kommen ähnliche, aber 
nicht identische Reize in dieses Sinnesgebiet, so erklingt zunächst das ähnlich 
gestimmte Erinnerungsbild, aber nur leiser; es wirkt gewissermaßen anziehend 
auf den Reiz, der aber beim näheren Anlangen doch nicht zu dem vorhandenen 
Bilde paßt, und deshalb wird er in der Nähe in eine andere noch freie Zelle 
deponiert. Geschähe dies nicht so und würde die Ähnlichkeit durch leise 


Resonanz nicht attrahierend wirken, dann könnten wir kaum Begriffe sammeln, 


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wir würden vielleicht eine Menge von einzelnen Objekten, z. B. von Hunden, 
kennen, ohne die Verwandtschaft unter denselben zu bemerken. 

Diese Theorie des harmonischen Anklingens der Erinnerungsbilder erklärt 
unsere Befähigung zum logischen Denken; sie erklärt zugleich die ordnungs¬ 
gemäße Aufspeicherung der Erinnerungsbilder in die betreffenden anatomischen 
Lager. In den sensorischen Centren finden nur die durch die Sinnesorgane ein- 
geführten Eindrücke ihren Platz; die allgemeinen, abstrakten Begriffe entsprechen 
eigentlich dem Komplex einer nahezu harmonisch gestimmten Erinnerungsbilder¬ 
gruppe; dieser Komplex wird einfach durch ein Wort substituiert Diese Art 
der Substitution spiegelt sich auch in unseren mathematischen Formeln wieder. 

Der Vorgang beim Denken und Handeln ist ein ganz passiver; die von 
außen durch die Sinnesorgane eihströmenden Reize erregen harmonisch gestimmte 
Erinnerungsbilder. Nun ist aber hiermit der Denkprozeß nicht beendet, es gibt 
ja keine Nervenzellen ohne Achsenzylinder, der Reiz wird sonach auf andere 
Erinnerungsbilder übertragen, wobei mehr oder weniger harmonische erklingen, 
was teilweise davon abhängt, welche anderen simultanen Reize den Vorgang 
beeinflussen. Diese weitere Übertragung der Reize nenuen wir Denken. Ein 
Denkprozeß ist wie ein Satz: kommt er zurück zum Ausgangspunkt, zum Sub¬ 
jekt, so klingt er harmonisch ab, ebenso in der Sprache, wie in der Musik, ja 
wir finden selbst in der Architektur (Symmetrie, Wiederholung, bekannte, ge¬ 
wohnte Motive) und anderen Künsten dasselbe Bestreben nach einheitlichem 
Abschluß. In pathologischen Fällen, bei allgemein gesteigerter Erregbarkeit, 
fehlt dieser harmonische Abschluß der Erregung, hierdurch entstehen der Denk¬ 
zwang der Neurasthenischen, die Ideenflucht gewisser Geisteskranker. 

Ein Teil dieser Sinneserregungen ruft harmonisch auch solche Erinnerungs¬ 
bilder an, die im motorischen Gebiet liegen; hierdurch entstehen entsprechende 
Bewegungen, sie sind ebensowenig von einem unmateriellen Willen abhängig, 
als die sensorischen Eindrücke; die durch sie herbeigeführten neuen sensorischen 
Erregungen täuschen uns das Gefühl des Wollens vor. Da wir alle außer uns 
erfolgenden Bewegungen aus fremder Einwirkung entstehen sehen, so bekommen 
wir das Gefühl, als ob unsere Bewegungen auch durch etwas von unserem 
Körper Unabhängiges verursacht wären. Dieses Etwas nennen wir den Willen. 
Eigentlich ist er nur die Erscheinungsform eines durch unser Denkorgan ge¬ 
gangenen Reizes, sehr nahe verwandt mit den noch nicht genügend erforschten 
sogen. Tropismen der Pflanzen und Tiere, im Grunde ein einfacher Reflexprozeß 
eines äußeren Eindruckes. 

Zum Schluß komme ich noch einmal auf die Centren zurück. Die primären 
motorischen Zentren der vorderen Zentralwindung sind scharf begrenzt, da sie 
die Ursprungsstätten der Pyramidenbahnen darstellen. Eine solche scharfe Be¬ 
grenzung kommt weder den sensorischen, noch den sekundären motorischen 
Zentren zu. Sie schließen sich räumlich an die Endigungen der betreffenden 
Leitungsbahnen an, durch welche sie mit der Außenwelt verkehren, sie sind 
nur im Großen an bestimmte Gebiete gebunden, die auch anatomisch der be¬ 
treffenden Tätigkeit dienlich sind. Die klinische Forschung muß sich in der 


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Zukunft mehr als bisher mit den partiellen Ausfallserscheinungen beschäftigen, 
die pathologische Anatomie hingegen darf nicht für einen jeden Teilausfall eine 
eng umgrenzte und in jedem Falle vollkommen identisch lokalisierte Läsion er¬ 
fordern. Immerhin haben solche Fälle viel mehr Beweiskraft für die Lokali¬ 
sationstheorie, als die Fälle mit gänzlichem Verlust gewisser Fähigkeiten, da in 
diesen zumeist die Leitungsbahnen vernichtet sind (sogen, reine Ausfalls¬ 
erscheinungen im Sinne Dejebine’s). 

Außer den erwähnten und zu ihnen zählbaren sensorischen und motorischen 
Centren gibt es keine anderen, namentlich keine speziellen, die bloß dem „Denk¬ 
prozesse“ zugrunde lägen. Die wichtigen Elemente dieser Funktion sind bloß 
die Nervenzellen; die sogen. Assoziationsbahnen sind einfache Leiter, die den 
Verlauf der Erregung beim Denken nicht dirigieren. 

Endlich glaube ich, daß für die weitere Erforschung der Tätigkeit des Ge¬ 
hirnes man mehr, als das bisher geschehen ist, die Gesetze der Lehre von der Logik, 
besonders auch alle Formen unseres Wissens in Erwägung ziehen muß; denn ebenso 
wie alle Erfahrung bloß in unseren Empfindungen fußt, ist die Form und der 
Inhalt unseres Wissens ein Ausdruck der Organisation des Gehirnes. Wir können 
keine anderen Gedanken haben, als solche, die der Organisation unseres Nerven¬ 
systems entsprechend zustande gekommen sind. Die Gesetze des Denkens sind 
die Gesetze der Organisation des Denkorganes. 


[Aus der Nervenabteilung des Allgem. Krankenhauses Hamburg-Eppendorf.] 

(Oberarzt: Dr. M. Nonne.) 

4. Ein Fall von Landry’scher Paralyse 
kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascendierenden 
Rückenmarkstumors vortäuschend. 

Von Dr. L. Jacob, Assistenzarzt. 

Ich möchte im folgenden einen Fall mitteilen, der in seinem klinischen 
Verlauf große Schwierigkeiten für die Beurteilung bot und von allgemeinem 
Interesse sein dürfte, weil er einen interessanten Beitrag zum Kapitel der Diffe- 
rentialdiagnose der LANDBY’sohen Paralyse darstellt Diese ist im allgemeinen 
nicht schwierig zu erkennen, denn es kommen differentialdiagnostisch nur wenige 
Erkrankungen in Betracht. In unserem Falle lag jedoch eine Kombination mit 
einer funktionellen Erkrankung, der Hysterie, vor, die bekanntlich fast jede 
organische Affektion des Nervensystems nachahmen kann und daher der Diagnose 
oft unvermutete Schwierigkeiten bereitet. 

Es handelt sich um eine 32jährige Patientin M. W., Dienstmädchen, die am 
27./1X. 1905 hier aufgenommen wurde. Sie ist hereditär nicht belastet, hat 
mehrere Kinderkrankheiten durchgemacht, auch vielfachanDrüsenschwellungen 
gelitten, die einmal eine Operation nötig machten. Hit 22 Jahren lag 
eie wegen „Rheumatismus“ 15 Monate im Krankenhaus, 3 Jahre später wegen 
„Bauchfellentzündung und Blasenkatarrh“ 1 Jahr lang. 1902 hatte sie Lungen¬ 
entzündung, seitdem angeblich oft Husten und Nachtschweiße. 

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Vor 2 Jahren (1903) traten zum ersten Mal gürtelförmige Schmerzen 
t »m unteren Abdomen auf, „ein strammes, schmerzhaftes Gefühl, als wenn sie 
zusammengeschnürt würde“. Seit dieser Zeit stellte sich auch der „Rheumatismus“ 
wieder ein, Reißen im rechten Bein, besonders im rechten Oberschenkel, 
Steifigkeit der Hüfte, dann Ziehen in den Armen und im Rücken. Außer¬ 
dem auch Blasenbeschwerden, häufiger Drang zu Urinieren. 

Seit 5 bis 6 Wochen vor der Aufnahme spürt Patientin Schmerzen im 
Rückgrat, so daß ihr das Bücken unmöglich wird, und bei jeder kleinen An¬ 
strengung, besonders beim Husten und Niesen schneidende Schmerzen in 
beiden Beinen. 

Patientin will mehrere Male im Tag und besonders nachts Exazerbationen 
dieser Schmerzen haben, dabei heftige Kopfschmerzen, Kribbeln, Stechen 
und Schneiden im ganzen Körper. Sie bemerkte auch eine Schwellung und 
zunehmende Schmerzhaftigkeit der rechtsseitigen AchseldrÜBen. Seit sechs 
Wochen fühlte sie, daß mehrmals am Tage beide Beine eingeschlafen 
und kalt waren. Dann wurde der linke Fuß schwach und das linke 
Bein, allmählich zunehmend. Einige Tage später trat das Gleiche beim 
rechten Fuß auf, ebenfalls langsam aufsteigend. Bis vor 14 Tagen 
konnte Patientin noch mit Unterstützung gehen, knickte dabei aber häufig ein. 
Sie war während dieser letzten Wochen im Krankenhause in B., wo aber für 
ihre Beschwerden kein objektiver Befund zu erheben war. 

Am 19./IX. 1905 brach Patientin plötzlich zusammen (während einer 
Reise von Bremen nach Hamburg) und kann seitdem die Beine nicht mehr 
bewegen. In diesem Zustande wird sie in das Krankenhaus aufgenommen. 

Das eingehende Befragen der Patientin ergab keinen sicheren Anhalts¬ 
punkt für luetische Infektion. Die Patientin ist defloriert, hat vor 7 Jahren 
einen Partus durchgemacht; das Kind starb an Brechdurchfall. Die Menses sind 
regelmäßig. 

Status (l./X. 1905): 

Mittelgroße Frau von schwächlichem Körperbau, in reduziertem Ernährungs¬ 
zustand, mit blasser Hautfarbe und ziemlich blassen Schleimhäuten; keine Ödeme, 
keinerlei Zeichen frischer oder abgelaufener Lues. Kein Fieber. In der rechten 
Achselhöhle ein ziemlich großes Packet mäßig weicher Drüsen, auch 
links einige kleinere, weiche Drüsen. Hals-, Clavicular- und Leistendrüsen sind 
nicht zu fühlen. 

Herz und Lungen sind ohne bemerkenswerten Befund. 

Das Abdomen ist in den unteren Partien etwas aufgetrieben, im linken 
Hypocbondrium druckempfindlich. Leber und Milz sind nicht vergrößert. 

Urin normal. 

Am Rumpf deutliche Dermographie. 

Pupillen sind beiderseits gleich, rund, reagieren auf Lichteinfall und Kon¬ 
vergenz gut. 

Augenbewegungen normal; nur bei seitlicher Endstellung der Bulbi leichte, 
nystagmusartige Zuckungen. 

Augenhintergrund ohne Befund. 

Corneal- und Rachenreflexe abgeschwächt. 

Zunge zeigt leichten Tremor. 

Hirnnerven im übrigen bei eingehender Untersuchung ohne Störung. 

Motilität: 

Untere Extremitäten: es besteht schlaffe, vollkommene Lähmung 
beider Beine. Keine Atrophie, keine fibrillären Zuckungen. 

Patellarreflexe: fehlen beiderseits. 

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Achillessehnenreflexe: sind beiderseits lebhaft, rechts findet sich Andeutung 
von FuBklonus. 

Plantarreflexe: beiderseits schwach. 

Elektrische Untersuchung: 

Faradisch und galvanisch, direkt und indirekt in allen Gebieten sehr prompte 
Erregbarkeit. 

Obere Extremitäten: Parese aller Muskelgebiete, rechts aus¬ 
gesprochener als links, keine vollkommene Lähmung. Die Strecker sind im all¬ 
gemeinen mehr betroffen als die Beuger. Keine Atrophien, keine fibrillären 
Zuckungen. 

Alle Reflexe sind beiderseits gleioh, ziemlich lebhaft. 

Elektrische Untersuchung: alles normal. 

Rumpf: 

Die Bauchmuskeln sind nicht merklich geschwächt, es besteht keine segmen¬ 
täre Lähmung. Die Bauchdeckenreflexe (obere und untere) beiderseits sehr 
lebhaft. 

Elektrisches Verhalten: normal. 

Beim Aufsitzen sinkt Patientin nach vorn oder nach der Seite, kann sieb 
nicht gerade halten. 

Sensibilität (die Prüfung wird durch das apathische Verhalten der Patientin 
sehr erschwert): 

Es findet sich totale Anästhesie beider unteren Extremitäten bis 
zur Mitte der Oberschenkel für alle Qualitäten. 

Hypästhesie und Herabsetzung der Lage- und Bewegungsempfindung und der 
Stereognosie im Bereich der oberen Hälfte beider Oberschenkel und beider Arme 
(links bis zur Schulter, rechts bis zur Ellenbeuge). (Fig. 1.) 


Fig. 1. 

Am Abdomen ist eine druckempfindliche, wenig scharf begrenzte Stelle im 
linken Hypochondriutn. 

Blase und Rectum: 

Patientin gibt an, sie habe häufigen Harndrang, könne jedoch nur 
mühsam urinieren. 

Stuhlgang ohne Beschwerden. 

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Im Bereich der oberen Lendenwirbel besteht erhebliche, nach oben 
nicht abgrenzbare Druckempfindlichkeit. 

Das Röntgen-Bild ergibt keinen Aufschluß über eine Erkrankung der Wirbel¬ 
säule. 

Verlauf: 

In den ersten Tagen der Beobachtung: Patientin macht einen sehr apathischen 
und hinfälligen Eindruck, klagt über starke Rückenschmerzen, ziehende 
Schmerzen im linken Arm und rechter Hüfte. 

Die Parese der oberen Extremitäten nimmt zu, besonders links. 

Die Grenze der Anästhesie der Beine rückt herauf und geht auf 
den Rumpf über. Die linke Bauchseite wird deutlich hypästhetisch, die Bauch¬ 
reflexe sind links stark herabgesetzt, rechts unverändert. 

Nach Tuberkulininjektion (alt Tuberkulin 2 / 10 mg): 

Temperatursteigerung auf 38,3, Kopfschmerzen, allgemeines Unwohlsein. 

Es traten heftige Schmerzen in beiden Armen auf, einmal Erbrechen. 

Nach 10 Tagen zunehmende Parese der Arme, Herabsetzung der Schraerz- 
und Temperaturempfindung der linken Rumpfseite; dann Pupillendifferenz 
(rechts weiter als links bei prompter Reaktion auf Licht und Konvergenz). 

3 Wochen nach der Aufnahme ist die Parese der oberen Extremitäten 
links bis zu totaler sensibel motorischer Lähmung fortgeschritten 
rechts sind nur noch Fingerbewegungen möglich, bei prompt auslösbaren Sehnen¬ 
reflexen beiderseits. Die Bauchpresse ist schwach, starker Meteorismus be¬ 
hindert zeitweise die Atmung; es besteht Retentio urinae. 



Fig. 2. 


Die Sensibilitätsstörung hat sich beträchtlich ausgedehnt (s. Fig. 2); es findet 
sich totale Anästhesie für alle Qualitäten, auch für starke Schmerzreize 
an der Vorderseite des Rumpfes mit Ausnahme der Labia majora et minora, 
rechts bis zur Mamilla und zum Oberarm, links über Brust und Hals bis zum Ohr. 

Hinten starker Druckschmerz der unteren Lendenwirbel; rechte 
Hälfte des Kopfes, Halses, Rückens, rechter Oberarm, die Sakral- und Glutäal- 
region beiderseits für Schmerz- und Berührung empfindlich, sonst wie vorn für 
alle Qualitäten anästhetisch. 

Diese auffallende Sensibilitätsstörung läßt auf das Vorhandensein einer 
psychischen Störung schließen. 

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In weiteren 10 Tagen treten zu dem bisherigen Bilde starke Schmerzen 
im Hinterkopf, Schwindelgefühl, paretischer Nystagmus beim Blick 
nach rechts und links, zuweilen Doppeltsehen. 

Jetzt auch Schwäche der Nackenmuskeln. 

Mehrfaches Erbrechen, Pulsbeschleunigung. Speichelfluß. Der 
Mund kann nur wenig geöffnet werden; schlaffe, energielose Funktion der 
K aumuskeln. 

Starke Gürtelschmerzen, anfallsweise; dabei starke beiderseitige Hyper- 
idrosis. Meteorismus. Urinretention. Vollkommen schlaffe Para¬ 
plegie der oberen und unteren Extremitäten. 

Der Zustand bleibt von da an für die folgende Zeit im allgemeinen konstant. 

14 Tage später werden die früher nicht auslösbaren Patellarreflexe 
prompt auslösbar gefunden, während die Achillessehnenreflexe leicht ge¬ 
steigert sind (Andeutung von Fußklonus). 

Die totale schlaffe Lähmung aller vier Extremitäten ist unverändert. Es 
besteht starke Parese der Hals- und Bumpfmuskeln und der Bauchpresse. Der 
Kopf kann kaum vom Kissen erhoben werden; das Kauen ist äußerst schwach, 
die Zunge wird kaum über die Zahnreihe gebracht, der Mund nur wenig 
geöffnet. Der Facialis wird energielos, aber beiderseits gleich und in allen 
Zweigen innerviert. 

Puls etwa 100, regelmäßig. 

Reflexe: obere Extremität beiderseits prompt. 

Untere Extremitäten wie erwähnt. 

Plantarreflexe beiderseits schwach. 

Oberer Bauchdeckenreflex beiderseits deutlich vorhanden, unterer 
fehlt. 

Korneal- und Rachenreflex fehlen. 

Sensibilität (s. Fig. 3): 




Fig. 3. 


Anästhesie am ganzen Körper inkl. Gesicht mit Ausnahme des Hinterkopfes 
und einer nur für stärkere Schmerzreize empfindlichen Zone, die beiderseits an 
der Lendenwirbelzone über das Gesäß und die Dammgegend sich erstreckt. 

In etwa 4 Wochen ändert sich die Sensibilitätsstörung wieder in der Weise, 


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daß die BerührungBempfindung am ganzen Bumpf bis zur Schenkelbeuge wieder 
vorhanden ist, ebenso Schmerzempfindung bei starken Reizen. Die anderen Quali¬ 
täten fehlen. 

Die Extremitäten sind noch ganz anästhetisch (s. Fig. 4). 



Fig. 4. 


Dieser Zustand bleibt etwa 9 Wochen bestehen (nur die Sensibilitätsstörungen 
ändern sich, wie beschrieben), dann tritt allmählich erhebliche Besserung ein. 
Die Schwäche und die Gurteischmerzen verschwinden. 

Da seit Wochen kein Symptom aufgetreten ist, das nicht ausschließlich durch 
Hysterie bedingt sein könnte, wird in der Therapie zu energischer psychischer 
Behandlnng and Isolierung übergegangen (Suggestionstherapie, Vibration, Elektri¬ 
sierung, subkutane Injektionen von Aqua destillata). 

Nachdem schon vorher leichte Bewegungen im rechten Arm bemerkt worden 
waren, bildet sieb jetzt die motorische Störung in umgekehrter Reihen¬ 
folge wie sie entstanden war zurück. Zunächst gelingt es, die Patientin 
zu ziemlich ausgiebigen Bewegungen des rechten Armes zu veranlassen, wobei zu¬ 
nächst eine Unstetigkeit der Innervation, das Unterbrechen des verlangten Impulses 
durch zahlreiche, kurze, entgegengesetzte Impulse zutage tritt. 

Nach 3 Tagen kann Patientin den rechten Arm über den Kopf heben, 
während in dem linken zunächst nur Fingerbewegungen sich geltend machen und 
die Beine noch total paraplegisch sind. 

Die Sensibilität bessert sich nicht in demselben Maße, denn zunächst bleiben 
noch alle vier Extremitäten völlig anästhetisch und am Rumpf besteht wieder 
teilweise Hypästhesie für Berührung, Schmerz- und Teuiperaturempfindung. Un¬ 
gefähr 8 Tage nach Herstellung der aktiven Beweglichkeit des rechten Armes, 
dem allmählich der linke gefolgt ist, können die ersten willkürlichen Bewegungen 
im rechten Bein hervorgerufen werden; auch hier treten wieder störende, ent¬ 
gegengesetzte Impulse von ganz hysterischem Charakter auf. Patientin kann das 
rechte Bein schließlich bis zum rechten Winkel beugen, während das bisher ab¬ 
sichtlich von der Suggestion ausgeschlossene linke noch völlig gelähmt bleibt. 
Subjektiv treten vor und bei Eintritt der Beweglichkeit lebhafte Schmerzen in 
den Gelenken auf und in der Muskulatur. 

(Schluß folgt.) 


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II. Referate. 


Anatomie. 

1) Über die intrabulbftren Verbindungen des Trigeminus sum Vagus, von 

Prof. Dr. M. Grossmann. (Arbeiten aas dem neurolog. Institut an der Wiener 
Universität. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

Nach Durchsobneidung der drei Äste des Trigeminus beim A£fen knapp vor 
ihrem Eintritt in den Pons und gleichzeitiger Exstirpation des Ganglion Gasseri 
ergab sich — abgesehen von der Degeneration der spinalen Trigeminus wurzel — 
die Entartung eines etwas von letzterer abgesonderten Fasersystems. Es sitzt der 
spinalen Trigeminuswurzel dorsomedial auf, empfängt von ihr Fasern und entsendet 
solche in einen begleitenden Kern. Dieser, dessen Ähnlichkeit mit der Substantia 
gelatinosa unverkennbar hervortritt, wird wegen seiner Form Nucleus ovalis ge¬ 
nannt. Er sowie die begleitenden Fasern lassen sich bis in die spinale Glosso- 
pharyngeuswurzel verfolgen, in der sie verschwinden. 

Dem Verf. ist es bei dieser Untersuchung hauptsächlich darum zu tun ge¬ 
wesen, eine Verbindung zwischen Trigeminus und Vagus im primären Reflexcentrum 
zu zeigen, eine Verbindung, die bei niederen Tieren wiederholt gefunden, für 
den Affen und Menschen bisher negiert wurde. Die physiologische Seite der Frage 
(Geschmacksbahn) wird vorläufig nur gestreift. 


Physiologie. 

2) Über den EinfluB des Rindepoentrums für SpeioheUekretipn »uf die 
reflektorisohe Tätigkeit der Speicheldrüsen, von Belitzki. (Obosrenije 
psich. 1906. Nr. 1.) Ref.: Wilh. Stieda (St. Petersburg). 

Es ist eine altbekannte Tatsache, die in neuerer Zeit vor allem durch 
J. Pawlow und seine Schüler genauer untersucht worden ist, daß die Speichel¬ 
sekretion durch sensorische Reize angeregt wird. Verf., der im Bechterewschen 
Laboratorium in Petersburg arbeitete, unternahm es, den Einfluß, den die Gro߬ 
hirnrinde, speziell das Centrum für Speichelsekretion, bei diesen reflektorischen 
Vorgängen hat, zu untersuchen. Zu dem Zweck studierte er an dressierten Hunden, 
bei denen der Speichel durch eine Fistel der Gl. sublingualis aufgefangen und 
gemessen werden konnte, die Bedingungen der Speichelsekretion bei verschiedener 
sensorischer Reizung vor und nach Entfernung der kortikalen Speichelcentren. 
Zum Zweck der sensorischen Reizung ließ er die Hunde Zucker und Fleisch 
riechen, sehen und schmecken und schmatzende Eßlaute hören. Dabei stellte er 
fest, daß bei intaktem Großhirn die Gesohmacksrpize am stärksten wirkten; an 
zweiter Stelle kamen die Geruchsreize, an dritter die optischen; am schwächsten 
wirkten die akustischen Reize. Bei Wiederholung eines und desselben Reizes in 
gleicher Form wurde der Effekt der Reizung geringer bis zu vollkommenem Er¬ 
löschen desselben. Bei faradischer Reizung der kortikalen Centren steigerte sich 
die Sekretion der kontralateralen Drüse. Die Kontraktion verschiedener Muskel¬ 
gruppen bei Reizung der motorischen Felder ergab keine Steigerung der Sekretion 
(entgegen der Meinung Eckhards), wohl aber einen Anfall von epileptischen 
Krämpfen. Die Versuche nach Entfernung der Centren und vollkommener Ver¬ 
heilung ergaben ein gänzliches Versagen der Reaktion auf optische und akustische 
Reize bei Intaktbleiben der Reaktion auf Geruchs- und Geschmacksreize. Verf. 
schließt daraus, daß die optischen und akustischen Reize die Speichelsekretion in 
physiologischen Verhältnissen nur auf dem Wege über das kprtikale Centrum be¬ 
einflussen, während die Geruchs- und Geschmackscentren, ohne die Rinde zu be¬ 
rühren, direkt über die im Himstamm gelegenen Centren niederer Ordnung wirken. 


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3) Über Hemmungen des Centralxprvenaystjqms unter der Wirkung des 
galvanischen Wechselstromes, von Tschagowez. (Obosrenije psichiatrii. 
1906- Nr. 1.) Ref.: Willi. Stieda (St. Petersburg). 

Verf. berichtet über seine Ergebnisse bei Wiederholung der Ledn6sehen 
Versuche. Bekanntlich hat Ledn& 1902 in der Pariser Akademie der Wissen¬ 
schaften mitgeteilt, daß ein galvanischer Wechselstrom, der den Körper des Ver¬ 
suchstieres vom Kreuz zum Gehirn aufsteigend durchläuft, in einer gewissen Strom¬ 
stärke einen schlafähnlichen Zustand mit Erhaltensein der Befiele und der normalen 
Atmungs- und Herztätigkeit erzeugt. Verf. konnte diese Angaben voll und ganz 
bestätigen. Der galvanische Wechselstrom ruft bei einer gewissen Stromstärke 
eine tetanische Anspannung der gesamten Muskulatur hervor. Vermindert man 
nun die Stromstärke bis eben unter den Grad, wo sie noch einen Tetanus erzeugt, 
so tritt eine vollkommene Erschlaffung und ein schlaf ähnlicher Zustand ein, der 
von hochgradiger Reflexerregbarkeit für taktile Reize und kompleter Analgesie 
begleitet wird. Dieser Zustand hält während der ganzen Dauer der Stromwirkung 
an und verschwindet spurlos bei Öffnung des Stromes. Der konstante Strom 
kann dieselben Erscheinungen erzeugen, jedoch in geringerem Maße. Bei ab¬ 
steigender Richtung des Stromes ist keine derartige Wirkung zu bemerken. 

Verwehe an Fröschen ergaben das gleiche Resultat, das auch nach vorheriger 
Entfernung des Großhirns eintrat. 

Während Ledn6 für die beschriebenen Erscheinungen keine Erklärung gab, 
sucht Verf. sie durch eine bei starkem tetanisierendem Strom entstehende Para- 
biose, d. b. Hemmung durch Überreizung (Wedensky), des Großhirns zu erklären. 
Indem durch diese Parabiose die Wirkung des Großhirns inhibiert wird, tritt 
eine Lähmung der willkürlichen Muskulatur und Verlust des Bewußtseins ein und 
die niederen Centren gelangen zu ungehemmter Tätigkeit. 


Psychologie. 

4) Das Kind, seine geistige und körperliche Pflege von der Geburt bis 
zur Reife, von Ph. Biedert. (Stuttgart 1906, Ferdinand Enke. 615 S.) 
Ref.: Horstmann (Treptow a/R.). 

Das Bestreben, unsere Kinder durch zweckmäßigste Ausbildung von Leib und 
Seele widerstandsfähig und wohlvorbereitet in das Leben mit eigener Verantwortung 
einireten zu lassen, führt zu schwierigen Aufgaben auf weit auseinanderliegenden 
Gebieten. Den diätetischen, hygienischen, psychologischen, pädagogischen und 
sozialen Problemen, auf die man hierbei stößt, hat man gerade in den letzten 
Jahren in allen Kulturstaaten eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt 
Da bildet das vorliegende hübsch ausgestattete Buch eine willkommene zeitgemäße 
Erscheinung. 

Eine Reihe von Schulmännern und Ärzten verschiedener Disziplinen hat sich 
zu der Aufgabe verbunden, Eltern und Angehörigen einen Wegweiser in allen 
Fragon der Pflege und Erziehung in die Hände z,u legen, einen Berater, der, ohne 
den Anordnungen des Arztes vorzugreifen, den Laien bei Erkrankung des Kindes 
zweckmäßig unterweist und ihn zur Unterstützung ärztlicher Verordnungen vor¬ 
bildet Dem Arzte will es Winke und die Möglichkeit rascher Orientierung in 
diätetischen, prophylaktischen und therapeutischen Fragen bringen. Den Einzel- 
beitragen eine gemeinsame Richtung zu geben, sie passend einzugliedern und sie 
zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen, stellt die wohlgelungene Arbeit 
des Herausgebers dar. Die Berücksichtigung, welche die Schädigungen des 
Nervensystems, die Entwickelung des kindlichen Seelenlebens und dessen Anomalien 
in dem Buche erfahren, mpg den Hinweis auf dasselbe in einem neurologischen 
Fachblatt rechtfertigen. 

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Über Inhalt und Anordnung des Stoffes unterrichten einigermaßen die Ab¬ 
schnittsüberschriften. 

Der erste Abschnitt (Dr. Gernsheim-Worms) handelt von der normalen 
Entwickelung des Kindes im 1. und 2. Lebensjahre, der zweite (Dr. Reinach- 
München, Dr. Cramer-Bonn, Dr. Rey-Aachen, Dr. Würtz-Straßburg, Dr. Siegert- 
Köln) von der Verhütung von Erkrankungen, von Pflege und Ernährung in diesem 
Alter. Der dritte Abschnitt (Dr. Selter-Solingen) behandelt die Pflege und Er¬ 
nährung vom 3. Lebensjahre ab, während im vierten (Dr. Selter, Dr. Quint, 
Dr. Kronenberg — drei Solinger Spezialärzte) die Verhütung und Pflege von 
Erkrankungen in diesem, dem sogen, neutralen Kindesalter besprochen werden. 
Im 5. Abschnitt mit der Überschrift: Erziehung, Pflege und Erkrankung während 
der Schulzeit, Schulhygiene bringt Lehrer Börl in -Solingen Aufklärungen über 
geistige Pflege und Erziehung vor und während der Schulzeit und Dr. Rends¬ 
burg-Elberfeld solche über Schulkrankheiten, ihre Verhütung und Pflege. Im 
6. Abschnitt, die Reife betitelt, widmen Prof. Fleyler-Bensheim dem Ausbau der 
Volksschulbildung und Dr. Rey-Aachen der Reife, dem Übergang zu Beruf und 
Ehe je eine Abhandlung. 

Manchen nützlichen und beherzigenswerten Ratschlag bringt das Buch dem 
Laien auch besonders da, wo es sich um psychopathologische Dinge handelt. Die 
Eröffnung, daß manche Formen von Idiotie (syphilitische, myxödematöse) thera¬ 
peutischen Maßnahmen zugänglich sind, wird Angehörige und Eltern den Weg 
zum Arzte leichter finden lassen und bei ihm die bisher vermißte Erkenntnis, 
daß auch der Idiot ein Kranker ist, dessen Behandlung dem Arzte und nicht dem 
Laien zusteht, befestigen. Besonders lesenswert erscheinen mir die Ausführungen 
über geistige Pflege und Erziehung während der Schulzeit, über Kunstpflege in 
Schule und Haus und namentlich über sexuelle Pädagogik. Die Stellungsnahme 
in der Alkoholfrage ist diejenige, die jeder moderne Arzt einnehmen muß. Aber 
eine so eindringliche Erörterung gerade in einem derartigen Buche kann auch 
im allgemeinen Kampfe gegen den Alkoholmißbrauch nur von größtem Nutzen sein. 

Die Abfassung ist auf den Bildungsgrad des gebildeten Laien eingestellt. 
Zuweilen werden die Abhandlungen rein medizinisch und dadurch auch dem ge¬ 
bildeten Laien unzugänglich. Ungeeignet ist m. E. die Berufung eines Arztes auf 
Beobachtung eines Laien in rein ärztlichen Fragen, wie bei der Betrachtung von 
krankhaften' Trieben, Neigungen und Stimmungen (S. 417). In der Abhandlung 
der Nervenkrankheiten des Schulkindes erschien mir eine ausgiebigere Besprechung 
der hysterischen Symptome und Zustände wünschenswert. Gerade auf diesem so 
sehr wichtigen Gebiete der Psychopathologie des Kindes findet man nur zu häufig 
bei Eltern, Lehrern und auch bei Ärzten Unkenntnis bzw. falsche Auslegungen, 
die dem Kinde sehr zum Nachteil geraten können. 

Diese Ausstellungen sollen aber keineswegs den Wert des guten Buches 
herabsetzen. Zweifelsohne wird es sich bald viele Freunde und dankbare Leser 
erwerben und einen HauBSchatz in mancher Familie bilden. 

6) Experiences oolleotives sur le tömoignage, par Ed. Claparede. (Arch. 
de psychol. V. 1906. 20. Mai.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

In den hauptsächlich an Studenten angestellten Versuchen wurde Verf. darauf 
geführt, daß neben den Eigenschaften des Befragten bei der Zeugenaussage auch 
die Eigenschaften des Objektes Berücksichtigung verdienen. Er schreibt den Ob¬ 
jekten einen verschieden hohen Grad von Bezeugbarkeit (testabilitö) und Merk- 
barkeit (mömorabilitö) zu, je nachdem sie ihrer Natur nach in höherem oder ge¬ 
ringerem Maße Gelegenheit zu einer Zeugenaussage geben. So hatten u. a. von 
54 Studenten 44 die Existenz eines Korridorfensters bestritten, das gegenüber 
der Portiersloge der Universität lag und an dem jeder unzählige Male schon 
vorübergegangen war. Dieses Beispiel zeigt, daß unter Umständen eine kleine 

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Minorität von Aussagenden gegenüber einer großen Majorität, die das Gegenteil 
behauptet, im Rechte sein kann. Bei der Aussage mehrerer Personen über die 
gleiche Gruppe von Gegenständen ist die richtige Antwort nicht diejenige, auf 
die die relative Mehrheit der Aussagen fällt. 

Bei einem Versuche, der in dem unerwarteten Erscheinen einer maskierten 
Person im Auditorium bestand, über deren Außeres die Studenten dann auszusagen 
hatten, stellte sich heraus, daß weniger die genaue Erinnerung als vielmehr die 
Wahrscheinlichkeit, daß dies oder jenes Merkmal existierte, für die Aussage be¬ 
stimmend war. Bei der nachträglichen Vorlegung von 10 verschiedenen Masken 
wurde von 23 Zeugen nur 8 mal die richtige, vorher gesehene, und auch die nur 
mit Zögern herausgefunden; also auch bei diesem, der Konfrontation nachgebildeten 
Versuche war die richtige Aussage nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die 
Experimente, die den „natürlichen“ Verhältnissen nachgebildet waren, d. h. den 
Zeugen unvorbereitet trafen, und ohne daß er sofort wissen konnte, daß es sich 
um einen Versuch handle, geben bei weitem ungünstigere Resultate als die vor¬ 
bereiteten: bei letzteren schwankte der allgemeine Koefficient der Zeugnistreue 
zwischen 80 und 90°/ 0 , bei ersteren überstieg er kaum 60°/ o , blieb oft unter 
30, ja 20%. Gewisse allgemeine Irrtunistendenzen ließen sich festlegen, so die, 
räumliche Erinnerungen zu vermindern, verkleinern, oder die, das Ungewohnte zu 
vernachlässigen und im Sinne des Wahrscheinlichen Zeugnis abzulegen. 

6) I. Krimlnalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern. — 
IL Ibsens Nora vor dem Strafrichter und Psyohlater, von Dr. E. Wulffen. 

(Halle 1907, C. Marhold.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Der Versuch, vom Dichter erdachte Persönlichkeiten so zu behandeln und 
zu analysieren, als ob man es mit lebenden Menschen, mit juristischen und klini¬ 
schen „Fällen“ zu tun hätte, wird stets ein Wagnis bleiben. Mag der Dichter 
seine Figuren noch so treu nach dem Leben gezeichnet haben, die Natur wird 
ihn stets, sowohl was Folgerichtigkeit als auch was Überraschungen in der Hand¬ 
lungsweise anlangt, überbieten oder widerlegen. Der Eindruck von etwas Er¬ 
künsteltem, das Gefühl, den zweiten Aufguß eines Kunstwerkes vor sich zu haben, 
ist nicht immer zu verbannen. In der ersten der genannten Schriften hat Verf., 
ein bekannter Dresdener Jurist, die Schwierigkeit nicht ganz überwunden. Er 
kommt in seiner Analyse darauf hinaus, Franz Moor als einen Degenerierten, 
wenn auch nicht als moralischen Idioten, darzustellen, der nach dem heutigen 
Standpunkte der Wissenschaft strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen 
werden könnte; in Karl Moor erkennt er die Züge des Paranoikers und originär 
exzentiischen Weltverbesserers, dessen überspannte Phrasen und Größenideen seinem 
abnormen geistigen Zustande ausgezeichnet angepaßt sind. Auch der unwahr¬ 
scheinliche Karl Moor halte vor der modernen Wissenschaft Stand; die „Räuber“ 
sind ein naturalistisches Drama im modernsten Sinne des Wortes! So lehrreich 
und interessant die Hinweise des Verf.’s auf Schillers Stellung zu Kriminal¬ 
psychologie, Medizin und Psychologie sind, so will es doch nicht ganz überzeugend 
erscheinen, daß er in den beiden Helden seiner „Räuber“ bewußtermaßen patho¬ 
logische Charaktere habe zeichnen wollen, deren unwahrscheinliche und übertriebene 
Charakterzüge von diesem Gesichtspunkte aus gerade den Stempel der echtesten 
Wirklichkeit trügen. Weit instruktiver und einleuchtender ist die Analyse von 
Ibsens Nora und die Erklärung ihrer verschiedenen wunderlichen Einzelzüge aus 
einem hysterischen Charakter. Das Widerspruchsvolle, die eigentümliche Mischung 
von Egoismus und überspanntem Altruismus, das etwas Theatralische ihres Wesens, 
die Lügenhaftigkeit verbunden mit der Sucht nach einem gewissen Märtyrertume 
u. a. m. sind in der Tat am besten aus der Annahme einer Hysterie abzuleiten. 
Die Analyse des Verf.’s läßt dabei doch auch das Tragische der Gestalt und die 
Sympathie, die wir für diese Frau empfinden, nicht verloren gehen, ebenso wie 


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die strafrechtliche Seite des Problems und die Frage, ob Notstand im juristischen 
Sinne bei Noras Urkundenfälschung vorlag, scharfsinnig erörtert wird. Für die 
Darstellung auf der Bühne werden die Analysen des Verf.’s auf alle Fälle nutz¬ 
bringend sein und damit vielleicht doch den und jenen, der dem Theater ob seiner 
Unwahrscheinlichkeiten den Rücken gewendet hat, diesem wieder zuführen. 

Pathologische Anatomie. 

7) Beitrag zur pathologischen Anatomie der Bornaaohen Krankheit, von 

Prof. Dr. H. Oppenheim. (Zeitschr. f. Infektionskrankheiten der Haustiere. 

II. S. 148.) Ref.: Dexler (Prag). 

Dem Verf. wurde von Prof. Ostertag Gehirn und Rückenmark eines noto¬ 
risch an Bornascher Krankheit zugrunde gegangenen Pferdes zur Untersuchung 
übergeben. Yerf. charakterisiert den pathologisch-anatomischen Prozeß als „eine 
nicht diffuse, sondern partielle, lokalisierte oder disseminierte Meningoencephalitis 
acuta non purulenta“ und gelangt hiermit zu dem völlig gleichlautenden Resultat, 
das Ref. zuerst in seiner Publikation über dasselbe Thema (Zeitschr. f. Thiermed. 
IV. 1900. S. 110) in die Worte kleidete, daß es sich bei der fraglichen Krank¬ 
heit um „eine disseminierte, ganz rezente Entzündung der Meningen handelt, die 
sich auf eine gewisse Distanz in die Substanz des Gehirns und des Halsmarkes 
fortsetzte“. Nunmehr dürfte wohl in Übereinstimmung mit der Auffassung Ma¬ 
reks endgültig mit der Lehre Johnes gebrochen werden, wonach die Bornasche 
Krankheit keine Entzündungsform, sondern eine reine Intoxikation sein sollte. 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Über Plattenepithelgesohwülste der Hypophysengegend (des Infun di- 
bulums), von Privatdozent Dr. Martin Bartels in Marburg. (Zeitschrift f. 
Augenheilk. 1906.) Ref.: Fritz Mendel. 

Es handelt sich um ein 2ljähriges männliches Individuum, das sich bis zum 
14. Jahr normal entwickelte und dann im Wachstum stehen blieb. Zugleich ent¬ 
stand eine allgemeine Adipositas der Haut, Typus femininus mit verkümmerten 
Genitalien. Dabei stellte sich eine unter allgemeinen cerebralen Symptomen stärker 
werdende Sehstörung ein, welche auf dem rechten Auge schnell zu hochgradiger 
Amblyopie führte mit konzentrischen Einschränkungen des Gesichtsfeldes und 
relativem centralem Skotom, auf dem linken Auge zu Herabsetzung auf 1 / 3 mit 
geringer peripherer Einschränkung de6 Gesichtsfeldes. Das Sehvermögen besserte 
sich dann, um plötzlich wieder nach einjähriger Ruhe sich zu verschlimmern und 
nach 4 Monaten war der Patient auf beiden Augen erblindet. Eine Hemianopsie 
war niemals deutlich, einmal bestand links eine temporale Einschränkung, und 
wurde zuletzt Lichtempßndung nur nasal vermerkt. Die Pupillen waren anfangs 
normal, zum Schluß amaurotisch starr. Eine hemianopiscbe Reaktion war nicht 
deutlich. Im Augenhintergrund zeigte sich zuerst Atrophie mit leicht neuritiechen 
Erscheinungen, dann reine Atrophie und zum Schluß eine hochgradige Stauung 
der atrophischen Papille mit starker Prominenz. 

Von allgemeinen Hirnsyroptomen bestand eigentlich nur mäßiger Kopfschmerz, 
Schwindel und Erbrechen. Der Puls war beschleunigt und die Temperatur zeit¬ 
weise subnormal. Hin und wieder Ohrensausen, ziehende Nackenschmerzen und 
Ziehen in den Extremitäten. Eine Trepanation des Scheitelbeines blieb erfolglos. 

Di6 Sektion ergab eine hübnereigroße Plattenepithelgeschwulst über der 
Hypophyse, die Stelle des Infundibulums innerhalb des Circulas arteriosus Willisii 
einnehmend. Nach oben füllte der Tumor den III. Ventrikel aus, eine leere Cyste 
lag ihm auf und bildete den Boden des Ventrikels. Am meisten geschädigt 
waren die Tractus optici, das Chiasma und die Nervi optici, teils durch Druck 
platt gedrückt, teils von den Arterien durchgeschnürt. 


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9) Un cas d’acromegalie saus bypertrophie du oorps pituitaire avec for- 
mation kystique dass la glande, par Widal, Roy et Proin. (Revue de 
medecine. 1906. Nr. 4.) Ref.: W. Seidelmann (Breslau). 

Die Verff. teilen ausführlich die Krankengeschichte und den Obduktionsbefund 
eines eigenartigen Falles von Akromegalie mit. Es handelt sich um einen 66jiihr. 
Mann mit den für jene Krankheit typischen Deformitäten besonders in den Ge¬ 
sichtspartien und den vier Extremitäten. 

Die Sektion ergab hinsichtlich des Befundes der seit den Untersuchungen 
von Pierre Marie für die Ätiologie der Krankheit verantwortlich gemachten 
Hypophyse insofern etwas Besonderes, als sich in diesem Falle keine Hyper¬ 
trophie jenes Organes fand, die Pierre Marie als die Ursache annahm. Die 
histologische Untersuchung des bei oberflächlicher Betrachtung nicht nennenswert 
veränderten Organes ließ vielmehr eine cystische Degeneration erkennen. 

Die Ycrff. kommen daher zu folgendem Schluß: Das Vorhandensein eines 
Tumors der Hypophyse bei der Akromegalie ist nicht konstant; denn es gibt 
auch Fälle, die, wie der mitgeteilte, keine makroskopischen Veränderungen der 
Glandula pituitaria aufweisen, sondern lediglich histologische Abweichungen, die 
nur bei sorgfältiger Untersuchung gefunden werden. 


10) Un cas d’aeromegalie aveo lesions da l’hypophyse et de la aelle tur- 

oique, par Gaussei. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriere. 1906. Nr. 4.) 

Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

69jähriger Kranker, wird aufgenommen wegen allgemeinen Ödems, besonders 
an den Armen, Dyspnoe und Oligurie. Diese Erscheinungen sollen allmählich 
eingetreten sein, sich aber infolge einer Erkältung verschlimmert haben. Im Urin 
Albumen, Diagnose: Schrumpfniere. Nach ein paar Tagen wird folgender Status 
erhoben: Fliehende Stirn, Unterkiefer im Längsdurchmesser vergrößert, Prognation. 
Die Unterlippe überragt die Oberlippe. Nasenlöcher sehr groß. Handgelenk bis 
Spitze des Zeigefingers 22 cm lang. Breite der Hand nicht vergrößert. Finger 
haben ein gepolstertes, wurstförmiges Aussehen. Füße ebenfalls groß, aber nicht 
in dem Muße wie die Hände. Körpergröße 1,81m. Kyphose der Brustwirbel, 
Unmöglichkeit, dos Bett zu verlassen. Keine Hemianopsie, keine Störungen der 
Sensibilität usw. Keine Heredität. Wird gebessert entlassen, jedoch nach 1 / 2 Monat 
in einem Zustande von Urämie wiedergebracht, in dem er stirbt. Autopsie: 
Zahlreiche Adhärenzen der Dura in der Umgebung der Sella turcica. Nach ihrer 
Durchschneidung sieht man auf der oberen Seite, in der Gegend der Proc. clinoidei 
ant. einen rötlichen Fleck von ungefähr Zweifrankstück Größe. Die Knochen- 
apophysen sind mit Bindegewebe durchsetzt. Man 6ieht nach ihrer Entfernung 
ein dünnes Häutchen, darunter eine breiige Masse, die die ganze Sella ausfüllt. 
Mit Mühe gelingt es zwei etwa bis linsengroße Stücke zu konservieren. Der Knochen 
besitzt an seinem Körper eine Aushöhlung, daß man die Spitze des Zeigefingers 
hineinlegen kann. Mit dem Sinus sphenoidalis ist jedoch keine Verbindung, der 
Stil der Glans pituitaria ist noch vollständig erhalten. Die mikroskopische 
Untersuchung der übrig gebliebenen Stücke ergab eine glanduläre Hyperplasie. 
Es existiert eine junge Bindegewebsinfiltration mit verlängerten Zellen, welche 
sich längs der intraalveolären Kapillaren ausbreitet, in die Alveolen eindringt und 
sie zerstört. Man kann an eine ödematöse Umwandlung der Drüse denken. Das 
übrige Großhirn und Rückenmark bietet nichts Besonderes. 

Aus der Symptomatologie kann man auf den anatomischen Befund schließen: 
Wenn keine bitemporale Hemianopsie vorhanden ist, so erfolgt auch keine Kom¬ 
pression des Chiasmus auf der hinteren Seite, also kanu die Drüse nicht nach 
vorn vergrößert sein. Uber die Art der Veränderung sagt uns das Nichtbestehen 
der Hemianopsie nichts. 


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11) Über Akromegalie, von Dr. Witte. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. 

Nr. 8.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Im Düsseldorfer Ärzteverein demonstrierte Verf. einen Fall von Akromegalie, 
bemerkenswert durch die geringe Körperlänge des Kranken (149 cm), welche zum 
Teil auf einer Verkrümmung der Wirbelsäule beruht, ferner durch starke Wucherung 
des weichen Gaumens und durch lebhafte Beteiligung der distalen Gelenkenden. 
Das Leiden begann mit hemiopischen Störungen und führte zu psychischen Ano¬ 
malien. Pat. ist apathisch, schlafsüchtig, ängstlich, hat Verfolgungsideen und 
leidet an Gesichts- und Gehörstäuschungen, Parästhesien sowie einem heftigen, 
zeitweise mit Kopfschmerzen und Übelkeit verbundenen Schwindelgefühl. Diagnose: 
Hypophysistumor. 

12) A peouliar form of aoromegaly, possibly resultlng from injury, by 

Kaptain J. C. Prittle Perry. (Brit. med. Journal. 1905. 30. Dezember.) 

Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Ein 20 jähriger Mann (Kreole), welcher als Kind sich eine Depressionfraktur 
des Stirnbeines zugezogen hatte, zeigte seit 6 Jahren eine zunehmende Vergrößerung 
der Zehen und Finger mit trommelstockähnlicher Verdickung der Endphalangen. 
Sonst waren keine auf Akromegalie zu deutende Krankheitssymptome vorhanden. 
Vielleicht hat die Schädelverletzung krankhafte Veränderungen in der Hypophysis 
hervorgebracht. 

13) Acromögalie partielle aveo infantilisme, par Pal. (Nouv. Iconogr. de 1 a 

Salpetrifere. 1906. Nr. 1.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Ein 16jähriger Knabe, bei dessen Geburt man schon auf die Größe seiner 
Hände und Füße aufmerksam wurde. Er wuchs regelmäßig, aber an Händen und 
Füßen stärker. Fiel immer durch eine bläuliche Farbe seiner Haut auf und 
mußte immer eigens für ihn gefertigte Holzschuhe tragen. Seit frühester Jugend 
blitzartige Schmerzen und Parästhesien. Nach einer fieberhaften Erkrankung soll 
das enorme Wachstum seiner Extremitäten noch mehr zutage getreten Bein. Zwei 
Geschwister sind taub, ebenso ein Bruder des Vaters, Großmutter starb an Apo¬ 
plexie, Mutter an Tuberkulose. 

Status: Abnahme der Muskelkraft, Intelligenz wenig entwickelt, starker 
Schweiß, am ganzen Körper Wollhaare. Kopf klein, Augäpfel groß, am linken 
Ohr ein Darwinsches Knötchen. Die ganze Figur des Kranken entspricht der 
eines 10jährigen Kindes, abgesehen von den sehr langen uud sehr großen Extre¬ 
mitäten. Mittlere Schneidezähne sehr groß, Thyreoidea palpabel. Beide Seiten 
des Thorax stark eingedrückt, Genitalien infantil, Schamhaare fehlen. Die Skapulo- 
lmmeralgelenke stehen stark vor. Vorderarm sehr dünn, dagegen die Ellbogen, 
Unterarme und Hände stark hypertrophisch. Muskulatur Behr schlaff, in sämt¬ 
lichen Gelenken spürt man einen gewissen Widerstand. Länge des Zeigefingers 
ist 10 cm, des Mittelfingers 11cm, des Ringfingers 8 cm. Umfang des Oberarmes 
18 cm, des Unterarmes 20cm, Ellbogens 27 cm. Breite des Daumennagels 2cm. 
Die Knie werden in leichter Beugestellung gehalten, als Grund werden Schmerzen 
angegeben, Die Ober- und Unterschenkel sind beide hypertrophisch. Die Länge 
des Fußes beträgt 31 cm, Nagel der großen Zehe 3 cm, ihr Umfang 10 cm. Sehnen¬ 
reflexe stark erhöht, Puls 90, steigt bei der geringsten Anstrengung auf 120. 
Temperatur subnormal. Oedema linearis angio-neurotica (Dermographie). Der 
Kranke kann sich nur mit großer Mühe außerhalb des Bettes bewegen. Die 
Radiographie ergibt, daß die Hypertrophie besonders in den Knochenepiphysen 
ausgesprochen ist. Sella turcica normal. 

Verf. kommt in einer längeren Erörterung zu dem Resultate, daß es sich 
hier um einen Fall von Infantilismus kombiniert mit Akromegalie handelt. (Auf¬ 
fällig ist die geradezu haarsträubende, zum Teil vollständig sinnlose Wiedergabe 
deutscher Zitate; d. Ref.) 


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14) Ein Fall von Glgantlamus infantilis, von Redlich. (Wiener klin. Rund¬ 
schau. 1906. S. 489.) Ref.: Piloz (Wien). 

31 jähr. Mann, von jeher schwachsinnig, bis zu seinem 20. Jahr normales Wachstum; 
während des folgenden Jahres soll er stark gewachsen sein, niemals sexuelle Regungen. 

Stat. praes.: Imbecillitas hohen GradeB. Körpergröße 182,5, Spannweite 
190,5, Gesicht völlig bartlos, nur ganz feine Lanugohärchen aufweisend. Gesichts¬ 
haut von senilem Aspekte. Gesichtsfeld normal. Stimme auffällig hoch, nicht 
mutiert, knabenhaft, Kehlkopf nur wenig vorspringend. Rechter Schilddrüsen- 
lappen deutlich zu fühlen, der linke und mittlere nicht, ln den Achselhöhlen 
reichlich dunkle Haare, sonst Haut vollständig haarlos, auch das Genitale und 
Linea alba, nur an der Wurzel des Penis findet sich ein schmaler Kranz dicht¬ 
stehender Haare. Penis sehr kurz, dünn. 

Radiologischer Befund: Kein Anhaltspunkt für eine abnorme Kleinheit 
des Herzens oder für persistierende Thymus. Mehr minder vollständig Offen¬ 
stehen der Epiphysenfugen an den Skeletteilen der oberen und unteren Extremi¬ 
täten, aber auch der Apophysen; ferner hochgradige, „chronische“ Atrophie des 
Skeletts, d. h. sehr weitmaschige Spongiosa und Mißverhältnis zwischen Längen- 
und Breitenentwickelung der epiphysären Anteile zuungunsten der letzteren. An 
der Sella turcica nichts Pathologisches. Also gigantisch angelegtes Skelett von 
schwächlichem innnerem Aufbau mit relativ unentwickelten Epiphysen und einem 
Ossifikationszustande, der einem Alter von 15 bis 16 Jahren entspricht. 

4 Abbildungen im Texte veranschaulichen den Befund, namentlich das über¬ 
wiegende Wachstum speziell der unteren Extremitäten, während Stamm und Kopf 
nicht abnorm groß sind. 

Anhangsweise berichtet Verf. noch über folgenden Fall: öOjähr. Paralytiker, 
186 cm lang, obere Extremitäten schlank, Hände und Füße nicht auffällig groß. 
Weiblicher Typus des Crines pubis, Haut glatt, fettreich, Mammae stark, hervor¬ 
springend. Stimme knabenhaft. Penis infantil, Testikel sehr klein. Anamnestische 
Angaben: Während der 23jährigen Ehe anfangs gelegentlich Verkehr, ohne Erek¬ 
tionen. Ejakulation sehr spärlich und wasserhell, später fehlte auch überhaupt 
jegliche sexuelle Betätigung. 

16) Experimentelle Versuche zur parathyreoidealen Insufflcienz in bezug 
auf Eklampsie und Tetanie, mit besonderer Berücksichtigung der 
antitoxischen Funktion der Parathyreoideae, von Dr. V. Frommer. 
(Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. XXIV.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 

Verf. stellt folgende Schlußfolgerungen auf: Die Beischilddrüsen, Gebilde von 
epithelialem Charakter mit reichlichen Blutgefäßen und besonderer zellreicher 
Struktur, haben ontitoxiscbe Funktion, deren Ausfall Tetanie zur Folge hat; die 
Schwangerschaft und die Geburt haben auf letztere einen wesentlichen Einfluß. 
Die partielle Parathyreoidektomie verursacht bei Kaninchen keine besonderen 
Störungen, die totale kann mit letaler Wirkung verbunden sein. Komplete Para- 
tbyreo- and Tbyreoidektomie kann bei Kaninchen eine letal verlaufende Tetanie 
erzeugen. Bei gleichzeitiger partieller Insufflcienz verursacht Implantation der 
Placenta bedeutende Störungen in dem Organismus und erzeugt anscheinend Stoff- 
wecbselprodukte giftiger Natur. 

16) Tetaola parathyreopriva, von J. Erdheim. (Mitth. aus den Grenzgeb. der 
Med. u. Chir. XVI.) Ref.: Kurt Mendel. 

Experimente und Klinik (Verf. selbst beobachtete drei tödlich verlaufene 
Fälle von Tetanie nach partieller Kropfexstirpation und fand bei allen dreien, 
daß sämtliche Epithelkörperchen zugrunde gegangen waren) ergeben, welch große 
Bedeutung den Epithelkörperchen beizulegen ist. Die Behauptung, daß die 
Thyreoidektomie bei* Karnivoren Tetanie, bei Herbivoren Kachexie zurfolge habe, 
kann nicht mehr als richtig gelten. Die Tetanie tritt selbst bei Karnivoren auf 


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reine Schilddrüsenexstirpation nicht auf; dagegen kann man bei Pflanzenfressern 
Tetanie ebenso wie bei Fleischfressern erzeugen, indem man die Epithelkörperchen 
exstirpiert. 

Bei Strumektomien kommt es zur Vermeidung der Tetanie nicht auf die 
Menge und Lage des Schilddrüsenrestes, sondern darauf an, wie viele Epithel¬ 
körperchen in oder außerhalb desselben unversehrt geblieben sind. 

17) Kindertetanie und Epithelkörperchen, von W. Stoeltzner. (Jahrb. f. 

Kinderheilk. LXtV.) Ref.: Zappert (Wien). 

Für die Tetanie der Erwachsenen ist die ätiologische Bedeutung des Aus¬ 
falles der Epithelkörperchenfunktion nahezu ßicherges teilt. Einige Autoren, so 
namentlich Pineies, wollen auch die Kindertetanie auf diese Weise erklären. 
Dagegen polemisiert Verf. auf Grund der klinischen Verschiedenheiten der kind¬ 
lichen Spasmophilie und der experimentellen Tetania parathyreopriva. Ferner 
reagieren die operative Tetanie und die Spasmophilie verschieden auf die Nahrung. 
Während erstere sich auf Milchzufuhr besserte, auf Fleischbrühe verschlechterte, 
zeigte die kindliche Tetanie eine Zunahme der Symptome bei Steigerung der 
Milchzufuhr. Verf. zieht aus diesen Argumenten den Schluß, daß die alltägliche 
Spasmophilie der Rachitischen mit den Epithelkörperchen nichts zu tun habe. 

Ref. glaubt nicht, daß damit das letzte Wort in dieser interessanten Frage 
gesprochen ist. 

18) Über die Beziehungen der Tetanie zum weiblichen Sexualapparat, 

von Dr. E. Gross. (Münchener raed. Wochenschr. 1906. Nr. 33.) Ref.: E. Asch. 

Bei einer 39jährigen, anämischen, schlecht genährten Frau wird wegen un¬ 
vollständigen Aborts eine Ausräumung des Uterus ohne Narkose vorgenommen. 
Während derselben Paräsihesien, Kribbelgefühl sowie Steifigkeit in den Fingern, 
schließlich charakteristische Krämpfe in beiden Händen sowie Steifigkeit in den 
Füßen, Zuckungen im Gesicht, Steigerung der mechanischen Erregbarkeit im Gesicht. 
Während der nächsten Zeit keine abnormen Sensationen. Bei der zweiten Auf¬ 
nahme (9 Monate später) wird angegeben, daß zur Zeit der Menstruation stets 
Zuckungen in den Händen und Füßen aufgetreten seien. An der Schilddrüse 
findet sich ein median sitzender, derber Knoten, die seitlichen Lappen sind nicht 
tastbar. Sensibilität und Reflexe normal, kein Chvosteksches und Trousseau- 
sches Phänomen. Als Vorbereitung einer Abrasio mucosae wird Laminaria ein- 
geführfc und die Vagina tamponiert. Daraufhin treten Parästhesien in den Fingern 
auf. Bei der Entfernung der Mucosa tritt ein typischer, tetanischer Anfall ein, 
der sich sofort einstellte, als bei der Ausspülung der Uteruskatheter an den 
Fundus uteri anstößt. Dabei ist das Facialisphänomen beiderseits leicht vor¬ 
handen und die galvanische Erregbarkeit erhöht. Es dürfte sich somit um einen 
Fall latenter Tetanie gehandelt haben, die reflektorisch vom Uterus ausgelöst 
wurde. In zwei weiteren Beobachtungen wurden die tetanischen Krampfanfalle 
während der Schwangerschaft (2. und 5. Monat) im Gefolge von Gemütserregungen 
hervorgerufen. Sämtliche Kranke waren Mehrgebärende, gehörten der ärmeren 
Klasse an und in den beiden Fällen von Tetanie in der Gravidität bestand 
außerdem beiderseitige Cataracta incipiens. 

19) Beitrag zur Lehre von der Tetanie bei Magenerweiterung, von Dr. 

Richartz. (Zeitschr. f. klin. Med. L1U.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

32jährige Landwirtsfrau, die stets an Sodbrennen und leerem Aufstoßen ge¬ 
litten hatte, erkrankte März 1903 mit Gefühl von Völle und Schwere in Magen¬ 
gegend und häufigem saurem Aufstoßen nach der Mahlzeit. Seit Oktober 1903 
Erbrechen, das zuletzt fast täglich auftrat und wobei stets die große Menge und 
dünne Beschaffenheit des Erbrochenen auffiel. Trotz regelmäßiger Spülung rapide 
Abnahme der Körperkräfte und des Gewichts. Die Untersuchung im Januar 1904 
weist eine sehr beträchtliche Dilatation des Magens nach. Der Magensaft ist frei 


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von freier HCl, enthält reichlich Milchsäure. Gegen Ende der Magenspülung 
änderte sich auf einmal das Verhalten der Patientin, die, an die Spülung gewöhnt, 
bisher ganz ruhig gewesen war: zunächst bog sie ganz langsam den Kopf nach 
Muten über die Stuhllehne, dann hoben sich beide Unterschenkel, bis sie mit den 
Oberschenkeln eine Linie bildeten, dann streckte sich ebenso langsam der Rücken. 
Der Vorderarm stellte sich zum Oberarm in halbe Beugung, die Finger hatten 
die typische Trousseausche Explorationsstellung angenommen. Im Gesicht nahm 
man keine deutliche Veränderung wahr. Finger und Hände waren eisigkalt und 
auffallend cyauotisch. 

Diese Anfälle, bei welchen das Ch vostekeche Phänomen Btets fehlte, das 
Trousseausche später vorhanden war, traten in der Folge bei jeder Spülung 
auf, bis die Stauung auf operativem Wege durch Exstirpation eines klein¬ 
hühnereigroßen Carcinoma gelatinosum am Pylorus und Anlegung einer Gastro¬ 
enterostomie beseitigt war. Auch bei nachherigen Spülungen fehlten die Krampf¬ 
erscheinungen. 

Da die Patientin nach der Operation weder per os noch per clysma Flüssig¬ 
keiten zu sich genommen hat, so spricht diese Tatsache unbedingt gegen jene 
Theorie, welche das Auftreten der Tetanie bei Magenerweiterung auf Blutein¬ 
dickung zurückführen will. Eher begreift sich der heilende Erfolg der Gastro¬ 
enterostomie vom Standpunkt der Intoxikationslehre: der chirurgische Eingriff 
leerte den Magen vollkommen, hob dann jede Stagnation in demselben und damit 
die Möglichkeit weiterer Bildung von toxischen Substanzen. Das Auftreten des 
einzelnen Anfalles ist jedoch durch diese Theorie auch nicht erklärt; es bleibt 
vor allem unverständlich, warum das Auftreten von Krämpfen sich so häufig an 
Magenentleerungen durch Spülung oder Erbrechen anschließt. Keine Theorie kann 
hier auf die Idee eines Reflexyorganges ganz verzichten. 

20) Zur Kenntnis der Tetanie intestinalen Ursprunges, von Dr. Karl Quosi g. 

(Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 10.) Ref.: E. Asch. 

Es handelt sich um einen Fall von Tetanie bei einem 46jährigen Herrn, 
die nach einer wohlcharakterisierten Störung der Darm Verdauung auftrat, ohne 
daß sich zu gleicher Zeit starke Wasserverluste bemerkbar gemacht hätten. Verf. 
glaubt, daß die Fälle von „Darm“-Tetanie, einschließlich der Fälle Fleiners, 
eher geeignet sein dürften, die Autointoxikationslehre zu stützen, als einen Beleg 
für die von Fleiner aufgestellte Ätiologie der Wasserverarmung abzugeben. 

21) Tetanie im Verlaufe der Magenkrankheiten und des Abdominaltyphus, 

von Dr. A. Star^. (Casopis ces. lek. 1905. S. 268.) Ref.: Pelnär (Prag). 

Beobachtung eines Falles von Magenkrebs mit Erweiterung des Magens, 

Achylia gastrica und Milchsäure im Mageninhalt (Klinik des Prof. Thomayer 
in Prag), wo jede Einführung der Sonde einen Tetanieanfall auslöste, außerdem 
aber keine spontane Anfälle beobachtet werden konnten. Die Rigidität der be¬ 
troffenen Muskeln dauerte noch einige Minuten nach Entfernung der Sonde. Im 
zweiten Falle erschienen spontane Tetanieanfälle in Extremis bei einer 37jährigen 
Frau, die auch an Magenkrebs mit Erweiterung des Magens litt Bei dieser 
Kranken waren auch die übrigen stabilen Symptome der Tetanie anwesend. Bei 
Besprechung der sogen. Tetanie gastrique kommt Autor zum Schlüsse, daß die 
pathogenetischen Ansichten viel daran leiden, daß man die Tetanie gastrique sehr 
exklusiv behandelt und keine Rücksicht darauf nimmt, daß es sich nur um eine 
Form aus der Gruppe der symptomatischen Tetanie handle, die nicht nur bei 
Magenkrankheiten, sondern auch — und zwar unter demselben Bilde — bei 
Intoxikationen, Infektionskrankheiten Vorkommen. Als Beispiel dazu dient ein 
klinisch beobachteter Fall, wo im Laufe von Typhus abd. am Ende der 3. Woche 
eine typische Tetanie mit Rigidität der Extremitäten, main d'accoucheur, und mit 
den stabilen Symptomen der tetanischen Übererregbarkeit erschien und in der 


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Kekonvalescenz wieder allmählich verschwand. Nur was die Prognose anbelangt, 
steht die gastrische Tetanie mit ihrer großen Mortalität (über 50°/ o ) beiseite, 
indeß die übrigen symptomatischen Tetanien die Prognose nicht verschlimmern. 

22) Die Kindertetanie (Spasmophilie) als Calcium Vergiftung, von Dr. 

W. Stoeltzner. (Jahrb. f. Kinderbeilk. LXIII.) Bef.: Zappert (Wien). 

Von der Erfahrung ausgehend, daß spasroophile Symptome fast ausschließlich 

bei künstlich genährten Kindern Vorkommen und daß Entfernung der Kuhmilch 
die Tetanie oft rasch zum Schwinden bringt, hat Verf. Versuche über die Beein¬ 
flussung der Tetanie durch Kalkfütterung angestellt. Es gelang bei mehreren 
Kindern mit Tetaniesyroptomen, deren Rückgang auf Mehldiät erreicht worden 
war, durch Hinzufügen von Kalk zur Nahrung diese Krankheitssymptome wieder 
zu erzielen. Allerdings waren nicht alle Fälle so beweisend. In geistreicher 
Weise verwertet Verf. diese Beobachtungen für die Entstehung der Spasmophilie 
bei künstlich genährten sowie bei rachitischen Kindern. Wird durch die Kuh¬ 
milch schon an sich ein großes Kalkquantum dem kindlichen Körper zugeführt, 
so steigert sich diese Menge, wenn der aufgenommene Kalk nicht genügend zum 
Knochenaufbau verwertet wird, ja wenn durch Knocheneinschmelzung noch direkt 
Kalk im Körper frei wird. Eine Zeit lang bewältigt der Darm die gesteigerte 
Kalkausscheidung, schließlich wird er aber insuffizient und damit ist eine Kalk¬ 
retention und Spasmophilie veranlaßt. In Fällen einer angeborenen (hereditären) 
durch Infektionskrankheiten bedingten, individuellen Darmschwäche kann die Spasmo¬ 
philie ohne Rachitis und auch besonders frühzeitig auftreten. Daß die Nerven- 
und Muskelerregbarkeit durch Calciumsalze erhöht wird, ist durch Versuche an 
Froschnerven bzw. an durchströmten Herzen erwiesen. Selbst ein dem laryngo- 
spastischen Herztod analoger Herzstillstand ist durch große Kalkdosen am Tier¬ 
herz erzielt worden. Hingegen ist das tatsächliche Vorhandensein einer Kalkretention 
bei spasmophilen Kindern nicht nachgewiesen; ja Quest nimmt geradezu einen 
abnorm geringen Kalkgehalt als Ursache der Spasmophilie an. 

Sicherlich werden die interessanten Schlußfolgerungen Verf.’s in den beteiligten 
pädiatrischen Kreisen Anlaß zu weiteren Untersuchungen auf diesem Gebiete abgeben. 

23) Tetaniestar — Zuckerstar — Altersstar, von Pineies. (Wiener klin. 

Wochenschrift. 1906. S. 691.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Der Gedankengang dieses vom heuristischen Standpunkte höchst bemerkens¬ 
werten Aufsatzes ist folgender: , 

Bei allen verschiedenen Typen der menschlichen Tetanie (Tetania strumipriva, 
Arbeitertetanie, Schwangerschaftstetanie, auch vereinzelt bei der Kindertetanie) 
wird Star beobachtet, was ein wichtiges unterstützendes Moment für die patho¬ 
genetische Zusammengehörigkeit aller Typen der Tetanie bildet. Alle Tatsachen 
der Klinik (ebenso die neuerlichen Experimente Erdheims an Ratten) sprechen 
dafür, daß der Tetaniestar dem Ausfall der Epithelkörperfunktion, d. h. dem 
supponierten „Tetaniegift“ seine Entstehung verdankt, also dem Ausfall einer 
Blutdrüse. Von Interesse ist, daß bei der menschlichen Tetanie die entwicklungs¬ 
geschichtlich zusammengehörigen ektodermalen Gebilde: Centralnervensystem, Haare, 
Nägel und Linse erkranken. 

Desgleichen entseht der Zuckerstar auf dem Boden des Diabetes, der zu 
manchen Blutdrüsen (Pancreas, Thyreoidea, Nebennieren) Beziehungen aufweist. 

Überblickt man nun alle für das Senium halbwegs charakteristischen Er¬ 
scheinungen, so springt eine als die typische hervor: die Abnahme der Funktion 
der Geschlechtsorgane. Dieses Merkmal teilt das Alter mit allen Erkrankungen, 
welche enge Beziehungen zu Blutdrüsen haben (Akromegalie, Myxödem, Morbus 
Basedowii usw.); mit der Schilddrüseninsufficienz hat aber das Senium noch 
mancherlei Erscheinungen gemeinsam (Abnahme der Blutbildung, runzelige, ver¬ 
witterte Haut usw.). 

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Eb erscheint daher gerechtfertigt, bei Untersuchungen über den Altersstar 
auch die Beziehungen zu den Blutdrüsen zu berücksichtigen. 

24) Über Behandlung der Tetanie mittele Nebenschilddrüsenpr&paraten, 

von Dr. Loewenthal und Dr. Wiebrecht. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 

heilk. XXXI. 1906.) Re£: E. Asch. 

Es handelt sich um eine 47jährige Frau, in deren Familie mehrfach Ver¬ 
größerungen der Schilddrüse bemerkt wurden. Sie selbst wurde schon als Kind 
wegen ihres dicken Halses mit Jod behandelt. Wenige Monate nach der Ver¬ 
heiratung (1887) schwere Melancholie von einjähriger Dauer. Nach deren Ab¬ 
klingen öfters Steifwerden der Hände. 1889 Geburt von Zwillingen; beim 
Stillen derselben macht sich eine Schwellung der Schilddrüse bemerkbar, gebt 
aber bald wieder zurück. Im Jahre 1896 beim Verlust eines Kindes wiederum 
Starrwerden von Händen und Füßen. Im übrigen von 1889 bis 1898 Befinden 
recht gut. ln diesem Jahre Geburt des jüngsten Kindes, starker Blutverlust post 
partum und von da an Gesundheit stark geschwächt. Seit dieser Zeit nach 
psychischen Erregungen tonische Krumpfe und Herzstöruugen. 1902 zur Be¬ 
seitigung unmittelbarer Todesgefahr Entfernung des rechten Schilddrüsenlappens, 
danach Besserung der Tachykardie und des Allgemeinbefindens. In den nächsten 
Jahren Steigerung der tetanischen Beschwerden, Anfälle von Praecordialangst und 
chronisch vorhandene Diarrhöen, auf welche der Gebrauch von Rodagen einen 
günstigen Einfluß hat. 1905 voll ausgebildeter Tetanieanfall. Von da an 
schwerer Krankheitszustand, der sich als eine Mischung von Basedow-Symptomen 
(Zittern, HyperhidroBis, Tachykardie, Struma) und von Tetanieerscheinungen 
(tonische Krämpfe, sensorische und sensible Reizerscheinungen, Angst, Trousseau- 
•ches Phänomen, Andeutung des Chvostekschen Facialisphänomens, Herabsetzung 
des galvanischen Leitungswiderstandes der Haut) charakterisiert. Nach Darreichung 
von frischer Schilddrüse und Nebenschilddrüsen Besserung der tetanischen Anfälle, 
während die übrigen Störungen unbeeinflußt bleiben. Bei sehr häufigen Diarrhöen 
verschwinden die ausgeprägten Anfälle ohne Gebrauch von DrÜBenpriiparaten von 
selbst, was auf eine Ausscheidung der Krampfgifte durch den Darm hin weist. 
Während eines 14tägigen Zeitraumes wird die Dosis des Drüsenpulvers auf 
0,75 g pro die erhöht; daher treten die Krampfanfälle vollkommen zurück und 
die objektiven Tetaniesymptome sind zum Teil auch nicht mehr nachweisbar, 
kommen aber zeitweise wieder, sobald die Tagesdosis herabgesetzt wird. Im 
April 1906 wird 10 Tage lang reine Nebenschilddrüse (0,02—0,04 pro dosi) ver¬ 
abreicht und sind während dieser Zeit keine Anfälle zu bemerken. Von da an 
erhält Patientin Schilddrüsentabletten (Engelhard) ä 0,3, wobei erst bei dem 
Gebrauch von 7 Stück pro Tag die Anfälle unterdrückt werden. Die englischen 
Tabletten (Borrough, Wellcome u. Co.) wirken bei gleicher Dosis in derselben 
Weise. Während eines leichten Rezidivs bewirkt die Verabreichung von reiner 
Schilddrüsensubstanz ohne Epithelkörper von der Thyreoidea des Rindes in der 
Dosis von 0,6 pro die eine Verstärkung der Krampferscheinungen, während nach 
Genuß von 0,15 des DrüBenpulvers aus Thyreoidea und Parathyieoidea die An¬ 
fälle verschwinden. 

Von Jodothyrintabletten sind während einer 5 tägigen Versuchsperibde 
mindestens 6 Stück erforderlich, um das gleiche Resultat wie l 1 /, Tabletten un¬ 
veränderter Schilddrüsensubstanz zu erzielen. Trotz der zum Teil sehr hohen 
Dosen dieser Substanz wurde eine langsame Steigerung des Körpergewichtes und 
Verminderung der Tachykardie beobachtet. 

Aus dieser eingehenden Mitteilung geht hervor, daß die günstige Beein¬ 
flussung der Tetanie ausschließlich auf den Gebrauch von Nebenschilddrüsen¬ 
substanz zurückzuführen ist. Das hier erzielte Resultat fordert zu weiteren Ver¬ 
suchen in dieser Hinsicht auf. 

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25) Beobachtungen über kuhmilohfreie Ernährung be! dem Laryngoepasmua, 
der Tetanie und Eklampsie der Kinder, von Dr. Ludwig Mendelsohn 
und Dr. Philipp Kuhn. (Archiv f. Kinderheilk. XXIV 7 .) Ref.: Zappert. 
Die seinerzeit so sehr in den Vordergrund gestellte therapeutische Beein¬ 
flussung der spasmophilen Erkrankungen des Kindes durch Nahrungsänderung 
findet in vorliegenden Untersuchungen nur eine teilweise Bestätigung. Bei Laryngo- 
spastnus ist die Wirkung der Milchentziehung und des Überganges zur Mehldiät 
in einigen Fällen dauernd oder vorübergehend von Erfolg, fehlt aber in anderen 
Fällen vollständig. 

Hingegen läßt sich bei Tetanie ein solcher Einfluß nicht konstatieren. Immer¬ 
hin glauben die Verff. auf Grund ihrer Beobachtungen bei Stimraritzenkrampf 
wenigstens zu einem Versuch der Milchentziehung raten zu können. 

26) Degeneration of nerve-oells of the rabbits aaperior oervioal sympathetio 
ganglion as the result of interferlng with their blood supply, by Jvor 
Tuckett. (Journ. of physiology. XXXIII. Nr. 1.) Ref.: Blum (Nikolassee). 
Verf. stellte in Analogie mit den Ehrlich-Briegerschen Untersuchungen 

am künstlich anämisierten Rückenmark den Versuch an, welche Veränderungen 
in den Nervenzellen des Ganglion supremum des Sympathicus auftreten, wenn die 
Blutzufuhr unterbunden wird. Er erreichte dies dadurch, daß er das Ganglion 
aus seinem Verband mit der Umgebung bis auf den zuführenden Nerven völlig 
loslöste. Als Versuchstier wählte er das Kaninchen. Bei der infolge dieses Ein¬ 
griffes eintretenden Degeneration der Nervenzellen unterscheidet er drei Stadien. 

Im ersten Stadium, ein Tag nach der Operation, färbt sich der Kern völlig, 
also nicht nur das Chromatingerüst, jedoch ist noch das Kernkörperchen zu unter¬ 
scheiden. Zelle und Kern zeigen leichte Schrumpfung; um den Kern bildet sich 
ein blasser Hof. Nach 2 Tagen, zweites Stadium, hat die Schrumpfung weiter 
zugenomraen, das Kernkörperchen ist in dem nun tief dunkel gefärbten Kern ver¬ 
schwunden. Das dritte Stadium, das nach 5 Tagen etwa zu beobachten ist, 
zeichnet sich aus durch einen Wechsel im Chemismus der Zelle und ihres Kernes. 
Während dieser vorher basophil war und sich mit Methylenblau oder Toluidin- 
blau färbte, wird er nunmehr eosinophil und erscheint rot; das Protoplasma der 
Zelle zeigt das umgekehrte Verhalten. 

Zum Unterschied von diesen Versuchen brachte Verf. ein herausgescbnittenes 
Ganglion suprem. in die Peritonealhöhle des Tieres, wo es in Osmose mit der 
Körperlymphe blieb. Infolge dieser teilweisen Ernährung trat die Degeneration 
der Nervenzellen erst später ein, so daß nach 3 Tagen noch das erste Stadium 
sichtbar war. 

Das Material wurde in Sublimat gehärtet und die Schnitte mit Toluidin- 
oder Methylenblau im Kontrast mit Eosin oder mit Lyoner Blau und Safranin 
gefärbt. 

Die beigegebenen farbigen Zeichnungen sind sehr übersichtlich und klar. 

27) Über die Bolle des Sympathious bei der Erkrankung des Wurmfortsatses, 

von E. Hönck. (Jena 1907, Gustav Fischer. 180 S.) Ref.: Adler (Berlin). 
Die Vermittlerrolle des Sympathicus bei Entstehung von Erkrankungen im 
Gefolge der Epityphlitis stellt ein äußerst interessantes, wenn auch noch vielfach 
strittiges Gebiet dar. Das vom Verf. mit großem Fleiß zusammengestellte klinische 
Material, insbesondere die von ihm selbst beobachteten Fälle, bieten in der Tat 
in ihrer Entwicklung sehr gravierende Hinweise auf das Bestehen eines kausalen 
Zusammenhanges zwischen der Epityphlitis und später aufgetretenen Erkrankungen 
der Nase und des Rachens, der Brust- und Bauchorgane, der Gelenke, der Haut usw. 
und auf das Zustandekommen dieser sekundären Erkrankungen unter Vermittlung 
des Sympathicus. Die Basis der Untersuchungen des Verf.’s bilden die Arbeiten 
von Buch, Fließ, Bidder, Volkmann, Gaskell, Langley u. a. Die von 


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Fließ beschriebenen Erscheinungen an der Nasenschleimhaut bei der Menstruation 
sind zu erklären als konsensuelle Gefäßreflexe, ausgehend von den sympathischen 
Nerven der Geschlechtsorgane, welche während der Menstruation in einen Reiz¬ 
zustand geraten. Die von der Nasenschleimhaut aus zu beseitigenden dysmenor- 
rhoischen Beschwerden mußten auf einer Rückwirkung der durch Schwellung ge¬ 
reizten sympathischen Nerven herrühren. Ebenso können umgekehrt Erkrankungen 
der Nase die dysmenorrhoischen Beschwerden auf demselben Wege nuslösen. Die 
bei entzündeten Mandeln beobachteten Schmerzen in der Magengegend, welche 
man nach Buch in den Plexus solaris verlegen muß, bilden gleichfalls ein inter¬ 
essantes Analogon. 

Wenn aber nun nach Verf. alle Krankheitserscheinungen im Gefolge der 
Epityphlitis eingeleitet werden durch eine mehr oder weniger ausgedehnte „Reizung 
de3 sympathischen Systems, welche zu Störungen des Blutumlaufes und Herab¬ 
setzung der Widerstandsfähigkeit der Gewebe führt“, so muß demgegenüber doch 
betont werden, daß viele der beschriebenen Fälle auch andere Deutungen zulassen, 
und daß mit der Auffindung von Schmerzpunkten in der Blinddarmgegend die 
Diagnose Epityphlitis doch nicht hinreichend gesichert ist, zumal beim Fehlen 
einer spontanen Schmerzhaftigkeit. Verf. sagt selbst: „Da es kein Organ gibt, 
das nicht dem Sympathicus unterworfen ist, so folgt daraus, daß es auch kein 
Organ gibt, das nicht gelegentlich durch den Wurmfortsatz erkrankt.“ Wenn 
sich nun die pathologisch-anatomischen Untersuchungen Oberndorffers bewahr¬ 
heiten sollten, wonach alle über 20 Jahre alten Menschen mit seltenen Ausnahmen 
blinddarmkrank (sc. vom Standpunkte des pathologischen Anatomen) sind, so kann 
man sich ungefähr ein Bild davon machen, wie die bedeutsame Rolle, welche der 
Sympathicus nach Ansicht des Verf.’s bei der Vermittlung von Erkrankungen 
nach Epityphlitis spielt, geeignet ist, unsere bisherigen pathologischen Anschauungen 
von Grund aus zu reformieren. Es steht zu befürchten, daß dann dem Sympathicus 
dieselbe Rolle zufällt, wie einst den Säften zur Zeit, als noch die Humoralpatho¬ 
logie das Feld beherrschte. 

28) Beitrag zur Erkenntnis der Pathogenese der Raynaud sehen Krankheit, 

von Hnätek. (Wiener klin. Rundschau. 1906. Nr. 43 u. 44.) Ref.: Pilcz. 

26jährige belastete, von jeher neuropathische Frau, vor 2 1 /^ Jahren im An¬ 
schlüsse an kaltes Bad „Weißwerden“ der Finger und Zehen. Seither Anfälle 
folgender Art: Herzklopfen, Beengung in der Herzgegend, Kälte und Parästhesien 
der Finger, Hände und Füße werden wachsartig blaß, nach Minuten treten rote 
Flecke auf, deren Farbe in Blau übergeht. Die Flecke konfluieren allmählich. 

Anfangs waren die Anfälle nur auf die Finger und Hände beschränkt, später 
breiteten sie sich bis zum Radiokarpalgelenke aus. Dauer l / 2 bis 3 / 4 Stunden. 
Die Anfälle traten angeblich durch Aufregung oder Kältewirkung auf, konnten 
indessen experimentell (z. B. Atherspray) nicht hervorgerufen werden. In der 
Zwischenanf&llszeit sind die Hände und Füße rötlich (wie „erfroren“). Status 
nervosus ira übrigen normal, bis auf Steigerung der Patellarsehnenreflexe. Puls 
= 80. Blutdruck 90 (Gärtner), 135 nach Rocci (im Stehen). 

In der Folge wurden zahlreiche Anfälle beobachtet, die in extenso mitgeteilt 
werden. Blutdruck erhöht. Riva Rocci 184 bis 175. Während des Anfalles 
Herabsetzung der Temperaturempfindung, Patientin kann auch Kopf und Spitze 
nicht unterscheiden. Stich wird als Schmerz empfunden, blutet nicht. Einmal 
(Anfall nur auf rechte Hand beschränkt) Hauttemperatur über der Fingerbeere 
rechts 21°, links 27°, in der Mitte des Handtellers rechts 25°, links 32°. 

Allmähliche Besserung nach etwa Ömonatl. Spitalsbehandlung. 

Trotz 3jähr. Dauer des Leidens war es noch nicht zur Gangrän gekommen. 

Verf. erörtert nun zunächst die Zugehörigkeit dieses Falles zur Raynaufi¬ 
schen Krankheit, betont in der Epikrise besonders die Blutdrucksteigerung, zu 


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deren Eiklürung gewiß nicht die regionäre Kontraktion in einigen Fingern ge¬ 
nügt, erinnert an die kardialen Symptome, und kommt zum Schlüsse, daß die 
Raynaudsche Krankheit auf einer gestörten Innervation des ganzen Cirkulations- 
apparates beruhe, wobei ein von der Peripherie ausgehender Reiz hinzntreten 
müsse, bei dem ein Reflex von bestimmter Intensität und bestimmter spezifischer 
Energie eine Rolle spiele. 

20) Ein Fall von symmetrischer Gangrän (Raynaud) auf hereditär-luetischer 

Grundlage, von Dr. Ernst Schiff. (Jahrb. f. Kinderb. LXIV.) Ref.: Zappert. 

Bei der Seltenheit der Raynaudschen Krankheit im Kindesalter und der 
Unklarheit der Ätiologie dieses Leidens ist der vorliegende Fall wegen seines 
zweifellos hereditär-luetischen Ursprunges von doppeltem Interesse. Bei dem Kinde 
trat im Alter von 1 J / 2 Jahren eine Gangrän beider Füße auf, die rechterseits so 
hochgradig wurde, daß die Zehen und ein Teil des Uittelfußes entfernt werden 
mußten. Trotzdem machte die Gangrän auf diesem Fuße nicht Halt, sondern 
zeigte sich beiderseits progredient. Eine eingeleitete Inunktionskur hatte frap¬ 
panten Erfolg; nach 20 schwachen Einreibungen war Heilung eingetreten. Außer 
diesem existiert nur ein Fall einer hereditär-luetischen Raynaudschen Krankheit 
in der Literatur (Krisowski). 

30) Symmetrisohe Gangrän der Fingerkuppen, von Privatdozent Dr. Josef 

Pelnär. (Öasopis öes. lek. 1906. S. 211.) Autoreferat. 

Der beschriebene Fall war dadurch interessant, daß Verf. die Patientin einige 
Monate vor dem Erscheinen des klassischen Raynaudschen Syndromes beobachtete. 
Die 34jährige, bis dahin immer gesunde Frau, die einer vollkommen gesunden 
Familie entstammt, erkrankte mit einer ekzematoiden Affektion des Gesichtes, die 
jeder Therapie trotzte. Nach 14 Tagen erschien ein enormes Ödem des Gesichtes, 
das sich im Laufe von 2 Wochen wieder verlor. Bald darauf bekam die Patientin 
spontane Anfälle von Parästhesien in den Unterarmen und Händen, ohne jegliche 
objektive Veränderungen. Die Kälte, die Nässe hatte keinen Einfluß und riefen 
keine Anfälle hervor. Nach einigen Tagen schwollen beide Hände und beide 
Füße an — wieder ohne Schmerzen und ohne objektive Veränderungen. Nach 
einigen Tagen verschwanden alle Ödeme ziemlich rasch. In diesen paar Tagen 
verspürte die Patientin zum ersten Male eine typische lokale Synkope an den 
Fingerspitzen, sobald sie mit den Händen in kaltes Wasser kam. Seit der Zeit 
wiederholte sich die lokale Synkope nach jedem Einflüsse der Kälte auf die 
Hände und nur auf die Hände. Ein Monat später begann die Gangrän in typischer 
Reihenfolge der Erscheinungen: Kälte der Finger, Parästhesien, Cyanose, dann 
heftige, den Schlaf störende Schmerzen, nach einer Woche erschien eine sanguino¬ 
lente schwarzbraune Pustel, die die Patientin aufmachte; am folgenden Tage wurde 
die Fingerkuppe 6chwarzblau, dann schwarz, trocken; dann erschien ein Demar¬ 
kationssaum; so wiederholte Bich die Geschichte auf mehreren Fingern, jedoch 
nicht streng symmetrisch. Im Laufe von 5 l j 2 Monaten heilte alles mit auffallend 
geringen Substanzverlusten. Das skiagraphische Bild zeigte eine Rarefikation an 
den distalen Enden der zweiten und an der ganzen dritten Phalange. Therapie: 
Natrium salicylicum 3 bis 4 g pro die. 

In einem anderen, ambulatorisch beobachteten Falle konnte sich Verf. über¬ 
zeugen, daß es sich bei der sogen, lokalen Asphyxie gewiß auch um einen Krampf 
der Arterien handeln muß: im Anfalle der Asphyxie, wo die Fingerspitze tief 
cyanotisch war, wurde wiederholt folgendes Experiment gemacht: der betreffende 
Finger wurde durch den beim Gärtnerschen Tonometer benutzten Gummiring 
entblutet; nachdem der Ring weggenommen worden ist, blieb der Finger einige 
Minuten vollkommen weiß und erst nach und nach wurde er wieder blau; dieser 
Zustand würde unmöglich sein, wenn die Cyanose nur durch einen Krampf größerer 
Venen verursacht wäre; übrigens zeigt schon die abnorme Kälte der Fingerspitze 


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bei dem Anfalle von lokaler Asphyxie, daß sich hier der Krampf der Arterie mit 
dem Erschlaffen der Kapillaren oder kleinsten Venen summiert. 

31) An unusual oase of Raynauds disease, by J. A. Milner. (Brit. med. 

Journ. 1906. 8. Dezember.) Ref.: E Lehmann (Oeynhausen). 

Der mitgeteilte Fall von Raynaudscher Krankheit interessiert besonders 
durch das gleichzeitige Bestehen eines Herzklappenfehlers und betrifft ein 14jähr. 
Mädchen, bei welchem die Krankheit im 10. Lebensmonat ausgebrochen war. 

Bei der Aufnahme fand man: die unteren Extremitäten endeten in narbigen 
Stümpfen, welche auf Druck schmerzhaft waren. Die Spitzen der Finger der 
rechten Hand atrophisch. Über der Spitze des mäßig dilatierten Herzens hört 
man ein systolisches Geräusch. Innerhalb des folgenden Jahres war lokale Asphyxie 
des linken Ohres und vorübergehende Cyanose der rechten Finger notiert. 

Nachdem Patientin nach einem Jahr in gutem Allgemeinbefinden entlassen 
war, überstand sie eine Pneumonie mit Endokarditis und wurde dann ihres 
leidenden Zustandes wegen zum zweiten Male aufgenommen. Die Herzdämpfung 
ging jetzt bis zur Mamillarlinie; das systolische Geräusch hatte an Intensität zu¬ 
genommen und war weit verbreitet. 

Es entwickelte sich Cyanose und dann Gangrän der Nasenspitze und der 
Ohrläppchen; sodann wurden die Finger beider Hände cyanotisch und schmerz¬ 
haft Unter Husten und Dyspnoe trat der Tod ein. 

Die Sektion ergab eine hochgradige Vergrößerung des Herzens, Dilatation der 
Ventrikel, geringe Mitralstenose, Mitralklappe stark verdickt („halb-knorpelartig“). 

32) Ein Fall von Erythromelalgie, von Dr. M. Hirose. (Xeurologia. IV. 1905. 

3. Juni.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

26jähriger Lokomotivführer; hat mehrmals Malaria tertiana, zweimal Beri- 
Beri, Lues, Epididymitis gonorrhoica durchgemacht. Während der letzten Beri- 
Beriattacke vor einem Jahre Beginn des jetzigen Leidens: erst heftige nächtliche 
stechende Schmerzen in beiden Knien, später brennende Schmerzen in beiden 
Zehen, Zehenballen und vorderer Hälfte des Fußrückens, begleitet von Röte und 
Anschwellung im selben Gebiete. Anfangs traten diese Störungen auch nur in 
nächtlichen Anfällen auf, in der Folgezeit bestanden sie fast ununterbrochen auch 
den Tag und zeigten sich auch in leichterem Maße in den Fingern der linken 
Hand. Bei der Untersuchung dehnte sitli das Brennen zugleich mit der Schwellung 
und Rötung bis fast zum Knie hinauf aus, ohne sich an das Ausbreitungsgebiet 
bestimmter Nerven zu halten. Die Haut fühlt sich in diesem Gebiet heiß an, 
Pat. steckt zur Linderung die Füße fast dauernd in kaltes Wasser; auf dem Fu߬ 
rücken finden sich zahlreiche, erhabene, stellenweise konfiuierende und zu Blasen¬ 
bildung neigende Knötchen, zwischen denselben ist die Haut verdünnt und glänzend. 
An der vorderen Hälfte der Fußrücken und der Dorsalseite der Zehen besteht 
totale Anästhesie, an den Unterschenkeln und den Zehen Hypästhesie. Die Arterien 
pulsierten früher beim Anfall stärker, später war das durch die Schwellung ver¬ 
deckt. Zuletzt stellte sich dunkel bläuliche Verfärbung und Gangrän der Füße 
ein. Therapie war machtlos. 


Psychiatrie. 


33) Zar angeblichen Entartung der romanischen Völker, speziell Frank¬ 
reichs, von Näcke. (Archiv f. Rassen- u. Gesellschafts-Biologie. 1906. 
S. 373.) Autoreferat. 

Es gibt so manche, darunter auch bedeutende Männer, z. B. Plötz, die die 
romanischen Völker und auch die Franzosen als im Niedergange begriffen dar¬ 
stellen. Dagegen wendet sich nun energisch der Verf. und sucht nachzuweisen, 
daß vorläufig kein Grund zu einer solchen Annahme vorliegt, am wenigsten für 


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Frankreich. Man hüte sich vor allem Paris mit dem übrigen Frankreich zu 
identifizieren! Die Abnahme der Geburtenziffer findet überall statt, wenn auch 
am meisten in Frankreich. Dies ist zwar immerhin bedenklich, doch macht ein 
sog. Stigma noch lange nicht die Entartung eines ganzen Volkes aus! 
Nur dann wäre es gefährlich, wenn die Geburtenabnahme Abnahme der Frucht¬ 
barkeit bedeutet, was aber erst zu beweisen wäre. Die Sittlichkeit steht in Frank¬ 
reich im ganzen, wie des näheren ausgeführt wird, kaum unter der deutschen, 
auch sind die unehelichen Geburten dort nicht häufiger. Als einen Grad¬ 
messer für die Geschlechtsmoral glaubt Verf. am ehesten noch die 
Abnahme der Wertung des Weibes zu betrachten und sicher ist die 
Frau in Frankreich diesbezüglich nicht schlechter bestellt, als bei uns. Auch 
Psychosen, Nervenkrankheiten, Selbstmord, Verbrechen sind dort nicht häufiger, 
im ganzen wohl auch nicht der Alkoholismus. Gewisse Kasseneigentümlich¬ 
keiten, oder besser gesagt: Gewohnheiten, darf man nicht mit echter 
Entartung verwechseln. Verf. empfiehlt endlich die Kassenmischung von 
Komanen und Deutschen, weniger von Deutschen und Slaven, dagegen ist die 
Mischung von Ariern mit ganz blutsfremden Kassen durchaus von Übel, da alles 
darauf hinweist, daß es eine Kassengleichheit nicht gibt. 

34) La ddmesoe, par A. Marie. (Paris 1906. 492 S.) Kef.: Näcke. 

Obiges höchst interessante und originelle Werk, das einer deutschen Über¬ 
setzung wohl wert wäre, bildet ein vollkommenes Supplement zu jedem psychiatri¬ 
schen Lehrbuche, da es speziell die verschiedenen Blödsinnsformen: Dementia 
praecox, Imbezillität, den paralytischen, senilen oder sonstwie entstandenen Blöd¬ 
sinn behandelt, und zwar weniger nach der rein klinischen Seite, als vielmehr, 
und das in sehr feiner Weise, nach der psychologischen hin. Überall sind fremde, 
meist französische, und eigene Krankengeschichten mitgeteilt, und die pathologische 
Anatomie ist besonders berücksichtigt, vielleicht etwas zu stark betont, da wir 
doch hier noch zu wenig wissen. Auch wird gern mit Hypothesen gearbeitet, 
die doch zu wenig fundiert sind, wie z. B. mit dem Entstehen von senilen Phäno¬ 
menen nach Metschnikoff oder der Kontraktibilität der Protoplasmafortsätze 
der Ganglienzellen. Überall werden interessante Streiflichter geworfen und feine 
klinische Bemerkungen kennzeichen den guten Beobachter. Der 3. Teil behandelt 
die sozialen und juridischen Folgen der Blödsinnszustände. Für uns nicht am 
wenigsten bedeutend ist die Beleuchtung der ganzen Materie in französischer Be¬ 
leuchtung, die uns nicht selten fremd dünkt. Die französische Literatur — und 
das ist für uns gleichfalls wertvoll — ist ausgiebig benutzt, die fremde dagegen 
leider, wie bei den Franzosen so häufig, nur ungenügend. 

35) Klinische Betrachtungen bei Entweiohungen Geisteskranker, von 

Albrecht. (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIII.) Ref.: Zingerle (Graz). 

Der Arbeit liegen 150 Entweichungen bzw. Entweichungsversuche aus der 
Anstalt Treptow a. d. Kega zugrunde. 

Zu einem Teile der Fälle trugen diese durch ihre gänzlich unzureichende 
Motivierung und den Mangel eines klaren Zieles den Stempel des vorgeschrittenen 
Schwachsinnes oder katatoner Krankheitszüge an sich, charakterisierten sich also 
als ein planloses Davonlaufen. Bei den mit Überlegung ausgeführten Flucht¬ 
versuchen war das Freiheitsbedürfnis höchstens in einem Viertel der Fälle das 
einzige veranlassende Moment. Viel größer war die Zahl der Entweichungen aus 
krankhaften Motiven, im Affektzustand, unter dem Einflüsse von Sinnestäuschungen, 
Wahnideen, Zwangsvorstellungen usw. 

Die Fluchtversuche geisteskranker Verbrecher, die niemals aus krankhaften 
Motiven, sondern aus Sehnsucht nach Freiheit erfolgten, unterschieden sich von 
denen gewöhnlicher Geisteskranker durch die Neigung zur Komplottbildung und 
die häufige Anwendung von Gewaltmitteln. 

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Forensische Psychiatrie. 

36) Los devoirs et les droits de la societe vis-a-vis desalienes, par J. Grasset. 

(Revue des Idees. 1906. Nr. 31; vgl. auch dieses Centralbl. 1906. S. 771.) 

Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Verf. unterzieht die französische Irrengesetzgebung, die auf einem Gesetze 
aus dem Jahre 1836 beruht unJ. bisher trotz verschiedener Anläufe noch nicht 
reformiert worden ist, einer eingehenden Kritik. Er zeigt, daß der damals ma߬ 
gebende Gesichtspunkt: „Wie wird die Gesellschaft am besten gegen die Irren 
geschützt?“ heute gänzlich veraltet ist, daß in diesem Gesetze das Recht des 
Kranken nicht genügend gewahrt ist. Er stellt ihm einen Gesetzentwurf gegen¬ 
über, der, vom Senat schon 1887 angenommen, den Kammern als der Entwurf 
Dubief vor 10 Jahren vorgelegt, aber noch nicht angenommen worden ist. Er 
tritt diesem Entwurf foBt in allen Punkten bei und erklärt es für notwendig, daß 
derselbe ohne weitere Verzögerung zum Gesetze erhoben wird. Im einzelnen 
stellt er folgende Forderungen, die heute in Frankreich noch nicht oder nur 
mangelhaft erfüllt sind: 

1. Unter gewissen gesetzlich zu bestimmenden Bedingungen und in gewissen, 
von einem Arzte zu entscheidenden Fällen sollen Geisteskranke in ihrer Häuslich¬ 
keit verpflegt werden können. 

2. In der Mehrzahl der Fälle ist eine Behandlung nur in einer Anstalt 
möglich. Eine Verzögerung der Aufnahme ist für die Kranken wie die Gesell¬ 
schaft meist gefährlicher als eine Beschleunigung. Die Anstalten sind Kranken¬ 
häuser, die eine große Zahl ihrer Pfleglinge geheilt oder sehr gebessert wieder 
entlassen, aber nicht sie lebendig begraben; die Unheilbaren befinden sich in der 
Anstalt ungleich besser als zu Haus. 

3. Aufnahme, Aufenthalt und Entlassung müssen von ärztlichem Gesichts¬ 
punkte aus geregelt werden, unter Überwachung durch richterliche und Verwaltungs¬ 
organe; bei der Bestimmung der zu treffenden Maßnahmen ist künftig der Gesichts¬ 
punkt der Heilung des Kranken in erster Linie zu berücksichtigen. 

4. Um diagnostischen Irrtümern möglichst vorzubeugen und trotzdem die 
Anstaltsbehandlung nicht zu verzögern, sind, womöglich im Anschluß an medi¬ 
zinische Fakultäten, Beobachtungsstationen einzurichten, in denen die Entscheidung 
über AnstaltBbedürftigkeit getroffen wird. 

5. Während des Anstaltsaufentbaltes darf der Arzt Urlaube und vorläufige 
Entlassungen verfügen. 

6. Die forensisch-psychiatrischen Beobachtungen müssen stets außerhalb des 
Gefängnisses in speziellen Abteilungen vorgenommen werden. 

7. Wenn einem Angeklagten die Verantwortlichkeit abgesprochen worden ist, 
so soll er durch dasselbe richterliche Urteil für geisteskrank erklärt sein und als 
Kranker ärztlicher Behandlung überwiesen werden; die Überwachung und Ent¬ 
lassung solcher Geisteskranker soll besonderer Regelung unterliegen. 

8. Epileptiker, Alkoholisten, Idioten und Kretinen sollen in Spezialanstalten 
verpflegt werden, ebenso sollen die öffentlichen Anstalten zur Erziehung zurück¬ 
gebliebener Kinder und Idioten vermehrt werden. 

Wie man sieht, sind die Mehrzahl dieser Forderungen des französischen 
Autors in Deutschland schon verwirklicht. 


III. Vermischtes. 

Vom 2. bis 6. April d. J. finden in Berlin wissenschaftliche Kurse zum Studium 
des Alkoholismus im Baracken-Auditorium der Universität (Eingang Kastanienwäldchen) 
statt. Die den Neurologen nnd Psychiater interessierenden Vorlesungen sind: 

Dienstag, den 2. April, 11 bis 12 Uhr: Behandlung von Alkobolkranken. Geh. Med.- 
Kat Prof. Dr. Moeli, Direktor der städt. Irrenanstalt iu Herzberge-Berlin. 


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288 


Donnerstag, den 4. April, 11 bis 12 Uhr: Alkohol und Zurechnungsfähigkeit. Prof. 
Dr. Puppe, Königsberg. 

Sonnabend, aen 6. April. 10 bis 12 Uhr: Psychologie des Alkohols. Hofrat Prof. Dr. 
Kräpelin, München. 


Vom 2. bis 7. September 1907 findet in Amsterdam ein internationaler Kongreß 
für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege statt. Das allgemeine 
Organisatiouskomite* besteht aus: Dr. G. Jelgersma, Professor der Psychiatrie und Neuro* 
logie an der Universität, Leijden, Vorsitzender. — Dr. W. P. ßuijsch, Haupt-Inspektor der 
Volksgesundheit, Haag, Vizevorsitzender. — Dr. J. van Deventer Szn., Staatsinspektor des 
Irrenwesens, Amsterdam und Dr. G. A. M. van Wayenburg, Privatdozent der Pedologie 
au der Universität, Amsterdam, Allgemeine Sekretäre. — Dr. L. Bouman, Direktor der 
Irrenanstalt „Bloeniendaal“, Loosduinen, Sekretär. — Dr. A. Th. Moll, vorm. Direktor der 
Irrenanstalt, Utrecht, Allgemeiner Kassenführer. — Dr. J. H. Schuurraans-Stekhoven, 
Staatsinspektor des Irrenwesens, Utrecht, Kassenführer. — Dr. C. Winkler, Professor der 
Neuropathologie und Psychiatrie an der Universität, Amsterdam. — Dr. J. K. A. Wertheim 
Salomonson , Professor der Neuropathologie an der Universität, Amsterdam. — Dr. G. Hey- 
mans, Professor der Philosophie und Psychologie an der Universität. Groningen. 

Die zulässigen Sprachen sind: Deutsch, Englisch, Französisch. 

Kongreßmitglieder, die Vorträge halten wollen, werden dringend geboten, eine Inhalts¬ 
übersicht vor 1. Mai 1907 den Schriftführern einzusenden; diese werden dafür sorgen, daß 
sämtlichen anwesenden Kongreßmitgliedern ein gedrucktes Exemplar des Vortrages eingehändigt 
werden kaun. 

Schriftführer sind Dr. J. van Deventer Szn. und Dr. G. A. M. van Wayenburg, 
Amsterdam, Priosengracht 717. 

Ein ausführliches Programm über alle Einzelheiten, Arbeit, Statuten und Festlichkeiten 
wird später erscheinen. 


IV. Berichtigung. 

Auf S. 168 d. Centr. ist für den Namen des Korreferenten statt J. Baumann „J. Baum¬ 
garten“ zu lesen. — In der Diskussionsbemerkung des Herrn Liepmann auf S. 234, 
Zeile 7 und 8 v. u. muß es heißen*, „der rechte Arm gelähmt, der linke apraktisch.“ 


Adalbert Tilkowsky f 

Am 22. Februar d. J. verschied plötzlich der Direktor der Landesirrenanstalt in Wien, 
Regierungsrat Dr. Adalbert Tilkowsky. Der Verblichene, der ein Alter von 66 Jahren 
erreicht hat, trat 1874 in den niederösterreichischen Landesdienst ein, war zunächst Arzt in 
der Wiener Anstalt, leitete dann die Anstalten in Klosterneuburg und Ibbs und kehrte end¬ 
lich 1896 iu die Wiener Irrenanstalt zurück, der er von da ab als Direktor Vorstand. Til¬ 
kowsky hat sich namentlich auf dem Gebiete der öffentlichen und praktischen Irrenfürsorge 
in Österreich große Verdienste erworben, die seinem Namen ein dauerndes Andenken sichern 
werden. Speziell zu der Frage der Versorgung der Kriminellen und Alkoholiker hat er in 
Wort um! Schrift oft und entschieden Stellung genommen. Mit Fug und Recht ein prin¬ 
zipieller Gegner der Überweisung solcher Elemente in Irrenanstalten, war er einer der 
energischsten und unentwegtesten Vorkämpfer für die Schaffung eigener Asyle und Be¬ 
stimmungen für derartige Elemente in Österreich. Er war auch Experte in der vor mehreren 
Jahren von der österreichischen Regierung einberufenen Enquete zur Schaffung eines Irren¬ 
gesetzes. Au dem eben erscheinenden Handbuch der gerichtlichen Saehveiständigentätigkeit 
erscheint der buchstäblich bis zum letzten Augenblicke rüstige und schaffensfreudig gewesene 
Mann noch als Mitarbeiter. 

Tilkowsky war ein lauterer, unbeugsamer, aber bei aller ihm eigenen vornehmen 
Zurückhaltung liebenswürdiger Charakter. Seinen Ärzten gegenüber, auch jeuen der juugen 
Generation, war er immer der selbstlose, hilfbereite, wohlwollende Kollege. Alle, die ihn 
kannten, werden sein Andenken stets in Ehren halten. Erwin Stransky (Wien). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mrtzqrr & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kart Mendel) 

Seehsiudzwaiuigster " B * rihL Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Seichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1901 2. April. Nr. 7. 


Inhalt I. Originalmitteilongen. 1. Über nur unter besonderen Bedingungen eintreten¬ 
den statischen Tremor, von A« Pick. 2. Über einen weiteren Fall von zeitweisem Fehlen 
der Patellarreflexe bei Hysterie, von Dr. Wigand. 8. Ein Fall von Landry'scher Paralyse 
kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascendierenden Rückenmarkstumors vortäuschend, 
von Dr. L. Jacob. (Schluß.) 

II. Referate. Anatomie. 1. A study of tbe brain of the late Major J. W. Po well, 
bj Spitzka. — Physiologie. 2. Zur Fuuktion des Schläfenlappens des Großhirns. Eine 
neue Hörprüfungsmethode bei Hunden; zugleich ein Beitrag zur Dressur als physiologischer 
Untersuchungsmethode, von Kalischer. S. I* neuronopbagie, par Laignel-Lavastine et Voisin. 
— Pathologie des Nervensystems. 4. Reflexepilepsie nach Schweifamputation, von 
Krameil. 5. Über Reflexepilepsie, von Urbantschitsch. 6. Reflexepilepsie bei Ohren- und 
Nasenerkrankun^en, von Frey und Fuchs. 7. Bemerkungen zur Ätiologie der Epilepsie, von 
Redlich. 8. Statistischer Beitrag zur Ätiologie der Epilepsie, von Siebold. 9. L/epilepsie 
et la migraine, par Kovalevsky. 10. On the association of epilepsy with muscular conditions 
fitting best into the cadre of the myopathies, by Onufrowlcz. 11. Certain aspects of the 
differential diagnosis between epilepsy and hysteria, by Putnam and Waterman. 12 . Recherches 
microbiologiques sur l'dpilepsie, par Bra. 13. I. Blutserum der Epileptiker, von Cent. 
II. Blutserum der Epileptiker, von Bssta. III. Blutdruck, Puls und Temperatur der Epi¬ 
leptiker, von Besta. 14. Untersuchungen über Isolyse bei Hysterischen und Epileptischen, 
von Todde. 15. Witterungseinflüsse bei Epileptischen, von Lomer. 16. Über Halbseiten¬ 
erscheinungen bei der genuinen Epilepsie, von Redlich. 17. Epileptiforme Krämpfe bei Dia¬ 
betes mellitns, von Stauder. 18. Hyperchlorhydrie avec epilepsie, von Robin. 19. Katameniale 
Epilepsie, von Levi-Bianchfni. 20. Grossesse et puerperalite chez une epileptique atteinte 
de enorde ancienne, par Arsimoles. 21. Geburtsstörungen und Epilepsie, von Volland. 
22. Note but les röves epileptiques, par F<r4. 23. Crises de petit mal epileptique avec aura 

( »aramnesique. Illusion de fausse reconnaissance, par S6glas. 24. Beitrag zur Symptomato- 
ogie des Petit mal, von Bresler. 25. A case of somnolentia (sleep drunkeness), by Taylor. 
26. Weitere Beiträge zur Poriomanie, von Donath. 27. Über den Bewußtseinszustand 
während der Fagues, von Woltlr. 28. Intelligenzprüfungen bei epileptischem Schwachsinn, 
von Noack. .29. Zur Symptomatologie des epileptischen Irreseins, insbesondere über die 
Beziehungen zwischen Apnasie und Perseveration, von Raecke. 30. Epileptiker als Auto¬ 
fahrer, von Thalwitzer. 31. Epileptischer Mörder, von Audenino. 32. Merkwürdige Anomalie 
hei einem epileptischen Mörder, von Masini. 33. Die Behandlung der Epilepsie, von Redlich. 
84. Über einige neuere Methoden der Epilepsiebehandlung, von Eulenburg. 35. The diet in 
epilepsy, by Rosanoff. 36. Le traitement dechlorurö de l’öpilepsie, a propos de 37 cas, par 
Gerden. 37. Nouvelles recherches sur le traitement de Pöpilepsie par la bromuration avec 
on sans ddchloruration, par Jules Voisin, Roger Voisin et Rendu. 38. Les poisons de l’intelli- 
gence. Les coefflcients psychiques du brorae, par Vaschide. 39. Beitrag zur Opium-Brom- 
hehandlung der Epilepsie nach Flechsig (Ziehen sehe Modifikation), von Schirbach. 40. Pro- 

K al bei der Behandlung von Epileptikern, von Hoppe. 41. Anstaltsbehandlung der Epi- 
„ iker, von v. Wosinski. 42. Operative Behandlung der genuinen Epilepsie, von Rinne. 
43. Kasuistischer Beitrag zur operativen Therapie der Epilepsie, von Jedlitka.— Psychiatrie. 
44. Les anthipaties physiques et morales dans les familles de dlgdnerde, par F4re. 45. Con« 


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19 Origiralfron 

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290 


tribution a l’dtude des form es mixtes (vds&mes), par 8erbshy. 46. Was sind Zwangsvorgänge, 
von Butnke. 

III. Aus den Gesellschaften. Sooidtd de nenxologie de Paris. 

IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. November bis Sl. Dezember 1906. 

V. Vermischtes. — Ernst von Bergmann t 


I. Origmalmitteilungen. 

1. Ober nur unter 

besonderen Bedingungen eintretenden statischen Tremor. 

Von A. Piok. 


Wohl jedem dürften schon Klagen, insbesondere Neurasthenischer, über 
Zittern vorgekommen sein, denen nach den üblichen Prüfnngsmethoden nichts 
tatsächliches zugrunde zu liegen schien und die, vielleicht deshalb, anscheinend 
berechtigtem Zweifel begegneten; ich möchte nun im nachfolgenden zeigen, daß 
es gelegentlich zum Nachweise solcher Störungen einer von einem besonderen 
Gesichtspunkte ausgehenden Untersuchung bedarf; ich werde aber weiter in der 
Lage sein, nachzuweisen, daß sich aus der gleichen Prüfungsart auch bei an¬ 
deren, nicht bloß funktionellen, Nervenaffektionen Resultate ergeben, die für die 
Diagnose von ausschlaggebender Bedeutung sein können. 

Wir unterscheiden bekanntlich (Babinski, Föbsteb) zweierlei Muskel¬ 
funktionen; zuerst diejenigen, welche der sich unwillkürlich vollziehenden Ruhe¬ 
stellung der einzelnen Skeletteile zu einander dienen; diese Funktion tritt in 
Aktion sowohl beim Stehen, wie bei Bewegungen, als Begleiterscheinung in den, 
den bewegten Gelenken benachbarten, unabsichtlich fixierten Gelenken; zweitens 
die willkürlich ausgelöste statische Funktion, die zur Fixierung eines Muskel¬ 
gebietes in irgend einer, willkürlich gegebenen Stellung dient; auf einen bei 
dieser letzteren unter besonderen Bedingungen vorkommenden Tremor möchte 
ich nun die Aufmerksamkeit lenken. 

Zumeist wird die zuletzt erwähnte Form der statischen Muskelfunktion so 
geprüft, daß der betreffende Körperabschnitt, also z. B. der Arm oder die Hand 
vollständig ausgestreckt gehalten wird; geschieht dies ohne Schwankungen, wird 
statischer Tremor als fehlend angenommen. Diese Annahme erweist sich nun, 
wenn man sich nicht damit begnügt, den betreffenden Körperteil in extremer 
Streck- oder Beugehaltung zu prüfen, sondern ihn auch intermediäre Stellungen 
annehmen läßt, nicht selten als irrtümlich; es zeigt sich nämlich in diesen 
letzteren ein gelegentlich ganz auffälliger Tremor, der aber alsbald aufhört, wenn 
wieder eine extreme Endstellung eingenommen wird . 1 

Besonders prägnant ist mir die Erscheinung in den Klagen eines Neur- 
asthenischen über einen Tremor entgegen getreten, der dann eintrete, wenn er 


1 Babinski selbst, dem wir ja so wichtige Tatsachen aus der Pathologie des willkür¬ 
lichen statischen Gleichgewichtes verdanken, prüft gelegentlich gleichfalls in intermediären 
Stellungen (s. Revue neurolog. 1902. S. 470), aber auch bei ihm finde ich nichts von der 
hier besprochenen Differenz bezüglich des Einflusses von solchen und Endstellnngen. 


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291 


entweder isoliert oder bei irgendwelcher anderen motorischen Leistung z. B. beim 
Fassen oder Heben eines Körpers den Damnen in halbgebeugter Stellung halten 
müsse; Patient, Träger einer außerordentlich gut entwickelten Muskulatur zeigte 
außer einer noch später zu erwähnenden Erscheinung keinerlei Tremor, auch 
nicht am Daumen, solange dieser in extremen Stellungen gehalten werden durfte; 
so wie er ihn, auch unbelastet, in halbgebeugte Stellung bringt, tritt ein mittel¬ 
rascher, grober Tremor auf, der erst dann sistiert, bis der Daumen entweder 
relaxiert oder in extreme Streck- oder Beugestellung gebracht wird. 

Es ist weiter eine von Neurasthenischen nicht allzuselten gehörte Klage, 
daß, wenn sie genötigt sind, den Kopf in einer bestimmten, an sich gar nicht 
schwierigen Lage für einige, selbst kurze Zeit zu halten, z. B. um nach oben 
zu schauen, sehr bald, sichtlich als vorzeitige Ermüdungserscheinung, ein oft nur 
ihnen selbst peinlich zu Bewußtsein kommendes Zittern, gelegentlich aber auch 
von der Umgebung bemerktes, auffälliges Schütteln des Kopfes eintritt (Hier¬ 
her gehört wohl auch die von Binswakqeb in seiner Monographie der Neur¬ 
asthenie erwähnte Schwäche der Kopfhaltung.) 

Der schon erwähnte Umstand, daß der beschriebene Tremor nur bei ge¬ 
wissen Stellungen eintritt, ist auch der Grund, daß er ebenso auch nur bei 
gewissen Funktionen zur Beobachtung kommt, bei denen eben jene von Tremor 
begleitete Fixation des betreffenden Teiles Verwendung findet; von dem Falle 
des jungen Mannes habe ich das schon zuvor berichtet; ebenso habe ich be¬ 
obachtet, daß sich bei einem anderen Kranken, der über einen, beim Schreiben 
auftretenden, sonst nicht vorhandenen und auch nicht nachweisbaren Tremor 
klagte, ergab, daß die leichte Beugung des Zeigefingers es war, die jedesmal 
den Tremor anslöste. 

Als Beispiel dafür, daß der hier besprochene Tremor auch an den unteren 
Extremitäten vorkommt, möchte ich die Beobachtung anführen, daß ich eiu 
ausgesprochenes Schütteln bei der Kniebeugung in einem Falle gesehen, das 
nnr dann auftrat, wenn dabei die Kniebeuge nicht vollständig war, sondern der 
betreffende eine Mittelstellung dabei einnahm. Etwas hierher gehöriges be¬ 
obachtet man endlich gelegentlich auch an den Augen; gewisse leichte Formen 
nystaktischer Bewegungen treten nur auf, wenn die Augen nicht in den End¬ 
stellungen, sondern intermediär fixiert werden. Daran möchte ich nun den 
Hinweis knüpfen, daß natürlich die hier besprochene Form des Tremors der 
Aufmerksamkeit der Beobachter nicht entgangen ist, aber ich glaube, daß auch 
solchen, die ihn erwähnen, für das eigentliche Wesen desselben nicht das richtige 
Verständnis gekommen ist 1 

Ich habe schon zuvor gewisser Beziehungen des in Rede stehenden Tremors 
zur Ermüdung gedacht; ich möchte aber doch besonders hervorheben, daß schon 


1 So berichten, wie ich nachträglich finde, Blocq und Onanoff (Maladics nerveuses, 
slmiologie et di&gnostic. 1892. S. 237) von einem Tremor, zu dessen Entdeckung ,,il de- 
▼ient meine ndcessaire de placer les membres dans une position particuliere propre ä deve- 
lopper les oscillations: attitude dn aerment pour les membres superieurs, extension de la 
jambe ponr les membres inferieurs“. 


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die Tatsache des Verschwindens desselben bei Endstellnngen dagegen spricht, 
einfach die Ermüdung im allgemeinen für den Tremor verantwortlich zu machen; 
dafür spricht vor allem das alsbaldige Auftreten des Tremors, noch ehe von 
Ermüdung die Rede sein kann; allerdings nur von einer solchen im allgemeinen, 
denn es wäre recht wohl denkbar, daß es sich um eine ungewöhnliche Er* 
müdbarkeit eines bestimmten Locus minoris resistentiae handeln könnte; und 
dafür sprechen allerdings die im folgenden mitzuteilenden Tatsachen. 

Bei all den bisher besprochenen Fällen handelte es sich um statischen 
Tremor, der eintrat, wo es sich um die Fixierung von Gelenken mittels rezi* 
proker Innervation von Agonisten und Antagonisten handelt; es läßt sich aber 
leicht zeigen, daß, freilich wenig beachtete, Erscheinungen von ähnlicher, 
klinischer Bedeutung auch in Muskelgebieten zustande kommen, wo es sich 
nicht um solche Hebelwirkungen handelt, also z. B. an der Gesichtsmuskulatur. 

Eine Anwendung bei der Untersuchung gewisser Teile der Gesichtsmuskulatur 
bat allerdings die hier besprochene Berücksichtigung statischer Funktionen bei 
intermediären Stellungen schon gefunden; es ist die bekannte Erscheinung, daß 
das bei festem Augenschluß oft nicht merkbare Flimmern der Lider sofort 
deutlich wird, wenn der Augenschluß ein leichter ist. Auf andere Teile der 
Gesichtsmuskulatur hat jedoch diese Methode der Prüfung keine Anwendung 
gefunden und doch ergibt sie ebenso prägnante und diagnostisch noch wichtigere 
Resultate. 

Wir besitzen nämlich in der so modifizierten Prüfung auf statischen Tremor 
ein feines Reagens für einschlägige Störungen, die bisher, soweit ich sehe, nicht 
genügend beachtet worden bzw. durch die gewöhnlich geübte Methode der Prüfang 
einfach verdeckt werden. 

Läßt man zur Prüfung etwaigen fibrillären Tremors oder auch gröberer 
Störungen, z. B. der Bewegungsunruhe, einen Paralytiker die Zunge vorstrecken, 
so kommt es nicht selten vor, daß, unzweifelhaft infolge intensiver Kontraktion 
der betreffenden Muskeln, an der jetzt ganz spitz und mit voller Energie vor¬ 
gestreckten Zunge keine der erwähnten Tremorformen nachweisbar ist; fordert 
man aber jetzt oder auch vorher den Kranken auf, die Zunge breit und schlaff 
vor die Zahnreihe zu bringen, dann sieht man, zuweilen alsbald, die Zunge in 
oft ganz auffälligen Tremor und Unruhe geraten. 

Und ganz das gleiche gilt auch bezüglich des für die Diagnose der Para¬ 
lyse so wichtigen Lippentremors; zieht der zu Prüfende seine Lippen mit voller 
Kraft auseinander, dann tritt der Tremor oft erst dann hervor, nachdem infolge 
von frühzeitiger, auch schon als pathologisch anzusehender Ermüdung die Stärke 
der Innervation nachläßt; wartet man diesen Zeitpunkt nicht ab, dann kann 
einem der Tremor sehr leicht entgehen; läßt man den Kranken aber von vorn¬ 
herein die Lippen nur leicht, nicht bis zu extremer Hebung bzw. äußerstem 
Herabziehen innervieren, dann tritt der Tremor, wenn vorhanden, meist alsbald 
hervor; durch den so beschriebenen Kunstgriff, den ich nirgends erwähnt ge¬ 
funden, gelingt es, das verräterische Zittern der Lippen oft schon in einem 
früheren Stadium unter den Prodromen der Paralyse nachzuweisen. Natürlich 

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293 


handelt es sich dabei, das möchte ich zur Vermeidung von Mißverständnissen 
speziell bemerken, nicht um etwas für Paralyse Spezifisches, vielmehr kann man 
die gleiche Form statischen Tremors ebenso auch bei Neurasthenischen ge¬ 
legentlich finden z. B. wenn ihnen aufgetragen wird, den Mund in einer ge¬ 
wissen mittleren Weite geöffnet zu halten, wobei dann die Umrahmung desselben 
in deutliches Beben gerät. 

Auf die ffir eine Erklärung der hier besprochenen Erscheinungen in Be¬ 
tracht kommenden physiologischen Tatsachen möchte ich nioht eingehen, weil 
dieselben trotz den in den letzten Jahren gemachten Fortschritten meines Er¬ 
achtens noch nicht so sicher gestellt sind, um als Grundlagen für die Erklärung 
pathologischer Erscheinungen dienen zu können. Man könnte zu diesem Zwecke 
gewiß auf die von Shebhington begründete Lehre von der reziproken Inner¬ 
vation ebenso rekurrieren, wie auf die neuen Feststellungen von Botazzi oder 
Joteyko bezüglich der differenten funktionellen Bedeutung der fibrillären und 
sarkoplasmatischen Anteile der Skelettmuskeln; nichts wäre leichter als sich, 
etwa analogähnlichen seither auf dem Gebiete der Muskel-Nervenpathologie ge¬ 
machten Versuchen, eine solche Deutung zurechtzuzimmern; aber ich halte 
solche Ableitungen des Pathologischen aus dem noch so wenig geklärten Physio¬ 
logischen für keine Bereicherung unseres Wissens von diesen Dingen. 


[Ans dein Allgemeinen Krankenhaase Hamborg-Eppendorf (Abteilung Oberarzt Dr. Nohne).] 

2. Über einen weiteren Fall 
von zeitweisem Fehlen der Patellarreflexe bei Hysterie. 

Von Dr. Wigand. 

In dem NoxHKAOEL’schen Handbach der speziellen Pathologie und Therapie 
stellt Binswangeb in dem die Hysterie behandelnden Werke den Satz auf: 
„Ein Verlust der Sehnenphänomene kommt bei der hysterischen Lähmung 
nicht vor. Wir halten diese Feststellong trotz gegenteiliger Angaben in der 
Literatur (Nonne, Mabee, Souza-Leite, Dejebtne u. a.) für völlig gesichert. 
Ist das Kniephänomen trotz aller Kautelen bei mehrfach wiederholten Unter¬ 
suchungen (Ablenkung der Aufmerksamkeit) und trotz Anwendung des Jen- 
DBASsnc’schen Kunstgriffes nicht za erzielen, so tritt sofort der Gedanke an 
die Komplikation mit einer organischen Erkrankung des Rückenmarks in sein 
Recht“ 

Dabei geht aber Binswangeb weder auf die ausführlich mitgeteilten, ein¬ 
wandsfreien beiden Fälle von Nonne, noch auf mehrere andere, von Nonne 
aus der französischen Literatur sorgfältig zusammeugestellte einschlägige Fälle 
kritisch weiter ein. Speziell verdient auch die Beobachtung von Piebbe Mabie 
und Souza-Leite 1 eine bessere Bewertung, eine Beobachtung, die — weil in 


* Revue de medecine. 1885. 

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UMIVERSITY OF CALIFQRNIA 



294 


einem ein anderes Thema behandelnden Aufsatze versteckt — Nonne bei seiner 
Zusammenstellung einschlägiger Fälle entgangen war. 

Die beiden ausgezeichneten französischen Forscher erwähnen gelegentlich 
einer Zusammenstellung einiger Fälle von hysterischer Lähmung ohne Kon¬ 
trakturen auch einen Fall, bei dem zuerst bei einer bestehenden leicht spastischen, 
hysterischen Lähmung der Beine — der Fall zeigte keinen Anhalt für die 
Annahme einer Kombination mit einer organischen Erkrankung des Nerven¬ 
systems — die Patellarreflexe nicht ausgelöst werden konnten (si on percute 
les tendons patellaires, les röflexes ne se manifestent pas). Aber auch nachdem 
die spastische in eine schlaffe übergegangen war, fehlten die Kniesehnenreflexe: 
„quoi qu’il en soit, les röflexes de toute nature sont abolis“. 

Binswangeb übergeht ferner völlig einen Fall, der schon früher ebenfalls 
von einem guten Untersucher, Steines in Köln, beobachtet war. 1 Hier fehlten 
bei einem zweifellos hysterischen Manne die Kniereflexe, ohne daß eine kom¬ 
plizierende organische Erkrankung des Nervensystems sich irgendwie er¬ 
weisen ließ. 

Als „unaufgeklärt“ erwähnt Binswangee einen wohl nicht ganz einwands¬ 
freien Fall von Fehlen der Patellarreflexe bei vorhandener Hysterie von Dejerine. 
Die Kranke kam zum Exitus; die Autopsie ergab Pleuropneumonie, Myo¬ 
karditis, starke Arteriosklerose der Aorta mit Insuffizienz der Aortenklappen. 
Makroskopisch war das Centralnervensystem zwar intakt, doch fehlt leider 
das Wesentliche, die mikroskopische Untersuchung. 

Es stehen nun nicht alle Autoren, die noch keine Gelegenheit hatten, ein 
zeitweises, durch Hysterie bedingtes Fehlen der Patellarreflexe zu beobachten, 
auf dem gleichen völlig ablehnenden Standpunkte Binswangeb’s. So äußert sich 
unter anderen Oppenheim in der neuesten Auflage seines Lehrbuches der 
Nervenkrankheiten über diesen Punkt wie folgt: 

„Die Kniephänomene fehlen (sc. bei Hysterie) nie. Aus der letzten Zeit 
liegen allerdings zwei Beobachtungen von Nonne vor, welche zeigen, daß unter 
außergewöhnlichen, sich einstweilen der Beurteilung entziehenden Verhältnissen 
das Kniephänomen schwinden kann. Nonne verweist auch auf ein paar ähn¬ 
liche, von anderen Autoren beschriebene Fälle.“ 

Die oben zitierte, von meinem Chef, Herrn Dr. Nonne, gemachte Beobach¬ 
tung betrifft 2 Fälle: einen, bei dem die Patellarreflexe etwa 2 Monate, während 
der Dauer einer hysterischen Astasie-Abasie, auch unter allen Kautelen, nicht 
auszulösen waren, um dann mit Eintritt der Gehfahigkeit sofort wieder in die 
Erscheinung zu treten. Bei demselben Manne verschwanden die Patellarreflexe 
bei einer neuen hysterischen Lähmung beider Beine — und zwar wiederum nur 
für die Dauer derselben — von neuem. Bei 3 Nachuntersuchungen, und zwar 
nach 6 Monaten, 18 Monaten und jetzt vor 3 Monaten, also nach 6 Jahren 
waren beide Patellarreflexe prompt auszulösen. Auch sonst bot der Mann 
ebenso wie früher bei eingehendster Untersuchung nicht die leiseste Andeutung 
einer organischen Rückenmarkserkrankung. 


1 Münchener med. Wocbenschr. 1902. Nr. 30. 

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Der zweite Fall war ebenfalls genügend als reine Hysterie charakterisiert; 
auch hier konnten die Patellarreflexe nur zeitweise ausgelöst werden; anch 
hier fehlte bei eingehenden Untersuchungen jeder Anhaltspunkt für die An¬ 
nahme einer Kombination von hysterischer und organischer Erkrankung. 

Es muß noch besonders betont werden, daß bei diesem Falle unabhängig 
von uns der gleiche negative Befund hinsichtlich einer organischen Erkrankung 
des Nervensystems bei zeitweisem Fehlen der Patellarreflexe in zwei anderen 
hiesigen Krankenhäusern, nämlich dem Allg. Krankenhause St Georg bzw. der 
Irrenanstalt Friedrichsberg erhoben wurde. 

Es kam nun im letzten Jahre auf der Abteilung von Dr. Nonne wieder 
ein Fall von „grande hystörie“ zur Beobachtung, bei dem trotz aller Kautelen 
zeitweise das Kniesehnenphänomen nicht auszulösen war, ohne daß der geringste 
Hinweis auf eine Erkrankung des Rückenmarkes oder der peripheren Nerven 
vorhanden gewesen wäre. Da der Fall längere Zeit in stationärer Beobachtung 
und Behandlung war und oft und eingehend untersucht wurde, so muß er als 
ein gut beobachteter gelten. 


Der jetzt 35jähr. Former H. aas Harburg kam zum ersten Mal am 22./IX. 1906 
ins Eppendorfer Krankenhaus. 

H. stammt aus gesunder Familie, ist in Hinsicht auf Nervenkrankheiten 
nicht belastet, will früher auch stete gesund gewesen sein. Er hat nie mit Blei 
zu tun gehabt, hat auch sonst keine Intoxikationen oder Infektionskrankheiten 
durchgemacht. Er negiert jede venerische Infektion; hat keinen Abusus spiri- 
tuosorum getrieben, hat müßig geraucht. Frau und 3 Kinder sind gesund. H. 
ist seit seinem 17. Lebensjahre in einem Eisenwerk als Former beschäftigt. Im 
Jahre 1899 fiel in der Nähe seines Arbeitsplatzes ein angeblich 60 Zentner 
schwerer Formkasten aus etwa 1 m Höhe herunter und zwar auf eine der Kanten; 
er riß im Fall den danebenstehenden H. mit zu Boden; H. fiel in eine Ver¬ 
tiefung und wurde hierdurch vor dem Zerquetschwerden bewahrt. Die Last 
drückte nur auf seine Beine, ohne daß es zu schwererer Verletzung der Weich¬ 
teile oder Knochen gekommen wäre. So trug er nur eine verhältnismäßig leichte 
Quetschung der Oberschenkelmuskulatur davon; wurde aber infolge des Unfalls 
bettlägerig, da er nicht gehen konnte. Volle 7 Monate befand er sich in ärzt¬ 
licher Behandlung; 14 Wochen war er ganz ans Bett gefesselt, dann trat all¬ 
mählich eine gewisse Besserung ein, doch blieb stets eine leichte Funktionsschwäche 
in den Beinen und Knieen zurück. 

Inzwischen hat H. mit Unterbrechung gearbeitet; stand jedoch verschiedent¬ 
lich wieder längere oder kürzere Zeit in ärztlicher Behandlung. 

Den wechselnden Verlauf ausführlicher zu verfolgen, ist ohne Interesse. Er¬ 
wähnt werden muß nur, daß bei einem Aufenthalt im Marienkrankenhause (1908) 
laut Krankengeschichte eine funktionelle Störung in beiden Beinen konstatiert 
wurde; von der Leistenbeuge bis zu den Zehen herab war die Sensibilität gestört 
(Analgesie, nicht ganz sichere Anästhesie) Patellarreflex ist links nur 
schwach, rechts nicht auszulösen. 

Die erste hiesige Untersuchung ergab: Wohlgenährter Mann mit gesunder 
Hautfarbe und stark neuropathisohem Gesichtsausdruck. 

Pupillen r.al., rund, auf Lichteinfall und Konvergenz prompt reagierend. 

Der Augenhintergrund ist normal, das Gesichtsfeld weder für weiß noch für 
Farben eingeschränkt, Sehvermögen normal. Hörfähigkeit ebenfalls normal. 

Seitens der Gehiranerven bestehen außer völliger Aufhebung des Ge- 


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rucheVermögens und Herabsetzung des Geschmacksvermögens für alle 
Qualitäten auf den vorderen 3 /, der Zunge keinerlei Störungen. 

Die inneren Organe sind gesund; der Urin ist frei von Eiweiß und Zucker. 

Es besteht eine Paraplegie beider Unterextremitäten: beide Beine 
liegen schlaff da; die Muskeln sind gut entwickelt, doch fehlt jede 
Spur von Tonus. 

Bei energischer Aufforderung, Beuge* und Streckbewegungen im Knie aus¬ 
zuführen, macht er mit Anspannung aller Kraft ganz leichte Bewegungen, die 
jedoch bei dem geringsten passiven Widerstande unmöglich werden. 

Im Hüftgelenk können die gestreckten Beine spontan etwas gehoben werden. 
Es besteht keine Atrophie der Muskulatur oder Druckempfindlichkeit 
der Nervenstämme. 

Das Verhalten der Muskeln und Nerven ist der elektrischen Beizung 
gegenüber absolut normal. 

Im Gegensatz zu dieser hochgradigen schlaffen Paraparesis 
inferior ist die Möglichkeit zu gehen und zu stehen keineswegs 
aufgehoben; nur zeigt der Gang das typische Bild der hysterischen Gehstörung 
ohne jede Andeutung von Ataxie. 

Die Sensibilität ist für alle Qualitäten von der Leistenbeuge 
abwärts bis zu den Zehen im ganzen Gebiete der Unterextremitäten auf¬ 
gehoben; in allen Gelenken der beiden Beine besteht ausgeprägte Hypotonie. 

Während nun bei Prüfung der Sehnenphänomene der Achillessehnenreflex 
beiderseits prompt auszulösen war, fehlt auch bei JxNBBASsiK’schem Hand¬ 
griff der Patellarreflex beiderseits. Babinski, Oppenheim und Strümpell 
fehlen; Kremaster- und Bauchdeckenreflex sowie die üblichen Reflexe an den 
Armen sind in normaler Stärke vorhanden; der rechte Gaumenreflex, beide Kon- 
junktivalreflexe sind stark herabgesetzt, der Plantarreflex ist völlig erloschen. 

Eine gut gelungene Röntgen-Photographie der Wirbelsäule, speziell des unteren 
Dorsal- und Lendenteils zeigt normale Verhältnisse. 

Die Blasen- und Mastdarmfunktionen sind in Ordnung. 

Der Zustand des Patienten änderte sich hier nicht wesentlich. 

Die oftmals ausgeführten Untersuchungen der Patellarreflexe ergaben: 

30./IX. rechts und links vorhanden, 

rechts ohne, links mit Jendrassik. 

1. /X. Beiderseits unter allen Kautelen bei Schlag auf die 
Patellarsehne keine Kontraktion im Quadrioeps. 

2. /X. Beiderseits leichte Kontraktion ohne Jendrassik. 

5./X. Beiderseits bei allen Kautelen keine Kontraktion. 

9./X. Beiderseits schwach positiv. 

14./X. Beiderseits fehlend. 

19./X. Beiderseits positiv. 

21.'X. Beiderseits schwach, aber positiv. 

26 /X. Beiderseits schwach, aber nur bei JENDBASSix’schem Handgriff. 

H. wurde am 26./X. 1905 auf seinen Wunsch von hier entlassen. Das Be¬ 
finden war dann nach seiner Angabe wechselnd — meist war er, der „Lähmung“ 
seiner Beine wegen, arbeitsunfähig. Auch die anderen nervösen Beschwerden 
nahmen ganz wesentlich zu. 

Am 20./XI. 1906 wurde H. zum zweitenmal hier aufgenommen. 

Der Körperbefund hat sich nicht wesentlich geändert: das Geruchs- und 
Gesell macksvermögen ist jetzt wohl normal, sonst im Bereich der Hirnnerven 
keine Veränderung. Die Untersuchung der inneren Organe ergibt auch jetzt 
normale Verhältnisse; der Urin ist auch jetzt frei von Eiweiß und Zucker. 

Im Bereich der beiden unteren Extremitäten ist nirgends ein atrophischer 


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Muskel zu finden, dabei besteht jetzt eine völlige Paraplegie beider Beine: 
die Muskulatur beider Unterextremitäten ist absolut schlaff, ohne die aller* 
geringste Andeutung von Tonus. 

Elektrisch geprüft sind auch diesmal die Muskeln normal. 

Aktive Bewegungen sind nur in ganz beschränktem Maße mit Hilfe des 
Ileopsoas möglich, sonst wird spontan überhaupt keine einzige Muskelgruppe 
innerviert 

Trotzdem kann H. mit Hilfe eines Stockes gehen, auch jetzt trägt 
die Gehstörung wieder ausgeprägt hysterischen Charakter. — Ataxie fehlt, ebenso 
jeder Hinweis darauf, daß es sich um eine organische Erkrankung des Rücken¬ 
marks oder der peripheren Nerven handeln könne. 

Der Patellarreflex kann rechts eben andeutungsweise ausgelöst 
werden, links fehlt er völlig; dabei sind, wie auch das letzte Mal, die 
Achillessehnenreflexe beiderseits prompt auszulösen. Im Verhalten der Sensibilität 
ist gegen früher ebenfalls keine Veränderung eingetreten: in Form der Ampu¬ 
tationsgrenze erstreckt sie sich für alle Qualitäten von den Leistenbeugen hzw. 
Nates bis zu den Zehenspitzen. 

Während des Aufenthaltes gelang es einmal, durch suggestive Beeinflussung 
eine spontane Bewegung der Zehen und ganz leichte Beugung im Kniegelenk 
zu erzielen; irgend welche dauernde Besserung wurde nicht erreicht 

Auch diesmal wechselte das Verhalten der Patellarreflexe. 

24./XI. Rechts angedeutet, links Zuckung in den Adduktoren. 

26./XI. Das gleiche Verhalten. * 

30./XI. Beide Reflexe sind mit Jendrassik auszulösen, nach einer Strychnin¬ 
injektion (0,0075) sind beide auch ohne Jendrassik vorhanden. 

Gegen Ende dieses Aufenthaltes trat noch eine vorübergehende Geistes¬ 
störung auf, die im wesentlichen in Gesiohts- und Gehörshalluzinationen sich 
dokumentierte und von einem Erregungszustand begleitet war: H. glaubte plötz¬ 
lich seine Frau und einen Wagen zu sehen und zu hören, mit dem er nach 
Hause gebracht werden sollte, hörte die ihn zur Eile auffordernden Worte der 
Frau und das Peitschenknallen des ungeduldig werdenden Kutschers und geriet 
in Wut, daß man ihn zurückhalten wollte, begann plötzlich auf die Arzte und 
die ganze Behandlung, die ihm doch nichts helfen könne, zu schimpfen. H. be¬ 
ruhigte Bich dann in einer kühlen Packung, hatte hinterher keine deutliche Er¬ 
innerung und keine Einsicht für das Vorgefallene. Die gleichen Erscheinungen 
wiederholten sich 2 Tage später in etwas höherem Grade, sodaß EL auf die Ab¬ 
teilung für Unruhige gebracht werden mußte. 

Diese psychische Störung, welche bekanntlich in dieser Form bei Hysterischen 
hier und da auftritt und als hysterische Geistesstörung bekannt ist, bildete sich 
nach Isolierung und durch völlige Ruhe prompt zurück, um dann nich wieder 
auizutreten. Es soll noch besonders hervorgehoben werden, daß die Untersuchung 
der Psyche und Intelligenz, abgesehen von einer erhöhten Reizbarkeit, keine Ano¬ 
malie ergab. 

Bei seiner Entlassung war der vorher im Bett ganz paraplegische H. im 
Stande, den Weg von Beinern Pavillon bis zur Trambahn vor dem Eingangsportal, 
zu dem ein Gesunder etwa 5 Minuten gebraucht, ohne fremde Hilfe mit einem 
Stock zurückzulegen. 

Bei einer Nachuntersuchung, die ich Mitte Januar 1907 in Harburg vor¬ 
nahm, fand ich keine Veränderungen gegenüber dem oben geschilderten Körper¬ 
befund, hingegen gelang es mir nicht, den rechten Patellarreflex — unter 
allen Kautelen natürlich — auszulösen, links erhielt ich auch ohne Jen¬ 
drassik eine deutliche Kontraktion des Quadrioeps. 

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Überblickt man den ganzen Kranbheitsverlanf, so kann es nicht zweifelhaft 
sein, daß es sich um eine rein funktionelle Erkrankung bei H. handelt Das 
schwere psychische Trauma, das H. traf, wurde bei dem offenbar schon vorher 
neuropathischen Manne die Ursache zum Ausbruch der Hysterie; der ständige 
Kampf um die Bente, vielleicht auch die Sorge um seine Familie taten anch 
hier, wie ja so überaus häufig, das ihre, um eine Heilung nicht eintreten 
zu lassen. 

Wenngleich auch unsererseits zuerst natürlich angenommen wurde, daß, 
des Fehlens der Patellarrefiexe wegen, eine Kombination von hysterischer und 
organischer Erkrankung vorläge, so mußten wir uns doch nach eingehender Be¬ 
obachtung des Falles und Kritik des vorhandenen Befundes zu der Annahme 
einer ausschließlich funktionellen Störung entschließen. 

Daß es sich um einen Hysteriker mit „hysterischen Stigmata“ handelte, 
dafür sprach neben der Psyche die Art und Begrenzung der Sensibilitäts¬ 
störung, die Anosmie und Geschmacksstörung, das Verhalten der Schleim¬ 
hautreflexe. 

Daß die Lähmung und das zeitweise Fehlen der Patellarrefiexe „funktionell“ 
und nicht „organisch“ bedingt war, dafür sprach erstens der Umstand, daß 
sich diese Lähmung durch Suggestion beeinflussen ließ, zweitens das absolut 
normale Verhalten der Nerven und Muskeln bei der elektrischen Prüfung, 
drittens das voll’ge Fehlen von Atrophien, die doch bei organisoh bedingter 
schlaffer Lähmung in den 7 Jahren hätte eintreten müssen; viertens das völlige 
Fehlen von Störungen in der Blasen- und Mastdarmfunktion, die doch bei einer 
Erkrankung des Rückenmarks in den für das Verschwinden der Patellarrefiexe 
wesentlichen Partieen hätte eintreten müssen. 

Es sprach schließlich für die funktionelle Grundlage vor allem der sich 
aus obigen Daten ergebende Wechsel im Vorhandensein und Fehlen der 
Patellarrefiexe. Denn es ist kein Anhaltspunkt dafür gegeben, das zeitweise Fehlen 
der Patellarrefiexe auf eine andere Ursache zu beziehen als auf die funktionell 
bedingte Hypotonie der Muskeln, welche seinerzeit schon von Nonne als wesent¬ 
lich hervorgehoben worden ist. 

In Betracht käme nur Lues cerebrospinalis, Sarkomatose oder Karzinose 
des Rückenmarks und chronisch-urämische Zustände; von allen diesen kann aber 
mangels jeglichen für eine von diesen Erkrankungen sprechenden Symptoms 
nicht die Rede sein, und man muß entgegen der von Binöwangee aufgestellten 
These daran festhalten, daß auch bei der Hysterie und durch Hysterie be¬ 
dingt in seltenen Fällen vorübergehender Mangel des Kniesehnen¬ 
phänomens zur Beobachtung gelangen kann. 

Wir zweifeln nicht, daß, wenn die allgemeine Aufmerksamkeit hierauf ge¬ 
lenkt sein wird, weitere Fälle unsere Ansicht bestätigen werden. Daß diese 
Fälle eine außerordentliche Seltenheit bilden, erhellt schon aus der Tatsache, 
daß Nonne bei seinem gesamten Material bisher nur dreimal in der Lage ge¬ 
wesen ist, einschlägige Fälle zu beobachten. 

Ich glaube, daß auch in diesem Falle wieder genügend auf die Skepsis, 

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die man solchen Beobachtungen gegenüber walten lassen muß, hingewiesen 
worden ist. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Chef, Herrn 
Oberarzt Dr. Nonne, an dieser Stelle für die Anregung und Unterstützung bei 
dieser Arbeit meinen besten Dank auszasprechen. 


[Aas der Nervenabteilung des Allgem. Krankenhauses Hamburg-Eppendorf.] 

(Oberarzt: Dr. M. Nonne.) 

3. Ein Fall von Landry’scher Paralyse 
kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascendierenden 
Rückenmarkstumors Vortäuschend. 

Von Dr. L. Jaoob, Assistenzarzt. 

(Schluß.) 

Nach 7 Wochen hat sich die Sensibilität insofern gebessert, als totale An¬ 
ästhesie nur noch an der linken unteren Extremität besteht, sonst nur Hypästhesie, 
Analgesie und Thermanästhesie (s. Fig. 5). 



Fig. 5. 


ln den folgenden 7 Wochen macht die Motilität weitere Fortschritte. Patientin 
kann allein essen, sich anzieben usw. und auch ohne Unterstützung das Bett ver¬ 
lassen und eine kleine Strecke gehen. Dabei werden eine Reihe unzweckmäßiger 
Bewegungen gemacht (Patientin wippt z. B. jedesmal beim Vorschieben des Beines 
mit dem ganzen Körper auf und ab). 

Schließlich geht Patientin ganz allein, wenn auch noch mühsam; klagt nur 
über Schmerzen in den Beinen. Von den SenBibilitätsstörungen ist nur Hypästhesie 
und Analgesie der Extremitäten zurückgeblieben (Fig. 6). 

In den nooh folgenden 3 Monaten der Beobachtung macht die Sensibilität 
xnnäohst unter der Behandlung mit dem faradischen Pinsel weitere Fortschritte, 

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so daß nur noch üypalgesie der oberen Extremitäten! Hypästhesie und Hypalgeeie 
der unteren besteht (Fig. 7). 



Fig. 6. 

Dann* traten aber wieder deutliche Störungen auf, halbseitige Hyp- 
ästhesiefund Analgesie der ganzen linken Körperhälfte mit Ausnahme 



Fig. 7. 


von Hals und Kopf, auch Hypalgesie des Gaumens links (s. Fig. 8). Ge¬ 
sichtsfeld links eingeschränkt. Kornealreflex links stark herab¬ 
gesetzt, Rachenreflex fehlt. 

Sonst keine Störungen mehr. Nur noch allgemeine Schwäche. 

Nach 8monatlicher Behandlung wird Patientin geheilt und arbeitsfähig ent¬ 
lassen. 

Das Wesentliche des Krankheitsbildes ist also folgendes: 

Ein 32jährige8 Mädchen, das schon mehrere schwere Krankheiten durch- 

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301 


gemacht hat, erkrankt allmählich mit Schmerzen im Röcken und in den Beinen, 
Farästhesien im ganzen Körper, besonders in den Beinen, zunehmender Schwäche 
zuerst des linken Fußes, dann des linken Beines, des rechten Fußes und rechten 
Beines. Während eines vierwöchigen Aufenthaltes im Krankenhause in B. werden 
keine nennenswerten objektiven Befunde für ihre Klagen erhoben. Auf einer 
Reise, die sie gleich nach der Entlassung unternimmt, bricht sie plötzlich zu¬ 
sammen und ist seitdem an beiden Beinen völlig gelähmt Bei der darauf 



Fig. 8. 


folgenden ersten Untersuchung findet sich eine totale schlaffe Lähmung beider 
unteren Extremitäten mit fehlenden Patellar- und lebhaften Achillessehnen¬ 
reflexen, Parese aller Muskelgruppen der beiden oberen Extremitäten mit er¬ 
haltenen Reflexen, Parese der Rückenmuskulatur und Druckempfindlichkeit der 
oberen Lendenwirbel. Bis zur Mitte der Oberschenkel (von den Zehen aufwärts) 
besteht totale Anästhesie für alle Empfindungsqualitäten, im Bereich der oberen 
Hälfte beider Oberschenkel und der Arme bis zur Schulter (links) und bis zur 
Ellenbeuge (rechts) Hypästhesie für alle Qualitäten. Blase und Rectum er¬ 
scheinen frei (bestehender häufiger Harndrang wird auf ein altes Blasenleiden 
zurückgeführt). Die Temperatur ist afrebril. Auffallend ist ein Paket schmerz¬ 
hafter, vergrößerter Drüsen der rechten Achselhöhle. Die Lungen sind nicht 
nachweislich affiziert Auch sonst findet sich ebensowenig ein Anhaltspunkt 
für Tuberkulose wie für floride oder abgelaufene Syphilis. Im weiteren Verlauf 
der Erkrankung schreitet die Parese der oberen Extremitäten innerhalb 4 Wochen 
unter heftigen Schmerzen im Rücken, Gürteischmerzen, Kopfschmerzen, zeit¬ 
weisem Erbrechen und Schwindelgefühl langsam fort bis zu völliger Paraplegie 
aller vier Extremitäten und hochgradiger Parese der Rücken- und Bauchmuskeln. 
Es tritt Schwäche der Bauchmuskeln, Herabsetzung der Bauchdeckenrefiexe, 
paretischer Nystagmus beim Blick nach der Seite, Doppelsehen, Schwäche der 
Nackenmuskeln und Kaumuskeln hinzu. Die anästhetische Zone ist ebenfalls 


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nach oben vorgerückt. Es besteht totale Anästhesie für alle Qoalitäten am 
ganzen Körper mit Ausnahme eines größeren, unregelmäßig begrenzten Gebietes 
an der Rückseite des Rumpfes. Speichelfluß, starke Hyperidrosis, Meteorismus, 
völlige Urinretention, Pulsbeschleunigung vervollständigen das Bild. Nachdem 
dieser voll ausgebildete Symptomenkomplex eine Reihe von Tagen bestanden, 
werden plötzlioh die Patellarreflexe wieder auslösbar gefunden. Nach einiger 
Zeit werden auch leichte Bewegungen im rechten Arm bemerkt, und schließlich 
bilden sich unter energischer Suggestionstherapie die motorischen Störungen in 
umgekehrter Reihenfolge, wie sie aufgetreten waren, langsam wieder zurück. 
Auch die Störungen der Sensibilität bilden sich allmählich zurück. Es 
tritt dann eine, längere Zeit bleibende, halbseitige Hypästhesie und Analgesie 
der ganzen linken Körperhälfte auf. Nach über 9 monatlicher Behandlung wird 
Patientin geheilt und arbeitsfähig entlassen. 

Die mehrmalige elektrische Untersuchung hatte immer normales Verhalten 
der Nerven und Muskeln ergeben. Die Pupillen wurden längere Zeit different 
gefunden (rechts weiter als links), reagierten aber stets prompt auf Licht und 
Konvergenz. 

Diagnostisches: Zunächst mußten zwei Krankheiten differentialdiagnostisch 
in Frage kommen: 1. ein aszendierender Tumor des Rückenmarkes, 2. Landby- 
sche Paralyse. 

Im folgenden will ich zunächst darlegen, welche Symptome für die erstere 
Annahme sprechen, welche Erscheinungen nicht mit ihr in Einklang zu bringen 
waren, und wie weit sie im Laufe der Beobachtung aufrecht erhalten werden 
konnte. 

In unserem Falle waren der langsam sich entwickelnden Paraplegie 
lange Zeit Gürtelgefühl und häufig exacerbierende, besonders in die Beine aus* 
strahlende Schmerzen vorausgegangen, d. h. als Wurzelsymptome zu deutende 
Erscheinungen. Die Druckempfindlichkeit der oberen Lenden- und unteren Brust¬ 
wirbel wies auf einen Prozeß im Bereich des Lendenmarkes hin, und die totale 
Paraplegie der unteren Extremitäten mit Aufhebung der Patellarreflexe und 
Anästhesie bis zur Mitte der Oberschenkel stimmte gut zu dieser Lokalisation. 
Die bestehende Blasenstörung war ungezwungener in diesen Symptomenkomplex 
einzureihen, als auf ein über 6 Jahre zurückliegendes Blasenleiden zu beziehen. 
Eine wertvolle Stütze gewann die Diagnose in dem Befund an den rechtsseitigen 
Achseldrüsen, die geschwollen und schmerzhaft waren. Man konnte daran 
denken, daß hier menigomyelitische Prozesse auf luetischer Basis eine Um¬ 
schnürung des Lendenmarkes und folgende Nekrose im Querschnitt hervorgerufen 
hatten, oder eine Thrombosierung von Rückenmarksgefäßen mit sekundärer 
Nekrose des versorgten Abschnittes vorlag. Dagegen sprach aber der aszendierende 
Charakter der Erseheinungen. 

Nach den anamnestischen Angaben hatte sich die Krankheit allmählich aus¬ 
gebildet, die völlige Paraplegie jedoch war ganz plötzlich aufgetreten; die 
Patientin hatte vorher mit Unterstützung noch ziemlich gut gehen können. 

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303 


Gerade diese schubweisen Verschlimmerungen sind bei Rückenmarkstumoren nicht 
selten (s. v. Leyden 1 ). 

Die Ausbreitung des Tumors konnte man sich so vorstellen, daß derselbe 
im Bereich des unteren Dorsal- und oberen Lendenmarkes den größten Teil der 
hinteren Wurzeln komprimiert und außer Funktion gesetzt hatte, und dann in 
das Rückenmark selbst vorgedrungen war und dieses, intramedullar in die Höhe 
wachsend, diffus durchsetzt hatte. Oder man mußte annehmen, daß der Tumor, 
röhrenförmig das Lendenmark umschließend, die vorderen und biDteren Wurzeln 
komprimierte und dadurch die Reiz- und Ausfallserscheinungen hervorrief, ohne 
in die Medulla spinalis selbst vorgedrungen zu sein. 

Für die Höhenlokalisation der Rückenmarkstumoren kommt bekanntlich be¬ 
sonders das Verhalten der Sensibilitätsstörung in Betracht Häufig ist eine 
hyperalgetische Zone vorhanden, die den vom Tumor direkt gereizten, aber nicht 
zerstörten hinteren Wurzeln entspricht Sie liegt höher, als der anästhetische 
Bezirk, weil erst dann in einem Gebiet volle Anästhesie eintritt, wenn auch die 
höchst gelegenen, für dasselbe in Betracht kommenden Wurzeln zerstört sind, 
ln unserem Falle fehlte die hyperalgetische Zone. 

Nonne* hat einen sehr lehrreichen, auch für die Beurteilung unseres 
Symptomenkomplexes wichtigen Fall beschrieben, bei dem die hyperalgetische 
Zone stets fehlte. Dort hatte sich der Tumor rein intramedullar nach oben 
ausgedehnt, so daß es nicht zu Reizerscheinungen der Wurzeln kommen konnte. 

Ein wichtigeres, in der Folge ausschlaggebendes Symptom fehlte jedoch 
völlig im ganzen Krankheitsbilde: eine Änderung der elektrischen Erregbarkeit 
der gelähmten Extremitäten und jegliche Andeutung von Atrophie der gelähmten 
Muskelgebiete. Diese durfte nicht fehlen, denn man mußte ja bei der Totalität 
der motorischen und sensiblen Lähmung als das Wahrscheinlichste annehraen, daß 
der Querschnitt in toto und somit auch die graue Substanz ergriffen war. 

Im Verlauf der nun folgenden 20 Beobachtungstage änderte sich das Bild 
wie oben im einzelnen beschrieben wurde. Die gekennzeichneten Widersprüche 
im Symptomenkomplex, zu denen sich noch das auffallende Verhalten der 
Sensibilität gesellte, hatten immer mehr Zweifel an der Diagnose Rückenmarks¬ 
tumor erweckt Diese gewann jedoch plötzlich wieder an Wahrscheinlichkeit, als 
die Bulbärsymptome auftraten. Es ist bekannt, daß gerade bei intramedullären 
Tumoren des Rückenmarkes Bulbärerscheinungen auftreten und zwar als „Fern- 
Symptome“, d. h. Ausfallserscheinungen, denen keine makroskopisch und mikro¬ 
skopisch nachweisbaren Veränderungen der Medulla oblongata zugrunde liegen. 
Ich verweise auf die oben zitierte Arbeit von Nonne, in der ausführlich auf 
diese Tatsache eingegangen ist und wo auch die von anderen Autoren 
(Sohlbsinoeb, Qppenheim, Sbnatob, Bbüns, Hennebebg u. a.) mitgeteilten 
Beobachtungen angeführt sind. Als nun aber in unserem Falle die Bulbiir- 
symptome sich allmählich wieder zurückbildeteu, mußte bei dem bekannten, 

; v. Lbtdem, Erkrankungen des Röckenmarkes. Nothnagels Handbuch. X. 

* Nomhk, Ober einen Fall von intramedullärem ascendierendem Sarkom. Archiv ffir 
Psychiatrie. XXXIII. Heft 2. 

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304 


einen Bäckgang anschließenden, malignen Charakter der intramedullären 
Tumoren diese Diagnose endgültig fallen gelassen werden. 

Es traten die vom Krankheitsbilde des Tumors abweichenden Symptome 
mehr in den Vordergrund und damit die Frage, ob es sich nicht um eine 
andere Erkrankung handle, die einen dem hier vorliegenden Symptomenkomplex 
gauz ähnlichen hervorruft, nämlich um eine LANDBY’sche Paralyse. 

Das Krankheitsbild der LANDRY’schen Paralyse hat im Laufe der Zeit die 
verschiedensten Wandlungen durchgemacht Man hat dem von Landry zuerst 
gezeichneten einfachen und klaren, freilich nicht erschöpfenden Bilde die mannig¬ 
fachsten Zöge hinzugefügt und die Theorien über Ätiologie und Wesen der Er¬ 
krankung waren so verschieden, wie die im ganzen geringfügigen pathologisch¬ 
anatomischen Befunde. Ich kann hier nicht näher auf diese verschiedenen 
Auffassungen und ihre Begründung eingehen, sondern muß auf zwei neuere 
Arbeiten von Gorbep 1 und von Hartogh* verweisen (aus der Nomns’schen 
Abteilung des hiesigen Krankenhauses), in denen sie zusammengestellt und er¬ 
örtert sind. Es soll hier nur untersucht werden, ob der vorliegende Fall als 
LANDRY’sche Paralyse aufgefaßt werden muß, ob er eine reine Form derselben dar¬ 
stellt oder mit Symptomen anderer Störungen des Nervensystems kombiniert war. 

Gerade die Diskussion des letzten Dezenniums über LANDBY’sche Paralyse 
hat gezeigt, daß die Beurteilung des Krankheitsbildes nur erschwert wird, wenn 
man seine Grenzen zu weit steckt. Und besonders so lange man noch so weit 
von einem Einblick in das Wesen dieser Erkrankung entfernt ist, ist es not¬ 
wendig, im klinischen Bilde an den Grundzügen festzuhalten und nur diejenigen 
Fälle als zugehörig anzuerkennen, die keine diesen widersprechenden Symptome 
aufweisen. Landry beschrieb als Gharakteristica der Erkrankung die aufsteigende, 
unaufhaltsam vordringende Lähmung mit fehlenden oder geringen Schmerzen, 
Fehlen von Störungen des Sensoriums, von Atrophien der Muskeln, von Blasen- 
und Mastdarmstörungen und normales Verhalten der elektrischen Erregbarkeit, 
negativen Sektionsbefund; andere Autoren fügten hinzu: fast ausnahmsloses 
Fehlen der Patellarsehnenreflexe, nur geringe Störungen der Sensibilität, mast 
rascher Verlauf und in der Mehrzahl der Fälle tödlicher Ausgang. Außerdem 
wurden noch weniger konstante und weniger hervortretende, verschiedenartige 
Einzelbefunde erhoben, wie z. B. Störungen der Augenmuskeln, der Sensibilität, 
endlich Milzschwellung. 

Vergleicht man mit diesem Krankheitsbilde das hier vorliegende, so ergibt 
sich folgendes: 

Der Beginn der Erkrankung, ihr langsames Fortschreiten nach oben, ihr 
Übergang auf Nackenmuskeln und Kaumuskeln, dann der Rückgang in um¬ 
gekehrter Reihenfolge, entspricht genau dem Verlauf bei in Heilung ausgehender 
LANDBY’scher Paralyse. Ebenso stimmt dazu das Fehlen von Atrophien trotz 


1 Gokbbl, Über LaNDRT'sche Paralyse. Münchener med. Wochen sehr. 1898. Nr. 82. 
* Habtooh, Beitrag zur Ätiologie der LAHDBT'sehen Paralyse. Mitteilaogen aas den 
Hamboig. Staatskrankenanstalten. VII. 1899/1900. 


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etwa 12 wöchiger Dauer der Lähmung, das Fehlen jeglicher Störung der 
elektrischen Erregbarkeit, der fieberlose Verlauf, das Freibleiben des Sensoriums. 

Alle hauptsächlichen, für das klinische Bild der LANDBY’schen Paralyse 
charakteristischen Symptome waren also vorhanden. Dazu gesellten sich aber 
andere Erscheinungen, die nur teilweise mit jener Auffassung der Erkrankung 
za vereinigen waren, teilweise ihr aber völlig widersprachen. 

Die schon bei der ersten Untersuchung konstatierten leichten Bläsen- 
Störungen, die nur in häufigem Harndrang bestanden, verschlimmerten sich 
allmählich, bis völlige Hamretention eintrat, die fast 4 Wochen lang auf der 
Höhe der Erkrankung bestand, ln der Mehrzahl der Fälle fehlen bei Landby’- 
scher Paralyse alle Störungen der Blase und des Bectums. Es liegen aber 
mehrere Beobachtungen vor, nach denen auf der Höhe der Erkrankung oder 
schon früher sich Blasenstörungen einstellten; so z. B. trat in dem Falle von 
Goebel Incontinentia urinae auf, in einem Falle von Habtogh Incontinenz und 
dann Urinretention. 

Augenmuskelstörungen und Veränderungen der Papillen sind mehrfach 
beobachtet (Westphal, Goebel u. &.). Die Lebhaftigkeit der Achillessehnen- 
reflexe, die Andeutung von Fußklonus ist ein Symptom, das nicht in das Bild 
der LANDBY’schen Paralyse gehört. Die Sehnenreflexe sind bisher nie gesteigert 
gefunden worden, sondern waren meist herabgesetzt oder erloschen. 

Auffallend ist auch, daß die Sehnenreflexe der oberen Extremitäten stets 
prompt auslösbar waren, während die Patellarsehnenreflexe fehlten, aber wieder 
aaftraten, nachdem der Höhepunkt der Krankheit überschritten war, während 
die Achillessehnenreflexe lebhaft waren und blieben. Plantar- und obere Bauch¬ 
deckenreflexe waren abgeschwächt, untere Bauchdeckenreflexe, Korneal- und 
Bachenreflexe fehlten zeitweise. 

Der Diagnose LANDBY’sche Paralyse widersprach aber völlig das Verhalten 
der Sensibilität 

Zu Beginn und während des ganzen Verlaufes der Krankheit bestanden 
Schmerzen. Zuerst traten Gürtelschmerzen auf, lange bevor sich Lähmungs- 
erscheinungen geltend machten, dann Schmerzen im Bücken, ausstrahlend in 
beide untere Extremitäten, dabei heftige Kopfschmerzen und Parästhesien im 
ganzen Körper. Dem Aufsteigen der Lähmung gingen heftige Schmerzen beider 
oberen Extremitäten voran. Erst nachdem der Höhepunkt der Krankheit über¬ 
schritten war, traten auch die Schmerzen zurück, um dann nach einiger Zeit 
ganz zu verschwinden, während die Lähmungen noch längere Zeit fortbestanden. 


Die totale Anästhesie beider unteren Extremitäten, die schon bei der ersten 
Untersuchung konstatiert war, folgte anfangs der aufsteigenden Lähmung. Dann 
aber zeigte sie im weiteren Verlauf die verschiedensten Ausbreitungsbezirke, einen 
typisch hysterischen Charakter annehmend. Es sind bisher in allen sicheren 
Fällen von LANDBY’scher Paralyse keine oder nur geringe Störungen der Sensi¬ 
bilität festgestellt worden, Parästhesien der gelähmten Glieder und leichte Ver¬ 
änderungen der Schmerz-, Tast- und Temperaturempfindung. Rumpf hat einen 
Fall beschrieben, in dem eine totale Anästhesie der unteren Extremitäten bis 


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4 cm oberhalb der Kuiee und darüber eine hypästhetische Zone sich fand, bei 
erhaltenen Patellar- und Achillessehuenreflexen, fehlenden Plantar- und ab¬ 
geschwächten Bauchdecken- und Kremasterreflexen. Die Sensibilitätsstörung 
blieb aber auf das angegebene Gebiet beschränkt, während die Lähmung aszen- 
dierte und schließlich auch Bulbärersoheinungen hervorrief. Mit dem allmählichen 
Rückgang der Lähmung verschwand auch die Sensibilitätsstörung. 

Auch die konstanten heftigen Schmerzen gehören nicht zum gewöhnlichen 
Bilde der Lande r’schen Paralyse. In einzelnen Fällen (Westphal , 1 Habtoöh , 2 
Kahlek und Pick 3 ) verlief die Krankheit unter starken Schmerzen im Rücken, 
Nacken und den Extremitäten; in der Mehrzahl aber litten die Kranken nicht 
unter spontanen Schmerzen, höchstens traten solche auf bei Bewegungen oder 
bei Druck auf die peripheren Nervenstämme. 

Ausgang in Heilung ist bei der LANDBv’schen Paralyse mehrfach beobachtet 
Von Landby’s eigenen Fällen starben nur zwei. Freilich endete von den später 
von anderen Autoren veröffentlichten die Mehrzahl letal, so daß Wbstphad in 
seiner zusammenfassenden Arbeit dies als die Regel hinstellte. Die Zahl der 
geheilten Fälle, selbst solcher, bei denen schon Bulbärsymptome aufgetreten 
waren, ist aber jetzt relativ so groß, daß Ausgang in Heilung nicht mehr eine 
sonst gesicherte Diagnose umzustoßen vermag. 

Das Verhalten der Sensibilität führt uns dazu, das Krankheitsbild noch 
von einer anderen Seite zu betrachten. Die Art der Ausbreitung der Anästhesie 
und noch einige andere Symptome deuten auf eine zweifellose hysterische Störung 
hin. Und es führt dies zu der Frage: Ist das Gesamtbild unseres Falles auf¬ 
zufassen als LANDBY’sche Paralyse kombiniert mit Hysterie, oder 
als reine Hysterie, die nur das Bild der aufisteigenden, motorischen Lähmung 
vortäuschte? 

Außer der bereits gekennzeichneten typischen Sensibilitätsstörung sprechen 
noch andere wichtige Merkmale des Verlaufes für die Diagnose Hysterie. Die 
Druckempfindlichkeit der Lendenwirbel ist wohl als hysterische Rachialgie auf¬ 
zufassen. Wichtig ist, daß es gelang, durch Suggestion die Lähmung zu be¬ 
einflussen. Nachdem der Höhepunkt der Krankheit überschritten und Stillstand 
der motorischen und sensiblen Lähmung eingetreten war, wurde beobachtet, wie 
die Patientin in einem Augenblick, wo sie sich ungesehen glaubte, plötzlich Be¬ 
wegungen mit dem rechten Arm machte, während bisher dauernd die völlige 
schlaffe Lähmung aller Extremitäten weiterbestanden hatte. Es wurde eine 
energische suggestive Behandlung eingeleitet und nach 4 Wochen war die Läh¬ 
mung soweit beseitigt, daß die Patientin allein essen, sich anziehen und das 
Bett verlassen konnte. Dabei erlangte sie ihre Bewegungsfähigkeit wieder, dem 
Gang der psychischen Beeinflussung entsprechend; das von dieser anfangs aus- 


1 Westphal, Über einige Fälle von akuter tödlicher Spinalläbmaog. Archiv f. Psych. 
VI. 1886. 

* Goebbl, L. c. 

* Kahler und Pick, Zur Lehre von der akuten aufsteigenden Paralyse. Archiv Für 
Psych. X. 1880. 


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geschlossene linke Bein blieb gelähmt, bis auch hier die Suggestionstherapie 
einsetzte. Störende, den verlangten willkürlichen Bewegungen entgegengesetzte 
Impulse von deutlich hysterischem Charakter beeinträchtigten anfangs die Rück¬ 
kehr zur normalen Bewegungsfreiheit, und nachdem diese in einem gewissen 
Grade wiedererlangt war, traten charakteristische hysterische Störungen des 
Ganges auf. Die Sensibilitätsstörungen blieben noch längere Zeit bestehen, nach¬ 
dem die motorischen Störungen bereits völlig geheilt waren. Dabei zeigten sich 
immer deutlicher die psychischen Stigmata der degenerativen Form der Hysterie. 

Sind nun alle im Lauf der Erkrankung aufgetretenen Symptome als hyste¬ 
rische zu erklären, oder zwingen das zeitweise Fehlen der Patellarreflexe, die 
Pupillen- und Augenmuskelstörungen zur Annahme einer organischen Erkrankung, 
bzw. der LANDBv’schen Paralyse? 

Popillenveränderungen und Augenmuskelstörungen sind bei Hysterie in 
einer größeren Reihe von Fällen beobachtet (Nonne-Beselin, Welbband und 
Sasnobb, Neurologie des Auges, Zusammenstellung); es ist allgemein ihr Vor¬ 
kommen anerkannt Anders ist es mit dem Fehlen der Patellarreflexe. Bins- 
w anqeb 1 schreibt: „Ein Verlost der Sehnenreflexe kommt bei der hysterischen 
Lähmung nicht vor. Wir halten diese Feststellung trotz gegenteiliger Angaben 
in der Literatur (Nonne, Mabee, Dejebine, Sternbebg u. a.) für völlig ge¬ 
sichert“ Den Beweis für diese apodiktische Behauptung vermag er aber nicht 
zu führen. Denn er versucht nur die nicht einwandfreien Fälle von Dejebine 
und von Stebnbebg zu widerlegen; auf die vollkommen klaren und eindeutigen, 
gar nicht widerlegbaren Befunde, die Nonne und später Steines (Köln)' er¬ 
hoben, geht er nicht ein. Nonne hat in dem ersten dieser beiden Fälle, der 
das Bild der „grande hystörie“ mit Astasie-Abasie und später mit totaler Para¬ 
plegie der beiden unteren Extremitäten bot, die Patellarreflexe 8 Wochen lang 
nicht auslösbar gefunden. Sie waren dann sofort wieder da, nachdem die hyste¬ 
rische Paraplegie sich im Verlauf weniger Wochen zurückgebildet hatte, und 
fehlten 1 Jahr später bei einer von neuem aufgetretenen hysterischen Paraplegie 
wieder kürzere Zeit (10 Tage). Da also zweifellos ein Fehlen der Patellarreflexe 
bei Hysterie, wenn auch sehr selten, vorkommt, glaube ich nicht, daß in unserem 
Falle auf dieses Symptom allein hin eine Kombination der Hysterie mit einer 
organischen Erkrankung angenommen werden muß. 

Fasse ich die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung zusammen, so ergibt 
sich also: eine schwere, unter den Erscheinungen der akuten aufsteigenden 
Lähmung verlaufende Erkrankung zeigt, nachdem sie ihren Höhepunkt über¬ 
schritten, charakteristische hysterische Symptome, die immer mehr das Bild be¬ 
herrschen und schließlich den Gedanken nahelegen, ob nicht auch die Erschei¬ 
nungen der ersten Hälfte der Krankheit schon als hysterische aufznfassen sind, 
somit ein Fall von zwar durchaus ungewöhnlich verlaufender Hysterie, aber eben 
doch nur von Hysterie vorliegt. Es findet sich im ganzen Krankheitsverlaufe 


1 Die Hjsterie. S. 623. 

1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXV. 

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kein einziges Symptom, das nicht als durch Hysterie bedingt angesehen werden 
könnte; allerdings ist ein Befand, das längere Fehlen der Patellarrefleze, wenn 
auch in anderen Fällen zweifellos konstatiert, so selten, daß er unbedingt zur 
Vorsicht in der Diagnose „reine Hysterie“ mahnt Auffallend nnd besonders za 
betonen ist dabei, daß im vorliegenden Falle, ebenso wie in dem von Nonne 
beschriebenen, die Patellarrefleze unvermittelt wieder prompt da waren, nachdem 
sie kurz vorher nicht mehr ansgelöst werden konnten. Andererseits erscheint 
aber die Diagnose „Landet 'sehe Paralyse kombiniert mit Hysterie“ durch¬ 
aus gerechtfertigt Abgesehen von dem pathologisch-anatomischen Befund, der 
bei dem Ausgang in Heilung nicht zu erheben war, fehlte keines der Kardinal. 
Symptome der LANDBY’sohen Paralyse. Von dem ursprünglich von Landet 
gezeichneten, von Wbstphal schärfer umrissenen Bilde, weicht das vorliegende 
nur in einem Punkte wesentlich ab: im Verhalten der Sensibilität, das als 
hysterische Störung erklärt war. Alle übrigen, nicht ganz dem typischen Ver¬ 
lauf der LANDET’schen Paralyse entsprechenden Symptome, die Blasenstörungen, 
die Augenmuskelstörungen, die starken Schmerzen, sind auch von anderen Autoren 
in einzelnen Fällen beschrieben. 

Als Resultat unserer differential-diagnostischen Erwägungen ergibt sich also, 
daß die Annahme einer geheilten LANDBT’schen Paralyse kombiniert 
mit Hysterie die größte Wahrscheinlichkeit für sioh hat 

Herrn Dr. Nonne erlaube ich mir für die Überweisung des Materiales und 
die liebenswürdige Förderung der Arbeit auch an dieser Stelle bestens zu danken. 


IL Referate. 


Anatomie. 

1) A study of the brain of the late Major J. W. Powell, by E. A. Spitzka. 

(American Anthropologie! V.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Major Powell, ein hervorragender Geologe, Ethnologe, Forsohnngsreisender, 
Philosoph und Soldat, war besonders gekennzeichnet durch die Fähigkeit, Ana¬ 
logien zu sehen und Vergleiche zu ziehen, Beobachtungen und Gedanken mit 
einander zu verknüpfen, die für Andere der Beziehungen zu einander entbehrten. 
Scharfe Erfassung der Wirklichkeit stand im Gleichgewicht mit klarem abstraktem 
Denken. Er besaß einen ausgebildeten musikalischen Sinn, dem eine bedeutende, 
wenn auch nicht außergewöhnlich starke Entwicklung der Gebiete, die der Gehörs¬ 
region benachbart liegen, entsprach. Die bedeutende Fähigkeit, seine Gedanken 
zu verknüpfen, zu verallgemeinern und in Worte zu kleiden, muß nach Ansicht 
des Verf.’s „ohne Zweifel“ in das hintere Assoziationsfeld Flechsige verlegt 
werden, und tatsächlich ist in seinem Gehirn diese Gegend außerordentlich ent¬ 
wickelt, besonders auf der rechten Seite; Verf. hält sich demnach für berechtigt 
zu sagen, daß hier ein somatischer Ausdruck besonderer geistiger Fähigkeiten in 
der Gehirnbildung gefunden worden ist. Die genaueren makroskopisch-anatomischen 
Einzelheiten eignen sich nioht zum Referat. 


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Physiologie. 

2) Zur Funktion des Sohl&fenlappena des Großhirns. Eine neue Hörpräfangs- 
methode bei Hunden; nigleioh ein Beitrag sor Dressur als physio¬ 
logischer TJntersuohungsmethode, von Dr. Otto Ealischer. (Sitzungs¬ 
berichte d. Egl. Akad. d. Wissensch. X. 1907.) Ref.: Paal SchuBter (Berlin). 
Aaf Beine schönen Arbeiten über Großhirnexstirpationen bei Papageien hat 
Verf. jetzt eine ausgezeichnete Arbeit über die Funktion des Schläfenlappens folgen 
lassen, welche — auch wenn sich nicht alle vom Verf. gezogenenen speziell- 
physiologischen Folgerungen bewahrheiten sollten — anf allgemein physiologischem 
Gebiet höchst befruchtend wirken wird. Denn der Verf. hat eine neue und in¬ 
geniöse Untersuchungsmethode erdacht, durch welche ee gelingt, die bisher stummen 
Versuchstiere zum Reden zu bringen. 

Während man bisher hei Erforschung sensibler und sensorischer Vorgänge 
beim Tiere darauf angewiesen war, auf Reaktionen seitens des Versuchstieres zu 
achten, welche entweder von Zufällen und Nebenumständen mit abhängig waren, 
oder welche (ich erinnere an den Munk sehen Tastreflex) an die Unversehrtheit 
der Großhirnrinde gebunden waren, kam Verf. auf die Idee, eine jedesmalige 
prompte Antwort dadurch vom Tiere zu erzwingen, daß er den zu beantwortenden 
Reiz mit dem stärksten Trieb, dem Hunger, auf dem Wege der Dressur ver¬ 
kuppelte. Verf. dressierte Hunde derart, daß sie ein vorgehaltenes Stück Fleisch 
nur beim gleichzeitigen Ertönen eines ganz bestimmten Orgel- oder Klaviertones 
erfaßten, während sie nicht nach dem Fleisch griffen, wenn irgend ein anderer 
Ton als der „Freßton“ angeschlagen wurde. Diese Dressur gelang ziemlich schnell, 
in der Regel innerhalb von etwa 14 Tagen. Interessant ist es, daß das Gros 
der Hunde — und nicht etwa nur einzelne — sich in der geschilderten Weise 
dressieren ließen. Die Dressur war so perfekt, daß der Hund selbst die kleinsten 
musikalischen Intervalle, halbe Töne, unterschied und demnach nicht Zugriff, wenn 
der angeschlagene Ton um einen halben Ton höher oder tiefer als der „Freßton“ 
war. Auch aus den grellsten Dissonanzen, in welohen der „Freßton“ enthalten 
war, wurde er prompt erkannt. Hieraus ergab sich zu allererst schon die höchst 
merkwürdige Tatsache, daß der Hund im allgemeinen das absolute Tongehör hat, 
eine Eigenschaft, die bekanntlich nur sehr wenigen musikalischen Menschen zu¬ 
kommt. Es muß noch erwähnt werden, daß alle Nebenumstände, welche etwa zu 
Täuschungen bei Anstellung der Untersuchungen hätten führen können, sorgfältig 
ausgeschaltet wurden, daß also zeitweise bei der Dressur die Sehfunktion aus¬ 
geschaltet wurde und dergL Um noch sicherer zu gehen, zerstörte Verf. bei 
dressierten Hunden die Schnecken. Wenn nur eine Schnecke zerstört war, so 
zeigte sich keine Änderung in dem Verhalten des dressierten Tieres; waren jedooh 
beide Schnecken zerstört worden, so war die ganze Dressur verschwunden. 

Nunmehr schritt Verf. zur Zerstörung des Schläfenlappens. War auch das 
Erhaltensein der Dressur nicht auffällig, wenn nur ein Schläfenlappen entfernt 
war, so ergab sich weiterhin das höchst auffällige Resultat, daß auch nach Ent¬ 
fernung beider Schläfenlappen der „Freßton“ noch von anderen Tönen unter¬ 
schieden wurde, und daß die Tiere schon von der zweiten Woche nach Entfernung 
des zweiten Schläfenlappens an wieder das alte Verhalten und die alte Dressur 
zeigten. Ja, Verf. war sogar noch imstande Hunde, welchen beide Schläfenlappen 
entfernt waren, nach der Operation noch auf einen anderen „Freßton“ umzu¬ 
dressieren. 

Im Gegensatz zu dem Resultat der genannten Prüfungen standen nun bei 
den doppelseitig des Schläfenlappens beraubten Tieren die Resultate, welche bei 
der Untersuchung mittels der gewöhnlichen Hörprüfungen erhalten wurden. Die 
den „Freßton“ noch hörenden Tiere reagierten auf Anruf oder auf gegebene 

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Kommandos weder durch Ohrenspitzen, noch durch Kopfbewegungen, noch sonst 
irgendwie. Erst nach einiger Zeit traten ganz geringe Reaktionen auf die ge¬ 
nannten Reize auf. 

Den Gegensatz zwischen dem Resultat bei Untersuchung mit den alten 
Methoden und dem 'Resultat bei Untersuchung mit seiner neuen Methode erklärt 
sich Verf. durch die Annahme, daß beim Hunde schon unterhalb der Großhirn¬ 
rinde Hörreaktionen zustande kommen. Alle diejenigen Reaktionen, welche an 
ein Erwecken der Aufmerksamkeit der Tiere, an eine Verbindung des gehörten 
mit dem übrigen funktionellen Großhirninhalt gebunden sind, erfolgen nicht mehr, 
wenn die Schläfenlappen entfernt sind. Anders lag die Sache bei den Hörreizen 
des Dressurverfahrens. Hier brauohte die Aufmerksamkeit des Tieree nach Verf. 
nicht geweckt zu werden, sondern der Hörreiz diente nur zur Hemmung oder 
Förderung des schon bestehenden Bewegungsvorganges des Fressens. 

Weitere Experimente mit Zerstörung der Vierhügel ergaben, daß der der 
Dressur zugrunde liegende Hörvorgang noch unterhalb der Vierhügel stattfindet 
Inwieweit das Bewußtsein bei jenen Hörvorgängen eine Rolle spielt, läßt Verf. 
dahingestellt. 

In einem Anhang zn der Arbeit macht Verf. noch darauf aufmerksam, daß 
seine Methode auch zur Feststellung des Kälte- und Wärmegefühles, sowie des 
Tastgefühles verwendet werden kann. 

3) La neuronophagie, par M. Laignel-Lavastine et Royer Voisin. (Revue 
de m6d. 1906. Nr. 11.) Ref.: Eduard Müller (Breslau). 

Der gelegentliche Befund, daß kleine runde perivaskuläre Kerne mit dem 
Protoplasma der Ganglienzellen in Beziehung zu Btehen und sogar in dasselbe 
einzudringen scheinen, hat zu der Vermutung geführt, daß dieser Vorgang der 
bekannten Metschnikoffschen Phagocytose durch Leukocyten analog, ist, und 
daß die genannten Gebilde als Neuronopbagen (Marinesco) bezeichnet wurden. 
Carrier hat jedoch nachgewiesen, daß die um die erkrankten Ganglienzellen ge¬ 
lagerten Zellen das spezifische Nervengewebe nioht zerstören, sondern nur passiv 
die Lücken ausfüllen, die sie bei der Ganglienzellendegeneration finden. Es 
kommen nach ihm höchstens ungünstige mechanische Rückwirkungen der peri¬ 
zellulären Gebilde durch Druck in Frage. Gegen diese Auffassung machen dis 
VerfE folgenden Ein wand: Wenn das Protoplasma der Ganglienzellen nur durch 
mechanischen Druck verdrängt würde, so müßte es an der Stelle des Druckes 
viel dichter und demgemäß Btärker gefärbt sein. Um die genannten Neurono- 
phagen herum bilde sich aber immer ein lichter Hof — ein Zeichen von Proto* 
plasmaschwund (warum nicht „Druckatrophie“? Ref.). 

Die Verff. meinen im Einklang mit anderen Autoren, daß wenigstens einzelne 
Zellen eine gewisse zerstörende Wirkung auf die Ganglienzellen haben. Gegen 
die Annahme, daß die Neuronophagen echte Phagocyten sind, bestehen allerdings 
starke histologische Bedenken. Man hat in den Neuronophagen niemals Zell¬ 
oder Dendritenreste gesehen, ganz im Gegensatz zu den Befunden Metschnikoffs 
(abgesehen von der Verschiedenheit der Größe der Neuronophagen und der eigent¬ 
lichen Phagocyten). Die Neuronophagen (die Bezeichnung ist eine recht unglück¬ 
liche) sind teils ektodermale (Gliazellen), teils mesodermale Gebilde. Sie sind 
oft schwer voneinander zu unterscheiden. Die Gliazellen spielen nur bei der 
Ersatzwucherung eine Rolle; die „Lymphocyten“ können vielleicht eine „Neurono- 
lyse“, nicht aber eine eigentliche „Neuronophagie“ verursachen. 

Eine echte Neuronophagie gibt es also nicht. 


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Pathologie des Nervensystems. 

4) Reflexepilepsie nach Sohweiflunputatlon, von Kramell. (Zeitschrift für 
Veterinärkunde. 1906. S. 498.) Ref.: Dexler (Prag). 

Verf. berichtet über epileptiforme Krämpfe bei einem Hünde, die reflektorisch 
von einer schlecht heilenden AmputationBwunde des Schwanzes ausgelöst wurden. 
Stieß das Tier damit an oder berührte man die Wunde Unsanft, so traten Zähne¬ 
knirschen, heftiges Zittern und am Kopf beginnende Muskelzuckungen ein. Dann 
fiel der Uund um, zappelte heftig und atmete angestrengt. Die Anfälle dauerten 
etwa 5 Minuten und kehrten nach sachgemäßer Behandlung des Schwanzstummels 
nicht wieder. 

5) Über Beflexepllepsie, von Urbantschitsoh. (Wiener klin. Wochenschrift. 
1906. S. 1160.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Nicht jeder reflektorisch ausgelöste „epileptische Anfall“ ist der „Reflex¬ 
epilepsie“ beizuzählen. Man muß scharf unterscheiden zwischen echter Epilepsie, 
bei der die Anfälle von einer entfernten Körperstelle ausgelöst werden, und 
zwischen epileptiformen Anfällen, die durch eine periphere Affektion zur Auslösung 
gelangen. Nur Anfälle letzterer Art gehören zur „Reflexepilepsie“, welcher Aus¬ 
druck überhaupt besser durch die Bezeichnung „reflektorisch-epileptiforme Anfälle“ 
ersetzt werde. Selbstverständlich gibt es aber auch bei der echten Epilepsie Fälle 
mit „epileptogenen Zonen“. Die Unterscheidung ist nicht immer leicht. 

Verf. berichtet über folgenden Fall: 

30jähriger, nicht belasteter, nicht neuropathischer Patient leidet seit dem 
15. Lebensjahre an anscheinend klassischer Epilepsie. Gelegentlich wurde eine 
Karies des Felsenbeines mit Cholesteatombildung entdeckt. Nach der Radikal* 
Operation zessierten die Anfälle etwa 4 Jahre völlig. Als sich wieder eine Krampf¬ 
attacke eingestellt hatte, konnte ein Rezidiv der Karies konstatiert werden. 
Operation brachte wieder vollständiges Wohlbefinden. 

Verf. bemerkt bei der Epikrise dieses Falles, daß gerade das Fehlen irgend¬ 
welcher belastender Momente oder einer neuropathischen Veranlagung für die 
Differentialdiagnose: Epilepsie oder reflektorisch-epileptiforme Krämpfe von Be¬ 
deutung sei. 

Verf. berichtet ferner über einen Fall von Epilepsie, der durch die günstige 
Beeinflussung von Laxantien auf das Leiden bemerkenswert erscheint, ferner durch 
den Umstand, daß während der Heilnngsdauer einer Armfraktur (etwa 4 Monate) 
die Anfälle völlig zessiert • hatten. 

Reichliche Literatnrangaben mit epikritischen Bemerkungen machen diesen 
auch für den Praktiker, nicht nnr für den Fachkollegen s. str. wichtigen Aufsatz 
noch lesenswerter. 

Verf. schließt, indem er besonders eindringlich auf die Wichtigkeit genauester 
Erhebung des Gesamtstatus somaticus hinweist. 

6) Beflexepllepsie bet Ohren* und Nasenerkrankungen , von Dozent Dr. 
Hugo Frey und Dozent Dr. Alfred Fuchs. (Arbeiten aus dem neurolog. 
Institut an d. Wiener Universität. XIII. 1907.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

Es ist dankenswert, daß die Autoren ihr in Lissabon erstattetes Referat auch 
weiteren Kreisen zugänglich machen; basiert es doch auf einer gründlichen uni¬ 
versellen Kenntnis der einschlägigen Literatur (92 Einzelbeobachtungen), sowie 
3t) eigenen Fällen dieser Art. Der strengen Kritik der Autoren halten nur eine 
beschränkte Zahl der Beobachtungen Stand (10 fremde, 4 eigene). Aber diese 
gestatten die Annahme, daß bei Kindern und Individuen, deren Gehirn eine 
Schädigung erlitten, welche eine Disposition für Epilepsie schafft, oder die an 
Epilepsie leiden, Nasen* und Ohrenerkrankungen wie andere peripherische Reize, 
vielleicht etwas leichter Anfälle auslösen. Durch entsprechende Behandlung können 

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demnach Anfälle sistiert werden (längate Wirksamkeit bisher 4 Jahre). Geheilt 
ist die Epilepsie damit nicht 

Wichtig ist jedoch in allen Fällen, naohznforschen, ob nicht solche Anfall 
auslösende Momente in Nase, Ohr und Rachen vorhanden sind, da sie offenbar 
leichter wirken als andere periphere Reize. 

7) Bemerkungen zur Ätiologie der Epilepsie, von Redlich. (Wiener med. 

Wochenschr. 1906. Nr. 22 u. 23.) Ref.: Pilcz (Wien). 

I. 31jährige, nicht belastete Frau, nie Fraisen, Schädeltrauma 0. Im achten 
Monate der ersten Schwangerschaft erster Anfall von Krämpfen mit Bewußtlosig¬ 
keit Während der Geburt kein Anfall. In der Folge seltene Anfälle, dann 
häufigere Attacken von Petit mal. Allmählich typisch-epileptische Charakter¬ 
veränderung. 

ü. 40jährige, nicht belastete Frau. Vor 10 Jahren Schwangerschaft, während 
derselben Anfälle von Bewußtlosigkeit ohne Konvulsionen; ähnliche leichte An¬ 
fälle später (meist menstruell). Vor 9 Jahren erster klassischer Anfall, seither 
häufig (auch meist menstruell) epileptische Attacken (das Kind aus jener Gravi¬ 
dität auch epileptisch). 

III. 29jährige Frau. Am Schlüsse einer Gravidität erster Anfall, seither 
epileptisch. 

IV. 30jährige Frau, wieder in der ersten Schwangerschaft erster epileptischer 
Anfall; seither häufigere Attacken. 

V. 31jährige Frau, 5 Wochen nach der Geburt (3. Schwangerschaft) erster 
Anfall; seither häufig; meist menstruell. Charakterveränderung. 

In diesen 5 Fällen ließ sich irgend ein anderes ätiologisches, disponierendes 
oder auslösendes Moment nicht nachweisen. 

VL 39jährige Frau, bis zum 7. Jahre Fraisen, die dann zessierten. Im Be¬ 
ginne der 4. Schwangerschaft epileptische Anfälle, welche in der Folge immer 
schwerer wurden. Wiederholt irrenanstaltsbedürftig. 

VII. 41jährige Frau, bis zum 5. Jahre Fraisen, dann frei davon. Während 
der Schwangerschaft manchmal leichte „Schwindelanfälle“. Am 9. Tage nach der 
Geburt Anfall von Bewußtlosigkeit (ohne konvulsive Elemente). Seither öfters 
Anfälle, Charakterveränderung. 

Niemals Bah Verf. eine zweifellose Eklampsie nachträglich in Epilepsie über¬ 
gehen. In der Frage der Indikation des Abortus bei Epilepsie während der 
Schwangerschaft steht Verf. durchaus auf dem v. Wagnersohen Standpunkte. 

VIII. 33jährige, nicht belastete Frau. Vor Uber 4 1 / a Jahren gravid; damals 
auch bandwurmleidend. 4 Monate post partum Bandwurmkur. Einige Tage später 
typische Attacke von haut mal (aber vielleicht, wie Patient angibt, schon früher 
leichte Schwindelanfälle). Seither nach mehr minder langen Pausen Anfälle, öfters 
durch eine Magenindisposition oder den Genuß eines Glases Bier ausgelöst. 

IX. 50jährige Frau, seit vielen Jahren an cirkulärem Irresein und neuraler 
Muskelatrophie leidend (vom Verf. schon seinerzeit publiziert; Wiener klin. Rund¬ 
schau. 1900. Nr. 13 u. 14), bekommt, anscheinend spontan, epileptische Anfälle. 
3 Jahre nach der ersten Attacke wurde ein Bandwurm bei der Patientin entdeckt 
und abgetrieben. 

Verf. nennt, gewiss mit Recht, einen Zusammenhang zwischen den beiden 
Affektionen recht wenig glaubwürdig, und rangiert diesen Fall zu jenen, wobei 
sich bei jahrelang bestehender Geisteskrankheit Epilepsie entwickelt (Näcke, 
Redlich u. a.). 

X. 62jähriger Mann, Vater mit 60 Jahren an Epilepsie erkrankt, Sohn des 
Pat. nach Schädeltrauma epileptisch. Mit 66 Jahren erster Anfall, die in sehr 
langen Zwischenräumen sich wiederholten. Einmal nachts, ob Anfall voraus- 

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B13 


gegangen nicht eroierbar, erwachte Pat. mit eigentümlichen Fremdheitsgefühle; 
hatte die Empfindung, als hätte er total das Gedächtnis verloren osw. 

XI. Hann, Ende der 60 er, mit 67 Jahren, nachdem konvulsive Anfälle schon 
seit Ende der 40er aufgetreten waren, erster „psychischer“ Anfall; wieder, wie 
bei Obs. X, Gefühl der Fremdartigkeit, des merkwürdig Veränderten, Un¬ 
bekannten usw. Ein konvulsiver Anfall vor oder naoh diesem Traumzustande 
liefi sich ausschließen. 

XII. 30jährige Frau, ätiologisch nichts eruierbar. % Jahr nach der Impfung 
enter Anfall, seither Epileptika. Verf. nimmt hier einen Zusammenhang zwischen 
Vaccination und Fallsucht nicht an. 

Xm 9jähriger Knabe, mit 11 Monaten Zuokungen mit Bewußtlosigkeit. 
Seither sehr seltene und ganz leichte Anfälle. 8 Tage naoh der Impfung, im 
7. Jahre, schweres Fieber mit 6tat de mal. Seither regelmäßig häufige Anfälle. 

Hier kann angenommen werden, daß die Vaccination, bzw. die Infektion bei 
derselben eine Verschlimmerung herbeigeführt; freilich — setzt Verf hinzu — 
kann auch ohne ein solches Vorkommnis spontan eine gleiche Verschlimmerung 
im Verlaufe einer Epilepsie sich einstellen. Ref. möchte in Anbetracht der nie 
aussterbenden Impfgegner, diese Bemerkung besonders begrüßen. 

Zahlreiche interessante Einzelheiten und epikritische Bemerkungen mögen im 
Originale nachgelesen werden. 

8) Statistisoher Beitrag nur Ätiologie der Epilepsie, von K. Sieb old. (Psych.- 
neur. Wochenschr. 1906. Nr. 16 bis 18.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. kommt zu folgenden Schlüssen aus seinen Erhebungen: 

1. In der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Uohtspringe (Prof. Alt) sind vom 
1. April 1899 bis 1. April 1906 913 Epileptiker neu aufgenommen word^; hier¬ 
von gehören 59,2 % dem männlichen und 40,8 °/ 0 dem weiblichen Geschlecht an. 

2. 83 % sämtlicher Epileptiker erkrankten vor dem 20. Jahre. Im ersten 
Dezennium ist das männliche, im zweiten dos weibliche Geschlecht mehr beteiligt. 

3. Bei einem Viertel des Gesamtmateriales war kein ursächliches Moment 
angegeben; von den übrigen lag bei 55,2% erbliche Belastung vor; diese ist 
für das männliche Geschlecht verhängnisvoller als für das weibliche und scheint 
häufiger im Sinne der gekreuzten Vererbung in Erscheinung zu treten. Belastete 
Individuen erkrankten früher an Epilepsie als Unbelastete. Die Belastung von 
seiten der Mutter ist häufiger und gefährlicher alB die vom Vater ausgehende. 

4. Neuropsychopathische Belastung fand sich bei 34,8%, nur % häufiger 
beim männlichen als beim weiblichen Geschlecht (21,8% gegenüber 13,6%). 
Konsanguinität der Eltern (bzw. Großeltern) lag in 3% der Fälle vor; die Bluts¬ 
verwandtschaft in der Ascendenz scheint für den männlichen Nachwuchs gefähr¬ 
licher zu sein als für den weiblichen. 

In 42 % der Epileptiker bestand die gleichartige Erkrankung in der nächsten 
Blutsverwandtschaft, und zwar bei Weibern häufiger als bei Männern. 

6. Alkoholabusus der Eltern ist in 18,8% der Epileptiker nachgewiesen; in 
der männlichen Nachkommenschaft doppelt so häufig wie in der weiblichen. 
Alkoholismus der Erzeuger ist als Ursache der Epilepsie ungleich verhängnisvoller 
als eigene, erworbene Alkoholvergiftung (18,8% gegenüber 2,9 %). 

6. Erworbene Ursachen fanden sich in 30% der Fälle, und zwar fällt hier 
den Infektionskrankheiten (16%) große Bedeutung zu; es berechtigt diese Tat¬ 
sache zu der Hoffnung, daß hier die Serumtherapie Erfolge zeitigen wird. Ein 
körperliches Trauma wurde in 10% der Fälle gefunden, und zwar wiederum zu 
ungunsten des männlichen Geschlechtes. Dem Alkohol fällt als selbständig Epi¬ 
lepsie erzeugendem Faktor nur eine unwesentliche Bedeutung zu (2,9% der Ge¬ 
samtzahl). 

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7. Den ersten Anfall auslösende Ursachen wurden gefunden in 27,5°/ 0 sämt¬ 
licher Epileptiker. 

0) I/dpilepsle et la migraine, par Prof. P. Kovalevsky. (Arch. de neurolog. 

XXI. 1906. Nr. 125.) Bef.:- S. Stier (Rapperswil). 

Verf., der bereits in einer vor 8 Jahren erschienenen Monographie öber die 
Migräne für die genetische Verwandtschaft zwischen Epilepsie und Migräne ein- 
getreten ist, teilt hier einen Fall seiner Beobachtung mit, der auch außer der 
Kombination von Migräne- und Epilepsieattacken Interessantes bietet. 

37jährige Patientin, schwer belastet, in der Kindheit Eklampsie; seit dem 
8. Lebensjahr typische Migräneanfälle, zunächst etwa 3 bis 4 mal jährlioh sich 
wiederholend. Gute Intelligenz; eigentümlicher Charakter. Mit 20 Jahren Heirat. 
Keine Kinder. Sexuell sehr erregbar. Vom 30. Jahr an unmotivierte Wutanfälle. 
Im 32. Jahr während eines Coitus fühlte sich Patientin plötzlich ganz von blutig- 
rotem Licht umgeben; dies etwa 1 Sekunde, dann traten epileptische Krämpfe 
ein, darauf Amnesie. Nach 3 Tagen Wiederholung des gleichen Vorganges. 
2 Jahre Bpäter neues Phänomen; Migräneanfälle häufiger, endigten stets mit 
Vomitus und Schwindel. Im Moment des Schwindelgefübles rote Lichterscheinung 
wie früher, dann Konvulsionen mit Bewußtseinsverlust und nachfolgender Amnesie. 
Später Lichterscheinungen spontan auftretend, 2 bis 3 Minuten dauernd, endigten 
im epileptischen Anfall. In folgenden Jahren Lichterscheinungen bisweilen spontan 
und ganz isoliert oder mit nachfolgenden Konvulsionen. 

Verf. kommt zu folgenden allgemeinen Schlüssen: 

1. In gewissen Fällen können Migräne und Epilepsie kombiniert und für 
einander auftreten. 

2. Diese Kombination selbst zeigt ihre Gleichartigkeit und nahe Verwandt¬ 
schaft. f 

3. ln gewissen Fällen tritt der epileptische Anfall in engem Zusammenhang 
mit dem Sexualakte auf; er kann am Schluß des Coitus an Stelle der Wollust¬ 
empfindung eintreten. 

4. Unvollständige epileptische Anfälle kommen bisweilen allein in Form der 
Aura vor, die sonst bei dem betreffenden Patienten den Anfall einleitet. 

5. Die bisweilen ganz unmotiviert auftretenden Zorn- und Wutausbrüche der 
Epileptiker können epileptische Äquivalente darstellen. 

10) On the association of epilepsy with musoular oonditions Atting best 

into the oadre of tbe myopathies, by Onuf Onufrowicz. (Journ. of 

Nerv, and Ment. Dis. 1906. Januar.) Bef.: M. Bloch (Berlin). 

Gelegentlich einer Untersuchung der Cirkulation und der Magenverdauung 
bei idiopathischer Epilepsie fand Verf. unter 14 Fällen, die bei oberflächlicher 
Prüfung als idiopathische Epilepsie imponiert hatten, bei 6 Patienten auffallende 
Störungen von seiten der Muskulatur, die, wenn auch in manchen Punkten ab¬ 
weichend, doch am besten zu den primären Myopathien gerechnet werden mußten. 
Nur in 2 Fällen ließen sich mit Wahrscheinlichkeit hereditäre Momente für die 
Auffassung der Störungen in genanntem Sinne feststellen. 

Eine Zusammenstellung der aufgefundenen Symptome ergibt folgendes: 

1. Flügelförmiges Abstehen der Scapulae, hauptsächlich bedingt durch 
Schwäche der Cucullares, möglicherweise auch der Serrati, Bhomboidei und des 
Levator anguli scapulae. 

2. Atrophien der Supra- und Infraspinati, gelegentlich auch der Deltoidei 
und anderer Muskeln des Schultergürtels. 

3. Lordose der Lendenwirbelsäule beim Stehen, die beim Sitzen ausge¬ 
glichen wird. 

4. Pes valgus. 

5. In 2 Fällen Beteiligung der Gesichtsmuskulatur. 

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6. Elektrische Veränderungen, am häufigsten in Form einer Umkehr der 
Zuckung8fbrmel, besonders am Deltamuskel. 

7. In 2 Fällen fibrilläre Zuckungen. 

Grad und Ausdehnung der genannten Störungen wechselten bei den ver¬ 
schiedenen Patienten. Das Krankheitsbild paßt trotz der 4 mal nachgewiesenen 
qualitativen elektrischen Veränderungen und der fibrillären Zuckungen bei zwei 
Patienten am besten zum Bilde der primären Myopathien. 

Das interessanteste Moment bei den Beobachtungen des Verf.’s ist die Kom¬ 
plikation mit Epilepsie, und es entsteht die Frage, ob letztere unter diesen Um¬ 
ständen als idiopathische bezeichnet werden darf; Verf. bejaht die Frage für den 
Fall, daß spinale Prozesse auszuschließen sind. Eine weitere Frage ist, ob die 
Störungen des muskulären Apparates Folgen der Epilepsie sind. (Ref. hat während 
seiner Tätigkeit an der Mendel sehen Poliklinik einen Fall beobachtet, bei dem 
sich nach jahrelangem Bestehen einer Dystrophie schwere Anfälle — allerdings 
hystero-epileptischen Charakters — entwickelten, deren erster nach Einleitung 
einer Hypnose aufgetreten war.) Spratling hat dem Verf. eine Beobachtung 
mitgeteilt, die das Auftreten einer Myopathie im Gefolge einer schweren Epilepsie 
betrifft. 

11) Oertain aspeota of the differential diagnosis between epilepsy and 
hyBterla, by Dr. Putnam and Waterman. (Department of Neurology, 
Harvard medical School. 1906.) Ref.: Baumann (Breslau). 

Die Verff. publizieren eine Anzahl von Fällen, um den Nachweis zu führen, 
wie schwer oft eine Differentialdiagnose zwischen Epilepsie und Hysterie ist. 
Namentlich bei den Kranken mit Anfällen von Petit mal ist die Differential¬ 
diagnose oft schwer. Häufig muß dabei die Freudsche Explorationsmethode 
bzw. die Hypnose entscheiden. Verschiedene Autoren von namhaftem Ruf be¬ 
haupten zwar, daß auch epileptische Anfälle durch Hypnose therapeutisch gut 
beeinflußt werden könnten. Crocq hingegen leugnet diese Möglichkeit ab und 
erklärt die Erfolge damit, daß es sich eben nicht um genuine Epilepsie, sondern 
um hysteriforme Erscheinungen gehandelt habe. Wir kennen eben zu wenig die 
Physiologie des epileptischen Anfalles in seinen verschiedenen Formen, um im¬ 
stande zu sein, eine scharfe Unterscheidung zwischen solch einem Anfall im Ver> 
lauf einer Hysterie und einem anderen bei genuiner Epilepsie zu treffen. Misch- 
formen mag man zulassen in dem Sinne, daß ein und derselbe Patient Epilepsie 
und Hysterie zu gleicher Zeit hat, aber man darf keinen eigentlichen Zwischen- 
zuatand annehmen: teils Hysterie, teils Epilepsie. 

12) Beoherohes mierobiologiques zur l’öpilepsie, par M. Bra. (Arch. de 
neurolog. XX. 1905. Nr. 120.) Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

Verf. hat in einer vor 3 Jahren veröffentlichten Arbeit (vgl. d. Centralblatt. 
1903. S. 367) im Blute Epileptischer die von ihm als Neurokokken bezeichneten 
Mikroorganismen nachgewiesen und denselben pathogene Bedeutung für den epi¬ 
leptischen Anfall zugesprochen. Seine Entdeckung ist seither von Besta, Lan- 
nois und Lesieur, Ghiliarowsky, Tirelli und Brossa nachgeprüft worden, 
fast durchweg mit negativem Resultat. In der vorliegenden Arbeit unterwirft 
Verf. diese Nachprüfungen einer eingehenden Kritik. Er sieht die Ursache der 
negativen Ergebnisse in Fehlern der Technik und beschreibt seine Untersuchungs- 
anordnung, deren Einzelheiten im Original eingesehen werden müssen, in ausführ¬ 
licher Weise. 

13) I. Blutserum der Epileptiker, von C. Ceni. (Riv. sper. di Freniatr. XXXII.) 

II. Blutserum der Epileptiker, von C. Besta. (Rif. med. XXII. Nr. 43.) 

III. Blutdruck, Puls und Temperatur der Epileptiker, von C. Besta. 
(Riv. sperim. di Freniatr. XXXII.) Ref. nach der Revue neurol. 1907. Nr. 3 
von Kurt MendeL 

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ad 1: Im Blutserum der Epileptiker befinden sich Präzipitine, welche spezifisch 
zu sein scheinen. Mit diesem Serum gelingt es allerdings nicht beim Tiere epi- 
leptiforme Krämpfe zu erzeugen. 

ad II: Bei Epileptikern ist das Fibrinferment des Blutes stark vermindert. 
Da dasselbe aber eine starke Wärmemenge besitzt, so vermag diese, da vermindert, 
beim Epileptiker nicht den gewöhnlichen besänftigenden Einfluß auf die Nerven* 
zellen auszuüben. Die Veränderung des Blutserums bei Epilepsie scheint demnach 
dank der Wärmeverminderung die notwendige Bedingung zur Erzeugung der 
Krämpfe zu Bein. Es handelt sich aladann um abnorme Reaktionen seitens des 
Cortes auf die Wärmeherabsetzung. 

ad III: Bei den Epileptikern werden der Blutdruck, Puls und Temperatur 
nicht merklich beeinflußt durch die physiologischen Momente (Verdauung, Buhe, 
Sohlaf usw.) oder durch die Anfälle, und zwar weder bei der Jacksonsehen oder 
traumatischen, noch bei der genuinen Epilepsie. Vor dem Anfall sind merkliche 
Änderungen des Blutdruckes nicht zu konstatieren. Die Anfälle können daher 
nicht die Funktion haben, eine Anhäufung cirkulierender Toxine zu zerstören 
oder zu eliminieren. 

14) Untersuchungen Aber Isolyse bei Hysterisohen and Epileptischen, 

von C. Tod de. (Arch. di Psichiatria, Neuropatologia, Antropologia criminale. 
XXVII. 1906.) Bef: E. Oberndörffer (Berlin). 

Die an 6 Hysterischen und 15 Epileptischen ausgeführten Studien ergaben, 
daß bei der enteren Krankheit die Hämolyse der Erythrocyten etwas leichter 
eintritt als beim Gesunden, und zwar vielleicht im Zusammenhang mit dem Auf¬ 
treten von Anfällen. Das gleiche Verhalten in noch stärkerem Grade zeigte das 
Blut der Epileptiker, doch war hier kein Einfluß der Anfälle nachweisbar. Das 
Serum dieser Kranken hatte in 9 von 15 Fällen eine geringe isolytische Wirkung 
auf normale Erythrocyten. Diagnostisch kann dieser Befund, wie Verf. selbst 
betont, zunächst nicht verwertet werden. 

15) Witterungseinflüsse bei Epileptischen, von Dr. G. Lomer. (Archiv für 

Psychiatrie. XLL 1906.) Bef: G. Ilberg. 

Verf. hat in einer nur wenige Meter über der Seehöhe gelegenen Anstalt 
während der Monate Mai, Juni und Juli die epileptischen Krampf- und Sohwindel- 
anfälle gezählt und festgestellt, wie sich die Anfälle auf die einzelnen Stunden 
des Tages und der Nacht verteilten. Auch hat er die Luftdruckziffern am Aneroid¬ 
barometer 4 mal in 24 Stunden abgelesen. Mit Vorliebe traten die Anfälle immer 
dann auf, wenn ein Steigen oder Fallen des Luftdruckes einsetzte; gerade zu 
diesen Zeiten wuchs auch die Zahl der Anfälle. 

16) Über Halbseitenersoheinangen bei der genuinen Epilepsie, von Prof Dr. 

Emil Redlich in Wien. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) 

Bef.: Heinicke (Großschweidnitz). 

Um zur Klärung der Frage beizutragen, ob für alle oder einen Teil der 
Fälle sogenannter genuiner Epilepsie eine anatomische Läsion des Gehirns vor- 
auszusetzen sei, untersuchte Verf., da anatomisches derartiges Material in ge¬ 
nügender Zahl und genügend gründlicher Untersuchung nicht leicht beizubringen 
ist, klinisch eine große Reihe derartiger Fälle. Er ging dabei von der Erwägung 
aus: „Liegt der genuinen Epilepsie wirklich eine anatomische Läsion zugrunde, 
dann müssen sich bei derartigen Kranken auch Anzeichen einer cerebralen Läsion 
nachweisen lassen.“ 

Verf. fand seine Vermutungen bestätigt; er nimmt für Fälle genuiner Epi* 
lepsie mit ausgesprochenen hemiparetischen Zeichen, mögen sie nun vorwiegend 
als Erschöpfungssymptome auftreten oder unabhängig von den Anfällen als 
dauernde, intervalläre Erscheinungen sich behaupten, eine anatomische Läsion in 
der Nähe der motorischen Hirnrinde der einen oder selbst beider Hemisphären an. 


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Bei den negativen Fällen liegt nach Ansicht des Verf.’s die zu supponierende 
Hirnläsion nicht in der motorischen Hirnrinde, sondern in anderen Partien des 
Gehirns, z. B. in der Sprachgegend da, wo bloß aphasische Störungen sioh zeigen, 
in sensorischen Rindenpartien, wo z. B. Hemianopsie vorübergehend zurückbleibt 
oder in stummen Gegenden, dies sind solche, deren Läsion uns mit Hilfe unserer 
heutigen klinischen Untersuchungsmethoden noch nicht nachweisbar ist. 

17) Epileptiforme Krämpfe bei Diabetes mellitus, von Dr. Alfons Stauder. 
(Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 35.) Ref: EL Asch. 

Bei einer 53jährigen Näherin bestand sehr heftiger Pruritus vaginae, der 
auf einen sehr hohen Zuckergehalt des Urins (6,6 °/ 0 ) zurückgeführt werden 
konnte. Unter geeigneter Behandlung Besserung des Durstes und Juckreizes und 
Verminderung des Zuckers. Aceton und Acetessigsäure fehlten dauernd. Später 
heftige Schwindelanfälle mit Stirnkopfschmerz und halbseitigen Krämpfen in Hals-, 
Schulter- und Oberarmmuskeln. Während eines beobachteten Anfalles, der drei 
Minuten dauerte, stockte die Sprache, war das Bewußtsein erloschen und standen 
die Augen starr im linken Augenwinkel. Dabei wurde der linke' Arm plötzlich 
rechtwinklig gebeugt, proniert und bis zur Horizontalen erhoben. An dem gleichen 
Tag wiederholten sich die Anfälle unter großen Schmerzen noch 5mal, insgesamt 
traten innerhalb einer Woche 13 Anfälle auf. Nach 8 Tagen 2,8 °/ 0 Zucker, 
ferner Aceton und Acetonessigsäure und minimale Spuren von Eiweiß im Urin. 
Eine neurologische Untersuchung ergab ein im großen und ganzen negatives 
Resoltat. Unter großen Alkalimengen gingen die Krämpfe zurück. Offenbar 
waren dieselben durch starke Vermehrung des Acetongehaltes des Blutes hervor¬ 
gerufen. Meist sind derartige Fälle prognostisch ungünstig und sind dieselben 
wahrscheinlich als beginnendes Koma anzusehen und demgemäß zu behandeln. 

18) Hyperohlorhydrle aveo dptlepsie, par A. Robin. (Journ. de mödeoine et 
de chir. pratiques. 1906. 10. Nov.) Refer. nach der Revue neurol. 1907. 
Nr. 3 von Kurt Mendel. 

Verf. beschreibt einen Fall von Epilepsie, welcher durch Hyperohlorbydrie 
kompliziert war. Die Behandlung der Dyspepsie hatte eine deutliche Besserung 
der Epilepsie zur Folge. 

18) Katameniale Epilepsie, von M. Levi-ßianchini. (Arch. di Psiohiatria, 
Neuropatolog., Antropolog. crimin. XXVII. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer. 
Eine 3ljähr. Frau, welche im Anschluß an eine starke Gemütserschütterung 
die Menstruation plötzlich verlor, erkrankte unmittelbar darauf an epileptischen 
Anfällen, welche bezüglich des zeitlichen Auftretens und der Dauer genau der 
Periode entsprachen. Diese letztere wird also bei der Patientin durch nervöse 
Reaktionen substituiert, welche infolge der vorangegangenen psychischen Alteration 
einen krankhaften Charakter angenommen haben. 

20) Grosseue et puerpöralitö ohez nne öplleptique atteinte de ohoröe an- 
eienne, par Dr. Arsimoles. (Arch. de neurologie. XXI. 1906. Nr. 128.) 
Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

Der Fall betrifft eine 35 jährige Primipara, welche, ohne nachweisbare Here¬ 
dität, von Jugend auf schwachsinnig, im 13. Jahre während der ersten Menstruation 
einen typischen epileptischen Anfall erlitt. Bald darnach traten choreiforme Be¬ 
wegungen auf, die ganz der von P. Blocq gegebenen Definition der Chorea 
electrica entsprachen: unwillkürliche, stoßweise auftretende klonische Muskel¬ 
kontraktionen, von allgemeiner Ausbreitung mit Bevorzugung des Gesichtes, ohne 
Rhythmus, in unregelmäßigen Intervallen sich wiederholend. 

In etwa 14 tägigen Zwischenräumen folgten weitere epileptische Attacken; 
stets 2 bis 3 Tage vor Eintritt derselben Steigerung der choreatischen Zuckungen, 
die während 4 bis 5 Tagen nach dem Anfall wieder schwächer waren. 

ln der Gravidität trat nun Häufung der Krisen ein ohne sonstige Änderung 

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in Ablauf und Form derselben. Während des 2 Tage dauernden, im übrigen 
ganz normal verlaufenden Geburtsaktes Aufhören aller Erampfbewegnngen, die — 
von seltenen leichten ticartigen Zuckungen im Facialis abgesehen — auch 3 bis 
4 Tage nach der Geburt anhielt. Am 5. Tage allmähliches Ansteigen der chorea¬ 
tischen Agitation, am 6. Tage wieder epileptischer Anfall. Danach laufen Epilepsie 
und Chorea wieder genau in der früher beobachteten Weise ab. 

Der Fall ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einmal durch die Kom¬ 
bination von Chorea electrica mit Epilepsie, welch letztere gewissermaßen den 
Höhepunkt der motorischen Erregung darstellt. Dann durch das Zusammentreffen 
mit Gravidität und Puerperium und dessen mildernden Einfluß auf die chorei¬ 
formen Bewegungen (im Gegensatz zu den bei der Chorea gravidarum gemachten 
Erfahrungen). 

Verf. erklärt diese günstige Einwirkung dadurch, daß die ständige Über¬ 
erregbarkeit der motorischen Centren durch die physiologischen Krampfbewegungen 
in der Genital- und Abdominalmuskulatur eine vorübergehende Ableitung erfährt. 

21) Oeburtsstörungen und Epilepsie, von Vollend. (Allg. Zeitschr. f. Psych. 

LXI1I.) Ref.: Zingerle (Graz). 

Zur Untersuchung der Frage, ob Störungen im normalen Geburtsverlaufe 
einen prädisponierenden Faktor für die Entstehung der Epilepsie bilden, hat 
Verf. 1600 Fälle der Anstalt für Epileptische in Bethel einer Bearbeitung unter¬ 
zogen und ist dabei zu folgenden Resultaten gekommen: Im Vergleiche zu der 
großen Häufigkeit der Epilepsie spielen bei der Ätiologie derselben die Geburts¬ 
störungen nur eine untergeordnete Rolle. Aber in einer kleinen Anzahl von 
Fällen sind die Geburtsstörungen als vorbereitende Ursache für die spätere Epi¬ 
lepsie anzuschuldigen. Durch die traumatischen Schädigungen des Kopfes während 
der Geburt kann der Boden für den gesteigerten ErregbarkeitszuBtand des Ge* 
hirnes geschaffen werden, der sich in Form des epileptischen Leidens äußert. Die 
Entwickelung kann sich in der ersten Kindheit normal vollziehen, bis plötzlich 
mit oder ohne Gelegenheitsursache der epileptische Anfall sich einstellt. Besonders 
disponierend hierfür sind die Zeiten, in denen sich physiologische Umwälzungen 
im Organismus vollziehen, namentlich die Zeit der Dentition und Pubertät, und 
ist in diesen in Hinsicht auf die Prophylaxe der Epilepsie eine besondere hygie¬ 
nische Überwachung des Kindes erforderlich. 

22) Note sur les rövea öplleptiquea, par Ch. F6rö. (Revue de m6d. 1905. 

S. 670.) Ref.: Eduard Müller (Breslau). 

Der Schlaf der Epileptiker wird häufig durch schreckhafte Träume gestört. 
Außerdem gehen den nächtlichen Anfällen nicht selten stereotype Träume voran. 
Einem Kranken des Verf.'s träumte z. B. vor jedem Anfall, daß er in einen Ab¬ 
grund stürzt; beim Erwachen bemerkte er Zungenbiß und Bettnässen, hatte aber 
Amnesie, von dem Traum abgesehen. Angstträume können epileptische Äquiva¬ 
lente darstellen. Eine sichere Entscheidung darüber ist aber schwierig, weil sie 
sich in derselben Weise auch bei hysterischen, neurasthenischen Zuständen finden 
können. Manchmal verbinden sich die epileptischen Träume mit Schwindel und 
Zeichen postparoxysmaler Erschöpfung. 

23) Crises de petlt mal epileptique aveo aura paramnösique. Illusion de 

fausse reoonnaissanoe, par J. Säglas. (Revue neurologique. 1907. Nr. 1.) 

Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Mitteilung eines Falles, in dem es zu anfallsweisem Auftreten identifizierender 
Erinnerungsfälschung kam; diese Anfälle sollen unvermittelt zu kommen pflegen, 
und zwar besonders in ermüdetem, hypnagogem und schlaftrunkenem Zustande, 
nach Emotionen, auch bei brüskem Innehalten nach schnellem Gehen. Meist sind 
diese Anfälle von Paramnesie Vorläufer einer Absence vom Typus der epilep¬ 
tischen, mit nachfolgender Amnesie (zweimal waren die Anfälle auch begleitet 

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von Zusammenstürzen und schwerer Bewußtseinstrübung). Keine hysterischen 
Stigmen. Konvulsionen in der Kindheit. Zeichen allgemeiner minderwertiger 
Veranlagung. Verf. steht nicht an, die Anfälle als epileptische und speziell die 
Episoden identifizierender ErinnerungBfälschung als Äuraerscheinung zu deuten 
und bringt seinen Kasus in eine gewisse Parallele mit einem von Hughlings 
Jackson. (Bef erinnert auch an die einschlägige Mitteilung von Pick. Ein 
weiterer derartiger — nicht publizierter — Fall wurde übrigens von Pilcz im 
Ambulatorium der I. psychiatrischen Klinik in Wien beobachtet.) 

24) Beitrag nur Symptomatologie des Petit mal, von Bresler. (Psychiatr.- 
neurolog. Wochenschr. 1906. Nr. 21.) Bef.: Kurt Mendel. 

Patientin, 33 Jahre alt, stammt von trunksüchtiger Mutter mit ebensolchen 
Großeltern mütterlicherseits. Von Kindheit an Krämpfe, allgemeiner Tremor, 
Ataxie und Schwachsinn. Schon in früheren Jahren hochgradige Häufung der 
Absencen, einmal wurden ihrer 1000 an einem Tage und 270 in der darauf« 
folgenden Nacht gezählt, an den nächsten Tagen 800, 800 und 500. Dauer 
10 Sekunden bis 1 / 2 Minute. Zeitweise auch vollentwickelte epileptische Anfälle. 
Bei diesen Absencen Zuckungen und Schüttelbewegungen der Arme und Beine 
und Wendung der Bulbi nach links oben; ruft man die Patientin an, so vermag 
sie während der Zuckungen sofort den Fragenden anzublicken. Bei intensiveren 
Anfällen leichte Gesichtsrötung, Pupillenerweiterung und Pulsbeschleunigung. Auf* 
gefordert zu zählen, erfährt Patientin bei 11 eine Absence, zählt noch „12“, 
trotz Anrufen mit „weiter“ aber hört sie etwa 2 Sekunden auf und fährt dann 
mit „11, 12“ einsetzend richtig fort. Elin zweites Mal gelingt es unter Anrufen 
mit „weiter“, daß sie während des Anfalles von 15 bis 18 weiterzählt. Im Her* 
sagen des Vaterunser wird Patientin durch den Anfall nicht unterbrochen, ebenso¬ 
wenig im Zeichnen von Grundstrichen auf das Papier, das sie im Anfall weiter 
fortführt. Das Ticken der während des Anfalles an das Ohr gehaltenen Taschen¬ 
uhr nimmt sie während des Anfalles nicht wahr. Dagegen dreht sie sich noch 
innerhalb der Absence um, als hinter ihren Kopfe an einen Lampenschirm ge¬ 
klopft wird. 

Durch diese Untersuchungsresultate dürfte wohl erwiesen sein, daß Absencen 
eine Handlung, wenigstens eine einfache mechanische, nicht notwendig unter¬ 
brechen müssen, ebensowenig eine Wahrnehmung. 

26) ▲ oase of somnolentia (sleep drunkeness), by Dr. Taylor. (Department 
ofNeurology, Harvard Med. School. 1906.) Bef.: Baumann (Breslau). 

Der beschriebene Patient verließ eines Nachts, getrieben von einem unwider¬ 
stehlichen Impulse, sein Bett, ging zum Fenster und kletterte an der Dachrinne 
herab. Unten angekommen, begriff er sofort seine Situation und wunderte sich, 
wie er heruntergekommen sei. Alle Einzelheiten vermochte er jedoch gut zu er¬ 
zählen. Derartige Vorkommnisse ereigneten sich bei dem Pat. öfter. Interessant 
ist dabei der zweckmäßige Charakter aller Handlungen unter dem Einfluß von 
Furoht. Verf stellt die Diagnose auf „Sleep-drunkeness or somnolentia“. Ähn¬ 
liche Zustände sind die Nachtfurcht der Kinder, die hysterischen Zustände mit 
Verdoppelung des Bewußtseins. Manohe Autoren haben derartige Vorkommnisse 
als epileptisches Äquivalent bzw. als Zwischenstufe von Somnambulismus und 
hysterischen Zuständen aufgefaßt. 

26) Weitere Beiträge zur Poriomanie, von Docent Julius Donath. (Archiv 
f. Psych. u. Nervenkrankh. XLII. 1907.) Bef.: Heinicke (Großschweidnitz). 
Verf. macht uns mit drei Krankengeschichten vertraut, in denen uns jedes¬ 
mal als besonders auffälliges Symptom Poriomanie entgegentritt. 

Dieselbe ist im ersten Fall als Teilerscheinung einer durch ein schweres 
Kopftrauma erzeugten Epilepsie aufzufassen. Der zweite Kranke ist wohl auch 
Epileptiker; er hat zwar nie Krämpfe gehabt, aber nach vorausgegangenem Kopf- 

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schmerz und Saasen führte er eine 3 tägige Wanderung ans, bezüglich welcher 
eine vollständige Amnesie bestand, nnd dieselben Erscheinungen wiederholten sich 
auch noch einmal. 

Im dritten Fall ist der Wandertrieb nicht auf eine epileptische Grundlage 
zurüokzuführen; die Eirinnerung an die Wanderung mit ihren kleinsten Details 
erscheint vollständig lückenlos; die Poriomanie ist hier bedingt durch einen 
psychasthenischen Zustand, der sich nach Ansicht des Verf.’s auf degenerativer 
Basis entwickelt hat. 

27) Über den Bewußtseinszustand während der Fugnee, von Woltär. (Jahr¬ 
bücher f. Psych. u. Neur. XXVII. 1906.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Am 20. Februar 1905 wurde ein 25jähriger, wegen Brandstiftung gerichtlieh 
belangter, auf Grund eines gerichtsärztlichen Gutachtens aber exkulpierter Patient 
der Klinik übergeben. Bei Aufnahme gab derselbe korrekte sinngemäße anam¬ 
nestische Angaben, bot somatischerseits nichts Abnormes, speziell keine Stigmen. 
Er erzählt, daß er bis 13./I. d. J. bei der Bahn gearbeitet habe; in der letzten 
Zeit gefiel ihm der Dienst nicht, er habe auch Streit mit der Schwester gehabt, 
ging davon, verdiente sich seinen Unterhalt als Hilfsarbeiter bei Kutschern; einmal 
ward er von einem Bauer', den er um ein Nachtlager angegangen hatte, ab¬ 
gewiesen, was ihn so auf brachte, daß er einen Strohschober anzündete. Er stellte 
sich selbst der Polizei. 

Am 3. Tage des Spitalsaufenthaltes Besuoh seitens der Schwester. Pat. wollte 
davon nichts wissen, er sage sich von seiner Schwester los nsw. An den Vater 
schrieb er einen Brief, in dem er wegen der Brandlegung um Verzeihung bat. 

Am 27./II. 1905 wieder Besuoh der Schwester, vom Pat. freundlich empfangen. 
Befragt, warum er das erstemal so abweisend war, erklärt er, nichts davon zu 
wissen, die Schwester sei doch zum erstenmal hier. Am näehsten Tage stellte 
sioh nun heraus, daß der Kranke vollkommen amnestisch war für sämtliche Vor¬ 
gänge von der Entfernung aus dem schwesterlichen Hause an biB zur Einlieferung; 
für die Vorgänge während des Spitalsaufenthaltes nur höchst summarische Er¬ 
innerung, wußte auch nicht, wie und warum er zur Polizei gekommen sei; den 
Brief an seinen Vater agnoszierte er als von seiner Hand geschrieben, aber konnte 
sich nicht erklären, was für einen „Unsinn“ er da geschrieben. 

In der Hypnose stellte sich volle Erinnerung wieder her und blieb nun auch 
(posthypnotisch) dauernd erhalten. Anamnestisch ergab sich noch, daß Pat. auch 
schon 1904 einen ähnlichen Dämmerzustand mit Fugue durchgemacht hatte. 

Der Fall ist nicht nur höchst bemerkenswert ob der ungewöhnlich langen 
Dauer des Dämmerzustandes (13. Januar bis 28. Februar), sondern vor allem 
wegen des Umstandes, daß während der Psychose (oder wenigstens während des 
größten Zeitabschnittes derselben) so wenig Auffälligkeiten an dem Patienten sich 
bemerkbar machten, daß die Gerichtsärzte die Fugue für abgelaufen hielten, daß 
andererseits Untersuchungsrichter und Kerkermeister den Mann als geistig voll¬ 
kommen normal betrachteten. 

Die vorliegende Publikation, die schon an sich als Kasuistik ein hohes Inter- 
esse gewiß beanspruchen darf, gewinnt noch mehr Wert durch die ungemein 
feinsinnige psychologische Analyse des Falles, auf die im Rahmen eines Referates 
nicht weiter eingegangen werden kann. 

Gewiß wird man Verf. auch in der Auffassung des Falles als einer hysteri¬ 
schen (und nicht epileptischen) Fugue vollständig beipflichten. 

28) Intelllgensprüfungen bei epileptischem Schwachsinn, von Dr. Erioh 

Noack. (Inaug.-Dissert. 1905.) Ref.: Bratz (Wuhlgarten). 

Verf. hat auf Anregung von Ziehen in seiner Dissertation bei 10 Epilep¬ 
tikern Intelligenzprüfungen angestellt. Dieselben sind nach dem von Seiffer im 
Archiv für Psychiatrie XL beschriebenen Schema ausgeführt. Die Untersuchungen 

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verdienen durch ihre sorgfältigen Ausführungen wie durch ihre knappe, aber 
exakte Darstellung unser Interesse. Folgerungen lassen sich, wie auch Verf. 
hervorhebt, aus einem kleinen Materiale nicht in jeder Richtung ziehen. Verf. 
deutet als seine Meinung an, daß der Intelligenzausfall bei Epileptischen, die 
schon während des Schulunterrichtes erkranken, relativ geringer sein wird, weil 
hier der Schulunterricht immer wieder die Lücken ausfülle, welche die Krankheit 
hervorbringt. Die Richtigkeit dieser Meinung möchte ich bezweifeln, da der 
Unterricht doch nur Material an Sohulkenntnissen wieder ausfüllen kann. Alle 
Fnnktionen des Intelligenzlebens, wie Gedächtnis, Assoziation usw. aber werden 
durch die Epilepsie im sohulpfliohtigen Alter um so schwerer geschädigt, als nicht 
nur Lücken gerissen, sondern auch die Entwicklung gehemmt wird. 

Aus dem Fall eines seit. 12 Jahren epileptischen Akademikers ersieht Verf., 
daß eine gute Intelligenz durch zahlreiche Attacken in langen Jahren zwar auch 
geschädigt wird, daß aber diese Schädigungen nicht den Erwartungen entsprechend 
groß sind. 

Wenn Verf. zusammenfassend nur die Defekte berücksichtigt, die bei mehr 
als der Hälfte seiner Kranken sich finden, so ergeben sich folgende bemerkens¬ 
werte Resultate: Fehler bei der Prüfung der Ideenassoziation &2mal, der Er¬ 
innerung für jüngstvergangene Empfindungen und Empfindungskomplexe 20mal, 
der einfachen konkreten Erinnerungsbilder 15 mal, der Aufmerksamkeit 7 mal und 
der zusammengesetzten und abstrakten Vorstellungen 6 mal. 

28) Mar Symptomatologie des epileptischen Irreseins, insbesondere über 
die Bestehungen zwischen Aphasie and Perseveration, von Dr. Raecke. 
(Archiv f. Psycb. u. Nervenkr. XLI. 1906.) Ref.: Hei nicke (Großschweidnitz). 
Verf. kommt an der Hand von vier Krankengeschichten epileptischer Patienten 
zu dem Resultat, daß bei dem epileptischen Irresein Aphasie und Perseveration 
keineswegs in engem ursächlichem Verhältnis zueinander stehen, und daß man 
nicht aus dem Nachweis des einen auf das Vorhandensein des anderen mit Sicher¬ 
heit schließen dürfe. 

Die amnestische Aphasie kommt zweifellos sehr häufig beim epileptischen 
Irresein vor; doch genügt ihr Nachweis nicht, um dasselbe zu diagnostizieren; 
man muß noch nach anderen epileptischen Symptomen fahnden. 

Erwähnenswert aus den Krankengeschichten sind folgende somatische Einzel¬ 
heiten: In einem Falle waren die Pupillen während der postparoxysmalen Ver¬ 
wirrtheit different und träge, um später zur Norm zurückzukehren; in einem 
anderen Falle ließ sich Lichtstarre bis zu 3 Tagen konstatieren; ferner war zwei¬ 
mal der Babinskische Reflex vorhanden, eine Erscheinung, die naeh epileptischen 
Krämpfen nicht selten ist, und die praktische Wichtigkeit besitzt. 

30) Epileptiker als Autofahrer, von Dr. Franz Thalwitzer. (Münchener 
med. Wocbensebr. 1906. Nr. 37.) Bei: E. Asch. 

Kurze Mitteilung von 2 Fällen, in welchen der Automobilunfall offenbar 
darauf zurückgeführt werden konnte, daß der Wagenführer Epileptiker war. Es 
erscheint nach diesen Erfahrungen notwendig, auf gesetzlichem Wege derartigen 
Kranken das Steuern von Kraftfahrzeugen zu verbieten. 

31) Epilaptlsoher Mörder, von E. Audenino. (Arch. di Psichiatria, Neuro- 
patologia, Antropol. criminale etc. XXVII. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer. 
Ein 26jähriger Mann, der von einem Trinker abstammt und verschiedene 

schwere Krankheiten, sowie eine Kopfverletzung durchgemacht hat, erschießt aus 
Eifersucht seine Geliebte und verwundet sich selbst sehr schwer. Die klinische 
Untersuchung und Beobachtung zeigt neben verschiedenen körperlichen Degene¬ 
rationszeichen einen hochgradigen Schwachsinn und es ergibt sich, daß der Mörder 
seit der Kindheit an epileptischen Anfällen und psychischen Äquivalenten von 
■olehen (Halluzinationen, Erregungszustände) gelitten hat; auch im Moment der 


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Tat war das Bewußtsein getrübt und nachher fehlte jede Erinnerung. Der Täter 
wurde freigesprochen. 

32) Merkwürdige Anomalie bei einem epileptischen Mörder, von M.U.Masini. 
(Arch. di Psich., Neuropatol., Antropolog. criminale. etc. XXVII. 1906.) Bef.: 
E. Oberndörffer (Berlin). 

Bei einem schwer belasteten Epileptiker, der in einem Erregungszustand einen 
Kord begangen hatte, fand sich eine abnorme Beweglichkeit der Finger und der 
Zehen in ihren Grundgelenken; sie konnten fast bis zum rechten Winkel über¬ 
streckt werden. Außer einer besonderen Sohlaffheit des Bandapparates glaubt 
Verf. auch eine vollständige Verknöcherung der Epiphysen der Phalangen als 
Ursache annehmen zu müssen. 

33) Die Behandlung der Bpilepsie, von Prof. Bedlich. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1906. Nr. 87.) Bef.: B. Pfeiffer. 

Bedlichs Vortrag gibt einen guten und erschöpfenden Überblick über unser 
therapeutisches Büstzeug gegen die Epilepsie. Die Anzeigen zur Anwendung der 
einzelnen Kurmittel hätten stellenweise noch schärfer präzisiert werden können. 
Der Nutzen einer möglichst salz- und gewürzarmen Diät erscheint dem Befer, 
fragwürdig, zum mindesten erscheinen die Vorschriften von Toulouse und 
Bichet ungenügend fundiert. Strümpells Standpunkt in der Bromfrage wird 
von Bedlich bekämpft, mit Becht, doch gebührt Strümpell das Verdienst, 
gegen die kritiklose Anwendung von Brom ad infinitum Front gemacht zu haben. 
Wichtiger als Brom ist nach des Bef. Ansicht eine sorgfältige Begelung der ge¬ 
samten Lebensweise und Tätigkeit, die um so größeren Erfolg verspricht, je früher 
sie zur Anwendung kommt. Die Disziplinierung der Patienten kann, wie auoh 
Verf. betont, zweckmäßig in Sanatorien erfolgen. Über den Nutzen operativer 
Behandlung spricht sich Verf. mit berechtigter Beserve aus: die Trepanation hat 
spärliche Indikationen, die Sympathektomie ist ganz zu verwerfen. 

34) Über einige neuere Methoden der Epilepsiebehandlung, von A. Eulen- 
bürg. (Therapie d. Gegenwart. 1906. H. 11) Bef.: Max Jaooby (Mannheim). 
Gute Erfolge hat die von Bälint angegebene Bromopankur erzielt; sie hängt 

mit dem von Toulouse und Biohet proklamierten Prinzip der kochsalzarmen 
Diät und der Chlorverdrängung durch das ihm substituierte Brom eng zusammen. 
B&lint verabfolgt den Epileptikern bromhaltiges Brot „Bromopan“; dasselbe ent¬ 
hält auf 100 g 1 g NaBr; das zu seiner Herstellung verwandte Mehl heißt Bromo- 
farina. Dieses Brot bildet den Hauptbestandteil der Epileptikerkost, so daß die 
Behandlung eine gemischte, medikamentös-diätetische ist. Es werden dabei täglich 

3 bis 4 g NaBr dem Körper zugeführt. Bromopan eignet Bich besonders für 
frischere und leichtere Fälle. Sehr zufrieden war Verf. mit Bromipin, das in 10 °/ 0 iger 
und 83 1 / s °/ 0 iger Flüssigkeit hergestellt wird. Neuerdings kommt es in Tabletten 
in den Handel (eine Tabletteenthält 1,2 g des 33 1 /,°/ 0 igen Bromipins). Es bewirkt 
keine Verdauungsstörungen, noch Akne. Die Ausscheidung erfolgt sehr langsam. 
Es dürfen nicht zu geringe Dosen angewandt werden, durchschnittlich 3 bis 

4 Eßlöffel des 10°/ o igen Präparates, bei Kindern 2 bis 4 Theelöffel; bei rektaler 
Anwendung 15 bis 40 g des 33 1 / 2 °/o*F en Präparates vor dem Schlafengehen in 4 bis 

5 tägigen Intervallen. Seit 4 x / 2 Jahren wendet Verf. das Cerebrin, innerlich und 
subkutan, an. Es ist ein nicht ganz unwirksames und beachtenswertes Hilfsmittel, 
besonders wenn die Brombehandlung im Stich läßt. Man verordnet es innerlich 
in Tabletten von 0,3 täglich 3 bis 4 bis 6 Stück oder subkutan als Cerebrinutn 
Poehl pro injectione subcutanea — eine 2°/ 0 ige sterilisierte, in Glasfläschchen 
eingeschmolzene Lösung. 

35) The diet in epilepsy, by A. J. Bosanoff. (Journ. of Nerv. and. Ment Dis. 
1905. Dezember.) Bef.: M. Bloch (Berlin). 

Verf. hat 11 Fälle von genuiner Epilepsie bei Bettruhe und Enthaltung von 

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Medikamenten jedesmal eine längere Zeit hindurch nach fünf verschiedenen Diät¬ 
formen ernährt (gewöhnliche gemischte Kost, vegetarische Diät, Diät mit un¬ 
genügender Eiweißmenge, gemischte Diät mit überreicher Eiweißmenge und Dia¬ 
betikerdiät). Die aus der Zahl der Anfälle und dem sonstigen Verhalten der 
Patienten zu ziehenden Schlüsse sind folgende: Gemischte und vegetarische Diät, 
soweit sie die gleichen Mengen Eiweiß, Kohlehydrate und Fett enthalten, lassen 
Unterschiede in ihrer Wirkung auf die Kranken nicht erkennen. Steigt oder 
sinkt die Menge der eingeführten Eiweißstoffe über oder unter das normale 
Minimum, so tritt eine Verschlimmerung ein; hochgradig wird letztere, sobald bei 
starker Steigerung der Eiweißzufuhr die Zufuhr von Kohlehydraten sehr gering 
ist, wie bei der Diahetikerdiät. Die praktische Schlußforderung aus den Ver¬ 
suchen ist dahin zu präzisieren, daß der Epileptiker soviel Kohlehydrate und 
Fett erhalten soll, als er ohne Schwierigkeit assimilieren kann, und weiter das 
Minimum von Proteiden, das mit dem Sticksoffgleichgewicht verträglich ist. 

36) Le trattement ddohlorurd de l’öpilepsle, 4 propos de 37 oas, par 
A. Gordon. (New York med. Journ. 1906. Nr. 1465.) Ref. nach der 
Revue neur. 1907. Nr. 3 von Kurt Mendel. 

Von 26 erwachsenen Epileptikern zeigte sich bei 20 eine deutliche Besserung 
des Leidens mit der salzlosen Diätbehandlung, bei den Sündern waren die Erfolge 
weniger günstig. 

37) XTouvelles recherohes sur le traitement de l’epilepsie par la bromu- 
ratlon aveo ou saus döohloruration, par Jules Voisin, Roger Voisin 
etA.Rendu. (Arch.de neur.XXII. 1906.Nr. 129.) Ref.: S.Stier(Rapperswil). 
Die Verff. gaben 12 erwachsenen Epileptikern zunächst 10 Tage lang 4 g 

Bromkali bei gewöhnlicher Diät, dann 10 Tage 10 g bei der gleichen Diät, daranf 
10 Tage kein Brom und chlorfreie Diät. Dies Regime wurde in fünf aufeinander 
folgenden Perioden fortgesetzt. Die in übersichtlicher Tabelle zusammengestellten 
Resultate (die eine Verminderung der Anfälle um 70°/ o ergaben) führten sie zu 
folgenden Schlüssen: 

1. In Fällen von genuiner Epilepsie mit häufigen Anfällen gibt die Dar¬ 
reichung von Brom in steigender Dosis und darauffolgender Entziehung von Brom 
bei chlorfreier Diät sehr gute Resultate. 

2. In den kurzen Perioden der Dechlorisation ruht der Organismus aus, ohne 
daß dabei die Störungen ausgelöst werden, die man sonst bei plötzlicher Brom¬ 
entziehung erfährt. Eine Bromanhäufung im Körper wird dabei vermieden. 

3. Andauernde chlorfreie Diät mit geringen Bromgaben ist nicht zu empfehlen. 
Steigerung der Bromdosis bei gewöhnlicher Diät gibt die gleichen Resultate. 

4. Dagegen empfiehlt es Bich, abwechselnd kurze Perioden von gewöhnlicher 
und chlorfreier Diät einander folgen zu lassen, etwa in der von den Verff. er¬ 
probten Reihenfolge. Diese bei Erwachsenen erprobten Dosen eignen sich eben¬ 
falls für jugendliche Patienten über 16 Jahre. 

38) Lm poisons de l'intelligenoe. Lee ooefüeients peyohiquee du brome, 

par N. Vaschide. (Areh. de neur. XXII. 1906. Nr. 130.) Ref.: S. Stier. 
Die Arbeit enthält ausführliche Wiedergabe und Kritik der Untersuchungen 
Loewalds über die psychischen Wirkungen des Broms, die analog den Unter¬ 
suchungen der Kraepelinschen Schule über die psychischen Wirkungen des 
Alkohols, Tees usw. durchgeführt und in den Psychologischen Arbeiten I. 1896. 

S. 489 bis 566 niedergelegt sind. 

39) Beitrag zur Opium-Brombehandlung der Epilepsie nach Flechsig 
(Ziehensohe Modifikation), von Dr. Schirbach. (Archiv f. Psychiatrie u. 
Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz). 

Die sehr voneinander abweichenden Urteile über den Wert der Flechsig- 
schen Opium-Brombehandlung waren die Veranlassung, daß Verf. eine Reihe von 


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Epileptikern nach der von Ziehen vorgeschlagenen Modifikation dieser Kor be¬ 
handelte. Diese Behandlungsmethode wurde derart durchgeftibrt, daß innerhalb 
51 Tagen mit 0,15 Op. pulv. täglich beginnend bis zu 0,9 gestiegen wurde. Vom 
52. Tage ab wurde nach Aussetzen des Opiums 6 g Bromgemisch (Kal. und Natr. 
bromat. & 2,0, Ammon, bromat. 1,0) verabreicht. Jeden zweiten Tag wurde um 
1,0 g Brom bis 9,0 g gestiegen, wobei man dann fürs erste stehen blieb. (Die 
mitgeteilten Dosen sollen nur annähernde Anhaltspunkte geben; selbstverständlich 
wurden dieselben in den einzelnen Fällen, den Umständen entsprechend, indivi¬ 
dualisiert.) Von Anfang an gab man, um die verminderte Salzsäureausscheidung 
des Magens, die eine Folge des Opiums ist, auszugleichen, Acid. mur. 1,5:200,0 
eßlöffelweise. Mit der medikamentösen Behandlung verband man Bäder und Diät¬ 
regelung, Bettruhe, unter sorgfältiger Kontrolle von Puls, Atmung, Temperatur 
und Körpergewicht 

Auf Grund seiner Versuche kam Verf. zu folgendem Schluß: 

Die Opium-Brombehandlung kann bei sorgfältiger Auswahl des Materiales 
noch günstige Resultate erzielen, in Fällen, wo die Brombehandlung allein ver¬ 
sagte. Die mit der Kur verbundenen Gefahren lassen sich bei sorgsamer, im 
Krankenhause durchgeführter Beobachtung sehr einsohränken. Die öfteren nega¬ 
tiven und schlechten Erfolge einzelner Autoren Bind zum Teil auf ungenügende 
Auswahl der Fälle zurückzuführen; günstige Resultate wurden erzielt bei Kranken 
ohne stärkere psychische epileptische Degeneration. 

40) Proponal bei der Behandlung von Epileptikern, von J. Hoppe. (Psycb.- 
neur. Wochenschr. 1906. Nr. 6.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. löste Proponal für die Zwecke des Einlaufes in einer physiologisch- 
alkalischen Lösung (auf 1 Liter Aq. destill. etwa 4 g NaOH), er ließ bestimmte 
Proponalmengen (bei Kindern im Status epilepticus 0,2 bis 0,3, bei Erwachsenen 
0,8 bis 0,6 g Proponal) in 200 bis 300 ccm der auf 38° erwärmten Flüssigkeit 
zum Einlaufen verwenden. Ein solcher Einlauf wurde 7 mal im Status epilepticus 
und einige Male in schwereren Verwirrungszuständen gemacht. Stets prompte 
Wirkung. Sie entsprach etwa der von 3 g Amylenhydrat und trat in 15 bis 
30 Minuten ein. Keinerlei Reizerscheinungen am Mastdarm. 

41) Anstaltsbehandlung der Epileptiker, von Stefan v. Wosinski. (Gy6- 
gy&azat. 1906. Nr. 31 bis 34.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Epilepsie kann nioht im voraus als unheilbar bezeichnet werden; Heilerfolge 

können zumeist nur in Spezialanstalten erreicht werden, wo namentlich das Milieu, 
dann die genane Hygiene, Diät, Roborierung zur Wirkung kommen. Aus den 
vielen therapeutischen Bemerkungen des Verf.’s sei nur hervorgehoben, daß er 
große Bromdosen perhorresziert und angeblich die besten Erfolge dann sah, wenn 
er täglich zweimal 0,5 bis 1,0 g Bromsalz reichte. Die Bromwirkung kann durch 
Belladonna gesteigert werden: Dosis täglich zwei Tropfen der Tinktur. 

42) Operative Behandlung der genuinen Epilepsie, von Prof Rinne. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1906. Nr. 36.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Seit dem 11. Lebensjahre epileptische Krämpfe, ausgehend vom rechten Arme. 
1894 der Zustand des 27jährigen Patienten trostlos. Sehr häufige Anfälle, all¬ 
gemeiner Marasmus, lallende Sprache, hochgradige Amnesie, Lähmung des Ge¬ 
sichtes und rechten Armes. Von Eulenburg Operation angeraten. Die vom 
Verf. zuerst gemachte Dehnung des Plexus brachialis war erfolglos, daher Trepa¬ 
nation mit Rindenexzision im Juli 1894. Elektrische Reizung des freigelegten 
Gehirnes. Von einem scharf umgrenzten Gebiet der vorderen Centralwindung 
wurde jedesmal eine Bewegung des Zeigefingers und Daumens ausgelöst. Der 
Fazialis reagierte nicht. Exzision dieser Partien. Verzögerte Wundheilung durch 
Randnekrose an dem aufgemeißelten Knochenlappen. Auch jetzt, zurzeit des Be¬ 
richtes, besteht zwischen dem Knochenlappen und dem Schädelknochen keine 

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knöcherne Vereinigung. Zunächst Lähmung des rechten Armes und Fazialis. ln 
den ersten 7 Monaten nach der Operation kein einziger Krampfanfall, dann 
leichte, gelegentliche Anfälle. Leichte Schwäche der rechten Hand. Das All* 
gemeinbefinden gut. Pat. ist durchaus arbeitsfähig und unterhält sich und seine 
Familie selbständig. Bemerkenswert ist, daß durch Alkohol und Tabak Anfälle 
ausgelöst werden. 

43) Kasuistischer Beitrag zur operativen Therapie der Epilepsie, von 

Dozent B. Jedliöka. (Bev. v. neur. a psych. IU. S. 5.) Bef.: Peln&r (Prag). 

Die Beobachtung ist sehr eigentümlich: ein 56jähriger, immer gesunder und 
einer gesunden Familie entstammender Mann bekam am 13. Mai 1905 plötzlich 
bei vollem Bewußtsein einen heftigen klonischen Krampf in der linken oberen 
Extremität, der nach 5 Minuten wieder plötzlich verschwand und ein peinliches 
brennendes Gefühl in den Fingern hinterließ. Eine Woche später kam ein zweiter 
ähnlicher, aber kürzerer Anfall mit folgender allgemeiner Mattigkeit. Am 27. Mai 
1905 ein dritter Anfall, der ähnlich anfing, im Laufe dessen aber das Bewußtsein 
einige Minuten trübe war, und bei welchem es zu einem Zungenbiß kam. Ende 
Juli 1905 kam es nach typischem Anfänge zu allgemeinen klonischen Krämpfen 
mit Bewußtseinsverlust. Seit der Zeit hatte der Kranke keine großen Anfälle 
mehr, aber jeden Tag und später auch 2 bis 3 mal täglich bekam er einen klo¬ 
nischen und dann tonischen lokalisierten Krampf in der linken Hand, die endlich 
im Laufe des Oktobers 1905 einer beständigen krampfhaften Adduktion des linken 
Daumens wichen. Als sich zu diesem Krampfe nooh große Schmerzen in der 
rechten Schläfenbeingegend zugesellten, kam der Patient zu dem Verf., um duroh 
irgendwelche Operation am Schädel von den Schmerzen befreit zu werden. In 
der rechten Temporalgegend wurde eine flaohe Hautnarbe konstatiert, über deren 
Ursprung Pat. keine Erklärung geben konnte. Durch die vom Verf. angestellte 
Nachforschung zeigten sich sehr überraschende Momente: der Pat. ist hei der 
Geburt von einem Arzte perforiert worden, blieb aber zum großen 
Erstaunen desselben sowie der Eltern am Leben, die Wunde ist nach 
längerer „Entzündung“ geheilt. Diese Ereignisse blieben dem Pat. von den über 
das weitere Leben des Kindes besorgten Eltern verschwiegen und erst jetzt er¬ 
zählte der 85jährige Vater alles seinem 56jährigen Sohne, der indessen wieder 
fünf gesunde Kinder hat. Pat. spürte sein ganzes Leben hindurch außer wieder¬ 
holten mäßigen Kopfschmerzen, an die er schon gewöhnt ist, gar keine Beschwerden, 
besuchte mit gutem Erfolge eine Mittelschule und ist zurzeit ein tüchtiger Be¬ 
amter. Verf. machte eine Trepanation, fand keine anatomische Abweichungen am 
Schädel, aber einen Varixknoten, der in die motorische Zone der rechten Hemi¬ 
sphäre eingepreßt war. Nach dem Unterbinden des Knotens verschwand augen¬ 
blicklich der tonische Krampf des linken Daumens, sowie der Kopfsohmerz, und 
der Pat hat zurzeit der Publikation — 3 Monate naoh der Operation — gar 
keine Beschwerden. Verfi erwähnt ans der Literatur einen einzigen Fall von 
Pernice (Centralbl. f. Gynäkol. 1903. S.919), wo das Kind auch die Perforation 
überlebte. Interessant ist, daß sich hier erst nach 56 Jahren Symptome zeigten, 
die doch als Folge des Traumas bei der Geburt erklärt werden müssen. 


Psychiatrie. 

44) Lea anthipaties physiques et morales dass les familles de ddgdndrös, 

par F6re. (Bevue de möd. 1906. Nr. 7.) Bef.: Eduard Müller (Breslau). 
Fall L 16jährige Dame, stark belastet. Die neuro- bzw. psychopathische 
Matter wurde während der zweiten Gravidität (die älteste Tochter litt in der 
Kindheit an Eklampsie) duroh eine unerklärliche, unüberwindliche Abneigung 
nicht nur gegen ihren Gatten, sondern auch gegen ihren eigenen Vater beunruhigt. 


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Nach der Geburt verschwand diese Antipathie. Als sie aber ihr Kind stillen 
wollte, erbrach dasselbe unter gleichzeitiger Abmagerung stets, so daß eine Amme 
für sie eintreten mußte. Nach der Meinung der Mutter war nun die Antipathie 
während der Schwangerschaft Schuld daran, daß das Kind die Muttermilch nicht 
vertragen konnte. Daraus entstand krankhaftes Schuldbewußtsein mit nächtlichen 
AngBtanfällen. 10 Jahre alt, erkrankte die älteste Tochter an trauriger Ver¬ 
stimmung, sowie an gelegentlichen Überschätzungs- und Beeinträchtigungsideen 
(ist „eine Gottheit“, der man nicht genügend Huldigungen entgegenbringt, ist 
„Fräulein Barmherzigkeit“). Besserung des psychischen Zustandes im 13. Lebens¬ 
jahr, aber Auftreten von Weinkrämpfen, die mit Eintritt der Regel verschwanden. 
Die jüngere, jetzt 16jährige Schwester, war bis zum 12. Jahre frei von nervösen 
Krankheitserscheinungen. Seit dieser Zeit vornehmlich morgens auftretende, kurz¬ 
dauernde, plötzlich kommende und gehende migräneartige Anfälle mit nach¬ 
folgender unwiderstehlicher Schläfrigkeit. Mit Beginn der Pubertät merkwürdige 
psychische Veränderungen während der Regel (altkluge, rasche Sprechweise, 
Widerwille gegen die eigene Mutter, Streitigkeiten mit der Schwester). In der 
Zwischenzeit zwischen den Menses dumpfes Krankheitsbewußtsein für die Störung«! 
während derselben und Verschwinden der Antipathien, aber interkurrente Wein- 
krämpfe. Körperlich: gehäufte Degenerationszeichen. 

Fall IL 18jährige, weibliche Zwillinge, keine nachweisbare neuro- bzw. 
psychopathische Prädisposition. Eines der Mädchen zeigte schon in früher Kind¬ 
heit eine ausgesprochene Antipathie gegen den etwas „ausgelassenen“ Stiefbruder, 
die andere neigte sehr zu Absonderung und Einsamkeit. Trotz körperlicher Un¬ 
ähnlichkeit stellten sich die Menses bei den Zwillingen genau zur Belben Zeit ein. 
Angeblich wurden beide beim Mittagessen von Stirnkopfschmerzen und An¬ 
schwellungen der Warzenhöfe befallen, 'worauf in der folgenden Nacht die blutige 
Sekretion begann (!! Ref.). Seit dieser Zeit auch plötzliche psychische Verände¬ 
rungen bei beiden Geschwistern. Die eine Schwester, die sich sonst mit ihrem 
Stiefbruder vertrug, begann ihn zu hassen; sie wurde aber gegen andere mitteil¬ 
samer und zeigte im Gegensatz zu früher Liebe zu Sang und Tanz. Die ZwillingB- 
schwester wurde umgekehrt einsamer, interesselos, wortkarg und vertrug sich 
wieder mit dem Bruder. 

In der Epikrise ein Hinweis auf die Entstehungsweisen solcher psychischen 
Antipathien, die sich mit körperlichen Vorgängen verknüpfen können, und auf 
die Tatsache der somatischen Antipathie, der Unbekömmlichkeit der Milch nur 
gewisser Frauen (auoh der eigenen Mutter) für den Säugling. 

46) Oontrlbution 4 l’dtude des formes mixtes (vdsanies), par Serbsky. 

(Ann. möcL-psychoL 1906. Mai /Juni.) Reh: E. Meyer (Königsberg). 

Verf. will außer den typischen Krankheitsformen, der Melancholie, Manie, 
Paranoia usw., noch Mischformen derselben anerkennen, nicht etwa im Sinne der 
neuerdings wieder öfter diskutierten kombinierten Psyobosen, sondern es sollen 
solohe Krankheitsformen sein, die die Symptome der verschiedenen Krankheiten 
gemischt enthalten. Gemäß der Einteilung, welche die neurologisch-psychiatrische 
Gesellschaft zu Moskau vorgeschlagen hat, rechnet Verf. diese Krankheitsformen 
zu den „formes miztes“ oder „v&anies“. Als erste behandelt er die „vesania 
melancholica“. Symptome der Melancholie und Paranoia, zum Teil auch der Ver¬ 
wirrtheit vereinigen sich zu ihr. Nach einem kurzen unbestimmten Vorstadium 
brioht plötzlich heftige Angst aus, dann treten Versündigungs- und Verfolgungs¬ 
ideen auf, nicht immer in engerem Zusammenhang, viele hypochondrisch gefärbt. 
Außerdem bemerkt man Sinnestäuschungen des Gehöres, aber auch des Geruches 
und Geschmackes. Das äußere Verhalten ist verschieden. Sehr stark ist die 
Neigung zum Selbstmord! Ein Teil der Fälle geht in 6 bis 9 Monaten in Heilung 
aus, nicht wenige enden mit einem geistigen Schwächezustand. Von der typischen 

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Melancholie meint Verf. die Vesania melancholica durch das Auftreten von Wahn* 
ideen vom Beginn der Erkrankung an, ferner durch das Vorhandensein von Ver¬ 
folgungsideen und Sinnestäuschungen vor allem trennen zu können, während sie 
sie sich von der Paranoia durch den starken Angstaffekt und die Selbstanklagen usw. 
unterscheide, sowie durch den Mangel an Systematisierung. Auch in chronischer 
Art kommt übrigens, wie Verf hinzufügt, eine Mischung melancholischer und 
paranoischer Symptome vor. 

Kurz geht Verf. auf eine andere Mischform, die akute Halluzinose oder Vesania 
hallucinatoria ein, die sich durch zahlreiche Sinnestäuschungen auf verschiedenen 
Gebieten, die dauernd bestehen, auszeiohnet mit vielen Wahnideen phantastischer 
Art, die nicht eigentlich systematisiert Bind usw. Verf. sieht darin eine Übergangs¬ 
form zwischen „Paranoia aigue“ und der „Confusion mentale aigue“. Mit wenigen 
Worten streift Verf. endlich noch die „Vesanie neuralgique“ und„V6sanie maniaque“. 

Die Annahme von Mischformen verschiedener Psychosen im Sinne des Verf.’s 
ist uns fremd. Die Vesania melancholica, die nach Verf. im vorgerückten Alter 
meist zur Entstehung kommt, findet ihre Erklärung in der Eigenart der Er¬ 
krankungen des Klimakteriums und der entsprechenden Jahre heim Manne — 
Involutionspsychosen —, die ja oft paranoisohe und melancholische Züge vereinen 
(klimakterielle Melancholie, präseniler Beeinträchtigungswahn). Im allgemeinen 
scheint mir die Heranziehung solcher Mischformen nicht unbedenklich, da es nach 
unserer Auffassung von dem Wesen und den Grundlagen der Psychosen derartige 
fast beliebige Übergänge nicht gibt, ganz abgesehen von den Bezeichnungen des 
Verf.’s, die vielfach Widerspruch erfahren werden. Oh etwa in brauchbarer Weise 
zweifelhafte Fälle durch die Annahme von Mischformen Aufklärung erfahren 
können, das kann nur durch kasuistische Mitteilungen klargestellt werden. 

46) Was sind Zwangsvorgftnge P von Bumke. (Halle a/S. 1906, Marhold; 

vgl. d. Centr. 1905. S. 1122.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Klares, übersichtliches Referat über den heutigen Stand der Lehre von den 
„Zwangsvorgängen oder Zwangserscheinungen'*, in dem Verf. zuerst eine Schilderung 
über die Entwicklung derselben gibt. Bei der näheren Besprechung geht Verl 
von der Westpbalschen Definition der Zwangsvorstellungen aus, deren einzelne 
Komponenten erörternd: die Unverdrängbarkeit der Vorstellungen und das sub* 
jektive Gefühl des Zwanges, die Abwesenheit eines Gefühles oder affektartigen 
Zustandes und das Erhalten bleiben der Kritik. Wie Verf. ausführt, ist es die 
Summe dieser Eigenschaften, welche die Zwangsvorstellungen charakterisiert, eine 
derselben etwa allein genügt dazu nicht. So kommt das Gefühl des Zwanges, 
die Immobilität, auch vielen Wahnideen, den überwertigen Ideen Werniokes 
wie manchen Vorstellungen Gesunder zu; erst durch die weitere Kennzeichnung, 
daß der Zwang nicht durch einen besonderen Affekt oder eine Anomalie der 
Stimmung bedingt ist, wird die Abgrenzung eine vollständigere. Aber auch das 
reicht noch nicht aus, so den autochthonen Ideen Wernickes gegenüber, das 
Erhaltensein der Kritik darf nicht fehlen. Verf. will auf diese nach wie vor ein 
besonderes Gewicht legen, was m. E. auch durchaus notwendig ist Verf. geht 
weiterhin auf die Zwangsvorgänge ein, unter denen er Zwangsvorstellungen und 
alle die psychischen Vorgänge, die aus diesen unmittelbar entstehen, versteht. 
Er wendet sich dabei mit Recht gegen die uferlose Anwendung der Bezeichnung 
„Phobien", die ja gegenüber den Zwangsvorgängen durch das primär auftretende 
Angstgefühl ausgezeichnet sind. Auch „Zwangshandlung" sollte man nur die¬ 
jenigen Vorgänge benennen, die auf zwangsartigen Antrieben mit starker moto¬ 
rischer Tendenz beruhen, sonst läuft man Gefahr, heterogene Dinge zu vereinigen. 
So führt Verf’s gesamte Betrachtung zu dem Ergebnis, daß auoh heute noch 
die Westphalsche Definition die Grundlage der Lehre von den Zwangserschei¬ 
nungen bildet. 


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III. Aus den Gesellschaften. 

Sooiötö de neurologie de Paris. 

Sitzung vom 10. Januar 1907. 

Herr Lejonne und Herr Chartier: Syringomyelie naoh einer Zer* 
qnetsohnng eines Fingers. Ein 44jähriger Arbeiter an einer Biskuitfabrik 
wurde in die Klinik von Prof. Raymond mit Riickenschmerzen, Schmerzen im 
rechten Arm und Muskelatrophie auf derselben Seite aufgenommen. Keine Here¬ 
dität. Mit 21 Jahren schwerer Typhus. Mit 24 Jahren weicher Schanker. Mit 
87 Jahren während eines Monats Bronchitis mit starker Abmagerung. Gibt 
leichten Alkoholmißbrauch zu. Vor 4 Jahren wurde ihm in einer Maschine der 
Zeigefinger der rechten Hand zerquetscht. Nach der Amputation dieses Fingers, 
trotz der Ausheilung der Wunde, verspürte der Kranke so heftige Schmerzen im 
Stampfe, daß er erst nach 14 Monaten seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. 
Ein gewisser Grad von Schmerzen besteht noch jetzt im Stumpfe. 7 bis 8 Monate 
nach dem Unfall bemerkt der Kranke, daß sein rechter Arm abmagert. Einige 
Monate später stellen sich auch Schmerzen in der rechten Schulter ein. Diese 
Schmerzen greifen allmählich auf den oberen Teil des Räckens und selbst auf 
die linke Schulter über. Bei der Untersuchung findet man bei dem sonst kräf¬ 
tigen muskulösen Mann eine sehr ausgesprochene Atrophie der reohten Schulter 
und des rechten Armee. An den Fingern dieser Hand außer des Fehlens des 
Zeigefingers nichtB Abnormes, namentlich keine Muskelatrophie. Die Beweglichkeit 
der Finger ist gut erhalten. Die Beugung und Adduktion der Hand ist normal. 
Die Streckung und Abduktion ist Behr geschwächt. Die Beugung des Vorder¬ 
armes wird kaum ausgeführt. Die Streckung, obwohl schwach, geht doch besser. 
Die Hebung des Armes ist unmöglich. Deltoideus nnd Supraspinatus sind voll¬ 
ständig gelähmt. Die Adduktion der Schulter geht ziemlich gut von statten. 
Entartungsreaktion im Deltoideus, im Biceps und im Coraco-braobialis. Im 
Triceps und im Dorsalis magnus ist die elektrische Erregbarkeit einfach geschwächt. 
Im linken Oberarm keine Muskelatrophie und nichts Abnormes. Fibrilläre 
Zuckungen sowohl in den atrophierten Muskeln, wie auch in den Muskeln der 
linken Schulter. Die Sebnenrefieze sind an beiden oberen Extremitäten sehr leb¬ 
haft. Der Kranke leidet besonders nach Ermüdung und gegen Abend an tiefen 
dumpfen Schmerzen in der cervico-dorsalen Gegend des Rückens und in der rechten 
oberen Extremität. Seit zwei Monaten beklagt sich der Kranke über Prickeln 
und Ameisenlaufen in den Fingern und bis zum Vorderarm hinauf auch in der 
linken oberen Extremität. Objektiv sind nur leichte Sensibilitätsstörungen in der 
Deltoideusregion und der äußeren Oberfläche der Oberarme, d. h. in der Gegend 
der 4. und 5. Cervikalwurzel vorhanden. Die Berührung ist normal. Es besteht nnr 
leichte Hypalgesie und Thermohypästhesie. Diese Sensibilitätsstörungen sind auf der 
rechten Seite mehr ausgesprochen, als auf der linken. Außerdem besteht in der 
äußeren Hälfte der rechten Hand mehr an der dorsalen als an der volaren Fläche 
eine ausgesprochene allgemeine Hauthypästhesie. Die Nervenstämme sind auf 
Druck nioht schmerzhaft. Keine trophischen und keine vasomotorischen Störungen; 
Seit einigen Wochen spürt der Kranke leichte Ermüdung und Einknicken der 
Beine. Patellarreflexe lebhaft. Kein Fußklonus. Kein Babinski. Oppenheim¬ 
scher Reflex jedooh rechts vorhanden. Niohts Abnormes an den Nackenmuskeln, 
an den Muskeln des Gesichtes, des Rumpfes, des Bauches. Fibrilläre Zuckungen 
an der Zunge. Sphinkteren intakt. Sinnesorgane ebenfalls. An der Wirbelsäule 
besteht eine cervico-dorsale Skoliose mit der Konvexität nach rechts. Das Rück¬ 
grat ist schmerzlos und normal beweglich. Der Beginn der Skoliose ist dem 
Kranken unbekannt Es handelt sich offenbar um den Beginn einer Syringomyelie. 
Es ist nur schwer zu sagen, in welchem Zusammenhang diese Krankheit mit der 


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Verletzung des Fingers stehen kann. Die Vortr. lassen in dieser Beziehung die 
Frage offen. 

Herr Leopold Levi und Herr Henri de Rothschild: Schilddrüsen* 
neurasthenle. Die Vortr. stellen ein 21jähriges Mädchen vor, welches gleich* 
zeitig an Neurasthenie leidet: Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Sehstörungen, 
Schwindel, dyspeptische Erscheinungen, Gedächtnisschwäche, Melancholie, Suizid* 
▼ersuche und außerdem Erscheinungen von chronischer Hypothyreoidie da» 
bietet: Appetitlosigkeit, Kältegefühl, Ausfall der Haare, Stomatitis, Hämorrhoiden, 
Krachen der Gelenke usw. Unter dem Einflüsse von Schilddrüsenbehandlung 
gingen alle diese Erscheinungen allmählich zurück und verschwanden vollständig 
nach einem Gebrauch von 61 Oblaten. Ein späterer Rückfall verschwand von 
neuem nach dem Gebrauch von Thyreoidin. Die Eiranke wuchs dabei um 5 cm. 
Die Kranke wurde vorher allen möglichen Kuren erfolglos unterworfen. Darunter 
auch eine Isolierung von 2 1 / 2 Monaten. Dieser Fall steht nicht einzig und 
allein da. Die Vortr. zitieren noch zwei andere Fälle von Claisse. Es existiert 
also entschieden eine Form von Neurasthenie, die im Zusammenhang zu stehen 
soheint mit ungenügender Funktionierung der Schilddrüse. Dies festzustellen ist 
nicht nur von theoretischem Wert, sondern auch von großer praktischer Wichtig* 
keit. Die ausführliche Arbeit über diesen Gegenstand wird demnächst in der 
„Revue d’hygiöne et de mödecine infantile“ erscheinen. 

Herr Albert Charpentier: Kleinsohrittgang (hysterische Gehphobie). 
Vortr. stellt eine 60jährige Frau vor, die wegen Lähmung der Beine ihm zu- 
gefÜhrt wurde. Vor 15 Jahren erlitt die Kranke eine heftige moralische E» 
schütterung und seit dieser Zeit wurde ihr Gang unsicher und beschwerlich. Ihr 
Gang wurde immer schlimmer und schließlich konnte sie nur mit Mühe in kleinen 
Schritten und auf jemand gestützt ein paar Schritte gehen. Bei der Untersuchung 
wurde Hysterie diagnostiziert und Psychotherapie angeordnet. Nach einigen 
Sitzungen von Psycho* und Elektrotherapie besserte sioh der Zustand der 
Kranken in ganz bedeutender Weise. Die Kranke konnte wieder allein und in 
Schritten von normaler Weite gehen. Bei der Vorstellung der Eiranken kann 
man konstatieren, daß dieselbe jetzt eine fast normale Gehart bietet. 

Herr H. Grenet und Herr L. Tanon: Akromegalie und Diabetes. Die 
Vortr. teilen aus der Klinik des Herrn Prof. Brissaud einen interessanten Fall 
von Assoziation der Akromegalie mit Zuckerharnruhr mit Diese beiden Krank* 
heiten sind hei der Patientin zufällig in der Klinik entdeokt worden, wo sie 
wegen eines apoplektischen Insults aufgenommen wurde. Nach 24 Stunden ver¬ 
schwand jede Spur des Insults und da konstatierte man bei der Kranken fol¬ 
gendes: 50jährige, kleine Frau, keine Wirbelsäuleverkrümmungen. Die Hände 
sind übermäßig groß, die Finger kurz und breit. Patientin hat oft ihre Ringe 
erweitern lassen müssen. Sie findet schwer einen Fingerhut für ihre Finger. 
Die Füße sind breit und dick, besonders die großen Zehen. Ihr Mann, der 
Schuhmacher ist, muß immer die Schuhe für seine Frau breiter machen, die Länge 
bleibt dieselbe. Der Larynx ist vorgewölbt, die Stimme rauh und tief. Die 
Atmung geräuschvoll. Die Lippen sind dick und wulstig, ebenso die Nase. Die 
Augenspalten sind verlängert. Strabismus divergens am rechten Auge. Bei der 
Untersuchung des Augenhintergrundes findet man doppelseitige — rechts kom- 
pleto, links inkomplete — Sehnervenatrophie. Keine Augenmuskellähmungen. 
Die Untersuchung des Harns ergibt 66 g Zucker pro Liter. Urinquantum 
8 Liter in 24 Stunden. Die Kranke klagt über starken Durst schon seit einigen 
Monaten. Der Appetit ist gut, aber nioht übertrieben. Diese Glykosurie soheint 
ent seit kurzer Zeit aufgetreten zu sein, da die Untersuchung des Urins vor 
7 Monaten auf der Augenklinik keinen Zucker ergab. Die verschiedenen Reflexe 
und die allgemeine Sensibilität sind normal. Bei Bettruhe, antidiabetischer Kost, 

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Antipyrinen und Bromsalzen wird der Zucker auf 17 g pro Liter herunter- 
gedrückt. Sobald die Kranke aber wieder zuckerreiche Kost bekommt, so steigert 
sich der Zucker im Harn. 

Herr Babinski: Die Wirkung von Soopolamin bei der Chorea von 
Sydenbam. Vortr. hat außerordentlich günstige Wirkungen beobachtet von 
subkutanen Injektionen von Scopolamini hydrobromioi in der Dosis von */ l0 bis 
s /io P ro die. Die choreatischen Bewegungen ließen darauf sehr rasch nach. 
Vortr. hat mit dieser Methode 4 Kranke behandelt. Darunter eine Patientin, bei 
der alle üblichen Mittel (Antipyrin, Arsenik, Chloral) fehlgeschlagen hatten, 
und die besonders durch die Schlaflosigkeit erschöpft war. Vortr. rät zu weiterem 
Gebrauch dieses Mittels. 

Herr E. Bonniot: Die elektrischen Reaktionen bei geheiltem Tetanus. 
Vergleich mit der Tetanie. Vortr. hat Gelegenheit gehabt, in einem Fall von 
ausgeheiltem Tetanus, 14 Tage nachdem die Konvulsionen sistiert hatten, eine 
elektrische Untersuchung der Muskeln und Nerven vorzunehmen. Es stellte sieb 
dabei folgendes heraus: Die faradische Erregbarkeit ist dieselbe, wie in normalen 
Zuständen. Die galvanische Untersuchung ergibt die Unmöglichkeit, den 
Schließungstetanus bei mittleren und normalen Stromstärken zu produzieren. Die 
anderen galvanischen Reaktionen sind ebenfalls verspätet. Man beobaohtet also 
bei geheiltem Tetanus das Gegenteil von dem, was man bei der Tetanie sieht, 
bei welcher bekanntlich die galvanischen Reaktionen sehr lebhaft und gesteigert 
sind. Der Tetanus hat also einen gewissen Grad von Erschöpfung des peripheren 
Nervensystems und der Muskeln zur Folge. 

Herr L. Alquier und Herr W. Anfimow: Das Vorhandensein und die 
Bedeutung von den kleinen Blutungen unter der Pia oerebralis bei der 
Epilepsie. Die Vortr. haben 10 Gehirne von Epileptischen, die in der Klinik 
von Prof. Raymond gestorben sind, untersucht und konstant kleine Hämorrhagien 
unter der Pia mater cerebralis gefunden. Diese Blutungen sind manchmal zer¬ 
streut auf der ganzen Gehirnoberfläche; sie sind immer von ganz kleinem Volumen. 
Manche davon sind schon mit dem bloßen Auge zu sehen. Manche können nur 
mikroskopisch festgestellt werden. Sie befinden sich dicht unter der weichen 
Hirnhaut und zerstören an dieser Stelle die kortikale Hirnsubstanz, ohne jedoch 
weit in die Tiefe einzudringen. Sie überschreiten selten die Schicht der tangen- 
tiellen Fasern. Die Vortr. haben verschiedene Stadien dieser Blutungen verfolgen 
können, von frischen Blutungen ab bis zu kleinen oberflächlichen Herden von 
Sklerose, die genau die Form und die Dimensionen der durch die Blutung zer¬ 
störten Hirnsubstanz reproduzierten. Diese Untersuchungen ergaben, daß an den 
Stellen der Blutungen die tangentiellen Fasern unterbrochen sind. Solche Unter¬ 
brechungen der Fasern sind in manchen epileptischen Gehirnen sehr zahlreich 
und erklären das progressive Zunehmen der psychischen Störungen bei solchen 
Kranken. Die sklerotischen Läsionen, die man an der Oberfläche des Gehirn» 
von Epileptikern findet, sind oft sicher nicht die Ursache, sondern die Folge der 
Epilepsie, und rühren von der Vernarbung der eben besprochenen zahlreichen 
punktförmigen Hämorrhagien her. Die Zahl, das Alter und die Intensität dieser 
Hämorrhagien war immer in Zusammenhang mit den epileptischen Anfällen, deren 
Folge sie auch sind. 

Herr C. Parhon und Herr S. Florian (Bukarest): Ein Fall von chro¬ 
nischem Trophödem. Es handelt sich um einen typisohen Fall von chronischem, 
nicht familiärem Trophödem bei einem 19jährigen Mädchen. Beginn im Alter 
von 13 Jahren, gleichzeitig mit der Pubertät. Zunächst Schmerzen in der linken 
Hüfte und im linken Schenkel. Gleichzeitig Fieber. Die Schmerzen verbreiten 
sich über das ganze Bein. Der linke Schenkel schwillt an, später auch das ganze 
Bein. Es zeigen sich auf diesem Bein disseminierte Bläschen von öligblutigem 

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Inhalt. Mit dem Verschwinden dieser Pusteln schwinden auch die Schmerzen. 
Die Schwellung allein bleibt dauernd bestehen und nimmt sogar dermaßen zu, 
daß die Beweglichkeit des Beines behindert wird. Nichts am Herzen, nichts an 
den Nieren. Sensibilität und Beflexe normal. Intelligenz ebenfalls normal. Das 
Ödem ist fest, elastisch, hinterläßt keine Delle. Der Druck ist schmerzlos. Die 
Haut ist von normaler Farbe. Keine Varicen. Die Leistenfalte bildet die obere 
Grenze des Ödems nach vorn, nach hinten die Glutaealfalte. Nach unten hört 
das Ödem an der Basis der Zehen auf, die nicht geschwollen sind. Der Umfang 
des linken Schenkels ist in seiner Mitte um 17,5 cm größer als der Umfang des 
rechten Schenkels und die linke Wade ist um 16 cm weiter als die rechte. Die 
Untersuchung des Blutes ergab keine Filarien. Es handelt sich somit um einen wohl 
charakteristischen Fall von chronischem Trophödem, wie es Henry Meige be¬ 
schrieben hat. Das eigentümliche dieses Falles ist die absteigende Entwicklung 
des Ödems: zunächst an der Hüfte, dann abwärts bis zum Fuß. Was die Ursache 
der Krankheit anbetrifft, so glauben die Vortr. nicht, daß es sich dabei um eine 
Läsion der Schilddrüse handelt, sie neigen eher der Meinung von Meige zu, der 
an einer Alteration des trophiscben Centrums des subkutanen Bindegewebes glaubt. 

B. Hirschberg (Paris). 

IV. Neurologische und psychiatrische Literatur 

vom 1. November bis 31. Dezember 1006. 

1. Anatomie. Erdheim, Kiemenderivate bei Batte, Kaninchen und Igel. Anat. Anz. 
XXIX. Nr. 23. — Larlonoff, Hirnstruktur. Bussk Wratsch. Nr. 40. — Polimanti, Fisiol. 
ed anat dei lobi front. Borna. Bertero. 142 S. — Beck, Schädelinhalt und Hirngewicht. 
Inaug.-Diss. Würzburg. — Tsuchida, Ursprungskerne der Augenbeweg. Arb. aus d. 
hirnanat. Instit. in Zürich (v. Monakow). Heft II. (Wiesbaden, J. F. Bergmann.) — 
Bach, Bemerkungen hierzu. Zeitschr. f. Augenheilk. XVI. Heft 5. — Bernheimer, Be¬ 
merkungen hierzu. Monatsbl. f. Augenh. XLIV. Beilageheft. — Marburg, O., Nerven¬ 
fasern in Subst. gelat. centr. Neur. Centr. Nr. 28. — Gianelli, Nucl. di origine del fac. 
sup. Biv. di pat nerv, e ment. Fase. 11. — Banchi, Nerv, degli arti pelo. ßiv. diPatol. 
nerv. XI. Fase. 10. — Yagits, Seitenstrangkern. Okayama-Igakkwai-Zasshi. Nr. 201. 

— v. Lenhossdk, Spinalganglienzellen. Arch. f. mikr. Anat. LXIX. Heft 2. 

II« Physiologie. Simpson und Hsrring, Sensorische Eindrücke im Bückenmark. Brit. 
med. Journ. Nr. 2399. — Lapicque, Elektrische Beizung. Ebenda. — Meitzer, Vagusreflexe. 
Ebenda. — Oixon, Vaguslähmung. Ebenda. — Harrison, Entwicklung der Nervenelemente 
bei den Wirbeltieren. Brit. med. Jonrn. Nr. 2398. — Buschan, Gehirn und Kultur. Wies¬ 
baden. J. F. Bergmann. 74 S. — Debray, Neuronentheorie. Journ. de Brux. Nr. 45. — 
Lalgnel-Lavastine et Voisin, Neuronophagie. Bev. de mdd. Nr. 11. — Ebstein, Lokalisation 
an Hirn Oberfläche. Klin. f. nerv. n. psych. Krankh. (Sommer.) L Heft 4. — Franz, 
Assoziationsbezirke des Hirns beim Affen. Journ. of Amor. Assoc. Nr. 18. — Lloyd, 
Faradisation der motorischen Binde. Jonrn. of Amer. Assoc. Nr. 24. — Lewandowsky, M., 
Funktionen des centralen Nervensystems. G. Fischer. Jena. 420 S. — Mingazzini and 
Polimanti, Success. Exstirp. eines Hirnlappens. Monatsscbr. f. Psych. u. Neur. XX. Heft 5. 

— Völsch, Bindenreizung an einem Halbaffen. Ebenda. — Pagano, Noyau caude, Arch. 
ital. de biol. XLVI. Faso. 3. — Riva, Inanition experiment Ebenda. — Bloch, E., Will¬ 
kürliche Erweiterung der Papillen. Deutsche med. Woch. Nr. 44. — Weber, Ernst, Be- 
wegnngsvorstellang. Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Heft 6. — Prengowsky, Hypästhes. 
Wirkung starker Laftströmnng auf die Haut. Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Ergänzungsb. 

— Perroncito, Regen, des flbres nerv. Arch. ital. de biol. XLVI. Fase. 2. — Cameron, 
Development of vertebr. nerve-cell. Brain. Nr. 115. — Stern, Bichard, Vibrationsgefühl. 
Wiener klin. Bundsch. Nr. 45. — Lucas, Optimal electr. Stimuli of nerve. Journ. of phys. 
XXXV. Nr. 1 u. 2. — GrOtzner, Gefäßmuskeln und ihre Nerven. Deutsch. Arch. f. klin. 
Med. LXXXIX. Heft 1—4. — Sutherland, Muskelreizung durch Kondensatorenentladung. 
Pflügers Arch. CXV. Heft 11 u. 12. — Kubo, Augenbewegungen vom N. acust. ausgelöst. 
Ebenda Heft 9 u. 10. — Boruttau, Elektropathologische Untersuchungen. Ebenda. Heft 
5 n. 6. — Pike and Stewart, Cerebr. activity in mammals and artifle. circul. Amer. Journ. 
of pbys. XVII. Nr. 4. — Lohmann, Subjektive Gesichtsempfindung. Zeitschr. f. Psychol. 
u. Phys. XLI. Heft 5. — Stumpf, O., Gefühlsempfindnng. Ebenda. Heft 1. u. 2. — 
LSwen. Wirkung des Kokain auf motorische Nervenstämme. Arch. f. exper. Path. LVI. 
Heft 1 u. 2. 

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Arb. ans d. hirnanat Instit. in Zürich (v. Monakow). Heft II. (Wiesbaden, J. P. Berg¬ 
mann.) — Schmidt-Rimpler, Encephalocele mit Stauungspapille. Zeitschrift f. Augenheil¬ 
kunde. XVI. Heft 5. 

IV. Neurologie. Allgemeines: Oppenheim, Nervenkrankheit und Lektüre. Berlin, 
S. Karger. 2. Aufl. 119 S. — Wilbrand und Singer, Neurologie des Auges. UL 2. Hälfte. 
Wiesbaden, J. F. Bergmann. — Barlow, Nerv, complic. of specif. fevers. Brain. Nr. 115. 

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Mills, Einseitige Paralyse. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 20. — Morselli, Les. nerr. dei feti 
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schrift f. Nervenh. XXXI. Heft 5—6. — Klare, Rücken markstich Verletzung. Zeitschr. f. 
Mediz. Nr. 24. — Santinl, Amyotr. Lateralskier. Rif. med. Nr. 48. — Cimbal, Spinal¬ 
punktionen. Ther. d. Gegenw. Heft 11. — Apelt, Cerebrospinalflüssigkeit. Mon. f. Psych. 

u. Neur. XX Ergänzungsh. — Fischer, Oskar, Zerebrospin. Pleocytose. Jahrb. f. Psych. 
XXVII. Heft 8. — Krause, F., Chir. Beh. der Hirn- und Rückenmarkstum. Wiener med. 
Presse. Nr. 46. — Urban, Lumbalanaesthesie. Wiener med. Woch. Nr. 52. — Preindls- 
berger, Lumbalanaesthesie. Heilkunde. Heft 11. — Baisch, Lumbalanaesthesie. Beitr. z. 
klin. Chir. (BrunB.) L1I. Heft 1. — Wirbelsäule: Payr, Behandl. d. Malum suboccip. 
Deutsche med. Woch. Nr. 50. — Rosenstein, Schuß Verletzung der Wirbelsäule. Inaug.- 
Diss. Berlin. — Mende, Behandlung der Spondyl. Auberc. Therap. Monatsh. Heft 11.— 
McCrae, Paratyphoid Spondylitis. Amer. Journ. of med. sc. Nr. 417. — Multiple 
Sklerose: Wegelin, Akut verlauf, mult Sklerose. Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXI. 
Heft 3—4. — Rodhe, Atyp. mult Sklerose. Hygiea. Nr. 11. — Syringomyelie: Gaussei 
et Livy, Syringom, ou löpre. Nour. Icon, de la Salp. Nr. 5. — Alquier et Lhermltte, Mal de 
Pott et syringom. Rev. neur. Nr. 24. — Gramegna, Radioterap, della siring. Riv. crit. 
di clin. med. Nr. 45. — Engel, Trauma und Syringomyelie. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 24. 
— Tabes: Spielmeyer, Experim. Tabes bei Hunden. Münch, med. Woch. Nr. 48. — 
Hammer, Tabes Orvosi Hetilap. Nr. 46. — Rothmann, TabeBartige Erkr. beim Affen. 
Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Ergänzungsh. — Negro, Fenom. di Abadie. Riv. nenropatol. 
Heft 3—4. — Mingazzini e Baschieri, Tabe eredit Riv. di Patol. nerv. XL Fase. 12. — 
Reflexe: NoTca, Röfl. osseux. Rev. neur. Nr. 21. — NoTca und Sakelaru, Plantarreflex. 
Sem. möd. Nr. 51. — Hertel, Pupillenverengerung auf Lichtreizung. Arch. f. Ophthalm. 
LXV. Heft 1. — Walton, Cerebral element in reflexes. Journ. of nerv, and ment dis. 
Nr. 11. — Gordon, Rdflexe paradoxal. Rev. neur. Nr. 22. — Krampf, Kontraktur: 
Fachs (Wien), Tonische Krämpfe des Rumpfes. Wiener med. Woch. Nr. 48. — Nicke, 
Wadenkrämpfe. Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Heft 6. — Meynier, Mioclonie. Arch. di 
pBich. XXVII. Fase. 6. — Neumark, Dupuytren. Berl. klin. Woch. Nr. 46. — Peri¬ 
phere Nervenlähmungen: Solley, Paral. of facial nerve. Amer. Journ. of med. sc. 
Nr. 416. — Lipschitz, Facialislähmung. Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Ergänzungsheft. — 
Donith, Sensib. bei periph. Gesichtslähmung. Neur. Centr. Nr. 22. — Dege, Lähmung 
des N. laryng. int Berl. klin. Woch. Nr. 45. — Massei, Rekurrenslähmung. Berliner 
klin. Wocne. Nr. 47. — Warrington und iones, Plexuslähmung. Lancet. Nr. 4346. — 
Wandel, Störungen im Geb. des N. medianus. Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXI. 
Heft 5—6. — Neuralgie: Gowers, Migräne. Brit med. Journ. Nr. 2397. — Gejerstam, 
Hypnose bei Migräne. Hygiea. Nr. 12. — Hoeflmayr, Zungenneuralgie. Münchener med. 
Woch. Nr. 51. — Offergeld, Ischias durch Retroreflexio uteri. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift Nr. 51. — Neuritis, Landry, Lepra: Wittmaack, Degener. Neuritis des üör- 
nerven. Zeitschr. f. Ohrenheilk. L1IL Heft l. — Kouindjy, Nevrites et leur traitement 
’Progr. med. Nr. 46. — Darnall, Mult Hautneurome. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 22. — 
Glinski, Ganglioneurom. Przegl. lek. Nr. 44 u. 45. — Magnus, Herpes zoster mit Veränd. 
im Rückenmark. Norsk. Mag. f. Laegevid. Nr. 12. — Slnkler, Landry’s paral. Journ. of 
nerv, and ment dis. Nr. 11. — Diesing, Jodoformbeh. bei Lepra. Deutsche med. Woch. 
Nr. 45. — Thompson, Leprabehandlung. Lancet. Nr. 4344. — Sympathicus, Base¬ 
dow, Akromegalie, Myxödem, Tetanie: Woods, Ganglioneuroma des Halssym- 
pathicus. Prager med. Woch. Nr. 48. — Cushing, Tumor of the hypophysis cer. Journ. 
of nerv, and ment. dis. Nr. 11. — Bartels, Geschw. der Hypopbysengegend. Zeitsohr. f. 
Augenheilk. XVI. Heft 5 u. 6. — Haskovec, Basedow. Wiener med. Woch. Nr. 49. — 
Llpine, Goitre exophth. devant la sörothörapie. Revue de m£d. Nr. 12. — Thompson, 
Exophth. goitre. Amer. Journ. of med. sc. Nr. 417. — Dsrnlni, Herz bei Basedow. Rif. 
med. Nr. 43. — Mayer, Serumbeh. des Basedow. Münchener med. Woch. Nr. 49. — 

v. Torday, Basedowtherapie. Wiener klin. Woch. Nr. 48. — Reiser, Schilddrüse u. Schild¬ 
drüsensubstanz. Zeitschr. f. exper. Path. u. Ther. UI. Heft 3. — Fowler, Myxoedema. 

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334 


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XX. Ergänzungsh. — v. Eysselt, Endem. Kretin. Casop. lek. cesk, Nr. 46—47. — Segale, 
Ablation des thyröoides. Arch. ital. de biol. XLVI. Fase. 2. — Garbini, Myxoed. posto- 
perat. Riv. di Patol. nerv. XI. Fase. 12. — Alquier, Nebenschilddrüsen u. ifonvulsionen. 
Gaz. d. höpit. Nr. 128. — Osborne, Schilddrüsenpräpar. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 18. 

— Frommer, Parathyreoidale Insuffizienz, Eklampsie, Tetanie. Mon. f. Geburtsh. XXIV. 
Heft 6. — Erdheim. Tetania parathyreopriva. Mitt. aus d. Grenzgeb. der Med. und Chir. 
XVI. Heft 4 u. 5. — Löwenthal und Wiebrecht, Behandlung der Tetanie. Deutsche Zeit* 
schrift f. Nervenh. XXXI. Heft 5—6. — Neurasthenie, Hysterie: Bichardson, Neur- 
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suchung bei Nervösen. Ebenda. — Flschl, Hysterie bei Kindern. Prager med. Woch. 
Nr. 51—52. — Sauvineau, Mydriase hystör. Rev. neur. Nr. 22. — Peritz. Neurasthenische 
Kopfschmerzen und Schwindel. Mediz. Klin. Nr. 44. — Orschansky, Pseudoarter. u Neur. 
Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Ergänzungsh. — Tetzner, Symptomatol. der Hysterie. Ebenda. 

— Krehl, Nervöse Herzerkrankung. Münchener med. Woch. Nr. 48 u. Zeitschr. f. ärztl. 
Fortbild. Nr. 28. — Gerhardt, Nervöse Herzstörungen. Klin. f. psych. u. nervöse Krankh. 
(Sommer.) I. Heft 4. — Goldflam, Hyster. Fieber. Neur. Centr. Nr. 21. — Yoshimoto, 
Hyster. Fieber. Neurologia. VIII. Heft 5. — Crämer, Dyspeps. nerv. München, J. F. Leh¬ 
mann. 281 S. — Hartenberg, Növrose d’angoisse. Presse möd. Nr. 88. — Raviart et Dubar, 
Aphasie chez un hystörique. Arch. de neur. Nr. 181. — Alessl, Traum. Astasie-Abasie. 
Gazz. d. osned. Nr. 153. — Wltry Hyst. u. relig. Empfinden. Psych.-neur. Woch. Nr. 88. 

— Flatau, Behandlung nerv. Kinder in Schulsanatonen. Ther. d. Gegenw. Heft 12. — 
Herz, Künstl. Luftstrom u. Licht bei Neurasthenie. Wiener med. Presse.. Nr. 52. — 
Oettinger, Treatm. of neurasthen. Therap. Gaz. Nr. 11. — Chorea: King, Hereditary 
Chorea. Med. Record. Nr. 1880. — Thayer, Chorea. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 17. — 
Grinker, Unilat. Chorea. Amer. Journ. of med. sc. Nr. 416. — Epilepsie: Gowers, Bor- 
derland of epilepsy migraine. Brit. med. Journ. Nr. 2397. — Beeta, Blut bei Epilepsie. 
Rif. med. Nr. 48. — Bullard, Rückenmarksaff. bei Epil. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 21. 

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Berliner klin. Woch. Nr. 45. — Stadelmann, Cerebr. Kinderlähmung u. Epilepsie. Wiener 
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Nervenheilk. XXXI. Heft 5—6. — Dobson, Epilepsie und Hirnklerose. Lancet. Nr. 4345. 

— Hoppe, Bromwirkung bei Epilepsie. Neur. Centr. Nr. 21. — Andenino, Conscience dans 
les accös d'öpil. Arch. di psych. XXVII. Fase. 6. — Nerlich, Mord und Brandstiftung 
im psych.-epil. Anfall. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 21. — Kellner, Opium-Bromkur. Münchener 
mea. Woch. Nr. 48. — Bökelmann, Behandlung des Status epilept. Therap. Monatsh. 
Nr. 11. — Eulenburg, A., Epilepsiebehandlung. Ther. d. Gegenw. Heft 11. — Bouman, 
Salzlose Diät. Tijdschr. voor Geneesk. Nr. 17. — Tetanus: Tiberti, Intossic. tet&n. 
sperim. Riy. di Pat. nerv. Fase. 11. — Blr, Praventivimpfung bei Tetanus. Corr.-Bl. f. 
Schweizer Ärzte. Nr. 23. — Andere und Morgan, Tetanus neonat. Journ. of Amer. Assoc. 
Nr. 25. — Lfiwen, Curarin bei Tetanus. Mitt. aus d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. XVI. 
Heft 4 u. 5. — Vergiftungen: Chotzen, Psychosen der Morphiumabstinenz. Allg. Zeit¬ 
schrift f. Psych. LXIII. Heft 6. —Alkoh olismus: Laquer, Alkoholfrage. Arch. für 
Sozialwiss. u. Sozialpol. XXIII. Heft 8. — Rybakow, Alkoh. u. Erblichkeit. Mon. f. Psych. 
u. Neur, XX. Ergänzungsh. — Hoppe, Alkohol und Strafrecht. Jur.-psych. Grenzfr. V. 
Heft 4—5. — Kalt, Alkoholintox. beim Kind. Corr. f. Schweizer Ärzte. Nr. 22. — Knust, 
Wohlfahrtsstellen f. Alkoholkranke. Med. klin. Nr. 36. — Syphilis: Homtn, Lues bered, 
tarda. Arb. aus dem Path. Inst, zu Helsingsfors. I. Heft 3. — de la Chapelle, Lues 
hered. tarda. Ebenda. — Hübner, Lues nervosa. Berliner klin. Woch. Nr. 45. — Buttino, 
Sifil. del sist. nerv. Riv. di Patol. nerv. XI. Fase. 10. — Ebstein, Behandlung d. syphil. 
Erkr. des Nervensystems. Klin. f. psych. u nerv. Krankh. 1. Heft 4. — Unfall: Bailey, 
Diseases of nerv. syst, result. from accid. and injury. New York and London, D. Appleton. * 
627 S. — Gaupp, Unfallgesetz und Nerven- und Geisteskrankheit Münchener med. Woch. 
Nr. 46. — Bloch, Ernst, Traumat. Neurose. Mediz. Klin. Nr. 45. — Watermann u. Baum, 
Arteriosklerose und Trauma. Neur. Centr. Nr. 24. — Berger. Mein Unfall. Ärztl. Sachv.- 
Ztg. Nr. 24. — Yoshikawa, Traumat. Hirnblut Mon. f. Psych. u. Neur. XX. Ergänz. — 
Döllken, Wann sind ünfallneurosen heilbar. Neur. Centr. Nr. 23. — Schuster, Behandlung 
von Unfallschäden durch den Neurologen. Med. Klinik. Nr. 46. — Hackländer, Unter¬ 
stützung des Unfallverletzten. Münchener med. Woch. Nr. 46. — Muskelatrophie, 
Muskeldystrophie: Krauss, Atroph, n. opt. u. neurot. Muskelatr. Zeitschr. f. Augenh. 
XVI. Heft 6. — Mailing, Dystr. musc. progr. Hospitalstid. Nr. 48. — Lejonne et Chartier, 
Dystrophie d'orig. pulmon. Nouv. Icon, de la Salp. Nr. 5. — Bum, Arthrit. Muskelatrophie. 
Wiener med. Presse. Nr. 51. — Familiäre Krankheiten: Newmark, Famil. spast 
Paraplegie. Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXI. Heft 3—4. — Higier, Famil. amaur. 
Idiotie. Ebenda. — Plantenga, Amyotr. spin. famil. Tijdschr. v. Geneesk. Nr. 26. — 
Varia: Erb, Kasuistik aus d. Praxis. Deutsche med. Woch. Nr. 47. — Edinger, Krampfe 
und Beschaftigungdk^mpfe. Mediz. Klin. Nr. 48. — Gironne, Springende Papillen. Zeit- 

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335 


schrift f. kln. Med. LX. Heft 5 u. 6. — v. Bechterew, Mechan. Muskelerregb. Neur. Centr. 
Nr. 23. — Drenkhahn, Rückenmuskelphänomen beim Sprechen. Mon. f. Psych. u. Neur. 
XX. Ergänzungsb. — Lachmund. Nervöse Hörstörungen. Ebenda. — Smurthwaite, Kopf¬ 
schmerz durch Nasenaffektion. Brit. med. Journ. Nr. 2394. — Reid, Miners 1 nystagmus. 
Brain. Nr. 115. — Haskovec. Maladie de Dercum. Rev. neur. Nr. 23. — v. Frankl-Hoch- 
wart und Zuckerkandl. Nervöse Erkr. der Harnblase. Wien, A. Holder. 137 S. 


Y. Psychologie. Kirby, Psycholog, methods. Med. Record. Nr. 1885. — Blnet, 
Cerveau et pensee. Arch de psychol. Nr. 21—22. — Decroly et Degand, Mesure de Pin- 
telligence. Ebenda. — Probst. Les dessins des enfants kabyles. Ebenda. — Pick, A., Kon¬ 
fabulation. Ebenda. — Maeder, Psychopathol. de la vie quotidienne. Ebenda. — Zbinden, 
Autosuggestion et mal de mer. Ebenda. — Wanke, KiDderpsychologie. Mediz. Klinik. 
Nr. 52. — Babel, Anomalies observöes dans les rapports sociaux. Ann. möd.-psychol. 
LXIV. Nr. 3. — Bianchlni, Psicologia della colonizzazione. Riv. di psicol. II. Nr. 6. — 
Sachs, B., Mental fatigue of children. Journ. of nerv, and ment. dis. Nr. 12. — v. Bechterew, 
Persönlichkeit. Wiesbaden, J. F. Bergmann. 38 S. — Hallervorden, Experim. Physiognomik. 
Psych.-neur. Woch. Nr. 39. — Krueger und Spearman. Geistige Leistungsfähigkeit. Zeit¬ 
schrift f. Psychol. u. Phys. d. Sinnesorg. XLIV. Heft 1 u. 2. 

VI« Psychiatrie. Allgemeines: Mönkemöller, Geisteskr. in Satire, Sprichwort u. 
Humor. Halle a./S., C. Marhold. 261 S. — Möbius. Scheffels Krankheit. Halle a./S., 
C. Marhold. 40 S. — Bleuler, Freudsche Mechanismen bei Psychosen. Psych.-neur. Woch. 
Nr. 34 u. 35. — Mendel, E., Gicht u. Psychose. Deutsches Arch. f. klin. Med. LXXXIX. 
Heft 1—4. — Brissard, Goitre chez les alienes. Rev. möd. de la Suisse rom. Nr. 11. — 
Stucky, Mental sympt. due to disease of nasal access. sinuses. Med. Record. Nr. 1881. — 
Liebscher, Liq. cer.-spin. bei Geisteskr. Wiener med Woch. Nr. 45. — La Pegna, Liq. ce- 
falo-rach. nelle mal. ment. Ann. di neurol. XXIV. Fase. 4. — Rossi, Orine di persone 
affette da frenosi. Ebenda. — Bolten, Presbysphrenia. Tijdschr. voor Geneesk. Nr. 21. — 
Tombinson, Motor. Degener. bei Demenz. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 17. — Finckh. Hitze¬ 
psychosen. Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIIL Heft 6. — Angeborener Schwachsinn: 
Hampe, Über den Schwachsinn. Braunschweig, Vieweg. 79 S. — Vogt, Hirngewicht der 
Idioten. Monatsscbr. f. Psych. u. Neur. XX. Heft 5. — Kovalevsky, Type mongol de 
Pidiotie. Ann. med.-psychol. LXIV. Nr. 9. — Vogt, Mongoloide Idiotie. Klin. f. psych. 
u. nerv. Krankh. (Sommer.) I. Heft 4. — Ranke, Eine zu Idiotie führende Erkrankung. 
Zeitschr. f. d. Erforsch, des jugeudl. Schwachs. I. — Moses, J., Hygien. Ausgestalt, der 
Hilfsschule. Arch. f. Schulhyg. III. Heft 2. — Sexuelles: Bloch, J., Sexualleben. 
Berlin, L. Marcus.’ 822 S. — Marie, A., Eunuchisme et örotisme. Nouv. Icon, de la Salp. 
Nr. 5. — Dammann, Impotenz. Mediz. Klin. Nr. 52. — Loewy. Yohimbin. Ther. der 
Gegenwart. Heft 12. — Horstmann, Triebanomalie bei nerv. Erschöpfungszust. Ärztl. 
Sachv.-Ztg. Nr 24. — Funktionelle Psychosen*. Upson, Man.-depr. Irresein. Journ. 
of Amerc. Assoc. Nr. 21. — Riklin, Katalepsie bei Katatonie. Psych.-neur. Woch. Nr. 32. 

— de Clärambault, Delire collectif. Ann. med.-psychol. LXIV. Nr. 3. — Kalmus, Selbst¬ 
kastration eines Paranoikers. Prager med. Woch. Nr. 43. — Soukhanoff, Etats depress. 
aigus. L'Encöphale. Nr. 6. — Pascal et Courbon. Delires des pröjudices pröseniles. 
Ebenda. — Progr. Paralyse: Brissaud et R6gis, Traumatisme et par. gen. Rev. neur. 
Nr. 21. — Wassermann u. Plaut, Cerebrospinalflüss. v. Paralytikern. Deutsche med. Woch. 
Nr. 44. — Bab, Bemerk, hierzu. Deutsche med. Woch. Nr. 49. — Alt, Syphil. Antistoffe 
bei Paralyse. Psych.-neur. Woch. Nr. 36. — Walton, Blutdruck bei Paralyse. Journ. 
of Amer. Assoc. Nr. 17. — Jach, Laevulosurie und Paralyse. Psych.-neur. Woch. Nr. 32. 

— v. Komya, Juvenile Paralyse. Wiener med. Presse. Nr. 50. — Robert et Fournial, Refl. 
de Babinski dans la par gen. Rev. neur. Nr. 21. — Rodiet et Cans, Troubles cörebr. dus 
ä Pale, et au tabac et par. gen. Ann. möd.-psych. LXIV. Nr. 3. — Forens, Psyhiatrie: 
Siefert, Geistesstör, der Strafhaft. Halle a/S., C. Marhold. 233 S. — Kornfeld, Psych. 
Gutachten und richterl. Beurteilung. Jur.-psych. Grenzfr. V. Heft 1. Halle a/S., C. Mar¬ 
hold. — Bresler, Greisenalter und Kriminalität. Jur.-psych. Grenzfr. V. Heft 2—3. — 
Mercklin, Sittlichkeitsvergehen. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 23. — Spaet, Gemeingefährlichkeit. 
Zeitschr. f. Mediz. Nr. 21. — Kreuser und Schmoller, Testamentserrichtung. Jur.-psych. 
Grenzfr. IV. Heft 7—8. — Hegler und Finckh, Latente Geistesstör, bei Prozeßbeteiligten. 
Ebenda. — v. Schwab, Verminderte Zurechnungsfäh. Ebenda. — Hess, Geschäftsunfähig, 
heiml. Geisteskr. Psych-neur. Woch. Nr. 35. — Weber, L. W., Der Hauptmann von 
Köpenick. Psych.-neur. Woch. Nr. 39. — Wulffen, Ibsen 1 s Nora. Halle a/S., C. Marhold. 
59 S. — Wulffen, Kriminalpsychologie in Schillers Räubern. Ebenda. 80 S. — Petrdn, 
Gutachten vom Standpunkt des Gefängnisarztes. Hygiea Nr. 12. — Roncoroni, Anomalies 
dans les erirainels et öpilept. Arch. di psych. XaVII. Facs. 6. — Tovo e Rota, Döve- 
loppement de la criminalite. Ebenda. — Marlani, Criminaloide semi-passion. Ebenda. — 
Audenino, Paresies mimiques chez les fous et criminels. Ebenda. — Lombroso. Eshibizion. 
e cleptoman. Ebenda.— Therapie der Geisteskrankheiten: Brower, Behandl. akuter 
Geistesstörungen. Brit. med. Journ. Nr. 2395. — Westhoff, Freiluftliegekur bei Geistes¬ 


kranken. Psych.-: 

tubercul. ReV? de 

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Psych.-neur. Woch. Nr. 38. — Marie et Rolet, Infirmiers d’asiles d’alienes et 
ReY?de 12. — Strobl, Proponal bei Geisteskranken. Pesfftjii med. chir. 

V " □£ I-i iMiurnr n tu rtr tai i r i 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



336 


Presse Nr. 62. — Hockauf, Anstalten Nordamerikas. Psych.-neur. Woch. Nr. 40. — Hsgar, 
Arbeitsentlohnung in Anstalten. Alle. Zeitschr. f. Psych. LXIII. Heft 6. — Albrecht, 
Entweichungen Geisteskranker. Ebenda. 

VII. Therapie. Carusi, Isopral. Rif. med. Nr. 45. — Fisher, Behandl. der Schlaf¬ 
losigkeit. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 22. — Rosenthal, F., Kephaldol. Wiener klin. Rund¬ 
schau. Nr. 48. — Shoemaker, Electricity. Med. Record. Nr. 1879. — v. Holst, Elektrolyt. 
Therapie. Petersb. med. Woch. Nr. 47. — Cohn, T., Elektrotherapie. Ther. d. Gegenw. 
Heft u. 12. — Frankenhluser, Elektrotherapie. Stuttgart, F. Enke. 120 S. — Heumann, 
Elektromedikament Ther. Deutsche med. Woch. Nr. 44. — Jellinek, Elektrizität. Mün¬ 
chen-Berlin, R. Oldenburg. 468 S. — Üblich, Hydrother. Deutsche militärärztl. Zeitschr. 
Heft 11. — Schwalbe, J., Therap. Technik. Leipzig, G. Thieme. 352 8. — Laehr, Be- 
sohäftigungsther. f. Nervenkr. Wiener klin. Woch. Nr. 52. — Colombo, Röntgenstrahlen 
und Centralnerrens. Zeitschr. f. phys. u. diät Ther. Heft 9. — Moll, A., Hypnotismus. 
4. Aufl. Fischers med. Buchh. 642 S. — Pauli, Seereisen. Zeitschr. f. phys. u. diät Ther. 
X. Heft 7 u. 8. — Friedrich, Die Seereisen. Berlin, Vogel u. Kreienbr. 825 S. 


V. Vermischtes. 

Für den vom 16. bis 18. April 1907 zu Wiesbaden stattfindenden XXIV. Kongreß 
für innere Medizin sind folgende den Neurologen bzw. Psychiater interessierende Vor¬ 
träge angcmeldet: 

Sigm. Gard (Pistyan): Über ein bisher unbekanntes pathognomostisches Symptom der 
Ischias. — H. Gutzmann (Berlin): Zur Behandlung der Aphasie. — Honigmann (Wies¬ 
baden): Über Eriegsneuro8en. — Huismans (Köln): Zur Nosologie und pathologischen Ana¬ 
tomie der Tav-Sachasehen familiären amaurotischen Idiotie. — Paul Krause (Breslau): Zur 
Röntgen- und Injektionstherapie bei Trigeminusneuralgie und Ischias. — Pel (Amsterdam): 
1. Paroxysmale Hämoglobinurie und Hrperglobulose. 2. Myasthenia pseudoparalytica und 
Hyperleukozytose. — Ratner (Wiesbaden): Untersuchungen zur pathologischen Anatomie 
der Paralyse. 

Am 15. April findet eine Festsitzung zur Feier des 25 jährigen Bestehens des Kongresses 
statt Eröffnung durch Herrn ▼. Leyden (Berlin). Vorträge: Neuralgien und ihre Behandlung. 
Referat: Herr Schnitze (Bonn). — Erfahrungen über medikamentöse Injektionen bei Neu¬ 
ralgien. Herr Schlösser (München). 


Der XV 11. Kongreß der Irrenärzte und Neurologen Frankreichs und der 
französisch sprechenden Länder findet vom 1. bis 7. August d. J. zu Genf nnd 
Lausanne statt Folgende Referate stehen auf dem Programm: 1. Die periodischen Psy¬ 
chosen. Referent: Dr. Antbeaume (Paris). — 2. Definition und Wesen der Hysterie. 
Referenten: Dr. Claude (Paris) und Dr. Schnyder (Bern). — 8. Die Zurechnungsfähigkeit. 
Referent: Dr. Gilbert-Ballet (Paris). 


/ 


Emst von Bergmann i* 

Am 25. M&rz starb zu Wiesbaden Ernst von Bergmann im 71. Lebens¬ 
jahre. In ihm verliert die medizinische Wissenschaft einen ihrer hervorragendsten 
Vertreter, die dentsche Ärzteschaft den ausgezeichnetsten Kollegen nnd ihren 
besten Freund. Was er der Chirurgie gewesen, werden Berufenere verkünden, 
aber auch die Neurologie hatte au seinen reichen Gaben teil: seine Unter¬ 
suchungen über den Hirndruck, seine Arbeiten über die chirurgische Behand¬ 
lung bei Hirnkrankheiten, insbesondere bei Hirngeschwülsten, über plastische 
Operationen bei Hirnverletzungen, über Meningitis, seine „Lehre von den Kopf¬ 
verletzungen“ waren bahnbrechend. 

Alle, die ihn kannten, verehrten aber in ihm nicht bloß den Gelehrten, 
den genialen Chirurgen und Arzt, sondern auch vor allem den ausgezeichneten 
Menschen mit den trefflichen Charaktereigenschaften. 

Sein Andenken wird nicht erlöschen! 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel. 

__ Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 

Verlage von Veit A Comp, in Leipzig. —- Druck von Mrtzgeb A Wittig ji^J^eipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) ' 

Seehsandzwsiiugster “ BerliIL Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Bachhandlangen des In* and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbachhandlung. 


1907. 


16. April. 


Nr. 8. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Bemerkungen über die Fibrillogenie and ihre Be¬ 
ziehungen zur Myelogenie mit besonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri, von K. Brod- 
mann. 2. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren der motorischen Region des Gro߬ 
hirns nebst Beiträgen zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis cerebri 
und bei genuiner Epilepsie, von Dr. G. Stertz. 

II. Referate. Physiologie. 1. Untersuchungen über die Erweiterung der Pupillen 
auf psychische und sensible Reize nebst einigen allgemeinen Bemerkungen über Pupillen¬ 
reaktionen, von HUbner. 2. Über willkürliche Erweiterung der Pupillen, von Bloch. — 
Psychologie. 3. Conception psychologique du nevrosisme, parZbinden. — Pathologische 
Anatomie. 4. Klinische Beobachtung eines Falles von Spina bifida lumbosacralis (Myelo- 
cystocele), von Bernhardt. — Pathologie des Nervensystems. 5. Über die Ursachen 
der Neurasthenie und Hysterie bei deu Arbeitern, von Schünhals. 6 . Bemerkungen über 
Neurasthenie und ihre klimatische und balneotherapeutische Behandlung, von Romborg. 
7. Über das Wesen der Neurasthenie, von Dunin. 8 . Über Störungen motorischer Funktionen 
durch die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit, von Pick. 9. Neurasthenia and neuro-hyper- 
aesthesia of Grocco, by Timpano. 10. Über die Ätiologie und Therapie der neurasthenischen 
Kopfschmerzen, des neurasthenischen Schwindels und der Migräne, von Peritz. 11. Nerven¬ 
krankheit und Lektüre. Nervenleiden und Erziehung. Die ersten Zeichen der Nervosität 
des Kindesalters, von Oppenheim. 12. Accidents hysteriques d’imitation, par Terrien. 13. Globus- 
gefühl und Aura, von Buch. 14. Hypesthesia and hypalgesia and their significance in 
ranctional nervous disturbances, by Angell. 15. Anestnesia associated with hyperalgesia 
sharply confined to areola-nipple area of both breasts; a new and apparently constant 
stigma of hysteria, by Graves. 16. Le ptosis paralytique dans Physterie, par Sauvineau. 
17. La mydriase hystdrique n’existe pas, par Sauvineau. 18. Über Pupillenstarre im hyste¬ 
rischen Anfall, von Bumke. 19. Über einen Fall plötzlicher Erblindung im Kindesalter, 
von Hasenknopf. 20. Über die psychisch bedingten Einengungen des Gesichtsfeldes, von 
Klien. 21. Beitrag zur Kenntnis hysterischer Sprachstörungen, von Maas. 22. Hysterik 
afoni med enkelsidig recurrensförlamning, af Tür ne. 23. Über eine Epidemie von hysterischem 
Laryngismus, von Haase. 24. Le vomissement acetonemique et Physterie infantile, par 
Fisch!. 25. Ständige Incontinentia urinae infolge infantiler Hysterie, von Bauer. 26. Fiävre 
hysterique chez Penfant, par Comby. 27. Ictere eraotif chez une femme enceinte, par Lam- 
brior. 28. Über gehäufte kleine Anfälle, von Heilbronner. — Psychiatrie. 29. Des phobies, 

S ar Terrien. 30. Clinical observation on a rare case of „phobia“, per Timpano. 31. Über 
ie Angstzustände, von Kräl. 32. Sur la nyctophobie chez les enfants, par Senet. 33. Coming 
of psychasthenia, by Blumer. 34. Ein Beitrag zar Kasuistik der hysterischen Geistes¬ 
störungen, von Bihler. 35. Zur Kasuistik eigenartiger Fälle hysterischer Psychoneurosen, 
von Soukhanoff und Fdlicine. — Forensische Psychiatrie. 36. Geistesschwäche bei 
psychogener Neurose mit bezug auf § 6,1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, von Sommer 
37. Kasuistischer Beitrag zur Frage über die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit der 
Hysterischen, von Hösel. 38. Omicidio commesso uello „stato secondo di Azam“, per Bian- 
Cone und Majano. — Therapie. 39. Recent experiences in the study and treatment of 
hysteria, with remarks on Freuds method of treatment by psycho-analysis, by Putnam. 
40. Wie sichern wir den Heilerfolg der Anstalten für Nervenkranke, von Laehr. 


III. Bibliographie. 1. Die Röntgen-Strahlen im Dienste der Neurologie, von FUrnrohr. 

2. Lectures on neurasthenia, by Savill. 

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's on neurasuien 

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IV. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrank¬ 
heiten. — Psychiatrischer Verein zu Berlin. — XXXVI. Kongreß der Deatschen Gesell* 
schaft für Chirurgie in Berlin vom 3. bis 6. April 1907. 

V. Vermischtes. 


I. Originalmitteilungen. 


[Aus dem neurobiologiBchen Laboratorium der Universität Berlin.] 

1. Bemerkungen über 

die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur Myelogenie 
mit besonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri. 

Von K. Brodmann. 


Daß die Silberreduktionsmethoden für die elektive Darstellung neuro- 
fibrillärer Elemente auch im embryonalen Centralnervensystem geeignet sind, 
haben bereits Cajal(I) und Biblschowsky (2), ersterer an höheren, letzterer an 
niederen Vertebraten erwiesen. Es lag daher nahe, an Silberpräparaten die 
Fragen zu untersuchen, einerseits wie sich die erste Anlage von Nervenfasern 
im Embryo vollzieht und andeiseits, ob die Ausbildung der nervösen Leitungs¬ 
bahnen nach gewissen einfachen und feststehenden Gesetzen vor sich geht, etwa 
wie sie für die Myelogenie behauptet worden sind. 

Mit der histogenetischen Seite des Problems hat sich hauptsächlich 
Held (3 und 4) beschäftigt Im Gegensatz zu ApAthy und Bbthb, welche be¬ 
haupteten, daß die Neurofibrillen nicht in den Granglienzellen, sondern in sog. 
„Nervenzellen“ gebildet werden und erst sekundär in jene eindringen, zeigte er 
an einem vielseitigen Tiermaterial in überzeugender Weise, daß der Prozeß der 
Neurofibrillation in denjenigen Zellen, welche His als Neuroblasten bezeichnet 
hat, also in den späteren Ganglienzellen selbst beginnt, indem sich innerhalb 
des Protoplasmas an der sog. fibrillogenen Zone der Neuroblasten (der basalen 
Zellregion Rabls) ein Neuroreticulum bildet, das ein primäres Fibrillenhaupt- 
bündel, den späteren Neuriten, aussendet und sich ziemlich gleichzeitig über den 
ganzen Zellleib, die Kernregion und die Plasmodesmen, d. h. die protoplasmatischen 
Interzellularbrücken, welche eine Zelle mit der andern verbinden, ausbreitet. 
Er lehrt also mit His einen unizellularen Ursprung der Nervenfortsätze, im 
Gegensatz zu His, welcher ein freies Auswachsen der Fasern in Gewebe¬ 
lücken annahm, das Vorhandensein eines embryonalen Syncytiums und das 
Vordringen der Neurofibrillen in den persistierenden Interzellularbrücben bzw. 
den Zellkörpern dieses Syncytiums. Er behauptet damit einen intraplasmatisch 
fortschreitenden Prozeß der Neurofibrillation und zwar sowohl für die Axone 
wie für die Dendriten. „Kurz gesagt, — resümiert Held — entsteht also die* 
Nervenleitung durch die Umwandlung von Plasmodesmen in Neurodesmen, 
durch einen Prozeß, der in der neurofibrillenvortreibenden Tätigkeit der Neuro¬ 
blasten begründet ist.“ 

Von anderen Gesichtspunkten aus habe ich selbst das Studium der Ent- 


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Wicklung der Neurofibrillen im Centralnervensystem in Angriff genommen. 
Mir kam es weniger auf histogenetische Fragen im engeren Sinne als vielmehr 
darauf an, zu untersuchen, in welcher Reihenfolge Neurofibrillen in den ver¬ 
schiedenen Abschnitten des Centralnervensystems auftreten und ob etwa eine 
gesetzmäßige Beziehung zwischen dieser Reihe und der Myelogenie, d. h. der 
zeitlichen Reihenfolge, in der die Nervenfasern sich mit Mark umhüllen, sich 
nach weisen lasse. In einem Vortrage vor der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten (Juli 1»05) habe ich an mensohlichen Föten das sehr 
frühzeitige Auftreten von Neurofibrillen im Rückenmark und in verschiedenen 
Windungsabschnitten der Großhirnrinde demonstriert und gezeigt, daß in mehr 
als einer Hinsicht eine Divergenz mit der Myelogenie besteht; 
namentlich konnte ich schon damals an meinen Präparaten vom Cortex cerebri 
darauf hinweisen, daß sich überall in der äußersten Rindenschicht Tangential¬ 
fasern, also unzweifelhaft Assoziationsfasern in großer Anzahl zu einer Zeit finden, 
wo die ersten Radiärfasern die innersten Rindenschichten vielfach noch gar 
nicht erreicht haben (5). Dieser Nachweis steht in unvereinbarem Widerspruch 
mit einem der Fundamentalgesetze der FLECHBiG’schen Myelinisationslehre, nach 
dem die Assoziationsfasern der Rinde überall erst dann ihr Mark erhalten, wenn 
die Projektionsfaserung vollständig entwickelt ist 

Auf Grund erweiterten Materiales, besonders von jüngeren menschlichen 
Stadien, aber auch von Katzenembryonen (letztere von Dr. Hafsahl in unserem 
Institut bearbeitet), konnte ich später (6) die Gegensätzlichkeit zwischen Fibrillogenie 
und Myelogenie noch schärfer präzisieren und den Satz aufstellen, daß ein ein¬ 
facher Parallelismus zwischen Myelogenie und Fibrillogenie, wie ihn kurz vorher 
Bbook vom Schwein behauptet hatte, für den Cortex cerebri des Menschen 
sicherlich nicht besteht, geschweige denn, daß letztere eine Bestätigung der sog. 
FLECHSiG’scben Lehren darstellt 

Bbock (7) hatte nämlich, ohne meinen vorher veröffentlichten gegensätzlichen 
Standpunkt zu erwähnen, in einer Abhandlung über die Entwicklung der Neuro¬ 
fibrillen des Schweinefötus, die Ansicht vertreten, daß im CxjAL’schen Fibrillen¬ 
präparat „die Reihenfolge der Imprägnierung der einzelnen Bahnen 
im ganzen der Reihenfolge der Markscheidenentwicklung ent¬ 
spreche“ (1. c. S. 477). 1 Allerdings bringt die Arbeit Bbock’s selber tatsächliche 
Angaben, welche damit nicht in Einklang stehen. So schreibt Bbock — um 
nur einige Punkte herauszugreifen —, daß bei einem Sohweinefötus von 280 mm 
die Marksubstanz des Großhirns überall inprägnierte Fibrillen enthält, „aber be¬ 
deutend reichlicher in den nach dem Frontalpol zu gelegenen Windungen“ 
(7, S. 476). Also, nach den eigenen Worten des Verfassers, in den Stirn¬ 
windungen eine bedeutend reichlichere Faserentwicklung, als in anderen Win¬ 
dungsabschnitten, was ungefähr gleichbedeutend ist mit einer Umkehrung der 
myelogenetischen Reihe, in der das Stirnhirn ziemlich an letzter Stelle steht 


* Diese Ansicht ist von Zibhbn ohne weiteres in seine vergleichende Entwickelonga- 
geschichte des Siagetiergehirnes fibernommen worden. 

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Ferner schreibt er (7, S. 477), daß „einzelne Bahnen sogleich in ihrer ganzen 
Ausdehnung imprägniert“ erscheinen, während die Imprägnationsfähigkeit bei 
anderen, gleichviel ob es sich um centrifugal- oder centripetalleitende handelt, 
„von dem im anatomischen Sinne peripherischen Ende nach dem centralen fort¬ 
schreitet“ (Beispiele: Facialis, Trigeminus), eine Angabe, die wiederum mit dem 
obigen Satze sich nicht vereinigen läßt, wenigstens wenn man ihn im Sinne der 
FLEOHBio’schen Lehre nimmt, da nach dieser die Markreife der Bahnen im 
Sinne der Leitungsrichtung fortschreitet. 

Und schließlich berichtet Bbook von seinem zweitjüngsten Stadium (Schweine¬ 
fötus von 24 mm) über die Bahnen des Rückenmarkes, daß der Vorderstrang 
sehr zahlreiche Fibrillen enthält, daß im Seitenstrang die Zahl der imprägnierten 
Fibrillen bedeutend geringer und über das ganze Gebiet des Seiten- 
Stranges in den einzelnen Abschnitten des Querschnittsbildes gleichmäßig 
verteilt ist (7, S. 469), und daß der Hinterstrang in den kaudalen Abschnitten 
noch gar nicht angelegt i 9 t! — Befunde, welche ebenfalls, mögen sie sich später 
als richtig oder unrichtig erweisen, allen Tatsachen der Myelogenie widersprechen, 
da hier das Pyramidenareal gegenüber den anderen Balmen weit in der Ent¬ 
wicklung zurückbleibt. 

Wie der Verfasser diese inneren Widersprüche seiner Arbeit lösen will, 
muß ihm selbst überlassen bleiben. 

Vorsichtigere, wenn auch in Einzelheiten, teils wohl durch das Material, 
teils durch Mängel der Methode bedingt, sachlich ebenso unrichtige Aufstellungen 
macht Gieblioh (8). Seine Untersuchungen, die an menschlichen Föten vom 
8. bis 10. Monat angestellt sind, beschränken sich auf „die Entwicklung der Neuro¬ 
fibrillen in der Pyramidenbahn“ und haben zu höchst überraschenden Ergeb¬ 
nissen geführt. Bezüglich des peripheren motorischen Neurons bestätigt er zu¬ 
nächst die Angabe Bbock’s, „daß die fibrilläre Anlage der extra- und intra¬ 
spinalen Wurzeln der Fibrillenbildung in den Vorderhornzellen vorangeht“ (8, 
S. 103); er stellt sich damit auch auf den Standpunkt, daß die Entwicklung 
der motorischen Nerven des Rückenmarkes von der Peripherie naoh der Zelle 
zu fortschreite. Ganz ähnlich verhält es sich naoh Gieblioh mit dem cerebro¬ 
spinalen motorischen Neuron. „Die Bildung der Neurofibrillen in der Pyramiden¬ 
bahn beginnt etwa im 6. Monat in Rückenmark und Hirnstamm gleich¬ 
mäßig. ... Die Pyramidenzellen haben zu dieser Zeit noch keine Fibrillen“ 
(8, S. 106). Also auch hier eine Reifung der Nervenbahn centripetalwärts, 
nach der Ursprungszelle zu. 

Diese Befunde sind nun zweifellos unrichtig und durch die oben erwähnten 
älteren HELD’schen Untersuchungen an niederen Säugetieren, die der Verfasser 
nicht gekannt zu haben scheint, bereits widerlegt. Für den Menschen habe ich selbst 
Befunde erhoben, welche jenen ebenfalls entgegenstehen. Während Gieblioh be¬ 
hauptet, daß im dritten fötalen Monat, zu einer Zeit, wo er die intra- und extra¬ 
spinalen Wurzeln kräftig entwickelt fand, von Fibrillenbildung in den Vorderhorn¬ 
zellen noch nichts zu sehen ist, konnte ich bereits bei einem einmonatlichen 
menschlichen Embryo „zarte fibrilläre Strukturen innerhalb des plasmatischen 

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Syncytiums“ des Vorder horns nach weisen (6, S. 288) und Neuroblasten mit einem 
ausgedehnten Neuroretäculum und aus demselben hervorgehenden Wurzelfasern, 
ganz wie es Hbld beschrieben hat, demonstrieren. Und ferner: Während 
Gisbuch den Beginn der Neurofibrillation in der motorischen Hirnrinde in 
den 8. bis 9. Monat verlegt, die Fibrillenbildung in der cerebroepinalen moto* 
rischen Bahn (Pyramidenbahn) im 6. Monat beginnen läßt, habe ich ffir die 
Großhirnrinde „das erste Auftreten differenzierter Fasern beim Menschen im 
fünften fötalen Monat“ (5, S. 289) (neuerdings an frischerem Material schon im 
4. Monat) also weit früher als Giehlich in der Pyramidenbalm, beobachtet 
Wodurch diese gewaltige Differenz von vier und mehr Monaten zwischen den 
GiEBLiCH’schen und meinen Befunden zu erklären ist, kann ich hier nicht ent¬ 
scheiden. 1 Sie mahnt aber jedenfalls zu äußerster Vorsioht in der vorzeitigen 
Aufstellung allgemeiner Schlüsse und Gesetzmäßigkeiten, von denen sich ja 
auch Gublich im allgemeinen ferngehalten hat 

Nicht so Döllkkn, welch«: die Fibrillenentwicklung der „Maus“ unter¬ 
sucht bat Er glaubt aus seinem immerhin recht einseitigen Material sofort 
bedeutungsvolle allgemeingültige, entwicklungsgeschichtliche Gesetze ableiten zu 
können. 

Als Hauptthese stellt D., ohne frühere einschlägige Arbeiten oder ent¬ 
gegenstehende Anschauungen (Hbld, Bhodmann, Bbook, Gieblicb) auch mir 
mit einem Wort zu erwähnen, die Behauptung an die Spitze, „daß die Leitsätze 
Flechsig’ s über den Bauplan des Gehirns, welche er aus der Markreifung ab¬ 
leitete, auch für die frühesten Reifungsvorgänge ihre Geltung haben“ (9, S. 956). 
Auf keiner Entwicklungsstufe habe er im Rückenmark, Hirnstamm 
oder Großhirn Befunde erhoben, die dem FLEOH6iG’schen Gesetz 
widersprechen (10, S. 3). Daraus ergibt sich für Döllken als selbsverständ- 
liche Folge der Kardinalsatz „daß das myelogenetische Grundgesetz 
sich zum allgemeinen hirnentwicklungsgeschichtlichen Grund¬ 
gesetz erweitert“ und alles dies auf Grund von 250 Mäusegehirnen, „außer 
anderen Wirbel- und Säugetieren“, die allerdings nicht genannt werden! 

Es sollen nun die für unsere Frage prinzipiell wichtigsten Befunde und 
Angaben der vorgenannten Autoren, namentlich Döllkkn ’s, im einzelnen auf¬ 
geführt und ihnen meine Befunde am Menschen (teilweise auch der Katze) 
namentlich vom Cortex cerebri entgegengestellt werden. Dabei muß ich mich 
auf die Erledigung einiger Hauptgesichtspunkte beschränken und kann nur 


1 leb möchte nur nochmals anf das hin weisen, was ich bereits in meinem Vortrng 
1906 bezüglich der Methoden aasgeführt habe(5). Die Bm.scHOwsKT’sche Methode liefert 
in den frühesten Embryonalstadien des Menschen (1. and 2. Monat) bei Totalimprägnation 
Bilder von ausgezeichneter Klarheit and Eleganz. In den späteren Stadien, bis es gelingt, 
Gefrierschnitte herznstellen, versagt sie; hier kommt nach meinen Erfahrungen hauptsächlich 
Cajal's H. Modifikation in Betracht. Am jugendlichen und erwachsenen Gehirn ist dagegen 
die Gefrierschnittversilberung nach Biblsohowskt wieder anbedingt überlegen, ganz abgesehen 
von pathologischem Material, wo sie allein in Anwendung kommen sollte. Ähnlich spricht sich 
auch Edimbb in seiner Arbeit „über das Gehirn von Myzine glntinosa“ aus.' 


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wenige Details bringen. Von den subkortikalen Leitungsbahnen sehe ich in 
der Hauptsache ab, da es mir nur darauf ankommt, festzustellen, inwieweit die 
Fibrillogenie des Cortex einen Parallelismus mit der Myelogenie aufweist, und ob 
die Behauptung berechtigt ist, daß die Flechsig ’schen Hauptgesetze der Myelini- 
sation auf die Fibrillenentwicklung der Großhirnrinde Anwendung finden. 

Um etwaigen Einwänden zuvorzukommen, darf nicht unerwähnt bleiben, 
daß ich mich nur ungern und entgegen meiner ursprünglichen Absicht zu dieser 
Veröffentlichung entschlossen habe. Mein Plan war, Material zu sammeln und 
so lange zu warten, bis eine erschöpfende systematische Darstellung der Fibrillo¬ 
genie des Menschen und gleichzeitig eine positive Formulierung von Schlu߬ 
folgerungen möglich war. Dazu halte ich die Zeit noch nicht für gekommen. 

Die Sachlage ist aber jetzt durch die jüngsten Arbeiten derart geworden, 
daß mir eine Pflicht zur Entgegnung, selbst wenn diese hauptsächlich negativer 
Art ist, vorzuliegen schien, da zu befurchten steht, daß die vorerwähnten apo¬ 
diktischen Sätze von der Mehrheit in Bausch und Bogen gutgläubig biu- 
genommen und, wie es in ähnlichen Fällen meist ist, von phantasiebegabten 
Theoretikern im Sinne bequemer Hypothesen ausgebeutet werden. Einer solchen 
Verwirrung der wissenschaftlichen Anschauungen durch rechtzeitigen Wider¬ 
spruch vorzubeugen, halte ich für geboten. 

I. Hauptsatz Dollken’S: „Zuerst entwickeln sich die Projektionssysteme 
und dann die Assoziationsfaserungen“ im Gehirn wie im Bückenmark. Die 
Assoziationsfasern treten zunächst in den innersten Schichten der Rinde und immer 
nach den Projektionsfasern auf. Die Kommissurenfasern kommen am spätesten. 

Dem ist folgendes entgegenzuhalten: 

1. Über die ganze Großhirnoberfläche, in früh- und spätmarkreifen Gebieten 
gleichermaßen, findet sich bei menschlichen Föten von 4 bis 5 Monaten (Katzen¬ 
fötus von 10 mm) innerhalb der äußersten Bindensohicht, der späteren Lamina 
zonalis, eine ausgebreitete und dichte Tangentialfaserung, welche nirgends mit 
Radiärfasern (Projektionsfasern) in Zusammenhang steht, deren Fasern vielmals 
innerhalb dieser Schicht selbst aus mächtigen, multipolaren und bipolaren Zellen als 
deren fibrillär differenzierte Fortsätze hervorgehen. Es handelt sich also zweifel¬ 
los um intrakortikale Assoziationsfasern, und diese werden an vielen 
Orten gebildet, bevor irgend eine Projektionsfaser die Rinde 
erreioht hat. 

Von Döllkbn (und Gibrlioh) sind diese Elemente ganz übersehen worden, 
möglich auch, daß die Präparate Döllkbn’s sie nicht erkennen lassen, da die von 
ihm angewandte CaJAL’sche Methode nach meinen Erfahrungen sehr leicht die 
äußersten Schichten ganz überschwärzt oder durch den Ammoniakalkohol derart 
zu Schrumpfung bringt, daß Strukturelemente nicht mehr zur unterscheiden Bind. 

Auch Cajal hat diese interessanten Zellformen, welche offenbar den von 
Rbtzius am Golgi-Präparate entdeckten und von Köllikeb und Cajal bestätigten 
embryonären Phasen der Spezial- oder Horizontalzellen in der plexi¬ 
formen (zonalen) Schicht entsprechen, in seinen Fibrillenpräparaten nicht gesehen, 
dagegen erwähnt er sie bei der Analyse der Rinde im Golgi-Bilde (1). Diese 
mächtigen embryonalen Zellen, welche zum Teil ganz monströse Formen zeigen und 
oft zahllose Fortsätze aussenden (Mensch und Katze), konnte ich in der er¬ 
wachsenen Hirnrinde nicht mehr nachweisen. 

2. Die ersten Assoziationsfasern treten demnach nicht, wie Döllkbn behauptet, 
in der von ProjektionBfasern eben erreichten innersten Schicht auf, sondern ich 

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finde sie im 4. Fötalmonat innerhalb der äußersten Schicht, namentlich 
auch in Kindengebieten, die sonst noch faserfrei sind; diese Tan- 
gentialfaserung entwickelt sich ganz unabhängig von den Pro* 
jektionsfasern und ist auch da, wo Radiärfasern die tiefen Rinden- 
schichten erreicht haben, ohne Zusammenhang mit diesen. 

3. Der Satz, daß die Rommissurenfasern — natürlich in Übereinstimmung mit 
einem Flechsig ’schen Hauptgesetz — zuletzt, also nach den Assoziationsfasern 
und ent wenn die Projektionsfasern die 2. Zellschicht erreicht haben, auftreten, 
entbehrt jeder tatsächlichen Unterlage. 

Wie in aller Welt will Döllken in einer bereits faserreichen Rinde eine 
Rommissurenfaser von einer Projektions* oder Assoziationsfaser unterscheiden? Es 
▼erhält sich damit ebenso, wie wenn Döllken an auderer Stelle — wiederum 
um das Flechsig ’sche Gesetz zu retten — „aus der Zahl und Anordnung“ innerer 
Assoziationsfasern den Schluß zieht, „daß sie erst entstanden sein können un¬ 
mittelbar nachdem die Projektionsfasern in der Rinde angekommen sind“ (10, S. 6). 
Solche Behauptungen schweben vollständig in der Luft und haben nicht die 
mindeste Beweiskraft für oder gegen eine Theorie. 

4. Aber auch auf das Rückenmark läßt sich der obige Satz, 
wenigstens in den frühesten Stadien, nicht ohne weiteres anwenden. 
Man betrachte die von Held beschriebenen ersten Fibrillationsprozesse an der 
grauen Substanz des Rückenmarkes, die ioh an menschlichen Embryonen von 4 
und 6 Wochen in ganz ähnlicher Weise beobachtet habe. Gleichzeitig mit der 
Entstehung des Neuroreticulums in dem fibrillenbildenden Neuroblastenleib und 
dem Fibrillenhauptbündel, dem Neuriten, entstehen andere fibrillenhaltige Fase¬ 
rungen der grauen Substanz, die späteren Dendriten, Neurodesmen, welche eine 
Zelle mit den Nachbarzellen verbinden, in sehr großer Anzahl. Und in der Tat 
findet sich bereits bei den genannten Stadien die ganze Masse des VorderhornB 
▼on den dichtesten Fibrillenzügen und -büscheln durchsetzt. Die Zahl der intra¬ 
spinalen Fasern des VorderhornB ist, wie ich im Gegensatz zu Bbook und Gibklioh 
mit Bestimmtheit behaupten muß, schon um diese Zeit beim menschlichen Embryo 
entschieden weit größer als die der extraspinalen Fasern und so reichhaltig, daß 
es unmöglich ist, etwa unterscheiden zu wollen, was Projektionsfaser und was 
AssoziationBfaser ist. Neben den gegen die Wurzelaustrittszonen zu konver¬ 
gierenden Wurzelfaserbündelchen finden sich schon deutliche „Bogenfasern“, welche 
in der grauen Substanz zwischen Vorder- und Hinterhorn sich ausbreiten, und auch 
Rommissurenfasern. 

loh finde also, daß der Prozeß der Nervenbildung auch beim Menschen in viel 
früheren Entwicklungsstufen beginnt, als sie Gieblioh (3. Monat) untersucht hat. 
Und zweifellos sind, nach den Feststellungen von Held, auch die Stadien von 
Bbock (14 mm Föten) und Döllken zu alt, um eine sichere und eindeutige Ent¬ 
scheidung über die Histogenese der Nervenleitung und die zeitliche Reihen¬ 
folge der ersten Faserbildung herbeizuführen oder gar mit Bestimmtheit be¬ 
haupten zu können, „daß die AssoziationBfasern sich stets nach den Projektions¬ 
fasern entwickeln“ (10, S. 3). 


IT. Hauptsatz: „Die Markscheidenmethode und die Silbermethode ergeben 
ganz analoge Resultate und eine Bestimmung von umschriebenen Centren im 
Großhirn ist mit beiden schärfer möglich als mit dem Studium der Rinden¬ 
zellen“ (S. 11). 

Obwohl der erste Teil dieses Satzes sehr diplomatisch und allgemein gefaßt 
ist, kann er, im Zusammenhang der übrigen Ausführungen, nur bedeuten, daß die 
fibrillogenetische und myelogenetische Reihe sich decken. Döllken selbst gibt 
über die topographische Differenzierung der Hauptfelder an, daß sich „Schmeck- 


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syetem“, „Bewegungsrinde“ und „untere Riechrinde“ gleichzeitig entwickeln (Em¬ 
bryo von 10 Tagen), später Ammonshorn, dann „Sehrinde“ und zuletzt „Hörrinde“. 

Dazu ist zunächst zu bemerken: Physiologische Begriffe, wie Sehrinde, Hör¬ 
rinde, Bewegungsrinde usw. sind als topographische Bezeichnungen so lange un¬ 
zulässig, als wir über die physiologische Lokalisation derartiger Centren, wie dies 
in hervorragendem Maße bei der „Maus“ der Fall ist, gar nichtB wissen; sie 
führen nur irre und machen eine Verständigung — z. B. über das ganze hypo¬ 
thetische „Schmecksystem“ — unmöglich. Anatomische Arbeiten erfordern ana¬ 
tomische, morphologische, topographische Bezeichnungen. 

Sachlich sind folgende Punkte hervorzuheben: 

1. Eine streng gesetzmäßige Reihe, wie sie Flechsig für seine 42 
myelogenetischen Rindenfelder konstatiert hat, läßt sich auf Grund 
der Fibrillogenie für den menschlichen Oortex nicht aufstellen (auch 
nicht für die Katze), schon aus dem Grunde nicht, weil in dem Begriff 
der Fibrillogenie ganz verschiedenartige Entwioklungsvorgänge 
enthalten sind, welche nebeneinander herlaufen und sich in ver¬ 
schiedenen Rindenabschnitten komplizieren. Es ist in jedem Rindengebiet 
durchaus zu unterscheiden zwischen der Fibrillation der Ganglienzellen, d. h. der 
fibrillären Differenzierung des protoplasmatischen Zellleibes mit seinen Fortsätzen 
und dem ersten Auftreten extrazellulärer Assoziations- und Projektionsfasern. 
Diese verschiedenen Kategorien fibrillärer Elemente entwickeln sich keineswegs 
überall gleichartig und nach gleichen Gesetzen; ihre gegenseitigen Beziehungen 
sind vielmehr außerordentlich verwickelte und territoriell sehr verschiedenartige. 
Feste Gesetze dafür zu formulieren, halte ich noch für verfrüht. 

2. Demnach muß eine große Anzahl fibrillogenetisch diffe¬ 
renter Rindentypen unterschieden werden, welche sich nicht ohne 
weiteres in eine bestimmte Reihe bringen, geschweige denn in das 
myelogenetische Schema pressen lassen. Ich möchte nur einige Haupt- 
gesichtspunkte herausgreifen: 

a) Zunächst gibt es Rindentypen mit relativ frühzeitiger intra¬ 
zellulärer Fibrillation. Dazu gehört in erster Reihe das Ammonshom, daun 
die Regio Rolandica und die Insel — also ganz früh und ganz spätmarkreife 
Bezirke in bunter Reihe. Schon im vierten fötalen Monat zeigen die Pyramiden¬ 
zellen der Ammonsrinde mächtig entwickelte Fortsätze mit dichter Fibrillation, so 
daß die ganze Rinde mit zarten Fibrillenbüscheln übersät scheint; die anderen 
Fasern sind noch viel weniger entwickelt. Vereinzelte fibrillär differenzierte 
polymorphe Zellen finden sich etwas später auch in der Fatcia dentata. Der 
Alveus enthält im Vergleich zu den Rindenzellen spärliche, das Stratum zonale 
und lacunosum etwas reichlichere imprägnierte Fasern. Gewisse regionäre Diffe¬ 
renzen bestehen aber auch schon im dorsalen ventralen und Endblatt des Ammons¬ 
horns, so daß, wenn man ganz genau sein will, jeder Abschnitt für sich betrachtet 
werden müßte. Später, etwa im 6. Monat, finden sich in der Insel und um die 
gleiche Zeit auch in der Gegend der Centralwindungen größere Zellen mit ver¬ 
einzelt beginnender Fibrillation in den Apikaldendriten in der 4. und 5. Schicht. 
Die Insel hat um diese Zeit bereits ziemlich reichliche kurze Qorizontalfasern, da¬ 
gegen radiär einstrahlende Fasern nur in verschwindender Zahl, während in der 
Regio Rolandica Horizontal- und Radiärfasern ziemlich gleich mächtig und bereits 
sehr dicht — erstere fast zahlreicher — entwickelt sind. 

Dieser Befund ist um so wichtiger, als Döllkrn schreibt, daß beim 
10 tägigen Mäuseembryo das Ammonshorn „noch völlig undifferenziert“ ist, während 
die Bewegungsrinde und untere Riechrinde schon zu reifen begonnen haben. 1 

1 Was Cajal ttber die Fibrillation der Kindenzellen zeitlich aogibt, ist unrichtig. Er 

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b) Andere fibrillogenetische Bindentypen sind solche mit vorwiegender 
Anlage von Badiärfasern in dem Fröhstadium. Hierher ist in erster Beihe 
das sehr frühmarkreife Subiculam zu rechnen, dann die ganz spätmarkreife Begio 
parietalis, ferner die ziemlich frühreife Gegend des Oocipitalpols und des Gyros 
temporalis superior. Charakteristisch ist für alle diese Gebiete, daß sie außer 
dem Tangentialfaseratreifen in der Lamnia zonalis keine Horizontalfasern enthalten. 
Bei zwei menschlichen Föten von 4 bis 4 1 / 8 Monaten und einem von 22 Wochen 
finde ich übereinstimmend das ganze Subieuhm von sehr zahlreichen und diohten 
Faserbüscheln durchzogen, welche aus dem gleichfalls sehr faserreichen subkortikalen 
Marklager die Binde in ganzer Breite durchziehen und bis in die Lamnia zonalis 
Vordringen. Neben langen zarten Fibrillenbündeln kommen ganz kurze schräg ge¬ 
troffene, aus dickeren Fasern bestehende Bündel vor, namentlich in den inneren 
Schichten und im Bandgebiet. Bei den gleichen Stadien finden sich in der regio 
parietalis und im Gyrus temporalis superior lange, aus zartesten Fibrillen bestehende 
Faserbündel, welche aus dem unmittelbar unter der Binde gelegenen Marklager bis 
in die Lage der 5. und 6., stellenweise sogar der 3. Schicht Vordringen. Die 
tieferen Lagen des Markes enthalten keine imprägnierten Fibrillen. (Methode?) 

Die Binde um den Occipitalpol zeigt um dieselbe Zeit ebenfalls nur radiär 
angeordnete Faserbündel, welche sich teilweise bis in das sagittale Marklager 
verfolgen lassen. An der Medianfläche kommen mehr kurze, halbschräg getroffene 
Büschel feinster radiärer Fibrillen vor (Calcarinatypus?), während an der Konvexität 
lange Radii derberer Fasern vorherrschend sind (Occipitaltypus?). 

Bezüglich des Faserreichtums dieser verschiedenen Gebiete läßt sich nur so¬ 
viel sagen, daß das Subiculum in der Entwicklung zweifellos am weitesten fort¬ 
geschritten ist, während ein wesentlicher Unterschied zwischen den spätmarkreifen 
Parietallappen und dem frühmarkreifen Occipitalpol in meinen Stadien nicht nach¬ 
zuweisen ist. Bei einem Gehirn ist die Binde des Parietallappen sicher faser- 
reicher, doch könnte dies auch in Mängeln der Methode begründet sein oder man 
muß daran denken, daß die Fibrillenentwicklung, wie es auch für die Markreifung 
behauptet wird, großen Schwankungen unterliegt. 

c) Wieder einen anderen Entwicklungsmodus ihrer fibrillären Faserung lassen 
jene Bindengebiete erkennen, welche im Gegensatz zu den vorgenannten zuerst vor¬ 
wiegend Horizontalfasern bilden. Dazu muß ich einstweilen die Insel und gewisse 
Teile deB Gyrus cinguli rechnen. Hier treten sehr früh zwischen den großen 
frühreifen Zellen der 5. Schicht kurze, derbe Fasern, wenn auch in spärlicher 
Zahl, auf, welche sicherlich nicht extrakortikalen Ursprungs sind. Abzusehen 
ist bei dieser Betrachtung von der auch hier bereits mächtig entwickelten Tan¬ 
gentialfaserung der 1. Schicht. 

d) In der Gegend der späteren Centralwindungen treten zu gleicher Zeit mit 
den früh einstrahlenden Badiärfasern sehr zahlreiche Horizontal- und Schrägfasern 
in den innersten Schichten auf, so daß hier im Gegensatz zu den andern Haupt¬ 
typen ein dichtes, wirres Geflecht von Fasern entsteht. Zu entscheiden, welche 
von den beiden Faserkategorien zu allererst da ist, dürfte wohl ganz unmöglich 
sein. Ich sehe in meinen frühesten Stadien (4. Monat) gleich viele. Aus der 
„Zahl und Anordnung“ der Horizontalfasern schließen zu wollen, wie es Döllkbn 
tut, daß diese nach den Projektionsfasern entstanden sind, ist geradezu sinnlos. 
Wichtiger scheint mir zu sein, daß die Fasern dieser Begion bei Maus und Katze 
sich von vornherein durch ein grobes Kaliber auszeichnen, wie auch im Subi- 
eulum. Wenn sich dies als gesetzmäßig erweisen sollte, so läge darin eine prin- 

bebauptet, daß die Neurofibrillenbildung des Cortex cerebri bei Kaninchen, Katze nnd Hand 
erst nach der Geburt beginne. Nach meinen Beobachtungen treten fibrilläre Differen¬ 
zierungen in den großen Protoplasmafortsätzen des Ammonshorns und der Begio sigmoidea 
auch bei der Katze viel früher auf. 

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zipiell bedeutungsvolle Übereinstimmung mit der von Vogt bezüglich der Mye- 
linisation gemachten Feststellung, daß frühreife Gebiete diejenigen sind, welche 
dauernd, d. b. auch nach abgeschlossener Entwicklung, durch derbere Fasern und 
gleichzeitig einen größeren Reichtum an Fasern ausgezeichnet sind 

3. Was die zeitliche Reihenfolge der Fibrillenentwicklung in 
verschiedenen Rindenabschnitten betrifft, so geht aus vorstehendem hervor, 
daß es sich keinesfalls um einen Btrengen Parallelismus mit den 
myelogenetisch abgrenzbaren Territorien — weder im Sinne der 
Flechsig 'sehen Darstellung, noch nach der seiner Gegner — handeln kann. 
In der Myelogenie stehen nach der allgemeinen Auffassung die Central Windungen 
an erster Stelle und erst später (nach Flechsig als 4. Gebiet) folgt das Subi- 
culum, noch später das Ammonshorn. In der Fibrillogenie verhält es sich gerade 
umgekehrt Am frühesten tritt im Subiculum die Faserung auf, dann folgt an 
Faserreichtum das Ammonshorn mit seiner sehr zeitig beginnenden intrazellulären 
Fibrillation und an dritter Stelle kommt die spätere Regio Rolandica. Aber, 
wie bereits erwähnt, ist überhaupt die Berechtigung zur Aufstellung 
einer fibrillogenetisohen Reihe — etwa nach Analogie der myelo- 
genetischen — zu bestreiten, da in den Begriff der Fibrillogenie 
ganz verschiedenartige Vorgänge und verschiedenartige Elemente 
(die Entwicklung von fibrillären Strukturen in den Protoplasmafortsätzen und im 
Körper des Zellleibes in das primäre Neuroreticulum, den Neurodesmen Held 's, das 
erste Auftreten von freien [centrifugalen und centripetalen] Fassermassen) ein¬ 
begriffen sind. 


III. Hauptsats Döllken’s: „Die Rindenfelder sind vom ersten Tage ihres 
Bestehens an scharf umgrenzt und haben relativ dieselbe Größe wie beim er¬ 
wachsenen Tier“ (9, S. 957). 

Diesem Satze stelle ich folgende Befunde beim Uenschen gegenüber: 

1. In keinem der von mir untersuchten Gehirne finde ich scharf umschriebene, 
fibrillogenetische Felder — wenn von solchen nach den ohigen Ausführungen 
überhaupt gesprochen werden kann —, abgesehen vielleicht von dem sehr früh 
faserreichen Subiculum. Die Typen verschiedener Fibrillenentwicklung 
verlieren sich und gehen fließend ineinander über. Lineare Grenzen, 
wie sie die cytoarchitektonisohe Lokalisation allerorts zeigt, ergibt die Fibrillo¬ 
genie nirgends — ebensowenig übrigens wie die Myelogenie. Das gleiche 
gilt von der Katze. Ich habe gerade solche Stellen, welche im Zellbild scharfe 
Übergänge zeigen, wie die Regio calcarina, die Regio centralis daraufhin durch¬ 
gesehen; weder im 4. noch im 6. Monat ist in der Umgebung des Occipitalpols eine 
scharfe strukturelle Grenze zu finden, welche etwa der überaus charakteristischen 
und deutlichen Umgrenzung des Calcarinatypus entsprechen könnte. Ebensowenig 
läßt sich ein fibrillogenetisches Feld in der Regio Rolandica scharf umschreiben, 
geschweige denn, daß es möglich ist, vordere und hintere Centralwindung, die ja 
im Zellbild strukturell streng geschieden sind, auseinander zu halten. 

Gerade in letzterer Tatsache ist allerdings ein gewisser Parallelismus zur 
Myelogenie zu sehen, insofern auch sie die vordere und hintere Centralwindnng 
nicht zu trennen erlaubt. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Arbeiten von 
O. Vogt, namentlich seine jüngste über den Wert der myelogenetischen Felderder 
Großhirnrinde (Anat. Anz. IXXX. Heft 11 u. 12, Fig. 1 bis 6). Aber auch im 
übrigen haben ja die Gegner Flechsig ’s (Dejebikb, Vogt, Siemeblihg, Monakow) 
immer bestritten, daß sich die Myelinisation des Cortex nach scharf abgegrenzten 
Feldern oder gar nach einer bestimmten Zahl (7, 42, 36, wie Flechsig abwechselnd 
Angibt) funktionell ungleichartiger Felder vollzieht. Speziell hat Siekerling nach¬ 
gewiesen — und auch 0. Vogt hat immer den gleichen Standpunkt vertreten —, 


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daß Anfänge der Myelinisation sich nicht nur an ganz distinkten Regionen, 
sondern schon sehr früh an den verschiedensten Stellen der Hirnrinde nnchweisen 
lassen. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Entwicklung der ersten Neuro* 
fibrillen bzw. faserigen Elemente in der Hirnrinde. Sie findet ebensowenig 
wie die Uarkumhiillung streng felderweise statt, sondern es findet 
eine Art zeitliche (und räumliche) Überlagerung statt, wenn auch zu- 
zugeben ist, daß einige wenige Hauptregionen (wie die bereits genannten) an 
Faserreichtum voraneilen, andere relativ Zurückbleiben. 

2. Damit wird die von vornherein biologisch sehr unwahrscheinliche Be¬ 
hauptung Döllkens, daß die relative Größe der Rindenfelder dauernd dieselbe 
bleibe wie beim Erwachsenen, von selbst hinfällig. 

IV. Hauptsatz: Die Abgrenzungen der Bewegungs- und Sehrinde (der Maus) 
„stimmen mit den von Bbodmann an Nissl-Bildern gefundenen überein“ (9, S. 957). 

Dazu entgegne ich: 

1. Ich habe überhaupt nie eine Maus auf die topische Lokalisation von 
Rindenfeldern untersucht, sondern von Rodentieren nur Ziesel. 

2. Wenn Herr Döllken meinen lokalisatorischen Arbeiten die Ehre erweist, 
sie als Stütze seiner schwach fundierten Ansichten heranzuziehen, so hätte 
er vor allem daraus entnehmen müssen, daß man niemals in loknlisatorisoher 
Hinsicht von einem Tier auf ein anderes schließen darf, mögen diese auch noch 
so nahe verwandt sein. Dafür finden sich zahlreiche Belege in meinen angezogenen 
Untersuchungen. Es ist also auch nicht angängig, die Lokalisation eines Feldes 
kurzweg vom Ziesel auf die Maus zu übertragen, — namentlich wenn gar nicht 
angegeben wird, um welche Art von Mäusen (Rodentier, Insektivoren) es sich 
handelt. 

3. Außerdem ist es aber auch gar nicht richtig, daß das von Döllken mit 
der Fibrillenmethode bestimmte „Bewegungscentrum“ sich mit dem von mir beim 
Ziesel abgegrenzten Rindenfeld, der Area gigantopyramidalis räumlich deckt. 
Man vergleiche nnr Bein Oberflächenschema (etwa Fig. 18 oder 44) mit meinem 
Schema (Jonrn. f. Psych. u. Neur. YI. Ergb., Fig. 195), um zu erkennen, daß das 
Döllken 'sehe Feld viel weiter kaudalwärts reicht, als mein Rindenfeld. Dies geht 
noch deutlicher aus einem Vergleich der Horizontaldiagramme hervor. Der Unter¬ 
schied ist für die vorliegende Frage ein sehr wesentlicher, da Döllken’ s Feld 
sich bis nahe an die dorsokaudale Ecke der Mantelkante erstreckt und also für 
ein „Sehrindenfeld“ von annähernd der Ausdehnung meiner Area striata garnicht 
mehr Raum auf seinem Schema vorhanden ist. 

Weder die Bewegungs- noch die Sehrinde Döllken’s fallen daher 
mit einem meiner cytoarchitektonischen Felder zusammen. Die 
diesbezüglichen Angaben Döllken’s sind ganz ungenau und unhaltbar. Die ganze 
Argumentation Döllken’s bezüglich seines „Bewegungscentrums“ gründet sich auf 
einen offenkundigen Circulus vitiosus. D. will beweisen, daß das frühest fibrillen¬ 
reife Gebiet mit dem motorischen Rindenfeld zusammenfällt; er stellt fest, inner¬ 
halb welches Bezirkes zuerst Fibrillen auftreten und schließt dann: das ist das 
„Bewegungscentrum“. Der Schlußsatz setzt also voraus, was erst zu beweisen war. 

Y. Hauptsatz: „Die Befunde decken sich mit denen der Physiologie“ (9) 
sc. bezüglich des Bewegungscentrums der „Maus“. 

Da über die Physiologie des Mäusegehirns noch nie etwas bekannt war und 
alles, was wir über die physiologische Lokalisation überhaupt, speziell des 
kortikalen Bewegungscentrums, an gesichertem Wissen zu haben glaubten, durch 
jüngere Forschungen stark in Frage gestellt ist, so entbehrt auch dieser Satz 
jeder tatsächlichen Unterlage. 

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Ich fasse das Wesentliche meiner Ausführungen zusammen. 

Die Entstehung der centralen Nervenfasern, die Fibrillogenie, ist schon in 
ihren ersten Anfängen ein so komplizierter histogenetischer Vorgang, daß er mit 
dem viel späteren Prozeß der Markreifung nicht in eine einfache Beziehung ge* 
bracht werden kann. Es gibt, speziell in der Großhirnrinde, ver¬ 
schiedene Arten der Neurofibrillenreifung, während es nur eine 
Art der Markreifung gibt 

Streng zu unterscheiden ist in jedem Rindenabschnitt, wenn man von 
Fibrillogenie redet, zwischen der Entwicklung von fibrillären Strukturen in den 
Ganglienzellen und deren Fortsätzen einerseits, d. h. der Neurofibrillation der 
Zellen, und dem ersten Auftreten von Fasern außerhalb der Zellen anderseits. 
Beide Prozesse sind ganz verschiedener Art, verlaufen zeitlich un¬ 
abhängig voneinander und vollziehen sich auch territoriell in ganz 
verschiedener Weise. So gibt es Rindenbezirke, in denen die intrazelluläre 
Fibrillenbildung sehr früh einsetzt, während die Entwicklung der übrigen 
Faserung relativ zurückbleibt, und umgekehrt treten in anderen Gebieten ver¬ 
hältnismäßig früh zahlreiche freie Fasern auf, während die Zellen lange un¬ 
entwickelt bleiben. 

Ebenso verhält es sich mit den Assoziations- und Projektionsfasern in ver¬ 
schiedenen Rindengebieten; in manchen treten erst diese, in anderen erst jeue 
auf und bezüglich der Projektionsfaserung wird man Territorien, welche zuerst eine 
kortikopetale Projektionsfaserung erhalten, unterscheiden müssen von solchen, 
welche früher kortikofugale Fasern — beides mit oder ohne gleichzeitiges Auf¬ 
treten von Assoziationsfasern — bilden. So erklärt es sich, daß man in früheren 
Entwicklungsstufen Großhimabschnitte beobachten kann, deren Fasergehalt in 
der Rinde selbst schon recht groß ist, während das betreffende subkortikale 
Mark infolge des Fehlens kortikopetaler Projektionsfasern noch wenig reife 
Fibrillen zeigt und umgekehrt. 

Es geht daraus hervor, daß die Entwicklung der Neurofibrillen 
territoriell eine große Mannigfaltigkeit und Verschiedenartigkeit 
zeigt, und daß es nicht angängig ist, kurzweg von der Fibrillenreifung eines 
Rindenabschnittes zu sprechen und den Gesamtgehalt der fibrillären Elemente 
als Maßstab für den Reifungsgrad desselben zu nehmen. 

Aus den gleichen Gründen muß der Versuch, die Fibrillogenie in Parallele 
zur Myelogenie zu setzen und den myelogenetischen Centren Fleohbio’s eine 
entsprechende Zahl übereinstimmender „fibrillogenetischer Felder“ an die Seite 
zu stellen, nicht nur als verfrüht, sondern auch als im Prinzip verfehlt zurück¬ 
gewiesen werden. Beide in eine einheitliche entwicklungsgeschichtliche Reihe 
bringen zu wollen, steht in Widerspruch mit den Tatsachen. 

Ich stehe daher nicht an zu erklären, daß das „allgemeine hirnent¬ 
wicklungsgeschichtliche Grundgesetz“ Döllken’s, welches eine Be¬ 
stätigung und Erweiterung des „myelogenetischen Grundgesetzes“ von 
Flechsig darstellen soll, eine voreilige und durch die Tatsachen nicht be¬ 
gründete Konstruktion ist. Es findet keine Anwendung auf dasjenige 


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Säugetier, auf das es in erster Reihe anwendbar sein muß, wenn es 
Allgemeingültigkeit beansprucht, auf den Menschen, und es stimmt 
nicht ffir den Cortex cerebri, für den es ausnahmslos Geltung be- 
sitzen muß, wenn es überhaupt einen Sinn haben soll. 

Literatur. 

1. S. B. Cajal, Stadien über die Hirnrinde de« Mensehen. 1906. Heft 5. — 2 . Biel- 
schowsrt, Die Silberimprägnation der Neurofibrillen. Journ. f. Psychol. u. Neorol. III. 
1904. 8. 169. — 8. Held. Die Entstehung der Neurofibrillen. Neurolog. Centralbl. 1905. 
Nr. 16. S. 706. — 4. Derselbe, Zur Histogenese der Nervenleitung. Anat. Anzeiger. XXIX. 
1906. Erginzungsh. S. 185. — 6. Bbodmann, Demonstration von Fibrillenpräparaten zur 
Histogenese des Centralnervensystems. Neur. Centrbl. 1906. Nr. 14. S. 669.' — 6. Derselbe, 
Demonstration zur Entwicklung der Neurofibrillen im Centralnervensystem. 20. Versammlung 
der anat. Ges., Juni 1906. Anat. Anzeiger. XXIX. Ergänznngsh. S. 288. — 7. Brock, 
Untersuchungen über die Entwicklung der Neurofibrillen des SchweinefStus. Monatsschr. f. 
Psych. u. Neur. XVIIL 1905. Heft 5. S. 467. — 8. Gibblxch, Über die Entwicklung der Neuro¬ 
fibrillen in der Pyramidenbahn des Menschen. Vortrag auf der Versamml. südwestd. Neuro¬ 
logen, Mai 1906. Deutsche Zeitscbr. f. Nervenheilk. XXXII. S. 97. — 9. Döllkrn, Ver¬ 
schiedene Arten der Reifung des Centralnervensystems. Versamml. deutscher Naturforscher, 
September 1906. (Neur. Centralbl. 1906. Nr. 20. S. 966.) — 10. Derselbe, Beiträge zur 
Entwicklung des Säugergehirns. Lage und Ausdehnung des Bewegungscentrums der Maus. 
Ebenda. 1907. Nr. 2. 


[Aus dem Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf (Abteilung Oberarzt Dr. Nonne).] 

2. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren 
der motorischen Region des Großhirns nebst Beiträgen 
zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis 
cerebri und bei genuiner Epilepsie. 

Von Dr. G. Sterte, Assistenzarzt. 

Während nach Jackson’s Untersuchungen zunächst eine Scheidung zwischen 
kortikaler oder partieller Epilepsie, als deren Ursache man eine circumskripte 
Läsion der motorischen Rinde einer Seite fand, einerseits — und zwischen der 
genninen Epilepsie, bei welcher beide Körperhälften, ohne daß eine anatomische 
Ursache hierfür sich nachweisen ließ, gleichzeitig von den Krämpfen ergriffen 
wurden, andererseits — aufrecht erhalten wurde, zeigte es sich späterhin, daß 
fließende Übergänge zwischen den beiden Formen, die sich klinisch darstellen, 
vorhanden sind. Es wurde beobachtet, daß einmal auch ein kortikaler Herd zu 
generalisierten Krämpfen führen, und daß ebenso die genuine Epilepsie ge¬ 
legentlich in partieller Form auftreten kann , 1 daß znm wenigsten einzelne An¬ 
fälle im Verlauf der genuinen Epilepsie diesen Charakter haben können. Auch 
dem Status hemiepilepticus symptomaticus konnte Leo Mülleb 2 an der Hand 

1 BurawANQKE, Nothnagel’« Pathologie und Therapie. 

1 Lzo Müller, Über Statns hemiepilepticus idiopathicus. Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬ 
heilkunde. 1905. 

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einer Reibe von Fällen von Dr. Nonne ’s Abteilung einen Status hemiepilepticus 
idiopatbicus gegeuüberstellen. 

Die Kasuistik des letzteren möchte ich dnrch einen interessanten Fall 1 be¬ 
reichern: 


Fall I. Status hemiepilepticus bei genuiner Epilepsie. Es handelte 
sich um einen 40jährigen Malermeister, der seit Jahren ohne nachweisbare Ursache 
an echten epileptischen Anfällen und psychischen Äquivalenten litt. Am 1,/V. 
1905 wurde er in einem Status hemiepilepticus aufgenommen. Er war völlig 
bewußtlos; die Untersuchung ergab außer einer Abschwächung der Hautreflexe 
der rechten Seite keinen Anhalt für eine organische Erkrankung des Gehirnes. 
Hautabschürfungen an der rechten Stirnseite deuteten auf einen Fall auf diese 
Seite. In den nächsten 4 Tagen wurden 413(1) typische JACKSON’sche Anfälle 
beobachtet, die im rechten Fazialis begannen und sich auf die rechte obere und 
untere Extremität fortsetzten, während die linke Seite frei blieb. Die Anfälle 
folgten sich znm Teil Schlag auf Schlag, dazwischen blieb Pat. völlig bewußtlos. 
Da sich das Allgemeinbefinden nicht wesentlich verschlechterte, und da sichere 
Zeichen eines organischen Leidens, insbesondere schwere hemiplegisohe Symptome 
und Zeichen von Hirndruck auch weiterhin fehlten, wurde von einem operativen 
Eingriff abgesehen. Vom 5. Tage an blieb Pat. von Anfällen frei und kam 
wieder zu sich. Späterhin wurde er dann wieder von doppelseitigen Krämpfen 
Bowie mehrfach von epileptischen psychischen Äquivalenten heimgesucht. 


Indessen bewahren die kortikalen Formen, ganz abgesehen davon, daß nicht 
alle Anfalle partieller Konvulsionen den typisch Jackson ’schen Charakter tragen, 
doch dadurch eine Sonderstellung, daß in ihrem Geleit Paresen, in den von den 
Krämpfen befallenen Muskelgebieten zunächst Monoplegien, später selbst Hemi¬ 
plegien auftraten, die dauernd bestehen bleiben und daher nicht bloß als 
„Erschöpfungssymptom“ der Rinde, sondern als Ausdruck einer organischen Läsion 
derselben anzusehen sind. 

Nach neuesten Forschungen 2 freilich könnte auch in dem Vorhandensein 
dauernder hemiplegischör Symptome ein prinzipieller Unterschied zwischen 
„genuiner“ und „kortikaler“ Epilepsie nicht mehr gefunden werden, da nach 
den Untersuchungen Rbdlichs solche in Gestalt von Fazialis- und Hypoglossus- 
parese, in Gestalt einer leichteren Ermüdbarkeit homolateraler Extremitäten oder 
einer Extremität, schließlich in Gestalt von Reflexdifferenzen im Sinne einer 
Hemiplegie in einem großen Prozentsatz von Fällen (mindestens 40 °/ 0 ) genuiner 
Epilepsie sich nachweisen ließen. Andererseits aber wurden gerade in letzter 
Zeit Fälle bekannt, 3 bei welchen typische jACKSON’sche Anfalle mit nachfolgenden 
dauernden Lähmungserscheinungen das Vorhandensein einer organischen Affektion 
der Hirnrinde — eines Tumors — voraussetzen ließen, während bei der Trepanation 
bzw. Autopsie die entsprechenden Teile der Rinde intakt gefunden wurden. 


1 Der Fall wurde von Herrn Oberarzt Dr. Nonnb am l./V. 1906 im ärztlichen Verein 
zu Hamborg vorgestellt; vgl. die Sitzungsberichte. 

1 Redlich, Über Halbseitenerscheinongen bei der genuinen Epilepsie. Archiv f. Psycb. 
u. Nervenkrankh. XLI. 

* Nonnb, Über Fälle vomSymptomenkomplex: Tumor cerebri mit Ausgang in Heilung nsw. 
Fall VI. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1904 u. Hknnbbbbo, Fehldiagnosen in operativ 
behandelten Fällen von JxcKSON'scher Epilepsie usw. Fall I (II). Charite-Annalen. 1905. 


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Entsprechende Symptome, zum Teil in Verbindung mit allgemeinen Tumor- 
ersoheinungen lagen auch in den Beobachtungen Oppenheim’s 1 vor, während hier 
der Aasgang in Heilung die Diagnose „Tumor“ als unzutreffend erscheinen ließ. 

Solche Erfahrungen sind natürlich geeignet, die Indikationsstellung zur 
Operation in Fällen jACKsoN'scher Epilepsie nicht wenig zu erschweren, zumal 
der Hinweis der letzteren auf eine operativ angreifbare Affektion auch noch 
durch ihr Auftreten bei einer Reihe anderer Krankheiten wesentlich einge¬ 
schränkt wird. 

Ich sehe hier ab von den ätiologisch und klinisch mehr oder minder leicht 
erkennbaren Ursachen jACKBON’scher Epilepsie wie Trauma, Lues, progressive 
Paralyse, sowie Krankheiten, die abgesehen vom Trauma zu paohymeningitischen 
Blutungen Veranlassung geben, und möchte hier nur zweier Fälle Erwähnung 
tun, in denen die Arteriosklerose zum Auftreten nicht bloß JACKsoN’scher 
Anfälle, sondern sogar eines Status hemiepilepticus Veranlassung gegeben hat. 

Fall II. Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis cerebri. In 
dem ersten derselben handelte es sich um eine 83jährige Frau, die früher nie 
ernstliche Krankheiten, auch keine Anfalle oder Insulte irgendwelcher Art gehabt 
hatte. Sie ließ sich am 20./VI. 1905 wegen heftiger Schmerzen im rechten Fuß 
ins Krankenhaus aufnehmen. Bei der geistig relativ regsamen Patientin fanden 
sich die Zeichen allgemeiner Arteriosklerose und als Ursache der Schmerzen eine 
lokale Asphyxie in den Zehen des rechten Fußes bei nicht fühlbarem Dorsalpuls, 
Hemiplegische Symptome waren nicht vorhanden. Im Urin waren 3°/ 0 Zucker. 
Der Augenhintergrund war wegen beiderseitigen Katarakts nicht zu untersuchen. 
Im Laufe der Behandlung besserten sich die lokalen Zirkulationsstörungen. 
Patientin fühlte sich ganz gesund, als am 20./VIII. eine leichte Temperatur¬ 
steigerung mit Erbrechen auftrat. 3 Tage darauf wurde ein Krampfanfall von 
jACKSON’scbem Typus beobachtet: Beginn der erst tonischen, dann klonischen 
Krämpfe im rechten Fazialisgebiet, Fortschreiten derselben auf die rechte obere 
und die rechte untere Extremität, dabei leichte Bewußtseinstrübung. Hemiplegische 
Symptome wurden bei der erst später erfolgenden Untersuchung nicht festgestellt. 
Am Abend desselben Tages trat ein zweiter Anfall derselben Art auf, und in der 
Nacht vom 23. zum 24./VIIL wiederholten sich die halbseitigen Anfälle in un¬ 
unterbrochener Reihe, es trat schließlich totaler BewußtseinBverlust sowie eine 
Generalisierung der Krämpfe hinzu. Am 24./VIII. war Patientin völlig komatös 
und ganz reflexlos. Puls klein und frequent. In diesem Zustande trat unter 
hohem Temperaturanstieg der Exitus ein. 

Bei der Oduktion fanden sich die üblichen Organveränderungen des Seniums, 
eine schwere allgemeine Arteriosklerose, Degeneration des Herzmuskels. Besonders 
schwere arteriosklerotische Veränderungen fanden sich an den Arterien der Hirn- 
basis. Am Hirn selbst waren leichte leptomeningitische Trübungen nachweisbar. 
Im Gebiet der Stammganglien fanden sich beiderseits encephalomalacische, zum 
Teil gelb pigmentierte Herde und Cysten verschiedenen Alters und verschiedener 
Größe, die größten derselben waren etwas mehr als erbsengroß, die meisten viel 
kleiner. Im Centrum semiovale und in der Rinde selbst waren erkennbare Herde 
nicht vorhanden, doch machte das ganze Gehirn einen etwas atrophischen Eindruck. 

Ich lasse es dahingestellt, ob die hier bei der Obduktion gefundenen ence- 


1 Oppbhhsui, Beitrag zur Prognose der Gehirnkrankheiten im Kindesalter. Berliner 
kiin. Wochenschr. 1901. S. 805. 


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phalomalacisohen Herde oder eine neu hinzukommende, anatomisch noch nicht 
nachweisbare Ernährungsstörung die Ursache des zum Tode föhrenden Status 
hemiepilepticus gewesen ist. Ersteres ist deshalb unwahrscheinlich, weil die 
Veränderungen zum Teil wenigstens älteren Datums waren und weil sie gleich¬ 
mäßig auf beide Hirnhälften verteilt waren. 

Anfälle von Epilepsie — auch halbseitiger — sind besonders bei embolisch 
bedingten Ernährungsstörungen durchaus nichts ungewöhnliches, immerhin aber 
dürfte das Auftreten eines Status hemiepilepticus dabei zu den seltenen Er¬ 
eignissen gehören. 

Dem zweiten, günstig verlaufenden Fall dieser Art, der in der Tat Schwierig¬ 
keiten bezüglich einer eventuellen Indikation für die Trepanation gemacht hatte, 
möchte ich hier aufügeu. 1 

Fall III. Status hemiepilepticus bei Epilepsia tarda (Arterio- 
sklerosis). Der 62jährige Mann, der früher, abgesehen von Variola im Jahre 
1870, stets gesund gewesen war, erkrankte 14 Tage vor der Aufnahme (3./XII. 
1905) mit allgemeinem Unwohlsein, das er fttr „Influenza“ hielt. Er boII dann 
am 30./XI. 1905 2 1 / 2 Stunde in bewußtlosem Zustande gelegen haben unter 
krampfhaften Zuckungen und Augenverdrehen. Seitdem litt er beständig an in 
ganz kurzen Zwischenräumen sich wiederholenden Krampfanfällen ohne Bewußt¬ 
seinsverlust Pat bot, abgesehen von den Zeiohen einer peripheren Arteriosklerose, 
(geschlängelte, rigide Radialarterien, wesentlich erhöhter Blutdruck, Accentuatioo 
des II. Aortentones) keinen krankhaften Befund dar, insbesondere war das Sensorium 
frei, und es fanden sich keinerlei Andeutungen hemiplegischer Störungen. Fast 
alle 2—3 Minuten bekam er Antälle folgender Art: krampfhaftes Ballen der 
linken Hand, dann tonischer Krampf im linken Arm, sodann im linken Bein. 
Nach wenigen Stunden wurden die tonischen Krämpfe durch klonische abgelöst. 
Die Gesamtdauer eines Anfalles, bei dem das Bewußtsein erhalten blieb, betrug 1 j i 
bis 1 Minute. Der Facialis blieb unbeteiligt. Die Lumbalpunktion ergab einen 
normalen Druck. 

Die Anfälle werden am 2. Tage seltener, nehmen aber an Intensität zu. 
Insbesondere beteiligt Bich auch der linke Facialis und die linksseitige Rumpf¬ 
muskulatur an den Krämpfen, die Dauer derselben beträgt nun etwa 2 Minuten, 
gegen Ende derselben geht das Bewustsein verloren. In den anfallsfreien Zeiten 
besteht eine gewisse Somnolenz bei erhaltenem Bewußtsein. Im ganzen wurden 
vom 2.—6. Tage 104 solcher Anfälle, die übrigens stets in der linken Hand ihren 
Anfang nahmen, beobachtet. Gegen Ende des Status, der mit dem 5. Tage der 
Beobachtung sein Ende nahm, stellte sich eine traumhafte Bewußtseinstrübung 
ein, die nach einigen Tagen vorüberging. Dauernde hemiplegische Symptome 
wurden nicht beobachtet. Patient erholte sich später sehr gut und wurde am 3./V. 
1906 geheilt und völlig beschwerdefrei entlassen. 

Wir hatten hier bei einem 62jährigen Mann, der, abgesehen von den Sym¬ 
ptomen peripherer Arteriosklerose, keinen krankhaften Befand bot, Anfälle von 
typisch jACKsoN’schem Charakter vor uns, welche sich za einem Status hemi¬ 
epilepticus verdichteten. Der Umstand, daß die Anfalle an Intensität, Dauer 
und Ausdehnung Zunahmen und schließlich mit Bewußtseinsverlust einhergingen, 
legte mehr als einmal den Gedanken an eine Trepanation nahe, da das Vor- 


1 Der Fall wurde ebenfalls in der Sitzung des ärztlichen Vereins zu Hamburg vom 
1. Mai 1906 von Dr. Nonne vorgestellt. 


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handensein eines die Binde reizenden, übrigens gut lokalisierbaren Krankheits¬ 
prozesses wahrscheinlich war. 

Indes mit Rücksicht anf das gute Allgemeinbefinden und das Fehlen 
schwerer dauernder Ausfallssymptome, sowie mit Rücksicht darauf, daß Zeichen 
intracranieller Drucksteigerung fehlten, wurde die Möglichkeit eines Status hemi- 
epilepticus idiopathious in Betracht gezogen und die Trepanation immer noch 
hinausgeschoben. Der weitere Verlauf, der die Auffassung des Zustandes als 
Status hemiepilepticus bei Epilepsia tarda (arteriosklerotischer Genese) wahr¬ 
scheinlich machte, da er in Heilung ohne jeden Defekt überging, rechtfertigte 
dieses Zögern um so mehr als nach unseren in Eppendorf gemachten Erfahrungen 
und auch anderweitigen neueren Publikationen 1 die Gefahren der Trepanation 
nach wie vor nicht zu unterschützen sind. 

Während wir uns hei Fällen, wie die erwähnten, auf dem Boden älterer Er¬ 
fahrungen befinden, sind wir in ungleich schwierigerer Lage gegenüber den oben 
erwähnten, von Oppenheim, Nonne, Hennebebg mitgeteilten Beobachtungen, 
bei welchen die klinischen Erscheinungen zur Annahme eines organischen Pro¬ 
zesses im Gebiet der motorischen Centren hindrängen, während die Autopsie 
in vivo bzw. die Obduktion denselben vermissen lassen. 

Indessen sind diese Fälle offenbar außerordentlich selten, besonders unter 
Berücksichtigung des anerkannten Vorkommens idiopathischer jACKSON’scher 
Epilepsie, und man wird sie jedenfalls nur dann in das bisher noch unaufgeklärte 
Gebiet des „Pseudotumor cerebri“ (Nonne) einreihen können, wenn — wie auch 
von Nonne betont wird — ausgesprochene Tumorerscheinungen, die nicht durch 
eine der gewöhnlichen Ursachen bedingt sind, in Heilung übergehen, oder 
wenn bei letalem Ausgange genaueste mikroskopische Untersuchung 
das Vorhandensein entsprechender pathologischer Veränderungen 
ausschließen läßt. Daß die Beurteilung der histologischen Verhältnisse dann 
wesentlich erschwert ist, wenn sich zu dem ursprünglichen Bilde eine eitrige 
Meningoencephalitis bzw. vereiternde und erweichende Himprolapse hinzugesellt 
haben, hebt auch Hennebebg an der Hand seines Falles I und II hervor. 

(Schloß folgt.) 


II. Referate. 

Physiologie. 

1) Untersuchungen über die Erweiterung der Pupillen auf psyohisohe und 
sensible Beize nebBt einigen allgemeinen Bemerkungen über Pupillen¬ 
reaktionen, von Arth. Herrn. Hübner. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 
XLI. 1906.) Ref.: G. Ilberg. 

Methode: Der Kranke wurde vor die Längsseite eines etwa lm langen 
Tisches vor die Westiensche Lupe gesetzt, mußte einen 3m entfernten, hinter 
dem Beobachter angebrachten schwarzen Vorhang ansehen, erhielt dann zunächst 
einige einfache Fragen vorgelegt und wurde schließlich durch Händeklatschen 


1 Vgl. z. B. Hennbbkbg, 1. c. Fall I n. II. 

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neben dem Ohr oder dergl. ersohreckt. Die Lichtquelle von etwa 7 Meterkerzen 
Lichtstärke befand sich in einem Winkel von 45° ungefähr 50 cm weit von dem 
zu untersuchenden Auge. Hierbei zeigte sich, daß in der Norm jedes psychische 
Geschehen von einer Erweiterung der Pupillen begleitet ist (PBychoreaktion). Im 
allgemeinen bringen diejenigen Reize, welche plötzlich starke Affekte erzeugen 
(Schreck, Angst), größere Dilatationen hervor, als einfache Fragen. — Sensible 
Reize (einfacher Nadelstich oder mehrere Stiebe schnell hintereinander in Hand* 
rücken, Fingerspitze oder Nasenseptum) bewirken ebenfalls eine Erweiterung. — 
Beobachtet man bei mäßig starker künstlicher Beleuchtung mit der Lupe den 
Pupillensaum, ohne der Versuchsperson experimentell irgendwelche akustische, 
sensible oder sonstige Sinnesreize zuzuführen, dann sieht man bei jedem Ge* 
sunden, daß der Pupillensaum selten und dann auch nur für ganz kurze Zeit 
stille steht. Laquer nannte dieses Phänomen: Pupillenunruhe. 

Verf. prüfte diese Pupillenreaktionen nach dem Vorgang Bumkes bei ver¬ 
schiedenen Geisteskranken. Bei der Dementia praecox fehlten die Psycho* 
reaktion, sowie die sensible Reaktion und die Pupillenunruhe bei 75°/ 0 (Bumke 
fand dasselbe bei 69°/ 0 ). Einige Male waren die Reaktionen normal, einige Male 
fehlte die Psychoreaktion, während die sensible Reaktion vorhanden war. Bei 
einigen Kranken war die Diagnose noch unsicher, psychische und sensible Reaktion 
sowie Pupillenunruhe fehlten; der weitere Verlauf zeigte, daß Dementia praecox 
bestand. Bei Imbecillen fehlten manchmal psychische und sensible Reaktion, 
einmal fehlte nur die sensible Reaktion, meist waren beide vorhanden. Bei 
Paralytikern, Tabikern und Hirnluetikern, deren Lichtreflex normal war, 
waren die in Rede stehenden Pupillenphänomene ebenfalls normal, gleichviel 
ob es sich um tief oder wenig verblödete Kranke handelte. War der Lichtreflex 
bei ihnen völlig erloschen, so trat keine Erweiterung der Pupille auf psychische 
oder Hautreize mehr ein, auch fehlte die Pupillenunruhe. Handelte es sich be¬ 
reits um ganz erhebliche Beeinträchtigung der Verengerung auf Licht, so waren 
sensible und psychische Reaktion häufig noch vorhanden, während die Pupillen¬ 
unruhe in solchen Fällen fast regelmäßig fehlte. Fehlen der Pupillenunruhe bei 
noch vorhandenem Lichtreflex und erhaltener sensibler und psychischer Reaktion 
muß also den Verdacht einer organischen Hirnerkrankung erwecken. Zum Studium 
aller dieser Verhältnisse eignen sich besonders solche Paralytiker oder Tabiker, 
bei welchen die Störung des Lichtreflexes nur einseitig ausgebildet ist. Bei 
einigen Altersschwachsinnigen fand Verf. normale Verhältnisse. Meist waren 
Licht- und Konvergenzreaktion minimal, Schreckreiz und Nadelstich riefen jedoeh 
reichliche Pupillenerweiterung hervor; hie und da fehlte nur die Pupillenunruhe. 
Bei einem kleinen Teil waren weder Pupillenunruhe noch psychische oder sen¬ 
sible Reaktion nachweisbar. Auch bei alkoholisierten Personen wurden 
Untersuchungen angestellt: Hatten normale Menschen, die weder Alkoholiker noch 
Luetiker waren, mäßige Quantitäten Alkohol erhalten, so ergab die Prüfung vorher 
und nachher die gleichen Verhältnisse. Erhielten die Studenten, die Alkoholiker 
waren, nüchtern größere Alkoholquanten, so war die Papillenunruhe nachher be¬ 
deutend stärker als vorher, auch waren die übrigen Reaktionen im angetrunkenen 
Zustand sämtlich ausgiebiger als im nüchternen. Alkoholgeisteskranke Personen, 
die kurz nach der Aufnahme untersucht wurden, zeigten meist erhebliche Herab¬ 
setzung der Reaktionen. Patienten mit Unfallneurose endlich verhielten sich 
in 57°/ 0 betreffs der Pupillenphänomene normal. Bei 30 °/ 0 trat der Lichtreflex 
sehr schnell (schießend) ein und war sehr ausgiebig, psychische, sensible Reaktion 
und Pupillenunruhe waren gesteigert. Verf. bemerkt, daß diese Steigerung 
namentlich dann vielleicht von diagnostischem Wert sein könnte, wenn es sieh 
um starke Trinker oder um alte Personen handle. 

Übrigens hat Ernst Leitz nach des Verf.’s Angaben eine monokuläre Ein- 


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richtung za Papiilenuntenaohnagen geschaffen, welche 40 Mark kostet; am seit¬ 
lichen Arm eines Stativs ist hier ein Ablesemikroskop montiert. Die sogenannte 
Westiensche Lupe ist eine binokulare Präparierlupe, welche derselbe Optiker 
für 60 Mark verkauft. 

2) Über willkürliche Erweiterung der Pupillen, von Ernst Blooh in Katto- 
witz. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 44.) Bef.: B. Pfeiffer. 
Einwandsfreie Feststellung willkürlicher Erweiterung der Pupillen unter Zu¬ 
hilfenahme der Zwischenvorstellung „jetzt will ioh meine Pupillen erweitern“. 
Sollte sich die Kasuistik häufen, so müßte man ein kortikales Centrum für 
Pupillenbewegung postulieren, auch wäre durch den Nachweis willkürlicher 
Pupillenbewegung der ohnehin stark erschütterten Lehre von der willkürlichen 
(quergestreiften) und unwillkürlichen (glatten) Muskulatur der Boden entzogen. 


Psychologie. 

3) Conoeption psyohologique du ndvrosisme, par H. Z bin den. (Arch. de 
psychol. V. 1906.) Bef.: H. Haenel (Dresden). 

Eine vortreffliche, warmherzig und klug zugleich geschriebene Abhandlung 
über die Nervosität; Verf. zeigt sich als der verständnisvolle Schüler von Duhois 
in Bern, dessen Psychotherapie auf jeder Seite, in der Wahl der praktischen 
Beispiele, in den feinsinnigen und treffenden, begleitenden Bemerkungen u. a. ihm 
als Vorbild gedient bat. Nur einige solcher Sätze seien hier angeführt, die seine 
Auffassung charakterisieren: Die Gewohnheit des verkehrten und unzweckmäßigen 
Denkens ist ebenso unheilvoll wie die, sich Morphium oder Alkohol zuzuführen. 
Allen Nervösen ist diese Eigenschaft des unrichtigen Denkens gemeinsam; um sie 
zu verstehen und zu heilen, ist es erst nötig, eine „Gleichung“ ihres Denkens 
aufzustellen; diese ist ja oft kompliziert und wechselt je nach dem einzelnen Falle, 
sie iBt aber mit etwas Zeit und Geduld meist nicht sohwer „aufzulösen“. Das 
meiste ist schon gewonnen, wenn es gelungen ist, das Grundsymptom der Ängst¬ 
lichkeit durch sein Gegengift, das Vertrauen, zu ersetzen. Weiter kommt alles 
darauf an, das seelische Leiden oder seelische Trauma, das den allermeisten Fällen 
von „Nervosität“ zu Grunde liegt, aufzudecken; allerdings kann und darf nur der¬ 
jenige Psychotherapeut sein, der die gesamte Medizin zum mindesten diagnostisch 
beherrscht und alle anderen Krankheitsursachen mit Sicherheit auszuschließeu 
versteht. 

Nach einer mit manchen instruktiven Beispielen aus dar eigenen Praxis — 
ein Hauptvorzug der Abhandlung! — bereicherten Darstellung der Ursachen, 
Symptome und Folgen der Nervosität kommt Verf. schließlich auf die Heilmittel 
zu sprechen. Nach dem ganzen Grundton seiner Auffassung dieser Krankheit 
ist es nur folgerichtig, daß dieselben für ihn heißen: Deterministische Weltan¬ 
schauung, Herzensgüte, — zwei Dinge, von denen der Arzt so viel haben muß, 
daß er davon allen seinen Patienten abgeben kann — und die Kunst, eine Er¬ 
ziehung bzw. Neuerziehung — reäducation — dem Kranken angedeihen zu lassen, 
die ihn zur Herrschaft über sich selbst und damit zur Heilung zurückführt. 


Pathologische Anatomie. 

4) Klinisohe Beobachtung eines Falles von Spina bifida lumbosaoralis (Myelo- 
oystooele), von M.Bernhardt (Deutsche Ärzte-Zeit. 1907.) Bef.: KurtMendel. 
5 Jahre alter Knabe. Schwester starb an tuberkulöser Hirnhautentzündung. 
Eltern gesund. An der oberen Partie des Kreuzbeins und in der Gegend des 
untersten Lumbalwirbels kleinapfelgroße, kugelige, von narbiger Haut bedeckte 
Geschwulst, haarlos. Druck auf den Tumor hot Ohnmachtsanfälle zur Folge. 
Pat. ist für sein Alter intelligent. Hirnnerven und obere Extremitäten ohne 


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Sonderheit. An den unteren Gliedmaßen vollkommener Verlost der Sensibilität, 
ebenso am Damm, an der Afterkerbe, am Anus, dem PeniB. Diese absolute An¬ 
ästhesie reicht bis zu einer halbhandbreit oberhalb der Regio pubis beginnenden 
Partie. Urin und Stuhl kann nicht gehalten und nicht willkürlich entleert werden. 
Reohter Fuß in Equinovarus-, linker in Valgusstellung. 2. und 3. Zehe beider¬ 
seits schwimmhautartig zusammengewachsen. Dauernde unwillkürliche Bewegungen 
der Zehen. Aktive Bewegungen an Füßen und Zehen nicht möglich. Patellar¬ 
und Achillesreflexe fehlen. Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit. 

Diagnose: Spina bifida. 

Bemerkenswert ist die Stärke der Sensibilitätsstörungen. Es ist anzunehmen, 
daß die hinteren Wurzeln der Sakral- und der Lendennerven bis zum I. N. lum- 
balis und vielleicht XIL N. dorsalis hin durch abnormen Verlauf oder besondere 
Dehnung und Zerrung schwer geschädigt Bind. 

Schließlich zeigt Verf., warum er seinen Fall den Myelocystocelen, nicht den 
Myelocelen oder Meningocelen zurechnet. Besonders bestimmend hierfür ist die 
starke Störung der Sensibilität. 


Pathologie des Nervensystems. 


6) Über die'Ursachen der Neurasthenie und Hysterie bei den Arbeitern, 

von Paul Schönhals. ((Inaug.-Diss. Berlin 1906.) Ref.: S. Klempner. 

Zusammenstellung der Ursachen, welche für die Entwicklung der nervösen 
Allgemeinerkrankungen bei den männlichen Arbeitern verantwortlich zu machen 
Bind, an 200 Fällen aus der Nervenheilstätte Haus Schönow (Zehlendorf). Es 
ergaben sich als Ursachen: Heredität in 9,5°/ 0 , Trauma 45°/ 0 , körperliche Über¬ 
anstrengung 22,5 °/ 0 » psychische Irritation 1,5 °/ 0 , Toxine ll°/ 0 , akute und chro¬ 
nische Krankheiten 5 ü / 0 , gemischte Fälle 5,5°/ 0 . Stellt man die Handwerker 
und gelernten Arbeiter den ungelernten Arbeitern gegenüber, so ergibt sich das 
Verhältnis von 74:26. 21°/ 0 der Erkrankten war im Kleinbetrieb beschäftigt, 

36 °/ 0 in Fabriken. 

6) Bemerkungen über Neurasthenie und ihre klimatische und baineo¬ 
therapeutische Behandlung, von Prof. Romberg in Tübingen. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1906. Nr. 38.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Der gut geschriebene Aufsatz verdient die weitgehende Beachtung der Prak¬ 
tiker. Nach Verf. ist die Neurasthenie eine exquisite Erschöpfungsneurose. Thera¬ 
peutisch ist zunächst weitgehende Schonung und ausreichende Erholung erforderlioh, 
darauf ist durch entsprechende, vorsichtige Übung der Kranke so leistungsfähig 
zu machen, wie er nach seiner konstitutionellen Beschaffenheit und nach der für 
die Behandlung verfügbaren Zeit werden kann. Nach des Ref. Ansicht ist in 
jedem Fall ausgesprochener Neurasthenie eine sorgfältige klinische Behandlung 
und Schulung einzuleiten und eine Nachkur im Gebirge, Bäder usw. erst dann 
anzuraten, wenn der Pat. unter der ärztlichen Leitung gereift und selbständig 
genug geworden ist, die Weiterführung der Verordnungen in eigene Hände zu 
nehmen. 

7) Über das Wesen der Neurasthenie, von Dunin. (Gazeta lekanka. 1906. 
Nr. 5 u. 6. [Polnisch.]) Ref.: Edward Flatau (Warschau). 

Verf. bespricht in seiner Arbeit das Wesen der Neurasthenie. Verf. bemerkt 
zunächst, daß es keine pathognomonischen Erscheinungen dieser Krankheit gebe. 
Kopfschmerzen, Schwindel, Ermüdbarkeit, Parästhesieen usw. können sowohl bei 
verschiedenen organischen Krankheiten, wie auch bei psychischen Erschütterungen 
und auch bei Medikamenten auftreten. Diese Symptome werden durch Blut¬ 
zirkulationsstörungen oder feine Reaktion seitens der Nervenzellen bedingt. Es 
existiert ferner eine Krankheit, nämlich die periodische Depression (die von Verf. 


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beschriebene periodische Neurasthenie), welche alle Symptome der Neurasthenie 
darbieten kann und sich trotzdem wesentlich von dieser unterscheidet (plötzlicher 
Beginn und dann plötzliches Aufhören, apathisches Wesen, geringes Eingehen auf 
die quälenden Erscheinungen u. a.). Bei der Neurasthenie stellen somit die 
Symptome als solche kein spezifisches Zeichen der Krankheit dar. Der Grundriß 
dieser letzteren stellt der psychische Zustand der Kranken und namentlich die 
grüblerische Selbstbeobachtung, die sich fein zuspitzende Selbstanalyse und die 
außergewöhnliche Beachtung jeder, auch der geringsten Krankheitserscheinung, 
oder der physiologischen Sensation. Ferner spielen bei der Psyche der Neur- 
astheniker auch Reminiszensen aus dem früheren Leben eine Rolle, wobei der 
jemals anfgetretene anangenehme Gefühlston, welcher das Geschehene begleitet 
bat, bewußt oder unbewußt anftritt und einen Angstzustand hervorruft. Die 
Neurastheniker, die stets ihre eigene Person analysieren, haben kein Gefühl da« 
für, was um sie geschieht. Daraus folge dann Willensschwäche, das Gefühl der 
leichten Ermüdbarkeit (es fehlt nämlich die Reaktion des Kranken auf die stär« 
keren Impulse seitens der Umgebung). Als eine weitere Folge dieser Ermüd¬ 
barkeit und Willensschwäche erscheint dann völlige Interesselosigkeit, die Kranken 
verlieren den Glauben an sich selbst, werden mutlos u. a. Mit einem Worte, Verfi 
vertritt die Ansicht, daß der Grundzug der Neurasthenie ein hypochondrischer 
ist (die übermäßige Selbstbeobachtung). Zwischen der Neurasthenie und der 
Hypochondrie besteht somit kein grundsätzlicher Unterschied und die Neurasthenie 
selbst stellt eine Psychose sui generis dar. Die eigentliche Therapie der Krank¬ 
heit kann nur in Psychotherapie bestehen. 

8) Über Störungen motorischer Funktionen duroh die auf sie geriohtete Auf¬ 
merksamkeit, vonPick. (Wiener klin.Rundsch. 1907. Nr. 1.) Ref.:Pilcz(Wien). 

Verf. geht von der bekannten Erfahrung aus, „daß willkürliche, später auto¬ 
matisch gewordene Bewegungen bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit wesentlich 
schlechter ausfallen, gelegentlich überhaupt nicht ausgeführt werden können und 
erst gelingen, wenn durch einen Kunstgriff die Aufmerksamkeit wieder ausge¬ 
schaltet werden kann' 1 . Verf. weist auch darauf hin, daß die gleiche Encheinung 
auch dort zu finden ist, wo die willkürlichen Funktionen durniederliegen, die 
Kranken gleichwohl manchmal dieselben Funktionen unwillkürlich korrekt zustande 
bringen (wie z. B. manche Aphasiker), erinnert an das „Harnstottern" (Paget), an 
die psychisch bedingten Störungen der DefÜkation (Pick), an die Dysphagia 
amyotactica (Rossolimo), an die jedem Praktiker bekannten Schwierigkeiten 
mancher Patienten beim PillenBchlucken, und betont, daß die Fachliteratur im 
auffallenden Gegensätze zu der Häufigkeit derartiger Störungen über Analogie im 
Gebiete der willkürlichen Muskulatur nahezu nichts aufweist. (Verf. zitiert hier 
einen Fall Wernickes.) Merkwürdigerweise enthält diesbezüglich gerade die 
belletristische und psychologische Literatur viel mehr, wie die hübsch vom Verf. 
herangezogenen Beispiele beweisen. (Ausübende Musiker könnten davon auch ein 
Kapitel erzählen, wie Ref. selbst am eigenen Leibe des öfteren erfahren. Interessante 
Beispiele finden sich in dem Werke des Musikgelehrten Wallaschek: Psycho¬ 
logie und Pathologie usw. Leipzig, 1905. Barth.) 

Verf. teilt nun in extenso die Krankheitsgeschichten von folgenden zwei 
Fällen mit: 

L Hypochondrischer Neurastheniker bemerkt rasches Ermüden der Beine, 
auffallende Unsicherheit in denselben. Pat. schildert den Zustand: „Ich kann 
nur gehen, wenn ich meine Füße schleudere, der Gang ist fortwährend unsicher 
und schwankend . . .; auf einem Pflaster, welches viele Unebenheiten aufweist, 
kann ich überhaupt nicht gehen...." Außerdem klagt Patient, der über Tabes 
gelesen hatte, über „Gürtelgefühl", Parästhesien; er habe eine förmliche Manie, 
jedem auf die Füße zu schauen, auch meint er, daß ihm jeder auf die Füße 

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schaue. Ähnliohes empfinde er neuerdings auch beim Sprechen. — Objektiver 
Befand vollkommen negativ. Der Kranke hebt, wenn er vor den Ärzten die 
Gangstörung demonstrieren will, die Beine in den Oberschenkeln and zwar zu¬ 
nehmend in einer Weise, die mit tabischer Ataxie nichts gemein hat, sondern 
deutlich als gewollt erkennbar ist. — Verf. macht auf die rein psychische Be¬ 
dingtheit der Erscheinungen aufmerksam, auf den überwertigen Charakter, den 
die betreffenden Vorstellungen genommen haben, und auf die Beziehungssucht, 
die sich daraus entwickelt. 

II. 41 jähriger Sprachlehrer, an dem, wie er erzählte, schon verschiedene 
Diagnosen verübt worden waren (darunter auch Pseudotabes durch Nikotinver¬ 
giftung), leidet seit seinem 17. Jahre an zeitweilig auftretenden „Schwindel¬ 
anfällen“; (taumelnder GaDg, Gefühl des Stürzens), außerdem bestehen eine Beihe 
neurasthenischer Beschwerden. Objektiver Befand wieder durchaus negativ, ab¬ 
gesehen von stärkerem Heben der Beine in den Oberschenkeln (vom Pat. als 
„Schleudern“ bezeichnet), das bei Fortsetzung der Gehversuche zunimmt 

Verf. fuhrt nun aus, daß es nahe liegt, zur Erklärung dieser psychisch be¬ 
dingten Erscheinungen das Verhältnis zwischen Hemmung und Beizung, Prota¬ 
gonisten und Antagonisten ins Auge zu fassen. Differentialdiagnostisch sind aas¬ 
zuschließen (abgesehen natürlich von irgend einer organischen Affektion), die 
verschiedenen Phobien professionellen Charakters (v. Bechterw, Slansky u. a.). 
— die Möglichkeit von Übergangsformen erwähnt übrigens Verf. ausdrücklich —, 
ferner die Abasie, die Jaccoudsche „ataxie par döfaut de coordination automa- 
tique“, Verf. präzisiert die Stellung der vorliegenden Störung im Rahmen der 
„Hypochondrie“ und betont schließlich die Wichtigkeit der richtigen Erkenntnis 
derartiger Zustände in Hinsicht auf die einzuschlagende Therapie. 

9) Neurasthenie and neuro-hyperaesthesia of Grocoo, by Timpano. (Journ. 
of ment, pathol. VII.) Refi: Meyer (Königsberg). 

Grocco hatte die Ansicht ausgesprochen, daß von der eigentlichen Neur¬ 
asthenie mit Erschöpfung des Nervensystems eine Erkrankungsform mit neur- 
asthenischen Symptomen abzugrenzen sei, bei der eine Steigerung der nervösen 
Funktion vorhanden sei. Verf. wendet sich gegen diese Anschauung. Es seien 
nur gradweise Unterschiede zwischen diesen beiden Formen, deren gemeinsame 
Grundlage eine Schwächung des Nervensystems sei. Auch der therapeutische Be¬ 
weis Groccos sei nicht stichhaltig, da exzitierende Mittel keineswegs immer günstig 
auf die Neurasthenie einwirkten. 

10) Über die Ätiologie und Therapie der neurastheniaohen Kopfschmerzen, 
des neurasthenisohen Schwindels und der Migräne, von Dr. G. Peritz. 
(Med. Klinik. 1906. Nr. 44 bis 46.) Refi: Max Jacoby (Mannheim). 

Als Ursache der eben angeführten nervösen Affektionen führt Verf. Myalgien 
im Gucullaris und Sternocleidomastoideus entweder einseitig oder doppelseitig an. 
Die Beschwerden werden durch Einspritzen von geringen Mengen Kochsalzlösung 
(0,2/100 sterilisiert) in die abnorm schmerzhaften Muskelstellen beseitigt. Di» 
Therapie ist eine vollkommen lokale, sie wirkt nur auf diejenige Stelle, die be¬ 
handelt ist. Es müssen daher so oft Einspritzungen vorgenommen werden, als 
sich erkrankte, schmerzhafte Stellen vorfinden. Als Erklärung für den Zusammen¬ 
hang der Myalgie und der nervösen Affektionen führt Verf. den Umstand an, 
daß am Schädel eine große Anzahl von Nerven auBtreten, daß ferner infolge der 
annähernden Kugelgestalt des Schädels die Übertragung von Zug und Zerrung 
von der Rückseite des Schädels auf die frontale viel eher und stärker stattfinden 
kann, als an anderen Stellen des Körpers. 

11) Nervenkrankheit und Lektüre. Nervenleiden und Erziehung. Die 
ersten Zeiohen der Nervosität des Kindesalterz, von H. Oppenheim. 
(Drei Vorträge. Berlin 1906, Karger. 115 S.) Refi: Neter (Mannheim). 

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Die Themata, die in der Broschüre behandelt werden, lassen den Inhalt der¬ 
selben erkennen; zu einem kurzen Referat eignen sich die Vorträge nicht. Je¬ 
dem aber, der sich über die vorstehende Uaterie informieren will, bietet die 
Broschüre eine außerordentliche Fülle von Material und gibt wertvolle Anregungen. 

12) Acoidents hysteriques d’imitation, par Dr. Terrien. (Progrös medical. 

1906. Nr. 10.) Ref.: Viktor Lippert (Wiesbaden). 

In der Ätiologie der Hysterie spielt neben der psychopathischen Konstitution 
die Nachahmung eine große Rolle. Ein Diabetes, eine Tabes, ein Fall von 
Vomitus gravidarum, eine Meningitis in der Familie, im Bekannten-, im Nach- 
barenkreise gesehen, veranlaßt den hysterischen Patienten zur oft naturgetreuen 
Nachahmung der charakteristischen Symptome der betreffenden Krankheit, so daß 
selbst der Arzt sich oft täuschen läßt. 

Verf. führt verschiedene, sehr markante Fälle aus seiner Praxis an, welche 
zum Teil schon früher publiziert worden sind. Ein Bauer von 35 Jahren litt an 
einer hysterischen Astasie und Abasie 4 Jahre lang, konsultierte alle möglichen 
Ärzte, verbrauchte die verschiedensten Medikamente und wurde vom Verf. psycho¬ 
therapeutisch binnen 5 Minuten von seinem Leiden befreit, so daß er, der mühsam 
aus dem Wagen ins Sprechzimmer getragen worden war, nach der kurzdauernden 
Behandlung seiner Arbeit nachging. Er hatte das Leiden an einer Nachbarin, 
welche an einer organischen Krankheit litt, vorher gesehen und sich die feste 
Idee gebildet, an einer gleichen Lähmung zu leiden. 

Ferner hatte Verf. ein Mädchen von 19 Jahren, welches ebenfalls aus dem¬ 
selben Bezirke des Departements Vendee Btammte, wie der eben erwähnte Kranke, 
und an einer Coxalgie litt, behandelt; im Laufe der nächsten Zeit kamen aus 
demselben Orte und dessen Umgebung nach einander 6 Mädchen, alle über die 
Hüfte klagend, hinkend, sich mühselig daherschleppend: es waren hysterische 
Pseudocoxalgien mit naturgetreuer Nachahmung der charakteristischen Er¬ 
scheinungen. 

Bei einem weiteren Falle handelte es sich um eine Paralyse beider Beine 
bei einem Kinde nach schwerer Diphtherie; dasselbe wurde vom Verf. einer täg¬ 
lichen elektrischen Behandlung unterzogen, bei welcher Gelegenheit auch der Hals 
aller anderen im Hause befindlichen Kinder einer eingehenden Untersuchung unter¬ 
zogen wurde. Zu Verf.’s nicht geringem Erstaunen zeigte der 11jährige Bruder 
des Kranken eines Tages, ohne vorhergegangenes Fieber, ohne HalBrötung dieselbe 
Bewegungsstörung des Beines. Geeignete Psychotherapie half auch dieser imi¬ 
tierten Lähmung bald ab. 

Eine andere Patientin trank täglich 10 bis 15 Liter Wasser und entleerte 
10 bis 12 Liter Urin; sie batte, da ihr Vater an DiabeteB mellitus litt, die Er¬ 
scheinungen desselben kennen gelernt und Durst und vermehrte Urinausscheidung, 
wenn man so sagen soll, kopiert. 

Wieder eine andere, ebenfalls aus der Vendäe, bekam einige Zeit nachdem 
sie von einem Kranken mit schwerer Angina pectoris und Cheyne-Stokesscher 
Atmung gehört hatte, sehr getreu nachgeahmte Anfälle der letzteren während 
eines hysterischen Dämmerzustandes; die Respiration setzte während 45 bis 
80 Sekunden ganz aus. 

Auch ein derartiger Fall von unstillbarem Erbrechen ist bemerkenswert. 
Eine Freundin der Kranken (gravida) war an diesem Leiden gestorben, und von 
da ab litt die Kranke, ebenfalls gravida, daran, so daß sie sehr herunterkam; 
kleiner fadenförmiger Puls, starke Abmagerung, große Schwäche, Leichenblässe, 
absoluter Appetitmangel ließen das Schlimmste befürchten; Verf. und zwei andere 
Ärzte entschlossen sich zum künstlichen Abort. Das Resultat war ein negatives, 
da sie nicht abortierte. Die Patientin verfiel immer mehr. Da hatte Verf., ob- 

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wohl er selbst von der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens überzeugt war, die 
glückliche Idee, die Kranke, welche ihm als sehr nervös bekannt war, „psycho¬ 
therapeutisch“ zu beeinflussen. Gr fingierte die wiederholte Einleitung des künst¬ 
lichen Abortes, zeigte der Patientin angebliche Eiteile, Embryo usw. an der Sonde. 
Die Kranke war überzeugt, daß mit der Entfernung der Ursache auch das Leiden 
sein Ende haben müsse; sie, die seit einem Monat keinen Löffel Wasser sehen 
konnte, nahm */ 4 Stunde danach Milch und in der folgenden Zeit dauernd Nahrung; 
nach 6 Monaten gebar sie ein kräftiges Kind. Das Erbreohen war nicht wieder 
aufgetreten. 

Von Interesse ist, daß die meisten dieser Kranken auB demselben kleinen 
Bezirke des Departements Vendöe stammen; es ist dort ein ziemlich großer, aber 
recht scharf zu umgrenzender, von Bauern bewohnter Bezirk, welcher von Nervösen, 
Hysterischen und Neurasthenikern dicht bevölkert ist, deren leichte Suggestibilität 
so rasche psychotherapeutische Erfolge ermöglichte. 

Im Anschlüsse an die Besprechung dieser Fälle sucht Verf. auch das ma߬ 
lose Überhandnehmen angeblicher Fälle von Appendicitis zu erklären. Er hält 
einen großen Teil derselben für hysterische Pseudoappendicitis, was ja auch 
der Umstand beweise, daß man bei manchen auf solchen Fehldiagnosen aufgebauten 
Eingriffen anatomisch normale Verhältnisse finde. 

13) Qiobusgefühl and Aura, von Dr. Max Buch (Helsingfors). (Arch. f. Psych. 

u. Nervenkrankh. XL; vgl. d. Centralbl. 1905. S. 714.) Ref.: G. Ilberg. 

Verf. macht zunächst darauf aufmerksam, daß Globus nicht selten mit Oeeo- 
phagismus verwechselt wird. Globus iBt ein schmerzloses, unangenehmes Gefühl 
eines Fremdkörpers, das eventuell stundenlang anhält und allmählich schwindet. 
Der Fremdkörper soll meist von runder Gestalt sein (Kugel eventuell von Faust¬ 
große, ein sich bewegender Kern, Stein, Wurm). Der Globus entsteht meist im 
Epigastrium — zuweilen im Hypogastrium — und bewegt sich in der Mittellinie 
des Körpers hinter dem Sternum bis in den Hals, wo er sich in der Höhe des 
Jugulum oder höher noch festsetzt. Kurz bevor der aufsteigende Globus den 
Hals erreicht, besteht oft kurzdauerndes Herzklopfen. Das Aufsteigen dauert 
einige Sekunden. Manchmal wird nur der Ursprungspunkt im Unterleib und der 
Globus im Halse empfunden, nicht aber der dazwischen liegende Weg. Der 
Oesophagismus ist ein Krampf, der an jeder beliebigen Stelle der Speiseröhre 
auftreten kann und keine Prädilektionsstelle am Halse hat. Er wird hervor¬ 
gerufen durch den Versuch einen Bissen herunterzuschlucken und ist begleitet von 
einem lästigen Einschnürungsgefühl, das sich bis zu Schmerzen steigern kann. 
Der Schmerz bewegt sich weder auf- noch abwärts, sondern sitzt an einer Stelle 
des Oesophagus hinter dem Sternum fest. Über das Gefühl eines Fremdkörpers 
wird bei den Schlingbeschwerden, in denen der Oesophagismus besteht, nicht 
geklagt. 

Verf. teilt alsdann 22 Krankengeschichten mit und kommt zu dem Resultat, 
daß bei den Kranken, die an Globus litten, stets der gesamte der Untersuchung 
zugängige Grenzstrang des Sympathicus und die prävertebralen Geflechte des¬ 
selben , häufig auch die Beckengeflechte eine meist beträchtliche Hyperalgesie 
zeigten. Dieser Reizzustand gab sich auch durch spontane Schmerzanfälle im 
Lendensympathicus oder in den Halsstörungen zu erkennen; er äußerte sich zu¬ 
dem in einer pathologischen Erhöhung oder Herabsetzung verschiedener Sym- 
pathicusfunktionen (nervös - dyspeptischer, vasomotorischer und sekretorischer Art). 
Durch Druck auf den Sympathicus in der Gegend der spontanen Schmerzanfälle 
erzeugte man stets einen Schmerz, welcher nach Art und Beschaffenheit dem 
spontanen gleich war, und etwa in der Hälfte der Fälle wurde zunächst das 
Globusgefühl ausgelöst. In einem Falle von Epilepsie wurde durch Druck auf 
den hyperalgetischen Sympathicus die epileptische Aura hervorgerufen. 

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361 — 


Ala Grundleiden begegnete Verf. bei Globus meist chlorotischen und an* 
ämisehen Zuständen. Oft waren die letzteren durch Krankheiten in der Genital¬ 
sphäre herrorgerufen und mit einem Beizzustand des Sympathicus: Sympathi- 
cismus verbunden. Bei allen diesen chlorotischen Zuständen, auch bei den 
Schwangerschafts* und Endometritisohlorosen leisteten Eisen oder Arsenik vor¬ 
treffliche Dienste. 

Der OesophagismuB kommt vor bei Hysterie, Epilepsie, Chorea, Tetanus, 
Hydrophobie, Erkrankungen der Speiseröhre, Polypen des Pharynx und Pharyn¬ 
gitis granulosa. 

14) Hypeatheeia and hypalgesia and their algnifloanoe in fnnodonal ner- 
vous disturbanoes , by E. B. An gell. (Journ. of Nerv, and Ment. Disease. 
1906. Mai.) Bef.: M. Bloch (Berlin). 

Yerf. hat bei einer Anzahl von Patienten mit funktionellen Neurosen dort, 
wo die Beschwerden sich auf bestimmte Organgebiete lokalisierten (speziell bei 
unangenehmen Sensationen in den Beckenorganen, Blase usw.), Storungen der 
Sensibilität in den darüberliegenden Hautpartien konstatiert, die sich als Hyp- 
ästhesien und Hypalgesien charakterisierten. Durch systematische Behandlung der 
Haut mit Sensibilitätsreizen in Form von Elektrizität usw. gelingt es, die normale 
Sensibilität wieder herzustellen und dadurch auch eine wesentliche Besserung der 
ursprünglichen Beschwerden, bisweilen sogar Heilung zu bewirken. Verf. glaubt, 
daß es sich bei den festgestellten Tatsachen um sehr häufige und typische Be¬ 
funde handelt; er stützt seine Ansicht durch Hinweis auf die bekannten Arbeiten 
von Head und verwandte Beobachtungen von Janet, Eichet u. a. 

15) Anesthesia assoolated with hyperalgesia sharply oonflned to areola- 
nipple area of both breasts; a new and apparently oonstant Stigma 
of hyateria, by William W. Graves. (Journ. of Nerv, and Ment. Disease. 
1905. Oktober.) Bef.: M. Bloch (Berlin). 

Eine mehr zufällig gemachte Beobachtung veranlaßte Verf., eine größere 
Zahl von Untersuchungen der Sensibilität des Warzenhofes der Brustdrüse vor¬ 
zunehmen. Während bei Gesunden und anderen Nervenkranken sich keinerlei 
Störungen der zu schildernden Art nachweisen ließen, fand er hei 30 Fällen von 
Hysterie (24 Frauen und 6 Männern) ganz konstant eine Herabsetzung der Be¬ 
rührungsempfindung mit gleichzeitiger Hyperalgesie, streng begrenzt durch den 
pigmentlosen Hautrand, am ganzen Warzenhof. Seine Beobachtung wurde von 
Fry und Schwab durch eigene Untersuchungen bestätigt, so daß er vermutet, 
daß es sich bei dem genannten Symptom um ein konstantes Symptom der Hysterie 
handelt. 

10) l>e ptosis paralytique dans l’hysterle, par Sauvineau. (Bevue neuro- 
logique. 1907. Nr. 3.) Bef.: Erwin Stransky (Wien). 

Mitteilung zweier Fälle von Hysterie, die durch das Bestehen einer im Aspekt 
an den paralytisohen Typus erinnernden Ptosis ausgezeichnet waren; in beiden 
Fällen handelte es sich um noch kindliche weibliche Individuen. In dem einen 
der beiden Fälle war die Ptose doppelseitig, in dem anderen einseitig (mit Ble¬ 
pharospasmus auf der Gegenseite); Verf. macht gegenüber der Annahme einer 
Verwechslung mit spastischer Ptosm, abgesehen von dem Fehlen anderer Begleit¬ 
umstände, insbesondere auch auf das Fehlen von Krampferscheinungen in den 
korrespondierenden unteren Lidern aufmerksam. Nach Entstehung und Beaktion 
gegen therapeutische Eingriffe (Suggestivbehandlung) erwies sich die Erscheinung 
in beiden Beobachtungen als eine hysterisch bedingte; in dem einen der Fälle 
kam die Ptosis im Anschlüsse an eine Lokalaffektion und schien aus einer be¬ 
stehenden Befraktionsanomalie Nahrung zu schöpfen. Verf. reiht seine Fälle der 
von Parinaud und Charcot beschriebenen pseudoparalytischen Form an (trotz 
des^ Fehlens des Tiefstandes der Braue auf der betroffenen Seite). 

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362 


17) La mydriase hysterique n'existe paa, par Ch. Sauvineau. (Revue neuro* 
logique. 1906. Nr. 22.) Re£: Erwin Stransky (Wien). 

Verf. beatreitet das Vorkommen einer mit reflektorischer Starre der Pupille 
einhergehenden Mydriasia auf rein hysterischer Grundlage und teilt 3 Fälle mit, 
in denen trotz des Vorhandenseins dieser Erscheinung die Diagnose auf hysterische 
Sehstörung von dritter Seite gestellt ward, eine Diagnose, die dann alsbald durch 
den weiteren Verlauf desavouiert wurde, indem sich eine organische Opticusaffektion 
entwickelte (in allen 3 Fällen einseitige Affektion, zweimal eine traumatische Ent¬ 
stehung, jedesmal ein ziemlich plötzliches Einsetzen mit ziemlich kompletter ein¬ 
seitiger Amaurose, die in einem Falle anfangs sich ruckbildete und so eine 
vorübergehende Heilung vortäuschte; von dem intakten Auge her war immer kon- 
sensuelle Reaktion zu erzielen). Auch eine paralytische, nicht — wie in diesen 
Fällen — centripetal bedingte Mydriase bestreitet Verf. als hysterisch zu werten* 
des Symptom; derartige Annahmen konnten nur auf Beobachtungs- oder Aus- 
legungsfehlern beruhen. 

18) Über Puplllenstarre im hysterisohen Anfall, von Priv.*Doc. Dr. Bumke. 
(Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 16.) Ref.: E. Asch. 

Ein 18jähriger Mann, von Kindheit an imbezill und an Krämpfen leidend, 
war deshalb seit Jahren in Epileptikeranstalten untergebracht. Auch der erste 
Anfall, welchen Verf. beobachten konnte, machte den Eindruck eines epileptischen. 
Bald ließen sich indessen in den Intervallen deutliche hysterische Stigmata — 
linksseitige Anästhesie und einseitiger, durch Suggestion beeinflußbarer Spasmus 
des Orbicularis oculi — feststellen. Auch machten die gehäuft auftretenden An¬ 
fälle trotz der Pupillenstarre durch die theatralische Art ihres Eintrittes, den 
halbwillkürlichen Charakter der Zuckungen und das rasche Nachlassen der Be¬ 
wußtlosigkeit auf Anrufen den Eindruck hysterischer Entstehung. Und dies wurde 
sicher, als es gelang die Anfälle suggestiv eintreten und verschwinden zu lassen 
und dieselben derartig zu modifizieren, daß der Kopf ruhig und die Augen offen 
gehalten wurden. Bei jedem derartigen Krampfanfall werden die vorher 4 bis 
5 mm weiten und gut reagierenden Pupillen etwa 7 mm weit, wobei auch die 
intensivste Belichtung keine Reaktion mehr hervorbringt. Auch war die Akkom¬ 
modation dabei vollständig entspannt (Untersuchung mit dem Refraktionsspiegel). 
In der Weise, in welcher die Bewußtlosigkeit schwindet, stellt sich die Tätigkeit 
der Pupillen allmählich wieder her. 

Um nun den mydriatischen Charakter der offenbar hysterischen Pupillenstarre 
zu erhärten, wurden vor der experimentellen Erregung der Anfälle an einem Tag 
2 Tropfen einer l°/ 0 igen Lösung von Homatropin, an einem anderen eine solch« 
von Kokain eingeträufelt. Es zeigte sich alsdann jedesmal, daß sich die Kokain¬ 
wirkung zu der im Anfall auftretenden Erweiterung hinzuaddierte, während sich 
die durch Homatropin erweiterte Pupille im Anfall nicht mehr veränderte. Um 
alle Zweifel zu unterdrücken, wurde in das Auge, dessen Pupille durch Homatropin 
erweitert war und dessen PupillendurchmesBer der ausgelöste Anfall nicht mehr 
erweiterte, noch 2 Tropfen Kokain geträufelt, welche den übriggebliebenen Iris¬ 
saum noch weiter verkleinerten. Hierdurch ist wohl die Annahme einer vor dem 
Anfall bestandenen Reizung des Dilatator iridis ausgeschlossen. 

Es bildet also in diesem Falle kein Dilatatorspasmus, sondern eine Inner¬ 
vationsstörung im Sphinkter die Ursache der hysterischen Pupillenstarre. Alle 
diese Erscheinungen von reflektorischer Erweiterung der Pupille nach nervösen 
Reizen sind durch einen nicht näher bekannten Einfluß der Hirnrinde auf das 
Sphinkterencentrum bedingt. 

19) Über einen Fall plötzlioher Erblindung im Kindesalter, von Hasen- 
knöpf. (Charitö-Annalen. XXX. 1906.) Ref.: Martin Bloch (Berlin). 
Mitteilung eines interessanten Falles von rezidivierender hysterischer Amaurose 

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863 


bei einem 10jährigen Knaben mit Astasie-Abasie und hysterischem Vomitus. Die 
Heilung trat das erste Mal nach einer zu diagnostischen Zwecken vorgenommenen 
Lumbalpunktion, das zweite Mal nach einem nur zum Schein vorgenommenen sub¬ 
kutanen Einstich der Kanüle in der Wirbelsäulengegend auf. 

20) Über die psyohieoh bedingten Einengungen des Gesichtsfeldes, von 

Priv.-Doz. Dr. H.Klien. (Archivf.Psych.u.Nervenkr. XLII.) Bef.: Heinicke. 

Nach einem sehr ausführlichen Referat über die Entwicklung der Lehre von 

der konzentrischen Gesichtsfeldeinengung, weist Verf. auf einige Eigenschaften des 
normalen Gesichtsfeldes hin, die für den Vergleich mit dem konzentrisch einge¬ 
engten von Belang sind. Er bespricht dann die besonderen Eigenschaften der 
konzentrischen Gesichtsfeldeinengungen, wenn sie im wesentlichen durch Störung 
der Aufmerksamkeit, wenn sie durch die Vorstellung des Schlechtsehens, und wenn 
sie durch Funktionsstörung im Bereich der peripheren Nerven bedingt sind; ferner, 
welche Eigenschaften des Gesichtsfeldes bei einer einfachen Herabsetzung der 
kortiko-sensorischen Erregbarkeit zu erwarten sind. 

Im weiteren schließt er an der Hand der gewonnenen Resultate aus den be¬ 
sonderen Eigenschaften der Gesichtsfeldeinengungen, wie sie bei den verschiedenen 
Krankheiten Vorkommen, auf die Art ihrer Genese, worauf er zur Untersuchung 
der Frage über den Entstehangsmodus der konzentrischen Gesichtsfeldeinengung 
bei Hysterie übergeht, deren Beantwortung überhaupt das Ziel seiner Arbeit ist. 
Ein besonderes Kapitel widmet Verf. der hysterischen konzentrischen Gesichtsfeld¬ 
einengung bei Unfallkranken und bei Kriminellen in Untersuchungshaft und im 
Strafvollzug; ein weiterer Abschnitt behandelt die konzentrische Gesichtsfeld¬ 
einengung bei Hysterie unter Ausschluß krimineller und Unfallskranker. 

In einem letzten Kapitel beantwortet Verf. die Frage, ob man sich eine Vor¬ 
stellung vou der Lokalisation der psychischen Prozesse machen kann, die der 
hysterischen Sehstörung zugrunde liegen. 

Ref. mußte sich bei der umfangreichen hochinteressanten Arbeit leider nur 
darauf beschränken, die ihr zugrunde liegende Disposition zu skizzieren, da es 
unmöglich ist, in einem Referat auch nur annähernd die Fülle des in dieser Arbeit 
enthaltenen Wissenswerten zu bringen. Es sei mit Nachdruck auf die Original* 
arbeit hingewiesen. 

21) Beitrag zur Kenntnis bysterisoher Sprachstörungen, von 0. Maas. 

(Berliner klin. Wochenschr. 1905. Nr. 48.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Verf. beschreibt einen schon früher von Treitel (1893) und Remak (Ber¬ 
liner klin. Wochenschr. 1894) wegen ähnlicher Störungen beschriebenen Fall von 
Sprachstörung, der nach Vorgeschichte, Befund und Verlauf als Hysterie anzu¬ 
sehen ist. Die 58jähr. Patientin zeigt drei verschiedene Symptome: I. Stammeln, 
d. h. undeutliche Aussprache der einzelnen Laute; dieselbe ist beim Spontan¬ 
sprechen deutlicher als beim Nachspreclien. Nur 1 und m konnten überhaupt 
nicht nachgesprochen werden außer in der Mitte des Wortes. II. Stottern. Dieses 
Symptom hat sich seit Tr eit eis und Remaks Untersuchungen geändert, insofern 
als jetzt der krampfhafte Charakter und die für das Stottern typischen Mit¬ 
bewegungen fehlen. Das Stottern tritt intermittierend auf und kann suggestiv 
beeinflußt werden. Als III. Symptom zeigte die Patientin Agrammatismus, d. h. 
sie sprach nicht in grammatikalisch gebildeten Sätzen, sondern reihte ohne Kon¬ 
jugation alle Verben als Infinitiv aneinander. 

Alle diese Störungen gingen ohne spezielle Behandlung zurück. 

22) Hysterisk afoni med enkelsidig recurrensförlamning, af F. V. Törne. 

(Hygiea. 1906. S. 258.) Ref.: Walter Berger (Leipzig). 

Eine 49 Jahre alte Lehrerin war früher zweimal zu verschiedenen Zeiten 
ganz plötzlich aphonisch geworden und hatte ebenso plötzlich ihre Stimme wieder 
gewonnen und am 24. März 1904 wieder. Die laryngoskopische Untersuchung 


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864 


ergab Kadaverstellung des linken Stimmbandes und Beweglichkeit des rechten. 
Die Unbeweglichkeit des linken Aryknorpels konnte nur auf einseitiger Rekurrens¬ 
lähmung beruhen, die, wie sich aus der weiteren Untersuchung ergab, nicht nur 
funktionell, sondern organischer Natur war, während die Innervation des reehten 
Stimmbandes keinerlei Störung zeigte und vollständiger Anschluß an den Band 
des linken möglich war und die Bewegungsstörung desselben nur funktioneller 
Natur sein konnte. Die Affektion des linken Rekurrens war den Symptomen nach 
sicher nicht innerhalb der Schädelhöhle, sondern im Verlauf des Nerven außerhalb 
derselben zu suchen, weil die Lähmung ganz isoliert war, und es lag nahe, an 
eine Neuritis zu denken, die durch eine mechanische Beschädigung entstanden sein 
mußte. Eine Narbe am Halse konnte darauf hindeuten, daß es sich um Narben¬ 
schrumpfung nach einige Jahre vorher ausgeführter Exstirpation eines großen 
Lymphoms handelte. Eis war Schwierigkeit zu schlucken in gleicher Höhe mit 
dem Kehlkopfe vorhanden, die Verf. für eine Parästhesie hielt, wie sie bei ner¬ 
vösen Patienten (meist infolge von Atrophie der Pbarynxschleimhaut) oft vor¬ 
kommt. In bezug auf das rechte Stimmband nimmt Verf. eine Überanstrengung 
desselben durch die vermehrte Arbeit desselben beim Glottissohluß an, die eine 
funktionelle Schwäche zur Folge hatte. Unter suggestiver Behandlung besserte 
sich der Zustand rasch, so daß die Patientin nach 6 Tagen so gut sprechen konnte, 
wie vorher. 

Seitdem hat Patientin noch zu drei verschiedenen Malen gleiche Anfälle ge¬ 
habt, die ebenfalls plötzlich auftraten und binnen wenigen Tagen beseitigt wurden. 

23) Über eine Epidemie von hysterischem Laryngismus, von Haase. (Wiener 
med. Presse. 1906. Nr. 22.) Ref.: Pilcz (Wien). 

In einem Waisenbause erkrankten in rascher Aufeinanderfolge 36 Mädchen 
im Alter von 6 bis 16 Jahren zunächst an eigentümlichen Hustenanfällen, die 
eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Pertussis darboten. Bald aber änderte sich 
die Form der Hustenattacken und machte einem konvulsivischen tierischen Husten, 
Bellen und Brüllen Platz. 

Auf entsprechende psychische Behandlung schwanden die Erscheinungen ebenso 
schnell wie sie aufgetreten Waren. 

Bei zweien der Kinder kam es noch etwa 14 Tage später zu einer plötz¬ 
lichen hysterischen Aphonie, welche auf Faradisation gleichfalls prompt zurückging. 

24) Le vomissement aoetonemique et l’hystörte infantile, par Prof. Rudolf 
Fischl. (Revue mens, des malad, de l’Enfance. 1906. Juli.) Ref.: Zappert. 
Für die Zusammengehörigkeit des periodischen Erbrechens größerer Kinder 

mit Hysterie spricht dessen vornehmliches Auftreten in wohlsituierten Familien, 
die nervöse Belastung, die psychische Übertragbarkeit, das plötzliche Auftreten 
und rasche Schwinden. Dagegen muß das Auftreten einer Acetonurie während 
des Anfalles geltend gemacht werden, die aber auch sonst bei hysterischen Kindern 
zur Beobachtung gelangt. Verf. bringt drei Beispiele für diesen Zusammenhang. 
Doch muß Ref. gestehen, daß er trotz manch treffender Beweisführung sich den 
Schlußfolgerungen des Verf.’s nicht anzupassen vermag. 

25) Ständige Inoontinentia urinae infolge infantiler Hysterie, von K. Bauer. 
(Budapesti orvosi ujs&g. 1906. Nr. 27.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Bei einem 11jährigen Mädchen entwickelte sich im Anschlüsse an eine Poly¬ 
arthritis ein Zustand von fast vollständiger Astasie-Abasie mit ununterbrochenem 
Urinträufeln. Keine somatischen Veränderungen, keine Stigmen. Naoh mehr¬ 
wöchentlichem Bestände plötzliches Sistieren der Inkontinenz mit gleichzeitig ein¬ 
getretener Geh- und Stehfähigkeit. 

26) Fievre hystörique ohes l’enfant, par Dr. J. Comby. (Archives de mödecine 
des enfants. IX. Nr. 6.) Ref.: Zappert (Wien). 

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Krankengeschichte eines 13jährigen Mädchen mit unbestimmten peritonealen 
Symptomen und mit Temperatursteigerung bis 45°(!) bei völligem Wohlbefinden 
und gutem Kräftezustand. Heilung durch Ortsveränderung. 

27) Ictere emotlf ohez une femme enceinte, per A. A. Lambrior. (Revue 

de med. 1906. Nr. 7.) Ref.: Eduard Müller (Breslau). 

Eine 28 Jahre alte Ehefrau, „die weit entfernt war, am Schleier der Pene¬ 
lope zu weben“, wurde während der mehr als einjährigen Abwesenheit ihres Hatten 
schwanger. Großer Sohrecken, als sie unerwartet die Nachricht von der Rück¬ 
kehr ihres Mannes erhielt. Beim Lesen seines Briefes Erstickungsanfall, allge¬ 
meines Zittern, Erregungszustand und bald darauf intensiv gelbe Verfärbung der 
Haut und der Skleren. Mutter litt an Gallensteinen. Bei der sonst nicht hyste¬ 
rischen Patientin, die über starke, aber nioht durch Wehen bedingte und von 
Diarrhöen begleitete Leibschmerzen klagt (vornehmlich in der Lebergegend), fand 
sich eine fortgeschrittene Gravidität (Uterus drei Querfinger über dem Nabel). 
Im Urin Gallenfarbstofireaktion. Die Diagnose wurde auf „emotionelle Gelbsucht“ 
bei Schwangerschaft im 7. oder 8. Monat gestellt (Cholelithiasisanfall im Gefolge 
der psychischen Erregung? Ref.) Am nächsten Tage Schmerzen geringer und 
die diarrhöischen Stühle bald gefärbt, bald farblos. 3 Tage darauf Gelbsucht 
abnehmend, Heilung nach einer Woche. 

Skizzierung der Anschauungen über den Zusammenhang zwischen Ikterus und 
Gemütserregung. 

28) Über gehäufte kleine Anfälle, von Karl Heilbronner. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

Gestützt auf eine Reihe von Beobachtungen, die zum Teil Kinder in dem 
Alter betreffen, in welchem die Erlernung der Sprache schon abgeschlossen war, 
die sich aber auch auf Personen zwischen 16 und 24 Jahren beziehen, wird die 
Differentialdiagnose zwischen Epilepsie und Hysterie erörtert. Die zuerst von 
Gelineau und Friedmann beschriebenen kleinen Anfälle können sich in Form 
komplizierter motorischer Entladungen äußern und aus narkoleptischen in solche 
verwandeln. 

Einen derartigen Fall beobachtete Verf. bei einer 24jährigen Modistin, die 
seit 10 Jahren an Anfällen litt, bei deren Auftreten sie hinfiel, während es sich 
jetzt mehr um Stöße handelt, von denen bis zu 50 an einem Tage Vorkommen 
und welche an tikartige Zustände erinnern. Häufiger als derartige, etwas un¬ 
gewöhnliche Formen, sind motorische Entladungen, die mehr den abortiven epi¬ 
leptischen Anfällen entsprechen. Dieselben sind meist außerordentlich kurz und 
zeigen nicht die Vielseitigkeit der hysterischen Zuckungen. Das Vorhandensein 
sicherer hysterischer Symptome erbringt häufig nicht ohne weiteres den Beweis 
für die funktionelle Natur unklarer Fälle und noch schwieriger ist es gar oft mit 
hinreichender Sicherheit die epileptische Natur der Anfälle festzuBtellen. Besonders 
schwer ist die Differentialdiagnose derjenigen Fälle, in welchen nach einer längeren 
Periode gehäufter kleiner Anfälle ein oder mehrere, anscheinend epileptische An¬ 
fälle vereinzelt auftreten. So bestanden in einer Beobachtung die kleinen Anfälle 
seit mindestens 11 Jahren und nach 7jähr. Dauer kam ein nächtlicher, offenbar 
epileptischer Anfall zum Ausbruch. Seitdem sind 4 Jahre ohne einen weiteren 
derartigen Anfall verstrichen, obwohl dabei die kritische Zeit der Pubertät in 
Betracht gezogen werden mußte. Scheidet man die kleinen Anfälle, wie sie Verf. 
beobachten konnte, aus der Epilepsie aus, so ist dann deren Zugehörigkeit zur 
Hysterie im engeren Sinne immer noch nicht erwiesen. Bestehen die Anfälle 
schon seit vielen Jahren und fehlen schwere Anzeichen epileptischer Degeneration, 
$o ist die Diagnose schon wesentlich erleichtert. Eine ungewöhnlich schnelle 
Entwicklung mit außerordentlich rasch innerhalb kurzer Zeit auftretenden Anfällen 


ist diagnostisch von großer Wichtigkeit und spricht gegen Epilepsie. Handelt 


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366 


es sich außerdem um besonders intelligente Kinder, so wird die Diagnose Hysterie, 
wenn auch nicht gesichert, so doch immerhin erleichtert. 

Psychiatrie. 

29) Des phobies, par Dr. Terrien. (Progres mddical. 1906. Nr. 32.) Ref.: 
Viktor Lippert (Wiesbaden). 

Nachdem Verf. an einem sehr drastischen Beispiele von Gewitterangst den 
Begriff der unter „Phobien“ zu verstehenden Beklemmung»* und Angstzuständen 
zu erläutern versucht hat, bespricht er die verschiedenen Arten und Typen der 
Phobie, die Situationsphobien (z. B. Platzangst), die FunktionBphobien 
(betreffend den Schluckakt, die sexuelle Funktion usw.), sowie die sensorischen 
Phobien, welche den Gehörs-, Geschmacks-, Gesichtssinn usw. zum Ausgangs¬ 
punkte haben. 

Verf. spricht die Phobien als ein sehr wichtiges Charakteristikum der Dege¬ 
nerierten au, höchstens fand er sie noch hie und da bei Hysterischen, obwohl 
dies von Psychiatern und Neurologen bestritten worden ist. Zwischen Phobien 
bei Degenerierten und denen bei Hysterischen konstatiert Verf. verschiedene Unter¬ 
schiede; so ist bei letzteren im Gegensatz zu ersteren der Beginn meist abrupt, 
die Heilung relativ leicht. 

Die Entstehungsursachen sind verschiedener Art: seelische Erregungen, 
Traumen, Ungliicksfälle auf der Eisenbahn (phobie du chemin de fer), mit dem 
Wagen (phobie de la voiture) u.s.f. Auch der Nachahmung von bei Bekannten, 
Verwandten bestehenden Phobien gedenkt der Verf. 

Die Prognose ist im allgemeinen nicht sonderlich günstig quoad restitutionem, 
wenn auch viele Heilungen Vorkommen. 

Mit der Anführung von 6 Fällen hysterischen Charakters, von 6 Fällen, 
welche Degenerierte betreffen, sohließt die interessante Abhandlung. Von den 
12 Kranken sind 7 (und zwar hysterischen Charakters mit oder ohne sonstige 
Degenerationszeiohen) geheilt worden, ein einziger Degenerierter ohne hysterische 
Symptome ebenfalls, die übrigen blieben ohne Besserung ihres Leidens trotz Be¬ 
handlung. 

30) CUnioal Observation on a ran aase of „pbobia“, per Timpano. (Journ. 
of ment pathology. VII. 1905.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr'.). 
Patientin bekam, als sie während der Rekonvalescenz von einer Gastroenteritis 

ein Buch las, mehrere Anfälle von Erbrechen. Seitdem trat jedesmal, wenn sie 
irgend etwas zu lesen versuchte, die Furcht auf, daß Erbrechen auftrete, so daß 
sie jegliches Lesen aufgeben mußte. 

31) Über die Angstsustände, von Dr. J. Kr41. (Casopis ces. 14k. 1905. S. 1339.) 
Ref.: Pelnar (Prag). 

Verf. konnte aus dem Materiale des psychiatrischen Ambulatorium der böh¬ 
mischen Poliklinik in Prag (Priv.-Doz. Heveroch) 22 Fälle zusammenstellen, die 
sich in das Bild der Angstpsychose Freuds einreihen ließen. Als ätiologische 
Momente wurden festgestellt: eine hereditäre Belastung, verschiedene sexuelle Ano¬ 
malien (Onanie, psychische Impotenz), einige somatische Krankheiten (CholelithiasiB, 
chronische Nierenentzündung), Trauma und in einem Falle eine psychische In¬ 
fektion. In diesem interessanten Falle handelte es sich um zwei Schwieger¬ 
schwestern; die erste war hereditär belastet und erkrankte zuerst, die andere er¬ 
krankte nach ihrem Übersiedeln zu der ersteren und heilte wieder, nachdem die 
erstere durch Suicidium starb. 

32) Bur la nyotophobie chez les enfants, par M. Rodolfo Senet. (Aroh. 
de psychol. IV. 1905. März.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Statistische Erhebungen, die in der Normalschulc zu Dolores (Argentinien) 

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367 


angestellt wurden, ergaben, daß von den Kindern der eraten Schuljahre alle ohne 
Ausnahme Furcht vor der Nacht hatten; von 519 Knaben und Mädchen im Alter 
von 7 bis 14 Jahren hatten 472 nächtliche und 8 Tag- und Nachtphobien. Die 
Nyktophobie ist nicht eine Erscheinung emotiven, sondern intellektuellen Ursprunges, 
das Ergebnis von Überlegungsakten: die Nacht begünstigt das Verstecken von 
Feinden und deren unerwartete Angriffe, und deshalb, nicht um ihrer selbst willen, 
wird sie gefürchtet. Die Nyktophobie ist also nur eine „collaterale Phobie“, und 
auch wenn sie zu Zwangszuständen führt, nur die krankhafte Steigerung des 
Selbsterhaltungstriebes. Bei der Bekämpfung der Nyktophobie muß man demnach 
den Gegenstand der primären Furcht aufsuchen, die sie veranlaßt hat, und diese 
zu beseitigen trachten. 

Einige eigene Beobachtungen bestätigen diese Betrachtungsweise des Verf.’s. 

33) Coming of psyohasthenia, by G. Alder Blumer. (Joura. of Nerv, and 

Ment. Dis. 1906. Mai.) Bef.: M. Bloch (Berlin). 

Verf. teilt ausführlich 11 Fälle von Zwangsvorstellungen, Zwangshandlungen, 
Phobien usw. mit, die alle das Bild nervöser Erschöpfung darbieten bei gut er¬ 
haltenem Intellekt, Gedächtnis usw.; Verf. belegt diese Krankheitszustände nach 
dem Vorgänge von Janet mit dem Namen „Psychasthenie“, indem er aber aus¬ 
drücklich betont, daß dieser Name nicht eine Krankheit an sich bedeutet, sondern 
nur die Bezeichnung für einen funktionellen Erschöpfungszustand des Nerven¬ 
systems, bisweilen auf angeborener Schwäohe beruhend, der sich durch bestimmte 
Erscheinungsformen charakterisiert. 

34) Ein Beitrag zur Kasuistik der hysterlsohen Geistesstörungen, von Emil 

Bihler. (Friedreichs Blätter f. gerichtl. Med. u. Sanitätspolizei. V. 1906.) 

Bef.: Bluib (Nikolassee/Berlin). 

Die kleine Arbeit enthält 2 Fälle von hysterischer Geistesstörung bei jungen 
Mädchen — 16 Vs und 23 Jahren —, die sich verschiedener Vergehen schuldig 
gemacht hatten und in Anklagezustand versetzt wurden. 

In beiden Fällen erfolgte Freisprechung auf Grund des § öl. 

Es handelte sich jedesmal um den sogenannten hysterischen Charakter ohne 
Mitbeteiligung der körperlichen Sphäre. 

36) Zur Kasuistik eigenartiger Fälle hysterischer Psyohoneurosen, von Dr. 

Soukhanoff und Fölicine. (Psych.-nenr. Wochenschr. 1907. Nr.43.) Bef: 

Kurt Mendel. 

24jähriger Soldat mit Prädisposition zu hysterischen Erkrankungen, welcher 
dann nach Unfällen, Aufregung und Furcht während der Schlacht an Lähmungen 
und Kontrakturen der Beine, Blindheit, Taubheit und Anfällen von Wahnideen 
erkrankte. Sein Charakter und Benehmen waren eigentümlich: er zeigte ein 
übertriebenes höfliches Wesen, ostentative Beligiosität, Kokettieren, machte große 
Ansprüche in bezug auf persönliche Bequemlichkeit usw. Heilung. Es blieben 
nur einige Anomalien im Charakter zurück. Seh- und Hörvermögen kamen wieder, 
der Gang wurde völlig frei. 

Die Verff. zeigen, wie das Hauptmoment der Erkrankung auf psychogene 
Momente verlegt werden muß und wie zum Zustandekommen der hysterischen 
PsychoneuroBe ein geeigneter Boden, eine angeborene hysterische Organisation, 
welche lange Zeit latent verblieb, eine notwendige Voraussetzung ist. 


Forensische Psychiatrie. 


36) Geistossohwäohe bei psyohogener Neurose mit bezug auf § 6,1 des 
Bürgerlichen Gesetzbuches, von Sommer. (Klinik f. psych. u. nerv. 
Krankheiten. I. 1906.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Verf teilt ein Gutachten betreffend die Entmündigung einer Hysterischen mit. 


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368 


In der abnormen Beeinflußbarkeit der Hysterischen liegt eine gewisse geistige 
Schwäche, die event. die Anwendung des § 6, Abs. 1 des B.G.B. rechtfertigt. 

37) Kasuistischer Beitrag sur Frage über die strafrechtliche Zurechnungs¬ 
fähigkeit der Hysterischen, von Hösel. (Vierteljahrsschr. f. ger. Med. u. 
offentl. Sanitätswesen. XXXII. 1906.) Bef.: Blum (Nikolassee/Berlin). 

Die Arbeit bringt ein Gutachten aber eine erblich stark belastete Hysterika, 

die wegen schweren Diebstahls angeklagt ist und wegen Verdacht einer bestehen¬ 
den Geisteskrankheit beobachtet wurde. 

Die zuerst angenommene Diagnose Moral insanity mußte wieder umgestoßen 
werden, da die Untersuchte viele Zeichen von Hysterie sowohl körperlich wie 
psychisch darbot. Folgt sehr genauer Status. 

Verf. spricht sich dahin aus, daß nicht mit Sicherheit angegeben werden 
kann, ob dieser von ihm beobachtete Zustand von hysterischem Irresein zurzeit 
der Begehung der Tat schon bestanden bat; jedenfalls aber sei mit „großer Wahr¬ 
scheinlichkeit“ anzunehmen, daß die Inkulpatin in einem Zustand von Unzurech¬ 
nungsfähigkeit gehandelt habe. 

38) Omioidio oommesso nello „stato secondo dl Aiam", per G. Biancone 
e N. Majano. (Riv. sper. di Fren. XXXI. S. 169 u. 518.) Bef.: Merzbacher. 
Die Verff. teilen die Krankengeschichte eines Mannes mit, der in einem Zu¬ 
stand von Verdoppelung der Persönlichkeit einen Mord begeht. Es handelt sich 
um einen 20jährigen Hystericus, der früher schon an hysterischen Krämpfen ge¬ 
litten hat und im Anschluß an eine starke psychische Erregung (Nachricht von 
der Verführung seiner Schwester) eine ganz auffallende Veränderung seines 
Charakters erfährt. Im Anschluß an eine neue Erregung, die ihren Ausgangs¬ 
punkt von der Termins Verschiebung des Prozesses gegen den Verführer der 
Schwester nimmt, sucht der Betreffende den Verführer auf und erschießt ihn. 
Bei der Verhaftung gibt er noch geordnete Auskunft über seine Handlung, ver¬ 
fällt während seiner Überführung in das Gefängnis in Krämpfe, an die sich Hann 
ein schwerer, klassischer hysterischer Dämmerzustand anschließt. Während dieser 
Zeit, die 4 Monate anhält, besteht Halbseitenlähmung und Hemianästhesie. Starke 
Erregungszustände, in denen jedoch nie Erinnerungsanklänge an die Tat selbst, 
wohl aber an die Motive zur Tat wieder erscheinen. Nach 4 Monaten Verschwinden 
des Dämmerzustandes mit gleichzeitigem Abklingen der somatischen Erscheinungen. 
Es besteht vollkommene Amnesie, die sich auf die 4 Monate erstreckt; die Er¬ 
innerung setzt an die Vorgänge wenige Tage vor dem Morde ein. In der Hypnose 
nun gelingt es leioht die Vorbereitungen zum Morde, die Ausführung der Tat 
selbst bis in die feinsten Details aus den Aussagen des Kranken zu rekonstruieren. 
Im Wachzustände schwindet die Erinnerung an alle diese Dinge wieder vollkommen. 
Es handelt sich also in diesem Falle um zwei ganz verschiedene Zustände: ein¬ 
mal um eine Verdoppelung der Persönlichkeit; während dieses Zustandes, der der 
Umgebung nicht als krankhaft aufzufallen braucht, geschieht der Mord; und 
zweitens um einen richtigen, leicht erkennbaren pathologischen Zustand — einen 
Dämmerzustand mit Halluzinationen, Erregungszuständen, Lähmungen usw. In 
der Hypnose läßt sich der Zustand, der der Verdoppelung der Persönlichkeit ent¬ 
spricht, fortsetzen. 

Die genaue Wiedergabe der sorgsam geführten Krankengeschichte, eine Ana¬ 
lyse der verschiedenen Zustände, die Abgrenzung der Erkrankung anderen Pro¬ 
zessen gegenüber bilden eine willkommene Ergänzung zu dem an und für sich 
nicht uninteressanten Falle. 


Therapie. 

39) Reoent experiences in the study and treatment of hysteria, with 
remarks on Freuds method of treatment by psyoho-an&lysis, by 


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369 


J. J. Putnam. (Journ. of Abnormal Psychology. 1. 1906. 1. April.) Bef.: 

H. Haenel (Dresden). 

Nach einer Darstellnng der- Grnndzüge der Freud sehen „kathartischen“ 
Methode stellt Verf. sieb die Frage, ob dieselbe wesentlich und grundsätzlich 
besser ist als andere psychotherapeutische Methoden und ob sie sich wesentlich 
von denselben unterscheidet. Eine Beihe von günstigen Beobachtungen, die er 
unter den gewöhnlichen Verhältnissen eines normalen Krankenhauses machen 
konnte, führt ihn su der Ansicht, nicht daß die Freudsohe Methode nutzlos ist, 
aber daß sie bei ihren großen Schwierigkeiten oft weniger notwendig ist als man 
denkt, und daß sie sich prinzipiell nicht viel von anderen „substitutiven“ Methoden 
unterscheidet. Wenn es gelingt, das Gemüt des Patienten zu erleichtern, indem 
man sein Vorstellungsleben mit vorteilhaften Ideen erfüllt, die krankhaften Asso¬ 
ziationen beiseite drängt, ihm die Prinzipien seines falschen Denkens, nicht die 
irritierenden Details aus der Vergangenheit vor Augen führt, ihm direkte nütz¬ 
liche Suggestionen gibt, so ist damit dasselbe erreicht wie mit der katbartischen 
Methode. Ein vertrauliches Gespräch im wachen Zustande kann dann ebenso 
nützlich sein wie eine Exploration im hypnoiden Zustande. Verf. hegt auch 
Zweifel, ob die Tatsachen, die im hypnoiden Zustande aus des Kranken unter¬ 
bewußtem Gedächtnis hervorgezogen werden, immer die Bedeutung für den vor¬ 
liegenden Krankheitszustand haben, die dann der Arzt ihnen beizulegen geneigt ist. 
vielleicht gewinnen sie erst für den Kranken diese Bedeutung in dem Momente, 
wo er merkt, welches Gewicht der Arzt seinerseits auf sie legt. Besonders für 
die sexuellen Beminiscenzen scheint Verf. dieses Verhalten des öfteren zuzutreffen. 
40) Wie siohern wir den Heilerfolg der Anstalten für Nervenkranke? von 

Max Laehr. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XL.) Bef.: G. Ilberg. 

Der Anregung des verstorbenen, trefflichen Moebius verdanken wir es, daß 
sich auch weitere Kreise für die Errichtung von Nervenheilstätten für wenig Be¬ 
mittelte interessieren. Verf. berichtet nun aus der Praxis dieser Heilstätten 
heraus, daß die geringen Aussichten der gebessert entlassenen Kranken auf ein 
sofortiges, festes Arbeitsverhältnis ein Haupthindernis des Dauererfolges der Kur 
sind: der Gebesserte ist noch ohne Selbstvertrauen und kann keine unzweideutigen 
Beweise der Arbeitsfähigkeit beibringen, der Arbeitgeber ist nioht geneigt den 
Entlassenen zu beschäftigen. Deshalb muß den ehemaligen Kranken Gelegenheit 
gegeben werden, die wiedererlangte Arbeitskraft praktisch zu beweisen. Dies 
könnte in Arbeitsstätten geschehen, in die ein Teil der Kranken sofort nach 
dem Ausscheiden aus der Heilstätte ein treten würde. Hier könnte die Gesund¬ 
heit noch weiter befestigt, das Selbstvertrauen erhöht, der Krankenbauserfolg zu 
einem wirtschaftlichen Heilerfolg gesteigert werden. Für die Arbeit müßte ein 
materieller Lohn gegeben werden, der die Kosten der Verpflegung deckt und 
womöglich noch eine Ersparnis für später zuläßt, wenn sich der Drang nach voll¬ 
ständig freier Selbstbetätigung regen wird. In der Arbeitsstätte soll eine Art 
von Familienleben herrschen, an der Spitze soll ein fachmännisch gebildeter 
Arbeitsleiter stehen. Gärtnerei, Landwirtschaft, Tischlerei und anderes Handwerk 
würden das Arbeitsfeld bilden. Ein eventuell notwendiger Berufswechsel könnte 
mit Vorteil in solcher Arbeitsstätte eingeleitet werden. Die Anlage der Arbeits¬ 
stätten würden weniger kostspielig sein als die der eigentlichen Heilstätten; nicht 
immer ist eine Neugründung nötig, oft dürfte die Entwicklung der Arbeitsstätten 
aus schon bestehenden Betrieben möglich sein. Durch die Arbeitsstätten hofft 
Verf. eine Entlastung der Heilstätten; eventuell könnte auch mancher leicht Ner¬ 
vöse direkt von außen in die Arbeitsstätte aufgenommen werden, wenn es nur 
auf Einhaltung geordneter Tageseinteilung, Zuteilung gesunder körperlicher Arbeit 
und Entfernung aus der gewohnten Umgebung ankommt (Alkoholfrei müßte die 
Arbeitsstätte natürlich auch gehalten werden.) Mit Becht warnt Verf. vor der 


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Aufnahme schwerer Psychopathen, die die Nervenheil* wie Arbeitsstätte beunruhigen 
und stören würden. 

Für weibliche Nervenkranke (Lehrerinnen, Komptonstinnen, Verkäuferinnen, 
Telephonistinnen usw.) empfiehlt Verf. beachtlicher Weise zur Erzielung eines 
Dauererfolges weniger eine besondere Zwisohenstation, als die Schaffung einer Art 
von Pension, in welcher Wohnung, Verpflegung und gemütlicher Anschluß an 
gleichempfindende Genossinnen gewährt wird. 

In Dösen bei Leipzig hat man den glücklichen Gedanken der Arbeitsstätten- 
errichtung auch für die Trinkerbehandlung nutzbar gemacht. 

1H. Bibliographie. 

1) Din Böntgen-Strahlen im Dienste der Neurologie, von Dr. Wilhelm 
Fürnrohr. Mit einem Vorwort von Prof. H. Oppenheim. (Berlin 1906, 
S. Karger. S75 S.) Bef.: Kurt Mendel. 

Verf. schildert in dieser fleißigen Arbeit die Dienste, welohe die Böntgen* 
Durchleuchtung der Neurologie ' leistet; er benutzt zu diesem Zweck die bisher 
vorhandene Literatur (ein reichhaltiges Literaturverzeichnis ist der Arbeit bei* 
gefügt), sowie eigene an der Oppenheimschen Poliklinik gemachte Beobachtungen. 
Es wird die Anwendung der Böntgen-Strahlen zu diagnostischen Zwecken be¬ 
sprochen bei den Krankheiten des Gehirns und Schädels, des Büokenmarkes, der 
Wirbelsäule, den Krankheiten der peripheren Nerven, den Neurosen, der Akro¬ 
megalie, Hemiatrophia facialis, der Basedowschen Krankheit, dem Myxödem, der 
hereditären Syphilis usw. Als besonders dankenswerte Dienste, die uns seitens 
der Böntgen-Untersuchung in praktischer Hinsicht geleistet werden, sind erwähnt: 
der Nachweis der erweiterten Sella turcica für die Diagnose der Akromegalie, 
die Vorführung der verlangsamten Entwicklung des Knochengerüstes bei Myxödem, 
der Nachweis der Veränderung desselben unter dem Einwirken von Schilddrüsen* 
Präparaten, die Klarlegung von Fremdkörpern, Knochensplittern, Geschossen, die 
auf bestimmte Gehirn- oder Bückenmarksteile oder periphere Nerven drücken. 
Der wissenschaftliche Wert der Böntgen-Strahlen für die Neurologie liegt aber 
darin, daß wir die Vorgänge an den Knochen bei Arthropathien so genau und 
noch bei Lebzeiten des Kranken studieren, bei Lähmungen uns über das Ver¬ 
halten der Knoohen orientieren können usw. 

2) Leotures on neorazthenia, by Thomas D. Savill. (3. Aufl. London 1906, 

J. Glaisher.) Bef.: Kurt Mendel. 

In acht Vorlesungen bespricht Verf. die Pathologie der funktionellen Nerven¬ 
krankheiten im allgemeinen, die Symptomatologie, Ätiologie und Pathogenese, 
Pathologie und Varietäten, Therapie und Prognose der Neurasthenie, sowie die 
psychischen Symptome dieser Krankheit und die Abgrenzung derselben von den 
Psychosen. 

IV. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 11. März 1907. 

1. Herr Cassirer: Krankenvorstellung. 56jähriger Mann, aus gesunder 
Familie, gesund bis zum Jahre 1895. Damals zuerst taubes, kribbelndes Gefühl 
in den Fingerspitzen und Unsicherheit beim Gebrauch der Werkzeuge (Pat. ist 
Tischler). Er muß nach 5 Jahren seine Tätigkeit deswegen aufgeben; allmählich 
Unsicherheit auch in den Beinen, wodurch die Gehfahigkeit erheblich beein¬ 
trächtigt wird; später Störungen der Sprache. Lichte Urinbeschwerden. Nie 
Sehstörungen,, nie Schmerzen. Status praesens: Der Gang ist sehr unsicher. Pat. 
geht breitbeinig, schwankend, ptampfend; Rumpf und Kopf wackeln beim Gehen. 

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Er fixiert mit den Augen den Boden; aieht er auf, so droht er sofort hinzu* 
stürzen. Ähnliches Verhalten beim Sitzen und Stehen, große Unsicherheit, die 
bei Angenschlnß zunimmt. In allen Einzelbewegungen des gesamten Körpers 
macht sich die gleiche Koordinationsstörung bemerkbar; die Bewegungen sind 
»■fahrend, unsicher, wackelig, dabei vermehrt Augenschluß überall deutlich die 
Unsicherheit. Auch statische Ataxie ist vorhanden. Ansgebreitete Sensibilitäts- 
Störungen, die sich, durch unscharfe Begrenzung auszeichnen. Nirgends schließen 
sich die anästhetischen Zonen an bestimmte Nerven oder Einzelgebiete an; es 
sind aber die Störungen in den distalen Partien der Extremitäten stärker als 
in den proximalen und am Rumpf Auch das Gesicht ist mit betroffen, iiberall 
ist die tiefe Sensibilität am schwersten betroffen, weniger Berührungsgefühl. 
Noch weniger Schmerz* und Temperaturempfindung; leise Nadelstiche wurden 
nicht schmerzhaft empfunden, etwas tiefere dagegen alsbald als sehr unangenehm 
bezeichnet Alle Sehnenreflexe fehlen vollkommen (Masseter*, Triceps-, Supi¬ 
nator-, Knie* und Achillesreflexe). Die grobe motorische Kraft ohne Einbuße. 
Keine Atrophien. Die Sprache ist monoton, ausgesprochen skandierend, mit un¬ 
sicherer Intonation, ein wenig näselnd. Sehapparat intakt: kein Nystagmus, 
keine Papillenstarre, keine Opticusatrophie. Die Intelligenz ist intakt Die 
Progression des Leidens erweist sich in mehrjähriger Beobachtung als eine stetige, 
aber sehr langsame. Das Leiden wird somit durch zwei Symptome sieher charak¬ 
terisiert, durch die geschilderte Sensibilitätsstörung und die Koordinationsstörung. 
Letztere ist nur zum Teil als sensorische Ataxie aufzufassen und auf die Störung 
der Sensibilität, insbesondere der tiefen Sensibilität zurückzuführen. Zum Teil 
handelt es sich um eine davon unabhängige, der cerebellaren Ataxie am nächsten 
stehende Unsicherheit aller Bewegungen. Das Symptombild deckt sich mit keinem 
der bekannten vollständig. Tabes ist wegen der Art der Koordination* und 
Sensibilitätsstörung, des Fehlens von Schmerzen, Pupillenstörungen auszuschließen; 
gegen eine (chronisch-progressive) Polyneuritis spricht das vollkommene Fehlen 
aller Paresen, Atrophien, Schmerzen und jeder Druckschmerzhaftigkeit, gegen 
multiple Sklerose das Fehlen der Sehnenphänomene, die normalen Zehenreflexe, 
die schweren Sensibilitätsstörungen, das Fehlen aller Augensymptome. Am meisten 
ähnelt der Fall der Friedreiohschen Krankheit: aber abgesehen davon, daß er 
nicht familial ist, sprechen hohes Alter, Fehlen aller Deformationen, des Babinski- 
schen Symptomes und vor allem die schweren SensibilitätsstÖrnngen gegen diese 
Annahme, ebenso gegen eine H6r6do-ataxie familiale. Immerhin muß der Fall der 
Krankheitsgruppe zugeteilt werden, zu der die Friedreichsche Krankheit und 
ähnliche Affektionen, insbesondere eine Reihe von Fällen von Kleinhirnatrophie, 
gerechnet werden. Es handelt sich um eine Erkrankung bestimmter spino-cere* 
bellarer Fasern und Centren, und zwar um eine systematisierte, chronisch-progressive 
Erkrankung. Der Unterschied gegenüber den bisher bekannten Formen beruht 
offenbar auf der ungewöhnlich starken Beteiligung spinaler Systeme. Autoreferat. 

Die Diskussion wird vertagt. 

2. Herr M. Rothmann: Zur Symptomatologie der Hemiplegie. (Kranken* 


Vorstellung). Vortr. weist auf den neuerdings auch duroh Sektionsbefunde ge* 
stützten Nachweis Liepmanns hin, daß sich bei rechtsseitigen Hemiplegien eine 
spr&ktische Störung in dem nicht gelähmten, linken Arm feststellen läßt. Die* 
selbe ist auf die Zerstörung der von der linken zur rechten Hemisphäre ziehenden 
Balkenfasern zurückzuführen und weist auf einen Vorrang der linken Hemisphäre 
beim Handeln hin. Ist dieser Vorrang bei der Rechtshändigkeit der meisten 
Keuschen immerhin gut verständlich, so ist es von Interesse, festzustellen, wie 
sich bei Linkshändern,, die linksseitig gelähmt sind, der rechte Arm 
verhält. Vortr. ist in der Lage, einen derartigen Fall voraustellen. Der jetzt 
25 jährige Mann erlitt vor etwa 6 1 / s Jahren, als ihm ein Fahrstuhl auf den Kopf 


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fiel, eine rechtsseitige Schädelfraktur tod etwa 10 cm Länge genau in der Höhe 
des Sulcus Rolando mit Verletzung des Gehirns, das reichlich ausfloß. Es kam 
sofort zu totaler linksseitiger Lähmung mit unvollständiger motorischer Aphasie, 
Alexie und Agraphie. Die Lähmung ging in den typischen reaiduären Typus 
über, die Sprache war nach einem Vierteljahr wiedergekehrt, das Lesevermögen 
nach 1 Jahr leidlich intakt, während erst nach 1 Jahr einzelne Buchstaben ge¬ 
schrieben werden konnten. Die Untersuchung nach 6 1 / i Jahren zeigte neben dem 
linksseitigen residuären Lähmungstypus Sprechen und Lesen bis auf eine leichte 
Dysarthrie intakt; dagegen bestand eine weitgehende verbale Agraphie. Der 
rechte Arm wurde frei bewegt, zu allen Verrichtungen benutzt. Dabei bestand 
vollkommene motorische Apraxie für alle Ausdrucksbewegungen (Drohen, Winken 
usw.). Dieselbe macht eich weitgehend auch beim Nachmachen der Bewegungen 
bemerkbar mit starker Perseveration. Nach 3 Wochen (bei der Vorstellung) ist 
eine beträchtliche Besserung unter andauernder Übung eingetreten. Doch fallen 
ungeübte Bewegungen (Drohen mit dem Finger, Ausetschen usw.) noch völlig aus, 
und stets macht sich die Perseveration der letzten Bewegung bemerkbar. Auch 
die verbale Agrapbie ist im Rückgang. Zeigt der Fall bereits sicher die Ab¬ 
hängigkeit der rechten Hand bei Linksern von der rechten Hemisphäre bei den 
von Objekten losgelösten Ausdrucksbewegungen, so kann Vortr. über einen zweiten 
derartigen Fall von linksseitiger Hemiplegie beim Linkser mit schwerer moto¬ 
rischer Apraxie und fast totaler Agraphie der rechten Hand — ohne Alexie 
und Aphasie — berichten, bei einer 65jährigen bettlägerigen Frau, 3 Jahre nach 
der Apoplexie. Ist die Apraxie der rechten Hand als die direkte Folge der 
Läsion der rechten Extremitätenregion zu betrachten, so muß die Agraphie auf 
weitere Hirnllsionen bezogen werden. Denn auch bei Rechtshändern hebt Rinden¬ 
lähmung des rechten Armes nicht das Schreiben des linken Armes auf. Vortr. 
stellt einen derartigen Fall bei einem 12jährigen Mädchen vor, das vor 6 Jahren 
eine rechtsseitige Lähmung mit vorübergehender Aphasie nach Pneumonie akqui¬ 
rierte, die in Hand und Fingern total geblieben ist. Das Rind schreibt, wie 
demonstriert werden kann, tadellos normale Schrift mit dem linken Arm, aller¬ 
dings nicht in Adduktionsschrift von links nach rechts, sondern in Vertikalschrift 
von oben nach unten mit wagerecht liegenden Buchstaben. Apraxie ist im linken 
Arm nioht nachweisbar, ganz in Übereinstimmung mit der weitgehenden Resti¬ 
tution der Aphasie im Kindesalter. (Ausführliche Veröffentlichung erfolgt an 
anderer Stelle.) Autoreferat. 

Die Diskussion wird vertagt. 

3. Herr E. Mendel: Zar Revision des § 61 des Strafgesetzbuches. Ich 
habe dasselbe Thema am 9. Januar 1905 bereits vor Ihnen besprochen (vgl. dieses 
Centralblatt. 1905. S. 133). Eb kann nicht meine Absicht sein, das damals 
Gesagte jetzt zu wiederholen. Es kommt vielmehr nur darauf an, der zu er¬ 
öffnenden Diskussion einige Sätze voranzuschicken. Die erste Frage ist die, ob 
es in den Rahmen unserer Verhandlungen gehört, diese Angelegenheit zu disku¬ 
tieren, und welche Sohritte eventuell der Diskussion zu folgen haben. Die Ge¬ 
schichte unserer Gesellschaft zeigt, daß im Jahre 1869 dieselbe, welche damals 
2 Jahre alt war, über den Zurechnungsfähigkeitsparagraphen des Strafgesetzbuches 
für den Norddeutschen Bund verhandelte. Die damaligen Angriffe richteten sich 
gegen den § 40 des Preußischen Strafgesetzbuches, nach welchem Wahnsinn 
und Blödsinn entscheidend für die Zurechnungsnnfähigkeit waren. Jene Aus¬ 
drücke wurden nach dem allgemeinen Landrecht „als des Gebrauches der Ver¬ 
nunft völlig beraubt“ (Wahnsinn) oder „als Unfähigkeit die Folgen Beiner Hand¬ 
lungen zu überlegen“ (Blödsinn), definiert. Ferner richteten sioh die Angriffe 
gegen die Einfügung des von anderer Seite in Vorschlag gebrachten Ausdrucks 
„freie Willensbestimmuog“. Aus der Diskussion, welche sich über 4 Sitzungen 

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erstreckte, ging eine Petition an den Jostizminister hervor (Archiv für Psy¬ 
chiatrie. II. S. 243). Diese Petition führte im wesentlichen ans, daß das neue 
Gesetz dem Arzte nur Fragen vorlegen soll, welche er auf Grund seiner speziellen 
Fachwissenschaft zu beantworten imstande ist, daß an dieser berechtigten Forde¬ 
rung unter allen Umständen festgehalten werden müßte, and daß er eben¬ 
sowenig über die psychologischen Begriffe des § 40, wie über die:„freie Willens¬ 
beetimmun g“ ein ärztliches Gutachten abgeben könne. Eine bestimmte Fassung 
für einen neuen Zurechnungsfähigkeitsparagraphen wurde nicht vorgeschlagen. 
Dies geschah durch die wissenschaftliche Deputation des Ministeriums, welche sich 
im wesentlichen auf denselben Standpunkt betreffs der Aufgaben des Arztes stellte. 
Die Frage, ob wir jetzt nach 38 Jahren wieder die Bestrebungen aufnehmen 
sollen, welche nur zum Teil ihre Erfüllung damals erfahren haben, erscheint mir 
in dem Augenblicke, in dem eine Revison des Strafgesetzbuches in Aussicht ge¬ 
nommen ist, in ihrer Beantwortung nicht zweifelhaft Meiner Ansicht nach haben 
wir nicht bloß das Recht, sondern auch die Pflicht, unsere Stimme zu erheben. 
Steht die Gesellschaft nooh auf dem Boden, den sie früher eingenommen hat, so 
wird man immer wieder verlangen, daß Ärzten in foro nur ärztliche Fragen 
vorgelegt werden sollen. Ich sehe deshalb von vornherein von all den Vor¬ 
schlägen ab, welche neuerdings gemacht worden sind, und welche in den Zu- 
rechnungsfähigkeitsparagraphen psychologische Begriffe als entscheidend hinein¬ 
bringen wollen, ohne die Krankheit überhaupt zu erwähnen. Daß eine solche 
Fassung einen bedauernswerten erheblichen Rückschritt bedeuten würde, ist nicht 
zu bezweifeln. Aber auch die Frage naoh der freien Willensbestimmung ist keine 
ärztliche Frage. Man mag Determinist oder Indeterminist sein, die ärztliche 
Wissenschaft kennt eine freie Willensbestimmung nicht. Ich wüßte nicht, auf 
Grund welcher ärztlichen Untersuchungen und welcher ärztlichen Beobach¬ 
tungen die Frage zu beantworten sei. Man hat gesagt, es wäre ein Streit um 
Worte, ich habe bereits früher bewiesen, daß dies tatsächlich nicht der Fall ist, 
und daß, sobald in foro die freie Willensbestimmung zur Diskussion gestellt wird, 
der Vorsitzende des Gerichtshofes, der Staatsanwalt, der Verteidiger und vor dem 
Schwurgericht auch der Geschworene sich nicht selten an der Diskussion be¬ 
teiligen, und daß dabei oft genug der nicht der Dialektik der Juristen gewachsene 
ärztliche Sachverständige den kürzeren zieht. loh habe früher Beispiele derart, 
welche nicht gerade Ruhmesblätter der forensischen Psychiatrie sind, angeführt 
und ich freue mich, konstatieren zu können, daß die Zahl der in foro tätigen 
Arzte zugenommen hat, welche mit mir gleichen Sinnes die Beantwortung 
der Frage nach dem Ausschluß der freien Willensbestimmung ablehnen. Im 
übrigen sind auch hervorragende Juristen, wie Oberlandesgerichtsrat Schanz, 
Professor Kahl, der Ansicht, daß der Ausdruck des Ausschlusses der freien 
Willensbestimmung aus dem § 51 entfernt werden kann. Er dürfte dann aller¬ 
dings nicht bloß sagen: „Zustand von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung 
der Geistestätigkeit,“ da man selbstverständlich nicht jeden Zustand von krank¬ 
hafter Störung der Geistestätigkeit mit Straflosigkeit wird decken wollen. Viele 
sogenannte Phobien oder Zwangsvorstellungen und andere Zustände, welche un¬ 
zweifelhaft einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit ihren Ursprung ver¬ 
danken, würden durchaus nicht immer als Zustände zu erachten sein, welche 
Zurechnungsunfähigkeit bedeuten. Ich habe vorgeschlagen, den Paragraphen in 
folgender Weise zu fassen: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn 
der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung bewußtlos oder geisteskrank war.“ 
Dieser Fassung haben auch die oben erwähnten Juristen zugestimmt, und Kahl 
hat ausdrücklich bemerkt, daß eine solche kurze Fassung aus mehrfachen 
Gründen (nicht etwa bloß aus dem Grunde, weil er daran die verminderte Zu¬ 
rechnungsfähigkeit anknüpfen will) sehr empfehlenswert sei. Die erwähnte 


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Fassung würde im wesentlichen dem französischen Strafgesetz folgen: „II n'y a ni 
crime ni d61it, lorsqne le prövenu ötait en ötat de dömence an temps de l'action.“ 
Sie würde auch einer früheren Fassung des Schweizer Entwurfes zum Zu* 
rechnungsfähigkeitsparagraphen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzbuches 
sich anschließen, in welchem es heißt: „Wer zur Zeit der Tat geisteskrank oder 
blödsinnig oder bewußtlos war, ist nicht strafbar/* wobei nicht einsusehen ist, 
warum neben dem „geisteskrank" noch „blödsinnig“ hervorgehoben wird. 

Diskussion: Herr Ziehen erkennt an, daß die Gesellschaft für Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten verpflichtet ist, sich zu einer eventuellen Neufassung des 
§ 51 zu äußern. Die Vermeidung psychologischer Begriffe hält er nicht für 
notwendig, wohl aber die Vermeidung metaphysischer Begriffe. Insofern er* 
scheint es wünschenswert, den Begriff der freien Willensbestimmung, der jeden¬ 
falls zu Mißverständnissen Anlaß geben kann, aus dem § 51 zu beseitigen. Da 
es nun aber nicht angängig ist, einfach von krankhafter Störung der Geistes¬ 
tätigkeit und Bewußtlosigkeit zu sprechen, sondern ein irgendwie bestimmter, er¬ 
heblicherer Grad von krankhafter Störung der Geistestätigkeit bzw. Bewußt¬ 
losigkeit als Bedingung der Unzurechnungsfähigkeit gefordert werden muß, so 
muß irgend ein einschränkender Zusatz hinzugefügt werden. Das vom Vortr. vor¬ 
geschlagene Wort „Geisteskrankheit" würde, wie an Beispielen erläutert wird, 
den zur Exkulpation erforderlichen, erheblichen Grad nicht scharf genug bezeichnen. 
Als Zusatz schlägt Z. daher vor, statt des Relativsatzes des jetzigen § 51 den 
folgenden zu setzen: „durch welchen das Handeln des Kranken in ent¬ 
scheidendem Maße beeinflußt wird." Auch mit der seiner Zeit abgelehnten 
speziellen Bezugnahme auf die Strafhandlung (statt des „Handelns** im allge¬ 
meinen) wäre Z. einverstanden. — Die Frage der verminderten Zurechnungs¬ 
fähigkeit ist mit der Frage der Neufassung des § 51 untrennbar verbunden. Z. 
hält die Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit für unzweckmäßig 
und empfiehlt statt dieser auch vom Standpunkt des Psychiaters Erweiterung 
der Grenzen des Strafmaßes und Zulassung mildernder Umstände für 
alle Strafhandlungen zu fordern. — Weitaus wichtiger endlich als die for¬ 
male Neufassung des §61 ist nach Z. die Änderung des Strafvollzugs. Nicht 
durch Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit, sondern durch psy¬ 
chiatrische Beeinflussung des Strafvollzugs sollte man versuchen, den psycho¬ 
pathischen Konstitutionen, soweit ihre Strafhandlungen nicht unter § 51 fallen, 
gerecht zu werden. § 57 des RStGB gibt einen Präzedenzfall für die Modi¬ 
fikation des Strafvollzugs im Rahmen der Strafgesetzgebung. Autoreferat. 

Herr Moeli hat, falls die Gesellschaft sich mit der Angelegenheit beschäftigen 
soll, eine von der des Herrn Berichterstatters abweichende Ansicht zu vertreten. 
Die Formel: „Ausschluß der freien Willensbestimmung“ ist nicht unbedacht ge¬ 
wählt worden. Sie wird in den Motiven ausdrücklich als die „mindestens relativ 
beste“ bezeichnet. Schon damals heißt es: „Es dürfe namentlich nicht be¬ 
fürchtet werden, daß dadurch die verschiedenen metaphysischen Auffassungen über 
die Freiheit des Willens in philosophischem Sinne in die Kriminal Verhandlungen 
gezogen werden, denn es ist damit klar ausgesprochen, daß im einzelnen Falle 
nur untersucht werden soll, ob derjenige normale Zustand geistiger 
Gesundheit vorhanden sei, dem die Rechtsanschauung des Volkes die straf¬ 
rechtliche Verantwortung tatsächlich zuschreibt.** Gegen die Beantwortung der 
Frage sind Stimmen einzelner Personen angeführt worden, die dem Arzt das 
Recht bestreiten, diesen Begriff zu gebrauchen (andere, die ihn auch für sich in 
Anspruch nehmen wollen). Ihnen gegenüber könnte man nennen Planck: Ob 
der freie Wille durch die krankhafte Störung ausgeschlossen wird (§ 104 BGB) 
ist eine medizinische Frage und Kahl: Die Motive wollen dem Sachverständigen 
gewiß nicht wehren, sich gutachtlich darüber (freie Willensbestimmung) zu äußern. 

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Aber eine so gewährte, mehr äußerliche Kompetenz würde niemals den Arzt ver¬ 
anlassen, den Begriff zn benutzen, wenn er sieb sagen müßte: er könne den Sinn 
der Worte nickt so erfassen, um den Begriff in der ihm obliegenden fach¬ 
männischen Beurteilung des Geisteszustandes verwenden zu können. Wenn die 
Meinungen hierüber abweiehen, kann lediglich die Auslegung des Wortes „freie“ 
bei Willensbestimmung Schuld sein. Ich trete der Meinung bei, daß die Ver¬ 
wendung der Worte des § 51 nicht nur grundsätzlich zulässig ist, sondern das 
Gutachten erst „dem besten Wissen“ des technisch gebildeten Arztes entsprechend 
gestaltet. Es soll als Beweis für die innerliche, sachliche Kompetenz des 
Psychiaters gegenüber dem Ausdrucke kein Gewicht darauf gelegt werden, daß 
die „freie Willensbestimmung“ (im § 61) nioht nur vom Juristen, sondern auch 
von den Geschworenen gehandhabt wird, denen die Frage in der Schuldfrage 
mit vorgelegt werden kann. Ich halte das zwar durchaus nicht für erwünscht, 
aber es zeigt doch, daß das Verständnis dessen, was mit dem „freie“ (im § 51) 
gemeint ist, auch weiteren Kreisen, nicht bloß dem Juristen zugetraut wird. Die 
Hauptsache ist jedoch, daß das „frei“ weder mit „Willensfreiheit“ nooh mit Deter¬ 
minismus oder Indeterminismus überhaupt zusammengebracht zu werden braucht. 
Im § 51 ist von „Willensfreiheit“ überhaupt keine Bede. Auch das „freie“ bei 
der Bestimmung des Willens steht nicht für sich allein da. Es befindet sich 
in unlöslichem Zusammenhänge („durch welohen“) mit dem unmittelbar voraus¬ 
gehenden Ausdrucke: „Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit.“ Das 
„frei“ in dieser Verbindung soll heißen (ioh habe die Motive angeführt) 
„frei von“, wie frei von Zwang, frei von Fehler. Die Willensbestimmung soll 
nicht von der krankhaften Störung abhängig, gebunden, (ihre „Freiheit“ er¬ 
läutert, als die dem gesunden Erwachsenen zukommende Beschaffenheit) nioht 
durch krankhafte Bewußtseinsvorgänge beeinflußt sein. So steht § 51 unter 
den Gründen, welche die Strafe ausschließen oder mildern, vor der Berücksich¬ 
tigung unwiderstehlicher Gewalt oder Drohung (§ 52) und vor der Notwehr (§ 58); 
wie hier das Handeln nicht „frei“ ist von wichtigen Außenverhältnissen, so ist es 
im § 51 der Einwirkung von innen — durch krankhafte Bewußtseinsvorgänge 
unterworfen. Der Psychiater kann unbedenklich prüfen, ob ein Willensvorgang 
durch krankhafte Prozesse bedingt oder beeinflußt war, auch weun es sich um 
ein Gerichtsverfahren handelt. Alltäglich hat er die Willenstätigkeit und das 
Handeln des Kranken bei der Beratung und bei Anordnung wichtiger Schutzma߬ 
regeln (Anstaltsbehandlung) auf seine Abhängigkeit von den krankhaften psy¬ 
chischen Vorgängen zu betrachten. Wenn er in diesem aus den Motiven abzu¬ 
leitenden Sinne die Abhängigkeit der Bestimmung des Willens von Krank¬ 
heit feststellt, so hat er bei richtiger Fassung des Gutachtens nicht einmal nötig, 
den Schluß noch besonders in diesem Sinne zu erläutern. Die Bedeutung des 
„freie Willensbestimmung ausgeschlossen“ ergibt Bich aus der fachmännischen Zu¬ 
sammenfassung des Befunds ganz von selbst: als die Benutzung der Formel des 
Gesetzes für den aus psychiatrischer Arbeit gewonnenen Befund. Ob der 
Richter an der „Willensfreiheit“ festhält, auf der er die Schuld aufbaut, ist für 
den ärztliohen Sachverständigen, der unzweideutig den Ausdruck „frei“ im Sinne: 
„nioht durch Krankheit gebunden“ verwendet, einerlei. Den urteilmäßigen 
Schluß zieht der Bichter hier, wie bei Gutachten jeder Art, in freier Beweis¬ 
würdigung. Sollte er also annehmen, daß diese Begriffsverwendung des 
„freie“ bei Willenhestimmung gegen den Sinn des Gesetzes ver¬ 
stoße, so müßte er die Darlegung von vornherein ablehnen. Da aber an¬ 
erkanntermaßen kein Gericht das tut — mag es über den Tatbestand urteilen 
wie es will und aus Indeterministen zusammengesetzt sein oder nicht — so kann 
in einer derartigen Verwendung der „freien Willensbestimmung“ durch den psy¬ 
chiatrischen Sachverständigen auch vom Standpunkte des Juristen aus kein Be- 

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376 


denken liegen. Nach alledem könnte ich die freie Willenabeetimmong ans dem 
§ 51 ohne Bedauern verschwinden sehen, aber nicht etwa, weil der so benannte 
Begriff dem Mediziner nicht zugänglich wäre, sondern wreil wohl eine, zweck¬ 
mäßigere Fassung gefunden werden kann. Ich komme damit zu der sogen, ver¬ 
minderten Zurechnungsfähigkeit. Schon bei Anregung der ganzen Frage des 
§ 51 habe ich gesagt, daß die Behandlung der trotz psychischer Mängel Zu¬ 
rechnungsfähigen mit dem § 51 innerlich zusammenhinge. Ich bin nun kein An¬ 
hänger der bis jetzt gemachten Vorschläge über Einführung der sogen, ver¬ 
minderten Zurechnungsfähigkeit, so sehr mir, wie jedem, das Bedürfnis klar ist, 
alle für das Handeln wichtigen, psyohischen Abweichungen in der Rechtsspreohung 
zu berücksichtigen. Die Abgrenzung von zurechnungsfähigen und niohtzureeh- 
nungsfähigen, psychisch Abnormen richtet sich nicht naoh der klinisohen oder 
sonstigen Art der Krankheit, sondern sie liegt lediglich in der Beziehung zur 
rechtlichen Stellung. Wollte man mit dem einfachen Worte „geisteskrank“ unter 
Wegfall der „freien Willensbestimmung“ und ohne jedes andere Kriterium sich 
begnügen, so würde dieses „geisteskrank“ bedeuten: „so geisteskrank, daß die 
strafrechtliche Verantwortlichkeit wegfällt.“ Der Sinn des Wortes wäre im 
wesentlichen juristisch und bo wären die, welche vor der „freien Willens¬ 
bestimmung“ zurückweichen, nicht besser dran. Sie wären zwar diesen Aus¬ 
druck los, hätten aber im „geisteskrank“ einen anderen, dessen begrifflicher 
Inhalt noch viel weniger rein medizinisch sein würde, als jetzt die krankhafte 
Störung der Geistestätigkeit usw. Wenn nun gesagt wurde, auoh Kahl wäre mit 
dem Wegfalle des Relativsatzes im § 51 zugunsten des einfachen Ausdrucks 
„geisteskrank“ einverstanden, so ist das doch nur ganz bedingt der Fall. K. 
will vorher für die zurechnungsfähigen Minderwertigen ganz besondere Be¬ 
stimmungen treffen und zwar sollen sie völlig getrennt werden von dem § 51, 
der von den nicht Zurechnungsfähigen handeln soll. Natürlich, nimmt man von 
der Gesamtheit der psychisch Abnormen die trotz der krankhaften Störung in 
der Bestimmung des Willens nicht erheblich Beeinflußten (Zurechnungsfähigen) 
ganz weg, so bleiben nur noch die mit duroh Krankheit veränderter Willensbe¬ 
stimmung (Zurechnungsunfäbigen) übrig. Die Grenze zwischen den Gruppen ist dann 
nicht mehr im §51 gezogen, sondern zwischen dem für Zurechnungs u n fähige 
(„Geisteskranke“) bestimmten § 51 und dem neu zu schaffenden Gesetzesabschnitt 
über die trotz psychischer Mängel Zurechnungsfähigen („geistigen Minderwertigen“). 
Daß psychische Abnormität und Wegfall der strafrechtlichen Verantwortlichkeit 
sich nicht decken, wird zum Ausdruck kommen können, so daß nicht das Wort 
„geisteskrank“ im Gesetz für den Begriff stehen Bollte: so geisteskrank, daß un¬ 
zurechnungsfähig. Die freie Willensbestimmung ist im § 104 BGB wieder auf¬ 
getaucht. Zugleich lehrt die Entwicklung der Rechtsprechung im Zivilforum, daß 
nur rechtliche, soziale, ökonomische Beziehungen für die gesetzliche Bewertung 
einer Geistesstörung gelten. Die psychische Beschaffenheit trägt die Bezeichnung 
„Geisteskrankheit“, wenn sie volle Entmündigung verlangt, „Geistesschwäche“, 
wenn der Schutz durch beschränkte Geschäftsfähigkeit genügt, „geistiges Ge¬ 
brechen“, wenn nur das Bedürfnis für Vertretung im bestimmten Kreise vorliegt. 
Auoh im Strafrecht dürfte die Bedeutung der Geistesstörung für Aufhebung der 
strafrechtlichen Verantwortlichkeit immer nur nach rechtlichem Begriffe, in psy¬ 
chologischer Beziehung zur Schuld bemessen werden. Autoreferat. 

Herr Marz ist der Ansicht, daß man sich mit der Mendelschen Fassung 
nicht begnügen darf. Das komme einem Verzicht auf jedwede Analyse der Tat 
gleich. Und gerade die Entwicklung der Beziehungen zwischen Geistesstörung 
und Tat sei der gemeinsame Boden, auf welchem Richter und Sachverständiger 
sich zusammenflnden könnten. Es sei wohl auch nur der Ausdruck der „freien 
Willensbestimmung“, der Herrn Mendel unsympathisch sei. Im Grunde wolle 

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«ich Herr Mendel sicher nicht auf diese Analyse dar Tat und ihrer Beziehungen 
zu der nachgewiesenen geistigen Störung verzichten;, und damit müsse auch er 
die Notwendigkeit eines Zusatzes, der in irgend einer Weise die Beziehungen der 
Geisteskrankheit zur Straftat zum Ausdruck bringe, anerkennen. Im übrigen 
könne man, wie es besonders Kern neuerdings in klarer Weise dargetan habe, 
mit dem Terminus der freien Willensbestimmung auch als Arzt operieren; man 
müsse darunter eben verstehen eine von krankhaften Vorstellungen oder Motiven . 
unverminderte und unbeeinflußte Freiheit der Entschließung. Mit Hecht habe 
auch das Bürgerliche Gesetzbuch die freie Willensbestimmung aus dem Straf¬ 
gesetzbuch übernommen, auoh in zivilrechtlichen Füllen müßte jedesmal der Nach¬ 
weis des ursächlichen Zusammenhanges zwischen geistiger Störung und dem in 
Frage stehenden Rechtsgeschäft wenigstens versucht werden. Wenn es auch nicht 
in jedem Falle gelinge, diesen ursächlichen Zusammenhang zwischen Geisteskrank¬ 
heit und Straftat klar aufzudecken, so sei doch dieser Nachweis ein Postulat und 
Ideal der forensischen Psychiatrie. Autoreferat. 

Herr E. Mendel (Schlußwort): Ich wundere mich, daß Herr Moeli sich mit 
der jetzigen Fassung des § 51 einverstanden erklären kann, nachdem er in den 
veröffentlichten Gutachten der wissenschaftlichen Deputation als Mitglied derselben 
es ebenso wie Westphal und Jolly abgelehnt hat, die Frage nach dem Aus¬ 
schluß der freien Willensbestimmung, welche vom Gerioht gestellt wurde, zu be¬ 
antworten. Während WeBtphal diese Beantwortung direkt als eine niohtärzt- 
liehe Sache ablehnte, hat Jolly sich mit dem Ausweg beholfen: „krankhafte 
Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 51.“ Mit Herrn Ziehen stehe ich 
prinzipiell auf demselben Standpunkte, doch würde ich die Forderung, daß die 
geistige Störung auch in der zur Verhandlung stehenden strafbaren Handlung 
nachgewiesen werden muß, welche im Entwurf stand und deren Beseitigung im 
Plenum des Reichstages ich für ein besonderes Verdienst Zinns halte, für recht 
bedrohlich ansehen, meint doch auch Herr Marz, daß ein solcher Zusammenhang 
nicht immer klar aufzudecken sei. Außerdem halte ich eine bestehende Geistes¬ 
krankheit für ausreichend, um die Zurechnungsfähigkeit ohne weitere Zusätze 
zu begründen. Herrn Marz gegenüber darf ich bemerken, daß er in den Fällen, 
in welchen ich den Vorzug hatte, mit ihm zusammen als gerichtlicher Gutachter 
zu fungieren, wohl gesehen hat, daß es sehr gut ohne den „Ausschluß der freien 
Willensbestimmung“ gegangen ist, und daß weder in der Form noch in der Sache 
dadurch irgendwelche Schwierigkeiten entstanden Bind. Daß dadurch ein Verzicht 
auf die Analyse der Tat, eine durchaus ärztliche Aufgabe, nicht bedingt 
worden ist, wird er mir bezeugen müssen. Und daß ohne die freie Willens¬ 
bestimmung die Rechtsprechung nicht leidet, zeigt das Beispiel Frankreichs seit 
100 Jahren. Was die verminderte Zurechnungsfähigkeit anbetrifft, so 
habe ich dieselbe iu mein heutiges Referat nicht einbezogen, weil ich meinte, 
daß wir uns zuerst über den grundlegenden Paragraphen der Zurechnungsfähig¬ 
keit einigen sollten. Im übrigen stehe ich hier auf dem Standpunkte der Herren 
Ziehen und Moeli und begrüße es mit besonderer Freude, daß so hervorragende 
Vertreter der Psychiatrie sich gegen die „verminderte Zurechnungsfähigkeit“ aus¬ 
gesprochen haben, während ich selbst vor 20 Jahren bei den betreffenden Dis¬ 
kussionen unter den Irrenärzten ziemlich allein mit meiner Bekämpfung der Auf¬ 
nahme der „verminderten Zurechnungsfähigkeit“ in das Strafgesetzbuch stand. Ich 
habe dieselbe immer, wie Herr Ziehen, zum Teil unter die mildernden Umstände, 
besonders aber in das bisher vergeblich erwartete deutsche Gesetz über den Straf¬ 
vollzug verwiesen. Autoreferat. 

Martin Bloch (Berlin). 


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Psyohiatrlsoher Verein za Berlin. 

Sitzung vom 16. März 1907. 

Herr Henneberg: Zur Methodik der Intelligensprüfang. Vortr. be¬ 
spricht kritisch die bekannt gegebenen Methoden der Intelligenzprüfung: Möllers 
Fabelmethode, die Sprichwörtermethode Finckh's und Ebbinghaus’ Ergäazungs- 
. methode. Bei der letzteren ist von Wichtigkeit eine zweckmäßige Wahl des 
Textes. Um in dem Vorstellungskreise und in der Ausdrucksweise des Un¬ 
gebildeten zu bleiben, hat Vortr. Briefe von Patienten im Sinne der Ebbing¬ 
haus’schen Methode bearbeitet Der erste Satz darf Auslassungen nicht 
enthalten, da durch ein Verfehlen derselben die folgenden Ergänzungen sehr er¬ 
schwert werden. Die Zahl der zu ergänzenden Silben wird nicht durch eine ent¬ 
sprechende Zahl von Strichen kenntlich gemacht, weil sinnvolle Ergänzungen oft 
in verschiedener Weise möglich sind. Es ist zweckmäßig, den Text so zu ge¬ 
stalten, daß er mit leichten Ergänzungen beginnt und allmählich immer schwerere 
folgen. Vermittelst eines solchen Textes läßt sich nach einem Texte die Maximal¬ 
leistung eines jeden Kranken gewinnen. Bei allen Intelligenzpräfungen ist es er¬ 
forderlich, das Interesse des Exploranden in möglichst hohem Maße zu weokeu. 
Bilder rufen sehr leicht das Interesse wach. Durch Bilder läßt sich zunächst 
rasch ein Einblick in das VorstellungBinventar eines Kranken gewinnen. Ge¬ 
eignete Bilderserien lassen sioh leicht mit Hilfe von Ansichtspostkarten zusammen- 
stellen. Viele Kranke reagieren viel leichter auf Bilder als auf Fragen. Die 
Ausdeutung komplizierter Bilder kann als Intelligenzprüfung benutzt werden. 
Die Auswahl der zu benutzenden Bilder ist schwierig und muß dem Kranken¬ 
material angepaßt sein. Es empfiehlt sich, eine Reibe von Bildern zu benutzen, 
die bezüglich der Schwierigkeit der Ausdeutung Abstufungen bietet. Vortr. stellte 
zahlreiche Versuche an mit folgenden Bildern: L. Richter: Überfahrt am 
Schreckenstein, Greuze: Mädchen trauert über den Tod eines Vogels, Jacob 
Becker: Schäfer vom Blitz erschlagen, Piloty: Ermordung Cäsars. Als Bilder- 
Serien wurden benutzt Münchener Bilderbogen, aus denen der Text entfernt wurde 
(als leichte Aufgabe: Busch: Der hinterlistige Heinrich, als schwere: Die bösen 
Buben von Corinth). Vortr. führt an der Hand von Beispielen aus, daß Schwach¬ 
sinnige den Zusammenhang des bildlich Dargestellten nicht oder nur mangelhaft 
anftas8en und bei Betrachtung von Bildern in charakteristischer Weise zuwege 
gehen. Debile z. B. zählen erst Einzelheiten, insbesondere Sachen auf, ohne 
Bemerkungen über den Zusammenhang zu machen usw.. Vortr. berichtet ferner 
über die Resultate, die die Untersuchung mit Bildern bei akuten Psychosen er¬ 
gab. Von einer Mehrleistung iBt bei Manischen nicht die Rede. Sie fassen den 
Zusammenhang schlecht auf, wechseln bei der Erklärung rasch das Thema, machen 
Erklärungen oft auf Grund einer nebensächlichen Einzelheit. Die Auffassung bei 
Amentia ist oft weit besser, als man auf Grund des Gesamtverhaltens erwartet 
Bei Amentia und Begleitdelirien kommen Eigenbeziehungen vor. Alkoholdeliranten 
suchen einen Zusammenhang zu gewinnen, werden jedooh durch illusionär ver¬ 
änderte Eindrücke dauernd irre geleitet usw. Vortr. maoht ferner darauf auf¬ 
merksam, daß die Unkenntnis gewisser Fremdworte für Debile charakteristisch 
ist Fremdworte stellen bei Ungebildeten kein Schulwissen dar. Im Erwerb der 
Kenntnisse von Fremdworten bleiben Debile stark zurück. Vortr. legt eine Liste 
von Fremdworten vor, die Bich zur Intelligenzprüfung verwertbar erwiesen hat 
Eine eingehende Berücksichtigung des Krankenmaterials ist bei der Aufstellung 
einer solchen erforderlich. Autoreferat 

Diskussion. 

HerrNeisser(Bunzlau) erwähnt, daß er selbst eine große Zahl von Bildpröfungen 
ausgeführt habe, u. a. auch solche, wie sie von William Stern in seinen be- 

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Original fro-m 

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kannten Versuchen zur Psychologie der Aussage verwendet worden seien. Aller¬ 
dings habe er die Versuche nicht zu einer besondern Methode ausgebildet. Es 
seien bei der Deutung vielerlei Umstände zu berücksichtigen, auch die Art des 
Schulunterrichts Bei von Einfluß z. B. darauf, ob von der Versuchsperson lediglioh 
die einzelnen Gegenstände, die das Bild darbiete, einzeln hergezählt oder aber in 
ihrer sinngemäßen Kombination aufgefaßt würden. Befremdet habe ihn an den 
von dem Vortr. mitgeteilten Beispielen, daß diagnostische Gruppen wie z. B. die 
Dementia praecox, die Dementia paralytica, welche so vielerlei Formen und Zu¬ 
stände in sich begreifen, als geeignet für die Zusammenfassung bzw. Vergleiobung 
der einschlägigen Proben angesehen würden. Die mitgeteilten Stichproben der 
einzelnen Bildprüfungen bei verschiedenen Psychosen können auch nicht wohl 
ohne weiteres als Intelligenzprüfungen betraohtet werden; ee handelte sich hier 
anscheinend doch mehr um charakteristische Reaktionen auf bzw. assoziative An¬ 
knüpfungen an optische Eindrücke bestimmter Art. Mit diesen Einwendungen 
im einzelnen solle aber der Wert dieser methodischen Prüfungen an sich nicht 
angetastet werden; namentlich scheine ihm die Heranziehung von Bildserien, 
welche eine unter sieh zusammenhängende Folge von Handlungen darstellen, ein 
sehr glücklicher Gedanke zu sein. 

Herr Moeli weist auf die Schwierigkeiten dieser Untersuchungen hin, bei 
denen, alle erschwerenden Nebenumstände ausgeschlossen werden müssen. Es ist 
auch nicht leicht, passende Probestücke zu finden. Interessant »t es, daß die 
vorgezeigten Bilder so gut verstanden sind, da dazu schon ein gewisses Maß von 
Kenntnissen gehört. Reich habe versucht, das Erkennen von bekannten Dingen 
aus teilweise gefertigten Umrißzeichnungen hervorzurufen. Allgemein zutreffend 
wird nicht eine einzige Methode sich gestalten lassen. 

Herr Bernhard erinnert an eine Bemerkung von Hans Gross, welcher er¬ 
örtert, ob man intelligenten Kindern glauben soll. Es komme bei der Aufnahme¬ 
fähigkeit der Kinder weniger auf die Intelligenz an, sondern darauf, ob es sich 
um ein praktisches oder um ein unpraktisches Kind handelt; dabei ist es aber 
schwierig, zu bestimmen, welches Kind als praktisches, welches als unpraktisches 
anzusprechen ist. 

Herr Reich bat sich mit ähnlichen Untersuchungen wie der Vortragende 
beschäftigt. Er hat dabei auch ähnliche Wege eingeschlagen. Es kommt bei 
der Intelligenz der zu Untersuchenden in erster Linie auf die Auffassung an. Es 
wurden möglichst einfache Bilder gezeigt und dann nur Teile der Bilder vor¬ 
gelegt. Man konnte dann beobachten, wie der Kranke auf das ganze Bild schließt. 
Es wurden dadurch gute Resultate erzielt. Manche erkennen schnell, manche erst, 
wenn sie das ganze Bild sehen. Auch um die Kombinationsfähigkeit zu prüfen, 
wurden einfache Bilder aus dem täglichen Leben genommen. Es erwies sich ein 
Bilderbuch eines Volksschullehrers praktisch. Große Geduld erfordert diese Me¬ 
thode. Die Prüfungen ergaben zuweilen, daß bei komplizierteren Bildern Ausfälle 
waren, wie man sie nicht hatte erwarten können. In Betracht kommt ferner die 
richtige Ordnung des Ideenganges. Zur Prüfung wurden Aufgaben aus dem täg¬ 
lichen Leben in Bild und durch einzelne Handlungen gestellt. Es ergab sich, 
daß manche Leute die einzelnen Akte nicht nennen konnten. Zu prüfen ist 
ferner die Ansprecbbarkeit und endlich die Störungen im Werturteil. Gerade 
-diese letzteren lassen sich nicht immer durch die gewöhnlichen Prüfungen eruieren. 

Herr Ziehen gibt seiner Zufriedenheit mit den vom Vortr. gegebenen Proben 
Ausdruck, die mit der Methode des Schulunterrichts nichts zu tun haben. Eine 
allein seligmachende Intelligenzprüfung existiere überhaupt nicht. Zu verwerten 
sied alle diese Bilder nur unter der Voraussetzung, daß die Aufmerksamkeit 
vorher geprüft wird. Um die Intelligenzdefekte festzustellen, bedarf man der 
verschiedensten Intelligenzproben, die alle nebeneinander notwendig sind. 

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Herr Henneberg betont im Schlußwort, daß die Besaitete, die man bei 
akuten Psychosen gewinnt, nicht als Maßetab für die Intelligenzprüfung zu be¬ 
nutzen sind. Die Bilder müssen so ausgew&hlt werden, daß ihre Ausdeutung 
keine bestimmten Kenntnisse voraussetzt. 

Herr Birnbaum (Herzberge): ÜberdegsnerativePhantasten. Vortr.charak¬ 
terisiert zunächst allgemein die aus ungleicher Ausbildung der verschiedenen Vor¬ 
stellungsrichtungen (Überwiegen deB Phantasiespiels) und ungleicher Verteilung 
der Gefühlstöne (einseitige Verknüpfung mit dem phantastischen Elemente) hervor¬ 
gegangene „phantastische“ Eigenart und geht dann im einzelnen auf die daraus 
sich ergebenden Eigentümlichkeiten . des Gefühls- und Vorstellungslebens sowie 
der Willensbetätigung ein, wobei er besonders das abnorme Persönlichkeitsgefühl 
betont. Er schildert dann den ungleichmäßigen Lebensablauf und kennzeichnet 
Verlaufsweise und symptomatische Eigenart jener Steigerungen des Durchschnitts¬ 
bildes, die als akute phantastische Wahnbildungen auftreten. Weiter erwähnt er 
die sonstigen degenerativen Züge und legt die nahen Beziehungen zu anderen 
Degenerierten, solchen mit unrichtig angelegten Verknüpfungen von Gefühls- und 
Vorstellungselementen und Neigung zu wahnhafter Auffassung, wie den de- 
generativ Verschrobenen einerseits und solchen mit überwiegender Phantasie¬ 
bildung wie den pathologischen Schwindlern andrerseits, dar. Sodann setzt er 
das Verhältnis zur Imbezillität und Hysterie auseinander und nimmt die Ab¬ 
grenzung von den konstitutionell Manischen, der Dementia paranoides und be¬ 
sonders von der Paranoia vor. Zum Schluß weist Vortr. noch auf die allgemeine 
Bedeutung einer Pathologie psychopathischer Veranlagungen hin. Autoreferat. 

Herr Vorkastner: Über Kombinationen und organische Symptome. 
Vortr. macht einleitend darauf aufmerksam, daß die Kombination hysterischer und 
organischer Symptome, speziell auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten, noch 
immer gelegentlich zu Fehldiagnosen Veranlassung gibt. Er bespricht des weiteren 
die verschiedenen Entstehungsmöglichkeiten. Es werden folgende drei Möglich¬ 
keiten hervorgehoben: 1. entweder wird durch den Ausbruch der organischen 
Nervenerkrankung eine latente hysterische Disposition zur manifesten HyBterie, 
2. das das Centralnervensystem befallende organische Leiden schafft erst sekundär 
den Boden, auf welchem die hysterischen Krankheitserscheinuugen entstehen (es 
wird auf die Unterscheidung zwischen hysterischen und hysteriformen Erscheinungen 
hingewiesen). . 3. Die Hysterie und das organische Leiden verdanken ihre Ent¬ 
stehung derselben Wurzel, nämlich einer kongenitalen Minderveranlagung des 
Centralnervensystems (Syringomyelie). Anoh das Trauma bildet eine gemeinsame 
Wurzel beider Symptomenreihen. An der Hand der Krankengeschichten wird 
eine Beihe von Fällen besprochen, in denen sich ausgesprochene organische Affek¬ 
tionen mit hysterischen Sensibilitätsstörungen oder Motilitätsstörungen kombinierten. 
Zum Schluß demonstriert Vortr. eine Patientin, bei dem sich im Anschluß an eine 
schwere Influenzapneumonie einerseits organische Veränderungen (Fehlen der 
Patellar- und Achillessehnenreflexe, leichte Peroneallähmung mit Veränderungen 
der elektrischen Erregbarkeit) herausgebildet hatten, die wohl polyneuritischen 
Ursprunges sind, andererseits schwere hysterische Symptome in Gestalt von hyste¬ 
rischen Kontrakturen in beiden Kniegelenken, sowie einer hysterischen Astasie- 
Abasie, die auf suggestive Behandlung hin rasch verschwanden. (Der Vortrag 
wird an anderer Stelle ausführlich publiziert werden.) Autoreferat. 

Herr LipBchitz: Über aberrierende Bündel bei Paoializlähmung. Wenn 
man bei alter, zu relativer Heilung gelangter Facialislähmung die gelähmt ge¬ 
wesene Gesichtshälfte mit einer sehr feinen Beizelektrode bei geschlossenem fara- 
dischen Strome vorsichtig abtaBtet, so findet man, namentlich auf den freiliegenden 
Knochenfläohen des Jochbogens, der Schläfe, des Unterkiefers, gewisse Punkte, 
bei deren Beizung sioh einzelne Muskelbündel an ganz unerwarteter Stelle kon- 

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trahieren. So erhält man bei manchen Patienten durch Reizung hochgelegener 
Punkte — gelegentlich, ganz dicht der Ha&rgrenze — Kontraktionen von Muskel* 
bändeln, die sonst nur auf Reizung unterer Äste reagieren, sei es im Mentalis, 
sei es im Triangularis menti, Platysma oder Orbicularis oris und umgekehrt bei 
anderen Patienten durch Reizung von Punkten des Unterkiefers feine Kontraktionen 
im Ober- oder Unterlid. Von den bekannten blitzartigen, sogenannten ticartigen 
Zuckungen der alten, geheilten Facialislähmung sind sie streng zu trennen; auch 
um Stromschleifenwirkung handelt es sich nicht, da die gleichen Muskelbändel 
bei gleicher Stromstärke auf Reizung von ihnen sehr viel näher gelegenen Punkten 
sich durchaus nicht kontrahieren. Man erhält die Kontraktionen wirklich nur 
von ganz bestimmten Punkten aus — und zwar tetanisoh, solange der faradiscbe 
Strom geschlossen bleibt —, dagegen nicht, sobald man die Elektrode tun einige 
Millimeter verschiebt. Öfters gelingt es, eine Reihe von solchen Punkten auf¬ 
zufinden, die verbunden eine etwaB unregelmäßig verlaufende Linie ergeben. Man 
muß daher annehmen, daß die die betreffenden Muskelbändel versorgenden Nerven¬ 
faser eben selbst unter der aufgesetzten Reizelektrode verlaufen. Zu verstehen 
sind solche Befunde nur, wenn man annimmt, daß beim Vorgänge der Nerven- 
regeneration einige der vom centralen Stumpf her in die Peripherie auswachsenden 
Achsencylinder sich verirrt und ungewöhnliche Seitenwege eingeschlagen haben. 
Vortr. sieht in dem Nachweis solcher aberrierenden Bändel eine starke Stätze 
der alten Lehre von der Regeneration durch Auswachsen der Achsenoylinder vom 
oentralen Stumpf her, während die Bethesche Lehre von der Autoregeneration 
damit unvereinbar ist. Vortr. demonstriert an fünf dem Material der Nerven- 
poliklinik der Charitä entstammenden Kranken die geschilderten Befunde, be¬ 
merkt aber, daß sich ähnliches in fast allen Fällen alter, geheilter Facialislähmung 
nachweisen läßt, sofern die Lähmung nur schwer genug gewesen ist, wofär Kon¬ 
traktur und Mitbewegungen einen Maßstab geben. Autoreferat. 

Die Diskussionen über die drei letzten Vorträge werden vertagt. 

Ascher (Berlin). 


XXXVI. Kongrea der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin 

vom 3. bis 6. April 1007. 

Ref.: Adler (Pankow/Berlin). 

1. Herr Beoker (Coblenz): Traumatisches Aneurysma arterio-venoeum 
der Carotis oerebralis mit Exophthalmus pulsans. Ein Soldat erlitt beim 
Abschießen eines Gewehres infolge einer Explosion der Schußwaffe Verletzungen 
in der rechten Gesichtsseite und am rechten Auge. Nach 10 Tagen Protrusio 
bulbi, Chemosis, Netzhautblutung; im Bereich der ganzen rechten Schädelhälfte 
ein blasendes systolisches Geräusch hörbar. Röntgen-Aufnahme ergibt einen 
Stahlsplitter im Stirnhirn, einen zweiten in der Gegend zwischen Thalamus 
opticus und Nucleus caudatus und einen dritten auf der Sella turcica neben dem 
Sinus cavernosus. Dieser letzte, am Sinus cavernosus gelegene Splitter hat wohl 
zu einer Verletzung der Gefäße geführt. Dreimal täglich zweistündige Kom¬ 
pression der Carotis communis ohne Erfolg. Ligatur der reohten Carotis zunächst 
von Erfolg, aber nach drei 'Wochen Wiederkehr des Exophthalmus pulsans, und 
zwar durch kollaterale Bahnen von links, denn bei Kompression der linken 
Carotis schwand die Pulsation. Nunmehr temporäre Kompression der linken 
Carotis, Kompression des Bulbus mit Quecksilbersack und Eis. Erfolg 7 Monate 
nach Aussetzen dieser Behandlung: keine Pulsatio bulbi, geringe Protrusion, keine 
Chemosis, gute Beweglichkeit des Bulbus und gute Sehkraft 

2. Herr Jordan (Heidelberg): Zar Ligatur der Carotis oommunis. Da 
nach den bisherigen Erfahrungen nach Ligatur der Carotis communis in 10°/ 0 


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der Fälle Hirnkomplikationen Auftreten (Hemiplegie, Erweichung usw.), empfiehlt 
Vortr. als vorbereitende Operation vor'Ausführung der Ligatur eine Freilegung 
der Carotis und temporäre lockere Kompression durch einen Gummi* 
schlauch. Auf diese Weise können sich allmählich die Zirkulationsverhältnisse 
auf dem Wege der Kollateralbahnen zum Teil wieder ausgleiohen, so daß dann 
einige Tage später die Ligatur der Carotis ausgeführt werden kann. Diese 
Methode hat Vortr. bei einem Falle von branchiogenem Karzinom der rechten 
Halsseite mit gutem Erfolg ausgeführt: es traten nach der Ligatur der Carotis 
communis keinerlei Hirnsymptome auf. 

3. Herr Samter (Königsberg): Operativ gehellte Serratuslähmung. 

(Krankenvorstellung.) Vortr. stellt eine 13jährige Patientin vor, welche er wegen 
traumatischer Serratuslähmung operiert hatte, nachdem 11 Monate hindurch 
vollständiger Funktionsausfall (Elevation bis knapp zur Horizontalen, Flügelstellung 
des Schulterblattes bei allen Haltungen, Hochstand des Schulterblattes) bestanden 
hatte. Zu diesem Zwecke wurden an der Leiche und am Lebenden (Mamma* 
Amputationen) Feststellungen über die Genese gemacht. Im Gegensatz zu den 
üblichen Angaben ergab sich, daß, wenn das Schulterblatt nach innen und vorn 
gegen den Thorax gedrängt wurde, der N. thoracalis longus zwischen Proc. oora- 
coideus und gegenüberliegender Rippe eingeklemmt wurde. Die Fälle Sehrwaldts 
(Entstehung durch passiven Langhang, Komplikation mit Plexuslähmung) werden 
hierdurch nioht berührt. Hiernaoh ist die überwiegende Häufigkeit der partiellen 
Lähmungen (Steinhausen) erklärlich. Bei der vorgestellten Patientin war der 
Nerv oberhalb und unterhalb des Schlüsselbeins freigelegt und elektrisch gereist. 
Nur die allerobersten Zaoken reagierten. Der gelähmte Muskel zeigt starke 
Steigerung der mechanischen Erregbarkeit. Es wurde sodann der kosto* 
sternale Teil des M. pectoralis major vom Oberarm abgelöst und am 
unteren Scapularwinkel angenäht. Binnen 12 Tagen Herstellung der 
Funktion (Elevation bis zur Senkrechten, Beseitigung des Hochstandes der Scapula). 
Bei gewissen Bewegungen tritt noch Flügelstellung andeutungsweise zutage. 
Der verpflanzte Muskel ist elektrisch reizbar, seine Kontraktion am Ansatz fühl* 
bar (Nachuntersuchung von interner bzw. neurologischer Seite). Die Operation 
erscheint nicht bloß bei traumatischer Serratuslähmung indiziert, sondern auch bei 
kongenitalem Serratusdefekt und bei den Fällen von angeborenem Schulterblatt¬ 
hochstand, welche der Serratuslähmnng klinisch gleichen. Bei nicht traumatischer 
Lähmung nur unter Berücksichtigung des Charakters derselben (Dystrophia pro- 
grediens z. B. erscheint nicht geeignet). Autoreferat 

4. Herr ßockenheimer (Berlin): Über die Behandlung des Tetanus 
auf Grund klinischer and experimenteller Stadien. Es hat sich mehr und 
mehr gezeigt, daß Antitoxin, nach Ausbruch des Tetanus gegeben, selbst in großen 
Dosen lokal intramuskulär, intraneural, intracerebral und intradural wirkungslos 
ist. Von 1$ Fällen der v. Bergmannseben Klinik sind 16 trotz hoher Dosen 
von Antitoxin gestorben. Dagegen sind klinische Fälle vorhanden mit kurzer 
Inkubationszeit, wo eine prophylaktische Behandlung mit Antitoxin geholfen hat. 
Bei einer lokalen frühzeitigen prophylaktischen Antitoxinbehandlung mit hohen 
Dosen jedoch und öfter appliziert, haben namentlich Tierärzte eklatante Erfolge 
gehabt. Für die Massenbehandlung tetanusverdächtiger Wunden, so z. B. im 
Kriege, ist die Methode der prophylaktischen Antitoxinbehandlung zu kompliziert 
und kostspielig. Vortr. versuchte daher durch eine Frühdiagnose tetanus- 
verdächtige Wunden von tetanusinfizierten zu unterscheiden, was mit feinen 
bakteriologischen Untersuchungsmethoden möglich, für die Praxis aber ebenfalls 
zu kompliziert ist. Daher suchte er für die lokale Wundbehandlung Ersatzmittel 
des Antitoxin und fand im Tierexperiment, daß lipoide Substanzen Tetanustoxin 
binden. Am besten werden feste Substanzen, z. B. Perubalsam*Vaselinsalbe gleich 

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nach der Verletzung auf die Wunde gelegt, Salben, denen pro 100 g 100 Anti¬ 
toxineinheiten (Behring) zugesetzt sind, wirken noch besser, indem im Tier¬ 
experiment soviel Toxine bei infizierten Tieren neutralisiert werden, daß dieselben 
viel später erkranken, viel leichter und die Krankheit überstehen. Da nach 
dem Auseprueh Böses die Prognose um so günstiger, je länger die Inkubation 
des Tetanus, so wäre, wenn die Behandlung mit lipoiden Substanzen bei Tetanus¬ 
verdächtigen wie im Tierexperiment abläuft, ein großer Fortschritt gemacht. 
Dabei ist die Behandlungsweise einfach, praktisch, im Krieg durchführbar und 
billig. Nebenbei müssen günstige Wundverhältnisse geschaffen werden. Bei sehr 
ausgedehnten schweren Verletzungen sowie bei dem seltenen lokalen Tetanus des 
Menschen ist neben prophylaktischer Antitoxinbehandlung mit sehr hoben täglichen 
Dosen — wie die Experimente dem Vortr. zeigten — die von v. Bergmann 
stets empfohlene frühzeitige Amputation am Platze. Von neun ohne Antitoxin 
behandelten Tetanuskranken kam einer mit dem Leben davon nach Amputation 
des verletzten Gliedes. Von 19 mit Antitoxin behandelten leben drei, von denen 
zwei amputiert, einer inzidiert ist. Autoreferat. 

5. Herr Krause (Berlin): Zur Kenntnis der Bflokenmarkslfthmungen. 
Vortr. berichtet über 8 Fälle, in welchen die Laminektomie die von berufenster 
Seite gestellte Diagnose Rückenmarkstumor nicht bestätigte, ln allen diesen 
Pallen war der Typus der Brown-S6quardschen Lähmung, bzw. der Paraplegie 
mit Sphinkterenlähmung mehr weniger stark ausgeprägt. Es konnte nach dem 
klinischen Verlauf kein Zweifel darüber bestehen, daß eine Kompression des 
Rückenmarkes vorliege. Auch die Segmentdiagnose fand in der Regel ihre Be¬ 
stätigung. Dagegen war die Kompression des Rückenmarks in den beschriebenen 
Fällen nicht durch einen Tumor, sondern durch zirkumskripte subaraohnoideale 
Liquoransammlung verursacht. Die Operation ergibt in solchen Fällen einen recht 
charakteristischen Befund: Nach Schlitzung der Dura quillt der Arachnoidealsack 
in Form einer bläulich-violett durchschimmernden Blase aus dem Duralschlitz 
hervor. Die Operation führte meist zum Rückgang der Lähmungserscheinungen. 
Als Ursache der lokalen Liquoransammlung, welche Vortr. in Analogie der Menin¬ 
gitis seroea cerebralis als Meningitis serosa spinalis bezeichnen möchte, 
können Trauma, entzündliche Prozesse, Lues usw. in Betracht kommen. Die 
Symptomatologie deckt sich, wie die mitgeteilten Fälle beweisen, vollständig mit 
derjenigen der Rückenmarkstumoren. 

6. Herr Jenkel (Göttingerf): Traumatische Heterotopie des Rücken¬ 
marks. Bei einem 36jährigen Manne traten immittelbar nach einem Sturz aufs 
Genick aus 2 1 / 3 m Höhe folgende Symptome auf: Paraplegie, Anästhesie von 
Finger- und Zehenspitzen bis zur zweiten Rippe, Blasenmastdarmlähmung, Pria¬ 
pismus, fast reines Diaphragmaatmen, Reflexe erloschen, Hyperpyrexie, Hyper- 
hidrosis, okulopupilläre Symptome bei freiem Sensorium. Weder Wirbelfraktur 
oder Luxation, noch lokales Hämatom nachweisbar. Exitus 13 Tage post träuma. 
Autopsie: Keinerlei Veränderungen an der Wirbelsäule, kein Bluterguß, auch 
an dem vorsichtig herausgenommenen Rückenmark keinerlei makroskopische Ver¬ 
änderungen. Dagegen findet sich bei der mikroskopischen Untersuchung eine 
traumatische Heterotopie der grauen und weißen Substanz: totaler Abriß der 
Hinterhörner im fünften Halssegment. Das vierte Halssegment zeigt noch deut¬ 
liche Zerrung des rechten Hinterhornes, desgleichen das dritte Brustsegment. 
Zwischen viertem Hals- und drittem Brustsegment finden sich alle Übergänge der 
Läsion. Im Bereich des fünften Halssegmentes, wo die Hinterhörner total ab¬ 
gerissen sind, hat sich die weiße Substanz zwischen die abgerissenen Hörner ge¬ 
schoben; keine Hämatomyelie. 


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V. Vermischtes. 

Die diesjährige Wander Versammlung der südwestdeutsohen Neurologen und 
Irrenärzte wird am 1. und 2. Juni in Baden-Baden stattfinden. 


Das Programm der in Frankfart a/M. und Gießen vom 26. bis 28. April 1907 statt- 
findenden Jahresversammlung des Deutschen Vereins . für Psychiatrie ist 
folgendes: 

I. Referate: 1. Die Gruppierung der Epilepsie. Ref.: Alxheimer (München) and 
Vogt (Langenhagen). — 2. Der ärztliche Naohwuohs für psychiatrische Anstalten. Ref.: 
Siemens (Lauenburg i/P.). — 8. Die Mitwirkung des Psychiaters bei der Fürsorgeerziehung. 
Ref.: Kluge (Potsdam). Eingeleitet durch einen kurzen Bericht über die Tätigkeit der 
Kommission für Idiotenforschung und Idiotenfürsorge (Tuczek-Marburg). 

II. Vorträge sind angeraeldet von den Herren 1. Hübner (Bonn): Über Geistes¬ 
störungen im Greisenalter. — 2. Sioli (Frankfurt a/M.): Die Beobachtungsabteilung für 
Jugendliebe bei der städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt a/M. — 3. Geelvink (Frank¬ 
furt a/M.): Die Grundlagen der Trunksucht — 4. Knapp (Halle): Körperliche Erscheinungen 
bei funktionellen Psychosen. — 5. E. Meyer (Königsberg): Untersuchungen des Nervensystems 
Syphilitischer. — 6. H. Liepmann (Berlin): Beiträge zur Aphasie- und Apraxielehre. — 
7. Sommer (Gießen): Psychiatrie und Familienforschung. — 8. P. Nitsche (München): 
Über chronische Manie. — 9. Karl Weiler (München): Untersuchungen mit dem Arbeite- 
Schreiber bei Unfallkranken. — 10. Merzbacher (Tübingen): Untersuchungen über die Be¬ 
deutung der „Körnchenzellen“ im Centralnervensystem (mit Demonstrationen). — 11.0. Rehm 
(München): Verlaufsformen des manisch-depressiven Irreseins. — 12. Friedländer (Hohe 
Mark): Bemerkungen zur sozialen Stellung der Psychiatrie. — 13. Bumke (Freiburg i/Br.): 
Über Pupillenstörungen bei Dementia praecox und bei progressiver Paralyse. — 14. W. Spiel¬ 
meyer (Freiburg i/Br.): Schlafkrankheit und progressive Paralyse. — 15. Otto Wolff 
(Katzenelnbogen): Psychiatrisches aus Syrien. — 16. K. Abraham (Zürich): Über die Be¬ 
deutung sexueller Jugendtraumen für die Symptomatologie der Dementia praecox. — 

17. M. Isserlin (München): Psychologische Untersuchungen an Manisch-Depressiven. — 

18. Moses (Mannheim): Idiotenfürsorge und Fürsorgeerziehung. — 19. Wilmanns (Heidel¬ 
berg): Zur Differentialdiagnose der „funktionellen“ Psychosen. — 20. M. Kanffroann (Halle): 
Neue Befunde bei Epilepsie. — 21. Derselbe: Der Gasstoffwechsel bei Epilepsie. — 22. Kleist 
(Halle): Über die Motilitätspsychosen Wernickes. — 23. Hoppe (Uchtspringe): Die Bedeutung 
der Stoffwechselstörungen für Geistes- und Nervenkranke. — 24. Haberkant (Stephansfeld): 
Zur Frage der Stoffwechselstörung bei der Dementia praecox. — 25. Dannemann (Gießen): 
Die Simulation von Geistesstörungen. — 26. Westphal (Bonn): Klinische Demonstration 
zur Asymbolie- und Apraxiefrage. — 27. E. Hess (Görlitz): Ein Fall von krankhafter Schlaf¬ 
trunkenheit. — 28. W. Fuchs (Emmendingen): Zur Persönlichkeitsanalyse. — 29. Cl.Gudden 
(Bonn): Über Erinnerungsdefekte und deren Ersatz bei epileptischen Dämmerzuständen. 

Donnerstag, den 25. April: Gesellige Zusammenkunft von 8 Uhr abends an im oberen 
Saal der Alemannia, Schillerplatz. 

Freitag, den 26. April: 9 bis 12 Uhr 1. Sitzung inr Hörsaal des Neuen Senokenbergischen 
Stiftungsgebäudes, Viktoriaallee an Trambahnlinie Bockenheimer Warte. 12 bis 1 Uhr: Früh¬ 
stück im anstoßenden Saal. 1 bis 4'/* Uhr: 2. Sitzung. 5 Uhr: Festmahl im Hotel „Eng¬ 
lischer Hof“ am Bahnhof. 

Sonnabend, den 27. April: 3. Sitzung vormittags 9 Uhr. Gemeinschaftliches Essen im 
Kaiserhof am Goetheplatz. — Herr Hofrath Dr. Friedländer ladet für Sonnabend nach¬ 
mittag zur Besichtigung der Heilanstalt „Hohe Mark“ bei Oberursel ein. — Die neuen Bäder 
der städtischen Irrenanstalt können jederzeit besichtigt werden. — Das Senckenbergiscbe 
Neurologische Institut wird während der Versammlung seino neuen Hirnmodelle, Zeichnen- 
spparate, Makrotom usw. ausstellen. 

Sonntag, den 28. April: Ausflug nach Gießen. IO 1 /* Uhr Sitzung in der Klinik für 
psychische und' nervöse Krankheiten, Frankfurterstr. 99. 

Vorträge: 1. Sommer: Über die Beziehungen von nervösen Störungen und morpho¬ 
logischen Abnormitäten, speziell Asymmetrien. — 2. Berliner: Hirnanatomische Demon¬ 
strationen. — 3. Becker: Untersuchung über Simulation bei Unfallnervenkrankheiten. — 

4. Hackländer: Demonstration von neuen Apparaten zur Exposition optischer Reize. — 

5. Knauer: Entstehung von Potentialdifferenzen an der menschlichen Haut 

1 Uhr gemeinsames Essen im Hotel Großherzog von Hessen. 3 Uhr Besichtigung der 
im Bau befindlichen Irrenanstalt bei Gießen. 


Um Einsendu ng von Separatabdrflcken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
_ Pankow b. Berlin, Breiteatr. 44. ____ _ 

Verlag von Vnrr & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzoub & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 

• • 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

SeeJuundzw&iuiggter n B * rUn * Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 2.4 Mark.. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des ln. und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

I9ÖZ 1. MaL NtT9. 


Inhalt f. OrtginalmlttoHangofi. 1. Beiträge mm intramedullären Verlauf« Von hinteren 
Wurzeln des Conus medullaris, von L Jacobsohn in Berlin« 2. Über 8ehmerzempfindUeb« 
keit der Gesichtsknochen bei Degener&nten, von Priv.-Doz. M. Schalkewicz. 8. Über schein» 
bare Fehldiagnosen bei Tumorön der motorischen Region des • Großhirns nebst Beiträgen 
zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei ; Arteriosclerosis cerebri und bei genuiner Epi¬ 
lepsie, von Dr. 6. Steriz. (Schluß.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zur Kenntnis der Großhirnfasernng, Ton Quentel. 
2. Versuch einer physiologischen Anatomie der/Vagus Ursprünge undde* Kopfsympathicns, 
von Kohnstamm und Wolfsteln. — Physiologie. 3. Der Kalkgehalt des Gehirns und seine 
Bedeutung, von Weigert. 4. Contributi alla fisioiogia ed all’ ahätomia dei lobi frontali, per 
Polbnariti. — Pathologische Anatomie. 5. Über Turmschädel, von Oberwarth. 6. Ein 
Fall von extremer Mikrocephalie mit affenähnlichen Bewegungen, von Jones. 7. Beitrag 
zur pathologischen Anatomie der sogen. „Katayama-Krankheit“, zur Ätiologie der Hirn¬ 
gefäßembolie und der Jackson schon Epilepsie, von Tsumoda und Shlmamura. 8. Beitrag 
zur pathologischen Anatomie der früh entstandenen, isoliert verlaufenden Augenmuskel- 
lähmung, von Siemerling. — Pathologie des Nervensystems. 0. Über infantilen Kern¬ 
schwund. Angeborene Lähmung beider N. faciales, des linken N. hypoglossus and der 
Blickrichtung nach links und rechts bei erhaltener Konvergenz, von Gierlich. 10. L’encd- 
phalite aigtiö, par Raymond. 11. Über akute Ataxie, von Preobfaschensky. 12. Eine wahr¬ 
scheinlich durch die disseminierte Encephalomyelitis verursachte Ataxie bei einem Kinde, 
von Pexa. 13. Über Polioencephalitis inferior, von Goldstein. 14. Diffuse gliosis of the 
cerebral white matter in a child, by Bullard and Southard. 15. Hirnembolie im Verlaufe 
der postdiphtheriti8chen Herzschwäche, von Escherich. 16. L’hörödifcö dans rhömorragie 
cöröbrale, par Raymond. 17. Monoplegie d'origine corticale, par Grasset. 18. Gehirnblutung 
beim Kinde. Eclampsia. Hemiplegia dextra. Aphasia, von Salmon. 19. Über eine eigen¬ 
artige Artikulationsstörung, von Maas. 20. L’ötat des muscles masticateurs dans l’hömi- 
plögie, par Miralllä et Gendron. 21. Neue Beiträge zur Lehre von der Muskelatrophie bei 
supranukleären Lähmungen, besonders bei der cerebralen Hemiplegie, von Steinerf. 22. Über 
metamere Sensibilitätsstörungen bei Gehirnerkrankungen, von Benedikt. 23. Deux cas 
d'hemorragie protuberantielle. Hyperthermie. Mort rapide, par Marie et Montier. 24. Über 
die Aneurysmen der Hirnarterien, von Meczkowski. 25. Einiges über die diagnostische Be¬ 
deutung des Blutgehaltes und der Lymphocytose im Liquor cerebrospinalis (zugleich ein 
Beitrag zur Kasuistik der basalen Hirnaneurysmen), von Ohm. 26. Wie verhalten sich die 
gynäkologischen Erkrankungen zu den Neurosen? von Suftter. — Psychiatrie. 27. Ein 
Fall von Idiotie mit Erweichungsherd in den Centralganglien des Gehirns, von Yoshikawa. 

28. Über Zeichnungen von Geisteskranken und ihre diagnostische Verwertbarkeit, von Mohr. 

29. La folie gemellaire, par Marandon de Moniyel. 30. Das Sexualleben unserer Zeit in 
seinen Beziehungen zur modernen Kultur, von Bloch. 31. Geschlechtliche Enthaltsamkeit 
und Gesundheitsstörungen, von Lewitt. 32. Die sexuelle Enthaltsamkeit im Lichte der 
Medizin, von Jacobsohn. 33. Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Homosexualität, von Hirschfeld. 34. Zur Frage über den Uranisraus, 
von Stiedor. 35. Sexuelle Übergangszustände, von Ferenczi. 36. Ennuchisme et är.otisme, 
par Mario. 37. Die forensische Bedeutung der sexuellen Perversität, von Salgö. 38. Un 
cas d’exhibitionisme, par Rousset. — Therapie. 39. Über die physiologischen Grund- 


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rig 


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lagen der physikalischen Therapie, von Goldichsider. 40. Zur Frage der Luft* and der 
Bogen. Wasser-Laftdoaeheo, von Prtngowski. 41. Therapeutisch« Erfahrungen Aber die 
Verwendbarkeit des Bornyrals bei fanktionellen Beschwerden Unterleibs kranker Frauen, 
von Rattner. 42. Traitement de certains cas de nenrasthenie par le fer, par Lemoias. 
48. Heilung hysterischer Kontrakturen durch Lumballihmung, von Wilma. 

HL dm den Gesellschaften. XXIV. Kongreß f&r innere Mediain in Wieebaden vom 
16. bis 18. April 1907. — Socidtd de neurologie de Paris — IV. Landeskongreß der unga¬ 
rischen Irrenärzte in Budapest am 29. und 80. Oktober 1906. 

IV. Vermischtes. 


L Originalmitteilungen. 


1. Beiträge zum intramedullären 
Verlaufe von hinteren Wurzeln des Conus medullaris. 

Von L. Jaoobsohn in Berlin. 


Vor einiger Zeit habe ich im Sakralmark; des Menschen Fasern beschrieben, 
welche bogenförmig ganz an der Peripherie verlaufen, und welohe besonders 
zahlreich am ventralen, in geringerem Maße auch am lateralen Bande dieser 
ßückenmarksregion anzutreffen sind. 1 Die ventralen Bogenfasern,. Fibrae arci- 
formes superficiales ventrales, kommen aus der vorderen Kommissur 
heraus, die Fibrae arciformes laterales scheinen Fortsetzungen einzelner 
hinterer Wurzelfasem zn sein, die am Bande der LiBSAUEii’schen Zone über 
letztere hinauslaufen und in den Seitenstrang einbiegen. Während nun die ven¬ 
tralen Bogenfasem im unteren Teil des Büokenmarke6 auch bei einzelnen Säuge¬ 
tieren (Affe, Hund, Kaninohen) vorhanden sind, waren die lateralen bei ihnen 
nicht auffindbar. Dagegen war im Conus medullaris eines Schimpanserüoken- 
markes, von welchem Serienschnitte angefertigt worden sind, ein Verlauf hinterer 
Wurzeln zu beobachten, der mir bemerkenswert erscheint Wie Fig. 1 demon¬ 
striert, gehen die hinteren Wurzeln in dieser unteren Bückenmarksregion nicht 
wie sonst bei anderen Tieren an der LissAUEa’sohen Zone entlang und münden 
medial von der Substantia gelatinosa Bolando in den Hinterstrang rin, sie durch¬ 
queren auch nicht die Substantia gelatinosa in dorso-ventraler Richtung, um in 
den Kern des Hinterhornes einzumünden, sondern die Wurzeln dringen in den 
dorsalen Abschnitt des Seitenstranges ein, laufen sodann leicht geschlängelt in 
fast querer Bichtung durch diesen Strang, berühren dann den Seitenstrangrand 
der Substantia gelatinosa und splittern sich, wie es scheint, teils im Kern des 
Hinterhornes auf, teils münden sie in die Kuppe des Hinterstranges zur Seite 
der hier sich in den Hinterstrang sich ausstülpenden Schwanzkerne ein. 

Dieser Verlauf der kaudalsten hinteren Wurzeln erinnert sehr an diejenigen 
der Accessoriusfasern im Halsmarke, nur daß letztere, wenn sie die graue Sub¬ 
stanz erreicht haben, nach ventral umbiegen. 

In dem vorhin zitierten Aufsatz über die Fibrae arciformes erwähnte ich, 


1 L. Jacobsoun, Über Fibrae arciformes mcdullae spinalis. Neurolog. Centralbl. 1905. 
Nr. 7 u. 8. 


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387 


daß man doch trotz mancher gegenteiligen Ansicht an jeder eintretenden hinteren 
Warzel eine mediale und eine laterale Abteilung unterscheiden könne. Diese 
beiden Abteilungen sind, wie ich mich nachträglich bei Durchsicht einer voll¬ 
ständigen Serie von Querschnitten durch das Rückenmark des Menschen über¬ 
zeugt habe, in jedem Segment nachweisbar, sie treten aber wegen der Ausbreitung 



Fig. 1. Linke Hälfte eines Querschnittes vom Conus medull&ris 
des Schimpanser&ckenmarkes. Verlauf der hinteren Wurzel durch 
den Seitenstrang. Färbung nach Weiobbt-Pal. 


der Substantia gelatinosa im Lumbosakralmark besonders deutlich hervor. Von 
diesen beiden Abteilungen ist die mediale, die starke Wurzel mit dicken Fasern 
auf jedem Querschnitt sichtbar, während die laterale nur ein dünnes Ästchen 
mit feinen Fasern darstellt und nur auf einzelnen Querschnitten wahrnehm¬ 


bar ist. 

Man beobachtet nun hier im unteren Abschnitt des Schimpanserücken¬ 
markes, daß eine allmähliche Verschiebung der medialen Abteilung stattfindet. 
In etwas höheren Segmenten, d. h. in der oberen Partie des Conus medullaris, 
trifft man das gewöhnliche Bild, d. h. ein mächtiger oder ein in zwei Teile ge¬ 
spaltener Stamm der hinteren Wurzel durchläuft in transversaler Richtung die 
Li88AUEB’sche Zone und mündet in die Wurzeleintrittszone des Hinterstranges 


(Fig. 2) ein. In weiter distal gelegenen Abschnitten spaltet sich die eintretende 


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Wurzel in ungefähr zwei gleiche Teile, die gleich nach Eintritt ins Rückenmark 
sich Y artig teilen (Fig. 3). Der eine Teil geht den gewöhnlichen Weg zur 
Wurzeleintrittszone des Hinterstranges, hierbei einzelne oder zuweilen sehr zahl¬ 
reiche parallel zueinander laufende Abzweigungen in die Substantia gelatinosa 
absendend (Fig. 4), der andere Teil läuft am Seitenstrangrande der Substantia 



Fig. 2. Substantia gelatinosa Rolando mit angrenzenden Teilen des Seiten- und Hinter¬ 
stranges aus dem oberen Abschnitt des Conus mednllaris des Schimpanserfickenmarkes. Ver¬ 
lauf der hinteren Wurzel durch die LissAUKB’sche Zone. Färbung nach Wkiüebt-Pal. 


gelatinosa entlang und mündet iu den Kern des Hinterhoms ein. Beide 
Äste umarmen gleichsam die Substantia gelatinosa an ihrer latero-dorsalen Peri¬ 
pherie (Fig. 3). Je mehr man nun im Conus medullaris abwärts geht, um so 
dünner wird der innere Schenkel, während der äußere in ziemlich gleicher Stärke 
bleibt. Schließlich verschwindet der innere Schenkel ganz und nur der äußere 
bleibt bestehen (Fig. 1). Dieser äußere Schenkel entspricht also der ganzen 
medialen Abteilung der hinteren Wurzel in proximalen Segmenteu. Neben 
diesem äußeren Schenkel trifft man noch hier und da ein paar feine Fasern, 
die direkt in die LissAüEa’sche Zone eintreten und hier verschwinden; sie 
repräsentieren wahrscheinlich den spärlichen Rest der äußeren Abteilung der 
hinteren Wurzeln in höheren Segmenten, die hier nun nach innen von der 
medialen liegt; im Niveau des Ventriculus terminalis gehen die gesamten Fasern 


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der kokkygealen Wurzel direkt in den Seitenstrangrest, da von Hinterstrang und 
von einer Substantia gelatinosa in dieser Gegend nichts mehr zu sehen ist. 

Aus diesen Tatsachen ergibt sich also, daß die untersten hinteren Kücken* 
markswurzeln des Schimpanserückenmarkes in den Seitenstrang eindringen und 
diesen durchquerend sich wahrscheinlich in dieselben Regionen des Hinterhornes 
ergießen wie es die anderen Wurzeln in höheren Segmenten tun. Es ist vielleicht 
möglich, daß die Fibrae arciformes laterales, die beim Menschen bis zum Seiten¬ 
strang verfolgt werden konnten, einen Rest dieser den Seitenstrang durchqueren¬ 
den Wurzelfasern darstellen. 



Fig. 3. Substantia gelatinosa Rolando mit angrenzenden Teilen des Seiten- nnd Hinter¬ 
stranges aus dem Conus mednllaris des Schimpanserückenmarkes; der Schnitt liegt ein 
wenig weiter kaudal als derjenige der Fig. 2. Y artige Teilung der hinteren Wurzel nach 
ihrem Eintritt in die LissAUE&’sche Zone. Färbung nach Wkiobrt-Pal. 

Die Experimente, welche am Kaninchen unternommen wurden, um event. 
die Herkunft der Fibrae arciformes superficiales zu bestimmen, haben zu keinen 
einwandsfreien Resultaten geführt, weil bei der Spärlichkeit dieser Fasern am 
Kaninchenrückenmarke auch die MABCHi’scben Methode im Stiche läßt. 

Immerhin sind diese Experimente nicht vergeblich gemacht worden, da sie 
in anderer Hinsicht mitteilenswerte Resultate ergeben haben. 

Bekanntlich nimmt man an, daß jede hintere Wurzel, wenn sie in den 
Hinterstrang eingetreten ist, sich in einen auf- und einen absteigenden Ast teilt, 
und daß von diesen Ästen daun Collateralen in die graue Substanz des Rücken¬ 
markes ein biegen und hier in verschiedenen Kernregionen endigen. Während 
nun alle im Hinterstraug absteigenden Fasern einer hinteren Wurzel unzweifel¬ 
haft in die graue Substanz einbiegen, soll ein Teil der im Hiuterstrang auf- 

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steigenden Fasern einer jeden hinteren Wurzel durch die ganze Länge desselben 
aufwärts laufen, um schließlich in den Kernen des GoLL’schen bzw. Bübdach- 
schen Stranges ihr Ende zu finden. Die bisherigen Experimente und Beobach¬ 
tungen am Menschen haben im ganzen ergeben, daß die aufsteigenden Fasern 
der Lumbosakral- und unteren Dorsal wurzeln in den GoLL’schen Kern, die 
übrigen in den BuBDACH’sohen Kern einmünden. 



Fig. 4. Substantia gelatinosa Rolando mit angrenzenden Teilen deB Seiten- und Hinter- 
Stranges aus dem Conus medullaris des Schimpanserückenmarkes. Schnitt aus derselben 
Region wie derjenige der Fig. 3. Färbung nach Weioert-Pal. 

Die Resultate, welche ich teils nach Durchschneidungen der untersten hin¬ 
teren Wurzeln, teils nach Querläsionen des untersten Rückenmarksabschnittes 
beim Kaninchen erhalten habe, scheinen bezüglich dieser Annahme eine Ein¬ 
schränkung notwendig zu machen. Die Experimente ergaben nämlich, daß, 
wenn man entweder das Rückenmark unterhalb des Eintrittes der zweiten Sakral¬ 
wurzel durchtrennt hatte, oder aber, wenn man die kaudalsten hinteren Wurzeln 
von der dritten Sakralwurzel anfangend innerhalb des Wirbelkanales durchschnitten 
batte, daß dann die aufsteigende Degeneration im Hinterstrang mittels der Mabchi- 
schen Methode nur ungefähr bis zum unteren Teil des Dorsalmarkes zu verfolgen 
war (Figg.5 u. 6). Sobald aber diese Operation etwas höher im Bereich der zweiten 
und ersten Sakralwnrzel ausgeführt wurde, wobei eine typische Peroneuslähmung 
ein trat, konnte man die aufsteigende Degeneration aufwärts bis zum Kern des 

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GoLL’schen Stranges verfolgen. Es erscheint mir erwähnenswert und bedeutungs¬ 
voll, daß in dem Rückenmarksniveau, bei dessen Durchtrennung eine aufsteigende 
Degeneration hinterer Wurzeln im Hinterstrang nicht bis zu dem Kern des 



Fig. 5 Querschnitt durch den Conus medullaris des Fig 6. Dorsaler Teil eines Querschnittes 
Kaninchenr&ckenm&rkes. Degeneration des Hinter* desselb. Kaninchenrückenmarkes. Fehlen 
Stranges nach Durchschneiuung der kaudalsten jeder Degeneration im Hinterstrang, 

hinteren Wurzeln von der dritten Sakralwurzel an. Färbung nach Marcui und Alobri. 

Färbung nach Marchi und Alobri. 



GoLL’schen Stranges verfolgt werden kann, auch die großen motorischen Zellen 
des Yorderhornes aufhören, daß also mit anderen Worten motorische Wurzeln 
für die quergestreifte Muskulatur und sensible Wurzeln von eben dieser Musku¬ 
latur im gleichen Niveau des Rückenmarkes aus- bzw. eintreten. 

Nimmt man der herrschenden Lehre gemäß an, daß die im Hinterstrang 
ansteigenden und bis zu den Kernen der Medulla oblongata verlaufenden Fasern 
das Muskelgefühl leiten, so würde eine solche Leitung durch die kaudalsten 
Wurzeln nicht stattfinden. Ein direkter Beweis für diese Leitung ließ sich nicht 
erbringen, da sowohl einerseits die Exstirpation der Muskulatur eines Unter¬ 
schenkels, als andrerseits die Entfernung der ganzen Haut eines Unterschenkels 
bei Kaninchen, welche 4 bis 6 Wochen nach der Operation am Leben blieben, 
weder Veränderungen in den zugehörigen Nerven, noch solche in den Hinter¬ 
strängen nach der MABcm’schen Methode ergaben. 




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l' 


2. Über Schmerzenipfindlichkeit der Gesichtsknochen 

bei Degeneranten. 

Von Priv.-Doz. M. Sehaikewicz in St. Petersburg. 

Prof. Blumenau schreibt in seiner höchst interessanten Arbeit über hyste¬ 
rische Symptome und Entartung 1 : „Die fuuktionellen Entartungszeichen des 

1 Newrologitscbeski WestDik. VII. 1899. Heft 2. 

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Nervensystems sind zurzeit noch sehr ungenügend erforscht, viel weniger als 
die anthropologischen (morphologischen) und psychischen Entartnngszeichen. 
Das ist vielleicht dadurch zu erklären, daß die Frage der Entartung bisher mehr 
die Psychiater als die Neuropathologen interessiert hat Die Schule der Sal* 
pdtri&re, die mit so erstaunlicher Genauigkeit die Lehre von der Hysterie be¬ 
arbeitet hat, hat die Frage der nervösen Erscheinungen der Degeneration kaum 
berührt Jedenfalls ist der Versuch, diese Erscheinungen an einem großen 
Material und bei verschiedenen Arten von Degeneranten zu untersuchen, noch 
nicht gemacht worden.“ 

Ich habe in den letzten 2‘/ g Jahren ein ähnliches Material zur Verfügung 
gehabt, wie es Blumenau hatte — kranke Soldaten im Moskauer Militärhospital 
— und an diesem Material unternahm ich eine Reihe von Untersuchungen der 
verschiedenen Reflexe bei Degeneranten. Die Resultate dieser Untersuchungen 
werden seinerzeit veröffentlicht werden, jetzt aber möchte ich auf eine Erscheinung 
aufmerksam machen, die ich bei Untersuchungen der sogenannten Gesichtsreflexe 
beobachtete. 

Diese Erscheinung besteht in folgendem: klopft man ganz leicht mit dem 
Perkussionshammer auf das Jochbein, die Mandibula (am Kinn), manchmal auch 
auf andere Teile des Gesichtes bei Degeneranten verschiedener Art (auch Geistes¬ 
kranken), besonders bei solohen, die ausgesprochene morphologische Degenerations¬ 
zeichen aufweisen, so kann man oft beobachten, daß auch das leichteste Be¬ 
klopfen schmerzempfindlich ist. Natürlich sind dabei jegliche Erkrankungen der 
Knochen und Zähne auszuschließen. Bei gesunden und mit keinen deutlich 
ausgesprochenen Degenerationszeichen behafteten Individuen war das Beklopfen 
bei nicht zu großer Kraft und mittlerer Stärke des Gummis gar nicht schmerz¬ 
haft. Je ausgesprochener die psychischen und physischen Entartungszeichen 
waren, desto regelmäßiger und deutlicher trat auch diese Erscheinung auf. 
Natürlich gab es auch Fälle mit ausgesprochener Entartung, wo dieses Zeichen 
fehlte. Jedoch waren solche Fälle nur selten, während das Symptom bei Ge¬ 
sunden, wie gesagt, niemals gefunden wurde. 

Nachdem ich diese Erscheinung und ihre relative Häufigkeit konstatiert 
hatte, versuchte ich auch, eine Erklärung dafür zu finden. Der erste Ge¬ 
danke dabei wäre, daß diese Empfindlichkeit eine Folgeerscheinung der allge¬ 
meinen Hyperästhesie bzw. Hyperalgesie der Haut, wie sie häufig bei Degene¬ 
ranten vorkommt, bilde. Aber die genauere Untersuchung ergab meist keine 
besonders merkliche Änderung der Hautsensibilität, die zu der Empfindlichkeit 
bei Beklopfen der Gesichtsknochen hätte in Beziehung gesetzt werden können. 

Interessant sind da zwei Beobachtungen, die ich zufällig machte. Unter 
meinen Kranken fanden sich zwei Degeneranten mit angeborener Hysterie und 
vielen Entartungszeichen. Unter anderem hatten beide eine komplette Heini¬ 
anästhesie des Gesichtes, des Körpers und der Extremitäten. Nun war bei ihnen 
das Beklopfen der Gesichtsknochen auf der anästhetischen Seite vollkommen 
schmerzlos, während es auf der gesunden Seite deutliche Schmerzempfindung 
hervorrief. So hatten wir hier, scheinbar, zwei einander widersprechende Er- 

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393 


9<sheinungen: einerseits maß man annehmen, daß bei dem Fehlen der lokalen 
and allgemeinen Hyperästhesie und Hyperalgesie die Quelle der Schmerzempfind¬ 
lichkeit beim Beklopfen des Gesichtes im Knochen selbst oder im Periost zu 
suchen ist, umsomehr, als an den betreffenden Stellen der Knochen ganz ober¬ 
flächlich liegt Andererseits aber zeigen die beiden vorerwähnten Fälle, daß bei 
allgemeiner Anästhesie der Haut auch diese Schmerzempfindliohkeit herabgesetzt 
wird, obgleich sie auf der gesunden Seite vorhanden ist. Das beweist uns, daß 
bei allgemeiner Hemianästhesie die Herabsetzung der Sensibilität auch das Periost 
betrifft, das ja sowieso der Haut am nächsten steht Und so löst sich der 
scheinbare Widerspruch, indem er um so deutlicher auf das Periost als die 
Qnelle der beschriebenen Schmerzempfindliohkeit hinweist 

Diese auf klinischen Beobachtungen und Überlegungen aufgebaute Annahme 
widerspricht auch nicht dem Gedanken, den man a priori hätte fassen können, 
daß nämlich degenerativ entartete Schädel auch eine degenerativ entartete 
Knochenhaut haben können, die im Bau und in der Funktion Anomalien, u. a. 
auch eine größere Schmerzempfindlichkeit aufweist 

Werden meine Beobachtungen über die Häufigkeit dieser Erscheinung bei 
Degeneranten verschiedener Typen mit physischen Anomalien des Kopfbaues 
bestätigt, so glaube ich — wenn die erörterte Erklärung nicht Widersprach 
findet — mit Becht sagen zu können, daß diese Erscheinung ein funktionelles 
oder richtiger ein anatomisch-physiologisches Zeichen der Entartung vorstellt 
Vom biologischen Standpunkte aus kann man das Symptom als eine erhöhte 
Schmerzreaktion betrachten, die sich zum Schutze des bei Degeneranten unvoll¬ 
kommeneren und empfindlicheren Gehirns herausgebildet bat. 


[Ans dem Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf (Abteilung Oberarzt Dr. Nonne).] 

3. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren 
der motorischen Region des Großhirns nebst Beiträgen 
zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis 
cerebri und bei genuiner Epilepsie. 

Von Dr. G. Stertz, Assistenzarzt. 


(Schluß.) 


Ich möchte hier einen Fall anschließen, bei welchem das Bild der Jackson- 
sehen Epilepsie zur Annahme eines Tumors geführt hatte, während die Trepanation 
ein negatives Resultat hatte. 


Fall IV. jACKSON’sohe Anfälle, zunehmende Parese der rechten 
Körperhälfte. Trepanation mit negativem Erfolg. Später Heraus- 
wachsen des Tumors aus der Trepanationsstelle, Hinzakommen beider¬ 
seitiger Stauungspapille. Es handelte sich um einen 27jährigen Lehrer, 
dessen Anamnese nichts besonderes ergab, der insbesondere Lues und Potus in 
Abrede stellte. Er wurde am 22./XI. 1905 mit der Diagnose Tumor der moto¬ 
rischen Hirnregion hereingeschickt. Sein Leiden hatte Weihnachten 1904 ohne 


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nachweisbare Veranlassung mit einem Gefühl von Starre und Schwäche im 
4. Finger der rechten Hand begonnen, ein Gefühl, das dann auch auf andere Ge¬ 
biete der rechten oberen Extremität sich ausdehnte. Nach einer Angina soll 
sich der Zustand verschlimmert haben. Bald darauf stellten sich Anfalle krampf¬ 
hafter Zuckungen zunächst in der Hand, dann in der ganzen rechten oberen Ex¬ 
tremität ein. Diese Anfälle nahmen allmählich an Ausdehnung zu, dehnten sich 
auf das Gesicht und das rechte Bein aus und waren von stets zunehmenden 
Paresen in diesen Körpergebieten gefolgt, die auch in den anfallsfreien Zeiten 
nicht ganz zuräckgingen. Der Kranke fühlte sich sonst ganz wohl, hatte weder 
Kopfschmerzen noch Schwindel noch jemals Erbrechen; weder er noch seine Um¬ 
gebung hat eine Abnahme der psychischen Kräfte bemerkt. 2 Tage vor der Auf¬ 
nahme hatte er einen schweren epileptischen Anfall mit Bewustseinsverlust. 

Es wurde folgender Befund erhoben: die inneren Organe des kräftig gebauten 
und gut genährten Mannes waren sämtlich gesund. Der Kopf war nicht klopf¬ 
empfindlich. Pupillen und Augenhintergrund waren normal. Eb bestand eine 
durchgehende Parese der rechten Körperhälfte von organisch-cerebralem Charakter. 
Die Zunge wich deutlich nach rechts ab, die rechte Gesichtshälfte schwitzte bei 
leichter Erregung. An der Zunge war eine noch frische Bißwunde zu bemerken. 
Die Parese der Extremitäten war eine ausgesprochen spastische. Finger, Hand 
und Arm befinden sich in leichter Beugekontraktur. An der unteren Extremität 
waren die Spasmen erheblich, während die Paresen zurUcktraten und nur bei dem 
ausgesprochen hemiplegischen Gang sich bemerkbar machten. Abgesehen von einer 
leichten Unsicherheit im Lagegefuhl der rechten Hand waren keinerlei Sensibilitäts- 
störungen nachweisbar. Die rechtsseitigen Sehnenreflexe waren durchgehend lebhaft 
gesteigert (Babinski, Oppenheim 4 -), die Hautreflexe herabgesetzt. Blasen- und 
Mastdarmfunktion war normal. Es waren keinerlei Symptome vorhanden, die auf 
„Hirndruck“ zu beziehen gewesen wären. Psyche normal. 

An diesem wie am nächsten Tage wurden eine größere Anzahl JACKSON’scher 
Anfälle beobachtet, die in stets gleicher Weise verliefen. Beginn der erst tonischen, 
dann klonischen Zuckungen in den Fingern der rechten Hand, Übergang auf den 
Arm, dann auf den rechten Facialis, sodann auf das rechte Bein. Das Bewußtsein 
blieb erhalten. Dauer etwa 1—2 Minuten. 


Es handelte sich also hier um jACKSON’sche Anfälle bei einem 27jährigen 
Manne, die seit etwa 1 Jahre bestanden und zu einer erheblichen, Erwerbs¬ 
unfähigkeit bedingenden Parese der rechten Körperhälfte geführt hatten. Aber 
auch die Anfalle an sich bedeuteten — obgleich alle sonstigen cerebralen Be¬ 
schwerden fehlten — eine sehr schwere Beeinträchtigung der Lebensfreude. 
Für die Diagnose kam in erster Linie ein Krankheitsprozeß in Betracht, der in 
der Gegend der motorischen Centren der linken Hemisphäre seinen Sitz hatte. 
Innere Medikation, insbesondere der wochenlange Gebrauch von Jodkali war 
ohne allen Einfluß geblieben. Bei dem Fehlen jeglicher Ätiologie war ein Tumor 
das Wahrscheinlichste. Auffallend war zwar das Fehlen aller Allgemeinsymptome 
von „Tumor cerebri“, zumal bei der Ausdehnung der Lähmungen seine Ver¬ 
breitung über ein größeres Gehirngebiet zu erwarten war. Doch ist ja gerade 
von den Tumoren der motorischen Region bekannt, daß sie selbst jahrelang alle 
Drucksymptome vermissen lassen. Mit Rücksicht darauf und mit Rücksicht auf 
das stetige Fortschreiten der Krankheit hatte der den Kranken bisher behandelnde 
Arzt Herr Dr. Embden (Hamburg) die Diagnose auf Tumor cerebri und die 
Indikation zur Trepanation gestellt. 


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Am 4./XIL wurde von Herrn Oberarzt Dr. Sick die Trepanation in der 
Gegend der linken motorischen Region ausgeführt. Die Dura zeigte sich 
normal, nach Eröffnung derselben konnte auch an dem Gehirn durch¬ 
aus nichts Abnormes nachgewiesen werden, nur war die Pulsation 
eine wenig lebhafte. Eine Probepunktion ergab klare Cerebrospinalflüssigkeit. 
Reposition und Verschluß des Hautperiostknochenlappens. 

Am 5./XH. hatte Pat. hohes Fieber, es hatte sich eine vollkommene motorische 
und partielle sensorische Aphasie zum Krankheitsbild hinzugeeellt; 

8./XIL Die Aphasie hat sich zum größten Teil wieder zurückgebildet. 
Schreiben und Lesen normal (schreibt jetzt linkshändig). Rechts wird eine leichte 
Stauung der Papilla nervi optici konstatiert. 

Von da an ist der Verlauf fieberfrei, bezüglich Hemiparese stellt sich der 
Status quo ante wieder her, Anfälle wurden nicht mehr beobachtet. Es fließt 
reichlich Cerebrospinalflüssigkeit ab. Auf der Höhe der Wunde bildet sich ein 
Prolaps aus. 

22./XH. Pat wird im Status quo ante mit einem kleinen Prolaps entlassen. 
Ist bis dabin anfallsfrei geblieben. 

Am 2l./m. 1906 stellte sich Pat. wieder vor. Er hatte eine Lederkappe 
für die Trepanationsstelle erhalten, die jetzt durch eine Aluminiumkappe ersetzt 
werden sollte. Er gibt indeß an, daß er, sobald er die Kappe trüge, von den¬ 
selben Anfällen heimgesucht sei wie früher, während er sonst frei davon bleibe. 
Die Hemiparese der rechten Seite ist im allgemeinen unverändert. Es besteht 
eine leichte artikulatorische Sprachstörung. Nur in der rechten Hand ist der 
Bewegungs- und Lokalisationssinn etwas herabgesetzt, während sonst das Gesichts¬ 
vermögen normal ist. Keine Zeichen von intrakranieller Drucksteigerung. Doch 
hat der Prolaps etwas zugenommen. Augenhintergrund, Pupillen normal. Während 
der Untersuchung trat eine 1 / s Minute dauernde Absence auf, bei welcher eine 
leichte Zwangsstellung des Kopfes nach rechts eintrat, daran schlossen sich etwa 
1 / 2 Minute dauernde klonische Krämpfe der Zunge, wobei dieselbe nach rechts ge¬ 
schleudert wurde. Der Facialis blieb unbeteiligt. Noch während dieser Zuckungen 
kam das Bewußtsein wieder. Unmittelbar darauf bestand fast vollkommen 
motorische Aphasie, im Laufe 1 / i Stunde war indeß der frühere Zustand wieder 
erreicht. Pat. wußte selbst nichts davon, daß er kurze Zeit bewußtlos gewesen war. 


Obgleich an der nach dem klinischen Verlauf so genau zu lokalisierenden 
Gegend nichts Abnormes gefunden wurde, nicht einmal ein Unterschied in der 
Konsistenz nachgewiesen werden konnte, würden wir uns doch nicht für berechtigt 
halten, das Vorhandensein eines Tumors auszuschließen und etwa einen dem 
sogen. „Pseudotumor“ entsprechenden Vorgang anzunehmen. (Hierauf ist bereits 
in der Literatur hingewiesen.) Oppenheim betont gelegentlich der Besprechung 
von Fall V seiner Kasuistik, in welchem ebenfalls bei der Trepanation der er¬ 
wartete Tumor nicht mit Sicherheit gesehen wurde, daß es Neubildungen gibt, 
die sich bei Betrachtung in vivo der Feststellung entziehen können. Es sind 
dies eben Tumoren, welche nur eine sehr geringe und makroskopisch nicht 
deutlich erkennbare Destruktion des Gewebes hervorrufen. Darauf will ich bei 
der Besprechung des nächsten Fallles näher eingehen. 

Dann aber ist zu bedenken, daß auch dicht unter der Rinde sich ent¬ 
wickelnde, die Oberfläche aber nicht erreichende Tumoren das geschilderte 
Symptomenbild hervorrufen können, da, wie nunmehr nacbgewiesen ist, auoh Herde 
der subkortikalen Markschicht JAOKSON’sche Krämpfe auszulösen vermögen. 


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Audi in diesem Falle findet sich natürlich bei der Trepanation an der erwarteten 
Stelle nichts. 

Daß wir es mit einem solchen Verhalten zn tun haben könnten, darauf 
konnte vielleicht der Umstand hin weisen, daß das erste Symptom des Leidens 
nicht die Krämpfe selbst, sondern ein Gefühl von Steifigkeit und subjektiver 
Schwäche waren. 

Der weitere Verlauf machte dies zur Gewißheit Als wir am 10./V. 1906 
den Kranken wieder sahen, waren mehrere knollenartige bis apfelgroße Tumoren 
auä der Trepanationsstelle herausgewachsen. Eine Probeexcision aus einem 
derselben zeigte, daß es sich um ein gefäßreiches, kleinzelliges 
Bundzellensarkom (Prosektor Dr. E. Fbabnkel) handelte. Der Kranke 
machte einen etwas dementen, dabei euphorischen Eindruck, klagte nur zeitweilig 
über Kopfschmerzen, erbrach nie und Utt auch nicht an Schwindelgefühl. Die 
Paresen hatten nicht wesentlich zugenommen, nur die Sprache war noch lang¬ 
samer und schwächlicher als zuvor; bei schwierigen Worten machte sich eine 
deutliche Störung der Artikulation geltend. Anfälle von „JACKBON’schem Typus“ 
waren nicht mehr autjgetreten, dagegen „Äquivalente“ in Gestalt von leichten, 
schnell vorübergehenden Absencen. Es bestand ferner beiderseits eine 
deutliche Stauungspapille; der Puls war etwas beschleunigt, 80 in der 
Minute. 

Bemerkenswert ist, daß dieser Tumor entsprechend, seinem histologisch seht 
malignen Charakter (zellreiches Sarkom), in 1 1 / t Jahren zu einer so erheblichen 
Größe angewachsen war und bereits zu schwereren Allgemeinerscheinungen ge¬ 
führt hatte — im Gegensatz zu dem jetzt zu beschreibenden Gliom. Es ist zwar 
anzunehmen, daß das Wachstum des Tumors durch die Trepanation in der 
Richtung nach außen wesentlich beschleunigt wurde, indessen darf man an¬ 
nehmen, daß die Zeichen intrakranieller Drucksteigerung durch die Trepanation 
eher hinausgeschoben als befördert worden sind. 

Fall V. Symptombild eines Tumors der motorischen Region: 
8jähriges Bestehen. Negativer Befund bei der Trepanation. Tod 
im Anschluß an die Operation. Kein sicherer makroskopischer Be¬ 
fund. Mikroskopisch: Gliom. 

Der damals 33jährige Krämer kam zuerst im Jahre 1900 auf die Ab¬ 
teilung von Dr. Nonnb. Die Anamnese bot bezüglich früherer Krankheiten 
nichts Bemerkenswertes. 3 Jahre zuvor war er mit Parästhesien und Schwäche¬ 
gefühl im rechten Bein erkrankt, während gleichzeitig häufig Zuckungen in dem¬ 
selben auftraten, die später auch auf den rechten Arm und die rechte Gesichts¬ 
hälfte übergingen. Während anfangs die Zuckungen bei erhaltenem Bewußtsein 
stattgefunden hatten, waren die letzten 3 Anfalle mit Bewußtseinsverlust ver¬ 
bunden. Nach den Anfällen hatte die Schwäche in den befallenen Extremitäten 
stets erheblich zugenommen, um sich dann allmählich wieder zu bessern. Manch¬ 
mal, besonders morgens, bestanden Kopfschmerzen. Ab und zu leichtes Schwindel¬ 
gefühl, nie Erbrechen. In letzter Zeit soll das Gedächtnis abgenommen haben. 
Mit 12 Jahren hatte er ein heftiges Kopftrauma ohne Commotio. Keine Lues, 
kein Potus. 

Die Untersuchung ergab folgendes: Gesundes Aussehen. Psyche normal. 
Innere Organe gesund. 

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Der Kopf war nicht klopfempfindlich. Das OculopnpiHargebiet war intakt. 
Augenhintergrund, Sprache normal, desgleichen Facialis und Hypoglossus. Die 
rechte obere Extremität besaß normale Kraft, dagegen fand sich'am rechten Bein 
eine Parese vom cerebralen TypuB mit entsprechender Steigerung der Sehnenreflexe 
and Abschwächung der Uantreflexe, geringe Ataxie dieses Beines, sowie eine 
leichte, distalwärts zunehmende Hypästhesie für adle Qualitäten. 

Während der Beobachtungszeit wurden mehrere jAOKSOR'sche Anfälle be¬ 
obachtet, die vom rechten Bein ausgehend, rechtsseitig aufstiegen und zum Teil 
unter Schwinden des Bewußtseins auch auf die andere Seife übergingen. Die 
Paresen waren jedesmal nach dem Anfall stärker ausgeprägt; dann stellte rieh 
der Status quo ante wieder her. 

Da für Lues oder eine andere Erkrankung kein Anhalt war, wurde die 
Diagnose auf Tumor der motorischen Region gestellt. Dem Patienten wurde an¬ 
geraten, zunächst eine Schmierkur zu machen und bei Erfolglosigkeit derselben 
sich zur Operation wieder einzufinden. 


Am 10./1I. 1905, also erst 5 Jahre später, ließ rieh Pat. wieder entnehmen. 
Mehrfache spezifische Kuren waren ohne Erfolg geblieben. Pat. hatte sehr viel 
unter seinen Anfallen zu leiden. Die Schwäche hatte sich auf die ganze rechte 
Körperhälfte ausgedehnt. Von Allgemeinsymptomen machte sich zuweilen Kopf¬ 
schmerz und Schwindel, aber in wenig störender Weise bemerkbar. Das Ge¬ 
dächtnis soll gelitten haben. 

Befund: Es bestand jetzt eine durchgehende Parese der rechten Körper¬ 
hälfte vom typischen cerebralen Charakter (übliche Auswahl der gelähmten 
Muskeln, mäßige Spastik, Erhöhung der Sehnenreflexe, BABiNBKi’aches und Oppbn- 
Hxoi’sches Phänomen, Abschwächung der Hautreflexe, mäßiger Grad von Ataxie, 
durchgehende Herabsetzung der Sensibilität für alle Qualitäten mit Bevorzugung 
der Lokalisation und Bewegungsempfindung sowie der Stereognosie). 

Beim Stehen und Gehen trat Schwanken des Körpers, vorzugsweise nach 
dieser auf, der Kopf war in der linken Scheitelgegend klopfempfindlich. 

Es wurde ferner beiderseits ein leichter Grad von Stauungspapille 
konstatiert, die zu einer wesentlicsen subjektiven Verschlechterung des Sehnes 
noch nicht geführt hatte. Das Böntgen-Bild ergab zwar links einen der Scheitel¬ 
gegend der linken Schädelhälfte anliegenden Schatten, der rechts nicht vorhanden 
war, indessen konnte derselbe als etwas Pathologisches nicht mit Sicherheit er¬ 
kannt werden. 

In den beiden Tagen nach der Aufnahme hatte Pat. je einen im Ablauf 
den früheren gleichenden jAGKSOii’schen Anfall (noch immer Beginn im rechten Bein). 

Die Sprache war etwas langsam und schwerfällig, ohne artikulatorische 
Störung. Zuweilen trat ein unbeabsichtigtes Lachen auf, das der Stimmung des 
Pat. nicht entsprach. 

Die schon früher gestellte Diagnose „Tumor cerebri“ konnte nach dem 
gegenwärtigen Befunde und nach dem ganzen Verlauf nur bestätigt werden. 
Der Kranke hatte jetzt den dringenden Wunsch, die Chance einer Operation 
wahrzunehmen. 


Operation am l./IIL 1906 (Herr Oberarzt Dr. Sick). 

Nach Eröffnung des Schädels in der linken motorischen Begion 
zeigte sich an der Dura mater nichts Abnormes. Nach Eröffnung der 
letzteren erschienen die vorliegenden Hirnteile nach Aussehen und 
Konsistenz durchaus normal. Bei Vergrößerung des Duralappens trat eine 
starke Blutung aus dem Sinus longitudinalis auf, welche eine Umstechung 


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desselben notwendig machte. Der Kranke erlag dem Eingriff einige Stunden 
später. 

Obduktion 2./III. 1905. Die Organe der Brust- und Bauchhöhle zeigten, 
abgesehen von einem leichten Grad von fettiger Degeneration des Herzmuskels, 
keine besonderen Veränderungen. Die Schädelkapsel war etwas dick, Verwachsungen 
zwischen ihr und der Dura bestanden nicht. 

Die Hirnsubstanz quoll entsprechend den großen Duralappen vor, sie war 
nur in dem kleinen Gebiet der Umstechungsstelle des Sinus longitudinalis im 
Zustande hämorrhagischer Erweichung. Im übrigen waren die Dura sowohl 
wie die weichen Häute normal, ebenso war dem Gehirn selbst äußer¬ 
lich nichts anzusehen, die linke Hemisphäre erschien etwas größer 



Fig. 1. 

als die rechte, die Windungen waren aber nicht abgeplattet, von 
einem Tumor war nichts zu sehen. Die Gefäße an der Basis waren zart- 
wandig. Auch ein Sagittalschnitt durch das in 10°/ o Formalin ge¬ 
härtete Gehirn überraschte durch das Fehlen des erwarteten Tumors 
(Fig. 1). Auf frontal angelegten Schnitten trat die Vergrößerung der linken 
Hemisphäre noch etwas deutlicher hervor, es wurde auch hier kein in Farbe. 
Konsistenz oder Gefäßreichtum sich von der Hirnsubstanz abhebendes Gebilde ge¬ 
funden, das man für einen Tumor hätte halten können. Hingegen fand sich auf 
einem ungefähr durch die Mitte des Gehirns angelegten Frontalschnitt, parallel 
zur Kinde des Paracentrallappens verlaufend und nur wenig von dieser entfernt, 
eine schmale Zone von etwas weicherer Beschaffenheit und einem eigentümlich 
wabigen Bau, die einer Encephalomalacie glich. Dieselbe erstreckte sich in senk¬ 
rechter Richtung fast bis zum Balken, und war in sagittaler Richtung einige 
Centimeter lang. Die Rinde des Lobus paracentralis hob sich von der Mark¬ 
substanz nicht ganz so deutlich ab wie an anderen Stellen. Das Centrum semi¬ 
ovale erschien in der Nachbarschaft der erwähnten Zone vielleicht etwas weicher 

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als auf der anderen Seite, ließ aber sonst ebensowenig etwas Abnormes erkennen, 
wie die Zeichnung der Stammganglien, die Weite der Ventrikel, die Beschaffen¬ 
heit des Ependyms usw. 

Aus der makroskopischen Besichtigung konnte die Diagnose eines Tnmors 
auch von berufener Seite (Herr Prosektor Dr. E. Fraenkel) nicht gestellt werden. 
Die Vergrößerung der linken Hemisphäre wurde auf Rechnung der großen 
Trepanation und der dadurch bedingten Vorquellung der Hirnsubstanz gesetzt. 
Die beschriebene „Erweichung“-ähnliche Zone wurde für den Effekt einer bei 
der Operation ausgeführten Punktion bzw. des operativen Eingriffes überhaupt 
gehalten. 

Erst die mikroskopische Untersuchung brachte Licht in das Dunkel. 

Es wurden Stücke sowohl aus den als „Erweichung“ imponierenden Partien 
mit der benachbarten Rinde, als auch aus den umgebenden Teilen des Centrum 
seiniovale herausgenommen, sowie zum Vergleich Stücke der anderen Hemisphäre. 
Färbung mit Hämatoiylin-Eosin, nach van Gieson, Markscheidenfarbung nach 
Weigert und E. Fraenkel, Gliafärbung nach Weigert. 



Fig. 2. 


Man erkennt, daß der Aufbau der Rinde, die Schichtung derselben im all¬ 
gemeinen nicht alteriert ist. Erst im Gebiet des subkortikalen Marklagers beginnt 
die Infiltration des Gewebes mit großkernigen, plasmaarmen Zellen und ein ab¬ 
normer Gefäßreichtum. Nooh weiter nach innen beginnt das als „Erweichung“ 
imponierende Gebiet: Es zeigt sich, daß hier eine stärkere Gefäßneubildung 
stattgefunden hat, so daß der Tumor hier das Aussehen eines Lymph- oder 


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Hämangioms gewinnt mit großen moschen- und zellartigen Gebilden, die aber 
nicht mit Blnt gefällt sind. Noch weiter innenwörts finden sich sehr kornreiche 
Partien, hier und da Neigung zur Nekrose und zu minimalen Blutaustritten in 
das Gewebe, schließlich verliert sich der Tumor ganz unmerklich im normalen 
Gewebe, zeigt also ein ausgesprochen infiltratives Wachstum. 

An den Markscheidenpräparaten erkennt man, daß nur im Gebiete des größten 
Zellreichtums die Markscheiden stark rarefiziert sind (Fig. 2), bzw. stellenweise 
ganz fehlen, während sonst zwischen den Tumorzellen sich auffallend viele Mark- 



Fig. 3 . 


fasern erhalten haben. Sie fallen nur dadurch auf, daß sie einen abnorm ge¬ 
schlängelten Verlauf und zahlreiche Varikositäten besitzen (Fig. 3). Die nach 
der WuiGEBT’schen Gliamethode hergestellten Präparate zeigen, daß wir es mit 
einem Gliom zu tun haben. Stellenweise tritt eine fasrige Struktur mehr hervor, 
anderwärts hat das Zwischengewebe eine mehrkörnige Beschaffenheit. Zahlreiche 
Zellen sind als „Stern-“ und „Pinselzellen“ zu erkennen. 

Die Stücke der anderen Hemisphäre zeigten normale Strukturen. 


Uin es kurz zu wiederholen, so hatte hier die Trepanation das Vorhanden¬ 
sein des supponierten Tumors gar nicht aufgedeckt, die Sektion des Gehirns 
hatte zu einem höchst zweideutigen Resultat geführt, und erst die genaue mikro¬ 
skopische Untersuchung hat den Fall geklärt. Man sieht daraus, entsprechend 
Nonne ’s Mahnung, wie vorsichtig mau wird sein müssen, ehe man die Diagnose 
eines Pseudotumors wird stellen können. Denn mau braucht nur anzunehmen, 
daß ein Tumor sich irgendwie in der Nähe der motorischen Region — in einer 
an sich „stummen“ Region — entwickelt und von dort durch Fernwirkung 


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jACKsoN’sohe Krämpfe auslöst, um einzusehen, daß hier eine nicht sehr voll¬ 
ständige mikroskopische Untersuchung ebenso wie der makroskopische Befund zu 
einem negativen Resultat führen kann. 

Zu ganz ähnlichen Betrachtungen gab schon Oppenheim der Fall V seiner 
Kasuistik Anlaß, der in vielen Stadien eine bis in das Kleinste gehende Ähnlich¬ 
keit mit dem eben beschriebenen Falle darbietet. 

Wir können daher nur das bestätigen, was Oppenheim S. 295 der erwähnten 
Arbeit sagt, „daß es Fälle von Tumor cerebri gibt, in denen die makroskopische 
Untersuchung vollständig im Stiche oder wenigstens im Unklaren lassen kann, 
während das Mikroskop den Geschwnlstoharakter in unzweideutiger Weise hervor¬ 
treten läßt“. 

Wenn wir aus dem histologischen Bild die Bedingungen herzuleiten suchen, 
unter welchen ein Tumor sich dem unbewaffneten Auge entziehen und sich 
so weit von dem anatomischen Bilde entfernen kann, das für gewöhnlich der 
Tumor cerebri darbietet, so liegen dieselben in der geringen Destruktion des 
ursprünglichen Aufbaues bzw. in der Widerstandsfähigkeit, welche das nervöse 
Gewebe gerade manchen Gliomen gegenüber besitzt. Analoge Befunde dürften 
bei Sarkomen oder Karzinomen kaum jemals erhoben werden. 

Diese Widerstandsfähigkeit des nervösen Gewebes dem verwandten Gliagewebe 
gegenüber bringt auch die außerordentlich lange Dauer, die wir .in manchen 
Fällen beoachten und die durchaus nicht etwas ganz Ungewöhnliches darstellt, 1 
dem Verständnis näher, 2 sowie den überraschenden Umstand, daß in der 
Gegend des Centrums für den Fuß, in welchem der Tumor vor etwa 8 Jahren 
vermutlich seine Entstehung nahm, auch jetzt noch die Leitung aufrecht er¬ 
halten ist, so daß nicht nur bis zuletzt die jACKsoN’sche Krämpfe im Fuß be¬ 
gannen, sondern auch die Kraftentfaltung in demselben immer noch eine er¬ 
hebliche war. Beide Momente zusammen, das langsame Wachstum und die 
geringen Verdrängungserscheinungen, die eher eine Anpassnug des Cerebrums 
an die Neubildung ermöglichen, sind vielleicht auch geeignet, ein gewisses Licht 
auf das späte und unvollkommene Auftreten allgemeiner Hirnsymptome in 
manchen Fällen von Tumoren zu werfen. Es wäre zu untersuchen, ob gerade 
solche Fälle, in denen allgemeine Hirnsymptome sehr lange vermißt wurden, 
einen ähnlichen Aufbau wie der beschriebene zeigen. 

Am Schluß ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Chef 
Herrn Oberarzt Dr. Nonne für die Anregung zu dieser Arbeit und für die gütige 
Überlassung des Materiales meinen verbindlichen Dank auszusprechen. 


1 Oppenheim, Geschwülste usw. des Gehirns. Notunaoel's spez. Pathol. u. Therapie. 
II. Auflage. 

* Analoges findet sich auch bei Rdckenraarkstnmoren. Ich verweise z. B. auf einen 
Fall von mehr als lOjähriger Dauer eines intramedullären Glioms. Vgl. Sitzungsbericht des 
ärztlichen Vereins zu Hamburg. Ref. in Neurolog. Centralbl. 


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II. Referate. 


A n a t o m i e. 


1) Beiträge zur Kenntnis der Großhimf&serung, von Priv.-Doz. Dr. J. Quensel. 
(Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XX.) Ref.: Probst (Wien). 


Verf. beschreibt zunächst drei selbstbeobachtete Fälle mit Herden im sen¬ 
sorischen Sprachgebiete. 

Eine 57jähr. Frau erlitt einen Schlaganfall und bot vorübergehende Schwäche 
der rechten Hand und Sprachstörung dar. Es bestand amnestische Aphasie, Para¬ 
phasie, leichte Jargonaphasie, partielle Alexie und Paralexie für Buchstaben, Worte 
und Zahlen, partielle Agraphie und hochgradige Paragraphie beim Spontan-Diktat- 
schreiben und Kopieren. Nach zweijähriger Dauer erfolgte der Tod im Status 
epilepticus. 

Die Autopsie ergab eine Erweichung des Gyrus angularis in seinem vorderen 
Aste, der Übergangswindungen zum Hinterhauptslappen und zum Gyrus supra- 
marginalis, des hinteren Teiles der 2. Temporalwindung und im schwächeren Maße 
des hinteren Astes des Gyrus angularis. 

Der 2. Fall betrifft eine 65jähr. Frau von erheblicher Demenz und gemüt¬ 
licher Labilität und Schwerhörigkeit, welche ohne eigentlichen Insult seit 2 Tagen 
eine Sprachstörung, Einengung des rechten Gesichtsfeldes und rechtsseitige Hypo- 
glos8Usparese darbot. Das Wortverständnis fehlte fast vollkommen. Es bestand 
Paraphasie beim Nachsprechen und Spontansprechen, sehr geringer Wortschatz, 
sehr beschränktes Lesevermögen für Buchstaben, starke Alexie und Paralexie für 
Worte, nahezu totale Agraphie bei Kopieren, Spontan- und Diktatschreiben. 

Nach zweijährigem Bestände ergab die Autopsie einen großen Herd im 
Schläfen- und Scheitellappen der linken Hemisphäre, wodurch die ganze erste 
und der größte Teil der zweiten Temporalwindung, sowie Teile des Gyrus angu¬ 
laris und supramarginalis zerstört waren. Es bestand allgemeine Atrophie des 
Gehirns. 

In einem 3. Falle handelt es sich um eine 60jährige Frau, die nach einem 
Schlaganfalle Verwirrtheit, transitorische rechtsseitige Lähmung und dauernde 
rechtsseitige Seh- und Sprachstörung darbot. Das Wortverständnis und Nach¬ 
sprechen war erhalten, beim Spontansprechen bestand Verarmung des Wortschatzes, 
geringe Paraphasie, litterale und verbale Alexie und Paralexie und Paragraphie. 
Die Autopsie ergab einen Erweichungsherd der hinteren Hälfte der linken zweiten 
Temporalwindung und deren Übergang in den Gyrus angularis. 

Verf. hat diese Gehirne an großen mikroskopischen Horizontal- und Sagittal- 
schnitten nach der Weigertschen Färbung untersucht und genau beschrieben 
und bringt in 18 Liclitdrucktafeln die schönen Schnitte zur Anschauung. 

Seine Befunde bestätigen hauptsächlich Anschauungen und Entdeckungen 
Flechsige. Die übrige Literatur hat Verf. sorgfältig berücksichtigt. 

Er fand, daß sich im Temporallappen Stabkranzfasern zu dem vor der 
temporalen Querwindung gelegenen, wohl erhaltenen Teil der 1. Schläfenwindung, 
außer unmittelbar am Fuße der Querwindung, nicht verfolgen lassen. In allen 
3 Fällen fand sich hochgradige Schrumpfung des inneren Kniehöckers. 

Das Türksche Bündel war in den Fällen nur teilweise degeneriert. Die 
Ausdehnung der Degeneration im Türkschen Bündel entsprach der Beteiligung 
der 1. Temporalwindung, wenngleich die Beschränkung auf diese Windung nicht 
zu erweisen war. 


Die primäre Sehstrahlung Flechsigs erschien degeneriert, die sekundär* 
lediglich atrophisch. Der dorsalen Unterbrechung der Sehstrahlungen entsprach 


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eine frontomediale Affektion des äußeren Kniehöckers. Im Pulvinar erschien der 
frontal-dorsale Abschnitt degeneriert. 

Bezüglich des retikulären Stabkranzfeldea von Sachs zeigten die Schnitte, 
daß Faserbündel zu- und abströmen und zum Gyrus fornicatus ziehen. Über die 
Beziehungen zum Stimhirn und nach unten hin erwiesen die Schnitte nichts 
Sicheres. 

Für das Vorhandensein direkter Bahnen zwischen der temporalen Querwindung 
als Hörsphäre und der Sehsphäre lieferte die Degeneration keinen Anhaltspunkt. 

Die Schnitte sprachen nicht gegen die Existenz eines vertikalen Occipital- 
bündels. Der Fasciculus arcuatus enthalte auch lange Bahnen. 

In der äußeren Kapsel fand er nur reichliche kurze Verbindungsfasem. Über 
den Fasciculus uncinatus gestatteten die Schnitte keinen sicheren Schluß. In der 
Zwinge konnten lange Degenerationen nicht nachgewiesen werden. Ein Fasciculus 
occipito-frontalis kann nicht angenommen werden. 

Auf Sagittalsehnitten ließen sich Fasern aus dem basalen Stirnlappen und 
den vorderen Teilen der Bandwindung durch das Rostram corporis callosi zum 
Kopf des Streifenhügels verfolgen. 

Im Stratum subcallosum ließen sich keine langen Assoziationsfasern occipito- 
frontalen Verlaufs nach weisen. 

Die oberflächlichen Spleniumfasern scheinen vom Lobus limbicus auszugehen; 
das Tapetum wird von Balkenfasern gebildet. Bezüglich näherer Beschreibung 
der Befunde muß auf das Original verwiesen werden. 

Die Arbeit ist mit Fleiß und Kritik zusammengestellt. 

2) Versuch einer physiologischen Anatomie der Vagusursprünge und des 
Kopfäympathious, von 0. Kohnstamm und J. Wolfstein. (Journal für 
Psychol. u. Neurol. VIII.) Bef.: Warncke (Berlin). 

Die Verff. haben mittels der Nisslsehen Degenerationsmethode von neuem 
die Frage nach dem Muskelkern des Kehlkopfes untersucht und haben diese Frage 
im Gegensatz zu van Gehuchten in dem Sinne entschieden, daß der ventrale 
Vaguskern, der Nucleus ambiguus der Autoren, der eigentliche Larynxkern ist. 

Für den sogen, dorsalen Vaguskern bleibt alsdann nur die Funktion, die 
Eingeweide der Brust- und Bauchhöhle zu innervieren. 

Die Axone des dorsalen Vaguskernes bilden die ventralen Vaguswurzeln, die 
des ventralen Kernes die mittleren oder intermediären Wurzeln, während die 
dorsalen Wurzeln durch zuführende Neurone gebildet werden. 

Das Vagusfeld, welches vom 4. Ventrikel aus betrachtet als ala cinerea er¬ 
scheint, umfaßt außer dem dorsalen Kern, dessen sämtliche Zellen centrifugale 
Fasern entsenden, den dorsolateral von ersterera gelegenen Kern des Solitärbündels, 
sodann das lateral von diesem gelegene Solitärbündel, den wieder lateral von 
letzterem gelegenen großzelligen Nucleus parasolitarius und schließlich das dorsale 
Grau des Vagusfeldes. 

Der Nucleus parasolitarius liefert wahrscheinlich Fasern zum Solitärbündel 
und verbindet verschiedene Höhen des Solitärbündelkernes. 

Es gibt centripetale Wurzeln, die sich direkt im dorsalen Kern aufsplittern, 
sich also ungefähr verhalten wie Reflexkollateralen des Rückenmarkes. 

Als Ursprungskern des N. subraaxillaris oder, was dasselbe heißt, des moto¬ 
rischen Intermedius, hat Kohnstamm früher ein System großer, in der Formatio 
reticularis zerstreuter Zellen nachgewiesen, das er als Nucleus salivatorius superior 
magnicellularis bezeichnete. Dessen kaudale, histologisch differente Fortsetzung 
nennen die Verff'. Nucleus salivatorius inferior. Die Axone des letzteren treten 
im Glossopharyngeus aus, sind für die Parotis bestimmt und verhalten sich zu den 
Intermediuswurzeln wie aufeinander folgende spinale Rutni communicautes albi 


des Syuipathicus. 

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Die Arbeit enthält weiterhin sehr interessante Ausführungen über die Kaliber* 
Verhältnisse der Nerven, sowie über die Homodynomie der Nerven der Kiemen* 
muskulatur, bez. derer auf das Original verwiesen sei. 


Physiologie. 

3) Der Kalkgehalt des Gehirne und seine Bedeutung, von Dr. R. Weigert. 
(Monatsschr. f. Kinderheilk. 1906. Dezember.) Ref.: Zappert (Wien). 

Von zwei Hunden eines Wurfes erkrankte und starb der eine an Krämpfen, 
die auf eine Nahrungsänderung hin entstanden waren und vielleicht mit den auf 
spasmophiler Basis beruhenden Kinderkrämpfen in Analogie zu bringen wären. 
Die Untersuchung des Gehirns dieses und des bis dahin gesunden Kontrolltieres 
auf seinen Kalkgehalt ergab, daß bei dem unter Krämpfen verstorbenen Hunde 
das Gehirn relativ kalkärmer war, als bei dem gesunden. Wenn auch dieser 
Befund nach keiner Richtung hin als beweisend angesehen werden kanD, so läßt 
er doch, mit anderen bereits erhobenen zusammengenommen, den Schluß einer 
Störung des Kalkstoffwechsels bei spasmophilen Säuglingen möglich erscheinen, 
wobei aber keineswegs eine Anreicherung, sondern vielmehr eine Verarmung der 
Kalksalze im Körper naheliegend erscheint. 

4) Contributl alla flslologla ed all’ anatomia dei lobi frontal!, per Osv. Poli- 
manti. (Tipografia nazionale di G. Bertero. Roma 1906.) Ref.: If.Rothmann. 

In der umfassenden Bearbeitung der Funktion der Stirnlappen betrachtet 
Verf. zunächst die motorischen Wirkungen nach ein- oder doppelseitiger Exstir¬ 
pation der Frontallappen. Bei einseitiger Exstirpation machen die Hunde Manöge* 
bewegungen von der gesunden Seite zur Seite der Exstirpation. In den ersten 
Tagen beschrieben die Tiere einen kleinen KreiB, später einen größeren. Nach 
einiger Zeit verschwinden die Manägebewegungen, um so schneller, je kleiner das 
exstirpierte Gebiet der Hirnrinde war. Die Kompensation wird nicht nur von 
den benachbarten Gebieten derselben Hemisphäre, sondern auch von der anderen 
Hemisphäre zu Stande gebracht. Bei vielen Hunden bestand ein leichter Grad 
von Schwäche und Ataxie in den gekreuzten Extremitäten, vor allem der vorderen. 
Auch eine Steigerung des Patellarreflexes auf der gekreuzten Seite wurde be¬ 
obachtet Konstant war eine Krümmung der Wirbelsäule nach der Seite der 
Operation. Hals und Kopf waren nach der gekreuzten Seite geneigt. Bei beider¬ 
seitiger Stirnlappenexstirpation zeigte sich der Katzenbuckel. In den ersten Tagen 
fand sich oft eine abnorme Augenstellung. ZusammeBfassend kann man sagen, 
daß die Stirnlappen speziell den Bewegungen des Rückens vorstehen, aber auch 
bei den Bewegungen des Halses, Kopfes und auch der Glieder beteiligt sind. 

Der zweite Teil der Arbeit betrifft die gemeinschaftliche Exstirpation eines 
Stirnlappens und einer Kleinhirnhälfte; er ist von Mingazzini und Polimanti 
zusammen auch in der Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie, XX veröffentlicht 
worden. Die Verff. weisen nach, daß nach Zerstörung eines StirnlappenB ähnliche 
asthenische und ataktische Erscheinungen auftreten wie nach Exstirpation einer 
Kleinhirnhälfte. Werden beide Operationen hintereinander an demselben Tier 
auf entgegengesetzter Seite vorgenommen, so summieren sich die Folgen beider 
Operationen. 

Zum Studium der psychischen Störungen hat Verf. dann ö Affen beide Stirn¬ 
lappen entfernt. Es ergab sich kein Anhaltspunkt für die Lokalisation der In¬ 
telligenz oder überhaupt einer höheren psychischen Tätigkeit in den Stirnlappen. 
Hinsichtlich des neuerdings auch von anderer Seite geprüften Einflusses der Stirn¬ 
luppen auf Atmung und Blutdruck konnte Verf. beim Hunde die Anwesenheit von 
Centren nachweisen, die einen hemmenden Einfluß auf die Atembewegungen und 
den Blutdruck ausüben. Am frontalen Rand der Fissura praesilviana liegen Centren 

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für die Beschleunigung des Atemrhythmus, die Vergrößerung der Atembewegung 
und die Steigerung des Blutdruckes. Mehr frontalwärts liegen dann Centren, 
welche die Atmung anhalten, und andere, die gleichzeitig den Blutdruck steigern. 

Endlich bringt Verf. einen anatomischen Beitrag zur Frage der sekundären 
Degeneration nach einseitiger Stirnhirnabtragung. Er konnte eine solche beim 
Hunde im Pyramidenareal durch den Hirnschenkelfuß bis zum Pons und der 
Medulla oblongata verfolgen. Da aber der vordere Teil des Gyros sigmoideus 
mit lädiert war, so gestattete der Befund keine sicheren Schlösse. 

Die ganze, außerordentlich fleißige, unter sorgfältiger Berücksichtigung der 
Literatur geschriebene Arbeit bedeutet eine wesentliche Bereicherung auf dem 
Gebiete der Gehirnphysiologie. 


Pathologische Anatomie. 

6) Über Turmsohädel, von Dr. E. Oberwarth. (Archiv f. Einderheilk. XLII.) 
Ref.: Zappert (Wien). 

Verf. hat innerhalb weniger Monate 8 Fälle von sogen. Turmsohädel be¬ 
obachtet Diese Schädelbildung ist nicht nur wegen ihres auffallenden Aussehens, 
sondern wegen der häufigen Kombination mit Sehnervenerkrankung bemerkens¬ 
wert. Tatsächlich bestanden bei 5 Kindern Veränderungen des Sehnerven, und 
zwar zweimal beiderseitige Atrophie, zweimal beiderseits Neuritis optica und ein¬ 
mal rechtsseitige Stauungspapille. 

Die Krankheit befällt vorwiegend Knaben; die Sehnervenerkrankung ist nicht 
angeboren. Die Erklärung ffir dieses Leiden ist ausständig. Möglicherweise 
spielt eine Verengerung der Foramina optica mit konsekutiver Sehnervenkompression 
eine Rolle. 

6) Ein Fall von extremer Mikrooephalie mit affenfthnl lohen Bewegungen, 

von A. E. Jones. (British Journ. of Childrens Diseases. 1905. Mai.) Ref.: Neter. 
Es handelt sich um ein 7 Jahre altes Mädchen. Mit 4 Jahren laufen ge¬ 
lernt; kann noch nichts sprechen. Gesicht gut geformt. Stirn sehr klein, fliehend. 
Größter Schädelumfang 35 cm (wie der des Neugeborenen). Rohe Kraft gut. 
Keine Anästhesie. Reflexe normal. Gehirnnerven intakt. Allgemeinbefinden un¬ 
gestört. Keine Lues. Die körperliche Entwicklung entspricht der eines 6 jährigen 
Kindes. 

Psychisch zeigt Patientin einen besseren Befund, als man erwarten sollte. 
Sie zeigt eine schöne Zuneigung zu ihrer Kinderfrau, erkennt andere Kinder gut 
und auch ihre verschiedenen Spielsaohen. Gehorcht einfachen Befehlen; ist nicht 
launisch, dagegen gegen Fremde sehr scheu. Keinerlei Sprechversuche. Eigen¬ 
artig sind die blitzartigen (doch stets gewollten) Bewegungen, die Verf. mit dem 
Ausdruck „affenäbnlich“ bezeichnet. 

7) Beitrag zur pathologischen Anatomie der sogen. „Katayama-Krankheit", 
zur Ätiologie der HirngefäBembolie und der Jackson sohen Epilepsie, 

von Tsumoda und Shimamura. (Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr. 34.) 
Ref.: Pilcz (Wien). 

32jähriger Mann, seit 1901 an vagen gastrischen Beschwerden leidend; seit 
Februar 1903 Sprachstörung, Kopfschmerzen, Gedächtnisschwäche, Zittern. Patellar- 
reflexe rechtsseitig >. Seit November 1903 rechtsseitige Jacksonsche Anfälle 
mit rechtsseitiger Hemiplegie. Exitus am 30. August 1904. 

Obduktion ergab diffuse Verdickung und partielle Verwachsungen der Meningen, 
sowie Konsistenzvermehrung der linken Hemisphäre. Zahlreiche, meist in der 
Rinde sitzende keilförmige sklerotische Herde (Basis zur Oberfläche gekehrt). Im 
Linsenkern, Sehhügel und der inneren Kapsel wallnußgroßer Erweichungsherd. 
Rechte Hemisphäre frei. In den Herden wurden massenhaft Eier von Schistosomura 

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Jsponicum gefunden, eingebettet in verdicktem Stützgewebe; ferner „Fremd- 
körpercbentuberkel“ (sklerotische Herde) und Detritusmassen (Erweichungsherd). 
Nervöse Elemente im Bereiche der Herde geschwunden. Also chronische Ence¬ 
phalitis durch Eierembolie der Hirnarterien. 

Außerdem sekundäre Pyramidendegeneration im Rückenmarke. Die Gebilde 
fanden sich auch im Plexus chorioideus lateralis. Ein Muttertier wurde nicht 
gefunden. 

4 Abbildungen im Texte. 

8) Beitrag aur pathologischen Anatomie der früh entstandenen, isoliert 
verlaufenden ▲ugenmuskell&hmung, von E. Siemerling. (Arch. f. Psych. 
u. Nervenkrankh. XL.) Ref.: G. Ilberg. 

Eine im 55. Jahr an Pneumonie verstorbene Morphinistin hatte seit ihrem 
3. Lebensjahr einen bedeutenden Beweglichkeitsdefekt des rechten und — wahr¬ 
scheinlich ebenso lange — auch eine Beweglichkeitsbeschränkung des linken Auges. 
Verf. hat sie 3 Jahre lang vor ihrem Tode beobachtet. Es handelte sich um eine 
Ophthalmoplegia totalis ejct. dext. mit vollkommener Ptosis; die Beweglichkeit des 
linken Auges war insbesondere nach oben, etwas weniger nach innen und unteD 
beschränkt. Links war die Ptosis mittleren Grades. Die Pupille reagierte rechts 
bei Lichtwechsel minimal, links eine Spur (Morphinismus!); bei Konvergenz ver¬ 
engerten Bich beide. Ophthalmoskopisch war der Befund normal. Sektion und 
mikroskopische Untersuchung ergaben eine Vernichtung bzw. Schädigung der 
TrochleariB- und Oculomotoriuskerne. Die gefundenen Veränderungen waren der 
Ausdruck einer abgelaufenen Häraorrhagie in das Kerngebiet, wesentlich auf 
dieses beschränkt, und zwar fanden sich die Reste einer Blutung in Gestalt einer 
apoplektischen Cyste mit Überresten von Blutpigment. Die austretenden Oculo- 
motoriu8wurzeln waren rechts in hohem, links in geringerem Grade degeneriert. 
Die vom Oculomotorius und Trochlearis versorgten Muskeln ließen die für die 
Kernerkrankung charakteristischen degenerativen Vorgänge deutlich erkennen. Am 
hinteren Längsbündel erkannte man beiderseits, namentlich rechts einen hoch¬ 
gradigen Ausfall an Fasern. Im ganzen Krankheitsbild dieser isoliert aufgetretenen 
und Jahrzehnte lang isoliert gebliebenen Augenmuskellähmung fand sich keine 
begleitende Grunderkrankung, welche als Ursache für die Ophthalmoplegie ange¬ 
sprochen werden könnte. Verf. setzt den erhobenen Befund in Parallele mit der 
spinalen Kinderlähmung: hier wie dort akute Entstehung, Hauptläsion in 
der grauen Kernsubstanz und Ausgleich mit nachfolgender degenerativer Atrophie 
der peripherischen Abschnitte. 

Es würde somit zu den bei der frühzeitig entstandenen und unkompliziert 
verlaufenden Augenmuskellähmung nachgewiesenen anatomischen Prozessen, den 
kongenitalen Defekten am peripherischen Apparat, der mangelhaften Anlage des 
Kerns, der Aplasie und Hypoplasie der Kernregion: die isolierte Zerstörung 
des Kerns durch Hämorrhagie hinzuzufügen sein. 

Pathologie des Nervensystems. 

0) Über infantilen Kern Schwund. Angeborene Lähmung beider N. faciales, 
des linken N. hypoglossus und der Bliokriohtung naoh links und reebts 
bei erhaltener Konvergenz, von Dr. Gier lieh in Wiesbaden. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1905. Nr. 37.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Die ungewöhnliche Ausdehnung des Falles geht aus der Überschrift hervor. 
Im übrigen reiht sich die Beobachtung dem Krankheitsbilde an, das nach Moebius 
als infantiler Kernschwund bezeichnet wird. Ob Kernschwund oder Aplasie vor¬ 
liegt, ist bekanntlich strittig. Der Mangel an Degenerations- und Entzündungs- 
prozessen spricht im infantilen Alter nicht ohne weiteres gegen einen abgelaufenen, 

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entzündlichen Prozeß. Für einen Teil der Beobachtungen ist zeitig jedenfalls die 
Annahme eines Schwundes nicht zu umgehen. 

10) L’enoephalite aiguS, par Prof. F. Raymond. (Archives de medecine des 
Enfants. X. Nr. 11.) Ref.: Zappert (Wien). 

Ausgehend von 3 Fällen mit Dauerlähmungen im Gebiete der Hirnnerven 
und Extremitäten, deren klinische Beschreibung und Diagnose eingehend gewürdigt 
werden, gibt Verf. in Form eines klinischen Vortrages eine umfassende Darstellung 
der akuten Encephalitis, von welcher namentlich jugendliche Individuen betroffen 
werden. Verf. glaubt nicht an eine idiopathische Encephalitis, sondern hält auch 
jene Fälle, die klinisch diesen Eindruck machen, für sekundär — bei Kindern 
vorwiegend durch intestinale Schädigungen — bedingt. 

Die anatomischen Befunde, insbesondere solche älterer, ausgeheilter Fälle, 
sowie die klinischen Erscheinungsformen der akuten Hirnentzündung, finden in 
dem ebenso lehrreichen als übersichtlich geschriebenen Vortrag eingehende Wür¬ 
digung. 

11) Über akute Ataxie, von P. Preobraschensky. (Mon. f. Psych., Neurolog. 
u. exper. Psychologie.) Ref.: Krön (Moskau). 

Verf. berichtet über vier männliche Patienten im Alter von 18 bis 20 Jahren, 
bei denen im Anschluß an eine Infektionskrankheit eine akute Ataxie auftrat. 
In 2 Fällen war eine Lungenentzündung vorausgegangen, in den beiden anderen 
blieb der Charakter der Infektion unaufgeklärt. Das wesentlichste Symptom bildet 
die Ataxie der Sprache, des Rumpfes, der Extremitätenmuskeln. Beim Versuch 
zu sprechen macht Patient eine Reihe zweckloser grimassierender Bewegungen 
mit der Zunge, Lippen und Gesichtsmuskeln und stößt unartikulierte Laute aus; 
gleichzeitig wird der Atmungstypus unregelmäßig. Trotz guter Kraft in den 
Extremitäten sind keinerlei Bewegungen möglich. Die Schrift ist äußerst un¬ 
leserlich. Einige Schriftproben illustrieren diese Störung und die allmähliche 
Besserung der Schrift. Sensibilität, Reflexe und Psyche sind normal. Manchmal 
besteht Nystagmus, sonst sind die Hirnnnerven o. B. Der Verlauf war günstig, 
nur in einem Falle war trotz 4monatl. Krankenhausaufenthaltes keine Besserung 
zu erzielen. Verf. nimmt an, daß dem Leiden zerstreute encephalo-myelitische 
Herde, vielleicht auch hämorrhagischen Charakters, zugrunde liegen. Verf. gibt 
eine kritische Übersicht der vorhandenen Literatur. 

12) Eine wahrscheinlich daroh die disseminierte Bnoephalomyelitis ver¬ 
ursachte Ataxie bei einem Kinde, von Dr. V. Pexa. (Casop. ces. 16k. 
1906. S. 644 u. Revue v neur. 1906. Nr. 7.) Ref.: Pelnär (Prag). 

Bei einem 6jährigen Mädchen, welches einer gesunden Familie entstammt 

und früher immer körperlich wie geistig gesund war, erschien ohne bekannte 
Ursache Erbrechen, welches sich jeden Tag nach dem Verlassen des Bettes wieder¬ 
holte. Nach 5 Wochen verschwand das Erbrechen, aber nach vier weiteren 
Wochen bekam das Kind einen Tremor der Hände und bald darauf eine aus¬ 
gesprochene Ataxie aller vier Extremitäten mit gesteigerten Patellarreflexen, die 
links mehr ausgesprochen waren als rechts, mit Nystagmus, ohne jede Muskel- 
Bchwäche, Muskelatrophie, bei normaler Funktion der Schließmuskeln, bei normalem 
ophthalmoskopischem und sonstigem neurologischem Befunde. Im Laufe eines Jahres 
trat eine langsame Besserung ein. Verf. sucht per exclusionem in der von Leyden 
und Westphal beschriebenen disseminierten Encephalomyelitis die anatomische 
Grundlage des beobachteten Leidens, umsomehr, da Bich das klinische Bild mit 
dem von Leyden und W T estphal geschilderten vollständig deckt (aus der böhm. 
pädiatr. Klinik des Prof. PeSina). 

18) Über Polioenoephalitis inferior, von Goldstein. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift. 1906. Nr. 37.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Verf. demonstriert einen 7jährigen Knaben, bei dem sich vom 2. Lebensjahre 

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an ohne nachweisbare Ursache allmählich eine Lähmung der äußeren vom Oculo- 
motorius innervierten Muskeln des rechten Auges einstellte. Dazu trat später 
Parese des linken Levator palpebrae, des linken Bectus internus, Nystagmus rota- 
torius et horizontal» auf dem linken Auge, in letzter Zeit Parese des rechten 
Facialis, des linken Hypoglossus und geringe Schwäche beider Mm. tbyreoarythae- 
noidei. Nervensystem sonst normal. 

14) Diffbse glioais of the oerebral white matter in a ohild, by W. N. Bullard 

and E. E. Southard. (Journ. of Nerv, and Ment. DiseaBe. 1906. März.) 

Bef.: M. Bloch (Berlin). 

6jähriger Knabe, der abgesehen von im 3. Lebensjahre überstandenen Masern 
früher gesund war, fiel vor 6 Monaten 3 Treppenstufen hinunter, blutete aus der 
Nase, vielleicht auch aus einem Ohr, war nicht bewußtlos und am nächsten Tage 
wieder völlig wohl. Einen Monat später unsicherer Gang, dann fortschreitende 
Hör- und Sehschwäohe, Demenz. Ophthalmoskopisoh: Optici etwas atrophisch, doch 
nicht hinreichend, um die völlige Amaurose, die demnach wohl oentralen Ursprunges 
ist, zu erklären. Bei der Operation wurde reiohliche Flüssigkeit aus dem Seiten¬ 
ventrikel entleert, sonst nichts gefunden. Tod 2 Tage p. o. Die anatomische 
Untersuchung ergab eine Sklerose der weißen Substanz der Hinterhaupts-, Parietal- 
und Schläfenlappen, sowie der Thalami optici und symmetrische sklerotische Herde 
der weißen Substanz des Kleinhirns. Mikroskopisch erwies sich der Prozeß als 
eine celluläre und fibrilläre Wucherung der Neuroglia, scharf begrenzt auf die 
weiße Substanz, und zwar variiert das Bild je nach dem Überwuchern der Zell- 
und der fibrillären Elemente. Dabei sind zahlreiche Markscheiden und Achsen- 
cylinder zugrunde gegangen; dabei ist aber die Ernährung des Gewebes nicht 
beeinträchtigt. Die Hirnrinde ist nahezu normal. 

16) Hirnembolie im Verlaufe der postdiphtheritisohen Herzschwäche, von 

Escherich. (Wiener med. Wochenschr. 1907. S. 474.) Bef.: Pilcz (Wien). 

Verf. hatte schon seinerzeit über multiple Embolien durch Thrombenbildung 
infolge postdiphtheritischer Herzschwäche berichtet und teilt nun folgende Fälle mit: 

I. 2jähriges Kind. Beginn der Erkrankung angebliah am 6. Januar; am 
11. Jan. wird das Kind stark kollabiert, apathisch eingeliefert. Pupillen reagieren. 
Bechtsseitige Lähmung. Am 12. Jan. heftige Jaktationen, untere Extremitäten 
werden in starrer Strecksteilung gehalten, der rechte Arm wird nur wenig be¬ 
wegt. Bewußtsein, soviel erkenntlich, erhalten. Am 13. Jan. livide Verfärbung 
und Analgesie der Unterschenkel. Erst im oberen Drittel der Oberschenkel rufen 
Schmerzreize Beaktion hervor, wobei das rechte Bein sich Bpastisch gelähmt er¬ 
weist. Augen stark nach links gerichtet. Abends Exitus. 

Bei der Obduktion fand sich u. a. Embolie der linken Art cerebr. media mit 
frischer weißer Erweichung der linken Großhirnhemisphäre. 

II. 9jähriges Kind. 3 Wochen nach sehr schwerer Diphtherie Gaumensegel- 
und Akkommodationslähmung. Strabismus. Plötzlich apoplektisoher Insult mit 
allgemeinen Konvulsionen. Unmittelbar danach sollen sämtliche vier Extremitäten 
gelähmt gewesen sein. Im Laufe der nächsten Monate ging die linksseitige Läh¬ 
mung zurück, recbterseits bestand spastische Parese fort. 

Verf. nimmt an, daß es infolge der Herzschwäche zu Thrombenbildung und 
dadurch zur Embolisierung von Hirngefäßen kam. 

16) I/heröditö dann l'hemorragle oöröbrale, par P. Baymond. (Progrts 

mödical. 1907. Nr. 13.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der 43 jährige Patient, welcher vom 8. bis 18. Jahre an Nasenbluten, bis 
zum 35. Jahre an Migräne litt, ferner über Varioen, Neuralgien im Gesicht und 
am Halse klagt, zeigt Arteriosklerose, systolisches Geräusch an der Aorta und 
erhöhten Blutdruck. Über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert der Schreoken 
einer Apoplexie, denn 9 Mitglieder seiner Familie haben, sämtlich ungefähr in 

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dem gleichen Alter, eine solche erlitten, von ihnen erlagen die meisten der zweiten 
Attacke. „Von der dritten weiß jeder, daß sie unerbittlich ist.“ 

In der Tat hat auch Pat. eine Hirnhämorrhagie zu befürchten. Die Therapie 
maß in Diätregelung, Hygiene, Jod bestehen. 

17) Monoplögie d’origine oortloale, par Prof. J. Grass et. (Province mldicale. 
1906. Nr. 10.) Ref.: S. Klempner. 

Ein Jockey wird Anfang 1904 vom Pferde geschleudert und stürzt gegen 
eine Mauer. Ein großer Hautlappen der linken Stirn und Schläfengegend wird 
losgerissen. Kurzdauernder Bewußtseinsverlust. Die Haut wurde vernarbt, bis 
auf eine eiternde Stelle auf dem Scheitel, welche dem oberen Teil der vorderen 
linken Centralwindung entspricht. Auftreten von wiederholten kurzen apoplekti- 
formen Anfällen in der Zeit vom Dezember 1904 bis März 1905. Diesen An¬ 
fällen schlossen sich bisweilen solche von jacksonartigem Charakter an mit Zuckungen 
im rechten Bein, besonders im rechten Fußgelenk. Außerdem bestanden kurz¬ 
dauernde psychische Krisen: Gefühl von Zusammengeschnürtsein des KopfeB mit 
Zwangsvorstellungen, die sich vorwiegend auf seine frühere Tätigkeit bezogen. 
Es besteht eine Schwäche in den Bewegungen der Zehen des rechten Fußes und 
des rechten Fußgelenkes, endlich eine Hypästhesie des rechten Fußes in Schuh¬ 
form für Berührung, Schmerz und Temperatur, die ringförmig an der Grenze des 
mittleren und unteren Drittels des Unterschenkels abschneidet. Es handelt sich 
also um eine Monoplegie von kortikalem Ursprung, welche sich auf bestimmte 
Gelenkbewegungen beschränkt, dazu gesellen sich korrespondierende Gefühls- 
störungen in eigenartiger segmentärer Anordnung. Verf. führt die ihm bekannten 
ähnlichen Fälle aus der Literatur an. 

18) Gehirnblutung beim Kinde. Eclampsia. Hemiplegie dextra. Aphasie, 

von Dr. J. Salmon. (Casopis ces. 16k. 1907. S. 41.) Ref.: Pelnär (Prag). 
Ein 17monatl., sonst immer gesundes und gediehenes Kind, welches von einer 
gesunden Familie abstammt, bekam unter heftigen Fiebererscheinungen (40 °C.) 
allgemeine Muskelkrämpfe, die sich mit kleinen Pausen etwa 7 Stunden lang wieder¬ 
holten und von einer vollständigen Bewußtlosigkeit begleitet wurden. Den Krampf¬ 
anfällen folgte ein langdauernder Schlaf, aus welchem das Kind mit einer rechts¬ 
seitigen Hemiplegie und Aphasie erwachte. Nach 4 Tagen wiederholte sich das 
Fieber (40°C.) sowie die Krämpfe. Nach 14 Tagen begann das Kind die ge¬ 
lähmten Extremitäten zu bewegen, nach 4 Wochen kehrte auch die spontane 
Sprache zurück und nach 6 Wochen — unter fleißiger Massage und Elektrisation 
— war das Aussehen sowie das Benehmen des Kindes dasselbe wie vor der 
Krankheit und der Zustand blieb seit der Zeit gut. Verf. schließt nach einer 
ausgiebigen Differentialdiagnose auf eine Gehirnblutung. 

19) Über eine eigenartige Artikulationsstörung, von Otto Maas. (Medizin.- 
pädagog. Monat8schr. f. d. ges. Sprachheilk. XV.) Ref.: Kurt Mendel. 

64 Jahre alte Patientin. Vor 2 Monaten Schlaganfall mit rechtsseitiger Läh¬ 
mung und Sprach verlost; beides bildete sich im Verlauf der nächsten Wochen 
zurück. Es blieb nur folgende ganz konstante Artikulationsstörung: an Stelle 
von g sprach Patientin stets ein d und an Stelle von k ein t; ferner bestand 
Sigmatismus. Die angegebene Störung bestand nur beim Spontansprechen, beim 
Nachsprechen verschwand sie völlig. Bei einer späteren Untersuchung war diese 
Sprachstörung nicht mehr nachweisbar. Einige Monate später dauernde rechts¬ 
seitige Hemiplegie ohne Sprachstörung. 

Verf. hält die erwähnte Artikulationsstörung nicht für eine hysterische, 
sondern für organisch bedingt, für den Rest einer in Rückbildung begriffenen 
motorischen Aphasie. 

20) L’ötat des musoles mastloateurs dans l’h6miplögle, par Ch. Mira Hie 
et A. Gendron. (Revueneurolog. 1906. Nr. 24.) Ref.: E. Stransky (Wien). 


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Die Verff. können auf Grund ihrer Untersuchungen der Anschauung, daß bei 
Hemiplegikern die Bewegungen im Kiefergelenke nicht gelitten zu haben pflegen, 
nicht beipflichten. Sie teilen das Resultat derselben an 14 Fällen im Detail mit. 
Sie prüften die Funktion der Aufwärts-, Seitwärts- und Vorwärtsbewegung des 
Unterkiefers. In der überwiegenden Zahl der Fälle fanden sich Störungen aller 
oder doch einzelner dieser Bewegungen auf der gelähmten Seite. Namentlich in 
Fällen, wo der N. VII (speziell der obere) mitbeteiligt war, wo die Extremitäten 
beträchtlich gelähmt waren und die Paralyse noch nicht lange zurückdatierte, 
trat die Beteiligung der Kaumuskulatur ganz besonders hervor. (Es wäre nun 
freilich speziell betreffs des Vergleiches der Seitwärtsbewegungen naoh beiden 
Seiten hin wichtig, die bezüglichen Verhältnisse an bzw. auf das event. Vorhanden¬ 
sein derartiger Differenzen an Normalen zu prüfen. Ref.) 

21) Neue Beiträge zur Lehre von der Muskelatrophie bei supranukleären 
Lähmungen, besonders bei der cerebralen Hemiplegie, von Priv.-Doz. 

Steinert. (Deutsches Archiv für klin. Medizin. 1906. S. 445.) Ref.: Hugo 

Levi (Stuttgart). 

Verf. faßt die Ergebnisse seiner sehr dankenswerten eingehenden, auf ein 
Material von 68 Fällen sich stützenden Untersuchungen in folgenden Schlußsätzen 
zusammen: 

1. Jede supranukleäre Lähmung der Extremitäten von einiger Intensität und 
Dauer ist gerade so regelmäßig wie jede periphere Lähmung von einer Muskel¬ 
atrophie an den Gliedern gefolgt. 

2. Speziell bei der cerebralen Hemiplegie, dem Prototyp jener Lähmungen, 
ist die Atrophie vorwiegend am Arm ausgesprochen, am Bein tritt sie relativ 
zurück. 

3. Sie scheint in der Regel die befallene Extremität in allen ihren Teilen 
zu ergreifen. Anatomische Vergleiche speziell auch zwischen dem M. biceps und 
triceps des gelähmten Armes haben keine oder doch keine regelmäßige Differenz 
zwischen den beiden Muskeln ergeben. Bevorzugt erscheinen in der Mehrzahl der 
Fälle die Schultermuskeln und die kleinen Handmuskeln. 

4. Die Muskelatrophie tritt frühzeitig ein, kann schon nach 8 oder 14 Tagen 
nachweisbar sein. Sie schreitet rasch bis zu einem bestimmten maximalen Grade 
fort. Ein wesentlicher Fortschritt nach Ende des zweiten Monats ist nach dem 
klinischen Bilde nicht gewöhnlich und wurde nur unter besonderen Bedingungen 
beobachtet. 

6. Der Grad der Atrophie ist meist nicht ganz geringfügig und kann recht 
bedeutend sein. 

6. An den kranken Extremitäten fand sich in der Regel eine leichte Herab¬ 
setzung der elektrischen Erregbarkeit. In den ersten Monaten wurde häufig 
Zuckungsträgheit bei direkter galvanischer Reizung ohne die übrigen Kriterien 
der Entartungsreaktion gefunden, vor allem in den kleinen Handmuskeln, minder 
oft in einigen anderen Muskeln an den distalen Teilen der Extremitäten. In 
einigen Fällen verschwand die Erscheinung wieder, bei veralteten Lähmungen 
wurde sie nicht beobachtet. 

Dagegen können wir in jedem Stadium der Lähmung myasthenische Reaktion 
an den kranken Extremitäten finden. An den „gesunden“ Gliedern sind An¬ 
deutungen von Myastheniereaktion nicht selten. 

7. Das Bild der cerebralen Muskelatrophie ist ein höchst typisches und kehrt 
mit geringen Variationen immer in der gleichen Weise wieder. Ob es sich um 
rechte oder linke Körperhälfte, alte oder junge Patienten handelt, wie Art und 
Sitz des Herdes sein mögen, ist ebenso wie das Vorhandensein oder Fehlen von 
Sensibilitätsstörungen und an der Haut sich äußernden trophisch-vasomotorischen 
Störungen ohne nachweisbaren Einfluß auf das klinische Bild. Selbst das Be- 

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stehen der sogen. Arthropathien scheint nur von ganz untergeordneter Bedeutung 
zu sein. 

8. Bemerkenswert war, daß Fälle mit lange schlaff bleibenden Lähmungen 
im allgemeinen höhere Grade von Atrophie zeigten als die spastischen. Sogar 
teilweiser Rückgang der Atrophie unter Entwicklung einer spastischen Kontraktur 
wurde beobachtet. 

9. Die Faktoren der Hypotonie und des Spasmus modifizieren den annähern¬ 
den Parallelismus zwischen Grad der Lähmung und Grad der Atrophie. 

10. In seltenen Fällen, in welchen das Bein die vorwiegende Motilitätsstörung 
aufweist, kann auch die Atrophie des Armes gegenüber der der unteren Extremität 
zurücktreten. 

11. Wesentlich höhere Grade von Atrophie des Beines als bei reiner Pyra¬ 
midenläsion finden wir in den Fällen, in denen auch die reflektorischen Reiz¬ 
zuflüsse von der Peripherie zu den motorischen Wurzelzellen der betreffenden 
unteren Extremität beeinträchtigt sind, wie bei gleichzeitig bestehender Tubes. 
Ferner kommen ganz außerordentliche Grade von Atrophie des Beines unter Be¬ 
dingungen vor, unter denen wir eine Läsion noch anderer absteigender moto¬ 
rischer Bahnen als der Pyramidenbahn annehmen dürfen (z. B. Fälle von Brown* 
Sequordscher Lähmung). 

12. Pathologisch-anatomisch fand Verf. im 1. Monat nach dem Insult in der 
Regel neben Verschmälerung der Fasern und Kernvermehrung eine sehr starke 
Verfettung, gelegentlich auch wachsige Degeneration einzelner Muskelfasern. Nach 
Ende des 1. Monates treten diese Erscheinungen wieder zurück, die Struktur der 
Fasern ist wieder besser, ja tadellos kenntlich und Verschmälerung der Fasern 
und die oft sehr bedeutende Kernvermehrung beherrscht das Bild. An den peri¬ 
pheren Nerven fand sich nichts bemerkenswertes, im Rückenmark in den älteren 
Fällen eine mäßige Atrophie des Vorderhornes der kranken Seite. 

22) Über metamere Sensibilitätsstörungen bei Gehirnerkrankuugen, von 

Benedikt. (Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 66.) Ref.: Pilcz (Wien). 

47jähriger Mann, vor 4 Jahren Lues, seit 2 Monaten Symptome einer orga¬ 
nischen Erkrankung der rechten Hemisphäre, welche im Original nacbgelesen 
werden mögen. Das Interessante des Falles liegt in dem Verhalten der Sensi- 
bilitätsstörungen (Analgesien), welche deutlich metameren(!) Typus erkennen 
ließen. Die BonBt totale Hemianalgesie wird nämlich scharf durch vier schmerz¬ 
empfindliche Zonen unterbrochen. Diese betreffen das Gebiet des 3. Trigeminus¬ 
astes, der 1. bis 3., ferner 7. bis 9. Dorsalzone und der 4. Lumbalzone (vgl. zwei 
Abbildungen im Texte). 

„Es erleidet demnach keinen Zweifel, daß die Hemianalgesie bei 
Lähmungen der centralen, sensiblen Elemente exquisit segmentäre 
Anordnung nufweisen kann.“ Verf., welcher diesen Typus auch „pseudo¬ 
spinal“ nennt, erwähnt noch kurz zwei Fälle von durch cerebrale Affektion be¬ 
dingten Sensibilitätsstörungen mit „pseudopontinem“ Typus (nach Analogie der 
Hemianaesthesia cruciata), und weist in seinen epikritischen Bemerkungen auf die 
Analogien mit dem Verhalten der hemiplegisch gelähmten Muskulatur hin (un¬ 
gleichmäßige Verteilung). 

23) Deux oas d’hömorragie protuberantielle. Hyperthermie. Mort rapide, 

par Marie et Montier. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriöre. 1906. Nr. 4.) 

Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

I. 86jähriger, wegen Dementia senilis aufgenommener Mann. Eines Vor¬ 
mittags plötzliches Erbrechen, Nachmittags Bewußtseinsverlust. Abendtemperatur 
38,2. Am nächsten Tage wird eine linksseitige Hemiplegie konstatiert. Das 
Gesicht nach rechts verzogen, Kopf nach rechts geneigt, keine Abweichung der 
Augen (seit dem 40. Lebensjahr blind, Ursache unbekannt). Linke obere Extre- 

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mität schlaff, rechts geringer Spasmus. Patellarreflexe erhöht, besonders links, 
ebenso links Babinski, linker Bauchreflex aufgehoben. Bei der Lumbalpunktion 
ein etwa stecknadelkopfgroßer Pfropf von roten Blutkörperchen. Reaktion anf 
Nadelstiche: grimassiert, beugt den rechten Arm und die rechte untere Extre¬ 
mität. Temperatur dauernd über 40°. Tod im Koma. Sektion. An der Ver¬ 
einigung des oberen mit den unteren 2 / s des Pons sitzt eine Hämorrhagie, welche 
ihren Ausgang genommen hat von der rechten Hälfte und fast ganz die rechte 
Pyramidenbahn und das Septum medianum zerstört hat. Sie überschreitet dieses 
Septum jedoch nicht. Das innere x / 8 des Reilschen Bandes, der Lemniscus und 
der Fuß der Schleife Bind in der Höhe der Austrittsstelle des Trigeminus ganz 
zerstört. Die Querbündel des rechten Pedunculus cerebelli bilden auseinander¬ 
gedrängte, feste Bänder, zwischen denen man feste Blutgerinnsel sieht. Der Blut¬ 
herd kommuniziert nicht mit den Ventrikeln, nur im Winkel zwischen den beiden 
Pedunculi und dem Pons ist die Pia mater ein wenig blutig gefärbt. 

U. 47jähr. Kranker ging schon vor der Krankenhausaufnahme mit kleinen 
Schritten, Patellarreflexe sehr stark, Babinski rechts. Mit der rechten Hand geht 
das Zuknöpfen schwerer. Verunreinigt sich. Im Krankenhaus linksseitige Hemi¬ 
plegie, Gesicht und Kopf nach rechts gewendet. Blinzelt unaufhörlich, so daß 
eine weitere Prüfung nicht möglich ist. Miosis. Reagiert unvollkommen auf 
Nadelstiche. Geringer Spasmus aller 4 Extremitäten, jedoch vorwiegend rechts. 
Prämortale Temperatur 42,8. Sektion. Frische Erweichung im Gebiet der rechten 
Art cerebralis ant. Arterie selbst thrombosiert. Rechte Hälfte des Pons fast ganz 
von Blutgerinnsel erfüllt, besonders ist betroffen die untere Hälfte des motorischen 
Stranges, ebenso 2 / 3 des Reilschen Bandes. 

Auffallend ist in beiden Fällen, daß trotz der Zerstörung des Lemniscus keine 
wesentliche Sensibilitätsstörung besteht. Ferner ist noch bemerkenswert die 
Temperatursteigerung. Man muß bei Hemiplegien mit rasohem Verlauf, Miosis 
und Hyperthermie an einen mesencephalischen Herd denken. 

24) Über die Aneurysmen der Hirnarterien, von Meczkowski. (Gazeta 

lekarska. 1906. Nr. 48 bis 50. [Polnisch.]) Ref.: Ed ward Flatau (Warschau). 

Verf. berichtet über 2 Fälle von Aneurysma der Hirnarterien. 

Im ersten Falle handelte es sich um einen 22jähr. Mann, welcher vor etwa 
2 Jahren ein schweres Kopftrauma erlitt. Erst am 3. Tage fühlte Patient eineu 
heftigen Schmerz im Gebiete des rechten Processus mastoideus. Am nächsten Tage 
Sprache undeutlich, verschwommen (6 Wochen lang). In wenigen Tagen Atrophie 
der rechten Nackengegend, Schluckbeschwerden, Atrophie der rechten Zungen- 
hälfte. Während der folgenden Jahre blieb der Zustand fast unverändert (An¬ 
fälle von Kopfschmerzen hauptsächlich im Hinterkopf). Dann trat fast plötz¬ 
lich Heiserkeit auf und ein bellender Husten. Die Symptome dauerten acht 
Monate lang. Vor 3 V 2 Wochen Zunahme der Intensität der Occipitalschmerzen. 
Erbrechen. Niemals Krämpfe. Status: Puls 76. Pupillen ungestört. Atrophie 
der rechten Zungenhälfte. Atrophie des M. cucullaris mit Entartungsreaktion und 
eine geringere des rechten M. sternocleidomastoideus. Am Schädel hört man 
überall ein deutliches Geräusch (am deutlichsten am Occiput, an den Stirn-, Parietal- 
knochen und im Gebiete der Maxilla inferior). Das Geräusch ist ebenfalls am 
oberen Teil der Wirbelsäule hörbar (bis zur Mitte der Dorsalwirbel). Beim Druck 
auf' die rechte Art. carotis schwindet das Geräusch momentan. Nach 15 bis 
20 Sekunden hört man aber ein sehr leises Geräusch, welches allmählich stärker 
wird. Dieselbe Erscheinung merkt man bei Kompression beiderseitiger Hals¬ 
arterien. Druck auf die Art. subclavic. bleibt ohne Einfluß auf das Geräusch. 
Die rechte Chorda vocalis unbeweglich. Seitens der Extremitäten keinerlei Er¬ 
scheinungen. I 111 Urin kein Zucker. Im weiteren Verlauf keine wesentlichen Ver¬ 
änderungen. 

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Verf. meint, daß es sich in diesem Falle um ein Aneurysma der rechten 
Art. vertebralis gehandelt hat, welches die Nn. X, XI und XII erdrückte. (Der 
Einfluß der Kompression der Art. carotis wäre durch die Cirkulationsstörung im 
Circulus arter. Willisii zu erklären.) Es wurde eine Operation vorgenommen zum 
Zwecke der Unterbindung der Art. vertebralis dextra. Es zeigte sich aber, daß 
die Ligatur der Vertebralarterie ohne Einfluß auf dos am Schädel hörbare Ge¬ 
räusch blieb. Aus diesem Grunde hat man von der Unterbindung Abstand ge¬ 
nommen (die Arterie wurde von der Ligatur freigemacht). Diese unerwartete 
Erscheinung will Verf. dadurch erklären, daß dos Aneurysma möglicherweise nicht 
in der Art. vertebralis selbst, sondern in dessen Zweig, nämlich in der Art. spinalis 
anterior dextra sich befand. Da aber diese letztere ihr Blut nioht nur von der 
Art. vertebralis, sondern auch von anderen Gefäßen (Art. intercostales, Art. spinalis 
sinistra) erhält, so war es möglich, daß die Kompression der Art. vertebralis auf 
das Geräusch ohne Einfluß blieb. 

Im 2. Falle handelte es sich um einen 28jähr. Mann, welcher an Rheuma- 
tiBinus und Endocarditis litt. Embolien in den Extremitäten und einmal im Ge¬ 
hirn (plötzlicher intensiver Kopfschmerz in der Stirngegend mit Parästhesien in 
der rechten Hand; Genesung nach 6 Wochen). Nach einigen Monaten Fieber 
und wiederum intensive Kopfschmerzen. Nach 4 Tagen Hemiparesis dextra, Ge¬ 
räusch am ganzen Schädel, besonders an den beiden Proc. mastoidei und am 
Occiput. Bei Kompression der Art. carotis comm. sin. hörte dos Geräusch momentan 
auf, bei Kompression der rechten Arterie wurde dos Geräusch leiser. Aphasia 
motorica. Tod. Keine Sektion. 

Verf. meint, daß es sich um eine Embolie und Aneurysma der linken Art. 
fossae Sylvii gehandelt hat. 

25) Billiges über die diagnostische Bedeutung des Blutgehaltes und der 
Lymphocytose im Liquor oerebrospinalis (zugleich ein Beitrag aur 

Kasuistik der basalen Hirnaneurysmen), von Dr. Ohm. (Deutsche med. 

Wochenschr. 1906. Nr. 42.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Wie der mitgeteilte Fall zeigt, ist für die Diagnose eines basalen Aneurysmas 
neben der Anamnese und den Drucksymptomen das Ergebnis der Lumbalpunktion 
unter Umständen ausschlaggebend. Ferner verdient das Zusammentreffen von 
periodischem Erbrechen mit Lymphocytose im Liquor cerebrospinalis ernstliche 
Beachtung, weil das konstante Vorhandensein der Lymphocytose bei Tabes ihr 
eine differential-diagnostische Bedeutung zwischen frühzeitigen gastrischen Krisen 
und einfachem periodischem Erbrechen zuzusichern scheint. 

26) Wie verhalten sich die gynäkologischen Erkrankungen zu den Neu¬ 
rosen? von Dr. H. Sutter. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkolog. XXV.) 

Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 

Der Arbeit liegen Untersuchungen an 300 Fällen der Kgl. II. gynäkolog. und 
der Privatklinik von Prof. Amann-München zugrunde. Das Material setzt sich 
aus allen Schichten der Bevölkerung zusammen. Wichtig für die Differential¬ 
diagnose ob Neurose oder gynäkologisches Leiden, bzw. für die Feststellung, was 
besonders vorherrschend ist, ist ein durch Operation gewonnener Einblick. Verf. 
macht auf die Schwierigkeit der Aufnahme der Anamnese aufmerksam; am besten 
läßt man die Patientin selbst ihre Leidensgeschichte erzählen, nie darf man in 
sie dringen. Von Nervenkrankheiten kommen nur die Psychoneurosen in Betracht: 
die Nervosität, Neurasthenie, Hysterie, Psychosen im engeren Sinne. Die Psycho¬ 
neurosen tragen das gemeinsame Merkmal, daß sie dem Einflüsse der Psycho¬ 
therapie zugänglich, also psychischen Ursprunges sind. Es sind Erkrankungen, 
für die eine pathologisch-anatomische Veränderung im Gebiete des Nervensystems 
sich nich nachweisen läßt. Bei den Untersuchungen wurden Feststollungen 
erhoben über Intelligenz, Gedächtnis, Haltung, Gang, motorische Lähmungen. 


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motorische Reizerscheinungen, Berührungsempfindlichkeit, Schmerzempfindung, 
Temperatur, Parästhesien, Schmerzen, Hyperalgesie der Haut, Druckempfindlich¬ 
keit, Reflexe, Blasenfunktion und Rektumfunktion im normalen Zustande und während 
der Menstruation. Unter den 200 Fällen fanden sich 72,1 °/ 0 geistig Gesunde 
und 27,9°/ 0 psychisch Abnorme. Bei den sozial besser gestellten Kranken wurden 
19,5°/ 0 Neurosen, bei den weniger gut situierten 42,6°/ 0 gefunden; bei den ersteren 
fanden sich aber weit mehr schwere Neurosen. Diese Neurosen fanden sich bei 
folgenden gynäkologischen Erkrankungen: Karzinomen, Myomen, Entzündungen, 
Lageanomalien, Gravidität, Kystom; das größte Kontingent stellen die Ent¬ 
zündungen mit 28 leicht und 11 schwer nervösen Fällen. Aus der verhältnis¬ 
mäßig kleinen Anzahl der Neurosen bei den gynäkologischen Erkrankungen geht 
hervor, daß letztere für die Entstehung der Neurosen immer mehr in Wegfall 
kommen als Folge der freieren, weniger mystifizierenden Lebensanschauung. 


Psychiatrie. 

27) Ein Fall von Idiotie mit Erweiobnngsherd in den Centralganglien des 

Gehirns, von Marine-Stabsarzt J. Yoshikawa. (Monatsschr. f. Psychiatrie 

u. Neurologie. XVIII. Ergänzungsh.) Ref.: M. Probst (Wien). 

Verf. beschreibt das Gehirn eines 7jährigen Idioten (ohne Sprachvermögen 
und ohne Krampfanfälle), der erst mit 3 Jahren gehen lernte und gleich anfangs 
einen wackelnden und schleppenden Gang zeigte. Das Gehirn zeigte eine Art 
Affenspalte und einen Erweichungsherd in der rechten Hemisphäre, der den Kopf 
des Schweifkernes und das Putamen des Linsenkernes und den vorderen Schenkel 
der inneren Kapsel zerstörte. Der Sehhügel war verkleinert und wies im vorderen 
Teile eine Fortsetzung des Erweichungsherdes auf. Die entsprechende Pyramiden¬ 
bahn und die Schleife waren degeneriert, die rechte Olive kleiner als die linke. 

Der Erweichungsherd wird auf eine Verstopfung der lentikulo-striären Arterien 
zurückgeführt, der Zeitpunkt der Entwicklung des Herdes ließ sich nicht fest¬ 
stellen. 

Klinisch bot der Fall nur Intelligenzdefekte, Sprachstörung, Strabismus con- 
vergens und Abnormität des Ganges. 

Verf. nimmt an, daß die wesentliche Ursache der Idiotie eine Entwicklungs¬ 
hemmung ist, und daß der Erweichungsherd für die Entstehung der Idiotie eine 
geringere Rolle gespielt hat. 

Im medialen Teil der Schleife fand Verf. zwei kleine atrophische Bündel, 
die von der Brücke bis ins verlängerte Mark zu verfolgen waren, welche wohl dem 
„Bündel vom Fuß zur Schleife“ zu entsprechen scheinen (Ref.). 

Der Arbeit ist eine photographische Tafel beigegeben. 

28) Über Zeichnungen von Geisteskranken und ihre diagnostische Ver¬ 
wertbarkeit, von Fritz Mohr. (Journal f. Psychologie u. Neurologie. VIII.) 

Ref.: Warncke (Berlin). 

Verf. behandelt in gründlicher Weise die in der Literatur äußerst stief¬ 
mütterlich behandelte Frage der diagnostischen Verwertung der Zeichnungen von 
Geisteskranken. Er zeigt an der Hand zahlreicher im Text wiedergegebener 
Zeichnungen, wie fruchtbar die systematische Beobachtung dieser Form von ,,Aub- 
drucksbewegungen“ ist oder doch sein kann. 

Man unterscheidet bei der Prüfung von Kranken nach der besprochenen 
Richtung zweckmäßig zwischen Zeichnen nach Vorlagen, Zeichnen nach Natur und 
Zeichnen „aus dem Kopf* 4 . 

Diese verschiedenartigen Leistungen können weiterhin entweder spontan 
oder nach Aufforderung produziert werden. 

Als besonders zweckmäßig empfiehlt es sich, auszugehen von der sehr ein- 

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fachen Aufgabe des Nachzeichnens einfacher gradliniger Figuren, die doch gleich¬ 
zeitig affektbetonte Vorstellungsreihen anregen; z. 6. eine Kirche mit Tür und 
Fenstern u. dgl. 

Verf. weist auf eine Reihe von Problemen hin, die sich darbieten, wenn man 
die Zeichnungen Geisteskranker studiert, z. B. den Parallelismus kindlicher und 
schwachsinniger Zeichnungen, die Beeinflussung des Raum-, Farben-, Formsinnes 
bei den verschiedenen Psychosen bzw. bei ihren verschiedenen Stadien, endlich 
auf den Einfluß von experimentellen Intoxikationen auf die zeichnerische Produktion 
und Reproduktion. 

Es ergeben sich ans der anregenden Arbeit eine Menge interessanter Per¬ 
spektiven für weitere Arbeiten. 

29) Lu folie gemellaire, par E. Marandon de Montyel. (Arch. de neurolog. 
XXH. 1906. Nr. 130.) Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

Verf. diskutiert zunächst in eingehender Werne die Frage, ob überhaupt und 
in welchen Fällen die Bezeichnung „Zwillingsirresein“ berechtigt sei. Die Definition 
Soukhanoffs, nach welcher unter diesen Begriff sämtliche bei Zwillingen vor¬ 
kommenden Psychosen subsummiert werden, ist ihm zu weit gefaßt. Er schließt 
sich im ganzen eng an Ball an, indem er nur von Zwillingsirresein sprechen 
will, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Spontanes Auftreten der Psychose 
bei beiden Erkrankten. 2. Gleichzeitiger Ausbruch bei räumlicher Trennung der 
Beiden (Ausschluß des induzierten Irreseins). 3. Vollständiger Parallelismus der 
Krankbeitserscheinungen bei Beiden, sowohl in Entwicklung und Verlauf wie in 
allen einzelneu Krankheitssymptomen. Diesen drei Ballschen Postulaten fügt 
Verf. noch als 4. erbliche Prädisposition, die auch bisher bei dieser exquisit endo¬ 
genen Psychose nie vermißt wurde, hinzu. Daß solche Fälle „echten“ Zwillings¬ 
irreseins außerordentlich selten sind, ist begreiflich. Verf. hat in einer 30jähr. 
irrenärztlichen Praxis nur einen einschlägigen Fall beobachtet. Es handelt sich 
um ein Schwesternpaar, das, beiderseits erblich belastet, körperlich und geistig 
von frappanter Ähnlichkeit, alle Entwicklungsstadien in gleicher Weise und voll¬ 
ständig gleichzeitig durchmachte. Mit der Verheiratung, die am gleichen Tage 
stattfand, wurden sie zum ersten Male getrennt. Im 4. Monat der Gravidität, die 
auch bei beiden Zwillingen gleichzeitig auftrat, zeigte sich bei Beiden ohne nach¬ 
weisbare Veranlassungsursache fast zur gleichen Stunde manische Erregung, in 
deren Gefolge lebhafte Halluzinationen, Wahnideen völlig gleichen Inhaltes. Selbst 
die vorübergehenden Perioden von Inkohärenz, lebhafterer Agitation, Remissionen 
waren bei beiden zeitlich völlig koinzidierend. Beide gebaren am gleichen Tage 
und bei beiden setzte anch die Besserung direkt nach der Geburt ein. Seit der 
Heirat hatten sie nichts mehr voneinander gehört; erst nach der Genesung erfuhr 
jede etwas von der Erkrankung der anderen. 

30) Das Sexualleben unserer Zelt in seinen Bestehungen sur modernen 

Kultur, vou Dr. Iwan Bloch. (Berlin 1907, Louis Marcus.) Ref.: Toby 

Cohn (Berlin). 

Der auf dem Gebiete der Sexualforscbung rühmlichst bekannte Verf. gibt im 
vorliegenden, für alle Gebildeten geschriebenen Werke eine Art Enzyklopädie der 
gesamten Sexualwissenschaft; es ist gleichsam das Fazit alles dessen, was auf 
diesem relativ jungen Forschungsgebiete in den letzten Jahren — nicht zum 
wenigsten durch den Verf. selbst — geschaffen worden ist. Die menschliche Liebe 
wird in allen ihren Beziehungen, nicht nur vom medizinischen, sondern vom all¬ 
gemein- biologischen, anthropologischen, philosophischen und kulturgeschichtlichen 
Gesichtspunkte aus beleuchtet und betrachtet. Von den Elementarphänomenen der 
Verschmelzung der Keimzellen und der Sexualgerüche über die Perversionen des 
Geschlechtstriebes bis zu den Fragen der sozialen Formen der Liebe ( Ehe, Prosti¬ 
tution, freie Liebe, Malthurianismus usw.), den hygienischen Fragen der Bekämpfung 


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der Geschlechtskrankheiten, der sexuellen Kurpfuscherei und den forensischen der 
Sittliohkeitsvergehen, der Pornographie usw. umfaßt dos Buch des VerfL’s wohl 
alles, was über das Thema überhaupt gesagt werden kann. Wohltuend berührt 
dabei der wissenschaftliche Ernst, der bekanntlich nicht allen den zahlreichen, das 
gleiche Thema behandelnden Werken nachgerühmt werden kann, die große Objek¬ 
tivität, mit der Verf. auch die seiner unumwunden ausgesprochenen Meinung 
widersprechenden Ansichten gelten läßt, und die auch hier wie in anderen Schriften 
des Verfc's wieder in die Augen springende erstaunliche Gelehrsamkeit und Arbeits¬ 
kraft Einzelne Originalmitteilungen (ein Schopenhauersches Manuskript, die 
Biographie eines perversen Revolutionärs usw.) erhöhen den Wert des sehr lesens¬ 
werten Werkes. 


31) Gesohleohtliohe Enthaltsamkeit and Gesundheitsstörungen, von Dr. 

M. Lewitt (Berlin 1905, Martin Boas.) Ref: Kurt Mendel. 

Verf. führt die Äußerungen zahlreicher hervorragender Neurologen, Psychiater 
und Gynäkologen an, um deren Stellung der Frage gegenüber zu kennzeichnen, 
ob bzw. in welcher Weise die geschlechtliche Enthaltsamkeit schädlich wirken 
kann. Auf der einen Seite stehen solche Autoren (z. B. Lallemand), welohe 
dauernde Enthaltsamkeit unter allen Umständen als gesundheitsschädlich ansehen, 
ihnen gegenüber stehen diejenigen, welche die sexuelle Abstinenz als den allein 
moralischen und hygienisch zuträglichsten Zustand bezeichnen. Die goldene Mittel- 
straße dürfte in diesem Widerstreit der Meinungen der richtige Weg sein. 

Für die Ansicht, daß aus dauernder Enthaltsamkeit völlige Impotenz entstehe, 
fehlen stichhaltige Beweise. Abstinenz von Gesunden kann sehr wohl ohne 
Schädigung des Nervensystems vertragen werden; jedoch ist nicht zu leugnen, 
daß die erzwungene Abstinenz bei neuropathisch veranlagten Individuen ernste 
Gefahren bezüglich der Entstehung von Nerven- und Geisteskrankheit herbeiführen 
kann, zumal wenn als Teilerscheinung ihrer Belastung ein äußerst lebhafter Sexual¬ 
trieb vorhanden ist. 

Betreffs des Einflusses geschlechtlicher Enthaltsamkeit auf die Gesundheit des 
Weibes, dessen Geschlechtstrieb im allgemeinen nicht so groß wie derjenige beim 
Manne ist, sind die Ansichten der Gelehrten noch sehr verschieden. Nicht selten 
kommt es bei Frauen infolge sexueller Abstinenz zu nervösen Störungen, doch 
dürfen auch hier — wie hei Männern — die schädlichen Folgen der Enthalt¬ 
samkeit nicht überschätzt werden. 

Erscheint dem konsultierten Arzt im Interesse der Gesundheit des Patienten 
geschlechtlicher Verkehr zweckmäßig, ist aber Heirat aus äußeren Gründen nicht 
möglich, so soll er nach Verf.’s Ansicht dem Kranken die Sachlage klar machen, 
auf die Gefahren der Infektion beim außerehelichen Verkehr aufmerksam machen 
und ihm die Entscheidung nach seinem eigenen Gewissen und WunBche überlassen 
(Stintzing). 

32) Die sexuelle Enthaltsamkeit im Liohte der Medisin, von Dr. Ludwig 
Jacobsohn. (Petersb. med. Woch. 1907. Nr. 11.) Ref.: Kurt Mendel. 
Um die Frage zu entscheiden, ob.die sexuelle Enthaltung schädlich ist oder 

nicht, schrieb Verf. an 207 Professoren der Physiologie, Hygiene, venerischen, 
inneren, Nerven- und Geisteskrankheiten an russischen und deutschen Universitäten. 
Er erhielt 35 Antworten. E. Pflüger-Bonn war der einzige, der sich skeptisch 
verhielt zur Propaganda über die Unschädlichkeit der sexuellen Enthaltsamkeit. 
Alle Autoren ohne Ausnahme erachten die sexuelle Enthaltung als unschädlich 
für junge Leute bis zum 20. Lebensjahre. Auch für ältere Individuen wird von 
den meisten Autoren die schädigende Wirkung verneint. 

33) Jahrbuoh für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Berücksich¬ 
tigung der Homosexualität, von Dr. Magnus Hirschfeld. (VIII. Jahr¬ 
gang. Leipzig 1906, Max Spohr.) Ref.: Toby Cohn (Berlin). 

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ln der bekannten, vortrefflichen Ausstattung liegt der VIII. Jahrgang des 
Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen vor. Er enthält wieder eine Fülle inter¬ 
essanter, zum Teil bedeutsamer Arbeiten, als wichtigste eine Arbeit des Heraus¬ 
gebers, H. Hirscbfeld, „vom Wesen der Liebe“, die einen auf ungewöhnlich 
reichhaltigem Material basierenden Beitrag zur Bisexualitätsfrage bringt, ferner 
einen Aufsatz von Näoke über das gleiche Thema vom psychiatrischen Stand¬ 
punkte aus, einige psychiatrische Erfahrungen als Stütze für die Lehre von der 
bisexuellen Anlage des Menschen. Literatur- und kulturgeschichtliche Beiträge 
liefern Undine Freiin von Verschuer über die Homosexuellen in Dantes 
Göttlicher Komödie, von Römer über die Uranistenverfolgung in den Nieder¬ 
landen 1730, Schouten über Erfahrungen des Scharfrichters Samson, 0. Kiefer 
über Antinoos und Hadrian, Freimark über die russische Gründerin der theo- 
sophischen Gesellschaft Helena Petro wna Blavatzky, Paul Brandt über die Knaben¬ 
liebe in der griechischen Dichtung, u. a. — Friedländer kritisiert in einem sehr 
lesenswerten Aufsatze die neueren Vorschläge zur Abänderung des § 175. — Eine 
Zusammenstellung der Literatur über Hermaphroditismus von Franz v. Neuge¬ 
bauer, eine eingehende Besprechung der Bibliographie und der Jahresbericht 
schließen das mit 10 Tafeln geschmückte Buch. — Auf Einzelheiten kann im 
Rahmen eines Referates nicht eingegangen werden. Es soll aber doch angesichts 
der selbst in Kreisen der medizinischen Fachleute herrschenden Verkennung der 
in diesen Jahrbüchern vertretenen Bestrebungen betont werden, daß der von vielen 
bekämpfte agitatorische Charakter des wissenschaftlich-humanitären Komitees, in 
dessen Namen die Bücher erscheinen, in fast sämtlichen Arbeiten völlig zurück¬ 
tritt hinter dem wahrhaft wissenschaftlichen Streben nach objektiver Ergründung 
des Tatsächlichen, und daß man wohl in manchen Punkten anderer Meinung sein 
kann als die Autoren und Herausgeber, daß aber der essentielle Wert der einzelnen 
Teile des Jahrbuches und damit des Gesamtwerkes nicht bestritten werden kann. 
Keiner, der Bich für Sexualwissenschaft interessiert, kann an diesen Büchern 
vorübergehen. 

34) Zur Frage Aber den Uranismus, von W. Stieder. (Russische medizin. 

Rundschau. IV. 1906. Nr. 7.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg). 

Unter Uranismus versteht Verf. die geschlechtliche Zuneigung zu Personen 
des eigenen Geschlechtes, ohne Bestimmung darüber, ob wirklicher Geschlechts¬ 
verkehr mit Personen eigenen Geschlechtes besteht oder nicht. 

Nachdem Verf. zuerst einen kurzen Überblick über die Geschichte des Ura¬ 
nismus gegeben hat, bespricht er die Ansichten von Krafft-Ebing, Moll, 
Schrenck-Notzing, Havelock-Ellis und besonders die Theorie der bisexuellen 
Embryonalanlage von Kurelia, die er verwirft. Verf. ist der Ansicht, daß, ab¬ 
gesehen von der neuropathischen Anlage, Lebensbedingungen und Milieu einen 
nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Entwicklung der Homosexualität aus¬ 
üben. Zum Schlüsse plädiert Verf. dafür, daß der § 175 aufgehoben werde. Die 
Päderastie sollte nach seiner Meinung nur dann gerichtlich verfolgt werden: 1. wenn 
sie an Unmündigen vollführt wird, 2. wenn sie mit Gewalt vollführt wird, 3. wenn 
sie die öffentliche Sittlichkeit verletzt. Eine Heilung vom Uranismus hält Verf. 
mit Schrenck-Notzing für möglich. Er befürwortet infolgedessen lebhaft die 
ärztliche Behandlung der Homosexuellen. 

36) Sexuelle Übergangszustände, von A. Ferenczi. (Gyögyaszat. 1906. Nr.19.) 

Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Das in Berlin tätige wissenschaftlich-humanitäre Komitee wandte sich an den 
Orvosi-Kör mit dem Ersuchen, an dem Kampfe gegen die ungereohte Verfolgung 
des Homosexuellen Teil zu nehmen. Zum Referenten in dieser Frage wurde Verf. 
bestellt. Neben den primären Geschlechtscharakteren bespricht Verf. die sekun¬ 
dären Geschlechtscbaraktere und betont, daß diese sekundären Geschlechtscharaktere 


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oft verkehrt auftreten (weibliche bei Mänuern und umgekehrt) und führt dies¬ 
bezüglich interessante Beispiele an. Doch müssen wir auch tertiäre Geschlechts¬ 
charaktere unterscheiden. Dieselben äußern Bich im Leben der Psyche. So gibt 
es in jedem Manne auch sogenannte weibliche Charakterzüge, ja es gibt auch 
Übergangsstadien. Die mächtigste Äußerung des tertiären Geschlechtscharakters 
ist die geschlechtliche Neigung, die Liebe. Nun findet man aber bei Individuen, 
an denen körperlich keinerlei Abnormität bemerkbar ist, die Perversion des Ge- 
Bchlechtstriebes, und wir müssen annehmen, daß das Geschlechtscentrum des Central¬ 
nervensystems in entgegengesetztem Sinne organisiert ist. Es wird die Kategorie 
der effeminierten und des hypervirilen Urninge besprochen. Man muß annehmeh, 
daß die Homosexualität nicht erworben, sondern angeboren ist. Allerdings muß 
man die Apologie Hischfelds, der das „dritte Geschlecht“ als zum Führer der 
Menschheit berufen hinstellt, sehr skeptisch hinnehmen. 

Wenn die Homosexuellen gesellschaftliche Interessen nicht gefährden, ist es 
ein Unsinn, sie zu verfolgen. Man muß bloß die Einschränkung machen, daß die 
öffentliche Sittlichkeit nicht verletzt werde, daß keine Gewalt oder Drohung an¬ 
gewandt werde, und daß nicht Menschen unter 16 Jahren dazu verführt werden. 

Hält man diese Prinzipien vor Augen, so wird die Humanität und höheres 
Verständnis gegen die Verfolgung der Homosexuellen sprechen. 

30) Eunuohlsme et örotisme, par P. Marie. (Nouv. Iconogr. de la Salpetrierc. 
1906. Nr. 5.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

40jähriger Eunuch, Ägypter, habitueller Haschischraucher. Größenideen in 
Verbindung mit der genitalen Sphäre: Er hätte eine Prinzessin koitiert, sie sei 
öfter bei ihm, er hört ihre Stimme, er solle sie heiraten usw. Obwohl er schon als 
Knabe kastriert worden ist, rühmt er sich doch seiner Leistungen auf sexuellem 
Gebiet. Er hätte mehrere Frauen, 1000 Kinder. Wenn er die Prinzessin koitiere, 
dann dringe sie in seinen Körper ein und wohne darin (Besessenheitsideen auf 
Grund wahrscheinlicher Allgemeingefühle, kombiniert mit psychischem Erotismus). 
Rühmt sich seiner geistigen Fähigkeiten. Klagt oft über Krämpfe und Schmerzen 
in den Beinen, die von seinen sexuellen Fähigkeiten herrühren sollen, ln die 
Anstalt gebracht, tritt eine tiefe Depression ein, bis sich schließlich eine Art 
Dementia paranoides mit Erregungszuständen herausstellt. Wird „mit Defekt“ 
geheilt entlassen. Übrig geblieben sind nur noch seine genitalen Sensationen in 
Verbindung mit der eingebildeten Heirat. Status: Breites Becken, leichte Gynä¬ 
komastie und Ansammlung von Fett, glattes Gesicht, spärlicher Haarwuchs. Genu 
valgum. Penis und Skrotum in toto kastriert. 

Man kann sich nun den Orgasmus erklären entweder durch Ejakulation eines 
nicht spermahaltigen Inhaltes der Samenblasen (Abbate-Pascha), oder durch Reizung 
der Schleimhaut der Urethra durch Unreinlichkeit (Eunuchen, die in frühester 
Jugend kastriert sind, bedienen sich nach Verf. sehr oft des Katheters), oder 
durch die ammoniakalische Zersetzung des Urins in der Blase. Es kann aber 
andererseits auch die Narbe Sitz von centripetalen Empfindungen sein, ähnlich 
wie bei den Amputierten. 

37) Die forensische Bedeutung der sexuellen Perversität, von Salgö. (Samm¬ 
lung zwangl. Abhandl. VII. H. 4. Hallea/S.) Ref.: E.Meyer (Königsbergi/Pr.). 

Allgemeine Betrachtungen über die forensisch - psychiatrische Seite sexueller 
Perversitäten mit Rücksicht bezüglich auf den § 175 deB deutschen Strafgesetzes. 
Verf. weist darauf hin, daß dieser nicht nur Anwendung finde, wenn es sich um 
Verletzung des öffentlichen Anstandes handele, sondern auch sonst, wenn keinerlei 
Störung dadurch bedingt sei, meint aber, es sei etwas doch nicht deshalb straf¬ 
bar, weil es von dem Verhalten und „Geschmack“ der Allgemeinheit abweiche, 
bestraft könne doch nur werden, „was die Interessen der Gesellschaft in ihren 
Einheiten störe und gefährde“, während bei homosexuellen Handlungen mit freier 


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Zustimmung beider Personen, die dritte Personen gar nicht störten, etwas straf¬ 
fälliges eigentlich nicht vorliege. 

Die weiteren Ausführungen des Verf.’s, die viel Beachtenswertes bringen, 
eignen sich nicht für ein kurzes Referat, nur als besonders beherzigenswert sei 
hier festgelegt, daß auch nach des Verf.’s Ansicht „die Frage der sexuellen Per¬ 
versität als solche nicht Gegenstand der Psychiatrie ist“, daß sie das nur werden 
kann, „wenn sie irgend einen psychotischen Symptomenkomplex als Begleiterscheinung 
kompliziert“. 

Verf. warnt eindrucksvoll vor der Neigung, die konträre Sexualempfindnng 
ohne weiteres in das Gebiet psychiatrischer Begutachtung einzubeziehen, was nur 
da9 Ansehen der Psychiatrie schädigen könne. 

38) Un cos d’exhibitionieme , par Rousset. (Ann. m6d.-psycholog. 1906. 

Mai/Juni.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Freisprechung eines Exhibitionisten, bei dem es sich um einen Zwangszustand 
handelte. 


Therapie. 

39) Über die physiologischen Grundlagen der physikalischen Therapie, von 

A. Goldscheider. (Zeitschr. f. physik. u. diäthet. Therapie. X. 1906/07.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. sucht die physiologischen Grundlagen der physikalischen Therapie klar 
zu legen, hierbei vor allem die Thermo-, Hydro- und Balneotherapie und Massage 
im Auge habend. 

Er unterscheidet: 

1. die direkte (allopathische) Wirkung der physikalischen Prozeduren. Letztere 
wirken wenigstens zum Teil so, daß ihre physiologischen Folgen sich direkt 
fördernd in den Heilprozeß einfügen oder diesen herbeiführen. Eine derartige 
direkte Wirksamkeit macht aber jedenfalls das Wesen der physikalischen Therapie 
nicht aus: schon der Umstand, daß ganz verschiedene Eingriffe die gleiche thera¬ 
peutische Wirkung zeitigen und somit bei ein und derselben Krankheit die ver¬ 
schiedensten, oft diametral entgegengesetzten physikalischen Mittel nutzbringend 
angewandt werden, andererseits aber das gleiche Mittel für ganz verschiedene 
Krankheiteprozesse zur Anwendung gelangt, spricht gegen eine absolute Spezifi- 
zität der einzelnen physikalischen Prozeduren; 

2. die indirekte spezielle (isopathische) Wirkung: die physikalischen Eingriffe 
lösen Regulierungsvorgänge aus und bedingen dadurch eine gewisse Übung des 
Organismus in den Ausgleichungs- und Anpassungsvorgängen, welche nun auch 
dem Heilprozesse zugute kommt; sie stellen zum Teil künstliche Störungen dar, 
durch deren Überwindung der Organismus für die größere Aufgabe des Heil¬ 
prozesses „trainiert“ wird; so fördern sie den natürlichen Heilprozeß. Diese durch 
die physikalischen Eingriffe bedingten natürlichen Regulierungen sind in Zukunft 
in ihrem zeitlichen Verlauf zu ergründen ebenso wie diejenigen klinischen Er¬ 
scheinungen, welche dem Heilprozeß angehören, von denjenigen abzugrenzen sein 
werden, welche zum eigentlichen Krankheitsprozeß gehören. In dieser Richtung 
werden sich die Studien über die physikalischen Heilmethoden zu bewegen haben; 
letztere stellen eine Art Übungstherapie für den erkrankten Organismus dar; sie 
werden schädigend wirken, wenn ihre Anforderungen über das Regulierungs¬ 
vermögen des Organismus hinausgehen oder wenn die Regulierung zwar eintritt, 
aber mit einem übermäßigen Kräfte verbrauch, einer übermäßigen funktionellen 
Leistung verbunden ist; ferner dann, wenn zwar Regulierung eintritt, aber die mit 
dem Eingriff verbundene Reizwirkung üble Neben- oder Fernwirkungen entfaltet; 

3. die indirekte allgemeine Wirkung: sie besteht darin, daß eine allge¬ 
meine Anregung der Funktionen, eine allgemeine erhöhte Arbeit der organischen 

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Betriebstätigkeiten ausgelöst wird, welche irgendwie dem Heilungsprozeß zugute 
kommt. Diese Anregung der Funktionen, dieser Zwang der verschiedenen Organ¬ 
systeme zu energischerer Arbeit, fördert, unmittelbar oder mittelbar, den natür¬ 
lichen Heilprozeß. Die indirekte allgemeine Wirkung kommt vielen physikalischen 
Allgemeinprozeduren (kalten und heißen Bädern, Seebädern, Luftbädern, Höhen* 
klimausw.) zu; eine besondere Form derselben besteht in der allgemeinen Schonung, 
welche die Bedeutung hat, störende Einflüsse von dem natürlichen Heilprozesse 
fernzuhalten. 

Es erscheint Verf. sehr wahrscheinlich, daß wir durch die funktionelle Therapie 
auch auf die pathologischen Prozesse einzuwirken, anatomische Wirkungen hervor* 
zubringen vermögen, da wir die Nutrition und Funktion beeinflussen können. 

Für die Zukunft wünscht er, daß die Studien über die Einwirkung der 
physikalischen Prozeduren beim Kranken vertieft, die Reaktion in ihrem zeit¬ 
lichen Verlauf eingehender registriert, die konstitutionellen und psychologischen 
Faktoren und die Beziehungen zur Mechanik des natürlichen Heilprozesses ana¬ 
lysiert werden. 

40) Zur Frage der Luft- und der sogen. Waeser-Luftdouohen, von Dr. med. 

et phil. P. Prengowski. (Archivf.Psych.u.Nervenkr. XLII.) Ref.: Heinicke. 

Davon ausgehend, daß schwere Neurastheniker sich oft wohl fühlen, und, 

wenn sie in Erregung sind, rasch Beruhigung finden, wenn sie sich dem starken 
Strom der kühlen, feuchten Luft aussetzen, führte Verf. an sich Doucheversuche 
aus, um die gewonnenen Resultate eventuell später therapeutisch verwerten zu 
können. Die Versuche des Verf.’s umfassen 4 Gruppen: 

a) mit kalter Luft, 

b) mit erwärmter Luft, 

c) mit dem Luftstrome mit gewöhnlicher Temperatur, 

d) mit dem Luft-Wasserstrome. 

Bei jeder auf der Körperoberfläche der Neurastheniker angewandten Prozedur 
handelt es sich, wenn anders sie günstig wirken soll, um die Erweiterung der 
Hautgefäße, d. h. die Haut muß gerötet und erwärmt werden. Die Prozedur ist 
aber schädlich, wenn das Gegenteil der Fall ist, die Haut blaß und kühl wird. 

Nach dem Urteil des Verf.’s wirken die Versuche sub d in diesem Sinne am 
günstigsten. Verf. fand nicht nur stets die Rötung und Erwärmung, sondern er 
begegnete hier auch nicht dem schmerzhaften, stechenden Gefühl, welches bei 
Versuchen sub a und b manchmal auftrat. 

Nächst den Versuchen mit dem Luft-Wasserstrome sind die Resultate der 
Gruppe a am günstigsten; Verf. Bah hier stets die gewünschte Hautröte. 

Bei der Beströmung mit warmer Luft zeigte sich zwar die unmittelbar be- 
strömte Stelle erwärmt, während die umliegenden Partien sioh abkühlten. Die 
ausBtrömende Luft wurde aber sehr rasch kühl und wirkte dann schon als kühle 
Luft. Die Rötung trat an der beströmten Stelle nur bei geringerer Entfernung 
derselben von der Rohröffnung sowie bei höherer Temperatur der Luft auf und 
war gewöhnlich nicht groß. 

Man kann daher, wenn man noch berücksichtigt, daß zuweilen stechende und 
brennende Schmerzen bei dieser Behandlung auftreten, ihrer Anwendung kaum 
das Wort reden. 

Viel mehr zu hoffen lassen die Versuche sub c. 

41) Therapeutische Erfahrungen Aber die Verwendbarkeit des Bornyvals 
bei funktionellen Beschwerden unterleibskranker Frauen, von Dr. 

Rattner. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 41.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Verf. begrüßt das Bornyval als „ein willkommenes und dankenswertes Mittel, 
das Bich in vielen Fällen als Analeptikum und Karrainativnm, als Antihysterikum 
und Antineurasthenikum bestens bewährt hat“. Das aktive Prinzip des Baldrians, 

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der Isovaleriansäureester, kommt chemisch rein und genau dosierbar zur An* 
Wendung. 

42) Traitement de oertains oas de neurasthenie par le fer, par Lemoine. 
(Progris medical. 1906. Nr. 36.) Ref.: Viktor Lippert (Wiesbaden). 
Das Eisen spielt eine wichtige Rolle bei der Umwandlung des Hämoglobins 

in Oxyhämoglobin; es ist so der Träger der Oxydation in die Zellen der Gewebe; 
das so empfindliche und gleichzeitig als Regulator aller wesentlichen Funktionen 
so wichtige Nervensystem erfährt in erster Linie unter allen anderen Organen 
bzw. Geweben eine Schädigung, sobald eine Änderung des Hämoglobins und 
besonders eine Verringerung des Eisengehaltes desselben eintritt. Die 
Störungen sind zunächst im allgemeinen leichter, intermittierender Art; hält das 
Defizit an Eisen im Blut längere Zeit an, so steigern Bie sich. 

Verf. hat in seiner Praxis eine ganze Reihe von Neurasthenikern be* 
obachtet, bei welchen Eisen ausgezeichnete Dienste geleistet hat; allerdings be* 
wirkt es seiner blutdrucksteigernden Eigenschaft wegen bei Überreizten Nervösen, 
wie Paralytikern und Hysterischen, eine Verschlimmerung der Erregungszustände. 

Da die Kranken, oft anämisch, fast stets an Subazidität leiden, gibt er zur 
Erleichterung der Eisenaufhahme und um die Verdauung anzuregen, gleichzeitig 
Salzsäure. Um die Kur zu vervollständigen, läßt Verf. noch ein eisenhaltiges 
Mineralwasser nehmen, welches Kalksalze und Magnesia in genügenden Mengen 
enthält, zwecks Erzielung einer regelmäßigen und leichten Defäkation. 

43) Heilung hysterischer Kontrakturen durch Lumballähmung, von Prof. 
WilmB. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 24.) Ref.: R. Pfeiffer. 
Verf. verwandte die bei der Lumbalinjektion zugleich mit der Anästhesie auf* 

tretende Muskellähmung mit positivem Erfolg zur Heilung einer hysterischen Kon¬ 
traktur. Die Anästhesierung geschah mit 6 ctg Stovain. Vor dem Eingriff hielt 
der Patient das linke Bein im Hüfit-, Knie* und Fußgelenk straff fixiert bei 
intensiv kontrahierter Muskulatur. Hüft- und Kniegelenk wurden vollkommen 
frei beweglich, im Fußgelenk restierte eine geringe Fixation. 


III. Aus den Gesellschaften. 


XXIV. Kongreß für innere Medizin in Wiesbaden 
vom 15. bis 18. April 1907. 

Ref.: Dr. Gierlich (Wiesbaden). 


Nach der Begrüßung des Kongresses, der heute auf ein 25jähriges Bestehen 
zurückblickt, seitens der Stadt und verschiedener Behörden, gedenkt Herr v. Leyden 
in einer längeren Eröffnungsrede der Entwicklung der inneren Medizin in den 
letzten 25 Jahren, die uns vor allem die Entdeckung des Tuberkelbazillus, den 
Aufschwung der Bakteriologie, die Serumtherapie und das Auffinden der Röntgen- 
Strahlen gebracht hat. Er betont den engen Zusammenhang der Lehren der 
inneren Medizin mit dem fortgeschrittenen Ausbau der Naturwissenschaften und 
geht dann auf die Förderung der wissenschaftlichen Therapie in diesem Zeitraum ein. 

Alsdann erstattet Herr Schultze (Bonn) ein umfassendes Referat über: Neu¬ 
ralgien und ihre Behandlung. Man versteht unter Neuralgien Schmerzen, 
die innerhalb der die Gefühlsempfindung vermittelnden Nerven- 
Substanz entstehen, dem Verlauf dieser Bahnen folgen und sich durch 
große Intensität und anfallsweises Auftreten auszeichnen. Es ist da¬ 
bei gleichgültig, ob diesen Schmerzen nachweisbare Veränderungen der Nerven- 
substanz zugrunde liegen oder nicht. Neuralgien sind nur Krankheitssymptome 
und mit der Diagnose „essentielle Neuralgie“ soll man so sparsam als möglich 
sein. Als Ursache der Neuralgien ist zuerst mechanischer Druck zu nennen. 


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Doch führt nicht jeder Druck auf den Nerven zur Neuralgie. Es müssen hier 
noch besondere Bedingungen vorliegen, die wir nicht kennen. Für die neural¬ 
gischen Schmerzen in den Amputationsstümpfen und dem N. trigeminus werden 
Verwachsungen als Ursache angenommen, die durch Zerrung eine Summation der 
Reize herbeiführen, die zur Neuralgie führt; ähnlich bei der Ischias. Gallenstein* 
und Darmkoliken, die früher auf Druck zurückgeführt wurden (Nothnagel), 
sollen die Folge von Ischämie der Darmwand sein; auch Zerrungen abnormer Art 
sind angeschuldigt worden. Die Hauptursache für Neuralgien bildet die Ent¬ 
zündung des Nerven, Neuritis oder Perineuritis. Sie verläuft oft unter Erschei¬ 
nungen einer reinen Neuralgie, ist also klinisch von dieser nicht zu trennen. 
Hierher zählen Trigeminusneuralgie infolge Zahnaffektion, die neuralgischen 
Schmerzen bei Tabes, Ischias, Neuralgien bei Gicht, Diabetes, Alkoholvergiftung. 
Ferner haben Infektionskrankheiten und sicher auch Erkältungen, namentlich die 
Einwirkung kalter Winde auf den überhitzten Körper, Neuralgien im Gefolge, 
wenn die Art der Einwirkung auch noch rätselhaft ist. Nach Ausschaltung dieser 
Formen bleiben noch viele Neuralgien übrig, bei denen eine gröbere organische 
Ursache nicht angenommen werden kann, so die hysterischen und neurasthenischen 
Neuralgien, die BeschäftigungBneurosen, bei denen vielleicht Ermüdungsstoffe im 
Spiele sind. Toxische Einflüsse spielen wohl eine Rolle bei Neuralgien infolge 
von Arteriosklerose, Gicht, Schrumpfniere. Neuropathische Belastung und Anämie 
wirken prädisponierend; letztere ist aber mehr die Folge der Neuralgie, als man 
annimmt. 

Unsere anatomischen Kenntnisse über die Veränderungen bei Neuralgie 
sind sehr gering. Bei der neuritischen Form fand man Degenerationen und ent¬ 
zündliche Veränderungen am Nervengewebe, venÖBe Stase, sklerotische Verände¬ 
rungen der Gefäße. Man hat bisher nur exzidierte Stücke untersucht, nicht den 
ganzen Nerv. 

Der Ausgang des Schmerzes kann von jedem Punkt der Nervenbahn er¬ 
folgen. Je mehr dieser peripherwärts liegt, umsomehr ist der Schmerz lokalisiert 
auf einen Nerven. Die psychischen und die hemiplegischen Neuralgien sind meist 
diffuser Art. 

Was die Symptomatologie angeht, so können Druckpunkte vorhanden seiD, 
wie meist bei der neuritischen Form der Neuralgien, oder auch fehlen. Sie sind 
zu konstatieren durch Miene, Abwehrbewegungen, Pulszahl und Blutdruckverände¬ 
rungen. Ferner fehlen oft die Sehnenreflexe, so der Patellarsehnenreflex bei Lichias. 

Vortr. bespricht nun die Differentialdiagnose und warnt besonders vor 
Verwechslung der Ischias mit intermittierendem Hinken und Plattfuß, so¬ 
wie der Brachialneuralgie mit beginnender Paralysis agitans. 

Die Therapie sucht durch chemische Mittel die Schmerzen zu beeinflussen. 
Hierher gehören Salicylpräparate, Arsen, Akonitin, Strychnin. Vortr. schildert 
dann die physikalischen Heilmethoden, die in Anwendung kommen, und die un¬ 
blutige Dehnung. In neuester Zeit hat man durch Injektionen von chemischen 
Substanzen in die Nervenstämme und deren Umgebung Heilung der Schmerzen 
zu erreichen gesucht. Man verwandte Akonitin, Strychnin, Kochsalz, Argentum 
nitricum, Osmium (dieses führte einige Male zu Lähmungen!), Kokain, Alkohol. 
Besonderen Erfolg hat Schlösser, der 4g 80°/ 0 igen Alkohol einspritzt, und 
Lange, der größere Mengen physiologische Kochsalzlösung injiziert, um durch 
Druck zu wirken. Bei den schwersten Neuralgien schreitet man zu chirurgischen 
Eingriffen: Resektion von Nervenstücken, auch Ausreißen empfohlen, und hei 
Trigeminusneuralgien zur Exstirpation des Ganglion GasBeri (Krause-Berlin). 

Als Korreferent sprach Herr Schlösser (München) über: Erfahrungen in 
der Neuralgiebehandlung mit Alkoholeinspritaungen. Vortr. hat nach vielen 
Versuchen gefunden, daß Alkohol, in 70 bis 80°/ 0 iger Konzentration an den Nerv 


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gebracht, die Stelle des Nerven zur Degeneration und Besorption all seiner Teile 
außer dem Neurilemm bringt. Er basierte auf diese Beobachtung eine Behandlungs¬ 
methode der Neuralgien, indem er 80°/ o igen Alkohol sowohl möglichst central an 
den erkrankten Nerven, als an eine oder zwei näher der Peripherie liegende 
Stellen desselben Nerven brachte. Die hierdurch bedingte Degeneration des Nerven 
bezweckt einen Ersatz für eine ausgedehnte Nervenexzision. Das Hauptgebiet 
der Behandlung betrifft Trigeminusneuralgie. Vortr. geht mit einer starken, etwas 
stumpfen Nadel durch die Wange bis zum unteren Ende des großen Keilbein¬ 
flügels vor, tastet sioh dann in die Höhe bis zur Schädelbasis bzw. bis zum 
Foramen ovale oder rotundum. Er spritzt nun kleine Quantitäten Alkohol ein 
und wiederholt diese Einspritzung so oft, bis sie nicht mehr schmerzhaft ist. 
Nuch Herausnahme der Nadel hat Patient nur noch ein Gefühl von Geschwollen- 
und Pelzigsein in der peripheren Ausdehnung des betreffenden Nervenastes. Nach 
etwa 2 Tagen kehren meist neuralgische Anfälle wieder, die dann durch Ein¬ 
spritzung in der oben beschriebenen Weise in periphere Teile des befallenen 
Nervenastes zum Verschwinden gebracht werden. Vortr. behandelte außer dem 
Trigeminus auch eine Beihe anderer Nerven. Er stellt für diese folgende Leit¬ 
sätze auf: Die Behandlung der rein oder vorzugsweise sensiblen Nerven bezweckt 
eine möglichst ausgedehnte Vernichtung des Nerven. Bei rein oder vorzugsweise 
motorischen Nerven muß ein Zustand der leichten Parese durch sukzessive Gaben 
kleiner Quantitäten Alkohols erzielt werden. Die gemischten Nerven bieten die 
Annehmlichkeit, daß ihr sensibler Teil wesentlich empfindlicher gegen Alkohol 
ist als ihr motorischer. Sie sind gleich den motorischen zu behandeln. Vortr. 
behandelte im ganzen 209 Fälle mit seiner Methode, von denen 7 als hysterische 
ausscheiden. Von den übrigen betrafen 123 Trigeminusneuralgien, die bald einen, 
bald mehrere Äste befallen hatten. Die Heilungsdauer bzw. Zeit bis zum Auf¬ 
tritt eines Bezidivs betrug 10,2 Monate durchschnittlich, bei 38 Fällen von Ischias 
trat nur in 2 Fällen ein Bezidiv ein nach 3 bis 6 Monaten. Die übrigen Fälle 
von Neuralgie blieben ohne Bezidiv. Auch in 2 Fällen von lanzinierenden 
Schmerzen bei Tabes wandte Vortr. seine Methode mit gutem Erfolg an. Von 
11 Fällen mit Fazialisklonus blieben neun ohne Bezidiv. Von üblen Zufällen 
sah Vortr. zweimal Paresen im Fazialis, zweimal im Okulomotorius, die alle in 
einigen Monaten zurückgingen. 

Es folgt nun ein Vortrag von Herrn J. Lange (Leipzig): Neuralgiebehand¬ 
lung durch Injektion unter hohem Druok. Er benutzt die Injektion großer 
Mengen (bei Ischias 80 bis 100 ccm) indifferenter Flüssigkeiten, z. B. physio¬ 
logischer Kochsalzlösung, um mechanisch eine Dehnung des Nerven zu erzielen. 
Er injiziert unter hohem Druck. Er wendet die Methode seit 5 Jahren an und 
hat vorzügliche Erfolge gesehen, von denen er eine Beihe anführt. Versuche am 
Kaninchen ergaben, daß außer Aufquellung keine anatomischen Veränderungen an 
Nerven gefunden wurden. Weshalb also der Kranke schmerzfrei wird, bleibt 
rätselhaft. 

Die nun folgende Diskussion über diesen Vortrag und die beiden Beferate, 
in der 20 Herren das Wort nahmen, erstreckte sich meist über die therapeutischen 
Maßnahmen bei Neuralgien. Bei den akuten Fällen wurden Bettruhe und Salizyl- 
präparate besonders warm empfohlen, ferner die verschiedenen Formen der physi¬ 
kalischen Heilmethoden. Bei den chronischen Fällen wurde auch die Injektions- 
tlierapie sehr gerühmt. Eine neue Methode beschreibt noch Herr Alexander 
(Berlin). Er injiziert entgegen Lange kleine Mengen, aber differenter 
Flüssigkeit, nämlich lOccm Kokain in Form der Schleichschen Lösung Nr. 2, 
und zwar hält er sich bei den Einspritzungen an die schmerzhaften Punkte, die 
oft nicht im Nervenstamm, Bondern in der ihn umgebenden Muskulatur sich finden. 
Der Schmerz sei eben oft bedingt durch reflektorischen Muskelkrampf. Bei den 

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schwersten Fällen muß zur Operation geschritten werden. Herr Krause (Berlin) 
hat nun 56 mal das Ganglion Gasseri exBtirpiert mit nur 8 Todesfällen. Bei 
völliger Exstirpation sei ein Rezidiv unmöglich. 

Von der großen Menge der weiteren Vorträge haben noch folgende besonderes 
neurologisches Interesse: 

Herr Pel (Amsterdam) berichtet über Myasthenia pseudoparalytioa und 
Hyperleukoeytose. Er glaubt, daß hochgradige langdauernde Überanstrengung 
bei großer seelischer Erregung oft die Ursache der Myasthenie darstellt, indem 
der Stoffwechsel der Zelle, wenn er einmal durch Überanstrengung alteriert sei, 
diesen ZuBtand unter Umständen beibehalten könne. Das Verhalten der Leuko- 
cythen bei solchen Patienten, welche an schlechten Tagen bis zur doppelten Zahl 
gegenüber den guten Tagen anstiegen — z. B. 14000 gegen 7000 in 1 omm Blut —, 
läßt auf die Anwesenheit von Giften schließen, die zeitweise im Blute kreisen. 

Es sprachen ferner: 

Herr v. Jaksch (Prag): Über ohronlsohe Manganintoxikation. Von dieser 
seltenen Affektion sind im Ganzen nur 9 bis 10 Fälle bekannt. Im Jahre 1901 
konnte Vortr. 3 Fälle beobachten, im Jahre 1902 einen weiteren. Die Haupt- 
Symptome sind: ZwangBlachen, Zwangsweinen, Retropulsion, psychische Alteration 
und gesteigerte Reflexe. Nach Abklingen dieser schweren Erscheinungen stellt 
sich ein eigentümlicher Gang ein, der weder spastisch noch paretisch genannt 
werden kann. Die Kranken treten mit dem Metatarsophalangealgelenk auf. Es 
besteht keine Lähmung. Ein Mal beobachtete Vortr. auch einen Fall von Auto* 
Suggestion obiger Symptome infolge Manganophobie. Von den Verbindungen des 
Mangan ist das Manganoxydul als Krankheitserreger anzusprechen. Sein Eintritt 
in den Körper erfolgt wahrscheinlich durch die Lunge. 

Herr Fedor Krause (Berlin): Zur Kenntnis der Rüekenmarksllhmuiigen 
(s. d. Centralbl. 1907. S. 383). Vortr. fand in 4 Fällen, bei denen auf Grund 
der charakteristischen Symptome die Diagnose eines Rückenmarkstumors gestellt 
war, anstatt des Tumors nur an der Stelle des Tumors eine cirkumskripte An* 
häufung von Liquor, die infolge einer chronischen Arachnoiditis sich gebildet 
und die Lähmungserscheinungen hervorgerufen hatte. Die Ursache der Arach¬ 
noiditis war im ersten Falle Gicht, im zweiten Lues, im dritten unbekannt, im 
vierten Nekrose des Wirbels. Die Lumbalpunktion hatte normale Verhältnisse er¬ 
geben. Die Punktion am Orte des Druckes könnte auch leicht täuschen, da 
oberhalb und unterhalb von Tumoren auch umschriebene Ansammlung von Liquor 
vorkommt. Vortr. Bah dies unter 20 Tumorfällen 8 mal. 

Herr Sohultze (Bonn) bemerkt hierzu, daß ihm eine Ansammlung von 
Liquor bei Rückenmarkstumoren nicht bo oft vorgekommen ist. 

Herr Gutzmann (Berlin): Zur Behandlung der Aphasie. Die Regel, daß 
die Übungsbehandlung der Aphasie bei älteren Leuten keine günstige Prognose 
habe, ist in dieser allgemeinen Fassung nicht richtig. Die Indikation für die 
Übungstherapie muß sorgfältig geprüft werden. Außer manchen anderen hängt 
die Indikation ab: 1. von dem allgemeinen Zustande des Patienten im 
Anschluß an die Attacke. Es müssen sämtliche akute Erscheinungen abgeklungen 
sein und ein chronischer Zustand relativen Wohlbehagens bestehen. Dies läßt 
sich u. a. auch aus dem längere Zeit anhaltenden unveränderten Gleichbleiben 
des sprachlichen Zustandes entnehmen. Vortr. empfiehlt, mit der systematischen 
Übungstherapie erst zu beginnen, wenn der sprachliche Zustand mindestens V 4 
bis Jahr unverändert geblieben ist. Zu früher Beginn der Übung ist wegen 
der schweren Ermüdungs- und Reizzustände gefährlich. 2. Vom Zustande des 
Intellektes. Bei größeren intellektuellen Defekten ist es zwecklos, die Übungs* 
therapie zu beginnen, die ja von seiten des Patienten einen hoben Grad von 
Aufmerksamkeit und Verständnis erfordert. Vortr. macht daher den Beginn der 

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Übungstherapie stets von einer möglichst genauen und öfters wiederholten Prüfung 
des intellektuellen Zustandes des Patienten abhängig. 3. Von der Affekt¬ 
labilität des Patienten. Wenn diese direkt abhängig ist von unlustbetonten 
Vorstellungen, so handelt ob sich gerade gewöhnlich um reoht intelligente Personen, 
bei denen der Gedanke an ihren hilflosen sprachlichen Zustand beständig im 
Vordergründe des Bewußtseinsinhaltes steht. Dies ist besonders dann der Fall, 
wenn die Erinnerung an den früheren Zustand einen starken Kontrast bildet (bei 
Lehrern, Predigern). Stellen sich bei der Übung Schwierigkeiten ein, so hat man 
oft große Mühe, die Patienten bei guter Stimmung zu erhalten. Es ist daher 
sehr wesentlich, das Fortschreiten in der Übung dementsprechend einzuriohten. 
4. Vom Alter. Es ist natürlich, daß selbst schwere Ausfallserscheinungen bei 
Kindern und jugendlichen Personen sich überaus häufig spontan ausgleichen und 
hier von der Übungstherapie verhältnismäßig leichte Triumphe gefeiert werden. 
Man soll sich aber auch bei älteren Personen, wenn nur die Indikationen unter 
1 und 2 erfüllt sind, von der systematischen Übung nicht abhalten lassen. Vortr. 
erwähnt eine Anzahl von Patienten zwischen 40 und 50 Jahren, die mit gutem 
Erfolge behandelt wurden; einen Prediger von 65 Jahren, der nach l 1 ^ Jahre 
bestehender Aphasie (es handelte sich vorwiegend um aphatisches Stottern und 
Akataphasie) wieder dienstfähig geworden ist und seit mehreren Jahren wieder 
seinen Amtshandlungen obliegt; einen 74jährigen Herrn, der nach 4 Jahre lang 
unverändert bestehender totaler kortiko- motorischer Aphasie wieder zum Sprechen 
einfacher Worte und kleiner Sätze gebracht wurde, so daß er seinen Wünschen 
Ausdruok verleihen konnte u. a. m. 5. und 6. Die Dauer des Bestehens der 
Aphasie beschränkt die Indikation zur Übungsbehandlung ebensowenig wie der 
Grad der aphatischen Störung. Es wurde z. B. eine 10 Jahre lang bestehende, 
vollständige kortiko-motorische Aphasie bei einem 40jährigen Offizier, der zahl¬ 
reiche Behandlungsarten (Bäder, Sohmierkur usw.) ohne Erfolg vorher durchgemacht 
hatte, noch gänzlich beseitigt. 

Auf die Therapie selbst geht Vortr. nur insoweit ein, als er die systema¬ 
tischen Schreibübungen mit der linken Hand noch besonders hervorhebt und 
darauf hinweist, wie sich die Fähigkeit der rechten Hirnrinde für die Leitung 
der koordinierten Sprachbewegungen offenbar parallel der erreichten Geschicklich¬ 
keit der linken Hand bewege. Er legt dafür mehrere Schreibproben, u. a. eine 
eines 40jährigen und die des oben erwähnten 74jährigen Patienten vor. In einem 
Fall mußten die Übungen, da rechts komplette Lähmung bestand, links die Hand 
aus Holz war (Hand und ein Teil des Unterarmes war in früher Jugend durch 
einen Schrotschuß zerstört worden), mit dieser Holzhand gemacht werden: mit dem¬ 
selben günstigen Erfolg, wie die Vorlage der Schriftprobe erweist. Autoreferat. 

Herr Honigmann (Wiesbaden): Über Krlegsneurosen. Neurosen nach 
Kriegswunden sind noch selten beschrieben. Sie bieten einen interessanten Ver¬ 
gleich mit Unfallsneurosen. Vortr. konnte bei 20 im russisch-japanischen Kriege 
verwundeten russischen Offizieren Neurosen feststellen. Meist handelt es sich um 
hystero-hypochondrische Beschwerden allgemeiner Art, einmal um eine hysterische 
Monoplegie des rechten Armes, einmal um Muskelkrämpfe bei Berührung der Haut. 
Von den Unfallkranken unterscheiden sich die hier erwähnten durch ihren 
Bildungsgang und Lebensstellung, durch die berufliche Ausbildung, die für den 
Krieg erzieht, so daß die Verletzung nicht unvermutet kommt und durch den 
Wegfall des Kampfes um die Rente. Die Symptome der traumatischen Neurosen 
kommen bei beiden in gleicher Weise vor. 

Erhöhte Beachtung erweckten die Mitteilungen Veraguths über eine Methode 
zum objektiven Nachweis von Hyperästhesien und Anästhesien, die jedoch noch 
der Nachprüfung bedarf und für die Einführung in die allgemeine Praxis noch 
zu kompliziert erscheint. 


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In der Diskussion machte Herr Sticker (Wien) Prioritätsansprüche geltend. 
Ich lasse das Autoreferat folgen: 

Herr Veraguth (Zürich) referiert über eine Methode sum objektiven 
Nachweis von Sensibilitfttsstörungen , welche auf den Tatsachen des psycho- 
galvanischen Reflexphänomens beruht. Wenn man eine galvanische Batterie 
von niederer, aber konstanter Spannung leitend verbindet mit einem Drehspulen- 
Galvanometer mit Nebenschlußwiderstand einerseits und dem menschlichen Körper 
in bestimmter Kontaktanordnung andererseits, so zeigt nach Schließung dieser 
Kette, und bei Vermeidung von willkürlicher Änderung des Kontaktes das Gal¬ 
vanometer Schwankungen, die in kausalem Zusammenhang stehen mit Vorgängen 
im Körper deB eingeschalteten Menschen. Diese Oscillationen sind durch eine 
zwischen Ursache und Wirkung eingeschobeno beträchtliche Latenzperiode aus¬ 
gezeichnet. Zu den Ursachen, welche eine solche Galvanometerdrehung provo¬ 
zieren können, gehören u. a. auch sensorielle Reize. Dem auf diese Weise mani¬ 
fest werdenden Phänomen kommt der Name psycho - galvanischer Reflex zu. Für 
weitere Details muß auf die Literatur verwiesen werden. 1 Die Eignung dieses 
Phänomens zur objektiven SensibilitätBuntersuchung gründet sich auf die Tat¬ 
sachen, daß die Galvanometerschwankungen der Willkür der Versuchspersonen 
entzogen sind und daß es nicht die Reizung der sensiblen Nervenbahnen tiefer 
Ordnung ist, welche die Galvanometerschwankung provoziert, sondern der Affekt- 
betrag, der sich in der Psyche der gereizten Versuchsperson an den Reiz heftet. 
Die Galvanometerdrehungen werden, durch Spiegel Vorrichtungen meßbar, in 
Millimetern einer Skala ausgedrückt. Bei der Anwendung von sensiblen Reizen 
sind, unter Beobachtung der nötigen Kautelen klare positive Resultate zu er¬ 
langen, indem beim Reiz anästhetischer Hautstellen keine oder kleine Galvano¬ 
meterausschläge, beim Beiz normaler Hautstellen größere und beim Reiz 
hyperästhetischer Stellen noch größere resultieren. Dies wird an Tabellen über 
Untersuchungen von Fällen von künstlicher lokaler Anästhesie, peripherer Nerven¬ 
durchtrennung, Plexusdurchtrennung, Syringomyelie, Druckschmerzhaftigkeit nach 
Kontusionen, und Druck auf Valleixsche Druckpunkte bei Neuralgie demon¬ 
striert. Referent schildert auch sein photographisches Verfahren, mittelst dessen 
die Galvanometerbewegungen automatisch registriert und zeitlich gemessen werden 
können. Auf den Prioritätsanspruch Stickers antwortet Vortr. mit dem 
Hinweis auf die Tatsache, daß dieser Autor mit einer elektrologisch grundsätzlich 
anderen Methode (keine körperfremde Stromquelle, keine Metallelektroden) 
negative Resultate erzielt und die Verwertbarkeit seiner Untersuchungen für die 
objektive Registrierung von Sensibilitätsstörungen selbst ausdrücklich ver¬ 
neint hat.* 


1 Veragnth, Das psycho-galvanische Reflexphänomen. Monatsschrift f. Psychiatric 
n. Neurologie. XXI. 

* Sticker (Wiener klin. Rundschau. 1897): „So hätte ich denn schließlich die Resultat¬ 
losigkeit meiner Bemühungen um eine praktische Methode zur objektiven Darstellung voo 
Sensibilitätsstörungen zu beklagen.“ 

Sticker (Comptes rendns des Seances du II. Congres international d’electrologie et 
de radiologie medicales, Bern 1902): „Genauere Beobachtung ergab, daß zu der peripheren 
Anästhesie der zu reizenden Hautstelle zugleich eine krankhafte oder künstlich erzengte 
Lähmung der Hautkapillaren hinzukommen muß. damit der Erregungsstrom ausbleibe euer 
bedeutend abgeschwächt sei. Dadurch war die praktische Verwertung des Erregungsstromes 
zur objektiven Darstellung von peripheren Sensibilitätsstörungen zwar nicht ausgeschlossen, 
aber sehr erschwert." Über diese Modifikation des Experimentes berichtet Sticker schon 
in der Arbeit in der Wiener klin. Rundschau (s. oben), daß durch Einwirkung von warmem 
Wasser, starkem Reiben, erheblicher Abkühlung der Hant sich erreichen lasse, „daß bei 
völlig, erhaltener Sensibilität“ das Phänomen ausbleibt. 

Über positive Resultate und objektive Sensibilitätsuntersuchungen ist 
indes auch in dem Berner Kongreßbericht keine Angabe zn finden. 


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Herr Maximilian Sternberg (Wien) demonstriert einen verbesserten 
Dynamometer and bespricht die Ergebnisse von damit angestellten Unter¬ 
suchungen, insbesondere an Hemiplegikern. Nimmt ein gesunder Mensch in jede 
Hand ein Dynamometer und drückt darauf, so bleibt die Kraftleistung die gleiche, 
ob er nun abwechselnd oder gleichzeitig mit beiden Händen maximal drückt. 
Anders ist es beim Hemiplegiker. Hier besteht meist ein deutlicher Effekt der 
gleichzeitigen Arbeit der beiden Hirnhemisphären (Simultaneffekt) und zwar wird 
entweder die Kraft der gelähmten Hand bei gleichzeitigem Druck noch weiter 
geschwächt oder sie ist gesteigert. Das erstere ist etwas häufiger. Auch wechselndes 
Verhalten kommt vor. Die bisher allgemein angenommene Angabe von Pitres 
ist nicht ganz richtig; mit ihr fallen auch einige Theorien, die sich darauf stützen. 

Autoreferat. 

Herr Ratner (Wiesbaden) macht kurze Mitteilungen über Untersuchungen 
sur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans. Er färbte nach 
Weigert-Pal, ferner mit Nigrosin und Nissl-Toluidin und fand Veränderungen 
an den Ganglienzellen und den Blutgefäßen des Rückenmarkes sowie der Neuroglia 
der weißen Substanz. Im Gehirn waren alteriert namentlich die tangentialen 
Fasern und die Ganglienzellen der Rinde; letztere aber in geringerem Grade als 
im Rückenmark. Vortr. verweist bezüglich genauerer Angaben auf die spätere 
Veröffentlichung. 

Herr Huismans (Köln) demonstriert die Präparate eines Falles von familiärer 
amaurotischer Idiotie. Anatomisch eine Sinusthrombose und chronische Pachy- 
und Leptomeningitis mit ihren Folgen, klinisch das typisehe Bild der Tay-Sachs- 
schen Krankheit, bildet er den Übergang zwischen der letztgenannten und den 
cerebralen Diplegien und beweist, daß es nicht angängig ist, die Tay-Saohssche 
Idiotie für ein besonders charakteristisches Krankheitsbild zu halten. (Der Vor¬ 
trag erscheint ausführlich in den Verhandlungen des Kongresses.) Autoreferat. 

Herr Kohnstamm (Königstein) lobt die Behandlung der Verstopfung 
mit fleischloser Ernährung. Ersatz des Fleisches durch Milch und Butter 
brachte regelmäßig nach wenigen Tagen klinischer Behandlung Heilung. Die 
Methode bewährte sich auch bei spastischen Obstipationen, bei Achylia gastrica, 
und Hyperazidität, die mit Verstopfung einhergeht, sowie bei Verstopfung nach 
Laparotomie. Ohne Zweifel spielt der Fleischgenuß unter den Ursachen der Ver¬ 
stopfung eine hervorragende Rolle. 


Sooidte de neurologie de Paris. 

Sitzung vom 10. Januar 1907. 

Herr No'ica und Herr Marbe (Bukarest): Über Dissoziation der Sehnen- 
und Hautreflexe bei den spastischen organischen Hemiplegien. Die Vortr. 
haben 22 Hemiplegiker untersucht, darunter 6 Kinder, 1 Fall von Diplegie und 
2 Fälle von Hemiplegie nach Hemikraniektomie bei Epileptischen. Die übrigen 
Fälle variierten im Alter von 31 bis 65 Jahren. Im allgemeinen fanden sie bei 
allen Hemiplegikern eine Dissoziation zwischen den Haut- und Sehnenreflexen. 
Die Hautreflexe sind meistens abgeschwächt auf der gelähmten Seite. Oft findet 
man aber bei demselben Kranken einige Hautreflexe ganz aufgehoben, die anderen 
gut konserviert und wieder andere nur abgeschwächt. Dagegen sind die Sehnen¬ 
reflexe auf der gelähmten Seite immer erhöht. Es besteht immer das Babinski- 
Zeichen und Behr oft Fußklonus. Auf der nicht gelähmten Seite sind die Haut- 
und Sehnenreflexe meistens normal. Nicht selten aber sind selbst auf dieser 
Seite die Sehnenreflexe erhöht und das Babinski-Zeichen vorhanden. Je frischer 


die Erkrankung war, um so mehr war die Dissoziation der Reflexe ausgesprochen. 
So in einem Fall ergab die Untersuchung 14 Tage nach dem Ictus gesteigerte 


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Sehnenreflexe und aufgehobene Hautreflexe. 35 Tage später waren schwache 
Hautreflexe wieder vorhanden. Dasselbe wurde hei einem zweiten Kranken kon¬ 
statiert: 1 Monat nach dem Begiun der Krankheit Sehnenreflexe gesteigert, Haut¬ 
reflexe geschwunden. 5 Monate später schwache Hautreflexe vorhanden. Bei 
den erwachsenen Kranken (zwischen 31 und 65 Jahren) bleiben die wiederauf¬ 
tretenden Hautreflexe immer schwächer als auf der nicht gelähmten Seite. Da¬ 
gegen sind die Hautreflexe bei Kindern nach einer gewissen Dauer der Krankheit 
immer sehr gesteigert auf der gelähmten Seite. Die Resultate der Vortr. sind 
in Übereinstimmung mit Dejerines Ausführungen, die dahin lauten, daß bei 
organischen Hemiplegien die Hautreflexe, obwohl sie schwach bleiben, doch eine 
Tendenz zur Erhöhung zeigen, wenn auch eine schwächere als die Sehnenreflexe. 
Dagegen widerlegen die Resultate der Vortr. die Behauptungen von Crocq, 
nach welchen die Hautreflexe mit der Zeit eine Tendenz zur Abschwächung zeigen. 

R. Hirschberg (Paris). 


IV. LandeskongreB der ungarlsohen Irrenärzte in Budapest 
am 29. und 30. Oktober 1906. 


(Fortsetzung.) 

Herr Emil Moravcsik bespricht einige motorische Eigentümlichkeiten 
der Geisteskranken und betont, daß die moderne psychiatrische Auffassung ihre 
Grundzüge der klinischen Forschung verdankt, welche in neuerer Zeit mächtig 
unterstützt wird durch psychophysiologische und psychophysische Studien. Eine 
detaillierte und eingehende Analyse der klinischen Erscheinungen ist demnach 
von besonderer Wichtigkeit, weil die nicht — wie manche meinen — zu einer 
Verflachung der Krankheitsformen, sondern gerade zu ihrer genauen Bestimmung, 
zu feineren Abgrenzungen und zur Erkenntnis prognostisch wichtiger Erscheinungen 
führen wird. Im weiteren Verlaufe skizziert Vortr. die einzelnen pathologischen 
Typen der motorischen Erscheinungen und befaßt sich eingehend mit den Ab¬ 
normitäten der Handlungen Geisteskranker. Insbesondere hebt er hervor, daß die 
reine katatonische Form der Dementia praecox viele Varianten aufweist. An 
photographischen Aufnahmen beweist Vortr., daß die katatonischen Erscheinungen 
bei vielen Krankheitsformen Vorkommen können, immerhin aber besitzen dieselben 
einen eigenartigen speziellen Zug, welcher die reine katatonische Form charakte¬ 
risiert. Hierher gehört u. a. die spontane oder auf äußere Reizeinwirkungen er¬ 
folgende Erstarrung des Gesichtes oder des ganzen Körpers (Schüles Kristalli¬ 
sierung) und vergleicht diese Erscheinung, „als ob Jemand das Gesicht mit Wasser 
begießen würde und dasselbe sukzessive über den ganzen Körper gefrieren würde“. 
Der bis dahin in lebhafter Konversation oder Bewegung befindliche Kranke bleibt 
plötzlich stehen, sein Gesicht wird statuenhaft, seine Augen bleiben weit geöffnet, 
die Glieder scheinen zu erstarren, doch ist diese Starrheit kataleptisch, mit einer 
Flexibilitas cerea der Muskulatur. Die Extremitäten behalten ihre angenommene 
oder gegebene Position, und zwar bedeutend länger, als dies unter physiologischen 
Umständen möglich wäre (ein Kranker des Vortr. z. B. hielt den Arm während 
30 Minuten in wagerechter Lage ausgestreckt). Charakteristisch ist ferner eine 
gewisse Tendenz, die Bewegungen und Handlungen nicht gleichmäßig, sondern in 
einzelnen motorischen Phasen durchzuführen (Ergoschisis), ferner eine plötz¬ 
liche Unterbrechung, bzw. Sistierung einer bereits begonnenen Hand¬ 
lung (Ergodialeipsis), welche sich aber von der Parapraxie unterscheidet. Schlie߬ 
lich bezeichnet es Vortr. noch als bezeichnend, daß während des ganzen Krank- 
heitsVerlaufes bis zur vollkommenen Verblödung ein gewisser künstlerischer 
Zug in den angenommenen Posen (Plazierung der Extremitäten und ihrer Teile) 
nachweisbar ist, was bei anderen Verblödungsproeessen nicht der Fall ist. Vortr. 


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konnte auch eigenartige vasomotorische Störungen beobachten. Nach täglich vor¬ 
genommener genauer Bestimmung der Temperatur- und Pulskurven bei verschiedenen 
Geisteskranken, konnte Vortr. feststellen, daß bei den katatonischen Formen der 
Dementia praecox Puls und Temperatur lebhafte Tagesschwankungen aufweisen, 
daß aber Pulszahl und Temperatur nicht immer in richtigem Verhältnisse stehen. 
Sodann skizziert Vortr. die motorischen Erscheinungen bei verschiedenen Krank¬ 
heitsformen, welche in Verblödung übergehen, und betont, daß vorgeschrittene 
Paralytiker häufig im Bette liegend den Kopf vom Kissen erhoben halten und 
denselben Stunden, oft Tage hindurch vorstrecken, was unter physiologischen 
Umständen unmöglich ist. Bei derartigen Kranken hat Vortr. beobachtet (und 
an photographischen Aufnahmen demonstriert), daß die Mm. sternocleidomastoidei 
in kontrahiertem Zustande erstarrt und einzelne gerade Bauchmuskeln bretthart 
angespannt waren. Seine Beobachtungen haben den Vortr. zu der Überzeugung 
geführt, daß das eigenartige Auftreten gewisser motorischer Erscheinungen, ihre 
Gruppierung, ihr Verhältnis zur geistigen, namentlich aber zur gemütlichen Sphäre 
und zum Grade der Verblödung von prognostischer Bedeutung sein können; ferner 
konnte er nachweisen, daß motorische Erscheinungen, welche in verschiedenen 
Stadien der geistigen Entwickelung stets vollkommener werden, bei fortschreitender 
Verblödung eine Zurückbildung zu den primitiven motorischen Akten des Kindes¬ 
lebens aufweisen (reflektorische und anatomische Bewegungen). 

Herr Karl Schaffer: Uber die physiologisohe und forensische Be¬ 
deutung der Affekte. Ausgehend von . seinem über dasselbe Thema im Vorjahre 
gehaltenen Vortrage (vgl. d. Centralbl. 1906. S. 335), kommt Vortr. zu folgenden 
Konklusionen: 1. Bei einer bestehenden Disposition des centralen Nervensystems 
beeinflussen die Affekte durch Vermittelung des vasomotorischen Systems die Hirn¬ 
rinde, indem sie die Tätigkeit derselben entweder durch die momentane Hyper¬ 
ämie oder durch eine vasomotorisch bedingte Anämie vorübergehend abnorm ab¬ 
ändern. 2. Da der Affekt ein solcher Übergangszustand der grauen kortikalen 
Substanz ist, welche eine eigene ärztliche Beurteilung erheischt, müssen die 
in solchen Zuständen begangenen Verbrechen stets einer sachverständigen Begut¬ 
achtung unterworfen werden. 

Diskussion: Herr Salgö und Herr Schaffer. 

Herr Rudolf Fabinyi schildert die in Diosöszentmarton neu eingeführte 
familiale Irrenpflege, welche der erate derartige Versuch in Ungarn ist und 
sich in ihren Hauptzügen an die ausländischen Muster anlehnt. Als wichtigstes 
Moment wird die Auswahl einer dem Zustande der Kranken angemessene Pfleger¬ 
familie erwähnt. Für jeden einzelnen Kranken erhält die Familie 1 Krone pro 
Tag, die weiteren Spesen eines Kranken belaufen sich auf täglich 15 Heller; 
durchschnittlich werden zwei, ausnahmsweise drei Kranke bei einer Familie unter¬ 
gebracht. Als Centrale dient die Irrenabteilung des dortigen Komitatskranken- 
hauses. Der derzeitige Krankenstand beträgt 156, welche in D. nnd in acht 
umliegenden Ortschaften untergebracht sind. Die Vorteile der familialen Irren- 
pflege zeigen sich nach drei Richtungen: 1. Die Kranken werden sozialer, be¬ 
wegen sich freier, nehmen an Körpergewicht zu; Fluchtversuche kamen insgesamt 
3 mal vor; die Zahl körperlicher Krankheiten ist nicht größer als in geschlossenen 
Anstalten. Die Mehrzahl der Kranken leidet an sekundärer Demenz (60 °/ 0 ). Je 
13 °/ 0 bilden Paranoiker und Idioten (und Imbezille). Paralytiker und Epileptiker 
können ebenfalls gut gepflegt werden; am wenigsten geeignet sind unreine Kranke 
und Paranoiker. ! / 4 der Kranken sind gute Arbeiter, ebenso viele schlechte; die 
Hälfte besteht aus mittelmäßigen Arbeitskräften; die Arbeitsleistung eines Kranken 
entspricht */ 3 normaler Arbeitskraft. 2. Die familiale Irrenpfiege hebt den mate¬ 
riellen Wohlstand der Pfiegerfamilien, welche zumeist aus Landwirten besteht; 
durch die Pflege der Kranken wird auch der hygienische Sinn der Bevölkerung 


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gehoben. Die anfängliche Abneigung der Bevölkerung gegenüber den Geistes¬ 
kranken ist bereits im Schwinden begriffen. 3. Schließlich ist die familiale Pflege 
auch für den Staat vorteilhaft, da ein Kranker pro Tag nur 1 Krone 15 Heller 
kostet, in geschlossenen Anstalten aber um 45 Heller höher zu stehen kommt. 
Vortr. proponiert die weitere Ausbildung der familialen Irrenpflege, welche zur 
Regelung des ungarischen Irrenwesens viel beitragen würde. 

HI. Sitzung, 30. Oktober 1906, Nachm. 

Herr Eugen Konräd erstattet sein Referat über die zur Unterbringung 
der Geisteskranken in Ungarn nötigen Maßnahmen. . Eine endgültige Rege¬ 
lung kann nur im Rahmen eines einheitlichen Planes durchgeführt werden, wozu 
sich das territoriale System am besten eignet. Das ganze Land muß in 
Geisteskrankenbezirke eingeteilt und die Krankenaufnahme in diese Bezirke de- 
centralisiert werden. Jeder Bezirk muß in seinem Centrum ein bis zwei größere 
Anstalten besitzen. Dadurch wird das Zuströmen der Kranken nach den haupt¬ 
städtischen Anstalten vermieden und die Aufnahme rascher und leichter durch¬ 
geführt, wobei auch die Kranken ihren Angehörigen leichter zugänglich bleiben. 
Nach den Ergebnissen der Volkszählung im Jahre 1900 gibt es in Ungarn 
16000 Geisteskranke, ohne Hinzurechnung der Idioten. Davon befinden sich der¬ 
zeit in Anstaltspflege 6000 und es ergibt sich (für die Anstaltsbedürftigen) noch 
die Notwendigkeit 4000 neuer AnBtaltsplätze. Vortr. proponiert nun, das ganze 
Land (abgesehen von der Hauptstadt) in 10 Geisteskrankenbezirke einzuteilen, 
für welche insgesamt Anstalten mit 4000 Betten zu errichten wären; dadurch 
würden die bestehenden BudapeBter Anstalten von den nicht hierher zuständigen 
Kranken befreit werden und hier keine neuen Anstalten nötig sein. Nach diesem 
Systeme könnten 7 bis 8000 Kranke untergebracbt werden; für die restlichen 
7 bis 8000 Kranken könnte man durch den weiteren Ausbau der familialen 
Irrenpflege genügend sorgen. Bei den Kranken, welche zur familialen Pflege ge¬ 
eignet sind, unterscheidet Vortr. zwei Kategorien; zur einen gehören jene Geistes¬ 
kranke, bei welchen die familiale Pflege eine spezielle Behandlungsart bedeutet; 
für diese hat der Staat zu sorgen; zur zweiten Kategorie gehören jene, welche 
im Sinne deB Gesetzes XIV. 1876 zur häuslichen Pflege geeignet sind (Verblödete, 
Idioten usw.). Für die erste Kategorie müßte man versuchen, anschließend an 
sämtliche bestehenden Anstalten die familiale Irrenpflege eventuell nach dem Alt- 
schen System durchzuführen; auch die Irrenabteilungen der Komitatskrankenhäuser 
könnten gut als Centralen verwendet werden, wie dies die Erfolge in Dicsöszent- 
märton beweisen. Für die zweite Kategorie hat im Sinne des Gesetzes der Staat 
nicht zu sorgen; die Fürsorge derartiger armer Geisteskranker kann nur durch 
philanthropische Unterstützung der Gesellschaft ermöglicht werden. Die Durch¬ 
führung der erwähnten Institutionen und die Bildung des Irrengesetzes würden 
zur endgültigen Regelung des ungarischen Irrenwesens führen. 

Herr Ladislaus Epstein: Referat über die Aufnahmebedingungen in 
Irrenanstalten. Bezüglich der Aufnahme in Irrenanstalten gehen die juristischen 
und ärztlichen Gesichtspunkte nicht parallel einher, denn während der letztere 
eine möglichste Vereinfachung der Aufnahme als wünschenswert erscheinen läßt, 
ist der erstere gegenteiligerweise dahin gerichtet, die Aufnahme mit je mehr 
Kautelen zu umgeben und jedweden Mißbrauch unmöglich zu machen. Doch kann 
man beiden Gesichtspunkten gerecht werden, wenn man, wie es § 15 des Ent¬ 
wurfes über das Inslebentreten der bürgerlichen Prozeßordnung vorsieht, in dem 
Vorgänge der Internierung zwischen Eintritt bzw. Einbringung und Aufnahme 
des Kranken unterscheidet nnd das die persönliche Freiheit des Kranken sichernde 
Verfahren mit dem letzteren Akte verbindet, der im Falle der Effektuierung mit 
der Zurückbehaltung des Kranken gleichbedeutend ist. In dem Verhältnisse aber, 

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als das letztere Verfahren verschärft wird, kann der bloße Eintritt in die Anstalt 
erleichtert werden, denn die Möglichkeit einer widerrechtlichen Freiheitsberaubung 
wird durch jenes beinahe ausgeschlossen. Dies vorausschickend tritt Vortr. zu¬ 
nächst für die Gestattung des freiwilligen Eintrittes ein, was sowohl im Interesse 
der Patienten, wie auch in jenem der Anstalten gelegen ist, weil diese dadurch 
im Volksbewußtsein eher den Charakter eines Krankenhauses erlangen würden. 
Vortr. erörtert sodann, auf wessen Veranlassung die Unterbringung eines Kranken 
auch gegen seinen Willen erfolgen könnte; hierbei kotnmen Angehörige und Be¬ 
hörden in Betracht. Als Basis hierzu dient ein ärztliches Zeugnis, doch sollte 
nicht gefordert werden, daß dasselbe von einem behördlichen Arzte ausgestellt 
werde; in dringenden Fällen, und vorausgesetzt, daß selbst der Laie die Geistes¬ 
störung sofort erkennen könnte, sollte man vom ärztlichen Zeugnisse absehen 
dürfen. Als Gültigkeitsdauer des Zeugnisses wären 14 Tuge festzusetzen. Alle 
weiteren notwendigen Dokumente sollten auch nachträglich beigebracht werden 
dürfen, wie auch die Frage der Zahlungsfähigkeit selbst bei privat eingebrachten 
Kranken kein Aufnahmehindernis bilden sollte. Die Frage betreffend, in welchem 
Falle die Übernahme (provisorische Aufnahme) des Kranken seitens der Anstalt 
erfolgen muß, meint Vortr., daß dies nur in dem Falle zu fordern wäre, wenn 
der Kranke durch eine zuständige Behörde eingeliefert wird. Vortr. bespricht 
dann die Fälle von Wiederaufnahme entlassener, entwichener und aus anderen 
Anstalten transferierter Kranker, und schildert weiterhin jenes Verfahren, welches 
der endgültigen Aufnahme vorauszugehen hätte. Dieses bestände laut dem zitierten 
Paragraph darin, daß ein königlicher Bezirksrichter unmittelbar nach der Ein¬ 
bringung in der Anstalt erscheint, den Kranken durch einen Sachverständigen, 
als welcher auch ein Anstoltsarzt herangezogen werden kann, untersuchen läßt, 
und daraufhin bezügliche Aufnahme, i. e. Zurückhaltung seine Entscheidung trifft. 
Vortr. möchte hierzu noch die Modifikation empfehlen, daß als Sachverständiger 
nicht irgend ein Arzt der Anstalt, sondern nur der Direktor bzw. dessen Ver¬ 
treter verwendet werden könnte, und daß die Untersuchung nicht unmittelbar 
nach der Einberufung, sondern erst nach Verlauf zumindest einiger Tage stattfinde. 

Herr Ignatz Mandel: Über die Organisation und Entwiokelung der 
Krankenhftuser-Irrenabteilungen. In erster Reihe wäre zu bemängeln, daß 
diese Abteilangen noch kein besonderes Statut haben. Während im Auslande 
man bereits vor 100 Jahren die Unmöglichkeit derartiger „Adnex-Irrenabteilungen“ 
erkannt hat, werden dieselben in Ungarn leider noch immer errichtet, weil sie 
die mangelnden Abteilungen teilweise und provisorisch ersetzen können. Ein 
großer Nachteil derselben besteht darin, daß sie nicht immer von Fachmännern 
geleitet und überdies zumeist überfüllt sind; Grund der letzteren Erscheinung ist 
darin zu suchen, daß die Krankenhäuser aus materiellem Interesse die Zahl der 
VerpflegBtage möchlichst erhöhen wollen. Aus diesem Grunde beträgt die Morta¬ 
lität bis zu 30 °/ 0 . In den meisten Abteilungen herrscht ein ständiger Mangel 
an Pflegerpersonal. Die Besoldung der Ärzte ist zumeist ganz ungenügend. Der 
Wirkungskreis des Leiters ist so gering, daß derselbe oft nicht einmal die kleinste 
Disziplinarstrafe über das Personal verhängen oder Kranke selbständig entlassen 
kann. Diesen Übelständen könnte nur durch die Verstaatlichung gänzlich ab¬ 
geholfen werden, dooh ist eine solche in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die 
bestehenden Abteilungen könnten bloß dann gehoben werden, wenn dieselben 
selbständig gemacht werden würden, was freilich wieder bedeutende Investitionen 
erfordert. Auch eine Abänderung der bestehenden Aufnahmsmodalitäten wäre 
sehr erwünscht. Der Wirkungskreis des Leiters muß erweitert werden, nament¬ 
lich darin, daß demselben dos Entlassungsrecht, ebenso die Disziplinargewalt über 
das Wartepersonal zukomme. Ebenso sollte die Besoldung der leitenden Ärzte 
erhöht werden, und zwar bei Abteilungen bis zu 200 Betten 2600 bis 3200 Kronen, 


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bei größeren Abteilangen 3600 bis 4400 Kronen; für die Sekundärärzte 1600 bis 
2000 Kronen. Die Besoldung der Wärter müßte ebenfalls erhöht werden (Ober* 
Wärter monatlich 60, Abteilungswärter 40 Kronen); durch Pensionsberechtigung, 
Unfallversicherung, Prämien könnte das Wartepersonal angeBpornt werden. An* 
schließend an die Irrenabteilungen sollten Nervenabteilungen und bis zur Regelung 
des Armenwesens auch Asyle errichtet werden: sämtliche Abteilungen sollen das 
Recht haben, die familiale Irrenpflege einführen zu können. 

Gemeinsame Diskussion Über die Vorträge der Herren Konräd, 

Epstein und Mandel. 

Herr Heinrich Szigeti akzeptiert die Vorschläge KonrädB, möchte aber 
bei der territorialen Einteilung die Verkehrs* und sprachlichen Verhältnisse der 
Bevölkerung besser berücksichtigt sehen. In Übereinstimmung mit Epstein 
wünscht er auch, daß zur Aufnahme nicht das Zeugnis eines behördlichen Arztes 
erfordert werde; um aber Mißbräuchen vorzubeugen, soll das ZeugniB eines anderen 
Arztes behördlich signiert sein. Schließlich beantragt Sz., daß in dem eingereichten 
Gesetzentwürfe über die obligatorische Unfallversicherung auch die Arzte der 
Irrenanstalten berücksichtigt werden, und daß der Kongreß ein diesbezügliches 
Ansuchen an die Regierung richten möge. 

Herr Sigmund Telegdy spricht sich für die Erweiterung und Ausbau der 
sogen. „Adnexanstalten“ aus und hält es für wünschenswert, daß dieselben auch 
weiterhin mit den Krankenhäusern vereinigt bleiben, denn die Selbständigkeit 
derselben würde den Ärztemangel noch steigern. 

Herr Stefan Wosinski schließt sich den Aufnahmsvorschlägen Epsteins an. 

Herr Gedeon v. Raisz ist in vielem in Übereinstimmung mit Mandel und 
betont, daß manche der gehörten Wünsche als Ziel dem Ministerium vorschweben, 
aber die Möglichkeit der Verwirklichung deckt sich nicht immer mit den idealen 
Zielen. Es ist unleugbar, daß die Irrenabteilangen der Krankenhäuser im Anfänge 
gar vieles zu wünschen ließen und auch heute noch nicht ihrem eigentlichen 
Zwecke, d. h. Behandlung der Geisteskranken, ganz entsprechen, immerhin aber 
sind nach dieser Richtung bedeutende Fortschritte zu verzeichnen und namentlich 
die neu errichteten Abteilungen sind mustergültig; so sind diejenigen in Nagy- 
värad und Märraaros-Sziget eigentlich vollkommen moderne Geisteskrankenkolonien. 
Eine Hauptbeschwerde Mandels, die mangelnde Selbständigkeit der Leiter, kann 
eher durch kollegialen Takt, als durch Ministerialverordnungen erledigt werden. 
R. betont zum Schlüsse neuerlich, daß die Regierung die Adnexanstalten bloß 
als provisorisches Aushilfsmittel betrachtet und bestrebt ist, allen Anforderungen 
einer modernen Irrenpflege gerecht zu werden. Der Wunsch Mandels, daß die 
genannten Abteilungen einer centralen Leitung unterstellt werden, dürfte in aller* 
nächster Zeit in Erfüllung gehen. 

(8chluß folgt.) 


IV. Vermischtes. 

Am 4. Mai d. J., nachmittags 2 Uhr, findet in Hannover die 42. Versammlung 
der Irrenärzte Niedersachsens und Westfalens statt. Folgende Vorträge sind ao- 
gemeldet: 1. Bruns (Hannover): Beiträge znr Hirn* und R&ckenmarkschirnrgie. — 2. Cramer 
(Göttingen): Über Hirncysticercns. — 3. Grimme (Göttingen): Prophylaxe von Hansepidemien 
in der Anstalt. — 4. Tintemann (Göttingen): QneralatoriBche Psychose im Zusammenhang 
mit der Invalidenversicherung. — 5. Bolte-Ellen (Bremen): Assoziationsversuche als dia¬ 
gnostisches Hilfsmittel. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 


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Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel. 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 

Verlag von Vzrr & Coiu>. in Leipzig. — Druck von Mktzokb & Wittio in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

iq Berlin. 


Sechsandzwanzigster 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. ~ 16. Mai NrTlÖ. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Das Kausal Verhältnis zwischen Syphilis und pro¬ 
gressivem Nervenschwund, von Dr. Max LoewentHal in Liverpool. 2. Über Myasthenia 
gravis, von Prof. Dr. Allessandro Borgherini in Padua. 

II. Referate. Physiologie. 1. Über den Einfluß der Beizung des kortikalen Darm- 
centrums auf den Dünndarm und Sphincter ileocoecalis des Hundes, von v. Pfungen. 2. Über 
den Einfluß der peripheren Nerven auf die Wärmeregulierung durch die Hautgefäße, von 
Zwonitzky. — Pathologische Anatomie. 3. Zur Kenntnis der primären Epithelgeschwtilste 
der AdergeHechte des Gehirns, von Bielschowsky und Unger. 4. Das Rankenneurom, von 
Strauss. 5. Contributo allo studio delle fini alterazioni della fibra nervosa nella neunte 
parenchimatosa degenerativa sperimentale, per Medea. — Pathologie des Nerven* 
Systems. 6. Nevrite ascendante et rhumatisme chronique, par Lejonne et Chartiar. 7. Epi¬ 
demie multiple neuritis of obscure origin, by Bllss. 8. Neuritis multiplex post pertussim, 
von Souöek. 9. Un cas de paralysie dipht^rique, par Raymond. 10. Deux cas de paralysie 
diphterique, action du sörum de Roux, par Quinon et Pater. 11. Über urämische Neuritis, 
von Dünger. 12. Über kortikale Herderscheinungen in der amnestischen Phase polyneuri- 
tischer Psychosen, von Kutner. 13. La psychose polynövritique et le beri-beri, par Rodriguez. 

14. I fenomeni nevritici negli alienati e i fenomeni psicopatici nelle nevriti, per Medea. 

15. Pruritus als Initialerscheinung des Herpes zoster, von Bettmann. 13. Notizen zur 
Symptomatologie der Beri-Beri, von Miura. 17. Sur la pathogenie du tremblement mercuriel, 
par Guillain et Laroche. 18. Troubles oculoinoteurs par intoxication rachi-labyrinthique, par 
Bonnfier. 19. Akute aufsteigende (Landry sehe) Paralyse nach Typhus abdominalis mit Aus¬ 
gang in Heilung, von Schütze. 20. Landry’s paralysis, by Macnamara and Bernstein. 2t. Ein 
geheilter Fall Landry scher Paralyse, von Fisch. 22. Über senile Atrophie der Augenmuskeln, 
von Thiele und Grawitz. 23. Organische peripherische und hysterische Facialislähmung, von 
Ziehen. 24. Die otitischen Facialisparesen, von Neumann. 25. Einseitiges, nur beim Essen 
auftretendes Tränenfließen nach Facialislähmung, von Engelen. 26. Un cas de paralysie 
faciale obstrtticale spontanee, par Bircel. 27. Hömispasme facial p^riphörique post-para- 
lytique, par Cruchet. 28. Ein Fall von Diplegia facialis, von Panski. 29. Die periphere 
Facialislähmung und ihre Behandlung, von Fuchs. 30. Facial palsy and its treatment, by 
Sfowart. 31. Uber Nervenpfropfung bei peripherischer Facialislähmung vorwiegend vom 
neurologischen Standpunkte, von Bernhardt. 32. Über die Rekurrenspar&lvse, von Guttmann. 
33. Über die Rekurrenslähmung bei Vitium cordis, von Gantz. 34. Zur Kasuistik der 
neuritischen Plexuslähmung (Plexus brachialis), von Grober. 35. Paralysie radiculaire du 

S lexus brachial au cours d'une lymphadenie, von Raymond. 36. Sur un cas de paralysie 
es bequilles, par Soca. 37. Mitbeteiligung des Phrenicus bei Duchenne-Erb scher Lähmung, 
von Moritz. 88. Über Störungen im Gebiet des N. medianus, von Wandel. 39. Über einen 
Fall von Medianusverletzung mit seltenen trophischen Störungen, von Hirsch. 40. Aclinical 
lecture on a case of secondary suture of the great sciatio nerve, by Sherren. 41. Über die 
Behandlung der Schußverletzungen peripherer Nerven durch Nervenlösung mit nachfolgen¬ 
der Tubulisation und Verlagerung der Nerven zwischen gesunde Muskelschichten, von 
Hashimoto und Tokuoka. 42. Die Kondensatormethode, ihre klinische Verwertbarkeit und 
ihre theoretischen Grundlagen unter Berücksichtigung der neuesten Erregungsgeßetze, von 


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Drigiral frem 

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434 


Zanietowski. 43 Die anodische Übererregbarkeit der Säuglinge, von v.Pirquat.— Psychiatrie. 
44. Die Entwicklung des psychiatrischen Unterrichtes in Greifswald, von Schultze. — 
Forensische Psychiatrie. 45. Psychiatrische Untersuchung eines Falles von Mord 
und Selbstmord mit Studien über Familiengeschichte und Erblichkeit, von Sommer. 

III. Aus den Gesellschaften. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Psychiatrie 
in Frankfurt a/M. und Gießen vom 26.—28. April 1907. — Verein für Psychiatrie und 
Neurologie in Wien. — Psychiatrisch-neurologische Sektion des Budapester königi. Ärzte¬ 
vereins. — IV. Landeskongreß der ungarischen Irrenärzte in Budapest am 29. und 30. Ok¬ 
tober 1906. (Schluß.) 

IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. Januar bis 28. Februar 1907. 

V. Mitteilung an den Herausgeber. 


I. Originalmitteilungen. 

1. Das Kauaal Verhältnis 

zwischen Syphilis und progressivem Nervenschwund. 

Von Dr. Max Loewenthal iu Liverpool. 

Wenn ein symmetrisch gebautes Organ wie das Nervensystem von einem 
Leiden befallen wird, welches pathologisch-anatomisch betrachtet von Anfang bis 
zu Ende gleichfalls völlig oder nahezu symmetrisch bleibt, so darf man, wie 
Gowebs betont, mit großer Sicherheit behaupten, daß ein lösliches und im Blute 
kursierendes Gift die Ursache dieses Leidens ist. Solche symmetrische Anord¬ 
nung der nervösen Störungen findet man z. B. bei jeder Intoxikationsneuritis, 
sei dieselbe nun durch Alkohol, Arsen, Blei oder andere Gifte hervorgerufen. 
Welche Teile des Nervensystems von dem toxischen Agens besonders in Mit¬ 
leidenschaft gezogen werden, das hängt einerseits von der Natnr des Giftes, 
andererseits von der Individualität des Patienten ab. Warum Blei eine besondere 
Affinität für die chemische Substanz des Radialnerven besitzt, warum Alkohol¬ 
mißbrauch in den meisten Patienten die unteren, in anderen ausnahmsweise die 
oberen Extremitäten zuerst an Neuritis erkranken läßt und in noch anderen 
hallucinatorische oder Verwirrungszustände hervorruft, ist nicht bekannt. Das 
aber ist allen diesen Erkrankungen gemeinsam, daß sie anatomisch und funktionell 
eine symmetrische Anordnung aufweisen. Nervenleiden, welche nach akuten 
Infektionskrankheiten aultreten, gehorchen demselben Gesetz. Sie bleiben sym¬ 
metrisch, wenn sie durch ein gelöstes Toxin verursacht werden. Wenn dagegen 
eine einseitige Herderkrankung im Gefolge einer Infektion sich einstellt, so ist 
es fast sicher, daß dieselbe nicht auf ein in Lösung befindliches Gift, sondern 
auf Mikroorganismen, auf eine einfache oder septische Embolie oder dergleichen 
zurückzuführen ist. Die am eingehendsten studierte Krankheit jener Art ist die 
diphtheritische Lähmung. Sie bleibt in ihrem gauzen Verlaufe mit seltenen 
Ausnahmen symmetrisch, und es ist daher anzunehmen, daß das in der Blut¬ 
flüssigkeit gelöste und durch den ursprünglichen Krankheitsprozeß bereitete Gift 
die Ursache dieser Lähmung ist. Würde die Erkrankung eines Nerven durch 
die Einwanderung des spezifischen Krankheitserregers verursaoht, wie es z. B. 
bei der Lepra der Fall ist, so ist nicht einzusehen, weshalb der entsprechende 

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Nerv auf der anderen Seite ebenfalls mit so großer Regelmäßigkeit befallen 
werden sollte. Bei der Lepra ist dies jedenfalls nicht der Fall. 


Dies sind bekannte und größtenteils anerkannte Tatsachen. Die Substanz 
uud die Zersetzungsprodukte des LöFFLER’schen Bacillus sind äußerst giftig, und 
die Injektion einer minimalen Menge dieses Toxins tötet kleine Tiere in wenigen 
Stunden. Daher glaubt man berechtigt zu sein, die diphtheritische Lähmung 
auf dieses Toxin oder wenigstens auf die sekundär durch Fermentwirkung aus 
dem Körpereiweiß abgespaltenen Zersetzungsprodukte zurückzuführen. Würde 
das Toxin sets von neuem ohne Aufhören produziert, so wäre die diphtheritische 
'Lähmung eine progressive Erkrankung und würde in der Mehrzahl der Fälle 
zom Tode führen. Nach dem Aufhören des Krankheitsprozesses wird jedoch das 
gebildete Toxin langsam ausgeschieden, und eine Restitution der erkrankten 
Nerven zur Norm ist die Regel. Nun gibt es aber Fälle, in welchen diese Auf¬ 
fassung auf Schwierigkeiten stößt. Ich hatte vor einigen Jahren einen er¬ 
wachsenen männlichen Patienten, der angab, Ende November an Diphtherie 
erkrankt zu sein und nach etwa einer Woche geheilt das Bett verlassen zu haben. 
Gegen die Mitte des folgenden Monats stellten sich Accomodationslähmung und 
Schwäche, sowie Paraesthesien in den Beinen ein, gefolgt von Atrophie der 
Muskeln der Unterschenkel. Diese Symptome bildeten sich langsam zurück und 
der Kranke war als fast genesen zu betrachten, als sich im Anfang des 
Monats März, also drei Monate nach der Infektion, sensorische und motorische 
Störungen mit deutlicher Entartungsreaktion in den Armen entwickelten. Wie 
läßt sich eine solche Beobachtung — und solche oder ähnliche sind jedenfalls 
von den meisten Neurologen gemacht worden — mit der obigen Theorie ver¬ 
einigen? Man müßte sich zu der Annahme entschließen, daß entweder der 
Bacillus selbst oder seine Toxine sich Monate lang im Körper erhalten können. 
Eine Infektion von der Mundhöhle aus war in diesem Falle ausgeschlossen, denn 
ich verordne in allen derartigen Fällen behufs Tilgung etwa noch in der Mund¬ 
höhle vegetierender Keime desinfizierende Mundwässer. Daß sich die Krank¬ 
heitsstoffe eine so lange Zeit im Körper erhalten können, ist wohl möglich, aber 
doch äußerst unwahrscheinlich. Daß man Monate nach einer stattgehabten 
Infektion aus dem Blute noch Diphtheriebacillen züchten kann, wird wohl 
niemand behaupten und die gebildeten Toxine werden sehr schnell von Anti¬ 
toxinen neutralisiert. Dazu kommt noch der merkwürdige Umstand, daß die 
Wahrscheinlichkeit des Eintretens und die Schwere der Lähmung in gar keinem 
Verhältnis zur Schwere der Infektion und der Menge der gebildeten Toxine steht. 
Gelegentlich führen die leichtesten ambulanten Fälle zu den schwersten lethal 
verlaufenden Lähmungen. Dies ist um so merkwürdiger, als bei den anderen 
Intoxikationsneuritiden, bei denen sich die Menge der dem Körper einverleibten 
schädlichen Substanz oft sehr genau feststellen läßt, die Schwere der Erkrankung 
im allgemeinen der Schwere der Vergiftung parallel läuft Diese Widersprüche 
lassen sich nicht durch dialektische Spitzfindigkeiten aus der Welt schaffen. 
Auf der einen Seite ist es sicher, daß der diphtheritischen Lähmung eine In¬ 
toxikation zu Grunde liegt, auf der anderen aber ist es kaum minder sicher. 


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daß das primäre Toxin nicht in allen Fällen der schuldige Teil ist. Ans diesem 
Dilemma gibt es nnr einen Ausweg: die diphtherische Lähmnng wird in 
einer Reihe von Fällen nicht von dem Diphtheriegifte selbst, son¬ 
dern von einem anderen Gifte hervorgerufen, und zwar gilt dies speziell 
für die Spätformen und solche schweren Formen, welche mit der Geringfügigkeit 
der ursprünglichen Erkrankung kontrastieren. Diese haben das gemeinsam, daß 
sie gewöhnlich unter dem Krankheitsbild einer reinen Neuritis verlaufen. Selbst¬ 
verständlich kann nicht bestritten werden, daß das Toxin der Diphtherie, wie 
Roux und andere experimentell nachgewiesen haben, schwere diffuse Erkran¬ 
kungen des Nervensystems, besonders des Rückenmarks mit Atrophie der Gang¬ 
lienzellen und sekundären Degenerationen der peripheren Nerven herbeiführen 
kann. Wenn nun das Toxin selbst nicht für eine große Anzahl von Fällen 
verantwortlich gemacht werden kann, so bleibt nichts anderes übrig, als die 
Quelle der Vergiftung im Körper selbst zu suchen. Sobald man aber überzeugt 
ist, daß es sich um eine Autointoxikation handelt, ergeben sich die weiteren 
Schlüsse von selbst. Die gesuchte Substanz wird vom Körper des Erkrankten 
produziert, und zwar nur nach einer stattgehabten Diphtherie; ergo: Die 
diphtheritische Lähmung ist auf jene abnormen Stoffwechselpro¬ 
produkte zurückzuführen, welche von dem gegen Diphtherie immun 
gemachten Körper gebildet werden. Es muß ausdrücklich betont werden, 
daß neben dem Antitoxin noch andere abnorme Produkte im Gefolge der 
Immunisierung auftreten und es daher vorläufig unentschieden bleiben muß, 
welches von diesen Produkten, deren Gesamtheit unter dem Namen „Schutz- 
stoffe“ zusammengefaßt werden möge, die causa morbi abgibt Daß bei ge¬ 
störtem Metabolismus giftige Substanzen im Blut auftreten können, ist eine all¬ 
bekannte Tatsache. Es hängt lediglich von der Art der chemischen Zersetzung 
ab, ob aus dem tierischen Bioplasma harmlose oder toxische Substanzen gebildet 
werden. So läßt sich durch geeignete Zersetzungsmethoden aus dem ungiftigen 
Ferrocyankalium ein furchtbares Gift, das Cyan, abspalten. Übrigens wäre es 
geradezu wunderbar, wenn unter den außerordentlich zahlreichen, je nach der 
Art der Infektion variierenden Schutzstoffen sich nicht einige befinden sollten, 
welche nicht ganz harmlos oder gar giftig sind. Die Ökonomie des tierischen 
Leibes ist im Laufe seiner phylogenetischen Entwickelung sicher nicht auf alle 
möglichen Schutzstoffe vorbereitet worden, ln jedem Jahrhundert fast tauchen 
neue Infektionskrankheiten auf, auf welche der Körper durch die Bildung neuer, 
ihm selbst ungewohnter Schutzstoffe reagiert. Daß die gebildeten Antitoxine 
als fremde Substanzen wirken, folgt auch aus dem Umstande, daß sie ihrerseits 
wieder oft zur Bildung von neuen Schutzstoffen, Antiantitoxinen, Anlaß geben. 

Diese so nahe liegende Annahme einer Autointoxikatkm wirft ein helles 
Licht auf viele bisher unerklärliche Tatsachen. Eine bald nach einer schweres 
Infektion auftretende Lähmung mag bald der einen, bald der anderen Noxe zu- 
zuschreiben oder gar eine Mischform sein. Die beim Menschen beobachteten 
diffusen pathologischen Veränderungen des Rückenmarks nach Diphtherie sind 
möglicherweise auf die Toxine, die peripheren Neuritiden dagegen auf die Schutz- 

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Stoffe zu beziehen. Vielleicht gelingt es der Forschung, die beiden Bilder klinisch 
nnd pathologisch zu trennen. Wenn aber neuritisohe Symptome sich erst einen 
ganzen Monat oder gar Monate nach der Infektion einstellen, so beruhen diese 
sicher auf der fortgesetzten Bildung von Schutzstoffen. Denn daß nach einem 
derartigen Zeiträume noch Toxine im Körper zirkulieren können, klingt geradezu 
unglaublich; daß aber Schutzstoffe gerade dann in Hülle und Fülle produziert 
werden, steht fest. Vom gerichtlichen Standpunkt aus kann über den Ausfall 
des Richteisprnches, auf welcher Seite die Schuld liegt, kein Zweifel obwalten: 
das Toxin kann sein Alibi nachweisen und muß freigesprochen werden. So 
erklären sich die späten Formen leicht und ungezwungen. Nicht minder einfach 
ist die Erklärung des Umstandes, daß an eine auffallend leichte, das Allgemein* 
befinden kaum störende Infektion sich eine unverhältnismäßig heftige, das Leben 
bedrohende Neuritis anschließen kann. Die Diphtherie ist eben so leicht ver¬ 
laufen, weil die Schutzstoffe von vornherein in besonders großen Quantitäten 
entwickelt wurden. Die Stärke der Reaktion auf gleiche Mengen eines injizierten 
Toxins schwankt, selbst bei Tieren, in weiten Orenzen und wird durch individuelle, 
vielleicht sogar durch temporäre Körperzustände bestimmt 

Diese Überlegungen lassen sich mühelos auf ein viel dankbareres Gebiet über¬ 
tragen und sind wohl geeignet, einen wissenschaftlichen Streit beizulegen, der schon 
seit einer Reihe von Jahren mit unverminderter Heftigkeit fortbesteht und noch 
immer zu keinem befriedigenden Resultate geführt hat Es ist der Streit um 
die exklusive Syphilistheorie der Tabes und der progressiven Paralyse, geführt 
von der EaB’schen Schule gegen ihre Widersacher. Dieser Kampf ist jetzt in 
ein neues Stadium getreten. Die Stimmen der Gegner sind lauter, die der erst 
siegreichen Verfechter der Theorie leiser geworden. Was früher letztere den 
erstereu zum Vorwurf gemacht haben, daß sie nämlich durch dialektische Aus¬ 
flüchte unumstößliche und unbequeme Tatsachen zu umgehen trachteten, wird 
ihnen jetzt selbst zum Vorwurfe gemacht Es handelt sich darum zu ent¬ 
scheiden, ob die angeführten Leiden ausschließlich postsyphilitisohe Erkrankungen 
sind oder nicht Die Anhänger Ebbs bejahen diese Frage; ihre Gegner be¬ 
haupten, daß Syphilis sich wohl oft in der Anamnese finde, aber keine viel 
größere ätiologische Rolle spiele als andere Ursachen, wie Ausschweifungen, 
geistige Überanstrengung usw. Was nun diese sich soharf gegenüberstehenden 
Behauptungen anbelangt, so muß hier ein jeder sich nach seiner Erfahrung richten. 
Diese Sache läßt sich statistisch überhaupt nicht zum Austrag bringen. Die hohe 
wissenschaftliche Befähigung und das Streben nach Wahrheit der bei dem Streite 
beteiligten Hauptpersonen wird von niemandem bezweifelt, spielt aber garnicht 
in die Frage hinein. Bei der Feststellung der Anamnese in dieser heiklen An¬ 
gelegenheit kommen vielmehr diplomatische Kniffe in Betracht, die nioht jeder¬ 
manns Sache sind und oft nur durch den Spruch: der Zweck heiligt die Mittel, 
entschuldigt werden können. Es ist keine kleine Sache, jemandem ein ängstlich 
gehütetes Geheimnis wider seinen Willen durch Überredungskünste abzuringen, 
und fast jedes dritte oder vierte Resultat ist ein Triumph der Diplomatie und 
oft nur durch längere Behandlung eines Patienten ermöglicht. Einmal gesehene 

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poliklinische Fälle haben gar keine Bedeutung, wenn das Ergebnis negativ ist. 
Es ist selbstverständlich, daß jeder eifrige Anhänger der EnB’sohen Theorie, der 
6ein ganzes Können in dieser Richtung auf bietet und viel Zeit opfert, sich im 
Laufe der Jahre in der Aufnahme der Anamnese übt und vervollkommnet und 
mehr positive Resultate erhält als anders Gesinnte. Meine eigene Erfahrung 
hat mich gelehrt, daß Mißerfolge zu den größten Ausnahmen gehören. Erst 
kürzlich sah ich einen Paralytiker, der mit dem äußerst geringen Reste seines 
Intellektes sich .,dumm stellte“ und aufs Streiten verlegte, bis er nach Ermüdung 
seines cerebralen Hemmungsmechanismus durch eine halbstündige Debatte den 
Widerspruch aufgab. Wenn von verschiedenen kompetenten Beobachtern statistisch 
nachgewiesen worden ist, daß mehr als 80 oder gar 90% der Erkrankten an 
Syphilis gelitten haben, so kann dieses Resultat durch die Statistiken anderer, 
welche viel kleinere Zahlen erhielten, nicht entkräftet werden. Vielleicht gelingt 
es der Forschung über Jahr und Tag, eine Reaktion, ähnlich der Agglutinations¬ 
methode, zu finden, mittels deren eine abgelaufene Syphilis diagnostiziert 
werden kann. 

Gegenwärtig interessiert es uns mehr, zu wissen, ob die manchmal viele 
Jahre zurückliegende spezifische Infektion als die Ursaohe — sine qua non — 
des Nervenleidens anzusehen ist, oder ob sie nur die Disposition dafür schafft 
Wir werden sehen, daß die erstere Anschauung mit einer kleinen Modifikation 
die einzig richtige ist, und daß durch meine Auffassung der Sache die dagegen 
erhobenen Einwände leicht widerlegt werden. Tabes und isoliert bleibende 
Symptome derselben, wie Optikusatrophie, treten mit seltenen Ausnahmen sym¬ 
metrisch auf. Diese Symmetrie im ganzen Verlauf macht es sehr wahrscheinlich, 
daß, wie bei der diphtheritischen Lähmung, eine chemische Substanz als die 
Krankheitsursache zu betrachten ist Was die progressive Paralyse an betrifft, 
so ist auch hier in den meisten Fällen eine ausgesprochene Symmetrie der 
pathologischen Veränderungen nicht zu verkennen, dooh darf es nicht befremden, 
wenn gelegentlich eine Seite tiefgreifendere Veränderungen aufweist als die andere, 
denn wir wissen, daß die Funktionen der beiden Hirnhälften dem Grade und 
vielleicht sogar der Art nach nicht völlig gleich sind. Ferner ist hierher ein 
Teil der Fälle von kombinierten Strangdegenerationen, Bulbärparalysen, bilateralem 
Kernschwund, Optikusatrophie usw. zu rechnen, bei denen Lues anamnestisch 
nachgewiesen werden kann. Ich behaupte nun, daß Tabes, Paralyse und 
ein Teil der anderen progressiven Zerstörungsprozesse, welche auf 
eine abgelaufene Lues zurückweisen, weder durch den Krankheits¬ 
erreger der Lues selbst, noch durch dessen Toxine, sondern durch 
die Schutzstoffe, vermöge deren der Körper immun gegen spezi¬ 
fische Infektion ist, verursacht werden. Überhaupt wissen wir über die 
Toxine der Syphilis nichts, denen, wenn sie überhaupt vorhanden sind, nur 
geringe Bedeutung beigemessen werden kann. Vor allen Dingen wird hierdurch 
die Progressivität dieser Leiden erklärlich. Immunität gegen Diphtherie besteht 
nur kurze Zeit, eine solche gegen Syphilis aber Dezennien, vielleicht das ganze 
Leben. Viele Jahre lang werden abnorme Stoffwechselprodukte dem Blute bei- 

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gemischt und üben einen nachteiligen Einfluß auf solche Gewebe aus, zu denen 
sie eine chemische Affinität besitzen. Lange Zeit gelingt es den betroffenen 
Zellenkomplexen, durch Adaption und vermehrte Tätigkeit ihre Rolle im Körper 
weiterzuspielen, bis schließlich bei zu großer Inanspruchnahme eine Kompensations¬ 
störung eintritt und den Anfang vom Ende bildet; genau wie bei Herzfehlern, 
chronischem Alkoholismus, geistigen oder körperlichen Anstrengungen. Im engsten 
Zusammenhänge mit der Progressivität steht die Unheilbarkeit jener Leiden durch 
antiluetische Behandlung. Diese feststehende Tatsache ist die Hauptwaffe der 
Gegner der EsB’schen Theorie. Alle tertiären Erscheinungen der Syphilis werden 
durch eine spezifische Behandlung geheilt, folglich sollten auch diese Affektionen 
des Nervensystems dadurch geheilt werden. Da dies aber nicht der Fall ist, 
und sogar oft eine Verschlimmerung eintritt, so wird e non juvantibus geschlossen, 
daß Tabes, Paralyse usw. nichts mit der Syphilis zu tun haben. Von Zeit zu 
Zeit erscheinen wohl in den Zeitungen sporadische Berichte über gelungene 
Kuren durch Quecksilber- oder Jodbehandlung, doch weiß man dann nie, ob 
post hoc seu propter hoc. Ein Stillstand auf Jahre gehört nicht zu den Selten¬ 
heiten, wie ja auch bei Herzklappenfehlern infolge von geeigneter Medikation 
oder ganz von selbst eine eingetretene Kompensationsstörung wieder für einige 
Zeit zurückgehen kann. Meine Auffassung zeigt, wie gegenstandslos dieser von 
der Gegenpartei gemachte Einwand ist. Tabes z. B. ist keine Erscheinung der 
Syphilis, sondern ein selten trügendes Indizium, daß dieselbe geheilt ist Dann 
kann aber auch eine antiluetische Kur nichts helfen. Damit wird gleichzeitig 
einem anderen Argument der Gegner, das sehr viel für sich hatte, der Boden 
entzogen. Jederman weiß, daß untrügliche Zeichen einer bestehenden Syphilis 
bei diesem Nervenleiden zu den größten Seltenheiten gehören. Diese Erfahrung 
ist eine Bestätigung meiner Theorie, welche behauptet, daß postsyphilitische pro¬ 
gressive Nervenerkrankungen auf einer Überproduktion von spezifischen Schutz¬ 
stoffen beruhen. Wo der Körper prompt reagiert und solche Stoffe in besonders 
großer Menge liefert, ist doch anzunehmen, daß das erkrankte Individuum 
schneller des Ansteckungsstoffes Herr wird, und daß infolge der energischen 
Immunisierung Rückfälle zu den Ausnahmen gehören. Oder mit anderen Worten, 
der Schluß ist gerechtfertigt, daß, ähnlich wie bei der diphtherischen Lähmung, 
die Schwere des Nervenleidens in gar keinem oder gar im ungekehrten Ver¬ 
hältnisse zur Schwere des primären Leidens steht, und dies ist in der Tat der 
Fall. Eine Tabes von rapidem Verlauf kann sich an leichte, und eine solche von 
mehr gutartigem, chronischem Verlauf an schwere Fälle von Lues anschließen. 
Ja viele Autoritäten behaupten geradezu, daß ein leichter Verlauf des primären 
Leidens bei solchen Kranken die Regel und das Gegenteil die Ausnahme ist, 
daß das zweite Stadium der Syphilis gewöhnlich in abortiver Form auftritt und 
das dritte ganz ausbleibt. In England, wo meist Calomel in Pillenform (0,2 bis 
0,4 g pro die) ein Jahr und länger für Lues verabreicht wird, hört man oft von 
Patienten, welche später Symptome von Tabes zeigen, die Angabe, daß sie nur 
einige Schachteln von Pillen genommen und niemals wieder Veranlassung gehabt 
hätten, einen Arzt wegen verdächtiger Symptome zu konsultieren. Dement- 


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sprechend sind auoh sichtbare Zeichen von geheilten luetischen Affektionen, wie 
Narben, Pigment- oder Leukodermflecken, geschweige denn von noch bestehenden 
Affektionen, äußerst selten. Ein anderer gern und mit Erfolg zitierter Einwand 
bezieht sich auf das lange Zeitintervall — zehn bis zwanzig Jahre und manchmal 
länger —, welches zwischen dem Primäraffekt und einer Tabes oder Paralyse 
liegt Daß das Chancregift so lange im Körper geschlummert habe, um dann 
plötzlich wieder zu neuem Leben zu erwachen und Krankheiten zu unterhalten, 
welche sich noch viele Jahre hinziehen können, klingt allerdings unglaublich. 
Wenn man aber bedenkt, daß die Immunität wohl zeitlebens bestehen bleibt, 
und daß ein Gewohnheitstrinker oder ein Opfer der Morphiumsucht auch erst 
nach Jahren an den Folgen seines Lasters erkrankt, so wundert man sich nicht 
mehr Aber das späte Auftreten des Rückenmarks- oder Gehirnschwundes. — Im 
Zusammenhang mit dem vorhergehenden mag noch das bekannte Experiment 
Kbafjft-Ebing’s erwähnt werden, durch welches die Immunität der Paralytiker 
gegen eine syphilitische Infektion nachgewiesen worden ist; — eine wichtige 
Stütze meiner Hypothese. 

Wenn nun schon die exklusive Sypilistheorie trotz ihrer sonstigen Vor¬ 
züge diesen Tatsachen machtlos gegenübersteht, so sind in den letzten Jahren 
Erfahrungen gesammelt worden, welche sicher nicht dazu beitragen, ihr durch 
die angeführten Gegengründe erschüttertes Ansehen zu befestigen. Erst kürzlich 
bat Näcke diese Erfahrungen zusammengestellt und durch eigene Erfahrungen 
bereichert. 1 An den in seiner interessanten Darstellung aneinander gereihten 
Tatsachen ist nicht zu rütteln. Von Jahr zu Jahr mehren sich die Belege dafür, 
daß in vielen Rassen der alten und neuen Welt Syphilis in erschreckender Weise 
grassiert, und daß trotzdem Tabes oder Paralyse bei jenen Völkerschaften zu 
den größten Seltenheiten gehören. Es soll, wie ich selbst von Augenzeugen 
gehört habe, in der europäischen Türkei und den angrenzenden Ländern kleine 
Ortschaften geben, welche total von Syphilis durchseucht sind, so daß selbst 
Kinder oft davon befallen werden; und es soheint dort die sexuelle Übertragung 
nur für einen Teil der Fälle verantwortlich zu sein. Die Krankheit soll sich 
dort durch Berührung, gemeinsame Mahlzeiten, manchmal sogar auf unerklärliche 
Weise, wie bei uns etwa die Masern, ausbreiten. Zudem tritt sie häufiger als 
bei uns in schweren Formen, mit Ulcerationen und Narbenbildung, auf. Ähnliche 
Berichte kommen aus Abessinien. Und trotzdem ist der progressive Nerven- 
Schwund in den Ländern, wo Syphilis in dieser kontagiösen, virulenten Form 
auftritt, ein seltenes Leiden! Hier scheinen nur drei Möglichkeiten der Erklärung 
gegeben zu sein. Entweder ist die Syphilis dort eine andere als bei uns, oder 
die Menschen sind anders beschaffen, oder sind nicht denselben Einflüssen aus- 
gesetzt wie wir. Die erste Eventualität darf wohl als ausgeschlossen angesehen 
werden, denn eine in jenen Ländern von einem Nordeuropäer kontrahierte Syphilis 
nimmt einen normalen Verlauf. Es bleibt also nur übrig, zwischen den beiden 
anderen Möglichkeiten die Wahl zu treffen oder beide anzuerkennen. Entweder 

1 Neurolog. Centralbl. 1906. Nr. 4. 

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haben jene Völkerstämme ein besser konstituiertes Nervensystem als wir, oder 
sie leben unter günstigeren Bedingungen. Beides wird von Näcke als fest¬ 
stehend angesehen. Er vertritt die zuerst von Jofpäot geäußerte Ansicht, daß 
die progressive Paralyse und auch die Tabes nur in einem ab ovo labilen Nerven¬ 
system zustande kommen können, und daß Syphilis, aber neben und außer der¬ 
selben gleich wirksame Ursachen wie körperliche oder geistige Strapazen, Alko¬ 
holismus usw. nur prädisponierend oder auslösend wirken und den auch sonst 
wohl unvermeidlichen Zusammenbruch herbeiführen. Er bestreitet, daß Syphilis 
in einem von Geburt aus gesunden und niemals schädigenden Einflüssen unter¬ 
worfenen Nervensystem jemals jene degenerativen Prozesse auslösen kann. Wenn 
die letzteren aber zu den Spätformen der Syphilis gehören, wie etwa gummöse 
Neubildungen, so sollte man erwarten, daß überall ein gewisses Verhältnis 
zwischen der Häufigkeit der Syphilis und der Paralyse, modifiziert durch die 
Häufigkeit der Geisteskrankheiten im allgemeinen, obwaltet. Näcke glaubt, daß 
in den von ihm bereisten südöstlichen Ländern Geisteskrankheiten nioht so häufig 
sind als bei uns. Dies mag wohl wahr sein, doch darf man nicht vergessen, 
daß es dort kaum Städte gibt, welche den Namen einer Großstadt verdienen. 
Daß die dortige ackerbautreibende Landbevölkerung aber ein stabileres Nerven¬ 
system besitzt, als unsere Bauern, folgt daraus noch lange nicht. Irrsinn wird 
vor allem im Miasma der Großstädte ausgebrütet Der Bauer längt in erster 
Linie vom Wetter ab, der Stadtbewohner von seinen lieben Mitmenschen, und 
das Wetter führt nicht so leicht zum Irrsinn als die Härte der lieben Mit¬ 
menschen im unerbittlichen Kampf ums Dasein. Um jedoch die Diskussion zu 
vereinfachen, soll die relativ geringere Häufigkeit von Irrsinn z. B. in Bosnien 
eingeräumt werden. Sagen wir einmal, sie belanfe sich dort auf die Hälfte der 
für das übrige Europa geltenden Durchschnittsziffer. Dann sollte man wohl er¬ 
warten, daß auch die Zahl der Paralytiker in Bosnien relativ halb so groß als 
im übrigen Europa sei; doch ist kein Grund vorhanden, weshalb das numerische 
Verhältnis zwischen diesen beiden Krankheitsgruppen in Bosnien in so eklatanter 
Weise verändert ist. Wenn die Irrenanstalt in Sarajewo nur 0,65 °/ 0 von 
Dementia paralytica unter einheimischen, dagegen 10°/ o unter fremdländischen 
Parienten aufwies, so ist dies ein Mißverhältnis, zu dessen Erklärung die von 
Näoke gegebenen Gründe sicher nicht ausreichen. Seine Gründe machen es 
wohl begreiflich, daß Geisteskrankheiten, Paralyse einbegriffen, in Bosnien nicht 
so heimisch sind als bei uns, nicht aber warum dort die Paralyse relativ so viel 
seltener ist als andere Störungen. Er führt ganz richtig an, daß in Bosnien 
ein Menschenschlag lebt, dessen Nervensystem durchschnittlich widerstandsfähiger 
ist als das nnsrige und dessen Gesundheit nicht durch eine durch Jahrhunderte 
bestehende hohe Kultur mit dem unvermeidlich damit verbundenen Stadtleben, 
Luxus, Alkoholismus u. s. w. untergraben ist. Ferner sei der Kampf ums Dasein 
dort kaum zu bemerken. Auoh dies soll zugestanden werden. Etwa 80°/ 0 der 
Bewohner Bosniens sind Analphabeten, wie mir persönlich bekannt ist. Die 
meisten Kleinbauern leben von ihrer Scholle und haben keine Ahnung von 
Börsenkursen. Alles dies mag sehr richtig sein und läßt es begreiflich erscheinen, 


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warum der Irrsinn dort weniger häufig auftritt als bei uns, enthält aber nicht 
die leiseste Andeutung, weshalb die Gehirnerweichung dort so viel seltener auf* 
tritt, als man der Zahl der übrigen Geisteskrankheiten gemäß erwarten sollte. 
Denn letztere sind doch mit größerem Recht als Paralyse, and besonders als 
Tabes, als Zeichen eines minderwertigen Gehirnes anzusehen. Von Paralyse und 
Tabes muß dies erst bewiesen werden. Nicra scheint gar nicht zu sehen, daß 
die bosnischen Tatsachen seiner eigenen Lehre vom „ab ovo invaliden Gehirn“ 
der Paralytiker ebenso sehr zuwiderlaufen als der EnB’schen Lehre. Denn wenn 
von 100 invaliden bosnischen Gehirnen kaum eins der Paralyse verfallt, so 
spricht offenbar dieser Umstand mit derselben Überzeugungskraft gegen die 
NiCKB’sche Lehre als gegen die EsB’sche das andere Faktum, daß die bosnische 
Syphilis keine Paralyse hervorruft. Oder glaubt NAckb etwa, daß Paralyse oder 
gar Tabes, die doch am entgegengesetzten Pol des Centralnervensystems einsetit, 
eine größere Invalidität des Gehirns voraussetzt, als eine auf hereditärer Grund¬ 
lage basierende Epilepsie oder Paranoia? Es ist schade, daß er seine, wenigstens 
in bezug auf Paralyse, völlig einleuchtende Theorie der EnB’schen entgegengesetzt 
hat. Sie gewinnt dadurch weder selbst, noch schadet sie ihrer Gegnerin. Beide 
Theorien schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich; denn es 
ist sehr wohl möglich, daß jemand, der eine Lues durchgemacht bat, nur dann 
von progressiver Paralyse bedroht ist, wenn er ein invalides Gehirn mit auf die 
Welt gebracht oder später akquirirt hat; oder umgekehrt, daß ein hereditär oder 
anderweitig minderwertiges Gehirn wohl anderen Geisteskrankheiten, aber nie 
der Paralyse anheim fallen kann, ohne eine vorausgegangene Syphilis. Beide 
Theorien reichen aber weder für sich noch kombiniert dazu aus, die in Bosnien 
und anderen Ländern beobachteten merkwürdigen Tatsachen dem Verständnis 
näher zu bringen. 

Wir wollen nun sehen, ob sich diese widerspenstigen Fakten meiner eigenen 
Theorien fügen. Sie sollen zugleich den Prüfstein abgeben, an dem diese Theorie 
ihre Echtheit und Kraft erproben kann. In der Tat ist mit ihrer Hilfe die 
Lösung des Dilemmas überraschend einfach. In der ersten Hälfte des 16. Jahr¬ 
hunderts erschien eine Abhandlung, betitelt: De Guaiaci medicina et morbo 
Gallico. 1 Dieselbe ist wohl der Ärztewelt bekannt, doch verdient sie auch gelesen 
zu werden. Denn sie enthält viel des Wissenswerten und stammt von keinem 
Geringeren als dem Ritter, Dunkelmann, Dichter, Patrioten, Freidenker, Lebemann 
und Ärztefeind Ulbich von Hutten. Er beschreibt darin in mustergiltiger 
Weise die Geschichte, Symptomatologie und Therapie der Franzosenseuche and 
seine eigene Heilung. Bei der Lektüre dieser hochinteressanten Schrift legt man 
sich unwillkürlich die Frage vor, ob die mit der Bildung schwarzer Pusteln, 
Knoten, Verschwärung, Verjauchung und ekelerregendem Geruch einhergehende 
epidemische Krankheit mit unserer relativ harmlosen Syphilis identisch sei. In 
dieser Form trat sie im französischen Heere auf, als dasselbe im Jahre 1498 
vor den Mauern Neapels lag, verlor jedooh im Laufe von Dezennien ihren 


1 Übersetzung von Dr. Heinrich Oppenheimer. Berlin 1902, Hirschwalds Verlag. 

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pestilenzialischen Charakter. Sie büßte dann von einem Jahrhundert zum 
anderen, wie aus geschichtlichen Berichten hervoigeht, immer mehr von ihrer 
Bösartigkeit ein. Shakespeare schildert im Thimon von Athen (1623) deren 
Symptome als Knochenfraß, Sattelnase, Aphonie und Haarverlust Wenn man 
nun moderne Schilderungen einer epidemisch auftretenden Lustseuche liest, welche 
infolge ihrer Bösartigkeit und erhöhten Kontagiosität an alte Überlieferungen 
erinnert, so kann man sich nicht der Überzeugung verschließen, daß in jenen 
Ländern die Seuche neueren Datums ist Bei ihrem ersten Erscheinen 
auf den Sandwichinseln richtete sie, ähnlich wie die sonst so unschuldigen Masern 
bei ihrem Debüt auf den Faröeinseln, unter den Eingeborenen furchtbare Ver¬ 
heerungen an. Gleiche Erfahrungen sind bei anderen Infektionskrankheiten ge¬ 
macht worden. Eisenbahnen und Dampfschiffe sorgen dafür, daß viele Seuchen, 
welche früher nur eine endemische Ausbreitung hatten, in die entlegensten 
Winkel der Erde verschleppt werden. Bosnien, um nur ein Beispiel zu nehmen, 
lag gänzlich abseits von den großen europäischen Verkehrsadern, bis es im Jahre 
1879 seine erste Eisenbahnlinie erhielt Wahrscheinlich hat auch die islamitische 
Haremswirtschaft mit ihrer Isolierung der Weiber lange Zeit eine wirksame 
Schranke in allen unter der Türkenherrschaft stehenden Ländern, und so auch 
früher in Bosnien, gegen das Eindringen und besonders gegen die Ausbreitung 
der Syphilis gebildet Syphilis ist wohl auch schon vorher in diesen Ländern 
sporadisch aufgetreten, hat jedoch niemals festen Fuß fassen können. Der 
Schmutz, dem Näcke für die bosnische Epidemie eine große Bedeutung bei¬ 
mißt, hat wohl weniger damit zu schaffen, denn in vielen ländlichen Distrikten 
Polens und Irlands, wo Mensch und Schwein in rührender Eintracht zusammen¬ 
wohnen und reichliche Gelegenheit für die Ausbreitung der Seuche gegeben ist, 
tritt sie nicht in der bösartigen Form auf. 

Die Folgerungen ergeben sich von selbst Je kürzere Zeit eine Seuche ein 
Land heimgesucbt bat, desto größer ist ihre Malignität und Ansteckungskraft; 
denn: die Immunität der betroffenen Bevölkerung gegen die neue Seuche ist 
noch gering oder fehlt ganz, und der Krankheitstoff muß erst durch eine Reihe 
von Generationen hindurchgegangen sein, bevor er einen nennenswerten Wider¬ 
stand findet Syphilis ist wenn auch vielleicht nicht in ihrem völlig rätselhaften 
Ursprung, so doch in ihrer historischen Entwickelung eine Krankheit jener 
mittelalterlichen und modernen Staaten Europas, welche die höchte Zivilisation 
mit der größten Bevölkerungsdichte vereinen. Diese Nationen haben durch einen 
400 Jahre währenden Kampf mit der Syphilis sich einen gewissen Grad von 
Immunität gegen dieselbe erworben, während andere, abseits vom Weltgetriebe 
lebende Völker und Völkchen, nnter welchen diese Krankheit kürzere Zeit gehaust 
hat, minder immun sind. Hieraus folgt weiter, daß die Menschen und 
Menschenrassen in bezug auf Syphilis konstitutionell verschieden 
sind: die einen reagieren auf eine syphilitische Infektion mehr, die 
anderen weniger energisch durch spontane Produktion von spezi¬ 
fischen Schutzstoffen. Ob jemand sich mit Fug und Recht als von seinen 
Vätern her zu den ältesten Kulturstaaten Europas gehörig betrachten darf, das 

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bängt, so paradox dies auch klingen mag, von seiner größeren oder geringereu 
Toleranz gegen Syphilis ab. Diese Toleranz bringt aber eine nicht zu unter* 
schätzende Gefahr mit sich, denn eine Überproduktion von spezifischen Antitoxinen 
kann in neurotischen, gelegentlich wohl auch in gesunden Subjekten zur Ent¬ 
wicklung von progressivem Gehirn- oder Rüokenmarkschwund, fahren. 

Die Autointoxikationstheorie dieser Krankheiten söhnt alle Gegensätze aus 
und gerät nirgends mit sich selbst und mit feststehenden Tatsachen in Wider¬ 
spruch. Die Rechnung geht auf, und es bleibt kein Rest öbrig, mit dem man 
nichts anzufangen wüßte. Wenn Bosnien sich über Nacht in einen Kulturstaat 
verwandelte, so würde unter den Einheimischen trotz Schlemmerei, venerischen 
Leiden, Großstadtluft und Börsenkursen doch die Paralyse auf Jahrzehnte hinaus 
eine seltene Erkrankung bleiben. Das Haupterforderais für das Zustandekommen 
einer Tabes oder Paralyse ist in erster Linie ein gewisser Grad von angeborener 
Immunität gegen Lues, in zweiter und dritter Linie eine luetische Infektion und 
ein invalides Nervensytem, und ganz zum Schluß kommen die anderen Faktoren 
wie Alkoholismus und geistige und körperliche Traumen, auf welche so viel 
Gewicht gelegt wird. Die Zahl der Degenerierten in Bosnien ist viel größer, als 
man nach der verschwindend geringen Anzahl der Paralytiker vermuten sollte; 
die Syphilis verschont keine Altersklasse; Säufer gibt es dort wie überall. Auch 
in Bosnien giebt es Mißernten, Hungersnot und seelische Bedrängnis; es treffen 
dort alle Faktoren zusammen, denen gemäß man eine dem Irrsinn parallele 
Häufigkeit der Paralyse erwarten sollte. Doch der Hauptfaktor fehlt: die im 
Blute zirkulierenden spezifischen Schutzstoffe. Diese in einer Beziehung so 
nützlichen Stoffe sind ein Danaergeschenk der Natur. Der progressive Nerven- 
schwund wird in jeder folgenden Generation eine größere Zahl von Opfern 
fordern. Doch was uns jetzt als eine Geißel des Menschengeschlechts erscheint, 
ist vielleicht das wirksamste, wenn auch grausame Mittel, vermittels dessen 
ersteres von minderwertigen Elementen gesäubert werden kann. 

Einige interessante Schlüsse ergeben sich aus diesen Betrachtungen Eine 
Mutter, welche von einem syphilitischen Vater ein krankes Kind zur Welt bringt, 
ohne selbst infiziert zu werden, kann trotzdem an Tabes oder Paralyse erkranken; 
denn sie produziert die Giftstoffe, vermöge deren sie immun ist Ferner ist es 
denkbar, daß eine ausnahmsweise starke ererbte Immunität selbst ohne kongenitale 
oder akquirierte Lues (wenn z. B. zufällig Syphilis unter den Vorfahren auf 
väterlicher und mütterlicher Seite hervorragend häufig war) in einem neurotisch 
belasteten Individium beim Hinzutreten anderer Schädlichkeiten zu jenen Leiden 
disponieren kann. Ob solche Fälle je Vorkommen oder häufiger sind als man 
denkt, mag dahingestellt bleiben. Vielleicht sind einige andere Spätformen der 
Syphilis, vor allem die Endarteriitis auf dasselbe Gift zu beziehen. Schließlich 
mag noch darauf hingewiesen werden, daß alle progressiven und symmetrischen 
Erkrankungen, besonders solche, welche in Familien erblich sind, Muskelatrophien 
u. dgl., an das Vorhandensein eines gelösten Giftes denken lassen. Nihil a se 
potest destrui, sagt Spinoza. Andere Möglichkeiten einer Autointoxikation 
sind reichlich vorhanden, denn die meisten Infektionskrankheiten regen die Ab- 

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sonderung ähnlicher abnormer Stoffwechselprodukte an. Die Unheilbarkeit dieser 
Leiden ist nur Erfahrungssache, nicht aber eine logische Notwendigkeit. Viel¬ 
leicht wird es der unaufhaltsam fortschreitenden Wissenschaft gelingen, ein jene 
„Gegengifte“ neutralisierendes „Gegengift“ zu entdecken. 


2. Über Myasthenia gravis. 1 

Von Prof. Dr. Alessandro Borgherini in Padua. 

Im Mai 1905 teilte Buzzabd der Pathologischen Gesellschaft in London 3 
die Resultate seiner Untersuchungen über fünf zur Autopsie gelangte Fälle 
von Myasthenia gravis mit 

Diese Resultate können folgenderweise zusammengefaßt werden: keine be¬ 
deutende Läsion weder im peripherischen, noch im Centralnervensystem, keine 
in der Thymusdrüse; dagegen erhebliche Läsionen in den quergestreiften Muskeln 
in Form von Infiltration zwischen die Muskelfasern von lymphozyten-ähnlichen, 
gruppenweise vereinzelten und unregelmäßig verstreuten Zellen. Diese Zellen¬ 
haufen nannte Buzzabd „Lymphorrhagien“. Die Muskelfasern zeigten 
stellenweise den Charakter der hyalinen Entartung; in 3 Fällen fanden sioh 
Lymphorrhagien auch in den Augenmuskeln; sie wurden auch in der Leber, in 
den Nebennieren, in der Schilddrüse, im Herzmuskel und sogar in einem Spinal¬ 
ganglion beobachtet. 

Nach Buzzabd stellen die muskulären Lymphorrhagien die hauptsächlichste 
und konstante Läsion in der Myasthenia gravis dar; ihre Konstatierung ist jedoch 
schwierig und mühevoll, so daß sie leicht einer nicht sehr aufmerksamen Unter¬ 
suchung entgehen können. Eine Erklärung der Ursache der Lymphorrhagien 
ist vor der Hand nicht möglich, da keine gleichzeitigen Veränderungen im Blut 
und in den Lymphdrüsen existieren und ihre Anwesenheit das klinische Bild 
der Krankheit nicht erklärt. 

Da ich Gelegenheit hatte 3 Fälle von ERB-GoLDPLAM’scher Krankheit zu 
beobachten, davon einen vor ganz kurzer Zeit, habe ich versucht, einigen 
diese Krankheit betreffenden Fragen näher zu treten, und vor allem interessierte 
ich mich in Verfolg der BuzzABn’schen Mitteilung für das Studium der Muskel¬ 
fasern. 

Da meine Kranken noch am Leben sind, konnte ich mir nicht anders 
das Material verschaffen, als es dem noch lebenden Muskel zu entnehmen. 

Es ist bekannt, wie tiefe Veränderungen in ihren histologischen Eigen¬ 
schaften die Muskelfasern durch die einfache Trennung vom lebenden Körper 
erleiden, so daß die Muskelbioskopie, wie sie gewöhnlich angewandt wird, in der 
Klinik nur gerechtem Mißtrauen begegnet 


1 Vortrag, gehalten auf der Wander Versammlung des Vereins für Psychiatrie und 
Neurologie in Wien am 5. Oktober 1906. 

* British medioal Journal. 1905. Nr. 2616. S. 1092. 


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Seit einiger Zeit habe ich gelegentlich anderer ähnlicher Untersuchungen die 
Muskelbioskopie mit einer Abänderung des gewöhnlichen Verfahrens angewendet, 
die mir ausgezeichnete Resultate geliefert hat. Nach dem Vorschläge des Herrn 
Kollegen Dr. Ludwig Angelozzi, der in meinem Loboratorium diese Gattung 
Untersuchungen vornahm, wurden die den Kranken entnommenen Muskelstücke 
in die Muskeimasse eines im selben Augenblick getöteten Versuchstieres (Hund, 
Kaninchen, Meerschweinchen) eingeführt, wo sie 24—38 Stunden verblieben; 
nach dieser Zeit werden sie herausgenommen und mit den gewöhnlichen 
Härtungsverfahren behandelt. Beim Ausschneiden der Muskeln müssen einige 
Vorsichtsmaßregeln angewandt werden, d. h. nach der subkutanen lokalen 
Kokalnisierung wird die Wunde nur mit physiologischer Lösung von 38 °G. ge¬ 
waschen; man gibt Acht, die Muskeln möglichst sorgsam zu behandeln; während 
ein Operateur die Extraktion vornimmt, tötet ein anderer das Tier mit Chloro¬ 
form, öffnet die Muskelscheide des Rectus abdominis und deponiert tief zwisohen 
den Bündel dieses Muskels die vom Menschen stammenden Stücke; die Wunde 
des Tieres wird genäht und verbunden; man läßt das Tier in nicht zu kaltem 
Raum 24—36 Stunden, während welcher Zeit die Totenstarre beginnt und eine 
gewisse Zeit andauert 

Diese Methode bezweckt den exstirpierten Muskel in die besten Umstände 
zu versetzen, damit das Absterben der Zellen und der Fasern wie beim natür¬ 
lichen Tode stattfinde. 

Mit dieser Abänderung der gewöhnlichen Methode der Muskelbioskopie 
wurden an normalen und pathologischen Muskeln viele Untersuchungen von 
Dr. Angelozzi ausgeführt, welchen ich mit Interesse folgte. 

Das Muskelgewebe zeigt sich vorzüglich erhalten. Bei frischen Präparaten 
erscheinen die Fasern etwas dicker und runder als gewöhnlich, und wie wenn 
sie saftiger wären. Die Querstreifung und die Konturen treten scharf hervor. 
Nach der Fixierung und Färbung sind die Kerne und das Sarkoplasma so klar 
und deutlich sichtbar, wie man es in den der Leiche entnommenen Stücken 
gewöhnlich nicht findet. 

Ich meine daher, daß dieses Verfahren der Muskelbioskopie in der Klinik 
Verbreitung finden könnte, was für die an manchen Stellen so dunkle und so 
vernachlässigte Pathologie des Muskelsystems von nicht geringem Vorteil sein 
dürfte. 

Diese Methode wurde von Dr. Angelozzi auch beim Studium der Myasthenia 
gravis angewandt Die Resultate wurden unter meiner Anleitung auf der Ihnen 
hier vorliegenden Zeichnung festgehalten. 

Mehrere Fasern sind verdickt und messen 76, 85, ja vereinzelte sogar 
110 jx; doch gibt es einige, welche nicht über 45 p. hinausgehen. Ihre Quer¬ 
streifung ist im allgemeinen gut erhalten und sie sehen ganz normal aus, nur 
sind die Kerne fast alle vermehrt. Aber der Umstand, der am meisten auf- 
fällt, ist die Anwesenheit zwischen diesen beinahe normalen Fasern von anderen 
Fasern, welche die sogen, plasmoidale Regression darstellen. In einigen ist diese 
Regression central. Man sieht inmitten der Faser zahlreiche Elemente ver- 


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schiedeuer Größe, die viele Chromatinküruchen enthalten und von einem Hof 
aus Sarkoplasma umgeben sind, welches sich in der Längsrichtung fortsetzt, wo¬ 
durch die Faser geteilt wird und eine V-förmige Figur zeigt (V-förmige Faser). 
Das umgebende Myoplasma verliert seine Differenzierung und kehrt wieder in 
den Plasmoidalzustand zurück. Die Querstreifung hat auch in einer gewissen 
Entfernung ihr klares Aussehen verloren, während die Längsstreifung mehr 
hervortritt (Fig. 1 und 2). Im Querschnitt ist das sogen. ConNHEiM’sche Feld 
ausgesprochener zu sehen infolge von deutlicherem Erscheinen der prmitiven 
Fibrillen. — In anderen Fasern ist die plasmoidale Regression 1 total; die Faser 
zeigt sich völlig in protoplasmatische Substanz verwandelt und scheint sich in 



Fig. l. Fig. 2. 

Centrale plasmoidale ltegression. ln den Fasern zahlreiche Elemente mit vielen Cbroraatin- 
körnchen. Ringsum ein großes Feld von Sarkoplasma. Die Qnerstreifung fast verloren, die 
J.angsstreifung* tritt mehr hervor. Koritska Okular 3, Objektiv homog. Immere. , Rohr¬ 
länge 160 mm. 

hyaliner Entartung zu befiuden; man bemerkt kaum hie und da Reste vou mehr 
oder weniger verändertem Myoplasma (Fig. 3). Im Innern ist die Substanz mit 
chromatiureichen Kernen besät, von denen einige sich in direkter Teilung be¬ 
finden (Fig. 4). Zahlreiche Beobachtungen haben mich überzeugt, daß die 
meisten inmitten der Muskelfasern bemerkten Elemente in situ aus den 
Sarkolemmakernen entstehen und nicht in Phagozyteueinwanderung ihren Ur¬ 
sprung haben. 

Neben den so veränderten Fasern bemerkt man Blutkapillaren, die scheinbar 
mit denselben verschmelzen. Über die intramuskulären Nervenendigungen kann 
ich nichts sagen, weil ich keine passenden Präparate erhalten habe. 


1 Alles, was das Argument der plasmoidalen Entartung betrifft, findet sich ausführlich 
in dem Manuel d’Histologie pathologique von Cornil et Ranvier. II. 1902. S. 97 u. fl’. 
(Y'erfasser Dr. G. Dukante), wohin ich auch bezüglich des reichen Literaturnachweises ver¬ 
weise. 


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Dieser Befund ist, wie bekannt, nicht charakteristisch; er wurde auch bei 
anderen krankhaften Zuständen gefunden nnd hauptsächlich bei der Dystrophia 
musculorum progressiva von Ebb u. a. (Lewin, Eisenlohr, Schültze, P. Marie, 
Friedreich, Cohnheim, Knoll), aber gerade deswegen scheint er mir eine 
große Bedeutung erlangen zu können. Ich bemerke, daß fast alle Autoren, die 
sich mit der Myasthenia gravis befaßt haben, von vollkommener Integrität der 

Muskeln sprechen, aber ich kann nicht anders 
als mit Buzzabd hervorheben, daß die Unter¬ 
suchung dieser Läsionen sehr schwierig und 
ttigffih mühevoll ist und frage mich, inwieweit mein 

Befund mit jenem Buzzard’s übereinstimmen 
IHnili ' kann, der, wie ich früher erwähnt habe, bei 

seinen Fällen von Lymphorrhagien und hyaliner 
,v IIIiPJI Entartung der Muskelfasern spricht. Nach meiner 


Fig. 3. Totale plasm. Regres- Fig. 4. a Muskelkern in direkter Teilung begriffen, 

sion in der linken Faser, die b Blutkapillaren inmitten degenerierter Fasern. (Groß« 

in protoplasmatische Substanz wie in Figg. 1 u. 2.) 

verwandelt ist und hyaliner 
Entartung gleicht. (Größe wie 
in Figg. 1 u. 2.) 

Meinung ist die tTbereinstimmuug größer, als sie beim ersten Blick scheinen 
könnte. 

Es muß hinzugefügt werden, daß in mehreren Fällen im selben Individuum 
mit der Myasthenia gravis auch Muskelatrophie einhergeht, und zwar mit dem 
Typus der vorgenannten Dystrophia musculorum progressiva (Brissaud und 
Lantzenbehg, Atrophie der Armmuskeln; Bernhardt und Kojewnikoff, 
Atrophie der Halsmuskeln; Laquer, Atrophie der Oberarmmuskeln und der 
Pectorales). Diese Vereinigung fand sich auch in meinem letzten Falle, von dem 
ich die Photographie (Fig. 5) vorlege. Bei diesem bestand neben der bekannten 
myasthenischen Störung der Augen- und Oberlidmuskel: Hypotrophie der Zunge, 
welche beim Herausstrecken nach rechts gelenkt wurde; Hypotrophie der Lippen, 

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Fig. 5. 


besonders der Oberlippe, welche an den Zähnen anlag; Atrophie der Gesichts¬ 
muskeln , wo die normalen Falten fast verwischt waren und das ganze Gesicht 
das Aussehen einer Maske hatte; Atrophie des Cervikalteiles des Cucullaris;" 
Atrophie der Halsmuskeln, eingeschlossen die Steruocleidomastoidei; Atrophie 
der Pectorales; Hypotrophie der Ober¬ 
armmuskeln. Bei allen atrophischen 
Muskeln ergab die elektrische Prüfung 
eine bedeutende Abnahme der indirekten 
und noch mehr der direkten Erregbar¬ 
keit, Zunahme der mechanischen Reiz¬ 
barkeit, bedeutende Verminderung der 
willkürlichen Zuckung. Die elektrische 
wie die funktionelle Prüfung haben bei 
den atrophischen Muskeln auch die ge¬ 
ringste Spur von Myasthenie ausschließen 
lassen. Die Krankheit währt seit zwei 
Jahren und begann mit neuralgischen 
Schmerzen am Halse und den Schläfen¬ 
gegenden, die noch andauern. 

Die Tatsache, daß einerseits in der 
Myasthenia gravis sich histologische Ver¬ 
änderungen der Muskeln linden, die auch in der Dystrophia musculorum progressiva 
konstatiert wurden, und daß anderseits die zwei Krankheitsbilder sich nicht 
selten im selben Individuum vereinigen, erweckt die Überzeugung, daß zwischen 
den beiden Krankheiten eine gewisse, jedoch nicht genau bestimmbare Ver¬ 
wandtschaft bestehen muß. 

An meinen Patienten habe ich auch die elektrische Reaktion studiert, be¬ 
sonders an den Muskeln, welche Gegenstand der histologischen Untersuchung 
waren. 

Es ist bekannt, welcher Art das Verhalten der Muskelu gegenüber dem 
direkten und indirekten faradischen und galvanischen Strom bei der Myasthenia 
gravis ist. Nach Jolly 1 und fast allen, welche die elektrische Untersuchung 
wiederholt haben, verhalten sich Muskeln und Nerven bei der gewöhnlichen 
elektro-diagnostischen Prüfung völlig normal. Erzeugt man aber mit dem fara¬ 
dischen Strom die tetaniscbe Zuckung eines Muskels und wiederholt man in 
kurzen Zeiträumen diesen Reiz, so erschöpft sich sehr schnell die Muskelerregbar¬ 
keit und nur nach verhältnismäßig längerer Zeit kann sie sich wieder einstellen.. 
Diese elektrische Reaktion wird von Jolly „Erschöpfungsreaktion“ genannt, 
oder auch mit dem speziellen Namen myasthenische elektrische Reaktion be¬ 
zeichnet und wurde schon früher von Benedikt bei auderen Kraukheitsformen 
beschrieben. 

Nun scheint es mir diesbezüglich nicht ohne Interesse, etwas hervorzuheben, 
was ich in meinen Fällen beobachtete. 


1 Berliner klin. Wocbenscbr. 1895. Nr. 1. 

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Bei der gewöhnlichen elektro-diagnostischen Prüfung erscheint die Erregbar¬ 
keit der Nerven dnrch beide Ströme quantitativ normal, hingegen ist die der 
Muskeln vermindert Diese verminderte Erregbarkeit, welche ausgesprochen ist, 
wenn der Muskel bis dahin funktioniert hat und ermüdet ist, zeigt sich jedoch 
immerhin vorhanden, anch wenn der Muskel ausgeruht war. In den am meisten 
angegriffenen Muskeln erzeugt der, wenn auch mäßige, durch den faradischen 
Strom verursachte direkte Beiz eine langsame wellenartige Zuckung, die 
durch den Wechsel von ungleichzeitiger Zusammenziehung und Erschlaffung in 
den Faserbündeln der Muskeln hervorgerufen wird. Je länger der Beiz an¬ 
dauert, umso auffallender wird die wellenartige Zuckung. 

Aber das wichtigste Resultat betrifft den Effekt des direkt auf den Muskel 
wirkenden galvanischen Stromes. Der Kathodenschließung folgt eine Zuckung, 
welche mehrmals hintereinander wiederholt, sich rasch erschöpft; es ist eine 
wahre galvanische Erschöpfungsreaktion. Schaltet man den Strom um, d. b. 
läßt man auf den Muskel die Anode mit derselben Stromstärke wirken, so erhält 
man daduroh eine so starke Zuckung wie früher mit der Kathode; demnach 
bewahrt der Muskel die Erregbarkeit durch die Anode, während die Erregbarkeit 
durch die Kathode schon erloschen ist Wird gleich darauf der Strom nochmals 
umgeschaltet, so daß man weder mit der Kathode auf den Muskel wirkt', dann 
ergibt sich von neuem eine Muskelzuckung; es ist demnach höohst auffallend, 
daß der anodische Beiz sogleich die schon verschwundene kathodische Erregbar¬ 
keit des Muskels erweckt und auf den früheren Grad erhöht. Demzufolge kann 
also in einigen Fällen auch die galvanische Beizung, obwohl nicht bis zur Tetanus¬ 
zuckung getrieben, die Erschöpfung der Muskeln hervorrufen, wie die faradische, 
aber während man beim faradischen Strom eine gewisse Zeit auf die Wieder¬ 
herstellung der Erregbarkeit warten muß, genügt bei dem galvanischen die Um- 
Schaltung des Stromes zur Erreichung desselben Resultates. 

Diese Beobachtungen lassen zuerst daran zweifeln, daß bei der Myasthenia 
gravis die Läsionen in den intermuskulären Nervenendigungen liegen, wie anch 
Tatlob letzthin behauptete. 1 Die Reizbarkeit der Nerven zeigt sich immer 
normal; nur durch den direkten Muskelreiz begegnet man erhebliohen Ab¬ 
weichungen von der normalen Reaktion und mit so ausgeprägtem Charakter, 
daß sie bis zu einem gewissen Grade wie eine spezifische Reaktion erscheint 
Eine Erklärung dieser Reaktion ist jedoch schwer zu geben, auch wenn man 
sich die Art der in den Muskelfasern befindlichen Läsionen vergegenwärtigt 

Joteyko 2 schreibt in ihrer Mitteilung über Entartungsreaktion das Vor¬ 
wiegen der galvanischen Erregbarkeit in den degenerierten Muskeln dem nicht 
differenzierten Sarkoplasma zu, das sich während des Degenerationsprozesses 
vermehrt 

Levi 3 behauptet in bezug auf die Myotonie, daß das myotonische Bild (die 


1 British med. Journal. 1905. Nr. 2306. S. 517. 

* Annales d’Electrobiologie et de Radiologie. 1908. Nr. 6. 

* Revue neurologiqae. 1905. Nr. 15. 


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myotonische Reaktion eingeschlossen) die Funktion einer sarkoplastischen Hyper¬ 
genese und einer Erhöhung der Tätigkeit desselben Sarkoplasma darstellt 

Bei der Myasthenia gravis, wie ich oben erwähnte, existierte in vielen 
Fasern eine reiche Zell- und Sarkoplasmawucherung; in anderen, die normal 
schienen nnd nur verdickt waren, zeigte sich trotzdem eine Zunahme der Kerne 
und die elektrische Prüfung ergab Erschöpfungsreaktion. 

Das könnte nach meiner Meinung Weisen, daß nicht so sehr die An¬ 
wesenheit von reichlichem Sarkoplasma die spezielle elektrische Reaktion hervor¬ 
ruft, sondern verschiedene eigentümliche Zustände in den kranken Muskeln. 

Wir wissen, daß gewisse chemische Stoffs, wie Phosphoraäurenatron, Veratrin, 
Physostigmin, Digitoxin und die organischen Säfte mehrerer Drüsen (Schild¬ 
drüse, Thymus, Hypophysis, Eierstock, Hoden, Nebennieren) die Funktion des 
Sarkoplasma erhöhen; wir wissen auch, daß noch andere Substanzen dieselbe 
Funktion vermindern, wie Protoveratrin; wir wissen ferner, daß die durch lang« 
dauernde und starke faradische Reizungen erzeugte Muskelermüdung eine rasch 
vorübergehende Entartungsreaktion hervorrufen kann. 1 Man muß daher an¬ 
nehmen : in den Muskeln, in welchen sich die Entartungs- oder die myotonische 
oder die myasthenische Reaktion findet, würden besondere chemische Substanzen 
von den Gewebezellen ausgeschieden, die das spezielle Verhalten gegenüber dem. 
elektrischen Strome bedingen. In gleicher Weise spricht sich auch Jolly be¬ 
züglich der Myasthenia gravis aus. Die eigentümliche Natur des Krankheits¬ 
prozesses liegt also gerade in diesem besonderen Vorgang im Leben der Zelle. 

Zuletzt erlaube ich mir, noch einen Punkt in der Pathologie der Myasthenia 
gravis zu berühren, und zwar das Verhältnis zwischen dieser und der Polio- 
encephalomyelitis. 

Es ist bekannt, daß Kausche»* geneigt ist, die Myasthenia gravis als ein 
krankhaftes Syndrom zu betrachten, dessen anatomische Ursache gerade in der 
Polioencephalomyelitis zu suchen ist 

Ich habe in meiner Abteilung einen derartigen Fall beobachtet, dessen 
anatomische Präparate ich Ihnen vorlege und die von einem 61jährigen Manne 
herstammen. Die Krankheit batte im ganzen 9 Tage gedauert, begann mit 
allgemeiner Schwäche, die immer mehr zunahm, bis am 6. Tage der Kranke 
das Bett nicht mehr verlassen konnte. Am 6. Tage war die Temperatur 88,2, 
der Puls regelmäßig, Dyspnoe bei jeder raschen Bewegung, Stimme rauh; jede 
fortgesetzte Bewegung verursachte sofort die Erschöpfung der Muskelkraft; der 
Gaumenreflex war verschwunden und so auch die Sehnenreflexe; die Hautreflexe 
waren nur vermindert 

Der Kranke verfiel rasch unter Zunahme aller vorgenannter Symptome, 
zu denen noch Dysphagie kam, und starb in einem Anfall von Apnoö. Die 
elektrodiagnostische Prüfung wurde wegen des schweren Zustandes des Kranken 
nicht ausgeführt. 


' Acheles, Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 27. 

* Deutsche Zeitschr. f. Nerrenbeilk. IV, 1894 n. IX. 189t'. — Zeitschr. f. klin. Med. 


XXXI, 1897. 

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Die histologisohe Untersuchung hat eine akute Entzündung der grauen 
Substanz um den Centralkanal ergeben, welche sich über den größeren Teil des 
Dorsalmarkes und das ganze Cervikalmark erstreckte und nach oben bis zur 
Oblongata und zur Brücke Übergriff Keine Läsion ergab sich im N. vagus und 
in mehreren Muskelstücken. Bezüglich der Ätiologie ist zu bemerken, daß zu 
jener Zeit eine Influenzaepidemie herrschte. Die klinisohe Diagnose lautete: 
Asthenische Bulbärlähmung mit rapidem Verlauf. 

Aber wenn das klinische Bild diese Diagnose auch gestattet hätte, so ist 
doch der Abstand zwischen diesem Fall von akuter Polioencephalomyelitis und 
der Myasthenia gravis so groß, daß ich mich in Verlegenheit finden würde, auf 
Grund ähnlicher Symptome eine Annäherung zu versuchen, weil die einfache 
Erscheinung der raschen Erschöpfung der Muskelkraft nicht dazu hinreichend 
ist Es ist klar, daß weniger rasch verlaufende Formen von Polioeneephalo- 
myelitis in mancher Beziehung noch eher eine Myasthenia gravis vortäusoben 
können. Aber das genügt noch nicht, um aus den beiden Krankheitsbildem 
einen einzigen Prozeß abzuleiten. 

Indem ich das bisher Gesagte kurz zusammenfasse, schließe ich: 

Bei meinen klinischen Arbeiten habe ich mehrfach eine Methode der Muskel¬ 
bioskopie angewandt, welche mir im Vergleich zur bisher geübten vorzügliche 
Resultate gegeben hat, da sie gestattet, aus den Muskelfasern vortreffliche Präparate 
zu gewinnen. 

Bei der Myasthenia gravis habe ich mit dieser Methode sehr subtile Ver¬ 
änderungen der Muskelfasern feststellen können, unter denen die sogen, plas- 
moidale Entartung besonders hervortritt. 

Eine gewisse Verwandtschaft existiert zwischen der Myasthenia gravis und 
der Dystrophia musculorum progressiva, welche in einigen gemeinsamen und 
wichtigen anatomischen Veränderungen und in der häufigen Assoziation beider 
Krankheiten im selben Individuum gegeben ist. 

Die elektrische Muskelreaktion bei der Myasthenia gravis ist umfassender, 
als sie bei der sogen, myasthenischen Reaktion zum Ausdruck kommt. Auch 
auf die galvanische Reizung können die Muskeln durch Erschöpfung reagieren, 
aber die Erschöpfung verschwindet bald bei Umschaltung des Stromes. 

Der ganzen elektrischen Muskelreaktion liegt nicht nur einfach eine Zu¬ 
nahme der Muskelkerne und des Sarkoplasmas zugrunde, sondern mit großer 
Wahrscheinlichkeit die Existenz besonderer chemischer Substanzen, welche das 
Produkt des Zelllebens in den kranken Muskeln sind. 

Das Krankheitsbild der Polioenoephalomyelitis kann sich in einigen Punkten 
der Myasthenia gravis nähern, aber an der Hand der uns bekannten Fälle dürfen 
wir nach meiner Ansicht nicht auf eine gewisse Verwandtschaft der beiden Krank¬ 
heiten schließen. 


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II. Referate. 


Physiologie. 

1) Über den Einfluß der Beizung des kortikalen Darmcentrums auf den 
Dünndarm und denSphincter ileoooeoaüs des Hundes, vonDr.R. v.Pfungen. 
(Archiv f. d. ges. Physiol. CXIV.) Ref.: Max Bielschoweky (Berlin). 

Als kortikales Darminnervationsgebiet des Hnndes bezeichnet Verf. in Über» 
«instimmung mit Frankl-Hochwart und Fröhlich den Gyrus suprasilvius 
anterior und G. suprasplenialis ant. in seinem frontalen Drittel. Diese Rinden¬ 
gebiete sind in zahlreichen Versuchen als erregbare Felder für den Dünndarm 
und den Sphincter ileocoecalis erkannt worden. Aus der Reihe der speziellen 
Ergebnisse seien folgende als besonders bemerkenswert hervorgehoben: 1. Die 
durch faradische Reizung der Rinde am Duodenum hervorgerufenen Darmbewegungen 
können alB Eontraktionswellen auftreten, welche zwischen die rhythmisch ablaufen¬ 
den Pendelbewegungen eingeschoben sind. 2. Die durch Rindenreizung hervor¬ 
gerufenen Kontraktionen können zu mächtigen Wellen ansteigen, und neben diesen 
Wellen kann auch der mittlere Tonus des Darmes in ansehnlichen auf- und ab¬ 
steigenden Wellen schwanken. 3. Nur in einer beschränkten Zahl von Fällen 
wird gleichzeitig mit kortikaler Erregung des Dünndarmes auch der Dickdarm 
in Kontraktion gebracht. 4. Mit der Steigerung der kortikalen Darminnervation 
<les Coecums wird ein kurzer, zuweilen auch länger währeqder Verschluß des 
Sphincter ileocoecalis hervorgerufen. Lange andauernde Reizungen der Rinde 
können gelegentlich zu einer Hemmung der normalen „Pendelbewegungen“ des 
Dünndarmes führen; sie bedingen schließlich auch eine vollkommene Unerregbar¬ 
keit in ganz ähnlicher Weise, wie dies für die Rindenfelder der Skelettmuskeln 
längst bekannt ist. 

ß) Über den Einfluß der peripheren Nerven auf die Wärmeregulierung 
duroh die Hautgefäße, von N. Zwonitzky. (Archiv f. Anat u. Phys. 1906. 
Phys. Abtlg.) Ref.: Blum (Nikolassee/Berlin). 

Verf. kam infolge selbstangestellter Versuche an Kaninchen zu folgenden 
Ergebnissen: 

1. Kälte und Wärme wirken spezifisch auf die Hautgefäße in regulatorischem 
Sinoe. Durch Abkühlung kontrahieren sich die Hautgefäße und die Wärmeabgabe 
wird beschränkt. Bei Erwärmung dagegen erweitern sich die Hautgefäße und 
verhindern auf diese Weise eine Wärmeretention. 

2. Die wichtigste Rolle bei diesem Vorgang ist den zentripetalen Nerven 
zuzuschreiben, welche dafür Sorge tragen, daß der Temperatur nicht nur an ihrem 
Angriffsorte, sondern auch an anderen Stellen des Körpers durch zweckentsprechende 
reflektorische Erregungen der Gefäßnerven der Haut entgegengearbeitet wird. 

3. An dem Angriffsort der abnormen Temperatur ist die regulatorische Vor¬ 
richtung verstärkt durch die Beteiligung der lokalen Gefäßcentra an den spezi¬ 
fischen Gefäßlumenveränderungen. Anästhetische Körperteile sind scheinbar auf 
den Schutz des lokalen Gefäßmechanismus allein angewiesen. 


Pathologische Anatomie. 

3) Zur Kenntnis der primären Epithelgesohwülste der Adergefleohte des 
Gehirns, von Max Bielschoweky und Ernst Unger. (Archiv für klin. 
Chirurgie. LXXXI.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

Eine 43 Jahre alte Frau erkrankt im Anschluß an ein Schädeltrauma an 
Kopfschmerz und Parese der rechten Hand. l / 2 Jahr danach leichte rechtsseitige 
3Iundfacialislähmung und spastische Parese der rechten oberen Extremität mit 


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Störung der tiefen Sensibilität der Hand. Stauungspapille; lokalisierter Hopf* 
schmerz (linke Scheitel* und Stirngegend), Zuckungen der gelähmten Hand, 
Steigerung des Hirndruckes, rechts Babinski. Infolge der Progression des Pro¬ 
zesses wird eine Hirnpunktion vorgenommen, die nur Blutpigment ergab. Bei 
der daran angeschlossenen Trepanation wurde ein Tumor ezstirpiert, von dem 
sich ein Strang zum Seitenventrikel hin erstreckte. Dieser wurde nicht mit ent¬ 
fernt. Nach der Operation komplette rechtsseitige Lähmung, die nur im Bein 
zurüokging. Da sich neuerdings heftige Kopfschmerzen und Erbrechen einstellten, 
wurde 11 Wochen nach der ersten Trepanation wieder trepaniert. Es fanden 
Bich nur zwei Cysten und der oben erwähnte Strang, der als Plexus chorioideus 
erkannt wurde. Eine Blutung konnte nur unvollkommen gestillt werden. Drei 
Tage nach der zweiten Operation starb die Patientin. 

Es fand sich im rechten Kleinhirnbrückenwinkel ein mit dem Plexus lateralis 
innigst verwachsener walnußgroßer Tumor, sowie eine große Zahl kleiner Ge¬ 
schwülste über die ganze Binde der Hemisphären verteilt, die alle mit der Pia 
zusammenhingen. Der Bau der Geschwülste, die aus Gefäßen und Epithelzellen 
bestehen, ist der eines Aderhautepithelioms oder eines Perithelioms mit deutlichen 
regressiven Veränderungen; da histologisch eine Differenzierung dieser beiden 
Tumorarten unmöglich ist, so suchen die Autoren mit Hilfe der Lokalisation die 
Annahme eines malignen Plexusepithelioms wahrscheinlich zu machen. Als Träger 
der Metastasen ist der Liquor anzusehen. 

Per parenthesim werden neuerliche Befunde zur Frage der Regeneration von 
Achsencylindern in der Nähe von Tumoren des Gehirns erbracht. Insbesondere 
sei ein Befund hervorgehoben, dreidimensionale Ellipsoide mit plasmatischer Grund¬ 
substanz und einem diohten Fibrillengitter, von dem feine Seitenäste in die Um* 
gebung ausstrahlen. Auch diese Bildungen werden mit Regenerationsprozessen 
in Verbindung gebracht. 

Klinisch ist der Fall noch insofern bemerkenswert, als Symptome seitens 
des Brückentumors fast völlig fehlten mit Ausnahme der „Areflexie der Cornea", 
die, wie Oppenheim meint, ein wichtiges Symptom von Affektionen im Gebiete 
der hinteren Schädelgrube sei. 

So bot dieser wichtige Fall nach den verschiedensten Richtungen hin inter¬ 
essante Aufschlüsse und Ausblicke. 

4) Das Rankenneurom, von Dr. Max Strauss. (Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. 

LXXXIII.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 

Im Anschluß an einen selbst beobachteten Fall von Neuroma cirsoideum 
gibt Verf. eine ausführliche Schilderung dieser Geschwulstform, die ihn zu folgen¬ 
den Schlüssen führt: Das Rankenneurom bildet mit den anderen falschen Neuromen 
Virchows, vor allem der Neurofibromatose eine histogenetiscbe Einheit. Unter 
dem Namen Rankenneurom werden Gebilde zusammengefaßt, die man nach ihren Sym¬ 
ptomen, Pathogenese, Prognose, Therapie, Sitz und makroskopischem Aussehen 
besser als Rankenneurom und plexiformes Neurom im engeren Sinne bezeichnen 
kann. Histologisch handelt es sich bei beiden Gruppen um eine Neubildung von 
Bindegewebe um meist bereits vorhandene, seltener neugebildete Nervenfasern. 
Für das Rankenneurom kommt als Pathogenese der Zusammenhang mit den Ge¬ 
bilden des Centralnervensystems in Betracht, da sich der Sitz dieser Geschwulst 
nioht allein an den Stellen befindet, wo das Centralnervensystem in pathologischen 
Fällen seine knöcherne Kapsel verläßt, sondern auch in einigen Fällen der direkte 
Nachweis des makroskopischen Zusammenhanges gebracht werden konnte. 

5) Contrlbuto allo Studio delle fini alterazionl della flbra nervosa nslla 

neurite parenohimatosa degenerativa sperimentale, per E. Medea. (Mem. 

del r. istituto lombardo d. scienze e lettere. Mailand 1906.) Ref.: E. Stransky. 

Verf. leitet seine wichtige Arbeit mit einem historischen Abriß über die 

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Degenerationsfrage ein, wobei besonders neuere Arbeiten Berücksichtigung finden. 
Sodann läßt er in gleicher Weise diejenigen Befunde, die auf die Existenz anders« 
artiger Zerfallsprozesse an der peripherischen Nervenfaser hinweisen (atrophiBierende 
Prozesse, wie sie Elzholz, Spiller u. a., segmentär-neuritische, wie sie vor allem 
Gombault und später Pitres-Vaillard, Ref., Dopter-Lafforgue u. a. ein¬ 
gehender beschrieben haben, u. a.), Revue passieren. 

Sodann berichtet Verf. über seine eigenen Untersuchungen. Durch Injektion 
von Äther gelang es ihm, gleichwie schon früher einigen anderen Autoren, an 
Tieren experimentell Neuritiden zu erzeugen. (Verf. bevorzugte den Ischiadicus 
und arbeitete hauptsächlich an Kaninchen; bezüglich der histologischen Unter¬ 
suchungstechnik, die Verf. eingehender beschreibt, sei auf das Original verwiesen). 
Von seinen Befunden und Ergebnissen seien folgende als besonders bemerkens¬ 
wert erwähnt: eine echte und eigentliche aufsteigende Degeneration im central« 
wärt8 von der Injektionsstelle gelegenen Nervenanteil konnte Verf. nicht nach- 
weisen. (Verf. bemerkt ausdrücklich, daß von einem centralen und peripheren 
Nervenanteil bei diesen Versuchen natürlich nicht in dem gleichen Sinne wie 
nach gröberen Verletzungen des Nerven gesprochen werden könne.) Ob sich die 
ersten Veränderungen am Aohsencylinder oder an der Markscheide zeigen, kann 
Verf. nicht sicher entscheiden: in vorgeschrittenen Zerfallsstadien sieht man aller¬ 
dings oft noch Myelinreste, wo vom Achsencylinder nichts mehr wahrzunehmen 
ist; die Alterationen der Markscheide sind bezüglich ihres Beginnes unabhängig 
von jenen der cellulären (Sch wann sehen Scbeiden-)Elemente; die zahlreichen, 
beim Zerfall der Faser in Erscheinung tretenden cellulären Elemente leitet Verf. 
gleich vielen anderen von den SchwannBchen Scheidenzellen her. 

Schließlich geht Verf. auf die Frage der Regeneration ein und berichtet im 
Anschlüsse an die bisher vorliegenden Untersuchungen über seine eigenen Resultate 
und Schlüsse. Hier sei nur erwähnt, daß Verf. zu der Anschauung von der cen¬ 
tralen Herkunft der neuentstandenen Fibrillenelemente binneigt und genetische 
Beziehungen derselben zu den peripheren Zellelementen nicht zu statuieren 
vermag. 

Oute Abbildungen und ein reiches Literaturverzeichnis sind der auch in 
anderen Einzelheiten interessante Details enthaltenden Arbeit beigegeben. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Nevrite ascendante et rhumatisme ohronique, par P.Lejonne et M.Char- 
tier. (Revue neurologique. 1906. Nr. 19.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

In einem Falle, bei dem sich, anschließend an ein Trauma des Mittelfingers 
(offene Wunde, antiseptische Wundbehandlung), eine ascendierende Neuritis in den 
Nerven der korrespondierenden Oberextremität entwickelt hatte, stellten sich auch 
Schmerzen und Bewegungsstörungen in den Gelenken (vom Ellbogengelenke an 
nach abwärts) ein, mit ödem und Rötung der Hand und spindelförmiger, ödema- 
töser Schwellung mehrerer Finger. Das Radiogramm gab, wie die Verff. mit- 
t ei len, ein dem beginnenden chronischen Rheumatismus entsprechendes Bild. 

Die Verff. diskutieren die beiden Möglichkeiten einer primär-infektiösen oder 
sekundären Genese der von ihnen als rheumatisch angesprochenen, auf die Neuritis 
gefolgten Affektion, vermögen aber keine bestimmte Entscheidung zu treffen. 

7) Epidemie multiple neuritis of obsoure origin, by M. A. Bliss. (Joum. of 
Nerv. and. Ment. Disease. 1905. Dezember.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

Verf. hat in einer Irrenanstalt bei einer Belegzahl von 250 Betten im 
September 1904 24 Fälle von multipler Neuritis beobaohtet, die im wesentlichen 
folgende Symptome darboten: Paresen der unteren Extremitäten, nur in wenigen 
Fällen auch der Arme, schnell einsetzende Muskelatrophien, Empfindlichkeit der 

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Muskulatur, Fehlen der Sehnenreflexe, Ödeme der Beine, beschleunigte Herztätig¬ 
keit, Anämie, keine Gastrointestinalerscheinnngen. Die Krankheit nahm, soweit die 
Patienten nicht an interkurrenten Affektionen starben, einen günstigen Verlauf, 
Heilung trat nach etwa 8 Monaten ein. Eine Ätiologie war nicht auffindbar. 
Bemerkenswert ist, daß unter den 24 Fällen sich 14 Epileptiker befanden. 

8) Neuritis multiplex post pertussim, von Dr. Fr. Soucek. (Casopis ces. 14k. 
1906. S. 1321.) Ref.: Pelnär (Prag). 

2 l /j jähriger Patient fing an in den letzten Tagen seiner 4 Wochen dauernden 
Krankheit schlecht zu gehen, fiel öfters um, bis er endlich unfähig war, sich auf 
den Füßen zu erhalten. Die Paralyse traf nach den unteren Extremitäten auch 
die oberen und zuletzt auch die Rückenmuskeln und Nackenmuskeln; auch die 
linksseitigen Bauch* und Atmungsmuskeln waren paretisch. Schließmuskeln, Kau* 
und Gesichtsmuskeln sind verschont geblieben. Die betroffenen Muskeln waren 
elektrisch unerregbar. Die Nervenreflexe waren druckempfindlich. Subjektiv 
klagte der Pat. über fortwährende Parästhesien im Rumpfe und in den Extremi¬ 
täten. Objektiv wurde eine Analgesie am Rumpfe und an den Extremitäten 
konstatiert. Nach 11 Tagen kehrte die Sensibilität an den unteren, dann auch 
am übrigen Körper zurück, nach 14 Tagen erschienen die ersten spontanen Be¬ 
wegungen der oberen Extremitäten, dann erschien die Motilität an der Rumpf¬ 
muskulatur, und nach 6 Wochen erst an den unteren Extremitäten. Nach 
2 Monaten konnte der Pat. noch nicht auf den Füßen stehen. Verf. erklärt das 
Beobachtete als eine toxische Polyneuritis und sucht dieselbe in eine Parallele 
mit den postdiphtherischen Lähmungen zu setzen. 

0) Un OM de paralysle dlphterique, par Prof. Raymond. (Archives gönärales 
de mödecine. 1905. S. 532.) Ref.: Toby Cohn (Berlin). 

Ein 30jähriger Mann wird von einer diphtherischen Angina befallen und 
mit Serum behandelt. 3 Tage nach Beginn des Leidens bekommt er eine Gaumen¬ 
segel-, Zungen- und Lippenlähmung, die nach einigen Tagen heilen. Etwa 
4 Wochen später traten nach einem anstrengenden Marsch Akkommodationslähmung, 
Facialislähmung und Störung der Respiration und Herztätigkeit auf, ziemlich 
schwer, aber bald vorübergehend, und nun entwickelt sich eine inkloraplette Lähmung 
der unteren und eine geringere der oberen Extremitäten mit Sensibilitätsstörungen 
(spontanen und Druokschmerz der Muskeln und Nervenstärame, Lagegefühls¬ 
störungen), Verlust der Sehnenreflexe, Muskelatrophie und partieller Entärtungs- 
reaktion. Nach mehreren Wochen völlige Heilung. Durch das Diphtheriegift 
wurden alle Partien des Nervensystems ergriffen. Die mit dem Toxin in direkte 
Berührung kommenden, dem Krankheitsherd benachbarten Nervenstämme werden 
sehr rasch und in elektiver Weise befallen. Wenn die Intoxikation länger dauert, 
werden sowohl gewisse Gruppen bulbärer Ganglienzellen als die peripherischen 
Nerven ergriffen. Im allgemeinen machen die Zellalterationen keine klinisch 
sichtbaren Reaktionen — mit Ausnahme der bulbären Kerne —, da sie zu wenig 
ausgesprochen und zu wenig ausgedehnt sind. Die eigentlichen diphtherischen 
Lähmungen werden von der Läsion der peripherischen Nerven verursacht. 

10) Deux om de paralysle diphtörique, aotlon du sdrum de Roux, par 

L. Guinon et H. Pater. (Bull, de le Soc. de Pädiatrie de Paris 1906.) 

Ref.: Zappert (Wien). 

Die Verff. stellen in sehr instruktiver Form 2 Fälle schwerer diphtherischer 
Lähmung gegenüber, von denen der eine trotz großer Dosen von Rouxschem 
Diphtherieserum an den Lähmungssymptomen zugrunde ging, während der andere 
ohne irgendwelche markante Behandlung ganz unvermittelt aus schweren Lähmungs- 
ersoheinungen genas. Selbstverständlich spricht dies nicht für die Serumbehandlung 
der postdiphtherischen Polyneuritis. 

In der Diskussion verteidigt Coraby diese Behandlungsmethode. Netter 


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empfiehlt interne Adrenalinbehandlung. Barbier tritt gleichfalls für die Serum* 
Behandlung der Lähmungen ein und meint, daß namentlich Diphtheriefälle mit 
später Serumbehandlung, solche mit sehr sohweren Belägen und solche mit ver- 
langsamter Serumreaktion zu späteren Lähmungen neigen. 

11) Über urämisohe Neuritis, von Dr. Beinhold Dünger. (Münchener.med. 

Wochenschr. 1906. Nr. 16.) Bef.: E. Asch. 

Im Gefolge einer schweren akuten hämorrhagischen Nephritis, die bei einem 
vorher gesunden Mann (Schlosser) plötzlich einsetzte und unter hohem Fieber und 
Ödemen zu leicht urämischen Erscheinungen führte, entwickelte sich im linken 
Arm eine echte Neuritis. Anfangs handelte es sich um eine Plexusneuritis im 
linken Plexus brachialis, die aber bald bis auf den N. medianus zurückging und 
in dessen Gebiet längere Zeit manifest blieb. Nioht unwahrscheinlich ist, daß in 
diesem Falle der Beruf als Schlosser eine gewisse Disposition für die Erkrankung 
des Medianus abgab. Die Ursache dieser nephritischen Neuritis ist in einer Über¬ 
ladung des Blutes mit harnfähigen Substanzen zu suchen und den dyskrasisohen 
Neuritiden (Gicht, Diabetes usw.) gleichzustellen. 

12) Über kortikale Herdersoheinungen in der amnestieohen Phase poly- 

neurltlsoher Psychosen, von Dr. Beinhold Eutner. (Archiv f. Psych. 

u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Bef.: Heinicke (Großschweidnitz). 

An der Hand von drei kürzer und vier eingehend beschriebener Fälle poly* 
neuritischer Psychosen, die bald mehr, bald weniger ausgeprägt, in der amnesti¬ 
schen Phase kortikale Herderscheinungen, als aphasische Storung, Agraphie und 
Paraphasie, ferner Hemianästhesie, Monoplegie und Jacksonsche Epilepsie, boten, 
erwägt Verf., welche pathologisch • anatomische Vorgänge diesen Erscheinungen 
zugrunde liegen können. Er ist der Meinung, daß zum Teil Gefäßverschlüsse 
durch Intimaveränderungen, wie sie dem chronischen Alkoholismus eigen sind, in 
dieser Hinsicht in Betracht kommen; weniger Blutungen, die ja überhaupt in der 
Binde zu den Seltenheiten gehören; in einem Falle, wo einzelne Herderscheinungen 
schnell zurückgingen, glaubt er den Grund hierfür in schwerer, aber reparabler 
Schädigung des betreffenden Hirnteiles durch die alkoholische Giftwirkung suchen 
zu dürfen, die sich nach der Entgiftung zurückbildet. 

Die in gehäuften Anfällen sich zeigende Jaoksonsche Epilepsie führt Verf. 
hypothetisch auf eine akute lokale Steigerung des chronischen Prozesses zurück. 

Die aphasische Störung, Agraphie und Paraphasie faßt er als Beste ab* 
gelaufener sensorischer Aphasie auf; sie ist also eine in der sensorischen Sprach- 
region lokalisierte Affektion und stellt nur eine Verstärkung des allgemeinen 
Hirnprozesses dar. 

13) La psyohoae polynevritique et le beri-beri, par Nina Bodriguez. 

(Annal. m6d.-psycb. 1906. März/April.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Manson hatte die Ansicht vertreten, man könne die Polyneuritis bei Beri- 

Beri von der bei Malaria durch folgende Kennzeichen trennen: bei ersterer be¬ 
stehen mit Vorliebe Herzstörungen, bei letzterer Schwäche des Gedächtnisses. 

Verf. weist auf Grund der Literatur und eigener ausgedehnter Erfahrung 
auf das Unrichtige dieser Anschauung hin. Dabei stützt er sich besonders auf 
Untersuchungen von Erico Coelko, der sohon ein Jahr vor Korsakow die 
typischen Zeichen des Korsakow bei Beri-Beri-Polyneuritis beschrieb. Wie die 
Polyneuritis, so tritt auch die Korsakowsche Psychose fast regelmäßig bei Beri- 
Beri auf. Am häufigsten ist die reine amnestische Form ohne deliriöse Beigaben. 

Mit der Besserung bzw. Heilung des Beri-Beri trat auch eine solche der 
Psyche ein. 

14) I fenomeni nevritioi negli allenati e i fenomenl psioopatici nelle nevriti, 

per E. Medea. (Annali di nevrol. XXIV.) Bef.: Erwin Stransky (Wien). 

Eine kritische Studie, in der sich Verf. einmal gegen die Annahme wendet, 

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daß den bei Geisteskrankheiten verschiedenster Art mannigfach erhobenen Ver- 
änderungen in den peripheren Nerven irgendein wesentlicher Einfluß auf die Ge¬ 
staltung des Krankheitsbildes zukomme, und in der er sich andererseits gegen 
die Annahme ausspricht, als gebe es irgendwelche spezifisch gefärbten Psychosen 
bei Neuritiden bzw. Polyneuritiden. Bezüglich Einzelheiten sei auf die inter¬ 
essante und insbesondere auf zahlreiche literarische Daten sich stützende Original¬ 
arbeit verwiesen. 

15) Pruritus als Inltialerpohelnung des Herpes soster, von Prof. Bettmann 

in Heidelberg. (Deutsohe med. Wocb. 1906. Nr. 19.) Ref.: R. Pfeiffer. 

In den zwei mitgeteilen Fällen entstand ein Pruritus von zoster-ähnlicher 
Lokalisation, hielt längere Zeit an, bis schließlich in dem affizierten Hautbezirk 
tatsächlich ein Herpes zoster auftrat, und verschwand mit dem Ablauf des Herpes. 

Verf. sieht den Zoster als direkte Ursache des Pruritus an. 

16) Notizen zur Symptomatologie der Beri-Beri, von K. Miura. (Neurologia. 
IV. 1905. April.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Aus der Stellung und Bewegungsfähigkeit des Fußes und der Zehen kann 
man mit großer Sicherheit einen Rückschluß auf das Verhalten der elektrischen 
Erregbarkeit und damit auf die Prognose ziehen: Spitzfußstellung mit schlaff 
herabhängendem Fuße und plantarflektierten Zehen entspricht der kompletten Ent¬ 
artungsreaktion; Dorsalflexion der vier letzten Zehen im Hetatarsophalangeal- 
gelenk bei Beugung im Interphalangealgelenk, Plantarrichtung der gestreckten 
großen Zehe und Unmöglichkeit der Hebung des Fußes deutet auf partielle Ent- 
artungsreaktion; kann der Fuß und die Zehen etwas dorsalflektiert werden, so 
besteht nur einfache Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit. An der Hand 
kann man, wenn in selteneren Fällen deren Lähmung überwiegt, 3 Typen unter¬ 
scheiden: bei schwerster Lähmung Volarflexion aller Finger, der Zeigefinger nimmt 
die höchste Stelle ein, der Daumen kann nicht abduziert und gestreckt werden; 
in leichteren Fällen ist der Mittelfinger noch leicht gestreckt, während alle 
anderen in Beugestellung verharren; in einer 3. Gruppe bleiben II. und V. Finger 
vermöge ihrer eigenen Extensoren noch gestreckt, die beiden mittleren sind volar¬ 
flektiert. Schließlich weist Verf. auf die Wichtigkeit hin, die einer frühzeitigen 
Behandlung der Neigung zu Kontrakturen zukommt, besonders durch Massage 
und passive Bewegungen, sowie der Bekämpfung der Quadricepslähmung durch 
methodische aktive und passive Beuge- und Streckbewegungen, in leiohteren Fällen 
Üben der Kauerstellung. 

17) Bar lo p&thogönie du tremblememt merouriel, par G. Guillain et 

Laroche. (Revueneurolog. 1907. Nr.4.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Die Pathogenese des Tremors bei der professionellen Quecksilbervergiftung 

ist noch einigermaßen ungeklärt; die Meinungen der Autoren darüber sind geteilt 
und vielfach wird die Ansicht verfochten, als schwänden die Tremores, wenn die 
Noxe in Wegfall gekommen; Charcot hatte denselben für hysterischer Natur 
gehalten. Die Verff. bringen zwei Fälle, senile Individuen betreffend, die früher 
professionell mit Quecksilber gearbeitet, nunmehr aber seit mehr als 30 (der eine 
sogar seit 42) Jahren nichts mehr damit zu schaffen hatten; gleichwohl sollen 
seit jener Zeit die Tremores in den Gliedmaßen der Kranken bestehen (von der 
Art wie der Intentionstremor). Bei beiden Kranken bestand auch Steigerung der 
Patellarsehnenreflexe; in beiden Fällen Nystagmus, in beiden Störungen der 
Diadochokinese; in einem Falle ein dem cerebellaren ähnlicher Gang. 

Die Verff. glauben nicht, daß man angesichts dieser Befunde den merkuriellen 
Tremor als funktioneller Natur ansprechen kann; dagegen sprechen auch die auch 
von anderen Beobachtern erhobenen organischen Symptome dabei (Reflexsteigerung, 
Dysarthrie), die Befunde von Raymond und Sicard im Liquor cerebrospinalis 
(Quecksilber in Spuren und Lymphocytose) bei einem Kranken und die Ergeb- 

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nisse der anatomischen (Wising) und experimentellen (Brauer) Untersuchungen. 
DieVerff. würden am ehesten an einen der multiplen Sklerose verwandten Krank* 
heitsvorgang denken, und zwar chronisch-entzündlicher Art, eingeleitet durch einen 
mehr akut eingesetzten pathologischen Prozeß, vorwiegend im Bereioh des Klein¬ 
hirns oder seiner Verbindungsbahnen; das Hypothetisohe des letzten Teiles dieser 
ihrer Annahme geben die Verff. selber zu. 

18) Troubles ooulomoteurs per intoxioation raohi - labyrinthique , par 
P. Bonnier. (Bevue neurolog. 1907. Nr. 6.) Ref: Erwin Stransky (Wien). 
Verf. rekurriert auf die Mitteilung von L6vy und Baudouin in der Revue 

neurologique, 1907, Nr. 3 (vorübergehende Augenmuskellähmungen nach Injektion 
von Stovain, Alkohol usw. in den Cerebrospinalsack) und verficht die Annahme, 
daß diese Störungen durch direkte Einwirkung des injizierten Ingrediens auf 
die so besonders empfindlichen Labyrinthnervenenden zu erklären seien (Korn* 
munikation zwischen dem Cerebrospinalraum und dem Labyrinthe), von wo aus 
auf reflektorischem Wege (via Deitersscher Kern) die Augenmuskelstörungen 
zustande kommen könnten. Verf. hat, wie er ausführt, schon vor mehreren 
Jahren darauf hingewiesen, daß gerade Störungen im Bereich des Facialis, wie 
die genannten Autoren sie beschrieben, vom Labyrinth auB besonders häufig aus- 
gelöst würden. Verf. weist bei dieser Gelegenheit auch darauf hin, daß das 
Gradenigosche Syndrom (Abducensparalyse bei Otitis) schon lange vor Grade- 
nigo bekannt gewesen sei. 

19) Akute ansteigende (Landrysche) Paralyse naoh Typhus abdominalis 
mit Ausgang in Heilung, von Schütze. (Berliner klin. Wochenschrift. 
1906. Nr. 7.) Bef.: Bielschowsky (Breslau). 

Nach einer kurzen Zusammenstellung der für die Landrysche Paralyse ätio¬ 
logisch wichtigen Momente, gibt Verf. eine ausführliche Krankengeschichte seines 
Falles. Es handelt sich um einen russischen Soldaten, der während des russisch¬ 
japanischen Feldzuges an Typhus abdominalis erkrankt war. Im Anschluß daran 
entwickelte sich die Landrysche Paralyse in charakteristischer Weise. In den 
unteren Extremitäten beginnend, schreitet die Paraplegie rasch zu den Armen 
fort; nennenswerte Sensibilitätsstörungen fehlen, völlige Integrität der Blasen- und 
Mastdarmfunktionen. Zu diesen schweren Symptomen gesellten sich vorüber¬ 
gehende Respirationsstörungen und Facialislähmung. Differentialdiagnostisch aus¬ 
schlaggebend war die Tatsache, daß niemals eine Herabsetzung der elektrischen 
Erregbarkeit oder Entartungsreaktion aufgetreten war. Nach zweimonatlichem 
Lazarettaufenthalt, während dessen Bewegungstherapie, Sohmierkur mit gleich¬ 
zeitig täglicher Darreichung von 1,2 g Jodnatrium angewendet wurde, trat völlige 
Heilung ein. 

20) Landrys paralysis, by Eric Macnamara and Julius Bernstein. (Brit. 
med. Journ. 1906. 4. August.) Bef.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Unter ausführlicher Mitteilung eines zur Heilung gekommenen typischen 
Falles von Landryscher Paralyse bei einem 30 jähr. Patienten wird die Ätiologie, 
pathologische Anatomie und Prognose der genannten Affektion besprochen. 

Im vorliegenden Falle hatte Bernstein das Blut und die durch Lumbal¬ 
punktion gewonnene Cerebrospinalflüssigkeit bakteriologisch untersucht und darin 
einen Mikroorganismus gefunden, welcher dem Tetracoccus glich, den Buzzard 
in einem tötlich verlaufenden Fall post mortem isoliert und beschrieben hat. 

21) Bin geheilter Fall Landrysoher Paralyse, von A. Fisch. (Ärzteverein 
des Biharer Komitates in Nagyvärad, Sitzung vom l.März 1906. [Ungarisch.]) 
Bef.: Hudovernig (Budapest). 

46 jähriger Mann, kein Potator, nie luetisch infiziert, erkrankt Ende 
November 1905 unter Symptomen starker Parästhesien und Schwäche der Beine, 
als dessen unmittelbare Ursache eine Erkältung angegeben wird. Kein Fieber, 

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Gehimnerven und Sinnesorgane normal; Druckkraft der Hände abgeschwächt; 
Beine gelähmt, Muskulatur derselben schlaff, Waden druckempfindlich; Reflexe 
der unteren Extremitäten nicht auslösbar; innere Organe und Sensibilität normal; 
Beit zwei Tagen Obstipation. Naob einer Woche derselbe Befund, mit zunehmender 
Schwäche und fehlenden Reflexen der Arme, und stärkeren Parästhesien. Nach 
einer weiteren Woche Lähmung sämtlicher Extremitäten, sowie der Bauch* und 
Rumpfmuskulatur; keine Veränderung der elektrischen Erregbarkeit während der 
ganzen Krankheit. Im weiteren Verlaufe suocessive Abnahme der Lähmungs- 
ersoheinungen, wobei dieselben in den zuletzt ergriffenen Körperpartien zuerst 
verschwinden. Anfang Januar vermag Pat. bereits zu geben, nach einem weiteren 
Monat Heilung. Therapie: lokale Blutentziehung, Jodkali und Eisenpräparate. 

22) Über senile Atrophie der Augenmuskeln, von K. Thiele u. P. Grawitz. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 31.) Ref.: R. Pfeiffer. 

In einem Falle von isolierter doppelseitiger Ptosis ergab nach dem Tode der 
70jähr. Patientin die mikroskopische Untersuchung eine starke Fettmetamorphose 
in sämtlichen Augenmuskeln beider Seiten. Systematische Untersuchungen, daß 
bei älteren Individuen beider Geschlechter die Augenmuskeln stets mehr oder 
minder atrophisch sind, während sie bei jugendlichen Personen nie eine Trübung 
oder gar weiter vorgeschrittene Fettmetamorphose zeigen. 

23) Organlsohe peripherische und hysterische Faoialisl&hmung, von 

Th. Ziehen. (Med. Klinik. 1906. Nr. 25.) Ref.: S. Klempner. 

22 jährige Schneiderin bekommt unmittelbar nach einer wegen eines Ohren* 
leidens vorgenommenen Aufmeißelung des rechten Warzenfortsatzes eine rechts¬ 
seitige Gesichtslähmung. Zugleich will Patientin bemerkt haben, daß sie auch 
das linke Auge nicht vollständig schließen könne. 

Es wurde folgender während der ganzen Dauer der Beobachtung sich gleich 
bleibender Befand erhoben: Linke Augenbraue etwas höher stehend als die rechte. 
Beim aktiven Augenschluß bleibt der rechte Augenspalt etwa 3 mm, der linke 
1 mm weit offen, dabei werden beide Augäpfel regelmäßig ganz nach links 
gewendet. Aktives Stirnrunzeln rechts unmöglich, links sehr schwach. Die 
0rbikularisreflex8 rechts anfangs sämtlich erloschen, links der Cornealreflex schwach 
erhältlich. Rechte Nasolabialfalte fast ganz verstrichen, linke stark vertieft 
Linkes Nasenloch stark nach links verzogen. Aktives Mundspitzen erfolgt rechts 
überhaupt nicht, links nur eine schwache Kontraktion des Orbic. oris. Backen* 
aufblasen gelingt beiderseits nicht. Elektrische Erregbarkeit der Facialismuskeln 
links durchaus normal, rechts starke Herabsetzung ohne qualitative Veränderungen. 
Unterkiefer nach links verschoben. Zunahme dieser Abweichung bei aktiver 
Öffnung der Kiefer. Im übrigen besteht lebhaftes Zittern der rechten Hand, aus¬ 
gesprochene rechtsseitige Hemihypalgesie. Die rechtsseitige Facinlislähmung ist 
als peripherische organische aufzufassen. Die Störungen im linken Facialisgebiete 
charakterisieren sich als Lähmung im linken Orbic. oris und Kontraktur im 
linken Mundfacialisgebiete und sind hysterischer Natur. Außerdem besteht rechts 
eine hysterische Pterygoidkontraktur. Das anscheinend so sehr zusammengesetzte 
Symptomenbild klärt Verf. auf psychologischem Wege in überraschend einfacher 
Weise auf. Die Grundlage bildet die hysterische Konstitution, den Ausgangs¬ 
punkt der hysterischen Symptome im Bereiche des Gesichts die rechtsseitige 
organische, mit der Operation entstandene Facialislähmung, die Ausbreitung der 
hysterischen Symptome geschieht im Sinne der Autoaggravation und wird be¬ 
herrscht von naiven regionären und funktionellen Vorstellungen. Die assoziierte 
Seitwärtsbewegung der Bulbi beim Versuche die Lider zu schließen, ist nicht als 
Flucht- oder Schutzbewegung, wie das Bellsohe Phänomen, sondern als Hilfs¬ 
bewegung aufzufassen. 

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42) Die otitlsohen Faoialisparesen, von Neu mann. (Wiener med. Wochenschr. 

1906. Nr. 25 bis 27.) Bef.: Pilcz (Wien). 

Dieser Aufsatz, der vorwiegend für den Praktiker bestimmt ist, bringt u. a. 
folgenden recht lehrreichen Fall aus der eigenen Beobachtung des Autors: 

Ein Pat. mit einer Obrenaffektion luetischer Genese bekam bei eingeleiteter 
Jodkalimedikation eine totale linksseitige Facialisparese, welche nach Aussetzen 
des Mittels in kurzer Zeit völlig zurQckging, um — bei neuerlichem Jodkali* 
gebrauche — abermals aufzutreten. Verf. nimmt eine duroh das Jod bedingte 
entzündliche Hyperämie und seröse Durchfeuchung des Neurilemmes an, sowie der 
endostalen Auskleidung des Facialiskanales. 


26) Einseitiges, nnr beim Essen auftretendes Tränenfließen naoh Facialis* 
lfthmung, von Dr. Engelen in Düsseldorf. (Deutsche med. Wochenschrift. 
1906. Nr. 35.) Bef.: B. Pfeiffer. 

Vor einem Jahr linksseitige Faoialislähmung, ohne Behandlung geheilt; jetzt 
links nur beim Essen auftretendes Tränenfließen. Die Gesiohtsfaltenbildung links 
leicht verschärft; beim willkürlichen Augenschluß links lebhafte mimische Mit* 
bewegungen. Elektrische Erregbarkeit stark herabgesetzt. Wahrscheinlich hat 
die erschwerte Beizleitung im Facialisverlauf einen Erregungszustand im Facialis* 
kern hervorgerufen. Dieser sekundäre Beizzustand ist ohne galvanische Be* 
handlung eingetreten. 


26) Un oas de paralysie faolale obstretioale spontanee, par L. Bercel. 

(Bevue mensuelle des maladies de l'enfance. 1906. November.) Bef.: Zappert. 

Der beschriebene Fall ist auffallend, weil die einseitige FacialiBlähmung 

gleich nach Geburt innerhalb der ersten 8 Stunden bemerkt wurde, weil keinerlei 
Schwierigkeiten bei der Entbindung bestanden und weil nach anfänglicher Ver¬ 
schlechterung die Lähmung schließlich (6. Monat) vollkommen verschwand. Es 
muß jedenfalls trotz der spontanen Geburt eine traumatische Facialislähmung an¬ 
genommen werden, da das Fehlen anderweitiger Mißbildungen (Ohrläppchen, Schädel) 
und der günstige Verlauf eine kongenitale Facialisveränderung ausschließen. 

27) Hdmispasme feoi&l pdriphdrique post-paralytique, par Cruohet. (Bevue 

neurologique. 1905. Nr. 20.) Bef.: Erwin Stransky (Wien). 

Die peripherisch bedingten Facialiskrämpfe unterscheide^ Verf. in primäre, 
in prä* und in postparalytische; ein Fall letzterer Art wird in extenso mitgeteilt: 
lljähr. Mädchen; vor 4 Jahren plötzliches Auftreten einer linksseitigen Gesichts¬ 
lähmung von peripherischem Typus, die später zurückging; ein Jahr darauf Auf¬ 
treten tonischer Krämpfe und später anfallsweiser klonischer Zuckungen in der 
gelähmten Gesichtshälfte. Die genauere Aufnahme deB Status präsens ergab das 
Bestehen eines tonisch-klonischen Krampfzustandes der gelähmten Seite; der 
tonische Krampf nimmt zu bei mimischen Bewegungen des Gesichts; er ist haupt¬ 
sächlich gekennzeichnet duroh Verengerung der Lidspalte, durch Erhebung des 
linken Mundwinkels, durch sohärfere Ausprägung der Furchungen in dieser Ge¬ 
sichtshälfte. Die klinische Analyse gestattet eine Zerlegung des Gesamtbildes 
dieser tonischen Krämpfe in Detailbilder nach regionären Gesichtspunkten. 
Interessant ist dabei, daß ebenso, wie willkürlicher Schluß z. B. der Lidspalte 
eine krampfartige Mitbewegung im Mundfaoialis im Gefolge haben kann, das Ver¬ 
hältnis sich umkehren und letztere als Willkür- wieder entere als Mitbewegung 
zu provozieren vermag; bei den anderen krampfartigen Synergien tritt diese Um¬ 
kehrung weniger deutlich in Erscheinung. Mit den tonischen Krämpfen ver¬ 
gesellschaftet, zuweilen aber auch unabhängig von ihnen vereinzelt und anfalls¬ 
weise auftretend klonische Zuckungen in den Muskeln der affinierten Gesichtsseite. 
Elektrische Erregbarkeit ist normal. 

Verf. läßt es dahingestellt, ob Heilung anzunehmen oder die Etablierung 


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eines Kontrakturzustandes zn befürchten sei. Die Pathogenese dieser Fälle halt 
er für dunkel. 

28) Bin Fall von Diplegia faoialis, von Panski. (Czasopismo lekarskie. 1906. 

Nr. 10. S. 642. [Polnisch.]) Bef.: Edward Flatau (Warschau). 

Verf. beschreibt folgenden Fall von doppelseitiger Facialislähmung. Die 
64 jährige Frau merkte zunächst leiohtes Tränen des rechten Auges, am nächsten 
Tage Lähmung der rechten Gesichtsmuskulatur (gleichzeitig GeschmackBstürung 
auf der rechten Zungenhälfte). Der noch 5 Tagen erhobene Status ergab typische 
rechte Facialislähmung sämtlicher Äste (kein Geschmack in der vorderen Hälfte 
der Zunge rechts). Nach etwa einer Woche merkte Patientin, daß das Gesicht 
gerade wurde, und daß sie links den Geschmack nicht fühle. Es zeigte Bich, daß 
hier plötzlich sich eine linksseitige totale Facialislähmung hinzugesellte (Masken* 
gesicht mit Amimie und großen tränenden Augen). Links gesteigerte elektrische 
Beaktion, rechts partielle Entartungsreaktion. Zunächst war auch rechts gesteigerte 
Beaktion vorhanden. Sonst keinerlei Erscheinungen seitens des Nervensystems. 
Verf. kommt per exclusionem zum Schluß, daß es sich hier um eine primäre 
doppelseitige Facialislähmung handelt, wobei dieselbe Ursache rechts zu einer 
schwereren Lähmungsform, links dagegen zu einer leichteren geführt hat. 

29) Die periphere Faoialislähmung und ihre Behandlung, von A. Fuchs. 

(Wiener med. Presse. 1907. Nr. 6 u. 7.) Bef: Pilcz (Wien). 

Für den Praktiker sehr lesenswerter Aufsatz. Bemerkenswert ist, daß Verf. 
auch sehr veraltete Fälle durchaus nicht so hoffnungslos erachtet und einer ge* 
wissen chirurgischen Polypragmasie energisch entgegentritt. 

Mehrere Abbildungen im Texte. 

30) Faoial palsy and its treatment, by Purves Stewart. (Westminster 

Hospital Beports. XIV. 1905.) Bef.: Toby Cohn (Berlin). 

Verf. empfiehlt bei peripherischer Facialislähmung, wenn nach 6 Monaten 
keine Besserung eintritt, oder wenn nachweislich der Nerv durchschnitten und 
primär nicht zu nähen ist, eine Nervensutur mit dem Accessorius oder dem Hypo* 
glossus. Letztere zieht er vor, weil nach seinen Erfahrungen die dissoziierte und 
emotive Beweglichkeit des Facialisgebietes dabei leichter eintritt, während bei den 
Accessoriusoperationen Schultermuskeln gleichzeitig innerviert werden mußten. 
Er verfügt über eije Beihe so operierter Fälle. (Bef. meint aber, daß 6 Monate 
zu früh sind, um einen derartigen Eingriff zu rechtfertigen. Es ist ganz sicher, 
daß auch noch später Erholungen eintreten.) — In bezug auf die Nosologie der 
Facialislähmung enthalten die Ausführungen des Verf.'s nichts Neues. Erwähnens* 
wert ist nur seine auf den Arbeiten von Botazzi über den Muskeltonus beruhende 
Hypothese zur Erklärung der sekundären Kontraktur: von den zwei, naoh Botazzi 
die Muskelsubstanz zuBammensetzenden Elementen, der anisotropen Fibrillensubstanz 
und dem Sarkoplasma, ist das letztere in einem dauernden Tonuszustande. Wenn 
die vorher degenerierte Fibrillensubstanz (sie ist nach Verf. die einzige, die den 
Degenerationsprozeß mitmacht) unvollkommen regeneriert wird, ist ein Überwiegen 
des Sarkoplasma und damit eine Hypertonie die bleibende Folge. 

31) Über Nervenpfropfung bei peripherisoher Faoialislähmung vorwiegend 

vom neurologischen Standpunkte, von Prof. M. Bernhardt in Berlin. 

(Mitt. a. d. Grenzg. d. Med. u. Chir. 1906.) Bef.: S. Klempner. 

Verf. gibt eine erschöpfende Übersicht über die bisherigen Ergebnisse der 
Nervenpfropfung bei Facialislähmung. Es handelt sich im ganzen um 38 Fälle: 
26 von Zesas gesammelte und im Jahre 1904 veröffentlichte und 12 nach dieser 
Arbeit bekannt gegebene Mitteilungen über das in Bede stehende Thema, darunter 
zwei eigene Beobachtungen. 

Bei kritischer Würdigung der bisher erzielten Erfolge erkennt Verf. als 
zweifellos erwiesen an, daß durch die Nervenpfropfung die Asymmetrie des Ge* 

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sichtes in der Bähe in mehr oder weniger vollkommener Weise gehoben werden 
nnd die aktive Bewegung in der lange Zeit vollkommen gelähmt gewesenen Ge* 
sichtshälfte wiederkehren kann; er hält es aber för fraglich, ob diese Resultate 
dem Patienten von solchem Vorteil sind, daß man ihm deswegen zur Operation 
raten kann. Denn gleichviel welchen von den beiden in Betracht kommenden 
Nerven man zur Pfropfung wählte, den N. accessorius oder N. hypoglossus, die 
von dem restituierten Facialis bzw. seinen ihm zugehörigen Muskeln ausgeführten 
Bewegungen blieben dissoziiert, d. h. sie konnten nioht ohne Mitbewegung der* 
jenigen Muskeln zustande kommen, die ihre Innervation von dem zur Pfropfung 
verwendeten Nerven beziehen. Sodann ist eine Wiederherstellung der mimischen 
unwillkürlichen Bewegungen, welche bei den verschiedenen Affekten und Gemüts* 
bewegungen in beiden Gesichtshälften symmetrisch auftreten müssen, bisher kaum 
je erzielt worden. „Kann bei einseitigen Gesichtsmuskelbewegungen der Willens* 
impuls durch Übung und Lehre dahin gelenkt werden, daß er in das neue Gebiet 
dee zur Operation benutzten Nerven allmählich hineingelangt und für das Gesicht 
wirksam wird, so können die unwillkürlich oder reflektorisch erfolgenden Aus¬ 
drucksbewegungen bei der zerstörten Leitungsbahn des einen Facialis den Weg 
zu ihm nicht finden.“ 

Verf. ist der Meinung, daß man sich im allgemeinen eher dee N. hypoglossus 
als des N. accessorius zur Pfropfung zu bedienen habe (Lähmung, Atrophie, Mit¬ 
bewegungen offenbaren sich nicht nach außen). Ob es sich empfiehlt, den zur 
Pfropfung benutzten Nerven nur anzufrischen oder gänzlich zu durchsohneiden, 
kann Verf. zurzeit noch nicht entscheiden. 

32) Über die Rekurrensparalyse, von Dr. V. Guttmann. (Casop. oes. 14k. 
1906. S. 990.) Ref.: Pelnär (Prag). 

Eine vom ätiologischen Standpunkte ausgehende Zusammenstellung von 16 Fällen, 
die an der medizin. Klinik von Prof. Maizner beobachtet wurden. I3mal war 
das linke Stimmband betroffen und nur 2 mal das rechte (und das noch einmal 
nach einem direkten Trauma bei Strumektomie). In 6 Fällen handelte es sich 
nm ein Aneurysma aortae, je 2 mal um eine Syringomyelie, Hypertrophie des 
Herzens und um Struma, je einmal um Tabes, Drüsenschwellung im Thorax 
(Tuberkulose, Krebs) und Diphtherie. 

33) Über die Rekurrenslähmung bei Vitium oordis, von Gantz. (Medycyna. 

1906. Nr. 28. [Polnisch.]) Ref.: Edward Flatau (Warschau). 

Verf. berichtet über einen Fall von Herzklappenfehler mit Rekurrenslähmung. 
Der Fall betraf einen 30jährigen Mann, welcher an stenosis et insufficientia valv. 
mitralis gelitten hat. Es entstand bei ihm ferner ein Infarkt in der linken Lunge 
und Nephritis. In der 8. Woohe des Krankenhausaufenthaltes merkte Pat, daß 
seine Stimme heiser wurde. Die laryngoskopische Untersuchung zeigte, daß es 
sich um eine linksseitige Rekurrenslähmung gehandelt hat. Sowohl die klinische 
Untersuchung wie auch das Röntgenogramm zeigten, daß hier weder ein Aorten¬ 
aneurysma noch ein Mediastinaltumor bestand. Dagegen war der linke Vorhof 
vergrößert. 

Der Kranke verstarb und die Sektion zeigte nebst den Veränderungen der 
Mitralkappen, Vergrößerung des linken Ventrikels und Vorhofes noch eine enorme 
Stauungsvergrößernng der Tracheal* und Bronchialdrüsen. Diese letztere Er¬ 
scheinung bewirkte also die Rekurrenslähmung. 

34) Zur Kasuistik der aeurlfelsohen Plexuslähmung (Plexus braohialis), von 

Prof.Dr.J. Grober. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXX. 1906.) Ref.:E.Asoh. 

Es handelt sich um eine 34jährige Frau, welche vor 9 Jahren an einer von 
einem kariösen Backenzahn ausgehenden Periostitis gelitten hatte. Im Anschluß 
daran Absceßbildung an der rechten Wange, Inzision, Kieferklemme, zurüokbleibende 
Schwellung am Angulus mandibulae, Entfernung des erkrankten Molaris. Zwei 


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Wochen nach der Inzision, die durch den M. masseter bis in die Parotis geführt 
war, linksseitige Facialislähmung. Im Gegensatz zu dem Krankenjournal soll es 
sich nach den Angaben der Patientin aber um eine Facialislähmung rechts ge¬ 
handelt haben (?). Frühjahr 1905 nach Influenza Bewegungshemmung des linken 
Unter- und Oberarmes mit Druckempfindlichkeit verschiedener Armnerven und des 
ErbBchen Punktes. Herbst 1905 Klagen über Schwindel, Kopf- und Nacken- 
schmerzen, Erbrechen, Gedächtnisschwäche und leichte Benommenheit. Objektive 
Störungen waren nicht festzustellen. Am meisten fielen Zuckungen im unteren 
Teil der rechten Gesichtsbälfte auf, ferner eine adhärente Narbe an der Außen¬ 
seite des rechten Unterkiefers mit darunterliegender periostitischer Verdickung, 
außerdem eine rechtsseitige, peripherische Facialislähmung mit vorwiegendem Be¬ 
troffensein seiner unteren Fasern und zu gleicher Zeit eine linksseitige, centrale 
Facialislähmung, die normalen elektrischen Befund ergab und offenbar als die 
früher überstandene Affektion angesehen werden mußte, während rechts weder 
direkt noch indirekt eine elektrische Zuckung ausgelöst werden konnte. Infolge 
der beiderseitigen Facialisparalyse und der erwähnten Zuckungen der rechten 
Gesichtshälfte ergab sich ein sehr interessantes Bild der GesichtsbewegungeQ, 
Es fanden sich weiterhin rechtsseitig Miosis, Ptosis und Volums Verringerung des 
Bulbus (Hornerscher Symptomenkomplex), Anfälle von Herzpalpitationen und 
Atrophien in den Mm. deltoideus, Supraspinatus, Triceps, Brachialis int, Supinator 
longus, den Flexores carpi, den Handstreckem, den Interossei, Thenar und Hypo- 
thenarmuskeln der linken Seite. Sensibilitätsveränderungen wurden nicht bemerkt 
Es dürfte eine Affektion des Bücken markes selbst ausgeschlossen bleiben und 
sich hier um eine Plexusneuritis gehandelt haben, während die beiderseitigen 
Facialislähmungen nur als zufälliges Zusammentreffen anzusehen sind, wodurch 
die Diagnose allerdings um ein wesentliches erschwert wurde. 

36) Paralysie radioul&ire du plezua braohlal au oours d’une lymphadinie, 
par Raymond (Guillain). (Progr.m6d. 1905. Nr.43.) Bef.: Viktor Lippert 
Komplikationen seitens des Nervensystems im Verlaufe von allgemeinen Er¬ 
krankungen sind nichts Seltenes; sie sind entweder auf eine gewisse elektive 
Affinität der Toxine zu diesem oder jenem Nervengebiet oder auf eine ge¬ 
wisse Prädisposition des Nervensystems, von bestimmten Krankheiten mit 
ergriffen zu werden, ebenso wie bei anderen Organen zurückzuführen; ferner 
kommen aber auch nervöse Komplikationen zustande auf zunächst rein mecha¬ 
nischem Wege, durch Druckwirkungen seitens benachbarter pathologisch (z. B. 
karzinomatös) veränderter Organe bei einer Vergrößerung derselben. Die Schwierig¬ 
keit der Voraussage in diesen Fällen ist nicht durch die nervösen Erscheinungen, 
sondern durch die dieselben bedingende Allgemeinerkrankung gegeben: nicht durch 
die Natur der letzteren, sondern durch die Art ihres Sitzes sind sie hervorgerufen. 
Verf. stellte in seiner Klinik zwei (duroh Guillain veröffentlichte) Fälle vor, 
welche in dieser Hinsicht sehr interessant und lehrreich sind. Der eine Kranke 
litt an Lymphadenie, in deren Gefolge starke Anschwellungen zunäohst der 
Mandeln, dann der Hals- und Axillardrüsen (Hyper- und Heteroplasie) entstanden. 
Im Verlaufe der Erkrankung entwickelte sich in rasoher Folge ein. Lähmung der 
gleichseitigen (linken) oberen Extremität, welche alle Muskeln des Gliedes ergriff, 
besonders aber die Mm. deltoides, brachialis anterior und biceps. Weitere be¬ 
merkenswerte Symptome waren vasomotorische Störungen des gelähmten Gliedes, 
ferner Miosis, Verengerung der Lidspalte linkerseits. Nach eingehender Be¬ 
sprechung der Differentialdiagnostik, sowohl betreffend die Natur dee 
Allgemeinleidens (Karzinom, Syphilis, Tuberkulose, Lymphadenie) als auch betreffs 
der Art des nervösen Symptomes (Hysterie, Jaoksonsohe Epilepsie, Syringo¬ 
myelie, Hämatomyelie, Poliomyelitis aouta oder chronica, periphere infektiöse oder 
toxische Neuritis) stellte Verf. die Diagnose auf Lähmung der Wurzeln des Plexus 

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brachialis; dafür sprach zunächst die Topographie der gelähmten Muskeln, dann 
die elektrische Prüfung, ferner die Form der Sensibilitätsstörung, außerdem die 
okulopupillären (Pupille links < rechts) Symptome. Auch anatomische und physio¬ 
logische Erwägungen ließen Verf. zu dieser Diagnose gelangen; daß das mecha¬ 
nische Moment außer auf die oberen auoh in mäßigem Grade auf die unteren 
Wurzeln schädigend wirkte, ergab sich außer aus den okulopupillären Symptomen 
aus der gefundenen einfachen Abschwächung der elektrischen Reaktion der Muskeln 
des entsprechenden Gebietes. 

Im 2. Falle handelte es sich um die Entstehung derselben nervösen Störung 
(Lähmung des Plexus brachialis); die Veranlassung war hier ein Messerstich in 
die Fossa subclavicularis — also fast ein reines physiologisches Experiment. Die 
Lähmung des betroffenen linken Armes trat sofort ein: der Zustand blieb während 
der mehrmonatigen Beobachtung des Falles ziemlich unverändert. Es besteht: 
Muskelatrophie, besonders der Muskeln des Schnltergürtels, Schwerbeweglichkeit der 
Schulter, Erschwerung der Flexion des Vorderarmes gegen den Oberarm, im Gegen¬ 
satz zu der leicht auszuführenden Extension; Herabsetzung der Kraft der Hand 
linkerseits, ebenso der Reflexe; die anfänglich bestehenden Sensibilitätsstörungen 
sind jetzt ziemlich ausgeglichen. Die elektrische Untersuchung bestätigt die 
Diagnose. 

Die Vergleichung der beiden Fälle soll, wie schon eingangs erwähnt, dartun, 
daß an sich verschiedene Ursachen, welche auf dieselben normalen Nerven ein¬ 
wirken, dieselben Wirkungen hervorrufen. 

36) Sor un oas de paralyaie de« böquilles, par Soca. (Nouv. Iconogr. de la 

Salpetrige. 1906. Nr. 2.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Ein 70jähriger Soldat wurde in der Schlacht bei Tupamboö durch einen 
Schuß inB rechte Bein verwundet. Er mußte nach seiner Entlassung noch an 
Krücken gehen. Nach wenigen Tagen hatte er das Gefühl von Ameisenlaufen im 
rechten Arm, bald stellte sich eine Veränderung der groben Kraft ein. Der 
Arm bot die charakteristische Gestalt der Radialislähmung. In die Lähmung 
einbezogen waren Triceps und Sphinoter longus et brevis. Bei näherer Prüfung 
stellte sich jedoch heraus, daß auch der Biceps, Coraco-brachialis, Levator scapulae, 
Pectoralis major, kurz alle vom Plexus brachialis versorgten Muskeln betroffen 
waren. Die elektrische Prüfung ergab durchweg eine Herabsetzung. ' Partielle 
Entartungsreaktion im Radialis und Medianus. Anaesthesia dolorosa im ganzen 
Ober- und Unterarm, ebenso herabgesetzte Empfindung für warm und kalt bei 
erhaltener Berührungsempfindlichkeit. Stereognostischer und Muskelsinn o. B. 
Die sensiblen Erscheinungen verschwanden nach ein paar Tagen, nur blieb das 
Ameisenlaufen bestehen, die motorischen Störungen besserten sich viel langsamer. 
Nach 2 Monaten völlige Wiederherstellung. 

Auf Grund von Untersuchungen, die Verf. auf Veranlassung dieses Falles an 
Leichen anstellte, kommt er zu einer etwas anderen Erklärung der Krückenlähmung, 
als sie sich heutigen Tages Geltung erfreut. Bis jetzt hielt man sie für eine 
einfache Drucklähmung, wie es für Fälle, wo es sich nur um Radialislähmung 
handelt, sicher richtig ist. Verf. nimmt nun an, daß die Lähmung nicht durch 
den Druck auf die Achsel hervorgerufen sei, sondern daß die Zerrung der Arm¬ 
nerven eine Wurzelläsion zuwege gebracht habe, wie es ja auch durch die ana¬ 
tomische Verbreitung der Lähmung erklärlich ist. Er erinnert daran, daß der 
Zug am Arm sämtliche entsprechenden Rückenmarkswurzeln ausdehnt. Die Krücke 
dient gewissermaßen nur als Flaschenzug. 

37) Mitbeteiligung des Phrenious bei Duehenne-Erb scher Lähmung, von 

P. Moritz. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 23.) Ref.: R. Pfeiffer, 

Die Lähmung war durch Pferdebiß bedingt worden. Betroffen waren Deltoides, 


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Bioeps, Brachialis internus, Supinator longus, Supra- und Infraspinatus, Levator 
scapulae und Bhomboides (?). Die halbseitige Phrenicuslähmung machte nur 
geringe Beschwerden. Klinisch bemerkenswert war das inspiratorische Einsinken 
und die exspira torische Vorwölbung des Epigastriums und beider Hypochondrien, 
verständlich bei dem liukseitigen Sitz der Lähmung die mangelnde Beeinflussung 
des Standes der Lungengrenzen durch veränderte Körperhaltung, interessant die 
skoliotischen Ausbiegungen der Wirbelsäule in Rücksicht auf die Experimente 
von Lesser8. Im Röntgenbilde stand die linke Zwerchfelihälfte dauernd höher 
und zeigte viel geringere Bewegungen als die rechte. Bei tiefer Atmung war 
die inspiratorische Senkung des Zwerchfells geringer als bei oberflächlicher und 
bei tiefer Inspiration trat für einen mehr oder weniger langen Teil dieser Phase 
ein vollkommener Stillstand ein. 

38) Über Störungen Im Gebiet des N. medianus, von Dr. 0. Wandel. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

Mitteilung von 11 Fällen, in welcher Störungen im Medianusgebiet bestanden, 

welche für die Beurteilung der von diesem Nerven vermittelten Funktionen von 
Wert sind. In 4 Fällen handelte es sich um Lähmungen nach komplizierten und 
unkomplizierten Frakturen des Ober- und Unterarmes, in 5 Fällen um professio¬ 
nelle Paresen, worunter 2mal die einförmige Handhabung der Maurerkelle als 
disponierendes Moment des Leidens anzusehen war. Auch konnte durch eine ein¬ 
malige Überanstrengung der Pronatoren des Unterarms eine so starke Schädigung 
in diesem Nervengebiet hervorgerufen werden, daß sich die bestimmten Störungen 
der Motilität und Sensibilität herausbildeten. Ferner stellten sich bei einer 54jähr. 
Frau nach einer Neuritis im Medianusgebiet Reizerecheinungen im Bereich der 
vasomotorischen (Rötung, Schwellung, Schweißabsonderung) und der trophischen 
Sphäre (Grlanzhaut, Wachstumsanomalien der Nägel) ein. Hierbei dürfte es sich 
wohl um eine mehr central gelegene, sich bis in die hinteren Wurzeln des 6. und 
7. Cervikalstranges erstreckende Neuritis gehandelt haben. Ein weiterer Fall war 
dadurch bemerkenswert, daß die Verletzung des rechten Unterarmes (Fall durch 
ein Glasfenster, Schnittwunde an der Innenseite des Unterarmes) etwa 30 Jahre 
zurückliegt. Jetzt besteht u. a. eine Einschmelzung des Knochengerüstes der End¬ 
phalangen des 2. und 3. Fingers und eine Veränderung der Haut im Bereich der 
Sensibilitätsstörung, in deren Folge sie kalt, dick, hart und unelastisch geworden. 
Es handelte sich dabei offenbar um eine Spätschrumpfung der vor vielen Jahren 
entstandenen Narben, wodurch neuritisohe und perineuritische Veränderungen, 
ähnlich denen bei Lepra und Syringomyelie, hervorgerufen wurden. 

39) Über einen Fall von Medianusverletzung mit seltenen trophischen 

Störungen, von Dr. Karl Hirsch in Berlin. (Deutsche med. Wochenschr. 

1906. Nr. 20 u. 21.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Bei einem körperlich gesunden und kräftigen Manne führte die traumatische 
Verletzung des N. medianus zur Bildung eines wahren Neuroms (Amputations- 
neuroins), Störung aller Sensibilitätsqualitäten, besonders der Schmerz- und Tem- 
peraturempfindung im Versorgungsgebiet des Medianus und auf der Streckseite 
der Endphalanx und der distalen Hälfte der ersten Phalanx des Daumens, sowie 
zur Atrophie des M. abductor pollicis brevis. Ferner bestanden dystrophische 
Veränderungen au den dem Medianusgebiet zugehörenden Nägeln, vor allem aber 
ein völliges Einschmelzen der beiden Endphalangen des 2. und 3. Fingers durch 
Knochenresorption, unabhängig von entzündlichen Veränderungen. Exstirpation 
des Neuro ms; Vereinigung der beiden kleinen Hautäste mit dem Hauptstamm. 
Rasche Besserung der Sensibilität, zum Teil wohl dadurch erklärlich, daß der 
Druck des Tumors die Ausbildung der Anastomosen mit der peripherischen Ver¬ 
einigung der übrigen sensiblen Nerven gehindert hat. 

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Original fro-m 

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40) A olinioal leoture on a oue of seoondary suture of the great aoiatlo 
nerve, by James Sherren. (Brit. med. Journ. 1907. 16. Februar.) Ref: 
£. Leb mann (Oeynhausen). 

Der ausführlich mitgeteilte Fall interessiert zunächst durch die Seltenheit 
einer völligen Kontinuitätstrennung des Ischiadious dicht bei seinem Austritt aus 
dem Plexus sacraÜB infolge Schuß durch die rechte Sakralgegend. Bemerkens* 
wert ist ferner, daß, trotzdem die Schußwunde unter größter Eiterbildung geheilt 
war, doch 4 Jahre nach der Verletzung eine ausgeführte Nervennaht von Erfolg 
begleitet war. Endlich bot der Fall die seltene Gelegenheit, das vom Ischiadicus 
und seinen Zweigen versorgte Gebiet mittels der vom Verf. an anderer Stelle 
mitgeteilten Art der Sensibilitätspriifung festzustellen. Hinsichtlich der Details 
der gefundenen Gefühlsstörungen sei auf das Original verwiesen. 

Bei dem betreffenden Patienten bestand 4 Jahre nach erhaltener Verletzung 
Atrophie der betreffenden Muskulatur des Unter- und Oberschenkels, sowie der 
Glutäalgegend; völlige Lähmung des Fußes, Equinusstellung desselben; ferner 
trophische Störungen an der Ferse (Malum perforans), sowie an der Innenseite 
der großen Zehe (Geschwürbildung). Die vom Ischiadicus versorgten Muskeln 
zeigten partielle Entartungsreaktion. Im Bereich des Ischiadicus und Peroneus 
bestand fast völlige Anästhesie für Berührungen, dagegen nickt für Druck. 

Verf. entschloß Bich so lange Zeit nach der Verletzung zur Nervennaht, um 
vor allem die trophischen Störungen zu beseitigen, und hatte in dieser Beziehung 
vollen Erfolg. — 6 Wochen noch der Operation ferner ständige Besserung der 
Sensibilität, welch letztere nach Verlauf von 6 Monaten über dem Beine eine 
normale geworden ist, während der Fuß noch anästhetisch ist. 

41) Über die Behandlung der Sohuß Verletzungen peripherer Nerven durch 
Nervenlösung mit nachfolgender Tubulisatlon und Verlagerung der 
Nerven zwischen gesunde Muskelsohiohten , von Prof. Dr. Hashimoto 
u. Dr. H. Tokuoka. (Archiv f.klin.Chir. LXXXII.) Bef.: Jacoby (Mannheim). 
Bericht über zwei Fälle von Nervenverletzungen, bei denen obiges Verfahren 

mit recht günstigem Erfolge in Anwendung kam. In dem einen Falle handelte 
es sich um eine Läsion des Ischiadicus, im anderen um eine solche des Radialis. 
Die Operation besteht in Auslösung der Nervenstämme aus dem narbigen Gewebe 
und Verlagerung in gesunde Muskelschichten. 

42) Die Kondensatormethode, ihre klinisohe Verwertbarkeit und ihre 
theoretischen Grundlagen unter Berücksichtigung der neuesten Br* 
regungsgesetse, von Dr. Zanietowski in Krakau. (Zeitschr. f. Elektrother. 
VIII.) Ref.: Toby Cohn (Berlin). 

Mit monographischer Gründlichkeit bearbeitet Verf. in der vorliegenden 
Artikelserie die für die Elektrodiagnostik so verheißungsvolle Methode der Kon- 
densatorentladungen, die dem Verf. so gut wie alles verdankt, und der die Zu¬ 
kunft sicherlich auch seinen Namen beilegen wird. Nach historischen und tech¬ 
nischen Vorbemerkungen beantwortet er die Fragen nach der Entstehung des 
Bedürfnisses und nach der Berechtigung der Kondensatormethode, nach den 
Schwankungen und der gegenwärtig gefundenen endgültigen Form, sowie nach 
dem Verhältnis der früheren Versuche zu den neueren Erregungsgesetzen. Auf 
die Einzelheiten der Beantwortung einzugehen, ist im Rahmen dieses Referates 
nicht möglich. Es sei nur das wesentlichste aus den Schlußfolgerungen hier an¬ 
geführt und im übrigen auf das Original verwiesen. Die Kondensatorentladungen 
eignen sich in vorzüglicher Weise zur Reizung gesunder und kranker Nerven und 
Muskeln und zur Beobachtung quantitativer und qualitativer Reaktionsanomalien. 
Die direkten, d. h. nicht mit anderen Strömen kombinierten, Entladungen zer¬ 
fallen in solche, bei denen der Kondensator mit dem Körper in einen Kreis 
verbunden ist, und solche, bei denen er durch alternative Umschaltung in den- 


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selben entladen wird. Auf die bipolare alternative Entladungsmethode beziehen 
sich die früheren (von Mann, Bernhardt, dem Ref. u. a. nachgeprüften and be¬ 
stätigten) Versuche des Verf.’s und auch seine neueren über Körperkapazität und 
spezifischen Leitungswiderstand. Von den erregten Geweben gilt das Gesetz, daß 
die im ersten Moment des Stromschlusses ziemlich konstante Körperkapazität 
(das ist die wichtige, früher zu wenig berücksichtigte Eigenschaft) der Größe der 
Beläge und dem spezifischen Dielektrizitätskoeffizienten des Körpers direkt, dem 
Abstand der Beläge umgekehrt proportional ist. Als „Isolator“ ist nicht nur 
die vom hohen Hautwiderstand geschützte Körpermasse zwischen den Belegungen 
zu betrachten, sondern auch je nach der Dauer des immer tiefer eindringenden 
Stromes, die konzentrischen Hüllen der spezifisch fibrillär gebauten Nerven und 
Muskeln, die verschiedene spezifisch chemische und elektrolytische Eigenschaften be¬ 
sitzen. Während der Stromeinwirkung unterliegt die Gewebskapazität Schwankungen, 
die denen des Widerstandes umgekehrt proportional sind. 

Was das Maß der erregenden Entladung anbetrifft, so ist für präzise klinische 
Versuche diejenige Kondensatorgröße die beste, die möglichst konstante Resultate 
liefert und nicht weit vom Werte der Körperkapazität liegt. Verf. empfiehlt als 
solche Größe diejenige, die das Minimum der Energie zur Hervorrufung einer 
Minimalzuckung verbraucht. Die klinisch konstatierte Konstanz der optimalen 
Energie steht in Einklang mit Lapicques Untersuchungen. Für die Praxis be- 
nutzt er, um nicht zu hohe Spannungen zu brauchen, 1 / 2 und 1 Mikrofarad. Eis 
hat sich dabei Konstanz der maßgebenden Spannungen oder doch nur Schwankungen 
in weit geringeren Grenzen als bei der älteren Methode gezeigt, da die Konden¬ 
satorentladung wenig merkliche elektrotonische Erregbarkeitsveränderungen und 
Widerstandsschwankungen hervorzurufen imstande ist. Bei Vergleichsversuchen 
muß jedoch die Größe der konventionellen Normalelektroden angegeben werden. 

Mit Hilfe seiner Doppelschlüsselelektrode kann man approximativ die durch 
Vergleich einer kleinen Entladung mit deijenigen des Mikrofarads oder mit dem 
konstanten Strom die Erregungskoeffizienten bestimmen. Über dieses und das 
Verhältnis der Erregungsgesetze zu des Verf.’s Hypothesen über den spezifischen 
Widerstand der Gewebe sind die entsprechenden Kapitel nachzulesen. 

Eine Zusammenstellung absoluter Erregbarkeitswerte ist schwer, weil bei 
jedem Kondensator verschiedene Energien und Quantitäten herauskommen. Die 
für verschiedene Kondensatoren vom Verf. tabellarisch zusammengestellten Ver¬ 
gleichswerte ergeben jedoch, daß 1. die Zahlen seiner klinischen Optimalentladung 
mit den Angaben anderer Autoren übereinstimmen, was für die Konstanz der 
Methode spricht; 2. daß besonders bei Kranken und Kindern in praxi höhere 
Kapazitäten als die normale anzuwenden sind; 3. daß die „Erregbarkeitsreihe“ 
der Nerven der üblichen galvanischen und faradisohen Tabelle analog ist. Bei 
verschiedenen Krankheiten — wie Tetanie, Paralyse, Polyneuritis, Dystrophie, 
Myotonie, Myasthenie — ergeben sich die schon früher beobachteten interessanten 
Befunde. Verf. schließt mit der Bitte an die praktischen Ärzte, der Methode ihr 
Interesse zuzuwenden. 

43) Die anodisohe Übererregbarkeit der Säuglinge, von v. Pirquet. (Wiener 

med. Wocbenschr. 1907. S. 14.) Ref.: Pilcz (Wien). 

626 Einzeluntersuchungen an 24 Kindern. 

Aus den sehr mühevollen Untersuchungen, deren Technik eingehend geschildert 
wird, ergibt sich: 

Das Auftreten von AÖZ unter 6 M.-A. ist das Anzeichen einer leichten, aber 
doch pathologischen Übererregbarkeit. Daß dieselbe pathologisch ist, schließt 
Verf., weil sie 1. den höheren Graden der Erregbarkeit vorausgeht, dieselben be¬ 
gleitet und ihnen nachfolgt, 2. weil sie sich, gerade wie die Kindertetanie, am 
häufigsten im Winter findet, häufiger bei Flaschen- als bei Brustkindern, häufiger 


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bei Rachitischen, 3. weil sie sich fast niemals sprunghaft an einzelnen Tagen 
zeigt, wie die ASZ, sondern bei einem und demselben Kinde Wochen- bis 
monatelang. 

Die galvanische Untersuchung ergibt beim normalen Säuglinge nur Schließungen 
Zuckungen unter der Grenze von 6 M.-A. 

Das Auftreten von AÖZ unterhalb dieser Stromstärke bei gleichzeitigem 
Fehlen von KÖZ und KSTe charakterisiert eine leichte Übererregbarkeit, für 
welche Verf. den Namen „anodische Übererregbarkeit“ vorschlägt. 

Diese tat eine der Unterstufen der „kathodischen Übererregbarkeit“, 
welche an der Kathode durch das Auftreten von Te oder ÖZ unter 6 M.-A. er¬ 
kennbar tat. 


Psychiatrie. 

44) Die Entwicklung des psychiatrischen Unterrichtes in Greifswald, von 

Ernst Sohultze. Rede zur Eröffnung der neuen psychiatrischen Klinik in 

Greifswald am 13. Januar 1906. (Klin. Jahrb. XVI. 1907.) Ref.: M. 

Auf eine interessante Übersicht über die Entwicklung des klinischen Unter¬ 
richtes an der Universität Greifswald, der erst am 1. April 1889 unter Arndts 
Leitung eine psychiatrische Klinik angesohlossen wurde, folgt die Schilderung des 
jetzt eröffneten Neubaues derselben, welcher aus vier einzelnen Gebäuden, dem 
Hauptgebäude, dem Wirtschaftsgebäude, der Leichenkapelle und dem Direktor¬ 
wohnhaus besteht. Die Klinik ist für 72 Kranke eingerichtet und besitzt selbst¬ 
verständlich alle Hilfsmittel der modernen Therapie. Daß sie nicht bloß den 
klinischen Unterricht wesentlich zu fördern imstande sein wird, sondern daß 
sie auch der forensischen und sozialen Seite der Psychiatrie ihre volle Aufmerk¬ 
samkeit widmen wird, darauf weist außer der Person des Direktors die Aus¬ 
führung der Aufgaben, welche er sich gestellt hat und die er in seiner Rede 
skizziert. 


Forensische Psyohiatrie. 

46) Psychlatriaohe Untersuchung eines Felles von Mord und Selbstmord 
* mit Studien Aber Familiengeschichte und Erblichkeit, von Sommer. 

(Klinik f. psych. u. nerv. Krankh. I.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Sommers Studie über einen Familienmord verdient schon wegen der origi¬ 
nellen und umfassenden Forschungsart gelesen zu werden. Eis handelte sich um 
einen Mann, der seine Frau und Kinder tötete bzw. verletzte und darauf sich 
selbst tödlich verwundete. Obwohl somit eine gerichtliche Begutachtung fortfiel, 
hat Verf. diesem Falle aus kriminal-psychologischem und sozialem Interesse weiter 
nachgeforscht. Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß psychiatrisch der Fall am 
ehesten durch die Annahme einer Hystero-Epilepsie zu erklären sei, worunter er 
„die Verbindung von epileptischen Symptomen mit starker Beeinflußbarkeit, wie 
sie sich bei der psychogenen Neurose findet“, verstanden wissen will. Das epi¬ 
leptische Moment tritt dabei allerdings nicht in typischen Krampfanfällen, sondern 
in Form einer „enormen motorischen Erregliohkeit“ hervor. Zur Stütze seiner 
Vermutung über die psychiatrisch erklärlichste Grundlage der Mordtat schloß 
Verf. eine Familienforschung über die Familie des Täters an. Der Stammbaum 
desselben wurde möglichst weit zurückverfolgt und Verf. suchte gleichzeitig, „das 
Vorkommen des Namens des Täters sowie event. psychopathischer Personen gleichen 
Namens in einem größeren Umkreis festzustellen und die Verbreitungsbezirke zu 
vergleichen, sowie die event. Zusammengehörigkeit untereinander und mit dem 
vorliegenden Falle zu prüfen“. In welch sorgfältiger und fruchtbringender Weise 
diese Untersuchung durchgeführt ist, das kann nur das Original zeigen. 


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III. Aus den Gesellschaften. 

Jahresversammlung des deutsohen Vereins für Psyohiatrie 
in Frankfurt a/M. und Gießen vom 26.—28. April 1007. 

(Ref.: Dr. Hahn .Frankfurt) 

Der Vorsitzende Herr Moeli eröffnet die Versammlung. Er gedenkt der Toten 
des Jahres, unter ihnen Fürstner, Moebius und v. Bergmann. Im Namen 
des Regierungspräsidenten spricht Geheimrat Pfeiffer, als Vertreter der Stadt 
Bürgermeister Grimm, für die Senkenberg-Stiftung Direktor Knoblauch, für 
den ärztlichen Verein Professor Sippel und im Namen des Lokalkomitees 
Direktor Sioli. Auf Antrag Pellmann wird Hitzig, der durch Krankheit am 
Erscheinen verhindert ist und auch eine Wiederwahl in den Vorstand ablehnen 
muß, zum Ehrenmitgliede ernannt. 

Das erste Referat gilt der Gruppierung der Epilepsie. 

Herr Alzheimer berichtet über seine anatomischen Untersuchungen an 
63 Epileptikerhirnen. Der epileptische Anfall kommt bei den verschiedensten 
Krankheiten (Tumor, Paralyse, Dementia praecox usw.) vor, und es ist nun die 
Aufgabe, zu untersuchen, ob den verschiedenen klinischen Bildern (Ätiologie, Ver¬ 
lauf, Endzustände) verschiedene bestimmte anatomische Bilder entsprechen. Seit 
1825 sind Veränderungen im Ammonshorn bekannt und in 40—50 °/ 0 der F&lle 
nachweisbar. Weigert fand Markschwund, Nissl wies nach, daß die Zellen in 
ihrer Anordnung verändert, geschrumpft und zum Teil verkalkt sind. Die Zahl 
der Gliakerne ist vermehrt, die Gefäße sind verdickt. Die Veränderungen im 
Ammonshorn erklären aber weder die Demenz noch die Anfälle, und es sind auch 
schon von Bleuler u. a. diffuse Veränderungen in anderen Hirnbezirken nach¬ 
gewiesen worden. Nach Vortr. bestehen diese (chronischen) Veränderungen in 
einer Verdichtung der Oberflächensohicht der Glia und damit einhergehender 
Gliose der Markleisten. Die Gliazellen sind kleiner und in ihrer Anordnung ver¬ 
ändert. Es gehen auch Markfasem und Ganglienzellen zugrunde. In Fällen 
von besonders schwerer Demenz finden sich an den Gliazellen statt der Weigert- 
schen Fasern ganze Platten, die die Zellen einscheiden. Bei im Status epilept. 
Verstorbenen konnte Vortr. auch frische Veränderungen nachweisen. In den 
Centralwindungen finden sich besonders in der Umgebung der Kapillaren amoe- 
boide Zellen, die sich mit Zerfallsprodukten (myeloiden und protagonoiden 
Granula, Fettkörnchen usw.) beladen. Sie zerfallen rasch wieder und die Zerfalls¬ 
produkte gelangen in die adventitiellen Lymphräume. Zwischen den Gliazellen 
finden sich wenig Lymphocyten, keine Plasmazellen, aber regelmäßig Mastzellen. 
Die Kerne der Gliazellen teilen Bich häufig. Außerdem läßt sich der Untergang 
feiner Axencylinder nachweisen. Diese akuten Veränderungen finden sich nicht, 
wenn längere Zeit vor dem Tod keine Anfälle aufgetreten waren. Diese chron. 
und akuten Prozesse finden sich in 60°/ 0 der untersuchten Fälle, die die große 
Gruppe der genuinen Epilepsie bilden. Eine 2. Gruppe ist durch eine ungleich* 
mäßige Atrophie mit schichtweisem Zerfall von Kernen und Fasern ausgezeichnet 
(sog. atrophische Sklerose). Ätiologisch kommt Alkohol und Blei in Betracht 
Die Anfälle haben keine einheitliche histologische Grundlage. In einer 3. Gruppe 
sind die Anfälle durch luetische und arteriosklerotische Prozesse bedingt. Es 
sind aber auch unter den Spätepileptikern viel genuine und andererseits kommt 
es hei der genuinen Epilepsie oft früh zu schweren Gefaßveränderungen. 4. Bei 
Epilepsie im Anschluß an herdförmige Erkrankungen lassen sich in den alten 
Herden keine frischen Veränderungen nachweisen trotz vieler Anfälle. 5. be¬ 
spricht Vortr. noch Fälle von Entwicklungsanomalien. Die Prozesse setzen im 
fötalen Leben ein und gehen bis zum Tode weiter. Hierher gehört das von 
Ranke beschriebene Stadium verrucosum. Zum Schluß erwähnt Vortr. noch die 

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tuberöse hypertrophische Sklerose, bei der es sieh um eine mangelhafte Differen¬ 
zierung von Ganglien- and Gliazellen handelt. 

Herr Vogt (Langenhagen) hält das klinische Referat. Er führt aus, daß 
die Epilepsie keine einheitliche Krankheit ist, sondern große klinische Ver¬ 
schiedenheiten aufweist und versucht von der genuinen Epilepsie die andern mit 
ihr nur durch die Gemeinsamkeit der Anfälle verbundenen Formen abzulösen. 
Besonders eng ist die Berührung mit der Hysterie, namentlich bei gehäuften 
kleinen Anfällen bei Kindern ist es schwer, zu einer Abgrenzung und Prognose 
zu kommen. Bei degenerativen psychopathischen Zuständen kommen epi¬ 
leptische Zustände vor, ohne daß sich daraus eine eigentliche Epilepsie entwickelt. 
Eine eigenartige Stellung nehmen auch die Fälle ein, die vor kurzem als Affekt- 
epilepsie von Bratz und Leubuscher beschrieben worden sind, wo in der 
Anstalt die Anfälle aufhören, während sie Bich draußen regelmäßig bei Auf¬ 
regungen ein8tellen. Die von Oppenheim beschriebenen myasthenischen Krämpfe 
sind als neurasthenische Erscheinung aufzufassen. Kombiniert mit Idiotie finden 
sich epileptische Anfälle in besonders schweren Fällen von genuiner Epilepsie, 
bei schweren degenerativen Formen, bei organischen Erkrankungen (Lues hered.), 
bei Entwicklungsanomalien (Hydrocephale, Uikrocephale usw.). Vortr. bespricht 
sodann noch die verschiedenen Formen, die bei Intoxikation mit Alkohol und 
Blei, auf dem Boden der Lues, bei Arteriosklerose und nach Traumen auftreten, 
doch ist eine ätiologische Gruppierung kaum durchzuführen. (Beide Referate er¬ 
scheinen an anderer Stelle ausführlich.) 

Herr Binswanger (Jena) betont, daß Alzheimers Material zum größten 
Teil chronisch verlaufende Fälle enthalte. Namentlich in der Privatpraxis werden 
aber nicht so selten Ausheilungen genuiner Epilepsien beobachtet. Ferner be¬ 
weisen auch die leichteren Fälle, wo während des ganzen Lebens etwa zweimal 
jährlich Anfälle auftreten, ohne daß es zu einem geistigen Verfall kommt, daß die 
Störungen zum Teil ausgleichbar sind. Die von Nonne beschriebene syphilitische 
Epilepsie hat auoh Binswanger beobachtet. Er warnt im weiteren davor, jeden 
temporären Bewußtseinsverlnst und leichten Facialiskrampf gleich als Epilepsie 
aufzufassen. 

Herr Heilbronn er weist darauf hin, daß die epileptische Demenz nicht 
der Häufigkeit und Schwere der Anfälle parallel gehe und er fragt den Vortr., 
ob sich eine Differenz zwischen dem Auftreten der sohubweisen Veränderungen 
und den chronischen Veränderungen, die am ersten die Demenz bedingen möchten, 
nachweisen lasse. 

Herr Reich geht näher auf die von Alzheimer angewandten Färbemethoden 
ein. Während früher nur die Nisslschen Granula, die Neurosomen Heids, die 
Pigmentkörner der Ganglienzellen und die durch Marchi darstellbaren Fett¬ 
körner bekannt waren, gelang es Reich, vor etwa 8 Jahren weitere Körnungen 
als Abbauprodukte der Markscheiden nachzuweisen. Er gewann aus Gehirn¬ 
substanz Cbolestearin, Lecithin, Protagon, Neurokeratin, untersuchte sie mikro¬ 
chemisch und mit Färbemitteln und kam so dazu, zwei Marksubstanzen nachzu¬ 
weisen, von denen sich die eine mit sauren Farbstoffen (myelinartige Substanz), 
die andere mit basischen Anilinfarben (protagonartige Substanz) darstellen läßt. 
Reich weist auf seine Publikationen im Journal für Psychologie und Neurologie 
hin, wo er die Härtung und Färbung der myeloiden und protagonoiden Granula 
Alzheimers ausführlich beschrieben habe. 

Herr Anton (Halle) meint, daß die von Alzheimer naohgewiesenen histo¬ 
logischen Veränderungen nur durch die spezielle Lokalisation mit der Epilepsie 
in Verbindung stehen. Für die Entstehung der Epilepsie sind nach Anton oft 
Veränderungen in anderen Körperorganen ausschlaggebend. Exstirpation der 
Schilddrüse unter Schonung des Epitbelkörpers führe zu reinem Zwergwuohs, 

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Störung „der Korrelation der Drüsen“ zu Kretinismus, der häufig mit Epilepsie 
verbunden sei, ebenso auch die Rachitis. Im weiteren schuldigt Anton die 
relative und absolute Gehirnhypertrophie als Ursache der Epilepsie an. Bei wahrer 
Hypertrophie sei meist Epilepsie beobachtet. Bei einem Mißverhältnis zwischen 
Hirngröße und Schädel könnte nach Anton „Regulierung des Blutdrucks zum 
Gehirndruck“ therapeutisch verwertet werden. 

Nach Herrn Bratz (Wuhlgarten) können diffuse anatomische Prozesse, wie 
sie Alzheimer schilderte, als Reizmoment für die Auslösung einer Epilepsie oder 
als anatomisches Korrelat der Reizerscheinungen (Anfälle) oder als Grundlage 
der dauernden psychischen Veränderungen (Verblödung) aufgefaßt werden. Er 
stellt die Forderung auf, ganz ausgesuchte klinische Fälle anatomisch zu unter¬ 
suchen, um festzustellen, welche klinischen Eigenheiten bestimmten anatomischen 
Zuständen entsprechen. 

Im Schlußwort stimmt Herr Alzheimer darin mit Binswanger überein, 
daß die Prognose der Epilepsie, auch der genuinen, nicht ohne weiteres ungünstig 
sei. Randgliose hält er für ein sioheres Zeichen, eines alten Prozesses und ist 
geneigt, die Verblödung damit in Zusammenhang zu bringen. 

Herr Vogt betont im Schlußwort, daß die luetischen Prozesse zu viel¬ 
gestaltet seien, um bei der postsyphilitischen Epilepsie rein klinisoh zu entscheiden, 
ob die Endarteriitis oder die Intoxikation als kausaler Faktor aufzufassen sei. 
Vogt glaubt, daß es auf dem von Anton vorgeschlagenen Wege gelingen werde, 
Anfälle mit unmittelbaren Intoxikationskoeffizienten festzustellen. Für die nächsten 
Aufgaben der Klinik der Epilepsie hält Vogt die weitere Beachtung der Heil¬ 
bronn ersahen Fälle von genuiner Epilepsie mit Herderscheinungen, das Stoff- 
wecbselgebiet und das Studium der zahlreichen Kombinationen von Idiotie und 
Epilepsie. 

In der Naohmittagssitzung folgen die Vorträge: 

Herr L. Merzbaeher (Tübingen): Über Morphologie und Biologie der 
„Körnohenzellen“. Unter dem Namen der Abräumzellen möchte Vortr. alle die¬ 
jenigen zelligen Elemente im Centralnervensystem zu einer Gruppe zusammen- 
fassen, denen die Aufgabe zukommt, geformte oder ungeformte Abbauprodukte 
des Centralnervensystems aufzusuohen, sich einzuverleiben, zu verarbeiten und 
wieder abzugeben. In diese Gruppe wären die Körnchenzellen der Autoren als 
ein besonderer Typus einzureihen. Gegen den bis jetzt üblichen Namen erheben 
sich allerlei Bedenken, die kurz aufgezählt werden. Erst die Berücksichtigung 
der Funktion der Zellen tritt dem wahren Wesen der hier in Betracht kommenden 
Zellen näher. Die Abräumzellen haben als Zellen von eminent aktivem Charakter 
zu gelten. Die Kennzeichen, welche auf eine Aktivität hinweisen, werden auf¬ 
gezählt. Gewisse morphologische Verhältnisse werden so auch in innige Be¬ 
ziehung gesetzt zur aktiven Tätigkeit der Zellen, so die Tendenz nach Rundung 
und die Maschenbildung. Die Methoden zur Darstellung der Abräumzellen werden 
ebenfalls durch die Rücksicht auf die Funktion der Zellen gegeben und gelten 
vor allem der Darstellung der verschiedenen Abbauprodukte. Die stärkere oder 
schwächere Ausbildung der Gesamtsumme von Kennzeichen, die auf eine Aktivität 
hinweisen, können als Einteilungsprinzip bei dem ungemein reichen Formen¬ 
reichtum herangezogen werden. Die verschiedenen Formen der Abräumzellen, 
sowie die Genese derselben wird an einer Reihe von Lichtbildern demonstriert. 
Als Mutterzellen der Abräumzellen kommen die Blutgefäßwandzellen, Fibroblasten. 
Blutzellen und vor allem Gliazellen in Betracht. Aus letzteren rekrutieren sich 
besonders die bei sekundären Degenerationen auftretenden Abräumzellen, ebenso 
wie die Abräumzellen bei der Tabes, multipler Sklerose, amyotrophischer Lateral- 
Sklerose usw., während die mesodermalen Abräumzellen bei akuten Prozessen und 
Zerstörungen der Substanz, bei denen es zu reparatorischen Prozessen kommt, die 

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47b 


größere Rolle spielen. Eine besondere Besprechung finden die „Körnchenzellen“ 
des embryonalen Gewebes. Die Frage nach einer Encephalitis neonatorum taucht 
wieder auf. Die Körnchenzellen bei Früchten und Neugeborenen können nicht 
als die Begleiterscheinung eines pathologischen Prozesses aufgefaßt werden; sie 
sind vielmehr als Aufbauzellen zu betrachten. Es scheinen so beim Aufbau die¬ 
selben Zellen wie beim Abbau in Erscheinung zu treten. Da im Prinzip die 
Funktion der Auf- und Abbauzellen die nämliche ist, so können auch die embryo¬ 
nalen Aufbauzellen unter dem Begriffe der Abräumzellen untergebracht werden. 
Um bei diesen embryonalen Abräumzellen Physiologisches vom Pathologischen zu 
trennen, muß einmal die örtliche Verteilung dieser Zellelemente, ihr zeitliches 
Auftreten und schließlich die Menge und Natur der in ihnen vorhandenen Stoffe 
berücksichtigt werden. Die Frage nach der chemischen Natur der in Form von 
Körnchen sich abscheidenden Körper bedarf noch genauerer Untersuchungen. Die 
Gliazellen spielen auch hier wieder als embryonale Abräumzellen eine wesentliche 
Rolle. Zur Untersuchung standen eine Reihe menschlicher Föten und Embryonen 
von Ratten, Kälbern, Mäusen, Schafen, Hühnchen zur Verfügung. Einige farbige 
Tafeln, weiche der Darstellung der embryonalen Abräumzellen dienten, wurden 
mit Hilfe des Epidiaskopes demonstriert. (Die Arbeit wird demnächst als Beitrag 
in den von Alzheimer und Nissl herausgegeben „Histopathologischen Studien 
der Großhirnrinde“ erscheinen.) Autoreferat. 

Herr Liepmann (Dalldorf): Beiträge zur Aphasie- und Apraxielehre. 
Vortr. demonstriert zwei Gehirne, bei denen der Balken fast ganz zerstört ist, 
während die linke Hemisphäre beinah ganz, die rechte ganz intakt geblieben ist. Das 
Tierexperiment hatte keinen Aufschluß über die Rolle des Balkens gegeben und die 
menschliche Pathologie war zu keinen Schlüssen gekommen, weil balkenloBe Gehirne 
noch andere Mißbildungen zeigten und isolierte Zerstörung des Balkens nicht beob¬ 
achtet war. Außer seinen eigenen Beobachtungen bespricht Vortr. noch ähnliche 
Fälle von Maas, van Vleuten und Hartmann. Die linke Hemisphäre hat 
wie für die Sprache so auch für die Zweckbewegungen des Handelns die führende 
Rolle. Bei Linkshändern (auch den latenten, die nur durch Übung die Rechtshändig¬ 
keit erworben) müßte bei Zerstörung des Balkens keine Apraxie eintreten, bei den 
Rechtshändern aber wird die linke Hand dyspraktisch. Wie weitgehend der Defekt 
im Balken sein muß, ist noch nicht festgestellt. Bei dem einen demonstrierten Fall 
des Vortr. ist der Balken vorn und in der Mitte durchtrennt, während das Splenium 
erhalten ist. Das klinische Bild war durch Brückenherd bedingte totale rechtsseitige 
Lähmung, gute Sprache, totale Agraphie links als Teilerscheinung einer allgemeinen 
Apraxie, die sich z. B. darin zeigte, daß der Pat. den Kneifer auf die Zunge setzte, das 
Streichholz in den Mund steckte usw., trotzdem er die Gegenstände gut erkannte. 
Vortr. wendet sich sodann gegen Pierre Marie, der zwar die linksseitigen Herde des 
Vortr. anerkennt, aber sie mehr als Nebenbefund erklärt und die Apraxie (wie auch 
die Aphasien) in der Hauptsache als Teilerscheinungen eines allgemeinen Intelligenz¬ 
defektes auffaßt. Damit fielen wir auf den früheren Standpunkt zurück, wo man 
alle Aphatiker einfach als Blödsinnige ansah, weil man eben den „Blödsinn“ nicht 
analysierte, nicht einsah, was eigentlich ausgefallen ist. Die Intelligenz kann nach 
dem Vortr. durch dreierlei gestört sein: 1. durch diffuse Schädigungen bei all¬ 
gemeiner Arteriosklerose, 2. dadurch, daß ein lokalisierter Herd eine Reihe von 
Fasern aus anderen Gebieten unterbricht, 3. durch die Apraxie selbst, d. h. durch 
den Ausfall von Erinnerungsbildern. Ein eigentliches Praxiecentrum nimmt Vortr. 
nicht an, es gehören vielmehr zur Eupraxie viele Komponenten (Unästhetische, 
optische, taktile); den Gyrus supramarginalis möchte Vortr. nur als eine Prä¬ 
dilektionsstelle der Störung bezeichnen. 

In der Diskussion erwähnt Herr Heilbronner, daß er bei rechts Ge¬ 
lähmten auffällig verschiedene dyspraktische Erscheinungen im Gebrauch der 

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linken Hand beobachtet habe und stellt die Forderung auf, daß solche Zwischen- 
formen, die früher zur Agnosie gerechnet wurden, nicht einfach in ein Schema 
gepreßt, sondern genau beschrieben werden müssen. 

Herr Engelken (Alt - Scherbitz) betont die Unzweckmäßigkeit, den Kindern 
den Gebrauch der linken Hand zu verbieten. 

Im Schlußwort erklärt Herr Liepmann, daß es Zwisehenstörungen gäbe, bei 
denen eine scharfe Grenze zwischen Apraxie und Agnosie nicht zu ziehen sei. 

Herr Sommer (Gießen): Psychiatrie und Familienforschung. Die 
individuelle Anlage setzt sich aus verschiedenen Teilfunktionen zusammen, die 
hereditär verschieden sein können. Um das Verhältnis der angeborenen Anlagen 
zur Heredität klarzulegen, wären 1. die angeborenen Anlagen vieler Personen 
aus einer Blutsverwandtschaft zu untersuchen, 2. die verschiedenen Anlagen einer 
Person in der Generationsreihe aufzusuohen. Zur Feststellung der Generations¬ 
reihen sind wir meist auf Kirchenbücher usw. angewiesen, der Vortr. fordert dazu 
auf, eine wissenschaftliche Genealogie anzubabnen. Statt der verwirrenden Ver- 
wandtschaftsnamen schlägt Vortr. mathematische Bezeichnungen (1. Ahnenreihe 
= a 1 , 2. Ahnenreihe = a 2 usw.) vor, die bequeme Ascendenz- und DeBcendenz- 
formeln aufstellen lassen. Durch ein solches planmäßiges Arbeiten müßte es ge¬ 
lingen. von der Psychiatrie aus durch Ursachenforschung zu einer Sozialhygiene 
zu gelangen. 

Am zweiten Sitzungstage wurde zunächst der Kassabericht genehmigt, der 
Jahresbeitrag auf 5 Mark festgesetzt und ein Beitrag von 1000 Mark an die 
Laehr-Stiftung (die damit auf 72000 Mark anwächBt) und ein solcher von 500 Mark 
an die Kommission für Idiotenforschung beschlossen. 

Sodann hält Herr Siemens (Lauenburg) das Referat über den Amtlichen 
Nachwuchs für psychiatrische Anstalten. Das Angebot von Ärzten ist in 
den letzten 15 Jahren immer geringer geworden. Auch die anderen Kranken¬ 
häuser suchen immer Assistenten, und die praktischen Ärzte finden schwer Ver¬ 
treter. Am meisten aber leiden unter dem Ärztemangel die psychiatrischen An¬ 
stalten. Die Zahl der Medizinstudierenden ist heute um 3000 kleiner als vor 
15 Jahren, dazu absorbieren der Kolonialdienst, neuere Disziplinen wie Baktego- 
logie usw. viel mehr Ärzte als früher. Um die Stellungen an Anstalten ver¬ 
lockender zu machen, müssen sie verbessert werden. Vortr. verlangt für Assistenten 
1800 Mark, jährlich um 200 Mark steigend unter Anrechnung früherer prak¬ 
tischer Tätigkeit, für Oberärzte 4 bis 6000 Mark mit freier Familienwohnung 
und 600 Mark Zulagen für den Vertreter des Direktors. Die Oberärzte sollen 
selbständig werden, so daß der Direktor mehr Conciliarius wird. Ferner sollen 
überzählige Ärzte oder Abkommandierung von Militärärzten besonders für Stell¬ 
vertretungen verlangt werden. Um spezialistische Ausbildung zu erlangen, sollen 
Oberärzte an andere Kliniken beurlaubt werden. Unter allgemeinem Beifall 
postuliert der Vortr. einen Erholungsurlaub von 6 Wochen. 

An das Referat schließt sich eine äußerst lebhafte Diskussion an. Ob es 
zweckmäßiger sei, mehr Oberarztstellen oder eine Zwischenstellung zwischen 
Assistent und Oberarzt zu schaffen, darüber sind die Meinungen geteilt, aber alle 
verlangen, daß den Anstaltsärzten eine sichere Karriere geboten werde, wie sie 
die Richter und Oberlehrer bereits haben. 

Auf Antrag Krae pelins wird eine siebengliedrige Kommission gewählt, um 
die Angelegenheit ständig zu verfolgen. 

Auf Antrag Cramer (Göttingen) stimmt die Versammlung den Bestrebungen 
der Unterrichtskommission der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 
um Gleichwertung der naturwissenschaftlich-mathematischen mit den philologischen 
Gymnasialfächern zu. 

(Schluß folgt.) 

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Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 

Sitzung vom 11. Dezember 1906. 

(Wiener klin. Wochenschrift. 1907. Nr. 3.) 

Herr Rud. Neurath demonstriert ein 4 Jahre altes Mädchen mit angeborener 
Okulomotoriuslähmung. Bald nach der völlig normalen Gehurt wurde bei dem 
Kinde Schielen bemerkt und schon in den ersten Monaten linkB Ptosis, die augen¬ 
blicklich noch besteht und kaum durch die Stirnmuskulatur korrigiert werden 
kann. Ferner starke Beweglichkeitseinschränkung des linken Bulbus nach innen, 
nahezu Paralyse nach unten und oben. Pupille reagiert prompt; Fundus normal. 
Rechter Facialis etwas paretiscb. Vortr. begründet seine Annahme einer angeborenen 
Okulomotoriusparese und führt die entsprechenden Angaben der Literatur (Möbius, 
Kann, Marfan und Armand-Delille, Rainy und Fowler, Heubner) an. 
Er berichtet weiter über die anatomische Untersuchung des Falles von multiplen 
Mißbildungen und einseitigem Funktionsdefekt des Facialisgebietes, der vor einigen 
Monaten im gleichen Vereine vorgestellt wurde, wobei sich das centrale Nerven¬ 
system frei erwies, so daß am ehesten eine pränatale Entwicklungshemmung der 
peripheren motorischen Organe, also kongenitaler Muskeldefekt (Muskeln nicht 
untersucht) angenommen werden könnte. 

Herr Obersteiner schließt sich den Anschauungen des Vortr. an und betont 
gleichfalls die Intaktheit des Facialiskernes. 

Herr G. Alexander fragt nach der Untersuchung des Knieganglions, und 
zwar deshalb, weil in dem demonstrierten Falle Ohrveränderungen bestanden. Die 
kongenitale Taubheit liefert häufig negativen Befund im Kerngebiet und in diesen 
Fällen scheint es sich um Hypoplasie des Ganglion acusticum zu handeln. Da 
Ganglion geniculi und acustici aus einer gemeinsamen Anlage hervorgehen, dürften 
kongenitale Paresen des Facialis, die mit Störungen im Ohrgebiete einhergehen, 
vielleicht auf Veränderungen des Ganglion geniculi beruhen (Ganglion geniculi 
kommt als sensibles Ganglion für den motorischen Facialis kaum in Frage. An¬ 
merkung des Ref.). 

. Herr Neurath erwidert, daß das Ganglion nicht untersucht wurde. Man 
fand gelegentlich eine Aplasie des Felsenbeines und besonders französische Autoren 
wollen darin den Sitz der Läsion erblicken. Allein es ist dabei nicht gut zu 
begreifen, warum gerade nur gewisse Gebiete im Bereich deB Facialiskernes stärker 
betroffen sind. 

Herr Marburg berichtet über Untersuchungen, die Herr Miyake aus Tokio 
über Altersverftnderungsn der menschlichen Hirnrinde im neurologischen 
Institut ausgeführt hat. (Bereits referiert; d. Central bl. 1907. S. 168.) 

Herr Feri: Zur vergleichenden Anatomie der Acustlouskerne in der 
Bftugetlerreihe. (Erscheint demnächst ausführlich.) 

Sitzung vom 8. Januar 1907. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 5.) 

Herr v. Wagner stellt Hautprftparate von einem zweiten kretinisohen 
Hunde vor, der aus kretinischer Gegend stammend, blödsinnig, mit plumpen, 
gedrungenen Pfoten, kurzer Schnauze, niedriger als seine Verwandten sich präsen¬ 
tierte. Die excidierten Hautstückchen enthielten genau wie beim ersten ähnlichen 
Tiere ein Gewebe, das Schleimreaktion gab. Diesem Hunde wurden nun Thyreoidea¬ 
tabletten verabreicht (seit September steigend von 1 bis 3 Stück). Der Hund 
wurde magerer, änderte sein Temperament und neuerdings an symmetrischer Stelle 
excidierte Hautstückchen ergaben Fehlen des eigenartigen Gewebes in der Haut, 
woraus der zwingende Schluß folgt, daß in beiden Fällen eine durch Kretinismus 
bedingte Hautveränderung, also Myxödem bestand. 

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Herr A. Fuchs stellt ein lö Jahre altes Mädchen mit linksseitiger trauma¬ 
tischer Ptosis vor, die sich die Patientin durch Anstößen an eine Tärscbnalle 
zugezogen hatte. Die Ptosis setzte gleich nach dem Trauma ein und besteht jetzt 
(10 Wochen danach) unverändert. Die Lidspalte ist 2 bis 2 1 /, mm weit. Es 
besteht leichter Enophthalmus links, die Pupille ist links eine Spur enger als 
rechts. Die Ptosis blieb auf Kokaineinträufelung unverändert. Deshalb wird die 
Frage aufgeworfen, ob es sich nicht hier um eine Sympathicusaffektion handelt. 

Herr v. Frankl-Hochwart und Herr v. Wagner haben gegen letztere An¬ 
nahme wegen der Hochgradigkeit der Ptosis Bedenken. Letzterer benützt die 
Gelegenheit eine Patientin vorzustellen, der wegen Epilepsie beiderseits der 
HalsBympathious durchschnitten wurde. Dabei ist die Ptosis minimal, 
genau wie in einem Falle, wo bei einer Halsoperation der Sympathicus einseitig 
durchschnitten wurde. Deshalb neigt Redner der Annahme einer isolierten Levator¬ 
lähmung zu. 

Herr Schlesinger und Herr Redlich denken an muskuläre Prozesse. 
Letzterer fragt, warum der intakte Levator die Ptosis nicht beheben könne? 

Herr Wintersteiner und Herr Sachs denken gleichfalls an myogene Pro¬ 
zesse, letzterer insbesondere an Hysterie. 

In seiner Erwiderung hält Herr Fuchs an der Annahme einer Sympathicus¬ 
affektion fest, da alle vorgebrachten Ansichten im wesentlichen nicht dagegen 
sprechen, der Kokainversuch und der Mangel irgend weloher als traumatisch 
myogene oder hysterisch anzusprechender Erscheinungen spreche aber dafür. 

Herr Egon Fries stellt zwei Fälle von Epilepsie mit Tetanie vor. Ein 
47jähriger Mann, der in der Kindheit ein Schädeltrauma erlitten hat, bekommt 
seit seinem 20. Lebensjahr typisch epileptische Anfälle. Diese, anfangs mit 
längerem Intervall, häuften sich in den letzten Jahren und brachten ihn 1906 
wegen eines postepileptischen Verwirrtheitszustandes in die psychiatrische Klinik; 
bald darauf Klagen über Parästhesien, Schmerzen, zeitweise auftretende Krämpfe 
in den Händen. In der Klinik wurden nun deutliche Epilepsieanfälle und typische 
Tetaniekrämpfe beobachtet. In der anfallsfreien Zeit dauernde Pfötchenstellnng; 
Andeutung von Ghvostek. Trousseau an den Ober- und Unterextremitäten. — 
Im zweiten Falle handelt es sich um eine 36jähr. Frau, die vor 3 Jahren in der 
Laktation den ersten epileptischen Anfall erlitt. Zweiter Anfall nach l 1 /, Jahren, 
dritter */* Jahr danach. Seit Herbst alle 6 bis 8 Wochen, seit Ende Dezember 
gehäufte Anfälle. Seit Beginn der Anfälle schwachsinnig, in der letzten Zeit 
verwirrt. Gleich beim ersten Anfall laryngospastische Krämpfe mit leichten 
Krämpfen in den Händen. In der allerletzten Zeit Abnahme des Sehvermögens. 
Katarakt der hinteren Linsenrinde. Dauernde Neigung zur Pfötchenstellung. 
Schilddrüse nicht tastbar. 

Herr v. Frankl-Hochwart sieht in den epileptischen Anfällen ein Tetanie- 
Symptom — eine Idee, die er bereits 1891 ausgesprochen hat. Unter 10 seiner 
Fälle mit der erwähnten Kombination hatten vier die Epilepsie schon früher, drei 
gleichzeitig, drei später als die Tetanie. 

Herr R. Nepallek stellt einen 58 Jahre alten Tagelöhner mit oentmler 
Typoae mit kurzen Anfällen (Kirn) vor. Belanglose Anamnese; im 20. Lebens¬ 
jahr Sturz bei einer Bergpartie mit nachheriger Bewußtlosigkeit. Psychisch nur 
auffällig durch allmonatlich 2 tägige Reizbarkeit und Streitsucht. November 1905 
angeblich aus Kränkung traurige, weinerliche Stimmung, Bewegungsdrang, Er¬ 
regung; anfangs über die Umgebung orientiert, gelingt es später nicht sich mit 
dem Patienten in Rapport zu setzen. Halluzinationen, Delirien. Am 27. November 
durchläft Pat. die Nacht, wird darauf ruhiger und ist am 7. Dezember bereits 
klar, erinnert sioh der ganzen Vorgänge während der Psychose. Am 14. Dezember 
1906 beginnt wiederum eine anfänglich melancholische Phase, nachdem Pat. in 

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der Zwischenzeit völlig gesund war. Darauf ähnlicher Zustand wie 1905, in 
photographischer Treue, nur daß die Phasen des zweiten Anfalles länger dauerten. 
Vortr. faßt die früheren monatlichen Aufregungszustände als Anfälle in kleinsten 
Dimensionen auf, welche im Jahre 1905 ihren Typus änderten, indem Bie an 
Intensität und Dauer Zunahmen unter gleichzeitiger Verlängerung des freien Inter* 
valles auf 1 Jahr, ähnlich wie Kirn es für seine centrale Typose auch annimmt. 

Herr Pötzl bemerkt, daß der vorliegende Fall geeignet sei, die Frage nach 
dem Wesen der Periodizität und der periodischen Psychosen neuerdings aufzu* 
werfen; die Hitzigsche Definition bedürfe einer Ergänzung. Vieles von dem, 
was photographische Treue genannt werde, darf nicht aus Pathologie und Klinik 
allein, sondern aus rein psychologischen Problemen erklärt werden. 

Herr Pilcz macht auf die Übergänge von periodischen und rezidivierenden 
Psychosen aufmerksam. Doch gibt es im Rahmen des manisch-depressiven Irre¬ 
seins viele Fälle, die den periodischen Psychosen der Alten entsprechen. Die 
günstige Prognose quoad intellectum trifft — wie auch Kraepelin bemerkt — 
nicht bei allen Fällen zu, insbesondere, wie Bedner seinerzeit aufmerksam machte, 
nicht bei den Periodikern mit Hirnnarben. 

Herr Bedlich unterscheidet Fälle periodischen Irreseins, die sich dem alten 
Typus anschließen und solche im Sinne Kraepelins — manisch-depressive. Doch 
müsse diese wichtige Frage einmal ihrer Wichtigkeit entsprechend separat erledigt 
werden. 

Herr Stransky meint, daß eine große Anzahl von Fällen periodischen Irre¬ 
seins in die Gruppe des manisch-depressiven gehören, wenn man ihren Verlauf 
beobachten kann. Doch gehören z. B. die periodisch bzw. rezidivierend auflreten- 
den Amentiafälle nicht hierher. Schwer sei auch die Abgrenzung gegen Epilepsie, 
womit der vorgestellte Fall Beziehungen haben könnte. Bedner erinnert an 
Aschaffen bürg, der die periodischen Verstimmungen der Epileptiker besonders 
studierte, und meint, daß der Begriff der periodischen Psychosen einer Bevision 
bedarf, daß aber auch das manisch-depressive Irresein Kraepelins nicht als ab¬ 
geschlossene klinische Einheit aufzufassen ist. 

Herr E. Raimann hält für den vorliegenden Fall die centrale Typose als 
erwiesen; es finden sich alle Kriterien der sogen, periodischen Psychosen, ander¬ 
seits ist der Fall entschieden der Epilepsie zuzurechnen, wenn auch spezifisoh 
epileptische Antezedenzien fehlen. Doch zeigt sich Analgesie während der Ent¬ 
wicklung der Psychose, der Vorstellungsinhalt monoton, eingeengt, Gotl- und 
Majestätsnomenklatur, Perseveration und unverkennbare Aphasie. Fälle wie der 
vorgestellte seien nicht gar bo häufig, und so kann man sie bald als periodische 
Psychosen, bald als Epilepsie bezeichnet finden. 

Herr Pilcz und Herr Pötzl schließen sich der Ansicht Raimanns an. 
Letzterer meint, daß die Fälle centraler Typose die Mitte halten zwischen epi¬ 
leptischen und periodischen Geistesstörungen, weshalb ihre beste Benennung das 
Wort Typose sei, während die Einreihung Geschmackssache bleibe. 

Herr Hirschl kennt eine Anzahl von Fällen jener periodischen Psychosen 
mit photographischer Treue und gleichlanger Dauer der ZuBtandsbilder. Sollten 
aber letztere ihren Charakter geändert haben, bo müßte eine Veränderung der 
periodischen Psychosen in den letzten Dezennien angenommen werden, etwa im 
Sinne der Mendelschen Anschauung für die Paralyse. 


Sitzung vom 19. Februar 1907. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 13.) 

Herr Hirschl demonstriert einen Fall von Medianusverletiung mit Sen- 
•ibilltfttMtörongen ohne aolohe der Motilität. 

Herr v. Frankl-Hochwort erwähnt gleichfalls solche Fälle, z. B. einen, 


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bei welchem eine kleine Verletzung mit stumpfem Messer in der Medianusgegend 
typische Medianusanästhesie, Entartungsreaktion im Thenargebiete bei Freibleiben 
der Motilität hervorrief. 

Herr Redlich sucht dieses eigentümliche Verhalten dadurch zu erklären, 
daß die Nerven für die einzelnen Gebiete nicht wirr durcheinander liegen, sondern 
im Nervenstamm weit hinauf centralwärts in bestimmten Gruppen angeordnet sind. 

Herr Fuchs demonstriert ein Kind mit eigentümlicher funktioneller 
Sprachstörung und eine schwere Unfalleneuroee mit Gr&fesohem Symptom 
ohne sonstige Basedow-Erscheinungen. Das Symptom soll vor der Neurose noch 
nicht bestanden haben. 

Herr Schlesinger bemerkt, daß er ähnliches bei Bleikranken fand, ohne 
den Zusammenhang beider Affektionen erweisen zu können. 

Herr Baranyi fand bei dem vorgestellten Kranken Erscheinungen, die einen 
vestibulären Schwindel wahrscheinlich machen und sich hauptsächlich bei Traumen 
finden. 

Herr v. Frankl-Hochwart meint, daß das Gräfesche Symptom auch ein¬ 
mal bei anderen Krankheiten Vorkommen könnte als bei Basedow. So sah er es 
in einem Falle mit leichten Darmsymptomen. 

Herr Schlesinger hat dies häufiger gesehen. 

Herr Wintersteiner zweifelt an der Echtheit dieses Gräfeschen Symptomes; 
was der Kranke biete, sei erlerntes Grimmassieren. 

Herr Linsmayer und Herr Fodor sprechen gleichfalls in diesem Sinne. 

Herr Baranyi stellt einen Epileptiker vor, bei dem nach Sturz in einem 
Anfall offenbar durch eine Blutung eine Läsion des Vestibularapparates ein¬ 
getreten war. Der Beweis eines frischen Prozesses konnte aus der Untersuchung 
des Drehnystagmus erbracht werden; 16 Tage nach dem Unfall fand sich beim 
Anhalten nach 10 Rechtsdrehungen nur sehr geringer Nystagmus, nach 10 Links¬ 
drehungen war dieser normal. Eine Woche später war der Nystagmus beider¬ 
seits sehr gering, ein Verhalten wie es nur bei frischen Labyrintbprozessen 
(Eiterungen) statthat. 

Herr Arthur Schüller: Über Halisterese der Sohädelknoohen bei 
intrakranieller Druoksteigerung. Die bekannten Usuren des Schädels bei 
Drucksteigerung (Rauhigkeiten, Defektbildungen, Vertiefung der Impressiones 
digitatae) konnten bisher klinisch nicht verwertet werden. Vortr. sucht dies mit 
Hilfe der röntgenographischen Untersuchung zu tun. Man kann dadurch eine Ver¬ 
dünnung und Verkürzung der Sattellehne und der Proc. clinoidei schon nacb- 
weisen, wo die Sektion keine Form Veränderung zeigt und nur die Möglichkeit 
mit einem Skalpell einzuschneiden eine Abnahme des Kalkgehaltes dokumentiert. 
Außerdem demonstriert Vortr. eine Varietät am Sohädeldach, die Ausbildung eines 
Sinus sphenoparietalis (Merkel). 

Herr v. Wagner meint, ob es sich bei der letzterwähnten Venenfurche nioht 
um einen Atavismus handelt, da bei Hunden der Abfluß des gesammten venösen 
Blutes aus dem Schädelinneren durch einen Ast der Jugularis externa erfolgt, 
welcher durch ein bestimmtes Foramen geht 

Herr Wiesel hat öfters gefunden, daß sich die Sella turcica einschneiden 
läßt; es kommt dieB sicher auch ohne endokranielle Drucksteigerung vor. 

Herr Stern demonstriert Präparate zum Verlaufe und der Histologie des 
Pioksohen Bündels. (Erscheint demnächst ausführlich.) 

Otto Marburg (Wien). 


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Psychiatrisch-neurologisohe Sektion des Budapester könlgl. Ärztevarelns. 

Sitzung vom 5. Februar 1906. 

Herr J. S&lgö: Über den gegenwärtigen Stand der Therapie des Alko- 
holismus mit Beäug auf die Antialkoholbewegung. Die Alkoholintoxikation 
äußert sich in verschiedenen pathologischen und abnormen Symptomen und 
Symptomenkomplexen; die Wirkung derselben ist nicht nur von der eingenommenen 
Alkoholmenge, sondern auch vom Alkoholgehalt des Getränkes und nicht minder 
vom Individuum selbst abhängig. Im allgemeinen können wir typische und 
atypische Symptome und Zustände der Alkoholintoxikationen unterscheiden. Die 
typische Alkoholintoxikation hängt nur von der eingenommenen Alkoholmenge 
ab und kann akut oder chronisch verlaufen. An erster Stelle ist die letale Alkohol¬ 
vergiftung zu erwähnen, hei welcher infolge der eingenommenen großen Alkohol¬ 
menge allgemeine Lähmungen, volle Bewußtlosigkeit, starkes Sinken der Körper¬ 
temperatur auftreten und innerhalb einiger Stunden oder einem Tage zum Tode 
fuhren. Bei solchen Trinkern, welche längere Zeit hindurch größere Mengen von 
Alkohol genießen, entwickelt sich das Delirium alcoholicum, das allgemein wohl¬ 
bekannte Krankheitsbild der akuten halluzinatorischen Verwirrtheit, welches inner¬ 
halb einiger Tage zu heilen pflegt. Die Krankheitsbilder des chronischen Alko¬ 
holismus entwickeln sich kaum merklich langsam, haben andere Symptome, zeigen 
aber ähnlichen Ablauf wie das ’erstere Krankheitsbild. Sowohl die ohronische 
Alkoholparanoia, wie die Alkoholparalyse, die Korsakoffsche Psychose und die 
auf Grund von Alkoholneuritis sich entwickelnde^ Erkrankungen treten allmählig, 
unter kaum bemerkbaren Symptomen auf, und äußern sich in Veränderung des 
Charakters, erhöhter Reizbarkeit, Herabsinken des Arbeitswillens und der Arbeits¬ 
kraft; ferner in stabilem Tremor, seltener in apoplektiformen Anfällen, neuralgischen 
Schmerzen, welchen sich einerseits an die Paranoia erinnernde Symptome: Geruchs¬ 
und Geschmackshalluzinationen, Vergiftungs- und Eifersuchtswalin; andererseits 
fortschreitende Paresen, intellektuelle Ausfallserscheinungen und hochgradige Ver¬ 
minderung der Erinnerungsfähigkeit anschließen. Die Behandlung der durch 
Alkoholvergiftung entstandenen psychischen Erkrankungen geschieht natürlich in 
Irrenheilanstalten. Aber die Anstalten können diesem Zwecke auch nicht mehr 
vollständig entsprechen. Die Heilung ist nämlich mit dem Schwinden des akuten 
Deliriums und der notorischen Erscheinungen nicht beendigt, weil die Restitution 
die zur neuen Erkrankung führende Trinksucht nicht zum Schwinden bringt. 
Die derzeit bestehende Organisation der Anstalten mit dem ewigen Platzmangel 
kann Bich auf die Bekämpfung der Trunksucht nicht erstrecken. Noch weniger 
entsprechen die auf die Alkoholisten derzeit bezüglichen Verordnungen und Maß* 
regeln denjenigen Fällen, in welchen die Alkoholintoxikation atypische Reaktion 
zustande bringt und von einer eigentlichen Psychose im engeren Sinne des Wortes 
nicht gesprochen werden kann. Namentlich bei für psychisohe Störungen Prä¬ 
disponierten, aber auch bei gesunden jungen Individuen, treten nach einem stärkeren 
Alkoholexzeß oft schwere Bewußtseinsstörungen auf, welche sich in Minuten oder 
auch 1 bis 2 Stunden anhaltenden gewalttätigen Ausbrüchen und gemeingefähr¬ 
lichen Taten äußern, dabei sehr oft früher schwinden, ehe sie noch zur 
Konstatierung gelangen, und endlich bei jedem neueren Alkoholexzeß sich wieder¬ 
holen. Auch für diejenigen Alkoholisten, bei welchen es sich um großen Stimmungs¬ 
wechsel, moralische Schwäche, Depravation des Charakters, ständige Arbeitsunfähig¬ 
keit und nicht um eine eigentliche Geisteskrankheit handelt, sind die Anstalten 
ungeeignet Nioht nur deshalb, weil ihr Zustand den gesetzlichen Anforderungen 
zur Aufnahme nicht entspricht, sondern hauptsächlich aus dem Grunde, weil der¬ 
artige Kranke in Anstalten sich nioht nur nicht bessern oder zur Heilung ge¬ 
langen, vielmehr sowohl psychisch wie auch körperlich rasch verfallen. Aus der 


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richtigen Erkenntnis dieser Verhältnisse und hauptsächlich aus der Erfahrung 
über die individuell und sozial destruktive Wirkung des Alkohols, entwickelte 
sich jene soziale Bewegung, welche sich die Bekämpfung des Alkoholismus zum 
Ziel setzte. Diese Bewegung ging von dem richtigen Gesichtspunkte aus, daß 
ohne Alkoholgenuß auch kein Alkoholismus entsteht. Aber gleich im Anfänge 
entstanden zwei Parteien, nämlich die Partei der Abstinenten und diejenige der 
Mäßigen. Erstere sieht nur die großen Schäden, die der Alkoholgeuuß verursacht 
und weist darauf hin, daß der Alkohol weder ein Nahrungsmittel noch ein Roborans 
(Arzneimittel) ist, und deshalb auch gemieden werden soll; die zweite Partei 
aber glaubt ihr Ziel besser zu erreichen, wenn sie der Menschheit ein gewohntes 
Genußmittel nicht vollständig entzieht, sondern trachtet durch Aufklärung und 
Belehrung die Gefahr des übermäßigen Alkoholgenusses abzuwenden und die Ver¬ 
heerungen desselben zu verhindern. Uns Ärzte interessiert der dogmatische und 
agitatorische Teil dieser Frage nicht. Wir konzedieren oder können konzedieren, 
daß der Alkohol als Nahrungsmittel und Roborans nicht in Betracht kommt, im 
Gegenteil, daß er in erster Linie die Funktion des zentralen Nervensystems 
schädigend beeinflußt und auch zugrunde richtet. Von dieser Überzeugung aus¬ 
gehend, unterstützen wir jedes Streben, welches die durch den Alkohol er¬ 
zeugten Übel sanieren will, oder der toxischen Wirkung des Alkohols vorbeugt 
Wir anerkennen diejenigen Erfolge, welche der Antialkoholismus bis jetzt er¬ 
reichte und unterstützen dieselben auch pflichtgemäß. Aber den, meiner Ansicht 
nach, übertriebenen Äußerungen der Propaganda, wonach die Alkoholmenge ganz 
nebensächlich sei, da der Alkoh'olgenuß auch in den kleinsten Mengen gefährlich 
ist, können wir uns nicht anBchließen, denn zu dieser Annahme bietet die ärzt¬ 
liche Erfahrung keine Basis. Naoh meiner eigenen Überzeugung werden die¬ 
jenigen Apostel des Antialkoholismus, welche von absoluter Abstinenz predigen, 
die Kraft der antialkoholischen Bewegung nur schwächen. Der in der absoluten 
Abstinenz wurzelnde alleinseligmachende Glaube wird Bich als Utopie erweisen; 
ebenso wie bei einer antiluetischen Bewegung das Verlangen nach einem voll¬ 
kommenen Zölibat sich als Utopie erweisen würde, obwohl es zur vollständigen 
Ausmerzung der Syphilis keine sicherere Prophylaxis gäbe, als die absolute sexuelle 
Abstinenz. Deshalb halte ich zur Bekämpfung des Alkoholismus für notwendig 
und auch für durchführbar, daß diejenigen Individuen, welche durch Alkoholgenuß 
erkrankten und sich beständig in abnormen Zuständen befinden, auf Grund der 
konstatierten Trinksucht entmündigt werden, ohne Rücksicht darauf, ob ihre 
Geisteserkrankung anhaltend ist, oder ob sie an einer Geisteserkranknng im engeren 
Sinne des Wortes leiden oder nicht. Gleichfalls soll die Vormundschaft auch 
über diejenigen verhängt werden, bei denen jeder Alkoholgenuß, auch wenn er 
noch so mäßig ist, abnorme Reaktionen zustande bringt. Letztere sollen in zu 
diesen Zweck errichteten Anstalten gehalten werden, und das Verweilen in den¬ 
selben soll nicht von der Konstatierung krankhafter oder abnormer Symptome 
abhängig gemacht werden, sondern von den Erfahrungen, welche nach einer durch 
längere Zeit durchgeführten vollständigen Abstinenz gemacht worden sind. Der 
Anstaltsaufenthalt darf nicht kürzer als ein Jahr sein, und mit der Entlassung 
soll die Aufhebung der Entmündigung nicht verbunden sein, sondern soll erst 
nach Ablauf einer Probezeit von zwei Jahren versucht werden. Die Verabfolgung 
von Alkohol an derartige unter Vormundschaft stehende oder minderjährige Indi¬ 
viduen soll als strafbare Handlung betrachtet werden. Ebenso soll als strafbar 
betrachtet werden, wenn notorischen Säufern oder Berauschten alkoholische Ge¬ 
tränke verabfolgt oder auf Kredit gegeben werden. Eis ist zu verbieten, daß 
Alkohol kontraktgemäß als ein Teil des Arbeitslohnes oder als Accessoriam des¬ 
selben verabreicht werde. 

Herr E. E. Moravcsik freut sich, daß Vortr. die Frage der Therapie des 


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Alkoholismus zur Besprechung brachte. Er hält es aueh für angezeigt, die Alkoho- 
listen zu entmündigen und beruft sich diesbezüglich auf das deutsche bürgerliche 
Gesetzbuch von 1900; hält aber die Beschränkung in demselben für unrichtig, 
daß die Vormundschaft nur über „gemeingefährliche“ Alkoholisten verhängt werde. 
Er bemängelt es, daß in dem Entwurf unseres BGB. dieser Ausdruck übernommen 
wurde, denn die Gemeingefährlichkeit ist ein relativer Begriff, der AlkohoÜBt ist 
nicht nur in dem Falle gemeingefährlich, wenn er aggressiv ist, sondern auch dann, 
wenn er falsche privatrechtliche Verfügungen trifft. Deshalb wünscht er den 
Ausdruck „gemeingefährlich“ zu vermeiden. Weiter hält er es für notwendig, 
daß nicht nur den Minderjährigen, sondern auch denjenigen Großjährigen, über 
welche die Vormundschaft verhängt ist, alkoholische Getränke nicht verabfolgt 
werden sollen, was auch besonders hervorzuheben wäre. Er hält dies auch des¬ 
halb für notwendig, weil manche Eltern ihren Kindern Alkohol geben, um sie zu 
„stärken“. Gegen diese falsche Ansicht des Volkes müßte man belehrend ein¬ 
wirken. 

Herr Ph. Stein wundert sich, daß Vortr. die Abstinenzbewegung für eine 
übertriebene, nicht zum Ziele führende und Erfoge nicht aufweisende Schwärmerei 
hält. Er wundert sich hierüber nm so mehr, als er im Anfänge der anti¬ 
alkoholischen Bewegung ganz richtig die absolute Abstinenz als einzige zum Ziele 
führende Methode betonte. Die Abstinenten behaupten nur, daß vom physio¬ 
logischen Standpunkte auch der mäßige Alkoholgenuß auf den Organismus nicht 
vorteilhaft Bei und daß beim Alkoholgenuß von Mäßigkeit nicht gesprochen werden 
kann, denn was dem einen noch mäßig, kann dem andern schon übermäßig sein; 
die Mäßigkeit läßt sich aber zahlenmäßig nicht bestimmen. Das richtige Mittel 
zur Bekämpfung des Alkoholismus ist nur die volle Abstinenz, wie das die Resul¬ 
tate in Canada, in den Vereinigten Staaten und in Skandinavien glänzend bewiesen 
haben. Er bittet die Sektion, die Bestrebungen zur absoluten Abstinenz zu unter¬ 
stützen, weil wir derzeit kein besseres Mittel zur Bekämpfung des Alkoholismus 
besitzen. 

Herr J. Donath schließt sich den psychiatrischen Ausführungen des Vortr. 
an, doch hält er es für unrichtig, daß er die Abstinenzbewegung als übertriebene 
Sache hinstellt. Er weist auf die Untersuchungen Kraepelins u. a. hin, welche 
auch die Schädlichkeit des mäßigen Alkoholgenusses in Ziffern ausgedrückt haben. 
Solcher Art gibt es ohne Schaden für den Organismus keine Möglichkeit, und 
wiederholt auch er, daß das einzige Mittel zur Bekämpfung deB Alkoholismus die 
Abstinenz sei, und müssen die Ärzte hierin mit gutem Beispiel vorangehen. 

Herr K. P&ndy meint, das Volk soll belehrt werden, daß es sich auch ohne 
Alkohol unterhalten könne. Zu diesem Zwecke eignen sich Vorträge mit projizierten 
Bildern, Tanzunterhaltungen ohne alkoholhaltige Getränke, Teeabende ohne Rum, 
wie er das in Frankreich bei der familiären Pflege der Geisteskranken sah. Der 
Arzt, und hauptsächlich der Nerven- und Irrenarzt, muß immer gegen den Alkohol 
kämpfen und darf seinen Patienten niemals Alkohol verabreichen. Zur Bekämpfung 
des Alkoholismus ist die Propangada der absoluten Abstinenz am Platze, obwohl 
auch auf diese Weise die universelle Abstinenz illusorisch bleiben wird. 

Herr P. Ranschburg anerkennt die Bedeutung der Abstinenzbewegung, hält 
aber die Geringschätzung der Temperenzler von seiten der Abstinenten für un¬ 
gerecht. Denn die intelligente Klasse schließt sich lieber der Temperenzler¬ 
bewegung an und sieht auch die Notwendigkeit des nur mäßigen Alkoholgenusses 
leichter ein. Er hält die Ansicht für falsch, daß die Grenzen der Mäßigkeit 
nicht bezeichnet werden können, nachdem von einem Alkoholismus nur in dem 
Falle gesprochen werden kann, wenn der Alkohol so rasch nacheinander genommen 
wird, daß die Wirkung des erstgenossenen mit der des nächstfolgenden zusammen- 
fällt und auf diese Weise der Organismus fortwährend unter Alkoholeinfluß steht. 


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Wer täglich 1 bis 2 Deziliter 7°/ 0 igen Wein oder 1 bis 2 Glas 4°/ 0 iges Bier 
trinkt, darf noch nicht als Alkoholist bezeichnet werden. Diese Mäßigkeit wird 
jedermann als richtig annehmen, während, wenn behauptet wird, daß ein Deziliter 
Wein gerade so ein Gift ist wie ein Liter, so wird auch der intelligente Mensch 
eher mehr als weniger trinken. Der Grund, daß die Temperenzbewegung noch 
keine nennenswerte Erfolge erreicht hat, liegt in der Unkenntnis der Hygiene beim 
Publikum, aber diesbezüglich werden sich die Verhältnisse auch bessern. 

Herr A. v. Sarbö konstatiert, daß die Verschiedenheit der Ansichten zwischen 
Vortr. und Abstinenten nur scheinbar ist. Vortr. hat nämlich vom wissenschaft¬ 
lichen Standpunkte aus erklärt, daß die Abstinenzbewegung solange wie das 
Alkoholmonopolium besteht und etwas Offizielles in dieser Hinsicht nicht geschieht, 
nicht zu einer allgemeinen Abstinenz fflhren wird. Die Richtigkeit der Abstinenz¬ 
bewegung und die taktische Notwendigkeit derselben hat er nicht in Zweifel ge¬ 
zogen. Alkoholisten darf in Anstalten selbstverständlich kein Alkohol verabreicht 
werden. 

Herr J. Sa lg6 (Schlußwort) meint, es sei nicht richtig, daß die Mäßigkeit keine 
Grenzen habe, denn die Mäßigkeit ist die Regel, der Abusus ist die Ausnahme. 
Gegen die Regeln kann niemand kämpfen. Alle die Übel, welche dem Alkohol- 
genuß zur Last gelegt werden, sind nur Folgen der Trunksucht, der Übermäßig¬ 
keit. Eine derartige deletäre Wirkung des mäßigen Alkoholgenusses kennt die 
medizinische Wissenschaft nicht. Die Lues ist so gefährlich wie der Alkohol und 
dennoch würde niemand ernstlich die sexuelle Abstinenz als einziges Prophylacticum 
anraten: und doch würde jedermann heute einen großen Alkoholrausch lieber er¬ 
tragen als morgen eine kleine luetische Infektion. Auch die geistige Arbeit ist 
mit großen Gefahren verbunden, dennoch würde niemand die vollständige Ent* 
haltung von geistiger Arbeit der Menschheit empfehlen. Als Ärzte unterstützen 
wir pflichtgemäß jedes Bestreben, welches zur Sanierung der menschlichen Leiden 
führt oder die Verhinderung des Leidens bezweckt; aber durch unbefangene 
Forschungen nicht begründeten Losungsworten können wir nicht zu Dienste stehen, 
noch weniger können wir diese als Dogmen annehmen. Und wenn wir gegen 
die durch übermäßigen Alkoholgenuß enstandene Intoleranz kämpfen, wollen wir 
nioht in die durch Abstinenz entstandene Intoleranz verfallen. 

Sitzung vom 5. März 1906. 

Herr K. Pändy demonstriert ein Gehirn mit lobärer Sklerose. Das 
Gehirn stammt von einem 15jährigen Idioten, welcher seit seiner Geburt an links¬ 
seitiger Lähmung mit rigiden Kontrakturen und Pes varoequinus litt. Er hatte 
epileptiforme Anfälle und starb während eines Bolohen Krampfanfalles. Die 
Sektion erwies, daß die Hirnschale rechts sehr verdünnt, die Schädelbasis auf der¬ 
selben Seite verdickt ist, die Gruben derselben enger sind und der Sulcus longi- 
tudinalis sich stark nach links dreht. Die Dura ist rechts 2 mal so dick wie links, 
die Pia stellenweise faserig angewachsen und über dem oberen frontalen Gyrus eben¬ 
falls stark verdickt, aber durchsichtig und glatt. Das Gewicht des Gehirns beträgt 
1000 g. Die Partie vom Sulcus praecentralis bis zum Sulcus occipitalia transversus 
der rechten Hemisphäre ist stark geschwunden. Die Länge dieser Hemisphäre beträgt 
nur 13 cm, während die linke 18 cm lang ist. Der Schwund der Gehirnsubstanz 
ist in der Gegend der Fissura calcarina am ausgeprägtesten. Der mittlere Gyrus 
temporalis, supraraarginalis und angularis erscheinen als Querfalten bis zur Fossa 
Sylvii und bestehen auB Knötchen von der Größe eines Hirsekornes. Die ganze 
Umgebung der Fossa Sylvii ist stark geschwunden, ihre Struktur ist dennoch gut 
erkennbar. Der Schwund der Hirnsubstanz betrifft auch den hinteren Teil des 
mittleren und unteren Stirnlappens. Der obere Gyrus frontalis und temporalis, 
sowie der Lobus occipitalis zeigen etwas Hypoplasie. Über enteren beiden ist 

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die schon erwähnte Leptomeningitis, welche mit dem Schwund der Gehirnsubstanz 
nicht in Zusammenhang steht. Der rechte Ventrikel hat die Größe einer Kinder* 
faust, der linke ist bloß etwas erweitert. Das Corpus callosum bildet eine dünne 
Platte. Das Ganglion habenulae ist auffallend gut entwickelt. Traotus opticus, 
corpora quadrigemina, processus cerebelli ad cerebrum usw. sind rechtsseitig auf 
die Hälfte geschwunden. Die rechtsseitige Pyramide fehlt, die ganze rechte Hälfte 
des Bückenmarkes ist schwächer entwickelt. Die Umgebung des linken Ventrikels, 
ebenso die Vierhügelkörper zeigen links frische Erweichung. Die linke Hemisphäre 
ist verhältnismäßig zu stark entwickelt. Vortr. glaubt, daß diese Veränderungen 
durch die intrauterine Erkrankung der rechtsseitigen Arteria carotis interna zu* 
stände kamen und daß durch die ungenügende Blutzufuhr diejenigen Gehirnteile, 
welche von der Arteria Sylvii versehen werden, allmählich zur Schrumpfung ge¬ 
langten. Tatsächlich zeigen diejenigen Gehirnteile den Schwund, welche dem 
Gebiete der mittleren Hirnarterie angehören, während die Gehirnbasis, die obere 
und mittlere frontale Windung, von der Arteria communicans sinistra genügend 
ernährt wurden, sowie diejenigen hinteren Teile des Gehirns, welche das Blut von 
der Arteria profunda cerebri erhielten, verhältnismäßig gut entwickelt sind. Zur 
Rechtfertigung dieser Annahme weist Vortr. auf die bei jungen Katzen durch¬ 
geführten Experimente von Wagner von Jauregg hin. Auf Grund dieser An¬ 
nahme ist die primäre Veränderung in der Carotis gewesen, während die Ver¬ 
änderungen des Gehirns konsekutive Erscheinungen sind. Die Erkrankung glaubt 
er auf kongenitale Lues zurückführen zu dürfen, da auch andere Organe an Lues 
erinnernde Veränderungen aufwiesen. 

Herr K. Schaffer findet die linke Hemisphäre zu stark entwickelt und 
glaubt, daß die Vergrößerung infolge einer Dejerineschen kompensatorischen 
Hypertrophie zustande kam. Der Thalamus opticus dürfte infolge der erkrankten 
Arteria fossae Sylvii kleiner geraten sein. Im ganzen Gehirn sieht er eher die 
Guddensche Atrophie als Hypoplasie vorliegen und glaubt, daß die sekundäre 
Schrumpfung der sekundären Teile der Schrumpfung des primären Centrums folgte. 

Herr J. Saig6 nimmt eine primäre Ernährungsstörung an, welche infolge 
einer intrauterinen Encephalitis zustande kam. 

Herr K. Schaffer demonstriert das Gehirnpräparat von einer infantilen 
apastisohen Hemiplegie. Das betreffende Individuum erlitt eine infantile Hemi¬ 
plegie und starb nach Jahren an Bronchopneumonie. Es war geistig Btark 
zurückgeblieben, der Wortschatz erstreckte sich nur auf die primitivsten Begriffe, 
so daß es sich über Bein Leiden nicht ausdrücken konnte. Beim Sprechen war 
die letzte Silbe des Wortes stark gedehnt. Die rechte obere Extremität war 
gelähmt, die untere paretisch. Die pathologische Veränderung der linken Hemi¬ 
sphäre besteht in ausgeprägter Erweichung, welche, von der Seite gesehen, sich 
auf die 3. Stirnwindung und teilweise auch auf die zweite ausbreitet. Die Zer¬ 
störung der Hirnsubstanz erstreckt sich auf die unteren */ 4 der vorderen und 
hinteren Centralwindung, auf das motorische Centrum des Gesichts, der Zunge 
und der oberen Extremität, während das sogen. Fußcentrum die Erweichung nur 
kaum merkbar zeigt. Von hier aus geht die Malacie im Sulcus interparietalis 
weiter und endet vor dem Occipitallappen. Auf diese Weise ist der ganze 
Temporallappen zerstört. An Stelle der erweichten Teile befinden sich zwei große 
fluktuierende Cysten, zwischen welchen eine tiefe Furche sichtbar ist, wahrschein¬ 
lich die Fossa Sylvii. Die Wände der Cysten weisen Gefäße auf, bestehen daher 
aus der Pia mater und gehen auch glatt in die Pia der noch gesunden Win¬ 
dungen über. Bei Eröffnung der vorderen Cyste gewinnen wir den Einblick in 
eine Höhle, welche von bindegewebigen Balken durchzogen ist, in der Tiefe der 
Höhlung über den großen Centren ist auch ein fluktuierendes, wahrscheinlich in 
Malacie befindliches Gewebe fühlbar. Die Basis dieser Hemisphäre ist mit Aus- 


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nähme des occipitalen Teiles in Erweichung begriffen, nur der stark geschrumpfte 
Gyrus hippocampi ist noch erkennbar. Die in den Prozeß nicht eingezogeneo 
Teile an der Konvexität der linken Hemisphäre sind: die erste und teilweise die zweite 
Stirnwindung, der obere temporale und der Occipitallappen. An der Basis sind erste 
und zweite Stirnwindung und GyruB hippocampi erhalten. Aus der Schilderung 
ist ersichtlich, daß die Malacie sich auf sämtliche Äste der Art. med. cerebri a 
fossae Sylvii, welche nach der Konvexität laufen, erstreckt. Da anzunehmen ist, 
daß die Erkrankung der Arterie im frühzeitigen Kindesalter zustande kam, ist es 
erklärlich, warum die linke Hemisphäre in ihrem Wachstum so stark zurück« 
geblieben ist: sie ist nur 11 cm lang, während die rechte Hemisphäre eine lÄnge 
von 14 cm aufweist; die Breite der linken Hemisphäre ist 4 cm, die der rechten 
7 cm. In Zusammenhang mit der Malacie der linken Hemisphäre besteht auch 
Schrumpfung des linken Corpus mamillare, des Sehhügels, der Brücke, der Obion- 
gatenpyramide und bemerkenswert ist, daß die gegenüber der Erweichung ge¬ 
kreuzte (rechte) Hemisphäre des Kleinhirns kleiner und flacher ist wie die linke. 
Das Präparat stellt das Paradygma eines experimentum naturae Guddensoher 
Atrophie dar. 

Herr L. Török: Uber die Analyse des Juckens. Vortr. illustriert mit 
Beispielen, was er unter Jucken und Kitzeln versteht Bisher ist zwischen diesen 
beiden Empfindungen kein Unterschied gemaoht worden, vielmehr sind dieselben 
von vielen Autoren identifiziert worden. Das Kitzeln kommt schon bei feiner 
Berührung derjenigen Körperteile zustande, welche ein empfindlicheres Tastgefühl 
besitzen (Gesicht, Hohlhand, Sohle usw.) und wird gesteigert durch sanfte* 
Streicheln. Das Kitzeln ist nach Goldscheider die eigentliche spezifische 
Empfindung der Tastnerven, welche bei einem stärkeren mechanischen Reiz das 
Tastgefübl erzeugen. Vom Kitzeln unterscheidet sich aber das Jucken, welches 
nach dem Stioh mancher Insekten und auch infolge einiger Hautkrankheiten auf- 
tritt. Manchmal können beide Empfindungen gleichzeitig und auf derselben Stelle 
auftreten, z. B. wenn man über einer juckenden Stelle ein Stäbchen Banft bin 
und her bewegt, kann man auch das Kitzelgefühl erwecken. Betrachten wir nun 
näher diejenigen Verhältnisse, unter welchen das Jucken auftritt, müssen wir zur 
Schlußfolgerung kommen, daß das Juckgefühl mit der Sohmerzempfindung in 
irgend einem Verhältnisse steht. Diejenigen Hautkrankheiten, welohe bei größerer 
Intensität Schmerz verursachen, geben ins Jucken über, sobald der Grad der Ent¬ 
zündung nachläßt. Dieses beweisen auch die artifiziellen Hautentzündungen. Bei 
Follikulitiden sind die stark eiternden schmerzhaft, während die minder ent¬ 
zündeten jucken. Schmerzhafte Hämorrhoidalknoten verursachen mit Nachlaß der 
Entzündung Jucken. Schmerzhafte Nasenhöhlenrhagaden jucken während des 
Heilens. Auch das Volk meint: die Wunde heilt, denn sie juckt. Aus all diesem 
ist ersichtlich, daß die Empfindung des Juckens mit der des Schmerzes in irgend¬ 
welchem Zusammenhänge steht, und zwar derart, daß diejenigen Nerven, welche 
bei intensiverer Schädigung der oberflächlichen Hautschichten die Empfindung des 
Schmerzes vermitteln, bei schwächeren Insulten derselben Hautschichten auoh dss 
Jucken vermitteln, weshalb das eine Element des Juckgefühls durch den Reiz der¬ 
jenigen in den oberflächlichen Hautschichten gelegenen sensiblen Nerven gebildet 
wird, deren stärkere Schädigung die Schmerzempfindung verursacht. Zum voll¬ 
ständigen Beweis dieser Schlußbildung sind aber noch weitere Untersuchungen 
nötig, denn auch die Annahme wäre möglich, daß bei der Empfindung des Schmerzes 
und des Juckens verschiedene Nerven beteiligt sind, oder daß bei den genannten 
Beispielen das heftige Schmerzgefühl dasjenige des Juckens nur unterdrückt. 
Vortr. machte nun mittels der Fruchthaare der Cucuma pruriens Versuche bei 
solchen Individuen, bei welchen eine Dislokation der Empfindung bestand. So 
wurden Personen untersucht, von denen zwei an Lepra und eine an Syringomyelie 

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litten, dann worden Versuche an Hautpartien angestellt, welche durch Schleich- 
sches Verfahren anästhetisoh gemacht worden waren. In allen diesen Fällen war 
die Schmerzempfindung vollständig aufgehoben, die Temperatur- und die Tast¬ 
empfindung aber erhalten. Das Juckpulver verursachte hier auch kein Jucken, 
also ist das Juckgefühl mit dem Schwund der Schmerzempfindung auch erloschen. 
Infolge dieser Erfahrung hat die schon erwähnte Annahme, daß dieselben Nerven 
das Jucken wie auch den Schmerz bewirken, eine siohere experimentelle Basis 
erbalten. Damit jedoch diese Annahme experimentell eine vollkommene Ver¬ 
gewisserung erhalte, hält Vortr. es noch für notwendig, die Untersuchungen mit 
Juckpulver bei solchen Personen anzustellen, bei welchen die Dislokation der 
Empfindung derart besteht, daß die Schmerzempfindung erhalten, aber die Tast* 
und Temperaturempfindung aufgehoben ist. Zur Untersuchung solcher Fälle hatte 
Vortr. keine Gelegenheit. Vortr. befaßt sich schließlich mit der Frage: an 
welchen Nervenendigungen das Juckgefiihl zustande kommt und kommt zur Kon¬ 
klusion, daß die freien Endigungen der interepithelialen Nerven in der Epidermis 
das Jucken vermitteln. — An der Diskussion beteiligten sich die Herren L6vy, 
Salgö, Oläh, Pandy und Ranschburg. 


Sitzung vom 2. April 1906. 

, Herr K. Schaffer: Über die klinisohe Klassifizierung und Pathohisto- 

logie der familiären amaurotischen Idiotie. Vortr. erwähnt zuerst die Be¬ 
strebung H. Vogts, auf Grund klinischer Untersuchungen aus der großen Gruppe 
der Idiotien eine besondere Gruppe auszuscheiden, welohe durch Amaurose, 
Lähmung, Marasmus, progredierenden Charakter und Familiarität gekennzeichnet 
ist. In dieser Gruppe unterscheidet Vogt zwei Formen, eine infantile und eine 
juvenile; bei der letzteren fehlt der für die erstere charakteristische kirschrote 
Fleck der Macula lutea, und beschränkt sich der Augenspiegelbefund auf eine 
Atrophie der Papille. Zu dieser Einteilung bemerkt Vortr., daß dieselbe bloß 
durch pathohistologische Untersuchungen bestätigt oder entkräftet werden kann. 
Da die histologischen Untersuchungen Vogts noch im Zuge sind, hat Vortr. Beine 
auf die Sachssche Idiotie bezüglichen histologischen Untersuchungen mit jenen 
verglichen, welche jüngst Spielmayer über die juvenile familiäre amaurotische 
Idiotie veröffentlicht hat. Als Resultat dieses Vergleiches betont Vortr., daß die 
Befunde bei der juvenilen Form identisch sind mit jenen bei der Sach eschen, 
bloß mit dem Unterschiede, daß die Veränderung der Nervenzellen bei der 
Sachsschen Form intensiver ist. Als fundamentale Veränderung ergibt sich bei 
beiden Formen eine Schwellung der Kortikalnervenzellen im ganzen Zentralnerven¬ 
system, welche sich bei der Sachsschen Form auch auf die Dendriten bezieht, 
und verursacht hier die vom Vortr. zuerst beschriebene cystiscbe Entartung. 
Durch diese Schwellung wird das innere Netz der Nervenzellen besser sichtbar 
und die Knotenpunkte desselben erscheinen größer. In einem späteren Stadium 
zerfällt das innere Netz, es kommt zur Bildung von Schollen und Körnern, welche 
den ganzen Zellkörper staubartig anfüllen. Schließlich verschwinden auch diese, 
und es bleibt nur das äußere (Golgische) Netz sichtbar. Diese Veränderungen 
der Sachsschen Form kommen bei der juvenilen nur in ihren primitiven Stadien 
vor. Dieser pathohistologische Vergleich ergibt nun, daß die infantile und juvenile 
Form der familiären amaurotischen Idiotien wesentlich die gleiche pathohisto¬ 
logische Grundlage besitzen, weshalb der von Vogt abgegliederte Typus als histo¬ 
logisch motivierte selbständige klinische Gruppe angesehen werden muß; die zwei 
Formen dieser großen Gruppe, die infantile und juvenile Form, unterscheiden sich 
eben nur graduell, nicht aber essentiell. (Klinisch unterscheiden sich die zwei 
Formen durch den erwähnten Augenspiegelbefand, und Vortr. betont jenen Um¬ 
stand, daß der kirschrote Fleck der Papille für die Sachssche Form ganz spezifisch 


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charakteristisch ist; dieses Zeichen besitzt nosographische Wichtigkeit, erscheint 
aber nach den erwähnten histologischen Untersuchungen nicht mehr so gewichtig, 
daß die Sach8sehe Form der Vogtschen Gruppe nicht zugeteilt werden könnte. 
Die makuläre Veränderung muß jedenfalls vorhanden sein, um eine Idiotie als 
Sachs8che bezeichnen zu können.) 

Im Anschlüsse an seinen Vortrag demonstriert Vortr. Horizontalschnitte durch 
die ganze Hemisphäre, welche aus einem Falle amaurotischer Idiotie stammen. 
Der Fall bezieht sich auf eine 24jährige Idiotin mit Kontrakturen, Amaurose und 
epileptischen Anfällen. Wegen mangelnder Anamnese konnte Familiarität nicht 
nachgewiesen werden, ist aber wegen des histologischen Befundes nicht wahr¬ 
scheinlich. Sowohl an frontalen, als an horizontalen Schnitten (Weigert- 
Woltersche Färbung) fällt auf, daß die zentrale Gratioletsche Sehstrahlung 
gänzlich fehlt und daß die hemisphärale Marksubstanz mangelhaft entwickelt ist, 
wodurch erweitert scheinende Ventrikel vorhanden sind. Da diese Veränderungen 
symmetrisch sind, kann nur angenommen werden, daß sie einer Hemmung in der 
Entwickelung des Gehirnes entstammen, und müssen deshalb als teratologische 
Bildungen betrachtet werden. Der Mangel der zentralen Sehstrahlung bedingt 
die Amaurose, der Mangel der Marksnbstanz verursacht die Idiotie. Eben die 
teratologische Entstehung schließt aus die Familiarität des Leidens, und illustriert 
die Möglichkeit, daß amaurotische Idiotie auch als Entwickelungshemmung ent- % 
stehen kann, vorausgesetzt, daß sie solche Stellen ergreift, deren mangelnde Ent¬ 
wickelung Amaurose und Idiotie verursachen kann. Somit muß neben der 
familiären amaurotischen Idiotie noch eine teratologisobe amaurotische Idiotie 
angenommen werden; die erstere ist cellularpathologisch charakterisiert, die 
letztere durch eine Bildungshemmung des Gehirnes bedingt. 

Herr Koloman Pandy: Beiträge zur Kenntnis der luetischen Psychosen 
mit Demonstration veränderter Innerer Organe. Vortr. demönstriert patho¬ 
logisch veränderte innere Organe, welche zumeist bei progressiver Paralyse Vor¬ 
kommen, aber auch bei anderen Psychosen beobachtet werden können. Eis ist 
wahrscheinlich, daß diese Veränderungen, als Perihepatitis, Perinephritis, Peri¬ 
splenitis, Wucherung des gesamten Interstitiums und die stets nachweisbare Arterio¬ 
sklerose luetischen Ursprunges sind, was positiv nur auf histologischem und bak¬ 
teriologischem Wege nachweisbar wäre. Vortr. hat bei der progressiven Paralyse 
Spirochäten bereits gesucht, jedoch nur die nach Levaditi in den Bindegewebs- 
septen gut sichtbaren fusiformen, manchmal kokkenartigen Bakterien gefunden; 
ob diese, wie dies auch Weichselbaum bemerkt, nicht etwa Transformations¬ 
formen wären, muß dahingestellt bleiben. Schon nach den klinischen Unter¬ 
suchungen ist es zweifellos, daß die Lues die Irrenanstalten in außerordentlichem 
Maße bevölkert, indem sie nicht bloß Paralyse, sondern typische Melancholie, 
Manie, Amentia, Paranoia, Pseudodelirium tremens, Idiotismus, Epilepsie verursacht. 
Die häufigste Form der luetischen Geisteskrankheiten ist ohne Zweifel die pro¬ 
gressive Paralyse, welche richtiger luetische Demenz genannt werden sollte, da 
ihr Wesen eine nach der Lues auftretende Demenz ist. Vortr. betont, daß ohne 
Lues keine Paralyse existiert, und daß die infantilen Paralysen beweisen, daß 
Lues allein dieselbe Paralyse hervorbringt, wie die mit anderen ätiologischen 
Faktoren vergesellschaftete Lues. Die neuesten Untersuchungen ergeben auch die 
Häufigkeit der Paralyse unter den Prostituierten; die Behauptung, daß unzivili¬ 
sierte Völker, z. B. Araber, weniger an progressiver Paralyse leiden, besitzt keine 
wissenschaftliche Grundlage. Der luetische Ursprung der progressiven Paralyse 
wird auch duroh Inokulationsversuche bestätigt; der luetische Ursprung derselben 
ist 'positiver als jener der Gummen oder der Leukodermie, deren luetischer 
Ursprung auch nur statistisch nachgewiesen ist, nur mit geringeren Prozentsätzen, 
als derjenige der progressiven Paralyse. Nach den neuesten Untersuchungen 


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Mahaims bestätigt die Anatomie in 100°/ 0 den luetischen Ursprung der pro* 
gressiven Paralyse, dies beweisen auch die ophthalmoskopischen Befunde, die 
Untersuchungen von Marie, L6ri, sowie die Befunde der Cerebrospinalfliissigkeit. 
Wegen der stets nachweisbaren Gefäßerkrankung bezeichnet es Vortr. als groben 
Fehler, wenn bei der progressiven Paralyse Ergotin, Stypticin, Adrenalin thera* 
peutisoh angewendet wird. In geeigneten Fällen wäre eine antiluetische Behänd* 
lang zu versuchen, event. die Behandlung mit künstlich hervorgerufenem Fieber, 
wie die Untersuchungen Picks zeigen. Die demonstrierten Organveränderungen 
beweisen, daß bei der progressiven Paralyse nicht bloß das Gehirn, sondern der 
gesamte Organismus erkrankt ist; hierauf muß bei der klinischen Untersuchung 
und bei der Therapie Rücksicht genommen werden. Ein sicheres Verteidigungs- 
mittel gegen die Paralyse ist nur die Vermeidung der Lnes; deßhalb muß gegen 
den Coitus praematrimonialis und gegen den Coitus cum pluribus angekämpft 
werden, und Vortr. empfiehlt allen Eltern und Jünglingen den Spruch Ricords: 
„Wer Gott nicht fürchtet, der fürohte die Syphilis!“ 

Herr K. Minnich wünscht bloß auf die demonstrierten pathologisch*anato* 
mischen Präparate zurückzukommen, von welohen nur ein einziges als tatsächliche 
syphilitische Veränderung bezeichnet werden kann; die übrigen sind entweder 
nicht verändert, oder aber sie sind keineswegs syphilitischer Natur. Was die 
Gefäßveränderungen betrifft, so ist noch nicht geklärt, ob dieselben ausschließlich 
durch Lues hervorgerufen werden, denn die gleiche ätiologische Rolle kommt auch 
dem Alkohol zu (obwohl die gleiohe Arteriosklerose auch bei Abstinenten gefunden 
wird); in manchen Fällen von Arteriosklerose ist auch eine gewisse Heredität 
nachweisbar. Eine luetische Arteriosklerose kann nur dann angenommen werden, 
wenn gleichzeitig auch in anderen Organen sichere luetische Veränderungen nach* 
weisbar sind. M. erblickt in den demonstrierten Präparaten keine pathologischen 
Veränderungen und sieht den Zusammenhang derselben mit der Syphilis oder der 
progressiven Paralyse nicht erwiesen. M. betont nochmals, daß seine Bemerkungen 
nicht gegen den Zusammenhang der Syphilis und progressiven Paralyse gerichtet 
sind, sondern bloß eine pathologisoh-anatomische Kritik der demonstrierten Präpa¬ 
rate sein wollen. 

Herr J. Salgö kennt die demonstrierten Veränderuugen bereits seit langer 
Zeit und fand sie besonders häufig bei der Paralyse; doch kann er dem Vortr. 
nicht beipflichten, daß dieselben luetischer Natur wären, demgemäß können sie 
auch nicht für den Zusammenhang der Paralyse mit der Syphilis verwertet 
werden; eben dieser Zusammenhang ist noch gänzlich unerwiesen. 

Herr K. Pändy betont, daß er nicht syphilitische Veränderungen demon¬ 
strieren wollte, sondern solche, welche bei der progressiven Paralyse häufig vor* 
kommen; die luetische Natur derselben kann bloß durch die mikroskopische Unter¬ 
suchung nacbgewiesen werden. 

Sitzung vom 7. Mai 1906. 

Herr Karl Schaffer demonstriert einen Fall von Kopftetanus. Die 
Patientin hat am 22. April einen Peitschenschlag unterhalb des linken Auges er¬ 
litten. Am 5. Tage eiterte die Wunde, aus welcher Überreste des Peitschenendes 
entfernt wurden. Am 7. Tage verzog sich der Mund nach rechts, gleichzeitig 
entstand eine Lähmung der linken Gesichtshälfte und Trismus. Status am 5. Mai: 
Wunde fast gänzlich vernarbt. Facialislähmung links mit geringer Beweglichkeit 
der Stiriunuskeln; Lagophthalmus paralyticus mit gesteigerter Thränensekretioo. 
Demgegenüber ausgesprochen Kontraktur der rechten Gesichtshälfte, welche beim 
Schlingakte noch ausgeprägter wird. Wegen bestehenden Trismus können die 
Zahnreihen nur auf 1 cm entfernt werden. Zunge frei beweglich. Bei jedem 
Schlingakte entstehen Schling* und Atemkrämpfe, wobei die Kontraktur der rechten 

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Gesichtshälfte ausgeprägter wird und auch auf das Platysma übergreift. Im übrigen 
keine Kontrakturen der Extremitäten oder Körpermuskulatur. Augenbefhnd normal, 
Gesichtsfeld nicht verengt, keine wesentliche Alteration der Geschmacksempfindung. 
Temperatur stets unter 37 °C., Puls 82, Respiration 26. Pat. ist ständig schlaflos. 
Sensorium, Intelligenz ungetrübt. Keine Veränderung der elektrischen Erregbar« 
keit in der gelähmten Gesichtshälfte. Die Symptome und das Entstehen der Ver« 
letzung durch einen Peitschenhieb verweisen in erster Reihe auf die Annahme 
von Tetanus. Auffallend aber ist die Kontraktur der rechten Gesichtshälfte, und 
fragt es sich, ob diese nicht hysterischer Natur ist, obwohl bei der Patientin keine 
hysterischen Stigmen nachweisbar sind. 

Herr J. Don&th schließt sich der Annahme des Tetanus an, worin ihn neben 
den vom Vortr. erwähnten Umständen noch der Trismus und die Schlingkräropfe 
bestärken. Jedenfalls ist in erster Reihe die Therapie gegen den Tetanus zu 
richten. 

Herr P. Ranschburg sieht in der Kranken nicht eine an schwerer Infektion 
leidende Person, umsomehr, da sie bestrebt ist, ihre Krankheitssymptome bei der 
Demonstrierung als schwerer darzuBtellen; ihr ganzes Benehmen spricht für den 
psychogenen Ursprung des Leidens, obwohl die organische Beimischung auf den 
ersten Blick nicht auszuschließen ist 

Herr J. Salgö hält das Krankheitsbild für organisch. 

Herr K. P&ndy spricht sich für die hysterische Natur aus; wäre Tetanus 
vorhanden, so müßte die Kranke fiebern und eine gesteigerte Muskelerregbarkeit 
bestehen. 

Herr A. v. Sarbö würde sich ganz für die hysterische Natur des Falles aus¬ 
sprechen mit Rücksicht auf die Kontraktur der rechten Gesichtshälfte, und nur 
der Peitschenhieb macht den Fall zu einen zweifelhaften. 

Herr K. Schaffer (Schlußwort) schließt sich der Meinung Donaths an, daß 
die Art der Entstehung durch einen Peitschenhieb entschieden für die Möglichkeit 
des Tetanus spreche; eine hysterische Superposition ist aber nicht auszuschließen. 

Herr K. P&ndy demonstriert 3 Fälle von frühseitigen Gehirndefekten. 
Das erste Gehirn stammt von einem 56jährigen Manne mit angeborener rechts¬ 
seitiger Hemiparese; bei der Autopsie wird ein porencephalitiscber Defekt der 
rechten Inselpartie gefunden, welche von einer Atrophie der rechten Hemisphäre 
und Kleinhirnhemisphäre begleitet ist; Aplasie der linken Pyramide. 2. 16jähr. 
Junge, seit seinem 9. Monate krank, hat nie sprechen gekonnt, epileptische An¬ 
fälle, rechte Körperhälfte schwächer entwickelt. Anatomischer Befund: Linke 
Großhirnhemisphäre bedeutend kleiner, am linken Lobus frontalis meningeale 
Veränderungen, linke Pyramide schwächer entwickelt, erweiterter Ventrikel links, 
fast gänzlich mangelnde intrahemisphärale Assoziationsfasern. 3. 19jähriger 
idiotischer Epileptiker; linke Hemisphäre kleiner, ebenda Mikrogyrie, Vertiefung 
am linken Gyrus angularis, konfiuierende porencephalitische Herde, Encephalomalacie. 
fast vollkommen fehlende intrahemisphärale Fasern. 

Diskussion des Herrn Schaffer, Salgö, Minnich. 

Herr Josef Jacobi: Über die Ätiologie der Tetanie mit Rücksicht 
auf die Schilddrüse. In seinem Vortrage, welcher in deutscher Sprache bereits 
erschienen ist, versucht Vortr. nachzuweisen, daß nicht bloß jene Fälle der Tetanie, 
welche nach Schilddrüsenoperationen auftreten, mit der Schilddrüse in Zusammen¬ 
hang stehen, sondern dieser Zusammenhang auch für jene Fälle anzunehmen sei, 
welche in Verbindung mit anderen Nervenleiden, dann bei den Graviden und bei 
den Säugenden auftreten. 

Diskussion von Herrn Donath, Ranschburg, Konrad. 


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Sitzung vom 21. Mai 1906. 

Herr Karl Schaffer berichtet über den weiteren Verlauf des in det* vorigen 
Sitzung vorgestellten Falles von Kopftetanus. Die fortgesetzte Beobachtung hat 
ergeben, daß es sich bei der Patientin um einen typischen Fall des sogen. Tetanus 
bulbaris s. hydrophobicus handelt. Die traumatische Ätiologie, die Verletzung 
mit der zur Tetanusinfektion überaus geeigneten Peitsche, die Gesichtslähmung 
an der Seite der Verletzung, die Kontraktur der anderen Gesichtsseite (halbseitige 
Facies tetanica), der Trismus, die Schling- und Atmungskrämpfe lassen keinen 
Zweifel übrig an der tetanischen Natur des Falles. Inzwischen wurde das an 
der Stelle der Verletzung befindliche Infiltrat operativ entfernt, worauf nach 
2 Tagen die Krämpfe nachließen und auf Chloral Schlaf eintrat. Trismus besteht 
derzeit noch, so daß die Nahrungsaufnahme per os unmöglich ist Aus dem 
exzidierten Stücke wurden 2 Inokulationsversuche gemacht, doch mit negativem 
Resultate. 

Herr Stefan Hai lös demonstriert einen Fall von Pseudodelirium tremens. 
Der Kranke steht derzeit zum dritten Male in Anstaltsbehandlung. Erste Auf¬ 
nahme 1896 mit typischen Zeichen von Delirium tremens, welche in vollständige 
Heilung übergingen. Nach 6 Jahren alkoholische Psychose, Heilung in einem 
Monat. Dritte Aufnahme März 1906. Pat. ist belastet, war vor Jabren Päderast; 
vor 26 Jahren Lues, vor 3 Jahren sekundäre Erscheinungen, welche unter spezi¬ 
fischer Behandlung schwanden; früher übermäßiger Alkoholgenuß. Laut dem 
Aufnahmezeugnis hat Pat. seinen Arm selbst zerbissen, ist verstört, hat Zoopsien 
und hört Stimmen. Der Begleiter des Kranken gab an, daß er sich am Morgen 
den Arm mit einem Messer mehrfach verletzte. Pat. selbst gibt an, daß er 
schlecht schlafe, menschliche Stimmen höre, und daß ein Bär seinen Am zer¬ 
fleischt habe. Pupillen eng, prompte Lichtreaktion mit geringer Zusammenziehung; 
normale Akkommodationsreaktion; Facialis rechts paretisch, Tremor der Hände; 
Stimme, Erscheinung, gedunsenes Gesicht erinnern an Alkoholkranke. Mit Rück¬ 
sicht auf die früheren Erkrankungen und auf den körperlichen und psychischen 
Zustand wurde ein Alkoholdelirium supponiert. Die genauere Untersuchung des 
verletzten Armes ergab aber einen eigenartigen Befund. Am oberen Teile des 
BicepB waren die blutunterlaufenen Abdrücke von drei Krallen sichtbar, deren 
jede durch die Spur eines spitzen Nagelabdruckes abgeschlossen war. In der 
Mitte des Arnes befinden sich tiefe Rißwunden, am Unterarme und an dem Hand¬ 
rücken wieder mehrere Stich- und Schnittwunden. Die Verletzungen sahen so 
aus, als ob sie durch eine tierische Tatze und Krallen hervorgerufen worden 
wären. Überdies betonte Pat. fortwährend, daß seine Verletzungen von einem 
Bären herrühren, weshalb eine darauf bezügliche Anfrage an die Direktion des 
zoologischen Gartens erging. Von derselben wurde die Aufklärung erteilt, daß 
am Tage vor der Einbringung des Kranken, bereits nach Sperrung des zoologischen 
Gartens, ein Mann Einlaß begehrte, direkt zum Bärenkäfig ging, und dort — 
bevor ihn der Wärter daran verhindern konnte — seinen Am durch das Gitter 
streckte, welcher von einem Bären zerfleischt wurde; nachdem ihn die Wärter 
befreiten, verließ der Unbekannte schleunigst den Tiergarten. Auf diese Weise ver¬ 
loren die Zoopsien des Pat. ihren halluzinatorischen Charakter und auch der 
psychische Zustand des Kranken ließ nicht annehmen, daß derselbe unter dem 
Einflüsse seiner Zoopsien eich in den Tiergarten begeben hätte. Alle Umstände 
ließen somit annehmen, daß sich unter dem Bilde einer zeitweisen alkoholischen 
Geistesstörung eigentlich eine andere psychische Erkrankung verberge. Bald 
darauf begann Pat. unsinnige Größenwahnideen zu äußern: er sei ein allmächtiger 
Gebieter, spreche in allen Sprachen, er wäre der vorzüglichste Arzt usw. Die 
weiteren Nachforschungen ergaben, daß Pat 1903 in einer anderen Anstalt in¬ 
terniert war, wo er analoge Wahnideen hatte. Mit Rücksicht auf das geschilderte 


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Krankheitsbild, anf die wechselnde »Stimmung, auf die zunehmende Demenz und 
auf die vorangegangene Lues, folgert Vortr., daß Pat. an einer Paralyse von ab¬ 
normem Verlauf und ungewohnter Dauer leide. 

Herr E. Moravcsik hat den Pat. in seiner Abteilung längere Zeit beob¬ 
achtet, anfangs eine Paralyse, später jedoch eine alkoholische Paranoia angenommen. 
Die Diagnose einer atypischen Paralyse sei keinesfalls einwandfrei; akute psychische 
Explosionen kommen bei dem Pat. vor; M. ist der Ansicht, daß es sich um eine 
kombinierte Psychose handle, unter deren ätiologisohon Faktoren dem Alkohol 
eine bedeutende Bolle zufalle. 

Herr A. v. Sarbö vermißt somatische Ausfallserscheinungen, und ist geneigt, 
dem Alkohol die Hauptrolle zuzuschreiben. 

Herr S. Hallos (Schlußwort) selbst mißt der allein bestehenden Facialisparese 
keinen besonderen Wert zu; nach seiner Ansicht kann der Fall nur als langsam 
ablaufende progressive Paralyse gedeutet werden. 

Herr Koloman Pändy demonstriert psychiatrische Seltenheiten. I. 58jähr. 
Hann, welcher vor 39 Jahren syphilitisch infiziert wurde; vor 27 Jahren erste 
Zeichen der progressiven Paralyse, wegen welcher Pat. nun schon seit 
23 Jahren in Anstaltspflege steht. Seit Jahren unverändert dieselben 
Lähmungserscheinuugen und unsinniger Größenwahn. Vortr. verweist darauf, daß 
Kraepelin die längste Dauer der Paralyse mit 18 Jahren angibt. II. Der 
zweite Kranke ist ein katholischer weltlicher Priester, welcher an pro¬ 
gressiver Paralyse leidet. Diese Erkrankung wird bei Priestern allgemein 
als Seltenheit bezeichnet, in der Anstalt Budapest-Lipötmezö wurden in den 
letzten 38 Jahren 53 kath. Priester aufgenommen, unter welchen 16, also 30°/ 0 , 
an progressiver Paralyse litten. III. Ein Fall von Epilepsia tarda mit sub¬ 
kutanen Blutergüssen nach den Anfällen. 

Herr Eugen Konr&d hält einen Vortrag über einen Fall von retrograder 
Amnesie. Nach Skizzierung der verschiedenen Formen der Amnesie, schildert 
Vortr. folgenden Fall: Ein neuropathisch veranlagtes, erblich belastetes junges 
Mädchen erleidet einen heftigen psychisohen Shok, bekommt Weinkrämpfe und 
motorische Agitationen, verfallt hierauf in einen neuntägigen Bewußtlosigkeits¬ 
zustand, während der Dauer desselben täglich 4 bis 5 hysterische Anfälle. Nach 
Rückkehr der Besinnung besteht Amnesie für die ganze Vergangenheit, Astasie 
und Abasie. Auf sensorischem Gebiete erstrecken sich die amnestischen Er¬ 
scheinungen über den Rahmen einer Aphasie, zeigen auch Asymbolie, hingegen 
keine Spur einer motorischen Sprachstörung; intakte motorische Erscheinungen. 
Nach 6 Monaten Genesung, Patientin lernt Lesen, Schreiben, die ungarische Sprache 
(welohe sie gänzlich vergessen hat), Rechnen, Singen, Stehen und Gehen, und 
successive Restitution sämtlicher objektiver sensorischer Assoziationen. Der 
Vortr. erblickt in dem pathologischen Prozeß eine Störung des Stoffwechsels, 
und erklärt die einzelnen Symptome mit Hilfe der Lipps-Vogtschen Theorie. 
Nach Rückkehr der Besinnung täglich auftretende Halluzinationen; dieselben be¬ 
stehen im Hören solcher Worte, für welche sensorische Aphasie und Asymbolie 
bestanden haben. Hieraus, sowie aus dem Umstande, daß die Patientin ständig 
Stimmen hörte, aber die einzelnen Worte nicht immer zu unterscheiden ver¬ 
mochte, folgert Vortr., daß der Ausgangspunkt des pathologischen Reizes nicht 
bloß in den Erinnerungszellen besteht, sondern es muß auch angenommen werden, 
daß bei gewissen Formen der Halluzinationen auch die Perzeptionszellen sich in 
primärem oder sekundärem Reizzustande befinden. 

Diskussion die Herren Moravcsik, Ferenczi, Ranschburg, Konräd. * 

Hudovernig (Budapest). 


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IV. Landeakongreß der ungarlaohen Irrenärzte ln Budapest 
am 29. und 30. Oktober 1006. 

(Schiaß.) 


IV. Sitzung, 30. Oktober 1906, Nachm. 

Herr Melchior Pal&gyi bemerkt in seinem Vortrage über die experi¬ 
mentelle Analyse der Reaktionszeit, daß es den Neurologen bisher nicht ge¬ 
lungen ist, die Beaktionszeit in Verlaufsphasen abzugrenzen; die Dauer der sinn¬ 
lichen Wahrnehmung; des Entschlusses zur Durchführung der Bewegung und die 
Dauer der Durchführung der letzteren lassen sich nicht einzeln messen, sondern 
können bloß in toto bestimmt werden. Vortr. war nun bestrebt, die Gesamtsumme 
dieser Zeiten in einzelne Phasen aufzuteilen, und es ist ihm gelungen, die Dauer 
der Bewegungsdurchführung in Tausendteilen einer Sekunde festzustellen. Zu 
diesem Behufe automatisiert er die Bewegungen der Hand durch möglichst rasche 
und ' häufige Wiederholung und analysiert den Rythmus solcher automatisierter 
Bewegungen. Die bei Reaktio'nsexperimenten gebräuchliche Einrichtung mußte 
zu diesem Behufe gänzlich umgestaltet werden und Vortr. demonstriert einen hierzu 
konstruierten Apparat, den „Reaktionspendel“, mit dessen Hülfe er imstande ist, 
einzelne Bewegungen und deren Gegenbewegungen in vier Phasen zu zerlegen 
und jede einzelne Phase einzeln zu messen. Die Gesamtheit einer Bewegung und 
ihrer Gegenbewegung bezeichnet er als „motorische Reaktion“ und ist ihm durch 
diese die Messung hzw. graphische Darstellung der Bewegungsermüdung gelungen. 

Herr Oskar Hercz: Die forensische Bedeutung der Hysterie, Neur¬ 
asthenie und alkoholischen Geistesstörungen. Hysterie und Neurasthenie 
werden gemeinhin gewöhnlich als Einbildung bezeichnet, die alkoholische Geistes¬ 
störung aber als wohlberechnete Simulierung der trinkenden Verbrecher. Bei 
einer solchen Auffassung ist es für den Sachverständigen überaus schwer, gerade 
in solchen Fällen eine nicht angezweifelte Meinung auszusprechen. Das geringste 
Detail derartiger Zustände muß genau analysiert dem Strafrichter dargelegt werden, 
damit dieser imstande sei, dieselben verwerten und den Grad der Zurechnungs¬ 
fähigkeit bestimmen zu können. Wird die Unzurechnungsfähigkeit ausgesprochen, 
dann ist die Internierung des Betreffenden in eine Spezialanstalt erforderlich, dem 
Sachverständigen aber möge daB Recht eingeräumt werden, die Dauer der Inter¬ 
nierung festzustellen und seinem Aussprache Geltung verschaffen zu können. 

Diskussion: Herr Hudovernig, Herr Telegdy und Herr Hercz. 

HerrlgnatzFischer: Über die Grenaen der Aufnahmefähigkeit moderner 
Irrenanstalten. Vortr. betont vorerst die Notwendigkeit, daß Laien und Ärzte 
die Geisteskranken nicht mehr als „Narren“ usw., sondern bloß als Gehirnkranke 
betrachten, was auch zu einer anderen Auffassung über das Wesen der Irren¬ 
anstalten führen müsse. Die idealste Behandlung der Gehirnkranken könnte wohl 
nur in kleineren Anstalten erfolgen, da aber die Zahl der Geisteskranken stets 
zunimmt, und weil die Verpflegekosten in größeren Anstalten geringer sind, können 
für die auf Staatskosten zu verpflegenden Kranken große Anstalten nicht ent¬ 
behrt. werden. Bei entsprechender Einteilung aber können auch die großen An¬ 
stalten ihrer Heilbestimmung ebenso entsprechen, wie die kleineren; es ist bloß 
nötig, das ärztliche Personal entsprechend zu vermehren und innerhalb der großen 

Anstalten kleinere und in ärztlicher Hinsicht selbständige Abteilungen zu er¬ 

richten; die Verantwortlichkeit gebührt dem Abteilungsleiter, welohem die Be¬ 
handlung der Kranken obliegt, während der Anstaltsleiter, welcher gleichfalls ein 
Psychiater sein muß, für die ganze Anstalt zu sorgen hat. 

Diskussion: Herr Pändy und Herr Fischer. 

Herr Stefan Hallos bespricht die Trinkerbehandlung in den Irren¬ 
anstalten, deren Hauptziel die Erziehung zur Abstinenz sein muß. Zu diesem 


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Behufe soll die Anstalt, Ärzte und Pflegerpersonal abstinent sein, andererseits 
müssen die Kranken über die Bedeutung und Schädlichkeit des Alkohols unter* 
richtet werden, schließlich sollen die Kranken alkoholfreie Zerstreuungen kennen 
lernen. Die geheilten Kranken sollen nur nach einigen Beurlaubungen von zu* 
nehmender Dauer definitiv entlassen werden. Von Vorteil ist es, wenn die ge¬ 
heilten Kranken sich außerhalb der Anstalt einer Antialkobolvereinigung anschließen, 
z. B. Guttemplervereinen, welohe in jeder Anstalt eine Zweigvereinigung besitzen 
sollten. 

Herr Mozes Hegyi: Über die Formen der Dementia praeoox. In den 
letzten 50 Jahren wurde die Frage der Dementia praecox noch immer nicht end* 
gültig gelöst und beruhen unsere Kenntnisse noch immer auf der Analyse der 
klinischen Beobachtungen, können deshalb auch nicht als definitiv betrachtet 
werden. Selbst nach den grundlegenden Forschungen Kraepelins wird die Ein* 
heit der Krankheitsbilder noch nicht einstimmig akzeptiert. Bei dem einheitlichen 
Grundzuge unterscheidet Kraepelin drei Varianten der Dementia praecox: die 
katatonische, die hebephrenische und die paranoide Dementia praecox. 15,4°/ 0 
der Dementia praecox-Fiille in der Kolozsvarer psychiatrischen Klinik konnten 
nun in keine der genannten Formen eingereiht werden; bei denselben dominierte 
die auffallend rasche Verblödung oder der stuporöse Zug, wobei andere Er* 
scheinungen episodenhaft auftreten konnten. Aus diesem Grunde unterscheiden 
Prof. Lechner und seine Schule noch eine vierte Form der Dementia praecox: 
die Dementia praecox stuporosa. Überdies kommen gemischte Formen häufig vor. 

Nach Erledigung seiner wissenschaftlichen Tagesordnung geht der Kongreß 
zu den eingelangten Anträgen über, und zwar 

1. Antrag des Herrn J. v. Baranski, daß in Zukunft die Einladungen der 
-Kongresse auch weiteren, speziell juridischen Kreisen zugestellt werden. 

2. Antrag des Herrn A. Ferenczi, betreffend das Studium der Pflegerfrage 
und betreffs Errichtung von Pflegerschulen neben jeder Anstalt. 

3. Antrag des Herrn K. Decsi, die Regierung möge die Erlaubnis erteilen, 
daß jede Provinzanstalt die familiale Irrenpflege einführen könne. 

4. Antrag des Herrn H. Szigeti, die Regierung mögo ersucht werden, das 
Gesetz über die obligatorische Unfallversicherung auch auf die an Irrenanstalten 
tätigen Ärzte auszudehnen. 

Auf Antrag des Herrn C. Hudovernig werden sämtliche Anträge angenommen 
und dem Orgnnisierungskomitee zugewiesen. 

Nach dem Sekretariatsberichte hält der Vorsitzende Herr G. v. Raisz eine 
Schlußrede und beschließt die Beratungen des Kongresses. 

Hudovernig (Budapest). 


IV. Neurologische und psychiatrische Literatur 

vom 1. Januar bis 28. Februar 1907. 

(Die als Originalia in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch 

einmal angeführt.) 


1. Anatomie. Kaes, Großhirnrinde des Menschen. Atlas n. Text. Jena, G. Fischer. 

— Spielme>er. Stützsubstanz des Centralnervensystems. Arch. f. Psych. XLII. Heft 2. 

— Fragnito, Cortecc. cer nei mammif. Ann. di nevrol. XXIV. Fase. 5—6. — Lasalls. 
Archambault, Faisceau longit. infer. Nouv. Icon de la Salp. XIX. Nr. 6. — Giannelli- 
Helweg-Westphal tract. Journ. of Ment, pathol. VIII. Nr. 1 . — Roasi, Strntt. del bnlbo, 
olfatt. Riv. di Pat. nerv. XII. Fase. 2. — Roith, Innerv, des Uterus. Mon. f. Geburtsh. 
XXV. Heft 1. 


II. Physiologie. Campbell. Localis&tion of cerebr. function. Journ. of ment. sc. 
Nr. 220. — Munk , Kleinhirn. II. Mitteil. Sitzungsber. der Akad. der Wissenschaften. — 
Mingazzlnl and Polimanti, Ablation of frontal lobe. Jonm. of ment. path. VIII. Nr. 1. — 
Roblnevitch, Genesis of sex. Journ of ment. path. VIII. Nr. 1 . — Rosai, Funz cortio. 
della visione. Pavia. 61 S. — v. Pirquet, Anodische Übererregb. bei Kindern. Wiener 
COOQle Original from 

Ö UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


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493 


med. Woch. Nr. 1. — Poscharissky, Periph. Nerven nach Kontinnitätstrennung. Beitr. z. 
path. Anat. u. allg. Path. (Ziegler.) XLI. Heft 1. — Loeb, Elektroton. Erregbarkeits¬ 
änderungen im Nerven. Pflügen Aroh. CXVI. Heft 8 a. 4. — Bethe, Regeneration der 
Nervenfasern. Ebenda. Heft 7— 9. — Oogiel u. Archangelsfcy , Gefaßverengernde Nerven 
der Kranzarter. Ebenda. 

111. Pathologieehe Anatomie« Babes et Marinesco, Ganglions spinaui. Atlas. 
Berlin, A. Hirschwald. 35 S. — Bernhardt, M., Spina bifida. Deutsche Ärzte-Ztg. 1907. 
Heft 4. — Kroph, Hydranenkephalie. Zeitschr. f. Heilk. XXVIII. Heft 1. 

IV« Neurologie. Allgemeines: Rossi, L’arteriosclerosi dei centr. cer. e spin. Pavia. 
145 S. — Bark er, Gelenkaff. bei Nervenkr. Joum. of Amer. Assoc. Nr. 5. — Buzzard, 
Akute Infektion des Nervensystems. Lancet. Nr. 4359. — Harris, Nervous system in in- 
fluenza. Practitioner. Nr. 1. — Fonck, Radinm u. Nervensystem. Leipzig, G. Thieme. 
29 S. — Adler, A., Minderwertigk. von Organen. Berlin-Wien, Urban u. Schwarzenberg. 
92 S. — Morselli, Tubercol. e mal nerv, e ment. Törin. 239 S. — Meningen: Landoit, 
Meningoenceph. tuberc. Deutsche med. Woch. Nr. 1. — Douglas. Influenzamening. Lancet. 
Nr. 4350. — Knauth, Genickstarre in der bayer. Armee. Deutsche med. Woch. Nr. 8. — 
Reimann, Mening. cerebrospin. Prager med. Woch. Nr. 5. — Darling and Wilson, Cerebr.- 
snin. men. Brit. med. Journ. Nr. 2408. — Donitrenko, Cerebrospinalmen. Russk. Wratsch. 
Nr. 4. — Cook and Mc Cleary, Purpura bei Cerebrospinalmen. Lancet. Nr. 4357. — 
Krohne, Genickstarre. Klin. Jahrb. XVI. Heft 1. — Bahr, Genickstarre. Ebenda. — 
WoKlanweber, Genickstarre. Ebenda. — Ditthorn u. Gildemeistor, Genickstarre. Ebenda. — 
Cerebrales: Alquin et Baudouin, Meningo-encephalite. Arch. de med. experim. XIX. Nr. 1. 

— Laignel-Lavastine et Voisin, Encephalite aigue. Ebenda. — Benedikt, Röntgen-Diagnostik 
des Gehirns. Wiener med. Woch. Nr. 1. — Renaud, Tuberculose du cerveau. Rev. de 
med. Nr. 2. — Benedict, Sensibilitätsstör, bei Hirnerkr. Wiener klin. Woch. Nr. 3. — 
Benedict, Posthemipl. Gefühlsstör. Orv. Hetil. Nr. 1. — Pick, Stör, motor. Funkt. Wiener 
klin. Rundsch. Nr. 1. — Grasset, Fonction du langage. Montligeon. 28 & (Revue de 
Philosophie.) — Waterston, Interruption of fissure of Rolando. Journ. of Anat. and Phys. 
XLL Part. 2. — D’Allocco, Hirnsympt. bei Malaria. Rif. med. Nr. 1. — Marie, P., Fonction 
dn langage. Rev. de philosophie. — Schlub, Aphasie. Corresp. f. Schweizer Ärzte. Nr. 1. 

— Jones. Aphasie tactile. Revne neurol. Nr. 1. — Marie, Aphasie. Presse med. Nr. 4. 

— Bianchi, Afasie. Ann. di nevrol. XXIV. Fase. 5—6. — Hartmann, Apraxie. Mou. f. 

Psych. u. Neur. XXL Heft 2. — Burr, Triplegia following hemiplegia. Journ. of Nerv, 
and Ment Dis. XXXIV. Nr. 1. — Wimmer, Traum. Spätapoplexie. Mediz. Klin. Nr. 8. 

— Hunt, Herpetic inflamm, of geniculate ganglion. Joum. of Nerv, and Ment. Dis. XXXIV. 

Nr. 2. — Butler, Cerebr. Kinderlähm. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 26. — Bard, Contract. 
posthemipl. pseudo praec. Sem. med. Nr. 6. — Hochheim, Traum. Spätapoplexie. Münch, 
med. Woch. Nr. 5. — Variot, Littlesche Kr. Progr. med. Nr. 25. — Weinberg, „Doppel¬ 
bildungen 4 * am Gehirn. Mon. f. Psych. u. Neur. XXI. Heft 2. — Hirntumor, Hirn- 
absceß: Klippel et Renaud, Epithelioma du cerveau. Rev. de roöd. Nr. 1. — Beevor, 

Hirntumoren. Lancet. Nr. 4354. — Hoppe, Brain tumor. Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 
XXXIV. Nr. 2. — Chudovszky, Hirntumor. Orv. Hetil. Nr. 9. — Poggio, Neoplasma der 

Vierhügel. Rif. med. Nr. t. — Stern, A., Cysticerken im IV. Ventr. Zeitschr. f. klin. 

Med. LXI. Heft 1 u. 2. — Jacobsohn, Cysticercus cerebri. Mon. f. Psych. u. Neur. XXI. 
Heft 2. — Pfeifer, Explorat. Hirnpunktion. Arch. f. Psych. XLII. Heft 2. — Wyllie, 
Intracranial abscess. Practitioner. Nr. 2. — Nielsen, Anthrax mit Hirnabscess. Hospitalitid. 
Nr. 4. — Kleinhirn: Laignel-Lavastine, Heroorrhagie dans Phemisphere ceröbelleux. Nouv. 
Icon, de la Salp. XIX. Nr. 6. — Pseudobulbärparalyse: Lamy, Paral. pseudo bulbaire. 
Rev. neur Nr. 4. — Rückenmark: Jardini, Arteriosclörose medull. Nouv. Icon, de la 
Salp. XIX. Nr. 6. — Naka. Pathol. Anat. des senilen Rückenmarkes. Arch. f. Psych. 
XLII. Heft 2 — Bruce and Pirie, Intermedio-later, cell-system of spin. cord. Revieu of 
neurol. Januar. — Lapinsky, Reflexe nach Durchtrenn, des Rückenmarkes. Arch. f. Psych. 
XLII. lieft 2. — Grassmann, Traum, entstandene Hämatomyelie. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 1. 

— Tetzner, Spinale progr. Muskelatrophie nach Trauma. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 1. — 

Batten, Rückenmarkstumoren. Lancet. Nr. 4351. — Robarts, Spinal anaesthesia. Scott, 
med. and surg. Journ. XX. Nr. 2. — Bosse. Lumbalanästhesie. Deutsche med Woch. 
Nr. 5. — Wirbelsäule*. Alquier, Mal de Pott Nouv. Icon, de la Salp. XIX. Nr. 6. — 
Multiple Sklerose: Bergamasco, Tremor esseoz. simul. il quadro della sclerose. mult. 
Riv. di pat. nerv. XII. Fase. 1. — Mennell, Mnlt. Sclerose. Lancet. Nr. 4351. — Nambu, 
Cerebrospinale Herdsklerose. Prager med. Woch! Nr. 3 — Maas. Prognose der mult. 

Sklerose. Berl. klin. Woch. Nr. 7. — Tabes, Friedreich’sche Krankheit: Zacharias, 
Geburt bei vorgeschr. Tabes. Münch, med. Woch. Nr. 7. — Dejerine et Andre-Thomas, 
Racines dans la malad, de Friedreich. Revue neurol. Nr. 2 — Reflexe: Levinsohn, 
Lidreflexe. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. XLV. — Schissinger, E., Pupillometer. Mediz. 
Klinik. Nr. 8. — Reichardt, Willkürl. Erweit der Papillen. Deutsche med. Woch. Nr. 4. 

— Bach, Pupillenstarre. Münch, med. Woch. Nr. 8. — Brassert, Halswirbelfraktur und 
reflekt Pupillenstarre. Münch, med. Woch. Nr. 6. — Rossi, Riflessi dopo la 6ezione delle 


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494 


rad. poster. Riv. di patol. nerv. XII. Fase. 1. — Mondino, Riflesso in contratt facc. 
Riv. di pat nerv. XII. Fase. 2. — Rotenbach. Kniephänomen-Anslös. Münch, med. Woch. 
Nr. 2. — Krampf, Kontraktur: Wholey, Spasmus nutans u. rotat. beim Kind. Joorn. 
of Anier. Assoc. Nr. 6. — D’Allocco, Allg. Spasmus der Kinder. Rif. med Nr. 8. — 
Cruchet, Torticollis spasmodiques. Paris, Masson et Co. 886 S. — Towbin. Torticollis 
spasticus. Inaug.-Diss. Berlin. — Pappenhelm, Halbaeit. Zungenkrampf. Wiener klin. 
Woch. Nr. 6. — Pell, Myoton. congen. Arch. f. Psych. XLI1. Heft 2. — Periphere 
Nervenlähmungen: L<vy et Baudouln, Paral. du moteur ocul. ext Revue neur. Nr. 3. 

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Basedow. Berliner klin. Woch. Nr. 1. — Stradlotti, Cura del morbo di Flajani-Basedow. 
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engungen des Gesichtsfeldes. Aroh. f. Psych. XLII. Heft 2. — Sutter, Gynäkol. Erkr. u. 
Neurosen. Mon. f. Geburtsh. XXV. Heft 1. — Rumpf, Herztät. u. schmerzh. Druckpunkte. 
Münch, med. Woch. Nr. 4. — Adler (Prag), Nervöses Aufstoßern Ebenda. — Hecht, Hyst 
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Klinik. Nr. 2. — Sauvineau, Ptosis dans Thystörie. Rev. neur. Nr. 8. — Meyer, E., 
Hysterie u. Invalidität. Deutsche med. Woch. Nr. 6. — Schultze, Fr., Pupillenstarre im 
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XIII. Heft 4. — Zweig, Nervöse Hyperacidität. Wiener med. Presse. Nr. 1 u. 2. — 
Bleibtreu, Makrochilie bei Hysterie. Münchener med. Woch. Nr. 6. — Jakowenko, Hyster. 
Fieber. Russ. med. Rundschau. V. Heft 1. — Tlmpano, Hysteria simulating syndrome of 
Brown-Sdquard. Journ. of ment. path. VIII. Nr. 1. — Le Boutillier, Hysteroepil. beim 
Kind. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 2. — Fischer, O., Hyster. Dysmegalopsie. Mon. f. 
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Mediz. Klin. Nr. 3. — Erb, Arzneibeh. der Neurasth. Mediz. Klinik. Nr. 8. — Woltär, 


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Poriomanie. Arch. f. Psych. XLII. Heft 2. — Splller, Psychasth. attacks simul. epilepsy. 
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f tfuie du tremblement mercuriel. Rev. neur. Nr. 4. — Drosihn, Pseudoparal. saturn. 
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Malm, Homosexualität. Norsk. Maj. f. Laogev. Nr. 8. — Marie, Eunuchisme et drotisme. 
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de la dem. prec. L’Encephale. II. Nr. 2. — Intoxikations- und Infektions* 
psychosen: Rougi, Alienatiou mentale apres fievre typhoide. Ann. möd-psychol. Nr. 1. 

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Ann. de l’lnst. Pasteur. Nr. 2. — Sokalsky, Mikroorgan, bei Par. Centralbl. f. Bakteriol. 
XL11I. Heft 3. — Marie, A., Arabes syphil. et par. gen. Nouv. Icon, de la Salp. XIX. 
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Sommer, Psycholog. Sachverständige. Jur.-psych. lirenzfragen. V. Heft 6. — Haymann, 
Geborene Verbrecher. Inaug.-Diss. Freiburg. — Albrecht, Arterioskler. Geistesstör, und 
Strafrecht. Viertslj. f. gerichtl. Med. XXXIII. Heft 1. — Werner, R., Geistig Minder¬ 
wertige oder Geisteskranke? Berlin, Fischers med. Buchh. — Therapie der Geistes¬ 
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anstalten und Volksheilstätten für Nervenkranke. Psych.-neur. Woch. Nr. 44. — Matthias, 
Familienpflege. Psychol.-neur. Woch. Nr. 45. — Alt, Familienpflege seit 1902. Halle, 
C. Marhold. 16 S. 

VII. Therapie. Krüger und v. Velden, Beruhigungs- und Einschläferungstherapie. 
Deutsche med. Woch. Nr. 6. — v. Merino, Malonal. Wiener med. Presse. Nr. 5. — 
Dobrschansky, Malonal. Ebenda. — Wilm, Bornyval. Fortschr. der Med. Nr. 2. — Gold- 
Scheider, Physiol. Grundl. der physik. Ther. Zeitschr. f. phys. u. diät Ther. X. — Herz, 
Heilgymnastik. Physik. Ther. Stuttgart, F. Enke. Heft 5. 71 S. — Prengowsky, Luft- 
douchen. Arch. f. Psych. XLU. Heft 2. — van Oordt, Wasserheilverfahren. Berlin-Wien, 
Urban u. Schwarzenberg. 80 S. — Frankel, Mechan. Behandlung. Zeitschr. f. ärztl. Fort¬ 
bildung. Nr. 4. — Mann, L., Elektromed. App. Zeitschr. f med. Elektr. IX. — Witthauer, 
Vibrationsmassage. Therap. Monatsh. Nr. 2. — Giachetti, Psicoterapia. Riv. di psicol. 
III. Nr. 1. _ 

V. Mitteilung an den Herausgeber. 

Die Kinematographie in der Neurologie. 

Vorläufige Mitteilung. 

Bloß um mir die Priorität der Methode zu sichern, erlaube ich mir schop 
jetzt die Einrückung dieser Zeilen, während die entsprechende Demonstration erst 
auf dem Neurologen-Kongresse zu Dresden stattfinden soll. Es ist mir gelungen, 
durch kinematographische Vorführung von über 2000 Schnitten des verlängerten 
Markes den natürlichen Verlauf der Faserzüge und Bahnen des Gehirns zur Dar¬ 
stellung zu bringen. Es überkreuzen sich vor unseren Augen die Nervenfasern, 
die Gehirnnerven gehen von ihren Kernen ab, durchqueren das Gehirn und treten 
aus demselben aus; kurz, die früher für den Anfänger nicht unbeträchtlichen 
Schwierigkeiten, sich räumlich den Verlauf der Fasersysteme und Bahnen vorzustellen, 
sind zum größten Teile behoben und in wenigen Minuten entrollt sich ein kon¬ 
tinuierliches, anschauliches Bild von der Anordnung der Faserzüge im Gehirn. 
Weitere Untersuchungen sollen Aufschluß darüber bringen, ob diese Methode 
sich bloß als didaktischer Behelf bewähren oder auch als neue Forschungsmethode 
anwenden lassen wird. Bisher erfolgte die Vorführung der Bilder bloß vor Hof¬ 
rat Obersteiner und Dozent Marburg, welche beide ihre volle Zufriedenheit 
mit dem Gesehenen äußerten. Die ausführliche Publikation der Methode erfolgt 
in den Arbeiten aus Obersteiners neurologischem Universitäts-Institute zu Wien. 

Dr. K. Reicher, Wien-Berlin. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel. 
Pankow b. Berlin, BreiteBtr. 44. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzokb & Wittio in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

Seehsindswuuigster " Bertto ’ . Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern* Preis des Jahrganges 24 Mark« Zn belieben durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 1. Juni. Nr. 11. 


Inhalt. I. OrigUialmüteHungen. 1. Die Sehnenreflexe angestrengter Körperteile. Unter¬ 
suchungen an Marathonläufern, von Dr. Milt. Oeconomakis. 2. Ein handliches Dynamometer, 
von Prof. Dr. Maximilian Sternberg. 3. Ein Fall von Heterotopie des Nncleus arciformis, 
von Dr. G. Catola. 4. Myatonia congenita, Myohypotonia, von William G. Spiller. 5. Karze 
Bemerkungen über Fibrillogenie im Centralnervensystem des Menschen zur Arbeit Brod- 
mann’s: „Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur Myelogenie mit 
besonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri,“ von Dr. Nie. Gierlich in Wiesbaden. 


II. Referate. Anatomie. 1. Von der protoplasmatischen und faserigen Stützsubstanz 
des Centrainervensysteras, von Spielmeyer. — Physiologie. 2. Über den Einfluß der 
Muskelerraüdung bei partiell parathyreoidektomierten Hunden, von Massaglia. — Psycho¬ 
logie. 3. Allgemeine analytisch synthetische Psychognosie parallel zur Physik und Physio¬ 
logie, von Stern. — Pathologische Anatomie. 4. Klinischer und pathologischer Beitrag 
zum Studium der halbseitigen Hypertrophie, von Cagiati. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 5. Über psychoreflektorische Krankheitssymptorae, von Goldscheider. 6. Hysterie 
und Invalidität, von Meyer. 7. I. Diseases of the nervous systera resulting from aecident 
and injurv, by Bailey. II. La Simulation et Pinterpretation des accidents du travail, par 
Sand. 8 . Prüfung nervöser Störungen auf Simulation und Übertreibung, von Erben. 9. Die 
klinischen und ätiologischen Beziehungen des Hitzschlages zu den Psychosen und Neurosen, 
von Steinhausen. 10. Elektrische Gesundheitsschädigungen am Thelephon, von Kurella. 
11. Über Krankheiten und Unfälle im Brauergewerbe, von Laquer. 12. Über traumatische 
Spätapoplexie, von Wimmer. 13. Ein Fall von traumatischer Abducenslähmung, von Isako- 
witz. 14. Trauma und Arterienerkrankung. Kurze Notiz von Bernhardt. 15. Über perio¬ 
dische transitorische Bewußtseinsstörungen nach Trauma (Dipsomanie usw. nach Trauma), 
von Pelz. 16. Fracture of the base of the skull, by Walton. 17. Symptomatologie des 
fractures du eräne chez Penfant, par Gasne. 18. Zur Ätiologie plötzlich auftretender Störungen 
im Hörnervenapparate, von Stein. 19. Beitrag zur Kenntnis der Beteiligung deB inneren 
Ohres nach Kopferschütterungen, von Rhese. 20. La neurasthenie traumatiqne chez les 
arterio-scldreux, par Regis. 21. Hysterie locale ä la suite de traumatisme de la hanche, par 
Callewaert. 22. Über die ärztliche Tätigkeit auf dem Schlachtfelde und in den vorderen 
Linien, von von ManteufVel. — Psychiatrie. 23. Zur Kenntnis der Ätiologie der an¬ 
geborenen und frühzeitig erworbenen psychischen Defektzustände, von Schlöss. 24. Bei¬ 
trag zur Statistik und Ätiologie der Idiotie und Imbezillität, von Kneidl. 25. Statistischer 
Beitrag zur Ätiologie der Idiotie, von Heyn. 26. Vorgeschichten und Befunde bei Schwach¬ 
begabten Schulkindern. Ein Beitrag zur Erforschung der Ursachen schwacher Begabung, 
von Schlesinger. 27. Tipi e gradi d'insufficienza mentale, per de Sanctis. 28. Types d'idiotie. 
Un ca8 d'idiotie myxoccmmateuse, par Bourneville, Lutaud et Tournay. 29. Types d’idiotie. 
Cas d'idiotie mongolienne, par Bourneville et Bard. 30. Beiträge zur pathologischen Anatomie 
der Idiotie, von Takasu. 31. Über den Sprachsinn nebst seinen Beziehungen zur Psycho¬ 
logie der Aussage, von Hampe. 32. Psychologische Untersuchung schwachsinniger Schul¬ 
kinder, von Weygandt. 33. Die Sprachstörungen Schwachbegabter Schulkinder, von Schlesinger. 
34. Die Ohrmuschel bei Schwachsinnigen, von Imhofer. 35. Oedöme des pieds chez deux 


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imbdciles, par Trdpsat. 86. Traitement moral, hygiine et dduoation des idiota et des autres 

enfants arridres, par Sdgrin. . 

Ml. Aus den GeaelUcbaftea. Jabresverssmmluag de« deutschen Verein» für Psychiatrie 
in Frankfurt a/M. und Gießen vom *6.-28. April 1807. (Schluß.) — Berliner Gesellschaft 
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, Sitzung vom 13. Mai 1907. — XLU. Veiaamm- 
hmg der Irrenärzte Niedersaehsens und Westfalen« am 4. Xai 1907 in Hannover. 

IV. Vermischt«*. — V. Pertottalen. 


L Origin&lmitteilungen. 


1. Die Sehnenreflexe angestrengter 
Körperteile. Untersuchungen an Marathonläufern. 

Von Dr. Kilt. Oeoonomakls, 

Chefarzt an der Nervenklinik der Universität Athen. 

Über die Einwirkung der Ermüdung auf die Sehnenreflexe liegt uns bereits 
eine nicht geringe Literatur vor; Mitteilungen über Fälle von zeitweiligem 
Fehlen oder sich Steigern des Patellarreflexes insbesondere, haben nie gefehlt 
Die meisten finden wir in Sternberg’s bekannter Arbeit 1 angeführt, die ge¬ 
wissermaßen eine Monographie über diesen Gegenstand darstellt Die Er* 
scheiuongen der verschiedenen Grade der Ermüdung werden darin eingehend 
untersucht und geschildert und es wird die Hypothese ein» direkten Einwirkung 
der Ermüdung auf das Gehirn, wodurch die hemmende Wirkung desselben weg* 
fällt, für die Erklärung des Mechanismus dieser Einwirkung aufgestellt 

In jüngster Zeit ist die Frage wieder in den Vordergrund des Interesses 
getreten. Edinger’s bekannte Funktions- bzw. Ersatztheorie* gab dazu den 
Anstoß. Diese Theorie besagt nämlich: Es gibt eine große Anzahl von Nerven¬ 
krankheiten — die pathologische Gruppe der Aufbraucbkrankheiten —, welche 
nicht etwa durch elektive Gifte, wie man bisher annahm, sondern durch die 
Einwirkung der einfachen Funktion auf den durch Gifte geschädigten oder dorch 
abnorme Anlage minderwertig bereiteten Boden entstehen. Die Bolle der in 
der Ätiologie vieler Nervenkrankheiten pathogen wirkenden Noxen wird somit 
verlegt: Die Funktion bzw. Anstrengung wird zom direkten, die Gifte, die 
Heredität, die mangelhafte Anlage usw. zum indirekten, „nur zu Störungen des 
Ersatzes für das bei der Funktion Verbrauchte“ führenden Agens gemacht 
Der Funktion, je nach ihrem Intensitätsgrad, entspricht ja bekanntlich ein 
Auf brauch an Material innerhalb der nervösen Gewebe, der auch anatomisch 
nachweisbar ist Diesen Nachweis hat Siegmukd Mater zuerst erbracht.* Er 


1 Stbbkbbbg, Die Sehnenreflexe und ihre Bedeutung für die Pathologie des Nerven¬ 
systeme, 1893. 

* Edibgbb, Eine neue Theorie über die Ursachen einiger Nervenkrankheiten. Volk- 
mann’e Sammlung Nr. 106 u. Die Anfbranchkrankbeiten des Nervensystems. Deutsche 
med. Wochenschrift 1904, 1905. 

' S. Mavbb, Über Vorgänge der Regeneration and Degeneration im unversehrten peri¬ 
pheren Nervensystem. Zeitschr. f. Heilkunde. 1881. 


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40 » 


fand in den Nerve* von gm aormalefi Iwdividuen echte degtaorative und 
regenerative Veränderungen, die durchaus dem gewöhnlichen hiztologisohen Bilde 
der parenchym*töeea Neuritis gleichen. Diese Veränderungen: Zerfall der 
Markscheide, Zerstückelung des Aoksencytiadore* Vermehrung der Kerne der 
SoKwjjnr’schca Scheiden osw» hat er als pbysiolegisehe Zerfallsprodukte an* 
gesehen. Tbosohsb» HaMmb» TanzaoOH u.a., die mehrfach Gelegenheit gebäht 
hatten, mit der ManCHfeeben UntewttchaBfwtethode su arbeiten, haben diese 
Befunde bestätigt 

Ist nun dieser Aufhraueh abnorm hoch, wie i. B. infolge einer Überarbeit 
oder tritt dem in der Zelle und Faser verbrauchten Material kein genügender 
Ersatz gegenüber, so entsteht eine der Aufbravtchkrankbeiten. Unter diese 
Krankheiten reibt Bonroma folgende ein: Die Arbeitsneuritiden, die Polyneuritiden 
durch Blei, Alkohol, Arsenik and die nach verschiedenen Erschöpfungszuständen 
oder Infektionskrankheiten auftretenden Polyneuritiden — ausgenommen die 
während der flöhe der Infektion oder Intoxikation auftretenden, die als rein 
toxisch an betrachten sind. Ferner die Tabes und die progressive Paralyse, 
weiche die Typen dee centralen Anfbrauohs daratellen; die hereditären Nerven¬ 
krankheiten, die FRiKDRmcH'sche Ataxie, die spastische Paralyse, die amyotrophische 
Lateralsklerose, die primäre Optikusatrophie und die progressive nervöse Er¬ 
taubung. Alle diese Krankheiten entstehen erst naoh dem Einsetzen der Funktion 
auf einem Boden, der durch Gifte, Toxine oder durch abnorme Anlage — alle 
diese wirken als ersatzstörende Momente — abgeschwächt ist, und das pathologisch- 
anatomische Bild ist für alle diese Fälle außerdem überall das gleiche: Ein 
primärer Untergang der Nervenbahn, in Form einfachen Schwundes von Zelle 
und Faser, und eine darauffolgende reparative Neurogliawnoherung. 

Diese Theorie scheint also, durch die Anerkennung des Einflusses der 
Funktion alB Symptombildners berufen zu sein, dos Verständnis jener Mannig¬ 
faltigkeit in dem Symptomen komplexe und der Lokalisation ein«: nnd derselben 
Krankheit, z. B. der Tabes und der Polyneuritis, der wir so oft in der Klinik 
begegnen, in besseres Lioht zu stellen. Zogleioh sind ihr eine Reibe von Auf¬ 
gaben in verschiedenen Richtungen hin entsprossen, die den „heuristischen Wert“ 
der Theorie zur Genüge bestätigen. 


Eine der ersten Aufgaben war die, nach den Erscheinungen der Überfunktion 
bzw. Ermüdung eingehender, gewissermaßen experimentell bei solchen Individuen 
zu forschen, die sich übermäßigen Anstrengungen —- wie etwa die Sportlettte 
— aassetzen nnd somit abnorm hohe Anforderungen an ihren Nervenapparat 
stellen; und zwar auf das Verhalten solcher Nervenbahnen bei dieser Forschung 
zu achten, die wegen ihrer andauernden Funktion am leichtesten erliegen. 
Näher zu berücksichtigen sind daher in erster Linie die rezeptorischen Fasern 
nnd die Bahnen, welche der Statik und Orientierung dienen and den Muskel¬ 
tonus nebst den diesen regulierenden Sehnenreflexen vermitteln. Dies sind die 
meist gebrauchten Bahnen, „sie werden Tag und Nacht in Anspruch genommen, 
sie sind es, duroh welche seihst im Schlafe die Außenwelt auf uns einwirkt, sie 
sind es, die bewirken, daß ein Schlafender ganz anders daliegt als ein Toter“. 


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500 


Der Untergang dieser Bahnen gehört ja bekanntlich zu den frühesten und 
häufigsten Symptomen der Tabes. 

Aiterbach 1 hat im Sommer 1908 und 1904 an Radrennfahrern Unter« 
suchnngen in diesem Sinne angestellt Er hat bei 89 Lernten alle Funktionen 
des Nerversystems berücksichtigt, die durch diesen Sport Oberhaupt beeinflußt 
werden können; so untersuchte er die FsteHar-und Achillessehnenreflexe, außer¬ 
dem die Pupillen weite und Pupillenreaktion, die Sensibilität in allen ihren Quali¬ 
täten, das BABiusKi’sche Phänomen, Nystagmus, Ataxie, Tremor, Koordinations- 
Störungen, RoMBEEö’sches Zeichen und von subjektiven Störungen: Schwindel, 
Parästhesien und Blasenstörungen. 

Knapp und Thomas * haben ungefähr um dieselbe Zeit (1908) in Ammika 
das Verhalten der Sehnenreflexe der unteren Extremitäten bei 49 Dntansläufern 
untersucht Die schnellsten dieser Läufer batten den Weg von 40 km (24 eng¬ 
lische Heilen) von Ashland nach Boston in 2 l / a —3 Stunden zurückgelegt. 

Als nun im April 1908 die olympischen Spiele wieder in Athen stattfinden 
sollten, schien mir die Gelegenheit geboten, ähnliche Untersuchungen auch bei 
den Marathonläufern anzustellen. Die Entfernung von Marathon bis in die 
Arena dee panathenäischen Stadions betrug bei dieser zweiten Olympiade, wegen 
Verlegung des Abgangspunktes, 42 km. Wenn man dazu bedenkt, daß der 
Weg, eine griechische Landstraße, berganf und bergab führt, manche Uneben¬ 
heiten and steinige Stellen zeigt und nur in unmittelbarer Nähe von Athen 
gleichmäßig chaussiert ist so kann man sich eine Vorstellung von der An¬ 
strengung machen, welche zur Durchführung dieser Leistung erforderlich ist. 

Die Schwierigkeiten, auf denen man gelegentlich bei solchen Untersuchungen 
stoßen kann, hat schon Auerbach hervorgehoben. Um diesen vorzubeugen, 
beschloß ich, meine Untersuchung nur auf solobe wichtige Punkte zu beschränken, 
deren Prüfung,: ohne den Sportleuten lästig zu werden, für meine späteren 
Schlüsse von Bedeutung wäre. So habe ich in erster Linie den Patellar- und 
Achillessehnenreflex, daneben auch: Pupillenweite und Papillenlichtreaktion be¬ 
rücksichtigt, d. i. diejenigen Funktionen, deren Veränderung unter die Kardinal¬ 
symptome der Tabes zu rechnen ist 

Die Abschätzung der dabei gewonnenen Resultate konnte gewiß nicht mit 
mathematischer Genauigkeit erfolgen. Die Grenze des Normalen, über die hinaus 
man eine Abweichung im Verhalten der Reflexe annehmen darf, ist bekanntlich 
nicht absolut und unverbrüchlich gezogen und von dem Besitze eines sicheren 
und leicht zu handhabenden Reflexometers sind wir noch weit entfernt 

Um eine exaktere Abschätzung der Stärke des Patellarreflexes zu erzielen, 
haben Knapp and Thomas bei ihrer Untersuchung eine Abstufung der reflek¬ 
torischen QuadriC6p8kontraktion — knee-jerk with patellar twitch and with front- 
tap contraction — benutzt. Ich glaube indessen, daß bei solchen Untersuchungen 


1 Aukbbach, Neurologische Untersuchungen an Radrennfahrern. Neurolog. Centralblatt. 
1905. Nr. 8. 

* Knapp and Thohas, The reflexes in long distance rnnners. A study of tbe inflnence 
of fatigue npon certam reflexes. Journal of nervons and mental diseases. 1904. Januar. 

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die Gewohnheit immer der beete Führer ist: Wer schon mehrfach die Gelegen¬ 
heit hatte, die Reflexe bei einer großen Zahl von Neurasthenie-, Neuritis-, Tabes- 
öder Myelitisfällen in der Klinik za untersuchen, der muß sich gewiß mit den 
Begriffen des „normalen“, „schwachen“, „lebhaften“ und „gesteigerten“ genug 
vertraut gemacht haben. 

Die Untersuchung geschah folgendermaßen: Der Patellaraehnenreflex wurde 
in üblicher Weise im Sitzen mit übereinandergeechlagenen Beinen mittels eines 
gewöhnlichen Perkussionshammers und mit Aufnahme des JendbAbsik 'sehen 
Handgriffes geprüft Für die Fälle, wo er zweifelhaft zu sein schien, wandte 
ich zur Vergleichung noch andere Prüfungsarten, d. i. im liegen, im Sitzen auf 
dem Tisch mit pendelnden Beinen usw. 1 mit an. Der Achillesreflex wurde naoh 
B Abinski an auf dem Stuhlrande knieenden Läufern und die Pupillen an jedem 
Auge für sich bei möglichst guter Togesbeleuohtung und unter allen üblichen 
Kautelen geprüft 

Im ganzen konnte ich 45 von den Teilnehmern am Marathonlauf, 43 vor 
und zwei nur nach dem Bennen, untersuchen. Es waren alles meistens kräftig 
und gesund aussehende junge Leute verschiedener Nationalität, im Alter von 
20 bis 35 Jahren. Die Voruntersuchung fand am Vorabend des Wettlaufes im 
Bureau des Ausschusses für die olympischen Spiele statt Hier hatten sioh die 
Läufer versammelt, welohe sich zu Wagen nach Marathon begeben sollten, um 
daselbst zu übernachten. 

Es haben sich dabei folgende Abweichungen herausgestellt: 

L Fehlen des Patellarreflexes. 

Nr. 43 2 aus Kreta. Patellarreflex fehlt beiderseits. Er ist auf keine Weise 
auszulösen. Achillessehnenreflex beiderseits vorhanden, jedoch schwach. Papillen 
gleich, Lichtreaktion prompt Bei der oberflächlichen Untersuchung keine groben 
Zeichen von Lues oder der in Kreta so häufig yorkommenden Lepra. Der Mann, 
ein sehr kräftig gebauter Bauer, von gesundem Aussehen, gibt an, er sei 32 Jahre 
alt, verheiratet und habe drei gesunde Kinder. Er hatte sich kürzlich nicht an¬ 
gestrengt 

Nach einer luetischeu Ansteckung zu fragen oder nach anderer Richtung 
hin ätiologisch zu forschen, schien mir zu jener Stunde wegen der Anwesenheit 
der anderen Sportleute nicht ratsam. Ich behielt es mir daher vor, ihn später 
eingehender zu untersuchen. Aber leider konnte er nicht den ganzen Weg 
zurücklegen und stellte sich sonst nicht mehr zur Untersuchung. 

1L Steigerung der Reflexe. 

Nr. 21 aus Amerika. Patellar- und Achillesreflex gesteigert Lichtreflex der 
Pupillen sehr lebhaft. 

Nr. 38 aus Ägypten, ein anämisch, blaß aussehender, Bohmächtiger junger 
Mann. Patellar-, Achilles- und Pupillarreflex lebhaft gesteigert Leichte klonische 
Zuckungen folgten oft der ersten starken Kontraktion des Quadriceps. 


1 Bkbnha&dt, Die Erkrankungen der peripherischen Nerven. Nothnagel’* Pathologie 
u. Therapie. XI. S. 87. 

* Es sind die Nummern, welche die Läufer bei dem Lanfe auf der Brust trugen. 

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Nr. 39 . Grieche. AU« drei Reflexe Ober «Be Non» ged ei g o r t . 

Nr. 80. Grieche, Dasselbe. 

Nr. 61 . Grieche aus Maccdonieu- Steigerung de*, Patellar and AohiU««- 
reflexgs beiderseits. PoyUlepweite und Idchtreuktion normal. 

Ähnliche Steigerungen boten auch die Nummern 5 , 1.0 and 92 , die noch 
später zur Erwähnung kommen werden. 

JIL IferabauUu*g nd«i 4er BötU*«. 

Nr. 6t. Grieche. Der link« Aehil l i« wh« iiig rA w int sehr eebweek, Allee 

Übrige ncerm*!, 

Nr, £3, Grieche, Paseelbe. 

Nr. 15. Grieche. PateRarreflex beiderseits sehr schwach, er ist nur mit 
Jendr&ssik schwach ausznlösen. Achiüeereflex ebenso schwach, links noch s chw ä ch e r 
als recht« Pupillen nomal. 

Außerdem sind noch Nummer 18, 68, 34 and 41 ktafcer su reehwe», re« 
denen noch weiter nnten die Bede sein wird. 


Gleich nach dem Bennen hatte ich die Gelegenheit, an 14 van diesen 
vorher untersuchten Leuten in den Ankfeideiitomen des Stadions eine neue 
Untersuchung vorzunehmen. Sie hatten alle den ganzen Whg znrilckgdegt und 
waren in verschiedenen Zeiträumen hn Stadion angekommen. Ringe von ihnen 
konnten anch — soweit es der Trubel dieser Tage zuließ — zu einer wei t eren 
Nachuntersuchung herangezogen werden. 

Es sind dies; 

Nr. 56. Der Sieger, aas Canada. Vor dem Bennen: Alles normal. Er legte 
die 42 km in 2 Stunden 61 Minute» 25 Sekunden suvttek. Gleich darauf: Patellar¬ 
und Achillesreflex beiderseits egal gesteigert. Pupillen normal. 

Nr. 60 aus Schweden. Vor dem Beppen; Alles normal. Direkt nach seiner 
Leistung (42 kp» in 2 Stunden 58 Minute« 20 Sekunden); Patellarreflex beiderseits 
sehr schwach, AchiUeereßex dagegen «ehr lehbaft Pupillen norm ab Am 
Tage nach dem Bennen: Patella rreßexe noch immer schwach, Aohiflesareflexe 
normal. 

Nr. 22 ans Amerika. Vor dem Bennen: Patellar- und Achillesreflexe sehr 
lebhaft. Gleich nach dem Bennen (42 km in 3 Stunden 46 Sekunden): Patellar- 
und Achilfesreflex beiderseits gesteigert. Pupillen normal. Am »weiten Tage 
naeh dem Bennen: Die 3ehnenreflexe immer noch lebhaft. 

Nr. 67 aus Schweden. Vor dam Benne»: Allee p qctmJ. Gleieh whkes 
(42 km; über 3 Stunden): Beteller- and Ä^hillesrefle« beiderseits gesteigert 
Pupillen normal. 

Nr. 2. Grieche aus dem Dorf Amarussion. Vor dem Bennen: Allee normal 
Gleich darauf (42 km: über 3 Stunde»): PataUarre&ox beiderseits auf keine Weise 
auslösbar, fehlt vollständig. Achillesreflexe äußerst schwach. Pupillen normal. 
Nach ungefähr l 1 / 2 Monat: Patellarreflex und Achillesreflex rechts etwas schwächer 
als normal. Links: beide äußerst schwach. Lues negiert, auch keine Anhalts¬ 
punkte dafür bei der körperlichen Untersuchung. Der Mann ist Tagelöhner, 
arbeitet in den Marmorbrüchen und gibt, mäßigen Gepuß geistiger Getränke za. 
Sonst von blühender Gesundheit. Es gelang mir bis jetzt nicht, ihn nochmals 
zu untersuchen. 

Nr. 3 aus Australien. Vor dem Rennen: Alisa normal. Gleich nachher: 
Patellarreflexe beiderseits schwach, nur mit Jendrässik auszuRsen. AchiMmseftem 
sehr schwach. Pupillen normal 


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Nr. 34. Grieche an» Amarnssioa. Vor dam Roodod: PateUarrcflex link* 
sohr schwach, rocht* etwa* stärker, fast noraaL Alle» ihrige normal Gleich 
nachher: .Patolkmflex beiderseits völlig erloschen. Aohillesreflexo äußerst 
schwach. Papillen normal. Nach 6 Tagen; Patellarreflex beiderseits vorhanden, 
jedoch immer noch schwach. Achillesreflexe schwach. Der Mann ist Landro&nn. 
Kein« Lue». Br trinkt nicht mehr aha die anderen Tagelöhner. 

Nr. 41 ans Kreta. Vor dem Rennen: PateUarrcflex beiderseits sehr »ehwach, 
aut dem J »ndsisaiksehea Verfahren etwas besser. Achillesraflaixe ebenso sehwach. 
Papillen no rm al. Gleich nach dem Lauf: Patellarreflex anf beiden Seiten nicht 
im. geringsten ausznlösen, erloschen. Achillesreflexe dagegen erheblich ge* 
steigert. Kein echter Klonns. Klagte Ober heftige ziehende Schmerlen und 
Krampfgefühle in der Wadenmnsknlatar und machte sonst den Bhidroek e in e s 
hochgradig Erschöpften. Pupillen normal. Nach 2 Tagen: Er kam Arisch und 
munter zu mir und gab an, die Schmerzen seien am nächsten Tage wieder ver¬ 
gangen. Papillen normaL Patellarreflex beiderseits sehr schwach. Achillesreflex 
von normaler Stärke. Keine Anhaltspunkte für Lues. 

Nr. 62 aas Kreta. Vor dem Rennen: Patellarreflex beiderseits sehwach. 
Pupillen und Achiüeerefiex* normal Direkt nach dem Bema: Patellar- und 
Achillesreflex beidsnsita itifig erloschen. RqaDen normal. Der Mann war 
stark ermüdet. Nach 3 Tagen: PWteflar- und A dril lw refiea sehr sckwaeh. 

Nr. 55 aas Frankreich. Vor dam Rennen: Alles normal Gleich nachher: 
Patellar* und Achillesreflex beiderseits gesteigert. Pupillen normal. Nach zwei 
Tagen: Patellar* und Achillesreflexe noch immer gesteigert. Pupillen normal 
Nr. 18. Grieche ans Smyrna. Vor dem Rennes: Aehillescehnenreflex links 
sehr schwach. Allee übrige normal. Gleich nachher: Patellar- and Achillesreflex 
anf beiden Seiten erhefcSch gesteigert. Pupillen n or ma l 

Nr. 44 aaa Kreta. Vor dam Rennen: Alka normal Direkt darnach: Patellar¬ 
und AchiHesreflex beiderseits sehr sohwach. Der Patellarreflex ist nnr mit 
Jendr&ssik aaszulösen. Pupillen normal. Nach 3 Tag»: Die normalen Verhält¬ 
nisse wiedergekehrt. 

Nr. 52 aus Kreta. Vor dem Rennen: Alles normal. Gleich nachher: Patellar* 
reflexe beiderseits äußerst schwach, fast erloschen. Achillesreflexe sehr 
schwach. Papillen normal. Nach 3 Tagen: Alles normal wie vorher. 

" Nr. 8 aus Kreta. Vor dem Rennen: Alle» normal Gleich, danach: PateUkr* 
seflex beiderseits gesteigert. Achillesreflexe lebhaft. Papillen normal. Nack 
3 .Tagen: Die Sehnenreflexe noch immer über das Normale lebhaft. 

(Schluß folgt.) 


[Aus der I. med. Abteilung des K. K. Krankenhauses Wieden in Wien.] 

2. Ein handliches Dynamometer. 


Von Prof. Dr. Maximilian Starnberg. 

< 

Das Dynamometer, anf das man. vor 80 Jahren grüße Hoffnungen gesetzt 
hatte, ist fast gänzlich außer Gebrauch gekommen. Die mniataa Lehrbücher 
erklären es für eine unnütze Vorrichtung. 

In der Tat ist die übliche Form des Instrumentes, die man als das Colli»* 
sehe Dynamometer bezeichnet, zwar nach einem richtigen Prinzip konstruiert, 
aber recht unzweckmäßig. Der Rand der elliptischen Feder schneidet beim 


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Druck sehr unangenehm in die Hohlhand ein; hat man mehrmals hintereinander 
gedrückt, ist der Schmerz schon so lebhaft, daß Serien von Messungen und ver¬ 
gleichende Versuche unmöglich sind. Ein weiterer Übelstand ist der, daß die 
Feder zu stark ist, weil das Instrument für das Maximum der Körperkraft ge¬ 
baut ist Dadurch ist aber die Teilung zu eng, die Feder zu hart, die Angaben 
für schwache Drücke wenig verläßlich. 

Ein bestimmtes Problem, über das an einem anderen Orte berichtet werden 
soll, machte eine Serie von Messungen des Händedruckes erforderlich. Ich be¬ 
strebte mich daher, für das Dynamometer eine handlichere Form als die bis¬ 
herige zu finden. Nach mancherlei Versuchen wurde das abgebildete Instrument 
konstruiert, das seit 2 Jahren an meiner Spitalsabteilung im Gebrauch ist und 
sich vollständig bewährt hat. 



Es besteht im wesentlichen aus zwei parallelen Röhren aus Stahl, die an 
den einander zugekehrten Seiten einen Schlitz haben, in den eine flache elliptisch 
geformte Feder eingelassen ist, so daß die beiden Röhren dadurch federnd ver¬ 
bunden sind. An der einen Röhre ist der geteilte Kreisbogen, an der anderen 
eine Zahnstange befestigt, welche den Druck mittels eines Zahnrades auf den 
Zeiger überträgt. Die Außenfläche der Röhren ist rauh, so daß das Instrument 
in der Hand nicht gleitet. 

Die Skala reicht nur bis 50 kg, was vollständig genügt, da das Instrument 
ja für Kranke und nicht für Athleten bestimmt ist. Man gewinnt dadurch den 
Vorteil, daß auch ein Druck von wenigen Kilogrammen mit genügender Genauig¬ 
keit bestimmt werden kann. 

Wenn man vollkommen exakte Messungen vornehmen will, muß man selbst¬ 
verständlich die empirische Eichung von Zeit zu Zeit nachprüfen, was einfach 
iu der Weise geschieht, daß man die untere Röhre in einen Schraubstock spannt 
und die obere mittels angehängter Gewichte belastet. 

Die Firma H. Reiner in Wien (IX. Van Swietengasse 10) führt das In¬ 
strument nach dieser Konstruktion aus und liefert es zum Preise von 40 Kronen. 


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[Aas dem Laboratorium der psychiatrischen Klinik za Florenz.] 

3. Ein Fall von Heterotopie des Nucleus arciformis. 

Von Dr. Q. Catola, 

Assistenten an der psychiatrischen Klinik. 

' * Wie bekannt, ist der Nüelens arciformis eine Anhäufung von grauer Sub¬ 
stanz, wdehe die ventrale oder medial-ventrale Oberfläche der "vorderen Pyra¬ 
miden umgibt undt die zwischen den zwei Schichten der Fibrae arcnatae externae 
anteriores (Stratum dorsale und Stratum ventrale), welche ihn vorderseits von 
der Oberfläche des Bulbns und hinterseits von Pyramidenbahnen trennen, ein* 
gebettet wird. _ 

In der Bibliographie ist vor allem sein Wechsel an Größe bei den ver¬ 
schiedenen Individuen bekannt; eigentliche Anomalien kennen wir nicht Es 
sind nur einzelne Fälle beschrieben worden , Wobei die Fasern des N. hypoglossus 
den Kern durehschbitten (Mikgazzini, Maiiburg, VoLbi-GHiRARDiNi), oder die 
Einteilung desselben in mehrere kleinere Kerne stattfand. Selten wurde irgend einer 
von den letzteren an der Peripherie der Seitenstränge des verlängerten Markes 
gefunden (V olpi - Ghirabdini). yan Gebuchten in der letzten Ausgabe des 
Handbuches der Anatomie des Nervensystems (1906) betont, daß die anatomi¬ 
schen Verbindungen des N, arciformis noch unbekannt sind. So hätten die 
Fibrae arcuatae externae anteriores, welche ihrer Topographie nach eng mit dem 
N. arciformis verbanden zu soin scheinen, keine Ursprungsbeziehungen mit ihm, 
wie die Mehrzahl der Forscher meint 

Tatsächlich f&r einige würden diese Fasern von den Kernen der Hinter¬ 
stränge abstammen, für andere hingegen von den Zellen der retikulären Sub¬ 
stanz — Fibrae reticnlo-cerebellares —. Jedenfalls würden sie immerhin eine, 
meistens gekreuzte, assoziative Bahn zwischen dem Bulbus und dem Klein¬ 
hirn bilden. 

Testut bemerkt aber, daß unter den Fibrae arcuatae externae anteriores 
einige mit dem N. arciformis in Verbindung treten. Diese Fasern würden in 
dem bezeichneten Kern eine Unterbrechung erleiden, um nachher zum .Gehirn 
aufzusteigen. Diese Begehungen sind noch nicht genügend . fe6tgestellt Es ist 
aber gewiß, daß man in Weigert-Pal’ sehen Präparaten in dem N. arcifonnis 
einen dichten Filz sieht, welcher aus feinen Fasern besteht, die zweifellos mit 
dem Sysjtoni der Fibrae arcnatae in Verbindung stehen, deren End Verästelungen 
und Ursprünge sie bilden (Mingazziki, Obebsteineb, Dejebine). 

Die Forscher sind noch nicht einig über die anatomische Bedeutung, 
welche diesen Kernen zuznsprechen sei, denn,. wählend einige sie als eine 
homologisobe Bildung der grauen Kerne vom Pons betrachten und sie haupt¬ 
sächlich auf Fälle stützen, bei welchen Fortsetzung beider Bildungen stattfindet, 
beachten andere dieselben als selbständige Bildungen. Zorn Beweis dieser 
zweiten Meinung liegt die Tatsache vor, daß die Nuclei arciformes jenen Tieren 

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fehlen, bei welchen im Gegensatz die Nuclei pontis mehr oder weniger ent¬ 
wickelt sind. • 

Wie man ersieht, sind unsere Kenntnisse über die anatomischen Ver¬ 
bindungen des N. areiformis und über die morphologische Bedeutung desselben 
noch unvollständig und unbestimmt Ich halte es deshalb für nützlich, einen 
Fall zu veröffentlichen, welcher dazu beitragen kann, etwas Licht in diese be¬ 
strittene Frage zu werfen. 

Indem ich die Medulla oblongata eines Kranken, der an Pabkinsok’ söher 
Krankheit gelitten hatte, schnitt, bemerkte ich, daß die N. arciformes, anstatt, 
wie gewöhnlich, an der Peripherie der Pyramiden gestellt zu sein, im Gegenteil 
im Innern derselben sich fanden, so daß beide Pyramiden in zwei Teile getrennt 
blieben; einen vorderen und einen hinteren Teil (Fig. I). . > 


Fig. 1. Py Pyramide, R Kaphe, NA Nucleus areiformis, 0 Olive. 

Nur in der Höhe der oberen olivären Region nimmt der N. areiformis 
seinen gewöhnlichen Platz ein in Beziehung mit der Vorderoberlläche der Pyra¬ 
miden. Abwärts von der mittleren olivären Region ändern sich die anatomischen 
Verhältnisse: der N. areiformis beginnt mehr und mehr in die Tiefe zu 
wandern, so daß er durch eine Schicht von pyramidalen Fasern von der Ober» 
fläche des Bulbus getrennt wird. Je weiter eT nach abwärts zieht, je mehr 
entfernt sich der N. areiformis von der Oberfläche, so daß er in der unteren 
olivären Region beiderseits die Pyramiden fast zur Hälfte zerteilt. Auf dieser 
Höhe durchzieht der N. areiformis die Pyramiden transversal weise, und zwar einer 
Linie folgend, die zwischen dem Sulcus praeolivaris und der Fissura longit. ant 
gezogen wäre (s. Fig. 1). Solche Beziehungen bleiben ununterbrochen bis zum 
unteren Ende de9 Nucleus. 


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Was wir in unserem Befund als besonders betrachten, ist das eigentüm- 
liebe Verhalten der Fibrae arcuatae eit ant Oben, in der oberen olivären 
Gegend, wo der N. arciformis noch seine normale Stellung einnimmt, haben 
diese Fasern mit ihm die wohlbekannten Beziehungen, aber etwas weit« nach 
unten, wo der Kern nach dem Innern zu wandern beginnt, begleiten ihn die 
Fibrae arc. ext ant in seiner ganzen Wanderung. So in der unteren olivären 
Gegend, wo der N. arciformis die äußerste Abweichung des normalen Verhaltens 
darbietet, sehen wir ihn zwischen zwei Schichten transversal gerichteter Fasern, 
welche die eine ventral- und die andere dorsalwärts des Kernes liegen und die 
Fibrae arc. ext. ant darstellen (Fig 2). Dagegen findet man an der vorderen 



Fig. 2. XA N. arciformis, SD Stratum dorsal« der Fibrae arcuatae ext. anteriore», 
5 V Stratum ventrale derselben Fasern. 


Fläche der Pyramiden, d. b. im gewöhnlichen Sitz der ventralen Schicht^ der 
Fibrae arc. ext ant, nicht einmal eine dieser Fasern. Im Gegensatz zu dem, 
was unter normalen Verhältnissen geschieht, werden hier keine merklichen 
Unterschiede zwischen der Dicke der Fasern beider Schichten gefunden. Alle 
diese Fasern, wenn sie die Mittellinie erreicht haben, kreuzen, sich meistens im 
Grunde der Fissura mediana ant (Fig. 3) und richten sich dann nach'oben, 
wobei sie in der iaterolivaren Schicht verloren gehen. 

Die Wichtigkeit des Falles liegt neben der Seltenheit der Heterotopie des 
N. areiformis vorzugsweise in dem Verhalten der Fibrae arc. ext ant Tatsäch- 
lioh, da, wie man gesehen bat, diese Fasern gänzlich das Schicksal des Xucleus 
arciformis erleiden, indem sie ihn in seiner ganzen Wanderung begleiten, so 


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kann man schließen, daß sehr wahrscheinlich ihr Ursprung größtenteils eng 
mit ihm verbunden sein soll. 

Die Serienschnitte des Bulbus und der Protuberantia bewiesen auch, daß 
in diesem Falle kein freier Zwischenraum zwischen der grauen Substanz der 


R 


Fma 


Fig. 3. R Raphe, Fma Fissura mediana anterior. 

■. t 

Protuberantia und dem N. arciformis besteht; die letztere löst sich ohne Unter¬ 
brechung in die erstere auf. Wenn diese anatomischen Beziehungen nach An¬ 
sicht einiger Autoren dazu dienen sollen, eine enge Homologie zwischen der 
grauen Substanz des Pons und des N. arciformis zu beweisen, so würde unser 
Fall, wenn man die eigentümliche Lokalisation des Kernes im Innern des Organs 
berücksichtigt, in ganz besonderer Weise für diese Homologie sprechen. 


4. Myatonia congenita, Myohypotonia. 

Von William G. Spüler, M. D., 

Professor of Neuropathology and Associate Professor of Neurology in the 
University of Pennsylvania. 

Prof. Bernhardt berichtet in diesem Centralblatte. 1907. Nr. 1 über den 
Fall von Myatonia congenita, den ich in dem University of Pennsylvania Medical 
Bulletin. 1905. Januar beschrieben habe, und bezeichnet gewisse Erscheinungen 
bei dem Fall als atypisch. Soweit ich es seinem Berichte entnehmen kann, sind 
dies: 1. Beginn des Zustandes im 5. Lebensmonat, 2. die Reaktion auf den 
faradischen Strom, 3. die Schlingbeschwerden, 4. Blindheit, 5. Strabismus. 

1. Die verständige Mutter des kleinen Patienten gibt au, daß von den 
Eltern vor dem 5. Lebensmonat nichts Abnormes bemerkt worden ist Zu 
dieser Zeit erst bemerkte man, daß es den Dingen nicht seine Aufmerksamkeit 

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schenkte, das heißt natürlichnicht, daß die Hypotonie im 6. Monat begonnen 
hat. Der Knabe war niemals imstande za stehen oder etwas in den Händen 
za halten, and die Matter hat eine Zunahme dieser Schwäche seit der Geburt 
des Kindes nicht beobachten können. Sie hat offenbar diese Sohwäohe bei einem 
Kinde in diesem Alter nicht für ungewöhnlich gehalten. 

2. Nach einem Berichte über den elektrischen Befund, der mir von einem 

der Assistenten der neurologischen Klinik gegeben wurde,. antworteten die 
Muskeln auf den faradischen Strom. Ich bin nicht, imstande zu sagen, ob nicht 
ein stärkerer Strom als sonst üblich, angewendet wurde oder welche Muskeln 
geprüft worden. • 

3. Die Schlingbeschwerden zeigten sich erst nach dem Absetzen. Da man 

das Kind nicht dazu bringen konnte, Kuhmilch zu .nehmen, wurde es nach 
der Entwöhnung immer mit dem Nasensohlanch ernährt. Die Schlingbeschwerden 
halte ich nicht für wichtig. ■ < ■ . ; : 

4. Es bestehen keine Beweise, daß däs Kind blind war*, wiewohl Blindheit 
weder verneint noch bejaht werden kann. Das / Kind war so schwach, daß es 
nur ein oder zwei Minuten allein sitzen konnte, wenn inan es aufgerichtet hatte. 
Der Kopf fiel dabei nach vorwärts. Man ist berechtigt anzunehmen, daß ein 
solches Kind sich nicht darum bekümmerte, was in seiner Umgebung vorging. Ich 
habe in meinem Bericht über den Fall schon erwähnt, daß bei der Untersuchung 
das Kind eine Uhr, die vor seinen Augen gehalten wurde, zu bemerken schien. 
In bezug auf die Blindheit and das Schielen habe ich in diesem Falle Herrn 
Dr. G. E. db Schweinitz, Prof, der Augenheilkunde an der Universität of 
Pennsylvania, befragt. Er konnte folgendes feststellen: 

Auf Ihre erste Frage:' „Läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß das 
Kind blind war“, habe ich za erwidern, daß ich leider nicht imstande bin, 
Ihnen andere Angaben zu machen, als in meinem ursprünglichen Brief vom 
1. November 1904 enthalten waren. Die Tatsaohe, daß die mikroskopische Unter¬ 
suchung keine pathologischen Veränderungen im N. opticus ergab, könQte nur be¬ 
weisen, daß dos Kind nicht infolge einer Opticusatrophie blind war, wiewohl 
dadurch eine Blindheit ohne Veränderungen im N. opticus nicht ausgeschlossen ist, 
d. b. ohne ophthalmoskopische Veränderungen, wie z. B. bei einzelnen Patienten 
mit sogenanntem Turmscbädel berichtet wurde. 


Ihre zweite Frage: „Wie häufig ist nach Ihrer Erfahrung der Strabismus 
concomitans convergens und was ist nach Ihrer Meinung seine Bedeutung?“, 
habe ich zu erwidern, daß diesö Störung recht häufig vorkommt Unter 
6457 Kranken, die in der Augenambulanz des Universitätskrankenhauses in 
Philadelphia vom 1. September 1902 bis 1. September 1905 untersucht wurden, 
waren 189 mit Strabismus concomitans. Ich bezweifle sehr, daß diese Zahl 
genau ist, da die Fälle manchmal unter die Fälle mit Strabismus concomitans 
und manchmal unter die Kefraktionsanomalie, mit der sie verbunden waren, 
eingereiht wurden. Nur eine genaue Durchsicht der Krankenprotokolle 
würde diesen Punkt auf klären. Das durchschnittliche Alter, in dem das 
konvergierende, konkomitierende Schielen auftritt, ist 3 x / 2 Jahre, aber eine 


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ganze Anzahl einseitiger Erkrankungen beginnen früher. Wanrn stallte 
1017 Falle einseitigen, konvergierenden Schielens and 176 Fälle alternativen 
Strabismus zusammen. Von der 1. Groppe entwickelten sich 184 Fälle im 
1. Lebensjahrs, 186 zwischen dem 1. und 2. and 247 zwisflhem 2. and 8. 
Ton der 2. Gruppe waren entwickelt 61 vsr dem Ablauf des 1. Lebensjahres, 
84 zwischen dem 1. und 2. und 23 zwischen dem 2. und 8, Jahre. Viele 
Umstünde sind es, weche konvergierendes Schiden verursachen. Im allgenieinen 
beruht dieses Leiden auf einer Störung der Beziehung swisohen Akkommodation 
and Konvergenz, die durch Refraktionsfehler verursacht wird; ferner beruht es 
auf dem Umstand, daß Länge, Dicke und Spannung der antagonistischen 
Muskeln nicht im richtigen Gleichgewicht stehen. Eine Ursache ist Ungleich¬ 
heit in der Sehschärfe der beiden Angen, oder Amblyopie eines Auges, welche 
den natürlichen Reiz entfernen, der sonst zur Vereinigung der Doppelbilder zu 
einem einzigen führt. Ferner kommt als Urache in Betracht innerrationsstörnngen 
und mangelhafte Entwicklung der Fähigkeit, die Doppelbilder zu einem einzigen 
zu ve reell melzen (Fusion faculty). Es ist wahrscheinlich, daß letzterer Umstand, 
nämlich völliger Mangel oder unvollständige Entwicklung der Fähigkeit, die 
Doppelbilder za einem einzigen zu vereinigen (Fusion faculty), die wirkliche 
Ursache des Schielens darstellt. 

Eb ist wahrscheinlich, daß gerade die letzterwähnte Bedingung, d. h. 
Koordinationsfehler, mangelhafte Entwicklung der Koordinationsfahigkeit, in 
Wirklichkeit die entscheidende Ursache des Schielens ist 

Ist diese Hauptbedingung gegeben, dann kann das Schielen durch ver¬ 
schiedene Umstände ausgelöst werden, also Refraktionsfehler, Emäagigkeit, heftige 
Gemütserschütterungen, Erblichkeit usw. entsprechend der Ansicht gewisser 
Forscher, besondere Worth. Priestley Smith faßt die Sache etwas anders 
auf und erklärt den Strabismus oonvergens als eine Störung der Innervation, 
bei welcher die Sehcentren den Akt der Konvergenz nicht mehr ganz regeln 
können. Dadurch ist die Konvergenz herabgesetzt und wird automatisch. Aas 
der Krankengeschichte des Falles und aus den unvollständigen Angaben der 
Angenuntereuchung, die Sie erhalten haben, folgere ich, daß das Kind an einem 
gewöhnlichen Strabismus convergens der eben beschriebenen Art litt, und daA 
es in keiner Hinsicht ein Zeichen von Lähmung eines der äußeren Augenmuskel* 
war. Soweit ich aus der Prüfung Ihrer Arbeit und den sie begleitenden Be¬ 
richten ersehen kann, besteht kein Zeichen dafür, daß das Kind in dem gewöhn¬ 
lichen Sinne des Wortes blind war. Die fehlende Aufmerksamkeit scheint mir, 
wie Sie selbst angeführt haben, durch die große Schwäche, die das Kind zeigte, 
durch die Haltung des Kopfes, durch die im physischen Zustand bedingte Gleich¬ 
gültigkeit des Kindes genügend begründet zu sein. loh glaube, es kann kein 
Zweifel bestehen, schon auf Grund Ihrer eigenen Untersuchung, aber auch wegen 
der Angaben, die ich dem Berichte entnehmen kann, daß die Angenstörungen 
nichts Gemeinsames haben mit denen, die berichtet worden sind in Verbindung 
mit der sogenannten amaurotischen, familiären Idiotie. 


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5. Kurze Bemerkungen über Fibrillogenie im 
Ceotraloerveosystem des Menschen zur Arbeit Brodmenn’s: 
„Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen 
zur Myelogenie mit besonderer Berücksichtigung des Cortex 

cerebri.“ 


(Nearologv Cntnlblxtt. 1907. 8» SS8.) 
Von Dr. Rio. OHetlioh in Wiesbaden. 


Die verdienstvollen Untersuchungen B&odmann’s über die Fibrillogenie 
veranlassen mich, ein offenbares Mißverständnis richtig zu stellen, welches er 
betreffs meiner Ansichten über diesen Gegenstand in obiger Arbeit äußert, zu¬ 
mal unsere Ergebnisse nicht in der Weise voneinander abweiohen, wie er an¬ 
nimmt Ich habe nämlich nicht, wie Brodmann meint die Ansioht vertreten, 
daß der Beginn der Fibrillogenie in der Hirnrinde des Menschen in den 8. bis 
9. fötalen Monat zu verlegen sei In der von Bbodmakn zitierten Arbeit 1 kam es 
mir darauf an, die Rückständigkeit der Entwicklung der Fibrillen in den Pyra¬ 
midenzellen der motorischen Binde gegenüber der Fibrillenbildung in der 
Pyramidenbahn des Rückenmarkes und verlängerten Markes auf Grund von 
Bielschowsky-Bildern an Föten von bestimmtem Alter nachzuweisen. Über die 
extrazellulären Fibrillen der motorischen Rinde, die ja bei weitem nicht alle der 
Pyramidenbahn angehören, äußere ich mich bei Beschreibung eines Fötus ans 
dem 6. bis 7. Monat beiläufig, 1 daß solche Fibrillen sehr spärlich vorhanden 
sind. Namentlich das frühe Auftreten der Fibrillen in der Regio zonalis fiel 
mir gleich Bbodhakn stets auf. Wenn ich also im 6. Monat Fibrillen in der 
Hirnrinde fand, Bbodmann solche bereits im 5. und auch 4. Fötalmonat ge¬ 
sehen hat, Stadien, die mir zur Untersuchung nicht Vorlagen, so widerspricht 
das meinen Untersuchungen nicht, and es besteht vor allem keine „gewaltige 
Differenz von vier und mehr Monaten" in dem ersten Auffinden der Fibrillen 
in der Großhirnrinde. Betreffs einer genaueren Darstellung der Fibrillogenie 
in der Hirnrinde, verweise ich auf die demnächst bei Brrgmak# erscheinende 
Monographie von mir und Herxhbimeb: „Über die Neurofibrillen im Central¬ 
nervensystem.“ 

Ein größerer Unterschied besteht allerdings in unseren Befunden über das 
erste Auftreten der Fibrillen in den Vorderhornzellen des Rückenmarkes. 
Bbodmank konnte bei einem etwa einmonatlichen menschlichen Fötus Fasern 
der vorderen Wurzeln bis in die grauen Vorderbörner verfolgen, „wo sie als 
zarte fibrilläre Strukturen innerhalb eines plasmatischen Synzytiums erscheinen“. 8 
Bei menschlichen Föten aus dem Beginn des 3. Monats fand ich dagegen in 


1 Gebblich, Über die Entwicklung der Neurofibrillen in der Pyramidenbahn des 
Meniohen. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 

* L. c. 8.102, Zeile 9. 

* Anatom. Anzeiger. Ergänzungaheft zum XXIX. Bd. 1906. S. 288. Zeile 33 ff. 


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den bereits in Groppen geordneten, wohl abgegrenzten Zellen des Vorderhorns, 
nm einen seltener dunklen, meist hellen Kern, das Protoplasma angefüllt mit 
braunen vetklumpten Massen/ Irgend welche Fibrillen oder fibrilläre Struk¬ 
turen waren in demselben mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Der extrazellulare 
Faserfilz des Vorderhorns zeigte sich dagegen bereits reichlich entwickelt, des¬ 
gleichen die vorderen Wurzeln und konnte man deutlich einzelne Fasern der 
Wurzeln bis in den Faserfilz des Vorderhorns hinein verfolgen. 

Der jdngste, von mir untersuchte menschliche Fötus gehörte der 8. bis 
9. Woche an und bot in bezug auf Vorderhornzellen und vordere Wurzeln 
obige Verhältnisse; jüngere Föten standen mir bisher nicht zur Verfügung. 

Betreffs der angewandten Methode betone ich ausdrücklich, daß alle von mir 
beschriebenen Schnitte mit dem Kohlensäuregefriermikrotom hergestellt wurden, 
was bei frisch eingelegtem, gut gehärtetem Material mir stets zur Zufriedenheit 
gelang. Nur in bezug auf Schnitt und Färbung gut gelungene Präparate wurden 
der Beschreibung zugrunde gelegt 

Ich brauche wohl nur zu bemerken, daß mir die betreffenden Arbeiten 
Bbodmann’8 und Held’s bei der Abfassung meiner Mitteilung bekannt waren, 
während ich allerdings eine genauere Berücksichtigung derselben auf die ge¬ 
meinsame größere Arbeit verschob. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Von der protoplasmatlsohen und faserigen Stütssubstana des Centrai¬ 
ner ven Systems, von Dr. W. Spiel meyer. (Archiv f. Psychiatrie. XLIL 
1907.) Ref.: G. Ilberg. 

Was die Entwicklung der Gliafasern anbetriffib, so fand Verf. die ersten 
Gliafibrillen in Form feinster Körnchenreihen und Streifen im Protoplasma der 
breitverästelten großen Gliazellen angelegt. An der Zellmembran, also in den 
peripheren Partien des Zelleibes, war die Entwickelung der Fasern immer am 
weitesten fortgeschritten. Dort scheinen sich manche Fasern „abzurollen“. In 
späteren Entwicklungsstadien enthält auch der centrale Abschnitt der Fortsätze 
distinkte Gliafibrillen. Da die großen Gliazellen vielfach miteinander anastomo- 
sieren, so sind ihnen die protoplasmatischen Verbindungsbrücken und auch die 
darin angelegten Gliafasern gemeinsam. Da es sich somit nicht entscheiden läßt, 
welcher Zelle die Fasern in diesen Protoplasmakomplexen angehören, sind die Glia¬ 
fasern pluricellulärer Genese. Mit den Befunden am embiyonalen Stützgewebe 
stimmen die Untersuchungen über die Faserentwicklung unter pathologischen Be- 
dingungen durchweg überein. Die Intercellularsubstanz entsteht zunächst endo- 
cellulär im Protoplasma, sie ist eine modifizierte Zelleibsubstanz. — Zweifellos 
gibt es unter pathologischen Verhältnissen eine große Reihe von Gliazellen, bei 
denen die Fasern dauernd in substantiellem Zusammenhang mit dem 
Protoplasma bleiben (progressive Paralyse, Arteriosklerose, experimentell erzeugte 
Glianarben, cerebrale Hemiatrophia). Erst bei einer guten Kontrastfärbung des 
Protoplasmas kann man diese räumlichen Beziehungen einwandfrei zur Daretellung 
bringen; an Weigertschen Faserpräparaten kann man oft nur das Phänomen 
der Anlagerung konstatieren. — Die plasraatischen faserführenden , gebündelten“ 

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Fortsätze setzen sich nun breit fußförmig an den Gefäßen an. Ihr Protoplasma 
verschmilzt dort mit dem der anderen Fasern bzw. mit dem Plasma der in der 
Grenzschicht gelegenen Gliazellen. Auch anscheinend einheitliche Fasern teilen 
sich oft an ihrem perivaskulären Ende in Einzelfibrillen auf, die durch ein feines 
Häutchen eingefaßt werden. Viele Fasern, die vorher nackt erschienen, bekommen 
vor ihrem Eintritt in die vaskuläre Grenzschicht eine feine saumartige Umhüllung. 
An der meningealen Oberflächenzone verhalten sich die Fußstücke der Glia- 
fasern ähnlich wie an den Gefäßen. An vielen Stellen der Rückenmarksperipherie, 
am Großhirn, Kleinhirn und Opticus konnte eine äußere Grenzmembran nach¬ 
gewiesen und die kelchförmige Verknüpfung derselben mit den Gliafaserenden 
erkannt werden. Auch hernienartige Vorstülpungen der Membran durch vordrängeu- 
des Gliagewebe waren nicht selten festzustellen. Von einer kontinuierlichen Grenz¬ 
membran, welche zwischen centralem und mesodermalem Gewebe einen Grenzsaum 
bildete, geben die Präparate des Verf.’s keine Anschauung. 


Physiologie. 

2) Über den Einfluß der Muskelermüdung bei partiell parathyreoidekto- 
mierten Hunden, von A. Massaglia. (Gazzetta degli ospedali e dolle cliniche. 
1906. Nr. 105.) Autoreferat. 

Durch die Tierversuche von Verf. erhellt, daß man bei einem partiell para- 
thyreoidektoraierten Hunde, der einer langen Muskelanstrengung unterworfen wurde, 
immer einen parathyreopriven Krampfanfall erzielt. 

Das bedeutet, daß der Zustand von latenter Insufficienz der parathyroidalen 
Funktion augenscheinlich wird, weil die zurückgebliebene Parathyroiddrüse nicht 
mehr imstande ist, durch ihre Sekretion den größten Teil der Gifte zu neutrali¬ 
sieren, welche sich durch Muskelanstrengung gebildet haben. 

Auf Grund dieser experimentellen Angaben kommt Verf. zum Schlüsse, daß 
die parathyroidale Sekretion eine neutralisierende Wirkung gegen regressive Pro¬ 
dukte der muskulären Arbeit haben soll. Was die parathyroidische Lehre der 
Eklampsie anbelangt, so beweisen die experimentellen Resultate des Verf.’s, daß 
zur Entstehung des eklamptischen Anfalles die Gifte der Muskelanstrengung mit- 
wirken sollen, wie Vassale sehr richtig bemerkt hat: somit ist der Muskel¬ 
anstrengungsfaktor ohne Zweifel derart wichtig, um die Häufigkeit der Eklampsie 
bei Primiparen zu erklären, bei denen eben die Geburt länger und mühevoller ist. 

Verf. hebt noch das Verhältnis zwischen der Parathyroiddrüse und der 
Niere hervor, die sich aber flüchtig erkrankt zeigt und, wie bei der Eklampsie, 
nachher den normalen Zustand wieder erlangt. 


Psychologie. 

3) Allgemeine analytisoh-synthetische Psyohognosie parallel aur Physik 
and Physiologie, von Prof. Dr. S. Stern. (Wien 1906, Dorfmeisters Ver¬ 
lag.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß es weniger den Philosophen als 
den Ärzten bisher geglückt ist, einiges Licht in die menschliche Psychologie zu 
bringen und hier den vielfach phantastischen Anschauungen reellere Tatsachen 
entgegenzusetzen. 

Und wieder bemüht sich ein alter, erfahrener Arzt aus seiner Erfahrung 
heraus in das Dunkel des Seelenlebens zu leuchten, in jene inneren Zustände, die 
der Mensch nur allein in seinem Inneren wahrnimmt, und die Ursache seiner 
Leibesbewegungen werden. All das wissenschaftlich zusammengefaßt ist Psycho- 
gnosie. 


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Aber Verf. begnügt sieb nicht, uns seine Anschauungen über Wahrnehmungen, 
Erinnerungsbilder, über Fühlen und Denken, die vielfach von den geltenden An¬ 
schauungen abweichen und viele originelle Auslegungen zeigen, darzulegen. Er 
baut uns nicht nur das Individuum, sondern er benutzt dieses nur als Ausgangs¬ 
punkt, um seine Grundanschauungen der gesammten Biologie darauf zu stützen 
und schließlich zu allgemeineren Gesetzen des Werdens und Lebens überhaupt 
zu kommen. 

Es ist nicht möglich, aus der Fülle des Materiales auch nur ein Detail 
herauszugreifen und eingehender zu referieren, da die Eigenart der Auffassungen 
immer eine längere Begründung voraussetzte. 

Man schöpft aus dem Buche eine Fülle von Anregungen; und es ist gewiß 
ein nachahmenswertes Beispiel, daß Verf. seine wissenschaftlichen Lebenserfahrungen, 
anstatt sie uns in einer der landläufigen Biographien zu übermitteln, in eine 
ernste, wissenschaftliche Form gebracht hat. 


Pathologische Anatomie. 

4) Klinischer und pathoiogisoher Beitrag zum Studium der halbseitigen 

Hypertrophie, von Dr. Luigi Cagiati. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenkeilk. 
XXXII. 1907.) Ref.:E. Asch. 

Bei einem 11 Monate alten Kinde jüdischer Abstammung besteht von Geburt 
an eine Hypertrophie der linken Körperhälfte und an einzelnen Stellen dunkle 
Verfärbung der Haut mit Verdickung der Epidermis, während an den blassen 
Stellen die Haut glatt und dünn erscheint. Ferner bestehen am rechten Knie 
und in der Gegend des Steißbeines unregelmäßig geformte Naevi von violettroter 
Farbe. Am Skelett keine rhachitischen Veränderungen. Die Stirn- und Hinter¬ 
kopfknochen der linken Seite springen stärker vor, der linke Nasenflügel ist mehr 
entwickelt als der rechte, die linke Nasenlippenfalte ist fast ganz glatt, der rechte 
Mundwinkel ein wenig nach außen gezogen. Die ganze linke Gesichtshälfte er¬ 
scheint fleischiger als die rechte, besonders ist der linke Unterkieferwinkel stärker 
entwickelt als der der rechten Seite. Ferner ist das Zahnfleisch links dicker, die 
linke Zungenhälfte erscheint größer, der Gaumenbogen tiefer, die. Mandeln links 
stärker ausgebildet als rechts. Auch ergeben die genauen Messungen, daß der 
Hals, die Brust, der Unterleib, das Becken, die oberen und unteren Extremitäten 
auf der linken Körperhälfte eine stärkere Entwicklung erkennen lassen. Das 
linke Auge ist größer alB das rechte, der Geruchssinn fehlt links, es besteht links¬ 
seitige Facialislähmung mit Entartungsreaktion, Neigung zu Entartungsreaktion 
der Gesichtsmuskeln links und Verminderung der galvanischen Reizbarkeit in fast 
allen Muskeln der linken Körperhälfte. Das Kind starb an einer Gastroenteritis. 
Bei der anatomischen Untersuchung fand sich am Gehirn kein Unterschied der 
Entwicklung, am Rückenmark eine Verdickung der Dura. Sämtliche Blutgefäße 
der linken Körperhälfte sind stärker entwickelt als die der rechten und haupt¬ 
sächlich in dem der Tunica media und intima entsprechenden Teil; die. Wand des 
linken Ventrikels ist verdickt, die linke Lunge und besonders die linke Niere 
ist größer als die rechte. Die mikroskopische Untersuchung ergab eine Hyper¬ 
trophie und Hyperplasie des Stützgewebes zwischen den Muskelbündeln, dem Exo- 
neurium, dem Perineurium und dem Endoneurium in den Nervenstämmen und 
Ganglien des Sympathicus ohne Veränderung des Muskel- und Nervengewebes. 

Verf. ist der Ansicht, daß es sich hierbei um eine Störung in der ersten 
embryonalen Periode des intrauterinen Lebens handelt, welche einzig und allein 
die Blutgefäße und das Bindegewebe betrifft. Über die Pathogenese der Störung 
lassen sich keine sicheren Anhaltspunkte gewinnen und nur Boviel läßt sich be¬ 
stimmt sagen, daß auch bei höheren Tieren das Blastoderm imstande ist unter 

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dem Einfluß innerer Ursachen in einer Hälfte übermäßige oder mangelhafte Ent¬ 
wickelung hervorzurufen. 


Pathologie des Nervensystems. 

5) Über p8yohoreflektorlsohe Krankheitssymptome , von Geh. Bat Gold¬ 
scheider. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 17.) Bef.: B. Pfeiffer. 

Verf.’a Versuch, den Begriff der „psychoreflektoriachen Symptome“ zu kon¬ 
struieren, ist interessant und verdient, selbst wenn man in Einzelfragen dem Verf. 
nicht beizustimmen vermag, allgemeine Beachtung schon in ßücksicht auf die 
Fülle eingestreuter, feiner, klinischer Beobachtungen und Bemerkungen. 

6) Hysterie und Invalidität, von Prof. Meyer in Königsberg i/Pr. (Deutsche 
med. Wochensohr. 1907. Nr. 6.) Bef.: B. Pfeiffer. 

Verf. zeigt an einer Beihe von instruktiven Beispielen, wie häufig das Wesen 
der Hysterie von praktischen Ärzten noch verkannt und wie oft bei der Begut¬ 
achtung gefehlt wird. Mit Nachdruck betont Verf. als leitenden Grundsatz, daß 
die Hysterie eine psychische Erkrankung ist, daher in erster Linie die psychi¬ 
schen Erscheinungen Beachtung verdienen, die körperlichen Symptome nicht über¬ 
schätzt werden dürfen. Verfehlt ist das Suchen nach einem körperlichen Leiden, 
um der Hysterie als Haupt- oder einzigen Diagnose aus dem Wege zu gehen, 
ln allen zweifelhaften Fällen ist stationäre Beobachtung angezeigt Die Kranken 
zuerst ohne jede Behandlung abzuweisen, in der Annahme, daß Arbeit und Nicht¬ 
beobachtung das beste Heilmittel der Hysterie sei, ist völlig unrichtig. Die all* 
gemeine Schaffung von Nervenheilstätten für wenig- und unbemittelte Kranke ist 
auch vom Standpunkt der Verhütung und Verzögerung des Eintrittes der Inva¬ 
lidität Nervenkranker unbedingtes Erfordernis. 

7) I. Diseases of the nervous System resulting firom aooident and injury, 
by Pearoe Bailey. (New York and London 1906, D. Appleton and Company. 
627 S.) — II. La Simulation et Tlnterprötation des aooidents du travail, 
par Bene Sand. Pröface de Bommelaere. (Bruxelles 1907, H. Lamertin. 
639 S.) Bef.: Kurt Mendel. 

In aller Kürze sei auf diese beiden fleißigen Arbeiten, die sich aber für ein 
Beferat nicht eignen, hingewiesen. In der enteren wird zunächst die Unter¬ 
suchung des Unfallverletzten besprochen, dann werden die organischen sowie die 
funktionellen Nervenerkrankungen nach Trauma durchgegangen, schließlich die Über¬ 
treibung und* Simulation der Traumatiker abgehandelt. Speziell mit letzterem 
Thema beschäftigt sich das französische Werk, dasselbe bespricht jedooh auch — 
wie das englische — die Beziehungen der organischen und funktionellen Nerven¬ 
krankheiten zum Unfall, es zeigt den Unterschied zwischen Exaggeration und 
Simulation und macht mit den verschiedenen technischen Mitteln bekannt, die 
zur Entlarvung der Simulanten verwandt werden können. Sand kommt zu dem 
Schlüsse, daß die Simulation nicht in ernsthafter Weise die Zukunft der Arbeiter¬ 
versicherung bedroht. „Je besser man die Neurosen kennen lernt, desto weniger 
Simulanten sieht man.“ Die Zahl der im Literaturregister angeführten Arbeiten 
beläuft sich bei Sand auf nicht weniger als 2281, die deutsche Literatur ist 
in hohem Maße mitberücksichtigt. 

S) Prüfung nervöser Störungen auf Simulation und Übertreibung, von E rb en. 

(Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr. 13 bis 21.) Bef.: Pilcz (Wien). 

Gestützt auf reiche persönliche Erfahrung und gründliche Literaturkenntnis 
erteilt hier Verf. in sehr eingehender Weise dem Praktiker höchst beherzigens- 
und dankenswerte Batschläge betreffs der gerade im Zeitalter des Unfallswesens 
praktisch so wichtigen Frage der Simulation und Übertreibung. 

Auch der Fachmann wird den Aufsatz nicht ohne Nutzen lesen. 


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0) Die klinischen und fttiologisohen Bestehungen des Hitssohlages su. den 
Psyohosen und Neurosen, von Dr. Steinhausen. (t. Leuthold*Gedenk* 
sehrift. II.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Verf. hat aus einem 10jährigen Zeiträume 443 Fälle yon Hitzschlag in der 
deutschen Armee gesammelt und sie betrachtet 1. auf die sie begleitenden, 2. die 
ihnen als Nachkrankheiten folgenden Nerven* und Geistesstörungen. Unter den 
ersteren trennt er die typischen Formen: Hitzschlagcoma uud -delir, von dem 
atypischen Dämmerzustände, gewisse Krampfformen, organische, cerebrale und bul- 
bäre Herderkrankungen, Sprachstörungen. Die große Masse der Fälle zeigt das 
Hitzschlagcoma, das Delir ist indessen mit 78°/ 0 der Fälle weit häufiger als bisher 
angenommen wurde; die Mortalität bei letzterem beträgt 25°/ 0 , klinisch ut es dem 
Eollapsdelir am ähnlichsten. Bei den Dämmerzuständen ist hervorzuheben, daß 
in ihnen Handlungen von anscheinender Absichtlichkeit und Zweckmäßigkeit aus* 
geführt werden können, die erst bei näherer Untersuchung das Krankhafte er¬ 
kennen lassen. Unter den atypischen Krämpfen sind solche von „Chorea magna“, 
tetanusartige Zustände, Ataxie und Intentionstremor geschildert. Die transi¬ 
torischen Aphasien tragen stets die Merkmale organischer, nicht funktioneller 
Störung. In der „Erholungsperiode“ kommt es zu einer Reihe charakteristischer 
nervöser Störungen: Verstimmung, ängstlich-weinerliches Wesen, OppressionsgefÜhl 
auf der Brust, motorische Störungen (Zittern, tonische und klonische Zuckungen 
einzelner Muskelgruppen) und vasomotorische Störungen (fleckige Rötung, 
Schwellung des Gesichts, halbseitiges Schwitzen, Derinographie). Dazu kommt 
in diesem Stadium eine auffallende gesteigerte Suggestibilität, gelegentlich mit 
Zuständen völliger „Willenslähmung“ verbunden: Fehlen aller spontanen Reak¬ 
tionen, selbst Neigung zur Sistierung des Atems ohne Dyspnoe, Stupor. Die 
Frage nach dem Wesen der geschilderten akuten Rekonvalescenzerscheinungen 
beantwortet Verf. dahin, daß sie am besten ihre Erklärung finden, wenn man den 
Hitzschlag als eine spezifische, toxische, akute Psychose auffaßt, nicht als Folge 
einer einfachen Erschöpfung. Von den Störungen der Erholungsperiode haben 
sicher eine Anzahl eine psychogene Entstehung, für die Mehrzahl muß aber eine 
andere, tiefergreifende EntstehungsweiBe angenommen werden, weil die psycho¬ 
logische Erklärung bei ihnen gänzlich versagt. Verf. schlägt deshalb für dieselben 
die Bezeichnung als Hitzschlaghysteroid vor, das ein wohl charakterisiertes Krank¬ 
heitsbild darstellt. 

Unter den Nachkrankheiten herrscht an Häufigkeit die Hysterie vor, und zwar 
in einer auffallenden Eintönigkeit der Symptome, der sonst bei dieser Neurose so 
bezeichnende bunte Wechsel der Symptome fehlt fast ganz; diese Sonderstellung 
ist wohl ebenfalls dadurch bedingt, daß die Hysterie nach Hitzschlag den 
toxischen Formen näher steht, als den reinen psychogenen. Die Epilepsie ist als 
genuine Form unter den Nachkrankheiten nur einmal angegeben, häufiger handelt 
es sich um Mischformen, die vielleicht mit Recht ganz der Hysterie zuzurechnen 
wären. Auch bei der Neurasthenie überwiegen hysterische Zöge, so daß das Ge¬ 
samtbild nicht Belten der „traumatischen Neurose“ ähnlich wird. Seltener sind 
Kombinationen mit paranoiden Zuständen und Melancholie, von eigentlichen 
sekundären Psychosen liegen nur 3 Fälle vor (eine katatonische Form der Dementia 
praecox, eine „subakute hallucin. Paranoia“, eine Pseudoparalyse bzw. Paralyse mit 
weitgehender Remission), ein Zeichen, daß die ziemlich verbreitete Meinung von 
der Häufigkeit dieses Zusammenhanges eine irrige ist. Ein Fall von nach mehr¬ 
tägiger Benommenheit eintretender Hemiplegie mit Ptosis ging nach 6 Monaten 
in Heilung oub. Bei der Zerstreutheit der klinischen Beobachtungen, trotz der 
relativen Häufigkeit des Materials ist die Zusammenfassung des Verf.’s unter 
neurologischen Gesichtspunkten eine sehr verdienstliche Arbeit. 

10) Elektrische Gesundheit*Schädigungen am Telephon, von Dr. Kurelln. 

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(Zwanglose Abhandlungen ans dem Gebiete der Elektrotherapie und ver¬ 
wandter Disziplinen der medizinischen Elektrotechnik. Heft 5. Leipzig 1905, 

J. A. Barth.) Ref.: Hurt Mendel. 

Verf. bringt eine Reihe von Beobachtungen, Tatsachen und Betrachtungen 
über Starkstromschädigung beim Telephonieren. Im Vordergrund der Erscheinungen 
stehen Dyspnoe, Tachykardie und schwere Oppression. Vasomotorische Störungen 
fehlen oder sind wenig ausgeprägt. Neben mehr allgemeinen Symptomen kommen 
mehr lokale vor. Für die Lokalisation der Einwirkung ist wahrscheinlich die 
Art, wie man während des Starkstromshocks den Hörer hält, ausschlaggebend. 

Die Veränderungen des Nervengewebes durch Starkstrom bestehen darin, 
daß es in tiefen Rissen zerstört wird; zahlreiche Blutgefäße, zumal in der 
grauen Substanz der Rinde und der spinalen Vorderhörner, besonders aber der 
Medulla oblongata, werden zerrissen, zahlreiche Nervenzellen entweder zerrissen 
oder es findet eine beträchtliche Dislokation ihres Kerns statt (Jellineks Unter¬ 
suchungen). 

Die Individualität des Unfallssubjekts ist von großer Bedeutung für die Un¬ 
fallswirkung, ferner aber auch der Einfluß des vorauBgehenden berufsmäßigen 
Telephonierens, welch letzteres allein schon auf die Dauer zu Gesundheits¬ 
schädigungen des betreffenden Organismus führen kann. In jedem Falle von Läsion 
durch einen in die Telephonleitung geratenden Starkstrom ist die Prognose mit 
Vorsicht zu stellen. In prophylaktischer Hinsicht ist zu verlangen eine Sicherung 
der Luftleitungen der Straßenbahnen vor dem Kontakte mit Telephondrähten (zu 
diesem Zwecke Bind die Telephonleitungen in unterirdischen Kabeln zu führen, 
nicht oberirdisch und blank), ferner ein Blitzschutz an jedem Telephon (Kohlen¬ 
blitzableiter!) und schließlich ein Schutz gegen relativ geringe Überspannungen, 
die induktiv im Apparate selbst entstehen können, z. B. bei zu schnellem und 
anhaltendem Drehen der Induktorkurbel. (Steidles Apparat bietet solchen Schutz.) 

11) Über Krankheiten und Unfälle im Breuergewerbe, von B. Laquer. 

(Zeitschr. f. soziale Medizin. I. 1906. 25. Juli.) Ref.: Kurt Mendel. 

Aus einer Zusammenstellung seitens des Reichsversicherungsamtes geht hervor, 

daß das Brauereigewerbe auffallend viel Verletzte jährlich zu entschädigen hat. 
In Frankfurt hat seit Ablösung des „Haustrunkes“ (welcher sich z. B. in München 
im Durchschnitt pro Tag auf etwa 7 Liter beläuft) die Zahl der Betriebsunfälle um 
ein Viertel abgenommen. Die Centren des Bier-, Wein- und Branntweinkonsums 
zeichnen sich sowohl durch die meisten gewalttätigen Verbrechen (gefährliche 
Körperverletzungen) wie auch durch die Höchstzahl der Unfälle aus. 

Im Interesse der Brauereiberufsgenossenschaften und der großen Brauerei¬ 
firmen liegt es, die Unfallziffern herabzusetzen, denn damit sinkt auch die Höhe 
ihrer materiellen Zuschüsse zu den Unfallberufsgenossenschaften. Ein zweites In¬ 
teresse haben die Arbeiterorganisationen selbst; hier kann nur die Aufklärung 
wirken. 

Verf. rechnet aus, daß die Arbeiterversicherung nur in der Unfallabteilung 
Deutschlands jährlich 9 Millionen Mark sparen würde, wenn das Alkohol verbot 
auf der Arbeitsstätte so streng wie z. B. in Nordamerika durchgeführt würde, 
wo die Transportgewerbe von ihren Angestellten volle Enthaltsamkeit fordern. 

12) Über traumstlsohe Spätapoplexie, von Priv.-Doz. Wimmer. (Medizin. 

Klinik. 1907. Nr. 8.) Ref.: Paul Lissmann (München). 

Die Tatsache, daß oft nach einem geringen Kopftrauma zunächst ein Tage 
bis Wochen dauerndes Intervall ohne irgend welche Symptome, diesem aber dann 
eine schwere Apoplexie folgt, ist seit Bollingers Veröffentlichungen nichts mehr 
neues. Bollinger hat gezeigt, daß das Trauma eine Gewebsnekrose, diese eine 
Widerstandsverminderung der Gefäße und diese eine konsekutive Hämorrhagie 
erzeugt. Während nun bei jugendlichen, bisher gesunden Verletzten ein solcher 

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Zusammenhang ohne weiteres angenommen werden darf, begegnet die Beurteilung 
solcher Apoplexien bei alten Leuten mit Arteriosklerosis oder Scbrampfnieren usw. 
in ihrem Zusammenhang mit dem Unfall großen Schwierigkeiten. 

Verf. gibt nun die Krankengeschichte einer 46 jährigen Frau, die von einem 
Radler überfahren, mit der rechten Kopfseite auf das Pflaster fiel, etwa eine 
halbe Stunde bewußtlos war, sich aber rasch erholte und 3 Tage ungestört wie 
vor dem Unfall arbeitete. 

Am dritten Tage erwachte sie morgens mit einer vollständigen schlaffen 
Lähmung des rechten Beines und rechten Armes, sehr geringer Sprachstörung, 
Freibleiben des Facialis. Urin enthält etwas Eiweiß. Einige Tage später kam 
Taubheit auf dem linken Ohre hinzu, die aber von dem Otologen für funktionell 
erklärt wurde. Letzterer Umstand ließ an die Möglichkeit denken, daß es sich 
im ganzen um eine traumatisch hysterische Lähmung handeln könnte. Ein posi¬ 
tiver Babinski auf der Lähmungsseite deckte jedoch die wahre organische Matur 
der Paralyse auf. Verf. benutzt dies, um eindrücklichst auf die Wichtigkeit des 
Babinskischen Phänomens hinzuweisen. 

Die Hauptfrage nun, ob es sich in dem gegebenen Fall um eine echte post- 
traumatische Spätapoplexie handelt, getraut sich Verf. trotz negativer Anamnese 
nicht mit Sicherheit zu entscheiden, spricht vielmehr nur von deren Wahrschein¬ 
lichkeit und weist auf die Wichtigkeit einer derartigen Entscheidung in straf- 
prozeßlioher und zivilrechtlicher Beziehung hin. 

13) Bin Fall von traumatiBoher Abduceuslähmung, von Dr. J. Isakowitz. 

(Zeitschr. f. Augenheilk. 1906. Juli.) Ref.: Fritz Mendel. 

Es handelt sich bei dem 34jährigen Patienten um eine sekundäre, nach 
einem Fall auf den Hinterkopf entstandene komplette Lähmung der Außenwender, 
die völlig unkompliziert war. Verf. legt den Ursprung der Affektion nicht in die 
Kemregion, sondern an die Gehirnbasis, wobei eine Basisfraktur weder aus¬ 
geschlossen noch bewiesen werden kann. Eine auf dem Clivus etwa an der Grenze 
zwischen Keil- und Hinterhauptsbein gelegene Blutung, die aus der Art. cerebell. 
inf. ant. oder post, stammt, kann die beiden Abduoenten leioht komprimieren, 
ohne einen andern Nerv zu treffen. 

14) Trauma und Arterienerkrankung. Kurze Notiz von Prof. Dr. M. Bern¬ 
hardt in Berlin. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch. 

Im Anschluß an den von Erb mitgeteilten Fall von angiosklerotischer Be¬ 
wegungsstörung des ArmeB macht Verf. darauf aufmerksam, daß nach seinen Er¬ 
fahrungen bei dem Zustandekommen der Arteriosklerose dem Trauma ein größerer 
Wert beizulegen sein dürfte, als dies bisher vielfach geschieht. Er hat selbst 
mehrere Fälle beobachtet, in welchen sich frühzeitige Arteriosklerose im Anschluß 
an traumatische Einwirkungen ausgebildet hatte, und er regt deßhalb an, bei der 
Erforschung der ätiologischen Momente künftig auch stattgehabte Erschütterungen 
oder Verletzungen mehr zu berücksichtigen. 

16) Über periodische transitorisohe Bewußtseinsstörungen naoh Trauma 

(Dipsomanie usw. naoh Trauma), von Pelz. (Monatssohr. f. Psyoh. u. 

Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Fall I. Gesunder Mann (kein Alkoholismus, keine Epilepsie), 48 Jahr» 
alt, zeigt nach Unfall (Überfahrenwerden) Schmerzen in Kopf und Rücken, 
Schwindelgefühl, Intoleranz gegen Alkohol, Labilität des Affektes. Nachher 
periodisch wiederkehrende Verstimmungen mit Hang zum Trinken (Dipsomanie). 

Fall II. Gesunder, nicht belasteter Mann, nicht Alkoholiker, erleidet zwei 
schwere Schädeltraumen (mit 19 und 27 Jahren). Danach spontane Schmerzen, 
labiler Affekt, Vergeßlichkeit, Intoleranz gegen Alkohol, später Schwindel und 
Beklemmungsgefühl. Herzklopfen. Zustände von tiefer Bewußtseinsstörung mit 
Halluzinationen und schwerer Erregung, danach Amnesie. 

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Fall 111. 35jähriger Arbeiter. Anamnestisch nichts Besonderes. Mehrere 

schwere Unfälle. Typische posttraumatische Neurose, daneben schwere Zustände 
veränderten Bewußtseins (Trübung der Auffassung, Erregung, Amnesie usw.). 

Auch bei der traumatischen Degeneration kommen transitorische Störungen 
der allgemeinen Bewußtseinstätigkeit vor. Der Nachweis wird nur aus dem Ge¬ 
samtbild, nicht aus der Form zu erbringen sein (Ausschluß epileptischer, alko¬ 
holischer, hereditärer Degeneration). Die Bewußtseinsstörungen können erst Jahre 
nach dem Unfall und der posttraumatischen Neurose einsetzen. 

16) Fraoture of the base of the skull, by George L. Wal ton. (Department 

of Neurology. Annn. of Surgery. 1904. Nov.) Ref.: Baumann (Breslau). 

In der Mehrzahl der Fälle resultiert die Schädelbasisfraktur von einem Stoß 

in horizontaler Richtung gegen den Schädel, sei es vorn, hinten oder an der 
Seite des Kopfes. Die Frakturlinie hat die Tendenz, in der dem Stoß zunächst 
liegenden Grube zu beginnen und sich nach der Richtung, in der die Gewalt 
wirkte, auszubreiten. Die Frakturlinien quer über die Basis verfolgen meist die 
Linien des geringsten Widerstandes und in 22 von 50 Fällen entsprachen sie den 
von Rawling angegebenen Linien, aber die Ausnahmen waren doch so konstant, 
daß man bestimmte Regeln aufstellen kann. Der Türkensattel war in 36°/ 0 der 
Frakturen betroffen. Die Sutura petro-occipitalis und mastoideo-occipitalis bildeten 
gewöhnlich Linien von geringem Widerstand. Andere Frakturen wieder gehen 
parallel mit der Portio petrosa des Schläfenbeins und durch die Sella turcica. 
Schläge auf das Hinterhaupt verursachen gewöhnlich eine Frakturlinie, die sioh 
nach dem Foramen jugulare oder über das Felsenbein erstreckt. Auch die den 
Gehörapparat enthaltende Portion des Felsenbeins ist gewöhnlich der Fraktur 
ausgesetzt, öfter in transversaler als longitudinaler Richtung, ln 7 Fällen war 
die Fraktur beschränkt auf die Basis nach einem Stoß aufs Gewölbe in horizon¬ 
taler Richtung. Weder Rawlings Theorie der Übertragung der Kraft, noch die 
Theorie der Rißfraktur von Wahl und anderen genügen zur Erklärung. Die Er¬ 
gebnisse von Experimenten mit Körpern einfacher Struktur lassen vermuten, daß 
das Rißprinzip bei reiner Kompression des Schädels vorherrscht und das Prinzip 
der übertragenen Kraft in Fällen von Schlägen, während beide beim Fall eine 
wichtige Rolle spielen. Das Foramen orbitale war betroffen in 21,4 °/ 0 der Fälle. 
Ungleichheit und Reaktionslosigkeit der Pupillen, bzw. beides zusammen, bilden 
ein sehr häufiges und ungünstiges Symptom der Basisfraktur. Von den 44 Fällen, 
in denen die Pupillen beobachtet wurden, waren sie normal nur in 13. Läsion 
des Tractus cilio-spinalis in seinem intrakraniellen Verlauf ist für die Pupillen¬ 
veränderungen viel häufiger die Ursache als Läsion des Oculomotorius oder der 
Rinde, obwohl eine einzelne Läsion alle diese Fälle nicht erklärt. Die Reflexe 
sind meist herabgesetzt oder aufgehoben bei Basisfraktur. Andererseits können 
sie aber auch gesteigert sein, wahrscheinlich mehr infolge direkten Druckes 
auf die Pyramidenbahnen, als durch Blutung. Es ist wahrscheinlich, daß die erste 
Wirkung des Stoßes in allen Fällen die Tendenz hat, die Reflexe herabzusetzen 
oder aufzuheben. Eine profuse und anhaltende Blutung aus dem Ohr braucht 
keine Meningealblutung vermuten zu lassen. In den Fällen von profuser und an¬ 
haltender Blutung wurde keine Meningealblutung gefunden und umgekehrt, 
Blutung aus dieser Arterie kam achtmal ohne und einmal mit leichter Blutung 
aus dem Ohr vor. 

17) Symptomatologie des fraotures du ordne ohez l’enfant, par Dr. Ernest 

Gasne. (Rev. mens, des maladies de l’enfance. XXIV. 1906. Juni.) Ref.: Zappert. 

Im Anschluß an eine Inauguraldissertation wird in vorliegendem Artikel 

eine Übersicht über 39 Fälle von Schädeltraumen beim Kinde gegeben. Meist 
waren dieselben durch Fälle aus dem offenen Fenster, von der Stiege bedingt; 
dementsprechend fällt auch die Mehrzahl der Verletzungen in die Sommer- 

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monate. Charakteristisch ist für schwere Verletzungen ein mehrstündiges Coma, 
dem sich dann ein Kollapszustand von mehreren Tagen anschließt. Manchmal 
gibt es Konvulsionen, oft früh im Beginne der Erkrankung, ferner Erbrechen, 
Obstipation, Schwellung des Gesichtes, Ecchymosen. Bei größeren Kindern treten 
oft Lokalsymptome in Form einer Hemiplegie, einer Facialislähmung usw. hinzu. 
Der Tod trat bei kleinen Kindern ziemlich rasch, meist unter hohem Fieber, bei 
größeren oft erst nach einigen Tagen unter meningitischen Symptomen auf. Selbst¬ 
verständlich wechseln die Symptome und die Heilungsaussichten nach dem Sitze 
der Verletzung. Im allgemeinen halten Kinder schwere Schädel träumen besser aus, 
als Erwachsene. Die beste Prognose gaben Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren, 
allerdings handelte es sich vornehmlich um Verletzungen des Schädeldaches. Verf. 
nimmt auch bei Basalbrüchen eine größere Resistenz des Kindes an. Doch lassen 
sich diesbezüglich einige Zweifel an den Schlußfolgerungen des Autors aussprechen. 
Dauerfolgen in Form von Lähmungen, Meningocelen usw. sind bei den Schädel¬ 
brüchen des Kindes nicht selten. 

18) Zur Ätiologie plötzlich auftretender Störungen im Hörnervenapparate, 

von Conrad Stein. (Monatsschr. f. Ohrenh. 1906. Nr. 1.) Ref.:S.Klempner. 

Mitteilung von 6 Fällen, in denen im Anschluß an eine erlittene Emotion 
bzw. Trauma ein Krankheitsbild zur Entwicklung gelangte, das sich in Kopf¬ 
schmerzen, Schwindel, Ohrensausen und Schwerhörigkeit äußerte. Außerdem 
stellten sich Störungen des Allgemeinbefindens und vor allem Verringerung der 
geistigen Leistungsfähigkeit ein. 

Verf. nimmt an, daß in allen Fällen die Alteration des Gehörs sowie die 
subjektiven Hörempfindungen als Teilerscheinung einer latent gewesenen, auf die 
psychische Erregung oder den Unfall hin manifest gewordenen Arteriosklerosis 
cerebri aufzufassen sind. 

19) Beitrag zur Kenntnis der Beteiligung des inneren Ohres naoh Kopf- 

ersohütterungen, von Dr. Rliese. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. 
Nr. 16.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Das innere Ohr ist ein feiner Gradmesser für die Intensität von Kopf¬ 
erschütterungen auch dann, wenn die Hörfähigkeit für die Sprache garnicht ge¬ 
litten hat oder nur in einem praktisch nicht in Betracht kommenden Grade. Die 
sofort nach der Kopfverletzung vorgenommene Untersuchung ergibt eine immer 
wiederkehrende Symptomreihe: 1. Nystagmus beim Blick nach der nicht verletzten 
Seite bzw. in stärkerem Grade beim Blick nach dieser Seite, 2. Verkürzung der 
Knochenleitung, 3. Verkürzung der Perzeptionsdauer in Luftleitung für den 
ganzen Tonbereich, namentlich die mittleren Töne (C 2 ), 4. tiefsten Stand des 
Hörreliefs im unteren Tonbereich, langsamen Aufstieg der Kurve nach C 9 , von da 
wieder Abstieg nach C 4 bzw. C 6 , nachdem vorher meist ein erheblicher Abstieg 
nach einem der mittleren Töne stattgefunden hat, 5. gleichzeitiges, wenn auch 
nicht immer gleich starkes Befallensein beider Ohren und auffallende Ähnlichkeit 
der beiderseitigen Hörreliefs, 6. hochgradige, zu der Hörweite für die Sprache 
in starkem Gegensatz stehende Herabsetzung der Hörweite für die Taschenuhr, 

7. eine durch ihre Häufigkeit auffallende Ermüdbarkeit Stimmgabeltönen gegen¬ 
über, teils in einem auch dem normalen Ohr eigentümlichen, teils in gesteigertem 
Grade, 8. positiven Rinne, 9. starke Gefäßerweiterung an der oberen Gehör¬ 
gangswand und zwar war eine Gruppe stark injizierter, gradlinig von außen 
nach innen verlaufender Gefäße am medialsten Teil der Pars ossea des äußeren . 
Gehörganges sichtbar, meist in der Mittellinie, selten an der hinteren oberen Ge¬ 
hörgangswand. Zuweilen kleine Petechien oder Blutkrusten im Bereich der in¬ 
jizierten Gefäße, selten kleine Blutergüsse im Trommelfell. Das Gesamtbild ist 
charakteristisch und bleibt es im wesentlichen. 

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20) La neurasthenie traumatique ohes los arterio-soldreux , par E. Regie. 

(Journ. de m6d. lögale psychiatr. 1906. Nr. 1.) Ref.: Baumann (Breslau). 

Die traumatische Neurose ist sehr häufig mit Arteriosklerose vergesellschaftet. 

Ganz besonders wichtig ist, daß der traumatische Shock die spezifische Tendenz 
hat, seine Wirkungen bei Arteriosklerotikern hervorzubringen, d. h. daß die 
Arteriosklerotiker für die Entstehung einer traumatischen Neurose prädispo¬ 
niert sind. 

Man kann drei Haupttypen aufstellen: 

1. Das Trauma beschleunigt das Auftreten einer sich bereits entwickelnden 
Arteriosklerose. 

2. Das Trauma ruft die Neurasthenie hervor und läßt zu gleicher Zeit die 
arteriosklerotischen Symptome in Erscheinung treten. 

3. Das Trauma beschränkt sich neben der Erzeugung der Neurasthenie da¬ 
rauf, die Symptome einer bereits deutlich vorhanden gewesenen Arteriosklerose 
zu verschärfen. 

21) Hyztörie locale 4 la aalte de traamatlame de la hanohe, par Calle - 

waert. (La Policlinique. 1907. Nr. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von lokaler Hysterie nach Luxatio femoris. Ausschließung von tuber¬ 
kulöser Coxitis, Arthritis, Periarthritis und Ischias. Besprechung der atypischen 
Beinhaltung. Von hysterischen Zeichen waren noch vorhanden: Herabsetzung des 
Temperatursinnes am erkrankten Bein, vasomotorische Übererregbarkeit, Btarke 
Dermographie, lebhafte Patellarreflexe, Fehlen des Konjunktival- und Schluck¬ 
reflexes, Gesichtsfeldeinengung für weiß und blau. 

22) Über die ärstliohe Tätigkeit auf dem Sohlaohtfelde und in den vor¬ 
deren Linien, von Prof. Dr. Zoege von Manteuffel. (Archiv f. klin. 

Chirurgie. LXXX.) Ref.: MaxJacoby. 

Verf. bespricht hierbei die Behandlung der SchädelschüsBe; er nimmt auf 
Grund seiner Erfahrungen im russisch-japanischen Kriege einen anderen Stand¬ 
punkt ein wie Bergmann. Diametralschüsse sind nach wie vor konservativ zu 
behandeln. Shrapnellkugeln geben schlechtere Prognose als Spitzgeschosse. Ist 
das Projektil stecken geblieben, so hat man ebenfalls konservativ zu verfahren, 
bis Symptome auftreten und das Röntgen-Photogramm zeigt, daß das Projektil 
zugänglich ist. Bei Tangentialsohüssen muß unbedingt in jedem Falle operiert 
werden, und zwar so früh wie möglich. Bei Verletzungen des Rückenmarkes hat 
eine Operation keinen Sinn, falls eine Verletzung mit Spitzgeschoß vorliegt. Anders, 
wenn das Projektil stecken blieb oder wenn ein Splitter das Mark drückt; hier 
sind oft Erfolge durch Operation erzielt worden. Von Verletzung zu trennen ist 
eine Blutung; letztere erzeugt meist unregelmäßige Lähmung, die sich nach acht 
bis 14 Tagen bessert, aber den Transport per Bahn schlecht verträgt; solche 
Kranken sollen auf den Etappen liegen. 


Psychiatrjie. 

23) Zur Kenntnis der Ätiologie der angeborenen und frühzeitig erworbenen 
psyohisohen Defektsustände, von H. Schloss. (Psychiatr.-neur. Wochen¬ 
schrift. VIII. 1907. Nr. 48 bis 60.) Ref.: Schultze. 

An 100 Fällen erörtert Verf. den Einfluß der erblichen Belastung, der 
Schädigung der Frucht durch physische oder psychische Schädigung der schwangeren 
Mutter (dabei oft Hydrocephalus), der Anomalien der Geburt und der angeborenen 
bzw. erworbenen körperlichen Erkrankungen; in einem letzten Abschnitt bespricht 
er Impfung, Trauma capitis, Vergiftung usw. Selten findet sich nur eine Ursache; 
insbesondere ist erbliche Belastung höchst selten alleinige Ursache. Die Kombi¬ 
nation bestimmter Schädigungen scheint die Kinder besonders zu gefährden. Oft 


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finden sich rhaehitische Symptome bei Hydrocephalus. Viermal lag angeborener 
Mangel der Schilddrüse mit Myxödem vor; auch dabei fanden sich rhacbitiscbe 
Erscheinungen. In allen 4 Fällen brachte Thyreoidin Besserung in körperlicher 
und geistiger Beziehung. Eklamptische Krämpfe verdienen besondere Beachtung; 
sie begünstigen die Disposition zur späteren Epilepsie. Einzelne Fälle trauma¬ 
tischen Schwachsinnes zeigten eine relativ günstige Prognose. 

24) Beitrag zur Statistik und Ätiologie der Idiotie und Imbesillit&t, von 
Dr. C. Kneidl. (Revue v neurologii. 1906. S. 180.) Ref.: Pelnär (Prag). 
Verf. sammelte in einem sorgfältigen Referat alles, was bei den genannten In¬ 
sassen der böhmischen LandeBirrenanstalt in den Jahren 1884 bis 1903 beobachtet 
und ausgefragt wurde. Bei den 1328 registrierten Fällen ließ sich ätiologisch 
am häufigsten eine hereditäre psychopathische Belastung, dann die Rhachitis, Lues 
und mechanische Schädlichkeiten während der Geburt und während der ersten 
Zeit nach der Geburt konstatieren. Alkoholismus ln der Antecedenz der Idioten 
ist auffällig häufig. Von den Vermählungen zwischen Blutsverwandten scheint 
die Vereinigung von einem Onkel mit einer Nichte am häufigsten zur Degeneration 
zu führen. Für die Therapie und Erziehung der Idioten ist in Böhmen bis jetzt 
soviel wie nichts geschehen. Außer einer kleinen Privatanstalt gibt es keine 
Einrichtung für die Imbezillen. Und doch läßt sich durch Familienfürsorge und 
in eingerichteten agrikulturellen Kolonien viel für die soziale Zukunft dieser 
Kranken tun. 

26) Statistischer Beitrag sur Ätiologie der Idiotie, von Fr. Heyn. (Psych.- 
neurol. WochenBchr. 1906. Nr. 19.) Ref.: Schultze. 

An der Hand des Uchtspringer Materiales (166 männliche, 124 weibliche 
Idioten) gelangt Verf. zu dem Schluß, daß die Erblichkeit bei den Idioten weniger 
von Bedeutung ist, als vielfach angenommen wird. Seine Zahlen bleiben um 25 °/ 0 
hinter den Angaben anderer Autoren zurück. Erschreckend groß ist die Zahl 
der rhachiti&chen Kinder; nach der Rhachitis sind hervorzuheben Zahnkrämpfe 
und Infektionskrankheiten. 

Daraus kann man schließen, daß die erworbene Idiotie sehr viel öfter vor¬ 
komme, als vielfach angenommen wird — ein neuer Grund für die Berechtigung 
unserer Stellungnahme zur Idiotenfürsorge. 

26) Vorgeschichten und Befunde bei Schwachbegabten Schulkindern. Bin 
Beitrag sur Erforschung der Ursaohen schwacher Begabung, von 

ScheBinger. (Intern. Archivf.Schulhyg. III. 1907. Heft3.) Ref.: H. Vogt 
Die Mitteilungen basieren auf der Untersuchung von 138 Hilfssobulkindern, 
die im Laufe von 4 Jahren angestellt wurde. 54°/ 0 der Kinder waren in ge¬ 
ringerem Grade, 33°/o stärkerem Maße debil, 13°/ 0 zeigt „beträchtliche Debi- 
litas“. Die Schwierigkeiten einer klaren, allen Gesichtspunkten gerecht werdenden 
Einteilung eines derartigen Untersuchungsmateriales werden mit Recht betont 
Die Bearbeitung stützt sich auf den Gesundheits- und Personalbogen (über ein 
hoffentlich bald für alle deutschen Hilfsschulen einheitliches Formular der letzteren 
Gattung hat der V. Hilfsschulverbandstag kürzlich in Charlottenburg beraten, 
die für die Hilfsschulen spezifische Einrichtung hat für die medizinische Durch¬ 
arbeitung dieser Krankheitsfälle große Bedeutung; Ref.). Die anamnestischen 
Daten werden eingehend erörtert; Trinkerkinder fallen meist durch dreierlei auf: 
mangelhafte Konstitution, zahlreiche Stigmata, Neigung zu Tics und Spasmen. 
Die Kindersterblichkeit in den Familien, aus denen die HilfsBcbüler stammen, 
betrug: 10°/ o Aborte, 38°/ 0 früh gestorbene Geschwister (gegenüber normaliter 
5 °/ 0 und 30°/ 0 ). Die Arbeit ist reich an interessanten Einzelheiten, hier sei 
noch betont: die Stelle der debilen Kinder in der Reihenfolge der Geschwister 
(oft am Übergang der gesunden in die dekadente Nachkommenschaft), die große 
Bedeutung der erworbenen Schädigungen, das soziale Milieu; auch der körperliche 

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Status: allgemeiner Habitus, Schädelverhältnisse, Tonsillen, Strumen, neuropathische 
Erscheinungen, Sprachstörungen (26°/ 0 Stammler). Beim psychischen Status ver¬ 
dient die auffallend späte geistige Entwicklung Beachtung (19°/ 0 ), 12°/ 0 zeigten 
Hemmung oder Bückgang, die Charakterfehler bis zur Koch sehen psychopathischen 
Minderwertigkeit erwecken die Aufmerksamkeit des Erziehers. 

Zum Schlüsse betont Verf., daß ätiologisch die große Zahl und das Kon¬ 
kurrieren mehrerer schädigender Momente wesentlich sei: ererbte und erworbene 
Faktoren kamen bei 88°/ 0 in Betracht, rein angeboren schienen nur 3°/ 0 , rein 
erworben nur 9 °/ 0 . 

27) Tipi e gradi d’insufüoienza mentale, per Sanote de Sanctis. (Anna!. 

di nevrologia. 1906. S. 21.) Bef.: Hübner (Herzberge-Berlin). 

In einer auf dem V. internationalen Kongreß für Psychologie gemachten 
Mitteilung hat Verf. bereits darauf hingewiesen, daß bei den geistigen Schwäche¬ 
zuständen nicht allein der Typus, sondern auoh der Grad der geistigen Schwäche 
bestimmt werden muß. Die vorliegende Arbeit hat den Zweck, seine damaligen 
Ausführungen näher zu erläntern: 

1. Typen: Wer die verschiedenen Arten des Schwachsinnes klinisch diffe¬ 
renzieren will, darf als Unterscheidungsmerkmale nicht anatomische, anthropologische 
oder neurologische Befunde heranziehen, sondern er muß nach psychologischen 
Unterschieden suchen. Um solche zu finden, muß er jede Funktion der Psyche 
für sich sorgfältig prüfen. 

Methodische Untersuchungen haben den Verf. zur Aufstellung folgender 
Schwachsinnstypen veranlaßt: 1. der idiotische, 2. der imbezille, 3. der „vesanische“, 
4. der epileptoide und 5. der infantile. Außerdem 6. gemischte und pasBagere 
Zustände. 

Die besonderen Eigenschaften jedes dieser Typen werden genau besebriebeu. 
Unter dem als „vesanisch“ bezeichnten Typus würde ein Teil dessen, was 
Kräpelin Dementia praecox nennt, zu rubrizieren sein. Von der Aufstellung 
des Begriffes der „moralischen Imbezillität“ glaubt Verf. absehen zu dürfen, da 
dieselbe häufig bei Vertretern der 2-, 3. und namentlich, wie Lombroso stets 
mit Naohdruck hervorgehoben hat, der 4. Gruppe anzutreffen ist. 

2. Der Grad geistiger Schwäche kann nach drei Bichtungen bestimmt werden: 
nach der psychiatrischen, der pädagogischen und der sozialen. 

Bezüglich der anzuwendenden psychologischen Untersuchungsmethoden sind 
zwei prinzipielle Forderungen aufzustellen. Sie müssen sowohl dem Alter, wie 
auch der Bildung der Kranken entsprechen. Verf. bedient sich z. B. für 7 bis 
8jähr. Kinder der folgenden, durch sich steigernde Schwierigkeit ausgezeichneten 
Beaktionen: 1. (Es werden 5 Glaskugeln auf den Tisch gelegt): „Gib mir eine 
davon.“ 2. (Die ausgewählte Kugel wird hinter einem Tuch wieder mit den 
anderen vermischt): „Welche Kugel hattest Du gezeigt?“ 3. (Es werden mehrere 
Würfel, Parallelepipeda usw. auf den Tisch gelegt; dann wird ein Würfel heraus- 
gegviffen): „Suche alle diesem gleiche Holzstücke heraus!“ 4. (Dem Beogenten 
wird eine Tafel mit Zeichnungen der sub 3 genannten Gegenstände vorgehalten): 
„Suche die dem gezeigten Holzstück entsprechenden Figuren heraus!“ 5. (Es 
werden 12 Würfel verschiedener Größe über den Tisch verstreut): „Wieviel sind 
es?“ „Welohes ist der größte?“ „Welcher liegt am weitesten entfernt?“ 6. (Die 
Würfel werden bedeckt): „Müssen die größten Gegenstände auch die schwersten 
sein?“ „Sind die von Dir entfernt liegenden Gegenstände wirklich kleiner als 
die näher liegenden, oder scheinen sie nur bo?“ 

Die Beaktionen müssen jedesmal unter genau den gleichen Bedingungen ge¬ 
prüft werden. Hierzu gehört a), daß die zu benutzenden Gegenstände an passen¬ 
der Stelle bereit gehalten werden, der Beagent vorbereitet ist und auf die kommende 
Frage durch ein Glookenzeichen aufmerksam gemacht wird, b) Zwischen den 

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Fragen müssen Bubepausen von etwa einer Minute eingeschoben sein, c) Jede 
Frage darf höchstens 3 mal wiederholt werden, d) In zweifelhaften Fällen muß 
die Serie der Reaktionen in mehrtägigen Abständen wiederholt werden, e) Hoch¬ 
gradiger Schwachsinn liegt vor, wenn Reaktion 1 und 2 nicht ausgeführt werden, 
mittlerer Grad beim Ausbleiben der 4. Reaktion, leichter Grad bei Unfähig¬ 
keit die sub 6 gestellten Aufgaben zu lösen. „Eine Versuchsperson, die alle sechs 
Fragen korrekt und mit normaler Geschwindigkeit löst, ist nicht schwachsinnig. 1 * 
, Eingehende, zum Teil vom Verf. selbst angestellte Versuche mit der obigen 
Serie von Fragen haben ergeben, daß das Resultat der psychologischen Unter¬ 
suchung bezüglich des Grades der geistigen Schwäche dem entspricht, was man 
nach der klinischen Beobachtung erwarten durfte. 

Die Reaktionsreihe läßt sich, wie Verf. am Schluß der Arbeit ausführt, auch 
bei Erwachsenen anwenden, wenn man die Versuchsanordnung entsprechend modi¬ 
fiziert. In welcher Weise dies zu geschehen hat, muß in der Originalarbeit nach¬ 
gelesen werden. 

28) TypeB d’idiotie. Un oas d’idiotie myxoedemateuse, par MM. Bourne¬ 
ville, Lutaud et Tournay. (Revue d’hygiöne et de mödecine infantiles. 

1906. Nr. 1.) Ref.: Zappert (Wien). 

In vielversprechender Weise leiten die Verff. mit einem gründlichst unter¬ 
suchten Falle von Myxödem eine Revue über die verschiedenen Formen der 
Idiotie ein. 

Der beschriebene Fall kam zur Autopsie und es wurden Haut und Knochen 
auch chemisch untersucht, ohne daß sich hierbei wesentliche Unterschiede von 
den Befunden bei Erwachsenen ergeben hätten. 

20) Types d’idiotie. Cas d’idiotie mongolienne, par Bourneville et Bard. 

(Revue d’hygi&ne et de mödecine infantiles. 1906. Nr. 3.) Ref.: Zappert. 

In seiner fortgesetzten Darstellung der Idiotieformen im Kindesalter bringt 
Bourneville gemeinsam mit Bard diesmal die äußerst gründliche, mit guten 
Abbildungen versehene Beschreibung eines Mädchens mit mongoloider Idiotie. Im 
Anschluß an diese Beschreibung wird eine sorgfältige tabellarische Differential¬ 
diagnostik zwischen Mongolismus und Myxödem von den Autoren angeführt 
30) Beiträge zur pathologischen Anatomie der Idiotie, von Takasu. (Mon. 

f. Psych. u. Neur. XXL 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Fall I. 19jähriger männlicher Idiot mit Littlesoher Lähmung. Große 
Apathie, Sinnesorgane und deren Gebrauch intakt. Versteht einfache Dinge. 
Reinlich. Niemals Krämpfe. Seit Geburt spastisch gelähmt, Extremitäten in 
Kontrakturstellung, in der Erregung treten spontane Bewegungen in den Extremi¬ 
täten hervor. Tod an Phthisis pulmonum. Pathologisch-anatomischer Befund: 
Verdickung der Pia mit einer Verkalkungsstelle über dem linken Stirnlappen, 
Verhärtung und Schmalheit der Frontal-, Central- und Ocoipitalwindungen, un¬ 
regelmäßige Formen und Lagerung der Ganglienzellen in den Stirn* und Central¬ 
windungen, vermehrte Blutgefäße und Gliakerne in der Gehirnsubstanz. (Diffuse 
atrophische, sklerotische Veränderungen.) Außerdem mehrere resiBtentere, gefä߬ 
reiche Herde in den Centralganglien, Kleinheit der Pyramidenbahnen, Erweiterung 
des Centralkanals. 

Fall II. 4jähriger idiotischer Knabe, automatische Bewegungen, seit dem 
2. Jahre epileptische Anfälle. Völlig stumpf, interesselos. Schlägt sich selbst, 
unsauber. Tiefe Idiotie. Keine Sprache. Tod an PhthisiB pulmonum. Patho¬ 
logisch-anatomischer Befund: Mikrogyrie im Frontal- und Ocoipitallappen, daselbst 
in der Rinde spärliche Markfasern, kleine spindelförmige, großkernige Ganglien¬ 
zellen, Mangel einer Schichtenanordnung der Ganglienzellen, vereinzelte Riesen¬ 
zellen. Gliome in den beiderseitigen Corpora striata, jene enthalten typische 
Gliazellen und -fasern, zahlreiche Amyloidkörperchen („sarkomatöses Riesenzellen- 

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gliom“). (Der mikroskopische Befund des Falles, besonders hinsichtlich der Gliome 
erinnert an jene Befunde idiotischer Cerebra, bei denen es sehr schwer ist, die 
Grenze zwischen Tumor und Mißbildung zu ziehen; manches an den histo¬ 
logischen Verhältnissen ist denen bei tuberöser Sklerose ähnlich. Bef.) 

31) Über den Spraohslnn nebst seinen Besiehungen zur Psychologie der 

Aassage, von J. Hampe. (Braunschweig 1907, Vieweg & Sohn. 80 S.) Ref.: 

Neter. 

Mit seinem zu einer Broschüre umgearbeiteten Vortrage will Verf. weitere 
Kreise mit einer in medizinischer und pädagogischer Hinsicht aktuellen Frage 
bekannt machen, um zu einer möglichst frühzeitigen Erkennung des Schwachsinns 
sowie der Verhütung seiner unheilvollen Wirkungen für den Einzelnen, die Familie 
und den Staat beizutragen. 

Den Juristen soll die Schrift die mannigfachen Beziehungen des Schwachsinns 
zur gerichtlichen Zeugenaussage und zur Strafrechtspflege klarlegen. 

32) Psychologische Untersuchung schwachsinnlgerSchulklnder, von W. W ey- 

gandt. (Bericht auf dem 11. Kongreß f. exper. Psychologie. Leipzig 1907; 

vgl. d. Centr. 1906. S. 634.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. bespricht die Resultate der experimentell-psychologischen Untersuchung, 

unter Würdigung der historischen Tatsachen und der Beziehungen des Gebietes 
zur Psychopathologie und Pädagogik. Es werden die Erfahrungen, wie sie von 
Sommer, von der Bleuler sehen Schule, durch die Untersuchungen von Wreschner 
und anderen gewonnen wurden, erörtert, besonders auch der Merkfähigkeits¬ 
prüfungen von Banschburg gedacht und die Notwendigkeit hervorgehoben, die 
verschiedenen Schwachsinnsstufen zu berücksichtigen. In der Verwendung des 
Untersuchungsmateriales, in der Vermeidung der Autosuggestion von seiten des 
Versuchsleiters (ErmüdungsmeBeung usw.) vertritt Verf. einen sehr kritischen 
Standpunkt. Die Schwierigkeit des Forschungsgebietes liegt namentlich in den 
leichteren Fällen: hier liegt die Aufgabe in der Feststellung deutlicher Unter¬ 
scheidungsmerkmale, wichtig gleicherweise für Diagnose, Behandlung, Prognose. 
Hier erwachsen auch nach der sozialen und kriminellen Seite des Gebietes neue 
Zielpunkte (Erforschung von Aussagetypen bei Kindern usw.). Der praktische 
Weg ist ein doppelter: 1. Idiotenabteilungen bei den psychiatrischen Kliniken 
(wie in München), 2. Hilfsscbullaboratorien, wie ein solches bis jetzt in Budapest 
besteht unter Banschburgs Leitung (für ein ebensolches sind in Hannover jetzt 
erstmalig durch das Entgegenkommen der dortigen Behörden Mittel bereit ge¬ 
stellt; Bef.). 

33) Die Sprachstörungen sohwaohbegabter Sohulkinder, von Schlesinger. 

(Straßb. med. Zeitung. 1906. Heft7.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Die Schwachbegabten Kinder Bind großenteils Stammler; dies ist ein etwa 

im 3. Lebensjahr physiologischer Sprachzustand, seine Bedeutung für die Debilen 
liegt weniger in dem Defekt selbst, als darin, daß die Sprachentwicklung bei 
ihnen verzögert und verlangsamt ist. Diese Auffassung als eine Entwicklungs¬ 
hemmung der Sprache findet ihre Richtigkeit auch in der Tatsache, daß die 
Kinder meist auch spät zu sprechen anfingen. Die Debilen überwinden meist im 
Laufe der Schulzeit den Fehler, während die Sprachmängel der Imbezillen und 
Idioten bleibende zu sein pflegen. 

31 °/ 0 der eintretenden Hilfsschüler zeigten in Straßburg Sprachfehler, meist 
Stammler, wenig Stotterer, vereinzelt Stumme. Die letzte Gruppe ist ein Vor¬ 
stadium des Stammelns als im allgemeinen von guter Prognose, die des Stotterns 
von schlechter. Die Debilität ist in dem Konnex das Primäre. Von körperlichen 
Symptomen verdienen Beachtung: Tonsillenhypertrophie, Schwerhörigkeit und 
Zahnstellung. Anamnestisch spielt für das Stammeln der Mangel häuslicher Er¬ 
ziehung eine Bolle, sowie schlechte allgemeine körperliche Entwicklung. 

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34) Die Ohrmuschel bei Schwachsinnigen, von Imhofer. (Zeitschr. f. Heil¬ 
kunde. XXVII. 1906. Dezember.) Ref.: Pilcz (Wien). t 

Für die Lehre von den körperlichen Entartnngszeichen wichtige Arbeit. 

Verf. verglich je 100 Imbezille mit 100 „Normalen“ auf Beschaffenheit, 
Größe nsw. der beiden Ohrmuscheln. Die sehr sorgfältigen Untersuchungen führen 
Verf. zu folgenden Thesen: 

Eine für Idioten charakteristische Ohrform gibt es nicht. Bei Idioten kommt 
eine Anzahl Abnormitäten oder, besser gesagt, Varietäten in größerer Anzahl vor 
als bei Normalen, und zwar ist der morphologische Index kleiner, der hintere 
untere Winkel des Embryonenohres häufiger als bei Normalen, ebenso die Satyr- 
spitze, Exzesse im Bereiche des Antihelix und das Henkelohr. 

Keine Bedeutung als Degenerationszeichen hat das sogen. Wildermuthsche 
Ohr und das angewachsene Ohrläppchen. 

Die angeführten Varietäten sind solche, welche in phylo- bzw. ontogenetischer 
Hinsicht eine mindere Fortentwickelung andeuten. (Verf. berichtet u. a. auch 
über eigene Untersuchungen an 25 menschlichen Embryonen.) 

Bemerkenswert ist, daß Verf., wie er nebenbei erwähnt, auf 2500 Photo¬ 
graphien aus dem Verbrecheralbum nur eine einzige vollkommen normale Ohr¬ 
muschel gefunden hat. 

Zwei Tafeln, eine Figur und eine Tabelle im Texte veranschaulichen die 
beschriebenen Verhältnisse. 

35) Oedöme des pieds ohez deux Imbeoiles, par Träpsat. (Nouv. Iconogr. 

de la Salpetrige. 1906. Nr. 1.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

I. Das 17 jährige Mädchen wurde der Anstalt mit der Diagnose Imbezillität 
(Unsauberkeit, Aufgeregtheit usw.) und Hydrocephalus und Paraplegie überwiesen. 
Es kann nicht lesen, schreiben, ist kindisch, heiter und ohne jegliche Beschäftigung. 
Kopfumfang 63 cm, biparietaler Durchmesser 17,8 cm, occipito-frontaler Durch¬ 
messer 20 cm. Asymmetrie des Schädels. Die Beine in Kontrakturstellung, an 
den Leib vollständig herangezogen, alle Gelenke versteift, jeder Bewegungsversuch 
ruft lebhafte Schmerzen hervor. Keine Muskelatrophie, Reflexe stark vermindert. 
Sensibilität normal, Dermographie. Füße stark ödematös, schwammig, Fingerdruck 
bleibt nicht stehen. Von den Malleolen ab eine teigige Anschwellung, welche bis 
zu den Knien reicht. Haut zyanotisch, am meisten an den Zehen, mit zahlreichen 
roten Flecken. Rechts über der 3. Zehe ein etwa 50 Centimes Stück großes Ge¬ 
schwür mit steilen Rändern und weißlichem Untergrund. An den Händen die¬ 
selben Verhältnisse. Am Herzen keine Veränderungen, aber es zeigt sich eine 
Verminderung der weißen und roten Blutkörperchen. Linke Pupille weiter wie 
die rechte. Kein Eiweiß und Zucker, keine Verminderung der Harnsalze. Tby- 
reoidintabletten haben keinen Einfluß auf die Ödeme, nur werden die Patellar- 
reflexe lebhafter. 

II. Großvater mütterlicherseits starb an Delirium, Onkel und Tante mütter¬ 
licherseits verübten Selbstmord. Vater Alkoholist, Mutter imbezill. Die Intelligenz 
des 14jährigen Knaben war rudimentär. Kann kaum sprechen, muß gefüttert, 
an- und ausgekleidet werden. Leicht lenkbar. Strabismus convergens, Prognathie 
des Unterkiefers. Mikrocephale. Subluxation der drei letzten Finger rechts, 
Atrophie der rechten unteren Extremität, rechts Klumpfuß, die beiden ersten 
Zehen sind subluxiert, links ebenfalls Klumpfuß. Deutliche Hämophilie. Atrophie 
des rechten Deltoideus, beiderseits Atrophie des Kleinfinger- und Daumenballens. 
Reflexe normal. Dermographie. Temperatur zwischen 35,4 und 36,5. Ödeme 
an Händen und Füßen wie in Fall I. Gleiche Erfolglosigkeit der Thyreoidin- 
behandlung, nur wurde eine Temperatursteigerung auf 39 °, eine Gewichtszunahme 
um 3 kg und eine gesteigerte Lebhaftigkeit der Kranken beobachtet. Keine Ver¬ 
minderung der Harnsalze. 

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527 


Bei beiden Patienten erwiesen sich Herz und Nieren gesund. Es machte 
Verf. den Eindruck eines Myxödems ohne Schilddrüsenveranderung. Aus der 
Dermographie (bis zur Dauer von 2 Stunden), den Ödemen der unteren Extremi¬ 
täten, den Geschwüren und der Hämophilie bei dem einen Kranken schließt Verf. 
auf eine Störung des sympathischen und vasomotorischen Gefäßsystems. 

36) Traitement moral, hygiöne et öduoatlon des idiots et des autres en- 
fants arriörös, par Säguin. Mit Vorwort von Bourneville. (Paris 1906, 
531 Seiten.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. gibt zunächst eine klinische Darstellung der Idiotie und Imbezillität, 
dabei eine neue Einteilung in idiotie profonde (chronische Affektion des Central- 
nervensystemB) und idiotie superficielle (Affektion der inferioren Teile des Nerven¬ 
systems mit oder ohne Beteiligung deB Centralnervensystems). Ein Kapitel ist 
den somatischen Störungen der Idiotie gewidmet, ferner je eines der „Physiologie“ 
den psychischen Erscheinungen, den Ursachen, der Diagnostik usw. 

Die Darstellung stützt sich fast ausschließlich auf die Erfahrung der Bourne- 
villeschen Schule. Bei der „hygiine des idiots“ wird vor allem die Prophylaxe 
betont, die Rücksichtnahme auf schädigende Einflüsse, die bei der Zeugung, 
während der Gravidität die Entwicklung der Frucht ungünstig beeinflussen können 
(vgl. Berkhan; Ref.). 

In gleicher Weise wird die Bedeutung hygienischer Erziehungsmaßregeln 
mit praktischen Ratschlägen für die verschiedenen Altersperioden des Kindes biB 
in das schulpflichtige Alter hinein behandelt. 

Im Abschnitt Erziehung werden die verschiedenen Seiten der Aufgabe (Muskel¬ 
übung, Übungen der Sinneswerkzeuge, Sprechgymnastik usw.) von den einfachsten 
bis zu den fortgeschritteneren Stufen eingehend erörtert (besonders sei verwiesen 
auf die Kapitel „Dessin“, auf die Gedächtnisübungen und die praktischen Unter¬ 
weisungen wie Ankleiden, Essen, nützliche Beschäftigung). Die einzelnen Formen 
der Idiotie finden hinsichtlich ihrer erzieherischen Schwierigkeiten gesonderte Dar¬ 
stellung. Den Schluß bildet der Abschnitt über „traitement moral de l'idiotie“. 


m. Aus den Gesellschaften. 

Jahresversammlung des deutschen Vereins für Psyohiatrie 
in Frankfurt a/M. und QieBen vom 26.-28. April 1007. 

(Ref.: Dr. Hahn-Frankfurt.) 

(Sohlaß.) 

Herr Tuczek (Marburg) berichtet über die Tätigkeit der Kommission 
für Idiotenforsohung und Idiotenfürsorge. Er vertrat sie am letztjährigen 
Berliner Kongreß für Kinderforschung und konnte dabei wieder die Erfahrung 
machen, daß ein großer Teil der Theologen und Pädagogen der ärztlichen Be¬ 
trachtungsweise fremd gegenübersteht. Auf den Antrag des Referenten stimmt 
die Versammlung der Anregung der Kommission zu, „es möchten diejenigen 
Ärzte, welche an einer nicht unter ärztlicher Leitung Btehenden Anstalt für 
Schwachsinnige und Epileptische Stellung zu nehmen beabsichtigen, vor Abschluß 
ihrer Verträge mit dieser Kommission in Verbindung treten“. Damit soll mög¬ 
lichst verhindert werden, daß Ärzte in eine unwürdige Stellung gedrängt werden. 

Herr Kluge (Potsdam) referiert über die Mitwirkung des Psyohiaters 
bei der Fürsorgeerstehung. Von den 50000 im Jahre noch zur Verurteilung 
kommenden kindlichen und jugendlichen Individuen wird ein großer Teil in 
Fürsorgeerziehung hez. Zwangserziehung gegeben. Das Fürsorgegesetz hat von 
einer grundsätzlichen Mitarbeit des Arztes abgesehen. Es dürfte nicht zu be¬ 
zweifeln sein, daß die verhältnismäßig nur wenig erheblichen Erfolge deB Fürsorge¬ 
gesetzes hiermit Zusammenhängen, indem in sehr vielen Fällen die wahre Natur 


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des einzelnen gefährdeten und verwahrlosten Jugendlichen nicht richtig erkannt 
und demgemäß eine sachgemäße Behandlung verabsäumt wird. Es ist erstens 
notwendig, den Psychiater schon bei der Einleitung des Fürsorgeerziehungs¬ 
verfahrens offiziell zu Bäte zu ziehen. Jetzt bestehen hier nicht geringe Schwierig¬ 
keiten und Unklarheiten gerade als Folge davon, daß über den Geisteszustand 
des betreffenden Jugendlichen nichts Zuverlässiges feststeht, und daß demgemäß 
zweifellos auch oftmals Fürsorgeerziehung verfügt wird, wo die öffentliche Armen¬ 
pflege und die Behandlung in einer Krankenanstalt hätte eintreten müssen. In 
zweiter Linie sind psychiatrische Beobachtungsstationen vonnöten, in denen alle 
bei der erstmaligen Untersuchung oder auch späterhin noch als zweifelhaft eruierten 
Elemente sachgemäß beobachtet werden können. Drittens hätte man sich klar 
zu machen über die Einrichtungen und Anstalten, welche sich mit den defekten 
und abnormen Zöglingen zu befassen hätten. Der Satz von 45 bis 50°/ 0 defekter 
und abnormer Fürsorgezöglinge dürfte nicht zu hoch gegriffen sein. Das Gros 
besteht aus Schwachsinnnigen von der leichten Debilität an bis zum völligen 
Idiotismus. Außerdem aber kommen zur Beobachtung alle Formen jugendlicher 
Neurosen und Psychosen, zumal auf degenerativer Basis. Alle schweren Schwach¬ 
sinnsformen und schweren Neurosen und Psychosen sind den ärztlich geleiteten 
Idioten-, Epileptiker- und Irrenanstalten zuzuweisen. Diese wären auch mit den 
erforderlichen Beobachtungsstationen auszustatten. Für schulmäßige Weiterbildung 
und Handfertigkeitsunterricht müßte gesorgt werden. Die leichten SchwachsinnB- 
formen, Neurosen und Abnormitäten sind in den Erziehungsanstalten der Päda¬ 
gogen zu belassen, müssen aber von den gesunden Insassen streng getrennt werden 
und fachärztlich überwacht werden. Die ganz schwer erziehbaren, unverbesser¬ 
lichen Elemente sind in besonderen Verwahranstalten unterzubringen, in Zwischen¬ 
anstalten zwischen den Erziehungs- und Irrenanstalten. Sie wären am besten den 
Krankenanstalten anzugliedern unter relativ selbständiger pädagogischer Leitung 
und dauernder ärztlicher Kontrolle. Auf diese Weise würde eine Beihe von Be¬ 
handlungsmethoden geschaffen, die eine ausgiebige Individualisierung der so sehr 
verschiedenartigen Degenerierten ermöglicht. In der Provinz Brandenburg sind 
sie alle bereits verwirklicht. Von großem Werte wird weiter die Mitwirkung 
des Psychiaters auch sein für die in Familienpflege zu gebenden abnormen Zög¬ 
linge, und wenn es Bich darum handelt, ein großjähriges und damit aus der Für¬ 
sorgeerziehung ausscheidendes Individuum daraufhin zu begutachten, ob ein solches 
defektes Individuum der Freiheit zurückgegeben werden kann oder entmündigt 
und eventuell dauernd der Anstaltspflege übergeben werden muß. Sehr vorteil¬ 
haft wäre eine Centralstelle in jeder Provinz, welche zweifelhafte Fälle zu begut¬ 
achten, Instruktionskurse einzurichten und vor allem die in Frage kommenden 
Abnormen auf die verschiedenen Anstalten zu verteilen hätte. 

Herr Sioli (Frankfurt a/M.): Die Beobachtungsabteilung für Jugend¬ 
liche an der Frankfurter städtischen Irrenanstalt. Vereinzelt sind Jugend¬ 
liche schon lange in Irrenanstalten verpflegt worden. Seit 1900 bilden sie in 
Frankfurt a/M. einen regulären Bestandteil der Kranken. 1900 waren es drei, 
1901 vier Kinder, 1902 bereits 7 Knaben und 3 Mädchen und 1906 13 Knaben 
und 10 Mädchen. Im ganzen wurden 40 Knaben und 29 Mädchen beobachtet 
und behandelt. In der ersten Periode bis 1903 waren es durchweg ausgesprochen 
kranke Kinder (Chorea, Epilepsie, Schwachsinn), die von den Eltern meist auf 
Anraten des Schularztes der Anstalt überwiesen wurden. Von den 17 waren 10 


pflegebedürftig und erforderten keine speziellen Einrichtungen. Von 1903 an 
aber werden der Anstalt durch das Armenamt und die Centrale für private Für¬ 
sorge Kinder überwiesen, die ein anderes Element bilden und eine eigenartige 
Behandlung erfordern; es sind schw’er erziehbare Kinder, erblich degenerative 
Jugendpsychosen mit Moral insanity. Diese machten die Einrichtung einer ge¬ 


sonderten Kinderabteilung mit Schule und speziell vorgebildeten Lehrern notwendig. 


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Neben dem Unterricht werden eie mit Handarbeiten, Schnitzereien new. beschäftigt. 
Von den 48 Kindern dieser zweiten Periode waren nur 16 pflegebedürftig; die 
anderen worden zum größten Teil wegen Schaleschwänz«], sexueller Delikte (beide 
ziemlich leicht korrigierbar), Poriomanie und Diebstählen (mit schlechterer Pro¬ 
gnose) eingewiesen. Daroh die Anstaltsbeobachtung soll entschieden werden, oh 
die Kinder vorwiegend der Erziehung oder der Heilung und Bewahrung bedürfen. 
Die richterlichen Entscheide, ob Erziehungsanstalt oder Krankenhaus, sind bei 
gleichgearteten Fällen noch nioht einheitlich. 

Diskussion: 

Herr Seelig (Wuhlgarten) hat Bedenken gegen die Aufnahme in eine Irren¬ 
anstalt, weil es den Kindern mit guter Prognose später schade, einmal in einer 
solchen Anstalt gewesen zu sein (Militär), und Kinder mit schlechter Prognose 
den bessern zur Last fallen. Er raöohte psychiatrisch geleitete Beobachtungs¬ 
abteilungen im Anschluß an Erziehungsanstalten haben. 

Herr Cr am er (Göttingen) will möglichst freie Behandlung, die bessere 
Besultate erziele. Die Fürsorgeerziehung sollte aber länger ausgedehnt werden. 
Er faud hei seinen Untersuchungen in Hannover 60 bis 75 °/ 0 pathologische Für¬ 
sorgezöglinge, besonders viel Imbezille. Das Fürsorgegeeetz ist aber nicht für 
die Minderwertigen, sondern für das Milieu gemacht. 

Herr Dannemann (Gießen) berichtet über die Verhältnisse in der holstei¬ 
nischen Erziehungsanstalt „rauhes Haus“, wo er bei den Pädagogen viel Ver¬ 
ständnis für psychiatrische Bestrebungen fand. 

Herr Laquer (Frankfurt a/M.) bedauert, daß das Fürsorgeverfahren zu lang¬ 
sam arbeitet 

Herr Meyer (Königsberg) erwähnt, daß die drei städtischen Hilfsschulen in 
Königsberg der psychiatrischen Klinik übertragen wurden. 

Herr Kluge (Sohlußwort): Jetzt werden noch viele pathologische Kinder in 
Fürsorgeerziehung gegeben. Von vornherein sollte der Arzt entscheiden, ob Er¬ 
ziehungsanstalt oder Krankenhaus richtiger ist Ob die Beobachtungsstation der 
Erziehungsanstalt oder dem Irrenbaus angegliedert wird, ist eine Frage für sich. 

Auch Herr Sioli tritt im Schlußwort dafür ein, daß vor dem Einsetzen 
jeder Fürsorgeerziehung eine psychiatrische Beobachtung und Weisung an die 
Behörden notwendig ist. 

Herr Spielmeyer (Freiburg): Schlafkrankheit und progressive Paralyse. 
Beide führen zu psychischer Schwäche. Bei beiden werden Störungen der Sehnen¬ 
reflexe, Paresen, Spasmen, epileptiforme Anfälle, universeller Tremor und artiku- 
latorische Sprachstörungen beobachtet. Dagegen fehlt bei der Paralyse das Fieber 
und die Schlafsucht. Vortr. hat anatomische Untersuchuugen an schlafkranken 
Menschen und Affen angestellt Wie bei der progressiven Paralyse fand sich 
diffuse Infiltration der Meningen und Gefäße mit Plasmazellen und lymphocytären 
Elementen. Vor allem Auskleidung der Bindenkapillaren mit Plasmazellen, 
Wucherung der Intima- und Adventitialzellen; Gefäßsprossung; Vermehrung der 
Glia und Veränderung der Ganglienzellen. Abweichend vom Bild der progressiven 
Paralyse finden sich Plasmazellen in allen Körperorganen. Für das Verhältnis 
der Trypanosomenkrankheiten überhaupt zur Syphilis und Metasyphilis ist es 
wichtig, daß die Beschälseuche der Tiere der Syphilis nahe verwandt ist, und die 
Trypanosomentabes der Hunde mit der menschlichen Tabes prinzipiell überein¬ 
stimmt Die zoologische Verwandtschaft der Erreger der Schlafkrankheit und 
der Paralyse ist nach Schaudinn darin gegeben, daß die Trypanosomen in der 
Protozoenreihe der Spirochätengruppe sehr nahe stehen. (Der Vortrag erscheint 
in der Münchener med. Wochenschrift.) 

Herr Weiler (Münohen): Untersuchungen mit dem Arbeitsschreiber 
bei U nfhllkr a n ken. Bisher wurde mehrfach versucht, die von den Unfallkranken 


immer b 

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etonte Steigerung der Ermüdbarkeit mittels der von Kraepelin 

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CALIFORNIA 



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gearbeiteten Rechenmethode einer objektiven Messung zu unterziehen. Da jedoch 
die Untersuchungsresultate der einzelnen Forscher voneinander abwichen, er¬ 
schien es angezeigt, zur Klärung der Frage andere Untersuchungsmethoden mit¬ 
zuverwenden. Der von dem Vortr. konstruierte Arbeitsschreiber erschien geeignet. 
Der Arbeitsschreiber, ein modifiziertes Ullmannsches Dynamometer, gestattet 
100 mit der Hand hintereinander ausgeQhte Pressungen aufzuschreiben, ohne daß 
das Instrument aus der Hand gelegt zu werden braucht und ohne Verwendung 
von berußtem Papier. Die bei jeder Pressung geleistete Arbeit kann direkt in 
Kilogramm abgelesen werden. Mit diesem Apparat stellte Vortr. Versuche bei 
Gesunden, Unfallkranken, körperlich Kranken und Hysterischen in der Weise an, 
daß die Versuchspersonen je an 10 aufeinanderfolgenden Tagen um dieselbe 
Tageszeit mit dem Instrument arbeiteten, und zwar so, daß an den ungeraden 
Tagen je 60 Pressungen im Rhythmus von 2 Sekunden ausgeführt wurden; an 
den anderen Tagen wurde nach der 30. Pressung eine Pause von 2 Minuten ein¬ 
geschaltet. Auf die Einzelheiten der so gewonnenen Arbeitskurven kann hier 
nicht eingegangen werden, nur sei dos Gesamtresultat mitgeteilt. Vortr. glaubt 
nach den gefundenen Werten die von ihm untersuchten Unfallskranken (18) in 
zwei, bezüglich ihrer Ermüdbarkeit wesentlich verschiedene Gruppen einteilen zu 
sollen. Die absolute Arbeitsleistung war bei allen Unfallkranken sehr viel ge¬ 
ringer als bei den Gesunden. Während nun ein kleiner Teil (5) eine deutliche 
Steigerung der Ermüdbarkeit aufwies — trotz geringer Arbeitsleistung war die 
Ermüdung groß und nach der Pause blieb ein großer Ermüdnngsrest, größer 
wie bei den Gesunden zurück —, zeigten die anderen keine Steigerung der Er¬ 
müdbarkeit, vielmehr war der Ermüdungsfaktor bei diesen meist geringer wie bei 
den Gesunden, und anstatt daß nach der Pause, infolge der noch vorhandenen 
(bei Gesunden Btets) Ermüdung, die Leistung geringer war wie vorher, stieg sie 
an. Vortr. glaubt als Ursache der Herabsetzung der Leistung bei der ersten 
Gruppe, den Ermüdbaren, eine organische Störung annehmen zu müssen, 
während die anderen infolge von Willensstörungen weniger leisten als die 
Gesunden. In dieser Auffassung bestärkt ihn die Tatsache, daß die Unter¬ 
suchungen hei körperlichen Kranken (Rekonvalescenten) ähnliche Ergebnisse 
lieferten wie die ermüdbaren Unfallkranken, während die bei der zweiten Gruppe 
zutage tretenden Erscheinungen auch bei den Hysterischen gefunden wurden. 
Auch mit Rücksicht auf die Vorgeschichte und das übrige klinische Verhalten 
der Kranken unterschieden sich die beiden Gruppen. Die Kranken mit ge¬ 
steigerter Ermüdbarkeit hatten einerseits schwere, den Kopf treffende Traumen 
mit Hirnerschütterung durchgemacht und zeigten andererseits zurzeit keine ein¬ 
deutig hysterische Symptome, während die anderen durchgehende nur leichtere 
Verletzungen, vor allem nicht solche, die das CentralnervensyBtem direkt zu 
schädigen vermochten, erlitten; bei diesen waren auch anderweitige psychogene 
(hysterische) Störungen nachweisbar. Autoreferat. 

Herr Hartmann (Graz): Über die unter dem Einfluß geistiger Arbeit 
auftretenden Veränderungen in der Größe der Muskelarbeit. Die Unter¬ 
suchungen wurden mit dem Ergographen angestellt; als geistige Arbeit diente 
das Zählen von kleinen Vierecken und dos Sortieren verschieden gefärbter Punkte. 
Die Resultate bestätigen die Angaben von Lehmann (Kopenhagen), daß die Ver¬ 
minderung der Muskelleistung bei gleichzeitiger Lösung einer bestimmten geistigen 
Aufgabe für das gleiche Individuum eine konstante sei, nur zum Teil. Der Satz 
gilt nach Vortr. nur innerhalb kurzer Zeiträume. Nahrungsaufnahme, Ermüdung 
und Übung schaffen veränderte Verhältnisse. 

Herr Rehm (München): Verlaufsformen des manisch-depressiven Irre» 
seine. Vortr. hat den Lebenslauf von 400 Kranken verfolgt. Die Fälle lassen 
sich in 4 Gruppen einteilen: 1. periodische Fälle, 2. Ersterkrankungen bzw. ein¬ 
malige Erkrankung, 3. chronische, 4. subchronische; wobei die einzelnen Gruppen 
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manische, depressive und cirkulüre-Formen umfassen. Über die Hälfte der Fälle 
sind periodisch. Etwa 1 / 3 der zur zweiten Gruppe gehörenden Fälle fallen ins 
Involutionsalter, meist Depressionen und meist Frauen. Die chronischen Fälle 
haben zum größten Teil cirkulären Verlauf. Subchronische Erkrankungen sind 
wenig intensiv mit rasch wechselnden Phasen und viel Mischzuständen. Die De¬ 
pressionen der Involutionsjahre sind durch das Fehlen stärkerer psychomotorischer 
Hemmungen und durch schwachsinnige Kleinheit«- und Verfolgungsideen aus¬ 
gezeichnet. Die Frage, ob sie zum manisch-depressiven Irresein zu zählen sind, 
läßt Vortr. offen. Sicher ist, daß auch einwandfreie cirkuläre und depressive 
Formen durch senile und arteriosklerotische Züge kompliziert werden. 

Herr Hübner (Bonn): Über die kllnisohe Stellung der Involutions- 
melanoholle. An der Hand des Bonner Materials hat Vortr. das Verhältnis der 
Involutionsmelanohohe zum cirkulären Irresein untersucht. Dafür, daß die In¬ 
volutionsmelancholie eine selbständige Krankheitsform sei, spricht die Seltenheit 
nicht rezidivierender Melancholie im jugendlichen Alter und einmaliger Manien im 
hohen Alter. Konstante klinische Unterscheidungsmerkmale gibt es nioht, auch die 
„Hemmung“ ist kein solches. Es fragt sich, wie weit das Senium den Verlauf 
und Ausgang depressiver Phasen des cirkulären Irreseins beeinflußt. Wenn 
eine Involutionsmelancholie in Demenz ausgeht, so hat sich nach dem Vortr. eine 
senile Demenz hinzugesellt. Dagegen glaubt Vortr. die Bogen, senilen Depressionen 
von der Melancholie abgrenzen zu können und hält sie für eine Form der senilen 
Demenz. Unterschiede bezüglich der Heredität und Ätiologie (exogene Schäd¬ 
lichkeiten) konnte Vortr. bei seinem Material gar nicht durchweg finden. 

Herr Geelvink (Frankfurt a/M.): Über die Grundlagen der Trunksucht. 
Vortr. bezeichnet als Grundlagen der Trunksucht diejenigen psychopath. Zustände 
und Veranlagungen, welche vor dem Einsetzen der Trinkgewohnheiten bestanden 
haben und als verminderte Widerstandsfähigkeit gegen die Alkoholwirkung oder 
die Trinkneigung sich äußern. Es fanden sich unter den in den letzten 4 Jahren 
in die Frankfurter Irrenanstalt aufgenommenen Gewohnheitstrinkerinnen: 12 Im¬ 
bezille, 13 Hysterische, 8 Epileptische, 4 Psychopathische und drei im Climak- 
terium Erkrankte; zusammen 40°/ o individuell veranlagte Personen. Unter 600, 
in einem Zeitraum von etwa 3 l / 2 Jahren aufgenommenen männlichen Alkoholisten 
fanden sich: Imbezille 8,3 °/ 0 , Hysterische 2,8 °/ 0 , Epileptische 12 °/ 0 , Psychopathen 
3,6 °/ 0 , Hebephrene 2,1 °/ 0 und Traumatiker 2,5 °/ 0 , zusammen 32,2 °/ 0 . Außer¬ 
dem bestand bei weiteren, individuell nicht nachweisbar, von vornherein Minder¬ 
wertigen erbliche Belastung unter den 100 Alkoholistinnen 4 mal durch Geistes¬ 
krankheit, 9mal durch Trunksucht des Vaters oder der Mutter; unter den 
600 Alkoholisten 8,6 °/ 0 durch Trunksucht, 4,6 °/ 0 durch Geisteskrankheit eines 
der Eltern. Mithin fand sich insgesamt individuelle oder hereditäre Veranlagung 
bei 44,4 °/ 0 der männlichen und bei 53 °/ 0 der weiblichen Gewohnheitstrinker. 
Zu den einzelnen Gruppen ist zu bemerken, daß als epileptisch veranlagt die¬ 
jenigen Alkoholisten gerechnet werden, welche nach zuverlässig erscheinenden 
Angaben vor dem 20. Lebensjahre in den Schul- oder Jünglingsjahren an Krampf¬ 
oder Schwindelanfällen gelitten hatten, während Angaben über Krämpfe der ersten 
beiden Lebensjahre nicht gezählt wurden. Als Traumatiker sind Fälle bezeichnet 


worden, bei denen bis zum 20. Lebensjahre eine von den ausgesprochenen Sym¬ 
ptomen einer Hirnerschütterung begleitete Kopfverletzung schädigend eingewirkt 
hatte und bei denen in der Anstaltsbeobachtung entsprechende Folgeerscheinungen 
im psychischen Zustande hervortraten. Für die klinische Bewertung der chroni¬ 
schen Alkoholpsychosen nicht unwichtig ist es, daß 13 Hebephrenerkrankte als 
chronische Trinker zu bezeichnen waren, da der psychotische Grundzustand nur 
bei Kenntnis der Vorgeschichte und genauerer klinischer Untersuchung erkennbar 
war. In der Gruppe der Psychopathen, die alle Formen der Dög6n6r6s vereinigt, 


sind 



mechanisch-depressivem 


Irresein leichterer Verlaufsart 

UNIVER8ffTr' OF CALIFORNIA 



532 


nntergebracbt worden. Ob bei den drei als im Clhnakterium erkrankt bezeichneten 
Trinkerinnen das Involutionsalter als das den Alkoholisraus ausübende Moment 
angesehen werden darf, bleibt zweifelhaft, da Angaben über den Beginn der 
Trinkneignng stets unsicher sind. Unter den vor dem 36. Lebensjahre anstalts¬ 
bedürftig gewordenen Trinkern fanden sich wesentlich mehr psychopathisch ver¬ 
anlagte als in der Gesamtsumme der Trinker, nämlich 58°/ 0 ; dagegen unter den 
häufiger ab 3 mal zur Anstalt zurfiekgekehrten nicht mehr ab in der GeeomrtsahL 
Daß die Ursachen des Alkoholismus mit dem Nachweis der individuellen Minder¬ 
wertigkeit eines Teiles der ihm Verfallenen nicht erschöpft sind, wird betont. 
Die Bedeutung des Milieus z. B. tritt in der Tatsache hervor, daß von den 
Trinkerinnen 40 ®/ 0 ab Prostituierte, Kellnerinnen oder Gastwirtsfrauen beruflich 
mit dem Schankgewerbe zu tun hatten. Autoreferat. 

Herr Knapp (Halle): Über funktionelle reine WoTttaubhelt. Eine 
Hysterica mit organisch bedingter Schwerhörigkeit wurde im Anschluß an eine 
Untersuchung vollständig tauh und bekam eine linksseitige Facialisparese. Nach 
Jahren ließ sich die Störung suggestiv beseitigen, es blieb aber eine reine sicher 
funktionelle Worttanbheit zurück, die ebenfalb der suggestiven Behandlung zu¬ 
gängig war. 

Herr Nitzsche (München): Über ohronisehe Manie. Während man früher, 
gemäß einer symptomatischen Fassung dieses Krankheitsbegriffes, unter chronischer 
Manie chronische Erregungszustände überhaupt verstand und dabei ganz vor¬ 
wiegend Endzustände von Verblödungspsychosen im Auge hatte, wies man später, 
nachdem man gelernt hatte, das Bild der Manie in der jetzt noch geltenden Weise 
zu umschreiben, wiederholt darauf hin, daß diese für gewöhnlich akut verlaufende 
Krankheit in seltenen Fällen chronisch werden kann. Man faßte diese chronisch- 
manischen Erregungen schwerer Art meist ab Ausgangsformen akuter Fälle awt 
In neuerer Zeit haben einige Autoren darauf aufmerksam gemacht, daß es 
chronische hypomanische Zustände gibt, die sie ab chronische Manie (Wern ieke, 
Siefert, Specht) bezeichneten. Auch die von Jung beschriebene manische 
Verstimmung, sowie die damit identische konstitutionelle Erregung Kraepelins 
gehören hierher als hypomanisch gefärbte KraUkheitsbilder leichtester Art, die 
von beiden Autoren zu den Zuständen von psychopathischer Minderwertigkeit, 
bzw. unter die originären Krankheitszustände gerechnet werden. Kraepelin 
nimmt an, daß es sich bei den ab chronische Manie zu bezeichnenden Fällen um 
Formen des manisch-depressiven Irreseins mit verwischter Verlanfsart und unvoll¬ 
kommenen Intermissionen handelt. Dem gegenüber sehen Wernicke und Specht 
in der chronischen Manie ein selbständiges Krankheitsbild. Der letztere Autor 
rechnet sie zu den konstitutionell psychopathischen Zuständen, gibt jedoch zu, 
daß sie den periodischen Psychosen nahe verwandt und durch Übergangsfermea 
mit ihnen verbanden sei. Er nimmt an, daß das auch symptomatisch eigenartige 
Bild zur Zeit der Ausreifung der Persönlichkeit entsteht, auf der Höhe dee 
Lebens eine Verschlimmerung erfährt und erst im Alter allmählich nachdunkelt. 
Vortr. erörtert nun auf Grund einiger, teils von ihm beobachteter, teils in der 
Literatur veröffentlichter Fälle von chronisch hypomanischem Charakter die Frage 
nach dem Verlauf und der klinischen Stellung dieser Formen. Unter den be¬ 
trachteten Fällen befand sich zunächst eine Gruppe von Kranken, bei denen das 
Krankheitsbild dauernd das der konstitutionellen Erregung Kraepelins blieb. 
Meist, aber nicht immer, ließ sich die Störung bis in die frühe Jugend zurück¬ 
verfolgen. Die Patienten, bei denen das möglich war, batten meist bis gegen 
die zwanziger Jahre hin das Bild sanguinischer Psychopathen geboten, und es war 
erst dann eine Steigerung der Erscheinungen zu der definitiven Höhe zu kon¬ 
statieren. Meist unterlag der Zustand Schwankungen. In einigen weiteren Fällen 
zeigte sich bei konstitutionell Erregten um das 30. Lebensjahr eine schwerere 

g. Ein 54jähriger Kranker dieser Art bltebj. fernerhin frei 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




538 


van solches okuten Steigerungen und bot wie zuvor das Bild eines manischen 
Querulanten. Bei einem andern von gleichem Alter traten im 28., 38. und 
48. Lebensjahre akute manische Phasen von schwererer Art und zunehmend langer 
Dauer auf, deren einer eine Depression voraufging, und es schien sich auch der 
intervalläre Dauerzustand allmählich etwas zu verschlimmern. Wieder eine andere 
hrroppe von Kranken zeigt zunächst, bis gegen dos 80. Jahr etwa, das Bild von 
unternehmungslustiges, streitsüchtigen Psychopathen mit gehobenem Selbstgefühl; 
es steigert sich dann diese Eigentümlichkeit, die Kranken bieten zunächst dos 
Zustandsbild einer konstitutionellen Erregung, und in vorgeschrittenerem Alter, 
gegen das 40. oder 50. Jahr hin, setzt eine deutliche Hypomanie ein, die bald 
mehr stabil, bald unter Schwankungen verläuft, 1 -oder 2 Jahrzehnte dauert und 
bis jetzt nicht wieder abgeklungen ist (es bandelt sich um Leute im Alter von 
50 bis SO Jahren). Eine 64 Jahre alte Patientin endlich ist seit 25 Jahren 
bypomanisofa, und zwar erinnert ihr Zustand symptomatisch offenbar sehr an die 
Fälle, die Specht kn Auge bat. Die Hypomanie hat sieh jedoch erst im 
36. Lebensjahre aus einer sohweren Depression von dreijähriger Dauer heraus- 
entwickelt. Es fallt auf, daß bei diesen Fällen die ausgeprägten psychotischen 
Exacerbationen erst in den späteren Jahren, frühestens gegen das 30. Lebensjahr 
hin, Auftreten und daß auch, wo solche akute Steigerungen chronisch werden, es 
im höheren Alter geschieht. Vortr. bespricht nun kurz die symptomatische Eigen¬ 
art der Fälle. Er möchte den Begriff der konstitutionellen Erregung auch auf 
gewisse psychopathische Individuen ausdehnen, die für gewöhnlich unter die 
Gruppe der hysterischen Charaktere gerechnet oder wohl auch als Folie raisonnante 
bezeichnet werden. Den Individuen mit hysterischem Charakter gegenüber zeichnen 
sie sich durch das Fehlen der Beeinflußbarkeit und durch den endogenen Charakter 
der etwa vorhandenen Schwankungen aus. Die ausgeprägt hypomanisohen Zu¬ 
stände waren meist charakterisiert durch starkes Zurücktreten der motorischen 
Erregung, durch Überwiegen räsonierender und querulierender Stimmungsnuancen. 

Wo Wahubildungen vorhanden waren, erschienen die Verfolgungsideen mehr nur 
episodisch, traten jedenfalls sehr zurück hinter den megslomanischen. Systemati¬ 
sierung fand nur vorübergehend auf Höhepunkten der Erregung statt. Eigent¬ 
liche Ideeuflucht fehlte sehr oft; doch zeigten die Kranken meist eine auffallende 
Weitschweifigkeit. Sehr häufig waren Erinnernngsfülschungen. Erbliche Belastung 
zeigten von 15 Kranken 11, und zwar 4 in Form einer gleichartigen Belastung. 
Was schließlich die klinische Stellung solcher Fälle anlangt, so gilt für manche 
unter ihnen dos Wort Kraepelins von Formen des manisch-depressiven Irreseins 
mit verwischter Verlaufsart und unvollkommenen Intermissionen. Bei den Fällen 
mit mehr stabilem Verlauf ist' diese Deutung nicht zulässig. Indessen sieht Vortr. 
keinen Grand ein, nicht auch sie der großen Gruppe des manisch-depressiven 
Irreseins einzureihen, auch dann, wenn der Zustand schon in der Jugend be¬ 
gonnen hat. Solche Fälle würden dann eigenartige manische Erkrankungen dar¬ 
stellen , die schon in früher Jugend eingesetzt haben. Daß die Fälle von kon¬ 
stitutioneller Erregung, wenn die Störung bis in die Kindheit zurückznverfolgen 
ist und dauernd bestehen bleibt, Übergangsformen vom manisch-depressiven Irre¬ 
sein zu den originären Krankheitszuständen darstellen, liegt auf der Hand; gehen 
sie doch ohne scharfe Grenze in noch innerhalb der Gesundheitsbreite befindliche 
eigenartige Charaktere über. Gewisse Beobachtungen sprechen dafür, daß auch so 
leichte, das Bild der manischen Erregung nur streifende Störungen, wie wir sic 
zur konstitutionellen Erregung rechnen, keinesweges dauernde persönliche Eigen¬ 
tümlichkeiten darstellen müssen, — ein Grund mehr, solche Fälle nicht vom manisch- 
depressiven Irrmein abzutrennen und in der konstitutionellen Erregung chronisch 
maaisohe Erregungen leiohtester Art zu sehen. — Der Vortrag wird in er¬ 
weiterter Form veröffentlicht. Antoreferat. 

Herr Wo!ff (Katzenelinbogen): Psychiatrisches aus Syriern,, Dementia 
Digitizeaby VjU £TCT UNIVERSUM OF CALIFORNIA 



Ö34 


praecox and manisch-depressives Irresein kommt ungefähr gleich häufig vor, wie 
bei uns. In Depressionszuständen ist der Suicidtrieb trotz des verschiedenen 
Volkscharakters nicht seltener als bei unserer Bevölkerung. Die progressive 
Paralyse ist nicht bo selten, wie man allgemein glaubt; sie macht etwa 6 bis 8 °/ 0 
aller Geisteskrankheiten aus. 

Herr E. Abraham (Burghölzli-Zürich): Über die Bedeutung sexueller 
Jugendtraumen für die Symptomatologie der Dementia praecox. Freud 

hat in seinen Schriften den Nachweis geführt, daß den Symptomen der Hysterie 
gefühlsbetonte Eeminiszenzen zugrunde liegen, welche in erster Linie dem Gebiet 
der Sexualität angehören und sich bis auf Erlebnisse der Kindheit zuröckverfolgen 
lassen. Ursprünglich betrachtete Freud das sexuelle Jugendtrauma als primäres 
ätiologisches Moment, neuerdings stellt er dagegen die individuelle Art der 
Reaktion auf sexuelle Eindrücke in den Vordergrund und sieht das psychische 
Trauma nicht als etwas unbedingt Nötiges an. Nach den Erfahrungen des Vortr. 
liegen bei der Dementia praecox mindestens in einem beträchtlichen Teil der 
Fälle ganz ähnliche Verhältnisse vor. Er hat eine Anzahl von Krankheitsfällen 
einer genauen psychologischen Analyse unterworfen und konnte feststellen, daß 
Erlebnisse sexueller Natur aus der Kindheit in den Symptomen später aus- 
brechender Dementia praecox symbolisch zum Ausdruck gelangen. Sie geben den 
Wahnideen, Halluzinationen, sowie anderen Symptomen einen bestimmten Inhalt. 
Nur in einem Teil der Fälle lag ein schweres psychosexuelles Trauma auB der 
Vorpubertätszeit vor, in anderen handelte es sich um weniger schwere Eindrücke, 
die in abnormer Weise die kindliche Phantasie angeregt hatten. Vielleicht ist 
diese abnorme Phantasie Bchon eine Äußerung der Psychose. Vortr. teilt ein¬ 
schlägiges Material aus Krankengeschichten mit. (Der Vortrag erpcheint in extenso 
im Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych.) Autoreferat. 

Herr Moses (Mannheim): Idiotenfürsorge und Fürsorgeerziehung. 
Wenigstens die Hälfte der noch bildungsfähigen Idioten kommt noch nioht in 
Anstaltserziehung, weil die Erziehungsberechtigten unwissend oder renitent sind, 
und es fragt sich, ob auf Grund des Fürsorgeerziehungsgesetzes die Eltern nsw. 
gezwungen werden können, die Kinder in Anstalten zu geben. In Bayern, 
Braunschweig, Sachsen und Baden ist durch Gesetze und Ministerialerlasse 
für die (event. zwangsweise) Erziehung der Idioten gesorgt. In Preußen fehlen 
entsprechende Bestimmungen. Der Ministerialerlaß vom 19. Juli 1906 bezieht 
sich nur auf taubstumme und blinde Kinder, aber nicht auf schwachsinnige und 
idiotische. Die Ausführungsbestimmungen zum Fürsorgegesetz erwähnen nur die 
„nicht vollsinnigen“ Kinder. Idioten sind nicht ausdrücklich erwähnt; es wäre 
aber im einzelnen Falle doch möglich, auf Grund dieser Ausführungsbestimmungen, 
welche Fürsorgeerziehung vorschreiben, wenn die Eltern die Gelegenheit zu Pflege 
und Unterricht zurückweisen, idiotische Kinder zwangsweise zu versorgen. Bei 
körperlicher Vernachlässigung von seiten der Eltern kann Fürsorgeerziehung 
ebenso wie bei vollsinnigen Kindern eingeleitet werden. Auch auf Grund des 
Abs. 3 des § 1 des Fürsorgegesetzes (Gefahr der völligen sittlichen Verderbnis) 
läßt sich ab und zu Anstaltsversorgung durchführen. Vortr. erwartet eine baldige 
gesetzliche Regelung in Preußen durch eine Novelle zum Fürsorgeerziehungsgesetz. 

Herr Kleist (Halle): Über die MotilitfttspsyChosen Werniokes. Vortr. 
analysiert an der Hand eines Falles zyklische (hyperkinetisch-akinetische) Motilitäts¬ 
psychosen mit Hilfe der W T ernickeschen Konstruktionen. Im akinetischen 
Stadium bestand trotz guten Verständnisses Bewegungsunfähigkeit oder es kam zu 
Fehlbewegungen. Zum Unterschied von der kortikalen Apraxie waren hier schon 
einfache Muskelsynergien gestört und es wurden Veränderung der Sehnenreflexe, 
Flexihilita8 und Hypotonie beobachtet. Im hyperkinetischen Stadium kam es zu 
choreatischen Bewegungen, Hypotonie und Ataxie. Diese Symptome sprechen 
nach K^ara ehesten für eine Störung iin kortikalen Eude der Kleinhirn-Thalumus- 
’glE' UNIVERSUM OF CALIFORNIA 



535 


Stirnhirnbahn (Anton-Zingerle). Eine gewisse Abhängigkeit der Bewegungs¬ 
störung von assoziativen Komplexen zeigte sich darin, daß das imitative und das 
reaktive Verhalten (Affekte) ganz ungleich betroffen waren. 

Aus den geschäftlichen Verhandlungen sei noch erwähnt, daß Hitzig, Tarn- 
burini, Bianchi und Magnan zu Ehrenmitgliedern des Vereins ernannt wurden. 

Der 3. Sitzungstag fand in Hießen statt. 

Herr Dannemann (Gießen) spraoh über psychiatrische Aufgaben bei 
Heranbildung von Bioherheltswachen. Vortr. hielt in Darmstadt Vorlesungen 
vor Schutzleuten. Er orientierte sie Uber die Methoden der Aussageforschung, 
Uber Trugwahrnehmung, Suggestivfragen usw., die bei polizeilichen Vernehmungen 
und Berichten in Frage kommen. An Hand von bekannten gerichtlich wichtigen 
Fällen schilderte er Krankheitszustände und klärte über das bei Anfällen, 
impulsiven Handlungen usw. nötige Verhalten auf. Vortr. glaubt, daß so vor¬ 
gebildete Schutzleute gute Berufsvormünder abgehen wUrden. 

Herr Sommer (Gießen) besprach die im menschlichen Körper auftretenden 
elektrischen Eigenströme. Sie werden durch zwei an verschiedenen Körperteilen 
aufgesetzte Elektroden aufgenommen und bewirken am Spiegelgalvanometer einen 
leicht meßbaren Ausschlag. Von Taschanoff, Veraguth u. a. ist festgestellt, 
daß dieser von psychischen Vorgängen (Affekten) abhängig ist. Vortr. hat nun 
die Handelektroden verbessert, indem er mit Stanniol überzogene Gummiballons 
benutzt, die außerdem mit einem Manometer verbunden sind, um den Druck der 
Hand zu messen. Nun zeigte sich, daß wir es mit zwei Strömen zu tun haben, 
von denen der eine links, der andere rechts entsteht und die einander entgegen¬ 
gesetzt Bind, so daß bei der bisherigen Anordnung der Galvanometerausschlag 
nur der Differenz der beiden entsprach und nach links oder rechts erfolgte, je 
nachdem die- Versuchsperson elektromotorischer Links- oder Rechtshänder war. 
Es gelang nun Vortr. durch Benutzung von einer Kohlen- und einer Aluminium¬ 
elektrode, die beiden Ströme in gleiche Richtung zu bringen und so einen viel 
stärkeren Ausschlag zu erhalten. 

Herr Hackländer (Gießen) demonstrierte Apparate zur Aufnahme 
optischer Beize, darunter ein von ihm modifiziertes Spaltpendel mit Spiegel, 
um beliebig große Gegenstände und beliebige Reizwörter darzubieten. 

Herr Reich (Herzberge) berichtet in der Diskussion über eine Art Bilder¬ 
buch, mit dem sich prüfen läßt, wieviel die Versuchsperson von einem Gegenstand 
sehen muß, um ihn richtig zu ergänzen. 

Herr Sommer macht die erfreuliche Mitteilung, daß in Gießen und an anderen 
Orten Centralstellen zur Verleihung von psychologischen Apparaten errichtet werden. 

Herr Berliner (Gießen) demonstriert eine Beihe von Hirntumoren. 

Herr Becker (Gießen) berichtet über Untersuchungen über Simulation 
von Unfallkranken. Durch Aufnahme von Zitter-, Haltungs- und Reflexkurven 
mit den Sommer sehen Apparaten ließ sich in mehreren Fällen der absolut sichere 
Beweis führen, daß der Verdacht der Simulation der betreffenden Störungen 
ungerechtfertigt war. 


Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 13. Mai 1907. 

Herr Oppenheim hält einen warmempfundenen Nachruf auf Ernst v. Berg¬ 
mann, in dem er besonders der Verdienste des Dahingeschiedenen um die Dia¬ 
gnostik und chirurgische Therapie der Gehirnkrankheiten hervorhebt. 

1. Diskussion über die Demonstration des Herrn Oassirer (Sitzung vom 
11. März; vgl. d. Central bl. S. 370). 

Herr Jacobsohn fragt, ob Herr Oassirer in der Lage wäre, genaueres 
über seine Ansicht, bezüglich der Lokalisation und der Natur des Krankheits- 

ö 1 ^ UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



536 


prozesses bei dem demonstrierten Fall mitzuteilen. Wenn er Vertr. richtig ver¬ 
standen habe, so nahm derselbe an, daß es sich um eine Erkrankung aller spino- 
cerebellaren Bahnen handele. Es müßte sich dran um einen sehr ausgedehnten 
Prozeß handeln. J. fragt, ob es nicht möglich wäre, die Erkrankung durch einen 
Herd des Kleinhirns bzw. der Kleinhirnstiele zu erküren. 

Herr Cassirer hält eine genauere Lokalisation nicht für möglich, die Affek- 
tion durch Annahme eines Herdes zu erklären habe er aufgeben müssen; er glaubt, 
daß sowohl das Kleinhirn selbst, als auch die zu diesem aufsteigenden Bahnen 
beteiligt sind. Für einen systematischen Prozeß sprechen auch die rasgebreiteten 
Störungen der Sensibilität, die durch eine Aflfektion der Klemhirnstiele nicht er¬ 
klärt werden könnten. 

2. Herr Oppenheim und Herr Borchardt: Demonstration rar opera¬ 
tiven Behandlung der Kleinhirnbrückenwinkelgesohwületo. 

Herr Oppenheim: I. 26jähriger Patient wird von ohren&rztlicher Seite mit 
der Diagnose „nervöse Taubheit rechts wahrscheinlich infolge von Neubildung“ 
überwiesen; Beginn der Erkrankung 1904 mit Sohmerzen und Sausen un rechtem 
Ohr, zunehmender Schwerhörigkeit rechts, unsicherem Gang, heftigen Kopfschmeraen 
bisweilen mit Erbrechen, Nackensteifigkeit. Jnni 1906 Parästhesien in der rechten 
Gesichtshälfte unter den Zähnen und Sehstörung. Status: Nystagmus beim Blick 
nach links und rechts, Blickparese nach rechts, Hypo-, später Areflexie der rechten 
Cornea, rechter sensibler Trigeminus < 1., rechter Facialis etwaB < 1., Parese 
und Areflexie des Gaumensegels, elektrische Erregbarkeit im rechten Farial» 
herabgesetzt, keine Entartungsreaktion, doppelseitige Stauungspapille, Gang oere¬ 
bellarataktisch. Perkussion des Schädels in der Occipitalgegend empfindlich, bia¬ 
weilen r. > 1., am rechten Arm geringe Bewegungsataxie und Andeutung von 
Adiadokokinesis. Sensibilität und Reflexe normal. Diagnose: Tnmor wahrschein¬ 
lich des rechten Kleinhirnbrückenwinkels. Zweizeitige Operation durch Herrn 
Borchardt am 21. und 26./1X. 1906. Es fand sich ein eigroßer Tumor, der 
stumpf herausgelöst werden konnte. Mikroskopisch: gemischter Typus, im wesent¬ 
lichen Fibrosarkom. Zunächst p. op. Steigerung der cerebellaren Ausfallserschei¬ 
nungen, sonst aber erhebliche und schnell fortschreitende Besserang. Status am 
26./X.: Stauungspapille wesentlich zurückgegangen, Nystagmus und Blickparese 
noch deutlich, ebenso Ataxie und Tremor im rechten Arm. Am 7./XI. entlassen, 
klagte er Anfang Februar 1907 über heftige Kopfschmerzen, die aber allmählioh 
verschwinden. Jetzt ergibt die Untersuchung: Stauungspapille völlig zurück¬ 
gegangen, leichte neuritisohe Atrophie, Sehkraft gut, Gang vollkommen sicher, 
Schwanken bei Augenschluß ganz gering angedeutet. Pat. arbeitet täglich acht 
Stunden auf dem Lande. Cornea, Trigeminus, Facialis beiderseits gleich, Nystag¬ 
mus noch spurweise angedeutet, Blickparese geschwunden, keine Ataxie der rechten 
Hand mehr; geringe Adiadokokinese. Laryngoskopischer Befund normal. Gehör 
scheint rechts bis zu einem gewissen Grade wieder vorhanden, doch ist das unsicher. 

11. Beim zweiten vorgestellten Falle bestanden viel schwerere Allgemein¬ 
erscheinungen: Völlige Amaurose bei neuritischer Atrophie, totale degenerative 
Lähmung des linken Facialis, Taubheit links, Blickparese nach links, Gaumen¬ 
segelparalyse und Gaumensegelareflexie, starke linksseitige Hemiataxie. Zweizeitige 
Operation durch Herrn Borchardt am 15. und 26./I. 1907. Es fand sich der 
diagnostizierte Tumor deB linken Kleinhirnbrückenwinkels, der aber nur stück¬ 
weise mit Opferung eines Teiles der linken Kleinhirnhemisphäre entfernt werden 
konnte. Bei zunächst günstigem Wundverlauf trat bald Besserung der Allgemein¬ 


erscheinungen ein. Am 3./II. plötzlich Zungen- und Schlinglühmung, sowie Dys¬ 
arthrie, Tachykardie und Anästhesie im linken Trigeminus. Pat. mußte 10 Tage 
lang mit der Sonde ernährt werden. Nach 14 Tagen Rückgang der Bulbär- 
erscheinungen. Seitdem bis auf die irreparablen Erscheinungen wesentliche Besse- 



Jetziger Status: VII-Lähmung unverändert, V frei, geringer 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



5B7 


Nystagmus beim Blick nach rechts, Blickparese nach links, starke Adiadokokinesis 
sowie Ataxie der linken Extremitäten, Neigung nach links zu fallen. Gaumen« 
segellähmung zurückgegangen. Von Interesse ist dos Auftreten der Bulbärlähmung, 
die auf eine Blutung oder nekrobiotieche Vorgänge zu beziehen ist, besonders 
interessant aber deren völliger Rückgang. 

III. Demonstration eines Präparates von Tumor des Eleinhimbrückenwinkels, 
von einem Patienten stammend, bei dem Blntbrechen im Vordergründe der Krank« 
heitssyraptome stand. Er wurde Vortr. von L. Kuttner überwiesen und bot im 
übrigen die typischen Symptome eines Tumors der genannten Region. Pat. über« 
stand nur den ersten Akt der durch Krause im Januar 1907 ausgeführten Ope¬ 
ration; in der Nacht nach dieser trat von neuem Blutbrechen au£ Pat. ging zu 
Grande. Leider mußte sieb die Sektion auf die Sehftdelhöhle beschränken, so 
daß die Ursache des Blutbreohens nicht festgestellt werden konnte. Der Fall soll 
an anderer Stelle ausführlich besprochen werden. 

Herr Borehardt verfügt jetzt über sechs operierte Fälle von Kleinhirn¬ 
brückentumor, von denen drei leben, die beiden beute vorgesteüteu und der im 
November 1905 hier demonstrierte Patient, der als Naturmensch in der Nähe von 
Berlin lebt und psychisch wohl nicht ganz normal ist. Eime von KaÜBcher ihm 
überwiesene 32jährige Patientin starb 8 Stunden nach dem zweiten Akt der 
Operation, nachdem schon der erste Akt wenig günstig verlaufen war (schleohte 
Narkose, starke Blutung). Die mikroskopische Untersuchung des Falles steht noch 
aus. Bei den beiden heute vorgestellten Fällen war der Wundverlauf sehr günstig, 
die Blutung gering, obwohl in beiden Fällen Teile des Kleinhirns sich nekrotisch 
abstießen bzw. wegen Prolaps abgetragen werden mußten. Der Pat I konnte 
schon am 16. Tage dos Bett verlassen. Die Prognose des Einzelfalles ist von 
vornherein nicht zu stellen, es ist aber zu hoffen, daß die Resultate der Operation 
mit der Zeit immer besser werden. 

Herr Ziehen bat bisher 7 mal wegen Tumor des Kleinhirnbrücken winkele 
operieren lassen: ein Fall wurde glücklich operiert, ging aber später an einem 
zweiten intrapontinen Tumor zugrunde; in 2 Fällen reichte der Tumor zu weit 
nach vorn, der vierte ging an Pneumonie nach dem ersten Akte der Operation 
zugrunde, im fünften wurde trotz Stauungspapille kein Tumor gefunden, im 6. Fall 
trat bei dem ersten Akt eine schwere Sinusblutung auf, so daß an den zweiten 
Akt vorläufig noch nicht zu denken ist. Im 7. Fall wurde der Tumor bei der 
Operation ebenfalls nioht gefunden; hier war diagnostisch sehr merkwürdig das 
Auftreten einer gekreuzten V-Lähmung. Der laryngoskopisohe Befand ist meist 
negativ. Schwere Sprach- und Schluckstörung hat Vortr. auch im ersten Fall 
eine Woche nach der Exstirpation des Tumors beobachtet. Als Ursache davon 
ist vielleicht stärkere Flüssigkeitsansamrolung im 4. Ventrikel anzusehen. 

Herr Remak verweist darauf daß der zweite demonstrierte Patient das 
Be 11 sehe Phänomen vermissen lasse. Es hänge dos wohl mit der Amaurose zu¬ 
sammen, da der Blinde heim Versnche des Angenschlumes den Sehakt nich reflek¬ 
torisch ausznschließen brauche. 

Herr Bernhardt bemerkt, daß auch Gesunde das Bellsche Phänomen neigen. 

Herr Oppenheim verfügt auch über diagnostische Mißerfolge. In einem 
derartigen Fall hat es sich um Hydrocephalus aoquisitns gehandelt. Gekreuzte 
V-Lähmtuag hat 0. auch einmal gesehen. Herrn Ziehens Erklärung für das 
Auftreten der Bnlbärsymptome dürfte für seinen Fall, wo diese Symptome apo- 
plektiform aufgetreten sind, nicht zutreffen. 

2. Herr ForBter: Zur Funktion der Qlia. Vortr. berichtet an der Hand 
von Demonstrationen von Präparaten über die Art nnd Weise, wie ins Kaninchen- 
hirn gebrachte reizlose feine Fremdkörper (feine verriebene Tasche) aas diesem 
wieder her&usgebracht werden. Es geschieht dies mittelst dreier Wege: Die Glia, 

die eine ort’aa ftipU .Verbindung von den Ganglienzellen zu den Gefäß Wandungen 

' ^ Vjvr -glt UNIVERSITYOF CALIFORNIA 



538 


bildet, tritt hauptsächlich in Aktion, um die schädigenden Stoffe aus den Ganglien* 
zellen nach den Gefäßwandungen fortzuschaffen. In der Nähe der Verletzung 
spielen in den ersten Tagen auch ausgewanderte Gefäßzellen eine Bolle. Sind 
die Ganglienzellen einmal von der Tusche befreit, so übernehmen die neugebildeten, 
aktiv beweglichen Gitterzellen die weitere Fortschaffung der anfangs in allen Zellen 
gleichmäßig verteilt gewesenen Tusche, die so schließlich in den Adventitialzellen 
der Gefäße abgelagert wird. Es scheint nicht unwahrscheinlich zu sein, daß die 
Glia auch im normalen Zustande die Fortschafiung von StoffwechBelprodukten aus 
den Ganglienzellen zu den Gefäßwandungen vermittelt. (Die ausführliche Ver¬ 
öffentlichung der aus Nissls Laboratorium stammenden Versuche erfolgt in 
Nissls Beiträgen.) Autoreferat 

3. Herr Oppenheim: Zar Differential diagnose des extra* und intra¬ 
medullären Tumor medullae apinalis. 23jähriger Patient, seit einem Jahre 
zunehmende Schmerzen in der linken Kreuzbein* und Gesäßgegend, nach 3 Monaten 
allmählich zunehmende Schwäche und Taubheitsgefübl im linken Bein, Harn¬ 
entleerung zeitweilig erschwert, häufig stark imperativer Stuhldrang, so daß Pat 
sich bisweilen beschmutzt Objektiv findet Bich: Wirbelsäule normal, linkes Bein 
wird spastisch*paretisch nachgeschleift, Steifigkeit im Fußgelenk, Fußklonus, 
Babinskischer und Oppenheimscher Reflex, Patellarreflex 1. < r., Quadriceps 
leicht atrophisch, quantitative Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit Spas¬ 
tische Erscheinungen rechts nur angedeutet. Taktile Empfindung im Saphenus- 
gebiet (innerer Fußrand) herabgesetzt, Thermanästhesie und Analgesie an beiden 
Füßen und Unterschenkeln, Thermhypästhesie in der rechten Glutäalgegend. 
Bauohreflexe und Bumpfsensibilität normal. Diagnose: Prozeß im unteren Dorsal¬ 
oder oberen Lendenmark, Ursprungsgegend 3. bis 4. Lumbarwurzelgegend. Karies 
auszuschließen, ob intra- oder extramedullärer Krankheitsprozeß, nicht sicher zu 
entscheiden. Der Status blieb im ganzen derselbe, nur die Schwäche nahm ein 
yrenig zu. Vortr. konnte sich nur schwer zur Operation entschließen, Pat selbst 
gab schließlich den Ausschlag. Operation am 23. Februar durch Herrn Borchardt, 
der erst nach Entfernung des 11. und 12. Brustwirbels und des 1. Lendenwirbels 
eine vorn und links gelegene langgestreckte Geschwulst fand, zu deren völliger 
Entfernung auch der 2. Lendenwirbel entfernt werden mußte. Der zuerst günstige 
Wundverlauf wurde dann schwer gestört durch eine sohwere Cystitis und Abscesse 
an den Oberschenkeln. Vorübergehend trat Pupillendifferenz und Nystagmus aut 
Zunächst trat nach der Operation eine schlaffe Lähmung der Beine auf, die hier, 
wie immer in günstig verlaufenden Fällen, allmählich wieder spastisohen Er¬ 
scheinungen Platz maohte. Seit Mitte März Besserung der Blasen* und Mast¬ 
darmstörungen, dann der Beflexphänome, der Sensibilitätsstörungen und schließlich 
auch der Motilität. Allgemeinbefinden vorzüglich. Vortr. erläutert an dem mit¬ 
geteilten Falle die Schwierigkeiten, die sich der Entscheidung der Frage, ob 
extra- oder intramedullärer Sitz von Neubildungen, entgegenBtellen. Der Fall 
zeigt, daß für die Lokalisation ausschließlich die Druckwirkung vom oberen Pol 
der Kompressionsstelle her maßgebend ist; auch hier waren die Symptome trotz 
der Ausdehnung des Tumors nach unten ausschließlich von der oberen Kom¬ 
pressionsstelle her gegeben. Als Ursache dafür ist man berechtigt, die Tatsache 
anzusehen, daß das Mark immer schwerer geschädigt ist als die Wurzeln, ferner, 
daß der Tumor durch seine Verjüngung nach abwärts weniger komprimierend 
wirkt. Sohwer zu beantworten ist die Frage, warum bei dem einseitigen Sitz 
des Tumors und nur einseitigen Motilitätsstörungen doppelseitige Sensibilitäts¬ 
störungen vorhanden waren. Trotz aller Schwierigkeiten bei der topischen Dia¬ 
gnose, die auoh dieser Fall epikritisch erkennen läßt, wird man sich doch, wenn 
nur einige Berechtigung zur Annahme extramedullären Sitzes eines Tumors vor¬ 
handen ist, zu operativem Eingreifen entschließen müssen. 

Harr'’ B o r c h ä r-4 1 erläutert die Teohnik der Operation. 
ig " Z v V30uglC (JNIVERSITY OF CALIFORNIA 



589 


Herr Rothmann fragt, ob Vortr. nicht Fälle von intramedullärem Sitz ge¬ 
sehen hat, hei denen er an ein operatives Eingreifen gedacht hat. R. haben seine 
Beobachtungen über die weitgehenden Restitutionen nach experimentellen intra¬ 
medullären Eingriffen auf den Gedanken gebracht, auch beim Menschen das 
Rückenmark selbst operativ anzugreifen. In Frage kämen zunächst natürlich nur 
einseitig sitzende Tumoren des Brustmarkep. Die Sensibilitätsstörungen in dem 
besprochenen Fall sind wohl dadurch zu erklären, daß der Tumor so weit nach 
vorn saß. R. fragt ferner, ob ataktische Erscheinungen nachweisbar waren, da 
der Vorderstrang doch jedenfalls schwer affiziert war. 

Herr Förster berichtet über einen Fall von spastischer Lähmung beider 
Beine, die allmählich schmerzlos entstanden war; im weiteren Verlauf Sensibilitäts¬ 
störungen bis zum Nabel, Schmerzen traten erst ganz zuletzt auf. Bei der Ope¬ 
ration fand sich ein extramedullärer Tumor, ein Psammom des 5. und 6. Brust¬ 
wirbels. Bei der Patientin, der es jetzt besser geht, bestehen Spasmen und 
Schmerzen allerdings noch ziemlich unvermindert fort, dagegen haben sich die 
Sensibilitätsstörungen gebessert. 

Herr Lewandowsky erwähnt einen Fall, bei dem nach einetn lange 
dauernden Vorstudium von starken Sohmerzen die Wahrscheinlichkeitsdiagnose 
auf einen extramedullären Tumor gestellt worden war. Pat. starb vor der Ope¬ 
ration an den Folgen eines Dekubitus. Bei der Sektion fand sich am Rücken¬ 
mark zunächst anscheinend nichts, erst nach Zerlegung desselben in Scheiben 
fand sich ein erbsengroßes Gummi in einem Seitenstrang; hier wäre der Versuch 
eines intramedullären Eingriffes im Sinne der Anregung des Herrn Rothmann 
ganz ausgeschlossen und Bicher ergebnislos gewesen. Doch läßt sich die Möglich¬ 
keit, intramedulläre Tumoren gelegentlich operativ anzugreifen, nicht ganz aus¬ 
schließen. L. fragt schließlich den Vortr., wie er sich zu der cirkumskripten 
Meningitis Krauses stellt und ob es sich nicht in derartigen Fällen auch um 
intramedulläre Tumoren handelt. 

Herr SchuBter fragt nach den Ergebnissen der Röntgen-Untersuchung. 

Herr Oppenheim hält die Inangriffnahme intramedullärer Tumoren vor¬ 
läufig für ausgeschlossen, besonders da diese meist diffusen Charakter tragen. 
Die cirkumskripten sind meist entweder Gummata oder Solitärtuberkel; letztere 
sind meist in der centralen grauen Substanz gelegen. Ob die Meningitis circum¬ 
scripta ein selbständiges Leiden ist, ist Vortr. mehr als zweifelhaft ; er bat durch 
Operation hier nur Besserung, aber keine Heilung erzielt Sie kann aber das 
Bild eines extramedullären Tumors Vortäuschen. Ergebnisse der Röntgen-Unter- 
sncbung sind bei RückenmarkBneubildungen noch schlechter und unbefriedigender 
als beim Gehirn. Martin Bloch (Berlin). 

XLII. Versammlung der Irrenärzte Niedersaohsens und Westfalens 
am 4. Mai 1907 in Hannover. 

Vorsitzende^ Herr Gerstenberg (Hildesheim). Beginn 2 Uhr. 

Herr Bruns (Hannover): Beiträge zur Hirn- und Büokenmarksohirurgie. 
Vortr. stellt zuerst einen 30jährigen Landwirt vor, der im September 1906 zu 
ihm kam, nachdem von augenärztlioher Seite rechts Hemianopsie und Stau¬ 
ungspapille festgestellt war. Dazu kamen zunehmende Kopfschmerzen, 
Schwindel und Erbreohen. Da die Hemianopsie das einzige Herdsymptom 
war, diagnostizierte Vortr. einen Tumor im linken Hinterhauptslappen 
und schrieb an den augenärztlichen Kollegen schon damals, daß nach seiner An¬ 
sicht der Tumor nicht sehr tief im Marke des Hinterhauptslappens sitzen könne, 
da jede Sprach- und Lesestörung fehle. Ende Oktober waren die Herderscheinungen 
noch dieselben, Kopfschmerzen und Erbrechen hatten sehr zugenommen; die cen¬ 
trale SehfcBärfß ncliru- ab. Vortr. riet jetzt dringend zur Operation; dieue wurde 
* ' 3“" UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



von Dr. Kümmell in Hamburg im Dezember 1906 ausgeführt — ein sarko¬ 
matöser Tumor in der linken konvexen Hinierhauptsrinde exstirpiert» Glatte 
Heilung. Stauungspapille ging zurück; doch ist leiehte Sehnervenatrophie 
vorhanden, so daß auch die linken Gesichtsfeldhälften eingeengt sind und die 
Sehsohärfe beiderseits vermindert ist Sonst fühlt sioh der Kranke sehr wohl 
und frei von Beschwerden. In den leisten Tagen vor der Vorstellung ein epi¬ 
leptischer Anfall — an solchen hatte der Kranke auch schon in seiner Kind¬ 
heit gelitten —, sonst keine Zeiohen von Rezidiv; namentlich keine erneute 
Stauungspapille. Der Fall ist der erste von 15 vom Vortr. zur Operation ge¬ 
brachten Fällen von Hirntumor, bei dem das Resultat ein recht gutes war, obwohl 
in allen Fällen die Allgemein- und Lokaldiagnose riohtig war. 

In zweiter Linie zeigt Vortr. einen Fall von Peeudotumor oerebri 
(Nonne). Etwa 30jähriger Lehrer. Sert langen Jahnen -epileptische Ab¬ 
senzen und seltener gröbere Anfälle. Vor 3 Jahren partielle epilep¬ 
tische Anfälle — beginnend im linken Arme —, allmähliche Lähmung 
des linken Armes; Hemiparese der ganzen linken Seite — spastisch« 
Erscheinungen hier. Benommenheit; leiehte Neuritis optioa. Ope¬ 
ration über dem lin'ken Armoentrum — starker Prolapsus cerebri — 
Tumor nicht gefunden. Allmählicher Rückgang des Hirnprolapses; 
Rückgang aller groben Hirnsymptome; Heilung der Knoehenwunde. Jetzt 
bestehen seit längerer Zeit wieder nur noch Anfälle von kurz vorübergehender 
Bewußtseinsstörung; der Patient ist wieder ganz dienstfähig. 

In dritter und vierter Reihe sprieht Vortr. über zwei Fälle von Tumor 
des Kleinhirnbrückenwinkels links. Vom ersten Falle, den schon Becker 
in Hildesheim, der ihn operierte, publiziert hat, zeigt er von diesem angefertigte 
stereoskopische Photogramme. Es handelte sioh um einen jungen Mann mit all¬ 
gemeinen Tumorsymptomen schwerster Art, namentlich auch mit Stauungs¬ 
papille und rasoh zunehmender Sehsohwäche, beides links stärker. 
Dazu oerebellare Ataxie; keine halbseitige Bewegungsataxie. Links 
Trigeminusneuralgie; keine Areflexie der Cornea. Links seit neuerer 
Zeit Ohrensausen und rasch zunehmende Hörsehwäche; doch war hier in¬ 
folge alter Otitis media das Hören von früh auf schlechter. Keine Extremitäten - 
Symptome. Facialis ganz frei. Nystagmus beim Blioke nach links. Dia¬ 
gnose: Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel oder im Kleinhirne links. 
Der Tumor konnte operativ entfernt werden; der Patient starb aber am Ope- 
ratioasshock. 

Vom zweiten Falle kann Vortr. den Tumor demonstrieren. 29jähr. 
Frau. Beginn der Symptome mit Parästhesien in der linken Gesichts¬ 
hälfte. Allmählich links Ohrensausen, jetzt centrale Taubheit links 
(Dr. Warnecke). Mittelobr gesund. Dann Schwäche und Unsicher¬ 
heit der linken Extremitäten. Jetzt schwere Allgemeinsymptome, 
andauerndes Erbrechen; Kopfschmerzen in der Stirn. Stauungs¬ 
papille sohwerer Art, links mit Retinalblutungen. Seheobärfe links 
etwas herabgesetzt. Kein« Pupillenstörungen. Nystagmus nach oben, 
nach rechts und nach links; nach links hin gröbere, langsame, natfh 
rechts kleinere, rasche Zuckungen; beim Blicke nach unten kein Nystagmus. 
Keine Abducens-, keine Facialislähmung. Aach elektrisch im linken 
Facialisgebiete nichts. Areflexie der Cornea, des Nasenloches und des 
Gaumens links, sonst keine Anästhesie im Trigeminusgebiete. Beim Öf&en des 
Mundes geht der Unterkiefer nach links, sonst keine deutliohe Kaumuskelschwäche. 
Cerebellare Ataxie; Bewegungsataxie im linken Arme und linken Beine (hier 
gering). Keine Schwäche der linken Extremitäten. Diagnose: Tumor im linken 
Kleinhirnbrückenwinkel. 

Operation Ivrch Dr. Kredel. Entfernung der linken Hinterhaupts- 

l9 " Z UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



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schuppe Ms dicht an das Hinterhauptsdaoh. Der Tumor präsentiert 
sieb sofort — er ist stumpf zu lösen —, wird sehlieflbeb von selber durch 
eine große Blutung sozusagen ans der Trepanationsöffnung geboren. Kollaps; sehr 
erschwerte Stilhing der Blutung. Tod 12 Stunden nach der Operation. 

Vortr. hebt hervor, daß naeh seinen Erfahrungen merkwürdiger» 
weise bei Tumor der Basis der hinteren SehSdelgrabe die Hirnnerven¬ 
lähmungen weniger ausgedehnt sind, als bei Tumoren in einer Klein- 
hirnbemisphäre, die nach der Basis su wachsen. Auffällig häufig 
wird von den basalen Tumoren namentlich der Facialis und Abdnoens 
verschont. Sehr ausgedehnte Hirnnervensymptome machen metasta- 
tische oder primäre Tumoren der Knochen der hinteren Schädel- 
grübe 

Schließlich stellt Vortr. einen jungen Mann vor, bei dem er die Diagnose: 
Tumor der Häute am oberen Halsmarke links gestellt hatte und der von 
Dr. Boegel operiert wurde. Beginn desLeidens Anfang 1906 mit Schmerzen 
und krampfhafter Steifigkeit im Naoken, so daß zuerst an Karies der 
Wirbelsäule gedacht wurde. Im April 1906: Atrophie und Lähmung der 
rechten Schulter und BSekenmusknlatnr; Parese und Atrophie auch 
in den übrigen Muskeln des rechten Armes, ebenso leiohte Atrophie 
such links in Schulter- und Nackenmuskulatur. Keine ataktischen 
Störungen in den atrophischen Muskeln. Rechts Miosis und Lidspaltenenge. Lage¬ 
gefühlsstörung und Bewegungsataxie im rechten Arme und Beine, in der rechten 
Hand fehlt der stereognostische Sinn; im rechten Beine auch Patellar- und 
Achillesklonus; ebenso Babinski und Oppenheim; links nur Achilles- 
klonus. Gang mit dem rechten Beine paretisob und ataktisch. Im linken 
Beine und unteremBumpfe Herabsetzung des Schmerzgefühles (Brown- 
Söquard). Keine Bl äsen Störungen. Schmerzen sehr intensiv im linken Arm, 
dem linken Nacken und Schulter; auch in der linken Schläfe. Die ganze 
Halswirbelsäule auf Druck empfindlich. Diagnose wie oben angegeben. Der 
Fall ähnelt fast buchstäblich einem von Auerbach und Brodnitz publizierten, 
bei dem ein langausgedehnter Tumor mit Glück exstirpiert wurde. In diesem 
Falle entleerte sich an der Stelle der Trepanation bei Öffnuhg der 
Dura Liquor cerebrospinalis im starken Strahle: der Duralsack war er¬ 
weitert; ein Tumor der Meningen fand sich nicht, auch nicht bei Sondierungen nach 
oben und unten. Glatte Heilung. Jetzt nach 8 Monaten — links keine Zeichen 
spastischer Parese mehr — rechts noch Babinski und Achillesklonus. Gang 
rechts nicht mehr ataktisch. Lähmung der Schultermuskulatur 
rechts geschwunden; Atrophie geringer geworden. Keine Schmerzen mehr. 
Miosis und Lidspaltenenge noeh vorhanden, das Gefühl in der rechten Hand und 
die feineren Bewegungen hier noch herabgesetzt. Es hat sich also um eine einen 
Tumor vortäuschende cirkumskripte Meningitis serosa spinalis gehandelt, wie sie 
auch von Oppenheim, Krause und Saenger beobachtet ist. 

Herr Cramer (Göttingen): Über einen Fall von Cystioerken im Gehirn. 
Eine 47jährige Frau, die früher gesund war, erkrankt plötzlich mit Schmerzen 
im Kopf, Schwindel, Unfähigkeit zu Gehen und einmaligem Erbrechen. Bei der 
Aufnahme in die Klinik für psychische und Nervenkrankheiten Klagen über 
Hämmern und Klopfen im Kopf, Schmerzen im linken Hinterkopf, die in den 
Nacken ausstrahlen, Abnahme der Sehkraft und Auftreten von einem Krampf im 
Kopf beim Aufrichten. Objektiver Befund: Schiefhalten des Kopfes, Klopfempfind¬ 
lichkeit des Kopfes, insbesondere des Hinterkopfes, Druckempfindlichkeit beider 
Occipitales und des Facialis rechts. Sehnenreflexe der Arme und Beine gesteigert. 
Kniereflexe r. > 1.; Hyperalgesie für Nadelstiche auf der linken Körperhälfte. 
Zittern der Zunge. Sonst Befund normal; speziell keine Stauungspapille. Im 
weiteren Verlanf tritt vielfach Erbrechen auf, verbunden mit starken Kopfschmerzen. 
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542 


.Einmal ging dem Erbrechen Kribbeln und Schmerzen in den Fingern voran«, 
gefolgt von rechtsseitigen Steifwerden der Finger. Gleichzeitig war damals 
Pupillendifferenz vorhanden (1. > r.). Ferner trat einmal während der Unter¬ 
suchung ein Krampf der Finger an beiden Händen auf. Dann trat plötzlich eine 
schlaffe Lähmung des rechten Armes auf, ohne Veränderung der Reflexe. Am 
folgenden Tage totale Paralyse des rechten Armes und rechten Beines, verbunden 
mit Harnverhaltung. Während die Paralyse des rechten Beines nach 2 Tagen 
verschwand, bestand sie in dem rechten Arm noch länger fort und ergriff auch 
den linken. Dazu anfallsweises Auftreten von Tachypnoe. Die Harnverhaltung 
wird von einer Blasenlähmung abgelöst. Dann tritt Aphonie auf, die ebenso 
schnell wieder verschwindet. Dann wieder plötzlich auftretende schlaffe Lähmung 
aller vier Extremitäten mit erhaltenen Reflexen und normaler Sensibilität. Am 
folgenden Tage sind die Reflexe an den Armen und Beinen nicht mehr zu er¬ 
zielen. Niemals Stauungspapille. Bewußtsein immer klar. Ganz plötzlicher Exitus 
nach weitgehender Besserung aller Erscheinungen. Dauer des Aufenbaltes in der 
Klinik 2 Monate. Dauer der Erkrankung rund 18 Wochen. Auffällig war im 
Verlauf der außerordentliche Wechsel der Erscheinungen, der in Verbindung mit 
einer starken psychischen Beeinflußbarkeit der Patientin der Erkrankung einen 
ausgesprochenen hysterischen Charakter verlieh. Weiterhin war bemerkenswert 
eine plötzlich auftretende und ebenso plötzlich wieder verschwindende psychische 
Veränderung der Patientin, bestehend in Erregung, Neigung zum Querulieren, zu 
Verdächtigungen des Wartepersonals, Vergiftungsideen, Verlust jedes Schamgefühles 
und Unsauberkeit. Bei der Sektion: Cysticerken auf der linken Seite zwischen 
Pons und Hirnschenkel. 

Herr T i n k e 1 m a n n (Göttingen): Querulatorische Psyohosen in Zusammen¬ 
hang mit der Arbeiterversioherung. Mitteilung von zwei Krankengeschichten, 
wo im Anschluß an das Rentenstreitverfahren eine Psychose auftrat. Dieselbe 
war charakterisiert durch querulatorische Neigungen, bei dem einen Kranken hatte 
sich ein vollkommenes Verfolgungswahnsystem gebildet. Den Boden für derartige 
Erkrankungen bildet die degenerative Veranlagung kompliziert durch einen ge¬ 
wissen Grad des Schwachsinns, der zu einer Einschränkung der Urteilsfähigkeit führt. 

Herr Grimme (Göttingen): Über die Prophylaxe der Haueepidemien 
in der Anstalt. Vortr. stellt unter den Hausepidemien in einer Anstalt die 
Typhusepidemie als die wichtigste voran und berührt die übrigen (Angina, In¬ 
fluenza u. a.) nur ganz kurz. Er weist auf die große Bedeutung der Bazillenträger 
als Infektionsquelle für die Typhusepidemie hin und erinnert daran, daß nach 
Ausweis zahlreicher Anstaltsberichte gerade diese Quelle auch für die Epide¬ 
mien in den Irrenanstalten so häufig in Frage kommt; unter anderem war die 
Epidemie in der Göttinger Anstalt im Jahre 1905 durch einen Bazillenträger 
verursacht. Die Göttinger Anstalt behielt damals zwei Bazillenträger zurück; 
der eine ist inzwischen wieder entlassen, doch wurde im Sommer 1906 noch ein 
dritter entdeckt. Charakteristisch für die Bazillenträger ist, daß sie in der weit¬ 
aus größten Anzahl Frauen sind. Erklärt ist dies durch Förster, der den Be¬ 
weis erbrachte, daß das chronische Ausscheiden der Bazillen im Zusammenhang 
steht mit einem chronischen Gallenblasenleiden. Hiermit ist gleichzeitig das 
weitere Charakteristikum der Bazillenträger erklärt, daß Bie ihre Bazillen nickt 
kontinuierlich ausscheiden, sondern diskontinuierlich. Es zwingt dies Symptom 
zu der größten Vorsicht in der Beurteilung der Gefährlichkeit der Patienten. In 
der Göttinger Anstalt konnte dies Symptom bei allen drei Bazillenträgern be¬ 
obachtet werden. Bei einer Kranken trat eine Pause von 9 Wochen in dem 
Ausscheiden der Bazillen auf. Ein therapeutisches Einwirken auf dos Ausscheiden 


der Typhusbazillen war bis vor kurzem noch nicht möglich. Bei den Kranken 
der Göttinger Anstalt wurde vom Königlichen Untersuchungsamt versucht, die 


iilen durch künstliche Vermehrung der Kolibakterien zum Verschwinden 


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au bringen. Ee wurde den Kranken große Mengen Kolibakterien, die aus ihrem 
eigenen Stuhl gezüchtet waren, in Form von Keratinpillen eingegeben. Die 
Typhusbazillen nahmen dabei regelmäßig ab; doch war der Erfolg kein 
dauernder. Jetzt ist durch den operativen Eingriff an der Gallenblase, der zum 
erstenmal in diesem Jahre in der Pflegeanstalt Frankenthal allein zu dem Zwecke, 
das chronische Ansscheiden der Bazillen zum Verschwinden zu bringen, ausgeflihrt 
wurde, ein neues, und zwar sehr hoffnungsreiches, therapeutisches Hilfsmittel ge* 
wonnen. Vortr. weist darauf hin, daß eine solche Operation sehr vielmehr im 
Interesse der Kranken liegt, als in dem der Anstalt. Denn die notwendige Iso¬ 
lierung ist von ungünstigstem Einfluß auf das Befinden der Kranken und macht 
jede Behandlung unmöglich. Außerdem ist vielfach eine Entlassung der Kranken 
wegen des Ausscheidens der Bazillen in Frage gestellt. Dagegen können die 
sanitären Verhältnisse der Anstalt durchaus durch die Isolierung der Kranken 
einwandsfrei gehalten werden. Vortr. geht dann eingehend auf die Durchführung 
der Isolierung in der Göttinger Anstalt ein und schildert weiter die Maßnahmen, 
die hier zum Zwecke der Entdeckung der Bazillenträger getroffen sind. Es wird 
der Stuhlgang eines jeden neuaufgenommenen Patienten untersucht, der einmal 
Typhus gehabt hat oder mit Typhuskranken in engere Berührung gekommen ist; 
dasselbe geschieht entsprechend der großen Verbreitung des Typhus in der Um¬ 
gegend von Göttingen bei jedem aus Göttingen oder seiner Umgehung auf¬ 
genommenen Kranken. Dies ist vor allem auch deshalb nötig, weil man sich mit 
Typhusbazillen infizieren kann, ohne an Typhus zu erkranken. Hierfür dient, 
abgesehen von Fällen aus der Literatur, dem Vortr. als Beweis die eine aus der 
Epidemie stammende Bazillenträgerin aus der Göttinger Anstalt. Es werden 
jedesmal drei Stuhluntersuchungen ausgeführt und zwar in den Zwischenräumen, 
die sich durch Dauer der Untersuchung Belbst ergeben. Die Erkennung der 
Bazillenträger kann nur durch die Stuhluntersuchung erfolgen, nicht durch die 
Agglutinationsprobe, die bei Bazillenträgern negativ sein kann. Von frischen Er¬ 
krankungen wird jeder nicht sofort klar gestellte Fieberfall zunächst als Typhus 
behandelt. Notwendig ist dies auoh bei jeder akuten Pneumonie und jeder mit 
schweren allgemeinen Symptomen beginnenden Angina. Zum Schluß berichtet 
Vortr. noch über einen Fall von Reinfektion mit Typhusbazillen aus der Gallen¬ 
blase, der unter dem Bilde der Cholecystitis typhosa verlief. In vivo bestand: 
Ikterus, Fieber, Durchfall, Milzschwellung, Typhusbazillen im Blut und Stuhl. 

Bei der Sektion wurde gefunden ein Karzinom des Pankreas mit Übergreifen auf 
den Duct. choledoch; eine alte Cholocystitis mit Steinbildung. Ferner im Darm 
nur ein kleines Geschwür jenseits der Ileocökalklappe. Aber in dessen Nähe 
keine Schwellung der.Mesenterialdrüsen. Dagegen eine schiefrige Verfärbung und 
Atrophie der Peyerschen Plaques im unteren Teil des Ileus als Reste einer 
früheren Typhuserkrankung. Die Anamnese ergibt, daß Pat. im Jahre 1904 eine 
typhusähnliche Erkrankung durchgemacht hat. Eis ist anzunehmen, daß sie von 
damals in der bereits erkrankten Gallenblase Typhusbazillen zurückbehalten hat, 
die jetzt mit der Galle wieder in das Blut übergetreten sind. Autoreferat. 

Herr Bolte (Bremen): Assoziationsversuohe als diagnostisches Hilfs¬ 
mittel. In Anlehnung an Sommer und später an die Bleuler-Jungschen 
Arbeiten wurden seit 3 Jahren alle Aufnahmen der Bremer Anstalten auf ihre 
Assoziationen geprüft. Benutzt wurde ein Reizwörterschema, das dem Jung sehen 
ähnlich ist, in welchem Reihenbildung nach Möglichkeit vermieden wird und immer 
neue grammatische Formen auftreten. Elin Schema k la Sommer, der die Reiz¬ 
wörter nach Kategorien ordnet, führt zu zahlreichen Störungen infolge der Scheu, 
welche intelligente Personen vor dem Perseverieren haben. Das Assoziations¬ 
experiment ist ein sehr einfaches Mittel, auf objektive Weise viele Symptome und 
Eigentümlichkeiten des Kranken zu fixieren. Die partielle Ausschaltung der Will¬ 
kür, die Entfesselung unwillkürlicher Antriebe bewirkt, daß Symptome, die sonst 
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ent bei fortschreitender Krankheit oder überhaupt nicht gefunden werden, schön 
sehr früh zutage treten. Die beete Angriffsfläche für das Aseeeiationsexperimeet 
in diesem Sinne gaben bisher die Imbezillität, Epilepsie, Dem. praecox, Manie, 
Paralyse, deren Assoziationsbefnnde kurz besprochen werden. Völlig neue Wege 
weist uns die Methode bei manchem Fall von Hysterie. Leider ist diese ganze 
Frage mit der in Deutschland geächteten Freu dachen Lehre verquickt. Falls es 
richtig ist, daß mittels des Assoziationsexperimentes unter Berücksichtigung der 
von Jung angegebenen Merkmale affektbetonte Vorstellungskomplexe nachgewiesen 
werden können, muß man dieser Methode auoh eine gewisse Bedeutung für Er¬ 
kennung und Behandlung der Neurosen zuspreehen, mag man im übrigen zur 
Freu dachen Lehre-stehen, wie man will. In manchen Fällen, wo die eingehendste 
Unterhaltung mit Patienten und Angehörigen nur eine nichtssagende Anamnese 
ergibt, gelingt es mittels des Assoziationsexperimentes die entscheidenden äußeren 
und inneren Erlebnisse des Kranken zu erraten. Diese psychologische Tatbestands¬ 
diagnostik, kriminalistisch wohl überschätzt, vermag dem Arzte, bei Beobachtung 
der notigen Vorsicht und naohträglieher Kontrolle durch anderweitig erhobene 
Anamnese, wichtige Fingerzeige für die Psychotherapie zu geben, wie Voatr. an 
einigen Fällen zeigt, wo sich aus dem Assoziationsbogen die effektvollen Erleb¬ 
nisse konstruieren ließen. Die Schlüsse, welche man aus dem Assoziationsexperi¬ 
ment gezogen hatte, wurden nachher durch Angehörige und Patienten bestätigt. 
(Der Vortrag erscheint in extenso in der Allg. Zeitschr. f. Psyeh.) Autoreferat. 

BrunB (Hannover). 


IV. Vermischtes. 

Die erste Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte findet am 
14. und 15. September 1907 in Dresden BtatL 

I. Eröffnung und Begrüßung der Versammlung am Sonnabend, den 14. September 
früh 9 Uhr, dnrch H. Oppenheim (Berlin). Wahl der Vorsitzenden und des Vorstandes’ 
Definitive Festsetzung der Statuten. 

II. Referate: Chirurgische Therapie der Gehirnkrankheiten mit Ansschluß der Tumoren. 
Ret: F. Krause (Berlin). — Die Hirnpunktion. Ref.: E. Neisser (Stettin). — Chirurgische 
Behandlung der Rückenmarkshautgeschwülste. Ref.: L. Bruns (Hannover). — Therapie der 
Erkrankungen der Cauda equina. Ref.: R. Cassirer (Berlin). 

Nachmittags um 3'/« Uhr Fortsetzung der Referate und Diskussion derselben. 

III. Vorträge: Nonne (Hamborg): Differentialdiagnose des Tumor cerebri. — Schüller 
(Wien): Sobädel-Röntgenograpbie mit Demonstrationen. — Hartmann (Graz): Beiträge zur 
Diagnostik operabler Hirnerkrankungen. — Saenger (Hamburg): Über Herdsymptome bei 
diffusen Hirnerkrankungen. — A. Pick (Prag): Thema Vorbehalten. 

Dritte Sitzung am 15. Sept., früh 9'/* Uhr: Aschaffenburg (Köln): Die Bedeutung 
der Angst für das Zustandekommen der Zwangsvorstellungen. — v. Krankl-H och wart 
(Wien): Über die Differentialdiagnose der juvenilen Blasenetörangen und über das spinale 
Blasencentrnm. — Kühne (Cottbns): Die kontinuierliche Bezold-Edelmann sehe Tonreine als 
Untcrsochungsmethode für den Nervenarzt. — L. R. Müller (Augsburg): Über die Empfin¬ 
dungen in anseren inneren Organen. — Kohnstamra (Königstein) und Warnke (Berlin): 
Demonstrationen zur physiologischen Anatomie der Mednlla oblongata. — Oppenheim 
(Berlin): Allgemeines und Spezielles zur Prognose der Nervenkrankheiten. — Veragnth 
(Zürich):. Die Bedeutung des psycho-galvanischen Reflexphänomens. — E. Müller (Breslau): 
a. ti.: Über die Symptomatologie der multiplen Sklerose. — K. Reicher (Wien) a. G. 
Kinematographie in der Neurologie. 


V. Personalien. 

Am 22. April 1907 verschied im 55. Lebensjahre zu Paris der durch seine Arbeiten, 
welche besonders das Gebiet der Epilepsie berührten, bekannte Dr. Charles Samson Förö. 
Sein Werk „Les epilepsies «t les dpileptiqnes“ (Paris, F. Aloan) gehört zu den klassischen 
Werken über die Fallsucht. 

Um Einsendung von Separatabdrüoken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zn richten an Prof. Dr. E. Mendel. 

P ankow b. Berlin, Breiteatr. 44. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Merzen & Wittiq in. Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

.. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

Seehsandzwanzigster " Berlln ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Bachhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

lWL 16. Jnni. Nr. 12. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Zar Etymologie der Ausdrücke: „Crampus" und 
„Krampf“, von Medizinalrat Dr. P. Nicke in Hubertusburg. 2. Über den Schlaf, von Dr. 
Paul Kronthal. 3. Die Sehnenreflexe angestrengter Körperteile. Untersuchungen an Mara¬ 
thonläufern, von Dr. Milt. Oeconomakis. (Schluß.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Über sogen. „Doppelbildungen“ am Gehirn, mit besonderer 
Berücksichtigung der unteren Stirnwindung, von Weinberg. — Physiologie. 2. Resultate 
die esperienze relative alla localizzazione di centri motori nel cervelletto per mezzo di eceita- 
menti con correnti indotte unipolari, per Negro e Roasenda. 3. The conduction of sensory 
impressions in the spinal cord, by Simpson and Herring. — Pathologische Anatomie. 
4. Eine seltene Form der Spina bifida cystica, von Grossmann. 5. Über eine cystische Mi߬ 
bildung des Rückenmarkes, von Altmann. 6. Zwei für die Pathologie wichtige Entwicklungs¬ 
anomalien des Centralnervensystems bei zwei jungen menschlichen Embryonen, von Pollak. 
7. The microscopic changes in the nervous system in a case of chronic Dourine. Or „mal 
de coit“ and a comparison with those found in sleeping sickness, by Mott. 8 . Über experi¬ 
mentelle Rückenmarksveränderungen nach Blutinjektion, von Kentzler. 9. Rückenmarks¬ 
befunde bei Ampulationsfällen der oberen Extremität, von v. Orzechowski. — Pathologie 
des Nervensystems. 10. Recherches sur la rögenörescence de la moölle, par Marinesco 
et Minea. 11. Der Zustand der Reflexe in paralysierten Körperteilen nach totaler Durch- 
trennung des Rückenmarkes, von Lapinsky. 12. Der Zustand der Reflexe in paralysierten 
Körperteilen bei totaler Durchtrennung des Rückenmarkes, von Lapinsky. 13. Zur Frage 
über die Wege der aufsteigenden Myelitis, von Salle. 14. Un cas de compression de la 
moölle avec des phenomenes de tötrapldgie spasmodique (contracture, exageration des reflexes 
tendineux; trepidation epileptoide, signe deBabinski, guerison), von Noica. 15. Über Caries 
vertebralis acuta mit ICompressionsmyelitis im Verlaufe der chronisch ankylosierenden 
Entzündung der Wirbelsäule, von Simon. 16. Potts disease. Treatement at a late stage. 
Remarks on the pathological anatomy, by Taylor. 17. Un cas remarquable de paraplegie 
pottique, par Boschi et Graziani. 18. Ein Fall von Krebsgeschwulst des Kreuzbeins, von 
v. Leyden und Bassenge. 19. Ein Beitrag zur Klinik und zur Histopathologie der extra¬ 
medullären Rückenmarkstumoren (ein Fall von extramedullärem Rückenmarkstumor, welcher 
ohne wesentliche Schmerzen verlief), von Flatau und Sterling. 20. Zwei Fälle von diagnosti¬ 
zierten und operierten Tumoren der Rückenraarkshäute, von Küster. 21. Über eine seltene 
Rtickenmarkshautgeschwulst (Chromatophorom), von Esser. 22. Über einen operativ ge¬ 
heilten Fall von extramedullärem Tumor mit schmerzfreiem Verlauf, von Stursberg. 23. Ein 
Beitrag zur Klinik und zur operativen Behandlung der Rückenmarksgeschwülste, von 
Bregman. 24. Ein Beitrag zur Kenntnis der Rückenmarkstumoren und Höhlenbildungen 
im Rückenmark, von Kling. 25. Über einen Fall von Solitärtuberkel im Rückenmark mit 
Nebenbefund von sog. artefizieller Heterotopie desselben, von Rystedt. 26. Tumor mediastini 
nnd des Rückenmarkes. Ein Beitrag zur Entstehung kleiner vaskulär-sklerotischer Herde 
bei verschiedenen Rückenmarkskrankheiten und zur Genese der Amyloidkörperchen, von 
Flatau und Koelichen. 27. Über kombinierte Strangdegeneration des Rükenmarkes, von 
Salecker. 28. A case of ascending unilateral paralysis, by Newmark. 29. Amyotrophische 
Lateralsklerose kombiniert mit multiplen Hirncysticerken, von Meyer. — Psychiatric. 
30. Kasuistischer Beitrag: Außergewöhnliche Hypermnesie für Kalenderdaten bei einem 
niedrigstehenden Imbezillen, von van der Kolk und Jansens. 31.Die hygienische Ausgestaltung 


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der Hilfsschule. Versuch einer systematischen Darstellung der Hilfsschulbygiene, Von Moses. 
82 . Die Wirkung der Beschäftigungstherapie bei abnormen Kindern, von Heller. 

III. Ans den Gesellschaften. Socidtä de neurologie de Paris. 

IV. Vermischtes. — V. Personalien. — VI. Berichtigung. 


L Originalmitteilungen. 


1. Zur Etymologie der Ausdrücke: „Crampus“ 

und „Krampf“. 

Von Medizinalrat Dr. P. Nftoke in Hnbertusburg. 


In einer größeren Arbeit über Wadenkrämpfe in der Monatsschr. f. Psycli. 
u. Neur. XX. 1906. Heft 6 hatte ich in einer Note auf S. 559 gesagt, daß ich 
das Wort: Crampus nicht in dem lateinischen Lexikon von Georges, ebensowenig 
im Register der Bücher von Celsus und Caelius Aurelianus finden könne. Also 
auch ich hielt das Wort für ein neulateinisches. Herr Dr. ton Oef£le, dem 
ich meine Arbeit zugeschickt hatte, glaubt dagegen, daß es im Klassischen vor* 
kommen müsse, wie wir gleich sehen werden, und forderte mich auf, da ich 
nun einmal so viel Zeit und Mühe auf die Frage der Wadenkrämpfe verwandt 
hätte, auch das Etymologische weiter zu verfolgen. Und das habe ich getan, 
trotzdem ich mir wohl bewußt bin, wie wenige Neurologen und Psychiater für 
sprachliche oder gar etymologische Sachen sich interessieren; und doch gehören 
gerade die Ausdrücke: Crampus (im weiteren Sinne) und Krampf bei ihnen zu 
den geläufigsten. Also nur für diese Minorität, denen offenbar noch die jetzt 
vielgeschmähte klassische Bildung am Herzen liegt, sind folgende Zeilen ge¬ 
schrieben. 

Aber es steckt darin noch etwas mehr, als bloß philologisches Interesse. 
Wer sich nur einigermaßen mit Etymologie beschäftigt hat, wird wissen, daß 
die Abstammung und weitere Geschichte eines Wortes oft auch ein 
hohes psychologisches, soziales und ethnographisches Interesse dar* 
bietet Hier also trifft sich der so heterogene Gegenstand der Etymologie mit 
der Psychologie im allgemeinen und im besonderen. Ja, hie und da könnte man 
sogar vielleicht gewisse krankhafte psychologische Züge entdecken, die dann erst 
recht in das Gebiet der Psychiatrie fallen würden. Den erwähnten psycho¬ 
logischen Gehalt wird man aber in besonders hohem Grade in der Geschichte 
der Worte: Crampus, Krampf finden, und ich darf kühnlich behaupten, daß 
nirgends die Etymologie dieser Ausdrücke bisher so vielseitig beleuchtet wurde, 
wie es hier geschehen soll. 

Ich glaubte, daß gerade weil der Krampf in der Neurologie und Psychiatrie 
eine so große Rolle spielt, eine solche Arbeit wie die vorliegende in einem Central¬ 
blatte für Neurologie und Psychiatrie eine Stätte finden müßte. Der wirklich 
gebildete Irren* und Nervenarzt nämlich hat nicht nur seine Unter¬ 
suchungsinstrumente genau zu kennen, sondern, meine ich, auch 
das vornehmste Instrument von allen: die Sprache zu beherrschen, 


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nicht an letzter Stelle die Termini technici seiner Fachwissenschaft, und 
zwar womöglich der geschichtlichen Entwickelung nach. Erfreulich ist es 
zu sehen, wie der Sinn für Geschichte der Medizin und auch für die 
der Irrenheilkunde wieder auflebt; dazu gehört aber auch die Geschichte 
gewisser Ausdrücke. 

Doch nun ad reml 

Dr. von Oef&lb schrieb mir unter dem 28. Dezember 1906 folgendes: 

„Das Wort crampaB: Es soll nach Seite 559 1 nicht altlateinisch sein. Dem 
möchte ich widersprechen. Es gehört vielleicht nicht dem uns überlieferten Wort¬ 
schätze des Altlateinischen (also vielleicht Zufall), oder es war kein salonfähiger 
Ausdruck für die Schriftsprache und ist deshalb nicht überliefert. 2 Aber in der 
altrömischen Volkssprache muß es existiert haben. . .. Meine Beweisführung beruht 
darauf, daß 1. mittellateinisch ein Wort crampus, 2. mittelniederdeutsch ein 
Wort ram, ramme usw. für *hram und 3. dialektisch neuhochdeutsch ein Wort 
gram in völlig gleicher Bedeutung vorhanden sind. 

ad 1 . Dm mittellateinische Wort haben Sie selbst, brauche es Ihnen also 
nicht zu belegen. 

ad 2. Dm mittelniederdeutsche Wort habe ich Ihnen durch Stellen belegt, 
die Sie Seite 557 bringen. 

ad 3. Ich praktizierte früher in Niederbayem und erinnere mich sehr wohl 
des Wortes gräm im Dialekt des unteren Botttales. Ich habe dies Wort dann 
vielfach auch in angrenzenden österreichischen Gebieten gehört. Es umfaßt merk¬ 
würdigerweise wie dM hieroglyphische 

AWW 

AAAAAA 

den Begriff der Geburtswehe und den des Wadenkrampfes. Die Bäuerin spricht 
darum sowohl davon, daß sie den gräm in der h&xen (Bein) oder spezieller im 
wädl (Wade) habe (bei Wadenkrämpfen). Auch dort schießt der gräm im 
wadl ein, wie Höfleb für die Tölzer Gegend belegt. Aber niemand von jenen 
Bauern, die mit mir darüber sprachen, erweckte in mir den Eindruck, daß er 
an dämonische Ätiologie dabei dachte. Es spukte den Leuten vielmehr dabei 
noch ein recht verschwommener alter humoralpathologischer Begriff im Kopfe 
herum, den wir medikohistorisch am besten mit dem alten Begriff des Bheuma 
bezeichnen können. Außerdem sprachen die Bäuerinnen auch vom Zustand der 
Parturiens als grämbett, dessen Fortsetzung also dM Wochenbett ist. Die 
Summen der Wehen wurde auch als der gräm bezeichnet. Und ein dritter 
Begriff war der grämfuss = pes varicosus, da die Frauen glaubten, die 
Varicen seien zurückgebliebene Folgen von Wehen, die sich in dM Bein ver¬ 
schlagen haben, ähnlich wie die verschlagenen Winde. 

In den drei Belegformen wechselt der Anlaut zwischen c h g. Das iBt aber 
die ganz regelmäßige Lautverschiebung nach den von den Gebrüdern Gbiun er¬ 
kannten Lautverschiebungsgesetzen. 




1 Meiner zitierten Arbeit. Nückb. 

* Gerade diese Möglichkeiten sind sicher in Anschlag zu bringen und erklären gewiß. 


daß so manches nicht fiberliefert wird. NIckb. 

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Erste Stufe hat lateinisch, griechisch, slawische Sprachen, keltische Sprachen. 

Zweite Stufe haben alle nordgermanischen Sprachen, niederdeutsch, holländisch, 
englisch, dänisch, schwedisch. 

Dritte Stufe haben die hochdeutschen Dialekte und unsere Schriftsprache. 

Kein Wort macht aber diese Lautverschiebungen durch, das nicht der ge* 
meinsannen Ursprache angehörte. Somit müssen schon die Menschen, die die 
westarische Ursprache sprachen * kram... (... soll die unbekannte volle Endung 
bezeichnen, ein vorgesetzes * die theoretische Konstruktion des Wortes; letztere 
Bezeichnung ist allgemein gebräuchlich), als Wort für Krampf gehabt haben. 
Verschiedene Tochtersprachen können, wie es so häufig vorkommt, die entsprechend 
weiter gebildeten Wörter und den ganzen Stamm verloren haben. Wenn aber 
eine Enkelsprache das Wort wieder besitzt, so muß es die zwischenliegende 
Mutter- bzw. Tochtersprache auch besessen haben. Somit muß nach der Lingua 
medii aevi auch das klassische Latein ein Wort crampus besessen haben. 1 Die 
hochdeutsche Schriftsprache hat wiederum ihr ererbtes Wort gräm in diesem 
Sinne aufgegeben und das graekoitaÜBche (es ist damit nicht gesagt, daß es auch 
griechisch Vorkommen muß) Fremdwort Krampf, das sich schon durch ein Pf 
wie in Pfeil, Pferd, Pflaume, Pfeffer usw. usw., Pfau als Fremdwort ver¬ 
dächtig macht, aufgenommen. Darmgrimmen geht aber wohl als Ableitung 
auf das alte Erbwort gräm zurück. Wenn nun die Nordwestasier und Süd- 
westasier das Wort von früher her gemeinsam hatten, so kann vermutet werden, 
daß es schon noch früher vorhanden war und den Urariern angehörte. Dann 
wäre aber das Wort doch sehr wahrscheinlich in einer der südostasischen Sprachen 
erhalten. Dahin gehören die indischen, iranischen und die armenische Sprache. 
Von iranischen Sprachen ist: persisch und die Zendavestasprache zu nennen, von 
den vielen indischen: Sanskrit. 

Hier kommt es aber auf eine neue Scheidung an, welche aus den Wort¬ 
formen der westarischen Belege nicht erschlossen werden kann. Die west¬ 
europäischen Gutturale g, k, h sind durch Zusammenfall zweier verschiedener 
Lautreihen g t k x hj und g 2 k 2 b 2 entstanden, die in den südostarischen Sprachen 
sich verschieden weiter entwickelt haben. Also dies läßt sich unserem crampus, 
*hram, gräm nicht ansehen. Es könnte darnach je nachdem ein Worts tamm 
* kram oder *äram im Sanskrit vorhanden sein oder im Persischen mit weiterer 
gesetzmäßigen Änderung des m... Vielleicht wäre es aber wegen der wichtigen 
niederdeutschen Form ram for *kram gut altnorwegische und altschwedische 
Arzneibücher, sogenannte Laegebücher, einsehen zu lassen. Unser Kollege Dr. 
Adolf Fon ahn aus Kristiania weilt ... zu medikohistorischen Studien in Berlin 
... wird ihnen gern alle Stellen über Wadenkrämpfe oder entsprechende Bezeich¬ 
nung von * hram aus mittelalterlichen nordischen Belegen zusammenstellen.... 
Es wäre doch zu interessant, wenn das von Ihnen angeschnittene Gebiet auch 
historisch entsprechend klarer würde.“ 

Herrn Dr. von OefEle, dem ich diese klare und interessante Darlegung 
verdanke, 2 gab mir verschiedene Adressen, um mich weiter zu informieren, was 
ich auch tat. Zunächst schrieb ich an den berühmten Sprachvergleicher Prof. 
Dr. Roscher in Dresden. Er schrieb mir am 9. Januar 1907 folgendes: 


1 Ich sehe diese Notwendigkeit nicht ein. Eine bloße Entlehnung ans dem deutschen 
wäre immerhin möglich. Näcke. 

* Ihm, wie allen übrigen Korrespondenten war bei der Anfrage zugleich die Bitte 
unterbreitet, das passend Erscheinende veröffentlichen za dürfen. Ich danke allen Herren 
für ihre prompte und belehrende Auskunft. 


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„... Aus vorstehendem Briefe des Prof. Dr. Ihm, bis vor kurzer Zeit Direktor 
des großen von den deutschen Akademien in München herausgegebenen Thesaurus 
Latinitatis, des grüßten Lexikons der Welt, werden Sie ersehen, daß ich mich 
um „crampus“ ernstlich bemüht habe, leider ohne rechten Erfolg. Übrigens glaube 
ich bestimmt, daß „crampus“, das offenbar aus franz. crampe = Krampf, Waden¬ 
krampf, crampon = Krampe, Klammer, wahrscheinlich auch mit italien. granchio, 
grancio *= Krampf, Klammen, Krebs verwandt ist, wenn es im mittelalterlichen . 
Latein Vorkommen sollte, deutschen Ursprunges ist...“ Prof. Ihm hatte ihm 
aus Halle am 8./I. 1907 geschrieben: „Offengestanden glaube ich nicht, daß ein 
Zeugnis für crampus (im klassischen Latein, scill. Näcke) existiert...“ 

Prof. Dr. Jolly, der berühmte Sanskritist in Würzburg, teilte folgendes 
mit (vom 9. Jannar 1907): 

„... crampus wird, da es im klassischen Latein nicht vorkommt, in den 
Werken über lateinische Etymologie nicht besprochen, so z. B. auch nicht in dem 
neuesten Werk: Lateinisches etymologisches Wörterbuch von Prof. Walde (Heidel¬ 
berg 1906), das allgemein von der fachmännischen Kritik sehr günstig aufgenommen 
ist. Über Krampf sagt Kluge in seinem Etymologischen Wörterbuch der deutschen 
Sprache (4. Aufl.) S. 187.. .* Kluge verweist auch auf Krapfen und Krüppel. 
Unter Krüppel vergleicht er mit diesem Wort griechisch ygimoi „gekrümmt“, alt- 
slavisch grübü „Bücken“, serbisch grba „Höcker“. Ähnlich urteilt Pbellwitz in 
seinem Etymologischen Wörterbuche der griechischen Sprache, wo aber mit ygonlf 
„gekrümmt“ in erster Linie j’gvtp „Greif“ und nhd. „kranen“ verglichen werden. 
Übrigens wird in dem bekannten Glossar der mittelalterlichen Latinität von Du- 
cange nur die Form crampa (nicht crampus) erwähnt und auf das deutsche „Krampf“ 
zurückgeführt. 3 Eine Sanskritwurzel ist mir nicht bekannt. Paul in seinem 
„Deutschen Wörterbuch“ (Halle 1897) verweist unter „Krampf“ auf „Krimpen“, 
d. h. Tuch, nachdem es angefeuchtet ist, zusammenpressen; von dem Tuch sagt 
man dann: es ist in der Krimpe. Krimpen ist niederdeutsch-mitteldeutsche Form 
für krimpfen, welches ursprünglich intransitiv war mit der allgemeinen Bedeutung 
„sich zusammenziehen, einschrumpfen“. Dazu Krampf, Krampe, Krempe, Krempel, 
auch krumm ist wahrscheinlich verwandt....“ 

Herr Prof. Lommatzsch, jetziger Generaldirektor des Thesaurus Latinitatis, 
schrieb mir am 23. Januar 1907 aus München folgende Karte: 

„Ihren w. Brief vom 11. er. habe ich erhalten, doch war es mir nicht eher 
möglich, das Material durchzusehen, crampus kommt in der klassischen Literatur 
(im weitesten Sinne bis 6. Jahrhundert) nicht vor und dürfte demnach wohl 
mittelalterlich aus dem deutschen entlehnt sein.“ 

Ich wandte mich weiter an den Germanisten Prof. Dr. Bobchlino in Posen 
und erhielt folgende Antwort: 

„... Das neuhochdeutsche Wort Krampf ist sicherlich ein echt germanisches 
Wort, und das mittellateinische (und romanische) crampus ist aus dem Germa¬ 
nischen entlehnt. Darin sind sich alle germanischen Wörterbücher und Gramma¬ 
tiken einig. Vgl. F. Kluge, Etymolog. Wörterbuch der Deutschen Sprache, s. v. 
Krampf; Deutsches Wörterbuch der Gebrüder Geimm, Bd. V, Sp.2010f.; Jak. Gbimm, 
deutsche Grammatik, Bd. II, S. 34. 


1 Der Artikel Klugk’s folgt weiter unten. (Näcke.) 

* Siehe meine früher zitierte Arbeit über Wadenkrämpfe, S. 559. (Näcke.) 


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Krampf ist um so sicherer ein deutsches Wort, weil es nicht allein steht, 
sondern einer größeren Sippe verwandter Wörter im Germanischen zugehört. Zu 
Grunde liegt das (im älteren Hochdeutsch noch ganz lebendige) starke Verbum 
krimpfen = krampfhaft zusammenziehen; Bolch ein zugehöriges starkes Verbum 
ist aber stets das sicherste Kennzeichen für germanische Herkunft eines Namens. 
Der Artikel bei Kluge lautet vollständig: „Krampf, Hase., mhcL ahd. krampf 
(ahd. auch krampfo) *= asäcbs. kramp, ndl kramp fern., engl, cramp: die gemein¬ 
westgermanische Bezeichnung für „Krampf“; eigentlich substantiviertes Adj. zu ahd. 
Krampf gekrümmt, anord. krapps schmal, eingezwängt. Der Name germanisch 
krampa hat im deutschen eine weite Sippe: außer den niederd. mitteld. Lehn¬ 
worten krampe, krampe, krämpel sind aus dem Ahd. zu erwähnen: krampf, 
Masc. Haken, Band, krimpfa, mhd. krimpfen krumm in krankhafter Weise 
zusammenziehen — krimpf, Adj. krumm — Masc. Krampf. Auch nhd. krumm 
ist verwandt, wie dessen Nebenform ahd., mhd. krumpf, gebogen, gewunden zeigt. 
(Vgl. krumm, sowie ahd. chrimphan, mhd. krimpfen einziehen, einschrumpfen, 
engl, to crimple zusammenziehen usw.; anord. krapps enge, dazu kreppa zu¬ 
drücken. Vgl. auch Krüppel, Krapfen.)“ Sie sehen also, wie groß die Sippe 
ist. Das GBiHH'sche Wörterbuch bringt zur Etymologie nicht mehr bei als bei 
Kluge steht. Zu beachten ist aber die Ausführung R. Hildebrajtd’s, der den 
Artikel Krampf (s. Bd. V, S. 2010 f.) verfaßt hat, daß die fast regelmäßige Hin¬ 
zufügung des Artikels „der Krampf“ im Sprachgebrauch auf alte Personifizierung 
der Krankheit schließen lasse. Er sagt: man empfand nämlich einen solchen An¬ 
fall, der plötzlich in das innere Leben eingreift, wie eine persönliche Macht und 
„der Kr.“ konnte ursprünglich geradezu das Packen, Ergreifen (Krimpfen) des 
Dämon, wie mit Klauen, sein.“ 1 

Meine Belesenheit in der mittelalterlichen Medizin erstreckt sich leider nicht 
viel über die mittelniederdeutschen Arzneibücher hinaus, und ist in den letzten 
2 bis 3 Jahren überhaupt arg eingerostet. Die älteren Belege für Krampf in 
altdeutschen Vokabularien u. a. hat Höfleb im Deutschen Krankheitsnamenbuch 
Sp. 304 b gesammelt; es gilt für diese, wie für die unten angeführte Stelle aus 
den Arzneibüchern, daß fast immer von Krampf überhaupt die Rede ist, nicht 
speziell von Wadenkrampf. 

In den mittelniederdeutschen Arzneibüchern finden sich folgende Stellen über 
den Krampf: 

a) Gothaer Arzneibuch des 14./15. Jahrhunderts in der sogen. Düdeschen 
arstedie, Kap. 138 (abgedruckt im Niederdeutschen Jahrb., Bd. V, 1879, S. 95): 
„Deu ram heten de maystere Thenasius; dar wedder stot rüden vnde feet de 
vnde bynt de vp de stede. — Item eyn ander: nym anys, kamen, dillen, greke- 
spik vnde berne dat tosamonde, vnde was dy de ram thuet, das loet den roek 
henne ghaen, des gelik dot ok agrimonia. — Item eyn ander,: stot grekespik 
kernen, polleyen, ysop vnde dust vnde menge it myt hounighe, vnde maket warm 
vnde smere dat lif dar mede van nedden bet to deme ende.“ 

b) Wolfenbüttler Arzneibuch, Fol. XVI (zitiert bei Schiller-Lübben , Med. 
Wörterbuch s. v. krampe): „isset dat by de krampe vele lydendes dedt, so 
schalten dat crud (= holwort) drinken“; ähnlich Fol. XLIV (cit. ibid., s. v. rame): 
„Se (= de langhe holword) is ghud myt matere ghetrunken wedder das callert 
ovel ond wedder den ramen.“ 

Auf einem beiliegenden Zettel endlich bemerkt Prof. Borchling folgendes: 


1 Vgl. damit die Volksanscbauung nach Höfleb in meiner schon erwähnten Arbeit 
S. 560. Auf den dämonischen Aberglauben gründeten sich ja auch die Abwehrmittel. Bez. 
des GniMM'schen Artikels siehe später. (Näckb.) 


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„Bei Höfleb nicht erwähnt. 

VokabuL Stralsund. (*» Nd. Vokabular, des 15. Jahrhunderts): „krampe, 
ran, is ane senen sucht wen de krimpen.“ Noch heute nennen wir in Nord* 
Westdeutschland den Wadenkrampf in familiärer Sprache „Ramm“ („ich hab en 
Ramm im Beine“).“ 

Herr Dr. A. Fonahn aus Kristiania schrieb mir endlich am 9. Jan. 1901 
Ton Berlin folgendes: 

„... erlaube ich mich hierdurch einige vorläufige Bemerkungen über crampus 
zn schicken. Über die ... Fragen kann ich heute noch nichts sagen; es erfordert 
natürlich Zeit die mittelalterlichen schwedischen, dänischen, isländischen und 
norwegischen (d. h. hier nur ein kleines Fragment) Bücher über Heilkunde 
durchzusehen, vielmehr weil kein Inhaltsverzeichnis beigefügt ist. ... crampus 
ist nach den Philologen ein neulateinisches Wort, gebildet (wann?) aus dem 
germanisch-romanischen (oder vielleicht mehr korrekt romanisch-germanischen) 
Wort für „Krampf“ und verwandten Wörtern. 

Nach Fick kann man „Krampf“ auf einen indogermanischen Stamm Kramp 
zurückführen. (Zwar habe ich weder in dem großen Sanskrit WB von Böt- 
lingk, noch im WB von Monier-Williams einen Stamm kram (p) (krap) finden 
können.) 1 ... 

Fick: Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen, Bd. III, 
‘ Göttingen 1874, S. 50 bat unter kramp zusammenziehen, krümmen, krümpfen. 
an (altnordisch) kreppa (= krampja), krepfa zusammendrücken, kneifen, krümmen; 
kreppa Zusammenziehung, Enge; krappr, kröpp (ausgesprochen kröpp), krept 
gedrängt, eng, krumm; kropna adha sich zusammenziehen, Bteif werden vor Kälte; 
kryppa f. Buckel — ahd. krimpfan, mhd. krimpten, Krampf m. ahd. cbrampb, 
cramf, gekrümmt, ahd. crapho, mhd. krapfe m. Haken, Klammer, davon nhd. 
Krapfen, Gebäck von gekrümmter Form. Vgl. ksl. s grübä f. Krampf; grübü m. 
Rücken, Buckel, slavodentsch grab, krümmen, krampa gekrampt, gekrümmt. 
Mittelneulatein. Du Cakge: Glossarium mediae et infimae latinitatiß: crampa 
(sie: -us nicht zu finden bei du Cange) spasmus, sen. manuum pedumoe contractio 
vel extensio. Gail, crampe a Germanico Krampf. Nach du Cange findet man 
„des crombes“ in einem Briefe von 1349. Crampo gall. crampon, ausa ferrea in 
einem Manuskripte in Paris (Ms. ecel.) 1381: „cum quattuor cramponini et qual- 
tuor caoillis ferri.“ 

Angelsächsisch: hramma = ml. hrammr; für Krampf siehe unter Grimm. 

Isländisch: G. Vigfusson. An icelandic — english dictionnary, Oxford 
1874. hrammr m. (cfr. goth hramjam) „that with which one clutches“ (packt, 
greift) „a bears paw“ (Pfote) — „the palm of the hand“. Edda. 

Romanische Sprachen. Keltisch. Gust. Körting. Lateinisch-romani¬ 
sches Wörterbuch. Paderborn 1901. crap-, craf-, grap-, graf(f) — sowohl 
im Keltischen als auch im Germanischen in zahlreichen Ableitungen sich 
bekundend, dessen Grundbedeutung, wenn verbal aufgefaßt, sein muß: etwaB mit 
gekrümmten Fingern fassen; auf diesem Stamm beruht eine sehr zahlreiche, 
vermutlich sowohl durch keltischen als auch durch germanischen Einfluß empor- 
gewachsene romanische Wortfamilie, deren wichtigste Vertreter sein dürften: ital. 
graffio Haken, Kralle, graffiare kratzen, agraftare packen, grappare packen, grappa 
das Anpacken, die Klammer, grappo (der hakenförmige, gleichsam wie ein krummer 


1 Es scheint noch Fick, daß man dos Wort bzw. Stamm nicht im sanskritischen 
gefunden hat, obwohl der indogermanische Stamm konstruiert ist ... 

’ = ? Habe die Abkürzung nicht erklärt finden können. 


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Finger packender) Traubenkamm, die Traube, dazu das Diminutio... grappolo; prov. 
graffio-sHaken, Kralle, grap-s hohle Hand; frz. (norm, grapper, pic. agraper packen) 
grappe (altfrz. crape), Traubenkamm, Traube, agraf (== ahd. *hräpfa oder kräpfo?) 
Klammer (agrafer packen) — grappis Anker; span, agarrafar, engarrafar packen, 
grapa Klammer; grapon große eiserne Krampe; ptg. grampa hakenförmiges Werk* 
zeug, grampo Klammer. 

Deutsch und andere Sprachen. J. u. W. Gbimm: Deutsches Wörterbuch: 
1. Krampf = Haken, Klammer, 2. Krampf = sposmus; altsächsisch: cramp, 
niederdeutsch und niederländisch: kramp, mittelniederdeutsch: krampe, angel¬ 
sächsisch: cramp, crompe (cfr. franz.: crombes), engl, cramp, düuisch: krampe 
(norw. krampe; Wadenkrampf = loggekrampe), 1 schwed.: kramp (Gkimm: „vielleicht 
entlehnt“). Bedeutung: 1. körperlich, ein krümmendes sich einziehen in den 
Gliedern, wenn die Glieder sich krimpfen. Es heißt: der Krampf zieht, vergl. 
griechisch anav/iös von anäv ziehen ... von Krampf befallen“. Man empfand 
nämlich einen solchen Anfall ... wie eine persönliche Macht und der Krampf 
könnte ... geradezu packen, ergreifen (krimpfen), des Dämons wie mit Klauen 
sein. Ursprung, und Verwandtschaft: Krampf ist Ablaut zu krimpfen (praet. 
Krampf = sich krümmen, zusammenziehen (norweg: krympe, krömpe [ö = oe]). 
Statt Krampf heißt der an laut auch mhd. rampf (rimpf), nd. ramp und 
ramme, ram, auch in romanischen Sprachen prov. rampa, lomb. ramf., ranf — 
ital. granchio „von einem verschollenen deutschen Worte für Krampf“. Auch 
Krapfe (ohne die stützende liquida), Kropf, Krüppel. 

Endlich ist noch beachtenswert, wie die Begriffe Krampf und Klammer, 
Haken u. a. auch Kralle oft in einer Form Zusammenstößen, so in krampf, krnmm, 
klam, klamp, ... ital. granchio, Krampf und Klammer; franz. crampe, Krampf, 
crampon Klammer ... spricht das nicht für die (unter 1 vermutete) persönliche 
Auffassung von Krampf“ ... in die romanischen Sprachen eingewurzelt und „hier 
... weit ... tief und vollständiger erhalten “ ...“ 

Auf einer Karte vom 31. Januar 1907 trug Dr. Fohnan noch folgendes 
nach: „... Leider habe ich nicht alle skandinavischen mittelalterlichen Bücher 
durchgesehen; bis jetzt habe nicht crampus oder ähnliches gefunden. O’Reilly: 
Irish-English Dict. Dublin 1864: cramp and crampa a knot a clasp. Esthnisch: 
kramp 1. Krampe, 2. Krampf; Friesisch: krampa = Krampf. Bei Goetz et 
Gundermann: corpusglossariarumlatinorum vol.il kein Stamm fürKrampf usw.“ 

Aus vorstehenden Darlegungen von Sachverständigen ersehen wir also: 

1. Die Wörter crampus und Krampf lasseu sich nicht im Sanskrit 
nach weisen, sind aber wohl wegen ihrer weiten Verbreitung, Begriffsumwand¬ 
lung und Lautverschiebung ein altes arisches Sprachgut, dessen gemeinsame 
Wurzel jedoch bisher nicht nachgewiesen werden konnte; 

2. das Wort: crampus kommt im klassischen Latein nach dem in 
Vorbereitung begriffenen Thesaurus Latinitatis bestimmt nicht vor, was freilich 
nicht dagegen spricht, daß es in der Vulgär- oder Dialektsprache existierte, was 
sogar wahrscheinlich ist; : 

1 ( ) sind meine Zusätze, nicht Gbihm’s- 

s Von der Vulgär- und Dialektsprache ist manches Dokument zwar noch vorhanden, 
doch sind es sicher nur magere Überbleibsel. Und gerade diese Dialekte usw. wären so 
wichtig zu kennen, da hier oft genug Worte und Stämme erhalten sind, die aus der Schrift¬ 
sprache schon längst ausgemerzt sind. Das sehen wir z. B. schon bei uns im Deutschen, 
wo die Dialekte, besonders das Nieder- und Süddeutsche, noch wahre Fundgruben für im 
Hochdeutschen verloren gegangene gute deutsche Worte sind. 

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3. es erscheint zuerst im Mittellateiniscben (wann?) und angeblich 
abgeleitet vom deutschen Krampf, welches demnach älter sein müßte; 

4. crampus und Krampf scheinen ursprünglich zunächst ein Körperliches 
bedeutet zu haben mit dem Allgemeinbegriff des Krummen, Zusammengezogenen. 
Später erst kam der übertragene Sinn auf die Nervenwirkung; 

5. crampus bedeutet sehr wahrscheinlich überhaupt wie: Krampf, nur den 
Krampf im allgemeinen und hat erst später (wann zuerst?) den Sinn von 
„Wadenkrampf u erlangt. 

6. wegen des unerklärlichen, plötzlichen Anfalles, quasi Überfalles ward 
jedenfalls anfänglich der Krampf als Wirkung dämonischer Kräfte aufgefaßt, was 
noch teilweis im Volksglauben und in der Therapie sich ausspricht. 


2. Über den Schlaf. 1 

Von Dr. Paul Kronthal. 

Wie alle Erscheinungen, so kann auch der Schlaf in verschiedener Art be¬ 
trachtet werden. Er kann Vorwurf etwa naturwissenschaftlicher oder philo¬ 
sophischer oder historischer oder dichterischer oder künstlerischer Arbeit sein. 
Der Historiker untersucht, welche Vorstellungen zu den verschiedenen Zeiten 
über den Schlaf herrschten; der Dichter schildert in poetischer Form seine Em¬ 
pfindungen beim Einschlafen und Erwachen; der Künstler wünscht den Be¬ 
schauer seines Werkes in gleicher Art empfinden zu lassen, wie er empfand, 
als er das Werk schuf. Diese Betrachtungsmethoden können wir wohl hier ohne 
weiteres ausscbließen. Es bleibt die naturwissenschaftliche und philosophische 
Untersuchung übrig. Betrachten wir den Schlaf naturwissenschaftlich, so haben 
wir uns an die Erscheinungen zu halten, die wir sinnlich an einem schlafenden 
Organismus wabrnebmen, diese Erscheinungen zu schildern, den Gründen nach¬ 
zugehen, weshalb sie emtreten, durch welche Bedingungen sie geändert 
werden usw., kurz, sie nach allen Richtungen mit den Mitteln der Naturforschung 
zu untersuchen. Als Untersuchungsmittel erkennt die Naturwissenschaft nur solche 
an, die der Sinneswahrnebmung dienen. Haben wir eine Erscheinung natur¬ 
wissenschaftlich soweit geprüft bzw. zurückverfolgt, als sie sinnlich wahrnehmbar 
ist, so ist die Frage naturwissenschaftlich gelöst. Verfolgen wir sie weiter, über 
die Grenze sinnlicher Wahrnehmungsmöglichkeit hinaus, so geraten wir auf 
metaphysisches, philosophisches Gebiet, auf den Boden der Spekulation. 

Eine philosophische Betrachtung des Schlafes kann von Sinneswahrnehmung 
absehen. Daher bat so ziemlich jeder Philosoph, der den Schlaf zum Gegenstand 
seines Denkens machte — an solchen ist kein Mangel — eine eigene Theorie 
aufgestellt Die Philosophen schildern, welche Empfindungen sie beim Ein¬ 
schlafen und Erwachen haben, daß sie ohne Empfindungen sind während sie 


1 Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 
am 5. November 1906. 


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schlafen; dann machen sie jenen berühmten Schluß und setzen nach Analogie 
der eigenen Empfindungen gleiche Empfindungen bei anderen voraus. Ob dieser 
Schluß berechtigt oder unberechtigt ist, wollen wir heute nicht prüfen; aber 
darüber wollen wir uns klar sein, daß die beiden Betrachtungsmethoden grund¬ 
verschieden sind. Das eine Mal betrachten wir den Schlaf bei irgend einem 
Organismus, außer dem unseren, schließen also den eigenen von der Unter¬ 
suchung aus. Das andere Mal schildern wir lediglich die eigenen Empfindungen, 
schließen also alle anderen Organismen von der Untersuchung aus. Jene Methode 
ist die naturwissenschaftliche oder physikalische, diese die philosophische oder 
metaphysische. Eine Untersuchung des Schlafes vorzunehmen, indem man sich 
bald auf naturwissenschaftlichen, bald auf philosophischen Boden stellt, kann 
sehr interessant sein, ist aber arges Hindernis für eine klare Vorstellung. Denn 
indem der Untersucher zwischen der naturwissenschaftlichen und der philo¬ 
sophischen Methode hin- und herpendelt, bleibt er in keiner Vorstellung kon¬ 
sequent. Diese Inkonsequenz kann nie zur Klarheit führen. Sie finden daher 
auch nicht selten in den Lehrbüchern der Physiologie das mehr und weniger 
offene Zugeständnis, daß man über den Schlaf noch nicht im klaren sei. 

Die ziemlich allgemein herrschende Anschauung über den Schlaf ist etwa 
so auszudrücken: Wenn die Zellen der Großhirnrinde ermüdet sind, vergiftet 
werden, ihre angebliche Tätigkeit einstellen, tritt Schlaf ein. Auf Grund dieser 
Anschauung ist in den Physiologien der Schlaf bei der Darstellung des Gro߬ 
hirns abgehandelt. So schreibt Hermann 1 bezüglich des Schlafes: „Im Schlafe 
selbst sind nur die Großhirnfunktionen suspendiert...“ und: „Die nähere Ur¬ 
sache, welche die Großhirnrinde außer Tätigkeit setzt, ist unbekannt.“ Bunge 2 
schreibt: „ .... und wollen nun den Zustand der Ruhe des Gehirns, den wir 
Schlaf nennen, ins Auge fassen“. 

Sind diese Anschauungen richtig, nach denen der Schlaf abhängig ist vom 
Zustand der Großhimrindenzellen, so muß man annehmen, daß ein Tier, dem 
die Großhirnrinde in bedeutendem Umfange entfernt ist, nicht schläft oder 
wesentliche Abweichungen vom normalen Schlafe zeigt Diese Annahme erweist 
sich als ein Irrtum. Selbst jener bekannte Hund von Goltz, dem das gesamte 
Großhirn, mit Ausnahme einiger Reste an der Basis des Schläfenlappens, ent¬ 
fernt war und der diese Operation um 1 1 / a Jahr überlebte, zeigte periodische 
Abwechslung von Schlaf und Wachen. Sein Schlaf glich vollständig dem eines 
normalen Tieres, nur waren die Perioden des Schlafens und Wachens kürzer 
als bei gesunden Hunden. Im übrigen schlief das Tier wie jeder Hund nach 
reichlichem Mahle ein und rollte sich im Schlaf wie ein gesundes Tier zusammen. 
Wir sehen also: Ein Tier, dessen Großbirnrindenzellen fast vollständig entfernt 
sind, schläft auch und zwar in der gleichen Art, in der Tiere schlafen, die im 
Besitze ihrer Großhirnrindenzellen sind. Wir müssen schließen: Für den Schlaf 
ist der Zustand, überhaupt die Existenz der Großhirnrindenzellen ohne Be- 


1 Lehrbuch der Physiologie. 12. Aafl. S. 459 bez. 460. 

3 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Auti. S. 265. 


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deutang. Diesen Schluß konnten wir eigentlich ohne jedes Experiment machen. 
Denn wäre der Schlaf gebunden an die Existenz bzw. den Zustand einer Gro߬ 
hirnrinde, so müßten notwendigerweise Organismen ohne Großhirn keinen 
Schlaf haben. 

Vielleicht findet sich ein Naturforscher, der dies wirklich behauptet Um 
uns mit ihm zu verständigen, wird es notwendig sein, festzustellen, was man 
naturwissenschaftlich unter „Schlaf“ zu verstehen hat Wir wollen die Grenzen 
der Naturwissenschaft nicht überschreiten, uns mit der Schilderung dessen be¬ 
gnügen, was wir sinnlich wahrnehmen und zur Deutung nur solche Gesetze 
heranziehen, die ihrer allgemein zugestandenen Gültigkeit wegen Naturgesetze 
genannt werden. 

Betrachten wir einen schlafenden Menschen. Wir sehen ein ruhig liegendes 
Individuum, dessen Atmung und Pulsschlag uns sein Leben bestätigt. Atmung 
und Puls sind etwas verlangsamt; die Atmung, mehr kostal als abdominal, auch 
beim Manne, ist nicht ganz regelmäßig, indem sie hin und wieder, meist in 
gleichen Zwischenräumen, aussetzt; der Gefäßtonus ist vermindert Leise an¬ 
gerufen oder berührt, reagiert der Mensch nicht; erst auf lauten Anruf oder 
Stoß erfolgt eine Reaktion; hierauf verfällt der Untersuchte entweder wieder in 
seinen früheren Zustand oder er kommt in einen Zustand, in dem er normal 
reagiert Wir nennen diesen den wachen Zustand und jenen im Gegensatz hierzu 
Schlaf. Lassen wir den Menschen ungestört in seinem Schlafzustand, so kehrt 
er auch ohne besondere Reize in den wachen Zustand zurück. Die Erscheinung 
des Zurückkehreus in den wachen Zustand bezeichnen wir als „Erwachen“. Das 
Erwachen tritt plötzlich ein oder spielt sich in Sekunden ab. Beobachten wir 
den Menschen Tage hindurch, so finden wir, daß er in ziemlich regelmäßigen 
Intervallen in den Schlafzustand verfällt Das Hinübergleiten aus dem wachen 
in den Schlafzustand nennen wir Einschlafen. Es kann Sekunden bis Minuten 
dauern. Wir bezeichnen den Schlaf als desto tiefer, fester, je stärker die Reize 
sein müssen, um das Individuum zu erwecken. Da die anderen im Schlafe vom 
wachen Zustand abweichenden Erscheinungen um vieles weniger hervortreten als 
die veränderte Reaktion, halten wir uns an dieses markanteste Symptom und 
definieren: Schlaf ist der vorübergehende Zustand eines Lebewesens, 
in dem die meisten Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind. Wir 
sagen die „meisten“ Reflexe, denn daß nicht alle Reflexe aufgehoben sind, lehrt 
uns ohne weiteres das Vorhandensein von Atmung und Pulsschlag. Es sind auch 
andere Reflexe im Schlafe weder herabgesetzt noch aufgehoben, z. B. werden Urin 
und Fäces durch reflektorischen Schluß von Blase und Mastdarm zurückgehalten. 
Den unbestimmten Ausdruck „die meisten“ können wir nicht entbehren. Wir 
müssen von einer naturwissenschaftlichen Definition verlangen, daß sie allgemein 
gültig ist; allgemein können wir aber nicht sagen, welche Reflexe herabgesetzt, 
welche aufgehoben sind, weil sich hierin eine recht bedeutende Verschiedenheit 
zwischen den einzelnen Arten und sogar den einzelnen Individuen derselben 
Art zeigt 

Gegen unsere Definition wird der Naturforscher kaum etwas einzuwenden 


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haben, denn sie gibt einerseits seine Beobachtung wieder und setzt ihn anderer* 
seits in die Lage, den Schlafzustand zu erkennen. Ist diese Definition richtig, 
dann muß man allen Organismen Schlaf zusprechen, denn wir können bei allen 
Organismen konstatieren, daß sie zeitweise, unter bestimmten Bedingungen, nach 
gewissen Ursachen in diesen Zustand kommen. Wir haben es also mit einer 
regelmäßig wiederkebrenden, normalen, demnach mit einer physiologischen Er* 
scheinung zu tun. 

Als Grnnd des physiologischen Schlafes wird allgemein die Ermüdung an¬ 
gesehen. Das Rechte dieser Anschauung ist unschwer zu beweisen. Der Beweis 
ist um so sicherer, als sich zeigen läßt, daß die Tiefe des Schlafes abhängig 
ist vom Grade der Ermüdung. Wir können diesen Schlaf den Ermüdungs¬ 
schlaf nennen. 

Reizen wir einen isolierten Froschschenkel oder auch nur ein Stückdien 
Froschmuskulatur längere Zeit, so reagiert es nicht mehr. Gönnen wir ihm 
einige Zeit Ruhe, so zeigt es wiederum Reaktion. Wir sehen also das Stückchen 
Muskel in einem vorübergehenden Zustand aufgehobener Reaktion; da die Ur¬ 
sache dieser Reaktionslosigkeit zweifellos die Ermüdung des Muskels war, können 
wir den Schlaf dieser Muskelzellen auch als Ermüdungsschlaf ansprechen. 
Diese Muskelzellen waren von jedem Centralnervensystem freu Wir haben hier 
also abermals eine Bestätigung unserer schon früher gewonnenen Erkenntnis, 
nach der Schlafen nicht an die Existenz eines Nervensystems gebunden sein 
kann. Wir müssen vielmehr jedem Organismus, ob Protozoon, ob Metazoon. 
Schlaffähigkeit zusprechen. Demnach kommen wir zu der Überzeugung, daß 
ein aus vielen Zellen zusammengesetzter Organismus, ein Metazoon, schläft, wenn 
die den Organismus konstituierenden Zellen ermüdet sind, nicht reagieren. Die 
Vorstellung, ein mit Nervensystem ausgestatteter Organismus schlafe, weil seine 
Nervenzellen schlafen, lehnen wir ab. Jede Zelle kann müde werden, in ihrer 
Reaktionsfähigkeit nachlassen. Um sich zu erholen, muß jede Zelle Ruhe 
haben, schlafen. 

Der Schlaf ist für die Erhaltung des Lebens notwendig. Verhindert man 
Tiere um Schlafen, so gehen sie schnell zugrunde. 4 bis 5 tägige Schlaflosigkeit 
tötet einen Hund. Den isolierten Froschschenkel kann man bei einer Temperatur 
von 2 bis 3° und feuchter Luft tagelang am Leben, d. h. reaktionsfähig er¬ 
halten. Gönnen Sie dem Froschschenkel keine Ruhe, sondern reizen Sie ihn 
ununterbrochen, so gerät er nach Minuten bis Stunden, je nach Reizintensität 
und Reizintervall in einen zähen, teigartigen Zustand, aus dem er, wenn der 
Reiz fortgesetzt wird, in den Tod übergeht, sich nicht mehr erholt. Also auch 
hier wieder eine vollkommene Parallele zwischen dem hochorganisierten, mit 
centralem Nervensystem versehenen Tiere und einem Stückchen MuskeL Ebenso¬ 
wenig wie für den Schlaf ist für den Tod durch Schlaflosigkeit das Nerven¬ 
system verantwortlich zu machen. Das Metazoon stirbt durch Schlaflosigkeit, 
wenn die das Individuum zusammensetzenden Zellen ermüdet sind und sich 
nicht erholen können. 

Durch Darreichung verschiedener Stoffe, wie Morphium, Chloroform, Äther, 

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Original fro-m 

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Alkohol, können wir Lebewesen in Schlaf versetzen. Wir müssen bei der Dar¬ 
reichung dieser Substanzen recht aufmerksam verfahren, weil die Organismen 
aus dem durch diese Stoffe verursachten Schlafzustand leicht in den Todeszustand 
übergehen. Da diese Substanzen also zweifellos für das Leben gefährlich, d. h. 
giftig sind, können wir den durch sie verursachten Schlaf* Giftschlaf nennen. 
Die Verschiedenartigkeit des Giftschlafes und des Ermüdungsschlafes ist nicht 
zu bezweifeln. Aus dem Ermüdungsschlaf ist ein. Organismus stets zu erwecken; 
es kommt nur auf die Stärke des Reizes an. Aus dem Vergiftungsschlaf ist ein 
Organismus auch durch die allerstärksten Beize, wie Knochendurchsägungen, 
nicht zu erwecken. Sobald ein Organismus aus dem Ermüdungsschlaf erwacht 
ist, reagiert er wieder in seiner früheren Intensität Nach dem Vergiftungs¬ 
schlaf erhält der Organismus die alte Reaktionsfähigkeit nur wieder allmählich. 
Das Einschlafen beim Ermüdungsschlaf findet in Sekunden oder Minuten derart 
statt, daß die Reflexe allmählich schwächer werden. Dem Einschlafen beim 
Giftschlaf geht ein mehr oder weniger deutlich ausgesprochener Erregungszustand 
voraus. Atmung und Herz verhalten sich im Giftschlaf auch anders als im Er¬ 
müdungsschlaf. Überläßt man ein Lebewesen sich selbst, so tritt der Ermüdungs- 
schlaf periodisch, in ziemlich regelmäßigen Intervallen ein. Er ist eine chronische 
Erscheinung. Der Vergiftungsscblaf ist eine aknte Erscheinung. Der Ermüdungs¬ 
schlaf ist eben ein physiologischer, der Giftscblaf ein pathologischer Vorgang. 

Die Frage, ob jene, Narcotica genannten Giftsubstanzen auf das Central¬ 
nervensystem, speziell die Großhirnrindenzellen wirken, läßt sich leicht ent¬ 
scheiden. Wir brauchen diese Gifte nur auf Organismen wirken zu lassen, die 
kein Centralnervensystem bzw. überhaupt kein Nervensystem haben. Da finden 
wir denn, daß die Narcotica auf Organismen ohne Nervensystem genau so 
wirken wie auf Organismen mit Nervensystem. Auf ein kurzes Stadium der 
Erregung folgt Schlaf; nach weiterer Darreichung des Giftes folgt Tod; wird 
das Gift rechtzeitig fortgelassen, so tritt Erholung bis zur restitutio ad integrum 
ein. Auch vom Nervensystem isolierte überlebende Teile, wie kleine Muskel¬ 
stückchen des Frosches, verhalten sich diesen Giften gegenüber genau so wie 
das ganze Tier. Wir schließen also mit Sicherheit: Die Narcotica wirken nicht 
vergiftend auf das Nervensystem, sondern auf die das Individuum zusammen¬ 
setzenden Zellen. Der Vergiftungsschlaf ist auch unabhängig von einem Nerven¬ 
system. 

Schlaf ist der vorübergehende Zustand eines Lebewesens, in dem die meisten 
Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind. Wir stehen als Naturforscher auf 
dem Standpunkt, Lebewesen seien den Gesetzen der Physik und Chemie in 
gleicher Art unterworfen wie tote Körper. Was wir bei Organismen Reflex 
nennen, nämlich das Verhalten des Organismus gegenüber der Einwirkung einer 
Energie, heißt bei leblosen Körpern Reaktion. Mit veränderter Temperatur 
ändern sich die Reaktionen der Körper, und zwar werden im allgemeinen die 
Reaktionen durch steigende Temperatur beschleunigt, durch fallende verlangsamt. 
Wir erwarten gleiches auch von Lebewesen und werfen die Frage auf, wie sich 
bei erniedrigter oder erhöhter Temperatur die Organismen verhalten. 

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Über die Kältewirkung auf Lebewesen berichten die Autoren, daß mit 
sinkender Temperaur nach einem vorübergehenden Erregungsstadium die Reflexe 
matter und matter werden und schließlich Schlaf eintritt. Als Grenztemperatur, 
von der an die Mattigkeit eintritt, hat W enternitz für Kaninchen 34° fest¬ 
gestellt, Pflüge» 30°, Quinquaud 28°. Sinkt die Temperatur weiter oder hält 
die niedrige Temperatur an, so stirbt das Tier in diesem Kälteschlaf. Steigt 
die Temperatur, bevor der Organismus zu tief geschädigt ist, so treten auch 
wieder die Reflexe in normaler Weise auf, d. h. der Organismus erwacht Sie 
sehen also, daß sich die Lebewesen der Kälte gegenüber wie tote Substanzen 
verhalten. Mit fallender Temperatur werden die Reflexe wie die Reaktionen 
langsamer. 

Winternitz 1 hat experimentell nachgewiesen, daß an Kanindien, deren 
Körper auf 31 bis 29° abgekühlt ist, eine Lichtreaktion der Pupillen kaum noch 
zu erzielen ist; auf starke Geräusche reagieren die Tiere nicht mehr regelmäßig; 
sie zeigen bedeutende Schlafneigung. Wird die Abkühlung auf 26 bis 22° weiter 
getrieben, so nehmen diese Erscheinungen zu, das Tier reagiert nur noch auf 
wenige Reize, ist schwer schlafsüchtig. Bei Abkühlung auf 22 bis 19° reagiert 
das Tier auf die meisten Reize garnicht mehr, auf sehr energische, wie tiefe 
Einstiche, nur noch schwach; es ist aus seinem Schlaf nicht mehr zu erwecken. 
In den üblichen Anschauungen befangen, nach denen sowohl Reflexe wie auch 
Schlaf Leistung der Nervenzellen sind, sieht Winternitz den Grund für die 
Leiden der Tiere in den Schädigungen der Nervenzelle durch die Abkühlung. 
Zuerst sollen die wärmeregulatorischen Centren geschädigt werden, dann 
Funktionen des verlängerten Markes, dann die übrigen Centren des Hirns und 
Rückenmarks; schließlich leide das vasomotorische Centrum, zu allerletzt die 
lebenswichtigen Centren und dann sterbe das Tier. Winternitz führt alle 
Erscheinungen darauf zurück, daß die Hirncentren, d. h. die Ganglienzellen sich 
abkühlen. So sehr verblendete die Hypothese von den Nervenzellen, die alles 
machen, alles dirigieren sollen; wenn ein Tier erfror, deutete man die Schädi¬ 
gungen nicht durch das Erfrieren der Haut-, Muskel-, Sehnen-, Blasen-, Darm-, 
Blutzellen, sondern aller Schaden sollte verursacht sein, weil die Nervenzellen 
frieren. Als ob ein Tier ohne Nervenzellen nicht erfrieren kann! 

Neben dem pathologischen kennen wir auch einen physiologischen Kälte¬ 
schlaf, den Winterschlaf. Eine große Reihe von Tieren, so die meisten 
Reptilien, viele Amphibien und auch Homoiothermen, wie der Dachs, Igel, das 
Murmeltier, die Fledermaus verfallen, wenn sie dauernd abgekühlt werden, 
z. B. im Winter, in Schlaf. Dieser Schlaf ist, weil er regelmäßig, periodisch 
eintritt, eine physiologische Erscheinung. Der Grund, weshalb diese Tiere, im 
Gegensatz zu den meisten anderen, in den Winterschlaf verfallen, ist das 
mangelnde Wärmeregulationsvermögen ihres Organismus. Dieser Mangel läßt 
ihre Körpertemperatur unter Einwirkung schon geringer Kälte sinken. Die 
Tiere im Winterschlaf zeigen eine auffallende Herabsetzung ihrer normalen 


1 37 vergleichende Versuche über Abkühlung nsw. Archiv f. exper. PatboL XXXIII. 


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Temperatur. Solange diese anhält, ist ihre Reaktion herabgesetzt bis aufgehoben; 
sie schlafen. Steigt die Temperatur, so nimmt die Reaktionsfähigkeit zu; die 
Tiere wachen auf. Simpson 1 hat übrigens auch Affen in eine Art Winterschlaf 
gebracht, indem er sie auf 25 bis 23° abkühlte. Def Winterschlaf ist eben 
Kälteschlaf. Buffon hat die Kälte als Ursache des Winterschlafes angesprochen 
und zuerst exakt thermometrisch nachgewiesen, daß einerseits die Körper* 
temperatur der Winterschläfer von der umgebenden Temperatur sehr abhängig 
ist, z. B. bei Igeln und Fledermäusen in der Kälte sich um 10° R. hält, und 
daß andererseits Winterschläfer, im Winter am warmen Orte gehalten, nicht 
schlafen. 

Als Ursache für den Winterschlaf mußte, wie für alles, was man nicht 
erklären kann, auch wieder das Nervensystem herhalten. Gegen alle mehr oder 
weniger wilden Nervensystemtheorien spricht sich am deutlichsten schon Babkow* 
aus. Er weist mit Recht darauf hin, daß der Winterschlaf eine allgemeine 
Erscheinung gerade bei denjenigen Organismen ist, die kein Nervensystem 
haben, nämlich den Pflanzen. Der Winterschlaf dieser unterscheidet sich denn 
auch vom Winterschlaf der Tiere nur soweit, als der Unterschied in der ver¬ 
schiedenen Organisation begründet ist Die Reflexe sind herabgesetzt bis auf¬ 
gehoben. Daß der Organismus nicht tot ist, beweist sein Wiedererwachen im 
Frühling. Führt man der Pflanze wie dem Winterschläfer Wärme im Winter 
zu, so erwachen sie vor dem Frühjahr zu neuem Leben. 

Wie reagieren die Organismen bei erhöhter Temperatur? Die zahlreichen 
genauen Beobachtungen über Individuen im Fieber müssen wir bei Beantwortung 
unserer Frage ausschließen, da wir nicht in der Lage sind, zu unterscheiden 
zwischen den Erscheinungen, welche von der Temperaturerhöhung abhängen 
und denjenigen, welche durch die gleichen Ursachen wie die Temperatur¬ 
erhöhung bedingt sind. Aber ebensowenig wie das Wärmeregulationsvermögen 
der Homoiothermen mächtig genug ist, um eine Erniedrigung der Körper¬ 
temperatur stets zu verhindern, reicht es aus, um eine Erhöhung der Körper¬ 
temperatur zu verhindern, wenn ihnen Wärme zugeführt wird. Es seien dies¬ 
bezüglich die Versuchsergebnisse zweier neuer Autoren mitgeteilt Pfkeffeb 1 * 3 
hat halb geschorene Kaninchen an den geschorenen Stellen während 50 Sekunden 
mit kochendem Wasser verbrüht; in der Subcutis erreichte die Temperatur rasch 
63° und wurde dann innerhalb 10 Minuten wieder normal; im Peritonealraum 
stieg das Thermometer bis 50° und kehrte innerhalb 20 Minuten zur Norm 
zurück. Bubkhabdt 4 wies bei experimentellen Verbrennungen nach, daß die 
Bluttemperatur im Ohre des Kaninchens der Temperatur des das Ohr ver¬ 
brühenden Wassers folgt, indem sie stets um 8 bis 10° hinter dieser zurückbleibt 


1 Journ. of Pbysiology. XXVIII. 

* Der Winterschlaf. Berlin 1846. 

* Experimenteller Beitrag znr Ätiologie des primären Verbrennnngstodes. Vibcbow’s 
Archiv. CLXXX. Heft 8. 

4 Ober die nach ansgedehnten Verbrennnngen auftretenden hämolytischen Erscheinungen. 
Archiv f. klin. Chirurgie. LXXV. Heft 4. 

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Vollständig gegensätzlich wie sich ein erfrierender Organismus verhält, sei 
es Mensch oder Tier, verhält sich ein verbrennender. Während die Reflexe des 
Erfrierenden langsamer und langsamer werden, er einschläft und den Schlafenden 
der Tod erlest, wird der Verbrennende lebhafter und lebhafter und kämpft 
gegen sein Schicksal bis ihn der Tod ereilt. Also auch die Hitze wirkt auf 
Lebewesen in genau der gleichen Art wie auf tote Substanzen. Hei Temperatur¬ 
steigerung werden die Reflexe bzw. Reaktionen beschleunigt. Sie sehen, wie 
schön sich die Lebewesen in die allgemeinen Gesetze der Natur einfügen, gibt 
man nur den unhaltbaren Standpunkt auf, für alle ihre Geschicke die komman¬ 
dierende Nervenzelle verantwortlich zu machen. 

Während man ziemlich allgemein als Ursache für den Schlafzustand und 
schließlichen Tod der Organismen in der Kälte die Wirkung dieser auf die 
Nervenzellen ansieht, hält man sonderbarerweise den Verbrennungstod als nicht 
verursacht durch die Hitzewirkung auf die Nervenzelle. Die Kälte soll auf 
die Nervenzelle, die Hitze auf die anderen Zellen wirken! 

Indem wir erkannt haben, daß erniedrigte Temperatur den Menschen in 
den Schlafzustand versetzt, lernen wir zu der Ermüdung und den Giften eine 
neue Ursache für den Schlaf kennen, die Kälte. Wir können somit von einem 
Ermüdungs-, einem Gift- und einem Kälteschlaf sprechen. Dieser Kälteschlaf 
ist insofern dem physiologischen Schlaf unähnlich und dem Giftschlaf ähnlich, 
als Einschlafen und Erwachen langsame Vorgänge sind und als es durch keine 
Reize gelingt, den Schlafenden aus dem Kälteschlaf zu erwecken. Der Schlafende 
erwacht erst, wenn die Temperatur sich wieder der normalen nähert. Bleibt 
die pathologische Temperatur bestehen, so verfällt der Organismus dem Tode; 
es tritt hier also das gleiche wie beim Giftschlaf ein, wenn die Gifte im Schlafe 
weiter gereicht werden. Zwischen dem Kälteschlaf und dem Giftschlaf ist aber 
insofern ein Unterschied, als der au6 diesem erwachende Organismus nach 
Minuten oder Stunden seine normale Reaktionsfähigkeit wiedereriangt, während 
der aus dem Kälteschlaf Erwachte, abgesehen von lokalen Schädigungen, Tage 
zur restitutio ad integrum gebraucht Offenbar schädigen jene Gifte um vieles 
weniger schwer den Organismus als die erheblich veränderte Temperatur. 

Es gibt schließlich noch einen sehr schönen und zwingenden Beweis dafür, 
daß die Ansicht falsch ist, nach welcher Schlaf zustande komme, weil die Nerven¬ 
zellen ihre angebliche Tätigkeit einstellen. Curare wirkt nicht auf das Central¬ 
nervensystem, sondern lähmt periphere Apparate und Muskeln, so daß der Muskel 
unbeweglich ruht. Bei derartig gelähmten Tieren ist der Stoffwechsel der gleiche 
wie im Schlaf (Zuntz, A. Loewy, Cremeb und Frank, Johansson). Würden 
die Nervenzellen durch Aufgeben ihrer Tätigkeit den Schlaf herbeiführen, so 
müßten notwendigerweise die im Schlafe ausgeschiedeneu Stoffe sich irgendwie 
von den Stoffen unterscheiden, die während des Lähmungszustandes der Muskeln 
und der angeblichen Tätigkeit der Nervenzellen ausgeschieden werden. Da die 
ausgeschiedenen Stoffe bei Ruhe der Nervenzellen und des Muskels die gleichen 
sind, wie bei Ruhe nur des Muskels, müssen wir schließen, der Schlafzustand 
sei begründet durch die Ruhe der Muskeln und nicht durch die der Nervenzellen. 

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Reize wirken auf den Menschen, indem sie Sinnesorgane erregen. Die Er¬ 
regung leitet dos Nervensystem weiter and überträgt sie auf eine große Anzahl 
oder alle Zellen des Individuums. Das Nervensystem ist eine reizleitende Ver¬ 
bindungskonstruktion zwischen den das Individuum konstituierenden Zellen. 
Dies beweist lapidar die Beobachtung: Wo auch immer das Nervensystem ver¬ 
letzt wird, sei es in der Peripherie, sei es im Rückenmark, sei es Gehirn, der 
Erfolg ist stets das Ausbleiben von Reflexen. Das Nervensystem hat also die 
Erregungen geleitet 

Schlaf ist der vorübergehende Zustand eines Lebewesens, in dem die meisten 
Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind. Ist diese Definition richtig, so muß 
notwendigerweise ein Individuum, dessen Reflexmöglichkeiten herabgesetzt bis 
aufgehoben werden, in den Schlafzustand geraten. Die Reflexmöglichkeiten 
müssen herabgesetzt sein 1. wenn es an Reizen mangelt, 2. wenn die Sinnes¬ 
organe nicht reagieren, 3. wenn die Reizleitung gestört ist 

Alte Erfahrung lehrt, daß, wenn man alle Reize möglichst fernhält, ein 
Mensch leicht in Schlaf verfallt Wünscht man Schlaf herbeizuführen, so läßt 
diese Erfahrung das Zimmer verdunkeln, somit die Lichtreize abhalten; man 
dämpft möglichst alle Geräusche, hält somit die Schallreize ab; man vermeidet 
alle Erschütterungen, sowie alles was Ursache für Hautreize sein kann. Unsere 
erste Folgerung hat sich als richtig erwiesen. Wir kennen einen Reizmangel- 
schlaf. Es ist jener Schlaf, von dem man im gewöhnlichen Leben sagt, er 
trete aus Langeweile, ans Mangel an Anregung ein. 

Wir erwarten zweitens Schlaf, wenn die Sinnesorgane nicht reagieren. Daß 
auch diese Konsequenz richtig von uns gezogen wurde, dafür gibt es mancherlei 
Beweise, deren zwingendste wohl jene viel zitierten Fälle Strümpells und 
v. Ziem88bns sind. Der Strümpell sehe Patient hatte keine Hautempfindungen, 
war auf einem Auge blind und einem Ohr taub. Verschloß man das noch 
reagierende Auge und Ohr, so verfiel der Patient in Schlaf. Bei dem 
v. Ziemb8Bn sehen Patienten bestand auch komplette Anästhesie der Haut, es 
funktionierten aber, im Gegensatz zum STRüMPELLschen Fall, beide Augen und 
Ohren. Verschloß man diesem Kranken Augen und Ohren, so schlief er innerhalb 
30 Sekunden ein. Wir haben hier also ganz deutlich einen Sinnesmangelschlaf. 

Ad 3 erwarteten wir den Schlafzustand zu finden, wenn die Reizleitung 
gestört ist. Wir sind uns darüber klar, daß die Störung, um Schlaf zu ver¬ 
ursachen, großen Umfang haben muß; denn arbeiten nur einige wenige Bahnen 
nicht, so werden noch zahllose Erregungen auf den gesunden Bahnen fort¬ 
geleitet. Würden bei einem Menschen sämtliche peripheren Nervenstämme nicht 
funktionieren, so würde er schlafen. Erkrankungen des Rückenmarkes, auch 
sehr umfangreiche, werden Schlaf nicht verursachen, weil die von den am 
feinsten reagierenden Sinnesorganen herkommenden Fibrillen dasselbe garnicht 
oder nur zum allergeringsten Teil passieren. Das Individuum muß aber schlafen, 
wenn das Gehirn in so großem Umfange erkrankt oder verletzt ist, daß die 
meisten Erregungen dasselbe nicht mehr passieren, somit nicht zu den moto¬ 
rischen Apparaten gelangen. 

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Die Schlafzustände bei allen umfangreichen Hirnerkrankungen und Hirn* 
Verletzungen sind allbekannt. Schlaf kann also dnrch den Zustand der Hirn* 
rinde bedingt sein. Dies ist aber stets ein pathologischer Schlaf, ein Leitungs* 
unterbrechungsschlaf. Der physiologische Schlaf ist unabhängig vom Gehirn. 

Der Leitungsunterbrechungssohlaf oder, me wir ihn auch kürzer nennen 
können, der Gehirnschlaf oder Hirnsohlaf hat einen abweichenden Charakter 
von allen anderen Scblafarten. Die Abweichungen sind bedingt durch Umfang, 
Art und Ort der Leitungsunterbrechung. Es läßt sich deshalb ein allgemeiner 
Typus für den Gehimschlaf nicht aufstellen. Das Individuum kehrt in den 
wachen Zustand erst zurück, d. h. es reagiert erst wieder normal, wenn die 
Leitungsunterbreohung behoben ist, wenn die von den sensiblen Apparaten her- 
kommenden Beize das Gehirn wieder passieren, somit zu den motorischen Appa¬ 
raten gelangen, wenn also Beilexmöglichkeit wieder vorhanden ist 

Zwei Schlafarten, von denen man öfter hört, sind bisher nicht erwähnt 
worden, die nahe verwandten Zustände des Schlafes der Somnambulen und der 
Hypnotisierten. Wir haben definiert: Sohlaf ist der vorübergehende Zustand, 
in dem die meisten Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben Bind. Betrachten wir 
einen Somnambulen oder einen Hypnotisierten, so finden wir ein Bild, nicht 
ähnlich dem, das alle anderen Schlafzustände bieten. Der Mensoh liegt nicht 
ruhig da, sondern bewegt sich in mehr oder weniger eigenartiger, anormaler 
Weise. Die Beize der Außenwelt verursachen bei ihm, während er sich in dem 
somnambulen oder hypnotischen Zustand befindet, von den normalen abweichende 
Beflexe. Wir sehen also einen Menschen, dessen meiste Reflexe nicht herab¬ 
gesetzt bis aufgehoben sind, sondern — was uns als charakteristisch auflallt — 
die Reflexe des Betreffenden sind anormal, krankhaft verändert So können wir, 
wenn anders unsere Definition vom Schlafe richtig ist, den Zustand des Somnam¬ 
bulen, Hypnotisierten nicht als Schlaf bezeichnen. 

In früheren Arbeiten habe ich Geisteskrankheit, Seelenkrankheit definiert 
als die krankhaft veränderte Reaktion eines Individuums. 1 Ist diese Definition 
richtig, so ist der Hypnotisierte, der Somnambule mit seinen anormalen Reaktionen 
als Geisteskranker aufzufassen. Diese Auffassung stimmt mit den Ansichten der 
meisten modernen Psyohiater, Nervenärzte überein. Der Zustand des Hypnoti¬ 
sierten, des Somnambulen ist kein Schlaf, sondern eine Geisteskrankheit 

Wenn in dieser Betrachtung über den Schlaf bisher von zwei Worten ab¬ 
gesehen wurde, die immer auftauchen, sobald von Schlaf die Bede ist, nämlich 
Bewußtsein und Traum, so geschah es aus folgenden Gründen. Nach dem ein¬ 
leitend Gesagten sollte eine naturwissenschaftliche Definition und Betrachtung 
des Schlafes versucht werden. Demnach war nur mit naturwissenschaftlichen 
Vorstellungen zu arbeiten. Sollten also Bewußtsein und Traum in die Be¬ 
trachtung hineingezogen werden, so waren sie physikalisch-mechanisch zu er¬ 
klären. Derartige Erklärungen sind möglich. Sobald der Naturforscher sich 
streng an die Grenzen hält, die seiner Wissenschaft gezogen sind, ist für ihn 


1 Vgl. Nervenzelle uud Psychose. Archiv f. Psych. XXXVIII; Psyche and Psychose. 
n «rlincr klin. Wochensehr. 1904. 


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Psyche die Somme der Reflexe. Bewußtsein and Traum stellen dann nur 
verschiedene Reflexsummen vor, Bewußtsein eine sehr hohe, Traum eine sehr 
geringe. Da Schlaf der vorübergehende Zustand eines Lebewesens ist, in dem 
die Reflexe herabgesetzt bis aufgehoben sind, kann notwendigerweise im Schlaf 
Bewußtsein, eine sehr hohe Summe der Reflexe, nicht bestehen; wohl aber 
kann Traum, eine geringe Summe der Reflexe, vorhanden sein. Vorbedingung 
für den Traum ist dann natürlich, daß der Schlaf kein zu tiefer, sowie daß ein 
leichter Reiz vorhanden ist Wie Erfahrung denn auch lehrt, treten die Träume 
einerseits zumeist des Morgens, wenn der Schlaf an Tiefe nachläßt, auf; anderer¬ 
seits bewirkt ein Reiz, der nicht intensiv genug ist, um den Schläfer zu er¬ 
wecken, Träume. 

Wenn schließlich von der Empfindung, die Sie auch meist zur Erklärung 
des Schlafes herangezogen finden, ganz abgesehen wurde, so geschah es, weil 
wir hier den Schlaf naturwissenschaftlich betrachten wollten, Empfindung aber 
als etwas sinnlicher Wahrnehmung ewig Unzugängliches in den Naturwissen¬ 
schaften Berücksichtigung nioht finden darf. Der Naturforscher soll die Speku¬ 
lation über Empfindung und Empfindungsbegriffe dem Philosophen überlassen. 
Speziell die Geschichte der Medizin scheint lapidar zu lehren, daß wir besser 
daran tun, uns innerhalb der Grenzen zu halten, in welche Naturwissenschaft 
nun einmal eingezwängt ist, als für alles eine Antwort finden zu wollen. Denn 
stets, wenn Medizin die ihr als Naturwissenschaft vorgeschriebenen Grenzen 
überschritt, wurden nach längerer oder kürzerer Zeit ihre Lehren als Irrlehren 
verworfen. 


3. Die Sehnenreflexe angestrengter 
Körperteile. Untersuchungen an Marathonläufern. 

Von Dr. Milt. Oeoonomakis, 

Chefarzt an der NerTenklinik der Universität Athen. 


(Schloß.) 


Ich möchte hier noch folgende vier Beobachtungen anführen, die an vier 
Läufern gemacht wurden, von denen der erste erst nach dem Rennen in den 
Ankleideräumen von mir untersucht wurde, nachdem er, wie die obigen, deu 
ganzen Weg zurückgelegt hatte, während die anderen drei nur einen Teil des 
Weges zu machen vermochten. Zwei von diesen letzteren wurden von unserem 
Assistenten Herrn Dr. Asamantides in der Nervenklinik untersucht, wohin ich 
mir, da sie am Wege lag, Läufer, die die ganze Strecke nicht zu laufen ver¬ 
mochten und zu Wagen zurückkehxteu, hinbestellt hatte. 


Nr. 45 aus Böhmen. Er wurde ent direkt nach dem Rennen untersucht: 
Patellarreflex beiderseits gesteigert. Achillesreflex ebenso lebhaft. Papillen normal. 
Er war sehr munter und zufrieden, ohne jegliche Zeichen von Ermüdung. 

Nr. 5 ans Frankreich. Vor dem Rennen: Patellarreflex beiderseits gesteigert. 
Achillesreflexe normal. Pupillen normal. Er legte nur 32 km zurück. Am ersten 


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qo * 

igiral fron 

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Tage nach dem Bennen: Patellar- und Achillesreflex beiderseits gesteigert. 
Pupillen normal. 

Nr. 10. Grieche. Vor dem Rennen: Patellarreflexe gesteigert. Aohillesreflexe 
und Pupillen normal. Er kam nur 33 km weit und fiel nieder, weil sich Atmungs¬ 
beschwerden einBtellten. Die Untersuchung in der Elinik ergab: Pupillen normal. 
Patellarreflex beiderseits gesteigert. Achillesreflexe normal. Klagte • über Druck 
gegen den Brustkorb. 

Nr. 19. Grieche auB dem Dorf Chalandrion. Er kam ungefähr beim 32. Kilo¬ 
meter zu Fall, wurde dann gleich in die Nervenklinik geführt, wo die Untersuchung 
ergab: Er klagte über Schwindelgefühl und Schwere am Brustkorb beim Atmen. 
Pupillen normal. Patellarreflex beiderseits gesteigert. Achillesreflex rechts seht 1 
schwach, links fehlt. 

Zusammengefaßt, haben sich nan bei diesen meinen Untersuchungen fol¬ 
gende Befände ergeben. 

Bei der vor dem Kennen an 43 gesund aussehenden Individuen vorgenom¬ 
menen Untersuchung konnte ich einige auffällige Abweichungen von der Norm 
feststellen, nämlich: 

Allgemeine Steigerung der geprüften Reflexe bei vier Läufern. 

Steigerung der Patellar- und Achillesreflexe beiderseits bei zwei. 

Nor Steigerung der Patellarreflexe bei zwei. 

Herabsetzung bzw. Schwäche des Patellarreflexes beiderseits bei drei, ein¬ 
seitig (links) bei einem. 

Schwäche des Achillesreflexes beiderseits bei drei, einseitig, nur des linken, 
bei vier. 

Fehlen des Patellarreflexes beiderseits bei einem. 

Die beiderseitige Schwäche des Achillessehnenreflexes fiel mit der Herab¬ 
setzung und dem Fehlen des beiderseitigen Patellarreflexes zusammen. In keinem 
Falle ließ sibh ein gleichzeitiges Vorhandensein von Steigerung und Schwäche 
konstatieren. 

Das Fehlen der Patellarreflexe bei einem angeblich gesunden Manne ruft 
gewiß ein besonderes Interesse hervor. Der Reflex kann bekanntlich nur ganz 
ausnahmsweise bei Gesunden fehlen. Pelizaeüs gibt 0,04 °/ 0 von Fällen mit 
fehlendem Patellarreflex bei Gesunden au und die Beobachtungen von Schoen- 
bobn , 1 der die Reflexe bei 100 Fällen nerveügesunder Personen genau unter¬ 
sucht hatte, stimmen mit dieser Angabe ungefähr überein. Handelt es sich nun 
hier um einen solchen weißen Raben oder lag mir ein pathologischer Fall vor? 
Der junge Mann sah gesund und kräftig aus, war verheiratet und hatte gesunde 
Kinder. Dazu muß man bedenken, daß einer solchen Leistung nur der sich 
unterzieht, der sich vollständig frisch und gesund fühlt und in der letzten Zeit 
sich nicht übermäßig ermüdet hat. Außerdem ergab meine flüchtige Unter¬ 
suchung, die nur die Reflexe im wesentlichen berücksichtigen konnte, keine 
Zeichen von Lues. Da er aber zu einer endgültigen Nachuntersuchung nicht 

1 Schoenbobn, Bemerkungen zur klinischen Beobachtung der Haut* und Sehnenreflexe 
der unteren Körperhälfte. Deutsche Zeitschr. £. Nervenheilk. XXL 1902. Heft 3 u. 4. 

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mehr erschien, so muß ich mich darauf beschränken, den interessanten Befund 
bloß zu erwähnen, ohne hier auf die Frage näher einzugehen. 

Was die Steigerung der Reflexe betrifft, so weicht mein Resultat von dem 
von Knapp und Thomas erhaltenen beträchtlich ab. Diesen Autoren fiel die 
große Zahl der Fälle mit Steigerung der Patellarreflexe bei ihrer Voruntersuchung 
auf. Unter 49 Fällen fanden sie die Reflexe 44 mal gesteigert, 4 mal normal 
und lmal sehr schwach. Die Erklärung dafür haben sie darin gesucht, daß 
sie der psychischen Aufregung, mit der die Vorbereitung- zum Wettkampf ver¬ 
bunden ist — considerable mental excitement — eine wichtige Rolle beimaßen. 
Außerdem werfen sie noch die Frage auf, ob nicht etwa diese Reflexsteigerung 
eine Eigenschaft der Läufer sei. 

Ich glaube, beides ist hier nicht anzunebmen. Einmal weil ich nur bei 
acht unter 43 Läufern diese Steigerung — und zwar bei vier eine allgemeine 
Reflexsteigerung, wie sie häufig bei nervösen Individuen vorkommt — feststellen 
konnte. Es waren alles meist gute Läufer verschiedener Nationalität und das 
„excitement“ war auch da. Die psychische Aufregung war sogar in höherem 
Maße in Athen vorhanden: Die Leute warteten schon sät 2 Stunden in den 
Bureauräumen des Ausschusses der olympischen Spiele, daß das Signal zur Ab¬ 
fahrt nach Marathon gegeben werde. Dazu hatte die Menge Wagen, die vor 
dem Qebäude hielten, viele Neugierige herbeigelockt, welche die Abfahrt der 
Läufer sehen wollten; die Traineure gingen ab und zu, die Anwesenhät des 
Arztes rief auch Beunruhigung hervor; dazu kam noch die Erwartung und die 
nationale Bedeutung des Wettlaufes, vor allem für die griechischen Läufer, wegen 
der geschichtlichen Überlieferung und wegen des Sieges eines Griechen bä den 
Spielen der ersten Olympiade (1896y. Doch hat äch gerade bei den griechischen 
Läufern eine Herabsetzung der Reflexe feststellen lassen. Andererseits sä noch 
die bä den Kretensern gemachte Beobachtung hervorgehoben: Unter 9 Läufern 
aus Kreta boten zwei eine Schwäche, einer Fehlen und keiner Stägerung der 
Patellarreflexe; doch gelten die Bergbewohner Kretas als sehr gute und gewandte 
Läufer. 

Schließlich möchte ich noch auf den merkwürdigen Zufall der linksseitigen 
Schwäche des Achillessehnenrefiexes bä vier Leuten hinweisen und ihn als än 
Kuriosum hier erwähnen. 

Die unmittelbar nach dem Rennen aufgetretenen Veränderungen konnten 
bei 18 Individuen beobachtet werden. Wenn wir die vier letzten, von denen 
zwei nicht die ganze Strecke zurücklegteu, die zwei anderen aber erst nach 
vollendeter Leistung untersucht wurden, ausnehmen, bläben zur genauen Ab¬ 
schätzung der Resultate des Laufes nur 14 übrig, die vor und nach dem Laufe 
.untersucht werden konnten. 

Bei diesen waren nun vor dem Rennen die Sehnenreflexe vorhanden — 
normal bei neue, lebhaft bei einem und schwach bei vier —, während gleich 
nachher folgende auffällige Abweichungen festzustellen waren: 

Steigerung des Patellar- und Achillesreflexes beiderseits bei sechs. 

Erhebliche Schwäche des Patellar- und Achillesreflexes beiderseits bei drei. 


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Schwäohe der Patellarrefleie verbanden mit Steigerung der Achillesreflexe 
bei einem. 

Fehlen der Patellarrefleie verbanden mit Steigerang der Achillesreflexe bei 
einem. 

Fehlen des Patellarreflexes beiderseits mit beiderseitiger Schwäche des 
Achillesreflexes bei zwei und 

Fehlen der Patellar- und Achillesreflexe beiderseits bei ernenn 

Was also den Patellarreflex betrifft, so fand ich ihn gleich nach dem Bennen 
bei sechs beiderseits gesteigert 
„ vier „ schwach 
„ vier „ erloschen. 

Der Achillessehnenreflex war 

bei acht beiderseits gesteigert 
„ fünf „ schwach 
„ einem „ erlosehen. 

Eine Differenz in der Papillenweite oder Störung der Papilleüliohtreaktion 
habe ich dagegen bä keinem einzigen feststellen können; aaoh keine nur ein¬ 
seitige Veränderung; kein Patellar- oder Fußklonus. Als besonders bemerkens¬ 
werten Befand möchte ich noch die bei zwei von diesen Leuten beobachtete 
Verbindung von Fehlen bzw. Schwäche des Patellar- mit Steigerung des Achilles¬ 
reflexes betonen. 

Daß alle diese Veränderungen im Verhalten der Sehnenreflexe bei Leuten, 
die vorher in überwiegender Zahl normale Verhältnisse boten, auf die Ermüdung 
infolge des Laufes zurüokzuführen sind, braucht nicht besonders hervorgehoben 
zu werden. Wie hat aber diese Ermüdung eingewirkt P Wenn sie eine all¬ 
gemeine Wirkung auf den Organismus aasgeübt hätte, wie etwa eine Lähmung 
des hemmenden Einflusses des Gehirns oder die Hervorrufung einer akuten 
Toxämie, so hätte allerdings eine allgemeinere und gleichmäßigere Veränderung 
aller Reflexe eintreten sollen. Außerdem ist die Toxämie gewöhnlich mit Steigerung 
der Reflexe verbunden (Lion, Stevens u. a.). 1 

Das trifft aber hier nicht zu. 

Wir sehen dagegen, daß genannte Veränderungen gerade an jenen Körper¬ 
teilen auftraten, denen infolge ihrer physiologischen Funktion die größte Arbeits¬ 
leistung beim Laufen zufallen mußte; daß diese Veränderungen somit den Aus¬ 
druck einer durch Überarbeit verursachten Schädigung der entsprechenden 
Reflexbögen darstellen. Und wenn wir diese meine mit den von Aubrbach 
einerseits und Knapp and Thomas andererseits gewonnenen Resultaten ver¬ 
gleichen, so werden .wir sehen, daß sowohl der Unterschied bezüglich der ersten 
als das Übereinstimmen bezüglich der zweiten gleichfalls zugunsten dieser An¬ 
nahme sprechen. 

Auerbach konnte nach 6 Rennen von 30, 50, 100 und 250 km 89 ver- 


1 Vergl. auch Gbassbt, I/exag&ation des refieies tendineux dans 1’insufRsance anü- 
toxique. . Semaine medieale. 1903. Nr. 26. 


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schiedene Radfahrer untersuchen and fand bei 10 eine erhebliche Herabsetzung 
oder ein Erloschensein der Patellareflexe (also über 25%) und bei vier eine un¬ 
gewöhnliche Steigerung der Kniescheibenreflexe. Eine Schwäche oder Verlust 
des Achillesreflexes war dagegen bei keinem seiner Fahrer zu konstatieren. 

Die Untersuchung von Knapp and Thomas ergab nach dem Laufe unter 
41 Läufern: bei 32 eine deutliche Abschwächung oder einen Verlust der Patellar- 
reflexe (26 von diesen zeigten Schwäche, drei beiderseitiges und drei einseitiges 
Fehlen) und bei vier eine Steigerung. Der Achillesreflex bot auch erhebliche Ver¬ 
änderungen dar: er war im allgemeinen vermindert und fehlte beiderseits bei 
fünf und einseitig bei zwei 

Neben diesen Autoren konnte ich nnn auch, im Gegensatz zu Auerbach, 
bemerkenswerte Veränderungen der Achillesreflexe feststellen. 

Woher kann nun dieser Unterschied kommen? Wenn man an die Muskel¬ 
arbeit denkt, die beim physiologischen Vorgänge des Laufens einerseits und des 
Radeins andererseits geleistet werden muß, so erscheint er fast selbstverständlich. 
Beim Radfahren „fällt die Hauptarbeitsleistung dem vierköpfigen Strecker des 
Oberschenkels zu; in zweiter Linie stehen die Beugemuskeln des Untersohenkels, 
in dritter vielleicht erst die Strecker des Hüftgelenkes“. 1 Beim Laufen dagegen 
hat neben dem Qnadriceps femoris auch die Wadenmuskulatur eine beträchtliche 
Leistung auszuführen, neben der Streckung des Beines geschieht die Abwickelung 
des Fußes. Diese Bewegungen werden viele Tausend Male wiederholt» und wenn 
man dazu den Druck des Körpergewichtes, die fortwährenden Schwankungen in 
der Lage des Schwerpunktes des Körpers und die verschiedenen durch die Un¬ 
ebenheiten und andere Hindernisse der Straße erfolgten Zerrungen hinzurechnet, 
was alles beim Radeln „wegen des festen Sitzes auf dem Sattel“ wegfällt, so 
wird man leicht einsehen, welch einer beträchtlichen Strapaze neben dem 
Patellar- auch der Achillesreflexbogen beim Laufen ausgesetzt sein muß. Daher 
also die oben aufgezählten Veränderungen im Verhalten dieses Reflexes. 

Diese durch Anstrengung verursachte Schädigung braucht gewiß nicht so 
groß zu sein, daß sie sich durch auffallende Symptome kund gibt. Wir wissen, 
daß eine Erkrankung einer großen Zahl von Fasern in einem Nerv vorliegen 
kann, ohne daß es zu auffälligen Ausfallserscheinungen kommt; sie ruft ge¬ 
wöhnlich Symptome hervor, die erst gesucht werden müssen. Und man ist 
dabei wohl berechtigt anzunehmen, daß es besonders der sensonsohe Teil der 
Reflexbögen ist, der hauptsächlich geschädigt wird. Dieser Teil befindet sich 
beim Laufen wie beim Radeln im Zustand der Überfunktion, da er dauernd 
„dem Centralorgan alle von der Umgebung ausgehenden und so ungemein 
häufig wechselnden Einwirkungen zu übermitteln hat“. Diese Annahme steht 
übrigens mit der experimentellen Erfahrung bei Tieren im Einklang: Bei dem 
unter dem Einfluß der Strychninwirkung ermüdeten Frosch werden die sensiblen 
Elemente des Rückenmarkes eher gelähmt als die motorischen. 2 

1 Schieferdecker, zitiert bei Auerbach. 

1 Vbbwobw, Ermüdung, Erschöpfung und Erholung der nervösen Centra des Rücken¬ 
markes. Archiv f. Physiologie. 1900. Snpp.-Bd. 

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Daß es eine Sohädigung durch Überfunktion gibt, wurde schon mehrfach 
auch auf anderem Wege bewiesen. Außer den weiter oben angeführten 
S. MAYBu’schen Befunden an nervengesunden Individuen, die gewissermaßen 
das anatomische Substratum dieser Schädigung darstellen, liegen bereits mehrere 
bejahende Resultate verschiedener Tierexperimente vor. So haben Edikgeb und 
Helbing bei Ratten „einfach durch Auf hängen an den Schwänzen, wobei die 
Tiere natürlich mit den Beinen sehr zappeln“, einen ausgesprochenen Nerven- 
faserzerfall in den Hintersträngen des Rückenmarkes erzeugen können. Ist es 
andererseits nicht schon lange bekannt, daß durch die Arbeit die NissL’sahe 
Körnung in den Ganglienzellen abnimmt? Nach Holubs, der mit Strychnin¬ 
fröschen experimentierte, verschwindet diese Körnung fast, wenn die Tiere 
Krämpfe bekommen, und bleibt dagegen erhalten, wenn man den Krämpfen 
durch Auflegen der Tiere auf Eis vorbeugt. Vebwobn, 1 der die Lebensvorgänge 
in den Neuronen untersuchte, hat den physiologischen Nachweis hierfür geliefert. 
Bei gesteigerter Tätigkeit eines Körperteiles wird eine Menge von seinem Er¬ 
nährungsmaterial verbraucht, die größer ist als die im Zustand der Ruhe ver¬ 
brauchte, die Stoffwechselprodukte vermehren sich analog dem Verbrauch des 
intrazellulären Sauerstoffs, die Assimilation kann nioht mehr gleichen Schritt 
mit der Dissimilation halten, das Stoffwechselgleiohgewioht wird gestört Durch 
die Ruhe wird dasselbe wieder hergestellt, die Ermüdungsstoffe werden fort¬ 
geschafft, es wird einer Zufuhr von Ersatzmaterial Platz gemacht und die Er¬ 
holung tritt ein. 

Ein solches Wiederkehren des physiologischen Zustandes beobachteten auch 
wir nach erfolgtem Ausruhen an unseren Läufern. Die gleich nach dem Laufe 
vermindert, erloschen oder gesteigert zur Erscheinung kommenden Reflexe wichen 
nach einigen Tagen einem mehr oder minder normalen Verhalten. Nur bei 
Nr. 2 zögerte diese Restitution so sehr, daß der Mann noch nach l 1 /, Monaten 
Spuren der überstandenen Schädigung zeigte. Worin kann die Ursache dieser 
Verzögerung gelegen haben? Vebwobn konnte seine Strychninfrösche durch 
Entfernung der Stoffwechselprodukte aus ihrer Cirkulation lange Zeit funktions¬ 
fähig halten; aber schließlich gelang es nicht mehr und die Tiere zeigten eine 
dauernde Schädigung. Edingeb sah den Nervenfaserzerfall bei seinen Ratten 
durch die Einwirkung der Pyrodinvergiftung viel intensiver werden und Aubb- 
bach berichtet von einem mit Lues infizierten Fahrer, bei dem noch 6 Wochen 
nach der Rennfahrt die Störung der Patellarreflexe fortbestand und bei dem 
wegen der Anwesenheit einiger verdächtiger Symptome der Verdacht einer be¬ 
ginnenden Tabes nicht auszuschließen war. 

Daraus sehen wir, daß durch eine lange Zeit hindurch fortgesetzte An¬ 
strengung oder durch die Anwesenheit eines Giftes der Auf brauch in solchem 
Maße gesteigert bzw. der Ersatz so sehr gestört werden kann, daß die temporäre 
Schädigung zu dauerndem krankhaften Symptom wird. Welcher von obigen 
Fällen ist zur Erklärung der so langen Dauer der krankhaften Symptome bei 


1 Verwohn, L. c. 

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uoserm Läufer heran zuziehen? Neben dieser Frage tauchen aber noch andere 
auf, die ebenfalls hier beantwortet werden müssen. 

Wir sahen, daß die Anstrengung nicht bei allen Läufern dieselben Ver¬ 
änderungen zur Folge hatte. Einige boten Steigerung, andere dagegen Schwäche 
oder Fehlen der Sehnenreflexe dar; und es ist sehr wohl zu beachten, daß die 
Steigerung vorwiegend bei den Ausländern, die Schwäche und der Verlust fast 
ausnahmslos bei den griechischen Läufern zur Erscheinung kamen. Die vier 
mit den fehlenden Patellarreflexen und der eine mit dem Verlust des Achilles¬ 
reflexes waren Griechen. Ebenso waren unter den vier mit Schwäche des 
Patellarreflexes zwei, und unter den fünf mit Schwäche des Achillesreflexes vier 
griechische Läufer. 

Worin muß die Erklärung hierfür gesucht werden? 

Sthbnbebg hebt hervor, daß mäßige Ermüdung die Sehnenreflexe steigert, 
während hochgradige Ermüdung sie aufhebt. Damit nun also die gleiche Er¬ 
müdung bei den einen mäßig, bei den andern hochgradig einwirke, muß die 
Widerstandsfähigkeit der einzelnen angestrengten Körper verschiedenartig sein. 
Der „individuelle Unterschied“ spielt gewiß hier auch eine bedeutende Rolle. 
Als hierher gehörend sei noch der Umstand erwähnt, daß bei dreien von den 
vier Läufern mit fehlenden Patellarreflexen schon vor dem Laufe eine Schwäche 
derselben beobachtet wurde. Das beweist also, daß sie mit einem weniger 
widerstandsfähigen Reflexbogen an dem Wettlauf teilnahmen, als die anderen. 

Außerdem ist noch zu berücksichtigen, daß die Ausländer fast alle gut 
trainierte Läufer waren, die griechischen dagegen sich meistens aus dem Stande 
der Arbeiter vom Lande rekrutierten, welche irgend wie mit Schnelligkeit der 
Füße begabt waren und von nationalem Ehrgeiz getrieben zum Wettlauf kamen, 
ohne sich vorher sportsmäßig trainiert zu haben. Es waren nur wenige von 
hnen einigermaßen trainierte Athleten. 

Alle diese Erwägungen zwingen natürlich zu der Annahme, daß die 
Steigerung der Ausdruck eines leichteren Grades der Ermüdung, einer eben be¬ 
ginnenden Störung im Stoffwechselgleichgewicht der arbeitenden Körperteile ist, 
während die darauf folgende schwerere Schädigung bzw. Erschöpfung sich durch 
eine bis zum Verlust fortschreitenden Verminderung der Sehnenreflexe offen¬ 
bart; daß, mit anderen Worten, die Reflexe sich steigern, ehe sie schwinden. 

Für besonders interessant in dieser Beziehung halte ich das bei Nr. 41 
und 60 beobachtete Vorkommen von Schwäche bzw. Fehlen der Patellarreflexe 
und Steigerung der Achillesreflexe bei einer und derselben Person. Bei Nr. 41 
wurde sogar außerdem noch die Steigerung des Achillesreflexes von heftigen 
Schmerzen und Krampfgefühl in der Wadenmuskulatur begleitet. Steigern sich 
doch die Sehnenreflexe im Anfangsstadium der Neuritis! 

Die Einwirkung eines Giftes oder einer ähnlichen „ersatzstörenden“ Noxe 
habe ich in der Anamnese meiner Läufer nicht feststellen können. Auekbach 
war in dieser Hinsicht glücklicher, da er die Lues bei einem, wie oben erwähnt, 
und die „ganz außerordentlichen Exzesse in venere“ bei einem anderen Fahrer 

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feststellen konnte, bei dem „nach der für einen, trainierten Fahrer relativ ge¬ 
ringen Leistung von 30 km“ die Patellarreflexe völlig verschwanden. . 

Man könnte gewiß bei den griechischen Läufern, als dem Arbeiterstande 
meist angehörig, in erster Linie an Alkohol denken, von dem bekanntlich als 
„Stärkungsmittel“ bei der Arbeit ziemlich viel genossen wird, wenn auch keiner 
von ihnen übermäßigen Gebrauch zugestand. Und in der Tat konnte ich nach¬ 
träglich, nach den Mitteilungen, die mir nach Beendigung des Laufes wurden, 
dem Mangel der Anamnese meiner Läufer diesbezüglich abhelfen; denn diese 
Läufer hatten während des Laufes an verschiedenen Stationen von alkoholischen 
Getränken, besonders Kognak, zum Anfachen der zu schwinden beginnenden 
Kräfte ziemlich reiohlich genossen, während die Ausländer fast nur Wasser 
tranken. Außerdem ist es festgestellt, daß ihre Dorfgenossen den oben unter 
Nr. 2 und 34 erwähnten Läufern entgegeneilten und sie abgesehen von den 
ermutigenden Zurufen noch mit ähnlichen Getränken zu stärken strebten. So 
sammelten sich natürlich bis zur Beendigung des Laufes beträchtliche Quanti¬ 
täten von Alkohol im Organismus dieser Läufer an. 

Wir sahen ja, daß außer dem ersten Nr. 2, der noch nach l 1 /, Monaten Spuren 
der Schädigung seiner Keflexbögen zeigte, auoh der unter Nr. 34 erwähnte bei 
der Untersuchung am sechsten Tage nach dem Laufe noch keine völlige 
Restitution bot 

Wenn man dabei erwägt, daß schon mehrfach tiefgreifende Störungen, 
darunter Absohwächung oder völliges Fehlen der Patellarreflexe infolge des 
schweren Alkoholrausches beobachtet wurden, 1 so leuchtet es ohne weiteres ein, 
daß bei Mensohen, die sioh unter dem Einfluß des Alkohols befanden, wie die 
obigeh Läufer, der Funktionsverbrauch ein viel intensiverer sein mußte. 

Zugunsten der EmNana’schen Ersatztheorie sind nun nach dem oben Ge¬ 
sagten folgende Tatsachen zu verwenden: 

1. Daß die Veränderungen gerade jene Körperteile augriffen, die direkt 
angestrengt wurden, und 

2. daß sie bei denjenigen Läufern am schwersten auftraten, die sich 
schädigenden Einflüssen ausgesetzt hatten. 


IL Referate. 

Anatomie. 

1) Über sogen. „Doppelbildungen" am Gehirn, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der unteren Stirnwindung, von Weinberg. (Monatsschr. £ 

Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Das Gehirn von einem normalen Mann zeigte Verdoppelung der Präcentral- 
furche; die dritte (untere) Stirnwindung ist durch eine sagittale Furche in ihrem 
mittleren Abschnitt der Länge nach gespalten. Die Abnormität besteht nur rechts. 
Verf. fand dieses Vorkommnis als einzigen Fall im Laufe längerer Beobachtung 


1 Küthes, zitiert bei EnisasB. 


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und hält et für eine wirkliche Doppelbildung, in der typische Bestandteile zur 
Entstehung von ihrer Anlage inadäquater Strukturen Anlaß geben. Es bandle 
sich hier um eine Furche, die ihrer Lage usw. nach auf keine der gewöhnlichen 
Faltungsbildungen bezogen werden kann, trotzdem aber die morphologischen Eigen¬ 
schaften einer typischen Furche bietet. Verf. trennt die Beobachtung daher von 
den sonst mitgeteilten Verdopplungen von Furchen usw., es ist aber schwierig, 
hier eine scharfe Grenze zu ziehen. (Auch hat die Charakterisierung der Ober» 
flächenbildung nur sekundäre Bedeutung; sie ist zum Teil abhängig von der 
inneren Gliederung und architektonischen Differenzierung; Bef.) 


Physiologie. 

2) Resultate die esperlenae relative alla localtaasione dl oentrl motori nel 
cervelletto per mesao di eocldamenti ooe oorrentl lndutte unipolar!, per 

Negro e Roasenda. (Giornale della B. Aecademia di Medicina di Torino. 
XIII. 1907.) Autoreferat. 

Bekanntlich hat Prof. Adamkiewiez in seinem Buche: Die wahren Cen- 
tren der Bewegung und der Akt des Willens (Wien 1905, Braumüller) 
den experimentellen Nachweis mittels einer eigenen, von ihm gefundenen und zu¬ 
erst von ihm angewandten Methode einer isolierten und sehr schonenden Zerstörung 
der Centren gefunden (vgl. auch d. Centralbl. 1904. Nr. 12), daß die seit den 
bekannten Versuchen von Fritsch und Hitzig (1870) für erwiesen gehaltenen 
motorischen Eigenschaften der Großhirnrinde nicht existieren. Adamkiewiez hat 
vielmehr den Nachweis geliefert: 1. daß die Binde des Großhirns ausschließlich 
Seelenorgan ist und als solches nur die Empfindung vermittelt und das 
Denken hervorbringt, und 2. daß das Kleinhirn ausschließlich als Central¬ 
organ der Körperbewegungen dient und als solches lokalisierte Centren 
für die einzelnen Muskelgruppen besitzt. Adamkiewiez hat auch die motorische 
Topographie des Elleinhirns beschrieben und als GrundpLan derselben feBt- 
gestellt, daß die Muskeln jeder Körperhälfte ihre eigenen und mehr¬ 
fachen Centren besitzen, und daß diese Centren auf der den zu¬ 
gehörigen Muskeln entsprechenden Kleinhirnhemisphäre gelegen sind. 

Die angeführten Autoren haben mittels der elektrischen unipolaren Methode 
den Grundplan und das Grundgesetz der AdamkiewiczsehenKleinhirntopographie 
bestätigt. 

3) The oonduotion of seneory iatpreseions in th* spinal oord. by Suther¬ 
land Simpson and Percy T. Herring. (Brit, med» Journ. 1906. 22. Dez.) 
Bef.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Die VerfE hielten in der 74. Jahresversammlung der Brit. med. Gesellschaft 
einen Vortrag über ihre Versuche, die sie an Katzen über die sensiblen Leitungs- 
bahnen im Bückenmark gemacht haben. Sie kamen zu folgenden Schlüssen: 

Die Integrität der grauen Substanz ist nicht unbedingt für die Leitung von 
Schmerzempfindungen notwendig. 

Einige Tiere, bei denen die graue Substanz völlig zerstört war, reagierten 
auf alle Formen von schmerzhaften Beizen. 

Vollständige Zerstörung beider Hinterstränge beeinträchtigt die Schmerz¬ 
empfindung nicht. Der Einfluß dieser Verletzung auf das Berührungs- und Muskel¬ 
gefühl konnte nicht mit Sicherheit bestimmt werden. 


Selbst eine fast völlige quere Durchtrennung des Rückenmarkes, welche je¬ 
doch einen vorderen Seitenstrang mit einer anliegenden dünnen Zone grauer Sub¬ 
stanz intakt ließ, hob die Schmerzempfindung für beide Körperhälften nicht auf. 
Es bestand eine promptere Empfindung für die von der verletzten, als von der 


gesunden Körperhälfte ausgehenden Beize. 

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Man könnte hieraus schließen, daß 

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die schmerzleitenden Bahnen im Rückenmark, wenn auch vorwiegend gekreuzte, 
so doch auch direkte Bahnen darstellen. 

Aus zwei Versuchen schien zu folgen, daß Kältereize duroh die Seitenstränge 
geleitet wurden, und daß diese Leitungsbahnen direkte und gekreuzte waren. 

Als wichtiges Ergebnis der Untersuchung bezeichnen die Verff. die Tatsache, 
daß irgend ein spezifischer Strang für die Schmerzleitung bei Katzen nicht zu 
bestehen schien, obwohl die Seitenstränge hauptsächlich als betreffende Leitungs¬ 
bahnen anzusehen seien. 

Nur völlige Querschnittstrennung des Rückenmarkes hob die Gefühlsleitung 
gänzlich auf. 


Pathologische Anatomie. 

4) Eine seltene Form der Spina bifida oystioa, von Dr. Emil Grossmann. 
(Jahrb. f. Kinderheilk. LXI1I.) Ref.: Zappert (Wien). 

Während das Zustandekommen einer Spina bifida durch Offenbleiben der 
hinteren Wand des Rückgrates recht häufig ist, gehören Fälle von Spina bifida 
anterior, bei welchen die cystische Geschwulst an der Vorderseite der Wirbel¬ 
säule heraustritt, zu den großen Seltenheiten. Der hier beschriebene Fall betrifft 
ein 10monatliches, gut entwickeltes, nicht gelähmtes (Blase, Mastdarm?) Kind 
mit einer weichen, anfangs durch Druck reponierbaren tauben eigroßen Geschwulst 
in der rechten Gesäßgegend. Die Geschwulst machte den Eindruck eines Lipomes. 

Bei der wegen deutlichen Wachstumes des Tumors notwendig erscheinenden 
Operation zeigte es sich, daß die Geschwulst eine durch einen Stiel aus der 
Vorderwand des Kreuzbeines entspringende Spina bifida darstellt. 

Die genaue mikroskopische Untersuchung ließ eine Myelomeningocele erkennen; 
an der Außenseite des Sackes war eine lipomartige Wuoherung des Fettgewebes 
zu konstatieren. 

Das Kind wurde vollkommen geheilt. 

6) Über eine oystisohe Mißbildung des Bückenmarkes, von Karl Altmann. 
(Inaug.-Dissert. Breslau 1906.) Ref.: Max Bielsohowsky (Berlin). 

Bei einem 48jährigen, früher gesunden Manne entwickeln sich im Laufe 
weniger Monate die Symptome einer vollkommenen Querschnittsläsion des Rücken¬ 
markes: spastische Paraplegie, Incontinentia urinae et alvi, Decubitus. Die Haupt¬ 
entwicklung des Krankheitsbildes bis zur vollen Höhe vollzog sich in wenigen 
Tagen, nachdem Prodromalerscheinungeu viele Wochen bestanden hatten. 

Bei der Sektion fand sich in der Höhe des 4. bis 6. Dorsalsegmentes eine 
Cyste, welche die RückenmarkssubBtanz hier bis auf einen schmalen Randsaum 
zerstört hatte. Die Cyste erwies sich als ein von Flüssigkeit erfüllter Epithel¬ 
sack. Wahrscheinlich stammte dieses Gebilde aus der embryonalen Zeit des In¬ 
dividuums als ein im vorderen Längsspalt sitzender Epithelkeim, in dem sich 
später ein cystischer Hohlraum entwickelt hatte. Die rasche Progression der 
klinischen Symptome wird darauf zurückgeführt, daß von irgendwelchen Epithel¬ 
elementen eine Exsudation einsetzte, die den Sack ausdehnte und das Rückenmark 
erdrückte. 

Diese Auffassung erfährt eine gewichtige Stütze durch eine Anzahl von 
Nebenbefunden, welche sich nur auf entwicklungsgeschichtliche Störungen zurück¬ 
führen lassen. 

6) Zwei für die Pathologie wichtige Entwioklungsanomalien des Oentral- 
nervensystems bei zwei jungen menschlichen Embryonen, von Pollak. 

(Wiener med. Wochenschr. 1906. Nr. 5.) Ref.: Pilcz (Wien). 

I. Embryo von 38 Tagen zeigt bei im übrigen normaler Organisation eine 
Verdoppelung des Centralkanales, die diskontinuierlich durch einen großen Teil 


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des Rückenmarkes besteht; außerdem an einer sonst normalen Stelle eine ventral* 
kaudalwärts gerichtete Divertikelbildung des Rückenmarkes zum Centralkanale. 

IL Embryo von 30 Tagen. In der Gegend des Abganges der unteren Extre¬ 
mitäten ist das Medullarrohr doraalwärts an drei Stellen offen, dem Ektoderm 
nähergerückt bei Fehlen des sonst normalerweise dazwischenliegenden embryonalen 
Bindegewebes. Ferner klaffen im Bereiche einer kreisförmigen Zone , die Wände 
des Medullarrohres, und die dorsale Decklamelle fehlt Eine dünne Schicht von 
Ektoderm spannt sich zwischen den dorsalen Kanten der Medullaseitenwände, so 
daß der Centralkanal dorsalwärts gedeckt erscheint. 

Yerf. verweist auf eine spätere ausführliche Bearbeitung dieser Fälle durch 
Fischei (Prag). 

7) The microBCople ohanges in the nervous System in a ease of chronio 
Dourine. Or „mal de colt“ and a oomparison with those found in 
sleeping siokness, by F. W. Mott. (Brit med. Journ. 1906. 11. August.) 
Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Yerf. hatte Gelegenheit, das ihm aus Indien übersandte Rückenmark eines 
infolge Beschälkrankheit eingegangenen Hengstes zu untersuchen, welcher außer 
der charakteristischen Hautaffektion ausgesprochene Paraplegie gezeigt hatte und 
27 Monate nach der Affektion verendet war. 

Die Beschälkrankheit der Pferde wird duroh eine Infektion (beim Beschäl* 
akt) mittels einer spezifischen Form von Trypanosoma hervorgerufen. 

Yerf. fand in dem untersuchten Rückenmark chronische interstitielle Ent¬ 
zündung der hinteren Spinalganglien, besonders im Lumbosakralmark. In letzterem 
fanden sich in den hinteren Strängen sklerotische Partien, besonders im Bereich 
der hinteren Wurzeln. 

Es fanden sich demgemäß bei der in Rede stehenden spezifischen Trypano¬ 
somainfektion ähnliche Veränderungen, wie bei anderen Trypanosomeninfektionen, 
besonders auch bei der Schlafkrankheit des Menschen. 

Eine ausführliche Mitteilung über die bei der Schlafkrankheit des Menschen 
und anderen Trypanosomeninfektionen gefundenen histologischen Veränderungen 
wird Yerf. in den Mitteilungen der zur Erforschung der Schlafkrankheit ernannten 
Kommission veröffentlichen. 

8) Über experimentelle Bückenmarksverfindernngen naoh Blntinjektionen, 

von Julius Kentzler. (Zeitschr. f.klin. Med. LX.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

Yerf. bat Kaninchen in 6 bis 8 Tagen 10 com defibriniertea Blut subkutan 
eingeimpft. Als konstante Folge trat eine Lähmung auf. Dieselbe begann zu¬ 
meist als eine leichte Parese an dem einen Hinterbein, es folgte dann eine totale 
Lähmung mit Ausfallen der Reflexe; die Lähmung schritt weiter, meistens zogen 
die Tiere den Hinterleib nach sich, dann war in einigen Tagen die Lähmung der 
Yorderfüße wahrnehmbar, worauf dann in sehr kurzer Zeit der Tod eintrat Die 
Lähmung trat nicht sofort, sondern erst zwischen dem 22. und 61. Tage ein. 
Das Rückenmark zeigte makroskopisch keine Veränderung. Mikroskopisch fanden 
sich schwere Veränderungen an den Nervenzellen, die ausführlich geschildert 
werden. Diese Zellveränderungen sind größtenteils in den sakrolumbalen Segmenten 
zu sehen. Dieselben Veränderungen traten bei Benutzung von artgleichem wie 
von artfremdem Blut auf und müssen, wie weitere Versuche zeigten, auf Rechnung 
der Blutzellen, nicht des Serums gesetzt werden. Sodann wurde das zur Ein¬ 
impfung bestimmte Blut durch ein hämolytisches Serum in vitro gelöst und so 
nur die filtrierten, im Innern der Zelle befindlichen Stoffe eingeimpft, von dem 
Standpunkt ausgehend, daß nach den bisherigen Versuchen die Endotoxine den 
Organismus nicht zur Bildung von Gegenkörpern anregen können; wenn die 
Lähmungen, die Markveränderungen sich jetzt auch einstellen würden, können 
diese nicht den im Organismus neugebildeten Stoffen, sondern den eingeführten 


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und so direkt toxisch wirkenden Stoffen zugeschrieben werden. Tatsächlich erlag 
auch das so geimpfte Tier der Lähmung. Diese and die typischen Rückenmarks - 
Veränderungen berechtigen zu der Annahme, daß der giftig wirkende Stoff sich 
im Innern der Blutkörperchen befand und erst nach der Auflösung derselben in 
die Girkulation geriet (Cytoendotoxine). 

0) Rüokenmarkabeftmde bei AmputationifAllen der oberen Extremität, 

von Dr. v. Orzechowski (Arbeiten aus dem neurolog. Institut an der Wiener 

Universität. XIIL 1907.) Bef.: Otto Marburg (Wien). 

7, 12 Jahre bzw. 15 Tage naoh der Amputation kamen die Rüokenmarke zur 
Untersuchung. Im ersten Falle fehlten die entsprechenden Zellgruppen, und zwar 
im unteren siebenten spärlich, stärker im 8. Cervikalsegment, völlig im 1. Dorsal* 
segment (laterale und dorsolaterale Gruppen). Man muß also die ausgefallenen 
Zellen als Centren der Vorderarm- und Handmuskulatur ansehen. Im zweiten 
Falle fehlten keine Zellen. Es machte sich nur, aber auch nioht in dem ganzen 
der amputierten Extremität entsprechenden Gebiet, eine eigenartige Zellatrophie 
geltend, ohne daß die Veränderung die bekannten exoessiven Grade der Atrophie 
erreicht hätte. Im 3. Falle war der Umfang der Veränderung hingegen größer, 
als es der amputierten Extremität entspricht. Es bestanden neben der axonaleu 
Zelldegeneration Vakuolisation (nur auf der kranken Seite), ferner eigentümliche, 
nur als amitotische Teilungsfiguren zu deutende Kernveränderangen. Da in dem 
gleichen Falle aber meningeale und perineuritisehe Erscheinungen bestanden, ist 
diesen wohl ein Einfluß beim Zustandekommen der geschilderten Veränderungen 
beizumessen. 

Verf. kommt in seiner überaus sorgfältigen Studie zum Schlüsse, daß die 
motorischen Zellen, sogar ganze Gruppen, jahrelang nach der Amputation unver¬ 
ändert bestehen bleiben können. Es kommen für die Mehrzahl der Fälle mit 
ausgedehnten Atrophien verschiedene Bedingungen in Frage, die degenerativ 
wirken oder die Reaktion verzögern, so daß die Untersuchung alter Amputations- 
fälle für feinere Lokalisationen nur mit großer Vorsicht zu verwenden ist. 


Pathologie des Nervensystems. 

IO) Reoherohes sur la rögänöresoenoe delamoölle, parMarinesco etMinea. 

(Nouv. Icouogr. de la Salpetriere. 1906. Nr. 5.) Bef.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Nach Aufzählung und Besprechung ihrer eigenen und fremder Arbeiten über 
Regeneration des Bückenmarkes, veröffentlichen die Verff. ihre eigenen neuesten 
Untersuchungen. 

I. Ein Kranker von 38 Jahren wird mit einer Wirbelsäulenverletzung ins 
Hospital eingeliefert. Status: Erloschensein sämtlicher Haut- und Sehneareflexe 
unterhalb der Verletzung, schlaffe Paraplegie, Anästhesie für alle Beizqualitäten. 
Tod 29 Tage später. Bei der Sektion stellt man eine Fraktur des ersten 
Lendenwirbels mit Verletzung des Wirbelkörpers fest. Das Rückenmark hängt nur 
noch wie eine dünne Brücke zwischen beiden gebrochenen Stücken. Die fünfte 
Lumbalwurzel und erste Sakralwurzel sind komprimiert. Das Rückenmark an der 
Bruchstelle ist von grauroter Farbe. Man sieht in dem oberen Stück zahlreiche 
Makrophagen, teils frei, teils in den Maschen der neugebildeten Gefäße liegend. 
An den Rändern finden sich geschwollene Achsencylinder in großer Anzahl. Die 
Centralpartie ist ausgehöhlt, viele neugebildete Gefäße, welche Zweige in das 
nekrobiotische Gewebe hinein senden. 

In den Interstitien dieser Gefäße sieht man ausgewanderte Zellen von 
spongiösem Charakter, mit schwarzen Granulationen erfüllt. Von verschiedenen 
Punkten der erhaltengebliebenen weißen Substanz ziehen sich längs der Gefäße 
nengebildete Stränge hin und dringen mit ihnen in das nekrotische Gewebe zum 

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Teil ein. In diesen Strängen sind ebenfalls nengebildete Nervenfasern enthalten, 
von denen einige mit Endkenlen endigen. Die intermediäre Narbe hat eine 
sehr verwiokelte Gestalt. Sie ist ungefähr 1 cm groB. Man sieht an ihrem 
unteren Stück ein extrem-reiches Gefäßnetz, in dessen Maschen neugebildetes Ge¬ 
webe steckt Eine andere Gegend ist mit Detritus angefüllt, worin sich Blut¬ 
körperchen, Lymphocyten und spongiöse Zellen finden. Der mittlere Teil der 
Narbe enthält neugebildete Nervenfasern in großer Anzahl, welche mit den 
hinteren Wurzeln, die duroh die Verletzung komprimiert sind, Zusammenhängen. 

An den hinteren Wurzeln findet man nämlich aüoh schon im normalen Zu¬ 
stande morphologische Bestandteile, welche die Regeneration charakterisieren. Im 
vorliegenden Falle sieht man nur eine Anzahl sehr feiner und dünner 
Fasern, vom Charakter der Remakschen Fasern, welche man in ihrer 
Kontinuität bis zu den erwähnten, neugebildeten Nervenfasern ver¬ 
folgen kann. Die neuen Fasern in der Narbe sind stark verdickt wegen der 
Anwesenheit von Makrophagen, die in Gruppen angehäuft sind oder weiter 
zerstreut liegen. Die Fasern sind mark los und von Protoplasmastreifen durch¬ 
zogen (Fibrillen ?). Der Kern dieses Protoplasmas ist lang, spindelförmig und 
granulös. 

Von der sehr ausführlichen Beschreibung der Kompressionastalle, welche am 
besten in der Arbeit selbst naehgeleeen wird, sei noch erwähnt: Oberhalb der 
Narbe finden sich im großen und ganzen dieselben Verhältnisse wie im untern 
Teil. Es finden sich auch da Fasern, welche unzweifelhaft von gesunden Fasern 
herotammen. Sie tragen Endkolben, welche alle größer als normal sind, und mit 
Satellitenzellen bekleidet sind. Die neugebildeten Nervenfasern scheinen wider¬ 
standsfähiger zu sein als die alten Fasern. Man findet in ihnen öfter Makro¬ 
phagen mit Vakuolen, welche die Verff. als nioht ganz verdaute Stücke von 
Aehsencylindern ansprechen. 

II. 4 2 jähriger Mann, der in der Jugend eine Rückenmark Verletzung erlitten 
hat, infolge deren er eine degenerative Lähmung aller vom Plexus sacralis ver¬ 
sorgten Muskeln mit besonderer Beteiligung des Peroneus (Minor) erlitten hat, 
nur war bei dem Kranken der Patellarreflex aufgehoben. Einige Zeit vor 
dem Tode traten noch heftige Schmerzen auf. Bei der Sektion fand man eine 
Luxation des 1. Lumbal wirbele. Am Rückenmark fand sich zunächst niohts, aber 
bei Durchsohneidung der Dura fand man das Mark vom 1. bis 4. Lumbalsegment 
an Volumen vermindert und zwar so, daß das 2. und 4. Segment durch direkte 
GewaltemWirkung verletzt sein mußte. Die Richtung der Wurzeln ist ganz ver¬ 
ändert und ihre Differenzierung sehr schwer. * 

Die hinteren Wurzeln sind an der Stelle des stattgefundenen Druckes aus 


feinen Fasern zusammengesetzt, an welohen oblonge und spindelförmige Kerne 
sitzen. Sie verlaufen kreuz und quer, ringeln sich, einige zeigen auch Endkolben. 
Zahlreiche neugebildete Aohsencylinder von Remakschem Charakter. Ebenso ist 
das Verhalten der Fasern an der Stelle der Kompression, es sind ebenfalls neu¬ 
gebildete Fasern, die von der Stelle der Kompression herkommen. Die Narbe 
setzt Bich ebenfalls aus ganz neugebildeten Fasern zusammen, die bald recht¬ 
winklig, bald gekreuzt verlaufen. Zwischen den Fasern eine große Anzahl von 
fiämatophoren. Oberhalb der Kompressionsstelle sieht man einige nekrobiotische 
und granulöse Körper, welche höchstwahrscheinlich Reste von Axencylindern sind. 
In der Gegend der Hinterstränge, unterhalb der Kompressionsstelle, sieht man 
schwarze Aohsencylinder, zu 3 und 4 vereinigt, rote Nervenfasern, von ganz kurzem 
Verlauf, mit Anschwellung; es sind dies zugrunde gegangene Nervenfasern. In 
der grauen Substanz durchgängig Zeichen von Regeneration. 

Die gefundenen Zeichen von Regeneration entsprechen durchgängig denen, 


welche 

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Katzen und Hunden experimentell gefunden haben. Zum 

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Schluß erklären die Verff. den Ausdruck „apotrophisohe Zellen“, einen Ausdruck, 
den man in ihrer Arbeit öfter findet. Nach Durchschneidung eines Nerven findet 
man am peripherischen Ende schon wenige Tage nach der Operation Kolonien 
von spindelförmigen Zellen, welche einen ebenfalls spindelförmigen Kern besitzen, 
und welche reich sind an Chromatin. Unter gewissen Bedingungen verlängern 
sie sich und bekommen mehrere Kerne. Diese apotrophischen Zellen spielen 
eine wichtige Rolle bei der Regeneration der Nervenfasern. Sie besitzen ohne 
Zweifel chemotaktische Eigenschaften. Sehr häufig ziehen sie vermittelst 
ihres Inhalts, seltener vermittelst ihrer Interstitien, die jungen Axone an und 
ernähren sie. 

11) Der Zustand der Reflexe in paralysierten Körperteilen nach totaler 

Durohtrennung des Rückenmarkes, von Prof. Michael Lapinsky in 

Kiew. (Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLII.) Ref.: Hein icke (Großschweidnitz). 

Das auf der Basis der Bastianschen Lehre sich aufbauende Dogma, daß 
beim Menschen, im Gegensatz zum Tierexperiment, die völlige Durchtrennung des 
Hals* oder oberen Brustteiles des Rückenmarkes von einem vollständigen und 
endgültigen Verlust der Reflexe im unterhalb liegenden Körperteil und einer 
schlaffen Paralyse, die nie wieder vergehe, gefolgt werde, bei vollständig normalem 
Verhalten aller Bestandteile der Reflexbögen, miteinbegriffen der centralen Teile 
des Rückenmarkes, hauptsächlich der Teile des Lenden-Kreuzmarkes, der Rücken* 
markswurzeln, der peripheren Nerven, der äußersten Verzweigungen der sensiblen 
und motorischen peripheren Nerven, sowie der Muskeln selbst, die beim betreffen* 
den reflektorischen Akt beteiligt sind, daß man also aus dem Verhalten der Reflexe 
einen wichtigen Hinweis z. B. erhalte, ob man bei einer Wirbelfraktur operieren 
solle oder nicht, veranlaßt Verf, sich mit der diesbezüglichen, in der Literatur 
aufgezeichneten Kasuistik näher zu befassen; er fand, daß diese keine Stütze für 
die Bastiansche Lehre bilden könne; in der Zahl der vorhandenen klinischen 
Beobachtungen gibt es keinen Fall von Durchtrennung des Hals* oder oberen 
Brustteiles des Rückenmarkes, in dem die Reflexe bei normalem Reflexbogen bzw. 
normalen Bestandteilen desselben gefehlt hätten. 

Deshalb bedarf das Bastiansche Gesetz zu seiner Aufklärung sowohl er* 
weiterter klinischer Beobachtungen, als auch des Experimentes; sehr wichtig ist 
es vor allem, zu ergründen, warum in dem einen Falle die Reflexe fehlen, während 
sie im anderen analogen Fall gleich nach der Durchtrennung oder nach kurzer 
Zeit vorhanden sind. 

Verf. selbst ist in der Lage zwei hierhergehörige Beobachtungen ansuffihren. 

• Im ersten Fall gelingt es, trotz totaler, traumatischer Durohtrennung des 
Rückenmarkes Reflexe hervorzurufen. Dieser Fall gibt aber auch Hinweise, wie 
das Fehlen von Reflexen in analogen Fällen, d. h. bei totaler Durchschneidung 
des Rückenmarkes zu erklären sei; es können sioh nämlich sehr bald nach dem 
Trauma organische Veränderungen der langen Kollateralen der Hinterwurzeln ent¬ 
wickeln, die ja so wichtig für den Reflexbogen sind. 

Der zweite Fall bestätigt diesen Schluß; er weist darauf hin, daß derartige 
Traumen des Rückenmarkes von bedeutenden Blutergüssen in die graue Substanz 
desselben gefolgt sein können, welche einzelne Teile der Reflexbögen auf ihrem Wege 
durch das Rückenmark komprimieren oder zerstören. 

Der zweite Patient zeigte in vivo Paraplegie und vollständige Anästhesie, 
sowie vollständiges Schwinden aller Sehnen- und vegetativen Reflexe. 

Die Rückenmarksautopsie ergab komplette Durnhtrennung desselben, starke 
Gefäßhyperämie der erhaltengebliebenen Teile des Rückenmarkes und Blutergüsse 
ebendaselbst. 

Einige derartige Blutergüsse wurden im Lendenmark auf dem 
Wege des Reflexbogens gefunden. 

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12) Der Zustand der Reflexe in paralysierten Körperteilen bei totaler 

Durohtrennung des Rückenmarkes, von Prof. M. Lapinsky in Kiew. 

(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankb. XLHI.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz). 

Verf. führte bei 22 Hunden in Ch 1 oroform-ÄthernarkoBe die totale Durch- 

Bchneidung des Rückenmarkes, und zwar des Halsteiles desselben aus. Dieser 
Operation folgte bei den Hunden eine Veränderung der reflektorischen Tätigkeit 
im paralysierten Körperteil; die Sehnenreflexe der vorderen Extremitäten waren 
in der Minderzahl matt, bei den meisten fehlten sie; bei zwei Hunden aber 
waren sie gesteigert. 

Die Sehnenreflexe der hinteren Extremitäten waren meist gesteigert; bei 
einigen waren sie matt, bei sieben fehlten sie oder sie waren atypisch. 

Die Hautreflexe fehlten an den vorderen Extremitäten in der Mehrzahl; der 
Reflex des Kratzens der Seite konnte in keinem Falle hervorgerufen werden. 

Die Hautreflexe der hinteren Extremitäten war bei 14 Tieren vorhanden 
und fehlte bei acht gänzlich. 

Pupillarreflexuntersuchungen wurden nur bei einigen Hunden angestellt; sie 
fielen aber stets normal aus. 

Harnblase und Rektum funktionierten unwillkürlich. In allen Fällen waren 
die hinteren Extremitäten vollständig schlaff; die vorderen befinden sich in 
leichter tonischer Anspannung. 

Alle operierten Tiere magerten rasch ab. 

Die elektrische Erregbarkeit war bei 8 von 13 Tieren, die länger als 4 bis 
5 Tage nach der Operation lebten, normal; bei 4 Tieren war die faradische 
Reaktion herabgesetzt. 

Einmal kamen trophische Störungen in Form von Decubitus vor. 

In anatomischer Hinsicht hatte die Operation folgende Folgen: Die Menge 
der Cerebrospinalflüssigkeit war vermindert, und der Druck, unter dem sie sich be¬ 
fand, in 4 Fällen stark erhöht. Die Gefäße des Rückenmarkes waren anfangs 
hyperämisch, später machte sich dort ein leichtes ödem bemerkbar; es finden Bioh 
ferner Blutergüsse in der ganzen Ausdehnung der Medulla, am stärksten in der 
Nähe des Traumas und im Lendenmark; auch das Nervengewebe war entweder 
direkt in der Umgebung der Wunde oder in der Ferne mehr weniger entartet. 
Von dem vielen Interessanten sei nur dies hervorgehoben: Veränderungen der 
Vorderwurzeifasera und der langen Kollateralen der Hinterwurzeln wurden nur 
bei den Tieren gefunden, die intra vitam entweder einen vollständigen Verlust 
der Sehnenreflexe der hinteren Extremitäten oder eine veränderte Form derselben 
auf wiesen; in den Fällen, wo die Reflexe der hinteren Extremitäten vorhanden 
oder sogar gesteigert waren, waren die langen Kollateralen der Hinterwurzeln auf 
ihrem Wege durch die graue Substanz des Rückenmarkes und die Vorderwurzel- 
fasern vollständig normal. 

13) Zur Frage über die Wege der auffeteigenden Myelitis, von V. Salle. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

Die Ausbreitung der schädlichen Stoffe bei der ansteigenden Myelitis ge¬ 
schieht auf dem Wege der Lymphbahn, des Blutgefäßsystems und des Central¬ 
kanals. Um die Bedeutung dieser Leitungsgebiete und ihre Abhängigkeit von¬ 
einander genauer festzustellen, wurden Kaninchen Lösungen von 01. terebinth., Sol. 
Fowleri, Bact. coli comm., Staphylokokken und Diphterietoxin intramedullär in¬ 
jiziert. Die dadurch hervorgebrachten Veränderungen treten zuerst an den Ge¬ 
fäßen und den dazugehörigen Lymphbahnen auf und charakterisieren sich entweder 
in Form von strotzender Quellung und Erweiterung der Arterien oder in klein¬ 
zelliger Wurzel Infiltration bzw. in einem gleichzeitigen Vorkommen beider Er¬ 
scheinungen. Anscheinend beteiligen sich die Leukocyten negativ an der Zer* 


Störung der Ganglienzellen, wobei es unaufgeklärt bleibt, ob es sich um eine 


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Phagocytose oder um ein Hinströmen der Leukocyten nach den durch Toxin¬ 
wirkung veränderten Zellen handelt. Auffallend stark sind die auf- und ab¬ 
steigenden Aste der art. centrales dabei beteiligt. Bei dem Versuch mit Ein¬ 
spritzung von Bact. coli war außer den allgemein entzündlichen Erscheinungen an 
den Gefäßen noch die Beteiligung der perivaskulären Scheiden an der Verbreitung 
des Entzündungserregers bemerkenswert, die stark erweitert und in allen Höhen 
mit Kokken angefüllt waren. Bei den anderen Versuchen fanden sich, abgesehen 
von der Läsionsstelle, nirgends Entzündungserreger. Es müssen die Bakterien, 
welche auf dem Wege der Lymphbahnen nach aufwärts geschwemmt wurden, auf 
irgend eine Weise das Rückenmark wieder verlassen haben, doch bleibt das nähere 
vorerst unaufgeklärt. In 2 Versuchen konnte die Verbreitung des Virus durch 
den Centralkanal nachgewiesen werden. Vermutlich wurden die Bakterien mit 
der Blutbahn aus dem Rückenmark fortgeschwemmt und blieben in dem von der 
reichen Blutcirkulation abgetrennten Hohlraum des Centralkanales liegen. Auch 
bei den Tieren, welchen nicht bakterielle Lösungen eingespritzt wurden, finden 
sich in den Wandungen des Centralkanals aufsteigende Veränderungen mit Zer¬ 
störungen des Parenchyms. 

Sehr auffallend war die stark ausgesprochene Veränderung der Ganglienzellen 
und zwar Btand dieselbe in durchaus keinem Verhältnis zu den entzündlichen 
Erscheinungen der übrigen Gewebe. Offenbar bestehen innerhalb der Ganglien¬ 
zellen Lieblingsstellen für die Ablagerung der einverleibten, baktericiden Stoffe. 
Bei den mit Diphterietoxin und mit Terpentinöl behandelten Tieren war das 
Vorherrschen infiltrativer Vorgänge bemerkenswert, während dieselben bei den 
mit Bakterien behandelten Tieren weniger intensiv und außerdem später auftraten. 
Bei dem mit Diphterietoxin infizierten Tiere erwiesen sich außerdem die Ganglien¬ 
zellen besonders stark geschädigt. In den meisten Fällen war der Centralkanal 
von der primären Läsionsstelle aus direkt geschädigt und trotzdem konnte nie¬ 
mals ein besonders heftiges Ausgehen des Prozesses von dem Centralkanal aus 
bemerkt werden. Es läßt sich deshalb vermuten, daß ihm am Vergleich zu den 
perivaskulären Scheiden nur eine untergeordnete Bedeutung als leitende Lymph- 
bahn zuzumessen sein dürfte. 

14) Un oas de compreBsion de la moölle aveo des phönomenes de tdtra- 

plegie spasmodique (oontraoture, exageration des röflexes tendineux; 

tröpidation epildptolde, eigne de Babinski, guörison), par Dr. Noica. 

(Arch. de neurologie. XXII. 1906. Nr. 129.) Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

20jähriger Mechaniker erlitt Btarken Schlag in den Nacken. In der folgenden 
Woche anhaltende Schmerzen an der Stelle des Traumas und Ameisenkriechen in 
allen vier Extremitäten. Nach einer Woche Wiederaufnahme der Arbeit; dabei 
bemerkte er mehr und mehr zunehmende Schwäche in den Gliedern. 3 Monate 
nach dem Unfall vollständige spastische Lähmung, an den unteren Extremitäten 
stärker ausgesprochen als an den oberen. Im Nacken keine Deformation der 
Wirbelsäule. An den Beinen passive Bewegungen in allen Gelenken wegen der 
starken Kontrakturen nur schwer möglich. Gehen und Stehen unmöglich. 
Patellarreflexe und Achillessehnenreflexe gesteigert; beiderseits Fußklonus und 
Babinski. An den oberen Extremitäten aktive Bewegungen in geringem Grade 
möglich; Flexion > Extension; Arme in Flexionsstellung. Passive Bewegungen 
bis auf Fingerstreckung gut möglich. Sehnenreflexe gesteigert. Allgemeine leichte 
Herabsetzung der Sensibilität; Hypästhesie und Hypalgesie besonders deutlich 
an der Planta pediB, in der Palma, an der Innenseite der Oberschenkel. Haut- 
reflexe vermindert bzw. erloschen. Vorübergehend Incontinentia urinae. Neun 
Monate nach dem Einsetzen der Lähmung, ein Jahr nach dem Unfall, vollständige 


Heilung nach Massage und Moorbadekur. 

Der Fall ist bemerkenswert, weil er einen weiteren Beweis dafür liefert, 


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daß spastische Erscheinungen im klinischen Bilde nicht notwendigerweise auf 
degenerative Veränderung der Pyramidenstränge zu beziehen sind. Verf. führt 
verschiedene einschlägige Fälle aus der Literatur an. Als Ursache der Kompression 
nimmt er eine durch das Trauma gesetzte Meningealblutung an, die allmählich 
wieder zur Resorption kam. 

16) Über Carlos vertebralis acuta mit Kompressionsmyelitis im Verlaufe 

der ohronisoh ankylosierenden Entzündung der Wirbelsäule, von Dr. 

Alexander Simon in Wiesbaden. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde. 
XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch. 

Es handelt sich um eine 61jährige, aus gesunder Familie stammende Frau, 
welche keine schweren Erkrankungen durchgemacht hat. Die Beschwerden stellten 
sich allmählich, im Anschluß an eine akute, fieberhafte Erkrankung (Influenza?), 
ein. Sie begannen mit ziehenden Schmerzen in Kreuz und Hüften, wozu später 
eine langsam zunehmende Steifigkeit in den Hüften und der Wirbelsäule hinzu« 
kam. Bei der Untersuchung findet sich leichte Schwellung und behinderte Be¬ 
weglichkeit des linken Kniegelenkes, fast völlige Ankylose beider Hüftgelenke mit 
mäßiger Abduktionsstellung und leichter Flexion. Wirbelsäule, vornehmlich im 
Brust- und Lendenteil völlig starr und unbeweglich, was sich besonders im Liegen 
bemerkbar macht. Patellarreflexe beiderseits geschwunden, an den Beinen ganz 
leichte Hyperästhesie. Später wurde Zucker (2,6—3,36 °/ 0 ) festgestellt, der aber 
nach Genuß von Karlsbader Mühlbrunnen und bei geeigneter Diät bald wieder 
verschwand. Dagegen klagte die Patientin über sehr heftige Schmerzen im Ge¬ 
biet der Hinterhaupt- und des 2. bis 3. linken Zwischenrippennerven, welche 
ebenso wie die Proc. spinosi der oberen Brustwirbel druckempfindlich waren. 
Später kam es zu einer Paraparese der Beine mit Hypästhesie auf alle Gefühls¬ 
qualitäten, beiderseitigem Fußklonus (r. > 1.), klonischen und tonischen Zuckungeu 
im linken Bein, Andeutung des Babinskisehen Phänomens am linken Fuß, Hyp¬ 
ästhesie des Bauches bis an die Regio epigastrica und das Gesäß und im Gebiet 
des 4. linken N. intercostalis, Prominenz des 2. Brustwirbels, der druckempfindlich 
war und dessen Dornfortsatz verschiebbar zu sein schien. Die Sektion konnte 
erst nach mehr als 3 Tagen post exitum vorgenommen werden; eine anatomische 
Untersuchung war infolge davon unmöglich. Es fand sich u. a. eine ausgebreitete, 
akute Karies im Körper des 2. und 3. Brustwirbels und Verkalkung der Wirbel¬ 
gelenke. Für das Vorhandensein eines Tumors bestand nicht der geringste An¬ 
haltspunkt. Das Rückenmark selbst war in den dem 2. und 3. Brustwirbel ent¬ 
sprechenden Segmenten makroskopisch verändert, weicher als normal und zum Teil 
grau verfärbt, so daß auch ohne mikroskopischen Nachweis eine Kompressions¬ 
myelitis angenommen werden durfte. Offenbar war die Karies durch eine akute, 
von außen kryptogenetisch eingedrungene septisch-eitrige Infektion veranlaßt, 
wofür außer dem Diabetes auch ein Trauma der Wirbelsäule verantwortlich ge¬ 
macht werden kann. 


16) Potts disease. Treatement at a late stage. Bemerke on the patho- 
logioal anatomy, by E. W. Taylor. (Department of neurology. Harward 
medical school. 1906.) Ref.: Baumann (Breslau). 

Folgende bemerkenswerte Punkte veranlaßten den Verf. zur ausführlichen 
Besprechung eines Falles von Pott scher Krankheit. Die Krankheit setzte ganz 
plötzlich ein bei einem 45jährigen Manne, der sonst keinerlei Anzeichen einer 
Tuberkulose darbot. Die Läsion des Rückenmarkes war lokal sehr ausgedehnt, 
ähnlich wie bei Myelitis. Die motorischen Symptome herrschten stark vor gegen¬ 
über den sensiblen trotz der ausgedehnten Degeneration der sensiblen Bahnen. 
Unter der Behandlung entstand eine weitgehende Besserung trotz des sich bei der 
Sektion ergebenden weit ausgedehnten anatomischen Befundes. 


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17) Un oasremarquabledeparaplögiepottique, parH.Boschi et A.Graziani. 

(Revue neurologique. 1906. Nr. 17.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Ein 16jähriger Patient erkrankte akut mit Parästhesien in den unteren 

Extremitäten und Gangerschwerung, die alsbald von heftigen, diffusen Schmerzen 
im Abdomen gefolgt ward, welch letztere freilich rasch cessierten, während eine 
Paraplegie der unteren Extremitäten zurückblieb, mit taktiler und Schmerz* 
Unempfindlichkeit von der Taille nach abwärts und mit Uastdarm* und Blasen¬ 
inkontinenz vergesellschaftet Bei der Spitalaaufnahme: Leichte Kyphoskoliose; 
in der Höhe der 4. Dorsalapophyse geringe Druckschmerzhaftigkeit; Rumpf¬ 
bewegungen ziemlich frei; die Muskulatur der oberen Extremitäten und oberen 
Körperhälfte überhaupt funktioniert normal; passive Bewegungen der unteren 
Extremitäten erschwert, aktive namentlich im Unterschenkel und Fuße; Grasset- 
sches Zeichen; Sehnenreflexe der unteren Extremitäten gesteigert (Klonus); Haut¬ 
reflexe der unteren Körperhälfte herabgesetzt; Babinski positiv; Sensibilitätsstörung 
wie oben, aber nur leicht; bei Bewegungen stellt sich erheblicher Rigor in den 
unteren Extremitäten ein; Stehen, Gehen unmöglich (die Lähmungserscheinungen 
sollen im Beginn der Erkrankung ausgesprochener gewesen sein); bei der Lumbal¬ 
funktion erhebliche Albuminmengen; ziemlich weitgehende allgemeine Besserung 
im Verlauf mehrerer Monate. 

Die Verff. lassen dieser kasuistischen Mitteilung diagnostische Erwägungen 
folgen und weisen speziell darauf hin, daß die Pott sehe Krankheit zuweilen 
intra vitam wenig oder keine Symptome mache (Fälle von Saxl, Dupre- 
Camus u. a.); die Verff. entscheiden sich für die Annahme einer Pachymeningitis 
spinalis im konkreten Falle, mit konsekutiver Cirkulationsstörung und Entzündung 
im Rückenmarke. 

18) Bin Fall von Krebsgeschwulst des Kreuzbeins, von E. v. Leyden und 

L. Bassenge. (Zeitschr. f. klin. Med. LX. 1906.) Ref.: H. Levi (Stuttgart). 

Es handelte sich um einen 36jährigen Mann, bei dem 6 Monate vor der 

Aufnahme allmählich zunehmende Schmerzen neuralgischer Art an der Hinterfläche 
des linken Beines aufgetreten waren. 3 Monate später folgten ähnliche Schmerzen 
an der Hinterfläche des rechten Beines und nach weiteren 2 Monaten mit CystitiB 
verbundene Blasenlähmung. Als diagnostische Anhaltspunkte dienten zunächst: 
Steifigkeit der Lendenwirbelsäule, Bpontane und Druckschmerzhaftigkeit im Gebiet 
der Nn. ischiadici von der Austrittsstelle bis zur Kniekehle, links etwas mehr als 
rechts, Unfähigkeit den Rumpf zu beugen, zu gehen oder längere Zeit zu steheu 
und in Rückenlage die gestreckten Beine über 45° bzw. 60° hinaus zu erheben. 
MuBkelatrophie mäßigen Grades am linken Beine, Steigerung der FußBohlenreflexe. 
Andeutung von Babinski links. Steigerung und qualitative Veränderung der 
Patellarreflexe. Geringfügige Sensibilitätsstörung am linken Großzehen ballen. 
Incontinentia urinae und Cystitis. Diese Symptome wiesen auf eine Beteiligung 
der Medulla spinalis bzw. der Cauda equina hin. Jedoch ließ sich bezüglich der 
Art und des Ortes der Affektion ein bestimmtes Urteil nicht gewinnen. Es war 
zunächst auffallend, daß Störungen der Motilität überhaupt nicht, der Sensibilität 
nur in geringem Umfang bestanden. Blasenlähinung und Ischias konnten im 
Verein mit der Sensibilitätsstörung am linken Großzehenballen auf Erkrankung 
des Sakralmarkes oder der Cauda equina bezogen werden, die indessen keinerlei 
typischen Charakter trug (Erhaltensein der willkürlichen Stuhlentleerung, Steige¬ 
rung der Patellarreflexe und Fußsohlenreflexe, Andeutung von Babinski). Die auf¬ 
fallende Steifigkeit der Lendenwirbelsäule entbehrte zunächst einer ausreichenden 
Erklärung, da ein Wirbeltumor weder durch Perkussion noch Palpation nach¬ 
weisbar war und für meningeale Reizung etwa durch Peripachymeningitis oder 
durch Meningitis syphilitica weder in Befund noch in Anamnese etwas sprach. 
Später auftretende Sensibilitätsstörungen über der Steißbeinspitze, am Gesäß neben 

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der Analöffnung, an der Hinterfläche der linken Wade, am Außenrande des rechten 
Fußes sprachen sämtlich für Störung im Bereich des Sakralmarkes oder der Cauda 
equina. Erst die konstant auftretende Klopfempfindlichkeit über dem 1. bis 
3. Kreuzbeinwirbel lenkte die Aufmerksamkeit mehr auf den Sakralkanal. Das 
Fehlen bestimmter Anzeichen einer Querschnittserkrankung, das Ausbleiben eines 
auch nur angedeuteten Brown-S öquardschen Typus, die von Beginn be¬ 
stehende Doppelseitigkeit der Erscheinungen machten eine extramedulläre Affektion 
wahrscheinlich. 

Aufklärung brachte das Röntgenogramm, das einen Schatten ergab, der die 
linke Hälfte des Kreuzbeins, die linke Symphysis sacroiliaca und den an¬ 
grenzenden Teil deB Os ilei deckte. Der Schatten röhrte von einem Knochentumor, 
der partiell die Cauda equina in Mitleidenschaft gezogen hatte und von welchem 
angenommen wurde, daß er sarkomatöser Natur sei. Operatives Eingreifen war 
schon mit Rücksicht auf den schlechten Ernährungszustand des Kranken ausgeschlossen. 
19) Ein Beitrag zur Klinik und zur Histopathologie der extramedullären 
Büokenmarkstumoren (ein Fall von extramedullärem Bückenmarks¬ 
tumor, welcher ohne wesentliche Sohmerzen verlief), von E. Flatau 
und W. Sterling. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXI. 1906.) Ref.:E. Asch. 
Bei einem 30jährigen, früher gesunden Mann stellten sich vor 14 Monaten 
in der Gegend des rechten Hypochondrium Schmerzen ein, die während der Nacht 
am intensivsten waren. 3 Wochen später oberhalb des Nabels ein operativ er- 
öffneter Absceß, nach weiteren 3 Wochen Parese der rechten und bald daraut 
auch der linken unteren Extremität. Seit Beginn der Eirankheit besteht Retentio 
urinae. Die Schmerzen waren niemals besonders intensiv und standen während 
des langen Aufenthaltes im Krankenhaus ganz im Hintergrund. Die Parese der 
unteren Extremitäten nahm allmählich zu und hatte schon zu Beginn des Leidens 
einen spastischen Charakter, während damals die sensiblen Störungen nur an¬ 
gedeutet waren. Später ließ sich eine begrenzte Schmerzhaftigkeit des 4. Dorsal¬ 
wirbels nachweiBen. Es wurde eine Operation vorgeschlagen, doch verließ der 
Kranke die Klinik, ohne sich einer solchen zu unterziehen. Nach 2 Monaten 
kehrte er verschlimmert und beinahe unfähig zu gehen auf die Abteilung zurück. 
Es fand sich ein Fortbestehen der Schmerzen und eine Sensibilitätsstörung, deren 
obere Grenze Bich vorn bis zur 8. Rippe und hinten fast bis zum unteren Rand 
der Schulterblätter erstreckte. Die Schmerzen bestanden weiter, waren aber nicht 
sehr intensiv und hauptsächlich im rechten Hypochondrium lokalisiert. Trizeps- 
und Periostreflexe, Patellar- und Achillessehnenreflexe sehr lebhaft, außerdem 
Knie-, Patellar- und Fußklonus, deutliches B ab in skisches Phänomen, Priapismus. 
Auch unmittelbar vor der nunmehr vorgenommenen Operation (Entfernung des 2. 
bis 4. Dorsalwirbels ohne Eröffnung der Dura) stand die Diagnose nicht fest, 
per exclusionem wurde eine Kompression des Rückenmarkes angenommen. Ge¬ 
stützt wurde diese Ansicht durch eine schon im ersten Stadium der Krankheit 
festgeBtellte, totale Aufhebung des Vibrationsgefühles. Es fand sich indessen in 
der operativ hervorgerufenen Höhle kein Tumor. Bemerkenswert war, daß die 
Patellarreflexe, welche vorher enorm gesteigert waren, kurz vor dem Exitus nicht 
mehr nachzuweisen waren, und war dies um so merkwürdiger, als die Operation 
ausschließlich mit der Knochenzange, ohne Benutzung von Hammer und Meisel 
ausgeführt wurde. Bei der Sektion fand sich innerhalb der Dura in der Höhe 
der 6. Dorsalwurzel eine linsengroße Geschwulst, welche an der Durchgangsstelle 
der Wurzeln mit der Dura verwachsen war und sich später als Fibrosarcoma 
myxomatodes charakterisierte. An der Stelle des stärksten Druckes war eine 
Kompression des Rückenmarkes in sagittaler Richtung, an der Peripherie des 


rechten Seitenstranges eine Einbuchtung vorhanden, in welcher der Tumor lag. 
Hauptsächlich handelte es sich um Veränderungen des rechten, weniger deutlich 


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des linken Seitenstranges, und zwar waren dieselben auf Stauungsstörungen zurück- 
zuführen, während die entzündlichen Momente nur eine nebensächliche Rolle spielton. 
Entere sind offenbar als Folge rein mechanischer Erscheinungen aufzufassen. 

20) Zwei Fälle von diagnostizierten und operierten Tumoren der Bücken- 

markshäute, von H. Köster in Gothenburg. (Zeitschr. f. klin. Med. LXUL 

1907. Henschen-Festschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

Fall I. Bei bisher gesunder, arbeitsfähiger Frau trat 1 Jahr vor Aufnahme 
teils Schmerzen im Knie, teils Eingeschlafensein des rechten Oberschenkels auf 
mit allmählich zunehmendem Schwächegefühl in den Beinen. Dazu Krampf¬ 
zuckungen und deutliches Gürtelgefühl unterhalb des Nabels, nie heftigere 
Schmerzen. Zuletzt wurde auch das Harnlassen schwieriger. Bei Aufnahme Bild 
einer spastischen Paralyse der unteren Extremitäten mit schmerzhaften Zuckungen 
in denselben, besonders bei Bewegungsversuchen, gleichzeitig totale Anästhesie der 
Unterschenkel und bedeutende Hypästhesie der unteren Rumpfhälfte bis zur 
Nabelhöhe auf der Vorderseite und bis zum 8. Wirbeldom auf der Rückseite. Reflexe 
hochgradig gesteigert, Kreuzschmerzen und Schmerzen und Parästhesien in den 
Beinen. Die Lähmung der Beine wurde absolut, die obere Grenze der Sensi¬ 
bilitätsstörung ging mehr in die Höhe und erreichte zuletzt die untere Kante der 
Mammae und rückseitig (Grenze weniger scharf) den 4. Dorsalwirbeldom. In¬ 
continentia urinae et alvi. Bei der Aufnahme Druckempfindlichkeit des 8-, 9. 
und 10. Proc. spinös., einen Monat später des fünften und nach ein paar Monaten 
am meisten des 4. Proc. spinös. 

Die Diagnose wurde auf einen Tumor gestellt, der das Rückenmark dem 
5. Dorsalsegment entsprechend komprimiere, und auf Grund des Gowersschen 
Schemas wurde als Angriffspunkt an der Wirbelsäule der 3. Dorsalwirbeldom an¬ 
genommen. Die Lokalisierung des Tumors, der bei der Operation an der dia¬ 
gnostizierten Stelle gefunden wurde und sich als typisches Psammosarkom erwies, 
mußte ausschließlich auf Grund der sensiblen Symptome geschehen. 

Das Resultat der Operation war nicht besonders glänzend, wenn auch nicht 
ohne Nutzen für die Patientin: Die Störungen der Motilität und Sensibilität 
blieben bestehen, doch ist die Patientin von den sehr schmerzhaften Krämpfen 
und Zuckungen der Beine befreit und ihr Zustand infolgedessen verhältnismäßig 
erträglich. 

Bemerkenswert ist das allmähliche Höhertreten der Anästhesiegrenzen, welches 
einmal der These Schultzes von der Unveränderlichkeit der oberen Grenze als 
einem der sichersten Zeichen des Tumors widerspricht, andererseits zeigt, daß 
Brun8 mit seiner früher ausgesprochenen Ansicht Recht hat, daß eine Lokal- 
diagnose eines Rückenmarkstumors erst dann mit einiger Sicherheit möglich ist, 
wenn die Kompression des Rückenmarkes total geworden ist, weil bei erst par¬ 
tieller Kompression die Anästhesiegrenzen zu tief liegen können. 

Fall II. 38jähriger Maurer. Erste Symptome schon 2 Jahre vor Aufnahme, 
einseitig im linken Bein mit eigentümlichen Sensationen in der großen Zehe, zu¬ 
nehmender Schwäche und Steifigkeit des Beines. Erst ein Jahr später auch 
Symptome vom anderen Bein mit langsamer Ausbreitung. Erst in allerletzter 
Zeit Harninkontinenz. Heftige Schmerzen kamen nur im linken Bein vor und 
nach Angabe des Patienten breiteten sich zuerst die sensiblen Symptome aus und 
die motorischen folgten nach. Bei der Aufnahme spastisch-ataktische Parese 
beider Beine mit hochgradiger Rigidität und gesteigerten Reflexen, weiter starke 
Schmerzen in den Beinen und Herabsetzung der Sensibilität, die sukzessive nach 
oben hin abnahm; am wenigsten war der Schmerzsinn gestört. Gleichzeitig Harn¬ 
inkontinenz, Incontinentia alvi und Decubitus über der Sakralgegend. An Wirbel¬ 
säule nichts Besonderes. Einige Wochen später Sensibilitätsstörung ziemlich unver¬ 
ändert, aber deutliche Atrophie besonders der Mm. sartorius, quadriceps, adductores 


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und glutaei. Auch in diesem Falle sprach das sukzessive Zunehmen der Sym¬ 
ptome für eine langsam fortschreitende Kompression des Rückenmarkes. 

Auf Grund von im Original nachzulesenden differential-diagnostischen Er¬ 
wägungen kam Verf. zur Diagnose eines Tumors mit dem Sitze an der Austritts- 
Stelle des 1. Lumbalnerven im Rückenmarke. Nach dem Go wer eschen Schema 
entsprach ein solcher dem 11. Wirbeldorn und hier und etwas weiter hinunter 
wurde auch ein Tumor (Art desselben?) bei der Operation gefunden. 

Auch in diesem Falle war das Resultat nur subjektive Erleichterung der 
heftigen Schmerzen, Verschwinden der Rigidität und der Zuckungen in den Beinen 
und endlich der Inkontinenz. Dagegen wurden die motorischen und sensiblen 
Störungen unzweifelhaft deutlich gesteigert. Eis trat eine tiefgreifende Gangrän 
auf, die zur allgemeinen Sepsis und zum Exitus letalis führte (etwa 4 Monate 
nach der Operation). Die Sektion ergab eine totale Erweichung des Markes dem 
Sitz des Tumors entsprechend; Ver£ hält es für möglich, daß während der Operation 
eine Kompression des Rückenmarkes eingetreten ist infolge der wegen intensiver 
Blutung notwendigen Tamponade. 

21) Über eine seltene Büokenmarkshautgesohwulat (Chromatophorom), von 

Dr. Esser. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXIL 1907.) Ref.: E.Asch. 

I. 54jährige Frau klagt seit l 1 / 2 Jahr über allmählich stärker gewordene 
Rückenschmerzen, welche in der Höhe der 6. bis 7. Rippe nach vorn hin ausstrahlen. 
Vor 6 Monaten Schwäche beider Beine, bald darauf Zuckungen und Krämpfe in 
denselben sowie Retentio und später Incontinentia urinae et alvi. 5. bis 7. Dorn¬ 
fortsatz der Brustwirbelsäule druckempfindlich, spastische Lähmung beider Beine 
(r. > 1.) mit gesteigerten Reflexen, Fußklonus und Babinski, Verlust der Bauch¬ 
deckenreflexe und Herabsetzung der Sensibilität für alle Qualitäten vom Rippen¬ 
bogen an abwärts, links erheblicher als rechts. Die auf Tumor und Kompression 
des Rückenmarkes in der Höhe des 5. bis 6. Dornfortsatzes mehr an der rechten 
Seite der Medulla spinalis gestellte Diagnose wurde bei der Operation bestätigt, 
indem sich bei derselben in der genannten Höhe ein taubeneigroßer Tumor 
(Psammom) fand. Eis schwanden allmählich sämtliche Veränderungen und neun 
Monate nach dem operativen Eingriff waren alle Funktionen wieder normal. 

H. 32jähriger, bis auf eine in früher Jugend überstandene fieberhafte Er¬ 
krankung und eine vor mehreren Jahren akquirierte Gonorrhoe, stets gesunder 
Mann. Er klagte vor 2 Monaten zuerst über Schmerzen im Nacken, den oberen 
Rückenpartien und in den Armen, die sich besonders bei Bewegungen einstellten, 
aber allmählich nachließen. Bald darauf Schwäche, Taubheitsgefühl und Krämpfe 
zuerst im rechten und bald darauf auch im linken Bein, Gürtelgefühl und Spannung 
am rechten Fußgelenk. Später vollständige Lähmung der Beine, Retentio urinae 
et alvi und schließlich unwillkürlicher Abgang von Harn und Stuhl. Es findet 
sich in der Gegend des Kreuzbeins ein handtellergroßer, tiefer Decubitus, schlaffe 
Lähmung der Beine mit anfangs schwachen und später nicht mehr auslösbaren 
Patellarreflexen. Bauchdeckenreflexe = 0, Babinskisches Phänomen anfangs r. > 1., 
nach mehreren Wochen nur schwach angedeutet und später nur noch gelegentlich 
zu erzielen. Sensibilität von der 3. Rippe an für alle Qualitäten herabgesetzt 
und von der 6. Rippe an völlig aufgehoben. Eis wurde ein extramedullärer Tumor 
mit seinem Sitz in der Höhe des 1. bis 2. Dornfortsatzes der Brustwirbelsäule 
angenommen. Bei der Operation fand sich eine in dieser Höhe sitzende, intra¬ 
durale, mehr auf der reohten Seite sitzende, etwa 4 cm lange und 1 1 / 8 cm breite, 
schwarz gefärbte Geschwulst von weicher Konsistenz, welche nicht mit der Dura 
verwachsen war, sich aber nicht vollständig von den weichen Häuten abpräparieren 
ließ. Die anatomische Untersuchung ergab, daß es sich dabei um woblcharak- 
terisierte und in bestimmter Richtung diffeienzierte Zellen handelte, welche Ge- 

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schwulst von Ribbert als Ghromatopborom bezeichnet wird. Einen Monat nach 
der Operation starb der Kranke an einer eitrigen Basilarmeningitis. 

22) Uber einen operativ geheilten Fall von extramedullärem Tumor mit 
sohmerafreiem Verlauf, von Dr. H. Starsberg. (Deutsche Zeitschrift für 
Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch. 

Ein 48jähriger Arbeiter, der abgesehen von einer vor 3 Jahren überstandenen, 
linksseitigen Ischias früher gesund war, bemerkte plötzlich ein taubes Gefühl in 
den Zehen beider Füße, das allmählich bis in den Unterleib hinaufstieg und von 
einer zunehmenden Schwäche beider Beine begleitet war. Stuhlentleerung völlig 
normal, Blasenfunktion nur einmal vorübergehend beeinträchtigt. Weder zu Be¬ 
ginn der Erkrankung, noch während des weiteren Verlaufes wurden irgendwelche 
Schmerzen bemerkt. Bei der Aufnahme fand sich eine spastische Parese der 
Beine, Steigerung der Patellarreflexe und Babinskisches Phänomen. Von den 
Bauchreflexen war der obere beiderseits dauernd normal, der mittlere im Anfang 
rechts herabgesetzt, links normal, später verschwand derselbe rechts vollkommen 
und war links nur schwach auslösbar; der untere fehlte, ebenso wie der Kremaster¬ 
reflex, schon bei der ersten Untersuchung. Die unteren, seitlichen Teile des 
Leibes waren etwas stärker vorgewölbt; beim Versuch zu pressen wurden die 
oberen Teile der queren Bauchmuskeln gut, die unteren schlechter kontrahiert. 
Sensibilität an den Beinen, besonders links, für alle Qualitäten herabgesetzt, und 
zwar fand sich die obere Grenze der Störung vorn in Nabelhöhe, also im Bereiche 
des 10. Dorsalsegmentes, während sie sich hinten etwas tiefer als in den für 
diesen Rückenmarksabschnitt entsprechenden Linien hielt und auch nicht ganz 
scharf abschnitt. Links vom Nabel oberhalb der hypothetischen Teile zeitweise 
eine ganz geringe Überempfindlichkeit im Bereiche eines zwei Finger breiten 
Streifens. Später ging das Anfangs noch teilweise erhaltene Gehvermögen voll¬ 
kommen verloren. 

Das Fehlen jeglicher Schmerzen sprach zwar gegen die Annahme einer ope¬ 
rablen Geschwulst, doch lehren die von Fr. Schultze und Oppenheim mit¬ 
geteilten Fälle, daß auch Ausnahmen Vorkommen können. Es wurde deßhalb die 
Laminektomie ausgeführt und fand sich unter dem Proc. spinosus des 8. Brust¬ 
wirbels eine Geschwulst, welche sich auf der rechten Rückenmarkshälfte entwickelt 
hatte, von der Dura leicht ablösbar war und sich später als Psammom erwies. 
Es stellte sich bald eine Besserung des Gesamtbefindens, des Gehvermögens und 
der Gefühlsstörung ein. 

Ver£ betont, daß in Fällen fortschreitender Schädigung des Rückenmarkes, 
welche einen gleichbleibenden oder doch nur unbedeutend aufsteigenden Sitz der 
Erkrankung annehmen lassen, auch dann eine extramedulläre Geschwulst ange¬ 
nommen werden kann, wenn niemals sensible Reizerscheinungen aufgetreten waren. 
Auch wird durch diese Beobachtung die Annahme von drei Bauchreflexen und 
deren Lokalisation bestätigt. 

23) Bin Beitrag zur Klinik und zur operativen Behandlung der Rüoken- 
marksgesohwülste , von Dr. L. Bregman in Warschau. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

I. Ein 44jähriger, früher gesunder Lehrer erkrankte vor l 1 /, Jahren ohne 
nachweisbare Ursache unter sehr heftigen Sohmerzanfällen in der linken Lenden¬ 
gegend, wozu sich später ein Gefühl von Schwere im Rücken gesellte. Nach 
9 / 4 Jahr Lähmungserscheinungen von langsamer Progredienz, zuerst in der linken, 
später auch in der rechten unteren Extremität Es fanden Bich paretisch-spastischer 
Gang mit Nachschleppen des linken Beines, leichte Parese der rechten unteren 
Extremität, stark erhöhte Patellar- und AchillesBehnenreflexe, Fußklonus besonders 
links, Babinski-Reflex links ausgebildet, in der linken Lendengegend entsprechend 
der Crista ossis ilei, in der linken Bauchhälfte unterhalb des Nabels und — weniger 

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deutlich — auf der vorderen, medianen Fliehe des Oberschenkels im Gebiet der 
1., 2. and teilweise aach der 3. Lendenwurzel eine mehrere Finger breite, an* 
ästhetische Zone, an der rechten unteren Extremität Brown-Söquardscher 
Lähmungstypus, erschwerte Harnentleerung und ganz geringe Schwäche des Sphincter 
vesicae. Es wurde ein Tumor angenommen, der das letzte Dorsalsegment kom¬ 
primierte und die zwei untersten dorsalen, sowie die obersten Lendenwurzeln 
lädierte. Es wurden die Bogen des 8., 9. und 10. Brustwirbels entfernt und es 
fand sich ein im Arachnoidealgewebe sitzender, etwa 2 1 / 2 cm langer Tumor, der 
sich später als Fibrosarkom erwies. 8 Tage später Exitus infolge von eitriger 
Meningitis cerebrospinalis. 

II. 14jähriges Mädchen aus gesunder Familie (als Zwillingskind im 7. Monat 
geboren) klagt Beit mehreren Monaten Ober starke Schmerzen im Röcken und 
beiden Seiten und später über solche im Kreuz und der linken unteren, sowie 
bald darauf auch der rechten unteren Extremität. Patientin war bis zum 9. Jahr 
ganz gesund, bekam nach einem Schlag ins Auge Nervenanfälle von hysterischem 
Charakter, die nach 3 monatlicher Dauer verschwanden. Durch seinen Beruf 
maßte das Mädchen häufig schwere Packete auf den Schultern tragen. 

Es bestand paretisch-spastischer Gang mit hauptsächlicher Parese des rechten 
Beines, abduzierter, in Valgusstellung befindlicher rechter Fuß, spastische Lähmung 
beider unteren Extremitäten, erhöhte Patellar- und Achillessehnenreflexe besonders 
links, Fußklonus (r. > 1.), Harnretention, heftige Schmerzen in den Seiten und 
den Beinen, sowie nicht bedeutende, objektive Sensibilitätsstörung hauptsächlich 
in den distalen Teilen der unteren Extremitäten ohne Druckempfindlichkeit der 
Wirbelsäule. Im Verlauf des Leidens entwickelte sich die Paraparese zu einer 
vollständigen Paraplegie mit spastischer Beugekontraktur und die SenBibilitäts- 
störung wurde zu einer ausgeprägten Anästhesie, die sioh aufwärts bis zur vierten 
Rippe entwickelte, während zwischen 4. bis 6. Rippe eine hypästhetische Über¬ 
gangszone bestand. Außerdem trat Decubitus auf and die Harnretention machte 
einer Inkontinenz Platz. Es wurde eine bösartige Geschwulst von extramedullärem 
Sitz angenommen, deren obere Grenze in der Höhe des 2. Dorsalsegmentes gesucht 
werden durfte. Bei der Operation fand sich unter dem Bogen des 2. Brustwirbels 
eine unregelmäßige, höckrige Geschwulst, die mit dem Röckenmark fest verwachsen 
war und nicht entfernt werden konnte. Nach 3 Monaten Exitus. Die auf das 
Rückenmark beschränkte Sektion ergab das Vorhandensein einer diffusen Sarko- 
matose der weichen Rückenmarkshäute, die sich also in diesem Falle mit einer 
knotenförmigen, meningealen Geschwulst kombiniert hatte. 

24) Ein Beitrag aur Kenntnis der Büokenmarkstumoren und Höhlen¬ 
bildungen im Bfiokenmark, von Karl A. Kling. (Zeitschr. f. klin. Med. 

LXIII. 1907. Henschen-Festschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

30 Jahre alter Sägewerkarbeiter, seit 6. April 1904 auf der Klinik von Prof. 
Henschen. Keine erbliche Belastung, Lues negiert, früher überhaupt gesund. 
Von Jugend auf Stottern. Beginn September 1903 mit Schmerzen in der rechten 
Hüftgegend, die sich allmählich längs der äußeren Seite des rechten Schenkels 
verbreiteten, brennend, stechend, kriechend. Ähnliche Beschwerden allmählich im 
unteren Teil des Bauches und in der Lendengegend. Gürtelgefühl in Nabelhöhe. 
Nach einigen Wochen rechtes Bein schwächer als linkes, Hinken. Oktober 1903 
ähnliche Beschwerden im linken Bein. Langsame Verschlimmerung. Von Anfang 
an Störungen beim Urinieren, häufiger Drang, langsamer Abfluß, dann vorüber¬ 
gehend Retention. Untersuchung am 9. April ergab: Unterhalb einer Linie, die 
5 cm über dem Nabel rings um den Rumpf gezogen wird, Schmerz- und Tempe¬ 
ratursinn völlig fehlend. Berührung wird nur wenn kräftiger wahrgenommen. 
Um den Anus, über Scrotum und Penis sind die Sensibilitätsstörungen ziemlich 
gering. Orts- und Muskelsinn normal. Beide Beine völlig gelähmt. Untere 


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Bauch*, Kremaster- und Fußsohlenreflexe fehlen, obere Bauchreflexe dagegen bis 
zur Grenze für die Sensibilitätsstörungen vorhanden. Babinski negativ. Patellar* 
und Trizepsreflexe beiderseits gesteigert, kein Fußklonus. Zeitweise Spontan¬ 
zuckungen. Später Auftreten von Decubitus und Babinski später positiv. In¬ 
continentia urinae. 

Klinische Diagnose (Prof. Henschen): Tumor medullae spinalis und Decubitus. 
Am 21. September 1904 trat der Exitus letalis ein. Die patholog.-anatomische 
Diagnose lautete ebenfalls auf Tumor medullae spinalis. Verf. schildert ausführ¬ 
lich den Tumor und bespricht die Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung. 
Er faßt die Ergebnisse der eingehenden Untersuchung in folgenden Sätzen zu¬ 
sammen: 

1. Dieses Bückenmark zeigt einen Centralkanal, der im ganzen Lumbalmark 
ansehnlich erweitert ist, und der außerdem an der letztgenannten Stelle eine Form 
aufweist, wie sie sich beim menschlichen Embryo im 5. Monat findet. 

2. In verschiedenen Teilen des Rückenmarkes kommen Neubildungen vor: 

a) In der unteren Partie des Dorsalmarkes findet sich eine Geschwulst, die 
ich „Neuroepithelioma gliomatosum gangliocellulare“ benenne, und die ihrer Haupt¬ 
masse nach aus Epithel besteht, welches von dem primitiven Neuralrohr herstammt, 
in seinen peripheren Abschnitten aber Differenzierung zu Gliagewebe und Ganglien¬ 
zellen verrät. Im obersten Teil des Tumors ist eine größere, epithelbekleidete 
Höhlung zu sehen, die Epithelproliferationen in der Wandung zeigt und nach 
vorn zu mit dem Centralkanal zusammenhängt; 

b) im oberen Teil des Dorsal- und Lumbalmarkes werden centrale Glio- 
matosen angetroffen; 

c) auf große Strecken hin im Dorsalmark ist eine mehr oder weniger hervor¬ 
tretende centrale Gliose zu sehen. 

3. Außer dem erweiterten Centralkanal sieht man wirkliche Syringomyelie¬ 
höhlungen, die durch regressive Prozesse in den centralen Gliomatosen ent¬ 
standen sind. 

4. Die Syringomyeliehöhlungen kommunizieren in diesem Falle nicht mit 
dem Centralkanal und entbehren einer Epithelbekleidung. 

5. Das Neuroepithelioma macht sich in diesem Falle durch ein schnelleres 
Wachstum früher und stärker als die gewöhnlichen Gliaproliferationen bemerkbar. 
26) Über einen Fall von Solit&rtuberkel im Büokenmark mit Neben¬ 
befund von sog. arteflzieller Heterotopie desselben, von G. Rystedt. 

(Zeitscbr. f. klin. Med. LXIII. 1907. Henschen-Festschr.) Bef.: Hugo Levi. 

25jähriger Arbeiter, ohne erbliche Belastung bezüglich Nervenkrankheiten 

oder Tuberkulose. Lues negiert. Früher gesund. Um den 20. April 1906 wurde Pat. 
ohne bekannten Grund heiser; am 29. April merkte er zum ersten Male eine ge¬ 
wisse Schwäche beim Bewegen des rechten Fußes, große Müdigkeit in demselben 
und die Spitze schleppte beim Gehen. Allmähliche Ausbreitung der Schwäche im 
ganzen rechten Bein, ohne Schmerzen, doch trat Ameisenkriechen im rechten Bein 
auf. Bei Aufnahme: Temperatur abends 38,3. Dämpfung der linken Lungen¬ 
spitze, laryngoskopische abgegrenzte Böte deB linken Stimmbandes. Wirbelsäule 
ohne Sonderheit, nirgends empfindlich. Leichte Parese der Bauchmuskulatur. 
Parese des ganzen rechten Beines. Patellarsehnenreflexe beiderseits gesteigert, 
r. > 1., Fußklonus nur rechts angedeutet. Babinski positiv. Sensibilitätsstörungen, 
von denen Pat. bis dahin nichts wußte: Hypästhesie am oberen Teil der Vorder¬ 
seite des rechten Oberschenkels. Schmerzempfindung bedeutend abgeschwächt an 
der Vorderseite des rechten Unterschenkels, an der Hinterseite des ganzen rechten 
Beines und über der rechten Glutäalgegend, etwas abgeschwächt am medialen 
Teil der Vorderseite des linken Beines. Temperatursinn abgeschwächt oder fehlend 
an der ganzen rechten unteren Körperhälfte ungefähr bis zur Nabelhöhe, auf der 

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Hinterseite bis zum Proc. spin. des 12. Dorsalwirbels und etwas abgeschwächt am 
medialen Teil der Vorderseite des linken Beines. Muskelsinn normal. Keine 
Blasenbeschwerden. 18./V. Bauchreflexe vorhanden. Kremasterreflexe fehlen. Beide 
Beine völlig gelähmt. Temperatur 39,4°. Zunahme der Sensibilitätsstörungen. 
Mitunter unfreiwillige Zuckungen in den Beinen, besonders rechts. Zunehmende 
Verschlimmerung auch des Lungen* und Larynxbefundes. Haminkontinenz. Exitus 
am 23. Juli 1906. Die obere Grenze der Sensibilitätsstörungen wies im Verlauf 
nur unbedeutende Schwankungen auf. Die Diagnose wurde intra vitam auf einen 
intramedullären Rückenmarkstuberkel gestellt, mit Rücksicht auf die obere Grenze 
der Sensibilitätsstörungen nahm man als Sitz desselben das 7. Dorsalsegment an. 
Bei der Sektion fand sich anscheinend ein kleiner Tumor, jedoch bedeutend tiefer, 
nämlich im 10. Dorsalsegment, von dem Verf. durch Serienschnitte nachweist, daß 
derselbe mit der Nervenkrankheit nicht in Verbindung stand, sondern alB Kunst¬ 
produkt zu betrachten war, Heterotopie. 

Erst beim Durchschneiden verschiedener Segmente des Dorsalmarkes zeigte 
sich der diagnostizierte Solitärtuberkel, und zwar im 5. Dorsalsegment, intra¬ 
medullär entwickelt, deutlich abgegrenzt. Die Krankheit wurde bisher intra vitam 
erst in 8 Fällen diagnostiziert 

Der klinische Verlauf scheint in typischen Fällen der folgende zu sein: in 
einem Falle mit anderen tuberkulösen Veränderungen tritt ohne Zeichen von 
Wirbelkaries eine ausgesprochen einseitige Lähmung auf, die schnell doppelseitig 
wird; anfangs zeigt sich eine dissoziierte Gefühlsstörung, an deren Stelle später 
totale Anästhesie tritt. Motorische und sensible Reizerscheinungen sind im all¬ 
gemeinen sehr wenig hervortretend, die letzteren, wenn vorhanden, der Lähmung 
nur kurze Zeit vorangehend. 

26) Tumor mediasdni und des Rückenmarkes. Ein Beitrag zur Entstehung 
kleiner vaskul&r-sklerotisoher Herde bei verschiedenen Rückenmarks- 

krankheiten und zur Genese der Amyloidkörperohen, von E. Fla tau 

und S. Koelichen. (Medycyna. 1906. Nr. 39 — 43.) Ref.: Edward Flatau. 

Die Verff. beschreiben einen Fall von Tumor mediastini et Medullae spinalis 
und beschäftigen Bich gleichzeitig mit der Entstehung der kleinen vaskulär 
sklerotischen Herde bei verschiedenen Rückenmarkskrankheiten und mit der 
Genese der Amyloidkörper. Der Fall betraf eine 42jährige Frau, welche zu¬ 
nächst über Dyspnoe und Brustschmerzen klagte. Es wurde auch gleich ein 
Pleuraexsudat diagnostiziert und entleert. Perkutorische Dämpfung in der linken 
Brusthälfte, Bronchophonie. Schmerzen im Rücken, die allmählich Zunahmen, 
Schwäche der unteren Extremitäten, Lähmung derselben (innerhalb einiger Tage), 
wobei das rechte Bein das Bild einer schlaffen Lähmung zeigte, das linke dagegen 
sich in einer Extensionskontraktur befand. Patellarreflexe waren lebhaft, Achilles¬ 
sehnenreflexe fehlend, kein Babinski. Abschwächung des Tast- und Schmerzsinnes 
an den Unterschenkeln. Im weiteren Verlauf beiderseitige Bchlaffe Lähmung, 
lebhafte Patellarreflexe, fehlende Achillessehnenreflexe, beiderseitiger Babinski. 
Sämtliche Gefühlsqnalitäten an den Beinen abgeschwächt, zum Teil fehlend. 
Muskelsinn nur in den Hüftgelenken erhalten. Gefühlsstörungen hinten bis zum 
Rippenrand, vorn in der unteren Bauchhälfte. Rumpfmuskulatur abgeschwächt 
(kann sich nur mit großer Mühe hinsetzen). Schmerzhaftigkeit im Gebiete des 
4. bis 5. Dorsalwirbels. Keine Blasen- und Mastdarmstörungen. Beginnender 
Decubitus in der Kreuzgegend. Schmerzen und Kältegefühl in den Beinen. 
9 Tage vor dem Tod trat ödem am Gesicht und an den Beinen auf. Dann 
Schwellung auch der linken Brustdrüse. Am Tage des Todes merkte man ober¬ 
halb der linken Clavicula einen Tumor, augenscheinlich aus der Brusthöhle aus¬ 


gehend. Die Sektion ergab einen Mediastinaltumor, welcher durch die Foramina 
intervertebralia (vom 3. bis zum 7. Dorsalwirbel) nach dem Wirbelkanal drang 


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und hier rechts mit der Dora mater ▼erwachsen war. Der Tumor erwies sich 
als ein rundzelliges Sarkom. Mikroskopische Untersuchung zeigte im Niveau des 
Tumors Verdickung der Dura mater. Im Rückenmark fand man folgende Altera¬ 
tionen: Erstens ließen sich im gesamten Rückenmark und zwar sowohl in der 
weißen, wie auch in der grauen Substanz vaskulär-sklerotische Veränderungen 
(Verdickung der Gefäßwände, hauptsächlich der Media und Adventitia, perivaskuläre 
Gliawucherung und zum Teil Erweiterung der perivaskulären Lymphräume) nach- 
weisen, welche ihre größte Intensität im Niveau deB Tumors erreichen. Zweitens 
konnte man in einem Segment, welches dem Tumor anlag, einen isolierten Herd 
im rechten Seitenstrang konstatieren mit akutem Zerfall der nervösen Substanz 
mit konsekutiver auf- und absteigender Degeneration. Die Verff. machen da¬ 
rauf aufmerksam, daß diese vaskulär-sklerotischen Veränderungen sich deutlich 
von denjenigen unterscheiden, die gewöhnlich bei RompressionsprozesBen be¬ 
schrieben werden. Bei diesen letzteren findet man Ödem deB Rückenmarkes, 
Quellung der Achsencylinder, Quellung und Zerfall der Markscheiden mit sekun¬ 
därer Gliawucherung, Lückenfeld. Diesem Bilde würde im obigen Falle nur der 
akute Herd in einem Segment entsprechen. Die Pathogenese der zerstreuten 
vaskulär-sklerotischen Herde sei eine ganz andere. Diese Herde zeigen eine ge¬ 
wisse Analogie mit denjenigen bei Anämie (Minnoch, Nonne), bei Septikämie im 
Greisenalter, bei Parkinsonscher Krankheit (Redlich) und bei Meningomyelitis 
luetica (Bikeles). Es wäre anzunehmen, daß bei allen diesen Prozessen die 
Veränderungen (vaskulär-sklerotische Herde) durch Infektions- bzw. toxische Stoffe 
bedingt werden. Diese Stoffe wirken durch Vermittelung der Blut- und zum Teil 
der Lymphgefäße auf die umgebende Substanz, wobei unaufgeklärt bleibt, warum 
gerade die weiße Substanz, speziell die Hinterstränge und der anliegende Teil 
der Seitenstränge, eine Prädilektionsstelle für diese Wirkung bildet. Die Verff 
besprechen noch die Amyloidkörperchen, welche in diesem Fall in einer enormen 
Anzahl auftraten. Man fand dieselben im gesamten Rückenmark, dabei wuchs 
ihre Anzahl mit der Entfernung vom Tumor. Am zahlreichsten erschienen die¬ 
selben im mittleren Halsmark (wo der ganze Querschnitt förmlich mit derselben 
besät erschien) und am 12. Dorsal- und 1. Lumbalmark. Diese Körperchen lagen 
hauptsächlich in der weißen Substanz (mit Bevorzugung der Hinterstränge und 
der anliegenden Teile der Seitenstränge), aber auch in der grauen (hauptsächlich 
in den Randabsohnitten der Vorderhörner und in der Umgebung des Central¬ 
kanals). Man fand sie ferner in der gliÖBen Randschicht (besonders in den Ein¬ 
trittsstellen der Pialsepten), im sogen. Spatium epispinale, zwischen den ependy¬ 
mären Zellen des Centralkanals und in einer großen Zahl in den perivaskulären 
Lymphräumen. Die Amyloidkörperchen zeigten nirgends eine Anordnung entlang 
den anatomischen Bahnen. Dagegen zeigten dieselben besonders an den Längs¬ 
schnitten mitunter eine sich deutlich den Gefäßen anschließende Säule. Nirgend 
ließ sich eine Abstammung dieser Körperchen von einer Nervenfaser feststellen. 
Die innere Struktur der Amyloidkörperchen ließ sich am besten an den nicht 
gechromten und in Paraffin eingebetteten Stücken studieren. Färbung: Alaun- 
hämatoxylin. (Jodgrün, Methylgrün, Methylblau, Safranin geben keine so klare 
Bilder.) Alle diese Farbstoffe geben den Körperchen ihre eigene Verfärbung, 
d. h. diese wird chemisch nicht umgewandelt. Nur nach Anwendung der Lugol- 
schen Lösung (1:3 Aqua) zeigten die Amyloidkörperchen eine sich von der gelben 
Umgebung scharf abhebende Färbung (stahlgrau). Bei Anwendung der Marchi- 
sehen Methode fand man in den Körperchen keine Körnung. Bei Immersion 
lassen sich im Innern der Amyloidkörperchen tiefer gefärbtere Kerne feststellen. 
In zahlreichen Kernen erkennt man noch ein Kernkörperohen. Die Verff. be¬ 
sprechen die Genese der Amyloidkörperchen und meinen, daß dieselben Zellen¬ 
strukturen darstellen, wobei es unentschieden blieb, ob diese Körperchen aus 


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Neurogliazellen (Redlich, Obersteiner) oder aus anderen Zellen abstammen. 
Das eine möchten die Verff. noch betonen, nämlich daß die Amyloidkörper eine 
gewisse Ähnlichkeit mit den Körnchenzellen zeigen. Die Abstammung der 
Corpora amylacea von den Nervenfasern wird von den Verff. entschieden ab¬ 
gelehnt. 

27) Über kombinierte Strangdegeneration des Rückenmarkes» von Dr. 

P. Salecker. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch. 

Bei einer 36jährigen, früher gesunden Frau, welche väterlicherseits psycho¬ 
pathisch belastet ist und welche drei normale Kinder hat, stellten sich im Anschluß 
an einen Abort die Symptome einer allmählich zunehmenden spastischen Lähmung 
beider Beine ein, wozu sioh nach einem Jahr leichte subjektive Sensibilitäts¬ 
störungen hinzugesellten. Nach 3 Jahren fand sich leichte Hypertonie der Arm¬ 
muskulatur mit lebhaften Reflexen, spastische Paraparesen der Beine mit ge¬ 
ringer Ataxie sowie an den distalen Enden der Extremitäten leichte Sensibilitäts- 
störungen für alle Qualitäten und Veränderungen der Tiefensensibilität an den 
Beinen. Reflexe an den unteren Extremitäten erhöht, Plantarreflexe in Babinski- 
scher Form vorhanden, Strümpellsches und Oppenheimsches Phänomen beider¬ 
seits gut auslösbar, unterer Bauchdeckenreflex = 0. Außerdem bestand beider¬ 
seitige Abblassung der temporalen Papillenhälfte, ohne daß eine sichere partielle 
Optikusatrophie angenommen werden konnte. Kurz nach der Aufnahme stellte 
sich ein Kopferysipel ein, woran die Patientin zugrunde ging. Die Wahrschein¬ 
lichkeitsdiagnose schwankte zwischen kombinierter Strangerkrankuug und multipler 
Sklerose. Bei der anatomischen Untersuchung fand sich im Verlauf des ganzen 
Rückenmarkes eine Erkrankung bestimmter Hinterstrangbahnen, die im wesent¬ 
lichen im Go 11 sehen Strang verläuft, der ganzen gekreuzten sowie ungekreuzten 
Pyramidenbahn und der Kleinhirnseitenstrangbahn. Und zwar handelt es sich 
um eine aufsteigende Degeneration der Pyramidenseitenstränge, Pyramidenvorder¬ 
stränge und Kleinhirnseitenstränge und um eine absteigende der Hinterstränge. 
Im Lendenmark waren auch die hinteren Wurzeln und die L iss au ersehe Zone, 
wenn auch nur schwach, afflziert, doch ist es nicht sicher, ob diese Veränderungen 
mit den genannten in Zusammenhang gebracht werden können. Wenn auch die 
Veränderungen der Hinterstränge in mancher Beziehung mit dem tabischen Prozeß 
Ähnlichkeit zeigen, so differieren sie doch in so wesentlichen Punkten, daß sie 
sicher als nicht tabisch aufgefaßt werden können. Histologisch fanden sich keine 
für entzündliche Prozesse charakteristische Veränderungen, so daß es sich nur 
um eine primäre Degeneration der großen FaserBysteme handeln konnte. Wie in 
allen bisher mitgeteilten Fällen primärer Strangdegeneration war die Intensität 
der Affektion eine wechselnde, was sich ja daraus erklärt, daß die Fasersysteme 
keine mathematisch begrenzten Bezirke einnehmen, und daß in deren Gebiet 
auch kurze Bahnen verlaufen. Im übrigen boten die festgestellten anatomischen 
Veränderungen eine große Übereinstimmung mit den klinischen Erscheinungen 
dar. Nur die Affektion der Kleinhirnseitenstränge verlief, wie sonst immer, 
symptomlos. 

28) A oase of asoending unilateral paralysis, by L. Newmark. (Journ. of 

Nerv, and Ment. Disease. 1906. März.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

23jähriger Patient klagt seit Sommer 1900 über zunehmende Schwäche im 

linken Bein und bald wieder vorübergehende Schwäche im linken Arm. Vor 
einigen Jahren Belten auftretende Kopfschmerzen, keine Lues. Objektiv fand sich 
Parese im linken Bein, am stärksten in den distalen Partien ausgesprochen, so 
daß der linke Fuß infolge der Extensorenparese etwas nach abwärts hing und 
die Zehen fast völlig gelähmt waren. Reflexe 1. > r., März 1901 Fußklonus links, 
Muskulatur des linken Beines schlaff und etwas atrophisch. Linker Arm gleich¬ 
falls etwas atrophisch. Juni 1903 sind alle Erscheinungen ausgesprochener, der 


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linke Arm fast völlig gelähmt, die Finger flektiert, der Daumen eingeschlagen, 
auch am Vorder- und Oberarm Extensoren wie Flexoren gelähmt, jedoch letztere 
stärker befallen. Facialisgebiet frei. Am Bein kein erheblicher Unterschied 
gegenüber der ersten Untersuchung. Keine Kontrakturen, aber Steigerung der 
Reflexe am linken Beine, Oppenheim scher Unterschenkelreflex links positiv, da¬ 
gegen Abschwächung der Reflexe am linken Arm. Sensibilität, Hirnnerven usw. 
normal. 

Verf. sieht in Beinern Fall ein Analogon zu dem Symptomenbilde, wie es 
zuerst von Mills, später von Patrick, Spiller, von diesem in Gemeinschaft 
mit Mills, Potts und ganz kürzlich wieder von Mills (in der Februarnummer 
des Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1906) als aufsteigende einseitige Paralyse 
beschrieben ist; doch unterscheiden sich die von diesen beschriebenen Fälle mit 
Ausnahme des Patrickschen Falles durch das Hervortreten von Spasmen, die 
in dem des Verf.’s wie in Patricks gänzlich fehlten. Auch war kein Fall 
in bezug auf die Lähmungserscheinungen so vorgeschritten, wie der hier be¬ 
schriebene. 

Verf. glaubt, daß es sich in seinem Fall um eine systematische Erkrankung 
des Rückenmarkes handelt, die die Zellen der Vorderhörner und die motorischen 
Bahnen befallen hat, aber in einer von der gewöhnlichen amyotrophischen Lateral¬ 
sklerose abweichenden Form. 

29) Amyotrophisohe Lateralsklerose kombiniert mit multiplen Hirnoysti- 

oerken, von Prof. E. Meyer. (Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLI. 1906.) 

Ref.: Heinicke (Großschweidnitz). 

Verf. macht uns in dieser Arbeit mit der Krankengeschichte und dem Autopsie¬ 
bericht einer unter den Zeichen der amyotrophischen Lateralsklerose verstorbenen 
Frau bekannt. Die etwa 63 Jahre alte Patientin zeigte gegen Ende ihres Lebens 
außer dem für die amyotrophische Lateralsklerose charakteristischen Symptomen- 
komplex Andeutungen von geistiger Störung, die in der Hauptsache in lautem 
und unmotiviertem Schreien, verbunden mit psychischer Unklarheit bestanden. 
Der Gang war nicht nur der bekannte spastisch-paretische, sondern zeichnete sich 
noch durch die Symptome der Pro- und Retropulsion aus; ebenso bestanden Schmerzen, 
die sonst bei der Lateralsklerose ebenfalls selten sind. 

Die Sektion ergab multiple Cysticerken in Zotten- oder Polypenform, also in 
recht eigentümlicher Anordnung, an den Hirnhäuten, dergestalt, daß die der Dura 
zuerst anhaftenden Cysticerken mit der Pia allmählich verwachsen waren; die da¬ 
durch infiltrierte Pia haftete wieder stärker dem eigentlichen Hirngewebe an. Es 
ist wohl nicht von der Hand zu weisen, daß die obenerwähnten, niobt zum Bilde 
der amyotrophischen Lateralsklerose gehörenden Symptome, als abnormes psychi¬ 
sches Verhalten, Pro- und Retropulsion, Schmerzen, wahrscheinlich den Cysticerken 
ihre Entstehung verdanken; finden sich doch bei ihnen gerade eigentümliche Gang¬ 
arten, wie Hüpfen, Springen, Tänzeln u.s. f. 

Von den weiteren anatomischen Befunden bot die Ausdehnung der Degene¬ 
ration, sowie die Veränderung der Ganglienzellen nichts, was von dem gewohnten 
Bilde abweicht. Dagegen war die in diesem Falle beobachtete Gefäßveränderung 
wenigstens in gewisser Hinsicht neu. Man fand nämlich am Rückenmark und 
noch mehr in der Medulla oblongata und der Pons eine starke adventitielle 
Infiltration an den großen Gefäßen, die aus Lymphocyten und Plasma- 
zellen bestand, während sie an den kleineren ausschließlich von Plasmazellen 
gebildet wurde. Die Bilder ähneln also ganz und gar denen, die wir an Gehirnen 
von Paralytikern gewöhnt sind. 

Verf. ist der Meinung, daß diese Befunde den Ausdruck eines chronisch- 
entzündlichen Prozesses auf vaskulär-toxischer Basis bedeuteten; zum Schluß 
weist er noch auf die Anhäufung von Leukocyten in den Gefäßen hin; sie sind 

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ein Zeichen akuter Entzündung, also unabhängig von der amyotrophischen Lateral¬ 
sklerose. Ob sie auf die Cysticerken zurückzuführen sind oder ob die unter¬ 
bliebene Sektion der inneren Organe ihre Anhäufung erklärt hätte, bleibt un¬ 
entschieden. 


Psychiatrie. 

30) Kasuistischer Beitrag: Außergewöhnliche Hypermnesie für Kalender¬ 
daten bei einem niedrigstehenden Imbezillen, von J. van der Kolk und 
6. J. B. A. Jansens. (Allg. Zeitscbr. f. Psycb. LXII.) Bef.: Zingerle (Graz). 
35jähriger Imbeziller, bei dem der Kontrast zwischen der hohen Entwicklung 
des Gedächtnisses für einige nichtssagende Dinge und dem tiefen Niveau seiner 
sonstigen intellektuellen Fähigkeiten merkwürdig ist. 


31) Die hygienische Ausgestaltung der Hilfsschule. Versuoh einer syste¬ 
matischen Darstellung der Hilfssohulhygiene, von Moses. (Intern. Archiv 

f. Schulhygiene. III. 1906.) Ref.: H. Yogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. gibt eine zusammenfassende Darstellung der Hilfsschulhygiene. Für die 
Hilfsschule hat die Hygiene eine ganz besondere Bedeutung, da ja die körper¬ 
lichen Defekte, schlechter Zustand der Ernährung, Belastung und damit Prädispo- 
sition zu somatischen Krankheiten aller Art gerade hei den Hilfsschülern eine 
große Bolle spielen. Den daraus sich ergebenden Anforderungen ist nur auf dem 
Wege der Centralisation und Selbständigkeit der Hilfsschule (anstatt der Hilfs- 
klassen ein Anhang der Volksschulen) zu genügen; die bauliche Anordnung eines 
entsprechenden Gebäudes wird erörtert, besondere Beachtung verdienen die wohl¬ 
begründeten Forderungen nach Schulbädern, Trink- und Waschanlagen, Erholungs¬ 
halle, Turnhalle, Handfertigkeitssälen, Kochschule und Schulgarten. Ein weiterer 
Abschnitt behandelt die Unterrichtshygiene: die Heilpädagogik ist ein Zweig der 
Hygiene. Die große Bedeutung des Individualisieren wird betont, hingewiesen 
auf die große Ermüdbarkeit der Debilen (Beachtung der Schlafzeiten). Yerf. gibt 
hier einige wertvolle Ratschläge für den Unterricht sowohl allgemeiner Art (Vor¬ 
mittagsunterricht, halbstündige Lektionsdauer, Pausenbemessung), als auch hinsicht¬ 
lich der Behandlung der Lernstoffe. Mit Recht betont Yerf., daß der Hand- 
fertigkeitsunterricht immer mehr zum Mittel und Ausgangspunkt der gesamten 
Erziehung und geistigen Fortbildung werden muß (dieser völlig richtige Grund¬ 
satz hat auch Giltigkeit für die Anstaltsbehandlung der Schwachsinnigen; Ref.); 
bei den Mädchen erweist sich der Werkunterricht als eine brauchbare Vorstufe 
(da er den Gebrauch der Hände usw. übt) für die Haus- und Handarbeit. Hin- 
gewiesen sei auf die Ausführungen über Turnunterricht, Ferien, Berufswahl. 
Schließlich bespricht Yerf. die rein schulärztliche Tätigkeit und ihre Aufgaben. 
Yerf. führt hier die Wichtigkeit im Zusammenarbeiten von Arzt und Lehrer vor, 
bespricht einzeln eine Reihe medizinischer Themata, besonders Tuberkulose, Hygiene 
der Sinnesorgane usw., dann die Neurosen und psychischen Störungen (vom In¬ 
telligenzdefekt abgesehen), für die alle das Material der Hilfsschule reiche Ge¬ 
legenheit zur Beobachtung bietet. 

Noch besonders verwiesen sei auf eine Reihe von Fragen mehr sozialer Art, 
die gestreift sind, die Beziehung zur Anstaltsfürsorge, zur Fürsorgeerziehung, zur 
Berufswahl, zum Heeresdienst, zur sozialen Tätigkeit charitativer Institutionen. 
Die übersichtliche und interessante Schrift bietet eine vortreffliche Wiedergabe 
des derzeitigen Standes der Angelegenheit in einheitlicher Darstellung und mit 
der Anregung zu neuen humanitären, sozialen und hygienischen Aufgaben. 


32) Die Wirkung der Beschäftigungstherapie hei abnormen Kindern, von 

Th. Heller. (Verhandl. d. Ges. f. Kinderheilk. Meran 1905.) Ref.: Neter. 


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Aus der großen Zahl derjenigen pathologischen Zustände, bei denen die sog. 
Beschäftigungstherapie außerordentlich günstige Resultate aufweist, bespricht Verf. 
nur einige Formen. Er weist auf die guten Erfahrungen hin bei hysterischen 
Kindern, bei der Behandlung der Masturbation, der ticartigen Störungen und bei 
der Behandlung psychasthenischer Kinder. 


111. Aus den Gesellschaften. 

Sooiötd de neurologie de Paris. 

Sitzung vom 10. Januar 1907. 

Herr Lenoble und Herr Aubineau: Mikroskopische Untersuchung des 
Nervensystems und der Organe in einem Fall von Nystagmus-Myoklonie. 

Die Vortr. haben im vergangenen Jahr in der „Revue de medecine“ einen eigen¬ 
artigen Fall von Erkrankung des Nervensystems veröffentlicht, welchen sie mit 
dem Namen Nystagmus-Myoklonie getauft haben. Jetzt teilen sie der Gesell¬ 
schaft die Resultate der mikroskopischen Untersuchung des Nervensystems bei 
diesem Kranken mit. Es ist zu bemerken, daß dieser Kranke gleichzeitig an 
chronischer interstitieller Nephrit» litt. Die Untersuchung des eentralen und 
peripheren Nervensystems ergab nichts charakteristisches für das Nervenleiden. 
Eis finden sich ganz banale Veränderungen, die man sonst auch in allen chro¬ 
nischen Intoxikationen, namentlich bei Nephritis, findet. Diese Autopsie gibt also 
durchaus keine Aufklärung über die Natur des Krankheitsbildes Nystagmus- 
Myoklonie. R. Hirschberg (Paris). 


IV. Vermischtes. 

Der XV11. Kongreß der Irrenärzte und Neurologen Frankreichs und 
der französisch sprechenden Linder findet vom 1. bis 7. August d. J. in Genf und 
Lausanne statt. Aus dem Programm heben wir folgendes hervor: 

Genf, am 1. August: Referat von M. Gilbert Ballet: L’expertise mödico-legale et la 
qnestion de responsabilite. — 2. August: Referat von M. Antheaume: Les psychoses pörio- 
diques. 

Lausanne, am 5. August: Referat von MM. Claude et Schnyder: Nature et ddfl- 
nition de l’hysterie. 


V. Personalien. 

Am 22. Mai d. J. starb im 56. Lebensjahre Sanitätsrat Dr. H. Wildermuth aus Stutt¬ 
gart. Von seinen zahlreichen Arbeiten sind besonders diejenigen bekannt geworden, welohe 
sich mit der Epilepsie und der Idiotie befaßten. Die Liebenswürdigkeit seines Wesens ist 
noch von der letzten Naturforscbervcrsaminlung in Stuttgart her bei allen denen in frischer 
Erinnerung, welche an den neurologischen Sitzungen des Kongresses teilnahmen. Auch 
dieses Centralblatt erfreute sich des öfteren seiner wertvollen Mitarbeit. 

Ehre seinem Andenken! 


VI. Berichtigung. 

ln d. Centralbl. 1907. S. 541, Zeile 14 v. o. muß es heißen: am oberen Halsmarke 
rechts statt links; Zeile 20 elektrische statt ataktische Störungen; Zeile 27 und 28 
rechten Arm, rechten Nacken, rechten Schläfe statt linken. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 


Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankow b. Berlin, Breitestr. 44. 


Verlag von Vbit & Comp, in I^ipzig. 

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Druck von Mbtzgbb & Wittio in Leipzig. 

Original fro-m 

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Neurologisches Centralblatt. 

• • 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

(unter Mithilfe von Dr. Kurt Mendel) 

Sechsandzwanzigster " B * rlln_ Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 


1907. 


1. Juli. 


Nr. 13. 


Vor gerade 25 Jahren schrieb der Herausgeber dieses Central* 
blattes bei dessen Begründung in dem Programm, daß das Neuro¬ 
logische Centralblatt nicht bloß dem Arzte ein getreues Bild des 
jeweiligen Standpunktes der Neuropathologie im weitesten Sinne 
geben, nicht bloß dem Forscher ein willkommenes Hilfsmittel bei 
seinen Arbeiten sein, sondern auch die Entwicklung der medizinischen 
Wissenschaft überhaupt fördern solle. 

Der Mann, der also schrieb und der treu und wahr, wie es 
seinem Charakter entsprach, dieses sein Programm eingehalten und 
erfüllt bat, ist nicht mehr. Am Vormittag des 23. Juni habe ioh, 
der ich mich mit Stolz sein Sohn, Schüler und Mitarbeiter nennen 
durfte, ihm die Augen für immer geschlossen, von ihm auf ewig 
Abschied genommen. 

Ein schweres Nieren* und Herzleiden hat seinem arbeitsreichen 
Leben ein Ende gemacht. Seit mehreren Wochen, da er merkte, 
daß die Krankheit seine Arbeitskraft zu lähmen begann, sehnte er 
den Tod herbei, denn einem Leben ohne Arbeit zog er den Tod vor. 
„Neue Nieren oder ein neues Herz kannst Du mir doch nicht er¬ 
setzen, laß mich also schnell sterben“, flehte er zu mir, als ich ihn 
auf ein baldiges Zurückgehen seiner Beschwerden zu vertrösten suchte. 

Die vorliegende Nummer des Neurologischen Centralblattes hat 
der nun Entschlafene noch redigiert, er schleppte sich mühsam zum 
Arbeitstisch hin und mit matten Augen überflog er schnell das ihm 
Vorgelegte: er wußte, daß es das letzte Heft ist, welchem er seine 
Mühe zu wenden konnte, ich ahnte es. — 

Edler, guter Vater, ruhe in Frieden! Ruhe aus von Deinem 
arbeitsreichen Erdenwallen! Dein Leben war ein besonders glück¬ 
liches. Deine Kranken haben Dich in wahrem Sinne des Wortes 
vergöttert; unvergleichbar und nicht zu schildern ist aber das, was 
Du den Deinen warst. 

Ruhe aus, heißgeliebter Vater! 

Dein treuer Sohn Kurt. 


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Inhalt. I. Originalmitteilung. Über die Ausfallserscheinungen nach Läsionen des 
Centralnervensystems, von Max Rothmann. 

II. Referate. Anatomie. 1. Le faisceau longitudinal inferienr et le faisceau optique 
central. Quelques considerations sur les fibres d’association du ceryeau, par La Salle* 
Archambault. — Physiologie. 2. Über den Schluckreflex nach der medianen Spaltung 
der Medulla oblongata, von Ishihara. — Pathologische Anatomie. 3. Contribution ä 
l’dtude anatomo pathologique de la ddmence precoce, par Zalplachta. — Pathologie des 
Nervensystems. 4. Zur Klinik der Rindentuberkulose. Die Tuberkulose des Nerven¬ 
systems und seiner Hüllen, von Hamoir. 5. La syphiiis spinale ä forme amyotrophique 
(type Aran-Duchenne), par Lappois et Porot. 6 . Über Kernteilungen in den Vorderhornzellen 
des Menschen, von Orzechowski. 7. Zur Klinik der Bauchmuskellähmungen auf Grund 
eines Falles von isolierter partieller Lähmung nach Poliomyelitis anterior acuta, von Stras- 
burger. 8 . Über die Prognose der akuten Poliomyelitis und ätiologisch verwandter Er¬ 
krankungen, von Wickman. 9. A case of myasthenia grayis pseudoparalytica with ade- 
noma of the pituitary body, by Tilney. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — XXXII. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte in 
Baden-Baden am 1. und 2. Juni 1907. 

IV. Vermischtes. 

V. Nachruf. 


I. Originalmitteilung. 

Über die Ausfallserscheinungen 
nach Läsionen des Centralnervensystems. 

Von Max Rothmann. 

Je mehr sich in den letzten Dezennien die Diagnostik auf dem Gebiete der 
Affektionen des Centralnervensystems verfeinert hat, je mehr sie vor allem den 
Neurologen fast täglich vor die Aufgabe stellt, dem Chirurgen am Oehirn oder 
Rückenmark die für einen Eingriff in Betracht kommende Stelle so genau als 
möglich zu bezeichnen, um so brennender ist auch die Frage geworden, in wie 
weit sich die bei Läsionen an irgend einer Stelle des Centralnervensystems auf¬ 
tretenden Ausfallserscheinungen für die lokale Diagnose verwerten lassen. Es 
ist ja eine bekannte Tatsache, daß bei plötzlich eintretenden Blutungen oder 
Erweichungen an einer Hirnpartie, noch mehr aber bei akuten Entzündungs¬ 
herden allgemeine Symptome von seiten des Centralnervensystems auftreten, 
die niohts mit dem Sitz der Erkrankung zu tun haben. Neben diesen unter 
dem Begriff des Shoks zusammengefaßten Erscheinungen kommt es aber in 
der menschlichen Pathologie oft auch zu anscheinend lokalen Symptomen, die 
dennoch nicht direkt von dem Erkrankungsherd abhängig sind, in vielen Fällen 
aber eine richtige Lokaldiagnose verhindern können. 

Will man diesen Erscheinungen beim Menschen gerecht werden, so muß 
man sich zunächst stets vor Augen halten, daß die Mehrzahl der zur Beobachtung 
gelangenden Herderkrankungen kein vorher absolut intaktes Centralnervensystem 
betreffen. Vor allem die Blutcirkulation zeigt häufig beträchtliche Störungen, 
die bei den schwereren Formen der Arteriosklerose so stark werden können, 
daß bereits ohne jede Herderkrankung Ausfallserscheinungen von kürzerer oder 
längerer Dauer auftreten, wie sie ja als transitorische Hemiplegien, Aphasien usw. 
in der Literatur bekannt sind. 

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Wird man sich diesen Ausfallserscheinungen gegenüber nicht immer vor 
lokalen Fehldiagnosen schützen können, so sind doch ungleich wichtiger und 
interessanter die Symptome, die bei Läsionen des vorher gesunden Nervensystems 
in mehr oder weniger großer Regelmäßigkeit auftreten, um bald schon 
nach einigen Tagen wieder zu verschwinden, bald auch längere Zeit an¬ 
zudauern. Ihnen stehen die dauernden Ausfallserscheinungen, die sogenannten 
Residuärsymptome, gegenüber. Doch ist es wohl kaum möglich, zwischen beiden 
Reihen eine absolut sichere Grenze zn ziehen. Denn mancher Funktionsausfall, 
der sich in der Regel als ein Residuärsymptom darstellt, kann unter besonderen 
Verhältnissen doch noch zum Schwinden gebracht werden, und umgekehrt be¬ 
obachtet man das Fersistieren in der Regel transitorischer Symptome. 

Aber ganz abgesehen von der Dauer der einzelnen Ausfälle, sind die transi¬ 
torischen Symptome nicht als eine einheitliche Gruppe zu betrachten. Es gibt 
solche, die als direkte Ausfallserscheinungen infolge der Läsion des Centralnerven¬ 
systems zu betrachten sind und nur allmählich durch andere Centren und 
Bahnen, die zum Ersatz herangezogen werden können, kompensiert werden; es 
gibt andere, die in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis von der geschädigten 
Partie des Centralnervensystems stehen und nur durch Fernwirkungen, die von 
dieser ausgehen, vorübergehend in die Erscheinung treten. Gerade diese 
letzteren Symptome sind der Ausgangspunkt sehr verschiedenartiger Erklärungs¬ 
versuche gewesen. 

Da man zur Aufklärung der hier obwaltenden Verhältnisse die Ausfalls¬ 
erscheinungen bei Läsionen eines vorher möglichst gesunden Centralnervensystems 
studieren muß, so sind die Ergebnisse des Tierexperimentes, das ja ausschließlich 
an jungen normalen Tieren angestellt wird, stets von besonderer Wichtigkeit 
gewesen. Vor allem Goltz (1) und seine Schüler haben bei den Folgen der 
Hirn- und Rückenmarksverletzungen streng zwischen den infolge der Operation 
dauernd gesetzten Ausfallserscheinungen und den durch Hemmung bedingten 
vorübergehenden Funktionsausfällen unterschieden. Nach einer Rückenmarks- 
durchsohneidung, nach einer Großhirnexstirpation übt der Heilungsprozeß der 
gesetzten Wunde eine andauernde Reizung aus, welche die tieferen Teile des 
Centralnervensystems trifft und auf ihre Tätigkeit hemmend einwirkt So ist 
das Fehlen der Reflexe im Lendenmark nach einer Durchschneidung des Brust¬ 
markes, die starke Herabsetzung derselben nach ausgedehnten Großhirnläsionen 
auf eine solohe Hemmung der intakten spinalen Centren durch einen von der 
Wunde aus fortgeleiteten Reiz zn erklären, nach dessen Fortfall das Lumbal¬ 
mark seine Funktion wieder aufnimmt 


Ist diese Auffassung richtig, so muß die Reflextätigkeit des Lendenmarkes 
nach Vernarbung der Hirn- bzw. Rückenmarkswunde wieder zur Norm zurück¬ 
gekehrt sein. Dem gegenüber hat H. Münk(2) nachgewiesen, daß die nach 
Rückenmarksdurchschneidung anfänglich fast ganz erloschene Reflexerregbarkeit 
des Lendenmarkes schon in den ersten Tagen nach der Operation anzuwachsen 
beginnt und mit dieser Steigerung bis etwa 6 bis 8 Wochen nach der Operation 
fortfährt, obwohl die Vernarbung der Wunde bereits nach 2 bis 3 Wochen er- 

88*gjnal frei”. 

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folgt ist Dazu kommt, daß dieses Ansteigen der Reflexerregbarkeit weit über 
die unter normalen Verhältnissen zu beobachtende Größe hinausgeht Es kommt 
infolgedessen bei den Hunden mit durchschnittenem Rückenmark zu ganz ab¬ 
normen Reflexerscheinungen, so z. B. dem von Fbeusbebg genauer studierten 
Taktschlagen der hinteren Extremitäten. Münk nimmt daher an, daß das 
vom übrigen Gentrainervensystem abgetrennte Lendenmark infolge der Aus¬ 
schaltung der nervösen Verbindungen mit dem ersteren innere Veränderungen 
erleidet, die zu der abnormen Erhöhung seiner Reflexerregbarkeit führen, die 
von ihm als „Isolierungsveränderungen“ bezeichnet werden. Ganz die¬ 
selben Verhältnisse ergeben sich dann auch bei der Totalexstirpation der Ex¬ 
tremitätenregion der Großhirnrinde, nur daß die Isolierungsveränderungen des 
Lendenmarkes wesentlich geringere sein dürften als bei der Rückenmarks- 
durchschneidung, entsprechend den ausgedehnten Verbindungen, welche jetzt 
dem Lendenmark mit den höheren spinalen und den cerebralen subkortikalen 
Centren noch zur Verfügung stehen. Auoh hier ließ die genauste Beobachtung 
keine Beziehungen zwischen der Wundheilung und der allmählichen Steigerung 
der Reflexerregbarkeit konstatieren. Hur für die erste Zeit nach der Operation, 
in der die Reflexe absinken, nimmt auch Munk eine Hemmung an, welche 
die Reflexcentren im Rückenmark von der Himwunde aus erfahren. In der 
Norm läßt Münk die Extremitätenregionen auf die mit ihnen duroh besondere 
Leitungsbahnen verknüpften Reflexcentren der gekreuzten Extremitäten einen 
zweifachen Einfluß ausüben. Sie bewirken, daß die Centren auf der am un¬ 
versehrten Tier zu beobachtenden Erregbarkeit verharren und nicht zu der ihnen 
selbständig zukommenden stärkeren Erregbarkeit ansteigen, und sie hemmen 
die Tätigkeit der Centren, wenn von der Großhirnrinde her eine Hemmung der 
Reflexe erfolgt. 

In einer seiner letzten Arbeiten ist dann Goltz (3) auf diese Verhältnisse 
zurückgekommen und hat sich der Munk’ sehen Anschauung, daß die Steigerung 
der Erregbarkeit nach Großhimverstümmelung nicht durch den Fortfall vorher 
bestehender Hemmung, sondern durch Änderungen in dem isolierten Rest des 
Gehirns und Rückenmarkes, die mit einer Erhöhung der Erregbarkeit einher¬ 
gehen, bedingt ist, im wesentlichen angeschlossen. 

In der Tat ist ja auoh die Vorstellung von aktiven Hemmungscentren und 
•bahnen im Centralnervensystem bisher so wenig gestützt, daß wir jeder Er¬ 
klärung der funktionellen Verhältnisse in demselben, die ohne eine solche An¬ 
nahme auszukommen vermag, den Vorzug geben müssen. 

Das Verhalten der spinalen Reflextätigkeit nach Hirn- und Rückenmarks¬ 
läsionen ist nun in der Frage der transitorischen Symptome verhältnismäßig 
von untergeordneter Bedeutung. Weit wichtiger ist die Frage nach der Aus¬ 
schaltung und der Wiederkehr der Bewegungen, wie sie vor allem bei dem 
Problem der Hemiplegie hervortritt. Es ist eine bekannte Tatsache, daß einer 
ausgedehnten Zerstörung der Extremitätenregion beim Menschen, vorwiegend im 
Bereich der Central Windungen, eine totale schlaffe Lähmung der gekreuzten 
Extremitäten folgt. Dieselbe ist aber keine dauernde; vielmehr kommt es zuerst 

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nach einigen Wochen im Bein, wesentlich später auch im Arm zu einer Wieder¬ 
kehr aktiver Bewegungen, die jedoch niemals die beim normalen Individuum 
vorhandene Vollkommenheit erreichen. MuB man hier gleichfalls annehmen, 
daß Centren, die vor&bergehend ihre Funktion vollständig einstellen, zu neuer 
Leistung eingeübt werden, so werden die Verhältnisse noch komplizierter, wenn 
wir sehen, daß bei den niederen Säugetieren die totale schlaffe Lähmung teils 
überhaupt nicht, selbst bei vollständiger Exstirpation des Großhirns, eintritt 
(Hund), teils nach wenigen Tagen bereits vorübergegangen ist (Affe). 

In neuester Zeit hat sich nun v. Monakow (4) bemüht, alle diese tempo¬ 
rären Ausfallssymptome und Restitutionserscheinungen durch Einführung des 
Begriffes der Diaschisis zu erklären. Er versteht darunter „eine vorüber¬ 
gehende (meist shokartig auftretende) Spaltung einer nervösen Leistung, die 
durch eine örtliche Unterbrechung oder Ausfall eines die Funktion dirigierenden 
oder wesentlich tragenden Faserzuges, bzw. Neuronengruppe neben der gesetz¬ 
mäßigen, residuären Spaltung erzeugt wird.“ Ist ein Erregungsbogen lädiert, 
so stellen andere Erregungsbogen, die normalerweise verhältnismäßig selbständig 
arbeiten können, die aber bei der Funktion des lädierten Erregungsbogens weit¬ 
gehend mit in Anspruch genommen werden, ihre Tätigkeit ein. Die Auhebung 
der spinalen Reflexe bei der Hemiplegie infolge einer Großhirnläsion, das Fehlen 
der Patellarreflexe nach frischer Unterbrechung des Dorsalmarkes, die vorüber¬ 
gehenden Hemianopsien bei schweren Apoplexien rechnet v. Monakow hierher. 
Die Diaschisis ist für ihn eine Form der Fernwirkung, die bis zu gewissen 
Grenzen den Charakter einer Gesetzmäßigkeit trägt. Neuronenverbände, die 
«ft vom Sitz der Erkrankung weit entfernt liegen, stellen in elektiver Weise 
and in physiologisch präformierten Komplexen ihre Tätigkeit ein. 

In ähnlicher Weise erklärt Kalischeb(5) die von ihm bei Großhirn- 
exstirpationen der Papageien beobachteten „nervösen Fernwirkungen“ durch eine 
Störung des Gleichgewichts der tieferen Centren (Thalamus usw.) infolge des 
durch größere Exstirpationen in einer Hemisphäre bedingten plötzlichen Fortfalls 
vieler zuführender Reize. Diese gestörte „Balance“ der Reize muß zur Wieder¬ 
aufnahme der normalen Funktion der tieferen Centren wieder hergestellt werden, 
selbst wenn die Großhirnreize nicht direkt für die tieferen Centren notwendig 
sind. Zum Beweise dafür, daß es sich nicht um wirkliche Ausfallserscheinungen 
handelt, hebt Kalischer zunächst den raschen Ausgleich der Störungen hervor, 
dann die weitgehende Übereinstimmung der Störungen bei sehr großen Ex¬ 
stirpationen, gleichviel wo sie stattfinden. Auch den vorübergehenden Ausfall 
sicherer Mittelhirnfunktionen, als deren Beispiel er die Akkomodation erwähnt, 
anmittelbar nach ausgedehnteren Operationen führt er hier an, ferner die ge¬ 
ringeren Störungen bei partieller, sukzessiver Entfernung eines größeren Gehira- 
teils als bei Exstirpation des Gesamtstückes. Endlich betont Kalibcheb, daß 
die hier vorübergehenden Störungen erst nach Verletzung des Mittelbirns sich 
dauernd einstellen. Er weist auf die Übereinstimmung seiner Anschauungen 
mit der v. MoNAKOw’schen Diaschisistheorie hin. 

Diese Diaschisis hat endlich v. Monakow (6) neuerdings auch für die Frage 


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der Aphasie, die ja durch die Arbeiten Marie’ s wieder in den Vordergrund des 
Interesses gerückt ist, zu verwerten gesucht Auch hier nimmt er an, daß die 
residuären Erscheinungen nach Läsion der Brooa’ sehen Windung nur in einer 
Verlangsamung des Sprechens und erschwerter Wortbildung bestehen, daß 
ebenso nach Läsion des WERNiCKE’schen Centrums nur eine Erschwerung des 
gesprochenen Wortes mit Paraphasie, Logorrhoe usw. auftritt, während die dar¬ 
über hinausgehenden, ihrer Natur nach vergänglichen aphasischen Erscheinungen 
indirekt durch Spaltung der Funktion im Sinn der Diaschisis zustande kommen. 
Die Wiederkehr der Sprachfunktion ist dann auf die Rückbildung der initialen 
Diaschisis znrückzuführen, während bei stabiler, kortikaler Aphasie das Gehirn 
die Diaschisis-Wirkungen nicht wieder auszugleichen vermag. 

Die Berechtigung dieser Diaschisistheorie für die Lehre von der Aphasie, 
welche, wenn sie zu Recht besteht, jedenfalls geeignet ist die herrschende An¬ 
schauung von den Sprachcentren tiefgehend zu erschüttern, ist sehr schwer zu 
prüfen. Eine Lehre, welche so weit von den anatomischen Feststellungen abrückt 
welche selbst die durch Diaschisis hervorgerufenen Ausfallserscheinungen bald 
als dauernde, bald als transitorische hinstellt, entsprechend einem nicht genauer 
zu umgrenzenden, mehr oder weniger leistungsfähigen Zustand der Großhirn¬ 
rinde, entzieht sich der genauen Feststellung. 

Um so wichtiger ist es, daß wir imstande sind, die Lehre von der Dia¬ 
schisis an einem anderen von v. Monakow herangezogenen Beispiel zu prüfen, 
an der durch Unterbrechung des cerebralen Pyramidenanteils hervorgerufenen 
schlaffen Lähmung der gekreuzten Extremitäten, v. Monakow nimmt an, daß 
bei plötzlichem Fortfall der Pyramidenbahn der zwischen cerebrospinaler Leitung 
und Vorderhornganglienzellen im Rückenmark eingeschobenen Schaltzelle eine 
wesentliche Erregungsquelle entzogen wird, so daß dieselbe auch auf die durch 
die intakt gebliebenen motorischen Kortex-Mittelhirn-Rückenmarksbahnen über¬ 
mittelten Impulse nicht mehr anspricht Es kommt also zu einer akuten in¬ 
direkten Beeinträchtigung der Erregbarkeit der Vorderhornzellen. Erst durch 
eine Neuordnung der erhaltenen Centren und Leituugsbahnen auf neuer, etwas 
veränderter Grundlage tritt eine Wiederaufnahme der Funktion ein. So kommt 
es anfangs zu der bekannten schlaffen Hemiplegie mit der späteren Restitution 
bis zum Residuärtypus. 

Wollen wir mit v. Monakow auch annehmen, daß es sich hier bei der 
menschlichen Hemiplegie tatsächlich um eine Zerstörung der Pyramidenbahn bei 
Erhaltensein der von der Hirnrinde über das Mittelhirn zum Rückenmark ge¬ 
langenden Neuronenverbände handelt — in Wirklichkeit sind fast immer Amt¬ 
liche, die Hirnrinde kortikofugal mit den tieferen Centren des Gehirns und 
Rückenmarkes verbindende Leitungsbahnen unterbrochen — so wird man doch, 
wenn das Gesetz der Diaschisis zu Recht besteht, dieselben oder doch annähernd 
gleiche Verhältnisse bei den höheren Tieren erwarten müssen. Es ist hier also 
die Möglichkeit einer experimentellen Nachprüfung auf die Richtigkeit der Dia¬ 
schisistheorie hingegeben. 

In den letzten Jahren biu ich nun andauernd mit derartigen Ausschaltungen 

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der Pyramidenbahnen in den verschiedensten Kombinationen bei den Affen be¬ 
schäftigt gewesen. Stablikgeb (7) hatte ja bei den Hunden den Nachweis ge¬ 
führt, daß Durchtrennung der Pyramiden von keiner motorischen Ausfalls¬ 
erscheinung gefolgt ist Hitzig (8) hat bereits darauf hingewiesen, wie wenig 
diese Tatsache mit der Diaschisistheorie zusammenstimmt. Immerhin konnte 
man bei der verhältnismäßig schwachen Ausbildung der Pyramidenleitung und 
der starken Entwicklung der Mittelhim-Rückenmarksbahnen das Ausbleiben der 
Diaschisis beim Hunde einigermaßen erklären. Gdfcz anders liegen die Dinge 
aber beim Affen; hier sind die anatomischen und physiologischen Verhältnisse, 
vor allem hinsichtlich der oberen Extremitäten, den menschlichen weitgehend 
angenähert Trotzdem läßt sich, wie ich an anderer Stelle ausführlich aus¬ 
einandergesetzt habe (9), bei ein- oder doppelseitiger Ausschaltung der Pyramiden¬ 
leitung sofort nach der Operation das Erhaltensein der motorischen Funktion 
bis zu den feinsten isolierten Fingerbewegungen konstatieren. Ja auch bei ge¬ 
meinschaftlicher Ausschaltung der Pyramidenbahn und des rubrospinalen Bündels 
sind trotz starker Herabsetzung der motorischen Kraft bereits am Tage der 
Operation isolierte Arm- und Fingerbewegungen an dem betreffenden Arm vor¬ 
handen, und das sogar, wenn die kortikale Armregion derselben Seite und damit 
die Pyramidenleitung für den anderen Arm vorher ausgeschaltet worden ist. 

Diese Operationen am Affen lassen also von einer Diaschisis im v. Honakow- 
schen Sinne nichts erkennen; im Gegenteil, es ist erstaunlich, wie selbst bei 
äußerster Einengung der Leitungsbahnen der Impuls von der Großhirnrinde 
zum Bückenmark zu gelangen vermag. Es hat sich dabei herausgestellt, daß 
die extrapyramidale Leitung durch den Vorderstrang allein zur Aufrechterhaltung 
der Funktion genügt. Nach den mit Mabchi behandelten Präparaten mit 
Vorderstrangdegeneration scheint es aber nicht, daß die in die graue Substanz 
einstrahlenden Kollateralen der motorischen Vorderstrangsbahnen sich an der 
Basis der Vorderhömer in der Weise aufsplittern, wie es sich bei der kortiko- 
spinalen und rubrospinalen Seitenstrangsbahn konstatieren läßt. Sie scheinen 
vielmehr direkt an die Vorderhornganglienzellen heran zu treten. Die Lahm¬ 
legung der für die Pyramidenbahn in Betracht kommenden spinalen Schalt¬ 
zelle dürfte daher für die Leitung durch die Vorderstrangbahn von keiner Be¬ 
deutung sein. 

Will man also für den Menschen die Diaschisis bei Ausfall der Pyramiden¬ 
bahn retten, so müßte man hier ganz andere Gesetze für die Übertragung der 
Funktion von der Großhirnrinde zum Rückenmark annehmen als beim Affen. 
Damit würde aber gerade der physiologische Grundchatakter dieser Theorie auf¬ 
gegeben werden müssen. 

Haben wir hier die Verhältnisse bei Unterbrechung der motorischen 
Leitungsbahnen betrachtet, so sind die Schwierigkeiten nicht geringer, wenn wir 
die Zerstörung der motorischen Hirnrindencentren selbst ins Auge fassen. Ein 
Hund, dem eine oder selbst beide Extremitätenregionen entfernt worden sind, 
zeigt den Verlust bestimmter Bewegungen; aber in der groben Lokomotion ist 
er nicht gehemmt. Ja selbst der Goltz’ sehe großhirnlose Hund konnte nach 

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Überwindung der ersten Prostration sich leidlich sicher fortbewegen. Beim Affen 
kommt es nach Exstirpation einer Armregion allein bereits am nächsten Tage 
zu schwachen Gemeinschaftsbewegungen des betreffenden Armes; nach Exstir¬ 
pation der ganzen Extremitätenregion vergehen höchstens einige Tage bis zum 
Wiederauftreten der Gemeinschaftsbewegungen. Beim Menschen dagegen kehren 
die ersten aktiven Bewegungen erst mehrere Wochen nach der Zerstörung der 
Großhirnrinde wieder. Also auch hier fehlt jede auf Diaschisis zu beziehende 
Störung beim Hunde; sie 0t kaum angedeutet beim Affen, während sie beim 
Menschen in schwerster Form nachweisbar ist. Auch hier müßte man also für 
den Menschen weit schwerere und ausgedehntere Diaschisiswirkungen annehmen 
als bei den höheren Tieren, und gerade dem menschlichen Gehirn ungenügende 
Fähigkeiten zur Überwindung derselben zuschreiben. 

Daß bei alten, in der Ernährung ihres Gehirns bereits geschädigten In¬ 
dividuen nach Hirnläsionen schwerere und ausgedehntere Ausfallserscheinungen 
auftreten, als bei den jungen zu Experimenten verwandten Tieren, das ist selbst¬ 
verständlich und von uns bereits im Beginn unserer Betrachtungen gewürdigt 
worden. Mit einer gesetzmäßigen, auf physiologischer Basis aufgebauten Dia- 
schisiswirkung haben diese Alterserscheinungen aber nichts zu tun; auch kann 
man leicht feststellen, daß auch bei jugendlichen, vorher völlig gesunden 
menschlichen Individuen dieselben schweren Ausfallserscheinungen nach Zer¬ 
störung der motorischen Rindencentren oder der motorischen Leitungsbahnen 
auftreten. 

Um diese spät einsetzende Restitution aktiver Bewegungen beim Menschen 
und die weitgehende Abweichung von den bei höheren Tieren obwaltenden Ver¬ 
hältnissen zu erklären, hatte ich bereits vor mehreren Jahren auf die erneute 
Einübung der phylogenetisch alten subkortikalen Hirncentren zu selbständiger 
Funktion bingewiesen (10). Wir verdanken den grundlegenden Arbeiten 
v. Monakow’ s (11) die Kenntnis, daß die unterhalb des Großhirns gelegenen 
Centren des Centralnervensystems je nach ihren Beziehungen zum Großhirn in 
direkte und indirekte Großhirnanteile und in Niohtgroßhirnanteile zu unter¬ 
scheiden sind, eine Einteilung, der nach dem früher oder späteren Auftreten der 
Centren in der Tierreihe ungefähr die Trennung in phylogenetisch junge, mittelalte 
und alte Anlagen entspricht. In der aufsteigenden Tierreihe vollzieht sich nun die 
Entwicklung derart, daß die Nichtgroßhirnanteile, die phylogenetisch alten Centren, 
mit zunehmender Entwicklung immer mehr in ihrer anatomischen Entwicklung 
und ihrer physiologischen Bedeutung zurückgedrängt werden oder auch sich za 
indirekten Großhirnanteilen entwickeln. Die letzteren stehen bereits in ihrer 
Funktion unter dem Einfluß des Großhirns und zeigen nach Entfernung des 
letzteren eine Schädigung ihres anatomischen Aufbaues. Immerhin wohnt ihnen 
eine gewisse anatomische und wohl auch physiologische Selbständigkeit inne. 
Sie entsprechen den phylogenetisch mittelalten Anlagen. Über sie hinaus ent¬ 
wickeln sich dann die direkten Großhirnanteile als die phylogenetisch jüngsten 
subkortikalen Centren; sie sind in ihrer ganzen Existenz an die anatomische 
Intaktheit und normale Funktion des Großhirns gebunden und gehen zugrunde, 

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wenn der ihnen übergeordnete Abschnitt der Großhirnrinde entfernt ist In 
diese Kategorie gehören vor allem die sämtlichen Kerne des Thalamns opticus. 

Auf dem Boden dieser v. Monakow’ sehen Lehre hatte ich die Ausfalls¬ 
erscheinungen und die Restitutionsvorgänge nach Ausschaltung der kortikalen 
Extremitätenregion beim Menschen und den höheren Tieren derart zu erklären 
versucht, daß die motorischen Mittelhirncentren, die in einer phylogenetisch 
alten Epoche und auch im embryonalen Stadium der höheren Säuger zu selbst¬ 
ständiger motorischer Funktion befähigt sind, diese Selbstständigkeit aber 
weiterhin zugunsten der kortikalen motorischen Centren aufgeben müssen und 
sich mehr oder weniger zu indirekten Großhirnanteilen umgestaltet haben, jetzt 
aufs neue, unter dem Zwange des Fortfalls der motorischen Rindencentren, ihre 
phylogenetisch alte Selbständigkeit wieder zu gewinnen vermögen. Dabei wird 
nun aber zwischen den verschiedenen Tierspezies, entsprechend dem Ausbau der 
Herrschaft der Großhirnrinde über das Mittelhirn, ein wesentlicher Unterschied 
hervortreten. Die niederen Tiere, bei denen die Mittelhirncentren trotz der Ent¬ 
wicklung der Großhirnrinde zu keiner Lebensperiode aufgehört haben, selbst¬ 
ständige Funktion auszuüben, werden auch nach Fortfall der Rindencentren 
keinen wesentlichen Ausfall erkennen lassen. Bei höheren Säugetieren, z. B. 
dem Hund, arbeiten zwar unter normalen Verhältnissen die subkortikalen 
motorischen Kerne im wesentlichen unter dem Einfluß der kortikalen Centren. 
Aber sie haben sich doch so viel von der phylogenetisch alten Selbständigkeit 
bewahrt, daß sie nach Fortfall der motorischen Rindencentren auf den all¬ 
gemeinen Impuls des Großhirns hin, ja schließlich sogar nach völligem Verlust 
des letzteren (Goltz) sofort eine motorische Funktion ausüben können. Weit 
mehr unter der Herrschaft des Großhirns stehen diese Centren bereits beim 
Affen, bei dem sie nach Verlust der ganzen Extremitätenregion zunächst nicht 
imstande sind, selbständig der motorischen Funktion vorzustehen. Aber bereits 
nach wenigen Tagen tritt unter dem Einfluß der zuströmenden sensorischen 
Reize der verschiedensten Art eine Neueinübung dieser subkortikalen Centren 
ein, die mit den MuNK’schen Isolierungsveränderungen zusammenfällt, und es 
kommt zur Auslösung von Gemeinschaftsbewegungen der Extremitäten. In ganz 
anderer Weise wie bei allen Tieren aber hat sich beim Menschen die Herrschaft 
der Großhirnrinde über die subkortikalen, phylogenetisch alten Centren aus¬ 
gebildet. Hier werden unter normalen Verhältnissen alle Impulse ausschließlich 
von der Großhirnrinde ausgesandt; alle Mittelhirncentren, selbst diejenigen, 
welche bei den höheren Tieren noch eine gewisse Selbständigkeit besaßen, sind 
zu Werkzeugen der Großhirnrinde herabgesunken. Beim Menschen kommt es 
daher nach Fortfall der kortikalen Extremitätenregion zu totaler schlaffer 
Lähmung; die motorischen Mittelhirncentren sind auf lange Zeit hin außer¬ 
stande, selbst unter dem Einfluß des allgemeinen Großhirnimpulses, irgend einen 
motorischen Reiz dem Rückenmark zn übermitteln, nicht weil eine ihnen nor¬ 
maler Weise zukommende Funktion ausgefallen ist, sondern weil sie ohne die 
von den motorischen Rindencentren kommenden Impulse keine Funktion zu 
leisten imstande sind. Dieses Fehlen jeder selbständigen Funktion ist für die 

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Mittelhimcentren des Menschen ein so absolutes, daß es einer andauernden Be¬ 
einflussung dieser Centren durch sensorische Impulse und einer durch unsere 
Untersuchungsmethoden nicht festzustellenden Umwandlung dieser Centren 
(Isolierungsveränderungen) von Wochen bis Monate lange Dauer bedarf, bis 
endlich die phylogenetisch alte Funktion dieser Centren, wenn auch nur in un¬ 
vollkommener Weise, wieder eingeübt worden ist. Dabei ist es fraglich, ob 
diese Centren bei vollkommener Abtrennung vom Qroßhim selbst diese geringe 
Funktion leisten können; der allgemeine Großhirnimpuls wird selbst nach 
völligem Ausfall der Extremitätenregion hier zur Anregung der subkortikalen 
Centren von wesentlicher Bedeutung sein. 

Ganz anders gestalten sich bei dieser Betrachtungsweise die Verhältnisse, 
wenn bei intakten Bindencentren nur die motorischen Leitungsbahnen unter¬ 
brochen sind. Bei allen höheren Säugetieren bis herauf zum Allen hebt die 
Unterbrechung der kortikospinalen Bahnen die motorische Rindenfunktion nicht 
auf, weil die intakte Leitung von der Hirnrinde über die Mittelhimcentren zum 
Rückenmark zur Erhaltung der Funktion völlig ausreicht Ob beim Menschen 
die isolierte Durchtrennung der kortikospinalen Bahn die motorische Funktion 
der Extremitäten völlig aufhebt, ist bisher nicht sicher erwiesen. Sollte es aber 
der Fall sein, so würde damit bewiesen sein, daß allein die kortikospinale Bahn 
imstande ist, beim erwachsenen Menschen die Impulse von der Extremitätenregion 
der Großhirnrinde dem Rückenmark ohne Unterstützung anderer Leitungsbahnen 
zu übermitteln, während die über das Mittelhirn gehende, mehrfach unter¬ 
brochene Leitung die ihr bei den höheren Tieren bis zum Affen herauf und in 
der Entwicklung des menschlichen Individuums zukommende selbständige 
motorische Funktion eingebüßt hat und erst nach Ausschaltung der kortiko¬ 
spinalen Bahn wieder von neuem, und zwar nur in unvollkommener Weise, 
erlernen kann. 

Diese Theorie von der Neubahnung phylogenetisch alter Centren 
und Leitungsbahnen erklärt also nicht nur den Ausfall und die Restitution 
nach Zerstörung bestimmter Abschnitte des Centralnervensystems, sondern ist 
auch geeignet, einen Einblick in die hier zwischen den verschiedenen Tierklassen 
bis zum Menschen herauf obwaltenden Unterschiede zu gewähren. 

Je mehr nun in einer Tierklasse die Herrschaft des Großhirns entwickelt 
ist, desto zahlreichere und desto tiefer in der phylogenetischen Entwicklung 
stehende Centren werden vom Großhirn abhängig. So kommt es, daß selbst 
die letzten selbständigen Funktionsäußerungen des Rückenmarkes, die Reflexe, 
in der aufsteigenden Tierreihe in eine gewisse Abhängigkeit vom Großhirn ge¬ 
raten. Die Patellarreflexe, die bereits bei Hund und Affe nach ausgedehnten 
Hirnherden anfangs Abschwächungen zeigen, verschwinden daher bei den mensch¬ 
lichen Apoplexien in der Regel anfangs vollständig, um weiterhin auf der 
Grundlage selbständiger oder doch nur von tieferen Hirncentren abhängiger 
Rückenmarksfunktion rasch über das Maß des Normalen hinaus anzusteigen. 

Die von Kalischeb (5) zugunsten der Diaschisiswirkung angeführten, 
oben aufgezählten Punkte stehen mit dieser Betrachtungsweise nicht in Wider- 

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sprach. Denn daß diejenigen Funktionen, deren Leitung die Mittelhirncentren 
wieder selbständig erlernen können, nur vorübergehend nach Großhirnläsionen 
aasfallen, erklärt sich hier ebenso wie die Tatsache, daß die Störungen nach 
Totalexstirpation eines Rindencentrums weit stärkere und länger andauernde 
sind, als nach mehreren Partialexstirpationen, bei denen die Mittelhirncentren 
Zeit haben, allmählich die geschädigte Funktion selbständig zu übernehmen. 
Auch ist es ein absolutes Postulat unserer Theorie, daß nach Verletzung des 
Mittelhirns die nach Rindenläsionen transitorischen Störungen zu dauernden 
werden. Was aber die Störungen nach sehr ausgedehnten Großhirnläsionen 
betrifft, so ist es wahrscheinlich, daß bei sehr weitreichender Verstümmelung 
des Großhirns auch die noch erhaltenen Abschnitte desselben, ob sie nun selbst 
in ihrer Ernährung geschädigt sind oder nur durch Verlust fast aller Ver¬ 
bindungen zum übrigen Großhirn in ihrer Funktion beeinträchtigt sind, der 
Herrschaft über das Mittelhim soweit verlustig gehen, daß die vorübergehenden 
Funktionsstörungen unabhängig vom Sitz der Läsionen eine weitgehende Über¬ 
einstimmung zeigen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß es sich bei 
den von Kalischee ausgeführten Operationen am Papageienhirn im wesentlichen 
nicht um Läsionen der Großhirnrinde, sondern des bei den Vögeln mächtig 
entwickelten Corpus Striatum handelt, wodurch möglicherweise eine größere Ab¬ 
hängigkeit der Mittelhirncentren von der Großhirnfunktion als bei den Säuge¬ 
tieren bedingt ist. Jedenfalls stehen die Resultate Kalischeb’s am Papageien¬ 
gehirn mit der soeben auf der Grundlage der an den höheren Säugetieren 
gewonnen Ergebnisse entwickelten Theorie nicht in Widerspruch. 


Hitzig (12) hat nun im Anschluß an seine an Hunden ausgeführten Unter¬ 
suchungen über den Mechanismus des Sehens die Anschauung entwickelt, daß 
unter ungünstigen Verhältnissen die Ausschaltung eines Teils der Sehrinde eine 
Hemmung der Tätigkeit des subkortikalen Ganglion geniculatum laterale be¬ 
wirkt, daß aber ferner bei einer im Gyrus sigmoideus, der motorischen Ex¬ 
tremitätenregion, gesetzten Läsion die in den motorischen subkortikalen Ganglien 
gesetzte Hemmung auf die subkortikalen optischen Centren übergreifen kann, 
und es derart ohne direkte Läsion der optischen Centren und Bahnen zu einer 
vorübergehenden Sehstörung kommt Die Hitzig’ sehen Resultate können aber 
bisher nicht als sichere gelten, da Nebenverletzungen nicht ausgeschlossen sind, 
ja nach den Edingeb’ sehen Untersuchungen von Gehirnen, die Hitzig operiert 
hat, sogar zweifellos vorhanden gewesen sind. Mir selbst ist es bei wiederholten 
Exstirpationen im Gebiet des Gyrus sigmoideus beim Hunde nicht gelungen, 
Sehstörungen festzustellen, ganz in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von 
H. Munk (13). Beim Affen habe ich dieselben gleichfalls niemals bei kleineren 
Exstirpationen im Gebiete der Extremitätenregionen beobachtet; bei Total¬ 
exstirpationen der Extremitätenregion oder doch wenigstens der Armregion konnte 
ich häufig in den ersten Tagen eine Hemianopsie konstatieren. Hier reicht 
aber die dorsale Grenze der Exstirpation direkt an den Gyrus angularis heran, 
ist also bei ausgiebiger Herausnahme unmittelbar der Sehstrahlung benachbart. 
Es handelt sich in diesen Fällen offenbar um eine direkte Schädigung der Seh- 


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Strahlung durch die Operation. Eine derartige weitreichende, indirekte Be¬ 
einflussung der verschiedenen subkortikalen Ganglien aufeinander, wie sie hier 
Hitzig annimmt, stimmt so wenig mit den sonst im Tierexperiment and in der 
menschlichen Pathologie gesammelten Erfahrungen übeiein, daß sie ohne 
zwingenden Grund nicht annehmbar erscheint 

Ist nun aber die Vorstellung von der Abhängigkeit phylogenetisch alter 
von phylogenetisch jungen Centren für die Betrachtung des Verhältnisses der 
Großhirnrinde zu den subkortikalen Mittelhirncentren äußerst fruchtbar gewesen, 
so ist die Frage berechtigt, wie sich denn non die Verhältnisse bei den gegen* 
seitigen Beziehungen der Centren der Großhirnrinde entwickelt haben. Gerade 
hier ist ja die Hirnforschung der neuesten Zeit nach dem Vorgang Flechsig’s 
eifrig bemüht gewesen, Differenzen in der Entwicklung der einzelnen Rinden- 
centren in der aufsteigenden Tierreihe und in dem Himaufbau des Einzel¬ 
individuums nachzu weisen. Flechsig (14) hat auf der Grundlage der von ihm 
ausgebauten myelogene tischen Untersuchungsmethode nach der früheren oder 
späteren Markreifung 36 Felder an der Großhirnrinde unterschieden, von denen 
die 12 Primordialgebiete bis zur rechtzeitigen Geburt sämtlich markhaltig sind 
und speziell als Sinnescentren mit reichlicher Projektionsfaserung anzusprechen 
siud. Diesen stehen die Intermediärgebiete (etwa 16) und die Terminalgebiete 
(6—8) gegenüber, die zum Teil erst nach der Geburt mit der Markreifung be¬ 
ginnen. Der größte Teil derselben gehört zu den Binnenfeldern, die der Pro¬ 
jektionsfasern fast ganz entbehren, dagegen frühzeitig mit Balkenfasern und 
ungekreuzten Assoziationssystemen versehen sind. Unter ihnen sind die den 
Primordialgebieten angelagerten Bandzonen und die im wesentlichen den Ter¬ 
minalgebieten entsprechenden Centralgebiete zu unterscheiden. Diese Binnen¬ 
felder faßt Flechsig als Assoziationscentren auf, unter denen die Terminal¬ 
gebiete als mnestische Centren den höchsten Rang einnehmen. Dieser Auf¬ 
fassung entsprechend zeigen die höheren Tiere eine weit geringere Entwicklung 
der Binnenfelder. 

Diese FLECHSiu’sche Lehre ist bei den Hirnanatomen vielfachem Wider¬ 
spruch begegnet Keinesfalls aber ist sie der experimentellen physiologischen 
Nachprüfung zugänglich. Die experimentelle Forschung hat bei den Tieren bis 
zum Affen herauf derartige übergeordnete, phylogenetisch jüngere Rinden- 
centren, deren Ausfall etwa die Funktion der phylogenetisch alten Rindencentren 
auf hebt, bisher nicht nachzuweisen vermocht (15) Wohl aber haben wir in der 
menschlichen Pathologie bei den aphatischen Störungen zusammenfassende, über¬ 
geordnete Rindencentren kennen gelernt So hebt z. B. der Ausfall des motori¬ 
schen Sprachcentrums, ob wir es nun lediglich in den Fuß der 8. Stirn¬ 
windung oder in einen ausgedehnteren Bezirk des unteren Stirnbirns lokalisieren, 
die für den sprachlichen Ausdruck notwendige Zusammenarbeit der motorischen 
Centren für Zunge, Lippen, Kehlkopf usw. auf, obwohl die diesen einzelnen 
Funktionen vorstehenden Centren dorsal von der 3. Stirnwindung im Oper- 
culum ihren Sitz haben. Aber jeder reine Fall von kortikaler, motorischer 
Aphasie zeigt aufs neue, daß das Abhängigkeitsverhältnis dieser motorischen 

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Centren im Opercalnm von dem Sprachcentrum der dritten Stirnwindung kein 
so weitgehendes ist, daß dieselben nach Ausfall des letzteren überhaupt funktions¬ 
unfähig werden. Für die einfache Phonation, für die Zwecke der Nahrungs¬ 
aufnahme usw. bleibt die Funktion dieser Centren völlig intakt trotz totalen 
Ausfalls derselben bei dem Versuch zum Sprechen. Ist hier in der Hirnrinde 
selbst eine derartige Abhängigkeit phylogenetisch alter von phylogenetisch jungen 
Centren, wie wir sie beim Menschen im Verhältnis der kortikalen zu den sub¬ 
kortikalen Centren gerade bei der motorischen Funktion kennen gelernt haben, 
nicht vorhanden, so fügt sich das obwaltende Verhältnis noch weniger den 
Gesetzen der Monakow’ sehen Diaschisis. Der Ausfall eines die Funktion diri¬ 
gierenden Erregungsbogens (motorisches Sprachcentrum) führt hier nicht zur 
Einstellung der Tätigkeit der anderen Erregungsbogen, die, obwohl sie bei der 
Funktion des lädierten Erregungsbogens weitgehend in Anspruch genommen 
werden, doch verhältnismäßig selbständig arbeiten können (Rindencentren für 
Zunge, Kehlkopf usw.). 

Nun hat aber v. Monakow dem Ausfall der Bboca’ sehen Windung 
überhaupt nur die Verlangsamung des Sprechens, die erschwerte Wortbildung, 
die hesitierende Sprache und nur bei großer Ausdehnung des Herdes Wort¬ 
stummheit ohne Agraphie zugeschrieben, während er alle anderen bei der kor¬ 
tikalen, motorischen Aphasie zu beobachtenden Symptome auf Diaschisis- 
wirkungen bezieht Auch hier soll der Ausfall eines umschriebenen Herdes in 
der Hirnrinde, indem er die von hier zu anderen für die Spraohfunktion wichtigen 
Rindencentren führenden Erregungsbogen unterbricht, den vorübergehenden Ausfall 
der Funktion in diesen direkt nicht geschädigten Gliedern und darüber hinaus 
auch noch in anderen mit diesen wiederum in Verbindung stehenden Gebieten 
herbeiführen können und so, vor allem bei herabgesetzter Restitutionskraft des 
Gehirns, die schwersten aphatischen und darüber hinaus auch apraktische, 
agnostische usw. Symptome zustande bringen. Kann auch einmal bei besonders 
fonktionskräftigem Centralnervensystem diese Diaschisiswirkung ausbleiben, so 
kann sie andererseits bei großer Debilität desselben lange Zeit andauern. 

Daß die verschiedenen durch Assoziationsfasern miteinander verbundenen 
Hirnrindencentren in einer gewissen Wechselwirkung zu einander stehen, so daß 
der Ausfall des einen Centrums auf den Ablauf der Funktion der übrigen einen, 
je nach dem Reichtum der Verbindungen wechselnden Einfluß ausübt, das ent¬ 
spricht den allgemeinen Anschauungen über die Tätigkeit der Großhirnrinde, 
deren höchste psychische Funktionen wir uns ja von der Gesamtarbeit des ganzen 
Kortex abhängig vorstellen. Bei Hunden zeigen die Versuche von Mabique(16) 
und Exnsb und Paneth(17) anscheinend, daß eine vollkommene Umschneidung 
der Regio sigmoidea, der Fühlsphäre der Großhirnrinde, d. h. also eine Ab¬ 
trennung der gesamten Assoziationsfaserung, dieselben Ausfallserscheinungen 
hervorruft wie die Abtragung dieses Hirnrindenteils selbst; allerdings ist hier 
der Einwand zu erheben, daß es Exneb und Paneth nicht gelungen ist, hierbei 
die Projektionsfaserung der Regio sigmoidea intakt zu erhalten. Aber selbst bei 
völliger Reinheit des Versuches würde es sich hier um eine totale Abtrennung 


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dieses Hirnrindenteils von der ganzen übrigen Hirnrinde, also um einen Ausfall 
der zuströmenden Erregungen bandeln, der mit den oben angenommenen 
Diaschisiswirkungen bei Ausfall eines Bindengebietes in der Sprachregion nicht 
zu vergleichen ist. 

In neuester Zeit ist aber durch eine Beobachtung der menschlichen Patho¬ 
logie der vollgültige Beweis geführt worden, daß die weitgehende Zerstörung der 
Assoziationsfaserung der selbst erhaltenen Armregion bei intakter Projektions¬ 
faserung keine Aufhebung der Funktion der betreffenden Extremität zur Folge 
hat Es handelt sich um den klassischen Fall von Apraxie, den Liepmann( 18 ) 
klinisch und anatomisch in genauester Weise zu fixieren vermocht hat. Hier 
hat die Autopsie gezeigt, daß ein subkortikaler Stimhirnherd die linksseitigen 
Centralwindungen zahlreicher Verbindungen zur Stirnhirnrinde beraubt hatte, 
während durch einen subkortikalen Herd im Scheitellappen und durch völligen 
Balkenschwund die Verbindungen zum Hinterhaupts- und Schläfenlappen sowie 
zur ganzen rechten Hemisphäre unterbrochen waren. Dagegen war die vordere 
Centralwindung ganz intakt, die hintere verschmälert mit Verminderung des 
Faserreichtums, aber ohne Herderkrankung. Die Projektionsfaserung der Central¬ 
windungen war nur durch einen zweiten, erst ein halbes Jahr ante exitum ein¬ 
getretenen Schlaganfall im hinteren Teil geschädigt, sonst intakt. Diesem ana¬ 
tomischen Befund entsprach nun keine Lähmung des rechten Armes, obwohl 
dessen Assoziationsfasern fast allseitig unterbrochen waren, sondern die Apraxie, 
deren wissenschaftliche Begründung wir der genauen Analyse dieses Falles 
durch Liepmann verdanken. Ja es bestand geradezu ein Bewegungsdrang für 
den rechten Arm, der die normalen Reaktionen des linken Armes ohne die 
Hilfe des Untersuchers völlig verdeckte. 

In diesem Fall hatte also die fast völlige Unterbrechung der Assoziations¬ 
faserung der linken Extremitätenregion die Bewegungsfähigkeit des reohten 
Armes zu keiner Zeit, auch nicht vorübergehend, aufgehoben. Nach dieser 
Erfahrung müssen wir es für unwahrscheinlich halten, daß ein kleinerer korti¬ 
kaler Herd allein durch Unterbrechung der von ihm zu einer anderen Him- 
rindenregion führenden Assoziationsfaserung diese außer Funktion setzt, es sei 
denn, daß der Ernährungszustand des Qehims letzteres bereits vorher an die 
Grenze der Leistungsfähigkeit gebracht hat. 

Aber gerade bei der Lehre von der Aphasie sehen wir, daß bei zwei 90 
eng verbundenen Centren, wie es die Centren für die Wortklänge und für die 
Lautbilder sind, die Unterbrechung des ersteren, in der ersten Temporalwindung 
gelegenen, bei der sensorischen Aphasie eine, wenn auch fehlerhafte Überfunktion 
des letzteren (3. Stirnwindung) unter dem Bild der Logorrhoe hervorruft. Der 
Nachweis eines sicheren anatomischen Befundes bei den transkortikalen Formen 
der Aphasie, die ja am ehesten der Erklärung durch Diaschisiswirkung zugäng¬ 
lich erschienen, wie er mir selbst bei der motorischen Form derselben (Licht- 
heim’ sehe motorische Aphasie) gelungen ist (19), engt das Gebiet der rein funk¬ 
tioneilen durch Diaschisiswirkungen erklärbaren Sprachstörungen noch mehr ein. 
Wenn tatsächlich bei genauer anatomischer Untersuchung das klinische aphatische 


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Bild sich häufig nicht mit den nachweisbaren Hirnveränderungen in befriedigender 
Weise deckt, so ist doch immer wieder darauf hinzuweisen, daß neben den zahl¬ 
reichen Rechtshändern, bei denen nur die linke Hemisphäre für die Sprache 
vollkommen eingearbeitet ist, neben den selteneren Linkshändern, bei denen 
trotz Erziehung zur Rechtshändigkeit die rechte Hemisphäre die gleiche Rolle 
für die Sprache spielt, eine nicht geringe Anzahl von Menschen vorhanden sein 
wird, bei denen zwar die angeborene Linkshändigkeit im späteren Leben durch 
die Erziehung völlig verwischt wird, trotzdem aber neben der linken die rechte 
Hemisphäre bei der Sprachfunktion weitgehend beteiligt und zu raschem Ein¬ 
treten bei Ausfall linksseitiger Sprachcentren befähigt ist. Alle verschiedenen 
überhaupt möglichen Kombinationen in der Zusammenarbeit beider Hemi¬ 
sphären werden hier Vorkommen und sind geeignet, die rasche Restitution der 
Sprache in dem einen Fall, die fast völlige Konstanz der Ausfallssymptom ein 
dem anderen zu erklären. 

Natürlich sind wir weit entfernt, einen schädigenden Einfluß des Ausfalls 
eines Himrindenabschnittes auf andere mit ihm in funktionellem Austausch 
stehende Abschnitte der Hirnrinde zu leugnen. Diese „Diaschisiswirkung“ wird 
sich aber niemals bis zu völliger Funktionsaufhebung in den nur indirekt von 
der Schädigung betroffenen Hirnrindencentren steigern, es sei denn, daß das 
Gehirn bereits, ehe die direkte Schädigung eintritt, in seiner Ernährung schwer 
beeinträchtigt ist. Unter solchen pathologischen Verhältnissen mag wohl einmal 
eine geringe Läsion an einer Hirnrindenstelle genügen, um andere Centren mit 
zum Ausfall zu bringen. Nur fällt das nicht mehr in den Rahmen einer physio¬ 
logischen, allgemein gültigen Erklärung dieser Verhältnisse, wie sie die 
Diaschisistheorie v. Monakow’ s angestrebt hat. 

Ob es allerdings bei dem verwickelten Bau der Großhirnrinde jemals 
möglich sein wird, für die Beziehungen der einzelnen aufeinander einwirkenden 
Gebiete derselben ein ähnliches gesetzmäßiges Abhängigkeitsverhältnis ent¬ 
sprechend dem phylogenetischen Aufbau zu entwickeln, wie es für die Be¬ 
ziehungen der Großhirnrindencentren zu den tieferen Hirncentren besteht, das 
erscheint sehr zweifelhaft. Jedenfalls ist aber neben den Störungen, die durch Zer¬ 
störung assoziativer Verbindungen in dem Ablauf der Rindenfunktionen zweifellos 
zustande kommen, der Ausfall bestimmter Funktionen durch Vernichtung oder 
Schädigung fest umschriebener Hirnrindencentren von ausschlaggebender Be¬ 
deutung. Damit ist aber die topische Hirndiagnostik, welche die Grundlage für 
den Ausbau der Himohirurgie bilden muß, weitgehend gesichert 


Literatur. 

1. Fe. Goltz, Pflüger’s Archiv. XIII n. XXXIV. — 2. H. Münk, Berichte der Kgl. 
Preoß. Akad. d. Wissensch. Phys.-matb. Klasse. XXXVI. 1892. — 8. Fe. Goltz, PflügePs 
Archiv. LXXVI. S. 411. — 4. C. v. Monakow, Asher-Spiro, Ergebnisse der Physiol. I. 
1902. 2. Abt. S. 563 u. Gehirnpathologie. 1905. 2. Anfl. S. 240. — 5. Otto Kalisoheb, 
Anhang za den Abhandl. d. Kgl. Prenß. Akad. d. Wissen ich. 1905. 8. 83. — 6. C. v. Mona¬ 
kow, Nenrolog. Centralbl. 1906. Nr. 22. — 7. Jos. Stabunobb, J&hrb. f. Psychiatrie. XV. 
8.1. — 8. Eduabs Hitzig, Phys. u. klin. Unters. Aber das Gehirn. Berlin 1904. Teil II. 
S. 587. — 9. M. Rothkann, Archiv f. Anat. u. Phys. 1907. Phys. Abt. 8. 217. — 10. Der- 


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608 


selbe, Berliner klin. Wochen sehr. 1902. Nr. 17 a. 18. — 11. C. v. Monakow, Qehirnp&tho- 
logie. 1905. 2. Aufl. S. 228. — 12. Ed. Hitzig, L. c. S. 584. — 13. H. Münk, Yerbandl. 
d. phya. Qea. za Berlin. 1901/02. Nr. 10 a. 11. S. 69. — 14. Paul Flechsig, Archiv f. 
Anat. n. Phya. 1905. Anat. Abt. S. 337 u. A. Tschebmak, Die Physiologie dea Gehirns. 
Nagers Handbach. IV. S. 129. — 15. H. Munk, Sitzangsber. der Kgl. Preaß. Akad. der 
Wias. Phya.-math. Klasse. LII, 1899; XXXVI, 1900; XLVIII, 1901. — 16. J.M.S.Mabique, 
These d’aggrdgation. Broxelles-Paris 1885. — 17. Siou. Exnbb and Jos. Pankth, PflögePs 
Archiv. XL1V. 1889. 8. 544. — 18. H. Libpmamn, Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. VIII 
u. XVII. — 19. M. Rothmann, Zeitschr. f. klin. Medizin. LX. S. 87. 


II. Referate. 


Anatomie. 


1) Le falsceau longitudinal inferieur et le faisoeau optique central. 
Quelques oonsideratlons sur les flbres d'assoelatlon du oerveau, par 

La Salle - Archambault. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriere. 1906. Nr. 27 
vgl. d. Centr. 1906. S. 271.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Es existiert ein Faserböndel, welches im Occipitallappen teils in der äußeren, 
teils in der inneren Schicht verläuft. Im Lobus oocipitalis nimmt es fast die 
ganze äußere Schicht ein. Dies FaBerbündel, welches fast die ganzen Stabkranz¬ 
fasern des Hinterhauptslappens repräsentiert, hat seinen Ursprung im Corpus 
geniculatum externum und endigt in der Fissura calcarina, besonders in deren 
unterem Abschnitt. Verf. schlägt für dieses Faserb&ndel die Namen vor: „cen¬ 
trales Opticusbündel“ (faisoeau optique central) oder besser noch „geniculo-calca- 
rines Bündel“. Man muß dieses Faserbündel trennen von den Assoziationsfasern, 
in deren Gebiet es verläuft. Aus Gründen der Bequemlichkeit geht der Vorschlag 
des Verf.’s dahin, daß man sagt: Im Fasciculus longitudinalis inferior sind ent¬ 
halten 1. das centrale Opticusfaserbündel, 2. Assoziationsfasern. 

Mag die Ausdehnung einer Läsion im Lobus occipitalis so groß sein wie sie 
will, jedesmal gleicht sie sich aus im vorderen Teil des Lobus temporal«. Verf. 
leugnet beim Menschen das Vorhandensein von langen Assoziationsfasern zwischen 
Lobus temporal« und Lobus occipitalis. 

Das Cingulum hat nicht die Funktion, die erste mit der zweiten Rand¬ 
windung zu verbinden, wohl aber verbindet es einzeln jede der beiden Rand¬ 
windungen mit den Windungen der medianen Fläche und der Seitenfläche der 
betreffenden Hemisphäre und vice versa. Das horizontale und das untere Segment 
(Beevor) des Cingulum setzen sich beide in den Lobus occipitalis fort, wo man 
sie Sachssches und Vicq d’Azyrsches Bündel nennt. Diese Bündel gehören 
also nicht eigentlich zum Lobus occipitalis, sondern sie gehören gleichzeitig zum 
Lobus temporalis; sie sind wegen der eigentümlichen Anordnung dieser Gegenden 
nicht leicht zu entdecken. Ebenso ist das senkrechte Occipitalbündel (Wernicke) 
nicht eigentlich zum Occipitallappen gehörig, sondern man findet es im Temporal¬ 
lappen wieder. 

Die hinteren Thalamusstrahlungen (parieto-ococipitale Strahlungen) und die 
unteren (teinporo-occipitale Strahlungen) entspringen von allen Windungen des 
Temporallappens, des Occipitallappens und von der hinteren Wandung des Parietal- 
lappens. 

Das Tapetum wird ganz von Balkenfasern gebildet, es enthält keine Asso¬ 
ziationsfasern. 

Die innere, sagittal gelegene Lage des Stabkranzes im Lobus fronto-parietal«, 
die Zona reticulata des Sachsschen Bündels, bildet ein Bündel von Projektions- 


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fasern, welches zur ersten Randwindung geht und vom Thalamus opticus her* 
kommt. 

Beim Menschen existiert kein occipito-frontales Assoziations¬ 
bündel, keine Faser der Hinterhauptsrinde gelangt in den Full des 
Hirnschenkels. Alle Fasern, welohe die hintere, untere Gegend der 
Hemisphären zum Pedunculus schickt, kommen aus dem Lobus tem* 
poralis heraus, besonders sind es Fasern aus der zweiten und dritten 
Temporalwindung. Diese Fasern setzen das sogen. TürkBche Bündel zu¬ 
sammen. 


Physiologie. 

2) Über den Bohluokreflex nach der medianen Spaltung der Medulla ob- 
longata, von M. Ishihara. (Centralbl. f.Physiol. XX. 1906. Nr. 13.) Ref.: 
Kurt Mendel. 

Verf. suchte festzustellen, wie der Schluckreflex an den beiden Seiten durch 
die mediane Spaltung der Medulla oblongata beeinflußt wird und ob die centri- 
petalen Schluckfasern sich in der Medulla oblongata kreuzen und mit dem ander- 
• seitigen Centrum in Verbindung stehen. Er experimentierte an Kaninchen und 
jungen Hunden und fand folgendes: 

1. Wenn bei intakter Medulla oblongata die peripheren Teile vollständig 
gespalten waren, so traten doch auf einseitigen Reiz reflektorisch auf beiden Seiten 
synchrone Schluckbewegungen auf. 

2. Wenn der Schnitt durch die Medulla oblongata die beiderseitigen Vago- 
glossopharyngeuskerne vollständig voneinander getrennt hatte, so war auf ein¬ 
seitigen Reiz stets nur eine reflektorische Schluckbewegung der betreffenden Seite 
zu erzielen. Dabei war es gleichgültig, ob die beiden Hypoglossuskerne durch 
diesen Schnitt in ganzer Länge oder nur der obere Teil derselben voneinander 
getrennt worden waren. 

Wenn durch den Schnitt zwar die beiden Hypoglossuskerne mit dem unteren 
Teile der Vagoglossopharyngeuskerne ganz getrennt wurden, der obere Teil des 
letzteren jedoch davon verschont geblieben war, so waren immer noch die beider¬ 
seitigen und synchronen Schluckbewegungen zu sehen. 

3. Wiederholt war eine Nachwirkung des Schluckreizes nach der medianen 
Spaltung der Medulla oblongata deutlich zu beobachten, während eine solche vor 
derselben kaum zu sehen war. 

Aus diesen Versuchen folgert Verf., daß die sensiblen Schluckfasern der einen 
Seite direkt in das Centrum derselben Seite gelangen, und daß auf Reizung der¬ 
selben auch das Centrum der anderen Seite in Erregung gerät. 

Für das Ergebnis sub 3 (Nachwirkung des Schluckreizes nach der Median* 
Spaltung der Medulla oblongata) nimmt Verf. an, daß eine Hemmung von der 
einen Seite auf das Centrum der anderen Seite ausgeübt wird, und daß diese 
Hemmung durch die Medianspaltung ausgeschaltet wird. 


Pathologische Anatomie. 

3) Gontribution a l’etude anatomo-pathologique de la demenoe precoco, 
par Dr. Jean Zalplachta. (Revista Stintelor mSdicale. 1906. Nr. 7 bis 10.) 
Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Die Untersuchungen des Verf.’s erstrecken sich auf vier Gehirne von Kranken, 
welche klinisch das Bild der Dementia praecox geboten hatten. In allen Fällen 
waren mit der Nisslschen Färbungsmethode Veränderungen an den zelligen 
El ementen der Großhirnrinde nachweisbar, welche sich im wesentlichen im Rahmen 
der bekannten chronischen Zellveränderungen Nissls hielten: Deformation der 


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! al frei”. 

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Zellumrisse mit allmählichem Verschwinden der chromophilen Substanz und Zu¬ 
nahme der Pigmentdepots. Stellenweise kommt es zu einem Ausfall ganzer Zell¬ 
gruppen bzw. zu einer starken Lichtung der einzelnen Zellschichten. Hand in 
Hand mit der Destruktion der Ganglienzellen geht eine Proliferation der gliösen 
Elemente, welche als Trabantzellen die erkrankten Ganglienzellen umrahmen und 
um so zahlreicher auftreten, je schwerer jene verändert sind. Die Gefäße sind 
von dem Prozeß nur wenig betroffen; auffällig sind Pigmentanhäufungen in den 
Bindegewebszellen der Wandung, speziell im Endothel und in der Adventitia, 
sowie im perivaskulären Lymphraum. Die Herkunft dieses Pigmentes ist zweifel¬ 
haft; möglicherweise steht es in einem Zusammenhänge mit dem Zerfall der 
Ganglienzellen. In den perivaskulären Räumen wurden ferner Lymphocyten (?) 
und gelegentlich auch Mastzellen gefunden. 

In Übereinstimmung mit Kraepelin und seinen Schülern hält Verf. seine 
histologischen Befunde für den Ausdruck einer Autointoxikation bzw. einer chro¬ 
nischen Infektion. Charakteristische histologische Unterscheidungsmerkmale gegen¬ 
über anderen organischen Psychosen sind nicht vorhanden; dagegen scheine in 
der Lokalisation etwas für die Dementia praecox Charakteristisches zu liegen. 
Es zeigte sich nämlich in allen Fällen, daß vorwiegend die Stirnlappen und die 
Centralregionen betroffen waren, während die occipitalen Partien relativ frei 
blieben. Besonders bemerkenswert sei die Tatsache, daß in den kranken Win¬ 
dungen nicht alle Zellschichten gleichmäßig verändert waren, sondern am 
meisten diejenigen, welche am tiefsten, d. h. dem Marke am nächsten gelegen 
sind, nämlich die großen Pyramiden und besonders die polymorphen Zellen. 


Pathologie des Nervensystems. 

4) Zur Klinik der Rindertuberkulose. Die Tuberkulose des Nervensystems 
und seiner Hüllen, von M. Hamoir. (Annales de m6d. v&t. 1906. S. 232 
u. 391.) Ref.: Dexler (Prag). 

Verf. publiziert in einer längeren Artikelserie seine Anschauungen hinsicht¬ 
lich der klinischen Diagnostik der tuberkulösen Erkrankungen des Nervensystems 
der Rinder, die er auf seine Beobachtungen der letzten 10 Jahre stützt. Als 
Hauptmoment stellt er die Tatsache hin, daß beim Rinde fast alle chronischen 
und subakuten Nervenerkrankungen tuberkulöser Natur sind. Generell lassen sich 
die cerebralen Affektionen von den medullären leicht auseinanderhalten. 

Bei der Mcningoencephalitis tuberculosa bovis sind die Initialsymptome sehr 
variabel. Sie setzen meist ganz unmerklich, seltener auch plötzlich ein. An¬ 
fänglich fällt nur eine gewisse Benommenheit auf, die aber bald einem klarer 
ausgesprochenen Symptomenkomplexe Platz macht. Die Tiere bewegen sich wenig 
und nehmen eine gezwungene Körperhaltung an: der Kopf wird gestreckt oder 
gebeugt oder seitlich verdreht gehalten. Der Umfang bestehender Gesichts- und 
Hörstörungen ist gewöhnlich wegen der tiefen Somnolenz nicht genau zu erheben. 
Der Gang wird unsicher, die Tiere stoßen an Objekte au, gehen schwankend und 
unkoordiniert, häufig auch im Kreise; auch Konvulsionen und selbst epileptische 
Krisen können Vorkommen, Diese Erscheinungen gestatten mit ziemlicher Sicher¬ 
heit eine richtige Diagnose zu stellen, namentlich dann, wenn in den zugänglichen 
Organen des übrigen Körpers Veränderungen tuberkulöser Natur aufgedeckt werden 
können oder wenn ein positiver Ausfall der Tuberkulinreaktion zur Verfügung 
steht. Bei der Gehirnhyperämie sind die Symptome viel tumultuarischer und ihr 
Verlauf viel rascher; auch gehen dem komatösen Stadium Aufregungszustände 
voraus. Bei der nichttuberkulösen Meningitis endlich beobachtet man einen plötz¬ 
lichen Beginn und paralytische Erscheinungen fieberhafter Art gepaart mit Nacken¬ 
krämpfen. 

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Bei der Myelitis bzw. Meningomyelitis tuberculosa bovis konstatiert man 
zumeist den Bestand einer sogen. Kreuzlahme von spezifisch rascher Progression. 
Das Zusammenspiel der Extremitäten wird hochgradig gestört und der Gang da¬ 
durch schwankend und unsicher. Das Aufstehen geschieht in unphysiologischer 
Weise: die Binder erheben sich ähnlich wie die Pferde mit dem Vorderteile 
voran. Sehr bald pflegen sich Paraplegien und Sphinkterenstörungen bemerkbar 
zu machen. Es kommt zu Dekubitalgangrän, unter deren Einflüsse das Allgemein¬ 
befinden immer mehr zurückgeht, bis nach Wochen oder Monaten der Tod eintritt. 

Vor diagnostischen Irrangen behütet uns in solchen Fällen der Nachweis 
eines tuberkulösen Habitus, die Ausschließung einer traumatischen Schädigung 
und die unzweifelhafte Progression der Erscheinungen. Endlich darf das Über- 
wiegen der abnormen Bewegungen der Wirbelsäule nach den Seiten hin gegen¬ 
über jenen der abnormen Beugung und Streckung in vertikaler Richtung, wie 
sie die Wirbeltuberkulose auszeichnen, nicht übersehen werden. 

Bei der Tuberkulose der Wirbel hängen die Funktionsstörungen zunächst 
von der Ausdehnung der Erkrankung, dem Grade der Bückenmarkskompression 
und der Dignität des lädierten Wirbels ab. Fast stets ist die Lumbar- oder die 
Thorakalwirbelsäule betroffen, wodurch übrigens in symptomatischer Beziehung 
kein wesentlicher Unterschied hervorgerufen wird. Der Beginn de& Leidens ist 
nur sehr schwer zu erfassen. Gewöhnlich entdeckt man etwaige motorische 
Störungen erst bei kurzen Wendungen der Kranken. Später konstatiert man 
wieder Kreuzschwäche, schlotternden Gang, starke Druckempfindlichkeit und eigen¬ 
tümliches Schwanken der Wirbelsäule, die hier weniger in seitlicher, als in dorso- 
ventraler Richtung oscilliert. Auch solche Kranke nehmen zuweilen eine hunde- 
sitzige Stellung ein und verharren oft längere Zeit in ihr. Die objektive Fest¬ 
stellung von Sensibilitätsstörungen mißlingt meist, wenn auch die Gegenwart 
solcher aus Analogien erschlossen werden muß. Als besonders wichtig hebt Verf. 
die hundesitzige Stellung hervor, die die Tiere beim Harnen einnehmen. Die 
Binder lassen sich fast ganz auf die Sprunggelenke nach Art urinierender junger 
Hunde nieder und verharren in dieser ganz auffallenden Haltung auch längere Zeit. 

6) La Syphilis spinale a forme amyotrophique (type Aran-Duohenne), par 

M.Lappois et A.Porot. (Rev.demed. 1906. Nr.7.) Ref.: Müll er (Breslau). 

Interessanter Sektionsfall der „amyotrophischen Form“ spinaler Syphilis. 
Beginn des Leidens 1899 mit Wurzelschmerzen, zuerst im linken, dann im rechten 
Arm. Muskelatrophie an der Hand (links stärker als rechts; Entartungsreaktion). 
Sehnenreflexe an den Armen fehlend, ebenso rechter Patellarsehnenreflex; der 
linke schwach. Achillessehnenreflexe auslösbar. Schwerhörigkeit durch Labyrinth¬ 
affektion. Orchitis fibrosa, tertiär-syphilitische narbige Zungenveränderungen. 
Spater Fortschreiten der Handatrophie auf den Oberarm, außerdem vasomotorische 
Störungen, encephalitiscbe Symptome, Lähmung des 4. Hiranerven rechts. Nach 
autisyphilitischer Behandlung Besserung, bzw. Stillstand des Leidens. In den 
letzten 4 Jahren leider kein genauer neurologischer Status; Autopsie im Jahre 
1905. Es fand sich vornehmlich eine Meningomyelitis specifica (namentlich im 
Bereich des unteren Halsmarkes), eine chronische Konvexitätsmeningitis mit einer 
Narbe in der vorderen Centralwindung. Die Verteilung der anatomischen Läsion 


im Bückenmarke erklärt gut das klinische Bild. Die Lokalisation im unteren 
Halsmark erklärt die Muskelatrophie an der Hand; in Übereinstimmung mit dem 
klinischen Bilde war die Meningomyelitis hier links stärker als rechts. Die 
Atrophie kam daher, weil die Meningomyelitis vorn und seitlich am stärksten war 


und demgemäß die vorderen Wurzeln in Mitleidenschaft zog. 

In Höhe der Lendenregion führte die Meningomyelitis zu Veränderungen der 
hinteren Wurzeln. Der Fall illustriert gut das Vorkommen einer fortschreitenden 
Muskelatrophie spinal-syphilitischen Ursprunges auf Grund einer besonderen Lokali- 

* Go. gle universTtTofuufornia 


’uuiv oi/tuui-oj Ui 

Go gle 



612 


sation der Meningomyelitis, die zur sekundären Beteiligung der entsprechenden 
▼orderen Wurzeln führt. 

6) Über Kernteilungen in den Vorderhornzellen des Menschen, von ▼. 0 rze- 
chowski. (Arb.a. d.neur.Inst.d.WienerUniv. 1907.) Ref.: Marburg(Wien). 
Seinen eigentümlichen Befunden schließt Verf. eine Übersicht über die gesamte 
das in Rede stehende Thema behandelnde Literatur an, die er kritisch sichtet. 
Nach den Ansichten des Verf.'s gibt es trotz vieler diesbezüglicher Annahmen 
bisher keinen überzeugenden Beweis, daß typische, progressive Vorgänge, sei es 
in den motorischen Vorderhornzellen oder den großen Pyramidenzellen und viel* 
leicht auch den Purkinjesohen Zellen, Vorkommen, während das für die ganz, 
kleinen Nervenzellen eher wahrscheinlich ist. 

Leider ist bei der Fülle von Details ein näheres Eingehen in diese Arbeit 
nicht möglich, zumal sie sicherlich die umfassendste dieser Art und die am 
meisten kritische ist. 


7) Zur Klinik der Bauohmuakellähmungen auf Qrund eines Falles von 
isolierter partieller Lähmung nach Poliomyelitis anterior acuta, von 

Priv.-Doz. Dr. Julius Strasburger in Bonn. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬ 
heilkunde. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

Ein 14jähriger Gymnasiast aus gesunder Familie erkrankt plötzlich unter 
anscheinend erheblichem Fieber und unbestimmten Allgemeinerscheinungen. Nach 
8 Tagen Klagen über große Schwäche und Mattigkeit, aber an den inneren Organen 
keine Abnormitäten. Einige Wochen später fällt eine eigentümliche Körperhaltung 
auf und es findet sich eine ganz isolierte, schlaffe Lähmung eines Teiles der 
Bauchmuskeln von symmetrischer Anordnung. Ernährung, Reflexe, Motilität und 
Sensibilität im wesentlichen normal. Eine Beschränkung der Lähmung auf die 
Bauchmuskulatur ohne Beteiligung der Extremitäten* und Rumpfmuskeln ist in 
jeder Beziehung ungewöhnlich und äußerst selten. Für die spezielle Diagnose 
einer derartigen Lähmung wird sowohl die Funktion der Bauchpresse als die 
Statik von Thorax und Becken untersucht und kritisch erörtert. Letztere Fähig* 
keit wird von den senkrecht wirkenden Muskeln ausgeführt, während die Regu¬ 
lierung der Bauchpresse vornehmlich den horizontal verlaufenden Muskelfasern 
zukommt. In dem vorliegenden Falle handelte es sich offenbar nur um eine 
Lähmung der s.enkrechten Muskeln. 

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß es sich um eine Polio¬ 
myelitis anterior acuta gehandelt hat. Es können zwei Arten von Bauchmuskel¬ 
lähmung Vorkommen, je nachdem die transversalen Muskeln betroffen Bind und 
dadurch die Bauchpresse geschädigt ist oder die senkrecht wirkenden Muskeln 
gelähmt sind und dadurch die Funktion der Beckenstatik, sowie des Körper- 
aufrichtens erschwert ist. Wahrscheinlich haben die senkrechten und die queren 
Muskeln gesonderte und räumlich weit auseinander liegende Kerne im Rücken¬ 
mark, so daß deren isolierte Zerstörung möglich ist. 

8) Über die Prognose der akuten Poliomyelitis und ätiologisch ver¬ 
wandter Erkrankungen, von IvarWickman. (Zeitschr. f. klin. Medicin. 
LXIII. 1907. Henschen-FeBtschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

Verf. hat eine Epidemie der Krankheit im Sommer und Herbst 1906 in 

Schweden beobachtet und wurde dann von der schwedischen Medizinalverwaltung 


mit der Bearbeitung des aus ganz Schweden eingelaufenen Materiales beauftragt. 
Die vorliegende Arbeit ist ein Teil einer später erscheinenden größeren Arbeit. 
Das Virus, das die spinale Kinderlähmung verursacht, ruft auch mehrere andere 
Krankheitszustände hervor, deren Zusammengehörigkeit mit der akuten Polio¬ 
myelitis nur unter epidemischen Verhältnissen klargelegt werden kann. Eine 
besonders vom epidemiologischen Standpunkt aus überaus wichtige Form bilden 


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die abortiven Fälle, die in wenigen Tagen zu voller Genesung führen ohne Läh- 
tnungen darzubieten. Verf. tritt, ohne selbst einen neuen Namen vorzuschlagen, 
für Namensänderung der Krankheit ein. 

Das Material besteht aus mehr als 1000 Fällen. Die Erfahrungen in Schweden 
haben gezeigt, daß die bisherige Anschauung über die Prognose der Krankheit 
(quoad vitam günstig, quoad sanationem completam ungünstig) nicht aufrecht 
erhalten werden kann. 

Die Prognose quoad vitam gestaltet sich naoh Verf. bei der akuten Polio¬ 
myelitis in nicht geringem Maße ungünstiger als man früher annahm und bei 
älteren Kindern und Erwachsenen ist sie viel schlechter als in den früheren 
Kinderjahren. 

Dagegen ist die Prognose quoad sanationem completam weit besser als all¬ 
gemein angenommen wird, sowohl in bezug darauf, daß zahlreiche Fälle ganz 
ohne Lähmungen verlaufen (abortive Formen), als auch in der Hinsicht, daß nicht 
wenige Fälle, bei denen Lähmungserscheinungen auftraten, zur völligen Genesung 
gelangen. Am 4. Krankheitstage ist das Leben am meisten bedroht. Haben die 
Kranken nur erst einmal die erste Woche überstanden, so ist auch große Aus¬ 
sicht vorhanden, daß sie mit dem Leben davonkommen. 

9) ▲ aase of myasthenia gravis pseudoparalytioa with adenoma of the 

pituitary body, by Frederick Tilney. (Neurographs. I. 1907. Nr. 1.) 

Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von Myasthenie, in welchem die Muskeln einen geringen Grad von 
Degeneration zeigten und wo ein Adenom der Hypophysis, und zwar im Lobus 
posterior derselben, gefunden wurde. Der Ursprung dieser Geschwulst war aber 
im Lobus anterior der Hypophysis zu suchen. Es fragt sich, ob nicht eine ge¬ 
wisse Beziehung besteht zwischen der Muskulatur einerseits und der Funktion der 
Hypophysis andererseits. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psyohiatrie und Nervenkrankheiten. 


• Sitzung vom 10. Juni 1907. 

1. Diskussion über den Vortrag des Herrn Förster (Sitzung vom 13. Mai, 
vgl. S. 537 d. Central bl.): 

Herr Jakobsohn bedauert, daß Herr Förster nur Zeichnungen seiner 
Präparate und nicht eine Anzahl von diesen Belbst demonstriert hat, besonders 
da es sich um verschiedene Phasen eines Prozesses handelt. J. fragt den Vortr. 
nach seiner Stellung zu der Frage der Existenz der perivaskulären hzw. peri- 
cellulären Räume, von deren Existenz er sich ebenso wie Nissl und Held, die 
sie für artefiziell hielten, nie habe überzeugen können, während Obersteiner, 
Schmauss, His u. a. sie für Lymphräume hielten. Er fragt, ob Vortr. in ihnen 
Tuschepartikelchen gesehen habe, die später fortgeschwemmt worden seien. Es 
interessiert ferner, die Ansicht des Vortr. über die Natur der etwas mysteriösen 
Gitterzellen zu hören. Handelt es sich bei ihnen um Körnohenzellen, die alles 
fremdartige entfernen, oder um nervöse Elemente? Von der Entscheidung dieser 
Frage hängt es ab, ob die Entfernung fremder Körper erst durch die Glia und 
dann die Gefäße vonstatten geht. 

Herr Förster glaubt, daß die Existenz perivaskulärer Räume jetzt wohl 
allgemein als nicht erwiesen angesehen werde. Die Gitterzellen stammen seiner 
Meinung nach nur aus Gefäßsprossen. 

2. Herr A.Leppmann: Die forensische Bedeutung der Zwangsvorstellungen. 
Zwangsvorstellungen schließen in den meisten Fällen die strafrechtliche Verajfr- 


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614 


-wortlichkeit nicht aus, da selbst dann, wenn sich die von ihnen Befallenen von 
dem durch sie erzeugten quälenden Drange durch Handlungen entlasten, diese 
Handlungen immer noch eine gewisse Wahl der Entschließungen und eine ge¬ 
wisse Hemmung bekunden. Es werden also die Fälle, wo die GesamtperBÖnlich- 
keit durch die Macht der Zwangsvorstellungen so überwunden wird, daß die freie 
Willensbestimmung als ausgeschlossen angesehen werden muß, so selten 6ein, daß 
der einzelne über wenig Beobachtungsmaterial verfügt und die besonderen Um¬ 
stände, aus denen auf eine willensausschaltende Macht der Zwangsvorstellungen 
geschlossen werden kann, am ehesten durch Zusammentragen der Erfahrung vieler, 
namentlich auch in nicht kriminellen Fällen, umgrenzt werden können. Die 
drängende Macht der Zwangsvorstellungen erreicht immer nur für kurze Zeit 
einen gewissen Höhepunkt, so daß zur Feststellung der Unzurechnungsiähigkeit 
nur solche Taten in Betracht kommen, welche kurzzeitig ausgeführt werden. 
Nach den Erfahrungen des Vortr. ist unter solchen Voraussetzungen von krank¬ 
haften Zuständen, auf deren Boden Zwangsvorstellungen eine willensausschließende 
Wirkung ausüben, keiner so wesentlich, wie die Epilepsie. Hier bilden Zwangs¬ 
handlungen, die aus Zwangsvorstellungen hervorgehen, bisweilen das Äquivalent 
einzelner Anfälle oder zeigen sich in einer längeren anfallsfreien Periode. Sodann 
kommen die schweren konstitutionellen Neurasthenien in Betracht^ aber 
diese doch nur selten und am ehesten dann, wenn sich die Kranken im Alter 
der Bückbildung, in der zuweilen früh einsetzenden Vergreisung befinden. 
Ähnlich ist es mit der Hysterie, welche in dieser Frage merkwürdigerweise 
aber eine geringere Bolle spielt. Alle anderen psychopathischen Zustände treten 
in dieser Frage völlig in den Hintergrund, namentlich auch die Imbezillität. 
Der Alkoholismus zeigt am ehesten noch dann seine Wirkung, wenn der Alko¬ 
holmißbrauch dazu dient, Zwangsgedanken zu betäuben. Vortr. erörtert dann noch 
die Frage, welche Bolle der Zwangsvorstellungskranke als wirklich Angeschul¬ 
digter spielt, ob er durch die Art seines Benehmens geschädigt wird. Er ver¬ 
neint dies im allgemeinen. Viel wichtiger sind die Nachteile, welche dem Kranken 
daraus erwachsen, wenn er ein gerichtliches Zeugnis ablegen muß. Es entstehen 
dann oft Unruhezustände, deren Rückwirkung auf das Individuum meist in keinem 
Verhältnis zu der Wichtigkeit des Zeugnisses 6teht. Hier wäre zu wünschen, daß 
zukünftige Prozeßordnungen mehr als die bisherigen auf derartige gesundheitliche 
Beeinträchtigungen Bücksicht nehmen. In zivilrechtlicher Beziehung ist zu er¬ 
wägen, ob nicht bei letztwilligen Verfügungen Zwangsvorstellungen, die von einer 
eigensüchtigen Umgebung geschickt benützt werden, eine Bolle spielen. (Der Vor¬ 
trag wird in der Ärztlichen Sachverständigen Zeitung veröffentlicht werden.) 

Autoreferat. 

Die Diskussion wird vertagt. 

3. Herr S. Salomon: Ein Fall von Hemlatrophia faoialis progressiva 
mit Augennervensymptomen. (Aus der Augenabteilung der Dr. H. Neumann- 
schen Kinder-Poliklinik.) Bei dem jetzt 9jährigen Mädchen wurde vor 3 Jahren 
von der Mutter die Ungleichheit der beiden Gesichtshälften bemerkt, die im 
letzten Jahre bedeutend fortgeschritten ist. Anamnestisch ist von Krankheiten 
nichts festzustellen, es hat auch angeblich kein Trauma stattgefunden, und es be¬ 
steht keine neuropathische Belastung. Dagegen hat die Mutter 3 mal abortiert, 
drei Kinder Bind in den ersten Lebensmonaten gestorben, drei Kinder leben. Die 
Hemiatrophie, die die linke Gesichtshälfte einnimmt — die Mundhöhle zeigt nichts 
Abnormes —, besteht im wesentlichen in der Atrophie der Haut, des Fettgewebes 
und der beiden Kieferknochen. Die Gesichtsmuskeln sind auch in Mitleidenschaft 
gezogen, aber , funktionsfähig. Sensibilität ist völlig intakt; nirgends eine 
qualitative Veränderung der elektrischen Erregbarkeit in den Muskeln. Von 
Au gen Symptomen fällt eine starke Parese des rechten Abducens auf. Links 


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Original fro-m 

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ist absolute Pupillenstarre fiir Licht und Konvergenz, ebenso ist links die Ak¬ 
kommodation gelähmt, demnach Paralyse der inneren Äste des linken Oculo- 
motorius. Die Retina ist links diffus pigmentiert, besonders in der Makulargegend. 
Tension beiderseits normal, Sehschärfe rechts = 1, links = */ 3 . Auffallend ist 
einmal das völlige Fehlen von Sympathicussymptomen, die fast stets in den bisher 
beschriebenen spärlichen Fällen beobachtet wurden. Im vorliegenden Falle ist 
durch die Beteiligung des rechten Abducens und der inneren Äste des linken 
Oculomotorius mit Sicherheit anzunehmen, daß die Hemiatrophie neurogenen 
Ursprunges ist und wahrscheinlich auf Erkrankung der trophischen Fasern des 
linken Trigeminus beruht. Dieses isolierte Befallensein der trophischen Trigeminus- 
funktion und der nur inneren Äste des linken Oculomotorius deutet mehr darauf 
hin, daß nicht die peripheren Nerven an der Basis, sondern die Centren und 
intrabulbären Bahnen der beteiligten Nerven ergriffen sind, und zwar weist die 
Beteiligung des rechten Abducens auf eine diffuse Ausbreitung oder mehrfache 
Lokalisation des Krankheitsprozesses hin. Schließlich muß für die Ätiologie der 
sehr seltenen Erkrankung im vorliegenden Falle wohl sicher Lues angenommen 
werden. Dafür sprechen erstens die Geburten der Mutter und dann der Befund 
des Augenhintergrundes. Autoreferat. 

Herr K. Mendel demonstriert im Anschluß hieran einen mit sehr gutem 
Erfolge mit Paraffininjektionen behandelten Fall von Hemiatrophia faciei. 

4. Herr L. Loewe: Über eine Methode, von der Nase ans an die Hypo* 
phyeia heranaugelangen. (Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieses 
Centralblattes.) 

Herr Bernhardt macht darauf aufmerksam, daß Schloffer kürzlich einen 
nach dieser Methode mit Glück operierten Fall von Hypophysistumor mit¬ 
geteilt hat. 

5. Herr G. Flatau stellt einen Kranken vor, 66jähriger Gürtler, früher 

starker Potator. Die Erkrankung entstand apoplektiform vor 10 Wochen; früher 
bestanden Zeichen von Störung der Herztätigkeit. Plötzlich trat Doppeltsehen 
auf, Störung der Sprache, Schwäche im rechten Arm und Bein. Es besteht: Läh¬ 
mung des linken Oculomotorius, Hängen des rechten Mundwinkels, rhythmischer 
langsamer Tremor der rechten Hand, Bewegungsataxie des rechten Armes, Hypo¬ 
tonie des rechten Beines (Kniephänomen rechts < links), Stampfen beim Gehen 
mit dem rechten Bein. Motorische Kraft nicht deutlich herabgesetzt. Also 
alternierende Störung. Oculomotoriuslähmung der einen Seite mit Hypotonie 
der anderen, Tremor und Ataxie der kontralateralen oberen Extremität. Das 
Achillesphänomen fehlt beiderseits, wahrscheinlich ist das nicht auf das jetzige 
Leiden zu beziehen, sondern erklärt sich aus dem Alter des Pat., dem Pes planus, 
wohl auch dem vorangegangenen Potus. Die Störungen weisen auf eine Blutung 
in die Gegend des roten Kernes und der Haube links, Beteiligung der in den 
Bindearmen verlaufenden Kleinhirnbahnen. Die Dysarthrie würde schließen lassen, 
daß der Herd auch auf die andere Seite hinübergreift, indessen sind die Extre¬ 
mitätenstörung streng einseitig; ähnliches ist von Benedikt und Bonnhöfer 
unter anderen beschrieben worden. (Der Fall wird an anderer Stelle ausführlich 
veröffentlicht werden.) Autoreferat. 

Diskussion: Herr Oppenheim würde bei der Diagnosenstellung im vor- 
gestellten Fall nicht weiter gehen, als eine Haubenerkrankung anzunehmen. Es 
geht nicht an, einige der Symptome auf die Bindearme zu beziehen, auch die 
Hypotonie läßt sich nicht einfach lokalisieren. Diese wie die Reflexphänomene 
sind vielleicht auf eine begleitende Alkoholneuritis zu beziehen. 

Martin Bloch (Berlin). 


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XXXII. Wonderversammlung südwestdeutscher Neurologea- und Irrenärzte 
in Baden-Baden am I. und 2. Juni 1907. 

Ref.: L. Mann (Mannheim). 

I. Sitzung: 

Die Versammlung wird durch Herrn Wollenberg (Straßburg) eröffnet. Er 
gedenkt der im Laufe des letzten Jahres verstorbenen Mitglieder der Versamm¬ 
lung Möbius, Wildermuth und Thomas, deren Andenken die Versammlung 
durch Erheben von den Sitzen ehrt. Unter dem Vorsitz von Prof. Moritz (Stra߬ 
burg) beginnt die Erledigung der Tagesordnung mit den Demonstrationen: 

1. Herr Weygandt (Würzburg): Zur Frage der amnestischen Aphasie. 
Der Fall Voit ist in der Literatur als Grasheyscher Fall oder amnestischer 
Aphasiefall bekannt, eine stattliche Reihe von Arbeiten befaßt sich mit ihm, 
darunter zwei Habilitationsschriften. Auch in der Badener Versammlung wurde 
vor zehn Jahren über ihn vorgetragen durch Wolff. Am 11. November 1883 
erlitt der damals gesunde Mann einen Unfall durch Sturz von der Treppe. Er 
wurde bewußtlos mit einer Kopfwunde fortgetragen, eine Basisfraktur mit Ver¬ 
änderung der 3. Stirnwindung und größerem Kontusionsherd wurde angenommen 
und eine sich darun anschließende Paralyse als wahrscheinlich angesehen. Klinisch 
am auffallendsten war die mangelhafte Artikulation, ferner war zu bemerken träge 
Zuckung im rechten Facialisgebiete, die Zunge war rechts schmäler, der rechte 
M. orbic. war gelähmt; rechts bestand Hypalgesie. Das Gesichtsfeld war eingeengt, 
das Gedächtnis schwach, die Intelligenz schien abzunehmen. Unter den lokali- 
satorischen Deutungen sei die von Wernicke hervorgehoben, der einen Herd in 
der optischen Sphäre annahm, und die von Freud, der einen Herd in der 
akustischen Sphäre vermutete. Grashey unterzog den Fall eingehenden Prüfungen. 
Er stellte fest, daß Voit Gesehenes erkannte, also sein Centrum für Objektbilder 
intakt war, daß er ferner Gesprochenes verstand, also das Centrum für Klang¬ 
bilder intakt sein mußte. Der Patient fand zum Klangbild das Objektbild, aber 
nicht zum Objektbild das Klangbild. Eine Unterbrechung dieser Verbindungs¬ 
bahn würde sich nur in gekünstelter Weise annehmen lassen. Zur Erklärung 
wurde vielmehr darauf hingewiesen, daß jedes sukzessive entsteht und jeder Buch¬ 
stabe eine gewisse Zeit, etwa 0,06 Sekunden nötig hat, während die Objektbilder 
relativ fertig sind. Das Klangbild erfordert somit mehr Zeit, dazu aber reicht 
bei Voit das kurze Gedächtnis nicht aus. Jedoch unterstützt er das Gedächtnis, 
indem er schreibend das Klangbild fand. Dieser eigenartige Befund, daß der Patient 
sich erst das Wort hinschreiben mußte, ehe er es aussprechen konnte, veranlaßte 
dann Sommer zu weiteren detaillierten Untersuchungen. Er stellte fest, daß Voit, 
wenn man ihm die rechte Hand festhielt, mit der linken Hand zu schreiben suchte: 
wenn man ihm auch diese festhielt, mit den Beinen; ja wenn auch diese festgehalten 
wurden, mit der Zunge; wenn auch die Zunge fixiert wird, im Zustande totaler 
Fesselung, konnte Voit sich kein Klangbild in das Bewußtsein rufen. Vorgesprochene 
Teile eines Wortes, z. B. Freu statt Freund, vermochte er noch nicht zu erkennen. 
Wolff hat später darauf aufmerksam gemacht, daß zunächst eine Schriftvorstellung 
auftaucht, da Voit sofort richtig F, V oder Ph zu schreiben beginnt, je nachdem 
man ihn veranlaßt, die Bezeichnung Fisch, Vogel oder Photograph mit ihrem 
gleichen Anlaut und ihrer verschiedenen Sprechweise wiederzugeben. Fernerhin 
wies Wolff darauf hin, daß Voit Eigenschaften nicht schreibend zu finden 
vermochte. Die Fragen: welche Farbe haben die Blätter? wie viel Beine hat das 
Pferd? ist der Zucker bitter? schreit der Hahn miau? usw. wußte er zunächst 
nicht zu beantworten. Erst dann, wenn er sich die Eigenschaften anschaulich 

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gemacht hatte, konnte er sie schreiben und daraufhin aussprechen. Auf die Frage: 
wie siud die Blätter? ging er ans Fenster, sah sich erst Blätter an und sagte 
dann schreibend: grün. Auf die Frage: sind die Menschen auf der Straße nackt? 
sah er wieder zum Fenster hinaus, sah sich Leute an und sagte dann „nein, 
Kleider“. Anf die Frage nach der Farbe des Blutes, drückte er sich erst eine 
Aknepnstel auf nnd sagte dann schreibend: rot. Bei nicht sinnlichen Eigen« 
schäften, gab er richtige Antworten, besonders wenn er in frischer, guter Stirn« 
mang war. Auf die Frage: was ist der, der alles vergißt? sagte er: dumm, faul. 
Gefragt „sind Sie ein elender Lump? 4 wehrte er lachend ab. Es wurde somit 
eine allgemeine Schwäche der Reproduktion von Erinnerungsvorstellungen fest* 
gestellt. Voit erschien als der Mensch der sinnlichen Anschauung. Die 
Annahme eines Apperzeptionscentrums in Sinne von Wnndt würde die Haupt« 
Sache dieses Befundes erklären. Von den übrigen Autoren, die sich mit dem 
Falle abgegeben haben, sei nur noch v. Monakow hervorgehoben, der unter der 
nicht ganz zutreffenden Annahme, daß der Fall in Genesung übergegangen sei, 
den Nachdruck auf die verzögerte Perzeption legte und die Erklärung als eine 
funktionelle Aphasie zweifellos traumatisch «hysterischen Ursprungs suchte. Der 
heutige Status zeigt einen blühend aussehenden, etwas fettleibigen und leicht 
kongestionierten Mann, der eben jünger aussieht, als seinem Alter von 60 Jahren 
entspricht. Der Fazialis rechts ist paretisch, besonders in dem oberen Teile, doch 
besteht keine Entartungsreaktion mehr. Häufig zeigt sich Tic convulsif. Eine 
leichte Struma findet sich. Die Pupillen und Angenbewegungen sind normal. 
Tremor besteht nicht. Der Händedruck ist beiderseits kräftig. Die Herztätigkeit 
ist langsam, 48 bis 60 Schläge in der Minute. Die Patellarreflexe sind zeitweise 
ein wenig lebhaft, der rechte dann stärker als der linke. Der Fußsohlenreflex ist 
lebhaft. Babinski und Fußklonus liegen nicht vor. Voit erklärt nun, daß er 
sprechen könne, nur in der Aufregung falle es ihm etwas schwer. Er sagt, er 
könne auch ohne Mühe das öffentliche Telephon benützen. Ausführlich erzählt er 
von seinem wechselvollen Schicksal, in fließender Rede, wenn auch manchmal ein 
Anakoluth vorkommt oder Unsicherheit bei einem Namen besteht. Das Sprechen 
ist wohl begleitet von einigen Mitbewegungen im Gesichte und an den Fingern, 
manchmal werden Flickwörter benützt wie Dings-da, aber von dem früher mehrfach 
beschriebenen Schreiben ist jetzt nichts mehr zu finden. Der Patient gibt wohl 
an, anfänglich sei ihm das Sprechen schwer gefallen, so daß er sich alles auf« 
schreiben mußte, dann habe sich das aber gebessert, bis es nach einem weiteren 
Unfälle wieder schlimmer geworden wäre, jetzt aber sei wieder Besserung ein¬ 
getreten. Das Fingerschreiben habe er gewöhnlich nur angewendet, wenn er 
ängstlich war, was allerdings bei den ärztlichen Untersuchungen früher der Fall 
gewesen sei. Treffend betont er, die Stadt Würzburg hätte ihm 1889 gewiß 
nicht das Bürgerrecht gegeben, wenn er damals durch sprachliche Mängel arbeits¬ 
beschränkt gewesen wäre. Auffassungsreaktionen mit Zeitmessung, die ich bei 
Voit angestellt, ergaben, daß er Gegenstände und Bilder der verschiedensten Art 
ganz richtig zu benennen versteht und nur wenig langsamer reagiert als ein 
andauernd gesunder Mensch; 1,4 bis 1,5 Sekunden beträgt seine Auffassungsreaktions* 
zeit im Durchschnitt. Ferner ist zu konstatieren, daß Voit jetzt auch sinnliche 
Eigenschaften richtig anzugeben weiß. Etwas schwierig fiel es ihm einmal, 
auf den Ausdruck bitter zu kommen. Er bildet auch Begriffe höherer Ordnung 


und kann subsumieren usw. Er ist durchaus besonnen, geordnet, über Ort und 
auch Zeit orientiert, er berechnet das Datum über acht Tage, findet sich im 
Kalender zurecht. Er rechnet mittelmäßig, hat allerdings gegenwärtig auch 
keinerlei Übung darin. Immerhin bringt er Aufgaben wie den Zinsertrag von 
400 Mark zu 4 x / 2 °/ 0 oder schriftliche Additionen vierstelliger Zahlen fertig. Er 
weiß heute noch das Aussehen mancher seiner ärztlichen Untersucher, so von 


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Grashey und Sommer, anzugeben. Zur Klärung seiner auffallenden Angabe, 
daß seine anfänglichen Störungen besser, dann nach einem weiteren Unfälle aber 
wieder schlechter geworden Beien, während sie heute geringfügig erscheinen und 
die damals charakteristische Sprachstörung gar nicht mehr vorliegt, muß man die 
Beziehungen zwischen Unfall und Entschädigung bei Voit berück¬ 
sichtigen. Der erste Unfall von 1883 geschah durch eigenes Verschulden, ein 
Entschädigungsanspruch bestand nicht, nur eine einmalige Unterstützung von 
200 Mark wurde gewährt. Nach geraumer Zeit trat Erholung von den damaligen 
Unfallfolgen ein. Voit nahm wieder Arbeit an, war bei mehreren Firmen tätig, 
meist als Brauer und leistete volle Arbeit Ein Obermälzer sagte, als Zeuge ver¬ 
nommen, aus, daß gerade zu wichtigeren Arbeiten Voit verwandt wurde. Ein 
Brauereidirektor erklärte, daß bei Voit von auffallender Störung des Sprachver- 
mögens oder Gedächtnisschwäche nichts zu bemerken war. Voit zeigt heute noch 
sein Arbeitsbuch vor, nach dem er mit dem Versand von Bierwagen beschäftigt 
war; er hatte dabei schriftliche Kontrolle zu führen und die versandten Quan¬ 
titäten rechnerisch zu bestimmen. Mittlerweile heiratete er und zeugte gesunde 
Kinder. Der zweite Unfall vom 17. Januar 1893 brachte einen Schlüsselbein¬ 
bruch mit zunächst 40 °/ 0 Erwerbsfähigkeitsherabsetzung, doch trat bald Heilung 
ein. Am 21. Januar 1896 erlitt Voit einen dritten Unfall: Quetschung durch 
einen Eisenbahnwagen, Bruch des linken Vorderarmes, ferner der Rippen rechter- 
seits, und Zerreißung der Pleura und Verletzung der Lunge rechts. Hierauf war 
das Befinden in jeder Hinsicht schlecht, auch die Sprachstörung trat wieder auf 
und Voit erhob UnfallentschädigungBansprüche an die Eisenbahn. 15 Gutachten 
wurden bisher von der Bahn eingeholt. Bei einer Untersuchung in der inneren 
Klinik 1904 wurde festgestellt, daß Voit langsam antwortet, erst den Wortlaut 
suchen muß, dabei Hände und Finger benützt und auch mit den Gesichtsmuskeln 
zuckt. Zeitweise erschien auch die Orientierung gestört. Die Patellarreflexe 
waren lebhaft gesteigert. Ferner zeigte sich* eine abgelaufene Pleuritis mit 
Schwartenbildung und Verwachsung des komplementären Sinus. Auch Störung 
von Geruch, Geschmack, Gehör, sowie Parese des rechten Armes und der Hände 
wurde festgestellt und auf Grund des Zustandes volle Arbeitsunfähigkeit an¬ 
genommen. Die Rentenfrage wurde nun von seiten der Bahn dahingehend gestellt: 
Ist der Verletzte schon vor der dritten Verletzung infolge seiner Sprachstörung 
arbeitsunfähig oder erwerbsbeschränkt gewesen, oder war er zur Zeit der Verletzung 
im Besitze voller Erwerbsfähigkeit, so daß er dann lediglich durch die Folgen 
der schweren Verletzung vom 21. Januar 1895 heute erwerbsunfähig wäre? Somit 
hat Voit selbst das größte Interesse daran, daß die Folgen der ersten Verletzung 
recht geringfügig erschienen, weil er ja für die erste Verletzung mit der damaligen 
Sprachstörung keine Entschädigung beanspruchen kann. Wie wir sehen, spricht 
Voit in der Tat ausreichend gut, so daß er dadurch nicht erwerbsvermindert wäre. 
Wir haben also im Verlaufe der Krankheitsgeschichte einen auffallenden Wechsel 
der Erscheinungen: 1. nach Unfall I Erschwerung der Auffassung, Assoziation 
und Reproduktion, besonders in der Erregung; 2. Besserung bis zur völligen Er¬ 
werbsfähigkeit und Heirat; 3. Verschlechterung nach dem dritten, den Thorax 
treffenden Unfall; 4. gegenwärtig nur geringe Schwierigkeit beim Wortfinden, 
aber doch immerhin ein Sprechen ohne die Hilfe des Schreibens und ohne Versuch, 
sich die Eigenschaften erst anschaulich zu machen; dabei etwas schwerfällige Auf¬ 
fassung. Würde die Sprachstörung Bich lediglich einmal zurückgebildet haben, 
so könnte man daran denken, daß für den verletzten Hirnteil ein anderer 
vikariierend eintritt. Hier aber, wo Störung, Besserung, Störung und wieder 
Besserung aufeinander folgten, ist jene Erklärung ganz unzureichend. Wir 
müssen vielmehr zu einer Erklärung des Phänomens Beobachtungen aus der 
normalen Psychologie heranziehen. Wir müssen denken an die normalen Diffe- 


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renzen in der Auffassung und Reproduktion, vor allem an jene mannigfachen 
individuellen Unterschiede, wie sie besonders auf dem Gebiete des Melodie* 
gedächtnisses existieren, das zu seiner Betätigung ja auch vielfach motorischer 
Hilfen bedarf. Schulkinder finden auch vielfach die richtige Orthographie 
schreibend. Es gibt zahlreiche Personen, die beim Sprechen malende Gesten zu 
Hilfe nehmen, vor allem in der Ermüdung. Das Versagen der Sprache läßt sich 
durch Hemmungen erklären, die bei Normalen auch nicht selten eine Rolle spielen 
in momentaner psychischer Erregung, bo, daß manche gelegentlich ihren eigenen 
Namen nicht zu nennen vermögen. Auch die sinnlichen Hilfen sind im normalen 
Leben verbreiteter, als es zunächst scheinen möchte. Wenn wir nach der Farbe 
einer weniger gebräuchlichen Briefmarke gefragt werden, etwa einer 30 Pfennig* 
marke, so suchen wir es uns anschaulich zu machen, indem wir etwa einen Eil¬ 
brief aus der Tasche ziehen, oder auf Umwegen suchen wir es zu erreichen, indem 
wir bei der Frage nach einer 20 Pfennigmarke etwa an eine Postanweisung 
denken. All dieses tritt in verstärktem Maße auch bei pathologischen Fällen auf, 
bei denen eine Commotio cerebri nicht eine lokalisierte Störung in der Sprach* 
region, sondern eine allgemeine psychische Hemmung hervorgerufen hat. 
Die eigenartigen Hilfen sind wohl gelegentlich auch weiter ausgebildet worden 
durch eine gewisse Dressur infolge der vielen Untersuchungen; ferner kann die 
Suggestion des interessanten Falles dazu beitragen, daß sich der Patient gar 
nicht mehr bemüht, seine Beschwerden zu überwinden. Vor allem einflußreich 
war aber bei Voit gewiß die erwähnte Vorstellung der Rentenrücksicht. Früher 
wollte er recht krank erscheinen, weshalb er bei Untersuchungen sehr zurück¬ 
haltend im Sprechen überhaupt war. Jetzt hat er alles Interesse daran, gut zu 
sprechen, und er kann es. Eine Basisfraktur oder eine anderweitige organische 
Alteration ist gewiß nicht in Abrede zu stellen. Deren Äußerungen wurden jedoch 
zweifellos bald überlagert durch funktionelle Störungen. Gerade die auffallende 
Sprachstörung bei Voit ist daher nicht durch Herd- und Leitungsunterbrechuug 
bedingt, Bondern lediglich funktionell. 

2. Herr Becker (Baden): Demonstration eines Falles von Sklerodermie. 
Während 5 Jahren auf die verschiedenartigste Weise behandelt u. a. mit Thio- 
sinaminiujektionen, Massage, Schwitzbäder, Tallermann, Fango, Salol, Bier scher 
Stauung, Schilddrüsentabletten. Damit nur geringe Besserungen erzielt, die der 
heimatlichen Winterkälte nicht Stand hielten und das Fortschreiten der Krank¬ 
heit nicht zu hindern vermochten. Im letzten Sommer durch eine gründlichere 
Massage, massige Fangobehandlung, Sonnenbäder, Sajodin, Halbbäder (unter steter 
Berücksichtigung des Allgemeinzustandes der Kranken) ganz wesentliche all¬ 
gemeine Besserung, die durch einen Winteraufenthalt im Süden festgehalten bzw. 
gefördert wurde. 

3. Herr Starck (Karlsruhe): Zur Pathologie der Hirngesohwülste (mit 
Demonstration). Vortr. berichtet über eine 60jährige Patientin, die seit 
10 Jahren an einer Gehstörung, seit 3 bis 4 Jahren an Schwindel und Kopf¬ 
schmerz leidet, seit etwa 3 Jahren am Stock gehen muß und seit mehreren 
Jahren recht schwerhörig ist. Familienanamnese ohne Besonderheit. Befund bei 
der Aufnahme am 21. März 1906: Sensorium klar, Intelligenz, Sprache gut. 
Gang steif, spastisch paretisch mit Vorherrschen der spastischen Erscheinung. 
Beiderseits Babinski und gesteigerte Patellarreflexe. Sensibilität normal. Beider¬ 
seits Stauungspapille r. > 1. Gehirnnerven: Rechts Parese des mittleren und 
unteren Facialisastes, nervöse Schwerhörigkeit, Taubheit, rechte Zungenhälfte 
atrophisch; links Lähmung des Trigeminus (linke Gesichtshälfte gerötet, ver¬ 
mehrter Turgor, Sensibilität für alle Qualitäten herabgesetzt, motorischer Ast 
normal). Verlauf: anfangs Kopfweh, das später verschwand, öfters Erbrechen, 
Gang bald unmöglich. Puls dauernd erhöht, allmählich eintretende Atrophie der 


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rechten Papille, rechte Facialis in allen drei Ästen paretisch, linke Gesichtshälfte kom- 
plette Anästhesie auch der Cornea. Atrophie beider Zangenhälften. Zunehmende 
Schwäche, zunehmende Arteriosklerose, am 2. April 1907 Exitus. Diagnose: Da 
allgemeine Tumorsymptome (Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Stauung*- 
papille) und Herdsymptome (links Erkrankung der Nn. V und XII, rechts 
der Nn. VII, VIII und XII), ferner Pyramidenbabnerkranknng (Spasmen beider 
Beine, Babinski, gesteigerte Patellarreflexe) wurde die Diagnose auf Pons-Oblon- 
'gntatumor gestellt. Auffallend war dabei doppelseitige Hirnnervenerkrankung. 
Dreimal wurde Lumbalpunktion gemacht. Bei der ersten kein vermehrter Druck, 
keine Leukocytose, bei der zweiten Punktion: Kein vermehrter Druck, Leukocytose, 
bei der dritten Punktion: Kein vermehrter Druck, bernsteingelbe, triibe, gelatinöse, 
dick absetzende Flüssigkeit, die große Massen Oxalsäuren Kalkes in Briefkouvert- 
form enthält, ferner Fetttröpfchen. Dicke Gerinnung beim Kochen. Anfang 
November 1906 begann aus dem rechten Nasenloch eine klare Flüssigkeit abzu¬ 
tröpfeln von V4 *Voo Albumen, spec. Gewicht 1011 bis 1012, reichliche Lympho- 
cytose und Leukocytose. Täglich aufgefangene Menge 50 bis 60 ccm. Nasen- 
befund normal. Diagnose: Cerebrospinale Flüssigkeit. Injektion von Methylen¬ 
blau in den Duralsack (in Lnmbalgegend). Die Flüssigkeit ändert ihre Farbe 
nicht. Keine Kommunikation. Die Dura mußte also durch den Tumor an einer 
Stelle geteilt sein und letzterer den Duralsack in zwei nicht kommunizierende Ab¬ 
schnitte teilen. Sektion: Kleinapfelgroßer Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel, der 
die rechte Pyramide und die Decke der Dura zerstört hat! Träufelt man an dieser 
Stelle des Schädels Wasser auf, so läuft dasselbe durch die Nase ab. Der Tumor 
hat die Pons-Oblongatagegend zur Hälfte vollkommen komprimiert. Facialis und 
Akustikus sind in demselben aufgegangen, der Trigeminus ist in einem schmalen 
Bande zwischen Pons und Tumor komprimiert. Ein Teil der rechten Kleinhirn¬ 
hälfte ist in den Tumor aufgegangen. Das Bild deckt sich vollkommen mit 
einem von Oppenheim 1889 in der Gesellschaft der Charit&irzte demonstrierten 
Tumor, der sich als AkuBtikustumor erwies. Auch in diesem Falle handelt es 
sich um einen AkustikuBtumor. Daß der Tumor vom Nerv, nicht vom Kleinhirn 
oder Dura ausgebt, beweist ein kleiner kirschkerngroßer, zweiter Tumor, der im 
Ursprung des linken Trigeminus, diesen in sich aufnehmend, gelegen ist. Mikro¬ 
skopisch handelt es sich um ein Gliosarkom. Bemerkenswert ist in dem Fall 
1. die Multiplizität der Nerventumoren, 2. der Abfluß der Cerebrospinalflüssigkeit 
durch die Nase, 3. der Oxalgehalt der bernsteingelben Cerebrospinalflüssigkeit 
und 4. die Zweiteilung des Duralsackes durch den Tumor. Antoreferat 

4. Herr Dinkler (Aachen): Über den klinteohen Verlauf und die ana¬ 
tomischen Veränderungen bei progressiver, pernioiöser Anämie mit 
spinalen Störungen. Vortr. schlägt vor, die Fälle dieser Erkrankung je nach 
den klinischen Erscheinungen und der anatomischen Grundlage in drei Gruppen 
einzustellen, und zwar rechnet er zur ersten Gruppe diejenigen Fälle, welche 
klinisch gar keine oder nur sehr geringe Rückenmarkssymptome darbieten und 


post mortem trotzdem anatomische Veränderungen, allerdings geringfügiger Art 
erkennen lassen. In die zweite Gruppe reiht er diejenigen Fälle ein, welche 
klinisch ausgesprochene Rückenmarkserscheinungen zeigen und anatomisch die be¬ 
kannten, von Lichtheim, Nonne und anderen geschilderten herdweisen Ver¬ 
änderungen im Rückenmark zeigen; die dritte Gruppe besteht aus denjenigen, 
welche im Laufe der progressiven perniciösen Anämie ausgesprochen nervöse 
Störungen (mit spinalem Symptomenkomplex) zeigen, aber zur vollen Ausheilung 
gelangen. Für die erste Gruppe teilt er folgenden Fall als Paradigma mit: 
Frau X, 42 Jahre alt, von Oktober 1899 bis Oktober 1900 als stationäre Kranke 
beobachtet. Heredität fehlt, Patientin hat viel an Kopfweh, Übelkeit und Er¬ 
brechen gelitten. Seit einem Jahr sind Durchfälle hinzugetreten, Abmagerung, 


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Herzklopfen, Kurzatmigkeit, Flimmern vor den Augen, Ohrensausen und Schwindel; 
seit einem halben Jahre Ödeme der Beine, in den letzten Wochen vor der Auf¬ 
nahme sehr intensive Durchfälle mit Leibschmerzen, so daß die Kranke bettlägerig 
wurde. Status: Die Kranke ist schlecht genährt, Haut und sichtbare Schleim¬ 
häute von blaßgelber Färbung. Herzgrenzen etwas erweitert, systolisches Geräusch 
an der Herzspitze. Im Urin eine Spur Eiweiß ohne mikroskopischen Befund. 
Nervensystem frei von Erscheinungen außer einer angeborenen Ptosis. Puls¬ 
frequenz 96, Blut enthält 25°/ 0 Hämoglobin (nach Fleisch), 1,06 Millionen rote 
Blutkörperchen mit ausgesprochener Poikilocytose und kernhaltigen roten Blut¬ 
körperchen (Megalob]asten). Die weißen Blutkörperchen betragen 7500, vor¬ 
wiegend Lymphocyten. Unter geeigneter Behandlung Besserung, so daß die Kranke 
mit nahezu normalem Blutbild nach 3 Monaten anscheinend frei von Störungen 
entlassen werden konnte. 4 Monate später Rezidiv, 15°/ 0 Hämoglobin, 950006 
rote Blutkörperchen, 5600 weiße. Viel Megaloblasten. Unter zunehmenden 
Ödemen, enormer Blässe der Haut und nach Eintreten entzündlicher Prozesse im 
Munde (Zunge und Zahnfleisch) erfolgt nach etwa 5 Monaten der tötliche Aus¬ 
gang. Von nervösen Erscheinungen war nur eine Überempfindlichkeit gegen 
Wärmereize und eine Hyperalgesie im Bereiche der ganzen Körperoberfläche, so¬ 
wie eine mäßige Steigerung der Sehnenreflexe in den unteren Extremitäten vor¬ 
handen. Bei der Autopsie zeigt die Leber eine ausgesprochene Siderose, die Milz 
war geschwollen, vergrößert, das Knochenmark von roter Farbe und weicher, fast 
flüssiger Konsistenz. Im Bereiche der Cervikalanschwellung des Rückenmarkee 
sind bei der mikroskopischen Untersuchung in 4 Segmenten herdförmige Degene¬ 
rationen von spindelförmiger Gestalt und mittlerer Größe in den Keilsträngen 
nachweisbar. Der zweite Fall betrifft einen 40jährigen verheirateten Gärtner, 
welcher vom 6. Juli 1904 bis 10. Februar 1905 klinisch beobachtet wurde. In 
seiner Familie auffallend viel Magenkrankheiten. Patient war stets gesund bis 


vor 13 Jahren, wo er als Soldat ein Geschwür aquirierte, danach Bubonen. Keine 
weiteren spezifischen Erscheinungen. Seit 10 Jahren verheiratet, hatte er drei 
Kinder, von denen eins an Lungenentzündung, eins an Hirntumor (cystisches Gliom) 
gestorben ist, ein drittes lebt und ist gesund. Abortus sind nicht vorgekommen. 
Patient ist seit 10 Jahren magenleidend. Druck in der Magengegend, Appetit¬ 
losigkeit, Obstipation. Seit 2 Jahren ab und zu Kribbeln in den Beinen, be¬ 
sonders in letzter Zeit, anhaltend. Gleichzeitig auch Kribbeln in den Armen. 
Großer Wechsel dieser Beschwerden, bald besser, bald schlimmer; erhebliche 
Besserung unter anderem durch eine subkutane Arsenikbehandlung. Erst im Laufe 
des letzten Halbjahres wieder Verschlimmerung. Feste Speisen werden meist er¬ 
brochen, so daß Patient fast ausschließlich mit flüssigen Speisen ernährt werden 
muß. Abmagerung, Parästhesien stärker und anhaltend. Status: Pat. ist ein 
auffallend blaß aussehender, stark abgemagerter Mann, das Herz ist anscheinend 
von normaler Größe, kein systolisches Geräusch an der Herzspitze. Druckempfind¬ 
lichkeit in der Magengegend ohne abnormen Befund. Leber und Milz nicht ge¬ 
schwollen, Nervensystem anscheinend normal. Im Urin Eiweiß ohne mikro¬ 
skopischen Befund. Blut 47°/ n Hämaglobin, 2,1 Millionen rote, 6100 weiße 
Blutkörperchen, Poikilocytose, Normo- und Megaloblasten. Nach vorübergehender 
Besserung starke Diarrhöen, wieder Verschlimmerung mit subfebrilen bzw. leicht 
febrilen Temperaturen. Leber- und Milzschwellung, taktile Hyperästhesien am 
linken Fuß, Öhnmachtsanfalle, Spannung an den Unterschenkeln, Schwäche in den 
Armen und Beinen, Steigerung der Sehnenreflexe (Fußklonus), Thrombose der 
linken Vena femoralis, Harnverhaltung. Ende Dezember 1904 heftige Schmerzen 
in beiden Beinen, verbunden mit Zuckungen, anhaltende Parese, incontinentia 
urinae et alvi mit starken Krampferscheinungen in den Waden, komatöser Zu¬ 


stand, tödlicher Ausgang. 

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Bei der Autopsie zeigt sich das Herz verfettet, die 

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Leber groß, von Lymphomen durchsetzt, erhebliche Siderose, Siderose der Milz, 
in Leber und Milz aus lymphocytenähnlichen, großen Zellen bestehendes (Myeloid) 
Gewebe, desgleichen in den Lymphdrüsen und in der Muskulatur des Kückens 
und der Extremitäten. Das Knochenmark ist durchgehends rot und besteht aus 
den eben genannten großen lymphocytenähnlichen Zellen mit spärlicher Granula* 
bildung, zahlreichen Normo- und Meglaoblasten. Im Kückenmark, welches makro¬ 
skopisch nach Härtung in Müllerscher Flüssigkeit eine Systemerkrankung der 
Pyramidenbahnen vortäuscht, finden sich herdförmige, regellos über den Querschnitt 
verstreute Degenerationen, welche in den verschiedenen Höhen eine außerordentlich 
wechselnde Häufigkeit und Größe zeigen, und zweifellos eine Abhängigkeit von 
den Blutgefäßen erkennen lassen. Die anscheinende Systemerkrankung erweist 
sich bei der mikroskopischen Untersuchung als hervorgerufen durch Konfluieren 
von regellos verstreuten herdförmigen Prozessen, ganz in dem Sinne, wie es außer 
anderen von Nonne betont worden ist. Blutungen sind in keiner Höhe des 
Rückenmarkes nachweisbar; Oblongata und Gehirn scheineu nicht verändert. Der 
dritten Gruppe gehört der folgende Fall an: 44jähriger Weber, vom 6. Juni bis 
7. November 1903 klinisch beobachtet. Tuberkulose in der Familie. Patient 
leidet seit 12 Jahren an Durchfällen, welche zuletzt Blutbeimengungen zeigen. 
Seit 3 Monaten Schmerzen in beiden Füßen, in der großen Zehe, beginnend und 
bis zum Knie hinaufgehend, sowohl in Ruhe wie in Bewegung. Erhebliche 
Schwäche, Patient kann kaum noch 10 Minuten gehen, häufige Zuckungen in den 
Beinen, besonders in der Oberschenkelmuskulatur mit nachfolgender Beugung im 
Hüftgelenk. 4 Monate vor der Aufnahme mehrere Wochen Harntriiufeln; 5 Tage 
vorher Ohnmachtsanfall mit Erbrechen. Status: Untersetzter Mann mit blaßgelb 
gefärbten Schleimhäuten und Hautdecken und dürftig entwickelter Muskulatur; 
besonders auffallend ist der Schwund der Wadenmuskulatur. An den Unter¬ 
schenkeln zahlreiche Suggillationen und Hautabschürfungen. Leichtes Lungen¬ 
emphysem, Herz etwaB vergrößert, Herztöne rein, Leber palpabel, vergrößert, 
Milz nicht fühlbar, Leib aufgetrieben, nicht schmerzhaft. Gehirnnerven frei. 
Spastische Parese der Beine, Gang typisch spastisch, Muskelspannungen, ab und 
zu Zuckungen in den Beinen (während der Untersuchung), Sehnenrefiexe lebhaft, 
kein Babinski, Sensibilität intakt. 4 Tage nach der Aufnahme Ohnmachtsanfall, 
Patient ist dabei ganz steif, sehr blaß, Pupillen weit, links weiter als rechts. Die 
Reaktion ist träge. Sehnenrefiexe sind gesteigert, Fußklonus und Patellarklonus; 
die Spasmen sind stärker, so daß die Beine kaum gebeugt werden können. Bis 
zu den Knien Hyperästhesie gegen Druck und Stich, Babinski beiderseits aus¬ 
gesprochen. Blut 40 °/ () Hämoglobin, 2,3 Millionen rote Blutkörperchen, Poikilo- 
cytose, Megaloblasten. Lymphocytose bei normaler Zahl der weißen Blutzellen. 
Weiterhin Schwellung der Leber, die Milz palpabel, Ödem des Gesichtes, schwere 
Netzhautblutungen mit Zerstörung der linken Makula. Allmählich Besserung bis 
zur vollständigen Heilung. Am längsten war von den nervösen Erscheinungen 
der Babinskische Fußsohlenreflex nachweisbar. Die Netzhautblutungen werden 
vollkommen resorbiert, die Sehschärfe des linken Auges bleibt stark herabgesetzt 
wegen der makularen Lokalisation der Blutung. Blutbefund 80°/ 0 Hämoglobin, 
6,3 Millionen rote Blutkörperchen bei normalem Blutbild, lö 1 /« kg Gewichts¬ 
zunahme. Die Heilung ist bis jetzt (Anfang 1907) bestehen geblieben. Man irrt 
wohl nicht, wenn man diesen Fall der progressiven perniciösen Anämie zurechnet, 
trotzdem eine vollkommene Heilung der Bluterkrankung und der durch dieselbe 
bedingten schweren nervösen Störungen eingetreten ist. (Ausführliche Publikation 
der Fälle erfolgt an anderem Ort.) 

5. Herr W. Erb (Heidelberg): Über Diagnose und Frühdiagnose der 
syphilogenen Erkrankungen des Centralnervensystems. Nach. einleitenden 
Bemerkungen über das noch immer steigende Interesse, welches die Beziehungen 


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der Tabes bzw. der Paralyse und anderer syphilogener Nervenleiden erwecken, 
▼ersucht Vortr. an der Hand zahlreicher Beobachtungen einzelne noch schwebende 
Fragen auf diesem Gebiet zu erörtern. Bei der großen Wichtigkeit der frühen 
Diagnose der Tabes ist besondere Aufmerksamkeit auf die beginnenden, 
leichten inkompletten Formen dieses Leidens zu richten, und aus den ersten An* 
fangen die allmähliche Entwicklung desselben zu verfolgen. Kein Symptom ist in 
dieser Beziehung wichtiger als die reflektorische Pupillenstarre mit Hiose oder 
Mydriasis, Akkommadationsparese usw. Die Franzosen behaupten, daß die reflek¬ 
torische Pupillenstarre stets ein Zeichen vorhandener Lues sei; Moebius, daß sie 
ein Zeichen bereits beginnender Tabes wäre; beide Ansichten haben wohl in der 
Hauptsache recht. Vortr. skizzierte kurz fünf typische Fälle mit spinaler 
Miosis, bei welcher er das frühere oder spätere Auftreten anderer tahischer 
Symptome im Laufe der Jahre verfolgen konnte; bei allen war die Syphilis mit 
Sicherheit nachgewiesen, leider die Lumbalpunktion nicht möglich gewesen; sie 
würden für beide Ansichten zu verwerten sein. In einer zweiten Gruppe (5 Fälle) 
besteht die Lichtstarre schon längere Zeit ohne alle andere Symptome der 
Tabes, es bleibt abzuwarten, ob und wann sie kommt; bei gewissen ist die Lumbal¬ 
punktion mit negativem Ergebnis gemacht worden. Hinweis darauf, daß in allen 
solchen „initialen Fällen“ die sorgfältigste Untersuchung auf alle objektiven Sym¬ 
ptome der Tabes angeBtellt werden muß, unter welchen Vortr. besonders auf die 
relativ wichtige und häufige Kältehyperästhesie am Rumpf, das Fehlen ein¬ 
zelner Sehnenreflexe, die verschiedene Intensität symmetrischer Sehnenreflexe u. a. 
hinweist. Als ein besonderes wichtiges Hilfsmittel hat sich die Lumbalpunktion 
für die Frühdiagnose der Tabes (und der Paralyse) erwiesen; sie ergibt fast 
konstant eine ausgesprochene Pleocytose (Oskar Fischer), speziell Lympho- 
cytose. Vortr. will dies hier nicht eingehender erörtern; ihr Wert ist groß, 
steht aber noch nicht in allen Details fest, muß noch eingehender und viel¬ 
seitiger untersucht werden, besonders das zeitliche Auftreten der Pleocytose im 
Laufe der Syphilis und der Tabes, ihre Beziehungen einzelner Symptome, ge¬ 
wisse anatomische Veränderungen usw. Vortr. belegt mit einigen kasuistischen 
Beispielen den Wert der Lumbalpunktion, besonders mit drei Fällen, in welchen 
dieselbe das demnächstige Auftreten der Tabes vorhersagte, dann aber auch mit 
3 Fällen, in welchen bei vorhandener spinaler Miosis das Ergebnis negativ war 
und Unsicherheit hinterließ. Er weist eingehender darauf hin, daß die drei Tat¬ 
sachen: die Pupillenstarre, die Tabes und die Pleocytose, die wohl zweifellos mit 
der Syphilis Zusammenhängen, in ihrem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang 
und ihrer anatomischen Begründung noch genauer studiert werden müssen; der 
von Oskar Fischer gelieferte Nachweis, daß die Pleocytose hauptsächlich auf 
einer lumbalen oder lumbosakralen meningealen Zellinfiltration beruht, ist wichtig; 
sie scheint die Vorbedingung und der Vorläufer der Tabes zu sein. Die drei ge¬ 
nannten Tatsachen können alle gleichzeitig vorhanden sein, sie können aber 
auch getrennt und zu verschiedenen Zeiten erscheinen; die Pupillenstarre 
kann für sich allein ohne Pleocytose und ohne Tabes bestehen; oder sie kann 
bereits mit Pleocytose verbunden sein, aber noch ohne sonst nachweisbare Tabes; 
und Tabes mit Pleocytose kann bestehen, ehe die Pupillenstarre eintritt. Alles 
dies wohl abhängig zu denken von den launenhaften und wechselvollen Lokali¬ 
sationen der SyphiliB, und nur durch wiederholte und häufige Lumbalpunktionen, 
denen sich aber doch erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellen, ist hier eine 
tiefere Einsicht zu gewinnen. Vortr. erwähnt noch 2 Fälle, in welchen die Lumbal¬ 
punktion mit positiver Pleocytose zunächst die Diagnose irrefuhrte und für Syphilis 
verwertet wurde, während sich schließlich ein Hirntumor und ein Neoplasma an 
den obersten Halswirbeln herausstellte. Der Wert der Lumbalpunktion für die 
Aufklärung der Fälle, in welchen Syphilis anamnestisch und objektiv nicht nach- 

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weisbar ist, wird gebührend betont und dann die Frage erörtert, ob sie auch für 
andere syphilogene Affektionen des centralen Nervensystems als Tabes und Para¬ 
lyse von so großer Bedeutung und so konstant ist. Diese Afiektionen (syphilitische 
Spinalparalyse, Meningitis cerebrospin. luetica, die cerebrospinale Lues, die End» 
arteriitis luet. u. a.) werden ja gewöhnlich nur aus der Anamnese, dem eigentüm¬ 
lichen Symptombild und ex juvantibus diagnostiziert. Kann auch hier die Lumbal¬ 
punktion die Diagnose sichern? Das ist noch nioht hinreichend feBtgestellt. Es 
werden 2 Fülle angeführt, bei welchen die klinische Diagnose vollkommen 
sicher erschien und doch die Lumbalpunktion keine Pleocytose ergab. Nach 
einigen erläuternden Bemerkungen wird auch hier auf den notwendig weiteren 
Ausbau der Lumbalpunktion in dieser Richtung hingewiesen. Zum Schluß weist 
Vortr. noch auf die höchst bedeutungsvolle und vielversprechende Ergänzung 
unserer diagnostischen Hilfsmittel hin, welche sich neuerdings in der serodiag¬ 
nostischen Untersuchung in bezug auf die Syphilis gefunden hat. Es hat 
sich eine spezifische serodiagnostische Reaktion auf die Syphilis, ihre 
Antigene und deren Reaktionsprodukte, die Antikörper, herausgestellt. Der 
Nachweis dieser Antikörper ist auch in der Lumbalflüssigkeit möglich und bedeutet, 
nach Ansicht der maßgebenden Forscher (Wassermann, Neisser, Plaut, 
Schmoht, Bruck, Schnitze, Morgenroth usw.) mit Sicherheit, daß das 
betreffende Individuum zu irgend einer Zeit von Syphilis durch¬ 
seucht war oder es noch ist. Das Gelingen dieses Nachweises bei Paralyse und 
Tabes spricht sehr dafür, daß die Krankheiten direkt von der Syphilis abhängen! 
Vortr. führt die bisher erzielten sehr bedeutsamen Ergebnisse dieser Unter¬ 
suchungen bei Paralyse, Tabes und anderen syphilogenen cerebrospinalen Affek¬ 
tionen aus und betont, daß diese Ergebnisse besonders wichtig sind, weil sie die 
oft unüberwindlichen Schwierigkeiten des Nachweises einer früheren syphilitischen 
Durchseuchung beseitigen. Und es ist zu hoffen, daß sie auch die lang umstrittene 
Frage des Zusammenhanges der Tabes und Paralyse mit der voraus¬ 
gegangenen Syphilis einer endgültigen Entscheidung im bejahenden 
Sinne entgegenführen; und das wäre ein nicht geringer Trumpf dür die An¬ 
hänger der Fournier-Erbschen Lehre. Autoreferat. 

6. Herr Nonne (Hamburg) legt mikroskopische Präparate von 2 Fällen vor, 
in denen es sich um das klinische Bild der spaetlsohen Spinalparalyse bei 
luetisch Infiziert gewesenen Personen gehandelt hat. Im ersten Fall handelte 
es sich um einen 41jährigen Bahnbeamten, welcher mit 26 Jahren syphilitisch 
infiziert war und bei dem sich 6 Jahr nach der Infektion die ersten Zeichen des 
Rückenmarksleidens zeigten. Pat. war fünfmal auf der Abteilung von Nonne im 
Eppendorfer Krankenhause und starb schließlich an einer Apoplexia cerebri. Eis 
fand sich anatomisch eine primäreDegeneration inPyramidenseitensträngen 
des Rückenmarks, vom mittleren Dorsalteil aufwärts bis ins HalBmark hinein, an¬ 
schließend eine schmale Randdegeneration bis an die Medianfissur, außerdem eine 
Leptomeningitis posterior im -Cervikal- und Dorsalmark sowie eine 
Endarteritis proliferans in den hinteren Wurzeln des Cervikal- und 
Lumbalteils. — Im zweiten Falle handelte es sich um ein 40jähriges weib¬ 
liches Individuum, welches 14 Jahre vor ihrem Tode extragenital (Lippenschanker) 
infiziert war. Erstes Auftreten des Rückenmarksleidens 4 Jahre nach der Infektion, 
vorübergehende Besserung nach einer Quecksilber- und Jodkur, dann Zunahme 
der spastischen Erscheinungen. Tod im Krankenhause an Decubitus und sekundärer 
Sepsis. Rückenmarksbefund: Primäre Sklerose in den Pyramidenseiten¬ 
strängen mit äußerst geringer Randdegeneration im Cervikalmark, geringeLepto- 
meningitis posterior im Cervikal- und Dorsnlteil. — Im ersten Falle 
reichte die Pyramidendegeneration bis in die Medulla oblongata hinein und 
verlor sich weiter aufwärts; im zweiten Falle hörte die Degeneration gleich ober- 


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halb der Pyramidenkreuzung auf. Das Gehirn zeigte im ersten Falle eine Arterio- 
sklerose der Arterien, war im übrigen normal. Im zweiten Falle zeigte sich am 
Hirn überhaupt keine Anomalie. Im ersten Falle Orchitis fibrosa duplex, glatte 
Atrophie des Zungengrundes. Im zweiten Falle keine Residuen von Syphilis an 
den inneren Organen. 


II. Sitzung, Nachmittag 2 Uhr. Vors.: Herr Romberg (Tübingen). Es 
erstattet das Referat: 7. Herr Hoche (Freibürg) über: Die klinischen Folgen 
der Unfallgesetzgebungen. Vortr. führt zunächst aus, wie sich im Laufe der 
Vorbereitung des Referates das Thema verschoben hat; die „klinischen Folgen“ 
erwiesen sich als viel weniger der Diskussion bedürftig, als die Mittel, ihnen 
abzuhelfen; das hauptsächlichste Material erwuchs auch nicht aus einer ver¬ 
gleichenden Betrachtung verschiedenartiger Gesetzgebungen, sondern aus Tat¬ 
sachen der Deutschen Unfallversicherung nnd aus Daten, die dem Gebiete der 
in- und ausländischen Haftpflicht und der Privatunfallversicherung entstammten. 
So stellte sich die Frage ganz allgemein: welche klinische Folgen hat bei Un¬ 
fällen die Tatsache des Versichertseins und was kann geschehen, um diese in 
Wirklichkeit vorhandenen Folgen einzudämmen, ohne die Segnungen der Ver¬ 
sicherung preiszugeben? Die wichtigste Unfallsfolge ist in diesem Zusammen¬ 
hänge die Erzeugung traumatisch nervöser, funktioneller Zustände, deren Um¬ 
grenzung nicht mehr besonders vorgenommen zu werden braucht, da in dieser 
Hinsicht kaum Differenzen der Meinungen bestehen; in der Geschichte der Medi¬ 
zin wird das, was wir vor unsern Augen in großem Maßstabe sich abspielen 
sehen, die Erzeugung einer psychisch-nervösen Epidemie durch ein staatliches 
Gesetz, ein sehr merkwürdiges Kapitel bleiben; auch rein zahlenmäßig handelt 
es sich um keinen gleichgültigen Vorgang, wenn man bedenkt, daß zurzeit in 
Deutschland ca. 20 Millionen Menschen der staatlichen Unfallversicherung angehören. 
Die absolute und relative Zunahme der Zahl der Fälle von traumatischer Neu¬ 
rose wird nicht bestritten; ebensowenig der darin gleichzeitig gegebene Faktor 
der moralischen Degeneration zahlreicher Arbeitskräfte. Der Vortr. stellt die 
Beweise für die Abhängigkeit dieser Fälle von der Tatsache des Versichertseins 
zusammen und erörtert die psychologischen Zusammenhänge. Die „Begehrungs¬ 
vorstellungen“ allein geben keine Erklärung, wenn sie auch als Motiv eine starke 
Wirkung entfalten; es kommen dazu die Zwischenglieder der Suggestion, der 
konzentrierten gefühlsbetonten Aufmerksamkeit, der Kränkung empfindlichen 
Rechtsgefühls, vor allem aber der Wegfall des sonst Nervöse erziehlich beein¬ 
flussenden Faktors der Not, des Zwanges, alles dieses auf dem Untergründe be¬ 
stimmter sozialer Strömungen, die Rechte fordern, ohne Pflichten im gleichen 
Maße anzuerkennen. Versuche, dem Notstände des Überwucherns der traumatischen 
Neurosen entgegenzuwirken, liegen schon vor; zum Teil finden sie ihre Grenzen 
oder ihre Unmöglichkeit in den nun einmal bestehenden gesetzlichen Bestimmungen; 
einzelne andere, vom Reichsversicherungsamt unternommene Schritte, auf dem 
Wege der Auslegung Remedur zu schaffen, sind unhaltbar, weil sie von ärztlich 
falschen Voraussetzungen ausgehen. Da das Gesetz natürlich bleiben muß, handelt 
es sich um einzelne Änderungen des jetzigen Modus, die man in „kleine“ und 
„große“ Mittel ein teilen kann. Zu jenen würde gehören: Abkürzung des Ver¬ 
fahrens, Reduktion der Untersuchungen und Verhöre, Übernahme der Behandlung 
Unfallverletzter vom ersten Tage an, eventuell durch besonders geschulte Ärzte, 
Vermeiden bureaukratischer Chikanen, Beseitigung der Kostenlosigkeit der Be¬ 
rufungen (für den Fall der Ablehnung), Gewährung längerer Schonzeiten (während 
deren Renten nicht angefochten werden können) u. a. m. Als „große“ Mittel 
wären zu bezeichnen: einmal die Regelung der Erziehung zur Arbeit, durch Ein¬ 
richtung von Arbeitsnachweisen eventuell auch Einstellung von Teilinvaliden zum 


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▼ollen Lohn, und, was die einschneidendste Änderung wäre, zweitens eine be¬ 
deutende Ausdehnung der Möglichkeit der Kapitalabfindung; die vom Vortr. ge¬ 
sammelten Tatsachen über die Wirkung der Kapitalabfindung lassen gar keinen 
Zweifel darüber, daß wir in ihr das wirksamste Mittel zur Heilung eines großen 
Teils der traumatischen Neurosen und zur Besserung eines weiteren Teiles 
derselben bekämen. Die praktisch und theoretisch vorzubringenden Bedenken 
wären bei gutem Willen zu beseitigen, wenn das Prinzip anerkannt würde. Es 
ist an der Zeit, die ärztlichen Erfahrungen mit Energie, auch in der Öffentlich¬ 
keit, zu vertreten; hat man s. Z. das Gesetz ohne ärztliche Mitwirkung gemacht, 
so wird die Reform desselben, die notwendig ist, sich erfolgreich nur auf die 
Beihilfe der Ärzte stützen können. 

8. Herr Windscheid (Leipzig): Die klinischen Eigentümlichkeiten der 
Unflallnenrosen mit besonderer Berücksichtigung der in der Unfallnerven- 
kllnik „Hermann-Haus" in Stötteritz bei Leipzig gesammelten Erfahrungen 
über Beobachtung und Behandlung der Unfallhysteriker. Vortr. versteht 
unter Unfallneurose, der erst in moderner Zeit durch das Gesetz hervorgerufenen 
Krankheit, Neurosen, die nach Unfällen entstanden, sich in die drei Gruppen der 
Hysterie, der Neurasthenie und der Hypochondrie teilen, abgesehen von den 
Mischformen. Die Erscheinungen dieser drei Krankheitsgruppen sind bei den 
durch Unfall erzeugten dieselben wie bei den auf andere Art entstandenen Formen, 
gemeinsam ist ihnen allen nur das eine, daß ihre Existenz mit dem Unfälle fallt 
und steht. Vortr. glaubt daher, daß man mit Recht als die Grundlage der 
Unfallneurosen eine besondere Reaktion des GehirnB auf den Unfall annehmen 
dürfe, die er die spezifische Unfallreaktion nennt und die sich in einer absoluten 
Konzentration der Vorstellungen und Empfindungen auf den Unfall und seine 
Folgen körperlicher und geistiger Art zeigt, der Unfallkranke sieht alles durch 
die Brille des Unfalls, er bezieht alle Störungen, die nach dem Unfälle aufgetreten 
sind, auf diesen, so auch Krankheiten, die bereits vor dem Unfall vorhanden 
gewesen sind. Das Gehirn des Unfallkranken reagiert also auf den Unfall ein¬ 
seitig und in qualitativ und quantitativ erhöhter Weise. Aus der spezifischen 
Unfallreaktion erklärt es sich, daß nicht nach jedem Unfall eine Neurose ein- 
zutreten braucht, und daß es auf die Intensität des Unfalls gar nicht ankommt. 
Eine besondere Disposition für die Unfallreaktion läßt sich nicht nacbweisen, die 
Belastung spielt nach Vortr. Erfahrungen kaum eine Rolle, auch der Alkoholis¬ 
mus ist nicht so wichtig, wie es bisher gemeint worden ist. Vortr. weist nur 
auf die häufiger bei Unfallnervenkranken als bei andern Nervenkranken sich 
finden den körperlichen Degenerationszeichen hin. Die Unfallreaktion ist also eine 
noch nicht näher bekannte psychogene Veränderung. Sie wirkt nur auf dem 
Umwege der Rente, denn die Rente oder die Entschädigung ist der Gedanke, 
der den Patienten beherrscht, in den Fällen, wo es keine Rente gibt, fehlt die 
Unfallneurose, darum gab es auch vor Erlaß des Unfallversicherungsgesetzes keine 
derartige Krankheit! Vortr. betrachtet diese krankhaften Vorstellungen, die er 
mit Strümpell Begehrungsvorstellungen nennt, als ein direktes Krankheits- 
Symptom der Unfallneurose, gleichberechtigt mit andern, er wünscht nur, daß mit 
dem Worte „Begehrung" nicht der Begriff des Unrechtmäßigen verbunden wird. 
Simulation hält er für sehr selten. Die spezifische Unfallreaktion erklärt auch 
die Eigentümlichkeit der sogen, lokalen Hysterie, die an dem Orte des Unfalls 
nach Abheilung des lokalen Traumas sich in bleibenden subjektiven Empfindungen 
zeigt. Vortr. geht auf die Frage der Berechtigung besonderer Unfallkranken¬ 
häuser ein, betont, daß man gerade Unfallnervenkranke sehr gut in nioht zu 
großen Unfallnervenkliniken zur Beobachtung unterbringen kann und erblickt ein 
großes Hilfsmittel zur Vermeidung der Gefahr der gegenseitigen Beeinflussung in 
dem Arbeitsprinzip, das im Hermann-Hause eingeführt ist, sowie in einer nioht 


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za langen Beobachtungsdauer, ferner in einer richtigen psychischen Behandlung 
der Kranken seitens des Arztes — keine Debatten über die Berechtigung der 
subjektiven Klagen. Eis besteht in der Klinik völlige Alkoholentziehung, die 
Vortr. gleichfalls flir sehr wichtig hält zur Beurteilung der Unfallfolgen. Die 
Ergebnisse dieser Beobachtungen sind gute, der Kreis der zuweisenden Berufs¬ 
genossenschaften und Schiedsgerichte steigt. — Weniger günstig ist das Ergebnis 
der Behandlung, weil die Unfallnervenkranken nur ungern eine Besserung zugeben 
und oft sie ganz leugnen, weil infolge der Unfallreaktion ihr ganzer Gedanken¬ 
kreis auf die Rente gelenkt ist und sie meistens diese höher stellen als die 
Wiedererlangung der Gesundheit. Die Behandlung derartiger Kranken erfordert 
daher von seiten des Arztes eine große Entsagung in bezug auf Heilerfolge; 
immerhin erscheint aber Vortr. es einer Lebensaufgabe wert, sich in das hoch¬ 
interessante Gebiet der Unfalloeurose zu vertiefen. 

Zur Diskussion äußert sich: 

Herr Ho ff mann (Düsseldorf), der an Stelle der Rentenhysterie eine Ab¬ 
findungshysterie fürchtet, wenn statt Renten einmalige Abfindungen eingeführt 
würden. Es entstehe daun eben statt des Kampfes um die Höhe der Rente ein 
solcher um die Höhe der Abfindung. 

Herr Egger (Basel): Es hat den Anschein, als ob man in Deutschland von 
ärztlicher Seite der Rentenabfertigung überdrüssig geworden sei. In der Schweiz 
dagegen sieht der Entwurf zu einem neuen Unfallversicherungsgesetz Abschaffung 
der Kapitalabfindung und Einführung der Renteneutschädigung vor. Ich habe 
in praxi beide Systeme kennen gelernt. Ihr Herr Referent war der Meinung, 
daß ich Ihnen heute meine Erfahrungen über das schweizerische System der 
Kapitalabfindung mitteilen sollte. Leider kam mir diese Aufforderung zu spät, 
als daß ich noch mein ganzes Material hätte sichten können. Die Arbeit ist in 
Angriff genommen worden und Sie sollen in möglichst kurzer Zeit von dem Er¬ 
gebnis in Kenntnis gesetzt werden. Einige Erfahrungen, die sich nicht auf Zahlen, 
sondern mehr auf allgemeine Eindrücke stützen — ich möchte sie deshalb immer 
noch mit einiger Reserve wiedergehen —, fasse ich in folgende Sätze: 1. Ich 
kenne eine große Zahl von Neurasthenikern, welche dieselben subjektiven Be¬ 
schwerden haben, wie die Mehrzahl der Unfallneurastheniker, und welche das 
ganze Jahr hindurch ihre Arbeit versehen. 2. Ebenso kenne ich eine Anzahl 
von Neurasthenikern, welche ihre Beschwerden auf einen Unfall zurückführen, der 
aber außerhalb des Bereiches unserer Haftpflichtgesetzgebung liegt. Auch diese 
arbeiten hei vollem Lohn das ganze Jahr hindurch, sie sind, wie die erste Kate¬ 
gorie, gezwungen, von Zeit zu Zeit ärztlichen Rat in Anspruch zu nehmen. 3. Von 
den Unfallneurasthenikern hat selten einer die Arbeit voll wieder aufgenommen, 
ehe sein Fall definitiv erledigt war. 4. Unfallkranke, bei denen die definitive 
Erledigung der Angelegenheit nach dem ärztlichen Gutachten auf 1 bis 2 Jahre 
zurückgestellt wurde, weil innerhalb dieser Frist eine Besserung des Leidens 
vorauszasehen war, haben nie eine Besserung zugegeben; im Gegenteil, sie ver¬ 
sicherten durchwegs, daß sich ihre Beschwerden verschlimmert hätten. 5. Bei 
einer Anzahl von Kranken, welche hei uns Renten erhielten (unser Haftpflicht¬ 
gesetz sieht diese Art der Entschädigung bei Eisenhahnunfällen vor), habe ich 
nie Besserung eintreten gesehen. 6. Bei einigen Unfallkranken, die eine große 
Entschädigungssumme erhalten hatten, sah ich nachher prompte Heilung. 7. Un¬ 
fallkranke, denen das Gericht eine kleine oder gar keine Entschädigung zugesprochen 
hatte, heilten nicht, bis sie alle Gerichtsinstanzen durchlaufen hatten. Wurde 
die erste Entscheidung von den oberen Instanzen bestätigt, so nahmen sie die 
Arbeit wieder auf und heilten. — Diese und ähnliche Erfahrungen bekräftigen 
mich in meiner schon vor 11 Jahren ausgesprochenen Meinung, daß das Unfall¬ 
versicherungsgesetz einen erheblichen Einfluß auf den Ablauf der traumatischen 


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Neurosen habe, und daß gewissermaßen eine Korrektur dieser Schädigung zu er¬ 
reichen sei durch rasche Erledigung der EntschädigungBfrage und Zubilligung 
einer kleinen definitiven Entschädigungssumme. Was den klinischen Verlauf be¬ 
trifft, so fand ich keinen wesentlichen Unterschied bei den deutschen und schweize¬ 
rischen Unfallkranken. Ich erhielt den Eindruck, daß bei letzteren das Queru- 
lantentum weniger hervortrat — wahrscheinlich als Folge der rasohen und end¬ 
gültigen Erledigung der Fälle. 

Herr Nonne (Hamburg) berichtet über 5 Fälle von schweren Kopfverletzungen 
ohne Unfall, die er seit einem Jahre gesammelt hat, und die trotz der schweren 
Verletzungen keine Unfallneurose, sondern Heilung zur Folge hatten. Bei zweien 
handelte es sich um Hämatom der Duta, drei gingen mit doppelseitiger Stauungs¬ 
papille einher. Die beiden ersteren wurden trepaniert, der eine, der 20 Mark 
pro Tag verdiente, arbeitete nach 4 Wochen, der andere nach 3 Wochen wieder. 
Die drei anderen erreichten gleichfalls wieder ihre Arbeitsfähigkeit, anscheinend 
weil sie nicht bei einer Unfallversicherung waren. Elin weiterer Fall, ein Lehrer, 
der sich bei Schießversuchen eine schwere Schußverletzung des Hirns beibrachte 
und noch */, Jahr arbeitsfähig war, bekam später nach einem leiohten Schrot- 
schuß durch einen Jäger eine typische Unfallneurasthenie. N. hat auch Renten¬ 
sucht bei ganz Gesunden gesehen. Ein Matrose hatte nach einem Unfall von 
seiner Rhederei eine Abfindung von 12000 Mark bekommen, später bekam er 
infolge eines neuen Unfalles noch 40°/ 0 Rente. Als er nach l 1 / 2 Jahren noch 
Beschwerden hatte, brachte N. heraus, daß der Maon viele Morgen Land, die er 
sich für die Abfindungssumme gekauft hatte, selbst bebaute, also schwere Arbeit 
leistete. Nach Bericht einiger weiterer Fälle offensichtlicher Simulation, sprach 
sich Vortr. zur Therapie dahin aus, daß auch er der Ansicht sei, daß das Appellations¬ 
verfahren nicht kostenlos sein dürfe, für eine höbe Anfangsrente sei er nicht. Trotz 
alles Pessimismus sei er doch der Ansicht, daß es Fälle gebe, in denen es Besserung 
gebe, wenn diese auch selten seien. 

Herr Bäumler (Freiburg) berichtet über einen Fall von Knochendepression 
und Duraverwachsungen, der auf einen späteren Unfall geschoben wurde, aber 
offenbar von einem im Kindesalter erlittenen herrührte. Die Kranken seien ge¬ 
neigt, alles, was sich je an Symptomen an ihnen zeige, auf den Unfall zurück¬ 
zuführen. Bei ihm selbst sei nach einem vor Jahren erlittenen schweren Unfall 
erst später eine Knoehendepression an der Stelle der Verletzung eingetreten. Die 
Verletzung habe nur eine kurze Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt. 

Herr Cramer (Göttingen) ist ein Freund einmaliger, aber definitiver Ab¬ 
findung. Er habe wiederholt die Erfahrung gemacht, daß vernünftige Kranke 
auf den Rat, die Rente fahren zu lassen und lieber gesund zu werden, wirklich 
ihre volle Arbeitsfähigkeit wieder erlangten. Als Therapie habe sich auf der 
„Rosenmühle“ die Beschäftigung sehr bewährt, nachdem jeweils die ersten Schwierig¬ 
keiten überwunden waren. Die Traumatiker halte er für schwer erziehbar zur 
Arbeit. Heilungen habe er nur wenig gesehen. 

Herr Gaupp (Tübingen) hebt im Gegensatz zum Referenten hervor, daß er 
der Disposition eine große Rolle zuschiebe; er halte sie für wesentlich. Das 
wäre dadurch wahrscheinlich, weil gleichschwere Wirkung sowohl durch leichte 
wie große Unfälle hervorgerufen werde. Er sei der Ansicht, man solle jetzt 
schon an die Behörden mit Vorschlägen herangehen. 

Herr Beyer (Rotherbisken) berichtet kurz über Erfahrungen in der Volks¬ 
heilstätte für Nervenkranke. 

Herr Moriz (Straßburg) meint, man solle die Erfahrungen über Simulation 
nicht verallgemeinern. Vorhandene Körperkräfte seien kein Kriterium für vor¬ 
handene oder vorgetäuschte Erkrankung. Es gebe Hysteriker, die über ansehn¬ 
liche Körperkräfte verfügen und doch arbeitsunfähig seien. Für Verallgemeinerung 

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der Abfindung sei er nicht. Ein größeres Kapital sei eine große Verlockung zur 
Übertreibung. 

Herr His (Göttingen) ist für die einmalige Abfindung. Er schlägt vor, be¬ 
stimmte Thesen aufzustellen. 

Herr Weygandt (Würzburg): In der Frage der Simulation von Unfall¬ 
kranken stehe ich mehr auf dem Standpunkte von Nonne. Wir dürfen freilich 
bei Simulation nicht an Fälle denken, wie sie den Juristen vorschweben, die eine 
Simulation in bezug auf § 51 StrGB. annehmen und sich vorstellen, daß viele 
Untersuchungsgefangene den wilden Mann spielen möchten. Unfallsimulanten 
haben doch eben einmal einen Unfall, ein gesundheitserschütterndes Moment ge¬ 
habt. Unsere große Zurückhaltung in der Annahme von Simulation oder bewußter 
Übertreibung ist freilich begründet genug, weil wir oft genug auch bei ganz un¬ 
verdächtigen Fällen sehen, wie sich nervöse Störungen beträchtlicher Art unserem 
objektiven Nachweise entziehen. Die Sektion oder auch manchmal Erfahrungen 
am eigenen Körper können uns hier belehren. Mancher Unfallkranke mit seiner 
Klage über konstante Schmerzen in irgend einer Körperregion erinnert mich an 
ein Erlebnis vor etwa 12 Jahren, als ich auf einem Ausfluge einen Stoß erhielt 
und sofort darauf die heftigsten Beschwerden im Kreuz verspürte, während 
die von Geheimrat Erb freundlichst vorgenommene Untersuchung nichts Objektives 
feststellen konnte. Aber jetzt noch spüre ich bei gewissen Körperstreckungen den 
damaligen charakteristischen intensiven Schmerz angedeutet. Trotzdem kann ich 
nach den Erfahrungen an dem Material in Unterfranken durchaus Simulation als 
vorkommend und Übertreibung als häufig erklären. Die wichtigste Frage ist nun, 
wie der Arzt in vielen Fällen feststellen soll, ob nicht doch zu Hause noch mehr 
oder weniger gearbeitet wird, während die Unfallkranken selbst erklären, sie 
können nichts oder nur ganz wenig leisten. Ich muß mich offen dahin aus¬ 
sprechen, daß zu einer Feststellung in allen Fällen die ärztliche Untersuchung 
nicht ausreicht. Tatsächlich ist der Wunsch des einzelnen, sich auf Kosten anderer 
in irgend einer Weise zu bereichern, gerade durch die Unfallgesetzgebung erheb¬ 
lich gestiegen. Nicht nur das Verlangen nach Unfallrente wächst zusehends, 
sondern auch auf anderen Gebieten sind die Entschädigungsprozesse in raschem 
Ansteigen begriffen, so Ansprüche gegen den Tierhalter usw. Aber nioht nur die 
Neurologie und Psychiatrie leidet unter dieser Kalamität, auch andere Disziplinen 
maohen ähnliche Erfahrungen. Während früher ein Radiusbruch in kurzer Zeit 
glatt zu heilen war, klagt jetzt der Unfallkranke noch nach Jahr und Tag über 
angebliche Schmerzen oder unangenehme Gefühle an der Stelle seiner Radius¬ 
verletzung. Erschwert wird die ärztliche Untersuchung durch die Unterstützung 
und Verhetzung, die dem' Verletzten häufig in heimischen Verhältnissen zuteil 
wird. Die Arzte auf dem Lande sind vielfach geneigt, möglichst günstig über 
einen Verletzten auszusagen, da sie eben nicht nur die Gutachter, sondern weit 
mehr noch die behandelnden Ärzte sind. Geradezu abenteuerliche medizinische 
Behauptungen werden dabei manchmal aufgestellt, so das Auftreten einer Korsa- 
kowschen Psychose nach Verletzung durch einen Stoß einer Kuh. Die An¬ 
gehörigen, aber unter ländlichen Verhältnissen auch die ganze Ortschaft, pflegen die 
Neigung des Verletzten, sich gehen zu lassen und sich in die Vorstellung des 
Krankseins möglichst hineinzuleben, durchaus zu unterstützen und zu verstärken. 
Auf dem Lande sind die Bargeldrenten gesucht und Rentenempfänger erfreuen 
sich besonderen Ansehens, so daß es z. B. vorkommt, daß sich ein solcher auf 
seine Visitenkarte als Beruf das Wort „Rentenempfänger“ drucken läßt. Inwieweit 
solche Elemente noch arbeiten oder nicht, das zu entscheiden vermag die ärzt¬ 
liche Untersuchung vielfach nicht. Es wäre dringend notwendig, in dieser Hin¬ 
sicht eigene Kontrolleure anzustellen, die in unverdächtiger Weise Informationen 


beschaffen über die Art und Weise, wie ein Rentenempfänger sich hinsichtlich 


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seiner Beschäftigung tatsächlich verhält. Einzelne Privatversicherungsgesellschaften 
haben schon damit den Anfang gemacht. Ärzte selbst werden sich zu einer 
solchen Rolle nicht eignen, aber in Fühlung mit den Gutachtern sollten jene 
Kontrolleure treten. Als Gutachter selbst sollten möglichst wenig behandelnde 
Ärzte herangezogen werden, sondern eher die Spezialisten außerhalb des Wohn¬ 
ortes des Verletzten. Leider ist die Gelegenheit, Unfallkranke klinisch zu be¬ 
obachten, vor allem in einem Milieu, in dem sie nicht weiteren ungünstigen 
Suggestionen ausgesetzt sind, und auch nicht noch durch zahlreiche andere Un¬ 
fallkranke geradezu angeleitet werden in der Auffassung ihrer eigenen Störungen, 
noch keineswegs in ausreichendem Maße zu finden. Der Vorschlag der einmaligen 
Abfindung hat vieles für sich, aber bedenkliche Momente schließt er doch ein. 
Zunächst ist die Möglichkeit, durch Übertreibung den Arzt zu täuschen, dann viel 
leichter, wenn es auf eine oder zwei Untersuchungen ankommt, als bei den aller¬ 
dings umständlicheren Wiederholungen der ärztlichen Untersuchung alle 1—2 Jahre 
oder längere Zeiträume hindurch. Fernerhin wird mancher Unfallverletzte, wofür jetzt 
schon Erfahrungen vorliegen, nach dem ersten Unfälle und seiner Abfindung als¬ 
bald trachten, abermals einen Unfall zu erleiden, ja manche Leute eignen sich eine 
gewisse Routine an, Unfälle zu provozieren. Etwas anderes ist es, wenn der 
einmal durch Abfindung erledigte Fall dann auch aus der Versicherung überhaupt 
entlassen würde, wie es von seiten mancher Privatversicherungen ja geschieht. 
Ärztlicherseits bleibt uns nichts übrig, als jeden Fall exakt zu untersuchen, die 
Möglichkeit der Übertreibung, vor allem bei der Augenuntersuchung und elek¬ 
trischen Prüfung, zu berücksichtigen, und die Einschätzung der Erwerbsfähigkeits¬ 
herabsetzung nur mit größter Vorsicht vorzunehmen. Auch wir müssen uns 
hüten, zu freigebig umzugehen mit den Mitteln der Gesamtheit, wenn wir in jedem 
Falle gerecht sein wollen, selbst auf die Gefahr hin, dem einzelnen gegenüber 
hart zu erscheinen. 

Herr Feldmann (Stuttgart) betont die sozialen Gesichtspunkte bei der ein¬ 
maligen Abfindung, die für die Privatversicherungen als Geschäftsunternehmen 
weit mehr in Frage kommt. Der Staat wolle kein Geschäft mit seiner Versicherung 
machen, sondern die Arbeiter schützen. Der plötzliohe Besitz eines größeren 
Kapitals könne einen einfachen Arbeiter leicht ins Unglück bringen. Durch Mangel 
an Erfahrung und Fähigkeit werde das Geld meist bald fort sein und dann sei 
der betreffende übler dran als vorher. 

Herr Grund (Heidelberg): Unter den Momenten, die zur Entstehung der 
traumatischen Neurose führen, spielt die zu große Nachgiebigkeit des begutachten¬ 
den Arztes eine Rolle, die der größten Beachtung wert ist. Das Fehlen der Not 
ist von dem Herrn Referenten mit Recht in den Mittelpunkt der Entstehungs¬ 
ursachen gestellt worden. Wenn derselbe aber richtig sagt, daß der Arzt die 
Not nicht verordnen dürfe, so kann andererseits der begutachtende Arzt mit der 
Wirkung der Not als mit einem objektiven Faktor rechnen und diesen bei der 
Begutachtung einstellen. Der Begutachter ist nicht verpflichtet, zu sagen, wie viel 
der Patient im Momente der Beobachtung arbeiten kann, wo er unter dem Ein¬ 
fluß eines abnormen Mangels an Not steht, sondern er hat zu begutachten, wie 
viel Prozent Arbeitsfähigkeit der Patient besitzt, wenn gleichzeitig der bei der 
entsprechenden Rente wirkende wirtschaftliche Zwang zur Arbeit seine Psyche 
beeinflußt. Unter den Mitteln, welche die traumatische Neurose einzuschränken 
imstande sind, darf eine stärkere Befolgung dieses Grundsatzes nicht vergessen 
werden. 

Herr Hellpach (Karlsruhe): Auch auf dem Lande spiele die Rentenfrage 
eine große Rolle. Der Rentenempfänger sei eine angesehene und begehrte Per¬ 
sönlichkeit. Er halte die ländlichen Arbeiter aus kleiner Landwirtschaft für 
gieriger. Eine größere Untersuchung über diese Frage stelle er z. B. bei den 


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Textilarbeitern an. Sicher scheine ihm, daß die Entstehung der Rentenhysterie 
mit dem den Unfall begleitenden Schreck nichts zu tun habe, was er speziell im 
Hinblick auf die Kräpelinsche Schreckneurose betone. 

Herr La quer (Frankfurt) ist für eine Resolution nach Vorschlag einer zu 
ernennenden Kommission. 

Herr Schnitze (Bonn) widerspricht der Aufstellung von Thesen und Reso¬ 
lutionen. Dazu seien noch zu viel Meinungsverschiedenheiten vorhanden. Von 
der Einführung der einmaligen Abfindung fürchte er eine Häufung der Unfälle. 
Seiner Ansicht nach spiele die Simulation eine große Rolle. 

Herr Erb (Heidelberg) widerspricht mit Rücksicht auf die Statuten und die 
ungeklärte Sachlage einer Resolution. Man sei vielleicht Bchon nächstes Jahr 
anderer Meinung. 

Herr Ho che (Freiburg) erwähnt in seinem Schlußwort, es sei schwer, auf 
die Einzelheiten der Diskussion einzugehen. Zur Frage der Abfindung bemerke 
er, daß die Summe natürlich nicht so hoch sein dürfe, daß ihre Zinsen der Rente 
entsprechen würde. An eine absichtliche Häufung der Unfälle glaube er nicht. 
Immerhin sei man ja heute in vielen Punkten einig, z. B. daß das Gesetz die 
Ursache der Erkrankung, das Verfahren schlecht sei. Dem Begehren eines Teiles 
der Versammlung nach einer Resolution oder Thesen werde er durch einige 
Schlußthesen zu seinem gedruckten Referat entgegenkommen. 

9. Herr Trendelenburg und Herr Bumke (Freiburg i. B.): Zur Frage 

der Baohsohen Pupillenzentren in der Medulla oblongata. Bach und 
Meyer waren durch Experimente an Katzen zu dem Ergebnis gekommen, daß 
doppelseitige Durchschneidung der Medulla am spinalen Ende der Rautengrube 
sofortige Lichtstarre beider Pupillen zur Folge hätte; ein einseitiger Schnitt 
sollte Lichtstarre der gekreuzten Pupille, Freilegung der Rautengrube oft Licht- 
starre und Miosis (Tabespupillen 1) hervorrufen. Bach erklärte diese Ergebnisse 
durch die Annahme von Hemmungszentren am spinalen Ende der Raute. Diese 
bisher nicht einwandfrei nachgeprüften Experimente haben die Vortr. wiederholt, 
und zwar wurde viermal genau entsprechend den Bachschen Versuchen bei künst¬ 
licher Atmung an der typischen Stelle total durchschnitten, außerdem aber vier¬ 
mal nur die eine Hälfte der Medulla durchtrennt und das Tier am Leben ge¬ 
lassen (bis 3 Wochen). Die Vollständigkeit der Schnitte wurde anatomisch 
(Marchipräparate) kontrolliert. Der Erfolg war in keinem Falle der von Bach 
und Meyer beschriebene; es trat niemals Lichtstarre ein, sondern stets nur 
(unmittelbar nach dem Schnitt) Pupillenerweiterung und dementsprechend erfolgte 
dann sogar ein größerer Ausschlag des Lichtreflexes. Niemals wurde bei Frei¬ 
legung der Medulla MioBis beobachtet. Bei den am Leben gehaltenen Tieren mit 
Halbseitendurchschneidung bestand eine geringe Pupillendifferenz, deren Erklärung 
die Vortr. noch offen lassen. — Die Vortr. können somit die Bachschen Resul¬ 
tate nicht bestätigen und glauben, daß die Hypothesen dieses Autors aufgegeben 
werden müssen. (Die ausführliche Veröffentlichung wird in den Klinischen Monats¬ 
blättern für Augenheilkunde erfolgen.) Autoreferat. 

10. Herr Georges L. Dreyfus (Heidelberg): Die Melancholie, ein Zu- 
gtandsbild dea manisoh-depressiven Irreseins. Vortr. hat das in den Jahren 
1892—1906 unter der Diagnose Melancholie in der Heidelberger Psychiatrischen 
Klinik aufgenommene Material katamnestischen Untersuchungen unterzogen. Nahezu 
die Hälfte aller Fälle konnte er persönlich nachuntersuchen. Von allen in Be¬ 
tracht kommenden Kranken konnte Vortr. direkt oder indirekt Nachricht erhalten. 
Die Resultate seiner Ergebnisse decken sich nicht mit den bisherigen Anschau¬ 
ungen über das Wesen und Verlauf der Melancholie des Rückbildungsalters wie 
Kräpelin ihn schildert. Vortr. gelangt zu folgenden Schlüssen: Die Melancholie 
des Rüokbildungsalters muß ihrer Symptomatologie nach als manisch-depressiver 


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Mischzustand aufgefaßt werden. Sie bat die gleiche günstige Prognose wie alle 
zirkulären Depressionszustände. Diese wird nur einigermaßen getrübt durch die 
schweren, körperlichen Schädigungen, welche nicht allzuselten den Tod an inter¬ 
kurrenten Krankheiten bedingen, und durch die Möglichkeit des Hiuzutretens 
einer arteriosklerotischen Hirnerkrankung, die als Ursache des etwaigen Ausgangs 
der Melancholie in Schwachsinn angesprochen werden muß. Der Ausgang in 
einen geistigen Schwächezustand ist im Gegensatz zu den bisherigen Anschauungen 
recht selten. Sehr häufig wird ein Schwachsinn aber vorgetäuscht. Dies erklärt 
sich durch die lange Krankheitsdauer der Melancholie. Geheilte Fälle mit 
5—12jähriger Krankheitsdauer sind keineswegs Belten. Die Melancholie tritt 
sehr häufig nicht, wie man bisher annahm, zum ersten und einzigen Male im 
Rückbildungsalter auf. Depressionen können ihr vorangehen und folgen. Auch 
Manien nach Abklingen der Melancholie kommen vor. Vortr. hat seine An¬ 
sichten über die klinische Stellung der Melancholie und die Ergebnisse seiner 
Untersuchungen in einer im Juni 1907 im Verlag von Gustav Fischer in 
Jena unter obigem Titel erschienenen Monographie niedergelegt. 


IIL Sitzung. Vorsitzender: Herr Hoche (Freiburg). 

11. Herr Becker (Baden); Zur Kenntnis der Neuroglia. Vortr. hat mit 
einigen neuen Methoden die Gestaltung der Glia untersucht. Als Farbstoff ver¬ 
wandte er u. a. die Leukobase des Methylenblau, die verschiedene Vorzüge vor 
dem Salz hat, teils allein mit der von ihm früher geschilderten minimalen Ent¬ 
färbung, teils in Verbindung mit primären und sekundären Beizen (Tannin, 
Tonerdesalzen usw.). Vortr. streift kurz die Frage der Gliagrenzen und Ver¬ 
bindungen mit den nicht ektodermalen Elementen, (die Grenzschichten, die super¬ 
ficialen und perivaskulären Grenzbänke, die Gliafüße Heids u. a. kann er 
bisher nicht bestätigen); hier schließt er sich mehr Weigert an, während er in 
bezug auf das Verhältnis der Gliafasern zu den Gliazellen sich dem Standpunkte 
Heids nähert und kommt hinsichtlich der Beziehungen der Glia zu den Nerven¬ 
fasern zu folgender Auffassung: 1. Die Glia bildet das Gerüst der Markscheide. 
2. Sie bildet ein Gerüst im Achsencylinder, das identisch ist mit den bisher als 
Neurofibrillen bezeichneten Elementen und in welchem der Fortsatz der Nerven¬ 
zelle liegt. 3. Die Glia des Centralnervensystems Betzt sich auf die peripheren 
Nerven fort. Die Sch wann sehen Zellen sind Gliazellen und bilden wie die 
centralen eine Faserunghülle um die Markscheiden (Schwannsche Scheide) und 
das Stützgerüst der Markscheide und des Achsencylinders. Dergestalt Bind sowohl 
Nerven wie Gliazellen „Neuroblasten“. Die geschilderten Verhältnisse werden an 
Zeichnungen und Präparaten demonstriert. 

12. Herr Bethe (Straßburg): Über f&rberisohe Differenzen verschiedener 
Fasersysteme (mit Demonstration). Wie von dem Vortr. schon 1903 gezeigt 
wurde, färben sich mit neutraler Toluidinblaulösung im Rückenmark nach 
Fixierung mit reinem Alkohol außer Ganglienzellen und Kernen nur die moto¬ 
rischen Nervenfasern. Die Strangfasern bleiben ganz ungefärbt und die Fasern 
der hinteren Wurzeln färben Bich nur in ihrem extramedullären Verlauf. Nur in 
der Wurzeleintrittszone nehmen auch die letzteren in der Regel etwas Farbe an. 
Die Achsencylinder der peripheren Nerven, der hinteren und vorderen Wurzeln 
und der intramedullären motorischen Fasern besitzen also die Fähigkeit, sich 
primär zu färben, während allen übrigen Nervenfasern des spinalen Nerven¬ 
systems eine primäre Färbbarkeit nicht zukommt. In einer späteren Arbeit 
wurde gezeigt, daß alle Fasern des Rüokenmarkes durch Behandlung der Schnitte 
mit verdünnten Säuren färbbar werden. Eb blieb noch zu untersuchen, ob der 
prinzipielle Unterschied zwischen motorischen Fasern einerseits und sensiblen und 
intracentralen Fasern andererseits auch im Gehirn zu konstatieren ist. Die Unter- 


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suchungen sind noch nicht ganz beendigt, gestatten aber schon jetzt den Sohluß, 
daß der am Rückenmark festgestellte Unterschied unter Einhaltung gewisser 
K&utelen auch für das Gehirn des Kaninchens, Hundes und Menschen zutrifft. 
Die sensiblen Hirnnerven verlieren ihre primäre Färbbarkeit beim Eintritt in den 
Hirnstamm (Opticus und Olfactorius zeigen besondere Verhältnisse, die von 
anderer Seite untersucht werden). Die Fasern der motorischen Hirnnerven bzw. 
die motorischen Fasern der gemischten Hirnnerven nehmen in der Regel sehr 
stark die Farbe an und Bind bis zu den Ursprungszellen verfolgbar. Besonders 
schön gelingt die Färbung der motorischen Trigeminusfaserung und des Abducens- 
verlaufs. Pyramidenfasern, Brückenfasern, Großhirn* und Kleinhirnfasern usw. 
bleiben stets ungefärbt, so daß die Verfolgung der motorischen Fasern nicht ge¬ 
stört wird. Außer den sicher motorischen Fasern des Hirnstamms gibt es aber 
noch einige andere Fasersysteme, welche stets die Farbe anzunehmen scheinen. 
Zu diesen gehören gewisse Fasern des Trapezkörpers. Ob die Methode der 
primären Färbung für das Studium des Faserverlaufes nutzbringend Bein wird, 
läßt sich zur Zeit nicht entscheiden. 

13. Herr Curschmann (Mainz): Über des funktionelle Verhalten der 
Gefäße bei vasomotorischen und trophiaohen Neurosen. Vortr. betont ein¬ 
leitend, daß die bisherige Systematisierung und Nomenklatur der vasomotorischen 
und trophischen Neurosen nicht in allen Punkten befriedigt. Nicht selten hat 
man über den symptomatologiBchen Standpunkt den funktionellen (biologischen) 
vernachlässigt. Die Rolle des vasomotorischen Verhaltens bei den Akroparästhesien, 
das Verhältnis der Akroparästhesien zum Morbus Raynaud, das des Morbus 
Raynaud zur angiosklerotischen Dyskinesie, die Beziehungen der vasokonstrikto- 
rischen zur vasodilatatorischen Neurose (Akroparästhesie, Erythromelalgie), alle diese 
Dinge bedürfen noch weiterer Klärung, die sich vor allem auf das Verhalten der 
Gefäße bei diesen Neurosen erstrecken muß. Vortr. hat darüber nach dem Vor¬ 
gang 0. Müllers (Untersuchungen bei normalen arteriosklerotischen Individuen) 
die kranken Extremitäten der betreffenden Patienten plethysmographisch unter¬ 
sucht. Zugleich wurde Herz und Kreislauf physikalisch-diagnostisch und mittels 
Blutdruckmessung (in und ohne Anfall) untersucht. Die Versuche wurden angestellt 
an 6 Fällen von Morbus Raynaud, an 2 Fällen von Dysbasia angiosclerotica, an 
1 Fall von Sklerodermie mit Raynaud-Symptomen, an 3 Fällen von Akroparästhesien 
(1 mit Erythromelalgie gemischt), 1 Fall von polyneuritischen Akroparästhesien und 
1 Fall von angioneurotischem Ödem. Die Resultate waren: bei zwei schweren 
Fällen von Morbus Raynaud fehlten alle normalen Gefäßreflexe in Plethysmo¬ 
grammen, dafür fanden sich bisweilen paradoxische Wärmereaktionen (Vaso¬ 
konstriktion bei Wärmeapplikation). Bei drei mittelschweren bis leichten Raynaud- 
Fällen fehlten alle Temperaturreaktionen stets; dafür bisweilen Rudimente von 
Affekt- oder Schmerzreaktionen. Bei Sklerodermie mit Raynaud-Symptomen eben¬ 
falls Fehlen aller Gefäßreflexe (Temperatur, Schmerz, Affekte). Auch bei 2 Fällen 
von intermittierendem Hinken (mit Fehlen der Fußpulse) wurden stets und in jeder 
Phase sämtliche Gefäßreaktionen vermißt. Vasomotorische Akroparästhesien zeigten 
gleichfalls — trotz des Fehlens objektiver vasomotorischer Symptome bei den im 
Intervall untersuchten Kranken — meist Fehlen oder hochgradige Herabsetzung 
aller Gefäßreflexe; dagegen zeigte die polyneuritische Akroparästhesie normales 
plethysmographisches Verhalten. Beim angioneurotischen ödem zeigte sich normale 
Kältereaktion, Fehlen der Wärmereaktion. Das Fehlen aller Gefäßreflexe bei Morbus 
Raynaud und Sklerodermie (auch bei Jugendlichen) spricht also für eine dauernde 
(nicht nur paroxysmale) Vasokonstriktion. Dasselbe aber müssen wir — wenn 
auch in geringerem Maße — für die Akroparästhesien nach ihrem plethysmographischen 
Verhalten annehmen; ein Hinweis auf die nahe Verwandtschaft der malignen und 
benignen Neurose. Bei der angiosklerotischen Dysbasie genügt schon die Arterio- 


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sklerose zum Erlöschen der Gefäßreflexe. Vortr. betont zum Schluß noch den 
Wert der Methode zur Differentialdiagnose und Prognose und fordert zu Nach¬ 
untersuchungen auf. Autoreferat. 

14. Herr Pfersdorff (Straßburg): Über dialogisierenden Rededrang 
(nicht zum kurzen Referat geeignet). 

15. Herr M. .Rosenfeld (Straßburg i/E.): Über einige Formen der 
vasomotorischen Neurose. Im Anschluß an eine frühere Publikation über 
eigentümliche Verlaufsformen der vasomotorischen Neurose berichtet der Vor¬ 
tragende über eine weitere Gruppe von Fällen, in welchen ein bestimmter 
Symptomenkomplex von vasomotorischen Störungen, verbunden mit bestimmten 
psychischen Störungen, anfallsweise auftritt und nach einiger Zeit wieder 
verschwindet. Bei von Hause aus leicht erregbaren Menschen von meist sehr 
guter Intelligenz treten akut ohne sicher nachweisbare äußere Ursache fol¬ 
gende Störungen auf: Akrocyanoee, Akroneurose, Farben Wechsel, Dermographie, 
Herzklopfen ohne nennenswerte Pulsbeschleunigung, gelegentlich Pulsverlang¬ 
samung, unangenehme Herzsensationen; starke Schweißproduktionen, Brechneigung, 
Schwindelgefühl beim Liegen und namentlich beim Stehen und Gehen bis 
zu eigentlicher Gangstörung (vasomotorische Ataxie), heftige Parästhesien in 
einzelnen Extremitäten mit Störung des LagegefÜhlB und einer Art Tastlähmung; 
sehr auffällige Schwankungen der Urinmengen und plötzliche starke Abnahme des 
Körpergewichts. Zu diesen Symptomen auf körperlichem Gebiete gesellen sich 
folgende psychische Störungen: Müdigkeit, leichte Ermüdbarkeit, lebhafte optische 
ängstliche Träume, Illusionen im Halbschlaf, lebhafte Angst und Krankheitsgefühl 
ohne Neigung zu hypochondrischen Gedankengängen und Erklärungsversuchen über 
die Art des Leidens. Eine eigentliche Wahnbildung fehlt. Es besteht nur eine 
gewisse Neigung zu Eigenbeziehungen. Selbstvorwürfe finden sich nur insofern, 
als die Kranken ihre frühere angebliche unzweckmäßige Lebensweise als die Ur¬ 
sache ihres Leidens bezeichnen. Auf motorischem Gebiete finden sich lebhaft 
gesteigerte Ausdrucksbewegungen; keine psychomotorische Hemmung, keine Denk¬ 
hemmung, keine Monotonie der Sprache und der übrigen Bewegungen. In den 
meisten Fällen besteht der lebhafte Antrieb trotz aller Beschwerden zu arbeiten. 
In einzelnen Fällen kann sich das Angstgefühl zu lebhaften Paroxysmen steigern, 
so daß auf der Höhe der Erkrankung kurz andauernde deliriöse Erregungszustände 
auftreten. In dem akuten Stadium ist die Diagnose dieser Fälle insofern schwer, 
als die Symptomenkomplexe möglicherweise das Initialstadium anderer psychischer 
oder nervöser Erkrankungen darstellen könnten. Die mehljährige Beobachtung der 
Fälle lehrte aber, daß die . geschilderten Symptome nach einiger Zeit wieder 
schwinden, daß der Allgemeinzustand der Kranken wieder derselbe wird wie vorher 
und daß derartige Eirankheitsepisoden sich öfters in unregelmäßigen Abständen 
wiederholen. Zur Differentialdiagnose dieser Fälle ist folgendes zu sagen: In 
denjenigen Fällen, in welchen die körperlichen Symptome bestimmte Formen an¬ 
nehmen, wie z. B. Gleichgewichtsstörungen, rasch vorübergehende Augenmuskel¬ 
störungen, Sehstörungen usw., Lagegefühlsstörungen in den Extremitäten, wird an 
den Beginn einer multiplen Sklerose zu denken sein. Die früher von dem Vortr. 
mitgeteilten Fälle dieser Art sind aber auch nach Jahren nicht in die genannte 
Erkrankung übergegangen. Die körperlichen und psychischen Symptome erinnern 
ferner an die Begleitsymptome der Basedowschen Erkrankung. Aber keines der 
Kardinalsymptome der genannten Erkrankung ließen sich nachweisen, weder im 
akuten Stadium, noch im späteren Verlauf. Gegen die Zuordnung dieser Fälle 
zur Hysterie sprechen zahlreiche Gründe und zwar: die freien, nicht hysterisch 
gefärbten Intervalle, das Fehlen der hysterischen Stigmata, der hysterischen 
Charakterveränderung und die völlige Unzugänglichkeit für suggestive Therapie. 
Obwohl die Kranken für zwekmäßige Behandlung sehr empfänglich sind, und 


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namentlich Bettruhe, leichte Beruhigungsmittel und Digitalispräparate sehr gute 
Dienste leisten, gelingt es doch nicht, die Störung rasch zu kupieren. Sehr lehr¬ 
reich sind in dieser Beziehung solche Fälle, in welchen während einer längeren 
Spitalbehandlung die genannten Symptomkomplexe allmählich schwinden und nach 
Wochen wieder auftreten, ohne daß in den äußeren Lebensbedingungen der Kranken 
irgend welche Änderungen vorgenommen wurden. In ihrer Verlaufsform erinnern 
solche Fälle am meisten an die Cyclothymien bzw. an die leichtesten Formen des 
manisch-depressiven Irreseins. Aber alle psychischen Kardinalsymptome der ge¬ 
nannten Psychose fehlen oder kommen nur andeutungsweise zum Vorschein. Nach 
alledem scheint es berechtigt, die genannten Fälle zu einer besonderen klinischen 
Gruppe zusammenzufassen, obwohl die Ätiologie unbekannt ist. Die Abgrenzung 
dieser Fälle hat nach der Meinung des Vortr. nichts Gekünsteltes, sondern ent¬ 
spricht einem praktischen klinischen Bedürfnis. Vortr. schlägt vor, mitBücksicht auf 
die bereits vorliegende Nomenklatur die Fälle als periodische vasomotorische 
Neurose zu bezeichnen. 

16. Herr Cohnstamm (Königstein i/T.): Über hypnotische Behandlung 
von Menstruationsstörangen. Die hypnotische Beeinflußbarkeit der Menstruations¬ 
störungen hat trotz der Mitteilungen von Forel u. a. bisher weder die verdiente 
praktische, noch theoretische Würdigung gefunden. Es kann unter Umständen 
von vitaler Bedeutung Bein, einer Frau auf diesem Wege ihr Blut zu sparen, 
anstatt Bie den Unannehmlichkeiten und den unsicheren Heilungschancen des 
Kurettements unter Narkose auszusetzen. Für den internen und neurologischen 
Praktiker wiegt die menstruelle Blutsparung häufig so viel, wie eine ganze Mast¬ 
kur. Ich zweifle nicht daran, daß auch Menorrhagien bei hypnotisierbaren 
Myomkranken auf diesem Wege erfolgreich zu behandeln sind. Theoretisch ge¬ 
nommen iBt dieser Vorgang ein Prototyp für die seelische Bedingtheit autonom 
vegetativer Organsysteme oder, wie man auch sagen könnte, für das unbewußt 
psychische Eigenleben derselben. Von großer Wichtigkeit ist auch die aus unseren 
Erfahrungen zu ziehende Lehre, wie außerordentliche Vorsicht geboten ist, wenn 
man die physiologische Wirkung von Maßregeln beurteilen will, die gegen 
Menstruationsstörungen gerichtet sind. Nun gilt dies sowohl für medikamentöse, 
als für physikalische Elinwirkungen. Auch die „Blutstopfung“ nach Kussmaul- 
Fleiner-Klemperer, die nicht nur den Blutverlust, sondern menstruelle Leib¬ 
und Kopfschmerzen, sowie die damit einhergehende Übelkeit mit Erbrechen in 
geradezu wunderbarer Weise zu bekämpfen vermag, habe ich im Verdacht, daß sie 
neben ihrer mechanischen Wirkung (im Sinne Kussmauls) in noch viel höherem 
Maße eine suggestive „argumentatio ad uterum“ bedeutet. Statt weiterer Worte 
verweise ich auf die folgende Krankengeschichte: Schon 3 Wochen nach der letzten 
Periode, also eine Woche vor dem regelmäßigen Termin, fühlt unsere Patientin Schwere 
in den Gliedern und Verstimmung. Dann treten Magenkrämpfe, Kopf- und Kreuz- 
schmerzen hinzu. Der Zustand wird fast unerträglich, bis nach 7 bis 9 Wochen 
unter Erbrechen die Blutung beginnt, die mehrere Tage ohne übermäßige Stärke 
andauert. Ich gab also ungefähr am 30. Tage in tiefer Hypnose die Suggestion, 
daß am nächsten Morgen die Periode eintreten sollte, was zu meiner Überraschung 
prompt geschah. Eine Woche vor der nächsten Periode wurde sie zu Hause im 
Einverständnis mit mir von gynäkologischer Seite mit bimanueller Massage und 
lokalen Blutentziehungen behandelt. Dies blieb ohne Erfolg, während meine 
hypnotische Suggestion wieder sofort zum Ziel führte. Dies wiederholte sich 
mehrere Male. Um die Patientin unabhängig von Hypnose und Hypnotiseur zu 
machen, gab ich am 30. September 1905 die Suggestion, daß am 1. Oktober und 
in Zukunft immer am ersten jeden Monats die Periode eintreten sollte. Die 
Suggestion wurde fünfmal genau realisiert, ohne daß zwischendurch eine Hypnose 
nötig war. Im Februar 1906 äußerte die Patientin mir ihr Erstaunen über diese 


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kalendrige Regelmäßigkeit, von deren suggestiver Ursache ihr waches Bewußtsein 
nichts wußte. Doch fing sie offenbar an, den Zusammenhang zu ahnen, und es 
schien, als ob der suggerierte Mechanismus den Lichtschein des Wachbewußtseins 
nicht vertrüge. Denn am 1. März 1906 zum erstenmal blieb die Periode wieder 
aus und kam von da an erst nach jedesmaliger Suggestion. Erwähnenswert ist 
noch ein Mal, wo die Patientin mir nahelegte, erst am zweiten Tage nach der 
hypnotischen Sitzung unwohl werden zu wollen. Auoh diese Suggestion wurde 
zur freudigen Überraschung der Patientin prompt realisiert. Etwa 4 Wochen später 
wurde ich wieder von der Patientin konsultiert, mit der Klage, daß sie seit 
14 Tagen blute. Ich gab die hypnotische Suggestion, daß die Blutung sofort 
stehen sollte. Nach dem Erwachen veranlaßte ich sie, die blutige mit einer neuen 
Menstruationsbinde zu vertauschen, von deren absoluter Blutfreiheit ich mich nach 
mehreren Stunden überzeugen konnte. Dieser Fall, dem ich noch andere — aller¬ 
dings weniger überraschende — anschließen könnte, zeigt, daß die verspätete und 
die zu langdauernde Menstruation durch tief hypnotische Suggestion in erwünschtem 
Sinne beeinflußt werden kann. In anderen Fällen zeigte sich auoh die zu starke 
Blutung derselben Behandlung zugängig. Voraussetzung ist natürlich Hypnotisier- 
barkeit und Suggestibilität, die in meinen Fällen gelegentlich hypnotischer Be¬ 
handlung der Schlaflosigkeit festgestellt wurden. 

17. Herr Knauer (Gießen): Stoffweohselstörungen Io einem Fell von 
Pseadotumor. 19jähriger junger Mensch erkrankte akut unter leichten gastri- 
tischen Prodomalerscheinungen an einer furibunden katatonischen Erregung. Von 
Anfang an leichte paretische Zeichen auf der linken Körperhälfte. Nach etwa 
4 Wochen plötzlich, 24 Stunden lang, 434 schwere epileptiforme Anfälle, teil¬ 
weise von Jacksonsohem Charakter, mit Pupillendifferenz und linksseitiger Ptosis. 
Am nächsten Tage Lähmungen verschwunden und wieder typischer funktionell- 
katatonischer Bewegungsdrang bis zu dem am vierten Tage nach dem Status erfolgen¬ 
den Exitus. Die Urine des Kranken zeigten dauernd hohe spezifische Gewichte, 
enthielten nie Albumen, nie Traubenzucker, dagegen stieg am Anfallstage die 
Phosphatausscheidung enorm an, um mit dem Abklingen der Krämpfe wieder 
zurückzugehen. Vortr. konnte nachweisen, daß ein Teil der Harn-Phosphorsäure 
als Glycerin-Phosphorsäure erschienen war, fand ferner im Blut große Mengen 
Cholin. Die Harne zeigten dauernd intensive Indigoblau- und -rot-, sowie Diazo- 
reaktion, dagegen keine Gallenbestandteile und kein Aceton. Die Mineralschwefel¬ 
säure zeigte hohe Werte, während die Ätherschwefelsäure sich trotz der einseitig 
vermehrten Indoxylschwefelsäure in normalen Grenzen bewegte. Die N-Aus¬ 
scheidung stieg auf Kosten des Körperstickstofles ebenfalls enorm. Patient verlor 
in 8 Tagen 20 Pfund an Körpergewicht ohne Abstinenz. Von den N-haltigen 
Harnbestandteilen erwiesen sich die Hippursäure und die Harnsäure leioht, das 
Ammoniak mit 9,6 °/ 0 des Gesamtstickstofifes stark vermehrt. Nach dem Aufalls¬ 
tage große Mengen Fleischmilohsäure in Harn und Blut. Diesen Körper sieht 
Vortr. aber mit Hoppe-Seyler nur als intermediäres Produkt einer mangel¬ 
haften Oxydation des Muskelglykogens an, die durch den übermäßigen O-Konsum 
im Kraftstoffwechsel sich erklärt. Daher während der Attacken nie Temperatur¬ 
steigerungen. Die Paramilchsäure ist pathogen nur in Verbindung mit den 
andern Säuren als Teilursache der starken Acidose. Die Sektion förderte makro¬ 
skopisch nur eine leichte MeBenterialdrüsenschwellung zutage. Leber und Darm 
insbesondere waren ganz intakt. Mikroskopisch fand sich als Ursache der Phos- 
phatidüberschwemmung im Zentralnervensystem, besonders im Pons und Rücken¬ 
mark, ein ausgedehnter diseeminierter Markscheidenzerfall, ähnlich den Bonnhöfer- 
sehen Bildern bei Delirium tremens. 

18. Herr Gierlioh (Wiesbaden): Über einen Fall von neuraler Muskel¬ 
atrophie mit Beginn in frühester Kindheit und Veränderungen der grauen 


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und weißen Substanz des Bückenmarks, namentlich in den Hinterstrftngen. 

Patient, der im Alter von 7 Jahren an Bronchopneumonie nach kurzem Kranken¬ 
lager starb, war anscheinend gesund bis zum Ende des 1. Lebensjahres. Als er 
dann anfing zu laufen, stellte Bich allmählich eine Lähmung der Dorsalflektoren 
beider Füße ein mit konsekutiver Verkürzung der Achillessehne, so daß im 
3. Lebensjahre außer Krallenstellung der Zehen ein Pes equino-varus bestand, der 
das Gehen fast unmöglich machte. Durch Tenotomie wurde für einige Zeit eine 
Besserung erzielt, die aber beim Fortschritt des Leidens, das auch die Waden¬ 
muskeln befiel, wieder nachließ. Im 4. Lebensjahre begannen auch die kleinen 
Handmuskeln atrophisch zu werden, so daß Spreizen der Finger und Händedruok 
allmählich behindert waren. Die Muskeln des Oberschenkels, des Beckens, Rumpfes, 
Schulter und Arme ohne abnormen Befund. Die elektrische Untersuchung ergab 
starke Herabsetzung der Erregbarkeit für beide Stromesarten in den befallenen 
Muskeln. Die Patellar-Sehnenrefleze fehlten; keinerlei SenBibilitätsstörungen, keine 
Blasenstörung, keine Ataxie. Pupillenreaktion normal. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung des Bückenmarks ergab Degeneration in den Hintersträngen, die im 
unteren Lendenmark fast den ganzen Querschnitt derselben einnahm, weiter oben 
sich auf die Gollschen Stränge beschränkte. Es befand sich ferner Degeneration 
leichten Grades in den hinteren lateralen Teilen des Seitenstranges, des Lenden- 
und Brustmarks. Lissauersche Bandzone, hintere und vordere Wurzeln normal. 
Dagegen fanden sich Veränderungen in den Clarkeschen Säulen und der hinteren 
lateralen Zellgruppe der Lendenansohwellung. Hirnstamm, Gehirn und Kleinhirn 
nicht verändert. Vortr. vergleicht diesen Befund mit den bisher veröffentlichten 
einschlägigen Untersuchungen (Virchow, Friedreich, Dubreuilh, Mari- 
nesco, Siemerling, Sainton), die im allgemeinen gute Übereinstimmung zeigen. 
Vortr. betont die Schwierigkeiten, die anatomischen Befunde mit dem klinisohen 
Krankheitsbilde in Einklang zu bringen und erinnert bezüglich der Bückenmarks¬ 
befunde an die Ähnlichkeit mit der Friedreichschen Ataxie. Ein 1 Jahr 
älterer Bruder des Patienten litt an einer Muskelatrophie von gleichem Verlauf. 
Er starb 8 Tage früher als Patient. Zwei jüngere Geschwister sind gesund. 

19. Herr van Oordt (St. Blasien): Solerosli multiplex oder Lues cerebro¬ 
spinalis obronioaP (Erscheint in diesem Centralblatt als Originalmitteilung.) 

20. Herr Edinger (Frankfurt a/M.): Zur Kasuistik des Nervenauf- 
brauoh.es. Die Überzeugung, daß die Lokalisation der meisten peripheren und 
centralen Nervenkrankheiten durch die Funktionen selbst bedingt wird, ist keines¬ 
wegs eine allgemeine. Es verlohnt deshalb durchaus, immer wieder Fälle bei- 
subringen, welche besonders klar in diesem Sinne sprechen. Für den, der auf 
dem eingangs erwähnten Standpunkt steht, bedarf es allerdings solcher Fälle 
nicht mehr. Die Praxis fuhrt ihm täglich Beweise zu, wenn er, und das kann 
nicht intensiv genug hervorgehoben werden, bei jeder einzelnen Beobach¬ 
tung untersucht, aus welchen Gründen ein etwaiger Ausfall so und 
nicht anders lokalisiert ist. Ohne solohe spezielle Nachforschung bleibt 
die Mehrzahl der Beobachtungen steril. — 1. Seit meiner letzten ausführlichen 
Mitteilung sind auf meine Veranlassung wiederholt die Sehnenreflexe nach 
schweren Anstrengungen untersucht worden. Existiert der postulierte Auf¬ 
brauch, so mußten sie gelegentlich schwinden. In der Tat fand S. Auerbach, 

von 39 Badfahrern 10 die Kniesehnenreflexe nach einem Bennen vorüber¬ 
gehend verloren. Viermal waren sie ungewöhnlich gesteigert. Diese Steigerung 
tritt, wie ich selbst an Läufern gefunden, sehr bald auf und ist wahrscheinlich 
ein Vorläufer des Unterganges. Von 12 Teilnehmern eines Hundert-Kilometer- 
marsches konnte Schilling bei acht eine hochgradige Abschwächung, bei einem 
totalen Verlust konstatieren und Oekonomakis, welcher auf meine Bitte 
18 Marathonläufer bei den olympischen Spielen untersucht hat, sah bei fünf die 


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Sehnenreflexe verschwunden, bei den anderen Erhöhungen. Ähnliches hatten 
übrigens schon vor Jahren Knapp und Thomas bei einem Vierzig-Kilometerlauf 
iu Amerika festgestellt. 2. Über deutlichen Aufbrauch eines peripheren Nerven 
konnte aus meiner Beobachtung Lilienstein berichten. Bei einer blutarmen 
Telephonistin erlahmte und schwand hochgradig die Handmuskulatur, welche den 
schweren Hörer viele Stunden lang halten mußte. Nach Einführung von Kopf¬ 
hörern trat Heilung ein. 3. Schon in meiner ersten Mitteilung glaubte ich Blei¬ 
lähmungen als funktionellen Aufbrauch bei durch Blei geschädigtem Boden an¬ 
sprechen zu dürfen. Den dort beigebrachten Tatsachen kann ich heute zwei 
durchaus in gleichem Sinne sprechende, beifügen. Einmal den bereits von 
Lilienstein veröffentlichten Fall einer LetternBchleiferin. Hier war Ulnaris- 
und nicht Radialislähmung eingetreten. Als Ursache konnte nachgewiesen werden, 
daß die Letternschleifer wesentlich die Ulnarismuskulatur anstrengen. Und dann 
sah ich einen Fall, der fast die Beweiskraft eines Experimentes hat. In unserer 
Poliklinik wurde in langer Kur ein bleikranker Anstreicher von seiner rechts¬ 
seitigen Radialislähmung geheilt. Noch zu schwach in der Hand, um den Öl¬ 
farbenpinsel zu führen, welcher beim Streichen fast ausschließlich durch die 
Radialismuskulatur dirigiert wird, nahm er das Anstreichen mit Wasserfarben 
auf. Dabei wird eine schwere besenartige Bürste mit der Hand festgehalten 
— keine geringe Kraftleistung — und mit ihr im wesentlichen aus dem Schulter¬ 
gelenk gestrichen. Bei diesem Mann trat nun bald Parese und ziemlich hoch¬ 
gradige Atrophie der ganzen Handmuskulatur ein. Bei einem Bleikranken war 
also zuerst die Radialismuskulatur erlahmt, solange sie stark angestrengt wurde. 
Sie war geheilt. Es waren aber dann Ulnaris- und Medianuslähmungen aufgetreten, 
als an diese Nerven besondere Anforderungen gestellt wurden. 4. Die Augenärzte 
sind bekanntlich ätiologisch befriedigt, wenn sie in einem Falle von Pupillar- 
lähmung vorausgegangene Syphilis nach weisen können. Ich habe schon früher 
darauf hingewiesen, daß die Syphilis allein ätiologisch nicht ausreicht, und ein 
im Dezember 1906 mir vorgekommener Fall, den mehrere Augenärzte gesehen 
hatten, beweist, daß neue Fragen und präzise Aufklärungen erwachsen, wenn man 
sich auf den Standpunkt der Aufbrauohtheorie stellt. Es ergab sich nämlich, daß 
ein Patient, der außer seiner fast totalen Pupillenlähmung ohne Verengerung 
keine Nervenstörungen bot, am Tage bevor die Erkrankung aufgetreten war 
viele Stunden auf hellglitzernden Schneefeldern der Jagd obgelegen hatte. Die 
Pupillen des Syphilitischen haben dieser enormen Kontraktionsanstrengung nicht 
Stand gehalten. Über ähnliche Fälle habe ich früher berichtet und ich zweifle 
nicht, daß bei richtiger Art des Fragens ihre Zahl sich rasch mehren wird. 
5. Auch auf dem Gebiete des centralen Aufbrauchs sind mir wieder eine große 
Anzahl interessanter Beobachtungen vorgekommen; ich will sie aber zurückstellen, 
um hier im Aufträge von Dr. Loewenthal in Braunschweig zwei Fälle von ein¬ 
seitiger Ataxie bei Tabes zu erwähnen. Es sind typische Tabiker mit allen Er¬ 
scheinungen. Der eine, ein Kapellmeister, steht täglich mehrere Stunden beim 
Dirigieren mit der Körperlast auf dem rechten Beine. Jetzt kann er wegen 
hochgradiger Ataxie desselben auf diesem überhaupt nicht mehr stehen. Links 
ist die Ataxie nur unbedeutend. Auch die sonst typischen Sensibilitätsstörungen 
sind am rechten Beine viel stärker als links. Der zweite, ein Bahnbeamter, hat 
mehrere Jahre vor Ausbruch der Tabes sein rechtes Knie gequetscht und schont 
dieses. Jetzt, wo er typisch tabisch ist, ist der Sehnenreflex auf der Seite des 
geschonten Beines noch vorhanden; er ist also nur auf dem linken, das überwiegend 
benutzt wurde, geschwunden. 6. Schließlich darf ich es als eine vollkommene 
Bestätigung der Aufbrauchtheorie bezeichnen, daß vor kurzem Wittmaak durch 
fortgesetzte Geräusche bei Tieren das klinische und anatomische Bild der pro¬ 
gressiven nervösen Ertaubung erzeugen konnte. Dieses Leiden, welches 


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bekanntlich familiär auftritt, batte ich früher schon za den Aufbrauchkrankheiten 
bei angeborener zu schwacher Entwicklung eines einzelnen Nerven gestellt. 

21. Herr Link (Freiburg i/B.): Über Muskelton. In Ergänzung eines 
Vortrages über den gleichen Gegenstand auf der WanderVersammlung 1904 
(vgl. d. Centralbl. 1906, Nr. 2) berichtet Vortr. über Untersuchungen des Muskel¬ 
tons, des tiefen Tons, den man über jedem willkürlich tetanisch kontrahierten 
Muskel, z. B. dem Interosseus primus, mit dem Hörrohr hört, und demonstriert 
zunächst eine vermittelst einer graphischen Methode aufgenommene Kurve von 
11,8 Oszillationen pro Sekunde (nach v. Kries). Bei genügender faradischer 
Beizung hört man beim Menschen einen lauten dauernden Ton, entsprechend der 
Unterbrechungszahl des Hammen, und zwar nur über einem sich kontrahierenden, 
nicht über einem gelähmten, sich nicht zusammenziehenden Muskel, woraus folgt, 
daß es sich hierbei um innere Vorgänge im Muskel selbst handeln muß, nicht 
um bloße Übertragung von Schwingungen. Bei KaSTe ist ein lauter Ton wahr¬ 
nehmbar, entsprechend der physiologischen Tatsache, daß dabei eine große Zahl 
von Aktionsströmen den Muskel durchsetzen. Die langsame Zuckung der Ent¬ 
artungsreaktion gibt dagegen keinen Ton, dementsprechend zeigt die Kurve der¬ 
selben keinerlei sekundäre Erhebungen (Demonstration). Diese Tatsache ent¬ 
spricht der Theorie der Entartungsreaktion, die in derselben die Reaktion des 
entnervten Muskels sieht; es ist dazu auch nicht das Vorhandensein der anato¬ 
mischen Veränderungen erforderlich, die man früher für nötig hielt. Hierfür 
sprechen die anatomischen Befunde von Jam in und namentlich die Untersuchungen 
von Achelis, welcher mit der von Schenk angegebenen Methode der tripolaren 
Nervenreizung am Präparat, das durch Tetanisieren mit dem faradischen Strom 
ermüdet war, alle Erscheinungen der Entartungsreaktion hervorrufen konnte. 
Vortr. faßt sie auf als bedingt durch die Ermüdung der Nervenendorgane. Er¬ 
müdung hebt auch, wie aus physiologischen Untersuchungen hervorgeht, die 
Fähigkeit der Muskeln zu tönen auf, ebenso wie sie einen langsamen Ablauf der 
Zuckungskurve bedingt. Bei Myotonia congenita, bei der ebenfalls ein langsamer 
Ablauf der Zuckungskurve beobachtet wird, hört man nach Herz anfangs keinen 
Ton; erst wenn die Starrheit, die im Beginn der willkürlichen Bewegung ein 
Hindernis entgegensetzt, weicht, hört man allmählich den Muskelton zu seiner ge¬ 
wöhnlichen Höhe anschwellen. Über den spastischen kontrahierten Muskeln bei 
Hemiplegie hört man keinen Ton; bei Registrierung erhält man eine gerade Linie. 
Da die meisten Autoren diese Spasmen für bedingt halten durch einen Reizzustand 
des niederen Centralnervensystems veranlaßt durch die Fortdauer der sensibeln 
centripetalen Einwirkungen und den Ausfall der Pyramidenbahn, so scheint aus 
der angeführten Tatsache hervorzugehen, daß der Innervationstypus der niederen 
Centren ein anderer ist als der willkürliche vom Cortex aus. Die Diskontinuität, 
die letzterem sicher zukommt, ist bei diesem nicht vorhanden. Autoreferat. 

22. Herr Fischler (Heidelberg): Über Erfolge und Gefahren der Alkohol- 
Injektionen bei Neuralgien und Neuritiden. Schlossers Erfolge der Be¬ 
handlungsarten chronischer Reizzustände der peripheren Nerven mit Alkohol¬ 
injektionen veranlaßte die Anwendung seiner Methode bei Fällen von Ischias und 
Neuralgien. Die anfangs im ganzen sehr günstigen Erfolge bei Ischias (Injektion 
von 1 bis 2 ccm 70 bis 80 °/ 0 Alkohol an die Austrittsstelle der Nerven) wurden 
abgebrochen, als nach einer Injektion von 1 ccm 70 °/ 0 Alkohol an dem N. peroneus 
eine komplette Lähmung eintrat, die bis zur völligen Heilung ein Jahr dauerte; 
Erb sah von Alkoholinjektionen, die von anderer Seite gemacht waren, drei 
weitere üble Folgen: 1. Eine komplette Facialislähmung mit Entartungsreaktion, die 
nach 7 Monaten noch nicht völlig geheilt war. 2. Lähmung im Gebiete des N. tib 
mit Entartungsreaktion in den kleinen Fußmuskeln, die gleichzeitig mit starken 
sensorischen Reizerscheinungen einherging und nach ®/ 4 Jahren noch nicht völlig ver- 

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schwanden war. 3. Lähmung der Unterschenkel mit Entartungsreaktion, Anästhesie 
und heftigen Parästhesien, die ca. 5 Monate bis zur Heilung brauchte. Es wird 
sich daher empfehlen, Alkoholinjektionen bei rein motorischen oder gemischten 
Nerven nur als ultimum refugium zu betrachten und sie auf die sensorischen 
Nerven, wo sie offenbar sehr gute Erfolge haben, zunächst zu beschränken. 


IV. Vermischtes. 

Id der Zeit vom 4. bis 23. November d. J. findet in der psychiatrischen Klinik in 
München ein psychiatrischer Fortbildungskurs statt. Es sind folgende Vorlesungen 
in Aussicht genommen: l. Alzheimer, Normale und pathologische Anatomie der Hirnrinde 
(27 Stunden). — 2. Gudden, Anatomie des Centralnervensystems (6 Stunden). — 3. Katt¬ 
winkel, Neurologische Demonstrationen (9 Stunden). — 4. Kraepelin, Klinische und foren¬ 
sische Demonstrationen (28 Stunden). — 5. Nitsche, Methodik der klinischen Kranken- 
nntersuchung (5 Standen). — 6. Plant, Serodiagnostische Untersuchungen (3 Stunden). — 
7. Rehm, Cytodiagnostik der Cerebrospinalflüssigkeit (3 Stunden). — 8. Rüdin, Tatsachen 
und Probleme der Entartung (6 Stunden). — 9. Specht, Kriminalpsychologie (8 Stunden). 
— 10. Specht, Klinische Experimentalpsychologie (8 Stunden). — 11. Weiler, Physikalisch¬ 
klinische Untersuchungsmethoden (5 Stunden). — 12. Besichtigungen von Anstalten. 

Der Kursus wird täglich die Stunden von 8 bis 12 und von 4 bis 6 Uhr in Anspruch 
nehmen. Teilnehmerkarten 60 Mark. Anmeldungen bis zum 1. September erbeten. 


Der H L internationale Kongreß für Irrenpflege findet unter dem Präsidium 
des Herrn Hofrat Prof. Dr. Obersteiner vom 7. bis 11. Oktober 1908 in Wien statt. 

Beitrittserklärungen zu demselben, sowie Anmeldungen von Vortragen wollen bis 
spätestens 1. Juli 1908 au den Generalsekretär Dozent Dr. Alexander Pilcz in Wien IX, 
Lazarettgasse 14 eingeschickt werden, welcher auch nähere Auskünfte zu erteilen bereit ist. 
Das genauere Programm wird seinerzeit veröffentlicht werden. 


In St.Blasien im Schwarzwald wurde am 15. Juni das ErholungsheimFriedrioha- 
haus eröffnet, das den Zweck verfolgt, minderbemittelten Nervenkranken, Magen- 
Darmleidenden, Stoffwechselkranken und Erholungsbedürftigen, insbesondere 
des gebildeten Mittelstandes in dem herrlich gelegenen Kurort hygienische Unterkunft, diäte¬ 
tische Verpflegung, Luftkur, Hydrotherapie, Elektrotherapie, Massage, Liegekur, Terrain- 
kur U8W..zu mäßigem Preise zu verschaffen. Das durchweg modern eingerichtete Sanatorium 
wurde von Einwohnern St. Blasiens unter weitherziger Mithilfe einer großen Anzahl seiner 
Kurgäste ins Leben gerufen. Überschüsse werden zur Tilgung langfristiger unverzinslicher 
Darlehen, zur weiteren Herabsetzung des Prtegesatzes und zur höchstens 4 °/qigen Verzinsung 
größerer Gründungsanteile verwandt mit Ausschluß eines Unternehmergewinnes. Die ärzt¬ 
liche Leitung liegt in den Händen des Herrn Medizinalrat Dr. Baader, dem die Herren Hof¬ 
rat Dr. Determann und Dr. van Oordt ihre Unterstützung zugesagt haben. 


Der Herausgeber des „Neurologischen Centralblattes“ 

Herr Geh. Medizinalrat Professor Emanuel Mendel 

ist am 23. Juni d. J. uns völlig unerwartet aus diesem Leben abberufen worden. 
Tief erschüttert von dieser plötzlichen Lösung einer ftinfundzwanzigjährigen Verbin¬ 
dung, werden wir das Gedächtnis des Entschlafenen stets in Ehren halten. 

Veit & Comp. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Pankovr b. Berlin, Breitestr. 44. 


Verlag von Vbit 4 Comp, in Leipzig. — Druck von Mrtzobb 4 Wirrro in Leipzig. 

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Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet von Pro£ E. MendeL 
Heraasgegeben 
Ton 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsnndzwanzigster Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 16. Juli. - Nr. W. 


Inhalt. 1 . Originalmitteilungen. 1 . Zum Andenken an Emanuel Mendel, von Th. Ziehen. 
2. Ein Fall von dauernder hysterischer „Retentio urinae“, von Dr. J. Raimist. 3 . Über 
Reizungen des Kleinhirns, von A. Lourie. 4. Beitrag zur Frage der „sukzessiven“ Kom¬ 
bination von Psychosen, von Dr. Blum. 

II. Referate. Physiologie. 1. Neue Versuche über die Regeneration von Nerven¬ 
fasern, von Bethe. 2. Le radcanisme de la regenörescence nerveuse, par Marinesco. 3. Die 
Neutralzellen des centralen Nervensystems, von Kronthal. 4. Die Neuronlehre, von Bloch. 
— Pathologische Anatomie. 5. A case of orbital encephalocele with unique malformation 
of the brain and eye, by Parsons and Coats. — Pathologie des Nervensystems. 
6. Die Pathogenese und Therapie der Eisenbahnkrankheit des Rindes, von Schmidt. 7. Klinische 
Kasuistik aus der Praxis, von Erb. 8. fitude clinique et anatomo-patbologique d'un cas 
de poliomyölite diffuse subaigue de la premiere enfance (amyotrophie chronique d'origine 
spinale d’Hoffmann), par Armand-Delille et Boudet. 3. Muskeltransplantation bei Behandlung 
der Kinderlähmung, von Sachs. 10. Erweichungsherde in der Medulla oblongata mit retro¬ 
graden Degenerationen in Pyramidenbahn und Schleife, von Kölpin. 11. Über Bulbärpara- 
lyse bei Lipomatose, von Osann. 12. Deux observations cljniques de paralysie pseudo- 
bulbaire sans paralysie des membres, par Lamy, 13. I. Über die ErVsche Krankheit 
(Myasthenia gravis), von Albertoni. II. Klinischer Beitrag zur Kenntnis der Erb-Goldflam- 
schen Krankheit, von Levi. 14. Über die „myasthenische Paralyse“ im Anschluß von zwei 
Fällen, von v. Kelly. 15. Deux cas de myasthenie bulbospinale, par Raymond et Lejonne. 
16. Myasthenia gravis pseudo-paralyti ca, von Sitsen. 17. Eine Serie mißbildeter Knaben 
von einem Elternpaar, von Sippel. 18. Ein Fall von angeborener familiärer Ankylose der 
Fingergelenke, von Goldflam. 19. A case of family atrophy of the peroneal type, by Walton. 
20. Beiträge zur Nosographie und Histopathologie der amaurotisch-paralytischen Idiotie¬ 
formen, von Schaffer. 21. A contribution to the study of amaurotic family idiocy ; by 
Poynton, Parsons and Holmes. 22. Familiäre, paralytisch-amaurotische Idiotie und familiäre 
Kleinhirnataxie des Kindesalters, von Higier. 23. Ein Fall von Tay -Sach’scher familiärer 
amaurotischer Idiotie, von Huismans. 24. A family form of progressive muscular atrophy 
beginning late in life, by Browning. 25. Pathologisch-anatomischer Befund in einem weiteren 
Falle von familiärer spastischer Paraplegie, von Newmark. 26. Un cas de myotonie con¬ 
genitale, par Meeus. 27. Fall von Myotonie, von Mann, 28. Über atypische Formen der 
Thorasen'schen Krankheit (Myotonia congenita), von Pelz. 29. Psychische Störungen bei 
Thomsen'scher Erkrankung, von Wedenski und Sachartschenko. 30. Nystagmus essential 
familial, par Apert et Dubuse. 31. Erbliches Zittern, von Neisser. — Psychiatrie. 32.. Bi- 
drag tili kännedomen om sinessjuk domarnas familiära uppträdande, afVestberg. 33. Über 
die Abgrenzung und die Grundlagen der Zwangsvorstellungen, von Friedmann. 34. Gicht 
und Psychose, von Mendel. 

III. Biblographie. 1. Die Trunksucht und ihre Abwehr. Beiträge zum gegenwärtigen 
Stande der Alkoholfrage, von Baer und Laquer. 2. Arthur Schopenhauer. Seine wirklichen 
und vermeintlichen Krankheiten, von W. Ebstein. 3. Chr.D.Grabbes Krankheit, von E. Ebstein. 
4. Der Schmerz. Eine Untersuchung der psychologischen und physiologischen Bedingungen 
des Schmerzvorganges, von Meyer. 5. Verdeutschungsbücher des Allgemeinen Deutschen 
Sprachvereins. VIII.: Die Heilkunde. Verdeutschung der entbehrlichen Fremdwörter aus 
der Sprache der Ärzte und Apotheker, bearbeitet von Kunow. 

IV. Aus den Gesellschaften. Psychiatrischer Verein zu Berlin. 


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I. Originalmitteilungen. 

1. Zum Andenken an Emanuel Mendel. 1 

Von Th. Ziehen. 

Hochgeehrte Kollegen! Unsere Gesellschaft und mit ihr die Wissenschaft 
hat einen schweren Verlust erlitten. Emanuel Mendel ist am 23. Juni von 
einem qualvollen Leiden durch den Tod erlöst worden. 

Sein Andenken ist in den letzten Tagen vielfach gefeiert worden, dabei ist 
vor allem mit Recht seiner Persönlichkeit gedacht worden. Heute UDd an dieser 
Stelle ist es angebracht, vorwiegend des Forschers zu gedenken. 

Schon sehr frühe hat er sich unserer Wissenschaft zugewandt Er ist nie¬ 
mals wie die meisten von uns Assistent einer Klinik gewesen, sondern aus kleinen 
Anfängen hat er sich als selbstgeschaffener Mann allmählich hinaufgearbeitet zu 
seiner wissenschaftlichen Höhe. 

Als er im Jahre 1860 seine Studien vollendet hatte, siedelte er sich in 
Pankow an und war hier und in den umliegenden Dörfern als Landarzt tätig. 
Damals schon war seine ganze freie Zeit der Neurologie und Psychiatrie gewidmet, 
und diesem Streben ist er Zeit seines Lebens treu geblieben. 

In erster Linie beschäftigte er sich mit der Psychiatrie — und sie ist stets 
sein Lieblingskind geblieben. Sie verdankt ihm seine größten Leistungen. Um 
seine Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Psychiatrie zu verstehen, 
muß man die Lage unserer Wissenschaft zu der Zeit, wo Mendel zum ersten 
Male wissenschaftlich auftrat, in Betracht ziehen. Mit Gbiesingeb war die 
Psychiatrie plötzlich zu ungeahnter Höhe gefördert worden, aber nach dieser 
Hochwelle trat eine starke Ebbe ein. 

Es war der Zug der Zeit, daß man sich mehr der Neurologie zuwandte. 
Es schien, als sollte die Rückenmarksseele die Gehirnseele verdrängen. Die 
Arbeiten aus der damaligen Zeit betrafen wesentlich die Anatomie, die Physio¬ 
logie und die Pathologie des Nervensystems, die Psychiatrie wurde etwas stief¬ 
mütterlich behandelt. Da war es Mendel, der die Kontinuität der Entwicklung 
der Psychiatrie aufrecht erhielt 

Gerade zu der Zeit, in der die Neurologie etwas einseitig vorherrschte, bat 
er seine größten und grundlegendsten psychiatrischen Arbeiten geschrieben. Ich 
erinnere Sie namentlich an seine beiden großen Monographien: diejenige über 
die progressive Paralyse und diejenige über die Manie. 

Es war in Deutschland damals geradezu unerhört, daß klinische Monographien 
über Psychosen geschrieben wurden. 

Fast nur die Illenauer Schule, Schule und Kbafft-Ebing wagten sich 
an solche Aufgaben. Für Norddeutschlaud war diese klinische Behandlung 


1 Gedenkrede, gehalten am 8. Juli 1907 in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten (abgekürzt nach einem Stenogramm). 


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einzelner Psychosen, wenn wir von Kahlbaum absehen, etwas ganz Neues. In 
den älteren psychiatrischen Arbeiten sucht man meist vergebens nach einer 
sorgfältigen Besprechung der Differentialdiagnose, der pathologischen Ana- 
tomie usf. 

Wir können sagen, Mendel hat die psychiatrische Monographie für Deutsch¬ 
land erst geschaffen. 

Ich will nur mit einigen Worten auf die erste dieser Monographien, die 
Progressive Paralyse der Irren aus dem Jahre 1880, zurückkommen. Freilioh 
war diese Krankheit schon sehr lange bekannt, aber ein so umfassendes Studium 
war dieser Krankheit bislang noch nicht gewidmet worden; es gab viele einzelne 
Arbeiten, aber eine zusammenfassende Monographie fehlte. Mendel hatte 
300 Fälle und 60 Sektionen zur Verfügung, und wie hat er diese 300 Fälle ver¬ 
wertet! Unendlich bereichert ging die Symptomatologie der Krankheit aus seinen 
Beobachtungen hervor! Nicht weniger förderte er die pathologische Anatomie 
der Paralyse. Allerdings hat auch Mendel mit seinen pathologischen Forschungen 
noch nicht die volle Aufklärung über das Wesen der Krankheit gebracht. Es 
ist Ihnen bekannt, daß er als das wesentliche Substrat der Krankheit eine diffuse 
interstitielle kortikale Encephalitis mit Ausgang in Hirnatropliie annahm. Diese 
Auffassung ist allerdings nachträglich durch die späteren Forschungen berichtigt 
worden, sie enthielt nur einen Teil der Wahrheit; aber jedenfalls hat er eine 
wichtige Seite des pathologisch-anatomischen Prozesses zum ersten Male gründ¬ 
lich und exakt geschildert und in ihrer Wichtigkeit zur Geltung gebracht. Was 
die Ätiologie der Dementia paralytica anbelangt, so hatte schon Kjelbebg vor 
Mendel behauptet, daß die Syphilis für die Entstehung der Paralyse eine 
ätiologische Bedeutung habe. Im Jahre 1880 gab es indes noch viele Gegner 
dieser Meinung, Kjelbebg’s Ansicht stieß bei Foubnieb, Westphal u. a. auf 
lebhaften Widerspruch; da war es Mendel, der in überzeugender Weise sein 
Material zugunsten der KjELBERG’schen Lehre vorbrachte. Damals stand das 
Zünglein der Wage sehr schwankend, erst Mendel’s Arbeiten haben der richtigen 
Anschauung Bahn gebrochen. 

Auch in der Darstellungsweise bedeutete die MENDEL’sche Monographie einen 
Fortschritt. Wenn Sie die Arbeiten der Jahre 1860 bis 1880 betrachten, so 
finden Sie vielfach ein Überwuchern unklarer Vorstellungen und Phrasen. Mendel 
war es, der mit diesen scheinbar geistreichen Vergleichen aufräumte und den 
schwierigen Stoff mit klaren einfachen Worten natürlich und sachlich behandelte, 
ich möchte sagen in naturwissenschaftlicher Sprache. 

Dasselbe gilt von seiner Monographie über die Manie aus dem Jahre 1881. 

Gbiesingeb, der in vielen Beziehungen Mendel’s Vorbild war, hatte schon 
die Manie in übersichtlicher Weise skizziert, aber es war Mendel Vorbehalten, 
das von Gbiesengeb geschaffene Bild auszugestalten. Die Fixierung des Be¬ 
griffes der Manie, wie er jetzt in Deutschland feststeht, verdanken wir zu einem 
großen Teil Mendel. 

Es sei mir gestattet, aus der Fülle seiner psychiatrischen Arbeiten noch 
einen kleinen unscheinbaren Aufsatz herauszugreifen, weloher in der 1. Auflage 

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der Eulen bdRG’ schen Real- Ency klopädie erschienen ist. Ich meine den Artikel 
über die Paranoia. 

Seine Darstellung dieser Psychose deckt sich im wesentlichen mit derjenigen, 
wie sie Westphal und Griesinger vor ihm bereits gegeben hatten, aber er 
war es, der das, was über diese Krankheit bereits veröffentlicht war, zusammen- 
faßte und den Begriff der Paranoia zum ersten Male des genaueren umschrieb. 

Vogel hatte das Wort Paranoia bereits im Jahre 1764 verwandt, Hein- 
both hatte 1818 versucht, eine genaue Definition zu geben. Später verlor sich 
dieser Begriff, und man half sich mit anderen Ausdrücken, wie „Verrücktheit“, 
„Wahnsinn“ usf. Keiner dachte sich dasselbe darunter wie der andere. Bei 
dieser verworrenen Lage hat Mendel unserer Wissenschaft einen großen Dienst 
geleistet, indem er nicht nur eine sehr präzise Darstellung der Krankheit gab, 
sondern auch mit sicherem Sprachgefühl und historischem Takt einen zweck¬ 
mäßigen Namen vorschlug. Sein Verdienst ist hier kaum geringer als dasjenige 
Waldeyeb’s bei der Schaffung des Neuronbegriffes. In beiden Fällen lagen 
zahlreiche Vorarbeiten vor, aber die Zusammenfassung der Vorarbeiten in einem 
glücklich gewählten Terminus stand noch aus. 

Es gibt kaum ein Gebiet der Psychiatrie, welches Mendel nicht in kleineren 
Abhandlungen bearbeitet und gefördert hätte. Sein Name ist mit der Ent¬ 
wicklung der klinischen Psychiatrie in den letzten 30 Jahren untrennbar ver¬ 
wachsen. 

Und nun zur forensischen Psychiatrie! 

Diese hat als Gebiet aus dem praktischen Leben ihm als Praktiker be¬ 
sonders nahe gestanden. Er hat ihr eine große Anzahl von Einzelarbeiten ge¬ 
widmet, welche von größter Bedeutung für die Entwicklung dieses Spezial- 
faches waren. 

Auch um das Verdienst dieser Arbeiten zu würdigen, muß man sich in die 
damalige Zeit zurückversetzen. Der Philosoph Lange hat einen sehr bemerkens¬ 
werten Aufsatz in der Zeitschrift für Staatsarzneikunde im Jahre 1858 ver¬ 
öffentlicht, in dem er auseinandersetzt, wieviel unklare metaphysische Begriffe 
sich in die damalige forensische Psyohiatrie eingeschmuggelt hatten. Mit dem 
Kant 'sehen Begriff der Willensfreiheit wurde ein Unfug getrieben, den Lange 
als „juristisches Pfaffentum“ mit den schärfsten Worten geißelt. Gbiesinger 
und Westphal kamen über anderen Arbeiten nicht zu einer eingehenden Be¬ 
schäftigung mit der forensischen Psychiatrie. Mendel war es, der es zuerst 
aussprach und immer wiederholte, daß metaphysische Begriffe wie freier Wille usf. 
nicht in die Psychiatrie hineingehören. 

Und diese Arbeit war nicht vergeblich. Wenn wir heute auch auf forensisch- 
psychiatrischem Gebiete naturwissenschaftlich denken und uns kaum mehr in 
die Denkweise eines Ideleb und anderer zurückversetzen können, so verdanken 
wir dies zum guten Teil dem Wirken und Lehren Mendel’s. 

Erhebliche Verdienste hat sich Mendel auch auf dem Gebiete der Neuro¬ 
pathologie erworben. Größere neuropathologische Werke hat er allerdings 
nicht geschrieben. Er verstand es aber wie kein anderer mit knappen Worten 

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ein klares Bild einer Nervenkrankheit zu entwerfen. Seine Arbeiten über Hemi- 
atrophia facialis, seine Epilepsiearbeiten, insbesondere diejenigen über Epilepsia 
tarda, seine Abhandlungen über diphtherische Lähmungen, Hirnhämorrhagie 
and viele andere sind fast durchweg Kabinettstücke klinischer Darstellung. 
In erste Linie möchte ich namentlich die Arbeiten über Epilepsie nennen, 
mit denen er auf seine Doktorarbeit aus dem Jahre 1860 zurückgriff, die den 
Titel trug: „De operationibus ad sanandam epilepsiam adhibitis.“ So bat er 
allenthalben eingreifend, allenthalben fördernd auch der Neuropathologie große 
Dienste geleistet. 

Schließlich ist noch ein Gebiet zu nennen, auf dem er ganz besonders 
segensreich gewirkt hat, es ist das Gebiet der Himanatomie. Es sind allerdings 
keine großen anatomischen Entdeckungen gewesen, die sich an den Namen 
Mendel’s knüpfen, aber didaktisch hat er die Hirnanatomie uns eigentlich erst 
eröffnet Meynebt hatte schon ein geniales Bild des Hirnbaues gegeben, aber 
in fast hieroglyphischer Dunkelheit. Webnicke hatte einen breiten klaren Weg 
in dies unbekannte Gebiet gebrochen. Aber wenn auch ein Weg gebahnt war, 
vielen fehlte doch der Führer. Mendel hat in seinen Vorlesungen über Hirn¬ 
anatomie unzählige junge Forscher auf dem Weg der Hirnanatomie geführt. 
Viele von Ihnen werden sich der Vorlesungen von Mendel erinnern! Mit 
welch wunderbarer Klarheit und Anschaulichkeit hat er diese verwickelten 
Tatsachen vorgetragen! Ohne wohlfeiles Prunken mit gelehrten Einzelheiten 
wußte er das Wesentliche klar und interessant darzustellen und durch Demon¬ 
strationen auch den bequemsten Zuhörer zum Mitarbeiten zu zwingen. 

Ich habe noch ein Werk nicht genannt, das ist seine „Psychiatrie“. Sie ist 
im Jahre 1902 zuerst erschienen und ist nach dem Urteil vieler Forscher, auch 
nach meinem eigenen, nicht in dem Maße bekannt geworden, wie sie es verdient 
Gewiß, es ist anders geschrieben als die meisten anderen psychiatrischen Lehr¬ 
bücher. Es dient nicht einer neuen Idee und damit einer bestimmten Tendenz, 
sondern es ist ein Buch, das den Stand unserer gegenwärtigen Kenntnisse in 
der Psychiatrie knapp und bestimmt darstellt. Sehr kurz ist manche Krank¬ 
heit abgehandelt, aber man könnte nicht sagen, daß etwas Wesentliches fehlt, 
höchstens ist die Dementia praecox etwas zu kurz gekommen, einige Namen 
können Sie vielleicht beanstanden, wie das Delirium hallucinatorium oder die 
Paranoia rudimentaria, aber hiervon abgesehen gibt es kaum ein einziges Lehr¬ 
buch, welches den Studenten die psychiatrischen Tatsachen so korrekt und so 
sachlich vorführt. 

Alle die genannten Gebiete umfaßt eine Schöpfung Mendel’s, welche er 
uns im Jahre 1882 gegeben und zu langem Fortbestehen hinterlassen hat, das 
Neurologische Centralblatt. Vielen von uns ist es ein Führer in der ersten Zeit 
der wissenschaftlichen und praktischen Tätigkeit gewesen. Viele von uns haben 
an ihm mitgearbeitet und sind stolz auf diese Mitarbeit 

Es war in Deutschland Unsitte geworden, daß literarische Vorarbeiten, 
namentlich solche des Auslandes, kaum erwähnt, geschweige denn berücksichtigt 

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wurden. Mendel bat durch Schaffung des Centralblatts Gelegenheit gegeben, 
die psychiatrische und neurologische Literatur fortlaufend zu verfolgen. 

Schließlich darf ich noch gedenken, daß Mendel auch dieser Gesellschaft 
angehörte, und daß er in fast 40 Jahren treu der Gesellschaft, auch in schweren 
Zeiten, zur Seite gestanden hat Als Mitglied und als Vorsitzendem schuldet 
ihm die Gesellschaft ganz besonderen Dank. 

Und non kann ich meinem Vorsatz doch nicht treu bleiben und kann 
an der Persönlichkeit Mendel’s auch hier nicht ganz vorübergehen. Unsere 
intellektuellen Leistungen umfassen nur eine so kurze Strecke Wegs; was wir 
selbst leisten und von Leistungen anderer kennen lernen, ist im Vergleich zu 
dem, was zu leisten ist und was geleistet werden wird, so wenig, daß es wirklich 
nicht lohnen würde, diesen kleinen Weg überhaupt zu gehen, wenn nicht 
unsere intellektuellen Leistungen, unser Forschen und Arbeiten von Gefühlstönen 
der Begeisterung, Freundschaft, Frohsinn begleitet wären. Und dies war bei 
Mendel reichlich der Fall. Die gemütvolle, gefühlswarme Persönlichkeit machte 
uns die Leistungen des Forschers doppelt lieb. 

So soll er auch in unserer Erinnerung stehen und fortleben, nicht nur als 
der bedeutende Forscher, sondern auch als der edle und treue Kollege und Freund. 


2. Ein Fall von dauernder hysterischer „Retentio urinae“. 

Von Dr. J. Baimist, 

dirigierender Arzt der Nervenabteilung des 
Jüdischen Krankenhauses in Odessa. 

Die kurzdauernde Retentio urinae, als Symptom der Hysterie, gelangt nicht 
selten zur Beobachtung; dagegen tritt sie als eine langdauernde Erscheinung 
nicht so häufig auf. 

Bins wangeb, der in seiner Monographie: „Die Hysterie“ die Frage, ob 
„ein Zustand von Ischurie auch infolge einer Parese des Detrusor vesicae Vor¬ 
kommen kann“ für fraglich hält, 1 äußert sich bei der Besprechung über den 
Blasenkrampf, der in schweren Fällen von Hysterie zu völliger Retentio urinae 
führt, folgendermaßen: 1 „Bei hartnäckigen inveterierten Fällen kann dieser 
Blasenkrampf wochenlang* bestehen, und kann der Urin nur durch regel¬ 
mäßiges Katheterisieren entfernt werden.“ 

Dejebine 3 behauptet, daß in den meisten Fällen die hysterische Retentio 
urinae ein oder zwei Tage dauert 2 ; er erinnert aber an einen Fall von 
Zuckebkandl, wo es sich um eine hysterische Kranke handelte, bei der Retentio 
urinae im Krankenzimmer während 1 x j t Jahren beobachtet wurde; die Kranke 
wurde mehrmals täglich katheterisiert, und allein die ausgesprochene Drohung, 
sie einem operativen Eingriffe auszusetzen, genügte, um dieses Symptom in 
wenigen Stunden zu beseitigen. 

1 Binswangeb, Die Hysterie. Nothnagels Handbuch. S. 574. 

4 Im Original nicht gesperrt. 

3 Traite de pathologie generale. V. S. 1075. 

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Infolge der schon erwähnten geringen Häufigkeit der Fälle von langandauernder 
hysterischer Retentio urinae sei es mir gestattet, folgende Beobachtung zu ver¬ 
öffentlichen. 

Am 18./VI. 1906 wurde in der Nervenabteilung des Israelitischen Kranken¬ 
hauses zu Odessa ein Kranker R. aus Kischinew aufgenommen, ein 16jähriger 
Jude, einziger Sohn von gesunden Eltern. (Die Eltern hatten sonst keine Kinder 
mehr.) Während der Metzeleien in Kischinew (April 1903) versteckte sich der 
Kranke zusammen mit anderen 13 Glaubensgenossen in einem Keller, wo er 
ebenso wie alle anderen 3 Tage ohne Nahrung und Getränk verbrachte. Der 
Patient stieg in ein Faß, welches er von Zeit zu Zeit verließ, um durch eine 
Spalte auf die Straße hinauszusehen. Voll Angst fürs Leben, hörte er öfters 
(ebenso wie alle anderen) die Annäherung der Plünderer. Der Kranke behauptet, 
während dieser 3 Tage nicht geschlafen zu haben und soll auch weder uriniert, 
noch Stuhlgang gehabt haben. Eine Woche später, nachdem er den Keller ver¬ 
lassen hat, fing er an, über Schmerzen und Lastgefühl in den Beinen zu klagen. 
Das Gehen wurde zuerst erschwert, dann erschienen an den Beinen Krämpfe, 
schließlich verloren nach 2 Wochen die Beine vollkommen ihre Bewegungsfähig¬ 
keit. Den Beschreibungen des Kranken und seiner Mutter nach sollen die Beine 
in allen Gelenken gebeugt gewesen sein. Die Lähmung und die von Zeit zu Zeit 
entstehenden Schmerzen an den unteren Extremitäten dauerten 2 Jahre und vier 
Monate lang. Im Verlaufe dieser Zeit verbrachte der Patient 5 Woohen in einer 
der therapeutischen Abteilungen des Odessaer Jüdischen Eirankenhauses, welches 
er (seiner und seiner Mutter Behauptung nach) in unverändertem Zustande ver¬ 
ließ (das Journal war leider nicht aufzufinden). Nach Ablauf der obenerwähnten 
Zeit (2 1 / 3 Jahre) fingen die Schmerzen und die Beugestellung der Beine an nach¬ 
zulassen, die willkürlichen Fußbewegungen kehrten wieder zurück und 2 Monate 
später konnte der Patient wieder schmerzlos und frei laufen. 

Im August 1904, als die Lähmungserscheinungen noch bestanden, und als er 
eines Tages im Garten zu Bett lag, fühlte er plötzlich starkes Herzklopfen. Drei 
Stunden später versuchte er den Urin zu entleeren, der Versuch aber war ihm 
mißlungen. Erschrocken suchte er einen Arzt auf, nach dessen Rate er sofort 
ins Krankenhaus transportiert wurde. Während Beines 4 monatlichen Aufenthaltes 
wurde er 2 mal täglich katheterisiert. Nach dem Verlassen des Krankenhauses 
katheterisierte der Patient sich selbst mehrmals täglich (den Behauptungen des 
Kranken und seiner Mutter nach). Als ich den Katheter mir zeigen ließ, zog 
der Patient aus der Tasche ein schmutziges Taschentuch, in welchem er den 
Katheter aufbewahrte; er erklärte dabei, daß er den Katheter immer in der 
Tasche in einem Tuche trägt, und daß er jedesmal vor dem Gebrauche ihn mit 
Öl zu beschmieren pflegt. 

Der Kranke ist von mittlerem Wüchse und in mittlerem Ernährungszustände. 
Das Gesicht und seine Figur machen fast immer den Eindruck von Ängstlichkeit 
und Zerstreutheit. Jedesmal, wenn der Arzt sich ihm zum Untersuchen oder zum 
Sprechen nähert, prallt der Patient oft und (seiner Behauptung nach) ganz un¬ 
willkürlich bald gänzlich zurück, bald zieht er den untersuchenden Körperteil 
zurück. 1 

Die rechte Schädel- und Gesichtshälfte ist kleiner, als die linke; auch sind die 
rechten Extremitäten ihrer ganzen Länge nach 1—1 l / i cm dünner, als die linken; 


1 Ein solcher Ausdruck des Gesiebtes und der Figur und ein ähnliches Reagieren auf 
Untersncbangsversuche sind in Rußland nicht selten zu beobachten bei den kranken Juden 
(besonders während der letzten Jahre und vorzugsweise bei Einwohnern der kleinen Städte). 
Das kann meiner Meinung nach teilweise wenigstens erklärt werden: 1. durch das Gefühl 


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1 


so mißt beispielsweise die Mitte des rechten Unterarmes 18cm, linkB 19cm. 
Das linke obere Augenlid ist etwas tiefer gesunken, als das rechte; der linke 
Augapfel ist etwas höher als der rechte, was besonders auffallend ist bei Be¬ 
wegungen der Augen nach oben und unten. 

Bei der Konvergenz erweist sich eine Insufficienz bald des einen, bald des 
anderen Rectus internus. Die Pupillen sind etwas weiter als in der Norm, sie 
reagieren auf Licht gut, bei Akkommodation träge. Der obere innere Teil der 
Iris ist bedeutend schmäler, als der untere äußere; am rechten Auge ist das mehr 
ausgesprochen als am linken. Der Konjunktival- und Kornealreflex +; der 
Pharyngealreflex gesteigert, die Sehnen* und Periostalreflexe an den oberen and 
unteren Extremitäten normal. Die Bauch- und Kremasterreflexe gleich, auf 
beiden Seiten sehr gesteigert. Der Plantarreflex fehlt rechts, links äußert er sieb 
zuweilen in Form eines schwachen BiegenB der Zehen, mitunter fehlt er gänz¬ 
lich. Deutliche Dermographie. Das Tastgefähl ebenso wie die Schmerz- and 
Temperaturempfindung in normalen Grenzen. Die Lage der Extremitäten and 
deren passive Bewegungen werden vom Kranken an den Fingern und Zehen nicht 
empfunden; die Empfindung verbessert sich in der Richtung zu den großen Ge- 

O.S. o.d. 




Gesichtsfeld für Weiß (das Gesichtsfeld für die anderen Farben unterscheidet sich nur 

wenig von dem für Weiß). £• 

lenken. Die Untersuchung des stereoguostischen Gefühles erweist keine Ab¬ 
weichungen. (Die Untersuchung aller erwähnten Empfindungsarten wurde mehr¬ 
mals mit denselben Resultaten ausgeführt.) Die rohe Kraft der Muskeln bietet 
nirgends Abweichungen dar. Der Gang ist regelmäßig. Steifigkeit nicht vor¬ 
handen. Centrale Sehschärfe normal. Augenhintergrund normal. Für die Unter¬ 
suchung der Sehschärfe des Augenhintergrundes ist es mir eine willkommene Pflicht, 
Herrn Dr. L. Rosenfeld meinen Dank hier auszusprechen. 

Indem ich die tabellarischen Ergebnisse der Untersuchungen des Gesichts- 

der beständigen Unsicherheit zu Hause und auf den Straßen, 2 durch die, dank diesem, er¬ 
zeugte Notwendigkeit, immer mit jenen Gefühlsorganen zu arbeiten, die eine annähernde Un¬ 
annehmlichkeit anzuzeigen vermögen, und durch die Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit dem¬ 
gemäß zu zerstreuen, 3. durch das Immerbereithalten des leicht erregbaren Apparates, der 
ihm der drohenden Unannehmlichkeit zu entweichen verhelfen soll. 


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feldes anführ©, halte ich für notwendig zu bemerken, daß dem Kranken aus¬ 
drücklich erklärt wurde, was er zu notieren hat. Es wurden wiederholte Unter- 



A. 


Die Ergebnisse der kampimetrischen Untersuchung in Centimetern gemessen 
bei Abstand des Auges des Patienten vom Kampimeter *= 30 cm, 



B. 

Dieselben Ergebnisse in Winkeln gemessen. 


suchungen vorgenommen, und alle ergaben mit geringen Abweichungen dieselben 
Resultate. 

Bei der Untersuchung des Gesichtsfeldes mit weißer Farbe ließ sich der 
Moment notieren, wo der Patient den Eindruck von irgend etwas sich Bewegenden 

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bekam; bei Untersuchungen mit anderen Farben der Moment, wann die ent¬ 
sprechende Farbe im Gesichtsfelde erschien. Der Durchmesser des Perimeters 
betrug 70 cm, die Oberfläche des Probierpapiers 1 qcm (s. die Tabellen). 

Außer der perimetrischen Untersuchung wurde auch die kampimetrische 
Untersuchung ausgeführt (mit weißer Farbe), deren Ergebnisse im allgemeinen 
mit denen der perimetriBchen übereinstimmen; sie werden hier angeführt. Zuerst 
wurde die Untersuchung nach Schmidt-Rimplee 1 bei großem Abstand des Auges 
vom Kampimeter (30 cm) ausgeführt und dann bei kleinerem (20 cm). Die Tat¬ 
sache, daß bei Verminderung der Entfernung des Auges vom Kampimeter das 
Gesichtsfeld enger wird, veranlaßt nicht, an Täuschungen seitens des Kranken zu 
denken. Die konstatierte konzentrische Gesichtsfeldeinengung möchte ich als 
hysterische betrachten. 

Schon die obenerwähnten Angaben über die Ursache, die Art der Entstehung 
und des Verlaufes der Lähmung der unteren Extremitäten veranlassen die An¬ 
nahme, daß man es mit einem hysterischen Symptom zu tun gehabt hat. Auch 
die schon am ersten Tage des Aufenthaltes im Krankenhause entdeckte Gesichts¬ 
fel deinengeung an beiden Augen (bei grober Untersuchung) machten die Voraus¬ 
setzung wahrscheinlich, daß beim Pat. noch eine Reihe funktioneller Symptome 
auftreten kann. Deshalb und auf Grund der Entwickelungsart der Retentio urinae 
hielt ich auch dieses Symptom für funktionell. 

Es wurde dem Kranken mitgeteilt, daß er am nächsten Tage elektrisiert 
werden muß, und daß er sogleich imstande sein wird, den Urin zu lassen. Unter¬ 
dessen schlug ich ihm vor, er möchte demonstrieren, in welcher Weise er sich 
zu katheterisieren pflegt. Es wurde ihm mit gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln 
ein Katheter aus dem Krankenhause gegeben (sein eigener wurde ihm selbst¬ 
verständlich weggenommen), und sofort führte er diesen ohne jede Schwierigkeit 
oder Klagen über Schmerzen fast gänzlich ein und entfernte den Urin. 

Am nächsten Tage, während des beharrlich von Hrn. Assistenzarzt Dr. Schapero 
mittels eines Pinsels ausgeführten Faradisierens des Dammes und der Regio 
suprapubica, versuchte der Kranke mehrmals in den ersten 15 Minuten Urin zu 
lassen (mit sichtbarer Anstrengung und mit Klagen über Schmerzen der Harn¬ 
röhre entlang), aber erfolglos. Alsdann während der übrigen 15 Minuten des 
Faradisierens fing er an in den Pausen Urin zu lassen teils tropfenweise, teils 
in größeren Mengen; das Gesicht ließ dabei starke Schmerzen erkennen, die der 
Patient in die Harnröhre lokalisierte. Im ganzen entleerte er willkürlich 300 ccm 
Urin (zum ersten Mal seit 1 Jahr 10 Monaten). Bei folgendem täglichem Fara- 
disieren genügte es schon 15—10 und sogar 3 Minuten, um nach etlichen Ver¬ 
suchen das spontane Urinablassen hervorzurufen. Eine Woche später, während 
der folgenden Sitzungen, wurde nur des Pinsels auf die erwähnten Gebiete an¬ 
gelegt, ohne daß der Strom ihn durchlief; der Patient hörte nur das Geräusch 
des vibrierenden Plättchens des Apparates, und das genügte, um den gewünschten 
Erfolg zu erreichen. Noch 2 1 / 2 Wochen später fing der Patient an in Gegen¬ 
wart des Arztes ohne Anwendung des Pinsels Urin zu lassen, nur bei der Drohung, 
das schmerzhafte Faradisieren anzuwenden. In den letzten zwei Wochen (der 
Patient verließ das Krankenhaus am 20./VII. 1906) urinierte er 2—3 mal täglich, 
zuweilen auch des Nachts unabhängig von der Anwesenheit des Arztes, und nur 
der Notwendigkeit den Harn zu entfernen gehorchend. Während der ersten 
3 Wochen spannte der Kranke beim Urinieren stark die Bauchdecken, das Ge¬ 
sicht wurde rot und mit großen Tropfen Schweiß bedeckt; nach einigen An¬ 
spannungen träufelte bald der Urin, bald floß er 10—15 Sekunden, dann folgten 
von neuem etliche vergebliche Versuche, es zeigten sich wiederum Tropfen usw. 


1 Bisswangbr, op. cit. S. 208. 

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Während des Urinierens äußert das Gesicht intensive Schmerzen, die der Patient 
in die Harnröhre lokalisiert; spricht man aber während des Urinierens mit dem 
Kranken, so läßt er den Urin bei geringerer Spannung und ohne Klagen, auch 
das Gesicht bleibt dann ganz ruhig. Mit der Zeit nahmen die Spannung und 
die Schmerzen an Intensität mehr und mehr ab, und die letzte Zeit fehlten sie 
BOgar gänzlich. 

In den ersten Tagen erreichte das Quantum des während einer Sitzung des 
FaradisierenB entleerten Urins 300—400 ccm, dann fing es an zuzunehmen und 
schwankte zwischen 600 und 700 ccm. (Dieselbe Zahl innerhalb 24 Stunden blieb 
auch, wenn man aufhörte den Patienten zu elektrisieren.) Versuchte manchmal 
der Arzt nach dem Elektrisieren den Patienten zu katheterisieren (vollständig 
schmerzlos), so gelang es ihm nie Urin zu erhalten. Der Patient wurde einer 
strengen Aufsicht, ohne daß er davon wußte, ausgesetzt, und es erwies sich, daß 
er außerhalb der Sitzungen weder willkürlich noch unwillkürlich urinierte. Zu¬ 
weilen fühlte der Kranke während des ganzen Tages kein Bedürfnis Urin zu 
lassen, und zwar sagte er dann: „ich habe heute keinen Harn“; er pflegte sehr 
erstaunt zu sein, als er nach der Sitzung urinierte. Dagegen erwartete er manchmal 
mit Ungeduld die Zeit des Elektrisierens, behauptend, er habe viel Urin und 
fühle Bedürfnis ihn zu entleeren. Diese Behauptungen waren unabhängig vom 
Quantum des Urins. 

Während des Tages pflegte der Patient 3 Glas Milch, eine Tasse Bouillon, 
2 Glas Tee und manchmal noch 1—2 Glas Selters zu trinken. Während der 
ersten Woche seines Aufenthaltes im Krankenhause war die Reaktion des Urins 
bald neutral, bald schwach alkalisch, während der übrigen Zeit neutral oder etwas 
sauer. 

Das spezifische Gewicht schwankte zwischen 1006 und 1015. Eine Abhängig¬ 
keit des spezifischen Gewichtes vom Harnquantum gelang es nicht festzustellen. Die 
chemische Untersuchung des Urins erwies am ersten Tage von pathologischen Be¬ 
standteilen nur schwer bemerkbare Spuren von Eiweiß; bei den folgenden Unter¬ 
suchungen fehlten auch diese. Die mikroskopische Untersuchung zeigte nichts 
Besonderes. 

Am 5./X. 1906 teilte mir der Patient aus Kischinew schriftlich mit, daß 
er jetzt frei und schmerzlos uriniert, ohne den Katheter zu gebrauchen. 

Die Art und Weise der Entstehung und des Verschwindens der geschilderten 
Retentio urinae gestattet mir dieses Symptom als hysterisches anzusehen. 

Der beschriebene Fall bietet meiner Meinung nach in folgenden Punkten 
Interesse dar: 

1. in der Dauer der hysterischen Retentio urinae; 

2. in dem schnellen Verschwinden dieses Symptoms; 

3. in der Abwesenheit einer Erkrankung der harnableitenden oder harn- 
secernierenden Wege trotz des wiederholten Katheterisierens während l l / 2 Jahren 
mittels eines schmutzigen Katheters (die 4 Monate, welche der Patient im Kranken¬ 
hause verbrachte, wo er selbstverständlich mit gewissen Vorsichtsmaßregeln 
katheterisiert wurde, rechne ich nicht mit); 

4. in der Verminderung des täglichen Harnquantums, und 

5. in der konzentrischen Gesichtsfeldeinengung, die in solcher Intensität 
nicht häufig zur Beobachtung gelangt. 


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3. Über Reizungen des Kleinhirns. 

Von Ä. Lourie. 


Das Großhirn ist bis heute noch Gegenstand zahlreicher Untersuchungen 
und Forschungen und immer noch ein Gebiet, das der Aufklärung und näherer 
Erläuterungen bedarf; doch ist es eine feststehende Tatsache, daß wir im Gro߬ 
hirn Centren, ganz genau bestimmte Lokalisationen für die Bewegungen von 
Arm, Bein usw. haben. 

Nun wollen einige Forscher, besonders in der letzten Zeit, das Kleinhirn, 
über dessen Funktion unsere Kenntnisse in noch fast völliges Dunkel gehüllt 
sind, und über dessen Bedeutung und Bestimmung wiederholt die mannig¬ 
faltigsten Hypothesen aufgestellt wurden, als das Hauptorgan für die Bewegungen 
ansprechen. Sie suchen auf Grund ihrer experimentellen Forschungen den Be¬ 
weis zu liefern, daß wir auch hier eben solche Centren, genaue Lokalisationen 
für die motorischen Funktionen der Arme, Beine usw. haben. Die ersten 
experimentellen Untersuchungen auf diesem Gebiete hat Renzi 1 im Jahre 1864 
angestellt, indem er versucht hat, das Kleinhirn der Vögel mittels einer Nadel 
zu reizen, bzw. einzelne Teile des Kleinhirns zu entfernen. Seine Resultate waren 
jedoch wenig grundlegend und ebensowenig ausschlaggebend; denn bei der 
mechanischen Reizung fand er nichts Gesetzmäßiges. Nur bei der Exstirpation 
von gewissen Teilen, mit der er sich vorwiegend beschäftigt hat, berichtet er 
über Drehungen des Kopfes, des Halses bald nach der einen, bald nach der 
anderen Seite, ab und zu über Nystagmus, ohne irgend etwas Positives oder 
Feststehendes sagen zu können, wie er sich selbst auBdrückt „Die Seite, auf 
der die Störung der Bewegungen eintritt, ist bald die entgegengesetzte, bald die¬ 
selbe Seite, an der die Kleinhirnsubstanz weggenommen wird, bald die eine, 
bald die andere Seite abwechselnd.“ 

Anders lauten die Ergebnisse des folgenden Forschers. Nothnagel* war 
es, der im Jahre 1868 zum erstenmal an die Reizung des Kaninchenkleinhirns 
auf mechanischem Wege herangegangen ist. Er stach eine Nadel zwischen 
Furche und Hemisphäre ein und fand dabei, daß der Kopf sich nach der ent¬ 
gegengesetzten Seite drehte, ebenso drehte sich die Wirbelsäule konkav nach 
der entgegengesetzten Seite mit wechselnder Intensität, bisweilen so stark, daß 
die Schnauze den hinteren Teil des Körpers berührte, auch Bewegungen der 
Extremitäten, und zwar der gereizten Seite, will er beobachtet haben. Diese 
Versuche hat Nothnagel an etwa hundert Kaninchen angestellt, und zwar immer 
mit demselben positiven Erfolg, nur daß die einzelnen Erscheinungen stärker 
und schwächer auftraten, immer 1—2 Minuten anhielten, nachdem die Nadel 
eingestochen war, und wieder verschwanden, ohne bei den Tieren irgend eine 
Störung ihres motorischen Apparates hinterlassen zu haben. Die Tiere waren 


1 Annali uuiversali di medizina. 18G4. 
* Virchow’s Archiv. 1868. 


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nach dem Versuch, wie Nothnagel bemerkt, eben so munter wie vor der 
Operation. 

Diese Versuche von Nothnagel habe ich an mehreren Kaninchen nach¬ 
gemacht, dabei die peinlichste Sorgfalt beobachtet, in derselben Weise zu ver¬ 
fahren, wie es Nothnagel angegeben hat. Daß im Versuch immer dieselben 
Stellen getroffen wurden, die Nothnagel angegeben hat, bestätigte die nach¬ 
folgende Sektion jedes einzelnen Tieres. 

Bei diesen Versuchen wurden auch bei allen Kaninchen dieselben Resultate 
erzielt, wie sie Nothnagel erhalten hat 

Auch Lewandowsky 1 bestätigt in seiner Arbeit die Versuche von Noth¬ 
nagel und teilt seine eigenen Beobachtungen mit über die Wirkung der elek¬ 
trischen Reizung des Kleinhirns an Händen nach der Ewald sehen Methode, 
wie sie dieser Autor am Großhirn angewandt hat Er setzte nämlich einen 
Knopf mit Elektroden zwischen linker Kleinhirnhemisphäre und Wurm ein und 
erzielte dabei mit starken Strömen eine Zwangsstellung des Hundes nach der 
der Reizung entgegengesetzten Seite, d. h. wenn links gereizt wurde, so krümmte 
sich die Wirbelsäule mit der Konkavität nach rechts, ferner Heben des linken 
Vorderbeins und einige Male horizontalen Nystagmus. Bewegungen im Facialis- 
gebiet wurden auch dabei beobachtet. Obgleich man bei dieser Reizung auf 
Stromschleifen, bzw. Reizung der Kerne des Acusticus Rücksicht nehmen muß, 
so stellte er immerhin fest, daß stärkere Ströme in allen Fällen Zwangshaltung 
nach der der Reizung entgegengesetzten Seite bewirken. Ich will hier gleich 
bemerken, daß ich auch die Versuche mit dem Ewald sehen Knopf angestellt 
habe, und glaube behaupten zu dürfen, daß die Resultate dieser Reizungen kaum 
maßgebend und stichhaltig sind, um daraus einen positiven Schluß für die eine 
oder andere Seite ziehen zu können, denn die Erscheinungen sind dermaßen 
verschiedenartig und unregelmäßig geartet, daß dadurch jegliche Einheitlichkeit 
verloren geht. Die Verschiedenartigkeit der Reizerscheinungen erstreckt sich 
auch auf die jeweils betroffenen Muskelgruppen. Was mir aber bei diesen 
meinen Versuchen aufgefallen ist, und worauf ich später noch einmal zurück¬ 
kommen werde, ist der Umstand, daß sobald der Strom geschlossen wurde, der 
Hund stutzende Bewegungen des Kopfes machte, in der Richtung nach unten, 
die im Sinne des Tic rotatoire zu deuten sind. Dieses Symptom trat bei allen 
meinen Versuchstieren auf und war in allen meinen Versuchsanordnungen in 
derselben exakten und regelrechten Weise zu sehen, während die anderen 
Symptome, das Heben des linken Beines, horizontaler Nystagmus, nur einmal 
zur Beobachtung kamen. Die Bewegungen des Kopfes, die Krümmung der 
Wirbelsäule traten auch nicht immer auf. Speziell sei darauf hingewiesen, daß 
die Drehungen des Kopfes und der Wirbelsäule einem dauernden Wechsel der 
Erscheinungen unterworfen waren und bald nach der einen, bald nach der 
anderen Seite auftraten. 

Bevor wir dazu übergehen, unsere weiteren Beobachtungen und Erfahrungen 


1 Die Verrichtungen des Kleinhirns. Archiv f. Anatomie u. Physiologie. 1903. 


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mitzuteilen, wollen wir die zwei nächsten und. letzten Autoren anführen, die 
besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben. 

Im Jahre 1901 veröffentlichte Pbuss 1 eine Arbeit über die Lokalisationen 
der motorischen Centren der Kleinhirnrinde. In der Tat will Pbuss bei seinen 
Versuchen an Hunden festgestellt haben, daß es ganz genau bestimmte Stellen 
im Bereiche der Kleinhirnrinde gibt, die für entsprechende Teile des Körpers 
maßgebend sind, daß also im Kleinhirn exakte Lokalisationen bestehen, die 
sich speziell auf die betreffenden Glieder beziehen. Er faßt seine Resultate mit 
den Worten zusammen: „In der rechten Hälfte des Vermis und in der rechten 
Kleinhirnhemisphäre liegen die motorischen Centren für die entsprechende 
Muskulatur dieser Körperhälfte, in der linken Hälfte für die entsprechende 
Muskulatur der linken Seite. Bei Reizung der Pyramis vermis wird der Kopf 
und das Auge nach der Reizseite und nach unten gedreht, wobei gleichzeitig 
auf derselben Seite eine Pupillenerweiterung, Hebung der Schulter, des Ellen¬ 
bogens und Spreizung der Finger eintritt. Bei Reizung des Tuber vermis lassen 
sich homolaterale Drehung des Kopfes nach der Seite und unten, Exophthalmus, 
Mydriasis und Muskelkontraktionen des Nackens, Rückens und der homolateralen 
vorderen Extremität konstatieren. Im Declive liegt das Centrum für die Musku¬ 
latur des Rückens, Lumbalteils und der Extensoren der hinteren Extremität 
Im Lobulus semil. infer. findet man Centren, die das Auge nach unten drehen, 
ferner die Augenlider schließen und die Schulter bewegen. Der Lobus semil. 
sup. beeinflußt die Extensoren der Vorderpfote. Im Lob. quadrang. liegt das 
Centrum für die Muskulatur der hinteren Extremität“ 

Endlich sei noch der letzte Forscher, Adamkiewicz, zitiert, der bezug¬ 
nehmend auf seine ausführliche Arbeit vom Jahre 1889 2 an der Hand seiner 
vierjährigen, mühevollen Experimente dem Großhirn jede andere Funktion außer 
der seelischen abspricht. Nur das Kleinhirn sieht er einzig und allein als das 
Hauptorgan der Bewegung an. 

Unter dem Titel: „Die wahren Centren der Bewegung“ publiziert Adam¬ 
kiewicz in einer vorläufigen Mitteilung die Ergebnisse seiner in Bälde aus¬ 
führlich erscheinenden Arbeit, wo er angibt, daß die Oberfläche des Kleinhirns 
Sitz der motorischen Funktion sei und Ceutren für die Bewegungen des Kopfes, 
Rumpfes und der Extremitäten enthalte. Doch bestimmt er nicht genauer, wo 
eigentlich die wahren Centren liegen. Er faßt es kurz folgendermaßen zu¬ 
sammen: 

Auf der Oberfläche des Kleinhirns gäbe es eine Lokalisation der motorischen 
Funktionen, und zwar Centren für die Bewegung des Kopfes, Rumpfes und der 
Extremitäten. Die Centren hätten eine bestimmte und wohlgeordnete Lage und 
befänden sich auf derselben Seite der von ihnen innervierten Muskelgruppen. 


1 Prüss, Über die LokalisalioneD der motorischen Centren in der Kleinhirnrinde. Poln. 
Archiv f. d. med. u. biolog. Wissenschaft. 1901. 

* Die Pathologie der Gehirnkompression. Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissenschaften 
zu Wien. Math.-naturwissenschaftl. Klasse. LXXXVIII. S. 113. 


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Die Extremitäten seien mit dreifachen Centren bedacht, jede vordere und hintere 
Extremität habe ihr eigenes, die beiden vorderen und die beiden hinteren Extre¬ 
mitäten hätten je ein besonderes und alle vier Extremitäten zusammen noch 
ein gemeinschaftliches Centrum. Die vier Extremitäten zusammen seien mit 
sieben motorischen Centren ausgerüstet. 

Der Vollständigkeit halber seien an dieser Stelle noch die Versuche van Ryn- 
berk’s 1 angeführt, der sich mit der Exstirpation von Teilen des Kleinhirns be¬ 
schäftigt hat, um auf diese Weise die Anwesenheit von Centren festzustellen. 

In diesen Versuchen will er ein Centrum für die Halsmuskulatur gefunden 
haben und auch eine bestimmte abgegrenzte Stelle im Kleinhirn, von der Be¬ 
wegungen des Kopfes ausgelöst werden können. 

van Rynberk exstirpierte nämlich einen Teil des Kleinhirns beim Hunde, 
und zwar denjenigen, der nach dem Schema von Bolk 2 als Lobulus simplex 
bezeichnet wird. Aus dem Effekt, den die teilweise Exstirpation dieser Stelle 
hervorbringt, schließt er, daß hier die obengenannten Centren liegen. 

Das Resultat meiner Reizungsversuche steht nicht im Einklang mit denen 
van Rynberk’s, denn bei meinen Reizversuchen mit dem EwAim’schen Knopfe 
habe ich die Bewegungen des Kopfes und den Tic rotatoire von einer ganz 
auderen Stelle aus bekommen (s. Protokolle), und zwar von dem Gyrus semi- 
lunaris inferior aus, wie oben bereits angeführt wurde. Der Lobulus simplex, 
von dem aus van Rynberk experimentierte, entspricht dem oberen Teil des 
Vermis mit der alten Bezeichnung. 

In einer späteren Arbeit 8 sucht van Rynberk nachzuweisen, daß nach 
Entfernung des Crus primum des Lobus ansiformis (nach Bolk) Reizerscheinungen 
auftreten in Form von Heben des Armes wie zum Gruß (Saluto militare) und 
nimmt, auf dieses Ergebnis gestützt, hier ein Centrum für die vordere Extremität 
an. Ich habe auch in zahlreichen Reizversuchen Bewegungen der vorderen 
Extremität erhalten, wenn auch nicht von einer solchen Intensität, daß sich das 
Vorderbein des Hundes bis in die Höhe des Ohres erhob. 

Aber nicht nur diese Stelle allein ist spezifisch für die Auslösung dieser 
Bewegungen der vorderen Extremität, sondern ich konnte sie auch am Lobus 
semilunaris inferior erhalten, wo dieser aus der horizontalen in die vertikale 
Partie übergeht und auch von demjenigen Teil des Wurms, der dieser Partie 
gegenüberliegt. 

Im folgenden Teile der Arbeit mögen die Versuche Platz finden, die aus¬ 
schließlich an Säugetieren, und zwar vorwiegend an Hunden, wenige auch au 
Katzen und Kaninchen angestellt wurden. Die Technik und Anordnung der 
Versuche war folgende: In Morphium-Äthernarkose wird das Tier in Bauchlage 
auf dem Operationsbrett in der Weise festgebunden, daß die Nackenmuskulatur 


1 van Rynbebk, Tentativi di localisazz. fnnzionali nel cerveil. Arch. di Fis. 1904. 

* S. van Rynbebk, S. 569. 

* van Rynbebk, Tentativi localisazz. funz. nel cervell. Archiv, di Fis. 1904. 
November. 


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gespaunt ist. Nach einem Hautschnitt wird die Nackenfascie freigelegt, die an 
der Protuberantia occipitalis beginnt und sich bis zum 3. Halswirbel hinzieht. 
Nach Spaltung der Fascie in der Mittellinie wird die Nackenmuskulatur der 
einen Seite dem Knochen entlang zur Seite abpräpariert und mit dem Baspa- 
torium der Knochen freigelegt, so daß die Schuppe des Hinterhauptbeines frei* 
liegt. Von der Mittellinie des Hinterhauptbeines aus wird nun der Knochen 
aufgebrochen und zwar so, daß der Wurm and die Hemisphäre sich frei präsen¬ 
tieren. Beim Aufbrechen der Knochenlamellen stellen sich große Schwierig¬ 
keiten ein, und zwar in Form intensiver Blutungen, deren Stillung sehr zeit¬ 
raubend und mühevoll ist Oft gelingt es nur mittels einer lange fortgesetzten 
Tamponade der blutenden Stelle, der Blutung Herr zu werden. Zeigt sich nun 
auf dem Operationsfelde kein fließendes Blut mehr, so wird zor Spaltung der 
Dura mater geschritten, unter der dann das Kleinhirn freiliegt Nun erst wird 
die Narkose unterbrochen. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß die Beizung 
des Kleinhirns dann erst vorgenommen wurde, wenn das Tier völlig aus der 
Narkose erwacht war. Die Fesseln wurden nun von den Gliedern abgenommen, 
während der Kopf in seiner ursprünglichen Lage verblieb. Die Beizung wurde 
mit dem Induktionsstrom vorgenommen, bei verschiedenem Schlittenabstand, und 
zwar mit relativ schwachen Strömen. In erster Linie wurde unipolar gereizt, 
um dadurch ein exaktes Abtasten der einzelnen Punkte und Stellen zu ermög¬ 
lichen. Die zweite Elektrode wurde abwechselnd auf den Oberarm der anderen 
nicht gereizten Seite, manchmal auf das äußerste Ende der Wirbelsäule appliziert, 
je nachdem Bewegungen der Wirbelsäule bzw. der Extremitäten zu erwarten 
waren, um auf diese Weise jede Störung bzw. zufällige Mitbeteiligung der 
einzelnen Körperteile zu vermeiden: 

V ersuch sprotokolle. 

Versuch I. Hund. Reizung unipolar. 

Gyrus semilunaris inferior links. 

Rollenabstand 90 mm. Bei 1Hochheben der linken Schulter. 

R.-A. 85 mm. Hochheben der linken Schulter, Vorderbein nach vorn ge¬ 
streckt, die Wirbelsäule krümmt sich mit der Konkavität nach der reohten ent¬ 
gegengesetzten Seite. 

R.-A. 80 mm. Dieselben Erscheinungen stärker ausgeprägt. 

Gyrus semilunaris inferior rechts. 

R.-A. 90 mm. Bei 1: Rechtes Vorderbein in Streckung nach links abgelenkt. 

R.-A. 80 mm. Rechtes Vorderbein nach rechts abgelenkt, die Wirbelsäule 
krümmt sich mit der Konkavität nach der linken entgegengesetzten Seite. 

Versuch III. Hund. Reizung unipolar. 

Gyrus semilunaris inferior links. 

Bei 1: R.-A. 90 mm. Linke Schulter hoch, Adduktion des linken Oberarmes, 
dabei Heben der Brust. 


1 Die jeweiligen Rettungsstellen sowohl am Gyrus wie auch am Wurm werden in den 
Protokollen mit Zahlen bzw. Buchstaben bezeichnet, die in der beigegebenen Figur ihre Er¬ 
klärung finden. 


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B.-A. 80 mm. Adduktion und Heben der linken Schulter (Vorderbein wird 
nicht nach vorn gestreckt). 

R-A. 70 mm. Adduktion und Heben der linken Schulter stärker, rechtes 
Vorderbein gestreckt nach der rechten Seite abgelenkt, linkes Vorderbein eben* 
falls gestreckt und nach rechts abgelenkt. Die Wirbelsäule krümmt sich stark 
mit der Honkavität nach der rechten entgegengesetzten Seite, zu gleicher Zeit 
Schwanz nach links. 

R-A. 80 mm. Wenn der Hopf beweglich ist, dreht er den Hopf nach der 
linken, d. i. gereizten Seite, die Hebung der Schulter ist schwächer. 

Bei 4: R-A. 80 mm. Linke Schulter hoch, die Wirbelsäule krümmt sich 
mit der Konkavität nach der rechten entgegengesetzten Seite, linkes Hinterbein 
nach vorn, Schwanz nach links. Bei längerer Dauer rechtes Vorderbein in 
Streckung nach rechts abgelenkt, das linke Vorderbein wird adduziert und ge¬ 
hoben , geht aber nicht nach vorn. 

R- A. 90 mm. Linke Schulter hoch, linker Oberarm adduziert, linker Vorder¬ 
arm nach vorn. 

R-A. 70 mm. Linke Schulter stark hoch, linker Oberarm stark adduziert, 
linkes Vorderbein in Streckung stark nach rechts abgelenkt, rechtes Vorderbein 
schwächer, starke Krümmung der Wirbelsäule nach der rechten entgegengesetzten 
Seite, linkes Hinterbein stark nach vorn gestreckt, rechtes Hinterbein in Bube 
(macht nur die Bewegungen des Beckens mit. Schwanz nach links. 

Bei a) R-A. 70 mm. Linke Schulter adduziert und gehoben. 

GyruB semilunaris inferior rechts. 

Bei 1: R-A. 80 mm. Heben der rechten Schulter, Adduktion des rechten 
Oberarmes, rechtes Vorderbein in Streckung nach links abgelenkt. 

R-A. 70 mm. Bechtes Vorderbein in Streckung stark nach links abgelenkt, 
die linke Schulter wird dabei gleichzeitig mitgehoben, sonst nichts. Ist der Hopf 
beweglich, so geht er nach rechts. 

Versuch VIII. Kaninchen. Beizung unipolar. 

Oyrus semilunaris inferior links. 

R-A. 110 mm. Bei 1: Anziehen der Halsmuskulatur links. 

Bei 2: Anziehen der Halsmuskulatur und der Schulter links. 

Bei 3: Anziehen der Halsmuskulatur, der Schulter und des Vorderbeines 
links. 

Bei 4: Dieselben Erscheinungen stärker und dazu noch Krümmung der 
Wirbelsäule mit Konkavität nach der rechten entgegengesetzten Seite. 

Bei diesem Kaninchen mußte von der Beizung der symmetrischen Stellen 
rechts Abstand genommen werden, da das Tier die Operation nicht überlebte. 


Versuch XX. Katze. Beizung unipolar. 

Oyrus semilunaris inf. links. 

Bei 1: R-A. 120 mm. Anziehen der Halsmuskulatur links. 

Bei 2: Dieselben Erscheinungen und Anziehen der linken Schulter. 

Bei 3: Anziehen der Halsmuskulatur, der Schulter und des Vorderbeines 
links. 

Bei 4: Dieselben Erscheinungen noch stärker und Krümmung der Wirbel¬ 
säule nach der rechten entgegengesetzten Seite. 

Oyrus semilunaris inf. rechts. 

Bei 1: B.-A. 120 mm. Anziehen der Halsmuskulatur rechts. 

Bei 2: Anziehen der Halsmuskulatur und der Schulter rechts. 

Bei 3: Dieselben Erscheinungen und Vorwärtsstrecken des rechten gereizten 
Vorderbeines. 


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Bei 4: Dieselben Erscheinungen stärker und Krümmung der Wirbelsäule 
nach der linken entgegengesetzten Seite. 




Cerebellum des Hundes von hinten und oben. 
1 Pyrainis, 2 Declive, 3 Monticulus, 4 Lob. 
postero-superior. 


Oyrus semilunar, infer. links. 


Gyrus seinilunaris des Hundes (von der Seite 
gesehen) nebst anliegendem Teile des Wurms. 
I . linker, r. rechter Wurm. 


Reizungsversuche am Wurm. 

Versuch XXV. Hund. Reizung unipolar. 

I. Rechte Seite des Wurms. 

Bei l': R.-A. 100 mm. Nichts. 

R.-A. 90 mm: Beide Vorderbeine etwas nach rechts, Zuckungen an denselben, 
rechts stärker als links. Bei längerer Reizung krümmt sich die Wirbelsäule mit 
der Konkavität nach der linken entgegengesetzten Seite. 

Bei 2': R.-A. 80 mm. Beide Vorderbeine in Streckung nach rechts abgelenkt, 
rechis stärker als links, bei längerer Reizung krümmt sich die Wirbelsäule nach 
der linken entgegengesetzten Seite. 

Bei 3': Dieselben Symptome stärker ausgeprägt. 

Bei 4': Dieselben Erscheinungen, sehr stark. 

II. Linke Seite des Wurms. 

Bei 1': Beide Vorderbeine etwas in Streckung nach links abgelenkt, Zuckungen 
an denselben links stärker als rechts. 

Bei 2': R.-A. 80 mm. Beide Vorderbeine in Streckung nach links abgelenkt, 
die Wirbelsäule krümmt sich mit der Konkavität nach der rechten entgegen¬ 
gesetzten Seite. 

Bei 3': Dieselben Erscheinungen stärker ausgeprägt. 


Versuche mit dem EwALD’schen Knopf. 1 

Versuch XXXVIII. Hund. Sitz des Knopfes links. 

R.-A. 80 mm. Im Moment der Reizung stutzt der Hund und dreht sich 
bald nach links, bald nach rechts. 

R.-A. 75ram. Stutzen mit dem Kopfe und Zucken an der linken Schulter 
und Halsmuskulatur. 

R.-A. 70mm. Drehen des Kopfes nach links, Stutzen mit dem Kopfe im 
Sinne des Tic rotatoire, Strecken des linken Vorder- und Hinterbeines und Zucken 
der Halsmuskulatur links. 

R.-A. 60 mm. Dieselben Symptome stärker * ausgeprägt. 

Bei 50 mm. Dieselben Resultate und dabei krümmt sich die Wirbelsäule 
bald nach rechts, bald nach links. 

Dasselbe Tier am nächstfolgenden Tage untersucht 


1 Die Versuchsanordnung war dieselbe, wie bei Lewandowsky: s. Die Verrichtungfn 
des Kleinhirns. Archiv f. Anat. u. Phys. 1903. 


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R.-A. 70 mm. Drehen des Kopfes nach links und Stutzen im Sinne des Tic 
rot&toire. 

R.-A. 60 mm. Bei längerer Reizung Krümmung der Wirbelsäule mit der 
Konkavität bald nach der rechten, bald nach der linken Seite. Kopf auch nach 
rechts. 

R.-A. 50 mm. Dieselben Erscheinungen stärker, auch bei kürzerer Reizung. 


Bevor wir zur Besprechung unserer Versuche übergehen, möge hier die 
Bemerkung eingefügt werden, daß wir nur einen Teil unserer zahlreichen Ver¬ 
suche anführen können und daß nicht alle Versuche iu derselben ausführlichen 
Weise durchgeführt werden konnten, da die Tiere durch die lange Dauer der 
Versuche allzusehr mitgenommen waren. 

Zu Anfang unserer Versuche war es vorgekommen, daß die Wirbelsäule 
sich mit der Konkavität bald nach der gereizten, bald nach der entgegen¬ 
gesetzten Seite drehte, während in anderen Versuchen die Wirbelsäule sich mit 
der Konkavität ausschließlich nach der entgegengesetzten Seite drehte. Was die 
Ursache dieses wechselnden Verhaltens war, konnte trotz peinlichster Beobachtung 
and sorgfältiger Versuchsanordnung nicht eruiert werden. 

Nach zahlreichen mühevollen Versuchen konnten wir endlich den Grund 
für dieses paradoxe Verhalten der Wirbelsäule feststellen. Wenn man nämlich 
bei der Beizung mit der Elektrode zu sehr nach der Seite und nach unten 
kommt, so passiert es leicht, daß nicht nur die Hirnsubstanz, sondern auch die 
Dura gereizt wird. Die Reizung der Dura muß für das Tier sehr schmerzhaft 
sein, denn es schreit sofort und macht allerlei Abwehrbewegungen, die eben 
nicht als Resultat einer reinen Gehirnreizung aufzufassen sind. Ein einseitiges 
konstantes Resultat dagegen erhält man nur, wenn man die Hirnsubstanz reizt, 
die absolut entblößt ist von der Dura. Dagegen hat sich bei allen Reizungen 
an unseren Versuchstieren ergeben, daß die Extremitäten und Halsmuskelgruppen 
stets auf der gereizten Seite erregt werden. 

Nach allen unseren Versuchen kann gar keine Rede davon sein, daß im 
Kleinhirn abgegrenzte Centren für die Muskulatur des Stammes vorhanden sind. 
Denn wir haben bei allen unseren Tieren einen nur verhältnismäßig kleinen 
Teil des Kleinhirns gereizt und trotzdem Bewegungen in fast sämtlichen Muskel¬ 
gruppen des Körpers erhalten. Mit dem Resultat. dieser Versuche steht in 
grellem Widerspruch die Angabe von Pbuss, der im Kleinhirn eine ganze An¬ 
zahl von Centren festgestellt hat So verlegt er z. B. in den von uns gereizten 
lobus semilunaris inferior das Centrum für die Muskeln, welche das Auge nach 
unten drehen, die Lider schließen, und für die Muskulatur der Schulter und die 
Extensoren der Vorderextremitäten. 


Auch eine andere Erscheinung, die in unseren Versuchen zutage tritt, 
spricht gegen die Annahme bestimmter Centren im Kleinhirn, wie 
es im Großhirn der Fall ist. Nehmen wir z. B. Versuch III heraus, so 
ergibt sich bei Punkt 1 und R.-A. 80 mm eine Adduktion und Heben der linken 
Schulter. Bei Punkt 4 dagegen mit demselben R.-A. dasselbe Resultat und 
außerdem noch eine Krümmung der Wirbelsäule mit der Konkavität nach der 

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entgegengesetzten Seite, eine Hebung des linken Hinterbeins und des Schwanzes. 
Ähnliche Beobachtungen ergaben sich auch in zahlreichen anderen Versuchen, 
d. h. mit anderen Worten, es ergibt sich eine Zunahme der Erscheinungen 
bei Reizung mit derselben Stromstärke von Funkt 1 nach Punkt 4 
hin. Diese Zunahme der Erscheinungen erhielten wir auch, wenn wir die 
Elektrode an ihrem Platze beließen, dagegen die Stromstärke erhöhten, z. B. in 
Versuch I. Während wir bei der Reizung des Punktes 1 mit R.-A. 90 mm 
ein Hoehheben der linken Schulter erhielten, bekommen wir an denselben 
Punkten mit R.-A. 80 mm dasselbe Resultat, aber außerdem noch eine 
Krümmung der Wirbelsäule. Bei Reizung symmetrischer Stellen der beiden 
lobi semilunares inf. erhielten wir dasselbe Resultat. Bei Reizung der rechten 
Seite des Worms erhielten wir im allgemeinen dasselbe Ergebnis, wie wir es 
bei Reizung des rechten Gyros semilunaris inf. erhalten haben. Bei Reizung 
der linken Wurmseite dieselben Erscheinungen, die wir bei Reizung der linken 
Seite des lobus semilunaris inf. erhalten haben. Wäre, wie die oben angeführten 
Autoren behaupten, die Oberfläche des Kleinhirns Sitz lokalisierter Centren, so 
müßte bei Reizung eines bestimmten Punktes mit stärkeren Strömen ein und 
dieselbe Bewegung nur mit verstärkter Intensität eintreten, was, wie oben bereits 
erwähnt, nicht der Fall ist 

Was die EwALD’schen Knopfversuche betrifft, so können wir, wie bereits 
oben erwähnt, die Angaben Lewandowxt’s nicht vollauf bestätigen. Es 
zeigte sieh nämlich in unseren Versuchen, daß bei Reizung links bald Muskel¬ 
groppen der linken, bald der rechten Körperhälfte erregt wurden. Aus unseren 
Versuchen können wir ebenso gut schließen, daß bei Reizung links Muskel¬ 
gruppen der linken Körperhälfte erregt werden, da dieses Resultat ebenso häufig 
beobachtet wurde. Nach unseren Erfahrungen, die wir bei den Elektroden- 
reizungen gemacht haben, dürfte es überhaupt fast unmöglich sein, bei den 
Reizungen am Kleinhirn mit dem EwALD’schen Knopf ein einwandfreies Re¬ 
sultat zu erhalten. Denn die Möglichkeit, neben der Hirnsubstanz gleichzeitig 
die Dura mitzureizen, ist hier in noch viel höherem Maße gegeben, als bei den 
Elektrodenreizungen, wie bereits oben erwähnt wurde. Eine Erscheinung, die 
sich in allen unseren Knopfversuchen zeigte, war die, daß das Tier, sobald der 
Strom geschlossen wurde, stutzende Bewegungen des Kopfes in der Riehtung 
nach unten machte, die im Sinne des Tic rotatoire zu deuten sind; daß wir sie 
nur bei den Knopfversuchen erhielten, mag vielleicht auf den Umstand zurück¬ 
zuführen sein, daß bei diesen Versuchen der Kopf des Tieres freie Beweglichkeit 
hatte, während bei den Elektrodenreizungen der Kopf gefesselt war. 

Im Anschluß an unsere Arbeit wollen wir noch über einige Versuche be¬ 
richten, die wir angestellt haben, um darüber zu entscheiden, ob man von be¬ 
stimmten Punkten des Kleinhirns aus Augenbewegungen bekommen kann, wie 
sie Fbbbieb 1 angegeben hat. Febbibb fand nämlich bei Reizung der Pyramis 
Bewegungen beider Augen nach links und rechts, je nachdem er an der linken 


1 D. Frrrier, The functions of fche brain. 1886. 

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oder rechten Seite der Pjramis reizte. Am Deklive erhielt er von der Mitte 
aas Bewegungen der Augen nach abwärts, von der linken Seite nach abwärts 

und nach links, von der rechten Seite nach abwärts und nach rechts. Vom 

lobulus posterior sup. rechts erhielt er Bewegungen der Augen nach aufwärts 
und rechts, um ihre Achse rotierend. Vom Flocculus rechts Rotations¬ 
bewegungen der Augäpfel um ihre antero-posteriore Achse, bisweilen nach rechts, 
bisweilen nach links. 

Wir haben auch Versuche in dem von Fkrbieb angegebenen Eieinhirn¬ 
gebiete angestellt, deren Ergebnis folgendes war: 

Versuch V. Hund. Alle Punkte werden wiederholt gereizt 

Bei a) B.-A. 70 mm. 

1. Das rechte Auge geht ein wenig nach oben und innen. 

2. Das rechte Auge geht ein wenig nach oben, erst nach der Beizung. 

3. Das rechte Auge ging nach unten, nach der Beizung. 

4. Während der zweiten Hälfte der Beizung rückt das gleichzeitige Auge 
ein wenig nach unten. 

5. Zuerst nichts, als das Tier zu zittern anfängt, geht das gleich¬ 
zeitige Auge ruckweise nach unten. 

6. Das gleichseitige Auge ganz schwach nach unten und außen, das andere 
Auge niohts. 

7. Linkes Auge nach unten links, rechtes Auge unregelmäßig nach unten. 

8. Beide Augen nach links. 

9. B.-A. 65 mm. Beide Augen nach oben hinten. 

Bei c) wiederholte Beizung B. A. 70 mm. 

1. Nichts, 2. nichts. 

3. Linkes Auge schwach nach unten. 

Declive links: 

1. Linkes Auge etwas nach außen, rechtB nichts. 

2. Beiderseits nichts, 3. nichts, 4. nichts. 

5. Linkes Auge schwach nach links. 

Declive rechts: 

1. Beide Augen etwas nach rechts, rechts mehr als links. 

2. Minimale Bewegungen in demselben Sinne. 

3. Nichts. 

4. Linkes Auge stark nach unten, etwas nach links, rechtes Auge etwas 
nach unten. 

5. Nichts. 

6. Beide Augen langsam nach unten. 

7. Beide Augen sehr spät etwas nach unten. 

Pyramis links. Wiederholte Beizung. 

1. Beide Augen spur weise aufwärts. 

2. Nichts. 

3. Beide Augen spurweise aufwärts. 

4. Dasselbe. 

Versuch VIII. Hund. 

Bei a) links B.-A. 90mm. 

1. Baddrehung des rechten entgegengesetzten Auges, entgegengesetzt dem 
Uhrzeiger. 

2. Dasselbe. 

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• Bei c) links: 

1. Spur von Bewegung beider Augen nach oben. 

2. Bei 80 mm dasselbe nicht stärker. 

Pyramis rechts. R.-A. 90mm. 

1. Beide Augen nach oben. 

2. Ebenso. 

Pyramis links. R.-A. 80 mm. 

1. Beide Augen deutlich aufwärts. 

2. Ebenso. 

Wenn wir unsere Resultate mit denen Febrier’s vergleichen, so finden wir 
wenig Übereinstimmendes in beiden. Der einzige Punkt, in dem die Reizung 
dasselbe Resultat ergeben hat, ist das Deklive rechts, wo wir wiederholt Augen¬ 
bewegungen nach außen rechts erhielten, manchmal aber auch gar keinen 
Effekt erzielten. Auch in anderen unserer Versuche vermissen wir jede Gesetz¬ 
mäßigkeit, indem die Versuchsresultate bei Reizung derselben Stelle nicht immer 
die gleichen waren. Außerdem konnten wir bei wiederholter Reizung desselben 
Punktes überhaupt keinen Reizeffekt erzielen. Im Gegensatz zu Fekbier fanden 
wir sehr häufig auch einseitige Augenbewegungen, während Febbieb in allen 
Fällen regelmäßig doppelseitige Bewegungen der Augen hatte. Die Deutung 
der erzielten Resultate wird noch dadurch erschwert, daß wir es hier mit einem 
Organ zu tun haben, das außerdem auf alle möglichen geringfügigen Reize, wie 
Schmerz, Kopfbewegungen usw., die das Tier treffen, reagiert. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle Herrn Geheimrat 
Prof. Dr. H. Münk meinen herzlichsten Dank auszudrücken für das rege 
Interesse an meiner Arbeit und für die überaus liebenswürdige Unterstützung 
und Kontrolle meiner Versuche. 

Zu Dank bin ich auch Herrn Prof. Dr. dü Bois-Reymond verpflichtet, der 
eiuen Teil der Versuche mit mir beobachtet hat. 


4. Beitrag zur Frage 

der „sukzessiven“ Kombination von Psychosen. 

Von Dr. Blum, 

Oberarzt der Privat-Heil- und Pflegeanstalt Wald haus b/Wannseo. 

Im Anschluß an die in diesem Centralblatte 1 von Pelz veröffentlichte 
Arbeit: „Ein Fall von genuiner Epilepsie mit darauffolgender Dementia para- 
lytica“ sei es mir gestattet, einen fast gleichen Fall mitzuteilen, einesteils, um 
zu zeigen, daß das Vorkommen von Paralyse bei einem früheren Epileptiker 
doch nicht so selten ist, wie Pelz behauptet, und andererseits, um einen weiteren 
Beitrag gegen die WATTENBEBG’sche Ansicht zu schaffen, daß Paralyse und 
Epilepsie ähnliche Ätiologie haben und nicht durch Syphilis hervorgerufen werden. 


1907. Nr. 1. 


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Die Anamnese sei in Kürze mitgeteilt 

D. ist ein uneheliches Kind; mütterlicherseits nicht belastet, väterlicherseits 
ist über Heredität nichts zu erfahren. 

Im 12. Lebensjahr wurde Patient etwa 1 j i Jahr lang von einem Päderasten 
mißbraucht Im Anschluß an die Entdeckung erfolgte der erste Anfall. Von 
da ab traten diese täglich auf bis zum 13. Jahr und sistierten dann plötzlich. 
Der früher brave Junge wurde seitdem mürrisch, reizbar und gewalttätig. In 
der Lehre hielt er nirgends lange aus. 

Mit 16 Jahren erste Aufnahme in die Charitö, wo er zwar keine Anfälle 
hatte, aber öfters Verwirrtheitszustände beobachtet wurden. 

Die damaligen Begutachter, von denen ich Moeli, Oppenheim und Boedekek 
herausgreife, sprechen sich sämtlich für Epilepsie aus. 

Nach seiner Entlassung war er in verschiedenen Geschäften tätig, konnte 
sich aber wegen dummer Streiche und verschiedener Eigentumsvergehen in 
keiner Stellung halten. Vom 16. Lebensjahr schon ab ergab er sich dem Trünke, 
vertrug jedoch nicht viel und bekam pathologische Rauschzustände, in denen er 
sehr roh und gewalttätig wurde, selbst gegen die eigene Mutter. 

Er wurde damals verschiedener Vergehen, Diebstahl, Unterschlagungen, 
Drohung und versuchter Brandstiftung angeklagt, mußte jedoch auf Grund eines 
kreisärztlicben Gutachtens, das sich dahin ausspracb, daß D. an epileptischen 
Anfällen, bzw. deren Äquivalenten litte, freigesprochen werden. Wurde wegen 
Gemeingefährlichkeit mit 25 Jahren von neuem interniert, nachdem er sich in 
den 9 Jahren so ziemlich gehalten und zeitweise mit ziemlich gutem Erfolg 
eine Buchhalterstelle bekleidet hatte. 

Bei seiner damaligen Aufnahme gab er freiwillig an, er habe im Jahre 
vorher (1890) einen Schanker bekommen, eine Schmierkur durchgemacht, und 
es sei danach nichts mehr gekommen. 

Nach 4 monatlichem Aufenthalt in Dalldorf wurde D. in Pflege gegeben. 

Im Oktober 1903, also 12 Jahre später, wird D. mit den ausgesprochenen 
Zeichen der Dementia paralytica in die Charitö eingeliefert und von da nach 
Dalldorf überführt. Von körperlichen Symptomen werden in der Kranken¬ 
geschichte erwähnt: Pupillen entrundet, reagieren nicht' auf Licht, aber auf 
Konvergenz, Patellar- und Achillessehnenreflexe sind aufgehoben. Analgesie an 
den Unterschenkeln, artikulatorische Sprachstörung. 

Psychisch besteht starke Demenz, Unorientiertheit über Ort und Zeit, 
Negativismus und vorübergehend Mutazismus. 

Seit Februar 1904 wird Patient in der hiesigen Anstalt verpflegt und be¬ 
findet sich zurzeit im paralytischen Endstadium. 

Die Ähnlichkeit dieses Falles mit dem von Pelz ist unverkennbar. Hier 
wie dort Epilepsie im Pubertätsalter, baldiges Sistieren der Anfälle nach dem 
Beginn der Krankheit und epileptische Charakterveränderung, Hinzutreten von 
Alkoholismus, Infektion mit Syphilis, dann ziemlich langdauerndes Intervall von 
relativ normalem Verhalten — 12 bzw. 8 Jahre —, schließlich Ausbruch der 
Paralyse. 


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Auch im vorliegenden Falle ist juvenile Paralyse mit Sicherheit auszu¬ 
schließen. 

Besonders zu betonen ist, daß die beiden zumeist als ursächliches Moment 
für Paralyse angeschuldigten Schädlichkeiten, Alkoholismus und Syphilis, hier 
zusammen vorliegen. 

Es ist wahrscheinlich, daß D. in absehbarer Zeit zur Obduktion gelangt; 
vielleicht wird es alsdann möglich sein, auch pathologisch-anatomisch die beiden 
Psychosen auseinanderzuhalten, und ich behalte mir vor, darüber spater noch 
zu berichten. 


n. Referate. 


Physiologie. 

1) Neue Versuche über die Begeneration der Nervenfasern, von Albrecht 
Bethe. (Arch. f.d. ges. Phys. CXVI. 1907.) Bef.: Max Bielsohowsky(Berlin) < 

In seiner bekannten „Allgemeinen Anatomie und Physiologie des Nerven¬ 
systems“ hat Verf. auf Grund zahlreicher eigener, zum Teil schon früher ver¬ 
öffentlichter Beobachtungen die zuerst von Philipeau und Vulpian ausgesprochene 
Lehre mit Entschiedenheit verteidigt, daß ein von seinem Centrum abgetrennter 
Nerv unter günstigen Umstanden sich aus sich selbst heraus histologisch und 
physiologisch regenerieren kann. Gegen diese Lehre von der „autogenen Rege¬ 
neration“ ist von zahlreichen Autoren heftiger Widerspruch erhoben worden. Verf. 
unterzieht in dieser neuen Publikation die Argumente seiner Gegner einer sorg¬ 
fältigen Kritik, wobei er die Fragestellung in folgender Weise präzisiert: 

Geht die Regeneration eines durchtrennten Nerven allein von den Central¬ 
organen (nutritorischen Centren, Ursprungszellen) aus: kommt sie als ein rein 
autogener Prozeß durch Selbstdifferenzierung der Reste des alten Nerven zustande 
oder beruht sie auf einem Zusammenwirken centraler Einflüsse und peripheriseher 
Vorgänge? Von besonderem Interesse sind in dieser groß angelegten Arbeit die 
neuen Versuche, welche auf die Beantwortung der ersten Frage gerichtet sind. 
Verf. sagt mit Reoht, wer die reine Auswachsungslehre beweisen will, hat zu 
zeigen, daß eine ihres Neuriten vollkommen beraubte Ganglienzelle einen neuen 
Neuriten von normaler Länge und mit einem Markmantel umgeben zu bilden 
vermag. Dieser Beweis sei nie angetreten worden, weil ihn die vorgefaßte Meinung 
unnötig erscheinen ließ. Mit Hilfe von Durchschneidungsversuchen und durch 
Ausreißungen motorischer Wurzelfasern hat Verf. objektiv festzustellen versucht, 
was die multipolare Vorderhornzelle nach Verlust ihres Axons regenerativ zu 
leisten vermag. Die genaue histologische Untersuchung seines experimentellen 
Materiales zeigte, daß bei einer Trennung des Aohsencylinders im Bereiche des 
Rückenmarkes selbst, also in der unmittelbaren Nähe der Ursprungszelle, eine 
Regeneration des centralen Stumpfes nicht stattfindet. Ganz anders aber gestalten 
Bich die Dinge, wenn die Wurzeln extraspinal in den Häuten durchreißen, wo 
sie bereits von Schwannschen Zellen begleitet werden. „Sowie auch nur kleine 
Mengen Schwannscher Zellen mit den Ganglienzellen in Verbindung stehen, 
kommt es zum Auswachsen der Nervenfasern; die entstehenden Produkte haben 
aber den Charakter des Pathologischen an sich, wenn die Menge der zu Gebote 
stehenden Schwannschen Zellen gering ist. Dies deutet darauf hin, daß die 
Regeneration, d. h. die Produktion neuer Nervenmasse in erster Linie Funktion 
der Schwannschen Zellen ist.“ 

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Die übrigen Versuche beziehen sich auf Regenerationserscheinungen am peri¬ 
pherischen und centralen Stumpf durchtrennter peripherischer Stämme und an 
hinteren Wurzeln und enthalten Erweiterungen und Ergänzungen seiner früheren 
Mitteilungen. Der Wert dieser originellen Arbeit macht es notwendig, ihre Haupt¬ 
resultate in der vom Verf, selbst gefaßten Form wiederzugeben. 

1. Ihres Neuriten vollständig beraubte Ganglienzellen zeigen in meinen Ver¬ 
suchen nicht die Fähigkeit, einen neuen Neuriten zu regenerieren. 

2. Die Auswachsungsfähigkeit eines centralen Nervenstumpfes ist abhängig 
von der Länge desselben. Kurze Stümpfe bilden weniger neue Nervenmasse 
als lange. 

3. Die großen „Wachstumskolben“ Cajals bleiben an der Stelle ihrer Bil¬ 
dung liegen und umgeben sich mit Mark. Sie sind nicht als wachsende Enden 
anzusehen. Die Fibrillen bilden in diesen Kolben keine Netze. 

4. Junge, vom centralen Stumpf auswachsende Achsencylinder sind stets mit 
Schwannschen Zellen, besonders am Ende, besetzt. Es ist daher nicht zu ent¬ 
scheiden, ob das Auswachsen von der alten Faser oder von den Schwannschen 
Zellen ausgeht. 

5. Isolierte Nervenstümpfe junger Hunde können sich autogen bis zur Leitungs- 
fähigkeit regenerieren. Die regenerierten Fasern zeigen auch bei dem Versuchs¬ 
verfahren von Langley und Anderson keinen physiologischen und nutritorischen 
Zusammenhang mit dem Rückenmark. 

6. Isolierte periphere Stümpfe, besonders die in ihnen enthaltenen Axial¬ 
fasern, können nahezu ebenso stark auswachsen wie centrale Stümpfe. 

7. Vom centralen Stumpf auswachsende Fasern dringen, wenn sie den peri¬ 
pheren Stumpf erreichen, stets durch die „Schnittpforte“ in diesen ein. Ein Ein¬ 
dringen markhaltiger Fasern konnte an dieser Stelle bei einigen autogen regene¬ 
rierten Nervenstümpfen mit Sicherheit ausgeschlossen werden. 

8. Die Zahl der Markfasern kann in autogen regenerierten Nerven die Normal¬ 
zahl nahezu erreichen. 

9. Axialstrangfasern, die sich nach allgemeiner Anschauung ohne Beihilfe 
des Centrums aus den Resten der degenerierten Fasern bilden, degenerieren bei 
erneuter Durchschneidung in ähnlicher Weise wie normale Nervenfasern. Nur 
das periphere Ende wird von der Veränderung (Aufquellen und Kernvermehrung) 
ergriffen; der centrale Teil bleibt erhalten. 

10. Danach ist die bestimmt gerichtete Degeneration normaler peripherer 
Nerven als Eigentümlichkeit der Schwannschen Zellen anzusehen. Es kann also 
nicht befremden, daß autogen regenerierte Nerven in derselben Weise auf Durch¬ 
schneidung reagieren wie normale. 

11. Hintere Wurzelfasern können eich aus sich selbst heraus regenerieren. 

12. Die Hinterstrangsfasern besitzen entweder die Fähigkeit, sich nach Durch¬ 
schneidung hinterer Wurzeln zu regenerieren, oder sie verfallen wenigstens bei 
jungen Tieren nicht mit Sicherheit der Degeneration. 

13. Die primäre Vereinigung der Stümpfe eineB durchschnittenen Nerven 
kommt durch bestimmt gerichtetes Wachstum des perineuralen und endoneuralen 
Bindegewebes zustande. Die Nervenfasern folgen erst sekundär dieser Bahn. 

14. Die Unmöglichkeit, motorische und reoeptorische Fasern und präganglio¬ 
näre und postganglionäre FaBern miteinander zur funktionellen Vereinigung zu 
bringen, spricht dafür, daß die Reste der Nervenfasern nach Ablauf der Dege¬ 
neration ihre Spezifität bis zu einem gewissen Grade behalten. Dies spricht gegen 
den von der Auswachsungslehre angenommenen, indifferenten Charakter der 
Sohwannsehen Zellen. 

2) Le möcanlsme de la rögönörescence nerveuse, par Dr. G. Marinesco. 
(Revue g6n6rale des Sciences. 1907. Nr. 4 u. 5.) Ref.: Hai ff (Basel). 


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Verf. berichtet über Beobachtungen am durchschnittenen Nerven, am trans¬ 
plantierten Nervenstück, sowie an der transplantierten Ganglienzelle (Ganglium). 

Am peripheren Stumpfe des einfach durchschnittenen Nerven konnte er fest¬ 
stellen, daß Markscheide und Achsencylinder (Axolyse des Verf.’s) erst aufquellen, 
dann körnig zerfallen und zuletzt verschwinden, indem zu gleicher Zeit die Zellen 
der Schwannschen Scheide wuchern und sich in hauptsächlich longitudinal ver¬ 
laufenden Zügen anordnen (apotrophische Zellen des Verf.’s). 

Verf. hält es für wahrscheinlich, daß Markscheide und Achsencylinder durch 
Fermente „verdaut“ werden, die von den „apotrophischen Zellen“ geliefert werden. 

In späteren Stadien sah Verf., wie vom centralen Stumpfe herkommende, 
neugebildete Achsencylinder zwischen den Zügen der „apotrophischen Zellen“ peri- 
pherwärts ziehen; dort, wo die „apotrophischen Zellen“ nicht longitudinal, sondern 
quer oder schräg gelagert waren, fand er „üindernisbildungen“ wie Endkolben 
der neugebildeten Achsencylinder, Umwicklung und spiralige Umwindung der 
alten Achsencylinder durch die neugebildeten; die neugebildeten Achsencylinder 
stammen nach den Bildern, die Verf. am centralen Stumpfe des durchschnittenen 
Nerven sah, von hypertrophierten Achsencylindern dieses Stumpfes. 

Die Transplantationsversuche führte Verf. an Hunden, Hasen, Kaninchen, 
Baben usw. aus und er spricht dabei von Homotransplantation bei Transplantation 
von Hund zu Hund, Hase zu HaBe usw., andererseits von Heterotransplantation 
bei solcher von Hund zu Hase, Hund zu Kaninchen usw.; dio Transplantation 
selbst bestand darin, daß ein ausgeschnittenes Nervenstück in den anderen durch¬ 
schnittenen Nerv eingesetzt wurde. 

Bei der Homotransplantation fand sich im transplantierten Stück ein erst 
nach etwa 10 bis 15 Tagen einsetzender und vom proximalen zum peripheren 
Ende fortschreitender Zerfall von Markscheide und Achsencylinder ähnlich wie im 
peripheren Stumpfe des einfach durchschnittenen Nerven. 

„Atrophische Zellen“ konnten entweder gar nicht festgestellt werden oder 
fanden sich nur in geringer Zahl im Bereich des centralen Endes des transplan¬ 
tierten Stückes und rühren nach Verf. von den Zellen der Schwannschen Scheide 
von vereinzelten im centralen Stumpfe deB durchtrennten Nerven degenerierten 
Nervenfasern. 

Neubildung von Achsencylindern fand sich dabei nirgends. 

Verf. nimmt an, daß es bei der Homotransplantation infolge des Fehlens der 
„apotrophischen Zellen“ nicht zu einer Neubildung von Achsencylindern kommt, 
indem die „apotrophischen Zellen“ die alten Achsencylinder des centralen Stumpfes 
zur Neubildung anregen und durch ihre Lagerung in longitudinale Züge den neu¬ 
gebildeten Achsencylindern den Weg zur Peripherie bahnen sollen. 

Bei der Heterotransplantation sah Verf. das transplantierte Stück auf die 
Weise verschwinden, daß es zur Einwanderung von mehrkernigen Leukozyten kam, 
welche die zerfallenen Nervenelemente in sich aufnahmen und fortschafften; zur 
Bildung von atrophischen Zellen oder neuen Achsencylindern kam es dabei in 
keiner Weise. 

Zum Studium der Vorgänge bei Transplantation von Ganglienzellen trans¬ 
plantierte Verf. Nervenganglien unter die Haut oder in einen Nerven. 

Veränderungen stellten sich schon nach 5 Stunden ein und betrafen alle 
Elemente: die Ganglienzellen zerfielen und verschwanden, die markhaltigen Nerven¬ 
fasern lösten sich unter Schwellung und Ampullenbildung des Achsencylinders 
auf, auch die marklosen zerfielen, wenn auch etwas später alB die markhaltigen. 

An die Stelle der geschwundenen Elemente traten Haufen von Zellen — 
teils eingewanderte mehrkernige Leukozyten, teils proliferierte Bindegewebszellen, 
teils Gitterzellen, teils gewucherte Begleitzellen — und neugebildete Gefäße. 

Das Wuchern der Begleitzellen, während die Ganglienzellen doch schwinden, 

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spricht nach Verf. dagegen, daß Ganglienzellen und Begleitzellen in einem sym¬ 
biotischen Verhältnis zueinander stehen. 


3) Die Neutralzellen des oentralen Nervensystems, von Dr. P. Kronthal.- 
(Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke. 

Verf. erklärt in dieser Arbeit die Existenz des Neurons, der aus Nerven¬ 
zelle, Nervenfaser und somatischer Zelle bestehenden Einheit, auf der sich die 
Vorstellung vom Sitz der Geistestätigkeit im Gehirn aufbaue, für falsch. Das 
Neuron sei nicht zu retten, es sei eine bequeme Hypothese gewesen, die unter 
neuer wissenschaftlicher Erkenntnis zusammengebrochen sei. 

An seine Stelle setzt er die Neuromuskelzelle: ein sensibler Apparat und ein 
»notorischer sind durch eine reizleitende Nervenfaser verbunden. Dies sei die 
anatomisch nachweisbare Nerveneinheit. Werden mehrere Neuromuskelzellen zu¬ 
sammengefügt, so finden sie sich entweder derart beieinander, daß sie räumlich 
für sich abgegrenzt sind, oder daß sie mit den den sensiblen mit dem motorischen 
Apparat verbindenden Fasern räumlich zusammengefaßt werden. Diese Fasern 
passieren dann gemeinsam, eingeschobene Zellen, die Nervenzellen. Diese leisten 
weiter nichts, als daß sie die Isolierung der sie durcheilenden Fasern aufheben. 

Verf. nimmt an, daß die Nervenzellen aus den sogen. „Neutralzellen“ ent¬ 
stehen. Darunter versteht er in der weißen Hirnsubstanz spärlich, in der grauen 
zahlreich vorhandene, verschieden große, meist kleine, großkernige, protoplasma- 
arme Zellen, die verschiedene, den amoeboiden Zellen gleichende Formen zeigen 
und Wanderfähigkeit haben. Sie Bind aus dem Blut und der Lymphe in die 
Masse des centralen Nervensystems eingewandert, können dort in ihrer ursprüng¬ 
lichen Form weiter bestehen oder mit anderen, ihnen gleichen Zellen verschmelzen 
oder allein, oder verschmolzen, von Nervenfibrillen oder Gliafasern oder Nerven¬ 
zellen festgehalten, zur Nerven- oder Gliazelle werden. 

Wenn nun die centralen Nervenzellen aus den Neutralzellen, und diese aus 
Wanderzellen entstehen, muß man Fremdkörper in ihnen finden, die man z. B. 
dem Tier einverleibt, sofern diese Partikelchen von den weißen Blutkörperchen 
oder Lymphzellen aufgenommen werden. Dieser Versuch gelingt z. B. mit aufs 
feinste pulverisierter Lindenkohle. 

Führt man nun einem Tier Fremdkörper ein, die nachweisbar von den 
Wanderzellen nicht aufgenommen werden, so dürfen sich diese Körper auch nicht 
in den Nervenzellen finden. 

Die Lymphzellen nehmen nun Karmin nicht auf; es hat sich gezeigt, daß 
auch die Nervenzellen frei von Karmin sind. 

Die Frage, ob und wieweit die aus den Wanderzellen hervorgehenden Neutral¬ 
zellen mit den Zellbegriffen der verschiedenartigen Leukozyten, Lymphocyten, 
farblosen Blutkörpern, Lymphzellen und Wanderzellen zusammenfallen, läßt Verf. 
ganz offen; er nennt sie gerade um deswillen „Neutralzellen“. 


4) Die Neuronlehre, von Dr. E. Bloch. (Medizin. Klinik. 1907. Nr. 11.) 

Ref.: Paul Lissmann (München). 

Die Neuronlehre hat sich bis jetzt auf drei Füße gestellt: Entwicklungs¬ 
geschichte, pathologische Anatomie und Physiologie. Während nun aber die 
ersten beiden sichere Stützen darstellen, setzt sich die angewandte Anatomie, die 
Physiologie der Neuronlehre, immer noch aus mehr oder weniger geistreichen 
Theorien zusammen, die wegen ihrer Unsicherheit die ganze Neuronlehre diskre¬ 
ditieren können. Die Erklärung der anatomischen Begriffe Neuron, Neurit und 
Dendrit mit ihren komplizierten Verknüpfungen untereinander lassen den Verf. 
das Centralnervensystem mit einer Centralweichenstellung vergleichen, dessen Hebel 
die Neurone, dessen Drähte die Neuriten und dessen Signale die Dendriten dar- 
stellen. 


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Bas Wallersehe Gesetz, ferner die Tatsache, daß bei Durchschneidung auch 
motorischer Nerven der Körper des centralen Ganglions gewisse Veränderungen 
durchmacht, die sich beim Zusammenheilen des Nerven wieder zuriickbilden, all 
das beweist, daß das Neuron als entwicklungsgeschichtliche und funktionelle Ein» 
heit aufzufassen ist. Die Fortpflanzung der Erregubg im Nervensystem geschieht 
nach der Neuronlehre durch Überschreitung der „Reizschwelle“, id est die der 
Nervenzelle innewohnende, bei verschiedenen Individuen verschiedene latente Er» 
regbarkeit. Den Übergang zur Pathologie bildet die außergewöhnliche Steigerung 
oder Verminderung dieser Reizschwelle, deren Verhalten wir bei der Therapie zu 
berücksichtigen haben. 

Verf. streift kurz die von Duval aufgestellte Hypothese des Sohlafes — Ein» 
engung des Bewußtseins durch die Retraktion der beweglichen Dendriten bei 
Tage und Wiederherstellung des Kontaktes derselben durch den Schlaf — und 
geht dann auf die Gegner der Neuronlehre ein. Insbesondere ist es Apäthy, 
der mit seiner Neurofibrillenlebre die Neuronlehre angreift. Nach ihm spielen 
nicht die Ganglienzellen, sondern die Neurofibrillen die Hauptrolle. Diese kommen 
von der Peripherie, durchziehen die Ganglienzelle, wo sie nur den von der Peri¬ 
pherie empfangenen Reiz umladen, und kehren wieder zur Peripherie zurück. 
Auch Bethe griff die Neuronlehre an und zeigte mittels Tierexperiments am ge¬ 
meinen Taschenkrebs, daß z. B. zum Zustandekommen eines Reflexes die Ganglien¬ 
zelle nicht unbedingt notwendig sei. Als dritter Hauptgegner trat Held auf, der 
die Vereinigung der Neuriten und Dendriten im Innern der Zellen aufstellte und 
den von der Neurontheorie aufgestellten Zwischenraum zwischen ihnen negierte. 

Ein versöhnender Hinweis auf die Möglichkeit, daß, da sich die Natur nicht 
schematisieren lasse, Anhänger und Gegner der Neuronlehre recht haben könnten, 
schließt die sehr interessanten und lehrreichen Ausführungen. 


Pathologische Anatomie. 

5) A oase of orbital enoephalooele with unique malformation of the brain 
and eye, by Parsons and Coats. (Brain. CXIV. 1906.) Ref.: Bruns. 
Die Verff. geben die genaue klinische und anatomische Beschreibung einer 
orbitalen Encephalocele. Die interessanten Mißbildungen am Auge und Gehirn 
können in einem Referate nicht beschrieben werden. Es sei auf das Original 
verwiesen. Die Diagnose war nicht leicht; man mußte auch an eine Orbitalcyste 
mit Mikrophthalmie, an ein plexiformes Neurom und ein Angiom denken. 


Pathologie des Nervensystems. 


6) Die Pathogenese and Therapie der Eisenbahnkrankheit des Rindes, von 

J. Schmidt. (Berliner tierärztliche Wochenschr. 1906. S.775.) Ref.: Dexler. 

In einer größeren Abhandlung über die sogen. Eisenbahnkrankheit des Rindes 
bespricht Verf. seine Erfahrungen über das Wesen dieser merkwürdigen Affektion. 
Sie befällt fast ausschließlich Kühe, und zwar solche, die hochtragend sind und 
bis zum Beginn des Transportes als Weidetiere gehalten wurden. Der Beginn 
der Erkrankung datiert in der Regel von dem Zeitpunkte des Eintreffens des 
Transportes im Stalle. Die ersten Symptome äußern sich in einer gewissen Er¬ 
regbarkeit, Unruhe des Blickes und der Bewegungen. Die Beine werden oft 
überkreuzt, der Schwanz gestreckt vom Körper abgehalten. Der Gang wird un¬ 
sicher, schwankend, so daß die Tiere auch hinstürzen können. Sie legen sich oft 
nieder, sind aber sehr bald nicht mehr imstande sich zu erheben. Namentlich 
die Nachhand erscheint paraplegisch. Mit der Zunahme der Bewegongs» 


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Unfähigkeit machen sich Bewußtseinsstörungen bemerkbar. Die Kühe werden 
schlafsöchtig und liegen mit gebeugten Gelenken, eine ähnliche Haltung wie beim 
Halbefieber einnehmend. Die Augen sind geschlossen, reizunempfindlich, Pupillen 
erweitert, der Glanz der Kornea ist geschwunden. 

Die Temperatur bleibt normal. Die Atmung geschieht oberflächlich und mit 
merklicher Beschleunigung; nicht selten wird sie von Stöhnen, Brummen oder 
Röcheln begleitet Wird eine zweckentsprechende Behandlung nicht eingeleitet, 
so wird der komatöse Zustand immer tiefer und die Kranken verenden nach 24 
bis 48 Stunden. Ganz ausnahmsweise soll auch eine spontane Heilung gesehen 
worden sein. 

Anatomischer Befand völlig negativ. 

Therapeutisch bat sich am verläßlichsten einzig und allein die Aufpumpnng 
des Euters mit Luft erwiesen, ähnlich wie dies bei der GebärpareBe vorgenommen 
wird. Ein Heilerfolg ist umso sicherer zu erwarten, je früher diese Therapie 
eingeleitet werden kann. Eine zweckmäßige Prophylaxe ist zurzeit nicht bekannt. 

Das Wesen der Krankheit ist noch nicht festgestellt. Richter nimmt eine 
durch den Transport bedingte Gehirnanämie als Grundlage der Eisenbahnkrank* 
heit an und eine damit verbundene ungünstige Beeinflussung der Vasomotoren, 
freilich ohne greifbare Beweise für diese Voraussetzung geben zu können. 

7) Klinische Kasuistik aus der Praxis, von Wilh. Erb in Heidelberg. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 47.) Ref.: R. Pfeiffer. 

I. Poliomyelitis anterior acuta superior, d. h. Fälle von akuter Polio¬ 
myelitis mit vorwiegender Lokalisation im Cervikalmark bis hinauf zu den obersten 
Cervikalsegmenten und zum Teil bis hinein in die Oblongata mit Beteiligung 
einzelner Hirnnerven. 

Wie Verf. unter Mitteilung eigener Fälle hervorhebt, kann die Diagnose der 
Poliomyelitis superior besonders gegenüber der Polyneuritis schwer sein, zumal 
auch bei der Poliomyelitis in den initialen Stadien Schmerzen, Blasenstörungen 
und leichte Sensibilitätsstörungen auftreten können. Entscheidend ist die genaue 
Beobachtung und der weitere Verlauf. 

IL Zum Kapitel der angioneurotischen Störungen der unteren 
Extremitäten („intermittirendes Hinken“ usw.). 

Die Kenntnis dieser Störungen ist in der Ärztewelt noch gering, die Mehr¬ 
zahl der vom Verf. beobachteten Fälle war vorher nicht erkannt. Die recht¬ 
zeitige Diagnose ist aber für eine wirksame Therapie unbedingt erforderlich. 

8) Etüde olinique et anatomo-pathologique d'un oas de poliomyelite 

diffuse subaigue de la premiere enfanoe (amyotrophie ohronique 

d’origine spinale d’Hoffmann), par Armand-Delille et Boudet. (Nouv. 

Icon, de la Salpetrige. 1906. Nr. 6.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Ein 6 Monate altes Brustkind, dessen Eltern an keiner nervösen Erkrankung 

litten. Als es 2 Monate alt war, bemerkte die Mutter, daß es den Kopf nicht 
mehr halten kann, daß er ihm immer wieder auf die Schulter fällt. Um dieselbe 
Zeit sollen die Bewegungen der Glieder nach und nach schwächer geworden sein, 
bis es im 4. Monat nur noch mit Mühe die 4 Extremitäten rühren konnte. Im 
3. Monat gesellten sich Atembeschwerden hinzu. Das Kind bewegt sich gar nicht 
bei der Untersuchung, nur ganz gering Vorderarme, Hände und Zehen. Auf¬ 
gesetzt, fällt es sofort zurück. Beim Trinken wird konstatiert, daß die Inspira¬ 
toren, sowie die Interkostalmuskeln gelähmt sind. Die Kontraktionen des Zwerch¬ 
felles geschehen ebenfalls stoßweise. Der Thorax verflacht sich an den Seiten, 
die Sehnenreflexe sind erloschen. Eine elektrische Reaktion nur zu erzielen an 
den Muskeln des Vorderarmes, und zwar trat die galvanische Öffnungszuckung am 
rechten Vorderarm erst bei 30 M.-A. ein. Die Haut bat eine Spannung wie beim 

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Myxödem, Facies myopathica. Mund halb offen, unbewegliche Gesichtszüge, selbst 
die Augen sind starr. Puls fast unzählbar. Geht nach 8 Tagen an Broncho* 
pneumonie ein. 

Sektion: An den Muskeln fand sich eine einfache Atrophie, einzelne Cohn* 
heimsche Felder erhalten. Die motorischen Nerven, die untersucht wurden, zeigen 
die Myelinscheiden im Zustand der Degeneration, einzelne Fasern sind normal, 
aber blaß. Von den zugrunde gegangenen sieht man nur noch leere Scheiden. 
Atrophie der vorderen Wurzeln. Es wurden untersucht das 5. Cervikalganglion, 
das 2. Dorsal- und das 2. Lumbalganglion, vom Rückenmark das 6. Cervikalsegment 
und das 2. Lumbalsegment. Die weiße Substanz wurde vollkommen intakt ge¬ 
funden, die Zellen der grauen zeigten sich in verschiedenen Stadien der Atrophie. 
Die Neuroglia zeigt Sklerose, jedoch ohne die Gefäßveränderungen, die man bei 
Poliomyelitis anterior acuta zu sehen gewöhnt ist. Clarkesche Säulen 
vollständig intakt. Die Vorderhornzellen sind einfach an Zahl vermindert. 

9) Muskeltransplantation bei Behandlung der Kinderlähmung, von Dr. 
A. Sachs. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 37.) Ref.: R. Pfeiffer. 
Ersatz des gelähmten M. deltoides durch den Pectoralis major nach dem 
Hildebrandschen Verfahren mit gutem funktionellem Erfolg. 

10) Erweiohungsherde in der Medulla oblongata mit retrograden Dege¬ 
nerationen in Fyramidenbahn und Schleife, von Dr. 0. Kölpin. (Archiv 
f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke (Großschweidnitz). 
56 Jahr alter Bureauvorsteher, Potator strenuus, leidet an Glykosurie und 

bekommt plötzlich Ptosis duplex, die links bald zurückgeht, rechts bleibt. Einige 
Wochen später Schlaganfall mit motorischer und sensibler Lähmung links; ferner 
besteht erschwerte Sprache; die rechte Zungenhälfte atrophiert. Nach 9 Monaten 
Tod. Die Hirn* und RückenmarksautopBie ergab: in der rechten Hälfte der 
Medulla oblongata mehrere Erweichungsherde, von denen einer die Pyramidenbahn 
total, andere die mediale Schleife zum größten Teil zerstört und den Hypoglossus- 
kern ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen hatten. Die Pyramidenbahn zeigt 
unterhalb des Herdes die typische Wall ersehe Degeneration; oberhalb ist eine 
retrograde Degeneration dieser Bahn in allmählich abnehmender Stärke bis ans 
proximale Ende des Pons zu beobachten. Die mediale Schleife zeigt aufsteigend 
die übliche Degeneration; retrograd ist eine Degeneration der zu den gekreuzten 
Hinterstrangkernen ziehenden inneren Bogenfasern festzustellen. Auch die Zellen 
dieser Hinterstrangkerne sind vielleicht etwas affiziert. 

Bemerkenswert ist der Fall besonders wegen seiner retrograden Pyramiden¬ 
degeneration, die schon zu den Seltenheiten gehört, während Degenerationen retro¬ 
grader Art in der Schleife häufiger beschrieben sind. Warum die retrograde 
Entartung in dem einen Fall eintritt, in dem anderen nicht, ist zurzeit noch 
nicht geklärt; soviel scheint aber festzustehen, daß die Natur des Prozesses bei 
Wallerscher und retrograder Degeneration spezifisch nicht verschieden ist; nur 
ist die letztere eine weniger schnell und intensiv verlaufende Form der Faser¬ 
entartung. 

Es geht noch aus der Arbeit des Verf.'s hervor, daß die Fasern des inter¬ 
mediären Bündels erst unterhalb der Pyramidenkreuzung sich den Pyramiden¬ 
seitenstrangbahnen zugesellen. 

11) Über Bulbärparalyse bei Lipomatoae, von E. Osann. (Archiv f. Psych. 
u. Nervenkrankh. XLII. 1906.) Ref.: G. Ilberg. 

Eine 38jährige Kaufmannsfrau, die als Mädchen öfters Lachkrämpfe hatte 
und von Kindheit an einer großen Geschwulst am rechten Unterschenkel litt, war 
nach und nach nervös geworden, konnte im Frühjahr 1905 nicht mehr gehen 
und die Beine überhaupt nicht mehr bewegen. Als sie das Wasser nicht mehr 
halten konnte und starke Kreuzschmerzen bekam, brachte man sie im Mai in die 


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psychiatrische Klinik zu Straßburg. Im rechten Hypochondrium fand sich ein 
faustgroßer Tumor, die Zunge wich nach reohts ab und war atrophisch. Beine 
gelähmt und atrophisch. Patellarreßexe schwach, links Babinskischer und 
Oppenheimscher Reflex dorsal. Blasen- und Mastdarm lähm ung. Schmerzsinn 
an den Beinen abgestumpft; in Wadenmuskulatur links und den Unterschenkel* 
beugern beiderseits und in der rechtsseitigen Zungenmuskulatur Entartungsreaktion. 
Nach 4 Wochen schwanden Babinski und Oppenheim, die Sensibilität war bis 
zur Nabellinie herauf gestört. Sehr starke Schluckbeschwerden, bulbäre Sprache, 
remittierendes Fieber. Ende Juni 1905 Tod. Bei der Sektion fanden sich zahl¬ 
reiche multiple Lipome in Brust* und Bauchhöhle und peridurale Lipome 
im unteren Dorsalteil des Wirbelkanales, ebenso im Sakralkanal. Mikroskopisch 
wurde Degeneration des Hypoglossuskernes und besonders der rechten Hypoglossus* 
fasern, sowie des Nucleus ambiguus vagi festgestellt. Im 10. bis 12. Dorsal* 
segment 'bestand Kompressionsmyelitis mittleren Grades. Vom untersten 
Sakralmark an waren die Hinterstränge bis zu den Kernen in der Medulla 
degeneriert. Die Vorderhornzellen des untersten Lenden* und Sakralmarkes zeigten 
Chromatolyse. 

12) Deux observations oliniques de paralysle pseudo-bulbaire sans para- 
lysie des membres, par H. Lamy. (Revue neurologique. 1907. Nr. 4.) 
Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Zwei Kranke, mit Arteriosklerose behaftet, boten die Erscheinungen der 
Bulbärparalyse in leichtem Grade, hauptsächlich Dysarthrie und Dysphonie (Krank* 
heitsbeginn in beiden Fällen ziemlich akut), ohne anderes objektives Zeichen als 
eine einseitige Facialisparese bei Intaktheit des Platysma. Keine Atrophie der 
Zungen- und Gesichtsmuskulatur, keine Anomalie der elektrischen Reaktion. 
In beiden Fällen Tendenz zu explosiven Lachausbrüchen. In einem Falle leichte 
gleichseitige Hemiparese der Glieder, in dem anderen gleichseitige Sehnenreflex* 
Steigerung. Verf. nimmt für beide Fälle eine unilaterale Herdläsion an (im 
äußeren Anteil des Linsenkernee); für die Annahme mehrerer Herde beständen 
nicht hinreichend Anhaltspunkte. Als auffällig wird ferner die starke Dysarthrie 
trotz geringer anderer objektiver Symptome im Sprachinnervationsbereiche registriert. 
Für die Annahme eines Sitzes der Läsion in einem Territorium, welches lediglich 
der hier fast allein gestörten Artikulation und Phonation vorsteht, spräche nach 
Verf. auch die Beschränkung der Facialisparalyse auf die peribukkale Region. 

13) I. Über die Erbsohe Krankheit (Myasthenia gravis), von P. Albertoni. 
(Bologna 1906. 64 S.; vgl. d. Centralbl. 1906. S. 719.) — II. Klinischer 
Beitrag zur Kenntnis der Brb*Qoldflam sohen Krankheit, von E. Levi. 
(Rivista di Patologia nervosa e mentale. 1906. Fase. 9 u. 10; vgl. dieses 
Centralbl. 1906. S. 722.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin). 

Albertoni hat an zwei ziemlich typischen Fällen von Myasthenie inter¬ 
essante Untersuchungen angestellt. Bei dem ersten Kranken ergab die Spirometrie 
eine HerabBetzuug der Vitalkapazität um fast 50°/ o . Die Atmungskurve verlief, 
entsprechend der größeren Respirationsfrequenz, flacher als beim Gesunden; nach 
geringen Anstrengungen folgte auf einige tiefe Atemzüge eine Periode völliger 
Apnoe, hierauf wieder allmähliches Ansteigen der Kurve, so daß ein dem Cheyne- 
Stokes sehen Typus ähnliches Bild zustande kommt. Die vasomotorische Erreg¬ 
barkeit war wesentlich gesteigert, die elektrokutane Sensibilität normal, aber 
schnell ermüdbar. — Bei der zweiten Patientin bewirkte die Injektion von Atropin 
keine oder eine sehr geringe Pulsbeschleunigung, woraus Albertoni auf einen 
verminderten Vagustonus schließt. Die elektrokutane Sensibilität war gleichfalls 
sehr erschöpfbar, ebenso der Drucksinn. Die Tagesschwankungen der Temperatur 
waren erhöht (0,95° im Durchschnitt), weshalb eine Hypotonie der thermoregu- 
latorischen Centra angenommen wird. Schließlich gelangt der Autor zu dem 


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Ergebnis, daß das Wesen der Krankheit in einer raschen Erschöpfbarkeit der 
nervösen Apparate mit intermittierender Tätigkeit und in einer Hypotonie and 
dauernden Ermüdung derjenigen mit kontinuierlicher Tätigkeit besteht. Bezüglich 
der Ätiologie schließt er sich der Toxinhypothese an. 

Levi gibt eine genaue klinische Darstellung von nenn selbstbeobachteten 
Fällen. Bei einigen derselben ist der überaus chronische Verlauf (16 bis 22 Jahre) 
hervorzuheben; drei zeigten deutliche Muskelatrophien. Die Untersuchung mittels 
Röntgen-Strahlen ergab bei keinem Patienten eine Vergrößerung des Herzens 
nach Anstrengungen; eine verminderte Exkursion des Zwerchfelles zeigten zwei 
von 6 Patienten. Bezüglich der Sensibilität hat der Autor Albertonis Versuche 
wiederholt, konnte sich aber nicht von der Ermüdbarkeit des sensiblen Systems 
überzeugen; ebenso bestreitet er Albertonis Behauptung, daß Schmerzen ein 
Initialsymptom der Krankheit seien. Über die Differentialdiagnose wird nichts 
Neues gesagt; bezüglich der Ätiologie legt Levi den Hauptwert auf das kon¬ 
genitale Moment; von seinen Kranken zeigte eine deutliche Schwimmhautbildung 
am Fuß, eine andere angeborene Sehschwache, alle bis auf zwei waren jüdischer 
Abstammung. — Die Arbeit enthält ein Verzeichnis der seit Oppenheims Mono¬ 
graphie erschienenen Literatur. 

14) Über die „myasthenische Paralyse“ im Ansohluß von zwei Fällen, 

von Dr. Ladislaus v. K6tly. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 
XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

I. 23jähr Arbeiter, der in der Jugend an Typhus und Werlhofscher Krank¬ 
heit gelitten hatte, später aber gesund war. Lues und Potus werden in Abrede 
gestellt. Beginn der Affektion im 20. Jahre während der Militärdienstzeit mit 
Erschwerung des Gehens und Erschlaffung beim Heben des Gewehrs. Diese 
Störung wiederholte Bich alle 1 bis 2 Wochen, in der Zwischenzeit fühlte er sich 
wohl. Bald darauf Beschwerden beim öffnen und Schließen der Augen, beim 
Schlucken und Atmen. Bei der Aufnahme bestehen leichtes Erröten des Gesichtes 
mit vermehrter Schweißsekretion, Schluckbeschwerden, Puls 104, nach Gehübungen 
136, Funktion der Muskeln gut, aber rasche Ermüdung besonders beim Schlucken, 
Spreohen, Gehen und Stehen. Sämtliche Reflexe nehmen nach mehrmaliger Aus¬ 
lösung an Intensität ab und verschwinden dann vollkommen, myasthenische Reaktion 
vorhanden. Bald darauf Doppelsehen, häufiges Verschlucken, Sprachstörung, Ab¬ 
nahme der vorher gesteigerten sexuellen Potenz und Libido. Bei der 1 / 2 Jahr 
später erfolgten neuen Untersuchung fanden sich Tremor der Zunge, deren Spitze 
nach aufwärts gekrümmt war, Schluckstörung (besonders am Abend), Puls in der 
Ruhe 80, nach dem Gehen 120, Differenz zwischen In- und Exspiration anfangs 
1,4, nach mehreren Atembewegungen auf 0,7 bis 0,3 reduziert, von ventralem 
Typus, rechter Ober- und Unterarm schwächer als links, Erschwerung der moto¬ 
rischen Funktion des rechten Fußes besonders im Liegen, Zuckungen und Kon¬ 
traktionen in einer großen Anzahl von Muskelgruppen, Differenz der beiden Augen¬ 
spalten, Ptosis, eigentümlich schläfriger Gesichtsausdruok infolge von geschwächter 
Mimik, Abschwächung der faradiBchen Erregbarkeit nach mehreren Reizen und 
Verschwinden dieser Ermüdung nach kurzer Ruhepause. Im Hinterhaupt und 
nach den Augen zu ausstrahlende Schmerzen, teilweise Herabsetzung des Haut¬ 
gefühles und der Schmerzempfindung an den Armen, Beinen, Brust und Rücken, 
Strabismus convergens alternans mit eigentümlichen inkoordinierten Augen¬ 
bewegungen, zeitweilig kleiner Nystagmus, Bauchdeckenreflexe lebhaft, Kremaster¬ 
reflexe schwach, Patellarreflexe sehr gesteigert, Achillessehnenreflexe stark klonisoh. 
Im Urin anfangs 0,5, später 0,8°/ 0 Eiweiß. Exitus. Die Untersuchung des 
Centralnervensystems und einzelner Muskeln erbrachte ein fast ganz negatives 
Resultat. Die perivaskulären Räume waren etwas erweitert und um den Arterien 
des Rückenmarkes fanden sich kolloide Massen. Die in dieser Beobachtung nach- 


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gewiesenen Störungen der Sensibilität fährt Verf. auf eine Komplikation des 
Leidens mit Hysterie zurück. 

II. 23jähriger Kaufmann, war sohwächliches Kind, aber später gesund. Seit 
mehreren Jahren bemerkt er eine Erschlaffung der Armmuskeln bei der Arbeit, 
später Doppelsehen und Herabsinken des linken Augenlides, Schwäche in den 
BeineD, Zuckungen im linken Bein, Schmerzen in den Knien und Waden, Wider* 
stand in den Muskeln beim Berg- und Treppensteigen. Es findet sich Verkleinerung 
der linken Augenspalte, rechtsseitige Facialisschwäche, rasche Ermüdung in den 
Muskeln der Augen, Arme und Beine, Auftreten des Jol ly sehen Myasthenie-Phä¬ 
nomens, gesteigerte Patellarreflexe, lebhafte Dermographie. 

An der Hand dieser beiden Beobachtungen gibt Verf. eine eingehende Über¬ 
sicht über die Literatur der myasthenischen Paralyse. 

15) Deux oas de myasthenie bulbosplnale, par F. Raymond et P. Lejonne. 

(Revue neurologique. 1906. Nr. 16.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Während die Symptomatologie des Erb sehen Syndroms derzeit bereits ziem¬ 
lich gut bekannt ist, bietet seine Ätiologie und Pathogenese noch verschiedenes 
Unbekannte dar. Die Verff. bringen zwei Fälle, die in symptomatologischer Hin¬ 
sicht mancherlei Besonderheiten haben und auch hinsichtlich der Pathogenese 
mancherlei besagen könnten. Die Krankengeschichten werden ausführlich mit¬ 
geteilt und die Differentialdiagnose detailliert besprochen. Die Symptomatologie 
entspricht so ziemlich der in den Beschreibungen von Erb, Oppenheim und 
Goldflam fixierten; die myasthenische Reaktion allerdings fehlte, ein Moment, 
dem aber die Verff. im Gegensatz zu anderen Autoren keine prinzipielle Bedeutung 
beilegen wollen. Bemerkenswert war in beiden Fällen die relativ geringe Be¬ 
teiligung der Muskulatur des Auges; ferner wäre hervorzuheben, daß die Asthenie 
der Hals- über jene der Nackenmuskeln überwog. In einem der Fälle bestand 
eine ausgesprochene andauernde Lähmung bzw. Parese der Stimmbänder. Hervor¬ 
zuheben ist ferner noch der remittierende Verlauf in beiden Fällen. In ätio¬ 
logischer Hinsicht betonen die Verff. den Faktor der Surmenage in beiden Fällen; 
in dem einen derselben schloß sich die Erkrankung unmittelbar an eine Gonor¬ 
rhoe an, ein Moment, dem die Verff. eine gewisse Bedeutung beimessen. Die 
ausgesprochene Herabsetzung der arteriellen Spannung, die die Verff. in beiden 
Fällen konstatierten, scheint ihnen in pathogenetischer Hinsicht von Bedeutung 
(hypothetischer Hinweis auf die Nebennieren). 

Surmenage und Infektionen würden nach den Verff. teils direkt, teils auf 
dem Umwege der inneren Sekretion als wesentliche ätiologische Faktoren in Be¬ 
tracht kommen. Allerdings handelt es sich da zurzeit um eine nur hypothetische 
Annahme: doch wären die Befunde Goldflams (Toxicität des Urins) zu be¬ 
achten und in größerem Maßstabe Exkrete und Körpersäfte zu untersuchen. In 
ihren beiden Fällen ergab den Verff. die Blutuntersuchung Abnahme der Erythro- 
cyten und besonders der polynukleären und der jüngeren mononukleären Leuko¬ 
cyten; auch dieser Befund spräche in dem Sinne, daß es sich bei der Myasthenie 
nicht um eine reine nervöse Affektion handle. 

16) Myasthenia gravis pseudo-paralytica, von Sitsen. (Berliner klin. Wochen¬ 
schrift. 1906. Nr. 53.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Die Sektion eines von Pell als Myasthenia gravis pseudoparalytica beschriebenen 
Falles ergab folgende geringfügigen Veränderungen: kleine frische Blutergüsse, 
mit Hämatin gefärbte Schollen in den perivaskulären Lymphräumen im Pons, 
Anhäufungen von Leukocyten in der Leber, geringe Milzvergrößerung, Vergrößerung 
der Nieren, Kolloidstruma, vermehrte Leukocyten im Blut. Im ganzen wurden 
bis jetzt 30 Fälle von Myasthenia gravis seziert. Die im Original in einer Tabelle 
aufgeführten Befunde sind als sehr unvollständig anzusehen, da mikroskopische 
Untersuchungen fehlen. Am häufigsten wurde das lympathische System verändert 


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gefunden. Es muß gefordert werden, daß bei zukünftigen Sektionen alle Körper* 
organe sowohl makro- wie mikroskopisch aufs genaueste untersucht werden. 

17) Eine Serie mißbildeter Knaben von einem Elternpaar, von Albert 

Sippel. (Centralbl. f. Gynäk. XV. 1906.) Ref.: MaxJacoby. 

Ein gesunder, kräftiger Mann, vollkommen abstinent gegen Alkohol und 
Tabak, erzeugte in erster Ehe 5 Knaben und 7 Mädchen, sämtlich wohlgebildet 
und gesund. In zweiter Ehe mit der Schwester der ersten Frau erzeugte er ein 
Mädchen und 4 Knaben, dann noch 2 Mädchen. Die Mädchen waren wohlgebildet 
und gesund, die Knaben alle mißbildet; der erste hatte eine Spina bifida, der 
zweite eine persistierende Thymus, der dritte kam tot zur Welt, der vierte besaß 
angeborenes Myxödem. Verf. nimmt an, daß die Mißbildungen der Knaben einer 
Einwirkung seitens der Mutter ihre Entstehung verdanken, will aber eine nähere 
Ursache nicht angeben. 

18) Bin Fall von angeborener familiärer Ankylose der Fingergelenke, von 

Goldflam. (Medycyna. 1906. Nr. 50.) Ref.: Edward Flatau (Warschau). 

Verf. fand obige Erscheinung bei zahlreichen Gliedern einer Familie, wobei 
vier Mitglieder dieser Familie von ihm persönlich untersucht wurden. Von 
46 Gliedern von drei Generationen dieser Familie waren 26 mit der Ankylose 
behaftet. Sie waren alle gracil gebaut. Die Hand klein, aber proportionell dem 
Gesammtbau. Die Endphalangen sind leicht volar gebeugt (bei dem V. Finger 
leiohte Varusstellung). Die Fingerenden sind zugespitzt, die glatte Haut umkleidet 
fest die Endphalange. Sowohl aktive wie passive Bewegungen fehlen in diesen 
Gelenken (nur eine minimale Flexion erhalten). Dagegen sind die Bewegungen 
in den übrigen Fingergelenken frei. Sonst sind sämtliche Muskelfunktionen in 
den Händen erhalten. Sensibilität, Reflexe ungestört. Außerdem fand Verf. bei 
drei Mitgliedern der Familie beschränkte Extension der Hand und der Ellbogen¬ 
gelenke (in diesen letzteren auch die Supination). Bei einer Person war auch 
Hallux valgus vorhanden. Auch eine verminderte Kopfgelenkigkeit, Skoliosis und 
Plattfuß waren beobachtet. Das Röntgenogramm zeigte, daß die Gelenke auch 
zwischen den End- und Mittelphalangen gut ausgeprägt waren, es war also weder 
eine Synostose noch Synchondrose oder Syndesmose vorhanden. Die partielle 
Ankylose war wahrscheinlich durch eine unbekannte kongenitale Änderung der 
weichen Teile der Gelenke (Sehnen, Ligamente, vielleicht auch die Haut) bedingt. 
Verf. zitiert analoge Fälle von Aderholdt, Paulicky und Hoffmeyer. 

19) A oase of family atrophy of the peroneal type, by G. L. Walton. 

(Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1905. September.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

15jähriger Knabe hat seit seinem 11. Lebensjahre allmählich zunehmende 

Gehstörungen ohne Schmerzen und Parästhesien. Die Untersuchung ergibt eine 
Atrophie aller Fuß- und Zehenmuskeln, am stärksten der Peronealgruppe; Ober¬ 
schenkelmuskeln intakt, kräftig entwickelt, Gesäßmuskulatur weniger gut ent¬ 
wickelt; Füße kühl, der rechte cyanotisch. Keine fibrillären Zuckungen, Achilles¬ 
sehnenreflex fehlt beiderseits, Patellarreflex sehr schwach, Sensibilität intakt, keine 
qualitativen elektrischen Veränderungen. 

Von Familienangehörigen des Pat. soll ein Großonkel mütterlicherseits das¬ 
selbe Leiden gehabt haben; drei Brüder des Pat. (von 25, 18 und 12 Jahren) 
haben das gleiche Leiden; bei dem ältesten hat es gleichfalls im 11. Jahre be¬ 
gonnen, ist sehr langsam vorgeschritten und hat zuletzt auch die Handmuskeln 
ergriffen, doch ist der Pat. noch arbeitsfähig; bei den beiden anderen Brüdern 
sind bis jetzt nur die Beine in der gleichen Weise wie bei dem mitgeteilten Fall 
affiziert. 

20) Beiträge zur Nosographie und Histopathologie der amaurotisoh-para- 

lytisohen Idiotieformen, von Prof. Karl Sohaffer. (Archiv f. Psych. u. 

Nervenkrankh. XLII. 1906.) Ref.: G. IIborg. 

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Verf. bespricht die von ihm und anderen Forschern bei amaurotischer Idiotie 
erhobenen Befunde und beschreibt einen neuen Fall von amaurotisoh- spastischer 
Idiotie. Die Kranke starb im 24. Jahr. Im Leben hatte sie spastische Para* 
parese der vier Extremitäten, hochgradige Abnahme der Sehkraft, psychische 
Defekte und fortschreitenden Marasmus dargeboten. Das Gehirn bot äußerlich 
keine bemerkenswerten Anomalien in der Furchung und Windungsbildung dar. 
In der inneren Struktur fielen namentlich zwei Abnormitäten auf: 1. fehlte das 
temporo-occipitale Sagittalmark in seiner Hauptmasse, so daß weder 
Flechsige primäre noch sekundäre Sehstrahlung sichtbar war; 2. machte sich 
ein nicht unbedeutender Mangel an den centralen Markmassen und 
zwar hauptsächlich im frontalen und temporo-parietalen Lappen bemerkbar. Die 
Amaurose war also durch die fehlende Sehstrahlung, die Idiotie durch den mangel¬ 
haften Assoziationsapparat bedingt Interessanterweise blieb die Markfaserung 
der Hirnrinde, mit Normalpräparaten eines Erwachsenen verglichen, bezüglich der 
Struktur, sowie des Reichtums der Markfasern hinter letzterem nicht zurück. — 
Verf. betrachtet den anatomisch teils an Frontal- und teils an Horizontalschnitten 
genau untersuchten und ausführlich beschriebenen Idiotiefall für eine hoch diffe¬ 
renzierte Mißbildung, für eine Bildungshemmung. — Die Pyramidenbahn war 
anatomisch vollkommen intakt, Kontrakturen bestanden. Die Muskeln waren in 
ihrer Entwicklung hochgradig zurückgeblieben und verhielten sich elektrisch normal. 
Eine Erklärung für die intra vitam beobachteten epileptiformen Anfälle wurde 
nicht gefunden. 

21) A oontribution to the study of amaurotio family idiooy, by Poynton, 

Parsons and Holmes. (Brain. CXIV. 1906. S. 180.) Ref.: Bruns. 

Die Verff. bringen zunächst die Krankengeschichten von 3 Fällen amauro¬ 
tischer familiärer Idiotie. In allen 3 Fällen handelte es sich um Kinder aus 
jüdischen Ehen. Es bestand Blindheit — in allen 3 Fällen der kirschrote Fleck 
mit blassem Hof in der Maculagegend —, in 2 Fällen Sehnervenatrophie. Dazu 
in allen 3 Fällen große Schwäche der Rücken- und Nackenmuskeln; einmal 
spastische Erscheinungen in den Beinen, einmal in den Armen. Tod in frühester 
Kindheit. Im 2. Falle konnten das Nervensystem und die Augen genau unter¬ 
sucht werden. Es handelte sich um eine offenbar primäre und eigenartige Erkran¬ 
kung der Ganglienzellen im ganzen Centralnervensystem, sowie auch in den Spinal¬ 
ganglien und denen der Retina. Die Nervenfasererkrankungen waren sekundär; es 
bestand hochgradige Sehnervenatrophie und leichte Degeneration der Pyramiden¬ 
bahnen. In der Netzhaut zeigte sich außer der Erkrankung der Ganglienzellen 
ödem und Atrophie in der Maculagegend, das letztere namentlich im Centrum 
dieser Gegend, so daß hier die Chorioidea durchschien, kirschroter Fleck; das 
ödem bewirkte die weißliche Verfärbung um diesen Fleck. Von den Diplegien 
ist die Tay-Sachsche Krankheit scharf zu trennen. Die Verff. nehmen an, daß 
das Leiden auf einer inhärenten biochemischen Eigenschaft des Zellpiotoplasmas 
beruht. 


22) Familiäre, paralytisoh-amaurotisohe Idiotie und familiäre Kleinhirn- 
ataxie des Kindesalters, von H. Hi gier in Warschau. (Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

In derselben Familie, in welcher Verf. vor mehreren Jahren zwei Geschwister 
mit genuiner Opticusatrophie beobachten konnte, kamen zwei weitere Fälle in 
Behandlung, welche manches Licht auf die Frage der seltenen hereditären und 
familiären Nervenaffektionen werfen. Sie entstammen einem jüdischen, nicht 
luetischen, aber nahe blutsverwandten Ehepaar. Es handelt sich: 

L um ein 9jähr. Mädchen, das sich bis zum 4. Lebensjahr scheinbar normal 
entwickelte und vom Ende des 4. Jahres an veränderte. Die Sprache wurde müh¬ 
samer, unverständlicher, das Gehen ungeschickter, das Laufen wackelig, die Be- 


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wegungen der Arme and Hände langsam und unsicher, die Sehkraft schwächer. 
Der Hinterhauptssohädel ist auffallend klein, die Zunge wird etwas zitternd hervor* 
gestreckt, die Sprache ist jetzt näselnd, langsam, bei rasohem Sprechen krampf* 
haft mit explosivem Herausschleudern und Verschlucken der Worte, die Bewe¬ 
gungen der oberen und unteren Extremitäten sind unsicher, zitterig, das Stehen 
ist breitspurig, balanzierend, der Gang taumelnd, stolpernd-stampfend. Bei größerer 
Anstrengung ergeben sich Merkmale der cerebellaren und spinalen Ataxie und 
des Intentionstremors. Der Muskeltonus ist erhöht, die Sehnenrefiexe sind abnorm 
lebhaft, außerdem besteht Fußklonus und das Babinskische Symptom. Seh¬ 
schärfe herabgesetzt, genuine Atrophie beider Optici, Nystagmus ohne bestimmten 
Typus, sonst an den Augenmuskeln keine Abnormitäten. Intelligenz und psychi¬ 
sches Verhalten entsprechen dem Alter eines um 2 bis 3 Jahre jüngeren Kindes. 

II. 13 Monate alter Knabe, der sich nach normaler Geburt bis zum 7. Monat 
gut entwickelte, von welcher Zeit an er geistig und körperlich zurückblieb. Es 
fällt auf, daß das Kind fast bewegungslos daliegt, aber auf äußere taktile und 
akustische Reize ziemlich lebhaft reagiert. Beine beinahe vollständig gelähmt, 
Muskeltonus erhöht, sämtliche Reflexe gesteigert, BabinBkisches Symptom aus¬ 
geprägt. Keine Spur von Neigung zum Spreohen, Bulbi divergent, nicht fixierend, 
keine Parese der Muskeln des Bulbus, kein Nystagmus. Sehkraft anscheinend 
Btark herabgesetzt. Beide Papillen deutlich atrophisch ohne Neuritis, in der 
Gegend der Macula lutea ein ziemlich großer, ovaler, weißer Fleck mit einem 
kirschroten, kreisrunden Punkt in der Mitte. 

Verf. rechnet den ersten Fall zu den hereditären Ataxien (Mariesche Form) 
und die zweite Beobachtung zu den familiären cerebralen Diplegien (Tay- 
Sachs sehe Form). 

23) Ein Fall von Tay-Saohssoher familiärer amaurotischer Idiotie, von 

L.Huismans. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr.43.) Ref.: R.Pfeiffer. 

Typischer Fall amaurotischer Idiotie auB christlicher Familie. Kurze 
Darstellung des Krankbeitsbildes. 

24) A family form of progressive musoular atrophy beginnlng late in life, 

by W. Browning. (Neurographs. I. 1907. Nr. 1.) Ref.: Kurt Mendel. 

3 Fälle von progressiver Muskelatrophie in gleichem Alter, mit gleicher 
Symptomatologie, gleichem Verlauf und gleicher Dauer, und zwar handelt es 
sich um zwei Schwestern und ihre Kousine. Der Vater der Kousine bietet der 
Beschreibung nach das gleiche Krankheitsbild, eine Verwandte dieses Vaters 
mütterlicherseits, wahrscheinlich seine Kousine, starb an einem ähnlichen Leiden. 

Es gibt eine familiäre Form der Poliomyelitis anterior chronica adultorum 
mit typischem und rapidem Verlaufe und erst in späterem Lebensalter einsetzend. 

25) Pathologisch-anatomischer Befund in einem weiteren Falle von fami¬ 
liärer spastischer Paraplegie, von Dr. L. Nowmark in St- Francisco. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Ref.: E. Asch. 

Nachdem Verf. früher schon über den mikroskopischen Befund im Rücken¬ 
mark des an dem gleichen Leiden verstorbenen Bruders berichten konnte 
(vergl. dieses Centralblatt. 1906 S. 618), ergänzt er seine Ergebnisse durch 
Mitteilung der anatomischen Veränderungen im Rückenmark eines 20jährigen 
Mitgliedes derselben Familie. Es handelte sich dabei um einen Fall spas¬ 
tischer Erkrankung, welche von Kindheit an bestanden hatte, trotzdem aber 
nicht wesentlich über das Anfangsstadium fortgeschritten war. Es fand sich 
eine Degeneration, besonders in der dorsalen Hälfte der medialen Hinter¬ 
stränge, welche besonders in der Höhe von C. IV ausgebildet war, und außerdem 
eine schwache Veränderung der Pyramidenseitenstränge in der Gegend des unteren 
Lendenmarkes. Dabei hält es Verf. für nicht unmöglich, daß bei Anwendung 
neuerer Methoden (Cajal oder Bielschowsky), die zurzeit der Untersuchung 

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noch nicht so allgemein waren, ein besseres anatomisches Resultat erzielt worden 
wäre. Immerhin hat sich doch so viel ergeben, daß die Markscheiden in den 
medialen Hintersträngen stärker ergriffen waren, als in den Seitensträngen. 

26) Un oas de myotonie oongönitale, par Dr. F. Meeus. (Arch. de neurolog. 

XXL 1906. Nr. 122.) Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

Der 19jährige Patient, der sich vorher nie krank gefühlt, ersuchte Verf. um 
ein Attest zur Befreiung vom Militärdienst und kam dadurch zum ersten Male 
in ärztliche Beobachtung. Der Vater ist Alkoholiker; in der Familie der Mutter 
waren mehrfach Psychosen. Pat. gibt an, immer etwas steife Bewegungen gehabt 
zu haben; erst seit dem 14. Jahre habe sich dies aber mehr verschärft. Die 
Steifigkeit tritt besonders im Anfang jeder Bewegung in allen beteiligten Muskeln 
hervor; sie schwindet, sobald die Bewegung einmal im Gange ist. Die Summe 
der geleisteten Arbeit (Pat. ist Tischler) ist gleich gut wie bei Beinen Arbeits¬ 
genossen. Er kann schnell und lange gehen; aber er muß zuerst kleine Schritte 
nehmen und dann allmählich den Gang beschleunigen. Sobald er versucht, das 
Tempo brüsk zu ändern, kommt er zu Falle. Jede Störung während des Gehens, 
eine Emotion, Anrufen usw. kann plötzlich die tonische Starre hervorrufen. 

Status: Maskenartige Physiognomie. Beim Sprechen arbeitet hauptsächlich 
die Zunge. Lippen wie übrige vom Facialis innervierte Muskulatur fast un¬ 
beweglich. Beginnt Pat. zu marschieren, so zeigt sich zuerst — aber nicht 
immer — deutliche Hemmung; nach den ersten 2 bis 3 Schritten hält er etwa 
10 Sekunden an, dann setzt er den Gang ohne sichtbare Störung fort. Bei Be¬ 
wegung der Hände die gleiche Störung, Sensibilität normal. Nie Schmerzen. 
Die Prüfung der Motilität ergibt außer den oben geschilderten keine Störungen 
der willkürlichen Muskulatur. Normale Kraft. Schrift gut. Bei passiven Be¬ 
wegungen bisweilen starker Widerstand. Reflexe an Knien, Armen, Planta und 
Pharynx aufgehoben; Kornealreflex schwach; Pupillenreflex normal. Elektrische 
Prüfung wurde nicht ausgeführt. Pat. ist von normaler Intelligenz, klagte nie 
über Beschwerden seitens des Nervensystems; nie bestanden Phobien. Die Muskeln 
sind gut entwickelt, nicht hypertrophisch; die Waden gegenüber den Arm- 
muskeln verhältnismäßig stark entwickelt. Idiomuskuläre Kontraktion am Arme 
gleich Null, an der Wade leicht angedeutet; Herzaktion etwas erregt; Puls 100, 
irregulär. Sonst innere Organe normal. Guter Ernährungszustand. 

Der Fall bietet außer den charakteristischen Symptomen seitens der Muskel¬ 
aktion noch besonderes Interesse durch das Fehlen jeder homologen Heredität, 
das Fehlen der Hauptreflexe und auch dadurch, daß Pat. trotz der beträchtlichen 
Bewegungshemmung seiner Berufsarbeit ungestört nachgehen konnte. 

27) Fall von Myotonie, von L. Mann. (Allgem. med. Central-Zeitung. 1907. 

Nr. 2.) Ref.: S. Klempner. 

Es handelt sich um ein 10jähriges Mädchen, bei welchem seit dem 2. oder 
3. Lebensjahre das anfallsweise Auftreten einer Versteifung der gesamten Musku¬ 
latur beobachtet worden ist. Keine hereditäre Veranlagung. 

Eis besteht Hypertrophie der Schultergürtelmuskulatur, der Oberarmmuskulatur 
und der Glutaei maximi. Maskenartiger Gesichtsausdruck, Gräfesches Phänomen 
(durch tonische Kontraktion des Levator palpebrae). Nachdauer der Kontraktion 
besonders beim Handschluß; die Öffnung der kräftig geschlossenen Hand erfolgt 
äußerst langsam. Charakteristische myotonische Kontraktion eines großen Teiles 
der Muskulatur. Außerdem besteht in gewissen Muskeln eine Parese von eigen¬ 
tümlicher Art, wie sie Verf. bereits in einem früheren Falle beschrieben hat, sie 
zeigt sich nur im Anfang der Bewegung, während bei wiederholten Bewegungen 
die Muskeln immer mehr an Kraft zunehmen. 

Diese Störung findet sich, wie in dem früheren Fall, in den Beugern des 


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Oberschenkels, den Beugern des Unterschenkels und den Dorsalflektoren des Fußes, 
entsprechend den hei Pyramidenläsionen betroffenen Muskelgruppen. 

Verf. möchte daraus schließen, daß es sich bei der Myotonie nicht um ein 
primäres Muskelleiden, Bondern um eine vom System der Pyramidenbahn abhängige 
Affektion handelt. 

28) Über atypisobe Formen der Thomsen sehen Krankheit (Myotonia 

congenita), von Dr. A. Pelz. (Archiv f. Psych. u. Nervenkr. XLII. 1907.) 

Bef.: Heinicke (Großschweidnitz). 

Nach genauer Berücksichtigung der in der Literatur erwähnten Fälle atypi¬ 
scher Thomsenscher Krankheit, macht uns Verf. mit zwei eingehend beschriebenen 
eigenen derartigen Beobachtungen bekannt. Es handelt sich um zwei Brüder. 
Der eine leidet an typischer Myotonia congenita, die allmählich in die Myotonia 
congenita atrophica und somit in die atypische Form übergeht; von weiteren Be¬ 
sonderheiten des Falles ist zu erwähnen zunächst Nystagmus; er ist in der Lite¬ 
ratur hei Myotonie erst einmal beobachtet worden; auch da handelte es sich um 
die atrophische Form; ferner fehlten die Hautreflexe; es bestand weiter allgemeine 
Hyperalgesie der Haut, der großen Nervenstämme, der Muskulatur, während sonst 
bei der ThomBenschen Krankheit die Sensibilität zumeist ungestört ist. Verf. 
bringt die Steigerung der Schmerzempfindlichkeit mit der allgemeinen gesteigerten 
Beizbarkeit der Psyche des angeboren schwachsinnigen Kranken in Verbindung. 

Der Hauptwert der vom gewöhnlichen Krankheitsbild abweichenden Erschei¬ 
nungen ist allein auf die Eigenart der Bewegungsstörung und die ausgesprochenen 
Paresen zu legen. 

Der zweite Fall ergab, trotz genauester Prüfung sämtlicher willkürlicher Be* 
wegungen, nichts von myotonischer Veränderung. Um so überraschender war 
aber der Befund der elektrischen und mechanischen Erregbarkeit, der fast völlig 
dem für Myotonia congenita typischen Erbschen Befund entsprach. Verf. geht 
also auch hier nicht fehl, diesen Fall unter die atypischen Verlaufsarten der 
Thomsen sehen Krankheit einzureihen, um so mehr, als auch Fälle aus der 
Literatur bekannt sind, die unzweifelhaft zur Myotonie gehören, wo aber in ge¬ 
wissen Begionen die willkürliche Bewegungsstörung fehlte. 

Verf. schließt seine Arbeit mit dem Hinweis, daß nach seiner klinischen 
Untersuchung die Zahl und Mannigfaltigkeit der Abweichungen sowohl des Ge* 
samthildes nach Entstehung, Verlauf, Verteilung u.s.f., als auch der einzelnen 
Hauptsymptome eine überraschende sei. 

Die wichtigste Abweichung von dem Typus der elektrischen Störung ist die 
sogen, „inkomplette“ myotonische Reaktion nach Hu et. Ebenso wichtig ist die 
Tatsache, daß die myotonische Störung überhaupt fehlen kann; es gibt also eine 
Myotonia sine tonu. Als weitere Abweichung der Bewegungsstörung nennt Verf. 
noch die paramyotonische; sie besteht in einer unter dem Einfluß der Kälte sich 
einstellenden Steifigkeit; schließlich gibt eB auch statt des tonischen starren 
Krampfes nur eine elastische Spannung. 

Heredität und der kongenitale Beginn in früher Jugend können ebenfalls 
fehlen. 

Der Verlauf des Leidens ist kein gleichmäßiger, mit nur geringen Schwan¬ 
kungen unverändert fortdauernder, es kann periodisch sein; es braucht nicht den 
ganzen Körper zu ergreifen; Kombination mit anderen Nervenkrankheiten kommt 
vor, wenn auch selten. Die symptomatologisch den willkürlichen myotonischen 
Störungen ähnlichen, hei verschiedenen Nervenkrankheiten, besonders hei Tetanie 
und Neurosen, vorkommenden Erscheinungen, möchte mit Becht Verf. als Inten¬ 
tionskrämpfe zur Unterscheidung genannt wissen. 

29) Psyohisohe Störungen bei Thomsen scher Erkrankung, von Wedenskiund 

Sachartschenko. (Korsakoffsches Journ. 1906. Nr. 3.) Ref.: Krön (Moskau). 


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Die Verff. bringen die Krankengeschichte einer 38jährigen Patientin, welche 
an kongenitaler Myotonie litt und zugleich das Bild einer hysterischen Psychose 
darbot. Die Psychose war im Anschluß an ein psychisches Trauma aufgetreten. 
Beide Krankheitszustände kamen bei der hereditär belasteten Patientin unabhängig 
voneinander in Erscheinung, wurden aber in ihrer Intensität gegenseitig beeinflußt. 

30) Nystagmus essential femilial, par MM. E. Apert et Dubuse. (Bulletins 
de la Sociäte de Pädiatrie. 1906. Oktober.) Bef.: Zappert (Wien). 

Eine Mutter und 4 Kinder zeigen mehr oder weniger ausgesprochenen Nystagmus 

ohne sonstige Störungen vonseiten des Nervensystems. Die an Nystagmus leiden¬ 
den Kinder stammen sämmtlich aus der zweiten Ehe der Mutter. 

Mit Berufung auf Arbeiten von Lenoble und Aubineau halten die Verff. 
ihre Fälle für Formen der Nystagmus-Myoklonie, womit diese Autoren ein 
durch allgemeine Zitterbewegungen charakterisiertes, oft familiäres Leiden be¬ 
zeichnen, das manchmal auf die Augenmuskeln beschränkt sein kann. 

Eigentümlicherweise scheint die Bevölkerung der Bretagne besonders zu dieser 
Affektion zu neigen. 

31) Erbliches Zittern, von Neisser. (Wiener klin. Bundschau. 1906. Nr.42). 
Bef.: Pilcz (Wien). 

10jähriger Knabe, enormer rhythmischer Tremor der Hände, besonders wenn 
Pat. einen Gegenstand fassen soll. Zittern der Zunge. 0 Nystagmus. Spasmen 
in den unteren Extremitäten und Patellarsehnenreflexe >. 

Der 54jährige Vater bot dasselbe Zittern, gab aber an, daß er noch beim 
Militär ein guter Schütze gewesen. Der Großvater väterlicherseits gleichfalls 
Zitterer, doch war bei ihm der Tremor in noch höherem Alter aufgetreten. Auch 
eine Tante väterlicherseits leidet an Zittern. 

Verf. verweist 1. auf die anderen nervösen Erscheinungen bei dem Pat. hin 
(auf deren Fehlen z. B. Oppenheim aufmerksam machte), 2. darauf, daß das 
erbliche Zittern hier bei den Vertretern der einzelnen Generationen in immer 
jüngerem Alter sich störend bemerkbar machte. 


Psychiatrie. 

32) Bidrag tili k&nnedomen om sinessjuk domarnas familiftra uppträdande, 

af Edvard Vestberg. (Hygiea. 1906. S. 289, 416 u. 504.) Bef.: Walter 

Berger (Leipzig). 

Verf. teilt 37 Fälle mit, die aus 9 Gruppen von ebensoviel Ascendenten mit 
ihren 13 Kindern und 18 Geschwistergruppen bestehen. Bei der Anordnung des 
Materiales hat Verf. unter einer Hauptabteilung alle Gruppen mit Homomorphismus 
zusammengestellt, d. h. in denen die Krankheitsformen bei den Familiengliedern 
übereinstimmen, und in einer anderen Hauptabteilung die Fälle mit Hetero¬ 
morphismus mit verschiedenen Krankheitsformen. Die erste Hauptabteilung zer¬ 
fällt in zwei Unterabteilungen, Gruppen mit manisch-depressiver Geistesstörung 
und Gruppen mit Dementia praecox. Im Anschluß an die letztere Gruppe hat 
Verf. eine Gesohwistergruppe angefügt, deren Psychosen mit keiner der Formen 
Kraepelins recht übereinstimmen. Die zweite Hauptabteilung zerfällt in vier 
Unterabteilungen: drei Gruppen mit Dementia praecox und manisch-depressiver 
Geistesstörung; eine Gruppe mit Melancholie und Dementia praecox, eine mit 
Dementia praecox und Idiotie und schließlich eine Familie, in der der Vater an 
einer Alkoholpsychose litt, die Kinder Dementia praecox zeigten. Jedem einzelnen 
Falle ist eine Epikrise beigefügt, in der die Diagnose des Falles besprochen wird. 

Die meisten Psychosen, die sich vorfanden, gehören entweder der Kategorie 
der Dementia praecox oder der manisch-depressiven Geistesstörung an, Krank- 

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heitsformen, die wegen der beschwerlichen Behandlung und der Gemeingefährlich* 
keit der Kranken häufiger als andere in Anstaltsbehandlung kommen, ln den 
-Gruppen, in denen manisch-depressive Geistesstörung auftrat, bestand in sieben 
Homomorphismus (vier Asoendenten-Descendentenpaare, drei Geschwistergruppen). 
In einer Familie litt die Tochter an manisch-depressiver Geistesstörung, die 
Mntter und der Bruder an Dementia praecox, doch findet sich Grund zu der 
Annahme, daß vom Vater her manisch-depressive Belastung stammte. Bei zwei Ge¬ 
schwistergruppen trafen beide Formen zusammen, ohne daß entsprechende doppelte 
Heredität bekannt, aber doch möglich war, die manisch-depressive Geistesstörung 
war übrigens nicht ganz feBtgestellt 

Bei Dementia praecox zeigten zwei Ascendenten-Descendentengruppen und 
11 Geschwistergruppen Homomorphismus, doch war in einem Falle wegen der 
vorliegenden mangelhaften Mitteilungen nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose über 
das Leiden der Mutter möglich. In einer Familie litt die Tochter an Dementia 
praecox, während das Leiden der Muttei; am meisten der Melancholie glich, es 
ist indeß nicht undenklich, daß der Vater ebenfalls an Dementia praecox gelitten 
hat. In einer aus zwei Schwestern bestehenden Gruppe zeigte die eine Dementia 
praecox, die andere Idiotie, die aber wahrscheinlich durch äußere Verhältnisse 
bedingt war. Unter den Gruppen mit Heteromorphismus hat Verf. eine auf¬ 
genommen, in der der Vater wahrscheinlich an Geistesstörung durch Alkohol litt, 
die Kinder an Formen von Dementia praecox, die auch bei der Großmutter vor¬ 
handen gewesen zu sein schien. — Von Interesse ist das verhältnismäßig seltene 
Vorkommen von Geistesstörung bei den Vorfahren der an Dementia praecox 
Leidenden; unter 35 derartigen Kranken hatten nur 17 psychopathische Väter 
oder Mütter. 

Positive Schlußsätze ergaben sich in Verf.’s Untersuchungen nur in bezug 
auf manisch-depressive Geistesstörungen und Dementia praecox, die beide in der 
Regel auf Erblichkeit beruhen, aber nicht darauf beruhen müssen. 

33) Über die Abgrenzung und die Grundlagen der Zwangsvorstellungen, 

von Friedmann. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H.Vogt 

Im ersten Teil wird unter eingehender Würdigung der Literatur die Ab¬ 
grenzung erörtert. Die wesentliche Charakteristik der Zwangsidee liegt in dem 
ihr eigenen Denkzwange. Sie wird abgegrenzt von den verschiedenen Störungen, 
denen ein psychischer Zwang beiwohnt, bei welchen aber die anderweitigen Eigen¬ 
schaften wichtiger sind alB jenes zwaDgsmäßige Auftreten; als die wichtigste Auf¬ 
gabe stellt sich dabei die Abgrenzung zwischen Zwangsidee und überwertiger Idee 
heraus. Die Begriffsbestimmung der Zwangsvorstellung lautet (S. 237): Wir finden 
eine Vorstellung bestimmten individuellen Inhaltes, welche im logischen Sinne 
von ihrem Träger als unvernünftig oder doch schlecht begründet anerkannt wird, 
über welche er nicht weiter reflektiert, die aber dennoch gleichzeitig (pein¬ 
licher Gefühlston, ferner Unabgeschlossenheit usw.) den Träger belästigt und be¬ 
herrscht (erstes Stadium), und welche sich weiterhin trotz seines Widerstrebens 
fort und fort in sein Denken eindrängt. 

Der zweite Teil erörtert die psychologischen Grundlagen der Zwangsvorgänge. 
Der Vorgang beruht auf normalen Eigenschaften der Psyche (S. 381): „einmal 
übt die stärkere Gefühlsbetonung einen gewissen bestechenden Einfluß auf die 
Urteilsbildung aus und zweitens hält ein peinlicher Affekt, sowie der Tatbestand 
der logischen UnabgeBohlossenheit die Vorstellungen im Bewußtsein fest; am 
stärksten aber geschieht dies, wenn diese beiden Momente in der Gestalt einer 
Befürchtung, eines Bedenkens oder einer peinlichen Erwartung zusammen ver¬ 
einigt auftreten.“ Die krankhaften Zwangsvorgänge sind eine pathologische 
Steigerung dieser normalen Verhältnisse. 

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34) Gioht und Psychose , von Prof. E. Mendel. (Deutsches Archiv f. klin. 

Medizin. 1906. Ebstein-Festschrift.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

Unter Berücksichtigung mehrerer eigener Beobachtungen und der Literatur 
bespricht Verf. in der Festschrift für Wilh. Ebstein den Zusammenhang zwischen 
Gioht und Psychose. 

Die Ergebnisse faßt er selbst in folgenden Sätzen zusammen: 

1. In sehr seltenen Fällen tritt nach einem schweren mit Fieber verbundenen 
Gichtanfall eine akute Psychose auf, welche mit Trübung des Bewußtseins und 
ausgedehnten Halluzinationen einhergeht und klinisch als Delirium hallucinatorium 
zu bezeichnen ist. 

2. In seltenen Fällen ersetzt eine akute Psychose den Gichtanfall und ver¬ 
läuft meist in kurzer Zeit. 

3. In äußerst seltenen Beobachtungen zeigt sich, daß ein auftretender Gicht¬ 
anfall eine Psychose zur Heilung bringt, welche lange, selbst Jahr und Tag, un¬ 
verändert bestanden hat. 

4. Das Zusammenvorkommen von einer Psychose mit Gichtanfällen ist ein 
ungemein seltenes Vorkommnis und man ist nach den bisher vorliegenden Er¬ 
fahrungen nicht berechtigt, von einer Gichtpsychose zu sprechen. 

Das Wort Griesingers: „Über die Entstehung von Seelenstörungen unter 
dem bestimmenden Einfluß der Gicht läßt sich nichts Positives sagen“ besteht 
auch heute noch zu Recht. 


III. Bibliographie. 

1) Die Trunksucht und ihre Abwehr. Beiträge zum gegenwärtigen Stande 
der Alkoholfrage, von Dr. A. Baer, Geh. Med.-Rat in Berlin, und Dr. 
B. Laquer, Arzt in Wiesbaden. 2. Aufl. (Berlin u. Wien 1907, Urban u. 
Schwarzenberg. S. 242.) Ref.: M. 

Das klassische Werk von Baer, welches im Jahre 1890 in erster Auflage 
erschien, hat nun unter Zuziehung Laquers eine neue Bearbeitung erfahren. 
Baer konnte sich keinen besseren Mitarbeiter verschaffen, als Laquer, welcher 
mit Wort und Schrift gegen den Alkoholmißbrauch gekämpft und durch Reisen 
und eigene Beobachtungen sich ein selbständiges Urteil gebildet hat. 

Dabei und wohl auch dadurch iBt vermieden worden, sich auf jenen doktri¬ 
nären Standpunkt zu stellen, welcher den Alkohol nur als Gift betrachtet (S. 25) 
und welcher in der Durchführung der absoluten Abstinenz die einzige Waffe gegen 
das Übel des Mißbrauches sucht. 

Nach einer Besprechung der physiologischen und pathologischen Wirkungen 
des Alkohols wenden sich die Verff. zu der Erörterung des Einflusses der Trunk¬ 
sucht auf Krankheit und Sterblichkeit, auf das geistige Leben, auf Verbrechen, 
Selbstmord usw. Hier werden die Statistiken der einzelnen Kulturländer aus¬ 
führlich beigebracht und gestatten dem Leser, ein eigenes Urteil über die ver¬ 
heerenden Wirkungen des Alkohols sich zu bilden. 

Das wichtigste Kapitel ist der 3. Teil: die Abwehr der Trunksucht. Es 
werden nacheinander erörtert, was die Gesellschaft, was der Staat zur Bekämpfung 
der Unmäßigkeit tun kann. 

Nur einzelnes kann hier aus dem Ergebnis der Untersuchungen hervorgehoben 
werden: Ale ein im höchsten Grade nachahmenswertes Mittel hat sich das Gothen¬ 
burger System bewährt, dessen Erfolge ziffernmäßig naohgewiesen werden. Im 
ganzen Königreich Schweden mit 5 Millionen Einwohnern existieren weniger 
Branntweinverkaufsstellen, als in Königsberg mit 180000, Bremen mit 150000 
oder Stettin mit 140000 Einwohnern. 

Die Bestrafung der Trunkenheit, welche in einer Anzahl von Ländern statt- 

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findet, hat einen wesentlichen Einfluß nicht ausgeübt. Man wird den Verff. nur 
beistimmen, wenn sie sagen: 

„Ein Gesetz zur Bestrafung der Trunkenheit kann nach allen Erfahrungen 
Bich nur dort wirksam erweisen, wo gleichzeitig der Trunksucht in präventiver 
Weise mit strengem Ernst entgegengetreten wird. Dort hingegen, wo der Brannte 
wein zu äußerst billigen Preisen und auf jedem Schritt zu haben ist, wo die 
Besteuerung des Branntweins sehr gering und die Zahl der BranntweinBtellen 
übergroß ist, scheint es beinahe Zeit, die öffentliche Trunkenheit zu bestrafen." 

Die Entmündigung des Trinkers, die Trinkerasyle, die Einwirkung, welche 
der Staat auf die Beamtenschaft, der Alkohol in der Armee und in der Schule 
ausübt, werden am Schluß noch eingehend erörtert. 

Keinem Sozialpolitiker, keinem Arzt und speziell keinem Nervenärzte darf 
das Buch in seiner Bibliothek fehlen, aus dem er nicht bloß reiche Anregung 
und Belehrung erhalten wird, sondern das ihm auch zum Nachschlagen in bezug 
auf bestimmte Fragen, welche den Kampf gegen den Alkoholismus betreffen, un¬ 
entbehrlich sein wird. 

2) Arthur Schopenhauer. Seine wirklichen und vermeintlichen Krank¬ 
heiten, von Wilhelm Ebstein. (Stuttgart 1907, Enke.) Bef.: M. 

Verf. behandelt in 5 Kapiteln die Frage, 1. ob Schopenhauer geisteskrank 
und ob und inwieweit seine Psychose als die Ursache seiner Lebensauffassung, 
seiner Philosophie und seines Charakters anzusehen ist, 2. über die vermeintliche 
Syphilis Schopenhauers, 3. über die gichtische Erkrankung Schopenhauers und 
deren Einfluß auf seine Philosophie und seinen Charakter, 4. ob Schopenhauers 
letzte Krankheit seine wissenschaftliche Tätigkeit und sein psychisches Verhalten 
beeinflußt hat und 5. das geistige Verhalten Schopenhauers in seinen letzten 
Lebensjahren. 

Die Frage ad 1 wird gegenüber anderweitigen Behauptungen mit vollem 
Recht verneint, ebenso die nach der Syphilis auf Grund sehr eingehender Unter¬ 
suchungen besonders mit Rücksicht auf die Tatsache, daß in dem Notizbuch 
Schopenhauers eine genaue Beschreibung seiner Schmier- und Sublimatkur sich 
fand. Verf. macht darauf aufmerksam, daß zu der fraglichen Zeit jene Mittel 
auch sehr häufig als Antiphlogistica und Resorbentia angewendet wurden. 

Seine terminale Krankheit war ein Herzleiden. Die geistige Dekrepidität 
Schopenhauers in seiner letzten Lebenszeit ist auf eine prämature psychische 
Senescenz (Sch. wurde 72 Jahre alt) zurückzuführen. 

Die vorliegende Schrift ist ein wichtiger kritischer Beitrag für die Patho- 
graphien hervorragender Männer und sei zur Lektüre sowie zum Studium 
bestens empfohlen. 

3) Chr. D. Orabbes Krankheit, von Dr. Erich Ebstein (München). Seinem 
Vater Wilhelm Ebstein zum 70. Geburtstag gewidmet (München 1906, Rein¬ 
hardt.) Ref.: M. 

Grabbe, welcher, noch nicht 35 Jahr alt, starb, ist, wie Verf. in seiner 
mit ungemein großem Fleiß und scharfer Kritik geschriebenen Arbeit nachweist, 
an Tabes zugrunde gegangen. Derselbe hat Syphilis gehabt, hatte lanzinierende 
Schmerzen, ataktischen Gang, gastrische Krisen. 

Grabbe war ferner ein Degenerierter und chronischer Alkoholist. Der Alko- 
holismus war wohl auch die Ursache, daß die Krankheit einen verhältnismäßig 
schnellen tödlichen Verlauf nahm. 

Die verschiedenen und einander widersprechenden Urteile über Grabbes Krank¬ 
heit dürften unserer Ansicht nach mit der vorliegenden Schrift einen endgültigen 
Abschluß erfahren haben. 

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4) Der Böhmen. Eine Untersuchung der psychologischen und physio¬ 
logischen Bedingungen des Schmerz Vorganges, von Dr. Semi Meyer in 
Danzig. (Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens. VII. S. 79. Wiesbaden 1906, 
Bergmann.) Bef.: M. 

Wir geben auf die Psychologie des Schmerzes hier nicht näher ein; heben 
dagegen hervor, daß nach Ansicht des Verf.’s der Schmerz kein Sinnesorgan hat, 
nnd daß er durch Beizung der dem mechanischen Sinn dienenden Nervenfasern 
entsteht. Diese geben bei ihrem Eintritt in das Bückenmark einen feinen Seitenaßt 
ab, welcher die Schmerzvermittlung übernimmt. 

So erkläre sich, daß der peripherische Nerv bei starker Beizung einen ex¬ 
centrischen Schmerz hervorbringt, welcher sich mit der Soheinempfindung an der 
betreffenden Stelle verbindet, während bei Bückenmarksveränderungen eine Trennung 
der Schmerzfunktion von der Empfindung beobachtet wird. 

6) Verdeut8chungsbüoher des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins. VIII.: 
Die Heilkunde. Verdeutsohung der entbehrlichen Fremdwörter aus 
der Sprache der Ärzte und Apotheker, bearbeitet von Dr. Otto Kunow, 
Generaloberarzt in Mainz. (Fünfte vermehrte Auflage. Preis 60 Pfg. Berlin 
1907. 103 S.) Bef.: M. 

Den Zweck und Inhalt deB Büchleins gibt der Titel an. Wenn auch im 
wissenschaftlichen, besonders im internationalen wissenschaftlichen Verkehr die 
lateinischen und griechischen Ausdrücke sich so eingebürgert haben, daß ihr Er¬ 
satz durch deutsche kaum einen Vorteil bringen dürfte, so ist der Arzt häufig 
genug, besonders in seinen gerichtlichen Attesten, wie vor allem in den Gutachten 
im Dienste der sozialpolitischen Gesetzgebung, genötigt, statt der fremdländischen, 
für die Beteiligten unverständlichen deutsche Ausdrücke zu gebrauchen — das 
Beichsversicherungsamt spricht in jedem Fall einen dahin gehenden Wunsch aus. 
Ganz besonders aus diesem Grunde sei die sehr vollständige und gewissenhafte 
Arbeit den Ärzten auf das Beste empfohlen. 


IV. Aus den Gesellschaften. 


Psychiatrischer Verein su Berlin. 

Sitzung vom 22. Juni 1907. 

1. Diskussion zum Vortrag des Herrn Lipschitz in voriger Sitzung (vgl. 
d. Centr. S. 380). 

Herr Beich (Herzberge): Der Versuch des Vortr. ist von großer Bedeutung 
für die Lehre von der Begeneration der Nerven. Wenn die neugebildete Nerven¬ 
faser, wie der Versuch zu ergeben scheint, einen von dem des ursprünglichen 
Nerven völlig abweichenden Verlauf nehmen kann, so ist damit erwiesen, daß die 
neue Nervenbahn nicht unbedingt durch Begeneration des peripheren Stumpfes 
entstehen muß, sondern daß sie auch durch Auswachsen von Nervenfasern aus dem 
centralen Stumpfe entstehen kann. B. glaubt sich aber trotzdem der Annahme 
des Vortr., daß durch seinen Versuch alle Einwände gegen die Neuronenlehre, 
insbesondere die aus den Beth eschen Begenerationsversuchen sich ergebenden, 
durchaus beseitigt sind, nicht anschließen zu sollen. B. ist selbst ein An¬ 
hänger deijenigen Anschauung, die man als Zellkettentheorie bezeichnet. Die 
Zellkettentheorie ist zunächst auf geschichtlichem Boden erwachsen. Sie ist hier 
von ebenso namhaften Forschern vertreten, wie bestritten worden. Den Grund 
dafür, daß entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen keine sichere Entscheidung 
geliefert haben, sieht B. darin, daß es an den embryonalen Organen nicht recht 
möglich ist, die verschiedenen Zellarten, da sie noch keine charakteristischen 


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Unterschiede aufweisen, stets richtig ansein&nderzuh&lten. Ganz anders ist es bei 
den vollentwickelten Organen. R. ist durch seine mikro-histiochemischen Unter¬ 
suchungen zu der Anschauung gekommen, daß ebenso wie der quergestreifte 
Muskel, auch der reife, periphere Nerv eine charakteristische zellartige Struktur 
besitzt. Naoh seinen Befunden gehört der sogen. Kern der Schwannschen Scheide 
gar nicht zu dieser, d. h. zum Bindegewebe, sondern er ist ein Bestandteil der 
markhaltigen Faser selbst, ebenso wie auch die Sarkolemmkerne der quergestreiften 
Muskelfaser zu dieser selbst gehören, und steht zu demjenigen albuminoiden Teil 
der Faser, den man als Neurokeratingerfist bezeichnet, in Beziehung. Er ist um¬ 
geben von einer, für die Nervenfaserzelle spezifischen Granulation, die für die 
Nervenfaserzelle ebenso charakteristisch ist, wie die NisBlsche Granula für die 
Ganglienzelle, und die R. als «-Granulation bezeichnet. Sie ist eingebettet in 
eine netzartige, mit der Kernmembran zusammenhängende Zellsubstanz, die direkt 
in das sogen. NeurokeratingerÜBt der Zwischentrichter und des Achsencylinders 
übergeht. Das Territorium der einzelnen Nervenfaserzelle entspricht einem Inter- 
annularsegment. Die der Neuronenlehre aus der Zellkettentheorie heraus er¬ 
wachsenden Schwierigkeiten könnte der Versuch des Vortr. nur dann völlig ent¬ 
kräften, wenn gleichzeitig der Nachweis geführt würde, daß die aus dem centralen 
Stumpf herauswachsenden Fasern nicht durch ein Auswachsen der Zellkette nach 
der Peripherie, sondern nur allein durch Auswachsen des Achsencylinders der 
Ganglienzellen zustande kommt. Es wird also auch hier schließlich die Anatomie 
das letzte entscheidende Wort sprechen müssen. R. hat lange gezweifelt, ob 
nicht, wenn schon das Axoplasma, das Neurokeratin und das Mark der Faser 
als Produkt und Bestandteil der Nervenfaserzellketten anzusehen ist, wenigstens 
die Neurofibrillen, die von vielen Seiten als der eigentlich leitende nervöse Be¬ 
standteil erklärt wird, durch Auswachsen aus der Ganglienzelle entsteht. Er 
glaubt aber auf Grund der Untersuchung eines Nerventumors, der sich als fast 
vollständig aus mehr oder weniger gestreckten, spindelförmigen, neurofibrillhaltigen 
Zellen bestehend erwies, die alle Übergänge zu myelinhaltigen Nervenfasern zeigten 
— wenn auch aus pathologischen Befunden auf das Verhalten im normalen Zu¬ 
stande nur mit Vorsicht Schlüsse gezogen werden dürfen —, daß tatsächlich die 
Annahme die wahrscheinlichste ist, daß auch die Neurofibrillen auB den Zellen 
der Nervenfaser ihren Ursprung nehmen. (Es werden die entsprechenden nach 
Bielschowskys Methode hergestellten Präparate demonstriert.) 

Im Anschluß daran bespricht R. noch das von ihm seiner Zeit am meisten 
benutzte Verfahren zur Darstellung der «-Granula und der //-Granula der Nerven¬ 
faserzelle und bemerkt dabei, daß sich zur Darstellung der //-Granula nicht nur 
das saure Fuchsin, sondern auch das basische Fuchsin und das Methylenblau, also 
auch basische Anilinfarbstoffe eignen. Autoreferat. 

2. Herr Vorkastner stellt einen 18jährigen Seminaristen vor, welcher sich 
längere Zeit in Behandlung der Poliklinik befunden hatte. Bis bestand bei ihm 
eine vasomotorische Neurasthenie. Im Vordergrund der Beschwerden standen 
Kopfschmerzen, die eigentümlich stechend und pulsierend waren, so daß er sich 
vor stärkeren Schmerzparoxysmen fürchtete. Es bestanden dabei Kongestionen 
nach dem Kopfe mit flammender Röte im Gesicht. In letzter Zeit traten auch 
Nasenblutungen auf. Für diese war eine lokale Ursache nicht zu finden. Ferner 
bestand häufig stärkeres Herzklopfen und quälendes Angstgefühl in der Herz¬ 
gegend. Bücken war ihm peinlich. Diesen subjektiven Beschwerden entsprach 
der objektive Befund. Das vasomotorische Nachröten war gesteigert. Leichte 
Körperanstrengungen bewirkten eine Steigerung der Pulsfrequenz. Die Gefäße 
des Augenhintergrundes waren Rtark gefüllt. Ferner bestand eine deutliche Rigi¬ 
dität der Radialarterie. Der Blutdruck war normal. Die Rückstoßelevation war 
auf dem Sphygmogrannn stark ausgeprägt. Sehr interessant war der Herzbefund. 


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Auskultation und Perkussion ergaben zwar keine Abweichung, durch Röntgen* 
Aufnahme zeigte sich aber eine Anomalie. Man sah nämlich, daß sich das Herz 
mehr vertikal einstellte, eine Andeutung dessen, was von Kraus als Tropfenherz 
beschrieben ist. Die Sehnenreflexe waren lebhaft. Die Gefäßnervenschwäche war 
konstitutionell bedingt, indem der Vater Potator war und die Geschwister an 
nervösen Erscheinungen litten. Nachdem die Beschwerden in letzter Zeit zu- 
genommen hatten, trat eine schwere akute psychische Störung auf. Es hatte sich 
der Pat. an einem Ausflug beteiligt und am Tage 3 Glas Wein und am Abend 
2 bis 8 Glas Sekt zu sich genommen. Er war danach heiter, aber durchaus 
normal. Im Eisenbahnkoupee wurde ihm unwohl und er bekam Nasenbluten. Er 
benahm sich wie ein Unsinniger und wollte die Coupätür öffnen. Er schrie, 
tobte und wollte die Notbremse ziehen, griff aber statt dessen an die Wärme* 
leitung, welche er dafür ansah. Sein Gesicht war rot, die Augen blutunterlaufen. 
Auf Anreden reagierte er nicht Für diesen Zustand fehlte nachher vollkommen 
die Erinnerung. Es handelte sich um einen kongestiven Dämmerzustand, wobei 
das Interessante ist, daß der Zustand sich an die vasomotorischen Störungen an¬ 
schloß. Es erinnert das Bild an die Mania transitoria der alten Psychiater. 
Differentialdiagnostisch kommen in Betracht der pathologische Rauschzustand und 
die Epilepsie, die aber beide auszuschließen sind. Letztere insbesondere deswegen, 
weil in der Vergangenheit keine Anhaltspunkte für Epilepsie bestanden, trotzdem 
bleibt die Diagnose der Epilepsie diskutabel, für Hysterie ergab sich nichts. 
Dieser Fall beweist, daß sich auf dem Boden der einfachen vasomotorischen 
Neurasthenie ein Dämmerzustand entwickeln kann. Für die Prognose ist wichtig, 
daß sich ein solcher Zustand nicht zu wiederholen braucht. Die Therapie hat 
für vollkommene Alkoholabstinenz zu sorgen, in zweiter Linie für die Behandlung 
der vasomotorischen Störungen. 

3. Herr Rosenberg berichtet über hiatologisohe Untersuchungen aus 
dem Laboratorium des Herrn Geheimrat Ziehen. Mit Hilfe von projizierten 
Mikrophotogrammen und Aquarellzeichnungen und unter Hinweis auf ausgestellte 
Nissl-Präparate weist er auf folgende Merkmale hin, durch die sich die Cyto- 
architektonik der Heschlschen Windungen von der ersten Temporalwindung 
unterscheidet: 

1. Die gemeinsame Tiefe der Schichten der mittelgroßen und großen Pyra¬ 
midenzellen ist nur halb so groß. 

2. In der letzterwähnten Schicht sind die Riesenpyramidenzellen in ungefähr 
doppelter Anzahl vorhanden. 

3. Es besteht ein Mangel an tiefen Pyramidenzellen. 

4. Die SpindelzellenBchicht ist mehr als doppelt so tief. Sie ist im oberen 
Teil zellreicher, sie zeigt keine deutliche Reihenbildung und ist gegen das Mark 
weniger scharf abgesetzt. 

Die Differenzen beziehen sich im wesentlichen auf die Kuppen der ver¬ 
glichenen Windungen. Da Flechsig auf Grund seiner Studien über die Mark- 
reifung der Gehirnbahnen feststellte, daß besonders die Heschlschen Windungen 
kortikale Endstationen des N. cochlearis enthalten, und da nach Campbell diese 
Windungen durch eine eigenartige Rindenfaseranordnung charakterisiert sind, so 
bringt auch die Cytoarchitektonik eine neue Stütze dafür, daß diese Windungen 
die Hörsphäre darstellen. Von weiteren Autoren wurden zitiert Meynert, Betz, 
Hammarberg und Cajal. Autoreferat. 

Herr Brodmann bemerkt in der Diskussion: 1. Auch Siemerling hat be¬ 
reits vor Jahren in einem Vortrage an der Hand von Markscheidenpräparaten 
gezeigt, daß die G. temp. transversi durch eine besondere Struktur von der übrigen 
Temporalrinde ausgezeichnet sind. Campbells Untersuchungen beziehen sich 
nicht nur auf die Faser, sondern gleichzeitig auf die Zelltektonik und geben 

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außerdem eine topische Lokalisation der verschiedenen Strukturtypen des Schläfen- 
lappens, welche der Vortr. vermissen läßt. 2. Es ist nicht bewiesen und auch 
nicht ohne weiteres beweisbar, daß der vom Vortr. demonstrierte Typus die Rinde 
der Hörsphäre darstellt Derartige physiologische Termini sollten bei rein ana¬ 
tomischen Rindenuntersuchungen vermieden werden, da sie zu lokalisatorischen 
Schlußfolgerungen verleiten, welche irreführend sind. Cytoarchitektonische Rinden¬ 
felder und physiologische Bezirke fallen nicht notwendig zusammen, wie vor allem 
das Beispiel der ezcitomotorischen Zone und der Area gigantopyramidalis beweist 
3. Lokalisatorisch ist ein besonderer tektonischer Typus nicht genau auf die 
Heschlschen Querwindungen beschränkt, er greift vielmehr nach eigenen Unter¬ 
suchungen einerseits darüber hinaus, andererseits läßt er einen Teil frei (vgl. auch 
das Campbell sehe Schema). Windungen und Furchen sind aber nicht maßgebend 
für die Umgrenzung anatomischer Rindenfelder. 4. Im einzelnen bestreitet B. 
das Vorkommen von „Riesenpyramiden *•, wie überhaupt von spezifischen Zell¬ 
formen (nach Nissl-Färbung) in den Querwindungen. Auch die Schmalseite des 
Querschnittes ist nicht charakteristisch für die „Hörrinde“. Die relativ geringe 
Breite der I. bis III. Schicht, verglichen mit der der IV. bis VI. Schicht, kommt 
der ganzen Temporalrinde zu, ganz zu schweigen von anderen Windungsbezirken. 

Autoreferat. 

Herr Jacobsohn fragt, ob die Untersuchungen des Vortr. im wesentlichen 
eine Differenz des Schichtenbaues der Rinde des Hörcentrums gegenüber anderen 
Rindenregionen ergeben haben, oder ob sich eine besonders charakteristische Zell¬ 
form im Hörcentrum gefunden hat, wie Cajal es angegeben hat. Ferner möchte 
J. darüber Auskunft haben, ob sich ein Unterschied in der Zellstruktur der linken 
ersten Schläfenwindung, besonders im Bereich des Wortklangcentrums gezeigt hat 
gegenüber der rechten Schläfenwindung, und schließlich fragt J., ob der Vortr. 
die Rinde dieser Rindenregion nur von erwachsenen Personen oder auch von 
Rindern untersucht hat. Namentlich die Untersuchung dieser Rindenteile vor und 
nach der Sprachbildung könnte eventuell Bedeutsames hinsichtlich der Zellverhält¬ 
nisse zutage fördern. Autoreferat. 

Herr Ziehen weist darauf hin, daß bei diesen Untersuchungen nur die Frage 
gestellt war: existiert ein Unterschied zwischen den Temporalwindungen und den 
HeschIschen Windungen? 

In seinem Schlußwort betont Herr Rosen borg, daß der Sohichtenbau in 
den Heschlschen Windungen charakteristisch sei und spezifische Zellen nicht 
gefunden Beien. 

4. Herr Schulze stellt ein 12jähriges Mädchen vor, das seit dem 23. März 
1907 in Behandlung der Klinik ist. Von der Mutter her ist das Kind nervös 
belastet. Es hat zur rechten Zeit sprechen und laufen gelernt. Mit 6 Jahren 
kam es in die Schule, kam später in die Nebenklassen. Vor 2 Jahren überstand 
es Scharlach und im Anschluß daran Nierenentzündung; im vorigen Jahr Masern. 
Später traten Fieberzustände bis 40° auf, nach Angabe der Stiefmutter bestand 
damals Lungenschwindsucht und Pleuritis. Im Dezember 1906 erholte es sich, 
nachdem es durch die Krankheiten zum Skelett abgemagert war und konnte im 
Januar die Schule wieder besuchen. Es fiel dort nach 14 Tagen auf, daß das 
Kind vor sich hinstarrte und ins Leere blickte und sich allmählich ein Zustand, 
wie das Kind bei der Vorstellung bot, entwickelte. Es blieb stehen, wo es hin¬ 
gestellt wurde, und antwortete nicht. Der Gesichtsausdruck war indifferent. Die 
Eltern merkten nichts von Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Nach der 
Aufnahme in die Klinik wurden Intelligenzprüfungen vorgenommen. Es ergab 
sich, daß das Kind das kleine Einmaleins beherrschte und Divisiönsaufgaben teil¬ 
weise richtig rechnete. Monate und Jahreszeiten kannte Patientin; sie wußte den 
Namen des Kaisers und der Kaiserin. Sie kannte den Unterschied zwischen 

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Wasser und Eis, zwischen Irrtum und Lüge. Diese Prüfungen erforderten viel 
Geduld. Das Kind lag stets resigniert im Bett, ohne den Ausdruck der Angst. 
Es verhielt sich vollkommen teilnahmlos gegen die Vorgänge in der Umgebung. 
Beim Eissen blieb es mit dem Löffel auf dem Wege zum Munde Btehen. Gelegent¬ 
lich gab es über seinen Zustand einige Auskunft: ich weiß nicht, warum ich nicht 
geantwortet habe. Eis konnte sich anscheinend seinen Zustand nicht erklären. 
Es sagte, ich habe keinen Trieb zum Spielen, äußerte ferner, es sei nicht traurig 
und habe keine Angst. Halluzinationen und Wahnvorstellungen wurden auch in 
der Klinik nicht festgestellt. Anfallsweise bekommt das Eind starken Speichel¬ 
fluß, welchen es auch während der Demonstration hat. Es hat sehr schlechte 
Zähne und das Zahnfleisch ist mit hartnäckigen Geschwüren besetzt. Hierauf 
wird vom Vortr. die Ursache des Speichelflusses zurückgeführt. Der abgesonderte 
Speichel wird nicht geschluckt, da auch der Schluckakt gehemmt ist. Das Eind 
äußerte dazu: ich kriege es nicht herunter. (Während der Demonstration beugte 
sich das Eind dauernd mehr und mehr nach vorn über, um den Speichel besser 
aus dem Munde herauszukriegen.) Mehrere Male wurde Einuässen beobachtet. 
Daun weinte das Kind und sagte, es habe es zu spät gemerkt. Während der 
Demonstration ist eine Antwort vom Kinde nicht zu erhalten. Über Zeit und 
Ort ist das Eind orientiert; es freute sich auf diese Vorstellung, da es sowie bei 
der kürzlich stattgehabten klinischen Vorstellung sich jetzt wieder ordentlich aus¬ 
speicheln könne. Aus einzelnen Momenten — es wurde beim Ballspielen getroffen 
und erzählte einer Mitpatientin spontan, daß es Zahnschmerzen habe — ist zu 
schließen, daß ein Nachlassen der Krankheit einzutreten scheint. Zornaffekte hat 
das Kind nie gezeigt. Einmal schien Flexibilitas cerea vorhanden zu sein; einige 
Tage später fragte das Eind die Wärterin, wie lange es den Arm hochhalten 
müsse. Im vorliegenden Falle handelt ob sich um Hemmung des gesamten Vor- 
stellungsablaufs. Die Melancholie ist bei fehlender Angst auszusohließen. Gegen 
Paranoia spricht das Nichtvorhandensein von Wahnvorstellungen und Halluzina¬ 
tionen. Für Epilepsie und Hysterie fehlen Anhaltspunkte. Am meisten erinnert 
das Krankheitsbild noch an Dementia praecox. Die Krankheit hat sich an starke 
Erschöpfung angeschlossen. Gegen die Demenz spricht das Fehlen der Intelligenz¬ 
defekte, das Fehlen der Perseveration und der impulsiven Handlungen, ferner das 
Auftreten der Krankheit vor der Pubertät. 

Nach Jolly würde das Krankheitsbild zweckmäßig als Anoia benannt. Nach 
dem Vor bilde der französischen Autoren möchte Vortr. die Diagnose auf Stupidität 
stellen. Ein endgültiges Urteil ist erst nach Ablauf der Krankheit zu geben. 
Die Prognose ist eine gute. 

Herr Försterling bezweifelt, daß die Hebephrenie so leicht von diesem Bilde 
abzuzweigen ist, er glaubt in der Haltung des Kindes und in seinem Benehmen 
Stereotypie zu sehen. Ein intellektueller Defekt braucht noch nicht zunächst 
nachweisbar zu sein. Wegen der Hemmungen seien zurzeit Intellektprüfungen 
unmöglich. Es ist unmöglich jetzt zu sagen, daß nicht Hebephrenie vorliegt 
Die Prognose könnte infaust sein. 

Herr Liepmann weist auf das Verharren des Kindes in abnormer Stellung 
hin und auf die Art, wie das Kind das Gleichgewicht hält. Es erinnert an das 
Bild der Katatonie. 


Herr Möller führt hinsichtlich der Methode der Intelligenzprüfungen aus, 
daß es wertvoller ist angewandte Rechenaufgaben zu wählen, anstatt nackter 
Zahlen, ferner unbekannte Geschichten zur Prüfung der Auffassungsfähigkeit. 

Herr Ziehen hat solche Fälle von Stupidität gesehen und zur Heilung 
kommen sehen. Auch im vorliegenden Falle erwartet er Genesung. Gegen die 
Dementia praecox spricht das gute Auffassungsvermögen, für dessen Nachweis die 


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Intelligcnzprüfungen einen großen Wert haben. Man ist erstaunt au sehen, wie 
die Kranke die Hemmung überwindet und gut kombiniert. 

Herr Schulze führt noch im Schlußwort an, daß der Speichelfluß nur an¬ 
fallsweise auftritt je nach dem Zustande dee Mundes. Beschäftigt man sich mit 
dem Kinde, hört der Speichelfluß auf. Auf Erfordern hebt das Kind den rechten 
und linken Arm hoch und befolgt dann noch zwar zögernd, aber sachgemäß einige 
Aufforderungen des Vortr. 

5. Herr Boedeker bespricht einen Fall, welcher eine aus äußeren Gründen 
nicht vorstellbare 50jährige Deutsch-Bussin betrifft Sie war seit 1 J / a Jahren im 
Klimakterium. Die Krankheit begann mit melancholischer Verstimmung. Patientin 
wurde zunächst in Rußland als psychisch krank behandelt und kam alsdann in 
eine süddeutsche Anstalt. Sie zeigte sich ungebärdig, klagte über Schmerzen im 
Leib, Magen und Darm. Wegen der angeblichen Schmerzen schrie sie beständig. 
Das dauerte etwa ein Jahr. Jede Behandlung ihrer Beschwerden war erfolglos. 
Alsdann kam sie in die Anstalt des Vortr. Sie betrat dieselbe mit einem schon 
von weitem hörbaren monotonen Schreien, weswegen sie isoliert werden mußte. 
Die Diagnose wurde auf Paranoia hypochondriaca gestellt. Da die Patientin nach 
einiger Zeit eine Operation verlangte, wurde eine Scheinoperation ausgeführt, die 
in einem Schnitt in die Bauchhaut bestand. Nach dem Erwachen aus der Narkose 
begann schon wieder das Geschrei. Nachdem die Kranke bei Mitkranken Sonden¬ 
fütterung gesehen hatte, verlangte sie das gleiche. Sie wurde auch mit der Sonde 
gefüttert und die Patientin wurde ruhiger, da sie sich der unangenehmen Mani¬ 
pulation entziehen wollte. Sie konnte nun auf die ruhige Station gebracht werden. 
Sie sagte, sie habe das Gefühl, als ob sich im Magen etwas losreißen wolle und 
beim Stuhl, als ob sich etwas aus dem After nachziehe. Aus Verzweiflung schreie 
sie. Der Stuhlgang wurde mehrere Male untersucht. Im Mai wurde ein 40 cm 
langes Stück geformten Schleims gefunden. Spezialistischerseits wurde die Dia¬ 
gnose nun auf Colitis mucosa gestellt. Seitdem ist eine entsprechende Behandlung 
eingeschlagen und eine Besserung auch in dem psychischen Verhalten bereits zu 
bemerken. Bei dem Fehlen von Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen und 
jeglichen geistigen Defektes ist anzunehmen, daß es sich um eine krankhafte 
psychische Reaktion auf einen vorhandenen somatischen Krankheitsprozeß handelt. 

Ascher (Berlin). 


Mitteilung. 

Den geehrten Mitarbeitern und Abonnenten machen wir die ganz ergebene Mit¬ 
teilung, daß wir dem bewährten Mitarbeiter des verstorbenen Hrn. Prof. Mendel, 

Herrn Dr. Kurt Mendel, 

die Redaktionsführung des Neurologischen Centralblattes übertragen haben. 

Leipzig. Veit & Comp. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in I3erlin NW, Luisenstr. 21. 


Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzghb & Wittib in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet von Prof. E. Mendel* 

Herausgegeben 

▼cm 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsundzwanziggter Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 1. August. Nr. 15. 


Inhalt. I. Originalmitteilungen. 1. Der Doppelmotor im Gehirn, von Prof. Dr. Albert 
Adamkiewicz in Wien. 2. Über Bahnung der Patellarrefiexe, von Dr. Karl Kroner. 


II. Referate. Anatomie. 1. Die Großhirnrinde des Menschen in ihren Maßen und 


in ihrem Fasergehalt, von Kaet. — Physiologie. 2. The grouping of the afferent im- 
pulses within the spinal cord, by Head and Thompson. 3. Untersuchungen über die Sensi¬ 
bilitätsleitung im Rückenmark des Hundes, von Schuster. — Pathologische Anatomie. 
4. A study of the various changes which occur in the tissues in acute diphtheric toxaemia, 
more especially in reference to acute cardiac failure, by Dudgeon. 5. On some of the ner- 
vous complications of the specific fevers, by Bachon. — Pathologie des Nervensystems. 
6. Über Vorkommen und Bedeutung markhaltiger Nervenfasern in der menschlichen Netz¬ 
haut vom neurologischen Standpunkt, von Bernhardt. 7. Die transkortikale Tastlähmung, 
von Kutner. S. La fonction gnosique, par Egger. 9. Agnosie et asymbolie, ä propos d’un 
soi disant cas d’aphasie tactile, par Clapar&de. 10. A propos d’un cas d’aphasie tactile, par 
NoTca. 11. La vraie aphasie tactile, par Jones. 12. Recherches sur la psycnologie des apna- 
siques. Le „souvenir“ chez les aphasiques, par Vaschide. 13. Revision de la question de 
Paphasie. Que faut-il penser des apbasies sous-corticales (aphasies pures)? par Marie. 
14. Revision de la question de Paphasie. L’aphasie de 1S61 ä 1866, par Marie. 15. La 
fonction du langage et la localisation des centres psychiques dans le cerveau, par Grasset. 

16. La fonction du langage. Rectifications ä propos de Particle de M. Grasset, par Marie. 

17. Presentation d’un cerveau senile avec atrophie simple des circonvolutions simulant une 
lesion en foyer dans la region de la parietale ascendante et de la 3 mi frontale ä gauche, par 
Marie. 18. Nouveau cas d’aphasie de Broca sans lesion de la troisieme frontale gauche, 
par Marie et Montier. 19. Sur un cas de ramollissement de la circonvolution frontale 
gauche chez un droitier, sans aphasie de Broca, par Marie et Montier. 20. Nouveau cas 
d’aphasie de Broca dans lequel la troisieme circonvolution frontale gauche n’est pas atteinte, 
par Marie et Montier. 21. Aphasie motrice sans lesion de la troisieme circonvolution fron¬ 
tale, par Souques. 22. Mutisme, aphonie, amnesie, aphasie — aphasie motrice, amusie, 
surdite musicale, surditö verbale, cecite verbale, cecite psychique, agraphie — chez un 
hysterique recemment gueri d’uue monoplegie brachiale droite, remontant ä huit ans, par 
Raviart et Dubar. 23. Über Agrammatismus und die Störung der inneren Sprache, von 
Neilbronner. 24. Zur Frage der amnestischen Aphasie und ihrer Abgrenzung gegenüber 
der transkortikalen und glossopsychischen Aphasie, von Goldstein. 25. Über Apraxie des 
Lidschlusses, von Lewandowsky. 26. Zur Frage der Abgrenzung der ideatorischen Apraxie, 
von Marguliös. 27. Kortikalejiunervatorische) Apraxie, von Kleist. 28. Beiträge zur Apraxie¬ 
lehre, von Hartmann. 29. Über eine direkte Leitung vom optischen zum kinästhetischen 
Rindencentrum der Wort- und Buchstabenbilder, von v. Mayendorf. 30. Über die anatomisch¬ 
histologische Grundlage der sogen. Rindenblindheit und über die Lokalisation der kortikalen 
Sehsphäre, der Macula lutea und der Projektion der Retina auf die Rinde des Occipital- 
lappens, von Wehrli. — Psychiatrie. 31. Automatisches Schreiben und sonstige auto¬ 
matische Zwangsbewegungen als Symptome von Geistesstörung, von v. Bechterew. 32. Re¬ 
marques sur la Stereotypie graphique, par Antheaume et Mignot. 33. Vergleichende Unter¬ 
suchung einiger Psychosen mittels der Bildchenbenennungsmethodc, von v. Schuckmann. 
34. Häufigkeit und Ursachen seelischer Erkrankungen in der deutschen Marine unter Ver¬ 
gleich mit der Statistik der Armee, von PodestA. 85. Die Inanition im Verlaufe von Geistes- 


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krankheiten und deren Ursachen, von Dreyfus. 36. Erkrankung der Nebennieren bei perio¬ 
dischem Irresein, von Muratoff. 37. Über periodische Paranoia und die Entstehung der 
paranoischen Wahnideen, von Qierlich. 38. Zur Klinik der arteriosklerotischen Hirn¬ 
erkrankungen, von Eisath. 39. Die arteriosklerotische Geistesstörung und ihre strafrecht¬ 
lichen Beziehungen, von Albrecht. — Forensische Psychiatrie. 40. Zur Lehre vom 
angeborenen Verbrecher, von Haymann. 41. Zur Frage der Subsumption unter § 2 des 
Strafgesetzes, von Berze. 

III. Bibliographie. Epilepsy, a study of the idiopathio disease, by Turner. 

IV. Aut den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft fQr Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg. 

V. Personalien. 


I. Originalmitteilungen. 


1. Der Doppelmotor im Gehirn. 

Von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz in Wien. 

[Aus meinem Laboratorium.] 

Die bekannten Versuche von Fbitsch und Hitzig aus dem Jahre 1870 
haben, indem sie zeigten, daß man von gewissen Stellen der Großhirnrinde 
aus Muskeln des Körpers elektrisch erregen könne, eine bedeutungsvolle Tatsache, 
aber auch einen verhängnisvollen Irrtum in die Wissenschaft eingeführt 

Wichtig war der Nachweis gewisser Beziehungen der Großhirnrinde zur 
Bewegung, weil er den Grund zur Erforschung der Großhirnrindenfunktionen 
überhaupt gelegt hat. Aber falsch und verhängnisvoll war die Deutung, welche 
man der erwähnten Tatsache gab, indem man sie als einen Beweis für die 
motorischen Eigenschaften der elektrisch erregbaren Teile der Großhirnrinde 
ansah. 

In meiner Arbeit: Die wahren Centren der Bewegung und der Akt 
des Willens, 1 habe ich gezeigt, auf welche Abwege dieser Irrtum die Wissen¬ 
schaft geführt hat und dargelegt, wie sich dieselbe allmählich von ihm frei ge¬ 
macht und zur Wahrheit durchgerungen hat. 

Schon meine Untersuchungen über den sogen. „Hirndruck“ haben bewiesen, 
daß die durch die FBiTscH-HiTziG’schen Experimente angeregte Vorstellung, 
die vorderen Abschnitte der Großhirnrinde seien „motorisch“, die hinter den 
Central Windungen gelegenen, wie dies die Arbeiten von Munk noch besonders 
zu bestätigen schienen, seien „sensorisch“, der Wirklichkeit nicht entsprach. 

Denn wenn es auch richtig ist, daß die vorderen Großhirnrindenabschnitte 
zur Bewegung, die hinteren zur Funktion des Sehens und des Hörens in ma߬ 
gebender Beziehung stehen; so konnte ich doch sicherstellen, daß im 
Hinterhauptslappen nicht nur das Sehen, sondern auch alle auf den Sehakt und 
sein Organ bezüglichen motorischen Funktionen zustande kommen, ebenso 
wie in den vorderen Gehirnrindenabschnitten neben der Bewegung auch alle 
diese Funktion begleitenden centripetaleu Erregungen ihre seelische Erledigung 


1 Wien 1905, W. Braumüller. 

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finden. Und so war der Schluß berechtigt, daß die Großhirnrinde nicht von¬ 
einander getrennte „motorische“ und „sensorische“ Abschnitte, sondern für die 
einzelnen Organkomplexe des Körpers gesonderte „Seelenfelder“ besitze, 
die demnach den Gesamtangriffspunkt der Seele für alle die ein¬ 
zelnen Organkomplexe zusammensetzenden Einzelerregungen dar¬ 
stellen. 

Es kommt also in den „Seelenfeldern“ und folglich in der Großhirn¬ 
rinde überhaupt nur die Seele zu Worte, d. h. das rein Gedankliche oder 
das geistige Moment Und dieses „Gedankliche“ besteht entweder nur in 
„geistigen Bildern“, wie sie die Großhirnrinde im „inaktiven Zustand“, so bei¬ 
spielsweise im Traum, automatisch und unbewußt hervorbringt Oder es bildet 
den „Gedanken“, wenn die Großhirnrinde durch die Reize der Wirklichkeit 
angeregt diese Wirklichkeit widerspiegelt und erkennt und auf Grund dieser 
Erkenntnis aktiv und bewußt Begriffe und Vorstellungen und logische 
Schlußfolgerungen bildet 

Motorisch aber ist die Großhirnrinde nirgends. Man kann einem Tier, 
beispielsweise einem Kaninchen, den gesamten Hirnmantel, also die gesamten 
Hirnhemisphären bis zu den Hirnhöhlen entfernen, ohne daß es die geringste 
Einbuße in der Funktion seiner Muskulatur erleidet Körperhaltung und Körper¬ 
bewegungen bleiben auch nach der Entfernung der Hirnhemisphären tadellos. 
Das operierte Tier sitzt nur stumpf und still da, weil es nach dem Verlust 
der Großhirnhemisphären seine Seele, also Intelligenz und Willen, verloren 
hat und daher von seiner Muskulatur keinen Gebrauch mehr zu machen in der 
Lage ist. 

Setzt also der elektrische Strom, indem er die vorderen Abschnitte der 
Großhirnrinde erregt, Muskeln in Bewegung, so beweist das nicht, daß die 
vorderen Abschnitte der Großhirnrinde motorisch sind, sondern daß diese Ab¬ 
schnitte zu den Körperbewegungen in Beziehung stehen, und daß 
auch der elektrische Strom imstande ist, diese Beziehungen zu er¬ 
weisen, indem er den Reiz der seelischen Erregung, speziell den 
des Willens, ersetzt und ausübt 

Der Motor der Körperbewegungen, d. h. das Organ, in welchem die Körper¬ 
bewegungen geordnet sind und erregt werden, ist dagegen, wie ich es erst 
kürzlich nachgewiesen habe, das Kleinhirn. 1 Und das Kleinhirn entwickelt 
nicht nur die Kraft, welche sich in den Muskeln in Bewegung verwandelt, 
es enthält auch für jede Bewegungskomponente einen eigenen Angriffspunkt, 
ein besonderes Centrum, für alle also eine Art Tastwerk, auf welches der Wille 
ebenso ein wirkt, wie der Musiker auf die Tasten, wenn er Klavier spielt. In 
meinem eben zitierten Werk habe ich die Anordnung der Bewegungsklaviatur 
im Kleinhirn genau beschrieben und damit ist gleichzeitig zum erstenmal ge¬ 
zeigt worden, daß das Kleinhirn als Organ der Bewegung eine analoge 
Topographie der Bewegungen aufweist, wie es die Großhirnrinde 


1 Adamkibwicz, Die wabreu Centrcn der Bewegung und der Akt des Willens. Wien 
1905, W. Braumüller. 


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für die seelische Erregung der einzelnen Organgruppen in ihren 
Seelenfeldern besitzt Die Turiner Akademie hat vor kurzem eine Bestätigung 
meiner Resultate mitgeteilt. 1 

Auf Grund dieser Befunde habe ich von der Willensfunktion und 
ihrem physiologischen Apparat folgende Beschreibung* gegeben: 

„Die Großhirnrinde ist ausschließlich Organ der höheren Seelen- 
funktionen. Als solches erzeugt sie im inaktiven Zustand und unbewußt 
traumhafte geistige Bilder, im aktiven Zustand und bewußt den auf der Er¬ 
kenntnis der Wirklichkeit beruhenden Gedanken mit seinen Begriffen, Vor¬ 
stellungen und zu Willensintentionen führenden Schlüssen. Die Willens¬ 
erregung ist mit der Entwicklung elektrischer Ströme verbunden und diesen 
verdankt der Wille seine motorische Kraft und seine physiologische Wirkung. 

Der Wille ist ebenso wie die ihm kongruente Intelligenz das Produkt der 
gesamten Großhirnrinde, hat aber für die einzelnen, den Gesamtorganismus zu¬ 
sammensetzenden Organkomplexe bestimmte, auf der Rinde gelegene, zwar 
lokal getrennte, aber physiologisch gleichwertige Felder, die „Seelenfelder“. 8 

Von diesen umfaßt das der Körperbewegungen die vorderen Partien 
der Großhirnhemisphären, zumal die Centralwindungen. Hier setzt der Wille 
ein, welcher durch die grobe Muskulatur des Körpers wirken will. Und von 
hier aus setzt er auch diese Muskulatur in Bewegung. 

Um das zu tun, muß der Willensimpuls Centren erregen, die der groben 
Bewegung vorstehen. Wie der Musiker Tasten anschlagen muß, wenn erden 
den Ton erzeugenden Mechanismus in Aktion setzen will. 

Die Wissenschaft hat bis vor kurzem angenommen, dieser Mechanismus 
befinde sich auf der Hirnrinde selbst — in den Central wind ungen —, meinem 
Seelenfeld der Bewegung. 

Meine Untersuchungen: „Über die wahren Centren der Bewegung und den 
Akt des Willens“ haben jedoch diese Ansicht widerlegt. 

Sie haben ergeben, daß, wie die Großhirnrinde überhaupt, so auch deren 
vordere Partien, reines Seelenorgan bilden und als solches nur Vor¬ 
stellungen, Gedanken und Willensimpulse, niemals aber direkte Bewegungen 
auslösen. 

Die eigentlichen Centren der Bewegung selbst, die Bewegungs¬ 
klaviatur mit ihren Tasten, auf die der Wille von der Großhirnrinde aus wirken 
muß, um Körperbewegungen hervorzubringen, befinden sich in einem besonderen, 
nur der Bewegung dienenden Organe, dem Kleinhirn. Und erst durch die 
Einwirkung des auf das Kleinhirn wirkenden, aber im Großhirn 
entstehenden Willens kommt die intendierte Bewegung zustande. 

An die Bewegungscentren des Kleinhirns gelangt der Wille von der Rinde 
des Großhirns durch Fasern des Stabkranzes und wahrscheinlich der Brücken- 

1 Giornale della R. Academia di Uedicina di Torino. XIII. 1907. 

* Adamkibwicz, 1. e. 

* In meinem Buch: Die Funktionsstörungen des Großhirns (Berlin 1898, Hans 
Th. Hoflmann) sind diese Seelenfelder zur leichteren Orientierung bildlich dargestellt. 

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arme. Und die Centren des Kleinhirns tragen ihre dnrch den Willensimpuls 
freigemachte motorische Kraft auf dem Wege der Kleinhirnseitenstrangbahnen 
zu den großen Ganglien der grauen Yorderhömer, von wo aus sich der (auf 
der Großhirnrinde entstehende) Willensimpuls durch die motorischen Nerven 
der vorderen Wurzeln auf den bewegenden Apparat selbst, die Muskeln, 
fortsetzt. 

Das ist ein ganz anderer Weg, als derjenige, welcher bisher als aus« 
schließliche Bahn der Willensimpulse gegolten hat. Danach sollte der Wille 
durch den Stabkranz, die innere Kapsel, den Großhirnschenkelfuß und die 
Pyramidenbahnen an die multipolaren Ganglienzellen der großen Vordersäulen 
treten. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Wille beide Wege zugleich 
einschlägt und daß die von ihm erregten doppelten Innervationswellen in den 
multipolaren Ganglienzellen der Vorderhörner Zusammentreffen, um durch ver¬ 
einte Kraft von den letzten Stationen aus den Bewegungsmeohanismus an¬ 
zutreiben. 

Erhält durch diesen Nachweis einerseits die Tatsache ihre Erklärung, daß 
die Durchscbneidung der Pyramidenbahnen die Bewegungsfunktion nicht aufhebt, 
so erfährt durch sie anderseits die Tatsache, daß das Kleinhirn zur Bewegung 
noch in einer ganz besonderen und längst erwiesenen Weise in Beziehung steht, 
eine fundamentale Begründung. 

Im Jahre 1881 habe ich 1 darauf hingewiesen, daß das Kleinhirn dnrch 
tonisierenden Einfluß auf die Muskulatur die Willensbewegung reguliere und 
präzisiere. Und die hier genauer wiedergegebenen Untersuchungen lehren im 
Kleinhirn überhaupt den eigentlichen und wahren Motor der Bewegungs¬ 
maschine kennen, — den Apparat, welchen der Maschinist, die Großhirnrinde, 
in Bewegung setzt und dirigiert, damit er seine Aufgabe erfülle. 

So folgt ans allem, daß, sobald der Wille entsteht und den Bewegungs¬ 
apparat in Funktion setzt, gleichzeitig drei Erregungswellen wachgerufen 
werden, von welchen die eine die Maschine antreibt und in Bewegung erhält, 
die beiden anderen aber dazu dienen, die in Bewegung gesetzte Maschine in 
richtigem Gange zu erhalten, von der Masse und der Trägheit derselben zu eman¬ 
zipieren 3 und so dem Willen auf den Wink gehorsam zu machen. 

Die erstere erreicht auf der Bahn von Stabkranzfasern und der Brücken¬ 
arme das Kleinhirn, greift in die hier gelegenen Centren des Bewegungs¬ 
apparates ein und erreicht durch diese auf dem Wege der Kleinhirnseiten- 
strangbahnen und der grauen Yorderhömer die Muskeln. 

Die andere gelangt durch die innere Kapsel und die Pyramidenbahnen 
gleichfalls an die grauen Vorderhörner und vereinigt sich hier mit der vorigen. 

Die dritte endlich vermittelt die Erregung tonisierender Centren des 
Kleinhirns auf der Bahn der Hinterstränge gleichfalls den Yorderhörnern und 


1 Die normale Muskelfunktion betrachtet als das Resultat eines Gleichgewichtes sweier 
antagonistischer Innervationen usw. Zeitschr. f. klin. Medizin. III. 1381. Heft 3. 

* Ygl. auch meine Arbeit: Die pathologische Schwere. Wiener med. Presse. 


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vereinigt sich zu dem bereits genannten Zwecke mit der Erregung der beiden 
anderen Innervationen. 

Die Erkenntnis, daß die Großhirnrinde den Maschinisten, das Kleinhirn 
aber den Motor und Regulator und die Muskeln das Achsen- und Räderwerk 
der Maschine bilden, würde uns den Apparat der Willensfunktion klar, ver¬ 
ständlich und lückenlos erscheinen lassen, bliebe in diesem System nicht doch 
noch eine Tatsache unaufgeklärt und also unverständlich —, und zwar die 
Tatsache, daß der Willensimpuls auf der einen Seite sich eines Motors in Ge¬ 
stalt des Kleinhirns bedienen, auf der andern Seite aber durch Stabkranz, Gro߬ 
hirnschenkelfuß und Pyramiden ohne Vermittelung eines Motors direkt in das 
Räder- und Achsenwerk der Maschine eingreifeu soll. Das wäre doch so, 
als ob der Musiker einmal in die Tasten und ein andermal in die Saiten des 
Klaviers griffe, um Melodien hervorzubringen, oder der Lokomotivführer nicht 
nur vom Kessel aus, sondern auch durch direktes Erfassen der Lokomotivräder 
den Zug in Bewegung bringen wollte. 

Ich habe deshalb die Ansicht ausgesprochen, dem Apparat der Willens¬ 
funktion stehe auch auf der Pyramidenseite ein Motor, also neben dem Klein¬ 
hirn ein zweiter, für seine Zwecke zur Verfügung und aus bekannten Tat¬ 
sachen (Apoplexien) der menschlichen Gehirnpathologie geschlossen, daß die in 
der Substanz der Großhirnhemisphären gelegenen, aber mit der Großhirnrinde 
durch eigene Bahnen in Verbindung stehenden Großhirnganglien — Linsen¬ 
kern, Sehhügel und Schweifkern — dieser zweite, gewissermaßen aus drei Kesseln 
bestehende Motor der Körperbewegungen sei, der, wie in einer großen Fabrik 
der Reservekessel, dann eingreife, wenn der Hauptkessel — das Kleinhirn — 
schadhaft oder gar funktionsunfähig geworden sei. 

Es schien mir von Wichtigkeit, diese durch die klinische Erfahrung wohl¬ 
begründete Ansicht durch das Experiment zu einer wissenschaftlich unanfecht¬ 
baren Tatsache zu erheben, um so mehr, als die Tierpathologie Blutungen in 
die Großhirnganglien und daraus resultierende Hemiplegien, wie sie beim 
Menschen Vorkommen und auf motorische Eigenschaften der menschlichen 
Großhirnganglien hinweisen, nicht zu kennen scheint und es daher wissenschaft¬ 
lich noch nicht sicher feststeht, daß der zweite Motor für die Körper¬ 
bewegungen sich unterhalb der Rinde des Großhirns befindet. 

Um diese Lücke auszufüllen, bin ich folgendermaßen verfahren. 

Daß die Großhirnrinde selbst keine motorischen Eigenschaften besitzt und 
folglich wahre Centren der Bewegung nicht enthält, das habe ich bereits an 
anderer Stelle 1 ausführlich bewiesen. 

Es genügt daher, hier noch einmal kurz zu erwähnen, daß die Entfernung 
der Großhirnrinde beim Kaninchen den Bewegungsapparat des Tieres ganz un¬ 
berührt läßt und nur dessen psychischen Einfluß auf denselben aufhebt. 

Den allgemeinen Beweis für die Tatsache, daß die Großhirnhemi¬ 
sphären in der Tiefe ihrer Substanz motorische Apparate für die 

1 Die wahren Centren der Bewegung usw. 

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Körperbewegungen enthalten, habe ich gleichfalls bereits vor längerer Zeit 
geliefert. 

Bei meinen Versuchen über den Hirndrnok 1 habe ich gezeigt, daß man 
durch Einführung von Laminaria in die Schädelhöhle von Kaninchen die Hemi¬ 
sphärensubstanz komprimieren und durch diese Kompression die Läh¬ 
mung der der gedrückten Hirnhälfte entgegengesetzten Körper¬ 
seite herbeiführen kann. 

Da die Großhirnrinde keinen direkten Einfluß auf die Muskulatur des Körpers 
ausübt, so kann die lähmende Wirkung einer Großhirnhemisphärenkompression 
auf die Bewegungsfähigkeit einer Körperhälfte nur dadurch erklärt werden, daß 
die durch ihre Kompression die Hemiplegie herbeiführenden motorischen Appa¬ 
rate unterhalb der Großhirnrinde liegen. 

Diesen Schluß galt es nun durch das Experiment zu einer sicheren und 
unanfechtbaren Tatsache zu erheben. 

Ich trug zu dem Zweck bei Kaninchen nach Entfernung des Schädeldaches 
die Großhirnrinde in möglichst größter Ausdehnung ab. Nachdem sich die 
Tiere von diesem schweren Eingriff erholt hatten, wurden sie auf das sorgfältigste 
auf ihre Motilität geprüft. 

Sie zeigten das von mir an anderen Stellen 2 genau beschriebene Verhalten 
vollkommener psychischer Adynamie, während ihr Bewegungsmechanismus 
intakt war. 

Ich verfuhr nun nach dem von mir zur Feststellung der Funktionen des 
Kleinhirns benutzten und beschriebenen Verfahren, 2 indem ich mit einer 
feinen Lanzette die nach der oben beschriebenen Operation zutage liegenden 
großen Hemisphärenganglien verletzte und die Wirkungen dieser Verletzungen 
studierte. 

Diesem Studium stellten sich große, und wie es bald klar wurde, unüber¬ 
windliche Schwierigkeiten entgegen. Der Stich mit einer feinen Nadel erwies 
sich für die Großhirnganglien als ein zu geringer Eingriff, um dauernde 
Störungen zu veranlassen, — solche, die nicht nur festgestellt, sondern auch 
analysiert werden könnten. — Und größere Verletzungen dieser Organe riefen, 
wenn nicht sofort den Tod, ein Chaos von Reiz- und Lähmungserscheinungen 
der Muskulatur hervor, die mehr oder weniger schnell in allgemeine Paralyse 
übergingen mit vorzugsweiser Beteiligung der der verletzten Hemisphärnesubstanz 
gegenüberliegenden Extremitäten. Bei der Autopsie der Gehirne zeigte es sich, 
daß die schweren Folgen ihren Grund in Blutungen hatten, welche von den 
Orten der blutreichen verletzten Organe ausgingen und in die benachbarten 
Höhlen gedrungen waren. 

Immerhin bestätigten auch diese Versuche die Tatsache, daß Centren für 
die groben Körberbewegungen sich innerhalb der Hemisphärensub¬ 
stanz und unterhalb der Großhirnrinde befinden. 


1 Die Lehre vom „Hirndruck“ und die Pathologie der Hirnkompression. Sitzungsber. 
der K. Akad. der Wi6aenaeh. zu Wien 1883 u. 1884. 

* Die wahren Centren der Bewegung usw. 

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Nun kam es darauf an, diese Bestätigung einer durch meine Gehirn¬ 
kompressionsversuche bereits bekannt gewordenen Tatsache in ihre Elemente auf¬ 
zulösen, d. h. die eine Hemiplegie zusammensetzenden Lähmungskomponenten 
genau zu lokalisieren. Zu dem Zwecke mußte die Versuchsanordnung geändert 
werden. Es durfte einerseits das Gehirn durch den Eingriff nicht mehr, als 
durchaus nötig war, verletzt werden und anderseits mußte dafür gesorgt werden, 
daß das Versuchstier auch imstande und in der Lage war, den durch 
den Eingriff hervorgerufenen Ausfall seiner Funktion zu produzieren. 
Da nun die Versuchstiere zum Zwecke der Ausschaltung der unterhalb der 
Großhirnrinde gelegenen Großhirnganglien des Großhirnmantels beraubt werden 
mußten, diese Operation sie aber gleichzeitig in geist- und also auch willenslose 
Maschinen verwandelte, die zur Prüfung feinerer Bewegungsstörungen nicht zu 
verwerten waren, so habe ich mir folgendes Verfahren zurecht gelegt. 

Damit nach Verletzung der unter der Großhirnrinde gelegenen Hemisphären¬ 
massen die Versuchstiere im Vollbesitz ihrer geistigen und seelischen Kräfte 
blieben und mit deren Hilfe die Folgen der an ihnen vorgenommenen Ver¬ 
letzungen der subkortikalen Ganglien demonstrieren könnten, mußte ihnen die 
Integrität der Großhirnrinde gewahrt werden. Und damit bei voller Integrität 
der Binde die unter derselben gelegenen Großhirnganglien an gewissen voraus¬ 
zubestimmenden Stellen verletzt werden konnten, habe ich die Großhirnhemi¬ 
sphäre der Kaninchen, wie bei meinen Gehirnkompressionsversuchen 1 , in fünf 
hintereinander gelegene Felder geteilt. Am herausgenommenen Kaninchengehirn 
konnte ich durch Präparation und Abheben der Rinde leicht feststellen, welchen 
darunterliegenden Hemisphärenmassen diese Felder entsprachen. In gleicher 
Weise verfuhr ich mit dem knöchernen Schädel. Die quer durch den Schädel 
laufende Sutura corronaria fiel mit der Teilungslinie zwischen Feld 1 und den 
anderen 4 Feldern zusammen. Und es ergab sich, daß Feld 1 des Schädels das 
Corp. striatum, Feld 2 und 5 den Thalamus und die darunterliegenden Teile, 
Feld 4 die Corpora quadrigemina deckte. 2 

Trepanierte ich an dem Kaninchenschädel diese genau bestimmten Stellen, 
so mußte ich mit einer feinen Lancette, die in ihrem Gebiet die Großhirnrinde 
durchdrang, an vorausbestimmte Teile der tiefen Großhirnhemisphärenmassen 
gelangen, während der Stich durch die Großhirnrinde eine viel zu unbedeutende 
Verletzung für diese war, um „Seele und Geist“ des Kaninchens irgendwie zu 
beeinträchtigen. Verletzte aber die Nadel gleichzeitig unter der Rinde gelegene 
motorische Centren, so mußten bei der großen Empfindlichkeit derselben 
Lähmungen auftreten, die das im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindliche 
und daher in seinen Willensintentionen nicht beeinträchtigte Versuchstier 
dem Experimentator selbst orführte. 

Diese Versuche fielen indessen nicht so prompt und exakt aus, wie es die 
Anordnung derselben zu erwarten erlaubte. Und der Grund hierfür scheint mir 

1 Wiener Akad. Sitzungsberichte. LXXXVIII N. F. III. 1883. 

1 Vgl. Abbildungen in den Wiener Akad. Sitzungsberichten: LXXXVIII. 1SS3. Abt. 3. 
Taf. VI u. VII; C. 1891. Abt 3. Fig. 1. 

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darin zu liegen, daß es trotz der angeführten Einteilung der Großhirnrinde in 
Felder nicht leicht ist, durch Stich einer feinen Lancette die winzigen Centren 
zu treffen, die zu einer Extremität gehören. Vergrößert man aber die Ver¬ 
letzung, indem man die Stiche auf einzelne Stellen wiederholt einwirken läßt 
oder mit der Nadel mehr oder weniger große Zerstörungen ausführt, so erhält 
man wieder zuviel des Guten, — stürmische Reizerscheinungen, auf welche 
schwere und komplizierte Lähmungen folgen, die den ganzen Versuch verderben. 

Trotzdem gelang es, mit der erforderlichen Geduld, Ausdauer und Opfer 
an Versuchstieren festzustellen, daß in den subkortikalen Ganglien die 
isolierten Centren für die Vorder- und die Hinterextremität der ent¬ 
gegengesetzten Körperseite tatsächlich liegen. 

Und zwar scheint das Centrum für die entgegengesetzte Vorderpfote 
beim Kaninchen im vorderen Gebiet des Talamus opticus, zwischen ihm und 
dem Corpus Striatum, das Centrum für die Hinterpfote der anderen Seite im 
hinteren Gebiet des Talamus, zwischen ihm und dem Corp. quadrigeminum sich 
zu befinden. 

Jedenfalls scheint es mir sicher, daß Verletzung des Corpus Striatum (beim 
Kaninchen) keine motorischen Lähmungseffekte hervorbringt. 

Bei Verletzungen des Thalamus an den bezeichneten Stellen habe ich da¬ 
gegen wiederholt, aber nicht konstant Schwächen oder Lähmungen der bezeichneten 
Extremitäten eintreten gesehen. 

Paresen der Vorderpfoten geben sich dadurch zu erkennen, daß sich das 
Tier im Kreise und zwar in der Richtung der kranken Extremität bewegt. 
Offenbar geschieht dies dadurch, daß die gesunde Pfote über die kranke über¬ 
wiegt und so den Körper nach der kranken Seite hin drängt. 

Gewöhnlich ist gleichzeitig auch der Kopf nach der kranken Seite gedreht 
und geneigt. 

Die Drehung des Tieres im Kreise zeigt gewissermaßen den geringsten 
Grad von Schwäche der betreffenden Pfote an. 

Höhere Schwächegrade äußern sich darin, daß die Pfote sich nach innen 
umbiegt, oder nach außen ausgleitet, oder endlich beim Laufen des Tieres von 
Zeit zu Zeit umknickt. 

Bei vollkommenen Lähmungen gibt das Tier alle Versuche, sich zu be¬ 
wegen, auf, liegt auf der kranken Seite und ist aus derselben nicht mehr 
herauszubringen. Gibt man dem Tier künstlich eine andere Lage, legt man es 
beispielsweise auf die gesunde Seite, so stoßen es die gesunden Extremitäten sofort 
wieder auf die kranke Seite. 

In ähnlicher Weise äußern sich die in der angegebenen Weise künstlich 
erzeugten Schwäche- und Lähmungszustände der hinteren Pfote. 

Auch hier beginnt die Reihe der Erscheinungen mit Kreisbewegungen des 
Tieres nach der kranken Seite hin. Dann zeigt es die Neiguug, mit der 
kranken Beckenseite einzuknicken oder auf die kranke Beckenseite zu fallen. 
Endlich gibt es alle Gehversuche auf und bleibt auf der kranken Seite liegen. 

Außer den angeführten bringen die hier beschriebenen Experimente noch 

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mannigfache andere, darunter höchst interessante Lähmnngsformen hervor, die 
auf der Verletzung gewisser zufällig getroffener, aber absichtlich nicht leicht zu 
findender Stellen beruhen, und von denen mir besonders eine der genauen Be¬ 
schreibung wert erscheint. 

Die paretische Hinterpfote rotiert sich nach innen und hebt die Ferse nach 
oben, eine Stellung, die durch Überwiegen der Adduktoren des Oberschenkels 
und der Plantarflexoren der Pfote erklärt werden kann, folglich durch Parese 
der Abduktoren des Oberschenkels und der Extensoren der Pfote zustande kommt 
und so eine Art Pes valgo-equinus beim Kaninchen darstellt Bei Geh¬ 
versuchen bewegt sich das Tier mit dieser verkrüppelten, mit dem Oberschenkel 
nach innen rotierten, mit der Ferse nach auswärts gerichteten, auf die Zehen 
gestellten Pfote ähnlich wie ein Mensch mit einem Pes valgo-equinus. 

Ich habe diese charakteristische Lähmungsform bei Verletzung des vorderen 
Endes und gerade am Rande des entgegengesetzten Talam. opticus erhalten, — 
also der Gegend, deren Verletzungen gewöhnlich Paresen der entgegengesetzten 
Vorderpfote ergeben. 

Auf die beschriebene Lähmung der Hinterpfote ist dann in der Tat auch 
bald eine Parese der der gelähmten Hinterpfote gleichnamigen Vorderpfote ganz 
von selbst gefolgt. 

Bin ich nach alledem auch nicht in der Lage, eine ganz genaue und sichere 
Lokalisation der motorischen Centren in den großen Ganglien der Großhirn¬ 
hemisphären zu geben, so steht doch soviel absolut fest, daß die unter der 
Großhirnrinde liegenden grauen Hemisphärenmassen in und am Seh¬ 
hügel getrennte Angriffspunkte für die beiden Extremitäten der 
entgegengesetzten Körperseite enthalten. 

In meiner Monographie: „Die wahren Centren der Bewegung und 
der Akt des Willens“ 1 habe ich den experimentellen Nachweis geliefert, daß 
das Kleinhirn die Körperbewegungen insofern souverän beherrscht, als es sie 
direkt innerviert und so die motorische Triebkraft des Körpers entwickelt. 
Als Motor aber ist es vollkommen unselbständig, und es steht unter der Herr¬ 
schaft des Großhirns, in dem die Seele ihren Sitz hat und aus Eindrücken und 
Vorstellungen die Willensimpulse erzeugt, welche den Kleinhirnmotor erregen 
und durch ihn erst die Bewegungen des Körpers hervorbringeu. 

Die hier mitgeteilten Versuche vervollständigen das Schema der Körper- 
bewegungsinnervationen und lehren, daß neben dem Kleinhirn auch das Gro߬ 
hirn centrale Motoren für die Körperbewegungen besitzt. 

Es ist zwar seit langem klinisch bekannt, daß die Großhirnhemisphären 
zur Körperbewegung in Beziehung stehen; und ebenso hat man gewußt, daß 
jede der beiden Hemisphären die Bewegung der ihnen entgegengesetzt gelegenen 
Körperhälfte beeinflusst, aber man hat diesen Einfluß der Rinde, speziell den 
Centralwindungen der beiden Hemisphären, zugeschrieben und ist in dieser An¬ 
sicht noch durch die Arbeiten von Fbitzsche und Hitzig bestärkt worden, 
denen es gelungen war, durch elektrische Reizung der Centralwindungen des 

1 Wien 1905, W. Braumüller. 

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Hundes die Muskeln der gegenübergelegenen Körperhälften zur Kontraktion zu 
bringen. Durch meine Arbeiten ist indessen der Nachweis geliefert worden, daß 
die Centralwindungen ebensowenig als die Großhirnrinde überhaupt motorische 
Eigenschaften besitzt, und daß daher die Zerstörung weder der Centralwindungen 
noch der Großhirnrinde überhaupt irgend einen Ausfall in der Funktion der 
Körpermuskulatur zur Folge hat. Wenn daher auch die elektrische Erregung der 
Centralwindungen beim Hunde kontralaterale Muskelzuckungen hervorbringt, so 
geschieht dies nicht, weil die Centralwindungen motorisch sind, sondern weil der 
elektrische Strom bei diesen Versuchen den Willensimpuls ersetzt, der unter 
physiologischen Verhältnissen hier allein herrscht und allein die Körpermuskeln 
erregt, um durch sie die natürlichen Körperbewegungen hervorzubringen. 

Fassen wir non die durch die hier mitgeteilten neuen Versuche vervoll¬ 
ständigte Kenntnis des gesamten Bewegungsapparates beim Menschen (und 
Säugetier) zusammen, so ergibt sich für ihn folgendes Schema: 

Der Wille und sein motorischer Impuls entstehen auf der ganzen 
Großhirnrinde, für die Bewegungen im Gebiete der einzelnen Sinnesorgane 
in deren Seelenfeldern, für die Bewegungen der groben Muskulatur in den 
Centralwindungen, dem Seelenfeld der Körperbewegungen. 

Die Willensimpulse für die Körperbewegungen gelangen an zwei voneinander 
getrennte Gruppen motorischer Centren, erregen diese und bringen erst durch 
sie die Muskelbewegung zustande, wie das Anschlägen der Tasten den Ton¬ 
mechanismus erregt und den Ton hervorbringt. 

Diese beiden Gruppen motorischer Centren liegen einerseits in den sub¬ 
kortikalen Ganglien der Großhirnhemisphären und anderseits im Kleinhirn. 
Vom Kleinhirn gelangen die motorischen Erregungen auf dem Wege des 
Rückenmarkes auf die Muskeln derselben Körperseite, von der centralen 
Großhirnhemisphärensubstanz gleichfalls auf dem Wege des Rückenmarkes, 
aber mit Hilfe anderer Bahnen auf die Muskeln der entgegengesetzten Seite 
des Körpers. 

Der Sinn dieser doppelten Innervation kann kein anderer sein, als der, daß 
sie dem mächtigen Apparate des Willens zur Ausführung seiner Befehle eine 
doppelte, also wohl besonders starke und präzis wirkende motorische Erregungs¬ 
quelle zur Verfügung stellt. 

Wenn auch nach der ganzen Organisation des Kleinhirns, der Verteilung 
und der Zahl seiner Centren und der Art seines Einflusses auf die Bewegung 
nicht daran gezweifelt werden kann \ daß es physiologisch als das centrale Haupt¬ 
organ der Muskelfunktion und der Lokomotion angesehen werden muß, so kann 
es doch anderseits auch keine Frage sein, daß die motorischen Centren der 
Großhirnhemisphären beim Menschen stets pathologisch hervortreten. 

Denn sie sind es, die beim Menschen durch mannigfache Erkrankungen der 
Großhirnhemisphären, zumal ihrer Blutgefäße, zu den beim Menschen so häufigen 


1 S. Kapitel „Hirndruck und Hirnkompression“ in meinem Buch: Die Funktions¬ 
störungen des Großhirns. 


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Hemiplegien den eigentlichen Grund legen. Sie sind es auch, die, wie ich das 
längst nachgewiesen habe 1 , den Sitz für einen eigenartigen krankhaften Sym- 
ptomenkomplex abgeben, die sog. „JACKsoN’sche Epilepsie“. 

In meinen Arbeiten über die Kompression des Großhirns 9 habe ich 
bereits experimentell den Nachweis geführt, daß dieser Symptomenkomplex, der 
in anfallsweise auftretenden Zuckungen der Muskeln einer Körper¬ 
hälfte ohne jede Benachteiligung des Bewußtseins beruht, mit einer 
„Epilepsie“ auch nicht das geringste zu tun hat und daß er auf einfacher 
mechanischer Reizung der in der Großhirnhemisphärensubstanz gelegenen Be- 
wegungscentren beruht. 

Hier möchte ich nur noch hinzufügen, daß die Kompression des Klein¬ 
hirns nur zu Lähmungen, niemals dagegen zu halbseitigen Krämpfen führt, 
eine Tatsache, welche geeignet ist, ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel zur 
lokalen Differentialdiagnose bei intracraniellen Tumoren abzugeben. 


[Aua der I. inneren Abteilung des atädt Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin.] 
(Direktor: Geb. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheidrb.) 

2. Über Bahnung der Patellarreflexe. 

Von Dr. Earl Kroner, 

Assistenzarzt. 

Seit Jendkässik seine bekannte Methode angegeben hat, um schwache 
Patellarreflexe deutlicher hervortreten zu lassen, hat es an Modifikationen sowie 
an Versuchen, auf anderem Wege dasselbe Ziel zu erreichen, nicht gefehlt. Fast 
alle Autoren benutzen dabei das nämliche Prinzip, durch Ablenkung und Aus¬ 
schaltung von Hemmungswirkungen die zur sicheren Auslösung des Reflexes 
nötige Erschlaffung des M. quadriceps herbeizuführen, so z. B. auch Kboenig 
mit der jüngst angegebenen Methode, den Untersuchten während des Schlages 
auf die Patellarsehne tief einatmen zu lassen. 

Eine Erschlaffung der Streckmuskulatur des Oberschenkels wird auch da¬ 
durch schon erreicht, daß man das Bein in Stellungen bringt, bei denen die 
Kontraktion der Strecker erschwert ist. So läßt man die Beine übereinander- 
legen oder beugt sie und unterstützt dabei Ober- und Unterschenkel (Güttmann) 
oder — was wohl das sicherste ist — man läßt das stark nach außen rotierte 
und dabei im Hüft- und Kniegelenk gebeugte Bein der Unterlage aufliegen. 
Beim sitzenden Patienten läßt man ein Knie über das andere legen oder man 
läßt bei stumpfwinklig gebeugtem Knie die Fußspitze nach abwärts drücken: 
Die hierbei nötige Anspannung der Beuger läßt die Strecker erschlaffen. 

Diesen sozusagen mehr passiven Methoden, die alle das gemeinsam haben, 


1 L. c. 

* Die Lehre vom „Hirndruck“ und die Pathologie der „Hirnkompression“. Sitzungsber. 
der K. Akad. der Wissensch. in Wien. 


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daß sie den Reflexablauf hemmeDde Momente auszuschalten suchen, stehen 
andere gegenüber, die nicht nur die für die Auslösung des Reflexes geeigneten 
Bedingungen schaffen, sondern auch aktiv eine Bahnung des an und für sich 
schwachen Reflexes hervorzurufen suchen. Hierher gehören alle Maßnahmen, 
die bezwecken, durch mechanische Einwirkung auf die Haut des Oberschenkels 
(Bäder, faradischer Pinsel usw.) oder durch Kneten der Muskulatur den sen¬ 
siblen Anteil der Reflexbahn zu reizen. Auch die Versuche, durch wiederholtes 
Auslösen des Reflexes eine Bahnung bzw. eine Verstärkung hervorzurufen, sind 
an dieser Stelle zu erwähnen. Hierbei wird die gesamte Reflexbahn in einen 
Zustand erhöhter Erregbarkeit gebracht 

Es lag demgemäß nahe, zu untersuchen, ob nicht auch eine Bahnung des 
motorischen Anteiles der Reflexbahn allein zu erzielen sei. 

Dies gelingt nun anscheinend sehr leicht. 

ln einer Reihe von Fällen habe ich einen mit den üblichen Maßnahmen 
nicht auslösbaren Patellarreflex dadurch deutlich hervortreten sehen, daß ich 
den Untersuchten eine Anzahl von Schritten gehen oder einige Kniebeugen aus¬ 
führen ließ. 

Hier könnte nun zunächst der Einwand gemacht werden, daß durch die 
willkürliche Kontraktion der Muskeln die intramuskulären sensiblen Nerven ge¬ 
reizt werden, daß eine weitere sensible Reizung durch die Verschiebung der 
Haut, die Bewegung der Gelenke zustande komme, daß ferner durch die beim 
Gehen unvermeidlichen Stöße auf die langen Röhrenknochen eine weitere sen¬ 
sible Bahnung erfolgte — kurz, daß die Verstärkung des Reflexes nur eine 
Folge sensibler Reizung sei. 

Was die beiden ersteren Punkte anbetrifft, so ist es klar, daß beim Gehen 
eine Reizung sensibler Nerven zustande kommt. Es ergab sich jedoch, daß das 
Gehen auch nach vorheriger Erregung der sensiblen Fasern (Kneten von Haut 
und Muskulatur) eine Steigerung des Reflexes hervorrief. 

Um den Einfluß der mechanischen Erschütterung beim Gehen abschätzen 
zu können, ging ich so vor, daß ich den Untersuchten einmal im Bette aktive 
Beugungen und Streckbewegungen ausführen ließ, während bei einer späteren 
Prüfung diese Bewegungen passiv ausgeführt wurden. Es zeigte sich, daß nur 
die aktiven Bewegungen eine reflexsteigernde Wirkung ausübten. Der Einfluß 
der mechanischen Reizung dürfte überdies bei dieser Anordnung kaum ins Ge¬ 
wicht fallen. Denn brüske Stöße kommen beim Ausführen von Kniebeugen 
kaum in Betracht, während anderseits die bei dieser Übung in die motorischen 
Bahnen geschickten Willensimpulse infolge der damit verbundenen Anstrengung 
besonders stark sind, jedenfalls stärker als bei den mehr automatisch erfolgenden 
Gehbewegungen. 

Es kann daher nur zugegeben werden, daß bei der willkürlichen Bewegung 
wohl eine Reizung sensibler Nerven stattfindet, die sich aber sicherlich in dem 
gleichen, wenn nicht in höherem Maße durch Kneten und Drücken der Musku¬ 
latur erreichen läßt — Maßnahmen, die, wie bereits oben erwähnt, den beab¬ 
sichtigten Effekt nicht ausüben. 

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Es wäre ferner möglich, daß die Verstärkung des Reflexes nur eine Folge 
der durch das Gehen verursachten Ermüdung sei. 

Wie wir wissen, sind ja die Reflexe bei mäßiger Ermüdung lebhafter als 
in der Norm, während sie bei starker Ermüdung schwächer werden oder gar 
fehlen. Und in der Tat zeigte sich die Verstärkung des Reflexes besonders bei 
Tabikern, denen das Gehen schwer fällt, die also bei jedem Schritt einen 
stärkeren Impuls aufwenden müssen als Gesunde: Die nach dem Gehen auf¬ 
tretende Steigerung beruhte demnach auf einer Ausschaltung der beim nicht 
ermüdeten Menschen einwirkenden, kortikalen Einflüsse, wäre also einfacher 
durch Anwendung des J endrässi K’schen Handgriffes zu erreichen. 

Es zeigte sich nun aber, daß auch ein mittels des JENDBAsaiK’schen Hand¬ 
griffes nicht auslösbarer Patellarreflex nach dem Gehen deutlich wurde; dies 
allein würde freilich nur bedeuten, daß in gewissen Fällen durch die Ermüdung 
die vom Großhirn kommende Hemmung besser ausgeschaltet wird, als die durch 
den Handgriff bewirkte Ablenkung. Es fand sich indessen weiter, daß ein durch 
Gehen verstärkter Reflex durch die JENDBÄssiK’sche Modifikation noch mehr 
gesteigert wurde; ebenso wurde ein durch Jendrässik und Gehen allein nicht 
auslösbarer Reflex nach Anwendung beider Methoden nacheinander noch sichtbar. 
Dieser Umstand weist darauf hin, daß die Ursache der Reflexverstärkung bei 
den beiden Versuchsanordnungen eine verschiedene ist. 

Es kann die Reflexsteigerung nach vorheriger Reizung der sensiblen Bahnen 
und Ausschaltung der von den höheren Centren kommenden hemmenden Ein¬ 
flüsse nur darauf beruhen, daß durch das Gehen der motorische Anteil des 
Reflexbogens in einen Zustand erhöhter Erregbarkeit versetzt wird. So erklärt 
sich auch die Beobachtung, daß gerade bei Tabikern mit schwachen oder eben 
angedeuteten Reflexen eine bedeutende Steigerung stattfindet: Bei diesen Patienten 
ist der in den motorischen Nerven geschickte Bewegungsimpuls ohne Zweifel 
stärker als bei Gesunden; diese stärkere Willensanspannung führt auch im 
Verein mit stärkeren motorischen Entladungen (durch ausfahrende Bewegungen, 
Anspannung der Antagonisten usw.) zu der stärkeren Ermüdung, die somit 
nicht die Ursache, sondern ein der Reflexsteigerung koordiniertes Symptom ist 

Dieses Ergebnis deckt sich auch durchaus mit unseren jetzigen Anschauungen, 
daß bis zur Grenze der Erschöpfung jede Durchströmung einer Nervenbahn 
ihren inneren Leitungswiderstand herabsetzt. Ob wir diesen Widerstand haupt¬ 
sächlich in die Ganglienzellen verlegen oder ihn als Übergangswiderstand zwischen 
Nervenendplatte und Muskelfasern auffassen, ist für die vorliegende Betrachtung 
gleichgültig. Wichtig ist nur die Frage: Bahnt ein willkürlich durch ein ner¬ 
vöses Element geschickter Reiz auch den Weg für folgende, unwillkürliche, bzw. 
von der Peripherie in dieselbe Bahn gelangte Reize? 

Diese Frage ist nun meines Erachtens längst entschieden. 

Bei der Übungstherapie der Tabes suchen wir willkürliche Bahnen (mit 
Hilfe der Sehcentren) so abzuschleifen, d. h. ihren inneren Widerstand so herab¬ 
zusetzen, daß sie nachher auf schwächere Reize ohne erhebliche Beanspruchung 
des Willensimpulses fast automatisch reagieren: Noch häufiger schlagen wir den 


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umgekehrten Weg ein. Bei peripheren und centralen Lähmungen ist es unser 
Bestreben, adäquate Reize (z. B. elektrische Ströme) durch die dem Willen ent¬ 
zogenen Nervenbahnen hindurch zu schicken, um so dem willkürlichen Impuls 
den Weg zu bahnen. (Daß hier noch andere Momente in Frage kommen, wie 
das Hervorrufen von Erinnerungsbildern un die ausführende Bewegung, ändert 
an der vorliegenden Auffassung im Prinzip nichts.) 

Ein vollkommenes Analogon indessen findet die oben dargelegte Methode in 
den Versuchen Exneb’s. Exneb fand, daß eine uuterwirbsame Reizung einer 
Reflexbahn an den Extremitäten einen Effekt hatte, nachdem eine an sich eben¬ 
falls unterwirksame Reizung der motorischen Bahnen von der Hirnrinde aus 
stattgefunden hatte (Bahnung im engeren Sinne). 

Ich weiß nun sehr wohl, daß meine Beweisführung nur eine indirekte ist, 
insofern ich versucht habe, die übrigen in Betracht kommenden Faktoren, wie 
gleichzeitige Reizung sensibler Nerven, Beseitigung von Hemmungswirkungen 
seitens des Centralnervensystems u. dgl. m., durch meine Versuchsanordnung 
nach Möglichkeit auszuschalten. Jedenfalls glaube ich, daß meine Erklärung 
sich den bisher bekannten Tatsachen über Reizung und Bahnung von Nerven¬ 
bahnen ungezwungen einfügt. 

Für die praktische Anwendung ergibt sich demnach, daß ein durch ein¬ 
faches Beklopfen der Patellarsehne nicht auszulösender Kniereflex erst dann als 
erloschen gelten darf, wenn ein Eflekt auch nach Erregung der motorischen 
Bahnen durch Gehen usw. ausbleibt. 

Über die Dauer der so erzielten Erregbarkeitssteigerung konnte ich nur 
wenige Untersuchungen anstellen. Es ist hierbei auch zu bedenken, daß wieder¬ 
holte Auslösung des Reflexes, wie sie hierbei nötig wird, gleichfalls reflexverstärkend 
wirkt und somit das Resultat beeinflußt. Es scheint, als ob die Verstärkung 
des Reflexes nur kurze Zeit, höchstens einige Minuten anhält 

Das Optimum der Bahnung, d. h. das Maß der zum Hervorrufen einer 
möglichst intensiven Reflexverstärkung nötigen Bewegung, ist anscheinend indi¬ 
viduell sehr verschieden; die Erzeugung einer stärkeren Ermüdung ist, wie sich 
dies bei der praktischen Prüfung überdies von selbst verbietet, jedenfalls zu 
vermeiden. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Die Großhirnrinde des Menschen in ihren Maßen und in ihrem Faser¬ 
gehalt. Ein gehirn-anatomischer Atlas mit erläuterndem Text und schema¬ 
tischer Zeichnung, 16 Tabellen, 15 Kurven und 79 farbigen Tafeln, von 
Theodor Kaes. (Jena 1907, Fischer.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 
Eine große Arbeit von hohem wissenschaftlichem Werte ist hier geleistet 
worden. Die Aufgabe, welche sich Verf. gestellt hatte, ging dahin, an den Gehirnen 
einer größeren Zahl von Individuen das Wachstum der Hirnrinde an Weigert- 
schen Markscheidenfärbungen durch exakte Messungen mit dem Okularmikrometer 
zu zeigen und den wechselnden Markfasergehalt der Rinde von seinem Entstehen 

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beim Säugling bis zu seinem allmählichen Ersterben beim Greise graphisch in 
Kurven und bildlich in Tafeln darzustellen. In diesen Kurven steckt eine Un¬ 
summe von Fleiß, denn sie beziehen sich nicht nur auf die Gesamlbreite der 
Windungen auf der Kuppe, der seitlichen Fläche und dem Windungstale, sondern 
auch auf die einzelnen Schichten. Ja naturgemäß mußte die Messung der Schichten, 
bei der sich an den Gehirnen verschiedenen Alters sehr bald bestimmte Gesetz¬ 
mäßigkeiten herausstellten, den Schwerpunkt der Untersuchungen bilden. Verf. 
unterscheidet in der Rinde eine innere und äußere Hauptschicht. Die erstere 
beginnt am Außenrande dos äußeren Baillargerschen Streifens und reicht bis 
zum Rande des Marklagers; die letztere umfaßt den Rest, also die zweite und 
dritte Meynertsche Zellschicht, die sogen, zellarme und die Zonalschicht. Aus 
der vergleichenden Betrachtung der Kurven geht hervor, daß die innere Haupt¬ 
schicht in der Regel unentwegt bis zu einer bestimmten Höhe sich mit Fasern 
bedeckt und fortwächst, um sodann ganz oder nahezu ganz zu stagnieren. Mit 
ihrem fortschreitenden Wachstum wird die äußere immer schmäler, und die 
geringste Wachstumshemmung macht sich sofort durch ein Innehalten dieser Ver¬ 
schmälerung bemerkbar, ja sogar durch einen Rückfall in frühere Breiten. Verf. 
glaubt damit ein Moment gefunden zu haben, das uns die größere Breite 
funktionell minderwertiger Rinden erklären kann. Die entwickeltere 
und faserreichere Rinde ist also auch die schmälere. 

Ob dieser Leitsatz in vollem Umfange richtig ist, möchte der Ref. noch be¬ 
zweifeln; zum mindesten wird man erst die Ergebnisse vergleichend-anatomischer 
Untersuchungen abwarten müssen, ehe man so schwerwiegenden Schlußfolgerungen 
beipflichten kann, denn das Problem der Rindendifferenzierung und der Bewertung 
ihrer Schichten kann ohne die phylogenetische Methode kaum in Angriff ge¬ 
nommen, viel weniger entschieden werden. Es lassen sich noch andere Einwände 
erheben; dem großen Wert der objektiven Feststellungen, welche Verf. erbracht 
hat, tun sie aber keinen Abbruch, und unbestreitbar bedeuten diese Kurven, so 
schwer sie stellenweise zu lesen sind, einen großen Fortschritt unserer Kenntnisse. 

Auf gleicher Höhe Btehen die Tafeln, welche den wechselnden Markfasergehalt 
der Rinde bildlich zur Darstellung bringen. 39 Gehirne hat Verf. an 12 Stellen 
des Palliums auf beiden Hemisphären genau untersucht und die foserreiohsten 
Schnitte zur Reproduktion verwandt. Die Abbildungen sind im allgemeinen recht 
gut und geben dem Beschauer eine klare Vorstellung von den Wandlungen, 
welche besonders die tangential verlaufenden Assoziationsfasern der verschiedenen 
Regionen im Laufe der Jahre nehmen. Fast noch deutlicher als aus den Kurven 
spricht aus den Bildern die Tatsache, daß in den ersten Monaten der psychischen 
Entwicklung (neben den Meynertschen Bogenfasern) ausschließlich die Tangential¬ 
fasern der inneren Hauptschicht als intrakortikale Assoziationsbahnen in Be¬ 
tracht kommen, während die äußere Hauptschicht um diese Zeit noch völlig faser¬ 
leer erscheint. Vom 8. Monat wird zunächst der äußere Baillargersche, bzw. 
Gennarische Streifen und alsdann ganz allmählich die äußere Hauptschicht in 
die Leitungsbahn mit eingeschlossen. Die innere Hauptschicht erreicht nach 
ihren Maßen und ihrem Fasergehalt bereits im 19. Jahre ihren Höhepunkt, die 
äußere schreitet bezüglich ihres Fasergehaltes noch bis zum 45. Jahre und 
vielleicht noch darüber hinaus in ihrer Entwicklung fort. Verf. ist der Über¬ 
zeugung, daß die höhere geistige Entwicklung des Menschen ohne die Mitwirkung 
der in der äußeren Hauptschicht gelegenen Bahnen nicht eintreten kann, während 
die niedere, primitive mit den Leitungswegen der inneren auszukommen vermag. 
— Ein ganz besonderes Interesse beanspruchen die Bilder, welche sich auf Idioten 
und Verbrecher beziehen. Bei den Idioten handelt es sich um zwei Mikrocephale 
mit sehr niedrigen Gehirngewichten und um eine makrocephalische Zwergin, deren 
Gehirn 1373 g bei entsprechender Oberflächenentfaltung wog. Trotz der enormen 

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Gewichts- und Flächendifferenzen bietet aber die Anordnung und Dichtigkeit 
der Markfasern in der breiten Rinde des schweren Gehirnes weitgehende Ana¬ 
logien mit den Faserrerhältnissen in der kümmerlich entwickelten Rinde der 
Hikrocephalen. 

Von Verbrechern standen Verf. 5 Gehirne zur Verfügung; drei davon ge¬ 
hörten Gewohnheitsverbrechern an, welche durch das Fallbeil zum Tode gebracht 
worden waren. In allen diesen Fällen fanden sich mehr oder weniger ausgesprochene 
Abweichungen von dem normalen Bilde, bei einigen von den Kriminalverbrechern 
sogar sehr schwere Veränderungen, welche teils auf eine Entwicklungshemmung 
der Markfasern, teils auf einen vorzeitigen Verfall derselben hindeuteten. (Da¬ 
neben waren allerdings in einem Falle auch noch multiple Erweichungsherde 
vaskulären Ursprunges vorhanden.) Trotz der relativ geringen Zahl seiner Be¬ 
obachtungen an Verbrechergehirnen glaubt Verf., daß seine Befunde ein grelles 
Schlaglicht auf die Frage des Zusammenhanges von Verbrechen und Gehirn- 
organisation werfen und daß die Lösung dieses Problems in allererster Linie von 
gehirn-anatomischer Seite zu erwarten ist. 

Einen Ausdruck des Bedauerns kann Ref. bei aller Anerkennung für dieses 
schöne Werk nicht unterdrücken. Es ist sehr schade, daß Verf. in der Be¬ 
zeichnung der Regionen, denen er seine Präparate entnommen hat, nicht genau 
genug gewesen ist. Er spricht z. B. von vorderer und hinterer Stirn, von vorderer 
und hinterer Schläfe, von oberem und unterem Scheitel, ohne auch nur an einem 
Oberflächenschema die von ihm so benannten Punkte zu markieren. Damit wird 
späteren Bearbeitern dieses Gegenstandes, welche seine Befunde event. ergänzen 
und erweitern wollen, die Arbeit naturgemäß sehr erschwert. Außerdem hätte 
der Atlas bei ganz exakter Lokalisierung der untersuchten Rindengebiete sehr 
gut noch einem anderen Zwecke dienstbar werden können: er hätte den patho¬ 
logischen Anatomen einen wertvollen Ersatz für normale Vergleichspräparate der 
einzelnen Rindengebiete in den verschiedenen Lebensaltern bieten und ihnen da¬ 
mit gelegentlich viel Arbeit ersparen können. Unter den gegebenen Verhältnissen 
ist dies leider nicht der Fall, denn das Zell- und Faserbild ändert sich auf der¬ 
selben Windung an vielen Stellen innerhalb ganz enger Grenzen, so daß man 
sehr leicht in Irrtümer verfällt, wenn man es mit der Lokalisation nicht pedan¬ 
tisch genau nimmt 


Physiologie. 

2) The grouping of the afferent Impulses within the spinal cord, by Henry 
Head and Theodore Thompson. (Brain. CXVI. 1906.) Ref.: Bruns. 

Die Verff. haben in einer umfassenden Arbeit (vgl. d. Centralbl. 1906. S 808) 
nachgewiesen, daß die Gefühlsempflndungen in den peripheren Nerven- und spinalen 
Wurzeln in bestimmten Faserzügen geleitet werden, die sie als protopathische, epi¬ 
kritische und Tiefenempfindungen bezeichnen. Diesen Bahnen entsprechend Bind 
dann bei peripheren Verletzungen die Sensibilitätsstörungen gruppiert. Nach dem 
Eintritt in das Rückenmark tritt nun eine Umlagerung dieser Bahnen zu ganz 
anderen Gruppen ein. So kann bei peripheren Verletzungen bei Fehlen jeder 
sonstigen Schmerzempfindung tiefer Druck noch schmerzhaft sein, da er durch 
Fasern der Tiefensensibilität geleitet wird, die mit den Muskelnerven verlaufen; 
die tiefe Druckschmerzhaftigkeit fehlt hier nur bei gleichzeitigem Fehlen des 
Gefühles für leichten Druck, passive Bewegungen und Vibrationen; bei Rücken¬ 
marksaffektionen fehlt die tiefe Druckschmerzhaftigkeit zugleich mit allen anderen 
schmerzhaften Empfindungen, während Berührung, leichter Druck und passive 
Bewegungen empfunden werden. 

Bei peripheren Verletzungen und solchen der Wurzeln kann die Empfindung 


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für starke Kälte* und Hitzereize (protopathisches System) oder für kühle und 
leicht warme Reize (epikritisches System) getrennt fehlen, Wärme* und Kälte¬ 
störungen finden sich hier aber immer zusammen; bei spinalen Läsionen fehlt die 
Temperaturempfindurig gleichzeitig für alle Intensitäten, aber hier können wieder 
Kälte- und Wärmeempfindungen getrennt fehlen. Auch hier kann gleichzeitig 
Tastgefühl und Lokalisation noch vorhanden sein. 

Bei peripheren Verletzungen kann das Gefühl für Berührung fehlen, leichter 
und tiefer Druck aber empfunden werden; bei spinalen fehlt bei dem Verlust der 
Berührungsempfindung auch die für tiefen Druck. Schließlich kann bei spinalen 
Läsionen jede übrige Gefühlsstörung fehlen, nur ein Verlust der Lageempfindung 
und für die Unterscheidung zweier Zirkelspitzen (taktile Diskrimination) vorhanden 
sein, während bei peripheren Verletzungen diese Störungen gebunden sind an 
gleichzeitigen Verlust der Empfindung für Berührung bzw. leisen Druck und 
Druckschmerzhaftigkeit. 

Wie die Störungen bei halbseitigen Läsionen im Marke lehren, sind die 
Bahnen für Schmerz, auch tiefen Druck und Temperaturempfindungen in der 
Hauptsache gekreuzt gelagert, Kälte- und Wärmebahnen aber getrennt; die für 
Tastempfindungen liegen zuerst beiderseitig, ebenso die für leichten Druck und 
Tastlokalisation; die für Bewegungsempfindungen und für taktile Diskrimination 
bleiben aber bis zu den Hinterstrangskernen auf der gleichen Seite. 

Die Umlagerung der Bahnen für die einzelnen Gefühlsqualitäten muß gleich 
nach dem Eintritte der hinteren Wurzeln ins Mark erfolgen; denn die gleich¬ 
seitigen Gefühlsstörungen im Gebiete halbseitiger Läsionen zeigen den Charakter 
der spinalen und nicht der peripheren Gruppierung. Auch die spinale Gruppierung 
sowohl auf der gekreuzten wie gleichen Seite kann segmentären Charakter zeigen; 
es werden dann aber erst immer Segmente ziemlich tief unter der Läsion gestört 
Die Kreuzung der Schmerz- und Temperaturbahnen im Marke erfolgt im Verlaufe 
einiger Segmente; die für die Tast- und Druckleitungen ist erst im Verlaufe 
durch einen großen Teil des Rückenmarkes vollendet — für lange Zeit bestehen 
für diese Reize doppelseitige Bahnen, dementsprechend fehlt die Tastanästhesie 
bei halbseitigen Läsionen oft. 

Neben den bewußte Gefühle leitenden Bahnen verlaufen im Rückenmarke 
auch solche für unbewußte Empfindungen, die der Erhaltung des Gleichgewichtes 
dienen, meist gleichseitig bis ins Kleinhirn — Kleinhirnseitenstrangbahn. 

3) Untersuchungen über die Sensibilitätsleitung im Rückenmark des 

Hundes, von Paul Schuster. (Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie. XX. 

1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Auf dem viel bearbeiteten Gebiete der spinalen Sensibilitätsleitung verdienen 
die Untersuchungen des Verf.’s deswegen ein besonderes Interesse, weil die Aus¬ 
fallserscheinungen an den Experimentaltieren mit großer Exaktheit nnd vor allen 
Dingen mit klinischem Verständnis beobachtet worden sind. Große Schwierig¬ 
keiten bereitete an den operierten Hunden, denen die Hinterstränge und Seiten- 
strilnge in differenter Ausdehnung und in mannigfaltigen Kombinationen zerstört 
worden waren, die Prüfung der Berührungsempfindlichkeit, des Tastgefühles, wobei 
zahlreiche Fehler unterlaufen können. Verf. half sich mit folgender offenbar sehr 
brauchbarer Methode. Er blies den zu untersuchenden Körperteil durch einen 
Schlauch mit dem Munde oder mit einem Gummihallon an, ohne daß das Tier 
von der ganzen Manipulation etwas sah oder hörte. Dabei muß der Luftstrom 
lauwarm sein, damit nicht die thermische Komponente störend hervortritt. Die 
Reaktion zeigt sich darin, daß der Hund sich Belir schnell nach dem angsblaseneo 
Beine umsieht oder dasselbe zurückzieht. 

Bei allen Tieren wurde das Rückenmark an der Eingriffes teile genau unter- 


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sucht und das Areal der zerstörten Substanz mit möglichster Genauigkeit be¬ 
stimmt. Seine Hauptresultate faßt Verf. in folgenden Sätzen zusammen: 

I. Eine ausgesprochene Störung des Berührungsgefühles tritt auf, wenn im 
unteren Brustmark der Hinterstrang zusammen wahrscheinlich mit der gleichseitigen 
hinteren Grenzschicht (weniger wahrscheinlich zusammen mit dem Gebiet des 
gleichseitigen Hinterhorns inkl. Lissauerscher Zone) zerstört worden ist. 

II. Die sogen. Lagegefühlsstörung geht der Tastgefühlsstörung im allgemeinen 
parallel. 

III. Die Herabsetzung des Schmerzgefühles wird höchstwahrscheinlich durch 
die Zerstörung des mittleren Teiles des der grauen Substanz anliegenden Seiten¬ 
strangbezirkes bedingt. 

IV. Die Störung des Temperaturgefühles geht eher derjenigen des Schmerz- 
gefules als derjenigen der Berührungsempfindung parallel. 

V. Die faradokutane Sensibilität ist das Ultimum moriens bei Zerstörungen 
der hinteren und seitlichen Bückenmarkspartien. Für das Erhaltensein der farado- 
kutanen Sensibilität kommt wahrscheinlich die graue Rückenmarkssubstanz in 
Betracht. 

VI. Die Störungen des Berührungsgefühles, des Tastgefühles und der Schmerz¬ 
empfindung kommen in erster Linie auf der Seite der Operation zustande. 


Pathologische Anatomie. 

4) A study of the various ohanges whioh ooour ln the tissues in aoute 
diphtherio toxaemia, more espeoially in referenoe to aoute oardiao 
failure, by Leonard Dudgeon. (Brain. CXIV. 1906.) Ref.: Bruns. 

Verf. hat von einer Anzahl von Fällen akuter toxämischer Diphtherie mit 
plötzlichem Herztode die Herzmuskeln, das Zwerchfell, eine Reihe innerer Organe 
und die betreffenden peripheren Nerven und das Centralnervensystem untersucht. 
Er hat auch Tiere mit Diphtherietoxin vergiftet und die Organe derselben unter¬ 
sucht; ebenso noch Fälle, wo er nach der Diphtherietoxininjektion Antitoxin ge¬ 
geben hatte. Die Resultate der jedenfalls sehr sorgfältigen und mühevollen Arbeit 
sind folgende: 

a) Die wichtigste Läsion in den akuten Fällen ist eine fettige Degeneration 
des Herzmuskels und Diaphragmas; sie wird bewirkt durch eine direkte Ein¬ 
wirkung der Toxine auf diese Gebiete. 

b) Ähnliche fettige Veränderungen können sich finden in gewissen wichtigen 
Eingeweiden, besonders in der Nebenniere und Leber. 

c) Der Ausdruck „Herzlähraung“ bei akuter toxämischer Diphtherie sollte 
aufgegeben werden und durch den „akutes Versagen des Herzens“, „acute cardiac 
failure“ ersetzt werden. 

d) Die im Nervensystem gefundenen Veränderungen sind sekundäre Er¬ 
scheinungen und nicht die primäre Ursache für das Versagen des Herzens. 

e) Antitoxin, wenn es in genügender Menge und in den ersten 48 Stunden 
gegeben wird, kann den Tod am Versagen der Herztätigkeit verhindern oder die 
Möglichkeit dieses Todes doch erheblich verringern. 

Schöne Abbildungen der Veränderungen im Herzmuskel und Zwerohfell, in 
der Nebenniere, der Leber und im Rippenknorpel, der nicht selten auch starke 
fettige Degeneration zeigt, sind der Arbeit beigegeben. 

5) On some of the nervous oomplioations of the speoiflo fevers, by Thomas 
Bachon. (Brain. CXV. 1906. S. 303.) Ref.: Bruns. 

Verf. führt in einem längeren Vortrage aus, daß entzündliche Erkrankungen 
des CentralnervensystemB nach den allerverschiedensten Infektionskrankheiten Vor¬ 
kommen können, und daß allerlei Übergänge zwischen den verschiedenen Formen 


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der betreffenden Erkrankungen — der disßeminierten Encephalomyelitis, der Polio¬ 
myelitis anterior, der Landrysehen Lähmung — bestehen. Reine periphere 
Neuritiden kommen wohl kaum vor; die mehr neuritischen Prozesse treten nach 
Infektionskrankheiten später auf als die myelitischen und encephalitischen. Der 
Vortrag gibt eine gute Übersicht über die Lehre von den organischen post¬ 
infektiösen Nervenkrankheiten. Verf. erkennt aber selbst an, daß er viel Neues 
nicht bringt; besonders lückenhaft sind die Literaturangaben. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Über Vorkommen und Bedeutung markhaltiger Nervenfasern in der 
menschlichen Netzhaut vom neurologischen Standpunkt, von M. Bern¬ 
hardt. (Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 15.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Während bei einigen Fischen, beim Kaninchen und öfters beim Hunde mit 
zarter Markscheide belegte Sehnervenfasern in der Netzhaut sich finden, gehören 
beim Menschen markhaltige Nervenfasern in der Netzhaut zur Ausnahme. Oph¬ 
thalmoskopisch erscheinen die markhaltigen Fasern lebhaft weiß, stehen in un¬ 
mittelbarem Zusammenhänge mit der Papille, von der sie strahlenförmig mehr 
oder weniger weit in die Netzhaut sich erstrecken und zum Teil die Retinal¬ 
gefäße verdecken. Diese markhaltigen Fasern sind nun keineswegs angeboren, 
sondern angeboren ist nur die Disposition zur Entwicklung derselben. Ob es 
erlaubt ist, das Vorkommen markhaltiger Fasern den anderen gerade bei Nerven¬ 
kranken vorkommenden Degenerationszeichen zuzuzählen, muß erst eine ausgedehnte 
Erfahrung lehren. 

7) Die transkortikale Tastlähmung, von Kutner. (Monatsschr. f. Psych. u. 
Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. trennt an einem Fall von der gewöhnlichen kortikalen Tastlähmung die 
transkortikale Form ab, die Bich im wesentlichen mit der Stereoagnosie d’asso- 
ciation ou de conductibilite von Verger deckt. Der Bearbeitung liegt der früher 
schon von Bonhoeffer bearbeitete Fall (Mitt. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. X und 
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXVI) zugrunde. Der Patient ist Epileptiker, 
zweimal operiert (osteoplastische Resektion über dem linken und rechten Scheitel¬ 
bein), er bot nach letzterer Operation Tastlähmung der linken Hand, (Störung der 
primären Identifikation, typische kortikale Form, von Bonhoeffer untersucht), 
später stellte Bich nach einer Serie schwerer Anfälle an der rechten Hand gleich¬ 
falls eine Taststörung anderer Art ein: Sensibilität intakt, Gegenstände werden 
durch Tasten erkannt, d. h. die Vorstellung der Form wird geweckt, gestört ist 
aber die sekundäre Identifikation. Verf. betont den assoziativen Charakter der 
Störung ohne besondere anatomische Lokalisation. 

8) La fonotion gnosique, par M. Egger. (Revue neurologique. 1907. Nr. 9.) 
Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Verf. setzt sich in dieser Abhandlung wesentlich mit all den Autoren aus¬ 
einander, die zu dieser Frage in der Revue neurologique in letzter Zeit das Wort 
ergriffen haben. Er betont, daß die Fähigkeit der Erkennung von Objekten von 
dem Grade der Störung der peripheren Sensibilität dem Grade nach unabhängig 
ist: Ein ganz kleiner erhaltener Rest in den Projektionsbahnen kann eventuell 
genügen, um diese Funktion aufrecht zu erhalten. Den Terminus Asymbolie für 
Störungen dieser Art perhorresziert Verf. Von Stereognose in einheitlichem Sinne 
läßt sich derzeit nach Verf. nicht reden; am Kranken werde ja nicht das Er¬ 
kennungsvermögen für Formen, sondern für Objekte geprüft. Die Aufhebung der 
Fähigkeit, ein Objekt zu erkennen, kann aber aus zwei Ursachen resultieren: aus 
Läsionen im Projektionssystem und aus solchen im Assoziationssystem; im ersteren 


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Falle würde Verf. von „anästhetischer“ und nur im zweiten von reiner Agnosie 
sprechen. 

9) Agnosie et asymbolie, a propos d’un soi-disant eas d’aphasie taotile, 

par E. Claparede. (Revue neurol. 1906. Nr. 17.) Ref.: Erwin Stransky. 

Verf. greift in die Polemik zwischen Raymond-Egger einerseits und 
Dejerine andererseits (s. beide Aufsätze in der Revue neurologique. 1906) ein, 
die sich über die Auffassung des von den ersteren publizierten Falles sogenannter 
taktiler Aphasie entsponnen hat, indem auch er sich der Anschauung anschließt, 
daß dieser Fall nicht als Aphasie, sondern als — taktile — Asymbolie aufzu¬ 
fassen bzw. zu bezeichnen wäre. Verf. glaubt überhaupt nicht an ein selbständiges 
taktiles Gedächtnis beim Normalen; allenfalls könnte ein solches und damit auch 
eine taktile Aphasie bei den Blinden in Frage kommen. Gerade über jene 
Wörter, die allenfalls noch mit rein taktilen Vorstellungen in Rapport stehen 
könnten (wie „kalt“, „feucht“ u. ähnl.), haben übrigens die Kranken von Ray¬ 
mond-Egger verfügt. 

10) A propos d'un oas d’aphasie taotile, par M. Noica. (Revue neurolog. 

1906. Nr. 22.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Verf. greift in die Diskussion zwischen Raymond-Egger einerseits und 
Dejerine andererseits zur Frage der sogen, taktilen Aphasie ein, indem er einen 
eigenen Fall rein peripherisch bedingter (Schnittverletzung, Neuritis im Bereiche 
des Cubitalnerven) Sensibilitätsstörung mitteilt, der dem affizierten Bereiche ent¬ 
sprechend eine ganz ähnliche Störung der Objektidentifikation auf taktilem Wege 
dargeboten haben soll wie der Raymond-Eggersche. Auch durch passive Be¬ 
wegungen der dargebotenen Gegenstände durch den Untersucher im Bereich des 
affizierten Nerven, also gewissermaßen durch künstliche Korrektur der gleichfalls 
vorhandenen motorischen Störung (? Ref.) war eine Änderung nicht zu erzielen. 
Verf. glaubt danach im Sinne Dejerines, daß sein Fall für die rein peripherische 
Genese des in Rede stehenden Symptoms spricht (peripherische Sensibilitätsstörung). 

11) La vraie aphasie taotile, par E. Jones. (Revue neurologique. 1907. Nr. 1.) 

Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Verf. glaubt in einem von ihm beobachteten Falle von echter taktiler Aphasie 
sprechen zu dürfen; es handelt sich um einen Fall von hysterischer (!) Analgesie, 
die ursprünglich alle Qualitäten betroffen hatte, dann allmählich zurückging, und 
zwar schrittweise, so daß zunächst eine Art „Tastlähmung“ im Sinne Wernickes, 
im weiteren Verfolge ein Zustand taktiler Asymbolie (seed. Claparede, korre¬ 
spondierend auch nach des Verf.’s Auffassung mit dem Zustande des Kranken 
von Raymond-Egger; die bez. Referate s. oben) resultierte, während als 
letzte Phase der Besserung Erkennung und Gebrauch von Gegenständen bereits 
möglich und nur die Benennung derselben noch unmöglich war; hier möchte Verf. 
denn von taktiler Aphasie sprechen. Diese Phase markierte den Übergang zum 
völligen Verschwinden der Sensibilitätsstörung. 

ln theoretischer Hinsicht neigt Verf. angesichts der Kontroverse, ob der 
fraglichen Aphasieform centrale oder periphere Genese zugesprochen werden müsse, 
zu einer mehr „psychologischen“ Deutung. 

12) Beoherohes sar la Psychologie des aphaslques. Le „Souvenir** chez 

les aphaslques, par N. Vaschide. (Revue neurologique. 1907. Nr. 11.) 

Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Auf Grund seiner Untersuchungen an 34 Aphasischen gelangte Verf. wesent¬ 
lich zu dem Ergebnis, daß Aphasisclie nicht auf abstrakt-assoziativem Wege 
Gegenstandsbilder bzw. Vorstellungen spontan zu reproduzieren vermögen; hin¬ 
gegen ist ein mehr minder dunkles Wiedererkennen von Bildern und Gegenständen 


möglich. Die Fähigkeit der Neueinprägung von Bildern bzw. Vorstellungen ist 
sehr herabgesetzt. Genauere Details müssen im Original nachgesehen werden. 

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13) Revision de la question de l’aphaaie. Qne fout-il penser des aphasies 

sous-eortioales (aphasies pures)? par Pierre Marie. (Semaine rnödic. 

17. Oktober 1906. Ref.: H. Haenel, (Dresden). 

Verf. bestreitet, daß eine Unterscheidung von kortikalen and sabkortikalen 
Herden bei Aphasien durchführbar sei; stets sei Rinde und Marksubstanz bei den 
beobachteten Herdläsionen betroffen. Die reine Worttaubheit »t ein Mythus; es 
ist kein Fall einer solchen bekannt, bei dem die Intelligenz absolut intakt ge¬ 
wesen wäre und alle Störungen der Lesefahigkeit, der Schrift und besonders der 
Hörschärfe (Labyrinthtaubheit) gefehlt hätten. Ebenso gibt es kein Centrum für 
die Wortgehörsbilder, wie dies Wernicke annahm: wenn ein Aphasiker die Be¬ 
deutung der Worte nicht versteht, so ist das keine Folge einer Worttaubheit, 
sondern eines Mangels an Verständnis, zurückzuführen darauf, daß das Wernicke- 
sche Centrum nicht ein sensorielles, sondern ein intellektuelles Centrum ist. Auch 
Dejerine, zurzeit P. Maries heftigster Gegner, hat bis vor einigen Jahren 
Belbst hervorgehoben, daß bei jedem Aphasiker die Intelligenz vermindert ist und 
ist erst in der letzten Zeit von dieser Ansicht abgekommen. Die reine Wort¬ 
taubheit ist also eine schematische Konstruktion ohne wirkliche klinische oder 
anatomische Basis. Die Wortblindheit ist dagegen eine unbestreitbare klinische 
Tatsache. Da gegen ein Lesecentrum im Sinne eines Depots für die optischen 
Sprachbilder schon der Umstand spricht, daß erst seit wenigen Generationen die 
Fähigkeit des Lesens und Schreibens überhaupt Allgemeingut ist, so muß für 
das klinische Bild eine andere Erklärung gesucht werden. Hier ist vor allem 
hervorzuheben, daß die gefundenen Herde stets nicht dem Gebiete der Art. fossae 
Sylvii, sondern dem der Art. cerebri posterior angehörten. An der Unterseite 
des Gehirns, im Gebiet des lob. lingualis und lob. fusiformis, ist eine Stelle ge¬ 
geben, wo zugleich sowohl die Sehfasern als auch die weiße Substanz der Sprach- 
zone oder die aus ihr entspringenden Fasern getroffen werden können. In der 
Tat sitzen hier meist die Herde bei der Alexie; je uachdem sie mehr oder weniger 
tief in die Marksubstanz der Wer nickeschen Zone hineingreifen, d. h. je nach¬ 
dem das Versorgungsgebiet der Axt. cerebri posterior mehr oder weniger weit 
nach vorn reicht, werden aphasische Symptome in größerer oder geringerer Aus¬ 
prägung mit der Alexie verbunden sein. Man kommt so darauf zu, mehr eine 
Aphasie der Hirngefäßverteilung als eine solche der Windungstopographie zu schreiben. 

Bei der subkortikalen oder reinen motorischen Aphasie (Lichtheim) besteht 
der Ausfall allein in der Unfähigkeit, die Laute richtig auszusprechen, zu arti¬ 
kulieren, während alle anderen Modalitäten der Sprache, besonders die „innere 
Sprache“, ungestört sind. Verf. benennt diese Störung Anarthrie und fügt hinzu: 
diese Anarthrie ist gar keine Aphasie! Dem Einwand, daß Anarthrie stets mit 
einer Lähmung der Sprachmuskeln einhergehen müsse, hält er entgegen, daß wir 
allerhand Bewegungsstörungen, wie Ataxie, Athetose, Stottern u. a. kennen ohne 
Muskellähmung. Der Anarthrische nach Verf. ist derjenige, der hei intakter In¬ 
telligenz, Wortkenntnis, Lese- und Schreibfähigkeit und Fehlen aller pseudo¬ 
bulbären und paralytischen Symptome nicht sprechen kann. (Er kann aber Sprach- 
reste, einzelne Schimpfworte usw. bekanntlich oft noch sehr gut artikulieren; ist 
er trotzdem anarthrisch? Ref.) Die Läsion, die solchem Ausfall zu Grunde liegt, 
ist in der „Zone des LinsenkernB“ zu suchen, einer Zone, die die Insel, die 


äußere und innere Kapsel, den Linsen- und Schwanzkern umfaßt. 

Betreffend die Brocasche Aphasie, unterscheidet Verf. die beiden Fragen, 
1. ob die linke Stirnwindung eine spezifische Rolle spielt, 2. ob eine Mitbeteiligung 
des Temporoparietallappens oder der aus ihm entspringenden Fasern anzunehmen 
ist. Die Erörterung beider Fragen bewegt sieb hauptsächlich in einer Polemik 
gegen seinen vornehmsten Kritiker Dejerine. Bezüglich der ersten Frage weist 


er nach, daß Dejerine sich selbst mehrfach widerspricht, wenn er die Lokali- 


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sation der artikulierten Sprache in F a bald nur als möglich aber unbewiesen, 
bald als fest begründet bezeichnet, während Verf. dieser Windung jede spezielle 
Bedeutung für die Sprache abspricht. Bezüglich der zweiten Frage wiederholt 
Verf. seine früher ausgesprochene Ansicht, daß mit der Läsion für die Anarthrie 
(lentikuläre Zone) stetB eine mehr oder weniger ausgeprägte Läsion derWernicke- 
schen Zone oder ihrer FaBerbahnen verbunden ist. Klinisch ist deshalb auch 
immer eine gewisse Störung im Verständnis des gesprochenen Wortes und in der 
Lese- und Schreibfähigkeit hei den Broca-Kranken nachweisbar. Dejerine, der 
früher ebenfalls auf diesem Standpunkte stand, bestreitet jetzt, daß diese Regel 
ein ausnahmsloses Gesetz sei und führt als Beweis dafür zwei Fälle an von reiner, 
typischer motorischer Aphasie. Den einen entlehnt er einer Publikation von 
Ladame, dieser selbst hat sich aber, weil die genaue anatomische Untersuchung 
noch fehlt, dagegen verwahrt, daß sein Fall zu Schlußfolgerungen nach der einen 
oder anderen Seite verwertet werden dürfe. Der andere ist ein auf seiner Ab¬ 
teilung beobachteter und in einer Dissertation von Bern heim beschriebener Fall. 
Dejerine berichtet über ihn: Die Kranke, langjährige rechtsseitige Hemiplegica, 
konnte nur „Doui“ und „Don“ statt oui und non sagen, sonst nichts. Keine 
Spuren von Worttaubheit oder -blindheit, Erhaltung der Schreibfähigkeit und der 
völligen Intelligenz. Im Text der Dissertation findet aber Verf. angegeben, daß 
die Kranke anfangs 2 Monate lang nicht verstand, was man ihr sagte, erst nach 
1 Jahre Gelesenes völlig verstand, auch später nooh für Gelesenes ein schlechtes 
Gedächtnis hatte, was sie selbst empfand, Diktatschreiben nur mit Auslassungen 
vollführte und zwar leicht addieren und multiplizieren, aber nicht subtrahieren 
konnte. Also trotz Dejerines Behauptung eine „Anarthrie“ verbunden mit aus¬ 
geprägten Zügen von sensorischer Aphasie, entsprechend der Formel, die Verf. 
von der Brocaschen Aphasie gegeben hat. Den gleichen Nachweis ungenauer 
Zitierung führt Verf. seinem Gegner gegenüber in bezug auf den anatomischen 
Befund: Dejerine schreibt: „Brocasche Windung und anliegende Region zerstört, 
centrale Ganglien, Wernickesche Gegend intakt“; dagegen gibt Bernheim 
selbst eine Beschreibung und Abbildung, aus der hervorgeht, daß die weiße Sub¬ 
stanz unter dem Gyr. supramarginalis, d. h. ein Teil der Wernickeschen Zone 
von der Zerstörung mit ergriffen ist, ferner Teile der Capsula externa. Im ganzen 
ist also dieser Dejerine-Bernheimsche Fall — der einzige, den er neben dem 
von Ladame anführt —, nicht geeignet, Verf.’s Lehre zu widerlegen, sondern 
bildet im Gegenteil eine völlige Bestätigung derselben, in dem Sinne, daß Broca¬ 
sche Aphasie = Anarthrie (Läsion der lentikulären Zone) ■+■ Aphasie (Läsion der 
Wernickeschen Zone oder der aus ihr entspringenden Fasern) ist. 

In seinen Schlußsätzen schlägt Verf. vor, statt der bisherigen Gruppierungen 
der Aphasien nur zu unterscheiden a) echte Aphasien (A. intrinsöques), bei denen 
die W’ernicköscbe Zone oder die ihr entstammenden Fasern direkt und merk¬ 
lich lädiert sind (Brocasche, Wernickesche Aphasie), b) unechte Aphasien (A. 
extrinseques), bei denen jene Zone nicht direkt, sondern nur durch Läsion der 
Nachbarschaft beteiligt iBt, d. h. der lobi fusiformis und lingualis (reine Alexie, 
reine Wortblindheit der Autoren) oder der Linsenkernzone (reine Anarthrie, reine 
motorische Aphasie der Autoren). Jede Läsion der Wernickeschen Zone, die 
ein intellektuelles, kein sensorisches Centrum darstellt, führt, entsprechend ihrer 
größeren oder geringeren Ausdehnung, außer zu den Störungen des Sprechens zu 
einem Ausfall in der Auffassung des gesprochenen Wortes und der Lese- und 
Schreibfahigkeit, desgleichen zum Verlust gewisser erlernter Fähigkeiten. Anarthrie, 
d. h. Verlust der Wortbildung mit Erhaltung des Wortverständnisses, des Lesens 
und Schreibens, ist durch eine Läsion der lentikulären Zone bedingt, die die 
Koordination des Sprechmechanismus stört, ohne eine eigentliche Muskelläbmung 
zu veranlassen. 


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14) Revision de la question de l’aphasie. L’aphasie de 1861 a 1866, par 

Pierre Marie. (Semaine mödic. 28. Nov. 1906.) Ref.: H. Hacnel, (Dresden). 

Zu überraschenden Ergebnissen kommt Verf. in dieser historisch-kritischen 
Studie über die Entstehung der Brocaschen Aphasielehre. Er hat die beiden 
im Musee Dupuytren zu Paris noch aufbewahrten Gehirne, die für Broca die 
Grundlage seiner Lehre abgaben, einer genauen Untersuchung unterworfen und 
gefunden, daß der erste, der Fall Leborgne, eine Erweichung aufweist, die außer 
der 3. linken Stirnwindung auch die Insel, die unteren Teile der Centralwindungon 
und die Wernickesche Zone einnimmt. Der nur 6 Tage und recht mangelhaft 
beobachtete Kranke war ein rechtsseitig gelähmter Aphasiker, der seit 10 Jahren 
nur noch die Silbe tan sprechen konnte. Broca suchte, beeinflußt durch Ge¬ 
danken von Bouillaud, die damals allgemeine Beachtung fanden, das Sprach- 
centrum in den Vorderlappen des Gehirns und glaubte in dem ihm vorliegenden 
Falle die Stelle, an der die Erweichung den ältesten Eindruck machte, als den 
Ort der Sprachfunktion ansetzen zu sollen; dies war zufällig die 3. linke Stirn¬ 
windung. Wenn in dem ganzen Erweichungsbezirk die 1. Schläfenwindung ihm 
am stärksten geschädigt erschienen wäre, würde heute vielleicht die ganze Aphasie¬ 
lehre auf einem anderen Punkte stehen! Das Gehirn ist übrigens ebensowenig 
wie das seines zweiten grundlegenden Falles Lelong von Broca zerlegt worden! 
Die genaue Betrachtung dieses letzteren GehirnB verglichen mit der von Broca 
gegebenen Beschreibung desselben zeigt Verf., daß es sich bei diesem garnicht 
um eine Herdlusion handelt, sondern um serös-meningeale Cysten über einem senil- 
atrophischen Gehirn; eine von diesen lag gerade über den geschrumpften, aber 
nicht erweichten, sondern sklerosierten unteren Stirnwindungen und täuschte Broca 
eine Erweichung vor, wie auch später noch oft Untersucher durch einen solchen 
Befund getäuscht worden sind. Nach den Krankenjournalen ist es Verf. auch 
wahrscheinlich, daß dieser Lelong gar nicht an echter Aphasie, sondern an seniler 
Demenz gelitten hat. Weder der erste noch der zweite der Brocaschen Fälle 
halten demnach der Nachprüfung stand, sie sind nicht geeignet, für die Lokali¬ 
sation der artikulierten Sprache als Grundlage zn dienen, wie man das seit 1861 
fälschlicherweise getan hat. 

Bouillaud, dessen Einfluß auf Broca feststeht, zählte seinerseits zu den 
rückhaltlosen Bewunderern Galls. Dieser hatte die Sprachfunktion in die Stirn¬ 
lappen und zwar in die Basis derselben verlegt, weil er beobachtet zu habeu 
glaubte, daß Leute mit großem Sprachtalent besonders hervorstehende Augen 
hätten, und diese seien auf die Auswölbung deB Orbitaldaches durch den besonders 
stark entwickelten Stirnlappen zurückzuführen! Bouillaud und sein Kollege 
und Anhänger Auburtin suchten nach Sektionsfällen, die Galls Ansicht be¬ 
stätigten; Broca verwarf zwar Galls Lehre der Seelenkräfte im ganzen, schrieb 
aber doch den einzelnen Provinzen des Gehirns gesonderte Funktionen zu. Als 
der Aphasiker Leborgne auf seiner Abteilung in Bicetre, den er speziell Au¬ 
burtin vorgestellt hatte, starb, war naturgemäß die Aufmerksamkeit in erster 
Linie auf die Stirnlappen gerichtet, und ab dort tatsächlich ein Herd — d. h. der 
Teil eines größeren Herdes — sich fand, war die Lokalisation der Sprache ana¬ 
tomisch für ihn gefunden. Als dann der Fall Lelong bald darauf folgte, als 
die Bouillaudsche einflußreiche Schule, ferner die Internisten der Charkotschen 
Abteilung ähnliche Fälle veröffentlichten, stand binnen kurzem die Lehre als 
Dogma fest. Obgleich auch im Anfang schon Beobachtungen herauskamen, die 
die Intaktheit der 3. linken Stirn Windungen bei Aphasie hervorhoben (Jaccoud, 
Laborde, Bouchard, der bei der Sektion einer berühmten aphasischen Patientin 
Trousseaus nur alte Erweichungsherde im Niveau der Insel und der 1. Schläfen¬ 
windung fand, Magnan, Charkot selbst), war an der Lehre nicht mehr zu 
rütteln. Broca selbst sprach zwar im Anschluß an Charcots Publikation die 


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Vermutung aus, daß der Gyrus angularis auch mit zur Erklärung der „Aphemie“ 
— wie er die Aphasie getauft hatte — heranzuziehen sei, führte aber diesen 
Gedanken, der erst von Wern icke richtig bewertet wurde, leider nicht weiter 
aus. Von 1866 an verstummten die Gegner; selbst Charcot, der seinen Fall 
von 1863 wohl vergessen hatte, schrieb 20 Jahre später im Progres medical, 
daß er nie einen Fall gesehen habe, der das Brocasche Gesetz durchbrochen 
hätte. „Und so ist durch eine eigenartige Verkettung von Umständen die Lehre 
von der 3. linken Stirnwindung als Sprachcentrum geschaffen worden: bo wird sie 
seit 45 Jahren von Generation zu Generation fortgepflanzt, viel mehr auf dem 
Wege der Überlieferung als auf dem der direkten Untersuchung. Es ist an der 
Zeit, daß wir uns persönlich eine Meinung über den Grad der Glaubwürdigkeit 
bilden, der dieser Lehre beizumessen iBt.“ 

15) La fonction du langage et la looalisation des centres psyohiques dans 

le cerveau, par J. Grasset. (Revue de Philosophie. 1907. Januar.) 

Bef.: H. Haenel (Dresden). 

Eine Polemik des Psychiaters von Montpellier gegen die neue Aphasielehre 
von Pierre Marie, der in mehreren Arbeiten des letzten Jahres bekanntlich die 
Existenz der motorischen Aphasie und des Brocaschen Centrums bestritten hat. 
Pierre Marie lenkte die Aufmerksamkeit darauf, daß bei allen, auch den motorisch 
Aphasischen, ein psychoaensorisches Element aufflndbar ist, und daß bei ihnen stets 
eine allgemeine Verminderung der Intelligenz sich nachweisen läßt. Verf. weist 
nach, daß diese Intelligenzstörungen die Sprachstörung nicht erklären, weil sie zu 
geringfügig und zu systematisiert sind, und stets mit einer Läsion der linken 
Hemisphäre verbunden sind. Wenn Marie nun zugesteht — was er tut —, daß 
die Aphasie eine spezielle, von anderen psychischen Störungen verschiedene Seelen¬ 
störung mit speziellen Centren in der linken Hemisphäre ist, so steht er damit 
auf dem Boden der geltenden klassischen Lehre und nicht im Gegensatz zu der* 
selben. Bezüglich der Leugnung der Brocaschen AsphaBie stützt eich Marie auf 
einig Autopsien, bei denen trotz motorischer Aphasie die dritte linke Stirn¬ 
windung intakt war, und andere, bei denen trotz Zerstörung dieser Windungen 
die Aphasie fehlte. Außerdem wiederholt er, daß die reine motorische Aphasie 
selten oder vielleicht nie vorkomme, daß stets eine stärkere oder geringere Wort¬ 
taubheit dabei sei und auch anatomisch die Wernickesche Gegend fast stets mit 
lädiert sei. In dieser Beobachtung sieht Verf. eine Erweiterung und Stütze der 
Lehre von der Rindenlokalisation, keine Widerlegung derselben. Am wenigsten 
kann er der Schlußfolgerung Maries zustimmen, die dahin lautet: bei jeder 
Aphasie besteht Worttaubheit, bei der motorischen besteht daneben die Un¬ 
möglichkeit zu sprechen: also Aphasie = Wernickesche Aphasie, Brocasche 
Aphasie = Wernickesche Aphasie + Anarthrie. Versteht man unter Anarthrie 
die Störungen,, die durch doppelseitige Läsionen im und unterhalb des Linsen¬ 
kerns hervorgerufen werden, so ist dieses Schema unverständlich und unzutreffend. 
Wohl tritt bei der Brocaschen Aphasie zur Worttaubheit noch etwas hinzu, das 
ist aber keine Anarthrie, sondern ein psychomotorisches, von der linken Hemi¬ 
sphäre allein geliefertes Element. Maries Arbeit hat das Verdienst, die oft 
unterschätzte Einheit und Einheitlichkeit des Sprachapparates in schärferes Licht 
gesetzt zu haben, hat aber keine Beweise für das Nichtvorhandensein dieser 
Centren, besonders des Brocaschen, geliefert. Aus den Schlußfolgerungen des 
Verf.’s seien folgende Formulierungen hervorgehoben: Die Sprache ist eine sensorio- 
motorische Funktion, die sowohl den centripetalen Weg vom Zeichen zur Idee, 
wie den centrifugalen von der Idee zum Zeichen umfaßt. Über den speziellen 
Sprachzentren liegen die „seelischen“ Centren (Frontallappen), unter ihnen die 
artikulatorischen (Basalganglien, capsulo-lentikuläre Region). Der Läsion jener 
entsprechen die Sprachstörungen der Geisteskranken, der Läsion dieser die Dys- 

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and Anarthrien; der Läsion der eigentlichen, für die automatische („polygonale“ 
nach Verf.) Sprachfunktion dienenden Centren entsprechen die Aphasien. Die 
Grenzen der letzteren Centren sind die bekannten, um die Fossa Sylvii herum 
angeordneten; unter ihnen besteht eine weitgehende Abhängigkeit. Meist ist die 
ganze Zone mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen. Läsionen, die vor¬ 
wiegend die hinteren Partien treffen, erzeugen Aphasien hauptsächlich psycho- 
sensorischer Natur; ist die vordere Hälfte mehr befallen, so ist die Aphasie in der 
Hauptsache eine psychomotorische. An diesen Grundlagen der Lehre haben die 
Pierre Marieschen Arbeiten nichts zu ändern vermocht. 

16) La fonetion da langage. Reottflcatlons & propos de l’artiele de 

M. Grasset, par Pierre Marie. (Revue de Philosophie. 1907. Februar.) 

Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Verf. erhebt gegen Grasset den Vorwurf der ungenauen Darstellung seiner, 
Verf.’s, neuer Aphasielehre und erklärt sich genötigt, ihm gegenüber dieselbe 
noch einmal in ihren Grundzügen darzulegen. Obgleich Schüler Brocas und 
Charoots, empfand er es in steigendem Maße, daß die klinischen Beobachtungen 
an Apbasischen selten oder nie dem Schema der Schule entsprachen. Da er seinen 
Beobachtungen mehr vertraute als dem Dogma, schloß er, daß dieses falsch sei. 
Er kam dahin, alle vier Sprachcentren, d. h. das sensorische, das motorische, das 
Lese- und Sohreibcentrum, zu leugnen, also keine Erweiterung und Modifikation 
der herrschenden Lehre, wie Grasset meint, sondern ein völliger Umsturz der¬ 
selben, worauf er größten Wert legt! Er hat nie eine reine Worttaubheit ge¬ 
sehen und da das Wortcentnum nur ans dem Bestehen dieser klinischen Form 
konstruiert worden ist, bestreitet er dessen Existenz. Das Wern icke sehe Centrum 
ist kein psychosensorisches, sondern ein intellektuelles Centrum, denn die Ver¬ 
ständnislosigkeit des Kranken für Worte nimmt zu mit der Kompliziertheit des 
Gesprochenen, ist für einfache Worte oft gar nicht erheblich! (Das stimmt wohl 
nur für eine Anzahl Fälle, kann aber kaum als Regel aufgestellt werden. Ref.) 
Außerdem findet man bei diesen Aphasischen meist auch noch andere „Intelligenz¬ 
defekte“. (Wenn Verf. als Beispiel dafür anführt, daß ein im übrigen ganz 
intelligenter Koch kein Spiegelei mehr machen kann und ähnliche auffallende Un¬ 
geschicklichkeiten, nicht mit dem Finger drohen, eine lange Nase ziehen usw., so 
übersieht er wohl das Vorliegen des Symptomenbildes, der Apraxie, das uns gerade 
gezeigt hat, wieviel gewonnen werden kann für das Verständnis der klinischen 
Formen, wenn man sich nicht mit der Feststellung des „Intelligenzdefektes“ be¬ 
gnügt Ref.) Für Verf. ist also die Läsion der Wernickeschen Gegend nicht 
von einer Störung der sensorischen Auffassung, sondern von einer solchen der 
intellektuellen Verarbeitung des Wortbildes gefolgt. Ein Centrum für Lesen und 
für Schreiben erklärt er schon deshalb für unmöglich, weil diese beiden Funktionen 
als allgemein menschliche Fähigkeiten viel zu jungen Datums sind, als daß sie 
sich anatomisch auf der Hirnrinde schon hätten niederschlagen können. Was 
den Eckstein der herrschenden Lehre, das Brocasche Centrum, anlangt, so weist 
Verf. nach, daß die beiden Fälle, die für Broca selbst die Grundlage seiner 
Lehre abgebeu — die Präparate liegen heute noch im Musöe Dupuytren in Paris 
aufbewahrt — völlig ungeeignet waren, dieselbe zu beweisen: im ersten bestand 
neben einer Erweichung in F 3 eine erheblich größere Läsion in der Wernicke¬ 
schen — damals natürlich noch „stummen“ Region; der zweite Fall, der ebenso¬ 
wenig wie der erste in Schnitte zerlegt war, zeigt nur eine allgemeine Atrophie 
der Windungen und Broca hat irrtümlicherweise bei ihm eine Herdläsion in F a 
angenommen (vgl. Ref. 14). Verf. hat nun sowohl aus der Literatur wie aus eigenen 
Beobachtungen eine ziemlich große Zahl von Fällen zusammengestellt und gibt ent¬ 


sprechende Abbildungen, in denen teils Brocasche Aphasie bei intakter 3. Stirn- 
windung bestand, teils bei Zerstörung der letzteren jede Sprachstörung fehlte. Er 


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folgert daraus, daß F s kein Sprachcentrum ist und daß die Brocusche Aphasie 
nichts ist als die Wernickesche Aphasie, bei der die artikulierte Sprache fehlt. 
Diese letztere nennt er Anarthrie. (Da diese Bezeichnung schon für Sprach» 
Störungen peripheren oder bulbären Charakters vergeben ist, ist hier das Irre¬ 
führende und Verwirrung Erzeugende zu finden, das auch Grasset in seiner 
Kritik aufgestoßen ist. Bef.) Diese Anarthrie in seinem Sinne verlegt Verf. in 
eine „lentikuläre“ Zone, die die Insel, die äußere und die innere Kapsel, den 
Linsen- und den Schwanzkern umfaßt. Ist diese lentikuläre Zone allein lädiert, 
so entsteht ein Ausfall, der der reinen motorischen Aphasie der klassischen Autoren 
entspricht. Ist die Wernickesche Zone allein von der Zerstörung betroffen, so 
beobachtet man klinisch die reine und einfache Wernickesche Aphasie, 
wobei nur die innere Sprache Störungen aufweist. Sind beide Zonen befallen, 
so entsteht die Brocasche Aphasie, und daraus entspringt die Formel, die 
so viel Anstoß erregt hat: Brocasche Aphasie = Wernickesche Aphasie + An¬ 
arthrie. 


17) Präsentation d’un oerveau senile aveo atrophie simple des oireon- 
volutions simnlant une lösten en foyer dans la rögion de la pariötale 
aseendante et de la 3 me frontale ä gauche, par Pierre Marie. 
(Bull, et Möm. de la Sociötö mödicale des Höpitaux de Paris. 1907. Febr.) 
Bef.: H. Haenel (Dresden). 

Verf. demonstriert einen an sich nicht seltenen Gehirnbefund, wo vor Ab¬ 
ziehung der Meningen sich zwei ausgeprägte, halb nußgroße Vertiefungen fanden, 
die genau wie Erweichungsherde aussahen. Nach Entfernung der Meningen zeigt 
sich, daß eine einfache senile Windungsatrophie vorliegt und die Einsenkungen 
durch die Kreuzungen der vertieften und verbreiterten Sulci vorgetäuscht sind. 
Der Fall ist besonders lehrreich, weil der eine der beiden Fälle Brocas, der ihm 
zur Begründung seiner Lehre diente, die gleichen Veränderungen aufweist, und 
Broca irrtümmlicherweise, weil er jenes Gehirn nicht seziert hat, Erweichungs¬ 
herde bei demselben diagnostiziert hat. (Ob der Pat., dem das demonstrierte 
Gehirn gehört hat, Symptome von Aphasie dargeboten hat, ist leider nicht an¬ 
gegeben. Bef.) 

18) Nouveau oas d’aphasie de Broca sans lösten de la troisieme frontale 
gauohe, par Pierre Marie et Francois Montier. (Bull, et Möm. de la 
Soc. möd. des Höp. de Paris. 1906. Nov.) Bef.: H. Haenel (Dresden). 

52 jähriger Mann, Bechtshänder, 1904 Schlaganfall mit rechtsseitiger Hemi¬ 
plegie und Aphasie. Der Kranke versteht einfache Aufträge, kompliziertere 
schlecht oder garnicht; sein Wortschatz ist sehr dürftig, er kann lückenhaft einige 
Beihen (Wochentage, Monatsnamen) aufsagen, die Worte sind aber durch para- 
phasische Beimengungen und Jargonaphasie entstellt. Gegenstände kann er nicht 
benennen, aber ihren Gebrauch markieren. Ziffernlesen gelingt, Bechnen unmöglich. 
Spontan schreiben kann er nur seinen Namen, Diktatschreiben aufgehoben. Also 
das klinische Bild einer Brocaschen Aphasie, d. h. nach Pierre Marie: 
Wernickesche Aphasie+Artikulationsstörungen. Autopsie: 3. linke Stirnwindung 
völlig intakt. Mehrere Erweichungsherde in der linken Hemisphäre, und zwar 
einer im Putamen des Linsenkernes, der zugleich in seinem hinteren Abschnitt 
die letzten Windungen der Insel, die Vormauer und die äußere Kapsel zerstört 
hat; ein zweiter und dritter in der 1. Temporalwindung, stellenweise auf die 2. 
übergreifend; ein vierter im Marke der Wernickeschen Zone, entlang dem 
Hinterhorn Bich ausdehnend. Schlußfolgerung: Die 3. linke Stirnwindung hat mit 
der Brocaschen Aphasie nichts zu tun, diese entsteht vielmehr durch eine Läsion 
in der „lentikulären Zone“ verbunden mit einer solchen in der Wernickeschen 


Zone. 

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19) Sur un cas de ramollissement de la 8 me eiroonvolution frontale 
gauohe che* un droitier, Sans aphasie de Broca, par Pierre Marie et 
Francois Montier. (Bull, et M6m. de la Soc. med. des Höp. de Paris. 
1906. Nov.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Es handelt sich um einen 55 jährigen Kranken, der seit 9 Jahren unter dem 
Bilde der präsenilen oder syphilitischen Demenz in Bicetre verwahrt wurde. Er 
war erblindet, zeigte ungeschickten nach hinten geneigten Gang, keinerlei Lähmungs¬ 
erscheinungen; psychisch zeichnete er sich durch eine außerordentliche Gesprächig¬ 
keit, fast Verbigeration aus; jeden Versuch sich ihm zu nähern oder ihn genauer 
zu untersuchen, beantwortete er mit Schimpfworten, von denen er ein reiches 
Vokabularium besaß, und heftigen Abwehrbe wegungen; nur gegen die Pflegerin 
war er höflich und sanft; er zeigte nie, auch nicht kurz vor seinem Tode, eine 
Störung der artikulierten Sprache. Er war Rechtshänder. Die Autopsie zeigte 
eine Erweichung des ganzen Fußes der 3. linken Stirnwindung bis zu seiner 
Insertion an der vorderen Central windung; eine ebensolche von kleinerem Umfange 
am Fuße der 1. linken Schläfenwindung, heraufreichend bis über den Rand des 
Gyrus supramarginalis. Die Centralganglien, speziell die sogen, lentikuläre Zone, 
waren intakt. — Das einzige Symptom, das intra vitam auf eine Läsion der 
Sprachgegend hätte hinweisen können, war die Verbigeration. Eine genauere 
Untersuchung des Sprachverständnisses, der Lese-, Schreibfähigkeit usw. war durch 
das Verhalten des Kranken und seine Blindheit verhindert. Jedenfalls ließ sich 
aber eine Brocasche Aphasie ausschließen, was, zusammengehalten mit der Zer¬ 
störung von eine weitere Stütze für die vom Verf. verfochtene Anschauung ist, 
daß die 3. linke Stirnwindung nichts mit der motorischen Aphasie zu tun hat. 

20) Nouveau oaa d’aphasie de Broca dans lequel la troisiöme circon- 
volution Arontale gauohe n’est pas atteinte, tandis que le ramollissement 
oocupe la zöne de Wernicke et les circonvolutlons motrices, par 
Pierre Marie et Fr. Montier. (Bull. et. Mem. de la Soc. med. des Hop. 
de Paris. 1907. Fevrier.) Ref. H. Haenel (Dresden). 

63 jähriger Mann, Rechtshänder, rechtsseitiger Schlaganfall. Nächsten Morgen 
versteht er keine Frage außer: „Schließen Sie die Augen!“, gibt nur unverständ¬ 
liche Laute von sich, ist absolut unfähig zu lesen oder zu schreiben. Autopsie 
nach 8 Tagen: Große Erweichung, die links die vordere und hintere Central¬ 
windung, die hinteren a / s von Fj, den ganzen Gyrus supramarginalis und den 
vorderen Pol von T, umfaßt. F 3 makroskopisch von völlig normaler Beschaffenheit. 

21) Aphasie motrloe saus lesion de la trolsiöme eiroonvolution Arontale, 
par M. Souques. (Bulletins ct Mömoires de la Sociöte m£dicale des Höpitaux 
de Paris. 1906). Ref.: S. Klempner. 

37 jährige Frau erleidet einen apoplektischen Insult mit nachfolgender rechts¬ 
seitiger Hemiplegie und totaler Aphasie. Sie kann nur die Worte: Tititi . . . 
oui . . . non .. . madame . . . merci hervorbringen. Es besteht Agraphie. Spontan 
kann sie nur ihren Namen, Vornamen, den Vornamen ihreB Mannes und ihrer 
Tochter schreiben, Nachscbreiben unmöglich, Kopieren gut. 

Außerdem besteht Worttaubheit (nur einzelne sehr gebräuchliche Worte ver¬ 
steht sie) und Alexie. 

Nur geringe Intelligenzstörung. 2 l / 2 Jahre nach dem Anfalle ExituB infolge 
von Pleuropneumonie. 

Bei der Autopsie fand Bich, abgesehen von einer Mitralaffektion, ein einziger 
Erweichungsherd im linken Schläfenlappen. Der Herd beginnt an der Sylvischen 
Furche, umfaßt die hintero Hälfte der ersten Schläfenwindung, zieht schräg nach 


abwärts und hinten über die zweite und ergreift zum Teil die dritte Schläfen¬ 
windung. Nach hinten reicht er bis zum Okzipitallappen. Die dritte Stirnwindung 



Auch in der Tiefe ist, wie sich auf Horizontalschnitten erweist, 

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die dritte Stirnwindung unversehrt, die hinteren Insel Windungen, die hinteren 
Hälften der beiden oberen Temporalwindungen und der äußere Teil des Linsen- 
kernes sind zerstört. Es würde demnach dieser Fall eine neue Stütze für die 
Aphasielehre Pierre Maries sein. Nach diesem Autor kommt der linken dritten 
Stirnwindung bei der sog. motorischen Aphasie keine Bedeutung zu. Die motorische 
Aphasie ist nur eine Wernickesche Aphasie -J- Anarthrie und eine Folge der 
Läsion der Temporoparietalzone von Wernicke + Linsenkernläsion. Erstere 
Läsion hat eine Wernickesche Aphasie, letztere eine Anarthrie, beide zusammen 
die sog. Brocasche Aphasie = Wernickesche Aphasie + Anarthrie zur Folge. 
Die häufige Mitbeteiligung der dritten Stirnwindung ist durch etwaB Akzidentelles 
und durch die anatomischen Verhältnisse bedingt. 

22) Mutisme, aphonie, amnöaie, aphasie — aphasie motrioe, amusie, surdite 
musloale, surditö verbale, eecite verbale, ceoitö psyohique, agraphie — 
ohes an hysterique reoemment gueri d’une monoplegie brachiale 
drolte, remontant a huit ans, par G. Raviart et L. Dubar. Arch. de 
Neurologie. XXII. 1906. Nr. 131) Ref.: S. Stier (Rapperswil.) 
39jähriger Tischler, Sohn eines Alkoholikers, bot vorher nie hysterische 
Symptome, bis er im Jahre 1896 eine leichte Schulterverletzung erlitt, in deren 
Folge eine allmähliche zunehmende schlaffe Lähmung des rechten Armes und voll¬ 
ständige Anästhesie desselben eintrat. Dieser Zustand blieb während 8 Jahren 
unverändert, bis Pat. plötzlich einmal in der Nacht naoh .lebhaftem Traum er¬ 
wachte und konstatierte, daß der Arm beweglich und nicht mehr gefühllos sei. 
Nach einigen Monaten im Anschluß an Gemütsbewegungen (vielleicht auch 
Alkoholezcesse) vorübergehende psychische Alteration; diese dauerte 4 Tage, dann 
völliger Mutismus, der nur nachts im Traum schwand. Zwei Tage später kann 
Pat. wieder sprechen, ist jedoch aphonisch und amnestisch. Die Amnesie ist 
stark ausgesprochen retro-anterograd, begleitet von leichter motorischer Aphasie, 
vollständiger Amnesie, leichter Worttaubheit, sehr deutlicher Wortblindheit und 
Seelenblindbeit, Agraphie. Kopfschmerz in der linken Schläfengegend. Pat. ist 
klar, orientiert, leicht melancholisch verstimmt. Von körperlichen Symptomen sind 
vorhanden: Hemispasmus im linken Facialis, Atrophie des rechten Armes, vielfach 
wechselnde sensible und sensorische Störungen, die sich bisweilen zu einer sensitivo- 
sensoriellen Hemianästhesie gruppieren. Laryngoskopischer Befund normal. 

Bei Isolierung und Suggestivbehandlung verschwanden Amnesie, Aphonie 
und Aphasie allmählich. Die im ganzen weniger deutlich ausgesprochene 
motorische Aphasie war nach einem Monat verschwunden, ebenso die Amnesie. 
Die nooh fehlenden Erinnerungen traten in direktem Anschluß an eine lebhafte 
Erregung plötzlich wieder auf, gleichzeitig verschwand die Aphonie. Die Wort¬ 
taubheit hatte nur 3 Monate angehalten, die Wortblindheit 4. Nach 7 Monaten 
bestand noch leichte Seelenblindheit und Agraphie. 1 Jahr nach dem Ausbruch 
aller dieser Störungen konnte Pat. als vollständig geheilt betrachtet werden. 

Die Diagnose bietet hier keine Schwierigkeiten. Die charakteristische Mono¬ 
plegie des Armes, die plötzliche Heilung nach dem Traum sichern die Annahme 
einer Hysterie. Der im Traum cessierende Mutismus, das Vorhandensein der 
Aphonie bei intaktem Sprachapparat, die retro anterograde Amnesie und dos Ein¬ 
setzen dieser Störungen in direkter Folge einer Gemütserschütterung, die ver¬ 
schiedenen und äußerst wandelbaren Sensibilitätsstörungen sind ebenfalls sehr 
charakteristisch. Die bedeutende Multiplizität und Variabilität der Symptome 
machen den Fall bemerkenswert. Außerdem wollen die Verfasser auf das — für 


sie nicht zufällige und auch speziell bei Hysterie keineswegs isoliert dastehende — 
Zusammentreffen der rechten Monoplegie und der aphasischen Störungen mit dem 
in der linken Schläfengegend lokalisierten Kopfschmerz hinweisen. Sie geben der 


Vermutung Raum, daß hier möglicherweise in der Hirnrinde die '„organische“ 


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Veranlassung zu suchen sei, die für den Ausbruch der hysterischen Störungen als 
agent provocateur diente und deren Lokalisation bestimmte. 

23) Über Agrammatismus und die Störung der inneren Spraohe, von K. H e i 1 - 

bronner. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke. 

Verf. stellte mit einem nicht belasteten jungen Mann, bei dem nach einer 
Stichverletzung der linken Schläfengegend neben anderen Lähmungserscheinungen 
ein gewisser Grad motorischer Aphasie zurückgebliebon war, eingehende, auf diese 
Sprachstörung hinzielende Untersuchungen an. Diese Untersuchungen erstreckten 
sich I. auf die Spraohfähigkeit, II. auf die Fähigkeit, Vorgesprochenes nachzu- 
sprechen, III. auf das Sprachverständnis, IV. auf das Lesen, V. auf das Schreiben, 
VI. auf Zerlegen der Worte in Buchstaben, VII. auf Kombination von Worten 
aus vorgelegten Buchstaben und VIII. auf die Ergänzung angefangener Worte. 

Interessant war zunächst die Störung, die der Sprache des Kranken das 
äußere Gepräge aufdrückte, der Agrammatismus, den Verf. als sichere Folge¬ 
erscheinung einer cerebralen Herderkrankung ansieht; er findet dabei, entgegen 
Ziehen, die Ansicht Picks bestätigt, daß der Agrammatismus nicht an bestehende 
geistige Schwäche gebunden sein muß. Den Sitz der den Agrammatismus be¬ 
dingenden Läsion verlegt Verf. in die Gegend der Brocaschen Stelle; eine direkte 
Beteiligung des sensorischen Centrums kommt dabei nicht in Frage. Die Unter¬ 
suchungen des Verf.’s ergeben weiter, daß eine Läsion im motorischen Gebiete 
die Wortwahl bzw. Wortfindung nicht beeinträchtigt, selbst wenn sie zu Agram¬ 
matismus und zu Störungen der inneren Sprache geführt hat. Die Resultate des 
Verf.’s, die unter VI aU Zerlegen der Worte in Buchstaben zusammengefaßt sind, 
verdienen weitere Erörterungen mit Rücksicht auf die sich zeigende Paraphasie. 
Diese zeigte sich, entgegen den Erwartungen der aus den Buchstabenversuchen 
Bich ergebenden Störung der inneren Sprache, nur ganz ausnahmsweise in der 
Spontansprache und beim Nachspreohen des Kranken. Beim Spontanschreiben 
trat Paraphasie oder besser geschriebene Paraphasie ein, aber nur für Worte, 
nicht für Zahlen, eine Beobachtung, die wir schon in Grasheys Arbeit über 
Aphasie und ihre Beziehung zur Wahrnehmung finden. Die Wirkung der Störung 
der inneren Sprache auf das Lesen hat sich nioht mit gleicher Anschaulichkeit 
fixieren lassen. Das Buchstabenlesen scheint überhaupt nicht geschädigt; auch 
für das Lesen einzelner Worte läßt sich eine grobe Verlangsamung nicht nach- 
weisen; als einzig sicheren Ausdruck einer vorhandenen Störung des Lesens von 
Worten möchte Verf. deshalb den Ausfall der Versuche VII (Kombination von 
Worten aus vorgelegten Buchstaben) bezeichnen. Der Kranke kam da in vielen 
Fällen nicht zustande, aus einigen wenigen Buchstaben, deren erster noch dazu 
in den meisten Fällen großgedruckt war, Worte zusammenzusetzen. Die Ergeb¬ 
nisse der Versuche unter VIII zeigten in klarer Weise, wie die Störung des 
inneren Gefüges nur das Buchstabenwort, nicht den zunächst wohl als klang¬ 
lichen aufzufassenden Gesamtkomplex des bekannten Wortes betraf. 

Nach der Ansicht des Verf.’s liegt es nun nahe, zwischen den zwei am meisten 
in die Augen fallenden Symptomen — dem Agrammatismus und der Störung der 
inneren Sprache — nach Beziehungen zu suchen, und ihre Abhängigkeit von der 
Schädigung in der motorischen Spracbregion unter einem gemeinsamen Gesichts¬ 
punkte zu betrachten, was Bonhoeffer in der Tat auBführte, wenn er sagt: Der 
Agrammatismus stellt hinsichtlich des Satzbaues eine ähnliche Störung dar, wie 
innerhalb des Wortgefüges die eigenartige Paraphasie und Paragraphie. 

Zum Schluß faßt Verf. Beine zum größten Teil sich aus obigem schon er¬ 
gebenden Folgerungen in folgende Sätze zusammen: 

1. Agrammatismus kann als Folgeerscheinung einer an sich nur unerheblichen 
motorischen Sprachstörung auftreten. 

2. Der Agrammatismus kann jahrelang stationär bleiben, auch unter Be- 


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dinguagen, die sonst eine Rückbildung aphasischer Symptome za begünstigen 
pflegen. 


3. Agrammatismus bei Aphasischen ist nicht gebunden an bestehende geistige 
Schwäche. 

4. Der Agrammatismus bei motorischer Aphasie ist nicht sekundäre Folge 
der Erschwerung des motorischen Sprechaktes, sondern eine primäre Ausfalls¬ 
erscheinung. 

5. Erhebliche Grade des Agrammatismus sind vereinbar mit kaum geschädigtem, 
vielleicht ganz Ungeschädigtem Verständnis der kleinen Satzteile und damit der 
zusammenhängenden Rede. 

6. Die Folgen einer leichten motorischen Störung können für den Satzbau 
schwerer sein, als für das innere Gefüge des Wortes (Buchstabenwort). 

7. Wie bezüglich des Agrammatismus, ist dann auch bezüglich des Wort¬ 
gefüges die Störung auf expressivem Gebiete (Schreiben) stärker als auf rezep¬ 
tivem (Lesen). 

8. Die Wortfindung im engeren Sinne kann trotz Agrammatismus und Störung 
des Wortgefüges intakt bleiben. 

9. Das Auftreten identischer Fehler beim Zerlegen der Worte in Buohstaben 
bei verschiedener Versuchsanordnung und in zeitlich getrennten Versuchen läßt 
die Hoffnung berechtigt erscheinen, Gesetzmäßigkeiten auch für die Art der 
pathologischen W T ortVeränderungen zu eruieren. 

24) Zur Frage der amnestisohen Aphasie und ihrer Abgrenzung gegenüber 
der transkortikalen und glossopsyohisohen Aphasie, von Dr. Kurt 

Goldstein. Aus der psych. Klinik in Freiburg i/B. (Archiv f. Psych. u. 

Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke. 

An der Hand einer sehr sorgfältigen Krankengeschichte einer 60 Jahr alten, 
an „amnestischer Aphasie“ leidenden Patientin beschäftigt sich Verf. eingehend 
mit dieser Frage. Er will nur dann von amnestischer Aphasie gesprochen wissen, 
wenn sich 1. als einziges Symptom die erschwerte Wortfindung bei erhaltenem 
Wiedererkennen ergibt, 2. Wortbegriff und Objektbegriff wirklich intakt sind. 
Da sowohl die kortikale motorische, wie sensorische Aphasie ohne Amnesie vor¬ 
kommt, kann der Sitz einer sie komplizierenden amnestischen Aphasie nicht in 
einer Läsion der Brocaschen oder Wernickeschen Stelle zu suohen sein. 

Die der amnestischen Aphasie eigentümliche erschwerte Wortfindung kommt 
durch drei Möglichkeiten zustande: 

1. durch Störung des Wortbegriffes, 

2. durch Störung der Assoziation zwischen Wortbegriff und Objektbegriff, 

3. durch Störung des Objektbegriffes. 

Mit vielem Recht wird der Sitz der Wortvorstellung in einem zwisohen der 
Brocaschen und Wernickeschen Stelle liegenden Gebiet angenommen; wir 
werden daher nicht fehl gehen, beim Auftreten amnestischer Aphasie, die eine 
motorische oder sensorisohe Aphasie kompliziert, an eine Läsion dieses Zwisohen* 
gebietes zu denken. 

Differentialdiagnostisch muß man die amnestische Aphasie abgrenzen, vor 
allem gegen die glosso-psychische und transkortikale Aphasie. 

Die transkortikale Aphasie wird vorwiegend in der Verwendung von Namen 
für weitere Begriffe zum Ausdruck kommen. Der glosso-psychisch Aphasisohe wird 
die Worte wesentlich paraphasisch und verstümmelt herausbringen; der eigentlich 
amnestisch aphasisohe Kranke wird sich vielerlei Umschreibungen bedienen. Die 
transkortikale Aphasie zeichnet sich ferner duroh mangelhaftes Verständnis für 
Gelesenes oder auf Diktat Geschriebenes aus, bei leidlicher Intaktheit der Funk¬ 
tionen selbst. 

Bei der glosso-psychischen Aphasie steht die Verwechslung von Buchstaben 


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beim Schreiben und Lesen im Vordergrund und die Störung kommt Worten gegen¬ 
über stärker zum Ausdruck, als bei einzelnen Buchstaben, die event. noch exakt 
gelesen und geschrieben werden können. 

Bei der amnestischen Aphasie sind dagegen Schreib- und Lesestörungen selten 
und betreffen am meisten das Schreiben. Sie sind dadurch charakterisiert, daß 
sie das Lesen und Schreiben von Buchstaben weit mehr alterieren, als das von 
Worten. 

Zum Schluß beschäftigt sich Verf. noch mit den Beziehungen der amnesti¬ 
schen Aphasie zu den Störungen des Gedächtnisses. Die diesbezüglichen Beob¬ 
achtungen bedürfen noch mehr der Vermehrung; die Frage ist zurzeit noch nicht 
spruchreif. 

25) Über Apraxie des Lidschlusses, von M. Lewandowsky. (Berliner klin. 
Wochenschr. 1907. Nr. 29.) Ref.: Kurt Mendel. 

64jähr. Wächter mit linksseitiger organischer Hemiplegie; geringe Parese 
des linken unteren Facialis, obere Facialis = . Pat. liegt mit geöffneten Augen 
im Bett, kann beide Augen willkürlich nicht schließen, kann sie aber weit auf¬ 
reißen, hingegen vermag er nicht die passiv geschlossenen Augenlider aktiv ge¬ 
schlossen zu halten. Spontaner Lidschlag vorhanden. Blinzelreflex sehr prompt, 
beiderseits gleich. Auch bei Beklopfen der Stirn starker Augenlidschluß. Kon- 
junktival- und Kornealreflex lebhaft. Den Blinzelreflex kann Pat. auf Aufforderung 
nicht unterdrücken. Ein Auge isoliert zu schließen gelingt Pat. nur zeitweise 
und dann auch nur auf einen Augenblick, ein Festhalten des Lidschlusses erfolgt 
nicht. Pat. schläft mit geschlossenen Augen. Bulbusbewegungen erschwert. 

Es handelt sich also um eine Vernichtung des aktiven Augenlidschlusses. — 
Verf. schließt zunächst Hysterie aus, besonders auch wegen der Promptheit des 
Blinzelreflexes. Es müssen unterbrochen sein die assoziativen Verbindungen des 
Rindencentrums für den oberen Facialis mit anderen Gebieten der Rinde, von 
denen der Impuls zum Lidschluß ausgeht. Verf. bezeichnet die Störung bei seinem 
Patienten als Apraxie des Lidschlusses. 

Der Herd in Verf.'s Fall braucht trotz der doppelseitigen Lidschlußstörung 
doch nicht doppelseitig zu sein; ähnlich wie die Sprache und — nach Liep- 
mann — das Handeln (auch der linken Hand) an die linke Hemisphäre ge¬ 
knüpft sind, ähnlich sind vielleicht andere Bewegungsformen, wie z. B. die Fähig¬ 
keit des Lidschlusses, lediglich an die rechte Hemisphäre gebunden — wenigstens 
bei einer Anzahl von Menschen. Der rechtsseitige Herd, welcher in Verf.’s Fall 
die linksseitige Hemiplegie bedingte, würde bei dieser Annahme die Unfähigkeit 
des doppelseitigen Lidschlusses erklären können. 

26) Zur Frage der Abgrenzung der ideatorlsohen Apraxie, von Marguliäs. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 16.) Ref.: Pilcz (Wien). 

34 jähriger Mann. Vor mehreren Jahren Lues. Seit Februar 1906 gelegentlich 
Parästhesien der rechten Körperhälfte. Seit Mai rechtsseitige epileptische Krämpfe 
mit folgendem Sprachverluste und Desorientiertheit. Seither spastische rechts¬ 
seitige Parese, rechtsseitige Hautsensibilitätsstörungen für alle Qualitäten, hoch¬ 
gradige Störungen des Lagegefühls und der Stereognose des rechten Armes, am¬ 
nestische Agraphie. Nach Anfällen Verstärkung der Erscheinungen und nahezu 
vollständige motorische Aphasie und Worttaubheit, die bald, in transkortikale 
Störungen übergehend, sich immer wieder zurückbildeten. Die Störungen des 
Handelns (welche durch zahlreiche Beispiele in der ungemein sorgfältig und 
detailliert gehaltenen Krankheitsgeschichte erläutert sind — vide Original) lassen 
sich auf mehrere Komponenten zurückführen. Eine ganze Reihe von Störungen 
entsprechen der ideatorischen Apraxie; andere Fehlreaktionen sind als motorisch- 
apraktisch zu deuten (namentlich, wenn Agnosie als Grundlage ausgeschlossen 
werden kann). Für die Beurteilung der Frage, ob eine Störung in concreto als 


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motorisch-apraktisch oder als ideatoriBch aufzufassen ist, d. b. ob sie durch Ab* 
treonuug der Innervation von der Idee oder durch Nichtauftauchen motorischer 
Innervationsempfindungen bedingt ist, besitzen wir allerdings ein sicheres Kriterium 
nur in der Einseitigkeit oder Doppelseitigkeit der Störung. 

Die scharfsinnigen Analysen des Verf.’s, namentlich gegenüber der Agnosie 
und motorischen Apraxie, mögen im Originale nachgelesen werden. 

27) Kortikale (Innervatorlaohe) Apraxie, von Kleist. (Jahrb. f. Psychiatrie. 
1907. XXVIIL S. 46.) Ref.: Pilcz (Wien). 

44jähriger Mann, Lues sichergestellt, wiederholt Schwindelanfälle und apo- 
piektische Anfälle, seit 18. Januar 1898 an der Hallenser Nervenklinik. 

Die ungemein sorgfältig geführte und ausführlich wiedergegebene Krankheits¬ 
geschichte, sowie das eingehende Studium der einschlägigen Literatur (wobei 
selbstverständlich vor allem Liepmann, Pick, Heilbronner u. a. zitiert 
werden), lassen Verf. zu folgenden Schlußfolgerungen über das anatomische Sub¬ 
strat der komplizierten klinischen Erscheinungen kommen. Es seien anzunehmen: 
Ein oder mehrere Herde, welche eine rasch vorübergehende linksseitige Hemiplegie 
!/ 4 Jahr vor der ersten Aufnahme bewirkt hatten; daran anschließend Hypästhesie 
und Parästhesien in der linken Hohlhand. Es handelte Bich also wahrscheinlich 
um Herde innerhalb oder in der Nachbarschaft der rechten Centralwindungen, 
bzw. ihres Stabkranzes. 2. Um dieselbe Zeit müssen Herde in der Gegend der 
Brocaschen Windung, bzw. ihres Marklagers aufgetreten sein; der Kranke litt 
schon damals vorübergehend an artikulatorischen Störungen. 3. Ein Herd inner¬ 
halb oder in der Nachbarschaft der linken hinteren Centralwindung, bzw. ihres 
Stabkranzes, welcher die vorübergehende rechtsseitige Gefühllosigkeit in der 
Zwischenzeit zwischen der ersten und zweiten Aufnahme zur Folge hatte. (5. Febr. 
bis 9. Juni 1898.) 4. Neue Herde in der Brocaschen Windung und Herde in 

der Gegend der Wernickeschen Stelle, kurz vor der zweiten Aufnahme, welche 
die schwereren motorisch- und sensorisch-aphasischen Störungen, die Pat. damals 
zeigte, bewirkt hatten. 5. Mitte Juni 1898 eine oder mehrere Erweichungen mit 
anschließend delirantem Zustande. Die vorübergehende rechtsseitige Blicklähmung 
und rechtsseitige Hemianopsie, die vorübergehende Schwäche des rechten Armes 
(wahrscheinlich mit Sensibilitätsstörungen), sowie die Bensorisch-aphasischen Stö¬ 
rungen verweisen auf den linken Scheitellappen und die Nachbarschaft der oberen 
Schläfe. (Außerdem sind ob der häufigen Sohwindelanfälle zahlreiche kleinere Er¬ 
weichungen und Blutungen anzunehmen.) 

Herd 1 und 3 nun betreffen das Gebiet der beiderseitigen Centralwindungen, 
in denen die Substrate der Innervationen sicher zum größeren Teile gelegen 
sind. Wenn Teile der Frontalrinde ebenfalls innervatorischen Leistungen dienen 
sollten, so stimmte dies hier mit Herd 2. Die weniger hochgradige linksseitige 
Apraxie ist vielleicht zum Teile Folge der linkshirnigen Herde (Liepmanns 
links apraktische, rechts gelähmte). Da aber auoh das rechte Sensomotorium (3) 
erkrankt sein dürfte, läßt sich nicht entscheiden, ob und wieweit die linksseitige 
Apraxie selbständig oder sympathisch ist. 

Bezüglich aller näheren Einzelheiten, sowie der sehr ausführlichen epikritischen 
Bemerkungen sei auf das Original verwiesen. 

28) Beitrüge zur Apraxielehre, von Hartmann. (Monatsschr. f. Psych. u. 

Neur. 1907. XXL Heft 2 und 3.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Ausgezeichnete klinische und pathologisch-anatomische Studie über drei ein¬ 
schlägige Fälle mit eingehender Würdigung der Liepmannschen Ergebnisse. 
Hingewiesen sei auf die anschauliche Figur 1 Seite 269: Eintragung der 3 Fälle 
und des Liepmannschen Falles in einen Horizontalschnitt. Die Ergebnisse sind 
folgende: 

1. Tatsächliche Ergebnisse: 1. Fall: Ein Tumor im Bereiche des linken 


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Stirnhirnes, welcher die Rinde der Brocaechen Windung und die angrenzenden 
Markpartien schon verschont gelassen hat und mit zapfenförmigem Fortsätze medial 
bis vor die vorderen Thalamusebenen in die linke Balkenhälfte, mit einem anderen 
zapfenförmigen Fortsatze vor dem Balkenknie in die medialen Partien des rechten 
Stirnhirns sich erstreckt, ließ die übrigen Hirnpartien, insbesondere die Central¬ 
windungen frei. 

Als motorische Krankheitserscheinungen bestanden: Links: Teil weiser Ausfall 
wie rechts. Teilweise zweckgemäße Bewegungsabläufe innerhalb der Anregungen 
und Kontrolle seitens eines Sinnessystems. Rein gedächtnismäßige Objekthand¬ 
lungen und Ausdrucksbewegungen apraktisch. Erhalten sind die Eigenleistungen 
und das optische Nachahmen. Rechts: Ausfall von Bewegungsabläufen auf die An¬ 
regungen der links- und rechtsseitigen Sinnessphären und Erinnerungsfelder (Akinese). 

Erhalten blieb das Nachahmen passiver Bewegungen in derselben und in der 
gekreuzten Seite. 

2. Fall: Ein Tumor, welcher den kompakten Teil des Balkens von den Ebenen 
der vorderen Kommissur bis an sein hinteres Ende nahezu vollkommen zerstört 
hatte, das Areal desselben nirgends überschreitet, nachweislich die übrigen Hirn¬ 
partien nicht einbezogen hat, ist begleitet von motorischen Krankheitserscheinungen: 
Links: Bewegungsabläufe, von verschiedenen Sinnessystemen angeregt, fallen zum 
Teil überhaupt aus, zum Teil finden sich statt ihrer vertrackte Bewegungen; die 
Eigenleistungen des Sensomotoriums des Armes sind erhalten, ebenso das Nach¬ 
ahmen passiver Bewegungen auf derselben Seite. Rechts: Bewegungsabläufe sind 
zumeist prompt von verschiedenen Sinnesgebieten auslösbar. 

Ausschaltung der kontrollierenden Tätigkeit des optischen Systems hat mit¬ 
unter akinetische Erscheinungen oder Bewegungswechslung zur Folge. Erhalten 
sind ebenso die Eigenleistungen und die Nachahmung passiver Bewegungen auf 
derselben Seite. 

Die Nachahmung passiver Bewegungen einer Körperseite durch Aktion der 
anderen ist unmöglich. Zweihändige Bewegungsfolgen sind unmöglich. Es be¬ 
stehen auf dem Gebiete statisch-lokomotorischer Tätigkeit statt jeglicher zweck¬ 
gemäßer Bewegung vertrackte, rudimentäre oder akinetische Erfolge mit Ausnahme 
der elementaren Schrittbewegung der Beine (Eigenleistung?). 

3. Fall: Eine Blutung in das Marklager der 2. Frontalwindung rechts von 
ca. Wallnußgröße hat an motorischen Krankheitserscheinungen zur Folge: Links: 
Bewegungsabläufe (speziell Objekthandlungen bei präsentem Objekt oder rein 
gedächtnismäßig) von verschiedenen Sinnessystemen angeregt, fallen zum Teil 
überhaupt aus (Akinesen), zum Teil treten amorphe, vertrackte Bewegungen auf. 
Rechts: intakte motorische Tätigkeit. 

2. Deutung der Ergebnisse: Näher noch nicht umgrenzbare Anteile des 
Stirnhirns sind in die Mechanik der motorischen Großhirntätigkeit eingeschaltet 
analog dem Verhältnis der Brocaschen Region zur motorischen Sprachfunktion 
der Centralwindungen. Antriebe zu Bewegungsabläufen, ausgehend von den Sinnes¬ 
regionen, werden den Centralwindungen durch Mitwirkung des Stirnhirns über¬ 
mittelt. Bei Herd im linken Stirnhirn entsteht totale Apraxie rechts, das rechte 
Stirnhirn bedarf der Mitwirkung des linken und der Verbindung mit den anderen 
Sinnessphären. Fällt das linke Stimhirn aus, bo leidet links das gedächtnismäßig 
garantierte Continuum der Bewegungsabläufe. Bei Ausfall des Balkens entsteht 
Leitungsapraxie der linken Seite bei erhaltenem Bewegungsgedäohtnis. Die 
höheren motorischen Leistungen der voneinander getrennten Hemisphären sind also 
verschiedenartig. 

29) Über eine direkte Leitung vom optieoben sum kinftsthetisohen Binden- 

oentrum der Wort- und Buchstabenbilder, von Niessl v. Mayendorf. 

(Wiener klin. Wochensohr. 1906. Nr. 45.) Ref.: Pilcz (Wien). 

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Seniles Individuum erleidet Oktober 1903 einen apoplektischen Insult. Bei 
der Aufnahme rechtsseitige spastische Hemiplegie, anscheinend optische Asymbolie, 
Worttaubheit, Sprachlosigkeit, Alezie, Agraphie. Wortveretändnis bessert sich 
ein wenig. Am 18. Februar 1904 so ziemlich dasselbe Bild, Lesen unmöglich, 
doch ist das Bilderverständnis intakt. 7./VII. 1905: Pat. versteht Gesten (optische 
Eindrücke), jedoch nur ab und zu, was man ihm sagt. Geschriebenes und Ge* 
drucktes kann Pat. zeitweilig lesen, doch immer nur wenige Worte. 25./II. 1906 
dritte Aufnahme (wegen psychischer Veränderungen, die hier nicht weiter rele¬ 
vant sind). 

Stat. praesens: Pupillen reagieren, r. > 1. Rechte Nasenlippenfalte tiefer. 
Patellarsehnenrefleze beiderseits sehr lebhaft. Sensorische Aphasie (Worttaubheit, 
die sich teilweise rückgebildet hat, hochgradige Paraphasie, Rededrang, Perseve- 
rieren). Dabei tritt aber die überraschende Erscheinung zutage, daß, während 
das spontane Sprechen, das Nachsprechen, die Fähigkeit des Benennens vor* 
gehaltener Gegenstände duroh verbale und litterale Paraphasie geradezu vernichtet 
schien, Pat. laut zu lesen vermochte, was nur selten durch Verstümmlung 
oder Verwechseln eines Wortes gestört war. (Verf. zitiert nach Kussmaul einen 
Fall, der bis auf unverständliches Gemurmel nicht reden konnte, Geschriebenes 
oder Gedrucktes aber laut und deutlich las.) 

Unter Heranziehung eigener früherer Arbeiten und Stellungnahme zu den 
Wernickeschen Lehren kommt Verf. in recht lesenswerten epikritischen Be* 
merkungen zu folgenden Schlüssen: Es ergibt sich 

1. die Existenz einer direkten physiologischen, wenn auch nicht 
anatomischen Verbindung zwischen den kortikalen Centren der op¬ 
tischen und kinäBthetischen Wort* und Buchstabenvorstellungen, 

2. die Belanglosigkeit der Klangbilder für die optische Wahr* 
nehmung der Worte und Buchstaben. 

SO) Über die anatomisoh-hlstologisohe Grundlage der sogen. Rindenblind¬ 
heit und über die Lokalisation der kortikalen Sehsphäre, der Maoula 
lutea und der Projektion der Retina auf die Rinde des Oooipital- 

lappens, von Wehrli. (Graefes Archiv f. Ophthalmologie. LXII.) Ref.: 

Liepmann (Pankow/Berlin). 

Im Monakowschen Institut und unter dessen Leitung hat Verf. ein Gehirn 
mit doppelseitiger Hemianopie äußerst gründlich untersucht und in vorliegender 
Arbeit eine musterhafte Beschreibung des Befundes gegeben. Der klinische Be¬ 
richt ist schon früher von Monakow selbst mitgeteilt, auf den Fall auch in der 
2. Aufl. von Monakows Gehirnpathologie mehrfach Bezug genommen worden. 

Bei dem Kranken trat apoplektisch totale Blindheit auf, links blieb sie voll¬ 
ständig bestehen, rechts restituierte sich das Sehvermögen nur bis zur Unter¬ 
scheidung von hell und dunkel. Das centrale Sehen blieb bis zum Tode auf¬ 
gehoben, der 3 Monate nach dem Insult eintrat. Durch den frühen Tod entstand 
der Vorteil, daß auf Pal-Präparaten noch keine nennenswerte Degeneration das 
Studium der primären Zerstörung behinderte. 

Makroskopisch schien es sich um rein kortikale Erweichung im Gebiet 
beider Fissurae calcarinae, ähnlich wie in dem Falle von Henschen-Nordenson 
und Förster-Sachs, zu handeln. Beide Art. occip. waren nach Abgang der 
Art. temp. durch Thromben verlegt. 

Im Gegensatz zu diesem Anschein ergab die mikroskopische Untersuchung 
eine starke primäre Mitschädigung des Markes. Alle drei sagittalen Marklager 
sind stark mitbetroffen und ihre Verbindungen mit den Windungen der Konvexität 
geschädigt. Es ist also die Sehstrahlung primär mitlädiert, ein nach dem Ver¬ 
fasser obligatorisches Verhältnis, da die Sehstrahlung dieselbe Gefäßversorgung 
hat wie die Calcarinawindung. 


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Trotz Anerkennung variierender Gefäßbezirke und Anastomosen sieht Verf. in 
der Mißachtung dieses Umstandes die Quelle von folgenschweren Irrtümern: die 
Annahme eines auf die Calcarinarinde begrenzten Sehcentrums, das eine Projektion 
der Retina darstelle, sei aus Verkennung dieses Umstandes hervorgegangen. 

Verf. unterwirft die Fälle von Henschen und anderen Autoren einer ein¬ 
greifenden Kritik und bezweifelt, daß bei diesen es sich wirklich jemals um eine 
rein kortikale Läsion gebandelt habe. Sei schon die Beschränkung der SehBphäre 
auf die Calcarinagegend durch das beigebrachte Material nicht bewiesen und aus 
allgemeinen Gründen nicht haltbar, so beruhe gar die inselförmige Lokalisation 
der Macula und der einzelnen Gesichtsfeldquadranten auf die Rinde auf Trug¬ 
schlüssen. 

Verf. durchspricht die ganze Literatur mit dem Ergebnis, daß rein kortikale, 
mit hemianopischer Sehstörung verknüpfte Läsionen bisher nicht beobachtet seien 
und die darauf gebauten Schlüsse daher der Begründung entbehren. 

Verf. will nicht einmal in der Sehstrahlung eine Sonderung nach Quadranten 
zugestehen. Die Gesichtsfeldausfälle bei gleichen Läsionen der occipito-thalamisohen 
Bahn seien viel zu widerspruchsvoll, um eine Bolche Ordnung des Faserverlaufes 
anzunehmen. Er verficht auf Grund des vorliegenden und anderer Fälle mit 
großer Entschiedenheit die Lehre Monakows, wonach der ganze Hinterhaupts¬ 
lappen einschließlich des hinteren Abschnittes des Gyr. angul. das optische Rinden¬ 
feld darstelle und insbesondere die Macula eine sehr diffuse Verbreitung habe, 
gegen die Lehre der „Centralisten“, besonders Henschens. 

Die Arbeit vertritt ihren Standpunkt in ausgezeichneter Weise und die auf 
reiches Material gestützten klaren Erörterungen machen sie zu einer wichtigen 
Etappe in dem Beit Jahrzehnten wogenden Kampf um die Lage und Physiologie 
des Sehcentrums. Indem ich dieses voll anerkenne, möchte ich doch einige der 
wichtigsten Bedenken nicht verschweigen: So ist jetzt allgemein zugestanden, daß 
der Fase. long. inf. reichlich Projektionsfasern enthält. Diese Schicht ist aber bei 
dem Falle des Verf.’s auf vorderen Schnitten in nennenswertem Umfange erhalten, 
ebenso wie frontalere Partien der inneren Sagittalschicht (Taf. X, 5 bis 8), so daß 
ein etwaiger Anschluß der optischen Bahnen an den Gyros angul., die erste und 
zweite Occipitalwindung durch den Herd nicht unterbrochen war. Warum ist 
trotzdem das centrale Sehen nach 3 Monaten nicht wiedergekehrt, wenn die Macula 
auch an der Konvexität vertreten ist? Warum ist links trotz desselben Umstandes 
auch nicht ein Lichtschein wiedergekehrt? 

Die Berufung auf Diaschise dürfte hier nicht ausreichen. Ferner bleibt bei 
der Auffassung des Verf.’s die doch nicht zu leugnende Existenz von Quadranten- 
hemianopien bei Occipitalherden vollkommen rätselhaft. 

Ich glaube daher, daß dieser radikale Standpunkt der Proklamierong der 
Ubiquität der Macula und Retinavertretung im ganzen Hinterhauptslappen doch 
der centralistischen Lehre noch erhebliche Zugeständnisse wird machen müssen. 


Psychiatrie. 

31) Automatisches Sohreiben und sonstige automatische Zwangsbewegungen 
als Symptome von Geistesstörung, von v. Bechterew. (Monatsschrift f. 
Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 
Wahnvorstellungen Geisteskranker beruhen in manchen Fällen ganz oder zum 
Teil auf Erscheinungen, die zur Gruppe der automatischen Bewegungen gerechnet 
werden können. Diese letzteren äußern sich in Manipulationen, Schreiben usw., 
die ohne und selbst gegen den Willen der Kranken erfolgen. Es wefden zwei 
Fälle mitgeteilt und daran einige Bemerkungen geknüpft, nach denen die ge¬ 
dachten Erscheinungen „bei verschiedenartigen Psychosen, die mit reichlichen 


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Sinnestäuschungen einhergehen“ auftreten; sie sind danach nicht so sehr selten, 
treten besonders bei dem vom Verf. beschriebenen „hypnotischen Zauberwahn“, 
sowie bei hysterischen Psychosen auf. In psychologischer Beziehung handelt es 
sich „um Einflüsse der sog. außerbewußten Sphäre bezw. des Gemeinbewußtseins 
auf die Motilität“. 

32) Remarques sur la stdröotypie graphique, par A. Antheaume et Boger 
Mignot. (L’Encöphale. 1906. Juli/August.) Bef.: Baumann (Breslau). 
Der von den Verff. geschilderte Fall war charakterisiert durch die wenn 
nicht völlige, so doch mindestens relative Unversehrtheit der intellektuellen und 
affektiven Fähigkeiten und durch die Annahme einer Beihe von Gewohnheiten 
motorischen Ursprungs. Verfolgungsideen und Halluzinationen bestanden, kamen 
aber erst in zweiter Linie in Betracht Das Eigenartige an dem Falle, das die 
ausführliche Publikation veranlaßte, war folgendes: Seit 8 Jahren übergibt der 
Pat. dem Arzte regelmäßig zweimal die Woche drei Briefe, der eine adressiert 
an seinen Vater, der andere an jeden seiner beiden Brüder. Diese Briefe, von 
denen über 200 in den Händen der Verff. waren, sind ohne Unterschied in den 
gleichen Ausdrücken gehalten. Die Worte sind nicht nur dem Sinn, sondern 
auch der Form nach identisch. Die Briefe sind derart, daß man glauben könnte, 
eie wären mit einer Stereotypplatte geschrieben. Vom Monat Juni 1905 ab be¬ 
obachtete man ein Abnehmen der Genauigkeit in den Schriftzügen, gleich als ob 
die Stereotypplatte durch längeren Gebrauch ihre Schärfe verloren hätte. Zu¬ 
nächst dachte man daran, daß es sich um die Vereinfachung eines zuerst kom¬ 
plizierteren Automatismus handelte, und daß diese eine schnelle Intellektabnahme 
bedeutete. Es stellte sich jedoch heraus, daß die ursprüngliche Stereotypie nur 
durch das Hinzukommen psychomotorischer Phänomene maskiert wurde. Die Verff. 
sind der Ansicht, daß solche graphische Stereotypien wie die geschilderte gar 
nicht so selten seien, wie man a priori denken könne, man habe nur nicht ge¬ 
nügend darauf geachtet. Nach dem Grunde gefragt, warum er stets die gleichen 
Briefe schreibe, gab Pat. in den ersten Jahren gar nichts an, in letzter Zeit gab 
er folgende Erklärung ab: Er wolle gegen seine Internierung protestieren; um 
diese Idee auszudrücken, habe er eine Formel gefunden, welche die einzige wahre 
und richtige sei, die es geben könne, und er habe keinen Grund, sie zu ändern. 
33) Vergleichende Untersuchung einiger Psychosen mittels der Bildchen* 
benennungsmethode, von v. Schuckmann. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. 
XXI. 1907.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. hat an 5 Fällen mit der in der Aufschrift genannten Methode unter¬ 
sucht 1. ob die Form der Beaktion auf optische Eindrücke die gleichen Ab¬ 
weichungen in den einzelnen Fällen zeigt wie die Beaktionsform auf die üblichen 
Wortreize, 2. ob die „optische Verblödung“ proportional ist dem Grade der All¬ 
gemeinverblödung. Untersucht wurden ein Fall von Eorsakoff, Hebephrenie, 
Melancholie, Paralyse und senilem Schwachsinn. Es ergab sioh, daß im einzelnen 
Fall der Beaktionsinhalt wächst proportional der Detaillierung und (um 20°/ o ) 
durch Kolorierung des Beizbildes; der Beaktionsinhalt nimmt umso mehr ab, je 
zusammengesetzter und reicher an gesonderten Einzeldarstellungen das Beizbild 
ist. Besonders große Defekte ergaben sich bei senilem Schwachsinn und Korea- 
ko ff. Wie weit im einzelnen die Verhältnisse der fünf Patienten als typisch für 
die Psychosen gelten können, sollen weitere Untersuchungen ergeben. 

34) Häufigkeit und Ursachen seelischer Erkrankungen in der deutschen 
Marine unter Vergleich mit der Statistik der Armee, von Marinestabs¬ 
arzt Dr. Podestä in Berlin. (Archiv f. Psyohiatrie. XL.) Bef.: G. Ilberg. 
Der Übergang aus dem Civilleben zum Marinedienst wie die erste Dienstzeit 
in der Marine gilt nicht in dem Maße wie beim Heere als auslösendes Moment 
für geistige Erkrankungen. Die höhere Zahl der bei der Marine wegen Geistes- 

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krankheiten Invalidisierten läßt auf ungünstige Einwirkungen des Marinedienstes 
schließen, die sich erst im längeren Verlauf desselben geltend machen. 

An Neurasthenie und Hysterie bzw. an entsprechendem Irresein erkranken 
viele, namentlich Personen mit längerer Dienstzeit: ältere Unteroffiziere, Deck¬ 
offiziere, Offiziere; ein großer Teil dieser Kranken wird geheilt. Die Selbstmord- 
neigung ist in der Marine geringer als in der Armee. Die vorgekommenen Selbst¬ 
morde betreffen vorzugsweise Unteroffiziere. Ungünstige und ungewohnte Ver¬ 
hältnisse des Klimas, der Körperpflege, enge Unterkunft, eintönige Ernährung, 
mangelnde Abwechslung und Erholung bringt besonders noch der längere Aufent¬ 
halt an Bord und in ausländischen Qewässern mit sieb. Kombinieren sich diese 
Faktoren mit den Einflüssen der Hitze — sowohl in Gestalt der Tropenhitze als 
auch der in den Heiz- und Maschinenräumen erzeugten —, so kommt es oft zu 
Hitzschlag mit sich anschließenden Psychosen. Unglücksfälle, besonders solche mit 
Beteiligung des Kopfes können seelische Erkrankungen auslösen; dasselbe gilt von 
langdauernden Einwirkungen großer körperlicher und geistiger Anstrengungen. 
In den Tropen endemisch und epidemisch auftretende Infektionskrankheiten wie 
Malaria, Ruhr und Syphilis haben ebenso wie Alkoholvergiftungen unter dem 
Einfluß des Klimas und der Bodenverhältnisse wiederholt zu Geistesstörungen ge¬ 
führt. Als auslösende Ursachen kommen auch heftige und andauernde Gemüts¬ 
erregungen infolge dienstlicher und privater Unannehmlichkeiten, sowie die Aus¬ 
sichtslosigkeit auf baldige Änderung in Betracht. Bei allen diesen Momenten 
stellen sich jedoch Psychosen nach den Beobachtungen des Verf.’s nur dann ein, 
wenn ererbte Disposition oder epileptische, neurasthenische bzw. hysterische Ver¬ 
anlagung vorher bestanden. Wie bei der Armee herrschen auch bei der Marine 
die verschiedenen Schwachsinnsformen speziell bei den Rekruten vor. In der 
späteren Dienstzeit sind bei der Marine vor allem Paranoia (wohl paranoide Form 
der Dementia praecox! Ref.), Paralyse und das alkoholische Irresein vertreten. 
35) Die Insnition im Verlaufe von Geisteskrankheiten und deren Ursachen, 

von Dr. G. Dreyfus. Aus der pBych. Klinik zu Würzburg (Prof. Rieger). 

(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Bef.: Heinicke. 

Aus der Körpergröße eines erwachsenen Patienten — es ist fast gleich, ob 
Mann oder Frau — und dem Quotienten aus dieser in Centimetern, dividiert 
durch das augenblickliche Körpergewicht in Kilogrammen, kann man einen Schluß 
ziehen, ob der betreffende Patient zu gut oder zu schlecht genährt ist. Für die 
einzelnen Körpergrößen gibt uns nämlich Verf. eine anschauliche Tabelle mit dem 
Normalquotienten — einer bestimmten Körpergröße entspricht ein bestimmtes 
Gewicht —, die im Original einzusehen ist. Hier sei nur soviel gesagt, daß für 
die am häufigsten vorkommenden Größen von 156 bis 176 cm der Normalquotient 
3,0 bis 2,5 ist. Hierzu ein Beispiel: Wiegt z. B. jemand bei 156 cm Körper¬ 
größe nur 39 kg, hat er also den Quotienten 156/39 = 4,0, statt 3,0, so ist er 
viel zu mager. Den Grad seiner Abmagerung bestimmen wir durch die Rechnung 

3,0 X 100:4 = X 
X = 300:4 = 75; 

sein Gewicht beträgt also 76°/ 0 des mutmaßlichen Normalgewichtes; die mutma߬ 
liche Abmagerung also 26°/ 0 . Die Grenze der Abmagerung, bei der der Tod 
unrettbar eintritt, beträgt nach Chossat etwa 40 bis 45°/ 0 des mutmaßlichen 
Initialgewichtes. 

Nach diesen einleitenden Erörterungen weist Verf. überzeugend nach, daß 
die Inanition bei der Ätiologie der Psychosen fast keine Rolle Bpielt, daß man 
mit dem Wort Inanitionspsychose äußerst zurückhaltend sein soll. Die Inanitions- 
zustünde, die wir so oft bei Geisteskranken finden, sind meist Folge der psychi¬ 
schen Erkrankung, also sekundär. Die einen treten nur aus rein äußeren Gründen 
auf, infolge z. B. durch Wahnideen hervorgerufener Verminderung oder vollständiger 


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Unterbrechung der Nahrungsaufnahme. Wassergenuß verlängert das Leben; das 
wissen auch die Hungerkünstler. Dabei zeigt es sich, daß im Verlauf von In« 
anition mit Wassergenuß das Eiweiß im Urin zu fehlen scheint und höchstens 
wieder nach reichlicher Nahrungsaufnahme im Anschluß an dieselbe auftritt, 
während bei gleichzeitiger Enthaltung vom Trinken in den vom Verf. beobachteten 
2 Fällen Albuminurie eintrat. Nahrungsverweigernde Kranke, überhaupt unter 
der Einwirkung der Inanition stehende Kranke fallen leicht schweren Krankheiten 
zum Opfer, ehe die Inanition ihren Höhepunkt erreicht hat; deshalb ist auch der 
reine Inanitionstod selten. Das Hirn nimmt übrigens an der allgemeinen Atrophie 
so gut wie nicht mit teil; fängt aber Beine Beteiligung an, dann Bteht auch der 
Exitus baldigst bevor. Die Widerstandsfähigkeit des Gehirns beruht auf der bis 
jetzt völlig unaufgeklärten Einrichtung des menschlichen Körpers, daß zuerst die 
Gewebe atrophieren, die am wenigsten gebraucht werden, und die zum Leben 
wichtigen Organe, in allererster Linie das Centralnervensystem, ganz zuletzt er* 
griffen werden. 

Durch innere Ursachen hervorgerufene Inanition finden wir bei der Paralyse 
und der Katatonie, sowie bei den ihr verwandten Zuständen. Nach der Ansicht 
des Verf.’s sind diese Stoffwechselanomalien direkt bedingt durch den Krankheits* 
prozeß im Centralorgan, eine Ansicht, die der bekannten Autointoxikationstheorie 
Kraepelins scharf gegenübersteht. 

Die Auffassung des Verfi’s, daß der Decubitus bei der Paralyse auf trophischen 
Störungen beruhe und deshalb quasi unvermeidbar Bei, kann Ref. nach seinen Er¬ 
fahrungen nicht teilen; er schließt sich in diesem Punkte ganz Kraepelin an, 
daß die „sogenannten trophischen“ Störungen ausnahmslos durch äußere Schädigungen 
entstehen, also fast stets vermeidbar sind. 

Zum Schluß sei auf die in der Arbeit enthaltenen zahlreichen, teilweise recht 
interessanten Krankengeschichten hingewiesen. 

36) Erkrankung der Nebennieren bei periodischem Irresein, von W. Mura- 

toff. (Zeitgenössische Psychiatrie. 1907. März.) Ref.: A. Gannuschkina. 

Auf Grund seiner Untersuchungen kam Verf. zu folgendem Resultat: 

1. In zwei Fällen periodischen Irreseins mit manischen Anfällen wurde eine 
Erkrankung der Nebennieren festgestellt, und zwar in Form von parenchymatöser 
und interstitieller Entzündung; der Charakter des anatomischen Prozesses — akut 
und chronisch — entsprach vollständig dem klinischen Typus der Krankheit, 
akuter nnd wiederkehrender. 

2. Da die Erkrankung der Nebennieren bei Infektionskrankheiten und Arterio¬ 
sklerose auch ohne psychische Erkrankung auftritt, kann man nicht unbedingt 
das genetische Band der Affektion der Nebennieren mit periodischem Irresein be- 
haupten. 

3. Wenn man aber nach dem klinischen Bilde das periodische Irresein als 
Selbstvergiftung annimmt, wenn man ins Auge faßt, daß in zwei Formen aus¬ 
gesprochenen Irreseins — Katatonie und periodisches Irresein — zwei verschiedene 
Drüsen erkranken: die Schilddrüse bei ersterer, die Nebennieren bei letzterer, 
wenn man dann noch in Betracht zieht die bewiesene Beziehung dieser Drüsen 
zu den Funktionen des Nervensystems und des Biochemismus, kann man als wahr¬ 
scheinlich halten, daß die Erkrankung der Nebennieren irgend eine Rolle in dem 
klinisohen Bilde des periodischen Irreseins spielt. 

87) Über periodische Paranoia und die Entstehung der paranoisohen Wahn¬ 
ideen, von Dr. Gierlich, Nervenarzt in Wiesbaden. (Archiv f. Psych. u. 

Nervenkrankh. XL.) Ref.: G. 11 berg. 

Verf. bringt die Krankengeschichten von drei erheblich belasteten, mäßig 
beanlagten, sehr ehrgeizigen Personen, welche auf der Höhe des Lebens nach 2 
bis 3 monatlicher schwerer Neurasthenie au Beziehungs-, Verfolgungs- bzw. Eifer« 

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guohtsideen erkrankten. Die Wahnvorstellungen beherrschten die Stimmung und 
das Handeln. Besonders bei Widerspruch waren die Kranken gereizt und zom- 
mütig. Das Bewußtsein war nicht getrübt. Nachdem sich die Wahnideen mehrere 
Wochen in voller Stärke erhalten hatten, kam es innerhalb von 2 bis 4 Tagen 
mit Rückgang des Zornaffektes zu voller Krankheitseinsicht. Wurden die Patienten 
in der Folgezeit zu bestimmter Jahreszeit nicht schonend und rohorierend be¬ 
handelt, so kehrten die Wahnvorstellungen in Form eines ganz gleichen Anfalles 
wieder; ein Fortschritt des Wahns trat nicht ein. Der erste Anfall schien der 
heftigste. Das Körpergewicht sank in den Anfällen erheblich. Verf. glaubt diese 
Erkrankung nicht zum manisch-depressiven Irresein oder einer anderen Psychose 
rechnen, sondern als periodische Paranoia bezeichnen zu müssen. Dieser Be¬ 
zeichnung dürfte man wohl mit Recht entgegenhalten, daß es sich empfiehlt, mit 
Kraepelin den Namen Paranoia nur bei den Erkrankungen anzuwenden, in denen 
sich langsam ein Wahnsystem entwickelt, das unerschütterlich ist und niemals zur 
Heilung gelangt. 

Verf. faßt die Paranoia weder als reine Verstandeskrankheit auf, noch kommt 
seiner hier gewiß richtigen Meinung nach den Affekten das Primäre allein zu. 
Als Grundlagen der Wahnbildung bezeichnet er vielmehr: Störungen in der Ge¬ 
mütslage durch heftige, andauernde AJfekte der Erwartung, der Angst, des Ärgers 
oder des Neides in Verbindung mit einer diesen stark betonten Vorstellungen 
gegenüber bestehenden Urteilsschwäche. Bezüglich der nicht so gefühlsbetonten 
Vorstellungen gehen die Assoziationen und Apperzeptionsverbindungen an sich 
und in ihren reziproken Verhältnissen zunächst in normaler Weise von statten. 
Mißtrauen kommt erst infolge der wahnhaften Deutungen zustande. Von der 
Rüstigkeit des Gehirns hängt es nun nach der Meinung deB Verf.’s ab, ob es zu 
Heilung, zum Stillstand oder zu Größenideen und Verblödung kommt. Ist das 
Gehirn nicht widerstandsfähig, so dehnt sich die wahnhafte Deutung in der Folge 
auch auf nicht gefühlsbetonte Vorstellungen aus und dauert hei Nachlassen des 
Affektes noch fort. Zunächst macht sich die Störung in der Phantasie und Ver¬ 
standestätigkeit geltend: die Apperzeptionstätigkeit ist infolge des starken fremd¬ 
artigen Gefühlstones in ihrer Funktion gehemmt. Gegenüber den mit der Macht 
einer Suggestion sich aufdrängenden Vorstellungskomplexen verliert nun der Kranke 
seinen objektiven Standpunkt und gelangt zu wahnhaften Schlüssen. 

38) Zar Klinik der arteriosklerotisohen Hirnerkrankungen, von Eisath. 

(Jahrb. f. Psych. u. Neur. XXVIII. 1907. S. 1.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf., dessen ausgezeichnete Arbeiten auf dem Gebiete der pathologischen 
Anatomie der Psychosen, speziell in der Gliaforschung bekannt sind, liefert zu¬ 
nächst an der Hand eingehender Literaturstudien ein erschöpfendes Bild über den 
Stand der Lehre von den arteriosklerotisohen Gehimveränderungen, wobei speziell 
die Abgrenzungsversuche gegenüber anderen Formen genau Besprechung finden. 

Es folgen hierauf drei ausführlich mitgeteilte Krankengeschichten eigener 
Beobachtung mit genauem histologischem Befunde und lesenswerten epikritischen 
Bemerkungen. 

Ref. möchte nur Stellung nehmen gegenüber der Annahme des Verf.’s, daß 
verschiedene psychische Erkrankungen, welche bisher infolge ihres periodischen 
Verlaufes zu der periodischen Psychose (v. Wagner, Ref.) gezählt wurden, nicht 
zu dieser Gruppe gehören, sondern der arteriosklerotischen Hirnerkrankung zu¬ 
gerechnet werden müssen. (Verf. kommt zu diesen Erörterungen in der Epikrise 
zu seiner Obs. III.) Es wird gewiß niemandem, und Ref. am wenigsten, einfallen, 
Bilder der arteriosklerotischen Hirnerkrankung, bei welchen irgendwelche ander¬ 
weitigen Symptome (Delirium usw.) mehr minder periodisch auftreten, schlechtweg 
zu den periodischen Psychosen rechnen zu wollen. Typische Bilder eines cirku- 
lären Irreseins aber oder einer periodischen Manie hören ebensowenig darum allein 

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auf, eine cystiscbe oder periodische Psychose zu sein, weil als ätiologischer Faktor 
ein oder mehrere „Hirnnarben“ (Bef.) (Sklerosen, Narben nach apoplektischen In¬ 
sulten usw.) in Betracht kommen. 

Als gemeinsame Züge der arteriosklerotischen Hirnerkrankung führt Verf. 
u. a. an: Schubweise Einbuße der psychischen Fähigkeiten, Storung der Merk¬ 
fähigkeit, während gerade die Urteilsbildung relative Selbständigkeit und Sicher¬ 
heit bewahrt, Mangel der presbyophrenischen Suggestibilität, anfallsweise Dys- 
thymien und dämmerhafte Delirien. Pathologisch-anatomisch: Erweichungsherde 
und arteriosklerotische Veränderung der Hirngefäße. 

Die genauen histologischen Untersuchungen lassen die Arbeit als eine der 
verdienstvollsten auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie der Demenzformen 
erscheinen. 

39) Die arteriosklerotische Geistesstörung und ihre strafrechtlichen Be¬ 
stehungen, von Albrecht, Treptow a.d. R. Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin). 

Die Beobachtung und Begutachtung zweier einschlägiger Fälle, die unter¬ 
einander, ganz abgesehen von den klinischen Symptomen, auch äußerlich große 
Ähnlichkeit darbieten, geben Verf. Gelegenheit, sich des näheren über diese bisher 
nur wenig beschriebene (Alzheimer, Binswanger) Krankheitsform zu ergehen. 

Verf. faßt seine Ausführungen in einige Schlußsätze zusammen, aus denen 
die Hauptsachen herausgegriffen sein mögen. 

1. Die arteriosklerotische Geistesstörung führt nicht selten zu strafrechtlichen 
Vergehen und bietet Anlaß zu gerichtlicher Feststellung des Geisteszustandes. 

2. In Untersuchungsfällen jenseits des 40. Lebensjahres ist an die Möglich¬ 
keit des Bestehens dieses Leidens zu denken. Neben Lues und Potus kommt 
noch eine familiäre Disposition zur Arteriosklerose in Betracht. 

3. Die psychischen Begleiterscheinungen wie verlangsamtes Denken, abnorme 
Ermüdbarkeit, Gedächtnisschwäche, vorübergehende Verwirrtheitszustände bedingen 
es, daß diese Krankheit bei Leuten mit rechnerischer Tätigkeit, zumal in amt¬ 
licher Stellung, früher bemerkt wird als in anderen Berufen. 

4. Vor der Feststellung einer Neurasthenie nach dem 40. Lebensjahr muß 
man immer die Möglichkeit einer arteriosklerotischen Geistesstörung ausschließen 
können. 

5. Treten zur leichteren Form dieser Geistesstörung schwerere psychische 
Erscheinungen wie geistige Hemmung, Verwirrtheit, ratlose Unruhe, so kann die 
Differentialdiagnose gegen progressive Paralyse sich schwierig gestalten. 


Forensische Psychiatrie. 

40) Zur Lehre vom angeborenen Verbrecher, von Haymann. (Inaug.-Diss. 

Freiburg 1907. 72 S.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Im Anschluß an die Besprechung der Lombroso sehen Lehre werden unter¬ 
schieden: 1. Amoralische, mit intakter Intelligenz, aber meist disharmonischer 
geistiger Entwicklung, bei primären Störungen des Gefühlslebens, Gemütsstumpf- 
heit, sittlichem Defekt, 2. moralisch Schwachsinnige: Intellektueller plus ethischer 
Defekt. Die Symptome werden besprochen, differentiell wird der zahlreichen Über¬ 
gangstypen zwischen den Gruppen und nach der Seite der „psychopathischen 
Persönlichkeiten“ (Haltlose, krankhafte Lügner usw.) gedacht. Für Amoralität 
und moralischen Schwachsinn wird je ein instruktiver Fall mitgeteilt und mit 
Becht hervorgehoben, daß die Fälle, obwohl vom juristischen Standpunkt fast 
identisch, ärztlich-psychiatrisch eine verschiedene Bewertung erfordern. Sehr gut 
sind die Ausführungen über die Frage: Wie ist solchen Zuständen zu begegnen? 
Es handelt sich darum, wie schützt man die Gesellschaft vor diesen Verbrechern, 
nicht darum: welche Strafe verdient ein Verbrecher. 

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41) Zar Frage der Subsumption unter § 2 des Strafgesetaes , von Berze. 

(Wiener med. Wochenschrift. 1906. Nr. 14 bis 16). Ref.: Pilcz (Wien). 

Der bekannte Autor beleuchtet in diesem ganz vortrefflichen Aufsatze ein¬ 
gehend die Mängel der Strafrechtspflege, welche sich gerade bei der Begutachtung 
zweifelhafter Fälle ergeben, insbesondere durch die verschiedene Deutung und 
Auslegung des § 2 ÖStG. (entsprechend § 51 D. G.); besonders wird die Frage 
erörtert, wie der Sachverständige zu diesem § Stellung nehmen soll, bzw. ob er 
sein Gutachten speziell so abfassen solle, daß sich daraus eine direkte Subsumption 
unter die Gesetzesparagraphen ohne weiteres ableiten läßt. 

Ref. kann es sich nicht versagen, einige der Schlußfolgerungen wörtlich zu 
zitieren: 

1. Die Auslegung des Gesetzes ist in diesem wie in jedem anderen Falle 
Sache des Juristen; der Geriohtsarzt hat damit nichts zu tun. 

2. Im Gesetze gebrauchte Ausdrücke wie: Beraubung des Vernunftgebrauches, 

also Ausdrücke, die sich nicht mit bestimmten psychiatrischen Begriffsbezeich¬ 
nungen decken, soll der Gerichtsarzt in der Regel vermeiden.- 

7. Erst dann, wenn einmal das Gesetz sichere, nicht erst „auszulegende“ 
und nicht nur dem Jurist, sondern auch dem Psychiater ohne weiteres verständ¬ 
liche qualitative und quantitative (sehr wichtig! Ref.) Kriterien für die eine Auf¬ 
hebung der Zurechnungsfähigkeit bedingenden psychischen Defekte enthalten 
sollte, würde sich der Experte ohne jede Reserve „im Sinne deB Gesetzes“ aus¬ 
sprechen, in seinem Gutachten „sich auf das Gesetz beziehen können . ..“ 

Wenn Ref. bei diesem durch feine Kritik und Sachkenntnis ausgezeichneten 
Aufsätze etwas bedauert, so ist es der Umstand, daß diese Publikation in einer 
rein medizinischen Zeitschrift erfolgte; gerade Juristen sollten die Ausführungen 
des Autors lesen. 


III. Bibliographie. 

Epilepsy, a study of the idiopathio disease, by William Aldren Turner. 

(London 1907, Macmillan & Co. 272 S.) Ref.: M. 

Die vorliegende monographische Bearbeitung der Epilepsie reiht sich in 
würdiger Weise an die von Gowers, Ferö, Binswanger an. 

Mit sorgfältiger Benutzung der Literatur — auch der nicht englischen — 
bietet uns Verf. die Ergebnisse eigener reicher Erfahrung und Forschung. 

Wir heben einzelnes in letzterer Beziehung hervor. 

Die Häufigkeit der Epilepsie, welche in Europa und Nordamerika zwischen 
1 bis 2 auf 1000 Einwohner beträgt, geht in Australien und Indien auf 0,3 bis 
0,4 herunter. 

Hereditäre Syphilis spielt nur eine geringe Rolle in der Erzeugung idio¬ 
pathischer Epilepsie. 

Unter 115 Fällen von Epilepsie fand Verf. in fast der Hälfte Sklerose des 
Ammonshorns auf einer oder beiden Seiten, besonders aber auf der linken. Ge¬ 
wöhnlich ist dieselbe verbunden mit Atrophie an anderen Stellen des Hirns, be¬ 
sonders der Hinterhauptslappen und des Cerebellum. 

Wenn auch bisher nicht bewiesen erscheint, daß die Epilepsie durch Auto¬ 
intoxikation entsteht, so ist doch bei der Serienepilepsie, dem Status epilepticus 
und den akuten postepileptischen Psychosen anzunehmen, daß eine Autointoxikation 
besteht. 

Bei der medikamentösen Behandlung der Epilepsie stehen obenan die Brom¬ 
präparate. Über 60 °/ 0 aller Fälle werden durch die Brombehandlung günstig 
beeinflußt, sei es, daß die Anfälle wegbleiben, sei es, daß sie seltener und schwächer 


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werden. Verf. verordnet Bromkalium, Bromnatrium, Bromammonium zusammen 
in Dosen, welche 3 bis 4 g in 24 Stunden nicht überschreiten. 

Eine günstige Wirkung sah er durch die Verbindung der salzlosen Kost mit 
einer purinfreien, welche folgende Nahrungsmittel gestattet: Milch, Eier, Butter, 
Käse, Reis, Makkaroni, Tapioka, Weißbrot, Kohl, Lattig, Blumenkohl, Zucker, 
Obst, Olivenöl. 

Die Organo- und Serotherapie empfiehlt Verf. nicht; Thyreoidea- wie Thymus¬ 
einspritzungen verschlimmern die Krankheit, Cerebrin ist ohne Erfolg. 

11 Tafeln illustrieren graphisch den Verlauf der verschiedenen Typen der 
Epilepsie, und 6 Figuren zeigen pathologisch-anatomische Veränderungen im Hirn. 

Das Buch wird in der Bibliothek der Neurologen und Psychiater nicht fehlen 
dürfen. 

Die Ausstattung ist vorzüglich. 


IV. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 8. Juli 1907. 

1. Herr Ziehen: Zum Andenken an Emanuel Mendel. (Die Rede ist 
in Nr. 14 d. Centr. veröffentlicht.) 

2. Herr Oberndörffer: Stoffweohsel bei Akromegalie. Zehntägiger Ver¬ 

such an einem sehr langsam verlaufenden Fall. Die Ergebnisse (Abgabe von N 
und CaO, geringe Retention von P 2 0 6 ) erklären sich aus der Versuchsanordnung 
und können nicht als pathognoinonisch gelten. Eine Zurückhaltung organbildender 
Substanzen ist noch nie einwandsfrei als Symptom der Akromegalie erwiesen 
worden. Autoreferat. 

Herr Ziehen fragt, ob es bei der Akromegalie zu absoluter Kalkretention 
komme, so daß z. B. ein Handwurzelknochen bei Akromegalie mehr Kalk enthalte 
als beim gleichaltrigen Gesunden. 

Herr Oberndörffer glaubt, daß darüber noch keine Untersuchungen vor¬ 
liegen. 

3. Herr Otto Maas demonstriert einen 22 Jahre alten Patienten, den er 
seit März 1904 in Beobachtung hat. Der aus tuberkulöser Familie stammende 
Kranke bemerkte im September 1901 eine Geschwulst in der rechten Schläfen¬ 
gegend, die nur langsam wuchs und zeitweise sogar wieder kleiner wurde. In 
demselben Jahr fiel ihm vorübergehend auf, daß er den 2. und 3. Finger der 
linken Hand nicht beugen konnte. Schmerzen oder Parästhesien sollen weder 
damals noch später in nennenswerter Weise bestanden haben, es löste sich aber 
die Haut an der Beugeseite der Finger damals in großen Stücken ab. Im Herbst 
1902 trat allmählich fortschreitende Parese erst des rechten, dann des linken 
Beines auf, die sich zeitweilig bis zu völliger Lähmung steigerte und seit dem 
Frühjahr 1906 in langsam fortschreitender Besserung begriffen ist. 1905 wurde 
der Tumor in der rechten Schläfengegend von Friedrich (Greifswald) exstirpiert; 
es verschwanden sofort die epileptiformen Anfälle, die kurz vorher aufgetreten 
waren und sich rasch gehäuft hatten. Dagegen trat völlige, noch jetzt anhaltende 
Incontinentia vesicae ein, während vorher die Blasenfunktion stets intakt gewesen 
war. Die objektive Untersuchung ergibt jetzt spastische Parese beider Beine, 
Sensibilitätsstörungen für alle Qualitäten unterhalb des vom 1. Lendensegment 
versorgten Gebietes, Herabsetzung der linksseitigen Bauchreflexe, völliges Fehlen 
des linken M. supinator longus, schwere trophische Störungen im linken Biceps 
und Triceps, Schwäche fast sämtlicher Muskeln der linken Oberextremität, schwere 


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Sensibilitätsstörungen im ganzen Gebiet des linken 7. Cervikalsegmentes, Auf¬ 
hebung der elektrischen Erregbarkeit in den Mm. supinatores und extensores carpi ra¬ 
diales, Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in den meisten übrigen Muskeln 
der linken oberen Extremität, Fehlen aller Sehnenreflexe an der linken oberen 
Extremität. Am Kopf fühlt man einwärts von der Narbe an der Schläfe eine 
etwa 5-Markstückgroße starke Verdickung des Knochens; der linke Abducens ist 
völlig gelähmt, links besteht genuine Atrophia n. optici (Dr. Schultz-Zehden). 
Da Caries, Lues, intramedulläre Tumoren und insbesondere multiple Sklerose aus¬ 
zuschließen sind, muß hier die Diagnose auf multiple Tumoren im Umkreis des 
Nervensystems gestellt werden. Das Eigenartige des Falles ist der Verlauf unter 
wiederholten Schwankungen. Autereferat 

Herr Schuster fragt 1. ob die rechtsseitigen Gehörs- und Geruchsempfin¬ 
dungen durch die bei der Operation erfolgte Verletzung des rechten Schläfen¬ 
lappens geschädigt sind; 2. ob Hauttumoren vorhanden sind. 

Herr Lazarus fragt, ob die Lumbalpunktion wegen des Verdachtes auf 
Cysticercus ausgeführt worden ist. 

Herr Henneberg fragt nach dem histologischen Befund des exstirpierten 
Tumors. 

Herr Maas (Schlußwort): Auf Hauttumoren ist wiederholt untersucht worden, 
ohne daß etwas gefunden wurde. Die Geruchsprüfung hat kein sicheres Resultat 
ergeben, wahrscheinlich besteht eine geringe Herabsetzung des Geruchsvermögens 
auf der rechten Seite. Die Ohruntersuchung (Priv.-Doz. Dr. Haike) ergab starke 
Verkürzung der Knochenleitung auf dem linken Ohr, so daß eine nervöse Störung 
anzunehmen ist. Eine Lumbalpunktion ist absichtlich nicht ausgeführt worden, da 
ich dieselbe in einem derartigen Falle für recht gefährlich halte, für einen para¬ 
sitären Tumor liegt nicht der geringste Anhaltspunkt vor. Über die histologische 
Natur des exstirpierten Tumors habe ich keine Kenntnis. 1 Autoreferat. 

H. Marcuse (Dalldorf). 


Biologische Abteilung des ärstliohen Vereins in Hamburg. 

Sitzung vom 26. Februar 1907. 

(Vorsitzender: Herr Humber.) 

Herr Saenger demonstriert drei Qehirnprftparate, Im 1. Falle handelt 
es sich um eine 41jährige Frau, die längere Zeit an Schwindelattacken gelitten 
hatte und schließlich apoplektiform mit Bewußtseinsverlust erkrankt war. Nach¬ 
dem sie sich erholt hatte, klagte sie über Doppeltsehen. Beide Bulbi zeigten nach 
verschiedenen Richtungen hin Defekte in der Bewegung. Beiderseits Neuritis 
optica mit Blutungen. Die Patellarreflexe fehlten; Sensibilität, Motilität der 
Extremitäten intakt. Lumbaldruck 250 mm. Die Temperatur schwankte zwischen 
37 und 38,4°. — Am 30. Januar 1907 war sie aufgenommen worden, am 
17. Februar trat plötzlicher Exitus ein. Die Autopsie ergab eine über haselnu߬ 
große Blutung im Schläfenlappen medialwärts vom Hinterhorn. Im 2. Falle war 
ein 40jähriger Gastwirt mit Sprachverlust erkrankt; dann traten Krämpfe und 
Bewußtlosigkeit ein. Beiderseits beginnende Stauungspapille. Die Sektion 
ergab eine frische umfängliche Blutung in die Brücke. Im 8. Falle handelte es 
sich um einen löjähr. Burschen, der seit mehreren Wochen mit Kopfschmerzen 
und Erbrechen erkrankt war. Dann stellten sich Nackensteifigkeit und Stauungs- 


1 Anmerkung bei der Drucklegung: Inzwischen habe ich die Veröffentlichungen 
von Heller und Friedrich über den Fall (Deutsche med. Wochenschr. 1906. S. 84 u. 446) 
gefunden; es geht aus denselben hervor, daß der exstirpierte Tumor ein Rundzellensarkom war. 


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papille, sowie Schwindel, Ohrensausen and Nystagmus vorwiegend nach links hin 
ein. Die Sektion ergab einen Hydrooephalus chronicus. Autoreferat. 


Sitzung vom 12. März 1907. 

Herr Saenger: Über die Funktionen des Kleinhirns. Nach einem ein¬ 
gehenden historischen Überblick über den Stand der Physiologie des Kleinhirns 
seit dem 18. Jahrhundert bis auf die in diesem Jahre veröffentlichten Forschungen 
Munks geht Vortr. auf den anatomischen Bau und die Leitungsbahnen des Cere- 
bellum ein. Hierauf werden die wichtigsten klinischen Symptome auf Grund 
eigener Beobachtungen besprochen; so vor allen Dingen die cerebellare Ataxie. 
Vortr. weist auf die Differenz mit der tabischen Ataxie hin und hebt hervor, 
daß für das genauere Studium der cerebellaren Ataxie noch nicht genügendes 
kasuistisches Material vorhanden sei. Hierzu eigneten sich kleine Blutungen und 
Erweichungen besser als Tumoren. Vortr. berichtet dann von Fällen, bei welchen 
in vivo jedes pathologische Kleinhirnsymptom vermißt worden sei, und bei welchen 
sich hei der Autopsie umfängliche Affektionen des Cerebellum gefunden hatten. 
Der Ausfall der klinischen Symptome dürfte in solchen Fällen dadurch zu erklären 
sein, daß die Affektion entweder sehr früh erworben war oder sich sehr langsam 
entwickelt hatte. Sehr interessant ist das Vorkommen der Hemiplegie oder der 
Hemiparese bei Kleinhirnaffektionen. Vortr. hat gerade in den letzten Jahren 
mehrfach das Auftreten einer homolateralen Parese der Extremitäten beobachtet, 
zugleich mit Hemiataxie derselben. Er ist geneigt, eine wirkliche cerebellare 
Hemiparese anzuerkennen, die sich in manchen Punkten von der cerebralen unter¬ 
scheidet. Natürlich kommt bei Kleinhirnaffektionen auch eine durch Nachbar¬ 
schaftssymptome bedingte cerebrale Hemiparese vor. Vortr. besprach dann noch 
die Babinskische Diadokokinesis, das hypotonische Widerstandsphaenomen von 
Stewart und Holmes, den Kleinhirnschwindel und den Nystagmus bei Kleinhirn¬ 
affektionen. Vortr. hat in einem Falle eines extracerebellaren Tumors eine Blick¬ 
lähmung nach der kranken Seite hin konstatiert. Die einseitige Areflexie der 
Cornea hat Vortr. in einigen Fällen von Kleinhimtumoren konstatiert, in anderen 
vermißt. Sehr häufig fand er in seinen Fällen das Fehlen der Patellarreflexe. 
Endlich teilte Vortr. noch einige Fälle von sogen. Vestibularanfällen mit, die sieb 
in heftigem Schwindel, Nystagmus und Kopfschmerz geäußert haben. Vortr. 
schloß mit dem Hinweis, daß die Erfahrungen und Beobachtungen am kranken 
Menschen viel reichhaltiger seien als diejenigen, welche der Physiologe mittels 
seiner Tierexperimente erzielt habe. Eb wäre zu wünschen, daß die Physiologie 
sich die Erfahrungen der menschlichen Pathologie zunutze machen würde, um die 
Lehre von den Funktionen des Kleinhirns auf sichereren Boden zu stellen als es 
bis jetzt der Fall ist. Autoreferat. 

Als Ergänzung zu seinem Vortrag demonstriert Herr Saenger an 12 Pro¬ 
jektionsbildern die normale Anatomie des Kleinhirns und ganz speziell die LeitungB- 


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bahnen desselben. 

Diskussion: Herr Nonne demonstriert an Projektionsbildem 2 Fälle, 
denen große Sarkome des Kleinhirnwurms nur Allgemeinerscheinungen (Kopfschmerz, 
Erbrechen, Stauungspapille) ohne irgendwelche cerebellare Symptome gemacht 
hatten; einen 3. Fall, in dem die gesamte linke Kleinhirnhemisphäre durch eine 
große Cyste zerstört war, in dem ebenfalls nur die Erscheinungen einer Baum¬ 
beengung in der hinteren Schädel grübe bestanden hatten, einen 4. Fall, in dem 
eine totale Agenesie der rechten Kleinhirnhenrisphäre einen zufälligen Obduktions¬ 
befund bei einem bis dahin ganz gesunden Arbeiter, der an akuter Pneumonie 
gestorben war, darstellte. Des weiteren macht N. aufmerksam auf die in der 
Literatur mehrfach beschriebenen Fälle von Kleinhirnatrophie und Kleinhirnsklerose 
(einseitig und doppelseitig), die meistens einen relativ unkomplizierten Kleinhirn- 


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symptomkomplex geboten hatten, sowie auch die Fälle von familiärer angeborener 
Kleinheit des gesamten Centralnerrensystems bzw. des Cerebellums allein, wie sie 
vom Vortr. seinerzeit beschrieben worden sind und später auch von anderen Autoren 
(Spiller, Knöpfelmacher, Classen, Miura, Rossolimo, Romanow u. a.) 
beschrieben sind. Ferner weist er auf die Fälle hin, in denen derselbe cerebellare 
Symptomkomplex akut entsteht nach Infektionskrankheiten (in der Literatur be¬ 
kannt unter dem Namen „akute Ataxie“ und zuerst von C. Westphal und Leyden 
beschrieben), nach Intoxikationen, nach Traumen (Dinkler), nach Überhitzung 
(Nonne). N. ist auf Grund seiner eigenen Beobachtungen und der in der 
Literatur erwähnten Fälle zu der Ansicht gekommen, daß der „cerebellare Symptom¬ 
komplex“ kongenital und akquiriert zur Ausbildung kommen kann, und zwar 
entweder durch Anomalien in der gesamten cerebello-spinalen Bahn oder in einem 
mehr oder weniger großen Teile derselben. Im Anschluß hieran bespricht er die 
Ansicht einiger Autoren (Seiffer u. a), daß die „Ataxie h6r6ditaire cärebelleuse“ 
von Marie und die Friedreichsche Krankheit anzusprechen sei als die cere¬ 
bellare und die Bpinale Form des Morbus Friedreich. Dieser Ansicht kann sich 
N. auf Grund eigener Erfahrungen (publiziert in Westphals Archiv. XXXIX. 
1906. Heft 3) nicht anschließen. 

Herr Buchholz demonstriert mit dem Projektionsapparat Schnittserien vom 
obersten Teil des Rückenmarks durch die Medulla oblongata bis hinauf ins 
Mittelhirn. Die Schnitte illustrieren den Verlauf der cerebellar-spinalen Bahnen 
uud die anatomischen Beziehungen des Kleinhirns zur Medulla oblongata, zum 
Pons, zu den Vierhügeln und den großen Ganglien. 


Sitzung vom 16. April 1907. 

Herr Jollasse demonstriert das Qehirn eines 26 jährigen jungen Mannes. 
Pat. erkrankte im Herbst 1905 mit Doppeltsehen, Frühjahr 1906 Sehstörungen 
auf dem rechten Auge. Damals Atrophia n. opt dextr. (Dr. Franke). Im 
Herbst 1906 viel Kopfschmerz, Schwindel, zunehmende Sehstörung auch auf dem 
linken Auge. März 1907 Aufnahme auf der Abteilung des Vortr. Status: Völlige 
Blindheit, Kopfschmerz, Schwindel, leichte Somnolenz, viel Schlaf. Vollkommene 
Atrophie beider N. opt. Lumbaldruck 350. Diagnose: Tumor an der Basis 
cerebri (Dr. Saenger). (Obwohl keine Akromegalie, trotzdem vielleicht Tumor 
der Hypophysis.) Röntgenaufnahme unmöglich, da Pat. alsbald delirierte und nach 
12 tägigem Aufenthalt starb. Sektion (nur Kopfsection gestattet): Tumor (Struma) 
der Hypophysis. Sella turcica ausgedehnt usuriert. Autoreferat. 

Herr Franke hat den von Herrn Jollasse vorgestellten Fall im Mai 1906 
behandelt. Pat. kam damals mit einer einfachen Atrophie beider Optici, Divergenz, 
Pupillendifferenz, r. > 1., links gute Licht- und Konvergenzreaktion, rechts Licht¬ 
reaktion nur schwach. Rechts Fingerzählen in wenigen Fuß, links Sehschärfe 
etwa 1 / i . Links konzentrische Gesichtsfeldeinengung, allerdings temporal stärker, 
wie das bei Optikusatrophien vorkommt. Nasal etwa 15°, temporal 30—40° 
eingeengt. Da Pat. angab, daß das Außenschielen schon vor der Verschlechterung 
des Sehens bestanden habe, war die Parese von Oculomotoriusästen zu deuten, 
wie solche bei Hypophysistumoren oft und verhältnismäßig früh vorkommt. Auch 
die einfache Atrophie des N. opt. findet sich in der Hälfte der Fälle. Auffallend 
war das zunächst nicht einem hemianopischen entsprechende Gesichtsfeld. In¬ 
dessen üt in ungefähr l j A der Fälle, welche zur Sektion gekommen sind, eine 
konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung gefunden. Als Ursache derselben ergab 
sich, daß der Sehnerv umschnürt war von Gefäßen des Circulus arteriosus, gegen 
die er durch die wachsende Geschwulst gedrängt war. Fr. fragt Herrn J., ob 
bei der Sektion vielleicht auf diese Verhältnisse geachtet sei. Übrigens trat mit 
der Zeit links eine immer stärkere Einengung der temporalen Gesichtsfeldhälfte 


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auf, bo daß sich dos Bild dem der temporalen Hemianopsie sehr näherte. Der 
Pat. blieb dann längere Zeit weg, und als Fr. ihn im Januar 1907 wieder sah, 
war er rechts völlig erblindet, links wurden nur Finger in nächster Nähe gezählt. 
Auffallend war, daß der Kranke in der Zwischenzeit sehr viel dicker geworden 
war und viel Fett angesetzt hatte. Auch das ist bei Kranken mit Hypophysis» 
tumoren des öfteren beobachtet und auf Beizung besagter Hirnteile durch die 
wachsende Hypophysis bezogen. Fr. fragt Herrn J., ob- auch ihm der erhebliche 
Panniculus adipös, des Pat. aufgefallen sei. Autoreferat. 

Herr Nonne berichtet über den Fall eines 46jährigen Herrn, der unter 
Kopfschmerzen und allmählicher Abnahme des Sehvermögens erkrankte. Die 
Untersuchung ergab Hemianopsia bitemporalis. Allmählich wuchs sich die Hemi¬ 
anopsie zu völliger Blindheit aus. Pat. wurde im Laufe von 3 Jahren, nachdem 
er ca. 2 Jahre lang sehr intensiv unter quälenden optischen Halluzinationen 
gelitten hatte, apathisch und stumpfsinnig. Schließlich völlige Abulie und Fehlen 
jeglicher Innervation, allmähliche Ausbildung schwerster Contracturzustände in 
allen vier Extremitäten. Die Röntgenuntersuchung ergab eine Zerstörung der 
Sella turcica. Auch in diesem Falle entwickelte sich unter den Augen von 
N. ein exquisiter Habitus femininus. Pat., der früher ein schneidiger Ein¬ 
jähriger bei den Wandsbecker Husaren und dann als Pferdehändler en gros ein 
gewandter Reiter und muskulöser Mann mit exquisit virilem Habitus gewesen war, 
bekam schwammig-adipöse Haut, weichliche Mammae, ein weiches feminines Ab¬ 
domen. Die Hoden wurden klein und die Behaarung am Mons und in den Achseln 
ging wesentlich zurück. Eine Veränderung der Stimme trat nicht ein. 

Herr Franke bemerkt zu der Frage des sogen. Habitus femininus bei diesen 
Kranken, daß nach neueren Anschauungen es sich nicht um eine Abhängigkeit 
von der Hypophysiserkrankung, sondern um eine koordinierte kongenitale Störung 
handele. 


Sitzung vom 30. April 1907. 

Herr Trömner demonstriert einen Fall von seniler Abasie. 69jähriger 
Bildhauer, von Jugend auf Epileptiker mit meist kleinen Anfällen alle 2—3 Wochen, 
sonst gesund. Vor 1 1 / 2 Jahren Influenza mit 6 wöchentl. Krankenlager. Nach dem 
Aufstehen Abasie, erst völlig, dann durch Elektrizität gebessert. Geht breitbeinig 
und steif; im Liegen und beim Kriechen Beine gut. Sonst allgemeine Hypalgesie 
Pulsirregularität, Arterienrigidität, geringe senile Demenz. T. hält die Abasie 
für im wesentlichen organisch begründet und sieht Arteriosklerose bzw. senile 
Rindenveränderungen als Ursache an. (Wird mit anderen Fällen in der Monats¬ 
schrift f. Psych. u. Neur. publiziert.) Autoreferat. 

Herr Fraenkel: Ich benutze die Gelegenheit, Ihnen eine seltene duroh den 
Meningocooous Weiohselbaum verursachte Rückenmarkerkrankung zu de¬ 
monstrieren. Es handelt sich bei den hier projizierten Rückenmarkschnitten um 
eine schwere Meningo-Myelit. cervicalis acutissima, die in wenigen Tagen 
den Tod des 18jährigen Menschen herheigeführt hat. Auf den klinischen Ver¬ 
lauf des Falles gehe ich heute nicht ein. Das Halsmark ist, wie Sie sehen, ganz 
enorm geschwollen, sein Querschnitt im Vergleich zu dem hier projizierten nor¬ 
malen, ein queres Oval darstellenden, kreisrund. Die Vergrößerung ist durch 
verschiedene Vorgänge bedingt. Einmal durch eine große Menge, in der Haupt¬ 
sache die Vorderhörner einnehmender, von hier auf die Vorder- und Seitenstränge 
übergreifender, die Hinterstränge völlig freilassender, frischer Extravasate, weiter 
durch ein die Vorder- und Hinterhörner betreffendes, in ersterem die nervösen 
Elemente auseinanderdrängendes Oedem, sowie durch eine mit Quellung einher¬ 
gehende Nekrose der gliösen Zellen im Bereich der hinteren Enden der Hinter¬ 
hörner. Endlich besteht ein eitriges Exsudat im Centralkanal und eine auf die 


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unmittelbarste Umgebung desselben lokalisierte kleinzellige Infiltration. Das Endo¬ 
thel des Kanals ist an einer Seite desselben abgehoben und geht als schmales 
Band durch das Übrige Exsudat Die Präparate sind nach der von mir 
zur Darstellung der Markscheiden angegebenen Methylenblaumethode 
gefärbt, und man ist in der Lage, abgesehen von den Ihnen geschilderten histo¬ 
logischen Veränderungen, auch die im Gewebe vorhandenen Bakterien, speziell 
schwer färbbare, wie es Meningokokken sind, mühelos nachzuweisen. Diese finden 
sich nun hier in größerer Menge sowohl in dem Exsudat im Central- 
kanal als in dessen Umgebung, fast ausschließlich intrazellular. Das Exsudat 
in der Arachnoides tritt im Vergleich zu den das Rückenmarkparenchym betreffenden 
schweren Veränderungen sehr in den Hintergrund. Der eigentliche Rückenmark¬ 
prozeß ist ganz auf das Halsmark lokalisiert, während die eitrige Leptomeningitu 
sich durch die ganze Länge des Rückenmarkes forterstreckt Auch in dem Exsudat 
der weichen Häute, richtiger dem arachnoidalen Exsudat, sind 
Meningokokken, speziell um die hinteren Wurzeln herum, aufzufinden. Die 
Färbung ist allenthalben eine äußerst kräftige und sehr haltbare, 
wie Sie sioh bei diesem aus dem Jahre 1903 herrührenden Schnitt überzeugen 
können. Ich betone das, weil es Herrn Westenhoefer bei Beinen Untersuchungen 
niemals gelungen ist, Meningokokken im Schnitt nachzuweisen. Ich habe schon 
vor einigen Jahren meine Markscheidenmethode zur Darstellung schwer färbbarer 
Bakterien im Schnitt empfohlen. Aber auch ohne Beizung der Gewebe kann man 
Meningokokken im Schnitte nachweisen, wenn man, wie ich ebenfalls wiederholt 
angegeben habe, diese kräftig mit polychromem Methylenblau überfärbt und dann, 
mit Unnaschem Tanninorange oder Tanninsäurefuchsin differenziert. Zum Beweis 
für die Leistungsfähigkeit der letzterwähnten Methode zeige ich Ihnen das Mikro¬ 
phot ogramm eines Rückenmarkschnittes von Weichsel bäum-Meningitis. 
Das betreffende Rückenmark hatte ein volles Jahr in Käyserlingscher Lösung 
gelegen. Wenn also die erkrankten Gewebe Meningokokken enthalten, dann sind 
diese, wie ich Herrn Westenhoefer gegenüber betone, auch in Schnitten auf¬ 
zufinden, wenn man nur die geeigneten Färbungsmethoden heranzieht. 

Autoreferat. 


(Schluß folgt.) 


Nonne (Hamburg). 


V. Personalien. 

Am 14. Juli d. J. verschied zu Wien Herr Dr. Artur Berger im 86. Lebensjahre. 
Eine Reihe gediegener Arbeiten aus seiner Feder — so seine Abhandlung zur Kenntnis der 
Athetose, seine Statistik über 206 Fälle von multipler Sklerose, seine Arbeit über Polyneuritis 
cerebralis menieriformis und diejenige über Tumor der Hypophysengegend — berechtigte zu 
den schönsten Hoffnungen, die nun sein Tod zerstört hat. Auch diesem Centralblatt war 
er ein treuer Mitarbeiter. Ehre seinem Andenken! 


Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Hübner habilitierte sich in Bonn. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 


Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzubb A Wittiq in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet von Prot 32. MendeL 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsnn dzwanzigster Jahrgang* 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Bachhandlangen des ln* and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen ßeichs, 8?wie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 16. August. Nr. 16. 


Inhalt. I. Originalmkttiilongen. 1. Über ein abnormes Bündel des menschlichen 
Rhombencephalon. Karze Mitteilung von Prof. Karl Schaffer in Budapest. 2. Über Akinesia 
algera. von M. Schalkewicz in Petersburg. S. Familiäre Tabes aut erblich • degenerativer 
Grundlage, von Privatdozent Dr. W. Strohmayer in Jena. 

II. Referate. Anatomie. 1. Über den Ursprung des Langenvagus, von Ikegami und 
Jagitta. 2. Studien über die normale und pathologische Anatomie der hinteren Bücken* 
markswurzeln, von Levl. 3. Beiträge zur Kenntnis der sensiblen Wurzeln der Medulla 
oblongata beim Menschen, von Hulles. — Physiologie. 4. Weitere Untersuchung über 
die Bewegung der Vögel nach Dnrchschneidung der hinteren Bückenmarkswurzeln, von 
Trendelenburg. 5. De l'influence de la section experimentale des racines posterienres snr 
Tätat des neurones pöriphäriques. Contribution ä l’etude des fibres centrifuges des racines 
posterienres, par Roux et Heitz. — Pathologische Anatomie. 6. Ein Fall von Ent¬ 
zündung der Nervenwurzeln bei einer Stute, von Marchand et Allx. — Pathologie des 
Nervensystems. 7. Experimentelle Tabes bei Hnnden (Trypanosomen-Tabes), von Spiel¬ 
meyer. 8. Zur Ätiologie der Tabes, von Motschutkowsky. 9. Über den gegenwärtigen Stand 
des serologischen Luesnachweises bei den syphilidogenen Erkrankungen des Centralnerven- 
aystems, von Plaut. 10 . Serodiagnose bei Lnes, Tabes und Paralyse durch spezifische 
Niederschläge, von Fornet und Schereschewsky. 11. Über die Frage syphilitischer Antistoffe 
in der Cerebrospinalflüssigkeit bei Tabes dorsalis, von Weygandt. 12. Über Komplement- 
bindungsversuche bei infektiösen und postinfektiösen Erkrankungen (Tabes dorsalis usw.), 
sowie bei Nährstoffen, von Citron. 13. Osteite syphilitique döformante, type Paget, chez nne 
tabötique, par Chartier et Descomps. 14. Klinische Beiträge zur Kenntnis der Ursachen, 
der Symptome und des Verlaufes der Tabes, von Hammer. 15. Sul fenomeno di Abadie 
nella tabe dorsale, par Negro. 16. Eine Geburt bei vorgeschrittener Tabes dorsalis, von 
Zacharias. 17. Die physikalische Behandlung der Tabes dorsalis, von Tobias und Kindler. 
18. Les lösions des racines, des ganglions rachidiens et des nerfs dans nn cas de maladie 
de Friedreich. Examen par la methode de Ramon y Cajal (impregnation ä Targent), par 
Dejerine et Andrä-Thomas. 19. Zur Pathologie der Friedreich sehen Krankheit, von Müller. 
20. Friedreich sehe Krankheit mit Opticusatrophie, von Taylor. 21. Übergangsformen 
zwischen Friedreich scher Krankheit und Heredoataxie cörebelleuae (P. Marie), von Perrero. 
— Psychiatrie. 22. Syphilis et paralysie generale, par Jourdan- 23. Die pathologische 
Anatomie der Paralyse in ihrer Bedeutung für die forensische und Unfallpraxis, von Meyer. 

III. Aus den Gesellschaften. Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Ham¬ 
burg. (Schluß.) 

IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. März bis 30. April 1907. 

V. Vermischtes. — VI. Personalien. 


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I. Originalmitteilungen. 

1. Über ein 

abnormes Bündel des menschlichen Rhombencephalon. 

Kurze Mitteilung von Prof. Karl Schaffer in Budapest. 

Faserangsabnormitäten im menschlichen Gehirn wurden in den letzten 10 
bis 15 Jahren mehrfach beschrieben; dieselben lassen sich hauptsächlich in zwei 
Kategorien einteilen. Einesteils gibt es Abnormitäten im Verlauf wohlbekannter 
Stränge, worunter vorzüglich die durch die Arbeiten von Hochs, dann von 
Dejektne , Bumse u. a. ausführlich studierten Variationen im Verlaufe der 
Pyramidenbahn zu verstehen sind; andern teils gibt es aber abnorme Bündel 
sensu strictori — wie jene von Pick, Crameb, mir, Epstein, Heabd, Kabplcs 
und Spitzes — , welche als kompakte Züge Verbindungen zwischen Formationen 
hentellen, die in dieser Form normaliter nicht verbunden sind. Wer sich 
spezieller für diese Frage interessiert, den möchte ich auf die Arbeit von Bumse 1 
und auf jene von Karplüs und Spitzes 1 hinweisen. 

Im folgenden will ich über ein abnormes Bündel der Pyramidenbahn be¬ 
richten, welches in die Variationen dieses Stranges nicht unterzubringen ist, da 
es vermöge seiner Verbindung mit der Formatio lateralis derselben Seite 
höchstwahrscheinlich als nicht zur echten Pyramide gehörig zu betrachten ist. 
Ich entdeckte das fragliche Bündel bei der Durchmusterung alter Präparate zu¬ 
fällig; dieselben beziehen sich auf einen Fall von alter Hemiplegie, verursacht 
durch einen lentikulo-kapsulären Herd. Die anatomische Folge war eine Dege¬ 
neration der Pyramide, welche sich hier im Stadium der höchstgradigen Sklerose 
befindet (mit P' bezeichnet, hingegen die gesunde Pyramide mit P), wodurch 
eine Arealsverminderang um */ 3 der normalen Pyramide am Frontalschnitt ent¬ 
stand (s. Figg. 1 bis 5). Das abnorme Bündel fand sich an der gesunden Hälfte 
des Hirnstammes, und zwar auf einer sehr kurzen Strecke, zwisohen den Ge¬ 
bieten des Acustious und Facialis-Abducens. Es stand mir aus dieser umschriebenen 
Gegend eine lüokenloee Serie zu gebot, welche mit Weioebt’s Färbung und 
Kollodiumserienmethode hergestellt wurde; sie besteht aus 90 Schnitten. Wenn 
ich mit Nr. 1 den distalsten (spinalwärts gelegenen) Schnitt bezeichne, so finden 
wir die erste Spur des abnormen Bündels am Schnitt Nr. 36, dargestellt in 
Fig. 1; die Bezeichnungen sind folgende: CR Corpus restiforme, PP Brücken¬ 
arm, RV Radix vestibularis, P, F Pyramide, a abnormes Bündel, L Schleife, 
E Haubenbahn, VII Facialiskern, Vd Trigeminus descendens, D DsiTEss’sche 
Formation, Fl hinteres Längsbündel. Auf diesem Schnitte erscheint das abnorme 
Bündel im Felde der Schleife liegend dorsoventral gerichtet, an die dorsomedialc 


1 Bumkb, Über Variationen im Verlaufe der Pyramidenbahn. Archiv f. Payoh. XL1I. 
3 J. P. Kakplus and A. Spitzer, Zar Kenntnis der abnormen Bündel im menst blichen 
Hirnstamm. Obbrstbinbb’s Arbeiten. XI. 1904. 

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Peripherie der Pyramide heranreichend. Das Bündel, welches ich im folgenden 
der Kürze halber a-Bündel nennen werde, erscheint in diesem Präparate ganz 
unvermittelt und läßt hier weder über seinen Ursprung noch bezüglich seines 
weiteren Verlaufes etwas erkennen. 



Kg. 5 


Pig. 2 entspricht dem 41. Schnitt; hier ist nur soviel zu konstatieren, daß 
das a-Bündel schräg-lateral sich wendet und in das Gebiet der centralen Hauben« 
bahn (27) eintritt. Neue Formation o obere Olive. 

Fig. 8 (Nr. 51) ist ein wichtiger Schnitt, denn hier zeigt das a-Bündel eine 


ganz ausgesprochene Andeutung bezüglich seines Ursprunges. In Fig. 6 ist eben 


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47* oal frorn 

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jene Stelle wiedergegeben, gezeichnet bei einer 70fachen Vergrößerung mit dem 
ABBB’sohen Zeichenapparat, welche in klarer Weise zeigt, wie ein Hauptfascikel 
des a-Bündels parallel miteinander laufende Seitenäste in sich anfnimmt, welche 
durchwegs konform mit den inneren Bogenfasern dm* centralen Haubenbahn (27) 
sieb verhalten {L Lemniscus). Freilich ist hier mehr bezüglich des wirklichen 
Ursprunges nicht zu sehen; es läßt sich nur soviel sagen, daß allem Anschein 
nach das a-Bündel aus Bündelchen der inneren Bogenfasern sich aufbaut Bin 



Fig. 6. 


deutlicher Ursprung aus der oberen Olive oder ein Zusammenhang mit dem 
Facialiskern war nicht zu erkennen, ln Fig. 3 erscheint das a-Bündel als ein 
sichelförmiges Fascikel, dessen Konkavität aus- und abwärts gegen den Trapez¬ 
körper (Ct) gewendet ist; das obere-äußere Ende desselben zersplittert sich in 
den Parallelfasern der die centrale Haubenbahn durchsetzenden inneren Bogen¬ 
fasern; das untere-innere Ende ist duroh den Trapezkörper von der gesunden 
Pyramide getrennt, welches in Fig. 4 (Nr. 61) deutlich in ein etwas schräg- 
gestelltes Ovalbündel, der Pyramide innen und oben angelegt übergeht In 


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Fig. 5 (Nr. 78) ist das a-Bündel nunmehr als ein abgegrenztes Pyramidenbündel 
am Querschnitt ovalförmig zu sehen und behält diese Form und Situation in 
der Brücke bis zur Höhe des Trigeminus. Höhere Schnitte fehlen mir leider. 

Zusammengefaßt läßt sioh also sagen, daß im Hirnstamm auf der Strecke 
zwischen 7. und 8. Hirnnerven einseitig ein abnormes Bündel anzutreffen 
war, welches in der Höhe des Facialis als ein dorsomedialstes Bündelohen der 
Pyramide gelegen, in den tieferen Ebenen (Acusticushöhe) aus der Sagittal- 
richtung in die Frontalebene umkrümmend, sioh dorsolateralwärts wendet, wobei 
es anfangs in der Schleife gelegen, successive in das Areal der centralen Hauben¬ 
bahn einbiegt und hier sich in den inneren Bogenfasern dieser Formation auf¬ 
splittert 

Aus dieser Schilderung geht der Umstand klar hervor, daß es sich nicht 
um eine Pyramidenvariation handelt, denn hierzu wäre notwendig, daß das sich 
absprengende a-Bündel eine Kreuzung eingehe oder es wäre ein solcher Verlauf 
erfordert, welcher einer späteren, tieferen Kreuzung nicht widerspräche. So aber 
ist die Auflösung des Bündels in der Formatio reticularis, namentlich der 
direkte Übergang in die inneren Bogenfasern ein unbedingter Beweis gegen die 
Pyramidennatur desselben. Es läßt sich vermuten, daß es sich um ein hospi¬ 
tierendes Bündel in der kortiko-motorischen Bahn handelt, dessen oberes, cere¬ 
brales Ende mangels Schnitten aus höheren Ebenen nicht festzustellen war. 

Mit vorliegender Notiz, deren Mangelhaftigkeit ich sehr fühle, wollte ich 
nur die Aufmerksamkeit der Fachkollegen für ein abnormes Bündel wachrufen, 
welches gegebenen Falles eines eingehenden Studiums wert wäre. 


[Aas der psychiatrischen Abteilang des Moskauer Militärhospitals.] 

2. Über Akinesia algera. 

Von M. Sohaikewioa in Petersburg. 

Die Frage, ob viele der sogenannten funktionellen Geistes- und Nerven¬ 
krankheiten als selbständige Krankheiten anzusehen sind, ist noch nicht klar¬ 
gestellt Pitbb8 1 z. B. weigert sich sogar, einer so alt bekannten Krankheit, 
wie es die Hysterie ist, eine bestimmte nosologische Formel zu geben und schlägt 
dafür folgende, an negativen Bestimmungen reiche Definition vor: „L’hysterie 
est une növrose dont les accidents trös variös ont pour caractöres communs: 
a) de ne pas ötre soüs la döpendance directe des lösions organiques; b) de pou- 
voir etre provoquös, modifiös ou supprimes par des maneuvres externes ou par 
des causes purement psychiques; c) de coexister en nombre variable; d) de se 
succöder sous difförentes formes et ä differentes öpoques chez les mömes sujets; 
e) de ne pas retentir gravement sur la nutrition gönörale et sur l’etat mental 
des malades qui en sont atteints.“ 

Ungenügend klar und deutlich ist auch die Definition der Neurasthenie, 


1 Pitbes, Le 9 ons cliniqacs sar l’hysterie et Thypnotisme. 

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Paris 1891. Taf. I. S. 11. 

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die von ihrem Schöpfer Beabd 1 gegeben wird. Er schreibt: „Die Neurasthenie 
ist eine chronische funktionelle Krankheit des Nervensystems, deren Grundlage 
eine Verarmung der Nervenkraft, rascher Verbrauch und mangelnder Ersitz 
des Nervengewebes bildet, womit in Zusammenhang stehen die Abnahme der 
hemmenden und kontrollierenden psychischen, wie auch geistigen Kraft, die 
Schwäche und die Unbeständigkeit der Nervenaktion, die exzessive Nervosität 
und die gesteigerte direkte und reflektierte Irritabilität“ 

Vergleicht man diese beiden Definitionen, so ist darnach kaum eine Schei¬ 
dung der Hysterie von der Neurasthenie möglich. Nun kommt noch hinzu, 
daß P. Janet 2 3 * * die Psychasthenie von der Neurasthenie trennt und sie der 
Epilepsie annähert. Zieht man ferner in Betracht, in Vielehen Beziehungen 
Hysterie und Neurasthenie zu den sogenannten Entartungszuständen stehen, so 
ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß in diesem Gebiet noch lange nicht das 
letzte Wort gesprochen ist. Ungeachtet dessen werden von den meisten Ärzten 
die Hysterie, die Neurasthenie und die Zustände psychischer Entartung im Hin¬ 
blick auf die unzweifelhafte Konstanz gewisser charakteristischer Symptome als 
wohlcharakterisierte Krankheiten angesehen, obgleich die Differentialdiagnose im 
konkreten Fall oft so gut wie unmöglich ist Treffen wir nun einmal eine neue 
Kombination von Erscheinungen eines funktionellen Leidens des Nervensystems, 
so müssen wir gewichtige Gründe haben, ehe wir sie von den schon bekannten 
Psychoneurosen trennen und sie als morbus sui generis ansehen können. 

All das bisher Gesagte paßt voll und ganz auch auf das unter dem Namen 
Akinesia algera beschriebene Krankheitsbild. Dieses Leiden ist bis jetzt noch 
so unbestimmt, die Literatur darüber ist noch so klein, daß eine kurze kritische 
Übersicht notwendig ist. 

Der erste, der diese Erkrankung beschrieben hat, ist Möbius . 8 Er verstand 
darunter ein Leiden, dessen Hauptsymptom eine wegen Schmerzhaftigkeit der 
Bewegungen gewollte Bewegungslosigkeit ist, ohne daß doch eine greifbare Unter¬ 
lage der Schmerzen zu finden wäre. Ein solches Krankheitsbild entsteht bei 
Entarteten (Desequilibrierten) infolge von geistiger und körperlicher Über¬ 
anstrengung. Später treten die Schmerzen nicht nur in den bewegten Gliedern, 
sondern auch in anderen Körperstellen auf. Als Begleiterscheinungen sieht man 
allgemeine neurasthenische Symptome: schlechten Schlaf, deprimierte Stimmung, 
Unfähigkeit zu geistiger Arbeit, ein Gefühl der Schwere im Kopf, unangenehme 
Sensationen im Bücken usw... Hysterische Symptome hatte Möbius nicht be¬ 
obachtet. Die Erkrankung ist unzweifelhaft eine funktionelle, psychische. Die 
dabei beobachteten Erscheinungen kann man als hypochondrische oder hysterische 
auffassen. Möbius meint, daß man als hypochondrisch die Erscheinungen an- 
sehen könne, deren psychische Natur von den Kranken empfunden wird, als 
hysterische die, bei denen die Verbindung zwischen Vorstellung und körper- 


1 Bbabd, Die sexuelle Neurasthenie. Leipzig 1890. S. 15. 

1 Janet, Les obsessions et la psychasthenie. 1908. 

3 Möbius, Über Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1891. I. S. 121. 


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licher Störung unterbewußt bleibt. In diesem Sinne ist der Schmerz bei der 
Akinesia algera als hysterisches Symptom anzusehen, als eine Art Schmerz¬ 
halluzination. Indessen hält es Möbius nicht für möglich, diese Erkrankung 
zur Hysterie zuzuzählen, hauptsächlich weil diese Schmerzen, obwohl psychisch 
bedingt, sich doch nicht auf psychischem Wege fortschaffen lassen. Nach Möbius 
bietet die Akinesia algera viele Analogien zur allgemeinen Anästhesie, wie sie 
von Kbückenbebg, Heyne und Zikmssen beschrieben ist. Noch ähnlicher ist 
sie der sogenannten Atremie Neftel’s 1 , die er als hypochondrische Verrücktheit 
auffaßt Der Unterschied ist nur der, daß bei der Atremie bei vollkommener 
Unfähigkeit zu gehen, zu stehen und zu sitzen die Bewegungen im Liegen voll¬ 
kommen frei und schmerzlos bleiben, während sie bei der Akinesia algera auch 
im Liegen schmerzhaft sind. Die Atremie verhält sich zur Akinesie, wie die 
Astasie-Abasie zur hysterischen Paraplegie. Bei der Akinesia algera mischen 
sich neurasthenische und hypochondrische Zöge mit hysterischen, jedoch nähert 
sich die ganze Erkrankung eher einer schweren Hypochondrie als der reinen 
Hysterie. Im allgemeinen faßt Möbius sie als Paranoia im weitesten Sinne 
des Wortes auf. 

In einer späteren Arbeit 2 verallgemeinerte Möbius den Begriff der Akinesia 
algera bis zur Apraxia algera, indem er darunter das Aufhören irgend einer 
Funktion wegen ihrer Schmerzhaftigkeit verstand. Hierher können viele so¬ 
genannte neurasthenische Beschwerden gerechnet werden, die Unfähigkeit zu 
geistiger Arbeit infolge von Schwere im Kopf und Kopfschmerzen usw. Be¬ 
sonders nahe steht nach Möbius die Lichtscheu, bei der, ebenso wie bei der 
Akinesia algera (und der Atremie) das Auge selbst nicht überanstrengt ist, 
sondern wegen Überanstrengung des Gehirns erkrankt 

Unter andern wird in dieser Arbeit die Krankheitsgeschichte Th. Fechneb’s 
angeführt und es werden die Krankbeitsgeschichten der in der ersten Arbeit er¬ 
wähnten Patienten ergänzt Darnach konnte der erste Kranke, ein Gymnasiallehrer, 
nicht hypnotisiert werden und beim zweiten entwickelte sich im Laufe der Zeit 
neben den Erscheinungen der Akinesie das typische Bild einer primären Ver¬ 
rücktheit mit Verfolgungsideen, Sinnestäuschungen und Selbstmordversuchen. 

Im selben Bande befindet sich auch die Arbeit Louoband’s 3 , der die 
Krankh eitsgeschichte einer Kranken wiedergibt, bei der sich gleichzeitig mit 
einer leichten manischen Erregung das Bild Akinesia algera entwickelte. Der 
Verf. deutet sie als eine körperliche Hyperästhesie, die mit der psychischen 
Hyperästhesie in Verbindung steht Seiner Ansicht nach ist die Akinesia algera 
4er höchste Grad der spinalen Irritation. Bei seiner Kranken waren die Knie¬ 
sehnenreflexe erhöht. Wahnideen oder Sinnestäuschungen wurden nicht be¬ 
obachtet 


1 Nkptbl, Virchow’a Archiv. XCI. S. 464. 

* Möbidb, Weitere Bemerkungen über Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬ 
heilkunde. II. S. 4S6. 

* Loüqrand, Zur Kasuistik der Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 
III. Heft 1 bis S. 


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Auch Ebb 1 hat einen Fall von Akinesia algera beschrieben. Obgleich der 
Verf. das Vorhandensein neurasthenischer und hysterischer Symptome leugnet, 
wurden doch in dem Falle unzweifelhafte Zwangszustände beobachtet, vor allem 
Phobien. Es gelang Dicht, den Patienten zu hypnotisieren. 

Kobnig 2 * beobachtete eine 48jährige Frau, die eine hypochondrische Para¬ 
noia mit hysterischen Erscheinungen hatte. Sich an Möbius anschließend sieht 
er die Schmerzen als Schmerzhalluzinationen an und deutet seinen Fall als 
hypochondrischen Anfall im Verlaufe eines primären Wahnsinns. 

Oppenheim 8 sagt in seinem Lehrbuch, daß die Akinesia algera keine 
selbständige Krankheit, sondern ein Symptom oder richtiger ein ganzer Sym- 
ptomenkomplex ist, der sich auf dem Boden einer Neurasthenie, Hypochondrie 
oder Hysterie entwickelt. In einem seiner Fälle wurden die Schmerzanfälle von 
Atem- und Pulsbeschleunigung begleitet. Die passiven Bewegungen waren auch 
schmerzhaft. Im anderen beschränkten sich die Krankheitserscheinungen auf 
die rechte Körperhälfte, wo auch eine Hemianästhesie zu finden war. 

Geringe Grade der Erkrankung kommen im Verlaufe der traumatischen 
Neurosen vor. Eine sehr genaue und gründliche Untersuchung der schmerz¬ 
haften Bewegungslosigkeit finden wir in der Arbeit Becbterew’s . 4 * * 

Beohtebew hat 3 Kranke gesehen. Den ersten sah er schon 1879 (also 
lange vor Möbius, jedoch wurde die Beobachtung damals nicht veröffentlicht). 
Es war ein Soldat, der schon in sieben Hospitälern gewesen war. Von ob¬ 
jektiven Symptomen waren bei ihm ein wehleidiger Gesichtsausdrnck, eine be¬ 
schleunigte Herzaktion und die Schmerzreaktion der Pupille vorhanden, ferner 
eine bedeutende Herabsetzung aller Arten der Sensibilität, speziell auch am 
ganzen Körper vollkommene Analgesie. Den zweiten Fall sah Bechtebew 
1886 in Kasan, und Wobonin stellte den Kranken 1887 im Kasaner Militär¬ 
sanitätsverein vor, wobei er den Bericht: „Simulation oder Krankheit“ betitelte. 
Es war auch dieses Mal ein Rekrut, bei dem die Erkrankung sich an einen Fall 
auf die Brust vor etwa 10 Jahren angeschlossen hatte und der auch Anästhesien 
der Haut aufwies. Bei dem dritten Kranken endlich wurden außer der Schmerz¬ 
haftigkeit der Muskeln bei aktiven und passiven Bewegungen, sowie der Schmerz¬ 
empfindlichkeit des Periost beobachtet: Schmerzreaktion der Pupille, aus¬ 
gesprochene Analgesie der ganzen Körperoberfläche, Herabsetzung der elektrischen 
Empfindlichkeit, des Tast- und Temperaturgefübles, sowie des Muskelgefühles, etwas 
Lichtscheu und bei Bewegungen Beschleunigung der Herzaktion und der Atmung, 
sowie deprimierte Stimmung. In der Anamnese war ein Trauma angegeben. 
Der Kranke konnte leicht hypnotisiert werden, wobei er in der Hypnose stöhnte, 
und die motorische Kraft der Hände trotz Gegensuggestion deutlich herabgesetzt 
war. Puls und Atmung waren beschleunigt. 


1 Ebb, Zar Kasuistik der Akinesia algera. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1892. 
III. S. 237. 

* Koenio, Zur Akinesia algera. Centralbl. f. Nerv. a. Psych. CLXXXH. März. 

s Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankh. 1894. 

4 Bechtebew, Nervenkrankh. in einzelnen Beobachtungen (russisch). Kasan 1894. I. 1. 


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Bechterew verwirft die Annahme, daß es sich in diesen 3 Fällen am 
eine traumatische Neurose handeln könnte, da keine klassischen Symptome zu 
finden waren, jedoch meint er, daß man wohl daran denken konnte. Was nun 
die Ansicht anlangt, daß die Akinesia algera nur ein Zustandsbild einer anderen 
Krankheit, der Neurasthenie, Hypochondrie oder Hysterie oder einer Psychose 
ist, so meint Bechterew, daß man diese Erkrankung jedenfalls nicht zur Hypo¬ 
chondrie rechnen könne, da nur in einzelnen Fällen Hinweise darauf vorhanden 
sind, in anderen aber nicht. Dasselbe gilt auch für eine Psychose im allge¬ 
meinen und für die Paranoia im speziellen. Der Umstand, daß die Akinesia 
algera oft zusammen mit einer Psychose auftritt und sogar in solch eine über¬ 
gehen kann, spricht nioht gegen die Selbständigkeit der Krankheit, da eine 
Mischerkrankung vorliegen kann. 

Interessant ist die Kritik Beghterbw’s über Möbius’ Auffassung der 
Schmerzen als Sohmerzhalluzinationen: „Wie bekannt, gleicht eine Halluzination 
vollkommen einer wirklichen Sinnesempfindung nur mit dem Unterschiede, daß 
sie selbständig entsteht und nicht eines äußeren Reizes bedarf. Daher können 
zu den Halluzinationen auch selbständige Schmerzempfindungen gerechnet 
werden, die psychisch bedingt und nicht durch äußere oder im Verlaufe der 
Nerven wirkende Reize hervorgerufen sind. Bei der Akinesia algera sehen wir 
wohl auch selbständige Muskelschmerzen, das Hauptcharakteristikum aber bilden 
weniger diese Schmerzen, als viel mehr die Hyperästhesie der Muskeln, infolge 
deren auch Druck und überhaupt jede mechanische Reizung der Muskeln, ebenso 
wie ihre Zusammenziehung bei Bewegungen von Schmerzempfindungen begleitet 
wird. So könnte man eher von Schmerzillusionen sprechen, wenn wir überhaupt 
bei dieser Erkrankung einen psychischen Ursprung der Schmerzempfindungen 
nachweisen könnten. Dafür fehlen uns aber jegliche Anhaltspunkte. Gegen 
einen reiu psychischen Ursprung der Schmerzempfindungen spricht, meiner An¬ 
sicht nach, die Schmerzreaktion der Pupillen bei Druck auf die Muskeln und 
andere reflektorische Erscheinungen bei mechanischer Reizung der Muskeln und 
der Knochenhaut, sowie die Beschleunigung von Puls und Atmung nach jeder, 
auch der geringsten, Muskelanspannung, wie ich sie in meinen Fällen be¬ 
obachtet habe. 

Auf Grund all dessen möchte ich die Auffassung der Akinesia algera als 
Psychose ausschließen. Es liegt auch kein Grund vor, dieselbe als einen Anfall 
innerhalb einer der allgemeinen Neurosen anzusehen. Meiner Ansicht nach 
muß man sie als eine eigenartige Erkrankung ansehen, die entweder als Kom¬ 
plikation einer der allgemeinen Neurosen oder gar Psychosen oder aber auch 
selbständig auftritt.“ 

Soweit Bechterew. Weitere Fälle wurden von Pütnam , 1 Moyeb, 2 Min- 
gazzini 3 und Spaubock 4 beschrieben. Von russischen Ärzten stammt eine 

1 Pütnam, Boston med. and snrg. journ. CXXII. 1892. 

* Moyeb, Medical Standard. L1II. 1898. Nr. 1. 

3 Mingazzini, Cit. nach Stompfb. 

4 Spaubock, Medycyna. 1898. Nr. 35. 

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746 — 


Veröffentlichung von Semidalow . 1 Er sieht die Akinesia algera als eine Neuro- 
psychose mit eigenartiger Gruppierung der Symptome an, die es verdient, als 
gesonderte neurologische Einheit aufgefaßt zu werden, ungeachtet der hysterischen 
Zeichen, der optischen Halluzinationen und der Angstanfalle in der Anamnese, 
ln einer Sitzung der Moskauer Gesellschaft f. Neuropathol. u. Psych.* sprachen 
sich anläßlich seines Vortrages Mübatow, Korssakow und Kosohewnikow 
gegen die Selbständigkeit der Akinesia algera aus. 

Die letzte Arbeit endlich ist von Stompfe . 9 Er sah zwei Kranke — 
Bruder und Schwester —, die aus einer neuropathischen Familie stammten. 
Die Schwester erkrankte infolge von psychischer Infektion seitens des Bruders. 
Ihre Krankheit ging später in ein „primäres Irresein“ über. Stompfe sieht 
in der Akinesia algera nur eine Reihe von Krankheitssymptomen, die sich 
manchmal im Verlaufe anderer Neurosen entwickeln, manchmal aber die höchste 
Stufe der Neurasthenie vorstellen. Zur Hypochondrie kann man sie nicht 
rechnen, da hei den Kranken kein so tiefer Affekt beobachtet wird, wie bei 
den Hypochondrischen. 

Das ist wohl alles, was über die Lehre von der Akinesia algera bekannt 
ist Vor allem muß man sagen, daß Möbius’s Auffassung dieses ohne Frage 
eigenartigen Krankheitsbildes sehr unbestimmt und unklar ist Was soll es 
z. B. heißen, daß bei seinen Kranken keine hysterischen Erscheinungen gewesen 
sind, wenn er zu gleicher Zeit die Schmerzen als hysterische Schmerzhallu- 
zinationen ansieht? Dann soll die Krankheit einer schweren Hypochondrie 
näher stehen als der reinen Hysterie; im allgemeinen aber sei sie als Paranoia 
im weitesten Sinne aufzufassen. Diese unklare Definition kann man, glaube ich, 
so verstehen: die von dem Kranken empfundenen Schmerzen sind keine wirk¬ 
lichen Schmerzen, sondern nur Schmerzhalluzinationen. Da aber der psychische 
Ursprung dieser Schmerzhalluzinationen dem Kranken nicht bewußt wird, so 
sind sie als hysterische Symptome aufzufassen. Die weitere Deutung und Ver¬ 
arbeitung dieser Schmerzhalluzinationen wandelt sich im Bewußtsein de9 Kranken 
in Wahnideen oder richtiger in Wahnhandlungen (die Erklärung der Un¬ 
möglichkeit und im weiteren Verlauf die Unfähigkeit der aktiven Bewegungen) 
um und nimmt daher einen paranoischen Charakter an. Da aber diese Wahn¬ 
handlungen aus Eigenempfindungen (somatopsychischen Empfindungen) entstehen 
und von einer Depression begleitet werden, so kann man hier auch von einem 
hypochondrischen Element sprechen. Ganz abgesehen von der erwähnten Un¬ 
klarheit der Auffassung Möbius’ muß ich sagen, daß das Vorhandensein der 
Unbeweglichkeit als sekundäre Wahnhandlung nicht genügt, um das Leiden als 
eine Paranoia, auch im weitesten Sinne des Wortes, zu deuten. Wenn dem so 
wäre, müßte man alle psychischen Entartungszustände, bei denen die Zwangs¬ 
handlungen auch als sekundäre aus Wahnideen entstandene Wahnhandlungen 


1 Sbmidalow, Wrat9ch. 1897. S. 86, 71. 

* Sitzungsbericht der Moskauer Gesellsch. f. Neor. u. Psych. 1894—95. 

* Stompfb, Zar Kasuistik der Akinesia algera. Zeitschr. f. Heilk. XIX. 1898. S 271. 

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za verstehen wären, zur Paranoia im weiten Sinne des Wortes reohnen. Ein 
gewisses hypochondrisches Element ist allerdings nicht aus dem Krankheitsbild 
auszaschließen. Schwer ist es auch, Möbius zuzustimmen, wenn er den Begriff 
der Akinesia algera zu dem der Apraxia algera erweitert und za demselben 
auch die Untätigkeit infolge von neurasthenischen Kopfschmerzen and Kopfdruck 
rechnet Ich glaube, dann kann man die Akinesia algera eher sohon zur Neur¬ 
asthenie rechnen, da es doch richtiger ist, Unbekanntes durch Bekanntes zu 
erklären. 

Darin ist Möbius allerdings mit Recht vorsichtig verfahren, wenn er, auf 
nur 2 Beobachtungen gestützt, die Krankheit nicht als ein selbständiges Krank¬ 
heitsbild auffaßte. Ebenso als ein Derivat oder wenigstens etwas Ähnliches der 
großen Neurosen oder Psychosen deuten dieses Leiden auch andere Autoren: 
Lougband, Ebb, Koenig, Oppenheim, Stompfe u. a. Eine andere Ansicht ver¬ 
treten, wie oben erwähnt, Bechtebew und Semidalow. 


Vor allem erfordern die Schmerzen bei der Akinesia algera eine besondere 
Erklärung. War Möbius im Recht, als er diese Schmerzen für Schmerzhallu¬ 
zinationen erklärte? Wenn wirklich keine greifbare Unterlage für ihre Ent¬ 
stehung in der Peripherie vorhanden ist, wie es Möbius nach seinen Unter¬ 
suchungen angenommen hat, so hat man gewiß ein Recht, die Schmerzen als 
psychische aufzufassen. Nur muß man eine kleine Korrektur im Auge behalten, 
die Bechtebew erwähnt hat, daß man nämlich hier eher von Schmerzillusionen 
als von Schmerzhalluzinationen sprechen muß, da die Schmerzen nicht spontan, 
sondern bei Bewegungen der Extremitäten, also einer Reizung der peripheren 
Nervenendigungen entstehen. Aber Bechtebew geht noch weiter und erklärt 
die Schmerzen nicht für Schmerzillusionen, die durch die Bewegungen hervor- 
gerufen werden, sondern für wirkliche Schmerzen, die von der Schmerzreaktion 
der Pupille und von anderen reflektorischen Erscheinungen (Puls- und Atmungs¬ 
veränderungen) begleitet werden. Er nimmt eine lokale Hyperästhesie der 
Muskeln und Knochen an und zweifelt an der ausschließlich psychischen Natur 
der Schmerzen. Wie bekannt, wird die psychische Reaktion der Pupille, sowie 
vasomotorische und respiratorische, reflektorische Erscheinungen bei Druck auf 
kontusionierte Stellen bei traumatischen Neurosen beobachtet, wobei Bechtebew 
als das charakteristische dabei nicht nur die Hyperästhesie selbst, sondern auch 
vor allem die sie begleitende Schmerzhaftigkeit ansieht. Augenscheinlich nimmt 
nun Bechtebew aus Analogie zu den traumatischen Neurosen auch bei der 
Akinesia algera materielle Veränderungen in den peripheren Teilen an, die eine 
lokale Hyperästhesie der Muskeln hervorrufen. Letztere wird bei Reizung von 
Schmerzen und jenen oben angeführten reflektorischen Erscheinungen begleitet. 
Aber bei den traumatischen Neurosen geben Narben oder auch die Kontusion 
an und für sich eine Veranlassung zur Annahme von materiellen Ver¬ 
änderungen. Bei der reinen Akinesia algera aber (wenn eine solche existiert, 
siehe meinen ersten Fall) ist ein Trauma nicht obligatorisch. Bechtebew’s 
Fälle berechtigen allerdings eine Verwechslung mit der traumatischen Neurose, 
da dort in der Anamnese ein Trauma vorhanden war und ausgebreitete An- 


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ästhesien dafür sprachen. Bechterew selbst hält die Möglichkeit, daß es sich 
am traumatische Neurosen handelte, nicht für ganz unbegründet Wenn wir 
aber eine materielle Grundlage für die Schmerzen haben, so geht das Haupt¬ 
merkmal dieses angeblich selbständigen Leidens verloren (Möbius sagt ja in 
seiner Definition: „ohne daß eine greifbare Unterlage der Schmerzen zu finden 
wäre“). Übrigens sprechen die Schmerzreaktion der Pupille und die übrigen 
reflektorischen Erscheinungen durchaus nicht mit absoluter Sicherheit für das 
Vorhandensein einer greifbaren Unterlage für die Schmerzen und gegen ihre 
ausschließlich psychische Natur. Die Kranken sehen und fühlen es ja, daß man 
ihre Extremitäten reizt, und das könnte genügen, um sie einen nicht nur ein¬ 
gebildeten, sondern psychischen Schmerz empfinden zu lassen, der von allen 
möglichen reflektorischen Erscheinungen begleitet werden kann. Bei den so¬ 
genannten Phobien, die ja unserer Erkrankung nicht allzu fern stehen (Erb, 
Löwenpeld, Janet), sind bedeutende körperliche Erscheinungen, besonders auf 
vasomotorischem Gebiet, bekannt 

Es erübrigt sich noch, für die Beobachtung Bechtebew’s eine Erklärung 
zu geben, daß ein von ihm hypnotisierter Kranker mit Akinesia algera in der 
Hypnose bei Druck auf die betreffenden Extremitäten laut stöhnte und sich bei 
ihm dabei der Puls veränderte. Diese Beobachtung kann im Sinne der Jabbt’- 
schen Versuche gedeutet werden, die gezeigt haben, daß eine Idee, die im Wach¬ 
zustände sehr fest Wurzel gefaßt hat, im hypnotischen Zustande leichter ent¬ 
deckt und nachgewiesen wird. Also kann man annehmen, daß der psychische 
Schmerz auch in der Hypnose nicht aufhörte psychisch zu sein und von den 
angeführten reflektorischen Erscheinungen begleitet wurde. 

Ich glaube also, daß man mit Möbius annehmen kann, daß die Schmerzen 
bei der Akinesia algera psychisch bedingt sind und keine greifbare Unterlage 
zu haben brauchen (wenigstens nach unseren derzeitigen Anschauungen). Wenn 
eine solche vorhanden ist, so braucht sie nur eine nebensächliche, eventuell aus¬ 
lösende Wirkung zu haben. Eine andere Frage ist es, zu was für einer Kategorie 
von Krankheiten die Fälle zu rechnen sind. Eine gewisse Ähnlichkeit kaben 
sie mit den von Löwenpeld beschriebenen Zwangsempfindungen und Funktions¬ 
phobien, aber es fehlt ihnen das Zwangsweise und die Angst Am ehesten sind 
es wohl Schmerzillusionen, da die gewöhnlichen Bewegungsempfindungen als 
Schmerzen mit allen Anzeichen der Wirklichkeit wahrgenommmen werden. Man 
könnte auch von Parästhesien sprechen, aber Parästhesien lassen sich schließlich 
auch als eine Art Illusionen oder Halluzinationen betrachten, bei denen fast 
immer eine gewisse, wenigstens lokal gesteigerte Beizbarkeit vorhanden ist, 
während das bei der Akinesia algera nicht zu sein braucht. 

Wie soll man nun das Verhältnis der Kranken zu ihren Schmerzen, zu 
ihrer Behauptung, sie könnten sich nicht bewegen, und schließlich zu ihrer 
tatsächlichen Unbeweglichkeit ansehen? Ich glaube, da tritt an erste Stelle 
weniger die Umdeutung, also ein intellektuelles Moment, sondern mehr die 
emotive Seite, eine gewisse Furcht, Angst Der Zustand der Kranken ist am 
ehesten als ein hypochondrischer zu bezeichnen und wenn man heutigen Tages 


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von der Hypochondrie als einer selbständigen Krankheit sprechen kann (Raeoes 1 , 
Böttiger*), so muß die Akinesia algera eine Abart derselben sein. Iu der Tat, 
es ist doch schwer möglich, die Akinesia algera als eine selbständige Krankheit 
anzusehen und gleichzeitig von einer greifbaren Unterlage der Schmerzen und 
einem Trauma in der Anamnese, sowie von weit ausgebreiteten Anästhesien zu 
sprechen. — Auch der Umstand kann kaum der Aufmerksamkeit entgehen, 
daß von 18 bisher veröffentlichten Beobachtungen in keinem einzigen Falle das 
Krankheitsbild rein war, sondern immer von Anzeichen einer der schon be¬ 
kannten Psychoneurosen begleitet war, ja, in einzelnen Fällen sogar in eine 
Psychose überging. Beachtenswert ist in dieser Beziehung die zweite Kranke 
Stokpee’s, bei der die Erkrankung durch psychische Infektion erfolgte. Inter- 
essant ist auch der zweite Fall Oppenhbim’s, wo die Schmerzen nur in der 
rechten anästhetischen Seite bestanden. 

Nach dieser kritischen Übersicht müssen wir also die Akinesia algera als 
«in eigenartiges Bild eines hypochondrischen Zustandes betrachten, das in 
Schmerzillusionen bei Bewegungen besteht und bei entarteten Personen den Ver¬ 
lauf verschiedener Psychoneurosen kompliziert. 

Ich gehe nun zu meinen eigenen Beobachtungen über: 

I. Am 7. Dezember 1903 trat in die therapeutische Abteilung des Moskauer 
Militärhospitals der Soldat des 7. Grenadierregiments, M., 27 Jahre alt, ein. Bei 
der Aufnahme wurden Schmerzen in den Beinen, Unfähigkeit zu gehen und die 
Versicherung, daß die Krankheit schon 6 Jahre dauere, notiert. Die Untersuchung 
des Nervensystems ergab negativen Befund. Von chirurgischer Seite wurde eben¬ 
falls, mit Ausnahme von Plattfüßen, nichts Pathologisches gefunden. Die Unter¬ 
suchung der Augen ergab: Gesichtsfeld normal, VisuB beider Augen a / s , emme¬ 
tropische Refraktion, Augenhintergrund normal Am 5. Februar 1904 wurde Pat. 
in die psychiatrische Abteilung verlegt. Das im folgenden dargestellte Bild blieb 
unverändert bis zur Entlassung des Pat. am 8. April 1904. 

Pat. klagt, er könne Schmerzen halber weder gehen noch selbst die Beine 
im Bett rühren. Die Krankheit entstand vor 6 Jahren ohne einen nachweislichen 
Grund und entwickelte sich allmählich. Keine Angabe über ein Trauma. Syphilis 
wird geleugnet. Die Gelenke sind nie geschwollen gewesen. Über Erblichkeit 
nichts zu eruieren. Bei Gehversuchen schiebt sich Pat. mit Mühe vorwärts, wobei 
er sich mit der einen Hand auf irgend etwas stützt, während die andere die 
Beine vorwärts Betzt. Auf größere Entfernungen muß Pat. getragen werden. Auch 
im Bett werden die Beine nur mit Hilfe der Hände bewegt. Seine gewöhnliche 
Auslage im Bett ist Rückenlage mit breit auseinandergespreizten Beinen, die ganz 
passiv schwer auf der Unterlage liegen. Sogar wenn sich der Kranke im Bett 
umdreht, um zu essen und um etwas vom Nachttisch zu nehmen, bewegt sich 
nur sein Oberkörper, die Beine bleiben unbeweglich, gleich als ob er sie schonte. 
Spontan hat Pat. keine Schmerzen, doch stellen sie sich sofort ein, wenn er ge¬ 
nötigt ist seine Beine zu bewegen, weswegen er sie auch so unbeweglich hält. 
Bei aktiven und passiven Bewegungen der Beine bekommt Pat. einen leidenden 
Zug im Gesicht; er fängt an zu stöhnen; die Atmung wird beschleunigt und 
•oberflächlich, das Gesicht gerötet. Hört die Bewegung auf, so verschwinden alle 


1 Raeckb, Über Hypochondrie. Allg. Zeitscbr. f. Psych. LIX. 
* Böttioeb, Über die Hypochondrie. Archiv f. Psych. XXXI. 


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Heft 1 u. 2. 

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diese Erscheinungen. Denselben Effekt hat auch das Beklopfen der Beine mit 
dem Perkutierhammer und Druck auf Muskeln und Enoohen. Irgend welche Ver¬ 
änderungen sind an den Beinen nicht nachzuweisen. Alle Bewegungen sind in 
den Gelenken frei. Schmerzreaktion der Pupillen und Änderungen des Pulses 
bei Druck auf die schmerzenden Körperteile sind nicht vorhanden. 

In psychischer Beziehung ist eine deprimiert* gleichgültige Stimmung zu 
bemerken: der Kranke interessiert sich scheinbar gar nicht für seine Familie, ihn 
freut gar nicht die in Aussicht stehende Möglichkeit, vom Militärdienst frei zu 
kommen und seine Angehörigen wieder zu sehen, er hat sich ganz in seine Lage 
gefunden. „Was ist da zu tun? Mir ist nicht zu helfen — ich muß schon als 
Krüppel weiterleben“. Wahnideen und Sinnestäuschungen sind nicht vorhanden, 
das Bewußtsein ist vollkommen klar. Pat. ist groß von Wuchs, von gutem Bau 
und Ernährungszustand. Ohrläppchen angewachsen. Pupillen weit, reagieren 
etwas träge. Alle Arten der Sensibilität, sowie das Farbenempfindnngsvennögen 
normal. Der Konjunktivalreflex ist schwach, der Mandibula-, Nasen- und Rachen¬ 
reflex normal ausgeprägt. Die Sehnenreflexe der oberen Extremitäten sind un¬ 
gestört Die Patellarreflexe schienen bei der ersten Untersuchung normal zu sein, 
erwiesen sich aber später als erhöht Die Achillessehnen-, Sohlen-, Cremaster- 
und Zehenreflexe fehlen. In den Armen und im Körper sind keine Schmerzen. 
Von Beiten der inneren Organe nichts Pathologisches nachzuweisen. Hypnose¬ 
versuche mißlangen. Am 21. Dezember wurde Pat chloroformiert Die Narkose 
war nur leicht — Pat. war nur etwas betäubt, verzählte sich beim Zählen und 
gab lange Zeit keine Antwort Es gelang nicht, eine fixierte Idee im Unter¬ 
bewußtsein zu entdecken (nach Janzt). Eine in der Narkose gegebene Suggestion 
blieb unwirksam. 


Den zweiten Kranken sah ich in der Abteilang H. Oserbtzkowski’s , die 
anamnestischen Angaben sind von letzterem erhoben worden: 


Der Intendanturbeamte B., 27 Jahre alt, war vom Kriegsschauplätze krank¬ 
heitshalber evakuiert worden. Sein Vater ist seit 3 Jahren gelähmt; die Mutter 
leidet an Rheumatismus, ein Bruder ist tuberkulös, drei Kousinen starben an 
Schwindsucht. Vaters Vater ist Säufer. Pat hat in frühester Jugend eine schwere 
Erkrankung durchgemacht, an der er beinahe gestorben wäre, mit 14 Jahren eine 
Pleuritis. Mit 15 Jahren war er nach einer Erkältung längere Zeit bewußtlos, 
hatte Ödeme. 1898 litt er öfters an Rheumatismus (?). 1893 hatte er Hallu¬ 

zinationen, litt an Schlaflosigkeit, nächtlichem Aufschreoken, hatte das Gefühl, 
als risse ihm jemand nachts die Decke ab, trug sich mit Selbstmordgedanken. 
Die Krankheit entwickelte sich infolge von Gemütsbewegung — Pat. wurde da¬ 
mals von seinen Schulkameraden seiner fremdartigen Aussprache wegen verspottet 
(Pat. gehört zum Volksstamm der Syrjänen). 1902 hatte Pat. eine stärkere Ge¬ 
mütserschütterung durchgemacht, über die er jetzt nichts Genaueres angeben will, 
und im Anschluß daran entwickelte sich eine linksseitige Facialisparalyse und ein 
ebensolcher Zustand wie 1893. Damals machte er einen Vergiftungsversuch mit 
Opium. 

Als Grund für die augenblickliche Erkrankung gibt Pat. die ständige Über¬ 
anstrengung und geistige Anspannung bei Verwaltung eines Kronsmagazins auf 
dem Kriegsschauplatz an. Im April 1904 stellten sich bei ihm Kopfschmerzen, 
eine gewisse Unsicherheit im Handeln, Zweifelsucht ein. Am 28. Juni 1904 trat 
Pat. inB Militärhospital in Liaojan und wurde von da nach Charbin und später 
nach Moskau geschickt. 

Pat. ist von mittlerem Wuchs und schwachem Ernährungszustand. Er klagt 
über rheumatische Schmerzen im ganzen Körper. Herztöne dumpf. Atmung in 
der rechten Brusthälfte abgeschwächt. Pupillen mittelweit, reagieren normal. 


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Sprache unverändert. Die Berührungs- und Schmerzempfindlichkeit an der linken 
Gesichtshälfte, linken Brustseite und linken Hand etwaB herabgesetzt im Ver¬ 
hältnis zu anderen Körperstellen. Starke Schmerzen in den Unterschenkelknochen 
und Höftmuskulatur sowie bei Druck auf die Gastrocnemii und die Oberschenkel¬ 
muskulatur. Patellarreflex erhöh! Stimmung deprimiert. Pat. äußert hypo¬ 
chondrische Ideen, fragt, nach wie langer Zeit nach Onanie das Rückenmark 
anfange zu faulen, hört Totenlieder, sieht alles finster an. Bei genauerem Befragen 
stellt es sich heraus, daß Pat. nur kurz vor dem Schlafengehen halluziniert. Die 
Halluzinationen verschwinden bei jedem Ortswechsel auf 1—2 Tage. Pat. klagt 
über Unfähigkeit zu lesen und darüber, daß er das Gelesene nicht festhalten könne. 
Als ich ihn untersuchte, fand ich folgendes: Pat. klagt über Schmerzen in den 
Knochen und im Kreuz, jedoch fühlt er sie nicht, wenn er ruhig im Bett liegt. 
Nur hin und wieder zuckt es gleichsam in den Knochen. Bei aktiven Bewegungen 
im Bett schont er die Beine und das Kreuz, indem er mit den Händen nachhilft. 
Am bequemsten ist ihm die Seitenlage mit gebeugten Knien. Beim Ausstrecken 
der Beine wurden zweimal tonische Krämpfe im rechten Bein beobachtet, die 
Pat. durch Reiben und Beklopfen der Patella zur Auslösung brachte. Passive Be¬ 
wegungen sind in allen Extremitäten frei und schmerzlos. Druck auf die Muskeln 
und Nervenstämme ruft keine Schmerzen hervor. Beim Beklopfen der Tibia, des 
Ellbogens, der Skapula und des Lumbalteils der Wirbelsäule fährt Pat. anfangs 
stark zusammen und behauptet, er habe dabei starke Schmerzen. Bei wieder¬ 
holtem Beklopfen und der Versicherung, daß die Schmerzen nicht so Btark seien, 
meint der Kranke, daß er sie aushalten könne. Bei abgelenkter Aufmerksamkeit 
konnte man die Tibia und die Patella recht stark beklopfen, ohne daß Pat. darauf 
reagierte. Dabei waren weder die Schmerzreaktion der Pupille noch Puls- oder 
Atmungsveränderungen zu konstatieren. Bei den aktiven Bewegungen konnte 
Pat. nicht recht darüber Auskunft geben, warum er seine Beine so schont: ob 
der Schmerzen wegen, oder weil er ein unbequemes Gefühl dabei hätte. Auf¬ 
gefordert zu gehen, richtet er sich langsam unter Stöhnen und Ächzen auf, steht 
eine Weile wie unschlüssig von einem Fuß auf den anderen tretend und geht 
dann, bald mit dem einen, bald mit dem anderen Beine hinkend ein paar Schritt. 
Bei öfteren Versuchen stellte es sich heraus, daß er manchmal ganz gut gehen 
konnte. 

Im Gesicht sind deutliche Asymmetrien. Ohren groß, abstehend. Ohr¬ 
läppchen fehlen. Der harte Gaumen schmal und steil. Berührungsgefühl für 
Wärme an beiden Unterschenkeln und am linken Oberschenkel fehlend. Am 
rechten Oberschenkel ist es normal, an den Händen und am Körper wird Wärme 
als etwas Unbestimmtes empfunden. Die Schmerzen sind am rechten Arm und 
Bein stärker als links. Von den Reflexen sind der konjunktivale, der Augen-, 
Mandibula-, Kinnbacken- und Nasenreflex gesteigert, der akromiale, der Biceps- 
und Tricepsreflex normal, die Unterarm- und Handgelenkreflexe gesteigert, der 
Kremasterreflex normal, die Patellar-, Achillessehnen-, Sohlen- und Zehenreflexe 
gesteigert. In psychischer Beziehung ist eine deprimiert-hypochondrisohe Stimmung 
zu bemerken: Pat. hält sich für unheilbar krank, will sich gern die Füße ab¬ 
schneiden lassen, das Leben ist ihm nicht lieb. Seit l 1 / 2 Wochen hat er keine 
Halluzinationen mehr. Pat. sucht die Einsamkeit, sondert sich von den anderen 
Patienten ab, sagt, daß er es gewöhnt ist, allein zu sein. Alle seine Aussagen 
über seine vielfachen Krankheiten und trüben Schicksale fallen durch ihre Un¬ 
klarheit und Verworrenheit auf. Bestimmte Wahnideen Bind nicht vorhanden. 
Das Bewußtsein ist klar. Von chirurgischer Seite wurden in den Knochen keinerlei 
Veränderungen gefunden. 


Wenn wir zuerst den zweiten Fall ins Auge fassen, so sehen wir bei einem 


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erblich belasteten Kranken unter dem Einfluß einer Reihe von physischen 
Leiden und Gemütserschötterungen eine Psychoneuro9e entstehen, die mit ihrer 
hypochondrisch-deprimierten Stimmung, ihren zeitweiligen optischen und akusti¬ 
schen Halluzinationen und Halluzinationen des Allgemeingefühls (Gefühl des 
Wegziehens der Decke), wahrscheinlich hypnagogen Charakters, sowie ihren 
hypochondrischen Wahnideen an eine Psychose grenzt Als hypochondrische 
Wahnideen sind wohl auch die Klagen über Schmerzen anfzufassen. Seine viel¬ 
fachen konfusen und widerspruchsvollen Erzählungen über die verschiedenen 
von ihm ausgestandenen Leiden lassen an der Wirklichkeit derselben zweifeln 
und legen den Gedanken an einen hypochondrisoh-wahnhaften Ursprung der¬ 
selben nahe. Die Konflikte mit den Kameraden sind natürlich möglich; aber 
wahrscheinlich wird die neuropathische Veranlagung des Patienten auch mit schuld 
an ihnen gewesen sein. Was nun die Schmerzen anlangt, so muß man sie 
wohl als Schmerzillusionen bei Bewegungen auffassen. Sowohl die chirurgische 
als auch eine wiederholte neurologische Untersuchung ergab absolut keine sicht¬ 
baren Veränderungen in den Extremitäten und in der Wirbelsäule, während 
der Umstand, daß Patient bei abgelenkter Aufmerksamkeit auch auf starkes 
Beklopfen der Knochen nicht reagierte, auf den psychischen, quasi autosugge¬ 
rierten Charakter der Schmerzen hinweist Dafür spricht auch, daß der Sitz der 
Schmerzen ein wechselnder war, bald in den Knochen, bald in den Muskeln, 
und daß der Patient manchmal hinkte, oft aber auch, besonders bei abgelenkter 
Aufmerksamkeit, nicht. Man könnte die Quelle dieser psychischen Schmerzen 
eventuell in der den Patienten so beunruhigenden hypochondrischen Idee sehen, 
ob das Rückenmark bald nach der Masturbation anfange zu faulen. Allerdings 
sind viele Symptome der sogenannten Irritatio spinalis sehr ähnlich diesen 
Schmerzen. 

Das weitere Verhalten des Patienten zu seinen Schmerzen steht in unmittel¬ 
barer Abhängigkeit von seiner allgemeinen deprimierten Stimmung, ist quasi als 
sekundäre, anpassende Umdeutung anzusehen. 

So stellen sich also die Erscheinungen der Akinesia algera in diesem Falle 
nur als eine Teilerscheinung einer allgemeinen hypochondrischen Psychoneurose 
heraus, entsprechen aber dabei vollkommen dem Bilde der Akinesia algera, wie 
sie von den oben erwähnten Autoren geschildert wird. Diese Beobachtung steht 
auch nicht in Widerspruch mit der von mir auf Grund der kritischen Über¬ 
sicht ausgesprochenen Ansicht. 

Ein etwas anderes Bild bietet der erste Fall. Hier könnte man eventuell 
den Plattfuß als materielle Ursache der Schmerzen ansprechen. Laut Tillmanns 1 
und Jeookow* ist aber der angeborene Plattfuß vollkommen schmerzlos, der 
erworbene gibt manchmal, bei Erschlaffung der Muskeln (Duchenne), Veran¬ 
lassung zu Schmerzen, die jedoch hauptsächlich im Fuß selbst lokalisiert sind. 


1 Tillmanns, Lehrbuch der spez. Chirurgie. 

* Jbookow, Sitzungsber. der Moskauer Gesellschaft f. Neuropathologie n. Psychiatrie 
1891/92 (russisch). 


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Bei meinem Patienten ist die Herkunft des Plattfußes unbekannt. Eine Er¬ 
schlaffung der Muskeln war nicht vorhanden und die Schmerzen wurden nicht 
im Fuß, sondern in den Unter- und Oberschenkeln lokalisiert. Damit ist wohl 
der Plattfuß als Erreger der Schmerzen in diesem Falle ausgeschlossen. Dann 
aber entspricht das Bild vollkommen der Akinesia algera. Wenn wir die im 
Verhältnis zur Schwere der Erkrankung geringe Depression des Patienten ver¬ 
nachlässigen, so ist es der einzige Fall in der Literatur, der keine psychischen 
Komplikationen bot. Hier kann weder von einer Paranoia noch einer Hysterie 
noch einer Neurasthenie die Rede sein. Auch ein allgemeiner hypochondrischer 
Zustand mit wechselnden verschiedenartigen Klagen und offenbarer Einwirkung 
der Psyche und sogar Suggestibilität, wie im zweiten Fall, war hier nicht vor¬ 
handen. Allerdings könnte man im gegebenen Fall die Erscheinung der Akinesia 
algera selbst auf ein krankhaft verändertes Bewußtsein und eine wahrhafte, 
aller Kritik standhaltende, aber logische Verarbeitung dieser Veränderung zurück- 
führen, also auf die Hauptmerkmale der Hypochondrie nach Raecke. Jedoch 
spricht diese Vermutung nur für den hypochondrischen Charakter der ganzen 
Erkrankung, nicht aber für seine Entwicklung im Verlaufe einer allgemeinen 
hypochondrischen Psychoneurose, für deren Annahme jegliche Beweise fehlen. 
Natürlich kann man auch diesen reinen Fall von Akinesia algera nicht anders 
psychogenetisch deuten, als indem man sagt, daß die Schmerzillusionen den 
Charakter einer Zwangsidee (oder besser einer fixierten Idee) angenommen haben, 
oder vielmehr den einer fixierten Schmerzillusion. Jedenfalls ist der hypochon¬ 
drische Charakter der Erkrankung unzweifelhaft und sie selbst ist als eine 
Varietät der Hypochondrie anzusehen. Freilich wird die Selbständigkeit der 
Hypochondrie auch noch angefochten trotz der überzeugenden Arbeiten von 
Bobttigeb und Raecke. 

Zum Schluß will ich noch einige Worte über die gerichtlich medizinische 
Bedeutung der Akinesia algera, speziell auch für Militärärzte hinzufügen. Der 
von mir beschriebene zweite Kranke hatte keinen Grund zur Simulation, da er 
sich freiwillig dem Dienst gestellt hatte. Der erste Patient aber war, ebenso 
wie die drei Patienten Bechtebew’s, Soldat und zwar noch dazu nicht russischer 
Nationalität, unter diesen ist die Häufigkeit der Simulation im russischen 
Heere, besonders bei der Diensteinstellung, bekannt. Die objektiven Zeichen: 
Schmerzreaktion der Pupille und Änderungen des Pulses und der Atmung 
können hier gute Dienste leisten, wenn ich sie auch anders auffasse als Bechtebew. 
Änderungen der Atmung und des Blutdruckes (nicht Pulses) sah ich bei meinem 
ersten Patienten, die Schmerzreaktion der Pupille fehlte beide Male. Beitragen 
können zur Klärung des einzelnen Falles klinische Beobachtung, eventuell Hypnose 
und Chloroformnarko8e, letzteres natürlich nur mit Einwilligung des Patienten. 

Zum Schlüsse erlaube ich mir folgende Sätze aufzustellen: 

1. Die Akinesia algera stellt einen besonderen Symptomenkomplex vor, der 
meistens im Verlaufe der allgemeinen Psychoneurosen auftritt und entweder eine 
Komplikation oder eine Verstärkung des Grundleidens bildet 

2. Die dabei beobachteten Schmerzen sind Schmerzillusionen. Die beab- 


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sichtigte Beschränkung der Bewegungen entsteht auf der Grundlage einer all¬ 
gemeinen hypochondrisch-deprimierten Stimmung und einer sekundären hypo- 
chondrisch-wahnhaften Umdeutung. 

3. Das ganze Bild ist mit der Hypochondrie verwandt. Die Schmerz¬ 
illusionen können zu fixierten Illusionen werden analog den fixierten Zwangsideen. 

4. Die Akinesia algera kommt selten rein vor (mein Fall ist der einzige 
in der Literatur), jedoch verliert sie auch dann ihren hypochondrischen Charakter 
nicht. Sie ist dann als eine Varietät der Hypochondrie aufzufassen. 

5. Der besondere Charakter der Erkrankung läßt nur ihre klinische Indivi¬ 
dualität betonen. 

3. Familiäre Tabes auf erblich-degenerativer Grundlage. 1 

Von Privatdozent Dr. W. Strohmayer in Jena. 

M. H.! Im November vorigen Jahres konsultierte mich eine 33jährige Frau, 
die Gattin eines Pfarrers. Sie war von dem Augenärzte an mich verwiesen, den 
sie wegen geringfügiger Sehbeschwerden (Flimmern und schmerzhafter Druck) auf 
dem rechten Auge aufgesucht hatte. Sie erklärten sich aus einer rechtsseitigen 
Mydriasis. Bemerkenswerter war der Befund der reflektorischen Starre der un¬ 
gleich weiten Pupillen (r. > 1.) bei erhaltener Konvergenzreaktion, sowie das 
doppelseitige Fehlen der Kniephänomene. Andere objektive oder subjektive 
Symptome der Hinterstrangerkrankung ergaben sich weder aus der Untersuchung, 
noch aus der Anamnese. Die Ätiologie war mir unklar. Die Patientin wies 
keinerlei Zeichen hereditärer SyphiliB auf, hatte auch keine darauf hindeutende 
Erkrankungen durchgemacht; der Ehemann, den ich persönlich kenne, ist nie 
syphilitisch gewesen. Andere ätiologische Momente (Erkältungen, Durchnässungen, 
körperliche Strapazen) fehlen. 

Zufällig erfuhr ich, daß die jüngste, 24jährige Schwester der Patientin „als 
Kind für rückenmarkskrank gehalten worden sei“. Es gelang mir, auch sie zu 
untersuchen. Sie zeigte eine auffallende äußere Ähnlichkeit mit der älteren 
Schwester; beide waren schlank, brünett und von lebhaftem Teint. Sie hatte links 
eine „hohe Schulter“ infolge einer dorsalen Kyphoskoliose. Im Jahre 1899 bis 
1900 war sie in Behandlung von L. Bbuns (Hannover). Sie klagte damals über 
Blasen&törungen und Bewegungsatazie der Beine. Nach Mitteilung von Bbuns 
lag vor: Fehlen der Kniephänomene, Pupillenstarre auf Licht und Akkommodation 
bei erhaltener Konvergenzreaktion. Bei meiner letzten Untersuchung (im Juni 
1907) fand ich ebenfalls noch doppelseitige akkommodative und reflektorische 
Starre der mittelweiten, gleichen, bei Konvergenz sich prompt verengenden Pupillen 
und WESTPHAL’sches Zeichen beiderseits. Die Blasenstörung besteht noch: die 
Patientin kann „bei heißem Wetter“ den Urin nicht lange halten. Außerdem 
gab sie an, daß Bie häufig Hustenanfälle von viertelstundenlanger Dauer bekomme, 
wenn sie 6ich schmerzhaft mit den Armen oder Beinen an einem Gegenstände 
stoße (Larynx-Krisen?). Beim Essen verschluckt sie sich leicht, wenn de nicht 
acht gibt. Im übrigen ist sie mit zunehmendem Alter kräftiger geworden, hat 
ihr Kindergärtnerinnenexamen gemacht und ist als solche tätig. Auch bei dieser 
Patientin versagte die syphilitische Ätiologie. Bei beiden Schwestern war der 


1 Mitgeteilt in der Sitzung der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft (Sektion 
für Heilkunde) am 4. Juli 1907. 


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Original fro-m 

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755 


Urin frei von Zucker. Aborte oder Frühgeburten waren in ihrer elterlichen 
Familie nicht zu verzeichnen. 


Demnach handelt es sich um tabische Symptombilder bei einem 
Schwesternpaare. Die Ursache dieser familiären Form der Hinterstrang¬ 
erkrankung ist, wie die genauere Kenntnis der Familiengeschichte ergibt, in der 
erblich-degenerativen Konstitution der beiden Schwestern zu suchen; 
Einzelheiten sind aus dem nachfolgenden Stammbaum ersichtlich: 


Stammtafel der Familie L. 


Großvater L., ^ Großmutter L. geb. L., 
f 65 Jahre alt; , (Kousine); f nach 
„Wassersucht“. einem Puerperium als 

| junge Frau; Diabetes. 

Ein Bruder, Vater L., 

der drei ge- f 66 Jahre alt; 

sunde Kinder Diabetes, 

und Enkel hat. 


Großvater M., 
Potator; + im 
Delirium. 


Großmutter M. geb. 
F., gesund. 


HutterL. geb. M., — 1 Geschwister; davon 
62 Jahre alt, sind vier gesund; zwei 

„nervös“; leichte jüngere Schwestern 
periodische sind geisteskrank; ein 

Depressionen. jüngerer Bruder „neigt 

zum Tiefsinn“. 


1. Frau L. geb. L., 
89 Jahre alt; Adi¬ 
positas; nervös¬ 
hypochondrische 
Konstitution; ver¬ 
heiratet mit ihrem 
Vetter 3. Grades 
L. (f Diabetes). 


2. Frau H. geb. 3. Frau A. geb. 
L„ 37 Jahre L., 33 Jahre 
alt; Migräne, alt; Tabes. 


4. Frau Sch. 

geb. L„ 

31 Jahre alt; alt; angebore' 
Adipositas; ner Hüftfehler: 

Zwangs- hinkt, 

vorstellungs- 
neurose. 


5. Frau M. geb. 6. Fräulein L., 
L., 29 Jahre 24 Jahre alt; 

Tabes. 


a) Theodor A., 1 Jahre 
alt; Dystrophia musc. 

progressiva. 

b) Anna A., 5'/* Jahre 
alt; Hysterie (Ohn¬ 
mächten bei Affekt¬ 
erregungen). 


Daß wir eine schwer neuro- bzw. psychopathische Familie vor uns haben, 
wird niemand leugnen. Eine in zwei Generationen duplizierte konvergente Be¬ 
lastung führt bei der Sechszahl der Schwestern in der dritten zu einem erheb¬ 
lichen Anstieg der Degenerationswelle. Neben den degenerativen Psychopathien 
der Hypochondrie und der Zwangsvorstellungen kommt es zu Migräne, Mi߬ 
bildung, Konstitutionsanomalien (Fettsucht) und organischen Affektionen des 
Rückenmarkes. Bei den Kindern der 3. Schwester (der oben erwähnten 
Pfarrersfrau) geht die Vererbung weiter, wie die beiden (mir bekannten) Kinder 
zeigen. Für letztere ist freilich von Gewicht, daß sie auch väterlicherseits nicht 
einwandfrei dastehen. Ich behandle eine Schwester ihres Vaters wegen Epilepsie, 
seinen Bruder kenne ich auch; er leidet an abnormer Adipositas. Wie die 
3. und 6. Schwester, so gleichen sich auch die 1. und 4.; sie sind dick, blond 
und zartfarbig. 

Zwei Punkte verdienen in dem Stammbaum noch besondere Betonung: 
Einmal ist in der väterlichen Linie L. der Diabetes stark vertreten. Die Gro߬ 
mutter, der Vater und der Ehemann der 1. Schwester (ein Enkel des Bruders 
des Großvaters L.) sind an der Zuckerkrankheit gestorben. Zum andern ist 
bedeutungf/ol], daß 


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e Großeltern Geschwisterkinder waren. 

.^Ürigir^l frcm 

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756 


Kehren wir zu dem Schwesternpaare mit den tabischen Symptomen zurück! 
Bei der einen ist die Rückenmarkserkrankung bereits im 16. Lebensjahre ein¬ 
wandfrei festgestellt; bei der anderen ist anzunehmen, daß ihre Symptome nicht 
von heute und gestern sind, so daß man ebenfalls von juveniler Tabes 
sprechen kann. In der überwiegenden Mehrzahl der mitgeteilten Fälle von 
Tabes und Taboparalyse im jugendlichen Alter spielt nachweisbare hereditäre 
Lues oder mangels ihrer objektiven Zeichen Tabes oder Paralyse der Erzeuger 
die hauptsächlichste ätiologische Rolle. 1 * * In meinen Fällen ist davon nicht die 
Rede. Ich suche vielmehr die Ursache in der erblich-degenerativen Prä¬ 
disposition, die in den verschiedensten Neuro- und Psychopathien bei den 
6 Schwestern zum Ausdruck kam. Von ausschlaggebender Bedeutung 
scheint mir die diabetische Ascendenz zu sein. Wie überhaupt die 
innigen Beziehungen des Diabetes zur Tabes, so ist im besonderen die Tatsache 
interessant, daß im Erbgange neuropathischer Familien der Diabetes mit der 
Tabes alterniert, ähnlich wie dies von der hereditären Ataxie bekannt ist. 
Guinon und Souques 2 haben aus der CHAncoT’schen Klinik treffliche Beispiele 
dafür erbracht. 

Schließlich ist noch die Frage zu erörtern, ob wir es mit Fällen echter 
tabischer Erkrankung mit fortschreitender Tendenz oder mit hereditär-degenera- 
tiven Entwicklungsanomalien des Rückenmarkes stabiler Art zu tun haben, die 
ihren Ausdruck in der Pupillenstarre und im W estph AL’schen Zeichen finden. 
Doppelseitiges Fehlen des Kniephänomens ist als echtes Stigma erblicher De¬ 
generation beschrieben 9 und angeborene Pupillenstarre als seltenes familiäres 
Vorkommnis bekannt. 4 * Für meine Fälle möchte ich an eine Kombination dieser 
beiden Möglichkeiten nicht glauben, sondern eine echte tabische Erkrankung 
annehmen. Wie lange die Symptome bei der älteren Schwester bestehen, wissen 
wir nicht, ihre auffallende Stabilität bei der jüngeren spricht nach der inter¬ 
essanten Erfahrung von Oppenheim 6 * nicht gegen Tabes. Ich werde die Fälle 
im Auge behalten und Ihnen von Veränderungen im Befunde berichten. Die 
Seltenheit der Beobachtung rechtfertigt ihre einstweilige Mitteilung. 


IL Referate. 


Anatomie. 

1) Über den Ursprung des Lungenvagus, von Ikegami und Jagitta. (Mit¬ 
teilungen der medizin. Gesellschaft zu Okayama. März 1907.) Ref.: Max 
Bielschowsky (Berlin). 


1 Vgl. J. Hagblstam, Über Tabes and Taboparalyse im Kindes- and Entwickelangs- 
alter. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXVI. S. 268ff. 

* Guinon et Souqubs, Association da tabfes avec le diabäte euere. Arch. de nearol. 
XXII, Nr. 66 u. XXIII, Nr. 67 u. 68. 

' Vgl. M. Sommer, Über das W estpb AL’schc Zeichen als Merkmal der erblichen Dege¬ 
neration. Monatsschr. f. Psych. u. Nearol. X. 1901. 

4 Vgl. Rbichardt, Über angeborene Papillenstarre. Nearol. Centralbi. 1903. S. 521. 

* Vgl. Nenrolog. Centralbi. 1902. S. 617. 


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757 


Um die Ursprungsverhältnisse des Lnngenv&gas za ergründen, haben die 
Verff. an Hunden zwei Beihen von Operationen ausgeführt, nämlich 

1 . die Durchschneidung des rechten Vagus oberhalb wie unterhalb des Plexus 
nodosus; 2 . die Exstirpation des Unterlappens der rechten Lunge. Die anato¬ 
mische Untersuchung ihres Materiales nach den Methoden von Marchi und 
Nissl führte sie zu folgenden Schlußfolgerungen: 

1 . Die motorischen Vagusfasern versorgen, wenigstens in direkter Weise, 
die Lunge nicht, weil erstens nach der Exstirpation des Basislappens der Lunge 
kerne nennenswerte Veränderung weder im dorsalen noch im ventralen Vaguskerne 
zu sehen ist, und weil zweitens die Durchschneidung des Vagus oberhalb des 
Plexus nodosus keinen Markscheidenzerfall an den dazugehörigen Lungenästen zur 
Folge hat. Freilich ist dabei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der 
motorische Vagus indirekt auf die Bronchien wirken kann. 

2. Die Veränderung des Plexus nodosus naoh der Exstirpation des Basis- 
lappens der gleichseitigen Lunge und die Degeneration der Lungenäste des Vagus 
noch dessen Durchschneidung am HalBe beweist, daß der Lungenvagus aus sen¬ 
siblen Fasern besteht, die aus dem gleichseitigen Plexus nodosus stammen. 

3. Die sensiblen Vagusfasern der rechten Lunge sollen als ihre Ursprungs¬ 
stätte etwa l j 7.5 oder 1 /aa der gesamten Ganglienzellen des gleichseitigen Plexus 
nodosus in Anspruch nehmen, wie es daraus hervorgeht, daß naoh der Exstirpation 
des rechten Basislappens, welcher in bezug auf Gewicht 1 /j .4 der ganzen Lunge 
ausmacht, ungefähr 1 / I8 oder 1 / ao der Nervenzellen des betreffenden Ganglions in 
Degeneration gerät. 

4. Die Ursprungszellen der für die Lunge bestimmten sensiblen Vagusfasern 
finden sich in diffuser Anordnung vorwiegend in der mittleren Partie des Plexus 
nodoBus, weil nach der Exstirpation des Unterlappens der Lunge hauptsächlich 
in den Zellen der genannten Stelle die Reaktionserscheinung (Chromatolyse der 
NE) zum Vorschein kommt. 

2) Studien über die normale und pathologische Anatomie der hinteren 
Bückenmarkswurzeln, von Ettore Levi. (Arbeiten aus dem nenrolog. 
Institute an der Wiener Universität. XIII. 1907.) Bef.: Otto Marburg. 

Ausgehend von den Befunden ObersteinerB und Bedlichs, die an den 
hinteren Wurzeln beim Durchtritt durch die Pia eine Einschnürung und am 
Weigert-Präparate Aufhellung (Verlust der Markscheide) finden, suchte Verf. mit 
Hilfe neuerer Methoden diese Verhältnisse zu ergründen. Es zeigte sich, daß die 
Schwannsche Scheide die Wurzel in den verschiedenen Segmenten verschieden 
weit centralwärts begleite; am weitesten im Cervikalmark, wo sie fast in die 
Medulla eindringt, am wenigsten weit im Lumbalmark. Statt dessen begleitet 
dort Glia die Wurzel bis zum Eintritt ins Bückenmark. Wo sich Glia und 
Bindegewebe berühren, erfahren beide eine Verdichtung und bilden ein die Wurzel 
querendes Blatt, das im Lendenmark kugelig nach außen vorgewölbt, im Hals¬ 
mark eben ist. 

Wo sich die Glia und das Bindegewebe der Wurzel berühren, dort bleibt 
weiters die Markscheidenfärbung aus; und diese Stelle fällt im Hals- und oberen 
Dorsalmark mit der Pialeinschnürung zusammen. 

Mittels der Bielschowskysehen Methode kann man nach dem Eintritt der 
Wurzeln wohl zahlreiche auf- und absteigende Axone sehen, echte Teilungen aber 
nur in ganz minimaler Anzahl. Verf. benutzt die gefundenen Verhältnisse, um 
das Einsetzen der tabischen Hinterstrangserkrankung an der Übergangsstelle des 
peripheren in den spinalen (gliösen) Wurzel teil zu erklären. 

3) Beitrüge zur Kenntnis der sensiblen Wurzeln der Medulla oblongata 
beim Menschen, von Eduard Hülles. (Arbeiten aus dem neurolog. Institut 
an der Wiener Universität. XIII. 1907.) Bef.: Otto Marburg (Wien). 


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Anschließend an Levis Arbeit über die hinteren Rückenmarkswarzein (vgl. 
vor. Referat) hat Verf. ähnliches bei den Wurzeln der sensiblen Bulbärnerven 
zeigen können. Hier endete die Schwannsche Scheide aber in jedem Falle 
ziemlich weit von der Medulla, am weitesten beim Cochlearis, am wenigsten weit 
beim Trigeminus. Während sich dieser mehr dem Verhalten der cervikalen 
Wurzeln nähert, ist der Cochlearis und der Vagus ähnlich den lumbalen 'Wurzeln, 
was bei letzterem besonders in die Augen fällt. 

Auch hier konnte mit der Bielschowskyschen Methode eine Bifurkation 
der Wurzeln nach ihrem Eintritt in die Medulla nur an einzelnen Fasern ge¬ 
zeigt werden. 


Physiologie. 

4) Weitere Untersuchungen über die Bewegung der Vögel naeh Durch¬ 
sohneidung der hinteren Büokenmarkswurzeln, von Dr. Wilhelm Tren¬ 
delenburg. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1906.) Ref.: S. Klempner. 

Die Abhandlung »t eine Fortsetzung der in diesem Centralbl. (1907, Nr. 1) 
bereits referierten früheren Arbeit des Verf.’s. 

Da die anatomische Grundlage eines Teiles der Beobachtungen der ersten 
Arbeit Einwände gegen die Deutung der Resultate zuließ (Erweichungen im Mark 
der operierten Tiere), so hat Verf. unter Anwendung einer verbesserten Operations¬ 
methode Nachuntersuchungen angestellt, um die bestehende Unsicherheit nach 
Möglichkeit zu beseitigen. 

Verf. gelangt zu folgenden Resultaten: 

1. Die anatomische Untersuchung des Rückenmarkes nach einseitiger und 
doppelseitiger Flügeloperation (so nennt Verf. die Durchschneidung sämtlicher 
hinterer Wurzeln, die zu den Flügeln in Beziehung stehen) ergibt außer un¬ 
wesentlichen Erscheinungen einer leichten Rückenmarkskompression nur eine Dege¬ 
neration der direkten Fortsetzungen der durchschnittenen Hinterwurzeln (Behand¬ 
lung nach Marchi). Die Bewegungsstörungen sind also nur auf den Ausfall der 
letzteren zurückzuführen. 

2. Es gelang, die bisher nicht einwandfreien Beinoperationen (Durchschneidung 
aller zu einem Bein in Beziehung stehenden Hinterwurzeln) zu verbessern und 
die Gefäße zu schonen. Die nun erhaltenen Symptome stimmen sowohl bei ein¬ 
seitiger, wie bei doppelseitiger Operation mit den früher erhaltenen in allen 
wesentlichen Punkten vollkommen überein. Anatomisch findet sich nur Degene¬ 
ration direkter Hinterwurzelfortsetzungen (Marchi). Auch hier sind die Be¬ 
wegungsstörungen nur auf den Ausfall der centripetalen Nerven zu beziehen. 

3. Für die Steigerung der Reflexerregbarkeit nach Hinterwurzeldurchschnei¬ 
dung werden weitere Beobachtungen angeführt. 

4. Die normalen „Gegenbewegungen“ (d. i. der normal vorhandene Wider¬ 
stand gegen passive Bewegungen der Extremitäten, der in einer reflektorisch aus¬ 
gelösten antagonistischen Bewegung besteht) fehlen nach Hinterwurzeldurch¬ 
schneidung. 

5. Der Beugetonus der Extremitäten ist nach Hinterwurzeldurchschneidung 
aufgehoben. 

6) De l’influence de la seotion experimentale des raoines postörleures sur 
l’etat des neurones periphöriques. Contribution ä l’etude des flbres 
centrifuges des raelnes postörieures, par Roux et Heitz. (Nouv. Iconogr. 
de la Salpetridre. 1906. Nr. 4.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Die Schlüsse, die die Verff. aus ihrer, für ein kurzes Referat ungeeigneten, 
sehr ausführlichen Arbeit ziehen, sind folgende: 

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Ea existieren in den hinteren Wurzeln der Säugetiere Myelinfasern mit 
centrifugalem Charakter. Diese Fasern sind verhältnismäßig wenig zahlreich, 
die einen sehr dünn, die anderen wieder etwas breiter, wieder andere dicker. 
Diese Fasern bleiben erhalten bis 14 Tage nach der Operation in dem Wurzel- 
stQck, das dem Rückenmark benachbart ist; sie degenerieren nach dem Ganglion 
zu und man kann sie in Gestalt von Kugeln in dem Nerven wiederfinden, der 
aus dem Ganglion austritt, um sich mit der vorderen Wurzel zu vereinigen. 

Der größte Teil der centrifugalen Stränge geht durch die Rami communi- 
cantes in den sympathischen Strang über, wo man ihn, etwa 3 Wochen nach 
der Wurzeldurchschneidung, degeneriert vorfindet. Am Ende des 7. Monates 
besteht diese teilweise Degeneration des Sympathicus jedoch nur noch spurweise. 

Eine schwächere Partie dieser Fasern verläuft zu den Nerven der Peripherie 
hin, wo man sie 18 bis 20 Tage nach der Operation degeneriert vorfindet, und 
zwar im Stamm des gemischten Nerven bis zu den Hautstücken, welche der 
durchschnittenen Wurzel entsprechen. Im 7. bis 8. Monat nach der 
Durchschneidung der hinteren Wurzeln bemerkt man in den Hautnerven, welche 
mit der betreffenden Wurzel korrespondieren, Wallersche Degeneration, welche 
sich zugleich auf die feinen und groben Fasern erstreckt. Zur selben Zeit be- 
ginnt das gangliöse Ende der durchschnittenen Wurzel zu degenerieren, und 
zwar einem retrograden Prozeß folgend. 

Ein Jahr nach der Operation enthalten die peripherischen Nerven keine 
degenerierten Fasern mehr, sondern nur noch leere Scheiden. Das ganglionäre 
Ende der Wurzel ist fertig mit seiner Degeneration; es enthält aber trotzdem 
noch zahlreiche feine Wurzeln von normalem Aussehen. Das andere Wurzelstück 
enthält sehr feine, regenerierte Fasern. Die Zellen der Ganglien haben schon 
von vornherein ihre normale Beschaffenheit bewahrt. 

Schwierig ist es, aus diesen experimentellen Tatsachen Schlüsse zu ziehen 
auf die Pathogenese der Tabes. Man kann nicht aus einer immerhin ziemlich 
starken und plötzlichen Verletzung Schlüsse ziehen auf eine Krankheit, die so 
langsam verläuft wie die Tabes. Zwischen dem Experiment und den tabischen 
Störungen bestehen wichtige, prinzipielle Unterschiede. 

Auf der einen Seite sind Abweichungen zwischen den ganglionären Läsionen 
der von den Verff. operierten Tieren, und denen von Thomas und HauBer 
(Nouvelle Iconographie de la Salpetriere 1902 u. 1904; b. dieses Centralblatt 
1903 S. 779 und 1905 S. 495) bei Tabes beschriebenen. Die Degeneration 
nach dem Wallerschen Typus beim Tiere entspricht vom histologischen Ge¬ 
sichtspunkt aus nicht der Neuritis bei Tabes (einfache Atrophie nach segmen¬ 
tärem Typus). Einzig und allein gleichen sich die Sympathicusläsionen bei den 
Tierexperimenten und bei der Tabes, wenigstens in den großen Strängen, aber 
es ist doch sehr fraglich, ob das Tierexperiment in der Gegend des visceralen 
Plexus die Läsionen entsprechend denen, die man bei Tabes beobachtet, mit den¬ 
selben Eigentümlichkeiten wiedergeben würde. 

Nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln haben die sekundären, atro¬ 
phischen Prozesse eine entschiedene Neigung nach einer gewissen Zeit zu weichen 
und der Regeneration Platz zu machen. 

Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als ob außer der direkten 
Einwirkung auf die hinteren Wurzeln, die die Meningen haben, bei der Tabes 
noch ein toxischer Einfluß, der von dem Syphilisvirus ausgehen müßte, auf 
das gesamte Nervensystem im Spiele ist. Dieser Einfluß würde Bich in erster 
Linie auf das sensible Protoneuron und auf die centripetalen Protoneurone des 
Sympathicus geltend machen. 


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Pathologische Anatomie. 

6 ) Ein Fall von Entaündung der Nervenwurzeln bei einer Stute, von Mar- 

chand et Alix. (Recueil de med. vöt. 1906. S. 353.) Ref.: Dexler (Prag). 

Die Beobachtung der Verff. bewies das Vorkommen einer interstitiellen 
Neuritis im Gebiete der Sakral wurzeln beim Pferde, die, wie den Autoren ganz 
entgangen zu sein scheint, in naher Beziehung zur Geuesis des sogen. Hammel- 
schwanzes steht. 

Es handelte sich um eine 2 Jahre alte Stute, die auffallend häufig an Koliken 
litt, und die eines Tages mit Rectumparalyse behaftet gefunden wurde. Beim 
Übergange in die Beobachtung der Verff. war das Übel soweit vorgeschritten, 
daß das Rectum ohne künstliche Beihilfe überhaupt nicht entleert werden konnte. 
Dazu bildete sich langsam eine Sphinkterlähmung der Blase aus, die sich durch 
Harnträufeln verriet; nach einem Monate stand der After soweit offen, daß man 
das Tier nur im Trabe zu bewegen brauchte, um die Exkremente herausfallen zu 
lassen. Die Hautsensibilität der Perinealgegend nahm kontinuierlich ab und 
verschwand endlich ganz. Nach weiteren 5 Monaten des im allgemeinen Behr 
guten Wohlbefindens stellte sich links eine langsam zunehmende Atrophie der 
KroupmuBkeln ein, die mit der Zeit anch eine leichte Gangstörung verursachte, 
so daß das Pferd mit dem linken Hinterfuß eigentümlich steif auffiel und ihn 
beim Traben ruckweise beugte. Nachdem sich auch auf der rechten Seite ein 
Muskelschwund bemerkbar zu machen begann, wurde das Pferd nach 7monat¬ 
licher Beobachtung getötet. Die sogleich vorgenommene Sektion ergab makro¬ 
skopisch keine Anhaltspunkte. Insbesondere. waren die genauer untersuchten 
Nerven der Cauda equina von völlig normalem Aussehen. Bloß in den 
gelähmt gewesenen Muskeln eruierte man die Zeichen der chronischen Atrophie. 

Bei der histologischen Untersuchung wurde der Bestand einer ungemein 
typischen und hochgradigen interstitiellen Neuritis entdeckt, die insbesondere die 
Ganglien und die Nervenstämme der Cauda equina ergriffen hatte, und die sich 
im wesentlichen durch leukozytäre Infiltration des perineuralen Bindegewebes und 
des Stützgerüstes der Spinalganglien dokumentierte. An gewissen Stellen war die 
Gewebsstruktur von den dichten Schwärmen der Leukozyten total verdeckt; nur 
die zwischen ihnen liegenden Ganglienzellen hatten ihr normales Aussehen un¬ 
verändert beibehalten. 

Die Ursache dieser Entzündung blieb vollkommen unaufgeklärt. 

Für den Ref. ist es ganz zweifellos, daß hier ein bisher noch nicht be¬ 
schriebenes Anfangsstadium jener produktiven Entzündung vorliegt, die das von 
ihm beschriebene Substrat für den sogen. Hammelschwanz darstellt. Wie in allen 
bekannten Fällen hatte es sich auch hier wieder um eine Stute gehandelt, die 
mit Erscheinungen erkrankte, die sich von jenen des Hammelschwanzes durch 
nichts unterscheiden. 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Experimentelle Tabes bei Hunden (Trypanosomen-Tabes), von Dr. W. S p i e 1 - 

meyer. (Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 48.) Ref.: Max Jacoby. 
Durch Impfung von Trypanosoma Brucii ist es Verf. gelungen, mit Hilfe 
der Marchischen Chromosmiummethode frische Degenerationen im Gebiete der 
hinteren Rückenmarkswurzeln, der sensiblen Trigeminuswurzel und im Opticus 
nachzuweisen. Der Prozeß im Rückenmark beschränkt sich im wesentlichen auf 
die cervikalen Segmente. Der Befund ähnelt völlig dem Bilde der cervikalen 
Tabes, und zwar dem ersten Stadium einer solchen. Regelmäßiger als diese 
Hinterwurzelveränderungen fanden sich Entartungsprozesse in der sensiblen Trige- 


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minuswarzel, die auch häufig bei der Tabes des Menschen erkrankt. Bei zwei 
Hnnden ließ sich eine Miterkrankung des Opticus nachweisen. Mit Rücksicht auf 
die Lokalisation der degenerativen Vorgänge — die Erkrankung der Hinter- 
wurzelsysteme und die Beteiligung des Opticus — und mit Rücksicht auf die 
Eigenart des degenerativen Prozesses — die primäre Fasererkrankung — glaubt 
sich Verf. berechtigt, von einer tabischen Erkrankung, der „Trypanosomen-Tabes“ 
der Hunde zu sprechen. Histologisch glichen sich Menschen* und Hundetabes 
vollkommen. 

8) Zur Ätiologie der Tabes, von Prof. C. Motschutkowsky. (Russische 
med. Rundschau. IV. 1906. Nr. 10.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg). 

Nachdem wohl in der gesamten medizinischen Welt die von Erb statistisch 
so sorgsam fundierte Anschauung, daß die Lues bei der Ätiologie der Tabes die 
erste Rolle spiele, angenommen ist, versucht Verf. auf Grund seines 1662 Tabes* 
fälle umfassenden Materiales der alten Rombergschen Lehre von dem geschlecht* 
liehen Abusus als hauptsächlichem ätiologischem Faktor der Tabes wieder Geltung 
zu verschaffen. Er meint beweisen zu können, daß geschlechtliche Überanstrengung, 
die in der Statistik von Erb mit 16% in der Reihe der Tabesursachen ver¬ 
zeichnet ist, bei weiteih der Hauptfaktor der ätiologischen Momente (74,6%) sei. 
Bei 80,5 % seiner Fälle konnte Verf. unzweifelhaft die Lues aus der Anamnese 
eruieren, bei 35,2 % war vorangegangene Syphilis zweifelhaft, bei 5,5% unwahr- 
scheinlich. Trotzdem also nach des Verf.’s eigenen Angaben die Lues in 65,7 % 
zum mindesten wahrscheinlich der Tabes vorausgegangen war, läßt er in seiner 
Statistik nur die Prozentzahl der zweifellosen Luetiker gelten. Was Verf. unter 
„zweifelhafter und unwahrscheinlicher Syphilis“ versteht, erklärt er nicht. 

Als Momente, die gegen die Ansichten von Erb zu sprechen scheinen, führt 
Verf. an, daß er unter seinen Tabischen vier jungfräuliche Individuen zu ver¬ 
zeichnen hatte — als ob bei diesen jede Möglichkeit einer Syphilisinfektion aus¬ 
geschlossen sei. Verf. beobachtete drei tabische Ehepaare, bei welchen frühere 
Syphilis nicht mit Bestimmtheit nachzuweisen (aber auch nicht zu negieren) war. 
Dagegen konnte er bei ihnen einen kolossalen Abusus in venere feststellen. Als 
weiteren Beweis gegen die Anschauung von Erb meint Verf. das Argument ins 
Feld führen zu können, daß in Rußland die Tabes bei Frauen zwar auch 10 
bis 15 mal seltener, die Syphilis bei ihnen dagegen häufiger sei (Frauen 54,1%, 
Männer 45,9%), was der ErbBchen Statistik, Tabes und LueB seien bei Frauen 
gleich selten, widerspräche. Auch die Tatsache, daß in Rußland manche Orte 
von Syphilis durchseucht, aber von Tabes frei sind, muß herhalten, um Verf.’s 
Anschauung zu stützen, ebenso wie der Umstand, daß fast alle Puellen luetisch 
infiziert seien, aber nur sehr selten an Tabes erkrankten. Nach des Verf.’s, durch 
Prof. Ott gestützten Meinung, spielt die Syphilis bei habituellem Abort nur in 
1 / I0 der Fälle eine Rolle, so daß man diesen als zum mindesten in hohem Maße 
luesverdäohtig nicht verwerten dürfe. 

Seine in manchen Punkten von der Erbschen abweichende Statistik ist für 
ihn ein weiterer Beweis der Unrichtigkeit der Erbschen Anschauungen. Dadurch, 
daß Verf. bei seinen Fällen andere Zahlen bezüglich des Zeitraumes zwischen 
syphilitischer Infektion und Ausbruch der Tabes, ferner bezüglich sicher beob¬ 
achteter luetischer Symptome bei seinen Kranken gefunden hat, meint er, weit¬ 
gehende Schlüsse gegen die Erbsche Statistik überhaupt ziehen zu dürfen. 

Auf den sehr wichtigen Punkt, daß sich bei Tabischen recht häufig gleich¬ 
zeitig luetische Symptome des Nervensystems finden, geht Verf. nicht weiter ein. 
Zum Schluß versucht Verf. die Luestheorie lächerlich zu machen, indem er an¬ 
führt, daß sich in der Anamnese der Tabischen weit häufiger Gonorrhoe als 


Syphilis festetellen lasse — er fragt, warum man denn dann dem Tripper keine 
ätiologische Rolle beimesse. 


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9) Über den gegenwärtigen Stand des serologischen Luesnachweises bei 
den syphilidogenen Erkrankungen des Centralnervensystems , von Dr. 

Felix Plaut. (Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 30.) Ref.: E. Asch. 
Die vom Verf. früher schon in Gemeinschaft mit Wassermann angeatellten 
serodiagnostischen Untersuchungen bei Paralytikern wurden von ersterem mittler* 
weile fortgesetzt und erweitert. In 44 Füllen von Paralyse war der Befund in 
den Spinalflüssigkeiten lmal negativ, 2 mal fraglich und in allen übrigen Füllen 
positiv. Ferner ließen sich in 3 Füllen von Paralyse in der Ventrikelflüssigkeit 
reichlich luetische Antistoffe nachweisen. Die Sera dieser Paralytiker reagierten 
ohne Ausnahme positiv. Die von Marie und Levaditi gefundene Tatsache des 
Auftretens der Antistoffe im progredienten Stadium und des Zunehmens derselben 
im Verhältnis zu dem Fortschreiten des Leidens wird vom Verf. nicht bestätigt. 
Auf Grund seiner Erfahrungen in etwa 100 Fällen von Paralyse bietet der Grad 
der Antikörperproduktion kein Kriterium für die Intensität des Krankheits¬ 
prozesses. Auch wurde nach paralytischen Anfällen keine Vermehrung der Anti¬ 
stoffe beobachtet. In einer größeren Zahl von Gehirnerkrankungen erbrachte die 
Untersuchung der Spinalflüssigkeit und des Serums negative Ergebnisse. Nur in 
3 Fällen, von denen einer mit Tabes kompliziert war, ein anderer das Bild der 
arteriosklerotischen Demenz bot und der dritte sich als postapoplektischer Schwach¬ 
sinn erwies, ließen sich im Serum und in der Spinalflüssigkeit Antistoffe nach¬ 
weisen. Sicherlich treten bei der Paralyse und bei der Tabes Antistoffe in der 
Spinalflüssigkeit viel häufiger auf als bei der Lues des Centralnervensystems oder 
gar bei Lues ohne cerebrale Störungen. Von einer Spezifizität der Reaktion für 
Tabes und Paralyse im Sinne von Marie und Levaditi kann jedoch vorläufig 
keine Rede sein. Jedenfalls weisen diese Untersuchungen darauf hin, daß sich 
bei der Paralyse Prozesse abspielen, die zur Lues in Beziehung stehen. Welcher 
Art dieselben sind und wo dies geschieht, ist bis jetzt noch teilweise unaufgeklärt, 
doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß das Centralorgan dabei in erster Linie 
beteiligt ist 

10) Serodiagnose bei Lues, Tabes und Paralyse duroh spezifische Nieder- 
Schläge, von Dr. Fornet und J. Schereschewsky. (Münchener med. 
Wochenschr. 1907. Nr. 30.) Ref.: E. Asch. 

Aus den zahlreichen Versuchen der Verff. geht mit Bestimmtheit hervor, daß 
das Serum von Paralytikern und Tabikern ausschließlich mit dem Serum von 
Luetikern eine positive Präzipitinreaktion und umgekehrt gibt. An der Hand 
dieser Methode ist es demnach künftig möglich sowohl bei Paralytikern und 
Tabikern die syphilogene Natur der Affektion festzustellen, wie auch in verdäch¬ 
tigen Fällen die Frage auf serodiagnostischem Wege zu entscheiden, ob Syphilis 
vorhanden ist oder nicht. 

11) Über die Frage syphilitischer Antistoffe in der Oerebrospinalflfissig- 
keit bei Tabes dorsalis, von Wilh. Weygandt. (Sitzungsber. der phys.- 
med. Ges. zu Würzburg. Würzburg 1907, A. Stüber.) Ref.: S. Klempner. 
Angeregt durch die bekannten Untersuchungen von Wassermann und Plaut 

über das Vorhandensein von syphilitischen Antistoffen in der Cerebrospinal- 
flüssigkeit von Paralytikern ist Verf. durch entsprechende Versuche der Frage des 
Verhaltens des Liquor bei Tabikern näher getreten. Abgesehen von der Ver¬ 
wendung von Rinderblut statt Hammelblutes und der Vermeidung von Karbol¬ 
säure zeigen die Versuche auch einige quantitative Abweichungen von den 
Wassermann-Plautschen. Während W T assermann abfallende Mengen des 


Organextraktes verwandte, beschränkte sich Verf. auf 0,2, das Komplement jedoch 
zog er in einer viel reichlicheren Abstufung heran, um zunächst den Beginn der 
hämolytischen Reaktion festzustellen. Die Spinalflüssigkeit wurde in etwas 


größerem Quantum jeweils angewendet 

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Drei Fälle von einwandfreier Tabes worden untersucht. Bei allen dreien ist 
Lues in der Anamnese. Eb ergab sieb nun, daß die 3 Fälle unter sich Diffe¬ 
renzen zeigten. Bei einem blieb die Hämolyse vollständig aus, beim zweiten 
traten Spuren ein unter 0,05 Komplement, während beim dritten schon unter 
0,02 Komplement Spuren eintraten und 0,06 bereits komplete Hämolyse zeigten. 
(Es ergab sich außerdem die auffallende Erscheinung, daß die Reaktion unter Zu¬ 
satz von normaler Milz wie auch unter Zusatz von luetischer Milz im wesentlichen 
gleich ausfallt) 

Auf Grund dieses Befundes läßt sich eine irgendwie spezifische Reaktion 
nioht erkennen. Eis ist vielmehr zu vermuten, daß in der Milz an sich bereits 
irgendwelche Eiweißkörper vorhanden sind, die die Hämolyse manchmal schon an 
sich hemmen, vor allem aber unter Zusatz von Spinalflüssigkeit in ausgedehntem 
Maße hemmen können. 

Nur unter Berücksichtigung der mannigfachen Schwierigkeiten und dem¬ 
entsprechend unter Anwendung größter Vorsicht wird von der Seite der Serum¬ 
forschung hier weiteres Licht auf die Frage des Zusammenhanges zwischen Lues 
und Tabes bzw. Paralyse fallen. 

12) Über Komplementbindungsversuohe bei infektiösen und postinfektiösen 

Erkrankungen (Tabes dorsalis usw.), sowie bei Nährstoffen, von 

Dr. Citron. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 27.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Verf. untersuchte an der Berliner 11. med. Klinik im Anschluß an die be¬ 
kannten Untersuchungen von Wassermann, NeisBer, Bruck und Schucht, 
1) 15 Tabiker, 2) 3 Paralytiker, 3) 15 Patienten mit Lues in der Anamnese, 
4) 10 Patienten, die Lues negieren, bei denen aber sonstige Anzeichen von Lues 
vorliegen und 5) 36 Personen, die eine luetische Infektion negieren und keine 
Zeichen derselben aufweisen. Das Resultat der Untersuchung auf Antikörper war 
bei Gruppe I im Serum 9 mal positiv, 3 mal negativ, in der Lumbalflüssigkeit 
2 mal positiv und 7 mal negativ, bei Gruppe II im Serum und Lumbalflüssigkeit 
positiv, bei Gruppe III 9 mal positiv und 6 mal negativ, bei Gruppe IV 9 mal 
positiv, lmal negativ, bei Gruppe V erwies sich in allen Fällen das Serum 
negativ und ebenso die in 6 Fällen untersuchte Lumbalflüssigkeit. Es ergab sich 
also, daß bei weitaus den meisten der Patienten, bei denen klinisch oder ana¬ 
tomisch Lues in Frage kam, im Serum bzw. vereinzelt in der Lumbalflüssigkeit 
Antikörper enthalten waren, nämlich von 44 Patienten 34 im Serum und einer 
außerdem nur in der Lumbalflüssigkeit, das sind 7,7,5°/ 0 positive Fälle. Die 
wenigen negativen Fälle zeigen zum großen Teil eine Besonderheit, nämlich die 
spezifische Behandlung. Je intensiver die Behandlung, um so schlechter das 
Resultat der Serodiagnostik, d. h. gerade in den dunklen Fällen ist die Serodiagnostik 
ein ausgezeichnetes Hilfsmittel. Fällt die Serumreaktion positiv aus, ohne daß 
tabische oder paralytische Symptome vorliegen, so empfiehlt Verf. energische spe¬ 
zifische Behandlung, denn „hier gibt uns der Organismus selbst das deutliche 
Zeichen, daß die bisherige Behandlung ungenügend war“. Verf. faßt die von 
ihm erhobenen Befunde bei syphilitischen und postsyphilitischen Erkrankungen 
in folgenden Sätzen zusammen: 1. Bei der Tabes finden sich in der Regel im 


Serum Antikörper, während die Lumbalflüssigkeit seltener und dann fast stets weit 
weniger Antikörper enthält. Gelegentlich umgekehrtes Verhalten. 2. Bei der 
Syphilis finden sich Antikörper oft noch nach sehr vielen Jahrzehnten, bis zu 
45 Jahren und wahrscheinlich noch länger, ja in des Verf.’s Versuchen hatten 
gerade die ganz alten Fälle besonders hohen Antikörpergehalt. 3. Auch hereditär 
Luetische können Antikörper im Serum haben. 4. Zwischen dem Antikörpergehalt 
und der spezifischen Hg-kur scheinen in dem Sinne Beziehungen zu bestehen, daß 
je intensiver die Kur war, desto geringer der Antikörpergehalt ist (siebe oben). 
5. Ein hoher Antikörpergehalt in der Lumbalflüssigkeit, wie er bei der Paralyse 


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die Regel ist, kommt sonst anscheinend nur sehr selten vor, es ist also dieses 
Zeichen in hohem Grade pathognomonisch für Paralyse (event. für syphilitische 
Erkrankungen des Gehirns oder der Meningen). 

13) Osteite syphilitique deformante, type Paget, ohez une tabdtique, par 

Chartier et Descomps. (Nouv. Iconogr. de la Salpetrige. 1907. Nr. 1.) 

Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Der Vater der 55jährigen Kranken starb an einer Karies der Kopfhaut. 
Sie selbst war immer gesund. Mit 16 Jahren verheiratete sie sich, hatte keine 
Kinder, aber Fehlgeburten. Der Ehemann hatte 3 Schlaganfälle, im Laufe von 
2 Jahren, der erste ging ohne irgend welche Störungen vorüber, der zweite hinter¬ 
ließ eine Hemiplegie, nach dem dritten starb er im Koma, 44 Jahr alt. Vor 
16 Jahren hatte Patientin mehrere Schwindelanfälle ohne Bewußtseinsverlust, ge¬ 
folgt von Stirnkopfschmerzen. Ein Jahr darauf fand sie eines Morgens beim 
Erwachen, daß sie das linke Augenlid nicht heben konnte und auf dem rechten 
Auge nichts sehen konnte. Trotz des Anratens ihres Hausarztes machte sie keine 
Schmierkur durch, nach einem Monat besserte sich zwar das Sehvermögen, sie 
sah jetzt aber doppelt. Nach und nach verschlechterte sich das Sehen auf dem 
linken Auge, so daß sie im Verlauf von 7 Jahren vollständig erblindete. Zur 
selben Zeit stellten sich blitzartige Schmerzen ein, die sich aber bald besserten. 
Während der letzten 3 Jahre war die Kranke vollständig beschwerdefrei. Im 
Jahre 1896 wieder blitzartige Schmerzen in dem rechten Beine und in der 
linken Hüfte, gleichzeitig bemerkte sie eine Verkrümmung des linken Beines. 
Gegen Mitte des Jahres stellten sich auch Schmerzen im linken Bein ein und 
dieses schwoll allmählich an. Besonders nahmen die Schmerzen bei Bewegungen 
zu, hatten jedoch nicht den Charakter des Blitzartigen. Bald wurden auch die 
Bewegungen der Schulter erschwert, Aufnahme in die Salpetriere. 

Status: Das Gehen ist erschwert, aber nicht ataktisch. Rombergsches 
Symptom. Ataxie der oberen und unteren Extremitäten bei Ruhelage. Sämtliche 
Sehnenreflexe fehlen, Sensibilität normal, jedoch verlangsamte Leitung. Leichte 
Ptosis des linken Augenlides, Paralyse des RektuB externus und des Rektus superior 
beiderseits, Argyll-Robertson, Atrophie des Augenhintergrundes. Außerdem ist 
die linke Tibia säbelscheidenartig verkrümmt. Zu fühlen sind einige nußgroße 
Exostosen. Vorderwand des Knochens ganz verschwunden, er ist von einer weichen 
Masse ausgefüllt, die auf beiden Seiten nach hinten übergreift. Linkes Knie 
Valgusstellung, Gelenk geschwollen, die Bänder sind verdickt. Flexionsbewegungen 
durch Krachen und Schmerzen unmöglich. Der rechte Femur ist ebenfalls ver¬ 
krümmt, das rechte Fußgelenk ebenfalls verdickt, beide auf Druck schmerzhaft, 
seit einiger Zeit sind die beiden ersten Zehen verdickt und unbeweglich. Das 
rechte Knie und Fußgelenk ebenfalls angeschwollen, nur nicht so stark wie das 
linke. Das Schultergelenk links weist dieselben Veränderungen wie das linke 
Knie auf. 

Der Knochenprozeß ist ein entzündlicher, kein rarefizierender, wie sonst 
hei Tabes. Da der Ehemann unzweifelhafte Lues hatte, so lag es nahe, an eine 
Osteomyelitis gummoBS zu denken. Der Erfolg der Therapie bestätigte die 
Diagnose, wenn auch keine vollständige Heilung eintrat, so lag doch eine wesent¬ 
liche Besserung vor. Nach des Verf.'s Meinung lag für die Knochensyphilis eine 
erbliche Prädisposition vor. 

14) Klinisohe Beiträge sur Kenntnis der Ursachen, der Symptome und 

des Verlaufes der Tabes, von Dr. Hammer. (Orvosi Hetilap. 1906. 

Nr. 46.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Verf. bringt statistische Daten über 728 (572 Männer, 156 Weiber) Tabiker, 
von welchen 230 Männer und 40 Weiber der intelligenteren Klasse angehörten. 
Von den 230 Männern hatten sicher oder wahrscheinlich Lues 96,8 °/ 0 ; 


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von den 40 Frauen war bei 57,5 °/ 0 sicher Lues. Von den den unteren Volks¬ 
schichten angehörenden 342 Männern hatten sicher oder wahrscheinlich 88 %, 
von 116 Frauen 99,14 °/ 0 Lues. Im Materiale des Verf.’s sind 8 Fälle konjugaler 
Tabes, und mehrere Fälle, wo der eine Gatte an Lues, einer an Tabes leidet. 
Alle diese Daten sprechen dafür, daß der Syphilis eine besonders wichtige Rolle 
in der Tabesätiologie zukommt. Bei 232 Patienten fanden sich brauchbare An¬ 
gaben bezüglich der Zeit, die zwischen der Infektion und dem Ausbruch der Tabes 
verfloß; diese Zeit betrug bei 61,59°/ 0 5 bis 15 Jahre. Von sämtlichen Patienten 
waren 6 unter 25 Jahren alt, Spätformen 7. Bezüglich der Frage der Nachkommenschaft 
kommen 434 Männer und 165 Weiber in Rechnung; bei ersteren war in 33,56°/ 0 die 
Ehe zufolge von Sterilität (20,92°/ 0 ), Fehl- oder Totgeburten, kinderlos, in 27,19°/ 0 
waren lebende Kinder. Bei den 155 Weibern war die Ehe in 3l,61°/ 0 steril, 
in 9,67°/ 0 waren nur Aborte und Totgeburten, in 12,90°/ o kamen die Kinder 
lebend zur Welt, starben aber bald, in 34,19 °/ 0 lebende Kinder, aber auch viele 
gestorben; die Sterilität ist also bei weiblichen Tabikern häufiger. Das erste 
Krankheitssymptom bildete: in 68,31 °/ 0 lanzinierende Schmerzen, in 10,38 °/ 0 
Augenmuskellähmung, in 4,91°/ 0 Abnahme der Sehkraft, in 3,63 % Blasenstörung, 
in 3,11 °/ 0 gastrische Krisen, in 1,81 °/ 0 Ataxie, in 2,07% Paraesthesien. Be¬ 
züglich Dauer der Tabes kommt Verf. zu dem Schluß, daß diese Krankheit die 
Lebensdauer für gewöhnlich nicht abkürzt. 

15) Sol fenomeno di Abadie nella tabe dorsale, par Negro. (Rivista neuro- 

patologica. 1906.) Ref.: Hübner (Bonn). 

Von 10 Tabesfällen, die Verf. genau untersuchte, fehlte bei dreien die 
Druckschmerzhaftigkeit der Achillessehne. Bei drei anderen fand sich eine 
dauernde Hyperalgesie (einmal nur einseitig). 

Bestimmte Beziehungen zwischen dem Abadieschen Phänomen und den 
bekannteren Tabessymptomen (z. B. der Hautsensibilität, den Sehnenreflexen, den 
lanzinierenden Schmerzen und dem Biernackisehen Symptom) ließen sich nicht 
nachweisen. 

Einmal beobachtete Vert, daß die Reaktion auf den schmerzhaften Druck 
erst sehr spät erfolgte. 

16) Eine Gebart bei vorgeschrittener Tabes dorsalis, von Dr. P. Zacharias. 

(Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 7.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 

Fälle von Schwängerung bei Nervenkrankheiten im progredienten Stadium 

gehören zu den Seltenheiten, da eine solche aus naheliegenden Gründen nicht 
angestrebt wird oder auch gar nicht möglich ist. Vor 10 Jahren zeigten sich 
bei der fraglichen Patientin die ersten tabischen Symptome. Im Jahre 1900 
machte sie eine normale Schwangerschaft und Geburt durch. Libido und Voluptas 
sexualis sind seit etwa 4 Jahren stark herabgesetzt. Seit 3 Jahren Ver¬ 
schlimmerung der tabischen Erscheinungen. Letzte Regel Mitte Februar 1906. 
Die Schwangerschaft verlief ohne Beschwerden, die Nervenerkrankung machte 
während derselben keine Fortschritte. Die ersten Kindesbewegungen wurden am 
18. Juni wahrgenommen. Ende Oktober zieht sich die Patientin durch einen Fall 
eine rechtsseitige Schenkelhalsfraktur zu. Die Geburt des Kindes erfolgte spontan, 
ohne daß die Patientin bei derselben wesentliche Beschwerden verspürte. Verlauf 
des Wochenbettes normal. Auffällig waren die völlige Schmerzlosigkeit der 
Wehen und die Untätigkeit der Bauchpresse bis auf den Schlußakt beim Ein- 
und Durchschneiden des Kopfes. 

17) Die physikalische Behandlung der Tabes dorsalis, von Ernst Tobias 

und Eduard Kindler. (Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 9.) Ref.: 

Bielschowsky (Breslau). 

Nach kurzer Besprechung der Erb’schen Syphilis-, der Benedictschen 
Theorie der mangelhaften Anlage der Hinterstränge wird im Anschluß an die 


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Edingersehe Abnutzungstheorie, die therapeutisch das schonende Moment in den 
Vordergrund stellt, die physikalische Therapie der Tabes erörtert. Als Diät 
wird reizlose, lactovegetabile Kost empfohlen, ohne jedoch das Fleisch ganz ent¬ 
ziehen zu wollen. Mastkuren werden widerraten, weil das übermäßig vermehrte 
Gewicht das Gehvermögen erschwert. Von künstlichen Nährmitteln wird Somatose 
als Stomachicum empfohlen. Alkohol ist nur in mäßigen Mengen als Anregungs¬ 
mittel gestattet, bei vorwiegend neurasthenischen Beschwerden wird er verboten. 
Bei Fettleibigkeit soll eine sehr vorsichtige, allmähliche Entfettung herbeigeführt 
werden, vor allem auch durch Anwendung der Massage, die auch zur Behebung 
atonischer Obstipation angewendet wird. Milde Streichmassage wirkt bei 
Parästhesien, lanzinierenden Schmerzen, Krisen beruhigend, während die anregende 
Wirkung der Massage bei Anästhesien, Taubheitsgefühlen erwünscht ist. Suggestive 
Erfolge kann man durch schonende Vibrationsmassage erzielen. Gewarnt wird 
vor eigenmächtigem Gebrauch von gymnastischen Übungen, dem „Müllern“ und 
den Schreberschen Übungen. Gymnastik soll nur unter gewissenhafter ärzt¬ 
licher Leitung getrieben werden, sie soll nicht ermüden, sondern kräftigen. Die 
Nervendehnung — unblutig — hat zuweilen Wert bei der Behandlung hart¬ 
näckiger lanzinierender Schmerzen, die Suspension schien keinen Einfluß auf Ataxie 
auBzuüben, ebenso sind die Hessingschen Korsetts von problematischer Wirkung, 
während das Umwickeln der Beine mit Schlauchbinden das Schleudern der Beine 
bessert. Hingegen wird die kompensatorische Übungsbehandlung sehr 
empfohlen. Diese soll so früh als möglich beginnen, jedoch ist Vorsicht geboten 
bei akutem Prozeß und wenn während oder nach den Übungen Ermüdungs¬ 
erscheinungen allgemein oder lokal im Kreuz oder in den Beinen Bich zeigen. 
In solchen Fällen beschränkt man sich am besten auf Gehübungen, später kann 
man an Apparaten erst mit offenen, dann mit geschlossenen Augen üben lassen. 
Die Übungen sollen zweimal im Jahre in je 4—6 wöchigen Kuren täglich abge¬ 
halten werden. Einen großen Baum nimmt die Besprechung der Hydrotherapie 
der Tabes ein. Bei TabeB dolorosa empfehlen sich Vollbäder von 35 °C. und 
20—30—60 Minuten Dauer, anschließend eine Stunde Bettruhe. In der Woche 
werden drei solcher Bäder event. mit 6 Pfd. Sole verabreicht, im ganzen 12 bis 
18 Bäder. 

Bei stillstehender Tabes ohne größere Schmerzzustände sind Kohlensäure¬ 
bäder zu verabfolgen, 2—3 mal wöchentlich, beginnend mit 84—35°C., Dauer 
8—15 Minuten. Je kälter das Bad, desto kürzer Bei die Dauer. Energischer 
wirken die Halbbäder event. wegen der damit verbundenen Wärmeentziehung 
ohne Reibungen und ohne kalte Brause. Ganzpackungen sollen 1 / 3 —1 Stunde 
dauern und 20gradig sein, im Anschluß daran eine kurze kalte Teilwaschung. 
Abreibungen geben einen energischen Beiz und sind nur im allerersten Beginn 
zu geben. 

Im allgemeinen sollen nur mittlere Temperaturen angewendet werden, vor 
Schwitzbädern wird gewarnt. Die Patienten sollen 1 oder 2 mal im Jahre eine 
Kur von 6 Wochen durchmachen: erst Kohlensäurebäder, dann milde Halbbäder. 
Gegen die lanzinierenden Schmerzen wird besonders der warme Bückenschlauch 
empfohlen, durch den eine halbe Stunde lang 40—44° 0. warmes Wasser rieselt. 
Zum Schluß wird auf die Elektrotherapie ganz kurz eingegangen. 

18) Los lesions des raoines, des ganglions raohidlens et des nerfs dans 
un oas de maladie de Friedreioh. Examen par la methode de Bamon 


y Cajal (imprögnation a l’argent), par J. Dejerine et Andre-Thomas. 
(Revue neurologique. 1907. Nr. 2.) Bef.: Erwin Stransky (Wien). 
DieVerff. teilen die in einem zur Autopsie gekommenen Falle Friedreichscher 
Krankheit erhobenen Befunde in den Wurzeln, Spinalganglien und peripheren 
Nerven mit (CajalBches Imprägnationsverfahren, Osmiumfärbung u. a. Methoden). 


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In den vorderen Wurzeln ergaben sich bei der Zerzupfung keine pathologischen 
Befunde. Die hinteren Wurzeln zeigten Verschmälerung der Fasern, schwächere 
Färbung des Myelins, das von unregelmäßiger Dicke erschien, und Kernvermehrung, 
vereinzelte Myelintröpfchen (also einfache Atrophie). Die Messungen in der Gegend 
des Wurzeldurchtrittes boten kaum irgendwelche Veränderungen dar. Die Spinal- 
ganglienzellen zeigten bei Pikrokarminfärbung normales Aussehen. An TransverBal- 
schnitten stach die Verschmälerung der hinteren Wurzeln gegenüber den vorderen 
besonders in die Augen; in den vorderen Wurzeln wurden bündelweise dünne 
Faserelemente angetroffen. Von den peripheren Nerven wiesen die Hautäste nur 
wenig normale Fasern auf, eB fanden sich nur dünne Fasern oder leere Schwannsche 
Scheiden; Waller sehe Degeneration fand sich nur ausnahmsweise; in den Muskel¬ 
ästen die gleichen Läsionen, nur geringgradiger, übrigens nicht in allen unter¬ 
suchten Muskelnervenästen gleich intensiv. Sonach zeigen sich in der Peripherie 
ausgeprägtere Alterationen als centralwärts. Bei Cajnl-Imprägnation zeigte sich 
in den hinteren Wurzeln auch eine Atrophie der Achsenzylinder; die Spinal¬ 
ganglienzellen zeigten auch mit dieser Methode keine Alteration. Auch Teile des 
Kückenmarks wurden nach dieser Methode untersucht; hervorzuheben wären da 
die erheblichen Ausfälle an Achsenzylindern im Bereich des Hinterstranges (be¬ 
sonders im Go 1 Ischen) (mit Ausnahme des Kommissurgebietes und der hinteren 
äußeren Wurzelzone), des gekreuzten Pyramidenbündels und der Kleinhirnseiten¬ 
strangbahn; Lissauersche Zone relativ reich an Achsenzylindern; Clarkesche 
Säule sehr zellarm; starke Gliawucherung in der vorderen Hälfte der Hintersträng e 
leichte Verdickung der Pia. 

Die Verff. knüpfen an die Mitteilung dieses Befundes verschiedene Schlußfolge¬ 
rungen. So wird darauf hingewiesen, daß in den Hintersträngen (besonders im 
GolIschen) starker AchseDzylinderausfall bestand, während intra vitam noch wenige 
Wochen vor dem Tode die Hautsensibilität an den unteren Extremitäten keine 
greifbaren Störungen aufgewiesen haben soll; der Go 11 sehe Strang scheint somit 
nicht die einzige Leitung hierfür zu Bein; eine Erklärungsmöglichkeit sehen die 
Verff. darin, daß die Achsenzylinder in den Hinterwurzelfasern keinen derartigen 
Schwund zeigten wie diejenigen in den Hintersträngen; sonach konnte die 
Leitung noch durch die graue Substanz erfolgen. Ein weiterer Punkt ist das 
Verhalten der peripheren Nerven (Überwiegen der Läsionen in der Peripherie, 
Läsionen selbst der motorischen Äste bei Intaktheit der motorischen Vorderhorn¬ 
zellen, relative Intaktheit der Spinalganglienzellen bei erheblicher Affektion der 
peripheren sensiblen Nerven); die Verff. weisen auf das ähnliche Verhalten bei der 
Tabes hin; allerdings sind aber bei letzterer die Hinterwurzelläsionen gewöhnlich 
erheblicher, und im mitgeteilten Falle wäre wiederum die Affektion der Hinter¬ 
wurzeln auch peripherwärts von den Spinalganglien in Betracht zu ziehen (zwischen 
diesen und dem peripheren Nerven). Die Frage, ob die oben erwähnten dünnen 
Faserelemente in den Wurzeln und Nerven nicht etwa als Kegenerationsprodukte 
aufgefaßt werden könnten, lassen die Verff. offen. Man könnte sich nach ihnen vor¬ 
stellen, daß beider FriedreichBchen Krankheit, die ja auf der Basis angeborener 
Anlage fußt, ein Minus an regenerativer Kraft der trophischen Centra — also 
der Zellen — anzunehmen wäre, wodurch die physiologische Degeneration der 
Fasern, die von der Peripherie centralwärts fortzuschreiten pflegt, kein Gegen¬ 
gewicht fände; eine Infektionskrankheit (wie solche auch im mitgeteilten Falle 
vorhanden gewesen) könnte die Defektanlago in vielen Fällen erst manifest 
werden lassen. 

10) Zur Pathologie der Friedreiohsohen Krankheit, von Privatdoz. Dr. Eduard 

Müller. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch. 

L 23jähriger Landarbeiter, in dessen Familie kein ähnliches Leiden vor¬ 
gekommen, bemerkte im Alter von 10 Jahren eine Langsamkeit und Einförmigkeit 


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der Sprache. Mit 16 Jahren trat Verkrümmung der Wirbelsäule und Unsicher* 
heit des Ganges auf, welche sich nach einem Unfall mit dadurch bedingter links¬ 
seitiger Oberschenkelfraktur wesentlich verschlimmerte. Etwa 2 Jahre später 
stellte sich stärkere Ermüdbarkeit der Beine, müßige Unsicherheit der Arme und 
leichte Blasenstörung ein. Bei der Aufnahme bemerkt man eine Kyphoskoliose, 
rechtsseitigen Hohlfuß und die Folgen des erwähnten Traumas. Die Sprache ist 
etwas langsam und eintönig, es besteht gelegentliche Neigung zum Verschlucken, 
Fehlen des Rachenreflexes und subjektives Empfinden einer geringen, verminderten, 
intellektuellen Leistungsfähigkeit. Grobe Kraft der oberen und unteren Extre¬ 
mitäten gut, aber etwas unsichere Bewegungen der Arme und statische sowie 
lokomotorische Ataxie der Beine. Trotz leichter reflektorischer Hypertonie der 
Beine fehlen die Patellar- und Achillessehnenreflexe. Kremaster- und Bauchdecken¬ 
reflexe lebhaft, beim Streichen der Fußsohlen tritt manchmal eine fast isolierte, 
tonische Dorsalflexion der großen Zehen auf. Gang stark unsicher, stampfend 
und wegen der Verkürzung des linken Beines humpelnd. Im Gebiet des 7. und 
8. Brustsegments links eine umschriebene, fleckförmige, radikuläre Sensibilitäts¬ 
störung, an den Unterschenkeln und Füßen leichte, mehr subjektiv bemerkte als 
objektiv sicher nachweisbare Abstumpfung der Oberflächen- und Tiefenempfindung 
mit Ausnahme des Schmerzgefühls. Bemerkenswert ist die zweifellos organische, 
fleckförmige Anästhesie, welche sich als radikuläre auf alle Qualitäten der Ober¬ 
flächenempfindung erstreckte und Bich später gürtelförmig auszudehnen schien. 
Wenn auch derartige Wurzel Veränderungen bei der Friedreichseben Krankheit 
schon beschrieben wurden, so ist doch die Beschränkung der Funktionsstörung 
auf ein bestimmtes Wurzelgebiet recht selten. 

II. Dieser Fall ist in seinen Anfangsstadien schon von Gustav Besold 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. V) veröffentlicht. Der Knabe war bis zum 
8. Jabre vollkommen gesund und erkrankte im Anschluß an Influenza mit ab¬ 
normer Ermüdbarkeit, Schwindel und einer allmählich zunehmenden Störung des 
Ganges, der tappelnd und wackelnd wurde. Ein Jahr später mäßige Verlang¬ 
samung der Sprache, Unsicherheit beim Schreiben und bei feineren BeBchäftigungs- 
versuchen. Zu dieser Zeit fehlen die Patellar- und Achillessehnenreflexe, die 
Psyche ist normal und die Oberflächen- sowie TiefenBensibilität gut erhalten. Im 
Alter von 13 Jahren finden sich auch im Gesicht choreaähnlicbe Zuokungen, in 
den Extremitäten, hauptsächlich in den Armen, statische und lokomotorische Ataxie 
bei fehlenden Sehnenreflexen, Schwanken auch beim Stehen mit offenen Augen, 
keine Sensibilitätsstörungen. Im Alter von 17 Jahren wird Zurückbleiben im 
Wachstum, langsame, aber gut verständliche Sprache, Zunahme der Ataxie im 
Rumpf, Armen und Beinen bemerkt, der Gang ist ohne Unterstützung jetzt un¬ 
möglich und an den Beinen machen sich unsichere Sensibilitätsstörungen geltend. 
Mit 18 Jahren ist die Sprache undeutlicher geworden, besteht Neigung zum Ver¬ 
schlucken, die statische und lokomotorische Ataxie am Rumpf und an den Extre¬ 
mitäten ist sehr stark, die Sehnenreflexe in denselben fehlen, während die Bauch¬ 
decken- und Kremasterreflexe erhalten sind, die taktile Sensibilität und besonders 
die der Tiefenempfindung ist an den Armen und Beinen, hauptsächlich an deren 
distalen Partien, herabgesetzt. Während des 11jährigen Leidens waren niemals 
Störungen der Pupillen, der Blase, auch keine Schmerzen und Parästheeien 
vorhanden. 

Bei der anatomischen Untersuchung fand sich im Rückenmark neben einer 
Zelldegeneration der Clarkeschen Säulen eine ausgesprochene primäre Degeneration 
der Gollschen und teilweise auch der Burdachschen Stränge. In den Seiten¬ 
strängen waren vornehmlich das Gebiet der Pyramidenseitenstrangbahn, angrenzende 
Teile des Intermediärbündels und hauptsächlich die Tractus spinocerebellares be¬ 
teiligt. Es fehlten irgendwelche Veränderungen in Meningen, Gefäßen, Vorder- 


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hörnern, Vordersträngen, hinteren und vorderen Wurzeln oder Spinalganglien. 
Es fehlte ferner die für dieses Leiden charakteristische Kleinheit und Schmächtig- 
keit des Rückenmarkes, woraus entnommen werden kann, daß dieselbe weniger 
auf Atrophie, als auf Hypoplasie zurückzufübren ist. Da sich die Sektion auf 
die Herausnahme des Rückenmarkes beschränken mußte, so fehlt leider eine Unter¬ 
suchung des Kleinhirns. 

III. 25jähriger Kaufmann, ohne hereditäre Belastung, bemerkt im Alter von 
17 Jahren eine allmählich zunehmende Unsicherheit beim Stehen und Gehen, 
Drehsuhwindel, Verlangsamung der Sprache sowie eine ataktische Bewegungs¬ 
störung zuerst des linken und später auch des rechten Armes. Es findet sich 
psychisch einfacher Schwachsinn mäßigen Grades und körperlich erhebliche 
Kyphoskoliose, monotone, zögernde Sprache, bald mehr athetoide, bald mehr 
choreiforme Spontanbewegungen in den Armen bei ständiger Neigung zu Hyper¬ 
extension der Finger, Fehlen der Achillessehnenreflexe, lebhafte Patellarreflexe 
bei deutlicher Hypertonie der Beine, Babinskisches Zehenphänomen, lebhafte 
Bauchdecken- und Kremasterreflexe und vor allem eine statische und lokomotorische 
Bewegungsstörung in den oberen, vornehmlich aber in den unteren Extremitäten 
mit deutlicher cerebellarer Ataxie. Es besteht ferner eine, aber nur geringe 
Abstumpfung der Sensibilität, namentlich im Bereich der Tiefenempfindung. Bei 
der anatomischen Bearbeitung fand sich eine frische Erkrankung des Rückenmarks 
in Form einer mit Leptomeningitis verbundenen akuten hämorrhagischen Ence¬ 
phalitis bzw. Encephalomyelitis und ferner eine chronische Affektion des Rücken¬ 
markes in Gestalt einer sogen, primären Erkrankung der Hinter- und Seitenstränge 
bei gleichartiger abnormer Kleinheit und Schmächtigkeit der ganzen Medulla 
spinal» und mäßiger Hydromyelie der Halsanschwellung. Da sich an den Pia- 
gefäßen am Gehirn und Rückenmark Veränderungen feststellen ließen, so faßt 
Verf. die disseminierte Encephalitis und die Leptomeningitis als koordinierte 
Krankheitserscheinungen auf der gemeinsamen Basis einer eigenartigen primären 
Gefäßschädigung des Centralnervensystems auf. 

20) Friedreiohsehe Krankheit mit Opticusatrophie, von James Taylor. 

(The Neurolog. Society of the United Kingdom 14. Juli 1906.) Ref. nach der 

Rev. neur. 1907. Nr. 8 von Kurt Mendel. 

Außer den Zeichen der Friedreichschen Krankheit bietet der Kranke eine 
doppelseitige Opticusatrophie mit konzentrischer Gesichtsfeldeinengnng und starker 
Herabsetzung der Sehschärfe. Psychische Störungen bestehen auch. 

21) Übergangsformell zwischen Friedreioh scher Krankheit und Herödo- 

ataxie oeröbelleuse (F. Marie), von E. Perrero. (Arch. di Psichiatria, 

Neuropatol., Antropol. criminale etc. XXVII. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer. 

Der mitgeteilte Fall betrifft ein Mädchen ohne erbliche Belastung, das schon 

im 2. Lebensjahr schwankenden Gang und Wackeln des Kopfes zeigte; vorn 
6. Jahr an entwickelte sich eine Kyphoskoliose und ein beiderseitiger Pes eqino- 
varus. Die Gehfähigkeit verschlechterte sich, die Beine wurden atrophisch. Die 
psychischen Fähigkeiten waren ungestört. Der Tod erfolgte im Alter von 24 Jahren. 
Die Obduktion ergab eine enorme Atrophie des Hinterhirns und Nachhirns (Cere- 
bellum, Pons, Corp. quadrigemina, Teile des Pedunculus), ferner eine Verschmälerung 
des Rückenmarkes und Fehlen des hinteren Septums in der Lendenanschwellung. 
Mikroskopisch erwies sich die Atrophie als eine einfache, ohne Faserläsionen; sie 
betraf nur Teile, die entwickelungsgeschichtlich zusammengehören; für eine kon¬ 
genitale Störung sprach auch das auffallend kleine Lumen der Art. basilaris, so¬ 
wie das Fehlen des hinteren Septums und das Auftreten von ektopischer grauer 
Substanz im Seitenstrang des DorBalmarkes. Im Rückenmark fand sich aus¬ 
gesprochene Degeneration des Gowersschen Bündels, der Kleinhirnseitenstrang¬ 
bahn und des Gollschen und Burdachschen Stranges, ferner eine Verminderung 


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der Zellen in den Clarkeschen Säulen. Der Fall zeigte demnach anatomisch 
eine Vermischung von Kleinhirn-Oliven-Ponsatrophie mit den degenerativen Pro* 
zessen, die der Friedreichschen Ataxie zugrunde liegen; er beweist, daß es 
Übergangsformen zwischen dieser letzteren und der P. Marieschen Häredoataxie 
gibt und diese keine Krankheit sui generis ist. Die gleichzeitig vorhandene hoch¬ 
gradige Knochen- und Muskelatrophie erklärt Verf. ebenfalls durch die Annahme 
kongenitaler Störungen. 


Psychiatrie. 

22) Syphilis et parslysie gönörale, par Dr. Etienne Jourdan. (Progree 
medical. 1906. Nr. 38.) Ref.: Viktor Lippert (Wiesbaden). 

Verf. veröffentlicht zwei Fälle, aus welchen ersichtlich sein soll, welche Wich¬ 
tigkeit neben der Lues als ätiologischem Momente noch die jeweilige geistige und 
Beelische Beschaffenheit des Individuums vor dem Ausbruche des Leidens in der 
Pathogenie der Paralyse besitzt, sei es als prädisponierender Schwäche- 
zustand bei hereditär Beanlagten (juvenile Paralyse), sei es als funktionelle 
Störung, als cerebrale Überreizung infolge des Unterganges und der Dege¬ 
neration der Rindenzellen nach entzündlicher Reaktion auf luetische Infektion hin. 

Die erste Krankengeschichte betrifft einen Mann von phlegmatischem 
Temperament, dessen Leben stets in absoluter Ruhe und Sorglosigkeit dahinfloß, 
einen Mann der Bureauarbeit, ohne die Möglichkeit einer körperlichen oder 
geistigen Überanstrengung, die zweite einen Lebe- und Weltmann, immer in Be¬ 
wegung und Erregung, immer in Spannung, Sportsman durch und durch, für alles 
interessiert, in allem ohne Maß, belesen in Literatur und Wissenschaft. 

In den Antezedentien beider findet sich schon jahrelang vorher akquirierte, 
behandelte und geheilte Lues; beide verheiratet. Der Beginn der Paralyse war 
bei beiden dementsprechend verschieden. Bei dem zweiten trat sie als Neurasthenie, 
bald mit ernsten cerebralen Symptomen, welche man auf körperliche und geistige 
Überanstrengung bezog, auf, bei dem ersten begann sie mit Muskelschwäche, zu 
welcher erst später psychische Symptome hinzutraten; bei dem zweiten Kranken 
war der Verlauf ein sehr rascher bis zu völliger Demenz und Tod, bei dem 
ersteren blieb das motorische Symptom bis ans Lebensende, während der ganzen 
dreijährigen Zeit der Krankheit war keine Demenz zu konstatieren; bei dem 
zweiten war Diagnose und damit die Prognose bald und leicht, bei dem ersten 
viel später und nicht bo einfach zu stellen, weshalb auoh solche Fälle, wie dieser, 
oft nicht als paralytisch erkannt werden, und wenn dies wirklich der Fall ist, 
nicht bis an ihr letztes Stadium verfolgt werden, weil sie doch nicht, wie jener, 
Bofort nach Ausbruch der ernsteren Symptome interniert werden. 

Verf. empfiehlt, sich nicht mit der einfachen Feststellung des ätiologischen 
Momentes „Syphilis“ zu begnügen, Bondern in jedem Falle eine möglichst genaue 
Feststellung des geistigen und seelischen Zustandes des betreffenden Individuums 
vor deutlichem Beginne des Leidens zu versuchen. 

23) Die pathologische Anatomie der Paralyse in ihrer Bedeutung für di» 
forensisohe und Unfallpraxis, von Prof. E. Meyer. (Ärztl. Sachverst.- 
Ztg. 1907. Nr. 7.) Ref.: L. Mann (Mannheim). 

Verf. weist in der für weitere ärztliche Kreise bestimmten Arbeit mit Nach¬ 
druck darauf hin, daß wir aus dem mikroskopisch-anatomischen Bild seit den 
Arbeiten von Nissl und Alzheimer in der Lage sind, fast mit Sicherheit eine 
Paralyse diagnostizieren zu können. Der Hirnrindenbefund (adventitielle In¬ 
filtration der Hirnrindengefäße mit Lymphocyten und besonders Plasmazellen) er¬ 
möglicht auch die in vivo oft so schwierige Abgrenzung gegen Lues cerebrospin. 
und Alcoholismus chronicus. Für die forensische Praxis ist diese Kenntnis wichtig, 
z. B. bei der Frage der Geschäftsfähigkeit bei Abfassung eines Vertrages, Testa- 


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mentes, bei Saioid and dergleichen. Für die Unfallpraxis »t die Kenntnis des 
anatomischen Befundes wichtig wegen der Abgrenzung gegen posttraumatische 
Demenz und Alkoholismus. Verf. hebt besonders hervor, daß nach seiner Er¬ 
fahrung bei rein traumatischen Erkrankungen die adventitiolle Infiltration mit 
Lymphocyten und besonders Plasmazellen bis jetzt nie beobachtet wurde. Bei 
einem vom Verf. angeführten Fall waren die charakteristischen Veränderungen 
noch klar nachzuweisen, obwohl die Sektion erst 76 Stunden post mortem erfolgte. 


III. Aua den Gesellschaften. 


Biologisohe Abteilung des ftrstliohen Vereins in Hamburg. 

(Schloß.) 

Sitzung vom 7. Uai 1907. 

Herr Fahr: Die Trägerin des in Frage stehenden Tumors war eine von 
ihrem Ehemann getrennt lebende Frau, die wegen „Kopfkrämpfen“, wie es in 
den Akten heißt, schon seit längerer Zeit in gelegentlicher ärztlicher Behandlung 
stand und eines Morgens ganz plötzlich starb, nachdem sie kurz vorher zwei mit 
Erbrechen einhergehende Krampfanfälle gehabt hatte. Bei diesen letzten Anfallen 
ist ein Arzt zugegen gewesen; die zur Besichtigung der Leiche zugezogenen 
Kollegen dachten wohl des plötzlichen Todes und Erbrechens wegen an Selbst¬ 
mord durch Vergiftung und waren in diesem Glauben durch den Umstand bestärkt 
worden, daß die Frau in sehr kümmerlichen sozialen Verhältnissen lebte und nach 
den Aussagen ihrer Umgebung dauernd von Kopfschmerzen geplagt war. Die 
Leiche wurde deshalb ins Hafenkrankenhaus überführt; bei der dort vorgenommenen 
Sektion fand sich für eine Vergiftung nicht der leiseste Anhalt, bei der Brust- 
und Bauchsektion überhaupt normale Verhältnisse, bei der Kopfsektion dagegen 
ein gänseeigroßes von der Dura ausgehendes Endotheliom im Bereioh des linken 
Stlrnhirns. Der Tumor ist im anatomischen Sinne gutartig, überall von der Um¬ 
gebung scharf abgesetzt. Er hat zwar durch Verdrängungserscheinungen eine 
tiefe Grnbe im Stirnhirn erzeugt, läßt sich aber aus dieser Grube mühelos heraus¬ 
heben. Eine Untersuchung auf Stauungspapille ist zu Lebzeiten der Pat. nicht 
vorgenommen worden. Anatomisch war keine Stauungspapille festzustellen. Die 
weitere Untersuchung des Tumors bestätigte die Diagnose Endotheliom. In dem 
2. Falle handelte es sich um ein 18 jähriges Dienstmädchen. Es war an dem 
Mädchen ihrer Umgebung nichts aufgefallen, als daß sie die letzten Tage vor 
ihrem Tode stiller als sonst und etwas schwermütig war. Über irgendwelche be¬ 
stimmten Beschwerden klagte sie jedoch nicht und tat ihre Arbeit in gewohnter 
Weise bis zu ihrem Tode, den sie selbst herbeiführte, indem sie sich eines Morgens 
in ihrer Kammer erhängte. Nachträglich gab die Mutter des Mädchens an, daß 
sie als Kind einmal „Krämpfe“ hatte und später zeitweise über ein lähmendes 
Gefühl in den Beinen klagte, das aber stets rasch vorüberging und das Mädchen 
nie veranlaßte, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei der Sektion fand 
sich im Bereich des linken Stirnlappens ein über faustgroßes, offenbar von der 
Dura ausgehendes Endotheliom, das unter mächtigen Verdrängungserscheinungen 
nach unten und nach der rechten Hemisphäre hinübergewachsen war, der Balken 
war dadurch verdrängt und stark deformiert, der linke Seiten Ventrikel in einen 
äußerst engen Spalt übergeführt worden. Die Grenze des Tumors ist überall 
völlig scharf von der Umgebung abgesetzt, die Nachbarschaft des Tumors ist 
absolut reaktionslos. Klinisch war auf Stauungspapille nicht nachgesehen, ana¬ 
tomisch ließ sich eine solche feststellen, sie war freilich nur geringgradig. Die 


Papillen waren mikroskopisch absolut frei von Entzündung, ebenso die Sehnerven¬ 


scheiden. 

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Autoreferat. 


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Herr Trömner erörtert die Erklärungsmöglichkeit des verschiedenes Ver¬ 
laufs durch den verschiedenen Sitz der Tumoren. In einem Falle rein kortikaler 
Sitz in der motorischen Region; infolgedessen Krampfanfälle und plötzlicher Exitus, 
wohl durch Atemlähmung. Im anderen Falle schien besonders das Mark des Parietal* 
lappens und des Balkens betroffen. Balkengeschwülste aber können wesentlich 
länger latent bleiben und machen unbestimmtere Symptome. Bezüglich der 
Stauungspapille hält T. den mechanischen Druck für ihre Hauptursache, aber 
doch nicht für ihre alleinige. Weshalb z. B. Kleinhirntumoren fast stets, Pons¬ 
tumoren häufig keine, weshalb Myelitis, Polyneuritis und andere extracerebrale 
Erkrankungen Stauungsneuritis machen, erkläre die Druckhypothese nicht. T. 
selbst habe Stauungsneuritis bei Encephalomalacie beobachtet, wo doch keine 
mechanische Erklärung möglich erscheine. In solchen Fällen müßten entzündliche 
oder toxische Faktoren wirken. Autoreferat. 

Herr Liebrecht: Ich kann den Worten des Herrn Trömner nur zustimmen, 
daß von Anfang an die Mehrzahl der Nervenärzte die entzündliche Theorie der 
Stauungspapille nicht anerkannt, sondern stets an die Wirksamkeit des erhöhten 
Druckes in der Schädelhöhle bei der Entstehung geglaubt hat. Jedoch möchte 
ich hier auf einen Mangel hinweisen, der die Beurteilung einschlägiger Fälle in 
den nervenärztlichen Publikationen sehr häufig erschwert. In denselben wird 
meist „die Stauungspapille“ sehr summarisch abgemacht. Es wechseln die Aus¬ 
drücke Neuritis intraocularis, Papillitis und Stauungspapille für denselben Fall 
promiscue ab. Auch über Sehschärfe und Gesichtsfeld fehlt gewöhnlich eine 
genauere Angabe. Bei der hohen, häufig ausschlaggebenden Bedeutung der 
Stauungspapille für das Grundleiden halte ich für nötig, sich nicht damit zu 
begnügen, Veränderungen an den Papillen festzustellen, sondern es muß in jedem 
einzelnen Falle die besondere Art der Erkrankung, Stauungspapille oder Neuritis, 
mittels aller zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (subjektive Störungen, Sehschärfe, 
Gesichtsfeld, Spiegeluntersuchung, Höhe der Papille) festgestellt werden. In der 
Regel ist das möglich. Ist der Gebrauch der diagnostischen Mittel dem Nerven¬ 
ärzte nicht möglich, so hat er den Augenarzt damit zu betrauen. Ich bin über¬ 
zeugt, daß in vielen Fällen auf diese Art eine Fehldiagnose verhütet wird und 
daß wir über die Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen wie Trepanationen oder 
Punktionen gesichertere Erfahrungen sammeln werden. Der von Dr. Fahr ein- 
geschlagene Weg zur Ergründung der Herkunft und der Häufigkeit des Vor¬ 
handenseins entzündungserregender Substanzen beim Gehirntumor scheint mir sehr 
richtig. Weitere vergleichende Untersuchungen über den Zustand der Sehnerven, 
des ZwischenscheidenraumeB und der Oberfläche des Gehirns in Fällen von Gehirn¬ 
geschwulst sind noch wünschenswert. Autoreferat. 

Herr Trömner: Auch von Ophthalmologen würden Stauungspapille und 
Neuritis nicht streng geschieden. Nebenbei erinnert er noch an die seltenen 
Fälle, wo sich Stauungspapille noch nach Tumorexstirpation gebildet hatte. 


Sitzung vom 4. Juni 1907. 

Herr Trömner: Über Abasie. Die von Blocq und Charcot 1888 ge¬ 
schaffene Lehre von der Abasie erfuhr 1890 durch Binswanger eine Erweiterung 
in dem Sinne, daß auch auf Grund neurasthenisch - hypochondrischer Zustände 
dysbasiBche Störungen auftreten können. Möbius widersprach dem und wollte, 
ähnlich Charcot, die Abasie nur der Hysterie reserviert wissen und bestritt u. a. 
auch die Möglichkeit einer organischen Entstehung der AbaBie, wie es Blocq, 
wenn nicht festgestellt, so doch vermutet hatte. Seitdem sind die Meinungen 
noch geteilt, wenngleich die Mehrzahl sich dem von Binswanger und Ziehen 
gegebenen Standpunkte nähert. Auch des Vortr. Erfahrungen rechtfertigen den 
Standpunkt, daß Abasie zwar ein meistenteils, aber doch kein exklusiv hysterisches 


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Symptom ist. Die Möglichkeit selbst einer organischen Grundlage der Abasie 
hält Vortr. aus verschiedenen Gränden aufrecht. A1b klinische Beispiele dafür 
führt er an: Dysbasie in der Art einer hysterischen als Anfangssymptom der 
Paralysis agitans, kleinschrittig trippelnder Gang als Residuum einer leichten 
rechtsseitigen Hemiplegie infolge Gefäßthrombose, und endlich die nicht so seltene 
senile Abasie, welche vor allem Petr6n ausführlich studierte und von der Vortr. 
im ärztlichen Verein ein Beispiel zeigte. Die vom Vortr. beobachteten Fälle rein 
funktioneller Abasie bieten auch sonst Beachtenswertes: 1. Eine hysterische Abasie 
nach Typhus im 16. Jahre. Zuerst Delirien, Mutismus, Doppeltsehen, beim Ver¬ 
such wieder aufzustehen, Abasie mit allgemeiner Hypalgesie und Paralysis agitans- 
ähnlichem Tremor des Kopfes und der rechten Schulter und rechtsseitigem Fuß- 
klonus; Gang paretisch-ataktisch mit leichter Peroneusparese. Unter Übungstherapie 
und Elektrisieren langsame Besserung. 2. Spastische Form hysterischer Abasie, 
im 7. Jahre ebenfalls nach Typhus aufgetreten. Spastische Paraparese, haupt¬ 
sächlich beim Gehen; der Gang breitbeinig, tappend, unter harter Spannung aller 
Muskeln. Wechselnder Verlauf; fern vom häuslichen Milieu stets Besserung, durch 
Aufregungen und längere Bettruhe stets Verschlimmerung. Eine Zeitlang tetanoide 
Anfälle nach Aufregungen. Beimischung von neurasthenischen Hyperästhesien und 
Krankheitsbefürchtungen. Der Fall gehört zum Teil zu der Gruppe der Pseudo- 
paresis spastica (N o n n e). Auch hier langsame remittierende Besserung. 3. Hysterische 
Dysbasie. Im 24. Jahre nach viermonatlicher Laktation hysterische Paraplegie 
mit totaler Analgesie, welche bei Wiederkehr der Menses sich allmählich verlor. 
12 Jahre später, infolge Ärger und Differenzen mit dem Ehemann, Wiedererkrankung 
unter Depression und Steifwerden der Beine beim Gehen, besonders des linken; 
trotz verschiedener ärztlicher Behandlung keine Besserung. Deutliche Affekt¬ 
beeinflußbarkeit, spastische Parese des linken Beines, Behr gering im Liegen, stark 
beim Versuch zu gehen; linkes Bein 1 1 / J cm dünner als das rechte, quantitative 
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit im Tibialis anticus, Babinskis 
Zehenphänomen, aber nur in Seitenlage und von wechselnder Intensität, bald 
doppel-, bald nur einseitig. Sonst keine auf organische Spinalerkrankung (multiple 
Sklerose oder Lues) hindeutende Symptome. Gemeinsames der drei Fälle: Geringe 
oder fehlende Belastung, chronischer Verlauf. Ursache in zwei Fällen Typhus; 
zwei Fälle mit neurasthenisch-hypochondrischen Symptomen verbunden. — Aus¬ 
führliche Publikation in Ziehens Monatsschr. f. Psych. u. Neur. 

Herr Hess berichtet über zwei bemerkenswerte Fälle von Abasie, welche in 
die Rubrik der auch von Trömner als Unterform zugestandenen Phobien gehören. 
In dem ersten Fall, eine 31jährige psychopathisch hereditär belastete Frau be¬ 
treffend, trat im 6. Monat der zweiten Gravidität eine Parese beider Beine ein, 
welche etwa 1 Jahr dauerte und nach kurzer (11—12 maliger) elektrischer Be¬ 
handlung verging. Im 3. Monat der sechsten Gravidität Recidiv: Erschwerung 
des Treppensteigens bis zur vollständigen Abasie, kombiniert mit der Unfähigkeit 
auf dem Stuhle sitzen zu können, ohne sich festzuhalten, weil sie zu fallen 
fürchtete — Akathisie. Von objektiven Störungen weder solche der Motilität, 
Sensibilität, noch der Reflexe nachzuweisen, nur mehrere Male beobachtete 
wechselnde Pupillen mit Erweiterung der rechten. Gang kurzschrittig, steif, 
automatisch, Augen erdwärts geneigt. Die suggestive Therapie beseitigte die 
Akathisie ganz, die Abasie nur vorübergehend. Der zweite Fall betrifft einen 
48jährigen, hereditär nicht belasteten Maurer, der seit etwa 2Vs Jahren nicht 
über Fließen (Platten) gehen kann ohne Angst und Versagen der Beine. Ob¬ 
jektiv keine Anomalien, in Rückenlage Motilität und Kraft der Beine gänzlich 
intakt. Vielleicht ist diese Abasie durch krankhafte Assoziation, die aus der 
Beschäftigung des Plattenlegens entstanden ist, bedingt. Besserung durch 
suggestive Übungstherapie, keine Dauerheilung. Autorefenit. 

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Herr Boettiger möchte in dem zweiten von Herrn Hess berichteten Falle 
lieber von Zwangsvorsteilangen als von Abasie sprechen. Auch die zwei ersten 
Beispiele des Herrn Trömner würde er anders diagnostizieren. B. bann sich 
überhaupt mit der Ausdehnung des Begriffes Abasiß auf alle möglichen psychi¬ 
schen oder organischen Zustandsbilder nicht einverstanden erklären, möchte viel¬ 
mehr ebenso wie Moebius die Bezeichnung Abasie im Sinne der CharcotBohen 
Schule reserviert wissen für das seinerzeit so klar und eindeutig herausgehobene 
typische hysterische Krankheitsbild, das so schön durch seinen Mangel an ana¬ 
tomischer und physiologischer Logik und durch die innere Inkonsequenz charak¬ 
terisiert ist. In der von Herrn Trömner beliebten ausgedehnten Anwendung 
des Begriffes Abasie kann er keinen Fortschritt sehen. Schon wenn man die 
hypochondrischen Vorstellungen des Nichtgehenkönnens bei der einfachen Hypo¬ 
chondrie (im Sinne Hitzig-Jollys) mit dem Namen Abasie belegt, so ist nicht 
einzusehen, warum man dann nicht auch das Nichtgehen infolge hypochondrisch- 
dementer Vorstellungen bzw. Wahnideen bei Dementia praecox und Paranoia 
z. B. als Abasie bezeichnen soll. Denn Hypochondrie, Dementia praecox und 
hypochondrische Paranoia stehen sich klinisch doch sicherlich näher als diese 
Psychosen und die Hysterie. Die hysterischen Abasien sind unmotiviert, die 
hypochondrischen usw. jedoch wären motiviert und von der krankhaften Vor¬ 
stellung aus logisch. Das ist ein prinzipieller Unterschied. Und wenn man 
weiter von Abasie spricht, wenn auch organische Krankheiten vorliegen, wenn sich 
beide Beine verschieden verhalten, wenn sich Muskelatrophie, Sehnen- und Hant- 
reflexVeränderungen, besonders Babinski konstatieren lassen, mit einem Worte, 
wenn vielmehr eine, anatomische Diagnose am Platze ist, dann dürfte der Begriff 
Abasie sich ins Uferlose ausdehnen, und überhaupt keinen diagnostischen Wert 
mehr haben, dann könnte man in den Anfangsstadien fast jeder organischen 
Nervenkrankheit, solange die Motilitätsstörungen in Rückenlage noch wenig oder 
gar nicht hervortreten, von Abasie sprechen. B. stimmt Herrn Trömner darin 
bei, daß eine Abasie, und zwar eine hysterische Abasie, verschiedene Charaktere 
zeigen kann; sie kann paretisch, ataktisch oder spastisch auftreten. Die Hysterie 
ahmt ja bekanntlich so ziemlich jedes Krankheitsbild nach. Eine hysterische 
Abasie ist aber nicht paralytisch oder spastisch usw., sondern sie täuscht die 
Paralyse, die Spasmen ubw. nur vor'und es ist Aufgabe der Diagnose, nachzu¬ 
weisen, ob jeweils eine organische Parese, spastische Parese, ataktische Parese 
bzw. Paralyse usw. vorliegt, oder eine Hysterie, die diese verschiedenen Formen 
der Abasie simuliert. B. ist der Ansicht, daß nur in diesem Sinne die Diagnose 
Abasie berechtigt ist. Autoreferat. 

Herr Nonne hält die Einteilung des Symptomenbildes Abasie in organische 
und hysterische für durchaus berechtigt und der Praxis entsprechend. Anderer¬ 
seits glaubt er, daß man die Störung der Qehfähigkeit bei Psychosen und bei 
den Zv/angszuständen nicht zur Abasie rechnen solle, da sie symptomatologisch 
sich anders darstellen. Besonders häufig ist das Bild der Abasie bei Greisen und 
Arteriosklerotikern, und bietet hier eine schlechte Prognose. N. berichtet über 
einen Fall von akut entstandener Abasie bei einem 75 jährigen Herrn, der bis da¬ 
hin körperlioh und geistig rüstig gewesen war. Nach den Erscheinungen eines 
leichten Insults bildete sich akut das Bild der „Abasie trepidante“ aus. Im 
übrigen war durchaus keine Anomalie auf psychischem und somatischem Gebiete 
zu konstatieren. Plötzlicher Exitus nach 14 Tagen. Bei der Sektion zeigte sich 
ein in Rückbildung begriffenes, ausgedehntes, flaches Hämatom der Dura mater 
auf der Basis einer Pachymeningitis haemorrhagica. Die hysterischen Abasie¬ 
formen sind prognostisch außerordentlich günstig, vorausgesetzt, daß Bie gleich 
diagnostisch festgestellt und sofort mit energischer Psychotherapie angefaßt werden. 
Diese Fälle sind in der Praxis häufig und betreffen ganz vorwiegend Kinder. 


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Meistens handelt es Bich um verzärtelte Kinder in reichem Milieu. Auch nach 
Traumen, speziell Rückentraumen kommen bei Kindern derartige Fälle nicht ganz 
selten vor. N. konnte alle Fälle prompt heilen. Auffallend ist die fast aus¬ 
nahmslose Monosymptomatik dieser Abasien. Während die paralytischen, spasti¬ 
schen und ataktischen Formen der Abasie bekannt sind, ist die „cerebellare 
Form“ der Abasie offenbar selten. N. sah bisher nur einen einzigen derartigen 
Fall: Es handelte sich um einen Knaben, der im Anschluß an eine eitrige Otitis 
media über Kopfschmerzen klagte und bei jedem Versuche 'zu stehen und zu 
gehen taumelte wie ein Kleinhirnkranker. Die Trepanation war bereits beschlossen, 
als N. den Kranken sah. Der Diagnose „Hysterieabasie“ folgte sofortige Psycho¬ 
therapie mit dem Erfolg, daß der Kranke am nächsten Tage normal ging. 
(Dauerheilung.) 

Herr Saenger schließt sich in der Auffassung der Abasien Hrn. Trömner an. 
Am häufigsten beobachtet man die hysterische Abasie, besonders im Kindesalter. 
Es gibt aber entschieden auch echte Abasien bei neurasthenischen und hypochon- 
drisohen Zuständen. Das Symptom der Angst unterscheidet diese in sehr wesent¬ 
licher Weise von der rein hysterischen Abasie. Binswanger hat das Verdienst, 
zuerst mit Nachdruck auf diese Art der Abasie aufmerksam gemacht zu haben. 
Aber auch bei organischen Hirnaffektionen hat S. den Symptomenkomplex der 
reinen Abasie auftreten sehen, so in einem Fall von Hämatom der Dura mater 
und bei einem doppelseitigen Tumor des Stirnhirns. Endlich kommt im Greisen- 
alter gar nicht selten die trepidante Form der Abasie vor. Erst kürzlich sah S. 
einen solchen Fall, bei dem er zuerst an eine beginnende Paralysis agitans sine 
agitatione dachte, ln diesem Falle konnte eine Verkalkung der Arterien der 
Unterschenkel und Füße nachgewiesen werden, ohne daß es zu dem Symptom des 
intermittierenden Hinkens gekommen war. Autoreferat. 

Herr Boettiger: Wenn Herr Saenger in dem von ihm angeführten Falle 
erst Abasie diagnostiziert, dann bei der Sektion einen Stirnhirntumor konstatiert 
und daraus den Schluß zieht, daß somit auch beim Hirntumor Abasie vorkomme, 
so kann ihm B. in. dieser Gedankenreihe nicht folgen. B. würde sich in solchem 
Falle eingestehen, daß die Abasiediagnose ein Irrtum gewesen war. Die Er¬ 
fahrungen des Herrn Nonne über die ausgesprochene gute Prognose der Abasie* 
möchte B. durchaus bestätigen. Bezüglich der senilen Gehstörungen gibt B. zu 
bedenken, ob es nicht auch in diesen Fällen bei unseren jetzigen anatomischen 
Kenntnissen dieser Zustände zweckmäßiger ist, über die Diagnose Abasie hinaus¬ 
zugehen und lieber von arteriosklerotischen Ernährungsstörungen im Rückenmark 
zu sprechen. Autoreferat. 

Herr Hess hat sich in den Meinungsstreit, ob der Abasie als Symptomen¬ 
komplex eine selbständige Berechtigung der Benennung zukommt, oder nicht, ab- 
sichtlich nicht eingemischt, weil die Meinungen darüber bisher geteilt waren, 
und er nur durch Mitteilungen in zwei Fällen zur Erweiterung des Symptomen- 
komplexes beitragen wollte. Herrn Boettiger gegenüber bemerkt er aber, daß 
dieser im Irrtum ist, wenn er Eulenburg und Ziehen zu den Anhängern der 
nur hysterischen Abasie rechnet. Letzterer unterscheidet in Eulenburg Real. Encykl. 
4 Formen (die hysterische, hypochondrische, affektive und die als Zwangs¬ 
vorstellung), die auch in einander übergehen können. Hess stimmt allerdings 
Trömner darin nicht bei, von Abasie bei organischen Formen zu sprechen, 
wenn bei ihnen die conditio sine qua non nicht erfüllt ist, wenn also (wie es 
in einigen Fällen Trömners schien) in der Ruhelage, wenn auch geringe, Moti¬ 
litätsstörungen vorhanden sind. Die Prognose anlangend, mag diese bei jugend¬ 
lichen Individuen, wie sie Nonne gesehen, besser sein, dagegen war sie bei den 
zwei Erwachsenen in bezug auf Rezidive schlecht. Autoreferat. 

Herr Trömner (Schlußwort): Wie die Mehrzahl der Hamburger Neurologen, 


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so stehe auch die Mehrzahl der anderen deutschen Autoren nicht mehr auf dem 
exklusiven Charcot-MöbiusBchen Standpunkt. Abasie sei ein Symptom bzw. 
Syndrom von bestimmtem Charakter, ein durch verschiedene (im Vortrag be¬ 
sprochene) Eigentümlichkeiten charakterisiertes Gehunvermögen, welches stets zu 
erkennen und von allen ataktischen Gehstörungen durchaus zu trennen sei. Daß 
die Abasie nicht pathognostisch für Hysterie sei, lehren doch zahlreiche seit 1888 
gemachte Erfahrungen, wenn auch die derben, „massiven“ Formen fast immer 
hysterisch sind. Man dürfe Erfahrungen nicht aus dogmatischen Gründen ablehnen. 
Der günstigere Verlauf von Herrn Nonnes Fällen liege wohl darin, daß es Kinder 
waren und event. noch nicht so multipel, und z. T. auf Grund falscher Diagnose 
behandelt seien wie T.’s Fälle. Der Babinski sei in T.’s Falle wechselnd, aber 
doch deutlich gewesen. Herrn Hess’ einer Fall ähnele sehr einem von T.’s 
Fällen, den anderen halte auch T. für eine Abasie auf Grund von Zwangs¬ 
vorstellung. Autoreferat. 

Herr Eichelberg: Mortalitfttsstatistik und die Behandlung des Delirium 
tremens im EppendorferKrankenhause (Abteilung Dr. Nonne). In den Jahren 
1886 bis 1906 sind 1574 Fälle zur Behandlung gekommen, davon 1043 un¬ 
komplizierte und 531 komplizierte. Gestprben sind 39 = 2,4 °/ 0 , und zwar 1 °/ 0 
unkompliziert und l,4°/ 0 komplizierte. Außerdem sind 173 Fälle von Delirium 
tremens verbunden mit Pneumonie beobachtet; davon sind gestorben 58 = 33°/ ß . 
Als Behandlung wird empfohlen sofortige Entziehung des Alkohols, 
Unterbringung im gemeinsamen Wachsaale, Stärkung der Herzkraft, 
Vermeidung von Schlafmitteln und hydrotherapeutische Maßnahmen; 
nur am dritten Tage Gaben von 2—4 g Chloralformamid. Gegen den Durst wird 
als Getränk gegeben: Extr. oxycocci 50,0 Syr. simpl. 200,0 Aq. commun. 5000,0. 
Nur bei Delirium verbunden mit Pneumonie wird Alkohol gegeben und 
außerdem sofort Digitalis. (Vergleich dieser Statistik und der von Ganser- 
Dresden in der Münch, med. Woch. 1907 veröffentlichten Statistik.) Autoreferat. 

Sitzung vom 18. Juni 1906. 

Herr Campbell demonstriert ein Gehirn mit doppelseitiger gummöser 
* Erkrankung der Nuolei caudati. (Aus der inneren Abteilung des Altonaer 
Krankenhauses. Prof. Umber). Außer den beiden Herden in den Nuclei caudati 
fand sich noch ein kleiner Gummaknoten unter der linken dritten Stimwindung, 
ein anderer rechts unter der vorderen Kommissur, einer links zwischen Thalamus 
und Gyrus hippocampi, ein auf den Vierhügeln anfsitzender, ein erbsengroßer 
in der Brücke und einer an der AuBtrittsstelle des N. oculomotoriuB. Andere 
Herde wurden im Gehirn nicht gefunden. Die Meningen waren in der Nachbar¬ 
schaft verdickt, zeigten kleinzellige Infiltration, fibrinöse Exsudation. Im centralen 
nekrotischen Teil der Gummata fanden sich z. T. noch Blut führende Gefäße. Die 
Gefäße in der Peripherie zeigten kleinzellige Infiltration in der Adventitia, stellen¬ 
weise auch in der Intima. Außerdem fanden sich bei der Sektion Gummata in 
der einen Niere, luetische Atrophie eines Hodens, eine luetische Narbe in der 
Trachea und eine mit dem Knochen verwachsene Narbe auf dem Kopf. Die 
schwerste Veränderung am Gehirn war die doppelseitige Erkrankung der Nuclei 
caudati. Diese beiden Herde waren die größten. Die centrale Nekrose war hier 
am weitesten fortgeschritten. Nach vorn erstreckte sich die Erkrankung nicht 
über den Kopf der nuclei caudati hinaus, dagegen war der vordere Teil des 
Putamen mitergriffen. Vortr. referiert hierauf kurz, was über Anatomie und Funk¬ 
tion der Nuclei caudati bekannt ist: seine Bedeutung als thermisches Centrum 
(Sachs und Aronsohn), seine Beziehungen zu BewegungsVorgängen (Magendie, 
Nothnagel, Edinger), zur Körper- und Kopfhaltung (Munk, Probst). Ein 
Fall von doppelseitiger Erkrankung der Nuclei caudati ist von Hutchinson be- 


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schrieben worden. Er bot viel Ähnlichkeit mit dem demonstrierten. Letzterer 
war ein 22jähriger Tierwärter. Er litt als Kind an Driisenschwellungen, bekam 
darauf ein Geschwür auf dem Kopfe und eine Hodenentzündung. Ziemlich 
akuter Beginn des Gehirnleidens Oktober 1906 mit psychischen Störungen vom 
Charakter der einfach dementen Form der Dementia präcox. Während der ganzen 
Krankheit auffallend niedrige Temperaturen, im Rectum zwischen 35 bis 36, bis¬ 
weilen unter 36. Normale Tagesschwankungen. Kurz vor dem Tode Fieber, 
durch eine Bronchopneumonie bedingt. Extremitäten kalt und cyanotisch. Anfangs 
dabei guter Ernährungszustand, später starke Abmagerung. Eigentümliches moto¬ 
risches Verhalten. Atonie der gesamten Muskulatur, äußerst spärliche spontane 
Bewegungen, stark taumelnder Gang, alle Bewegungen sehr ungeschickt, bei 
komplizierten Aufträgen apraktisch. Agraphie. Leichte artikulatorische und 
amnestische Sparchstörungen. Eigentümliche Körperhaltung: Kopf auf die Brust, 
Oberschenkel an den Leib. Diese Stellung war jedoch leicht passiv zu verändern. 
Kurz vor dem Tode Opistotonus und Nackenstarre. Keine Hirndruckerscheinungen. 
Reflexe alle normal. Schmerzempfindung intakt, anscheinend auch die Berührungs¬ 
empfindung. Vorübergehend rechtsseitige Facialisparese und rechts stärker aus¬ 
gesprochene apraktische Störungen. Kurz vor dem Tode eine Lähmung des linken 
Oculomotorius. Keine Besserung durch Jodkali. Als Symptome der Erkrankung 
der nuclei caudati sind nach den bisherigen Erfahrungen wahrscheinlich zu deuten 
die Störung der Temperatur, der Motilität und der Körperhaltung. Der Fall 
bestätigt auch wieder die Erfahrung, daß die Erkrankung der Nuclei caudati 
keine Lähmung verursacht und daß die Reflexe, die Schmerzempfindung, an¬ 
scheinend auch die Berührungsempfindung intakt bleiben. Autoreferat. 

Herr Boettiger möchte weniger vorsichtig sein als der Vortr. in der Be¬ 
ziehung der psychischen Symptome auf die Erkrankung der Streifenhügel in dem 
vorliegenden Falle. Es liegen in der Literatur mehrfach Fälle vor, in denen 
bei doppelseitiger Erkrankung, besonders Tumoren oder Erweichungen der 
großen Basalganglien, schwere Erscheinungen von Demenz auftraten. B. hat selbst 
vor 15—16 Jahren als Assistent bei Hitzig auf seiner Abteilung einen Patienten 
beobachtet, der ganz das Bild der Dementia paralytica darbot, nur fehlten Pupillen¬ 
störungen, Sprachstörungen und in der Anamnese die Lues. Hingegen traten 
ataktische Störungen hervor. Bei der Sektion fanden sich in den Thalamis 
opticis symmetrisch gelegen je ein kirschengroßes Sarkom mit erweichter Um¬ 
gebung, sonst nichts. B. hält es durchaus für möglich, daß diese symmetrischen 
Tumoren das psychische Krankheitsbild verursacht haben. Äutoreferat. 

Herr Trömner ist der Meinung, daß die bis jetzt vorliegenden Erfahrungen 
nicht erlauben, eine beobachtete Demenz auf Läsion der Stammganglien des Gehirns 
zu beziehen. Im Gegenteil ist die menschliche Hirnphysiologie geneigt, im Streifen¬ 
hügel ein Organ von rudimentärer Bedeutung zu sehen, so groß auch die Rolle 
ist, welche er u. a. noch im Gehirn der Vögel spielt, z. B. bleibt das Sprechen 
der Papageien nach Abtragung der Rinde erhalten, schwindet dagegen nach Zer¬ 
störung der basalen Ganglien; als Folgen von Streifenhügelverletzungen beim 
Menschen sind bis jetzt nur thermische und motorische Störungen beobachtet 
(Gehen und Stehen, Atmung, Blase), und auch diese werden vom größten Teil der 
Autoren auf Nebenverletzungen oder Nebenwirkungen auf die innere Kapsel 
zurückgeführt. Vor allem die im vorliegenden, ebenso interessanten als kompli¬ 
zierten, Falle bestehende allgemeine Demenz muß auf eine diffuse Rindenerkrankung, 
entweder im Sinne einer Dementia paralytica oder einer anderen diffusen oder 
herdförmigen Rindendegeneration, bezogen werden. T. befragt darüber den 
Vortr.. ob die Rinde mikroskopisch untersucht wäre und mit welchem Resultat. 
Auch das vom Vortr. geschilderte Verhalten des Kranken spräche eher für eine 
Dementia paralytica als für Dementia praecox. Durch die Demenz würde auch 

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die Inkontinentin urinae hinlänglich erklärt werden. Allerdings ist auch bei 
isolierter Erweichung des Nuclens caudatus Inkontinenz beobachtet worden; z. B. 
von Marburg. Mitunter gelingt es, aus der Art der motorischen Störungen die 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer Streifenhügelerweichung zu stellen. So in einem 
von T. beobachteten Falle, wo sich bei einem Arteriosklerotiker, der wegen 
Arthritis bettlägrig war, eine Paraparese der Beine entwickelt hatte, akut, aber 
ohne Bewußtseinstrübung und ohne psychische Störung. Die Wahrscheinlichkeits- 
DiagnoBe (Erweichung im Streifenhügel) wurde durch die Autopsie bestätigt. 
Natürlich sind solche Diagnosen immer nur Wahrscheinlichkeitstreffer! Autoreferat. 

Herr Boettiger fand in seinem Falle die Rinde makroskopisch normal, 
ebenso die Meningen. Bei der heute noch bestehenden großen Unkenntnis der 
Physiologie der basalen Ganglien dürfte es ungerechtfertigt sein, a limine die Möglich» 
lichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen doppelseitigen Erkrankungen 
derselben und dem klinischen Bilde der fortschreitenden Demenz von der Hand 
zu weisen. Weitere Beobachtungen werden erst Klarheit bringen können. 

Herrn Boettiger erwidert T., daß das Fehlen makroskopisch sichtbarer 
Rindenveränderungen nicht gegen das Bestehen einer kortikalen Demenz spricht 
und daß sich Intelligenzstörungen durch Streifenhügelverletzurg auch hirnanatomisch 
nicht verständlich machen ließen. 

Herr Saenger möchte davor warnen, so weitgehende Schlußfolgerungen auf 
Grund des vorgetragenen Falles zu ziehen, da die Affektion der Nuclei caudati 
nicht isoliert, sondern durch zu viele andere pathologische Substrate kompliziert 
war. S. ist auoh der Ansicht, daß die Intelligenzstörung nicht ohne weiteres auf 
die Affektion der Nuclei caudati bezogen werden könne, zumal bei der cerebralen 
Lues eine vorhandene Demenz den klinischen Ausdruck der diffusen Erkrankung 
darstellt, bei der in erster Linie, wie Herr Trömner schon hervorgehoben hat, 
das Verhalten der Hirnrinde festgestellt werden muß. S. hat in einem Falle von 
einseitiger isolierter Affektion des Nucleus caudatus erhöhte Temperatur der gegen» 
überliegenden Seite und namentlich ein auffälliges kleinschlägiges Zittern der 
oberen und unteren Extremitäten beobachtet. Vielleicht sind die Temperatur¬ 
störungen im Gampbellschen Falle auf die in Rede stehende Affektion zu be¬ 
ziehen. Autoreferat. 

Herr Campbell: Es wurde ein Stück Hirnrinde in der Nähe eines Gumma¬ 
knotens untersucht. Mit den angewandten Methoden waren hier keine schwereren 
Veränderungen nachzuweisen. 


Sitzung von 25. Juni 1907. 

Herr Trömner demonstriert einen Fall von Poliomyelitis naoh Vakzination. 
Kind gesunder Eltern im 12. Lebensmonat im August 1906 auf beiden Armen 
geimpft, am zweiten Tage danach Übelbefinden, am dritten Somnolenz, allgemeines 
Zittern, Hitze (auf Fieber wurde nicht gemessen), am vierten Tage Lähmung des 
linken Armes, Parese der anderen Glieder; allmähliche Besserung bis auf schlaffe 
Lähmung der linken Schulter und des Ellenbogens und geringe Parese des rechten 
Beines, welches Atrophie um 1 cm und Reflexherabsetzung zeigt; also gekreuzte Läh¬ 
mung. Ein ätiologischer Zusammenhang zwischen Poliomyelitis und Vakzination wäre 
denkbar, da erstere als von den Gefäßen ausgehende toxische Myelitis anzusehen 
iBt und letzere ein organisiertes Virus in den Körper einführt, ist aber als un¬ 
wahrscheinlich abzulehnen, da die Prodrome der Poliomyelitis schon am 3. Tage post 
vaccin. auftraten, die Propagation der Vakzine durch den Körper aber erst nach 
6 bis 8 Tagen erfolgt. Ähnliche Fälle nur von Duchenne und Z a p p e r t. 
Auch letzterer nimmt Zufallskoincidenz an. Ein Hauptmoment sieht T. in der 
Augusthitze. Autoreferat. 

Herr Sänger demonstriert eine 44jährige Malersfrau, die nach einer heftigen 


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psychischen Erregung vor 3 Jahren erkrankt ist. Es stellte sich eine zunehmende 
Vergeßlichkeit und in letzter Zeit eine Abnahme des Sehvermögens ein. Patientin 
litt Behr viel unter Kopfschmerzen, die zeitweilig sehr heftig exacerbierten. Früher 
stets gesund. Hereditär keine Belastung. Die Untersuchung ergab das Vor¬ 
handensein einer Stenose und Insuffizienz der Aorta mit Erweiterung des Aorten¬ 
bogens. Am Perimeter konnte ein Gesichtsfeld nicht mehr aufgenommen werden, 
dagegen war mittels größerer Papierstreifen nachzuweisen, daß links eine temporale 
Hemianopsie und rechts eine absolute Amaurose bestand. Die rechte Pupille war 
auf direkten Lichteinfall starr; die linke reagierte deutlich auf Licht. Der rechte 
Optikus war ganz atrophisch; links war eine Neuritis optica vorhanden. Die 
Bewegung der Bulbi, Gehör, Geruch und Geschmack waren normal. Es bestanden 
weder Sensibilitäts- noch Motilitätsstörungen. Die Sehnen- und Hautreflexe waren 
in Ordnung. Es bestand weder Ataxie noch Rombergsches Phänomen. Beim 
Gehen gab die heute ganz erblindete Patientin an, ein taumeliges Gefühl zu haben. 
Obwohl kein Zeichen von Akromegalie vorhanden war, wurde die Diagnose auf 
einen Tumor der Hypophysis gestellt. Durch die von Herrn Prof. Albers- 
Schönberg vorgenommene Röntgen-Untersuchung wurde die Diagnose bestätigt. 
An den herumgereichten Röntgen-Platten konnte die pathologisch hochgradig er¬ 
weiterte Sella turcica im Vergleiche zu einer normalen leicht erkannt werden. 
Vortr. zeigte dann das Präparat und die Abbildung eines Hypophysistumors von 
einem Fall, der vor kurzer Zeit ira Allgemeinen Krankenhause St. Georg auf der 
Abteilung des Herrn Dr. Jollasse zur Beobachtung gekommen war. Es handelte 
sich um einen 28jährigen Boten, welcher im Mai 1906 mit Kopfschmerzen und 
allmählicher Erblindung des rechten Auges erkrankt war. Aus der temporalen 
Hemianopsie konnte die zutreffende Diagnose gestellt werden. Wegen des Sopors 
des Pat. konnte keine Röntgenaufnahme gemacht werden. In beiden Fällen waren 
keine Symptome von Akromegalie vorhanden. Vortr. stellte dann noch ein 
17jähriges Mädchen vor, welches am 12. Juni d. J. wegen Genitalblutungen ins 
Krankenhaus gekommen, die sich jedesmal nach körperlichen Anstrengungen ein¬ 
gestellt hatten. Sonst hatte das Mädchen über nichts zu klagen. Bei der Unter¬ 
suchung desselben stellte sich nun heraus, daß die rechte Pupille beträchtlich viel 
weiter als die linke war. Beide Pupillen waren absolut starr. Der Augenhinter¬ 
grund war normal bis auf eine Stelle im linken Auge. Daselbst befand sich eine 
erweiterte Retinalvene, die mit weißen Rändern umgeben war. Die Untersuchung 
deB Nervensystems ergab Fehlen der Achillessehnenreflexe und ein ganz auffallendes 
Herabgesetztsein der Patellarreflexe. Im übrigen konstatierte man bei der Patientin 
ein beträchtliches körperliches und geistiges Zurückgebliebensein. Sie ist 17 Jahre 
und entspricht in Größe und Wesen einem 11jährigen Mädchen. Sie hat exquisit 
HutchinBonsche meißelförmige Zähne. Anamnestisch ist zu bemerken, daß die 
Mutter der Patientin zweimal totfaule Kinder zur Welt gebracht hat. Wir haben 
somit mit aller Wahrscheinlichkeit ein hereditär luetisches Mädchen vor uns, 
bei dem sich Symptome einer beginnenden Tabes oder eventuell Tabo- 
paralyse finden. Autoreferat. 

Nonne (Hamburg). 


IV. Neurologische und psychiatrische Literatur 

vom 1. März bis 30. April 1907. 

(Die als Originalia in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch 

einmal angeführt.) 


I» Anatomie. Reich, Zelliger Aufbau der Nervenfaser. Journ. f. Psychol. u. Neur. 
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Heft 3. 

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Heft 1 bis 4. — Rachmaninow. Herpes zoster ophthalm. Archiv f. Kinderheilk. XLV. 
Heft 5 u. 6. — Bonffgli, Psic. di Korsakoff. Riv. sper. di Preniatr. XXXIII. Fase. 1. — 
Wernlch, Tuberkulose und Lepra. Lancet Nr. 4363 u. 4364. — Jezierski, Übertragung der 
Lepra auf Tiere. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 16. — Plehn, Beri-Beri. Berliner Vortr. 
Heft 2. K. Curtius. — Ingram, Beri-Beri. Journ. of trop. med. Nr. 6. — Fales, Beri-Beri. 
Journ. of Amer. Assoc. Nr. 9. — Shimer, Beri-Beri. Ebenda. — Rigis, Pellagre. L'Ence- 
phale. II. Nr. 4. — Ceni, Pellagra. Riv. sper. di Fren. XXXIII. Fase. 1. — Basta, 
Pellagra. Ebenda. —Sympathicus, Basedow, Akromegalie, Myxödem, Tetanie» 
Raynaud: MUller, L. K., Phys. des sympath. Nervensystems. Deutsches Archiv f. klin. 
Mea. LXXXIX. Heft 5 u. 6. — v. Verebily, Path. der Schilddrüse. Orvosi Hetilap. Nr. II 
u. 12. — Caro, Basedow mit Pseudoleukämie. Berliner klin. Wochenschrift. Nr. 17. — 
Gierke, Thymus bei Basedow. Münchener med. Wochenschrift. Nr. 16. — Schultze, K.» 
Chirurg. Behandlung des Basedow. Heilkunde. Heft 3. — v. Czyhlarz, Basedow-Behand¬ 
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Wochenschr. Nr. 13. — Freund, Röntgen-Behandlung bei Basedow. Münchener med. Wochen¬ 
schrift. Nr. 17. — Löwenstein, C., Hypophysisadenome. Virchows Archiv. CLXXXVIII. 
Heft 1. — Parhon et Zalplacta, Gigant, precoce. Nouv. Icon, de la Salp. XX. Nr. 1. — 
Cerletti, Inj. du suc d’hypophyse. Arch. ital. de biologie. XLVII. Fase. 1. — Alquier, 
Gland. parathyr. du chien. Arch. de med. expörim. XIX. Nr. 2. — Esser, Ausfall der 
Schilddrüsenfunktion. Deutsches Archiv f. klm. Med. LXXXIX. Heft 5 u. 6. — Tandler, 
Infantilismas. Wiener med. Presse. Nr. 15. — Brissaud, Infantilisme. Nouv. Icon, de la 
Salp. XX. Nr. 1. — Schüller, Infantilismus. Wiener med. Wochenschr. Nr. 13. — Schröder, 
Myxödem. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 4. — Mattauschek, Tetanie im Heere. Wiener 
med. Wochenschr. Nr. 11. —- Chvostek, Tetanielehre. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 17. 

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zustände beim Erwachen. Journ. de Bruxelles. Nr. 13. — Barrucio-Wichmann, Sexuelle 
Neurasthenie. Berlin. 0. Salle. 149 S. — Freund, Herzneurosen. Med. Klinik. Nr. 17.— 
Sachs, Hemispasm. glosso-lab. hyst. Archiv f. Psych. XLII. Heft 3. — ßabinski, Hystörie. 
Arch. g6n. de mddec. Nr. 3. — Mitchell, Hyster. mutism. Journ. of Nerv, and Ment Dis. 
XXXIV. Nr. 4. — v. Sarbö, Hysterische Sprachstörungen. Med.-päd. Monatsschr. f. d. ges. 
Sprachh. April/Mai. — Gy, Intestin. Hysterie. Gaz. des höpit. Nr. 35 bis 38. — Kausch, 
Hysterie in der Chirurgie. Mitt. aus den Grenzgeb. der Mea. n. Chir. XVH. Heft 3 u. 4. 

— Raecke. Hysterisches Irresein. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 10. — Stadelmann, Nerven¬ 
kranke Kinder in der Schule. Magdeburg, Faber. 12 S. — Chorea*. Flnny, Mandacal 
chorea. Brit. med. Journ. Nr. 2417. — Wynter, Chloreton bei Chorea. Lancet Nr. 4361. 

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Epilepsie: Roncoronl, Anat. patol. delP epilessia. Arch. di psich. XXVIII. Fase. 1 u. 2. 

— Stadelmann, Frühdiagnose der Epilepsie. Deutsche Arzte-Zeitung. Heft 7. — Bratz und 
Leubuscher, Affektepilepsie. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 15. — Donath, Epileptischer 
Krampfanfall. Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde. XXXII. Heft 2 u. 3. — Lomer, 
Witterungseinflüsse bei Epilepsie. Archiv f. Psych. XLII. Heft 3. — Mott, Paramyocl. 
mult. with epil. Arch. of neur. III. — Jansky, Epileptischer oder hysterischer Anfall. Casop* 
lök. cesk. Nr. 11. — Mondio, Equival. dpil. J/Encephale. II. Nr. 4. — Barham, Epil. 
insane. Journ. of ment. sc. Nr. 221. — Siemerling, Epileptische Bewußtseinsstörungen. 
Archiv f. Psych. XLÜ. Heft 3. — Konräd, Retrograde Amnesie. Ebenda. — Tetanus: 
Eastman, Cephalic tetanus. Neurographs. I Heft 1. — Hall, Antitetanic serum. Brit. 
med. Journ. Nr. 2410. — Tilmann, Tetanusbehandlung. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 14. 

— Vergiftungen: Töth, Bleivergiftung. Pester med.chirurg. Presse. Nr. 13 u. ff. — 
Mott, Carbon monoxide poisoning. Arch. of neur. III. — Bonnier, Troubles oculo-moteurs 
par intoxic. rachilabyr. Rev. neur. Nr. 6. — Papadia, Artcrioscl. da nicotina. Riv. di 
rat. nerv. XII. Fase. 4. — Alkoholismus: Schnyder, Alcool et alpinisme. Arch. de 
psychol. Nr. 23. — Dixon, Alcool and circul. Journ. of Phys. XXXV. Nr. 4. — Mott, 
Alcool and insan. Arch. of neur. III. — Ascherson, Alcoholism. Ebenda. — Lehmann, 
Trinkerheini zu Dösen. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 50. — Chotzen, Transitor. Alkohol¬ 
psychosen. Monatsschr. f. Psych. u. Neurologie. XXI. Heft 4. — Sioll, Trinkerfürsorge. 
Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 4. — Syphilis: Fairbanks, Hirnsyphilis bei Kindern. Journ. 
of Amer. Assoc. Nr. 11. — Trauma: Petrazzani, Disturbi nerv, d'automobilismo. Riv. 
sper. di Fren. XXXIII. Fase. 1. — Zenner, Traumatische Neurose. Journ. of Amer. Assoc. 
Nr. 15. — Jellinek, Elektrische Unfälle. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 10. — Schwarz, 
Cerebrale Zustände nach Traumen. Petersburger med. Wochenschrift Nr. 9. — Jelliffe, 


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Qrigiinal fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



783 


Hemiling. atrophy of träum, origin. Journ. of Nerv, and Ment Dis. XXXIV. Nr. 3. — 
Bezzola, Psychotraumatisobe Symptome. Journ. f. Psychol. u. Neurologie. VIII. Heft 5. — 
Holländer, Operative Behandlung traumatischer Psychosen. L&ncet Nr. 4358. — Kauffmann, 
Kürzung der Unfallrente. Ärztl. Sachverst.-Zeitung. Nr. 8. — Muskelatrophie: ftaflan, 
Neuro-musc. paralysis. Scott, med. and surg. Jour. XX. Nr. 4. — Familiäre Krank¬ 
heiten: Mott, Amaurotic dementia. Arch. of neur. 111. — Tommasi, Ipertricosi auric. 
famigl. Arch. di psich. XXVIII. Fase. 1 u. 2. — Jones, Heredit. spastic paraplegia. 
Rev. of Neur. and Psych. Februar. — Browning, Family form of musc. atr. Neurographs. 
I. Heft 1. — Paralysis agitans: Camp, Par. agit. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 15. — 
Varia: Segre, Movimenti nel sonno. Arch. di psich. XXVIII. Fase. 1 bis 2. — Mollard 
et Petitjean, Lipomatose diff. symm. Rev. de med. Nr. 3. — v. Holst, Dysbasia angioskler. 
Petersburger med. Wochenschrift. Nr. 13. — Jdelsohn, Dysbasia angiosclerot. Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. Heft 2 u. 8 . — Cagiati, Halbseitige Hypertrophie. Ebenda. 

— Wimmer, Kongenitale Muskelleiden. Archiv f. Psych. XLIJ. Heft 8. — Rdthi, Kopf¬ 
schmerz nasalen Ursprungs. Zeitschr. f. klin. Medizin. LXII. — Riedel, Kopfschmerz und 
seine Behandlung. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 20. 

T. Psychologie. Ireland, Psychology of crusades. Journ. of ment. sc. Nr. 221. — 
Sutherland. Recidivism from psycho-pathol. standpoint Ebenda. — Lomer, Leben und 
Sterben. Psych.-neur. Wochenschrift Nr. 52. — Solller, Cenesthetic. disturb. Journ. of 
abnorm, psychol. II. Nr. 1 . — Camp, Theories of sleep. Ebenda. — MUnsterberg, Rlbot, 
Jastrow, Subconscious. Ebenda. — Laignel-Lavastine, Psychologie des tubercul. Rev. de 
m6d. Nr. 8 . — Bovet, Vocation de Socrate. Arch. de psychol. Nr, 28. — Clapar&de, Vision 
entoptique. Ebenda. — Heymans und Wiersma, Spezielle Psychologie. Zeitschr. f. Psychol. 
XLV. Heft 1 u. 2. — Jacobs, Das Lernen. Ebenda. — Breuer, Nachempfindungen. Ebenda. 

— Abels, „Nachschwindel“. Ebenda. — Oesterreich, Entfremdung der Wahrnehrnnngswelt 
und Depersonnalisation. Journ. f. Psychol. u. Neur. VIII. Heit 5. 


VI« Psychiatrie. Allgemeines. Urquhart. Insanity. Journ. of ment. sc. Nr. 221. 

— Windscheid, Möbius. Schmidts Jahrb. CCXC1II. Heft 8. — Klinke, Grenzgebiet der 
Psychiatrie. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 4. — Tigges, Erblich belastete Geisteskranke. 
Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIV. Heft 1. — Geist, Klassifikation der Psychosen. Ebenda. 

— Cox, Degeneratie. Psych. en neur. Bladen. Nr. 1. — Heller, Psychasthenische Kinder. 
Beitr. zur Kinderforschung. XXIX. — Shaw, Selbstmord und Geisteskrankheit. Lancet 
Nr. 4364. — Eulenburg, Schülerselbstmorde. Zeitschr. f. pädag. Psychol. IX. Heft 1 u. 2. 

— v. Bechterew, Zwangsbewegungen. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. Heft 3. — Fried¬ 
mann, Zwangsvorstellungen. Ebenda. — Koch, Forms of iuBanity. Arch. of neur. III. — 
Savage, Insanity. Brit. med. Journ. Nr. 2412 u. 2413. — Birnbaum, Degenerativ Verschobene. 
Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXL Heft 4. — v. Schuckmann, Psychoseuntersuchung 
mit der Bildchenbenennungsmethode. Ebenda. — Lemaltre, Dissoc. ment. Arch. de psychol. 
Nr. 23. — Fellner, Psychose und Schwangerschaft. Therapie der Gegenwart. Heft 3. — 
Henry, Psychose bei Frauen. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 12. — Pomeroy, Lumbar puncture 
in psych. Journ. of Nerv, and Ment. Dis. XXXIV. Nr. 4. — Tasawa, Zwangsvorstellung. 
Neurologia. VI. Heft 1. — Urquhart, Prognose bei Geisteskrankheiten. Lancet Nr. 4357. 

— Ricca, Melanconia. Riv. sper. di Fren. XXXIII. Fase. 1. — Fratlni, Stereotipie. Ebenda. 

— Pardo, Indo8siluria. Ebenda. — di Verce, Statistica dei pazzi. Ebenda. — Angeborener 
Schwachsinn: Weygandt, Idiotie und Dementia praecox. Zeitschr. f. Erforschung u. Be¬ 
handlung des jugendl. Schwachsinns. I. — Laquer, L., Fürsorgeerziehung. Klin. f. psych. 
u. nerv. Krankheiten. II. Heft 2. — Sexuelles: Jacobsohn, L., Sexuelle Enthaltsamkeit. 
Petersburger med. Wochenschr. Nr. 11. — Moll, Sexuelle Aufklärung. Med. Klinik. Nr. 16 
u. 17. — v. Jauregg, Alt weiberliebe, Sadismus. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 17. — 
Rohleder, Automonosexualismus. Berliner Klinik. Heft 225. — Funktionelle Psy¬ 
chosen: Duprd, Psych. halluc. chron. L’Encephale. H. Nr. 4. — Walker, Manische und 
depressive Psychosen. Archiv f. Psychiatrie. XLII. Heft 3. — Deny et Camus, Psych. 
maniaque-depress. Paris, J. B. Bailliöre et Fils. 94 8. — Saiz, Manie. Berlin, S. Karger. 
220 S. — Pascal, Formes mölanc. de la dcmence prec. Arch. de neur. Nr. 4. — Eschle, 
Dementia praecox. Fortschr. der Medizin. Nr. 7. — Soutzo, Dem. prec. Ann. med.-psychol. 
LXV. Nr. 2. — Mott, Dem. praec. Arch. of neur. HI. —* Obraszoff, Dem. praec. Russk. 
Wratsch. Nr. 12. — Stemmermann, Pseudolog. phantast. Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIV. 


Heft 1 . — Hermann, Depression durch politische Ereignisse. Ebenda. — Roemheld, Zyklo¬ 
thymie. Klin. f. psych. u. nerv. Krankh. II. Heft 2. — Intoxikationspsychosen: 

Mott, Psychoses of toxic origin. Arch. of neur. III. — Progressive Paralyse: Meyer, 

E., Patholog. Anatomie der Paralyse. Ärztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 7. — Ris, Paralyse und 
Syphilis. Korresp.-Bl. f. Schweizer Ärzte. Nr. 7. — Fenneil, Juvenile gen. par. Praktitioner 
Nr. 4. — Stransky, Paralyse. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 13. — Morgenroth und Stertz, 
Liquor cerebro-spinalis bei Paralyse. Virchpws Archiv. CLXXXVIII. Heft 1 . — Bodington, 
Blood in gener. paral. Arch. of neurol. III. — Sdrieux et Ducostt, Formes clin. de la 

Dl9 ' tlZe ' CjCK glC (JNIVERSITY OF CALIFORNIA 



784 


S ar. gön. Progr. m6d. Nr. 11. — Slglas, Svmpt. cataton. de la par. gön. Nouv. Iconogr. 

elaSalp. XX. Nr. 1. — Soutzo et Marbe, raral. gön. L'Encephale. II. Nr. 4. — Forens. 
Psychiatrie: Bonhoeffer, Benommenheit und Handlungsfähigkeit. Ärztl. Sachv -Zeitung. 
Nr. 8. — Lattes, Asimmetrie cerebrali nei delinq. Arch. di psich. XXVIIL Pasc. 1 u. 2. 
— Audenino, L’homme droit etc. Ebenda. — de Blasfo, Jerocleptomania. Ebenda. — Lom- 
broso, Una truffatrice simul. Ebenda. — Antonini, Aliduös criminels. Ebenda. — Harro, 
Homicide. Ebenda. — Masini, Fascination de la criminalitö. Ebenda. — Gross, A., Kriminal* 
psychologische Tatbestandsforschung. Jurist-psych. Grenzfragen. V. Heft 7. — La quer, 
L., Waarenhausdiebstahl. Samml zwangl. Abhandl. (Hoche). VIL Heft 5. — v. Kunowski, 
Entlassung geisteskranker Rechtsbrecher. Allgem. Zeitschr. f. Psych. LXIV. Heft 1. — 
Nolte, Unterbringung geisteskr. Verbrecher. Zeitschr. f. Medizin. Nr. 7. — Therapie der 
Geisteskrankheiten: White, Treatment of incip. insanity. Brit. med. Journ. Nr. 2410. 
— Friedländer, A. f Schwebebänder in Dauerbädern. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 52. — 
Fischer, Max, Anstalt Wiesloch. Psych.-neur. Wochenschr. IX. Nr. 2. 

VII. Therapie. Goldscheider, Begriff der Zweckmäßigkeit. Berliner klin. Wochen¬ 
schrift. Nr. 16. — Kohn (Prag), Pyramidon und Morphium. Prager med. Wochenschrift. 
Nr. 18. — ivezii, Bornyval. Medizin. Blätter. Nr. 13. — Hey, Bornyval. Wiener klin. 
Rundschau. Nr. 13. — Runck, Bromural. Münchener med. Wochenschr. Nr. 15. — Vei- 
lesen, Phosphorsaures Natrium. Norsk. Mag. f. Laegevid. Nr. 4. — Joulia, Rhumat. chron. 
et ölectrother. Progr. mdd. Nr. 14. — Rockwell, Phototherapy in nerv. dis. Nr. 1898. — 
Strasser, Physikalische Therapie. Med. Klinik. Nr. 15. — Bernhardt, M., Electrotherapie. 
Zeitschr. f. ärztl. Fortbild. Nr. 8. — Bendersky, Massage unter Wasser. Wiener med. Presse. 
Nr. 12. — v. Auffenberg, Nervennaht und Nervenlösung. Archiv f. klin. Chirurg. LXXXII. 
Heft 8 . — Monzardo, Sehnenüberpflanzungen. Rif. med. Nr. 11 . — Wille, Wert und Ge¬ 
fahren der Hypnose. Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin. LVHI. Heft 2. 


V. Vermischtes. 

Für den vom 2. bis 7. September d. J. in Amsterdam tagenden Internationalen 
Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Krankenverpflegung 
sind folgende den Psychiater und Neurologen besonders interessierende Referate bzw. Vor¬ 
träge angemeldet: 1. Neueste Theorien über den Ursprung der Hysterie. Referenten: Prof. 
Pierre Janet (Paris), Prof. G. Aschaffenburg (Köln a/Rh.), Priv.-Doz. Dr. Karl Jung 
(Zürich), Dr. G. Jelgersma (Leiden). — 2. Chronische Alkoholpsychosen mit Ausnahme der 
reinen Demenzformen. Referenten: Dr. F. W. Mott (London), Priv.-Doz. Dr. P. Schroeder 
(Breslau). — 3. Aphasie, Asymbolie und Apraxie. Referenten: Prof. Arnold Pick (Prag), 
Prof. C. v. Monakow (Zürich), Prof. H. Liepmann (Berlin), Prof. F. Hartmann (Graz). 
— 4. Differentielle Diagnose zwischen Dementia paralytica und anderen Formen erworbener 
Demenz. Referent: Prof. E. Duprö (Paris). — 5 Heutiger Stand der anatomischen Gliederung 
des Cortex cerebri. Referent: Dr. Oskar Vogt (Berlin). — 6. Herderscheinungen bei 

E uiner Epilepsie. Referent: Prof. O. Binswanger (Jena). — 7. Der Ijabyrinthtonus. 

erenten: Prof. R. Ewald (Straßburg), Dr. C. Winkler (Amsterdam). — 8. Der Cerebellar¬ 
tonus. Referenten: Dr. M. Probst (Wien), Dr. G. van Rijnberk (Rom). — 9. Sekundär¬ 
kontrakturen bei der Hemiplegie. Referent: Priv.-Doz. Dr. L. Mann (Breslau). 

Programm für die Plenarsitzungen: Prof. F. Raymond (Paris): Les Psycho- 
növroses. — Geh. Med.-Rat Th. Ziehen (Berlin): Methoden der IntelUgenzprüfung. — Prof. 
Arn. Pick (Prag): Die umschriebene senile Hirnatrophie als Gegenstand klinischer und ana¬ 
tomischer Forschung. — Prof. A. van Gehuchten (Louvain): Le möcanisme des mouve- 
ments reflexes. — Prof. V.M.Bechterew (St Petersburg): Recherches objectives sur factivite 
psychique. — Dr. W. H. Gaskell (Cambridge): On the evolution of the vertebrate central 
nervous System. 


VI. Personalien. 

Unser sehr verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Vogt (Langenhagen) übernimmt am 1. Ok¬ 
tober d. J. die Leitung der hirnpathologischen Abteilung des neuen Senckenbergiscben 
neurologischen Institutes zu Frankfurt a/M. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen iür die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 


Verlag von Veit & Comp, in Ijeipzig. — Druck von Mktzgkh & Wrmo in Leipzig. 

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Neurologisches Centralbutt. 


Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 


Begründet Ton Profi E. MendeL 

. Heraasgegeben 
ron 

Dr. Kurt Mendel. 


Sechsundiwaniigster Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 


1907. 1. September. Nr. 17. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Über den Eintritt der Sehbahn in die Hinrinde 
des Menschen, von Dr. med. et phil. Erwin Niessl v. Mayendorf. 2. Ein Fall von links¬ 
seitiger Apraxie und Agraphie, von Dr. Otto Maas. 3. Das Vorkommen von Wadenkrämpfen 
im orientalischen Gebiete in alter und neuer Zeit. Mediko-historische und folkloristische 
Studie. Von Medizinalrat Dr. P. Nicke in Hubertusburg. 

II. Referate. Anatomie. 1. Anatomie du syst&me nerveux de Thomme, par van Ge¬ 
buchten. — Physiologie. 2. La funzione corticale della visione, per Rossi. — Patho¬ 
logische Anatomie. 3. Ein Fall von Mikrocephalus und Encephalocele mit chemischer 
Untersuchung der Cerebrospinalflössigkeit, von Kutscher und Rielinder. — Pathologie 
des Nervensystems. 4. Miners nyst&gmus, by Reid. 5. Beitrag zur pathologischen 
Anatomie der multiplen Sklerose, von Schob. 6. fitude clinique et anatomo-pathologique 
d’un cas de scldrose en plaques, par Raymond et Guivara. 7. Cerebrospinale Herdsklerose 
mit selten hochgradiger Affektion des Rückenmarkes, von Nambu. 8. Sclörose en plaques 
et Syphilis, par Catöla. 9. Prämonitorische Symptome der multiplen Sklerose, von Mackin¬ 
tosh. 10 . Nagra former af atypisk multipel skleros, samt om bukreflexern as diagnostika 
betvdelse, af Rodhe. 11 . Paraplögie spasmodique; troubles cöröbraux; sclörose en plaques 
probable, par Petit et Veillard. 12. Über akut verlaufende multiple Sklerose, von Wegelin. 
13. Zur forensischen Bedeutung der multiplen Sklerose, von Raecke. 14. Etüde des reactions 
m£ning£es dans nn cas de syphilis heröaitaire, par Ravaut et Darrt. 15. Über Lympho- 
cytose der Cerebrospinalflüssigkeit bei kongenitaler Syphilis und ihre diagnostische Bedeu¬ 
tung. von Tobler. 16. Untersuchungen des Nervensystems Syphilitischer, von Meyer. 
17. Über nervöse Initialsymptome der Syphilis, von Buttino. 18. Hysterische Erscheinungen 
im sekundären Stadium der Syphilis, von Zerner. 19. Cerebral syphilis in childhood, by 
Fairbanks. 20. Über den Korsakowschen Symptomenkomplex bei Hirnlues, von Roemheld. 
21. Über paralysenähnliche Krankheitsbilder, von Finckh. 22. Beitrag zum klinischen und 
anatomischen Bild der Lues cerebrospinalis, von Tledemann und Nambu. 23. Sur les diffi- 
cultes du diagnostic entre le mal de Pott sans signes rachidiens, la tuberculose de la 
moölle, la myelite simple des tuberculeux et certaines mydlites syphilitiques, par Alquier. 
24. Syphilitische Sensibilitätsstörungen am Rumpfe, von Knapp. 25. Luetische Brown- 
Sdquara-Lähmung, von Pändy. 26. Die syphilitische Spinalparalyse (Erb), von Wimmer. 
27. Über die syphilitische Erkrankung der Extremitätengefäße, von Belkowskl. 28. Erfah¬ 
rungen über die Behandlung von Störungen des Nervensystems auf syphilitischer Grund¬ 
lage,. von Harttung und Foerster. 29. Neuere Ersatzmittel des Jodkalium, von Reuter. 
30. Über den Wert neuerer Jodpräparate gegenüber den früher benutzten Jodalkalien, von 
Hager. 31. Über Jodipin und ßeine Anwendung bei cerebrospinaler Lues, von Korolkow. 
— Psychiatrie, 32. Progressive Paralyse und Syphilis, von Ria. 38. La reaction des 
anticorps syphilitiques dans la paralysie generale et le tabes, par Marie et Levaditi. 34. Über 
den Nachweis syphilitischer Antikörper im Liquor cerebrospinalis von Paralytikern nach 
dem Wassermann-Plautschen Verfahren der Komplementablenkung, von Morgenroth und 
Stertz. 35. Zur klinischen Verwertung der Serumdiagnostik bei Lues, von Wassermann und 
Meyer. 36. Die Paralyse im Kanton Luzern während des Zeitraumes von 1873 bis 1900, 
von Elmiger. 37. Klinisch-anatomische Beiträge zur Kenntnis der progressiven Paralyse 
und der Lues cerebro-spinalis, mit besonderer Berücksichtigung der Rückenmarks Verände¬ 
rungen, von Mayer. 38. Das Verhalten der Fibrillen bei progressiver Paralyse > von Moriyasu. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 







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39. Beitrag zur Paralysefrage, von Stramky. 40. £tude statistique sur les formes clioiques 
de la paralysie gönörale, par Sdrieux et Ducosti. 41. Les symptönles oeulaires de la para¬ 
lysie gendrale, par Rodlet, Dubols et Pansier. 42. Valeur diagnostique des troubles oeulaires 
dass la paralysie generale, par Mignot, Schrameck et Parrot. 43. Symptömes oeulaires de 
la paralysie gönörale, leur valeur diagnostique aux diverses pöriodes de cette affection, par 
Raviart, de Fortunii et Lorthiols. 44. Über paroxysmale Fieberzustände bei progressiver 
Paralyse mit Vermehrung der polynukleären Leukozyten im Blute und in der Cerebro- 
spinaliiüssigkeit, nebst Bemerkungen über Blut und Liquor bei Exazerbationen des para¬ 
lytischen Prozesses, von Pappenheim. 45. Seltene Symptome der progressiven Paralyse, 
von Roasenda. 46. Über die sogen, rhythmischen, mit dem Puls synchronen Muskelzuckungen 
bei der progressiven Paralyse, von Fischer. 47. Über akustische und optisch - motorische 
Folgeerscheinungen von Krampfanfällen, von Pick. . 48. Des symptömes catatoniques 
au cours de la paralysie gendrale, par Seglas. 49. Über einen Fall von Paralyse mit 
14jähriger Bemission, nebst einigen Bemerkungen zur Therapie der Dementia paralytica, 
von Dobrschansky. 50. Atoxyl hei Paralyse, von Spfelmeyer. 51. Über Geisteskrankheiten 
bei Prostituierten, von Tschisch. — Forensische Psychiatrie. 52. Die Entlassung 
geisteskranker Rechtsbrecher aus Irrenanstalten, von v. Kunowski. 

III. Bibliographie. 1. Grundlage der Psychiatrie, von Eschle. 2. Geisteskrankheiten, 
von Jlberg. 

IV. Aus den Besellschaften. Gesellschaft der Neurologen und Psychiater in Kasan. 

V. Vermischtes. 

VI. Mitteilung an den Herausgeber. 

Eduard Hitzig + _ 


I. Originalmitteilungen. 


1. Über den Eintritt der Sehbahn in die Hirnrinde 

des Menschen. 


Von Dr. med. et phil. Erwin XTiessl ▼. Mayendorf. 


Herr Dr. Tsuchida hat in Bd. XL1I des Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 
einen Beitrag zur Anatomie der Sehstrahlungen gebraoht, in welchen er meine 
„Ansicht“, daß der Eintritt der Sehbahn in die Binde ausschließlich in kom¬ 
pakten Bündeln erfolge, als seines Erachtens ganz entschieden unrichtig zurück¬ 
weist Da er jedoch diese Behauptung mit keinem eigenen Befund begründet, 
ja nicht einmal den Versuch unternimmt, meine „Ansicht“ mit Argumenten 
zu widerlegen, fiele für mich jeder Anlaß fort, auf die absprechende Bemerkung 
dieses Antors auch nnr mit einem Worte zurückzukommen. Nur die Autorität 
v. Monakow’s, aus dessen Laboratorium die Arbeit hervorgegangen ist, wird 
für mich zom Beweggrund, auf die in früheren Untersuchungen vorgebrachten 
Beweismittel nochmals zn verweisen. 

Unter centraler Sehbahn verstehe ich die Gesamtheit aller langen Faser¬ 
züge des Hemisphärenmarkes, welche nach klinisch-anatomischer Erfahrung als 
eine centrale Fortsetzung der Sehnerven zn betrachten und die retinalen Ein¬ 
drücke der Hirnrinde zuzuführen berufen sind. Der Begriff der centralen Seh¬ 
bahn ist demnach ein physiologischer, und die Frage, inwieweit der Stabkranz 
des Hinterhanptslappens mit dieser identisch sei, durch anatomische Präpa¬ 
ration keineswegs lösbar. 

Die bereits zahlreiche Kasuistik occipitaler Herderkrankungen hat non er¬ 
geben, daß sich Destraktionsprozesse der Konveiität vielfach ohne jede klinische 


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Erscheinung abspielen, falls sich die Zerstörung auf die Rinde oder die ober* 
flächlichen Markschichten beschränkt, während das medio-ventrale Rindengebiet, 
weit empfindlicher, jede, auch nur oberflächliche pathologische Veränderung 
durch prägnante klinische Zeichen, durch Defekte in der Entstehung oder Ver* 
wertung optischer Wahrnehmungen signalisiert 

Die Verschiedenheit der Funktionen, welche sich von der Verschiedenheit 
beider Ersoheinungsreihen für diese beiden Rindenflächen ablesen ließe, spiegelt 
sich in einer charakteristischen kortikalen und subkortikalen Markfaserstruktur 
wieder. Von dem medio*ventralen grauen Rindenband hebt sich bekanntlich 
eine scharf umrissene weiße Linie ab, welche an der dritten äußeren Hinter¬ 
hauptswindung lateral wärts und dem Windungsdach der Fissura calcarina medial- 
wärts plötzlich schwindet In diese also ausgezeichneten Rindenbezirke laufen kom¬ 
pakte Ausläufer der Stabkranzfaserung ein, welche schon an ungefärbten glatten 
Durchschnitten eines in Formalin gehärteten Gehirns wahrnehmbar sind. In 
der Markreifung gehen sie ihrer Umgebung voran und sind an Sagittalschnitten 
durch Gehirne weniger Wochen alter Kinder am leichtesten zu überblicken. 


Soweit befinde ich mich in Übereinstimmung mit v. Monakow und seiner 
Schule. Der Widerstreit der Meinungen betrifft den inneren Bau und die physio¬ 
logische Bedeutung jener Teile des Occipitallappens, welche nicht dem von mir ab- 
gesteokten, anatomisch-oharakterimerten Sehbezirk angehören. Es ist 1. strittig, ob 
die Strata sagittalia Projektionsfasern zu der Rinde der okzipitalen Konvexität 
führen, welche mit den fraglichen Rindenbezirken zusammenhingen, 2. ob diese 
Fasern gleichfalls als centrale Ausbreitung des N. opticus aufzufassen seien, 3. welche 
Funktionen sich für diese Rindenfelder aus der klinisch-anatomischen Erfahrung 
ableiten ließen. Es ist klar, daß mit der Erledigung der beiden ersten Frage im 
verneinenden Sinne auch die letzte gleichzeitig beantwortet wäre, indem ein mit 
der wahmehmenden Sinnesfläche nicht durch direkte Leitungsbahnen verbundenes 
Rindenterritorium auch einen direkten funktionellen Bezug zum Ablauf von Wahr¬ 
nehmungen dieses Sinnes ausschließen mußte. So sprechen klinische Tatsachen, 
welche hier zu entscheiden einzig geeignet sind, nicht nur gegen die Auffassung, 
welche in der Rinde der occipitalen Konvexität die centrale Projektion der reti¬ 
nalen Eindrücke erblickt, sondern auch gegen die Auffassung, welche in dieser 
einen Sammelpunkt optischer Gedächtnisspuren, deren Erregung erst die Identität 
sukzessiver Wahrnehmungen bewußt werden läßt, anzunehmen geneigt ist Hierauf 
deuten nicht nur vereinzelte Fälle von Läsionen der occipitalen Konvexität ohne 
Symptome hin, sondern auch, und dies erachte ich für beweisender, nur auf 
die medio-ventrale Fläche beschränkte Zerstörungen, welche mit der Vernichtung 
der optischen Wahrnehmungen auch die Erinnerungsbilder des centralen und 
peripheren Sehens gleichzeitig auslöschen. 

Der anatomische Nachweis der Stabkranzversorgung der occipitalen Kon¬ 
vexitätsrinde kann weder mit der Methode gefärbter Serienschnitte durch ein 
ausgewachsenes, noch solcher durch ein Kindergehirn erbracht werden, weil 
beide Methoden eine zuverlässige Unterscheidung der Stabkranzbündel von den 
durch dieselben hindurch tretenden und mit ihnen verflochtenen Balken fasern 


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nicht ermöglichen. Eine Isolierung beider Systeme ist für die Entscheidung 
dieser Frage unumgängliche Voraussetzung. Dieselbe kommt dadurch zustande, 
daß entweder das eine oder das andere Fasersystem durch sekundäre Degene¬ 
ration der Markscheiden beraubt wird und somit auf Weigert-Präparaten un¬ 
gefärbt bleibt oder in einer unvollkommenen Anlage garnicht zur Entwicklung 
gelangt ist 

An den mikroskopischen Durchschnitten durch ein Gehirn mit totaler 
Zerstörung und Degeneration des Balkens, jedoch intakter Konvexität des linken 
Hinterhauptslappens und unversehrtem Marklager an der Außenwand des Ven¬ 
trikels, konnte ich die Anwesenheit von einstrahlenden Markfasern langläufiger 
Systeme in die erste und zweite Hinterhauptswindung mit Bestimmtheit 
ausschließen. 1 Hinzutrat der Umstand, daß das Rindenband dieser Windungen 
ungeachtet einer allgemeinen Atrophie der Hemisphäre weder an Umfang etwas 
eingebüßt, noch irgend eine pathologische Konfiguration aufgewiesen hat, eine 
Erscheinung, die gleichfalls die Unabhängigkeit dieses kortikalen Gebietes vom 
sekundär-degenerierten Stabkranz manifestierte. 

Ein weiterer Befund widerlegte die Annahme v. Monakow’s, daß aus der 
dorsalen Schicht der Strata sagittalia die Projektionsbündel für die äußeren 
Hinterbauptswindungen ausliefen, indem gerade diese Faserpackete teilweise erhalten 
geblieben waren, keineswegs jene Rindenzonen aufsuchten, sondern jäh absteigend, 
zu einem kompakten Strang geschlossen in den Gyrus fusiformis und die dritte 
äußere Occipitalwindung sich einsenkten. 1 Übersichtlicher stellt sich der Verlauf 
dieser Bündel an Sagittalschnitten, welche die hier niedergelegte Anschauung 
durchaus bestätigen, dar. 

An nach Weigebt-Pal gefärbten Frontalschnitten durch ein zweites Ge¬ 
hirn, in welchem letztgenannte Bündel durch einen Erweichungsherd in der 
zweiten Temporalwindung und im Gyrus angularis occipitalwärts zu sekundärer 
Degeneration gebracht wurden, ließ sich deren Eintritt in Form weißer Strahlen¬ 
kegel in den Gyrus fusiformis und dritte äußere Occipitalwindung nachweisen. 
In das Eigenmark der ersten und zweiten äußeren Hinterhauptswindung er¬ 
streckten sich aber, von der entfärbten Schicht der Strata sagittalia ausgehend, 
gleichfalls hellere Streifen, so daß man auf den ersten Blick versucht wäre, an 
einen Abgang von Stabkranzbündeln hier hinein zu denken. Bereits unscharfe 
Lupenvergrößerung machte jedoch das Differente der Einstrahlungen in den 
Gyrus fusiformis und Occipitalis tertius einerseits und derjenigen in die zwei 
oberen äußeren Hinterhauptswindungen andererseits ersichtlich. Diese Differenz 
bestand darin, 1. daß der in die letzteren sich fortsetzende Faserkegel unmittelbar, 
wie der Ast aus dem Stamm eines Baumes, aus dem entmarkten Stabkranzlager 
hervorging, während die Ausläufer für die zwei oberen Windungen demselben 
gleichsam aufgesetzt, durch eine haarscharfe, deutlich wahrnehmbare 
Grenze geschieden waren, 2. daß diese basalen weißen Kegel mit dunkel 


1 Siehe meine Arbeit: Zar Theorie des kortikalen Sehens. Archiv f. Psyoh. XXXIX. 
Heft 2 u. 3. 

* Siebe Tafel XV, Figg. 9, 10, 71. 


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gefärbten, markbaltigen Fasern allseitig durchsetzt, die in die Gyri occ. I 
und II hineinragenden Fortsätze jedoch von solchen frei gefunden wurden, 
3. daß die Einstrahlungsmodi in die ersteren Windungen die Form eines Keiles 
beobachteten, dessen Basis der Rinde zugewendet war, diejenigen in die letzteren 
aber rindenwärts spitz zulaufend auf hörten, 4. daß die einzelnen sekundär 
degenerierten Fasern bis an die Rinde des Gyrus fusiformis und Occipitalis 
tertius zu verfolgen waren, hingegen die Spitze, zu welcher sich die centralen 
Lichtungen nach den zwei oberen Hinterhauptswindungen veijfingten, durch das 
Dazwischentreten der normalen Bogenböndel von dem Cortex entfernt wurde. 

Die kritische Berücksichtigung dieser Verhältnisse führte zu Folgerungen, 
welche die Barheit der zwei oberen Hinterhauptswindungen an Stab* 
kranzfasern weit wahrscheinlicher als das Gegenteil erscheinen ließen. 

Endlich hatte ich Gelegenheit im Laboratorium der psychiatrischen und 
Nervenklinik zn Graz nach Weigert-Pal behandelte Frontalschnitte durch ein 
Gehirn mit Balkenagenesie zu studieren und konnte an demselben die Abwesen¬ 
heit von einstrahlenden Fasern in die zwei oberen Oocipitalwindungen ohne 
weiteres feststellen. Hierin erblickte ich den augenfälligen Beweis für die Quali¬ 
fikation dieser Bündel als Balken-, nicht als Projektionsfasern. 

Aus den hier in Kürze vorgefübrten Tatsachen schloß ich, wie dies bereits 
Flechsig aus dem Studium des in der Markreife noch unvollendeten Gehirnes tat, 
daß die Rinde der zwei oberen OccipitalWindungen keineswegs durch Leitungs¬ 
bahnen mit der Netzhaut in unmittelbaren Konnex gesetzt und daß der Ein¬ 
strahlungsmodus in Gestalt kompakter Bündelformationen als ein für die 
Projektionsbahnen im allgemeinen charakteristisches Stigma zu betrachten sei. 


[Aas der Siechen&nstalt der Stadt Berlin (Sanitätsrat Dr. Gbabffnbb).] 

2. Ein Fall von linksseitiger Apraxie und Agraphie. 

Von Dr. Otto Maas. 


Seitdem Lebpmann durch Beschreibung seines Regierungsrats das Krank¬ 
heitsbild der (motorischen) Apraxie geschaffen hat, ist eine Reihe von Arbeiten 
über diesen Symptomenkomplex veröffentlicht worden. Ich kann zu den be¬ 
schriebenen eine neue Spielart mitteilen. Der zu schildernde Kranke gehört 
nicht nur zu den wenigen Fällen, in denen bei linksseitiger Dyspraxie die rechte 
Hand weder gelähmt noch dyspraktisch war, sondern hat unter diesen auch die 
Besonderheit, daß die Läsion mit großer Wahrscheinlichkeit in der 
linken Hemisphäre, nicht im Balken gesucht werden muß. Auch zeichnet 
ihn vollkommene Freiheit von Sprachstörung aus. 


Die Fraa des Patienten machte folgende anamnestische Angaben: Patient ist 
Rechtshänder, war früher stets gesund; für Lues kein Anhaltspunkt, kein Alko¬ 
holismus. Am 3. November 1906 Schlaganfall, 2 Tage völliger Bewußtseinsverlust, 
Lähmung der rechtsseitigen Extremitäten mit Sprachstörung. Überführung ins 


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Krankenhaus am Friedrichshain am 6./XI. 1906. Hier am 1. Tage folgender 
Befund: Zunge wird etwas nach links hervorgestreckt, Sprache ist aphonisch, sonst 
normal, rechtes Bein kann aktiv nicht bewegt werden, Patellarreflex r. > 1., rechts 
Fußklonus, aktive Beweglichkeit des rechten Armes frei, grobe Kraft etwas ver¬ 
mindert. 10./XI. Rechtes Bein wird bereits etwas bewegt. 16./XI. Beweglich¬ 
keit bessert sich weiter, Sprache nimmt etwas Klang an. Patient zeitweilig ver¬ 
wirrt. 20./XI. Sämtliche Bewegungen des rechten Beines prompt ausgeführt, 
Patient kann mit Unterstützung gehen. 29./XL Manchmal Krämpfe, wobei vor¬ 
nehmlich das rechte Bein zuckt. 8./XII. Leicht dement, mit geringer Cystitis 
gebessert entlassen. — Zu Hause fielen auf: Vergeßlichkeit, so daß er, der früher 
ein guter Kartenspieler gewesen war, jezt dazu unfähig war, sowie große Reiz¬ 
barkeit. 

Am 3./IV. 1907 Aufnahme im Siechenhause, wo ich den Patienten während 
der folgenden 2 Monate oftmals untersucht habe. Die körperliche Untersuchung 
hatte folgendes Ergebnis: Zunge, Facialis, Augenbewegungen frei. Beim Erheben 
der Arme spurweises Zurückbleiben des rechten, Händedruck beiderseits gleich, 
kräftig, alle Hand- und Fingerbewegungen beiderseits intakt, in ausgestreckten 
Händen beiderseits grobschlägiger Tremor, keine Störung der Diadokokinesis, 
Gefühl für Berührung, Schmerz und Lageveränderungen völlig intakt, keine 
Ataxie, keine Astereognose. Bauchreflex beiderseits gleich, keine Rigidität an den 
unteren Extremitäten, Knie- und Achillesreflex beiderseits gleich, Zehenreflex 
plantar, keine Sensibilitätsstörung; Gang rechts etwas stampfend (31./V. Gang 
ohne jede Störung). Status psychicus: Orientierung gut, Unterschiedsfragen gut 
beantwortet, Rechnen und Merkfähigkeit gestört, immerhin werden sechs einzelne 
Zahlen fehlerlos naohgesprochen. Auch dürften manche fehlerhafte Antworten auf 
die Erregtheit des Patienten zurückzuführen Bein, durch die ihm geistige Kon¬ 
zentration sehr erschwert war. — Nachsprechen, Wortfindung, Sprach¬ 
verständnis, Lautlesen, LeseverständniB intakt. Spontan- und Diktat¬ 
schreiben rechts intakt. Mit der linken Hand völlige Unfähigkeit, 
spontan oder auf Diktat zu schreiben, einmal beim Versuch den Anfangs¬ 
buchstaben seines Nachnamens zu schreiben sinnloses Gekritzel, beim Versuch 
den Vornamen Gottfried zu schreiben, ist das Resultat als sehr mangelhaftes G 
in Spiegelschrift zu deuten. Weitere Versuche, mit der linken Hand auf Diktat 
oder spontan zu schreiben, wurden von dem sonst zu Prüfungen bereiten Manne 
stets energisch abgelehnt. Kopieren von Geschriebenem mit der linken Hand 
gelingt ausreichend, Kopieren von Gedrucktem links nicht versucht, rechts prompt. 

Die Apraxieprüfung ergibt rechts völlig normalen Befund, links 
dagegen schwere Dyspraxie bei allen Ausdrucksbewegungen, während 
Manipulieren mit Gegenständen, ebenso wie Nachmachen von Bewegungen völlig 
fehlerlos gelingt. Die Apraxieprüfung wurde oftmals wiederholt und ergab fast 
konstant das gleiche Resultat: drohen, winken, lange Nase machen, Geld- 
aufzählen, Kußhandwerfen werden mit der rechten Hand fehlerfrei, 
die gleichen Bewegungen mit der linken Hand dagegen in völlig un¬ 
sinniger Weise ausgeführt. Sehr charakteristisch war z. B. die Bewegung 
des Kußhandwerfens mit der linken Hand; Patient brachte Daumen- und Zeige¬ 
fingerkuppe zusammen, so daß Daumen und Zeigefinger einen Kreis bildeten und 
legte sie in dieser Stellung um den Mund, als ob er hindurchpusten wollte. Bei 
den Prüfungen wurde die betreffende Bewegung bald erst rechts, bald erst links 
verlangt, auch wurde die Untersuchung in der Form angestellt, daß dem Patienten 
gesagt wurde, drohen Sie mit der linken Hand, was völlig apraktisch ausgeführt 
wurde, darauf wurde ihm ohne Wiederholung der Aufgabe geboten, das Gleiche 
mit der rechten Hand zu machen, und es wurde nun daB Verlangte richtig aus¬ 
geführt. 

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Es handelt sich hier also um einen Patienten, bei dem im Anschluß an 
einen Insult, der eine kurzdauernde Lähmung der rechtsseitigen Extremitäten 
zur Folge hatte, upraktische und agraphische Störungen ausschlie߬ 
lich der linken oberen Extremität zurückblieben; wir haben also hier 
einen Fall vor uns, bei dem die Apraxie im strengsten Sinne einseitig ist Hier 
läßt sich schlagend beweisen, daß der Kranke nicht etwa infolge von Demenz 
bestimmte Bewegungsformen nicht mehr kennt — denn er führt sie ja rechts 
tadellos aus —, sondern daß nur die linke Körperhälfte nicht mehr über die¬ 
selben verfügt. 

Dieser Befund ließe sich nach der von Liepmann aufgestellten Theorie* 
— analog dem von Liepmann and mir beschriebenen Fall Ochs* — aus einer 
Balkenunterbrechung erklären. Nun zwingt aber der Umstand, daß die Er¬ 
krankung mit einer rechtsseitigen Hemiplegie einsetzte, den Herd in die linke 
Hemisphäre zu verlegen. Wir hätten also hier zum erste Male einen Fall, bei 
dem ein linksseitiger Herd, ohne die Praxie der rechten Seite zu 
schädigen, nur die linke Oberextremität dyspraktisch machte. 



Es weist dieser Tatbestand, wenn wir uns auf die Ermittelungen Liepmann’s 
stützen, auf eine ziemlich bestimmte Lokalität im Gehirn hin. Der Herd muß 
einerseits Balkenfasern in erheblicher Menge betroffen, andererseits die Projektions¬ 
fasern zu der rechten Körperhälfte vorübergehend außer Funktion gesetzt haben, 
hauptsächlich die für die untere Extremität bestimmten schädigend. Der Herd 
dürfte daher da zu suchen sein, wo die Kommissurenfasern begonnen haben, 
sich zum Balken zu formieren und von den Projektionsfasern zu sondern, d. h. 
am Dach des Yorderhorns des linken Seitenventrikels nahe dem Schwauzkeru- 
kopf, in Frontalebenen, die den Centralwindungen entsprechen (vgl. die Zeichnung). 

Es wäre also anzunehmen, daß den Kranken im November 190(5 eine 


1 Die linke Hemisphäre nnd das Handeln. Münchener med. Wochenschr. 1905; ferner 
Liepmann, Medizinische Klinik. 1907. Nr. 25 n. 26. 

* Liepmann und Maas, Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 24. 

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Blutung oder Erweichung an der bezeichnten Stelle getroffen hätte, die anfangs 
die ganze Projektionsfaserung und die Balkenfaserung außer Funktion gesetzt 
hat, schweren und dauernden Schaden aber nur der Kommissurenfaserung zu¬ 
gefügt hat. 

Der hier geschilderte Befund gestattet also an der Hand der Liepmann- 
schen Lehre die Bestimmung des Ortes der Läsion mit einer auf diesem Gebiet 
bisher nicht erreichten Feinheit, und wird, wenn die Sektion die Bestätigung 
bringt, eine Bereicherung unserer Diagnostik abgeben. 

Ganz ausschließen läßt sich natürlich nicht — wenn auch nichts dafür 
spricht —, daß zwei verschiedene Herde die transitorische rechtsseitige Körper¬ 
lähmung und die bleibende linksseitige Dyspraxie verursacht haben. 

Gewisse, aber nioht unüberwindliche Schwierigkeiten macht es, daß unser 
Kranker ebenso wie der Heelbeonneb’s dieselben Bewegungen, die er nicht 
aus der Erinnerung ausführen kann, nachmachen kann (beim Schreiben Kopieren); 
es dürfte dies dadurch zu erklären sein, daß nur ein geringer Grad von Dys¬ 
praxie bestand und es sich nicht um einen sehr ausgedehnten Herd handelte. 
Es entspricht allgemeinen Erfahrungen, daß unter Umständen die schwierige 
Aufgabe der Spontanausführung mißlingt, während die leichtere, das Nachmachen, 
noch geleistet werden kann. 

Herrn Sanitätsrat Dr. Gbaeffneb bin ich für die Publikationserlaubnis, 
Herrn Prof. Liepmann für die Bestätigung meines Befundes und für das Inter¬ 
esse, das er der Beschreibung des Falles entgegenbrachte, zu Dank verpflichtet 


3. Das Vorkommen von Wadenkrämpfen 
im orientalischen Gebiete in alter und neuer Zeit. 


Mediko-historische und folkloristische Studie. 

Von Medizinalrat Dr. F. Näoke in Hubertasburg. 

Im ersten Abschnitte einer größeren Abhandlung über Wadenkrämpfe 1 hatte 
ich folgendes als Resumö weiterer Untersuchungen (besonders nach von Oefele 
und Roscheb) gegeben: 

„Wir sehen also ..., daß die Alten zwar die Wade kannten, auch den 
Wadenkrampf, aber dafür keinen eigenen Namen hatten. Die Ägypter hatten 
nicht einmal einen Namen für Wade, natürlich noch weniger für Wadenkrampf, 
obgleich sie letzteren sehr gut kannten, ja sogar als Prototyp des Schmerzes 
überhaupt hinstellten, wie die gemeinsame Hieroglyphe für Schmerz und Wehen¬ 
schmerz mit ihrer charakteristischen Zeichnung 3 verrät Sie kennen also den 
Wadenkrampf und haben dafür ein Gegenmittel. Als Symptom kennen sie den 


1 Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. XX. 1906. S. 556 ss. Das Zitat auf S. 560. 

* Njf“ 1. c. 8. 558. Diese Hieroglyphe ward nach vom Okfklb *-o«*e aos- 

wm« Jn gesprochen nnd „ist ... wohl allgemein Krampf mit Einschluß der 
Geburtswehen“. 


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Krampf bei Dysenterie, die Griechen aach bei Cholera, schwerem Erbrechen und 
Fieberkrankheiten.“ 

Aus dem Assyrischen ist bis jetzt nach ton Oetblb bez. der Wadenkrämpfe 
nichts bekannt 

Um aber einen vollkommenen Überblick über den ganzen Orient zu ge¬ 
winnen, fehlten noch Nachrichten aus den übrigen Gebieten, die ich jetzt nach 
genauen Erkundigungen veröffentlichen will, um damit meine Arbeiten über die 
so lange vernachlässigten Wadenkrämpfe abzuschließen. 1 Ich habe mich zu 
diesem Zwecke mit einer Reihe von Gelehrten in Verbindung gesetzt, deren 
Adressen ich Herrn Prof. Dr. Pasel in Berlin verdanke. Sämtliche Herren 
antworteten bereitwilligst und ich danke ihnen dafür bestens an dieser Stelle. 
Alle wurden endlich um die Erlaubnis gebeten, das passend Erscheinende mir 
zur Veröffentlichung zu überlassen. 

Unsere Blicke wenden sich zuerst nach Indien. Der Sanskritist Prof. 
J. Jolly in Würzburg schrieb mir nun hierüber am 9. Januar 1907 folgendes: 

„... Krampfe im allgemeinen werden in der medizinischen Sanskritliteratur 
häufig erwähnt, kommen auch in nicht medizinischen Sanskrittexten vor. Die 
gewöhnliche Bezeichnung dafür ist wohl strambhas (von strambh, stabh, „stützen, 
hemmen“), das eigentlich „Erstarrung, Lähmung“ bedeutet. So heißt manyjä- 
stambhas „steifer Hals“, jihva-stambhas „Lähmung der Zunge“, dhamch-stambhas 
„Bogenkrampf“, bei dem der Körper sich wie ein Bogen krümmt, d. h. Tetanus. 
Ein anderer Ausdruck ist apatänaka „Starrkrampf“, davon dadnäpatänaka „Krampf“, 
wobei der Körper steif wie ein Stock ist. Diese Zustände werden, wie überhaupt 
nervöse Leiden, dem gestörten Wind im Körper zugeschrieben. Cfr. meine Dar¬ 
stellung der indischen Medizin im Grundriß der indo-arischen Philologie von 
Bühlbr und Kielhobn (Bd. III, Heft 10) S. 119. Mundsperre, Trismus heißt 
hanugrahas. Sie wird bei Kindern einem Dämon Jambha zugeschrieben, der schon 
in den Vedas vorkommt (Ebenda S. 69). 

Was speziell den Wadenkrampf betrifft, so finde ich denselben bei einer Art 
des Fiebers und bei der Cholera erwähnt. Bei demjenigen Fieber, das von ge¬ 
störtem Wind herrührt, werden folgende Symptome aufgezählt: Eingeschlafensein 
der Füße, Krampf in den Waden (pidnikayor udvestanam, wörtlich Zusammen¬ 
schnüren, Beengung der Waden) usw. Als Symptome der Cholera (visücikä) 
werden genannt: Ohnmacht, Durchfall, Erbrechen, Durst, Kolik, Schwindel, Krampf 
(udvestanam, was nach einem alten Commentar bedeutet: jänghädikäm motanam 
d. h. Knicken oder Brechen der Unterschenkel usw.). Diese beiden 3tellen 
kommen schon in den ältesten indischen Lehrbüchern der Medizin vor (Caraka 
und Saäruta). Das Alter dieser Werke läßt sich leider nicht sicher bestimmen. 
Einige Vermutungen darüber habe ich a.a.0. S.9—12 geäußert. Über eine spezielle 
Behandlung der Wadenkrämpfe, die auch nur als Symptom erwähnt werden, 
scheint nichts vorzukommen.“ 

Über Vorkommen, Benennung und Behandlung der Wadenkrämpfe im 
modernen Indien habe ich folgendes erfahren. Durch Vermittelung des Orien- 


1 Meine erste Arbeit erschien im Neur. Centralbl. 1901, den 1. April und war betitelt-. 
„Zur Pathogenese and Klinik der Wadenkrämpfe“. Dieser folgte dann die zweite größere, 
oben erwähnte and erst kürzlich die dritte: „Zar Etymologie der Ansdrücke: „Crampas" and 
„Krampf“ im Nenrolog. Centralbl. 1907, eine mehr oder minder rein philologische Ausein¬ 
andersetzung. 


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talischen Seminars in Berlin ward mir folgende Beantwortung meiner Fragen 
durch den dortigen Vertreter des Guzerati, Hindustani and Hindi, Herrn 
A. M. Varbu, zu teil (den 12. Febr. 1907): 

„Für Wadenkrampf gibt es inHindustani, Hindi und Guzerati keinen be¬ 
sonderen Ausdruck. Krampf heißt „Ankrä“ und Wadenkrampf heißt pagnä änkrä. 
Wenn kleine Kinder, Säuglinge an Wadenkrampf event. an Krämpfen überhaupt 
leiden, so glauben die Mütter, Angehörigen usw. an eine dämonische Einwirkung 
oder an die Arbeit der bösen Geister. Dieser Aberglaube existiert nur in den 
niedrigsten Volksklassen (Kullies usw.). In diesen niedrigen VolkBklossen wird 
ein Zauberer, Quacksalber oder Kurpfuscher geholt, der durch verschiedene Hand¬ 
griffe, Massieren, Streichen usw. die Kinder zu heilen versucht. In anderen Volks¬ 
klassen werden Massage, Wasserbäder, Umschläge usw. angewendet.“ Endlich ist 
es nach demselben Gewährsmann bekannt, daß der Wadenkrampf unter gewissen 
Umständen (Schwangerschaft, Gebärakt, Cholera usw.) häufiger als sonst auftritt. 

Was China anbetrifft, so teilte mir am 8. Februar 1907 Prof. Dr. Forke 
vom Orientalischen Seminar in Berlin folgendes mit: 

.Von einem unserer Lektoren erfuhr ich, daß die Chinesen Wadenkrämpfe 

Tschuan tschin wörtlich „Verdrehen der Muskeln (Nerven)“ nennen und mit 
Quitten behandeln. Von irgend welchen dämonischen Einflüssen war ihm nichts 
bekannt. Ich schlug darauf das große naturwissenschaftlich-medizinische Werk 
Pön tsan kang mu, die Materia Medica der Chinesen aus dem Ende des 
16. Jahrhunderts nach. Darin wird das ganze Naturreich beschrieben und die 
einzelnen Medikamente angegeben, welche sich aus den einzelnen Dingen gewinnen 
lassen. Es sind im Ganzen 1892 Rezepte. Dort fand ich unter Mn-kva = Quitte, 
im Kap. 30, unter anderem folgendes: Ein Mediziner sagt, daß das beste Mittel 
gegen Muskelkrämpfe (Tschuan tschin) Quitten seien. Bei einem Anfall brauche 
man nur den Namen „Quitte“ zu rufen oder ihn aufzuschreiben und es träte so¬ 
fortige Besserung ein. Ein Grund dafür ließe sich freilich nicht einsehen. Ge¬ 
wöhnliche Leute benützten auch Stäbe aus Quittenholz, die eine gute Wirkung 
auf die Muskeln des Schienbeines ausüben sollten. Ein anderer behauptet, daß 
die Quitten die echte Holzsäure hätten und auf die Leber einwirkten, von der 
auch die Muskeln und Nerven abhingen. Gegen diese Ansicht wendet Bich Li 
schih tschön, der Verfasser der Materia medica, wobei er sich wie sein Gegner 
auf die alte Naturphilosophie stützt. Nach ihm wirken Quitten auf Cholera, Er¬ 
brechen, Durchfall und Muskelkrämpfe ein, die alle Magenkrankheiten, nicht 
solche der Leber sind. Muskelkrämpfe werden durch Erkältung des Magens durch 
warme oder feuchte Nässe herbeigeführt und beginnen in den Waden = Fei. 
AIb Rezept gegen Fuß(Bein)Muskelkrämpfe Tschian tschin luan tung wird ver¬ 
ordnet: Mehrere Quitten werden mit Wasser und Branntwein (halb und halb) zu 
Brei gekocht und dann warm auf die schmerzenden Stellen geschmiert und mit 
einem Tuche umwickelt. Wenn diese Kompresse kalt geworden, wird sie erneuert, 
3 bis 5mal am Tage. Bei Muskelkrämpfen im Fall von Cholera (Huo luan 
tschuan tschin) tut man folgendes: Man kocht 1 / I2 Pfund Quitten mit einer Pinte 
(12 Unzen) Branntwein zusammen und trinkt das Getränk. Wer keinen Brannt¬ 
wein trinkt, kann auch eine Suppe auB den Quitten kochen. Außerdem kocht 
man Quittensuppe und taucht ein dunkles Tuch hinein, mit dem man heiße Um¬ 
schläge um das Bein (Fuß) macht. 

Über dämonische Einflüsse habe ich auch hier nichts gefunden. Dagegen 
führte man im alten China Rheumatismus und Hexenschuß auf Dämonen, die 
den Kranken prügeln, zurück. Im Lun-hing des Wang Tschung aus dem 
1. Jahrhundert n. Chr., dessen ausgewählte Essays ich in allernächster Zeit 

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veröffentlichen werde — der größte Teil ist schon gedruckt — liest man auf 
S. 299 meiner Übersetzung: Wenn jemand, ohne sich an etwas gestoßen zu haben, 
plötzlich einen unerklärlichen Schmerz in den Gliedern fühlt und diese Spuren 
von Prügel zeigen, so leidet er an Rheumatismus. Dieser wird, wie die Leute 
behaupten, von Dämonen verursacht, die den Kranken schlagen. Als Heilmittel 
benutzt man Honig und Zinnober. Die Kur ist homöopathisch. Als Mittel gegen 
Kälte benutzt man Kälte und gegen Fieber Hitze. Da Honig und Zinnober nach 
der Naturphilosophie von dem Yang, dem warmen und belebenden Urprinzip ab- 
hängen, so muß auch Rheumatismus vom* Yang Fluidum, das unter Umständen 
giftig ist, verursacht sein. Ein Beispiel einer solchen Krankheit ist in den 
offiziellen Annalen der Älteren Han Dynastie, Tsien Han-schu Kap. 52, 
S. 12 überliefert. Tien Fen, Premierminister des Kaisers Han Wu Ti, 140 bis 
86 v. Chr., bekam eine sehr schmerzliche Krankheit. Er fühlte Schmerzen am 
ganzen Körper, als ob er geprügelt würde, und schrie um Gnade. Der Kaiser 
sandte seinen Geisterseher zu ihm. Dieser berichtete, die Geister zweier früherer 
hoher Staatsbeamten hätten den Tien Fen gepackt und prügelten ihn zu Tode. 
— Die chinesische Literatur ist sehr reich an medizinischen Werken. Sie finden 
Näheres darüber in A. Wylie, Notes on Chinese Literature, London 1867, S. 77 
bis 85 ..." 

In meiner schon zitierten größeren Arbeit über Wadenkrämpfe teilte ioh 
auf S. 563 mit, daß weder Prof. Baelz, der sehr viele Jahre in Tokio zugebracht 
hat, noch Prof. Habebeb in Japan etwas von Wadenkrämpfen erfuhren und 
zu sagen wußten, trotzdem beide Mediziner sind. Offenbar hatten sie nicht 
darauf geachtet Man kann es dann den Forschungsreisenden, die nicht Medi¬ 
ziner sind, erst recht nicht verdenken, wenn sie an diesem gewiß überall vor¬ 
kommenden Symptom achtlos vorübergingen. Dies zeigt, wie wichtig es wäre, 
deu Reisenden nicht bloß genaue Instruktionen über anthropologische, ethnologische 
Data usw. mitzugeben, sondern auch bez. bestimmter pathologischer Symptome 
oder Leiden, und zwar in prägnanter, gemeinverständlicher Fragestellung. 

Bez. Arabiens wandte ich mich an Prof. Seybold in Tübingen, der be¬ 
sonders in arabischer Medizin beschlagen ist 

Er schrieb mir unter dem 30. Januar 1907 folgendes: 

So viel ich bei schnellem Durchsehen der arabischen gedruckten medizinischen 
Werke (ohne rechte Indices usw.) sehe, wird wohl der Wadenkrampf wenig be¬ 
handelt. öanäg, taänig, taäanug bezeichnet jede „Schrumpfung“, corrugatio (von 
Haut, Muskeln, Nerven), auch spasmodische Kontraktion; spezieller ist öqqäl 
(vom Verb, ä qala constrixit) = Sprungbeinkrampf bei Pferden besonders (und 
speziell bei Schafen, Ziegen usw.) und ist später auf Wadenkrampf angewandt, 
ln Koran und Sunna ist mir kein Beispiel bekannt Eis müßten aber die spez. 
medizinischen Werke danach durchgesehen werden, was sehr schwierig und zeit¬ 
raubend ist. Vielleicht könnten sie mit der alten lateinischen Übersetzung des 
Canon von Avicenna selbst etwas finden, dort finden sich auch Register. 1 Auch 


1 Ich habe dann auch die alte lateinische Übersetzung des „Canon Medicinae“ Avi- 
cbnra’s (Venetiis, 1595) mir kommen lassen nnd in dem riesig ausführlichen Inhaltsregister 
unter allen möglichen Stichworten naebgesehen, doch nichts auf Wadenkrämpfe Bezügliches 
gefunden, auch nicht bei Cholera, Gebärakt und Schwangerschaft. Ob die Worte „spasmum 
ngnifleat in mulieribus urina nigra post laborem“ sich auf Eklampsie im Wochenbett oder 
etwa auch auf Wadenkrämpfe beziehen, wage ich nicht zu entscheiden, da gerade der erste 


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gabo, tagabbud wird medizinisch für jegliche Art von contractio, oonstrictio, 
corrogatio gebraucht, was eben das Wort auch heißt .. 

Bei den modernen Türken scheint wenig über Wadenkrämpfe bekannt zu 
sein. Dr. Giese, Privatdozent in Greifswald, der mehrere Jahre in der Türkei 
zubrachte, schrieb mir wenigstens am 6. Febr. 1907 folgendes: 

„Leider kann ich Ihnen in der erwünschten Angelegenheit keine Auskunft 
erteilen. Es existiert im Türkischen überhaupt kein Wort für die fragliche Sache. 
Ich habe noch in diesen Tagen mit türkischen Freunden darüber verhandelt, aber 
nichts ermitteln können. Aus meinem mehr als 6jährigen Aufenthalte in der 
Türkei und meiner Kenntnis der Literatur ist mir gleichfalls nichts bekannt ...“ 

Ich selbst habe kürzlich auf einer großen Orientreise einiges über den be¬ 
sagten Gegenstand erfahren, was ich hier kurz mitteilen möchte. 

Auf der Fahrt von Konstantinopel nach Beirut ließ mir ein junger, intelligent 
aussehender türkischer Kaufmann aus Tripolis durch den armenischen Dolmetscher 
sagen, Wadenkrampf hieße auf türkisch: jSil. Er träte beim AufBtehen vom 
Bett auf, bei Entbindung, bei Fehltreten, bisweilen nach Erkältung, manchmal bei 
der Krankheit näsärd&h. Man hole dann den Schech, der Kuranverse herbete. 
Der intelligente Armenier sagte, auch im Armenischen hieße Wadenkrampf yöll 
und die oben erwähnten Ursachen wären auch den Armeniern bekannt Früher 
glaubten die Leute dort an den bösen Blick als Ursache; jetzt nicht mehr, daher 
gäbe es keine abergläubischen Praktiken mehr, sondern man mache Ölfriktionen. 

In Damaskus erfuhr ich, daß der Wadenkrampf arabisch rieh (das ch wie 
in: Nacht, ausgesprochen) hieße und vom bösen Blick abhänge. Man brenne die 
Wade mit heißem Eisen oder schneide ein Loch in die Haut, lege eine Erbse 
hinein und darauf komme ein Blatt mit Kuranversen. Ein Franziskaner in 
Jerusalem, pere Vincent, der viel unter den Beduinen der WüBte lebte, bestätigte, 
daß arabisch rieh auch Wadenkrampf hieße. Man lasse den Imam rufen, der 
streiche und spreche Kuranverse dazu. Ein merkwürdiges Licht auf den Wunder¬ 
glauben warf seine Erzählung, daß Jemand in Jerusalem sioh die Hand gebroohen 
und eine alte Frau zur Heilung gerufen habe. Diese streute Asche auf den Hand¬ 
rücken, strich und sprach Kuranverse dazu, mit anderen, unverständlichen 
Worten gemischt, endlich die erste Sure. Wir sehen also hier, wie so häufig, 
als höchste Heilpotenz einen Mischmasch von allerlei, oft unverständlichen Worten 
(& la Abracadabra!) anwenden. Endlich teilte mir der bekannte Neu fei d in 
Assuan, der 13 Jahre Gefangener des Mahdi gewesen war, mit, daß rieh arabisch 
(Plural: ri&ch) zunächst Magen-Darmschmerz bedeute, dann aber jeglichen Schmerz 
überhaupt, also auch den der Wade. Eigentlich heiße das Wort Wind, weil bei 
Kolik die Winde nach oben und unten abgehen. Der Araber sagt auch für 
Wadenkrampf: riglimiit, d. h. der Fuß stirbt ab oder: gabät, d. h. es ist gefaßt. 
Überall ist der böse Blick schuld. Nie wird der Arzt geholt, sondern allein der 
Imftm oder eine alte Frau, die mit Kuranversen heilt. Nicht ist bei den Leuten 
bekannt, daß Wadenkrämpfe bei Entbindungen vorkämen, wohl aber nach Über¬ 
anstrengungen. 

Auf griechischem Boden teilte mir ein junger Doktor (Arzt?) mit, daß das 


Band des Canon, der Obiges behandelt, mir nicht vorlag, sondern nur Bd. 1L Diejenigen 
Kollegen, die sich für Knnst interessieren, mache ich nebenbei auf das schöne Frontispiz 
dieser alten Ausgabe mit den vielen kleinen, auf allerlei medizinische Dinge sich beziehenden 
Kupferstichen aufmerksam, welche ganz den Geist der Hochrenaissance atmen nnd außerdem 
technisch hervorragend ansgeführt sind. (Näcke.) 


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Volk im heutigen Griechenland den Wadenkrampf: revQoxaßalt'xefifta (vom m yo = 
Nerv, Muskel und xaßttlixe/jfia ■= überritten werden, d. h. ein Muskel reitet Uber 
den anderen) nenne. Wo nicht bekannte Ursachen vorlägen, wie Laufen, Er¬ 
kältungen, seien böse Geister im Spiele und alte Weiber würden zum Versprechen 
geholt, auch wenn der Krampf selbst schon vorüber sei, damit die Krankheit als 
solche behandelt werde. 

Daß bei den Südslaven viel za holen war, ließ sich a priori annehmen 
und hat sich auch bestätigt, wie wir gleich nachher sehen werden. Zuvor aber 
wollen wir noch einen Blick auf Palästina werfen. Hierbezüglich schrieb mir 
der im Hebräischen und im Talmud sehr heimische Dr. med. Peeuss am 30. Jan. 
1907 aus Berlin folgendes: 

„In der Bibel ist keine Stelle, die man auf Wadenkrämpfe deuten könnte. 
Wo von Schmerzen bei der Geburt in den Extremitäten gesprochen wird, sind 
stets Bicher Wehen gemeint. Auch im Talmud habe ich trotz nochmaliger Durch¬ 
sicht meiner Excerpte nichts für Dir Thema gefunden. Was über Krämpfe über¬ 
haupt (Konvulsionen) vorhanden ist, habe ich in der Zeitschr. f. Psychiatrie. LVI. 
1899. S. 113 gegeben. 1 Über Dämonen dabei ibid. S. 131. Die nachtalmudischen 
speziell medizinischen Schriften jüdisoher Arzte liegen außerhalb meines Arbeits¬ 
gebietes ...“ 

Wie sich die Sache bei den heutigen Juden verhält, hat mir Dr. Pbeuss 
leider nicht gesagt. Ich wiederhole also nur, was ich in meiner Arbeit S. 564 
schon sagte, daß Prof. Webtheim-Salohonson in Amsterdam bez. der Crampi 
keinen Unterschied zwischen Christen und Juden finden konnte, trotzdem er in 
seiner Nerven-Poliklinik sehr viele Juden sieht. 

Wir kommen jetzt zu den Südslaven. Der berühmte Slavist und Folklorist 
Dr. Fb. Kbau88 in Wien schrieb mir am 28. Januar 1907 folgendes: 

„... Im ganzen slav. Süden heißt man den Wadenkrampf, der dem Befallenen 
den Fuß schmerzhaft zusammenzieht, kratelj, d. h. der Verkürzer. Das ist 
aber eine Volksetymologie. Das Wort ist ein Lehnwort aus dem deutschen 
Schrattl, das Schrättlein. Alle Krankheiten kommen aus dem Walde, im Walde 
aber hausen Vilen, viljenaci oder Schratte. Die fahren einem Menschen in den 
Leib als böser Wind oder als Verfluchter = prokletnek, als Dämon. ... Den Kratelj 
zieht man sich zu, wenn man auf einen Vilenreigen oder eine von Hunden oder 
Katzen aufgescharrte Stelle (sugreb) tritt oder die Wöchnerin wird von ihm befallen 
infolge der üissi (Zaubereien) einer inoöa, Kebsin, Nebenbuhlerin. Das Auftreten 
auf eine so gefährliche Stelle nennt man mit dem türk. Worte auch ograisati 
oder slavisch nabasati. 

Als Gegenmittel gebraucht man Zaubersprüche bas me. Die sind alle nach 
einer Schablone. Sie finden sie in meiner Abhandlung über südslav. Volksmedizin 
in den Mitt. der Wiener anthropolog. Ges. von 1886 oder 87 vermerkt.... Über 
die Krankheitsgeister steht auch in meinem Buche Volksglaube u. relig. Brauch 
d. Südsl. ein Kapitel, das Ihnen Aufschlüsse gewährt. 

Unter kratelj haben zumeist Hirten und Holzfäller, dann Schwangere (nicht 
etwa Gebärende) zu leiden. Das Übel tritt häufig auf und wer es einmal hat, 
wird es schwer los, außer er unterzieht sich der Prozedur des Hindurchkriechens 
durch einen selbstentstandenen Baumastring im Walde und überträgt den kratelj 


1 ln der Tat findet sich in der Arbeit von Pbbuss nichts auf Crampi bezügliches. 
(Näckb.) 


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auf den Baum, woher er stammt. Daß der kratelj beim Coitus vorkäme, habe 
ich nie gehört. ... Die Gleichung des hl. Nikolaus = Krampus ist unrichtig und 
ebenso die Ableitung von einem latein. crampus. Den hl. N. begleitet auf seinem 
Umzuge der gehörnte, krummbeinige, mit einer Butte für die schlimmen Kinder 
versehene Teufel, der einen Krampffuß hat, daher sein Name. 1 Das Volk in 
N. Ö. hat noch das volle Bewußtsein von der Bedeutung des Wortes. Ein 
lateinisches crampus würde nach den Lautgesetzen unserer Sprache etwa kranfl 
heißen. ...“ 

Überschauen wir nun das Mitgeteilte, so werden wir unseru, an der Spitze 
mitgeteilten Satz bez. der Ägypter, Römer und Griechen jetzt nach weiterer 
Kenntnis eines größeren Kreises noch erweitern und verallgemeinern müssen. 
Folgendes wird sich nun ergeben: 

1. Krämpfe, Krampfformen aller Art lassen sich wohl überall in alten und 
neuen Zeiten, in schriftlichen oder mündlichen Aufzeichnungen nachweisen und 
mußten fast selbstverständlicherweise auf die Einwirkung von Dämonen irgend¬ 
welcher Art zurüokgeführt werden, und zwar böser Geister, die plötzlich ein¬ 
brachen und so Sohrecken, Schmerz, Bewegungslosigkeit usw. erzeugten. Wo 
dies nicht deutlich mehr nachzuweisen ist, läßt es sich aus der Therapie direkt 
oder indirekt erschließen. 

1 Diese interessante Notiz verdanke ich (Nlcu) einer Zwisobenfrage. Einer meiner 
Korrespondenten hatte mir nämlich kürzlich geschrieben: „An einen Beitrag zur cramp- 
Frage erinnert mich meine Schwester — den Wiener „Krampus“, jenen Teufel oder Wilden, 
der auf dem Wiener Nikolaimarkte alB Nebengänger des Heiligen figuriert, den bösen Kindern 
zum Schreck, während der Heilige die guten beschenkt. Bei uns sind im Knecht Rupprecht 
mit dem Gabensack in der einen und der Rute in der anderen Hand beide Charaktere ver. 
bunden. Ich bin im Wiener Volksglauben nicht genug zu Hause, um zu wissen, ob der 
Krampus die Bösen beim Beine zu fassen kriegt (in menschlicher Praxis müssen meiBt die 
Bösen berhalten)...“ Durch obige Auseinandersetzung von Fe. Krauss wird die Sache anders 
erklärt, obgleich mir die Umsetzung von „Krampffuß“ in Krampus, besonden für Öster¬ 
reicher, etwas sehr gewagtes hat 

Hier gleichzeitig eine andere Bemerkung, die allerdings nur locker mit dem Voran¬ 
gehenden in Verbindung Btebt In meiner mehrfach zitierten Arbeit hatte ich nämlich 
(S. 662, Note 1) auf die Möglichkeit hingewiesen, den berühmten Storchbiß als 
Kindbett-Wadenkrampf aufzufassen, der ja so häufig eintritt Näher erscheint 
mir allerdings jetzt die auch dort (S. 561) geäußerte Ansicht daß Storch = Penis wäre 
und da Höflkr (ibidem) nachwies, daß das Bein Symbol der Vulva ist der Storchbiß 
ins Bein sehr wohl einen Coitus andeuten könne. Ich führte daher eine alte Bronze 
aus Paris an, wo der Storch mit ungeheuren Hoden und riesigem Penis auftritt was eine 
alte Anschauung gewesen zu sein scheint Nach Dr. Höflub ist der Storch aber 
besser als kinderbringendes, mythisches Wesen anzusehen, also als ein 
Seelen vogel, wie der Schwan auch. Es würde sich dann aber wiederum fragen, warum 
gerade meist der Storch, und selten ein anderer Vogel, auch dort, wo er selten zu Hause 
ist P Hat das mit der Größe des Tieres etwas zu tun, oder mit dem langen, spitzen Schnabel P 
Das Entere würde z. B. auch für den Schwan gelten, nicht aber das Zweite. Eine Möglich¬ 
keit der Erklärung bietet mir eine Stelle aus einem Briefe von Direktor Prof. Dr. Prais* 
mark in Dresden (16. Jan. 1907): „Nebenbei ist mir zum Storchmärcben noch ein Gedanke 
gekommen. Dos Bindeglied ist wohl die Ähnlichkeit des von ihm im Schnabel getragenen 
Frosches mit einem kleinen zappelnden Menschlein (Nackfrosch!).“ In der Tat scheint mir 
dieser Gedanke genial und die Ähnlichkeit frappant, wie schon der Name „Nackfrosch“ 
Behr richtig andeutet 

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2. Wadenkrämpfe speziell lassen sich bisher weder schriftlich noch münd¬ 
lich überall aufweisen. Mit Bedacht sage ich: bisher. Denn die alten und 
neuen Literaturen (z. B. Chinas, Japans, Arabiens, Indiens usw.) sind zum Teil 
so ungeheuer groß, daß kaum Einer sie ganz bewältigt bat und es fast un¬ 
möglich erscheint bez. eines solchen Symptoms, wie z. B. der Wadenkrampf 
eines ist, alles durchzustöbern. Außerdem ist sehr vieles nur im Manuskript 
vorhanden und nicht gelesen, vieles davon überhaupt europäischen Gelehrten 
unzugänglich. Bez. der modernen Zeiten hat man, wie ich schon oft betonte, 
sehr wenig auf Wadenkrämpfe geachtet, sogar in Kliniken, um wie viel weniger 
bei Naturvölkern und Halbzivilisierten, besonders wenn, wie gewöhnlich, die Be¬ 
obachter Nicht-Mediziner sind. Auch daß man hier oder bei modernen orien¬ 
talischen Völkern nicht einmal einen Namen für Wadenkrampf kennt, ist noch 
lange kein Beweis dafür, daß ein solcher nicht besteht, geschweige denn, daß 
Crampi dort nicht Vorkommen sollen. Wir sahen schon oben z. B., daß meine 
Erhebungen bez. der Türken anders lauten, als die von Dr. Giess. Wer von 
den Forschungsreisenden hat sich genauer naoh Krankheitsnamen umgesehen, 
gar um solche gewisser Symptome? 

Wo aber Wadenkrämpfe nachweisbar sind, da werden sie meist dämono- 
logisch erklärt, wie auch die Therapie dies mehr oder minder anzeigt Es 
handelt sich ja nur um einen Spezialfall der Krämpfe. 

Folkloristisch interessant wäre es zu wissen, ob, wo dämonischer Einfluß 
nachweisbar ist, ein spezieller Dämon die Wadenkrämpfe erzeugt, oder über¬ 
haupt ein allgemeiner Dämon, der vielerlei zuwege bringt. Der oberbayrische 
„Wadispanner“, 1 der sowohl Wadenkrampf bedeutet als auch die Tätigkeit eines 
Wadenkrampf erzeugenden Dämons, scheint fast auf einen besonderen Spiritus 
rector hinzuweisen. Das Ursprüngliche ist wohl der Polytheismus gewesen, der 
Monotheismus folgte ihm, konnte aber wieder in Polytheismus entarten.’ Und 
so hat es sehr wahrscheinlich eine Menge besonderer böser Geister gegeben, die 
spezielle Krankheiten jeder für sich erzeugten, wie es ja eine Reihe solcher 
Dämonen mit besonderen Aufgaben gab. 


1 Siehe meine Arbeit S. 561. 

* So sind jedenfalls den dualistischen Religionen der Perser (Ormnzd, Ariman) and 
der Nordgermanen (Baldr, Hödr) erst polythistische Zustände vorangegangen und nur zu 
bald konnten sich selbst diese geistigen Prinzipien des Lichtes und der Finsternis, des Guten 
und Bösen nicht rein erhalten und so sehen wir gleichzeitig oder später eine Menge von 
Dämonen, gute und böse, auftreten, in die sich jene Urprinzipien zersplitterten. Sehr lehr¬ 
reich ist es auch, daß Pbbübb in seiner Arbeit: Nerven- und Geisteskrankheiten nach Bibel 
und Talmud (Allg. Zeitschr. f. Psych. etc. LVI. 1899. S. 107 ss.) auf S. 131 den „bösen Geist“ 
(ruocb ra'ah) durch die Babylonier aus Persien nach Palästina importieren läßt Offenbar ist 
er der persische Ariman. Sehr bald aber entstehen daraus Dämonen, böse: „Diese Geister ... 
spielen allmählich in den Erklärungen und Anschauungen des Talmuds eine große Rolle; 
ihre Zahl ist eine sehr große... und machen die Menschen zu Besessenen.... Im Talmud sind 
es aber fast ausschließlich körperliche Krankheiten, die den Dämonen zugeschrieben wurden...“ 
Vor dem Jahwedienste war aber eine polythistische Naturreligion bei den Juden vorhanden 
und noch neben Jahwe sehen wir Spuren davon. Manche wollen weiter behaupten, daß die dua¬ 
listischen Religionen nur arischen Ursprungs sind. Das kann aber nicht stimmen, da man 


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Zum Schlosse möchte ich noch einen klinisch-psychologischen Zug der 
Wadenkrämpfe berühren. Auf S. 575 meiner Arbeit habe ich, wie schon früher, 
auf den merkwürdigen Einfluß der Zu- und Ablenkung der Aufmerksamkeit auf 
Verstärkung und Verminderung der Crampi, ja sogar auf deren Entstehen, 
hingewiesen. Herr Prof. Dr. Petermann berichtete mir nun (Dresden, am 
3. Januar 1907) folgenden psychologisch interessanten Fall: 

„Als junger Mann hörte F. seinen im Nebenzimmer schlafenden Vater plötz¬ 
lich laut schreien, ln der Meinung, sein Vater befinde sich unter den H&nden 
eines Mörders, springt er ihm mit einem hochgesohwungenen Dolchmesser in der 
Hand zu Hilfe und sieht — seine Mutter und Schwester beschäftigt, dem von 
einem schmerzhaften Wadenkrampfe befallenen Vater die Waden reiben! Die 
Komik dieses quid pro quo ruft hei dem Patienten den Ausbruch eines un¬ 
geheuren Lachens hervor, welches dem Wadenkrampfe augenblicklich ein Ziel 
setzte. Das Bemerkenswerte an der Saohe scheint mir, daß die Erlösung von der 
Qual unter vermittelnder Einwirkung des Gehirns stattfand." 

Wir sehen iu diesem wohl einzig dastehenden Falle wiederum, wie durch 
die gewaltsame und plötzliche Ablenkung der Aufmerksamkeit der Krampf so¬ 
fort sich löst, und das um so eher, als die Energie durch das homerische 
Lachen aufgebraucht ward. Ob sonst das plötzliche und heftige Lachen bei 
anderen Krampfformen einen schnellen Stillstand herbeiführte, weiß ich nicht, 
wenn ja, so wäre dies also geradezu ein Heilmittel, freilich, wie Prof. Peter¬ 
mann sehr richtig bemerkt, „ein remedium fortuitum, das sich nicht nach Be¬ 
lieben anwenden läßt". 


IL Referate. 


Anatomie. 

1) Anatomie du systöme nerveux de l’homme, par van Gehucliten. (4®* 
Edition. Louvain 1906. Librairie universitaire. 999 S.) Bef.: Kurt Mendel. 

In 4. Auflage liegt das imposante Werk des Verf.’s vor uns. Die stark 
veränderte Neuauflage war notwendig geworden durch die Fortschritte, welche 
die Anatomie des Nervensystems in den letzten Jahren dank den neuen Färbe¬ 
methoden von Nissl, Marchi, Ap&thy, Bethe, Donaggio, Bielschowsky, 
BamönyCajal gemacht bat. 

In 48 Vorlesungen geht Verf. in mustergültiger Beschreibung die Anatomie 
der Nervenelemente, des Hirns, Kleinhirns, Bückenmarkes, der peripheren Nerven, 
des Sympathicus, sowie die Beflexbahnen durch, mit 848 Figuren den Text er¬ 
läuternd. 

Jeder Bibliothek wird das großartige Werk zur Zierde gereichen. 


sie, allerdings in sehr verschiedener Ausprägung, vermutlich überall nachweisen kann. Am 
reinsten sind die Dualismen allerdings bei den Ariern. Wo sie weniger deutlich sind, 
wie im altägyptischen Osiris und seinem Gegenbild Set, wird arische Herkunft dieser 
Götterkreise vermutet, noch viel mehr bei der wunderbaren Reform Amenhoteps IV., der 
den Atenkultus einrichtete, eine fast arische Erscheinung and wahrscheinlich aus Mesopotamien 
stammend, wie namentlich Habpf: Morgen- und Abendland (Stuttgart 1905), zu beweisen 
sucht und anscheinend glücklich. Nach Rhibmayb hängt sogar vielleicht der Jahwedienst 
mit dem Atenkult zusammen. 

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Physiologie. 

2) La fuozione oortioale della vislone, per 0. Rossi. (Pavia 1906.) Ref.: 

Hübner (Bonn). 

Die experimentelle Studie behandelt die Sehstörungen, welche beim Hunde 
durch Abtragung verschiedener Rindenteile, insbesondere solcher aus dem Gebiete 
der Hinterhauptslappen, auftreten. 

Verf. kommt zu folgenden Schlüssen: 

Die Rindenregion, nach deren Verletzung Sehstörungen ohne sonstige wesent¬ 
liche Begleiterscheinungen auftreten, ist größer, als Munk angenommen hat. Ver¬ 
letzung der Stirnlappen inklusive des Gyrus sigmoideus hat keine Sehstörung 
zur Folge. 

Eine Projektion der Retina auf die Rinde der Hinterhauptslappen folgt aus 
den Versuchen des Verf.’s nicht. 

Die Rindenzerstörung innerhalb der von Munk mit A' bezeichneten Zone 
hat einen weniger schweren und weniger lange bestehenden Funktionsausfall zur 
Folge, als die Exzision anderer Rindenteile. 

Schwere, Intensität und Dauer der Störungen scheinen der Ausdehnung der 
Läsionen, parallel zu gehen. Die Erscheinungen sind vorübergehender Natur, und 
zwar auch dann, wenn die Hinterbauptslappen vollständig vernichtet sind. 

Über die Natur der erzeugten Störungen spricht sich Verf. nicht be¬ 
stimmt aus. 


Pathologische Anatomie. 

3) Ein Fall von Mikrooephalus und Enoephalooele mit chemischer Unter¬ 
suchung der Cerebrospinalflüssigkeit, von Prof. Dr. F. Kutscher und 
Priv.-Doz. Dr. A. Rieländer. (Mon. f. Geb. u. Gyn. XXV.) Ref.: Max Jacoby. 

Bei einer 32jährigen Primipara, die aus gesunder Familie stammt, waren 
zwei Entbindungen ohne Kunsthilfe vorausgegangen; beide Kinder leben und sind 
gesund. Die dritte Geburt dauerte 4 Stunden, Schädellage. Die Hebamme mußte 
den Hinterkopf des KindeB von den Eihäuten abschneiden. Vom Arzte wurden 
Schutzverbände mit Xeroformsalbe verordnet. Trotzdem das Kind sehr dekrepid 
war, blieb es am Leben und gedieh an der Mutterbrust wider Erwarten gut. 
Es handelte sich um einen 2630 g schweren, 50 cm langen Knaben von sonst 
normalem Körperbau, die Stirn ist wie bei einem Mikrocephalen stark nach hinten 
abgeflocht; die große Fontanelle fehlt vollständig, hier sind die Knochen fest mit¬ 
einander verwachsen. Am Hinterkopf, in der Gegend der kleinen Fontanelle, 
befindet sich eine halbkugelige, breit aufsitzende Geschwulst. Der Überzug der¬ 
selben besteht ringsherum an der Basis noch aus der behaarten Kopfhaut, die¬ 
selbe setzt sich fort in einen dünnen glänzenden, fast durchsichtigen Überzug, der 
in der Mitte von höckrigen, unregelmäßig knolligen, solideren Gewebspartien unter¬ 
brochen wird, die scheinbar mit dem Schädelinhalt Zusammenhängen. Die Ober¬ 
fläche der in der Mitte des cystischen Teiles befindlichen soliden höckrigen Masse 
liegt frei ohne Überzug zutage und sezerniert eine schmierig-eitrige Flüssigkeit. 
Unter der dünneren glatten Haut ist überall Fluktuation nachweisbar. Kleine 
Fontanelle ist nicht nachweisbar. Sonst weist das Kind keine Abnormitäten auf; 
es ist sehr sensibel und schreckhaft; es liegt oft stundenlang mit weit offenstehen- 
dem Munde da und macht im wachen Zustande oft zwangartige Drehungen des 
Kopfes nach der Seite. Es schrie zum ersten Male am 16. Tage nach der Geburt, 
und dann stößt es stets nur kurze laute Schreie aus. Da die Flüssigkeitsansamm¬ 
lung in der Geschwulst sich vermehrte, mußten drei Punktionen vorgenommen 
werden, bei denen sich im Ganzen 38,8 ccm Meningocelenflüssigkeit entleerte. Das 


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Kind gedeiht bisher sehr gut, trinkt sehr reichlich, doch ist die Enceph&locele 
im Laufe der letzten Monate etwa um ein Drittel größer geworden. Die Behand¬ 
lung besteht in Alkohol verbau den. Wenn das Kind einige Jahre älter ist, kann 
eventuell eine Resektion der Encephalocele mit gleichzeitigem osteoplastischem 
Verschluß der Öffnung ira Schädel vorgenommen werden. 

Das Filtrat der gesammelten Punktionsflüssigkeit reagierte alkalisch; kochte 
man es auf, so trat nur geringe Opalescenz ein; dagegen trat sofort ein sehr 
reichlicher fleckiger Niederschlag ein, wenn man die Flüssigkeit genau mit Salz¬ 
säure gegen empflndliches Lakmuspapier neutralisierte. Der den Niederschlag 
liefernde Körper ergab sich als ein Albuminat. Cholin hat sich nicht nach- 
weisen lassen. 


Pathologie des Nervensystems. 

4) Minen nystagmns, by Christie Reid. (Brain. CXV. 1906. S. 363.) 
Ref.: Bruns. 

Verf. kritisiert zunächst die wesentlichsten Theorien über die Entstehung 
des Nystagmus der Bergleute — die Muskeltheorie (Snell) und die, die den 
Nystagmus auf mangelhafte Beleuchtung zurückführt. Er meint, daß die Ursachen 
komplexer Natur seien: schlechtes Licht, besondere Stellungen der Bergleute bei der 
Arbeit, die das Körpergleichgewicht stören oder zu mehr oder weniger rhyth¬ 
mischen Bewegungen des Rumpfes und Kopfes bei fixierter Augenstellung führen. 
Schließlich beschleunigen das Eintreten schwächende Einflüsse, wie Alkoholismus, 
Influenza und Unfälle. Das Leiden beruht auf einer Störung der Centren für 
die Equilibrierung der Augäpfel. 

5) Beitrag sur pathologischen Anatomie der multiplen Sklerose, von Franz 
Schob. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXII. 1907. S. 62.) Ref.: H. Vogt. 

Der Veröffentlichung liegt folgender, eingehend bearbeiteter Fall zugrunde: 

Robert N., Arbeiter, Beginn der Erkrankung im 20. Lebensjahr; 14jährige 
Krankheitsdauer mit allmählicher progredienter Entwicklung der Symptome: 
spastische Parese der Extremitäten, Intentionstremor, Ataxie, skandierende Sprache, 
Nystagmus, mäßige BlasenBtörungen; keine sicheren objektiven Sensibilitätsstörungen: 
Demenz mit Euphorie, in den späteren Jahren spastische Kontrakturen, zuletzt 
zwei apoplektiforme Anfälle, einer von ihnen Todesursache. Sektion: Im Gehirn 
massenhafte sklerotische Herde, besonders reichlich in den Wandungen der Ven¬ 
trikel und in der Rinde, wo sich auch zwei kleine Erweiohungsherde fanden. 
Zahlreiche Herde im verlängerten Mark und im Rückenmark, hier Hinter- und 
Seitenstränge bevorzugt; Herde oft symmetrisch angeordnet. Herde in Mark und 
Rinde des Kleinhirns. Eigenartige, teilweise herdförmige Erkrankung der Hirn- 
nerven und Rückenmarkswurzeln in den Abschnitten, die keine Glia enthalten. 

Der Fall ist besonders bearbeitet im Hinblick auf die Meinungsverschieden¬ 
heiten, welche hinsichtlich der Auffassung des gliösen Prozesses bei dieser Krank¬ 
heit existieren. Bekanntlich hat vor allem Müller in seiner bekannten Mono¬ 
graphie, im Anschluß an Ziegler und Schmaus, die Ansicht ausgesprochen, 
daß es sich in vielen Fallen um eine primäre Gliose auf der Basis von Ent¬ 
wickelungsstörungen handele; von dieser echten multiplen Sklerose („primäre Glia- 
sklerose“) müßten die Fälle getrennt werden, in denen die Gliawucherung repara- 
torisch, „sekundär“ erfolgt ist. Dem gegenüber halten andere, namentlich Borst, 
dafür, daß das primäre Krankheitsmoment so ziemlich in allen hierhergehörigen 
Fällen im nervösen Gewebe, besonders in den Markscheiden liege, und die Glia¬ 
wucherung sekundär erfolgt. 

Verf. kommt auf Grund seiner anatomischen Untersuchungen zu folgendem 
Resultat: 

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„Der beschriebene Fall bietet als Besonderheit den Befund von Hirnrinden- 
herden und Erkrankung der bindegewebshaltigen Abschnitte der Nervenwurzeln. Die 
Gliawucherung hat hier nicht die Bedeutung des primären Vorganges; sie erfolgt 
reparatorisch, bzw, sekundär, dafür sprechen: 1. die eigenartige Abhängigkeit der 
Herde vom Gefäßsystem, 2. die Beobachtung, daß in einigen Herden Verände¬ 
rungen am nervösen Gewebe, bzw. an den Markscheiden zu beobachten sind, wo 
von Gliawucherung noch nichts zu sehen ist, 3. der Umstand, daß auch nicht 
gliahaltige Partien, die Meningen und die rein bindegewebshaltigen Abschnitte 
der Nervenwurzeln von dem Krankheitsprozeß mitergriffen sind. Der Fall zeigt 
vielfach Übereinstimmung mit dem Bild, das Marburg von den Veränderungen 
bei der akuten multiplen Sklerose entworfen hat. Offenbar ist auch hier der 
diskontinuierliche Markscheidenzerfall infolge einer unter Vermittlung des Gefä߬ 
systems einwirkenden Schädlichkeit das Wesentlichste. Der Prozeß gehört zu den 
degenerativ-entzündlichen, stellt also selbst eine besondere Form der disseminierten 
chronischen Encephalomyelitis dar. Der Fall zeigt aber weiter, daß Fälle von 
sekundärer Sklerose in ihrem Verlauf ganz dem chronisch-progredienten Krank- 
heitsbild gleichen können, das E. Müller als typisch für die „echte“ primäre 
Gliasklerose hinstellt und der sekundären Sklerose abspricht. Die anatomische 
Untersuchung hat weiter ergeben, daß die Herde auch bei sekundärer Sklerose 
die charakteristischen Merkmale der „echten“ primären Sklerose aufweisen können. 
Die Prädilektion der Herde für gewisse Stellen im Centralnervensystem kommt 
auch bei sekundärer Sklerose vor; sie kann demnach, ebenso wie die Neigung 
zu symmetrischer Entwickelung, nicht als Beweis für die Theorie von der endo¬ 
genen primären Gliasklerose angezogen werden.“ 

6) Etüde olinlqae et anatomo-pathologiqne d’un cas de soldrose en pl&ques, 

par Raymond et Gudvara. (L’Encdphale. 1907. März.) Ref.: Baumann. 

Der von den Verff. publizierte Fall von multipler Sklerose mit subakutem 
Verlauf bot klinisch folgende Besonderheiten: 

Sehr früh auftretende und starke Sphinkterenstörungen, verminderte Seh¬ 
schärfe nach links, für blau und rot eingeengtes, für weiß dagegen normales Ge¬ 
sichtsfeld, nystagmusartige Zuckungen, trophisches (?) Ödem der unteren Extremi¬ 
täten, Lymphocytose des Liquor cerebro-spinalis. Bei der Sektion fanden sich 
mehr oder minder diffuse Läsionen an der Seite oder in der Peripherie der sklero- 
sierten Herde, ferner frische Läsionen, in denen die markhaltigen Fasern zu dege¬ 
nerieren begannen. Die Veränderungen der nervösen Elemente waren sehr erheblich 
(Zerstörung der Achsenzylinder selbst in den Teilen, wo die Sklerose ganz leicht 
war), die Gefäßveränderungen waren nicht besonders stark, aber deutlich sichtbar. 
Das wichtigste ist nach Ansicht der Verff. das trophische Ödem und der graduelle 
Übergang zwischen alten sklerotischen Plaques, viel jüngeren Läsionen und den 
diffusen Veränderungen. Möglicherweise verdanken die sklerotischen Herde und 
die sie umgebenden diffuseren Läsionen demselben pathologischen Prozeß (vielleicht 
toxisch-infektiöser Natur) ihren Ursprung. 

7) CerebroBpinale Herdsklerose mit selten hochgradiger Affektion des 

Rückenmarkes, von Nambu. (Prager med. Wochenschr. 1907. Nr. 3.) 

Ref.: Pilcz (Wien). 

Klinische Diagnose: Sclerosis cerebrospinalis multiplex. Anatomische Diagnose: 
Sclerosis cerebrospinalis multiplex et Sclerosis diffusa medullae spinalis. 

Verf. betont zunächst die Seltenheit, daß das Rückenmark im Gegensätze zu 
der exquisit herdförmigen Sklerose des Gehirns diffus erkrankt war. 

Die genaue histologische Untersuchung (Achsenzylinderfärbung nach Stroebe 
und Straehuber; Bielschowsky wegen zu langer Härtung in Müller unmög¬ 
lich) führt Verf. u. a. zu folgenden Schlüssen: 

Sehr deutlich ist das Abhängigkeitsverhältnis der Herde von den Blutgefäßen. 


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In den jüngeren Herden sind jedenfalls noch marklose Achsenzylinder erhallen; 
in den älteren, wo fibröse Gliafasern deutlich gewuchert sind, scheinen Achsen* 
Zylinder nicht mehr vorhanden zu sein. Die Glia zeigt, in den jüngsten Herden 
nur eine geringfügige Kernvermehrung, die Gliafasern sind fast normal. In den 
älteren Herden besteht bedeutender Kernreichtura und Verdickung der Gliafasern. 
Die entzündlichen Veränderungen der Blutgefäße sind das Primäre, die Degene¬ 
ration der nervösen Elemente und Gliawucherung das Sekundäre. Es handelt sich 
um eine eigene Form der disseminierten Myelitis. Die Ganglienzellen sind 
nur dort, wo der Prozeß hochgradiger ist, in ihrer Zahl vermindert und patho¬ 
logisch verändert. 

8) Solörose en plaques et Syphilis, par Catöla. (Nouv. Iconogr. de la Salp. 

1906. Nr. 4.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

L 31 jähriger Apotheker. Gesund bis zum 15. Jahre, wo er starke Schmerzen 
im Rücken bekam. Die Schmerzen waren so stark, daß er öfter bis zu 3 Tagen 
das Bett hüten mußte. Seitdem Nachziehen des rechten Beines. Eine ärztliche 
Untersuchung ergab schon damals eine starke Steigerung der Patellarrefiexe mit 
Fußklonus. Der Zustand blieb derselbe 6 Jahre hindurch; dann traten die Schmerzen 
stärker auf, zugleich mit dem Gefühl des Zusammenschnürens auf der Brust 
(Gürtelgefübl). Zugleich machte Bich unter dem Einfluß von Gemütsbewegungen 
ein Zittern bemerkbar, das sich auch beim Schreiben äußerte. Eine Schmierknr 
blieb ohne Einfluß. Status: Oberschenkel extrem gegen das Becken gebeugt 
und gegeneinander adduziert, nur mit großer Anstrengung ist passive Bewegung 
möglich. Unterschenkel im Knie gebeugt, lassen sich aber leicht strecken. Ob¬ 
wohl die oberen Extremitäten keinen Spasmus darbieten, gehen die Bewegungen 
doch nur sehr langsam vor sich. Die taktile Sensibilität ist erloschen von 
den Knien abwärts, vermindert im Bereich der Hüften und des Oberschenkels. 
Ebenso verhält es sich mit der Schmerzempfindlichkeit und dem Sinn für heiß 
und kalt. Der stereognostische Sinn aufgehoben, während das Lagegefübl erhalten 
ist. Haut- und Kremasterreflexe fehlen, Babinskisches Zeichen beiderseits vor¬ 
handen, ebenfalls die Patellarrefiexe beiderseits gesteigert und Fußklonus. 
Hörfähigkeit ist beiderseits abgeschwächt. Sehr häufiges Doppelsehen, das leicht 
verschwindet und wiederkehrt. Sehvermögen bedeutend herabgesetzt. Nystagmus 
horizontalis. Lichtreaktion schwach. Leichterintentionstremor. Fibrilläre Zuckungen 
der Zunge, Sprache skandierend, weint leicht, zeigt geringe Störungen des Ge¬ 
dächtnisses, Inkontinenz. Die Lumbalpunktion ergab geringe Leukozythose. Un¬ 
mittelbar nach derselben subjektive Besserung. Doppelsehen hat aufgehört, 
bald verfällt er aber in leichtes Coma, zeigt 40,3 °. Decubitus, davon ausgehend 
ein papulo-pustulöses Exanthem. Tod im Coma. 

Sektion: Auf Longitudinal-und Transversalschnitten sieht man in der Gro߬ 
hirnrinde eine Anzahl von grauen Flecken. Das Kleinhirn zeigt Atrophie der 
gezahnten Kerne, dieselben sind bedeutend kleiner als normal und von grauer 
Farbe. Am Rückenmark Verdickung der Meningen im dorsolumbalen Teil. — 
Mikroskopisch: Im Pons links vollständige Zerstörung des Pedunculus cerebelli 
superior, des Fasciculus longitudinalis superior, der motorischen Wurzel des Trige¬ 
minus, der Kreuzung des Trochlearis, des Centralbündels, des medianen Reilschen 
Bandes, der Substantia reticulata und des Bechterewschen Bündels. Rechts 
sind nur das Reilsche Band, das mittlere Bündel des Pedunculus cerebelli und 
der Fasciculus long. post, zerstört. Die zerstörte Partie links ist ganz ein¬ 
genommen von einem sklerotischen Herd. Weiter unten auf der Höhe der Pro¬ 
tuberanz ist die linke Hälfte vollständig zerstört. Die Kerne des Abducens, 
Acusticus, obere Olive und die Kerne des Pons sind dagegen vollständig erhalten. 
Im oberen Bulbus sind die Pyramiden, Nuclei arcuati und das Tuberculum acuBticum 
vollständig zerstört. In der mittleren Region sind die Pyramiden, die absteigende 

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Trigerainuswurzel, der Seitenstrang, das Corpus restiforme und das Solitärbündel 
zwar noch zu erkennen, aber ganz mit sklerotischen Herden angefüllt. Unterhalb 
der Oliren ist der ganze Bulbus mit Ausnahme der Kerne des Gollschen und 
Burdachschen Stranges, Substantia gelatinosa Rolandi und des Hypoglcssuskernes 
vollständig zerstört. Ebenso ist vom oberen Halsmark nur noch die graue Sub¬ 
stanz vorhanden, sonst alles sklerosiert. Von den hinteren Wurzeln ist etwa ein 
Drittel normaler Fasern vorhanden. Dies bleibt so bis in die Gegend des achten 
DorsalsegmenteB. Am 10. Dorsalsegment enthält die linke Hälfte eine Anzahl 
normaler Fasern in der Gegend des Burdachschen Stranges, während die rechte 
nur ganz wenig betroffen ist. Vom 12. Dorsalsegment erscheint das Rückenmark 
völlig normal. 

Die Pia mater spinalis ist in ihrer ganzen Ausdehnung verdickt und in¬ 
filtriert. Diese Verdickung ist besonders ausgesprochen in der hinteren Längs- 
furche und um die Gefäße herum, sie besteht aus polynukleären Elementen, Zellen 
mit großem, rundem und ovalem Kern setzen sie zusammen. Die Gefäße selbst 
sind stark verdickt und infiltriert mit Lymphozyten. Die Gefäße der grauen 
Substanz zeigen ebenfalls Verdickung der Wandungen, Vermehrung der Kerne 
und Verengerung des Lumens. Teilweise hyaline Degeneration. In den sklero¬ 
tischen Herden zeigt sich vollständiger Zerfall des Nervenmarkes bei Erhaltensein 
der Achsenzylinder. 

II. 65jähriger Kranker, wird im Hospital aufgenommen mit der Diagnose: 
Paraplegia syphilitica. Er verspürt plötzlich einen Ruck und sinkt in die Knie, 
von welchem Augenblick das rechte Bein gelähmt und der rechte Arm schwächer 
als der linke wird. Letzteres bessert sich, so daß er wieder arbeiten kann, je¬ 
doch kommt er wieder ins Bicetre, weil er über „Ataxie“ klagt. Er bleibt vier 
Monate dort, während der Zeit wird auch das linke Bein befallen. Seit 1892 
ist Pat. vollständig bettlägerig. Status: Untere Extremitäten vollständig ge¬ 
lähmt, bedeutende Abmagerung. Kann Bich nur mit Hilfe der Hände fortbewegen. 
Obere Extremitäten sind ebenfalls, aber in geringerem Grade betroffen. Kraft 
der rechten Hand sehr vermindert, Patellarreflexe lebhaft, Fußklonus und Babinski- 
sches Zeichen. Weint leicht, läßt unter sich. Starke Tuberkulose der Lungen. 
Autopsie: Meningen des Rückenmarkes auf der hinteren Seite sehr stark ver¬ 
dickt, das Rückenmark in toto kleiner als normal. Vom 3. Cervikalsegment 
sklerotischer Herd, welcher den Gollschen Strang einnimmt und noch in den 
Burdachschen Strang hineinragt. Weiter nach unten nimmt die Sklerose in 
der Höhe des 5. Cervikalsegmentes den ganzen Seitenstrang auf beiden Seiten, 
die graue Kommissur, das rechte Vorderhorn und den ganzen Gollschen und 
Burdachschen Strang ein. Die Gefäße sind verdickt, die Wand degeneriert, 
besonders in den sklerotischen Stellen und in den verdickten Meningen. Unter¬ 
halb ist das Rückenmark wieder normal. Überall sind nackte Achsencylinder 
zu sehen. 

Verf. zieht aus seinen beiden Fällen den Schluß, daß die syphilitische Sklerose 
sehr wohl den Charakter der multiplen Sklerose haben kann, ja sie ziehen 
sogar den Schluß, daß die Syphilis eine wichtige Rolle bei der Ätiologie der 
multiplen Sklerose spielen kann, und möchten unter den infektiösen Formen 
der multiplen Sklerose auch eine „Sclörose en plaques syphilitique“ 
aufstellen. 

Ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis ist der Arbeit beigegeben. 97 
von den 116 angeführten Autoren sind Deutsche. 

9) Prämonitorisohe Symptome der multiplen Sklerose, von A.W. Mackintosh. 

(Rev. of neurol. and psych. 1906. Nr. 9.) Ref. nach der Rev. neur. 1907. 

Nr. 3 von Kurt Mendel. 

Wenn auch die Kardinalsymptome der multiplen Sklerose (skandierende Sprache, 


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Nystagmus, Intentionstremor) fehlen, so muß man dooh an dieselbe denken bei 
Vorhandensein von spastischer Paraplegie in Verbindung mit Opticusatrophie, 
unsicherem Gang, Parästhesien, Sphinkterstörungen, Doppeltsehen oder Schwindel. 
All’ diese Störungen brauchen nur vorübergehend zu sein. 

10) Nägra former &f atypisk multipel Bkleros, samt om bukreflexern aa 

diagnostika betydelse, af Einar Eodhe. (Hygiea. 1906. S. 1170.) Bef.: 

Walter Berger (Leipzig). 

Verf. teilt 2 Fälle mit, in denen man hätte versucht sein können, ein funktio¬ 
nelles Leiden anzunehmen. 

Im 1. Falle, der ein 26 Jahre altes Dienstmädchen betraf, fand sich Taub¬ 
sein und leichte Ermüdung im linken Beine und in geringerem Grad im rechten 
Arme, in dem mitunter leichtes Zittern aufgetreten war. Im Augengrunde fand 
sich, besonders im rechten Auge, eine geringe temporale Abblassung der Papille. 
Die Sensibilität war überall normal außer an der äußeren Seite des rechten 
Schenkels und der Hüfte und den angrenzenden Teilen der vorderen und hinteren 
Seite (entsprechend dem Bezirk der oberen Lumbalwurzel), wo sie für alle Quali¬ 
täten abgestumpft war. Am rechten Arm waren die Sehnenreflexe verstärkt, auch 
die Patellarreflexe waren verstärkt, am meisten links, die Bauchreflexe fehlten 
links, rechts waren sie vorhanden. 'Während die subjektiven Erscheinungen ein 
funktionelles Leiden hätten annehmen lassen, ließ der objektive Befund eine 
multiple Sklerose diagnostizieren. 

Bei der zweiten Kranken, einem 24 Jahre alten Fräulein, waren eine rechts¬ 
seitige Facialisparalyse und Bulbärsymptome eingetreten, naoh einiger Zeit genas die 
Patientin vollständig. Allmählich stellte sich Zittern im rechten Arme bei manchen 
Beschäftigungen ein, mitunter trat Drang zum Lachen und Weinen auf. Auf 
dem linken Auge bestand Katarakt, so daß der linke Augengrund nicht untersucht 
werden konnte, im rechten fand sich nichts Abnormes. Der behandelnde Arzt 
stellte die Diagnose Hysterie. Verf fand starkes Intentionszittern im rechten 
Arme, an welchem die Sehnenreflexe verstärkt waren. Der Patellarreflex war links 
bedeutend stärker als rechtB. Die Bauchreflexe fehlten. 

Verf. betont besonders das Verhalten der Bauchreflexe. 

11) Parapldgie spasmodique; troubles ceröbraux; solerose en plaques 
probable, par Petit et Veillard. (Arch. g6n. de m6d. 1906. S. 2469.) 

Bef. nach der Bevue neurol. 1907. Nr. 3 von Kurt Mendel. 

Beginn mit plötzlichem Bückenschmerz; dann Eingeschlafensein der Füße; 
Blasenstörungen; Flexionskontraktur und Anästhesie der unteren Extremitäten; 
Nystagmus horizontalis, Diplopie; Sprachstörung; Gedächtnisstörung. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose: multiple Sklerose. 

12) Über akut verlaufende multiple Sklerose, von Dr. Karl Wegelin. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Bef.: E. Asch. 

Das Leiden des 34jährigen, früher gesunden Mannes entwickelte sich inner¬ 
halb mehrerer Wochen und führte im Verlauf von kaum 6 Monaten zum Exitus. 
Es begann mit Parästhesien, Schwere und Steifigkeit in den Beinen, später traten 
Sphinkterenstörungen, Sensibilitätsveränderungen, Fußklonus, vollkommene Para¬ 
plegie der Beine und der Bauchmuskulatur, leichter Nystagmus, Verlust der 
Patellar- und des linken Achillessehnenreflexes, sowie Atrophie und partielle Ent¬ 
artungsreaktion der kleinen Handmuskeln hinzu. Schließlich kam es zu einer 
Parese des linken unteren Facialis, des linken Hypoglossus, des rechten Bectos 
internus, der Sternocleidomastoidei, Cucullares und der übrigen Halsmuskeln und 
zu einer totalen Lähmung beider Arme. Sprache langsam. Bei der zweimal vor¬ 
genommenen Lumbalpunktion ergab sich zuerst ein Befund, der an der oberen 
Grenze des Normalen stand und später eine mäßige Erhöhung der Zellen. Bei 
der anatomischen Bearbeitung des Falles fand sich das charakteristische Bild der 


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Sclörose en plaques mit starker Wucherung der Neuroglia, Degeneration der 
Markscheiden, sowie relativem Intaktbleiben der Achsencylinder und Ganglien¬ 
zellen. Erheblichere Strangdegenerationen fehlten, obwohl an einer Stelle das 
ganze Rückenmark sklerotische Veränderungen darbot. 

Bemerkenswert war außerdem, daß die Herde eine Neigung zu symmetrischer 
Anordnung zeigten. Die vorhandenen Gefäß Veränderungen waren offenbar sekun¬ 
därer Natur, die ebenso wie die Infiltration der frischen Herde mit Rund- und 
Fettkörnchenzellen als chronische Entzündung aufzufassen sind. 

13) Zur forensischen Bedeutung der multiplen Sklerose, von Prof. Ra ecke. 

(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. XXXIV. 1907.) Ref.: Kurt MendeL 

In Anbetracht der Häufigkeit der psychischen Störungen bei der multiplen 

Sklerose ist zu verlangen, daß jeder Sklerotiker, der gegen das Strafgesetz ver¬ 
stößt, sorgfältigst darauf untersucht wird, ob derselbe bei Begehung der Tat 
wirklich noch psychisch intakt war. Im Initialstadium des Leidens pflegen — 
mitunter sogar noch vor Ausbildung des somatischen Symptomenkomplexes — 
manische und depressive Erregungen, bei vorgeschrittener Krankheit paranoide 
Beziehungsideen und Größenwahn nach Art des paralytischen vorzuherrschen. 

Verf. teilt sein Gutachten über einen wegen Sittlichkeitsverbrechens ver¬ 
urteilten Sklerotiker mit, welcher — wie spätere Beobachtung ergab — zweifellos 
nach § 51 hätte exkulpiert werden müssen. 

14) Etüde des reaotions meningeea dans un caa de syphilis herödltaire, 

par Ravaut et Darr6. (Gaz. des böpit. 1907. S. 207.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Hereditäre Lues, Frühgeburt, mit 3 Monaten unter Konvulsionen plötzlich 
Nackenstarre, linksseitige Ptosis, Rigor der unteren Extremitäten, Kernig positiv, 
vordere Fontanelle stark gespannt. Bei der Lumbalpunktion bedeutende Lympho- 
oytose, hoher Druck. 

In der Folge wiederholten sich mit stetig abnehmender Intensität während 
5 1 / 8 Monaten dergleichen meningeale Reizerscheinungen noch 5mal; bei wieder¬ 
holt vorgenommenen Lumbalpunktionen zeigte sich ein sukzessives Zurückgehen 
der Lymphocytose, die aber auch, was besonders bemerkenswert, während der 
Intervalle zwischen den Anfällen meningealer Symptome bestand und während der 
konvulsiven Attacken nicht zunahm. Schließlich normaler zytologischer Befund 
und dauerndes Ausbleiben der obenerwähnten meningealen Reizerscheinungen. 
Beobachtungsfrist 3 Jahre. Die Fontanelle schloß sich erst mit 3 Jahren, das 
Kind lernte erst mit 21 Monaten gehen, mit 30 Monaten sprechen, ist aber der¬ 
zeit intellektuell nicht sonderlich zurückgeblieben. 

Die Verff. messen den wiederholten Lumbalpunktionen einen therapeutischen 
Effekt bei, doch geht aus der Krankengeschichte hervor, daß das Kind auch 
energisch antiluetisch behandelt worden war. 

16) Über Lymphooytose der Cerebrospinalflüssigkeit bei kongenitaler 

Syphilis nnd ihre diagnostische Bedeutung, von Priv.-Doz. Dr. L. To bl er. 

(Jahrb. f. Kinderheilk. LXIV.) Ref.: Zappert (Wien). 

Daß bei syphilitischen und „metasyphilitischen“ Zuständen des Centralnerven¬ 
systems Erwachsener die Lumbalpunktionsflüssigkeit auffällige Lymphocytose dar¬ 
bieten kann, ist eine vielfach studierte Tatsache; selbst bei sekundär Syphilitischen 
ohne objektive Nervensymptome zeigte sich dieser Befund. 

Verf. hat nun in recht exakter Weise auch bei hereditär-luetischen Kindern 
(14 Fälle) diesbezügliche Untersuchungen angestellt und konnte sich überzeugen, 
daß 12mal eine Lymphocytose vorhanden gewesen; ebenso fand sich unter sieben 
untersuchten Fällen 5 mal eine Vermehrung des Eiweißes in der Punktionsflüssig¬ 
keit. Dieses Symptom hat demnach eine gewisse Wichtigkeit für die Diagnose 
der ErbsyphiliB, umsomehr wenn abgesehen von der Anamnese objektive Syphilis¬ 
zeichen fehlen. Klinische Erscheinungen vonseiten des Nervensystems haben diese 


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Befunde nicht zur Folge. Trotzdem hat Verf. Grund zur Annahme, daß exsudativ- 
entzündliche Veränderungen der Meningen diesen Befunden zugrunde liegen und 
wird darüber weitere Untersuchungen anstellen. 

16) Untersuchungen des Nervensystems Syphilitischer, von E. M ey e r -Königs¬ 
berg. (Berl. klin. Wochenschr. 1907. Nr. 30.) Bef.: Bielschowsky (Breslau). 
Ausgehend von den Arbeiten Binswangers, Cramers, Nonnes und be¬ 
sonders Jollys über Syphilis und Nervensystem, in denen darauf hingewiesen 
wird, daß schon in den ersten Zeiten der Infektion öfters nervöse Störungen be¬ 
merkt werden, die nicht selten in ursächlicher Beziehung zur Syphilis stehen, tritt 
Verf. der Frage näher: In welchem Stadium der Syphilis begegnet man diesen 
Erscheinungen und wie weit finden sich nur Symptome funktioneller, wie weit 
schon Verdachtsmomente einer organischen Erkrankung? An einem Material von 
74 sicher syphilitisch Infizierten, unter denen einer dem primären, 61 dem sekun¬ 
dären, 12 dem tertiären Stadium angehörten, nahm er einen genauen Nerven- 
Status auf. Die Untersuchung der 61 Syphilisfälle im exanthematisch-papulösen 
Stadium ergab nun, daß über erworbene nervöse Beschwerden nur drei klagten, 
während bei neun vorher Nervosität, vorwiegend Hysterie, bestand. Bei den erst¬ 
genannten 3 Fällen erschienen die nervösen Beschwerden in der letzten Zeit des 
primären, bzw. den ersten Tagen des sekundären Stadiums und bestanden vor¬ 
wiegend in Schwindel und Kopfweh. Auch die Steigerung der Beschwerden bei 
den sechs schon vorher Nervösen fiel in den Beginn oder kurz vor das zweite 
Stadium der Lues. Der von Jolly aufgeführte Symptomenkomplex, der für den 
syphilitischen Ursprung typisch sein soll, ließ sich nicht erweisen. 

Unter den nicht subjektiv nervösen Kranken wurde verhältnismäßig oft 
eine Steigerung der allgemeinen nervösen Erregbarkeit beobachtet, die 
durch lebhafte Kniephänomene, Zittern usw. zum Ausdruck kam. 32mal zeigten 
sich erhöhte Kniereflexe, 19mal Tremor der Zunge, Hände, Lider. Hierbei ist 
jedoch die Hg-Behandlung und der Potus zu berücksichtigen. 

Auch ein organisches Nervenleiden ließ sich bei 5 Fällen mit einiger 
Wahrscheinlichkeit schon 3 bis 5 Monate nach der Infektion annehmen. Doch 
können Abweichungen an den Pupillen — in 31 Fällen — keinen ausreichenden 
Anhaltspunkt für die Annahme eines organischen Leidens geben. 

Bei den 12 tertiär-syphilitischen Fällen ließ sich nur bei 2 oder 3 Kranken 
(1 bis 2 Jahre nach der Infektion) mit einiger Bestimmtheit das Vorliegen 
organischer Störung vermuten. 

Zum Schluß berichtet Verf. über die Resultate von Lumbalpunktionen bei 
30 Syphilitischen (25 im sekundären, 5 im tertiären Stadium). 19mal ergab sich 
Lymphocytose verschiedenen Grades, 15 mal gleichzeitig mit pathologischem Eiweifl- 
gehalt, 2 mal eine Trübung mit MgS0 4 ohne Lymphocytose. 

Ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Lymphocytose und nervösen 
Beschwerden ist nicht nachweisbar, ebenso wenig ist die Lymphocytose bei allen 
mit Syphilis in Zusammenhang stehenden Nervenkrankheiten einfach als syphilogen 
aufzufassen. 

17) Über nervöse Initialsymptome der Syphilis, von Dr. Buttino. (Rivista 
di Patologia nervosa e mentale. XI. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin). 
Von 70 Kranken, die Verf. auf das Verhalten der Pupillen, der Sehnenreflexe 

und des Liquor cerebrospinalis untersuchte, zeigten 46 noch manifeste Symptome 
primärer oder sekundärer Lues; bei den übrigen lag die Infektion 2 bis 10 Jahre 
zurück. Abschwächung des Lichtreflexes der Pupillen fand sich 14mal, stets zu¬ 
gleich mit Anisokorie, einen Fall ausgenommen. Alle diese Kranken hatten erst 
seit einem Jahr oder kürzerer Zeit Symptome von Syphilis. Das Argyll- 
Robertsonsche Zeichen wurde einmal beobachtet (Infektion vor 10 Jahren), zu¬ 
gleich bestand Anisokorie und Herabsetzung der Achillesreflexe. Akkommodations- 

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und Konvergenzreflexe fehlten niemals, der Schmerzreflex der Papille einmal (zu¬ 
gleich Abschwächnng der Sehnenreflexe). Verzogene Pupillen (mit Miosis und 
trägem Lichtreflex) wurden einmal beobachtet, Ungleichheit derselben ohne 
Störung der Reflexe 4 mal. Der Patellarreflex war 17 mal gesteigert in der ersten 
Periode der Lues, nur einmal bei einer älteren Infektion. Abschwächung des 
Reflexes fand sich 3mal (sämtlich ältere Fälle), Fehlen des Achillesreflexes ein¬ 
mal (Infektion vor 9 Jahren). Lymphocytose des Liquor wurde im 1. bis 2. Jahr 
einmal (unter 4 Fällen), im 10. bis 12. Jahr der Krankheit 3mal (unter 12 Fällen) 
konstatiert. 

Die Schlösse des Verf.’s sind vorsichtig. Die Abschwächung des Lichtreflexes 
scheint nach Beobachtungen anderer öfters nur vorübergehend zu sein; der pro¬ 
gnostische Wert des Symptomes ist zurzeit noch unsicher. Das gleiche gilt för 
die fehlende Schmerzreaktion. Verzogene Pupillen sind ein Spätsymptom und in 
Verbindung mit anderen Erscheinungen (Miosis, Lichtstarre) von sicherer, för sich 
allein von zweifelhafter Bedeutung. Anisokorie ist, wenn vorübergehend, von 
ebenso ungewissem Wert wie die damit meist verknöpfte Abschwächung des Licht¬ 
reflexes. Die Steigerung der Sehnenreflexe läßt keine Schlösse zu, die Bedeutung 
der Abschwächung oder Aufhebung ist bekannt. Die Lymphocytose des Liquor 
beweist nur eine Reaktion der Meningen auf das syphilitische Gift, aber nicht 
eine vorhandene oder drohende Erkrankung des Centralnervensystems. 

18) Hysterische Erscheinungen im sekundären Stadium der Syphilis, von 

Hans Zerner. (Inaug.-Dissert. Berlin 1906.) Ref.: S. Klempner. 

Patientin hat sich im Alter von 22 Jahren mit Lues infiziert und wird beim 

Beginn des sekundären Stadiums von Lähmungserscheinungen der unteren Extre¬ 
mitäten ergriffen. Keine Atrophien, keine Spasmen, Sensibilität und Reflexe 
normal, keine Blasen- und Mastdarmstörungen. 

Eine organische Läsion des Nervensystems war also auszuschließen und der 
Fall muß als hysterische Astasie-Abasie gedeutet werden. 

Von sonstigen hysterischen Symptomen Globus- und Clavusgefühl. 

Die Astasie-Abasie trat hier in dem Momente auf, wo die Ausbreitung des 
syphilitischen Giftes sich durch den Ausbruch der sekundären Erscheinungen be¬ 
merkbar zu machen begann; sie dauerte ebenso lange wie die spezifisch syphi¬ 
litischen Erscheinungen und verschwand auch mit ihnen. Verschwinden der 
Astasie-Abasie in überraschend kurzer Zeit unter spezifischer Behandlung. 

19) Cerebral Syphilis in ohildhood, by A. W. Fairbanks. (Journ. of the 
Amer. med. Assoc. 1907. Nr. 10 u. 11.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Hauptveränderungen bei der kindlichen cerebralen Syphilis basieren auf 
Meningitis, Arteriitis oder Gummata. Charakteristisch ist die Vielgestaltigkeit 
der Symptome, der zumeist subakute Beginn des Leidens, das schnelle unerwartete 
Zurückgehen der Erscheinungen, der Erfolg der spezifischen Therapie für einige 
der Symptome. Die Initialerscheinungen zeichnen sich aus durch ihren schleichen¬ 
den Beginn, ihren transitorischen Charakter und Wechsel vollen Verlauf. Kopf¬ 
schmerz ist häufig ein Frühsymptom bei der kindlichen Cerebralsyphilis, derselbe 
ist mehr diffus und nicht so intensiv wie bei Erwachsenen; auch ist Schlaflosig¬ 
keit nicht so häufig bei Kindern. Das hauptsächlichste Frühsymptom bei Kindern 
ist die Charakterveränderung und die Intelligenzabnahme. Sprach- und Augen¬ 
störungen, motorische Lähmungen, Krämpfe sind häufig als Initialsymptome, ebenso 
Schwindel und plötzliche Gedächtnisstörungen. Früher oder später treten dann 
mehr positive Erscheinungen auf: Ungleichheit und Starre der Pupillen, Facialis- 
paresen, apoplektiforme oder epileptiforme Anfälle. 

Starke Kopfschmerzen, Hirnnervenlähmungen, Überempfindlichkeit der Sinne, 
Stupor, Insomnie oder aber auch Schlafsucht, Konvulsionen und psychische 
Störungen sprechen für Meningitis; Schwindelattacken, plötzliche Bewußtseins- 


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Störungen, vorübergehende Sprachstörungen oder Lähmungen für Arteriitis; Herd* 
Symptome für Gummata. Die Prognose hängt von dem pathologischen Prozeß ab 
(die ungünstigste Prognose ergeben die arteriellen Veränderungen), ferner auch 
von dem frühzeitigen Erkennen des Erankheitsbildes und von dem Lebensalter, 
in welchem der Prozeß beginnt. 

50 aus der Literatur zusammengestellte Fälle kindlicher cerebraler Syphilis 
beschließen die Arbeit. 

20) Über den Eoraakow sehen Symptomenkomplex bei Hlralues, von Dr. 

L. Roemheld. (Arch.f.Psych.u.Nervenkrankh. XLL 1906.) Ref.:Heinicke. 

Davon ausgehend, daß über die Beziehungen des Korsakowschen Symptomen- 
komplexes zur Hirnlues noch wenig bekannt ist, veröffentlicht Verf. folgenden 
interessanten diesbezüglichen Fall. Eine nicht belastete, früher stets gesunde, im 
Klimakterium Btehende Kaufmannsfrau, bei der keine Aborte und kein Potus nach¬ 
weisbar waren, fiel seit Februar 1904 ihren Angehörigen dadurch auf, daß sie 
vergeßlich wurde, fabulierte, vielfach unwahre Dinge behauptete. Sie klagte viel 
über nächtlichen Kopfschmerz, hatte Schwindelanfälle, kurze Bewußtseinsstörungen, 
war unsicher auf den Beinen, apathisch. Bei der Aufnahme zeigten sich in 
somatischer Beziehung von besonders interessierenden Befunden: träge, wenig 
ausgiebige Pupillarreaktion, rechtsseitige Facialisparese, Deviatio linguae dextra, 
ticähnliche Zuckungen der rechten Gesichtshälfte, die sich bisweilen auch auf 
den rechten Arm und das rechte Bein fortsetzten, später Stauungspapille; die 
Sensibilität war ungestört; der Patellarrefiex ließ sich links deutlich, rechts nur 
sehr schwach auslösen; der Achillessehnenreflex war undeutlich; Romberg positiv. 
Während der Untersuchung bekam die Kranke einen etwa 3 Minuten währenden 
Ohnmachtsanfall. Das psychische Verhalten ließ einen Stupor erkennen; die 
Sprache war langsam, aber nicht dysarthrisch; örtlich und zeitlich erwies Bich die 
Patientin mangelhaft orientiert; sie wußte nicht, wer sie hergebracht hatte, daß 
es der Mann gewesen war, wie die Arzte, der Ort, die Anstalt hießen; dabei war 
die Merkfähigkeit sowohl für akustische als auch optische Reize stark herab¬ 
gesetzt, während das Gedächtnis für die frühere Zeit gut erhalten war. Die 
Schrift ließ nichts Pathologisches erkennen; das Urteilsvermögen war im wesent¬ 
lichen nicht gestört; die Stimmung erschien gereizt, zeitweilig bestand unmoti¬ 
viertes Lachen, alles bei vorhandenem Krankheitsgefühl. Im Verlauf der weiteren 
Beobachtung war die Kranke, ohne es zu merken, einmal unrein; hin und wieder 
sah sie doppelt; sie zeigte immer wieder Neigung zum Fabulieren; vorübergehend 
war sie aber auch klar. 

Es wurde die Diagnose auf Korsakowschen Symptomenkomplex gestellt, 
wahrscheinlich auf der BasiB einer Hirnlues mit vornehmlich linksseitigem Sitz; 
doch war auch der Gedanke an diffuse Arteriosklerose nicht ganz von der Hand 
zu weisen. 

Da nach interner Jodkalibehandlung und Inunktionskur kein Erfolg zu merken 
war, der Mann aber luetische Infektion vor 12 Jahren und trotzdem Verkehr mit 
seiner Frau zugegeben hatte, außerdem aber die Krankheit fortschritt, wurde 
noch ein letzter Versuch mit Jodipineinspritzungen gemacht, um dem Körper 
möglichst große Joddosen zuzuführen. Darnach trat baldige Besserung ein, so 
daß die Kranke nach einiger Zeit in folgendem Zustand entlassen werden konnte: 
Es bestand ab und zu noch leichtes Kopfweh; die Stauungspapille war im Schwinden; 
die Pupillen, die sogar vollständig starr geworden waren, reagierten wieder 
prompt; es bestand keine Facialisparese mehr, ebenso kein Romberg; dagegen war 
die Abweichung der Zunge nach rechts noch vorhanden. Die Patellarrefiexe waren 
gleich, aber schwach. 

In psychischer Hinsicht verhielt Bich die Kranke vollständig normal; dagegen 
bestand für die Zeit der Erkrankung ein 3 / 4 jähriger Erinnerungsdefekt. 


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Zur Erklärung dieses Korsakowschen Komplexes zieht Verf. dreierlei heran: 

1. diffuse luetische Gefäßerkrankung, 

2. Gumma mit sekundärer Steigerung des intrakraniellen Druckes, 

3. luetische Intoxikation. 

Er neigt am meisten zur dritten Erklärung, also dazu, daß das Nerven* 
ge webe durch das im Blute kreisende Syphilisgift direkt geschädigt ist, daß es 
sich also um eine toxische Ernährungsstörung der Ganglienzellen handelt, die 
ihrerseits wieder zu der bis jetzt bei Hirnlues noch nicht beschriebenen Form 
des amnestischen Symptomenkomplexes geführt hat. 

21) Über paralysenähnliche Krankheitsbilder, von J. Finckh. (Centralbl. 

f. Nervenheilk. u. Psych. 1907. April.) Bef.: H. Marcuse (Dalldorf). 

Verf. teilt zwei Fälle mit, die lange die Hauptsymptome der progressiven 
Paralyse boten. Die weitere Entwicklung zeigte aber, daß es sich um Krankheits- 
bilder handelte, die der Lues cerebri zuzurechnen sind. Verf. sucht retrospektiv 
nach Kriterien, die schon in früheren Stadien die Unterscheidung ermöglichen. 

Patient A., Metzger, geboren 1848, Lues 1878, Schmier- und Spritzkur, er¬ 
krankte 1892 mit Schwindelanfällen, Zuckungen und Sprachstörung, die sich 
aber durch Fehlen der Monotonie und Perseveration von der paralytischen unter« 
schied; auch Beben der Gesichtsmuskeln fehlte. Wenig später traten epilepti« 
forme Anfälle, Pupillenstarre, Erhöhung der Patellarreflexe und ataktischer Gang 
auf. Während Euphorie und Größenideen und Depression mit Gereiztheit ab¬ 
wechselnd vorhanden waren, entwickelte sich eine allmählich zunehmende Demenz. 
Pat. verrichtete dabei zeitweise eifrig grobe, mechanische Arbeiten. Seit 1899 
traten keine Anfälle mehr auf; Gedächtnis, Merkfähigkeit, Urteilskraft, Orientierung 
stellten sich biB zu einem Grade wieder her, der bei einem Paralytiker nicht 
möglich wäre. Ebenso gingen die körperlichen Erscheinungen teilweise zurück. 
Die Pupillenreaktion blieb träge. Es blieb ferner die Sprachstörung, der In¬ 
telligenzdefekt und Euphorie mit Größenideen. 

Das jetzt 15jährige Bestehen der Krankheit spricht nicht durchaus gegen 
die Diagnose Paralyse, da Fälle der sogen, stationären Form mehrfach zu be¬ 
obachten sind. Ausschlaggebend ist die Qualität des Schwachsinns. Es handelt 
sich um eine erhebliche Einengung, aber nicht um einen völligen Verlust der 
Intelligenz, des Gemütslebens und der Interessen wie bei der Paralyse. Auch 
von den anderen Formen der Demenz unterscheidet sich die vorhandene in wesent¬ 
lichen Zügen. Schließlich ist der Typus der Sprachstörung nicht der gewöhnliche 
und es fehlt das Beben der Mundmuskulatur. 

Dieser Fall bestätigt Gaupps Ansicht, daß die sogen, stationären Fälle von 
progressiver Paralyse häufig duich diffuse luetische Prozesse hervorgerufen werden. 
Der sehr bemerkenswerte zweite Fall bietet in seiner Deutung größere Schwierig¬ 
keiten. 

Patient B., ein Mann besserer Stände, geboren 1852, Lues etwa 1876, mehr¬ 
fach spezifisch behandelt. 1882 erweist sich die linke Pupille weiter als die 
rechte. Seit Ende 1885 psychisch verändert. Es entwickelte sich das Bild einer 
maniakalischen Paralyse, das zunächst mit zweimonatiger Remission bis Anfang 
1888 dauerte. Auffallend waren schon damals Gehörshalluzinationen. Nach einer 
schweren septischen Erkrankung trat eine 1 Jahr dauernde Remission ein und 
von nun ab wurden die Erscheinungen sehr mannigfaltig. Depressionszustände 


und Euphorie, Sopor und korrektes Verhalten folgen einander in jähem Wechsel. 
Anstatt zunehmender Verblödung traten die Bewußtseinsstörungen mehr und mehr 
zurück. Bis 1895 bestanden erhebliche Stimmungsschwankungen, Merk- und Ge¬ 
dächtnisstörung, Urteils* und Willensschwäche, während ethische Defekte erheblich 
länger bemerkbar waren, auch die Gehörstäuschungen (jetzt aber mit Krankheits- 


einsicht) fortdauerten. Von 

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körperlichen Symptomen der Paralyse waren Er- 

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Weiterung und mangelhafte Reaktion der linken Pupille, linksseitige Opticus¬ 
atrophie, Schwäche des linken Facialis, sowie spastischer Gang mit Steigerung der 
Patellarreflexe vorhanden, die neben Empfindlichkeit der Wirbelsäule und von 
ihr ausstrahlenden lebhaften Schmerzen weiter fortbestanden. Pat. vermag oun- 
mehr seit 10 Jahren eine amtliche Stellung als Lehrer auszuüben. 

Hier treten die Gehörstäuschungen (die bei Fall I auch erwähnt werden) 
von Anfang an mehr in den Vordergrund als bei der Paralyse. Es fehlt ferner 
die Sprach- und Sohriftstörung derselben und an Stelle fortschreitender 
Demenz findet sich ein auffälliger Wechsel der BewußtBeinshelle. 
Wäre die fieberhafte Erkrankung, wie in einzelnen Fällen von Paralyse beobachtet 
ist, Ursache des günstigen Verlaufes, so wäre das lange (7 jährige) Fortbestehen 
der psychischen Erscheinungen schwer zu verstehen. Aus all diesen Gründen 
kann der Fall nicht als geheilte Paralyse aufgefaßt werden. Der partielle psychische 
Defekt, der etappenförmige Verlauf und die Halluzinationen sprechen dagegen 
für Lues cerebri, zu welcher auch die schließlich konstanten neurologischen Sym¬ 
ptome passen. 

Verf. stellt den Fall Beobachtungen von Klein, Wickel und Alzheimer 
an die Seite und nimmt mit letzterem als anatomische Grundlage eine gummöse 
Meningitis an. 

22) Beitrag zum klinlsohen und anatomischen Bild der Lues cerebro¬ 
spinalis, vonDr.Tiedemann und Dr. T. Nambu. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift. 1907. Nr. 24.) Ref.: E. Asch. 

Bei einer 39jähr. Frau, welche nach den Angaben des Mannes im 20. Lebens¬ 
jahr eine Geschlechtskrankheit durchgemacht haben soll, bestehen seit 7 Jahren 
Schmerzen und Müdigkeit in den Knien. Es entwickelte sich allmählich eine 
atrophische Lähmung der Beine und Arme mit zeitweiser Steigerung der Reflexe 
an den Beinen, Mastdarm- und Blasenstörungen, ausstrahlende Schmerzen und 
Druckempfindlichkeit der Muskeln und Nervenstämme, ausgesprochene Ataxie an 
Armen und Beinen, zeitweise unstillbares Erbrechen, das den Magenkrisen der 
Tabiker vielfach ähnlich war, ferner sehr heftige Kopfschmerzen. Pupillendifferenz, 
reflektorische Pupillenstarre, leichte rechtsseitige FacialispareBe und am Ende der 
Krankheit hochgradige Hyperästhesie der Haut. Eine antisyphilitische Kur brachte 
trotz der lange Zeit zurückliegenden Infektion zeitweise Besserung. Der Exitus 
trat durch Inanition infolge des unstillbaren ErbreobenB ein. Bei der anatomischen 
Untersuchung fand sich eine entzündliche Affektion der Meningen im Bereich der 
Hirnbasis und des ganzen Rückenmarkes. An der Hirnbasis zeigte die Pia einen 
cirkumskripten, im Centrum verkästen Herd (Gumma), im Knie der rechten 
Capsula iifterna fand sich ein J / 4 cm großer Erweichungsherd, am Rückenmark 
waren die inneren Meningen in den dorsalen Partien in großer Ausdehnung 
schwielig verdickt und in den übrigen Teilen kleinzellig infiltriert. Im mittleren 
Dorsalmark zeigte sich die Dura verdickt, in ihren inneren Schichten kleinzellig 
infiltriert und von zahlreichen Blutungen durchsetzt. An den großen Arterien 
der Hirnbasis war die Intima gewuchert, die Adventitia entzündlich infiltriert 
und die Membrana elastica verdickt; die Meningealgefäße waren durch klein¬ 
zellige Infiltration der Adventitia und Wucherung der Intima verdickt. Es handelt 
sich demnach um einen typischen Fall von Syphilis des Centralnervensystems. 

23) Sur les dlfflcultes du dtagnostie entre le mal de Pott sans sign es 
raohidiens, la tuberoulose de la moölle, la myölite simple des tuber- 
ouleux et certaines myölites syphllitiques, par Alquier. (Gazette des 
höpitaux. 1907. S. 243.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Sehr lesenswerter Aufsatz, der sich durch die epikritischen differential¬ 
diagnostischen Betrachtungen weit über das Interesse einer einfachen Kasuistik 
erhebt. 


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I. 41 jähriger Luetiker, Ataxie, lanziuierende Schmerzen, Romberg. Patellar- 
sehnenreflexe gesteigert (!). Argyll-Robertson 0, Babinski 0. Eine spezifische 
Kur brachte zuerst rasche und auffallende Besserung; 6 Monate später Erscheinungen 
von Wurzelkompression im Bereiche des Lumbalmarkes. Bei der Obduktion 
kleiner epiduraler Herd (ohne Kompression des Rückenmarkes) infolge Malum 
Pottii; unabhängig davon sklerotisch-degenerative WurzelVeränderungen, wahr¬ 
scheinlich luetischer Art 

II. 36jähriger Mann, sehr wenig ausgesprochene Wurzelsymptome, die auf 
ein Pottsches Übel zurückgeführt werden konnten (ein bischen Druckschmerz¬ 
haftigkeit einiger Dornfortsätze und leichtes Maß von Steifigkeit der Wirbelsäule). 
Ohne sonderliche sensible Reizerscheinungen spastische Paraplegie der unteren 
Extremitäten, Anästhesie bis zum Schulterblattrande. Argy 11-Robertson, Patellar- 
sehnenreflexe nicht auslösbar. Nekropsie: Großer epiduraler Herd infolge Karies 
im Bereich der Brustwirbelsäule mit Veränderung der entsprechenden Wurzeln. 
Im Lendenmark beginnend aufsteigende Tabes. 

IIL 50jährige Frau. Argyll-Robertson, Patellarsehnenreflexe erloschen, Er¬ 
scheinungen von Wirbelkaries im Bereiche des Dorsalabschnittes. Autopsie ergibt 
denselben Befund wie bei Fall II. 

(Fall I bis III wurden mit genauer histologischer Untersuchung vom Verf. 
seinerzeit als Fall XII bis XIV mitgeteilt in: Quinze autopsies de mal de Pott. 
Nouvelle Iconographie de la Salpetrige. 1906. Nr. 6.) 

IV. 40jähriger Mann, Tuberkulose und Lues. Argyll-Robertson 0, keinerlei 
Zeichen von Wurzelkompression oder von Malum Potti, komplette Paraplegie der 
unteren Gliedmaßen, Babinski positiv, Hypästhesie bis zum Nabel, unwillkürlicher 
Harn- und Kotbabgang. Druckbrandbildung. Die Nekropsie ergab eine intra¬ 
medulläre Neubildung. (2 Abbildungen im Texte.) 

V. 21 jähriger tuberkulöser Mann. Gürtelgefühl, Schmerzen in den unteren 
Gliedmaßen, bald danach vollständige Lähmung derselben, heftige Schmerzen bei 
Bewegungen der Wirbelsäule und bei Druck auf die Dornfortsätze des dorso- 
lumbalen Abschnittes. Bei der Obduktion: Einfache Querschnittsmyelitis, von der 
sich selbst nach histologischer Untersuchung nicht genau bestimmen ließ, ob sie 
tuberkulöser Art sei oder nicht. Keine Erkrankung der Wirbelsäule. (3 Ab¬ 
bildungen im Texte.) 

Verf. beleuchtet eingehend die differential-diagnostischen Schwierigkeiten der 
mitgeteilten Fälle, geht dabei namentlich auf die Verwertung des Argyll- 
Robertsonschen Phänomens, auf die Bedeutung der Lumbalpunktion und der 
Symptome von Wurzelkompression ein. 

24) Syphilitisohe Sensibilitätsstörungen am Rumpfe, von Dr. Knapp. (Arch. 

f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke. 

Verf. beschreibt bei zwei an Lues cerebrospinalis leidenden Kranken zwei 
eigentümlich begrenzte Sensibilitätsstörungen, und zwar an der rechten Hälfte des 
Abdomens. Dieselben waren in beiden Fällen fünfmarkstückgroß, und saßen lateral 
von der Mammillarlinie; im 1. Falle lag das Centrum etwa in Nabelhöhe, im 
2. Falle die ganze Stelle soweit unterhalb der Nabelhöhe, daß die untere Peripherie 
noch etwas tiefer als der Darmbeinkamm zu suchen war. Im 1. Falle wurde die 
Sensibilitätsstörung für Schmerz- und Berührungsempfindung nachgewiesen; im 
2. Falle war die Sensibilität für Berührung, Schmerz- und Kältereize herabgesetzt, 
während die Wärmeempfindung normal war. In beiden Fällen kam die Sensi¬ 
bilitätsstörung dem Kranken zum Bewußtsein, dem zweiten durch ein infolge der 
spezifischen Behandlung verschwindendes Gefühl der Vertaubung. 

Die Frage, ob diese Störungen auf eine Wurzelneuritis oder periphere Neu¬ 
ritis zurückzufübren sei, beantwortet Verf. dahin, daß es sich wohl nur um eine 
Affektion der peripheren Nerven handeln könne, die die Bauchhaut zu versorgen 


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hätten; er bekennt sich um so mehr zu dieser Annahme, als in beiden Fällen 
noch andere periphere Nerven in Mitleidenschaft gezogen waren. Ob nun die 
Rami cutanei laterales oder die Rami anteriores der tiefsten Interkostalnerven 
erkrankt Bind, entscheidet Verf. zugunsten der letzteren, in Hinblick auf deren 
a priori schon ungünstigere und somit einer Läsion leichter ausgesetzte anato¬ 
mische Lage. 

Verf. ist dieser Art und Lokalisation der Sensibilitätsstörungen bisher nur 
bei syphilitischen Erkrankungen begegnet. Sollten sich dieselben noch durch 
weitere Beobachtungen als für Lues pathognomonisch erweisen, so würden sie 
naoh Ansicht des Verf.’s ein nicht unwichtiges differential-diagnostisches Kenn¬ 
zeichen, besonders gegen tabische Veränderungen darstellen. 

25) Luetisohe Brown-Söquard-Lähmung, von K. P&ndy. (Gyögyäszat. 1906. 

Nr. 22. [Ungarisch.]) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Bei einem 30jähr. Manne entwickelte sich vor 10 Jahren auf syphilitischer 
Grundlage multiple Hirnnervenlähmung, reißende' Schmerzen der rechten, dann der 
linken Körperhälfte, schlaffe Lähmung des rechten Armes mit Atrophie der 
Schulter-, Arm- und Handmuskeln, später Hyp-, schließlich Analgesie der rechten 
Körperhälfte. Quecksilberbehandlung bringt damals vorübergehende Besserung. 
Diagnose: Brown-S6quardsche Lähmung durch syphilitische Wirbelerkrankung. 
Gegenwärtig, also 10 Jahre später, subjektiv vollkommenes Wohlbefinden, objektiv 
träge Lichtreaktion der Pupillen, geringe Atrophie der rechten Schultermuskeln 
und Hypalgesie der rechten Brusthälfte. In der Zwischenzeit hat Patient Queck¬ 
silber- und Jodkalikur durchgemacht. Epikritische Diagnose: intramedullärer 
luetischer Prozeß (Gumma) in der Höhe des VI. Halswirbels, überdies extra¬ 
medullärer komprimierender Prozeß; ersterer verursachte die stabilisierten, letzterer 
die vergangenen Symptome. 

26) Die syphilitische Spinalparalyse (Erb), von Priv.-Doz. Dr. A. Wimmer. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Bef.: E. Asch. 

Zu der Frage, ob die pathologisch-anatomische Grundlage der syphilitischen 
Spinalparalyse auf einer Querschnittsläsion des DorsalmarkeB beruht oder durch 
eine kombinierte Strangdegeneration bedingt ist, liefert Verf. einen bemerkens¬ 
werten Beitrag. Von den drei mitgeteilten Fällen ist namentlich der eine von 
größerem Interesse, weil die klinische Beobachtung durch den anatomischen Be¬ 
fund gestützt wird. 

Es handelt sich um einen 47jähr. Fabrikanten, der vor 1 1 / 2 Jahren syphi¬ 
litisch infiziert wurde. Vor etwa 1 / 2 Jahr wurde das Gehen schwierig, es trat 
Incontinentia urinae et alvi, Spannung über dom Unterleib und Filzgefühl unter 
den Füßen auf. Es fanden sich mäßige Paraparese der Beine (1. > r.) ohne 
Atrophien, ausgeprägte Hypotonie der paretischen Muskeln, häufige Reflexkrärapfe 
in den Beinen, sehr starker Patellar- und Fußklonus und Babinskisches Zehen¬ 
phänomen beiderseits. Gang spastiscli-paretisch mit leichtem Stampfen im rechten 
Bein, ferner deutliche taktile Hypästhesie, distal zunehmend an beiden Beinen 
und am Abdomen bis zur Transversalen mitten zwischen Nabel und Symphyse. 
Nur an der rechten Planta wird ab und zu Pinselberührung empfunden. In der¬ 
selben Region Neigung zur Verwechslung zwischen Warm und Kalt bei niedrigen 
Wärmegraden. Schmerzgefühl nicht deutlich verändert. Unfreiwilliger Urin¬ 
abgang zum Teil automatisch-intermittierend, Urin alkalisch, eiterhaltig, Stuhl 
wird ebenfalls unbemerkt entleert, Decubitus auf den Nates und später auch auf 
der linken Hacke, Ödeme am Abdomen und an den Beinen, auf der rechten Seite 
unbestimmter Plantarreflex, links deutlicher Babinski, Sehnenreflexe = 0, nur 
der linke Achillessehnenreflex ganz schwach vorhanden. Bei der anatomischen 
Untersuchung fand sich im 8. und 9. Dorsalsegment ein herdförmiger Prozeß mit 
Verdickung der Pia (Hypertrophie des Bindegewebes), Rundzelleninfiltration der 

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austretenden Nervenwurzeln und leichter Wand Verdickung der kleinen Pialgefäße, 
ferner fast reine Degeneration der Markscheiden und Achsencylinder ohne Rund¬ 
zelleninfiltration. Außerdem bestand im Dorsalmark oberhalb des Herdes und 
aufwärts durch das Cervikalmark ausgesprochene Degeneration der Goll sehen 
Stränge, des Tractus cerebellospinalis dorsalis und — in leichterem Grad — des 
Go wer eschen Bündels und schließlich unterhalb des Herdes Degeneration der 
Pyramidenbahnen (bis zum 2. Sakralsegment reichend), sowie oberhalb des Herdes 
eine ganz leichte, aber sichere Degeneration in der Gegend der Pyramidenseiten- und 
Pyramidenvorderstrangbahnen bis zum 3. Dorsalsegment hin nachweisbar (Marchi). 

Während die unterhalb der Transversalläsion auftretende Degeneration der 
Pyramidenseitenstränge wahrscheinlich als vorwiegend sekundär aufzufassen ist, 
läßt sich die Degeneration im Gebiet der Pyramidenseiten- und Pyramidenvorder¬ 
strangbahnen oberhalb des 8. bis 9. Dorsalsegmentes nicht als Folge der Trans¬ 
versalläsion ansehen und ist insofern als primäre Systemdegeneration zu beurteilen. 
Verf. hält es für richtiger, ausschließlich den vorsichtigeren Ausdruck „kombinierte 
Strangdegeneration'' zu gebrauchen, da der pathologisch-anatomische Prozeß als 
symmetrische, strangförmige Veränderung in ganz bestimmten, recht scharf lokali¬ 
sierten Partien des Rückenmarksquerschnittes in dem hinteren Teil der Seiten¬ 
stränge und in den Hintersträngen zu suchen ist. Wahrscheinlich ist diese 
Lokalisation durch die Mitleidenschaft gewisser, genau begrenzter Gefäßgebiete 
bedingt. 

27) Über die syphilitische Erkrankung der Extremitätengefftfle, von Bel- 
kowski. (Gazeta lekarska. 1906. Nr. 48 bis 50.) Ref.: E. Fla tau (Warschau). 
Verf. bespricht die verschiedenen Formen der Erkrankung der Extremitäten¬ 
gefäße und meint, daß man zu wenig die syphilitischen Erkrankungen derselben 
beachtet. Speziell in bezug auf die sogen. Claudication intermittente 
meint Verf., daß es Fälle gibt, in welchen die Erkrankung auf Grund eines 
syphilitischen Prozesses in den Arterien entsteht und durch eine spezifische Kur 
kariert werden kann. Er zitiert beispielsweise folgenden Fall: Ein 26jähriger 
Mann erkrankte vor 3 Jahren an Klaudikation (krampfartige Schmerzen in den 
Waden, die den Gang störten). Das rechte Bein war damals kühler als das 
linke. Bald danach ständige Schmerzen im rechten Fuß und Verwundungen an 
den Zehen. Die Wunden heilten nicht und die Gangrän verbreitete sich auf den 
Fuß. Amputation des Fußes, später des Oberschenkels. Nach ! / 2 Jahr Par- 
ästhesien, Schmerzen beim Gehen, ständige Schmerzen im linken Bein. Status 
zeigte Arteriitis obliterans (kein Puls weder in der Art. dorsalis pedis noch in 
der Femoralis). Obgleich man keine Lues in der Anamnese feststellen konnte, 
wurde eine spezifische Kur angewandt. Nach 30 Einreibungen wurden die 
Schmerzen geringer, nach 36 schwanden dieselben, und es kehrte der Puls in der 
Art. femoralis wieder. Nach 56 Einreibungen Wiederauftreten des Pulses in der 
Art. dorsalis pedis. Pqt. konnte seine Feldarbeit aufnehmen (nur Wadenschmerzen 
nach längerem Gehen). Nach 5 Jahren Wunden am Unterschenkel nach einer 
leichten Verletzung. Die Wunden wollten nicht heilen. Wunden an den Zehen. 
Fehlender Puls in den Artt. radiales, ulnares, femoralis, tibialis post, und dorsalis 
pedis. Intensive Schmerzen. Pat. verbringt Nächte in sitzender Stellung. Spezi¬ 
fische Kur (Hg und KJ). Nach den ersten 42 Einreibungen keine wesentliche 
Besserung. 2 wöchentliche Pause. Nach wiederholter Kur (50 neue Einreibungen) 
Aufwachsen der Nägel, Heilung der Wunden, Schwund der Schmerzen, Wieder¬ 
auftreten des Pulses in den Arterien der oberen Extremitäten mit Steigerung deB 
Blutdruckes (Gärtnerscher Tonometer). 

28) Erfahrungen über die Behandlung von Störungen des Nervensystems 
auf syphilitischer Grundlage, von Harttung und 0. Foerster. (Archiv 
f. Dermatologie u. Syphilis. LXXXVI. 1907.) Ref.: Kurt Mendel. 


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Unter Beibringung einer Reihe von Fällen treten die Verff. mit Wärme für 
die merkurielle Therapie bei Störungen des Nervensystems auf syphilitischer Grund¬ 
lage, insbesondere auch bei Tabes und Paralyse, ein. Sie empfehlen das Queck¬ 
silber in Form von Kalomelinjektionen. 

29) Neuere Ersatzmittel des Jodkalium, von Camillo Reuter. (Gyögyäszat. 

1906. Nr. 39. [Ungarisch.]) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Die unangenehmen Nebenwirkungen des Jodkalium, namentlich der häufige 
Jodismus, lassen Ersatzmittel als sehr erwünscht erscheinen. Sajodin hat Verf. 
in mehreren Fällen dem Jodkali als ebenbürtig gefunden; es wird wegen seiner 
Geruch- und Geschmacklosigkeit gern genommen und erzeugt selbst bei dazu 
neigenden Personen keinen Jodismus. Tagesdosis 1 bis 3 g. Zur äußerlichen An¬ 
wendung empfiehlt Verf. das Jothion als 50°/ o ige Vaselinsalbe, aber noch besser 
als Liniment mit 5 bis 6fachem Zusatz von Tafelöl; die Anwendung erfolgt täg¬ 
lich an anderer Stelle, Schutzverband ist nicht nötig, Exanthem hat Verf. nie 
beobachtet. 

30) Über den Wert neuerer Jodprfiparate gegenüber den früher benutzten 

Jodalkalien, von P. Hager. (Budapesti orvosi ujs&g. 1906. Nr. 32.) Ref.: 

Hudovernig (Budapest). 

Die gastrischen Störungen und der Jodismus beeinträchtigten oft den thera¬ 
peutischen Effekt der älteren Jodalkalien, weßhalb neuere Präparate Behr erwünscht 
waren. Das souveräne Mittel der Jodmedikation bleiben noch immer die Jod¬ 
alkalien, obwohl dieselben oft gastrische Störungen und Jodismus erzeugen. Jodipin 
eignet sich weder per os noch subkutan zu einer längeren Anwendung, ist bei 
kurzer Behandlung aber empfehlenswert; längerer Gebrauch per os ruft gleich¬ 
falls gastrische Störungen hervor. Ein sehr gutes und sich für längeren Gebranch 
eignendes Ersatzmittel der Jodalkalien ist Sajodin; in 2 Fällen hat Verf. auch 
bei Sajodingebrauch Jodismus beobachten können, und schreibt das seltene Auf¬ 
treten des Jodismus dem geringeren Jodgehalte zu; die wirksame Dosis deB Sajo- 
dins scheint noch nicht genau bestimmt zu sein. „Jodone“ (Robin) ist als gutes 
resorbierendes Mittel ohne Nebenwirkungen zu empfehlen, wenn nur minimale 
Joddosen erwünscht sind. 

31) Über Jodipin und seine Anwendung bei cerebrospinaler Lues, von 

A. Rorolkow. (Obosrenije psich. 1906. Nr. 5.) Ref.: Wilh. Stieda. 

Verf. wandte das Jodipin intramuskulär an, wobei er eine Spritze gebrauchte, 
deren Nadel anzuschrauben war und bei der der Stöpsel hineingeschraubt wurde. 
Diese Modifikation wurde eingeführt, da sich das Jodipin nur mit großer Kraft 
aus der Spritze hinausstoßen läßt. 

Indikationen für den Gebrauch des Jodipins sind Magen- und Darmkatarrh, 
Erbrechen, Jodismus und schlechter Ernährungszustand des Pat. Seine Vorzüge 
bestehen in einer sehr langsamen und allmählichen Ausscheidung des Jods und 
seiner Resorption in Form einer organischen Verbindung.' 

Verf. verwandte das Mittel in Fällen von luetischer Meningomyelitis, von 
Lues cerebrospinalis. Lues cerebri und syphilitischer cerebrospinaler Neurasthenie 
und konstatierte in all seinen Fällen eine bedeutende Besserung aller Symptome. 

Auch in 2 Fällen von Tabes ergab das Jodipin insofern günstige Erfolge, 
als die lanzinierenden Schmerzen nachließen, die Parästhesien verschwanden und 
die Patienten an Gewicht Zunahmen. In dem einen Fall wurde außerdem nach 
Gebrauch des Jodipins eine bedeutende Erweiterung des farbigen Gesichtsfeldes 
und eine Besserung der Sehkraft, die infolge einer Sehnervenatrophie herabgesetzt 
war, vermerkt. In 2 Fällen von progressiver Paralyse ergab das Jodipin natür¬ 
lich keine merkliche Änderung des Zustandes. 


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Psychiatrie. 


32) Progressiv« Paralyse und Syphilis, von F. Bis, Direktor in Rheinau. 

(Korresp.-Blatt f. Schweizer Ärzte. 1907. Nr. 7.) Ref.: Kurt Mendel. 

Seit 1898 ist Verf. bemüht, an seinem Material die Frage za beantworten, 
ob es möglich sei, durch die mikroskopische Untersuchung der Großhirnrinde mit 
aller Sicherheit die progressive Paralyse zu erkennen und gegen andere Geistes¬ 
störungen abzugrenzen. Verf. bejaht diese Frage: es gibt einen für die Para¬ 
lyse charakteristischen Befund der Hirnrinde; dieser Befund ist eine 
chronische Entzündung, sein am leichtesten sichtbarer und am 
meisten für die Krankheit charakteristischer Anteil ist die Ent¬ 
artung der Gefäße. Des näheren sind folgende immer wiederkehrende Ver¬ 
änderungen der Rinde zu konstatieren: 1. Veränderungen an den Ganglien¬ 
zellen: die regelmäßige radiale Anordnung der Pyramidenzellen, die Architektur 
der Rinde, hat Not gelitten. Die Körper der Zellen bieten ein Bild bunter 
Mannigfaltigkeit, von geringen, kaum erkennbaren Abweichungen von der Norm 
an bis zu den höchsten Graden von Zellveränderung, wo nur noch eine diffus 
gefärbte Masse ohne erkennbare Struktur sichtbar ist. 2. Verminderung, teilweise 
Degeneration der markhaltigen Nervenfasern. 3. Veränderungen der Neu- 
roglia von verschiedenstem Grad und mannigfaltiger Verteilung: zahlreiche 
„Spinnenzellen“ in der Molekularschicht, sogen. „Gliarasen“ in allen Schichten der 
Rinde, „Stäbchenzellen“ (Nissl-Alzheimer). 4. Erhebliche Vermehrung der 
Rindengefäße, insbesondere der Kapillaren; „Gefäßsprossen“, wie sie Alzheimer 
beschrieb, konnte Verf. allerdings nicht mit Sicherheit nachweisen. Die schwersten 
Veränderungen (Infiltrate mit Lymphozyten und Pla6mazellen) bietet die Adventitia 
der Gefäße dar. „Diese Infiltrate sind das eigentliche Signum morbi der Para¬ 
lyse, das den Eingeweihten sozusagen beim ersten Blick ins Mikroskop die Dia¬ 
gnose stellen läßt und um das sich dann alles andere, weniger leicht zu Sehende 
harmonisch gruppiert.“ Der Prozeß an den Hirnrindengefäßen bei Paralyse trägt 
noch Verf. unzweifelhaft die Züge einer langsam verlaufenden chronischen Ent¬ 
zündung. Die vorderen Hirnteile, vom Stirnpol bis etwa in die hintere Central- 
windung, sind am stärksten ergriffen; die Schwere der Veränderungen nimmt nach 
dem Occipitalpol zu ab. Das Kleinhirn ist in wechselndem Maße beteiligt. 

Bei dieser Art des anatomischen Befundes ist die Annahme einer ein¬ 
heitlichen, exogenen Ursache der Paralyse ein unumgängliches Erfordernis; 
diese Ursache kann nur die Syphilis sein, derselbe Faktor, auf welchen Klinik 
and Statistik so dringend hinweisen. 

Die Veränderungen an den Gefäßen der paralytischen Hirnrinde bezeichnet 
denn auch Verf. ganz direkt als syphilitische und er argumentiert folgendermaßen 
(S. 232): „Hirnsyphilis tritt unter sehr mannigfaltigen Formen auf! Am einen 
Ende der Reihe steht das solitäre Gumma; dann folgen multiple größere Gummata; 
diffuse gummöse Entartung der Meningen, mehr der Basis als der Konvexität, 
mit wechselnder Beteiligung der größeren Gefäße und der Rinde; endlich Gummata 
nur noch in sozusagen rudimentärer Ausbildung, zerstreut und kaum über miliare 
Größe hinaus, dabei aber als Hauptbefund die Infiltration, Entartung und Wuche¬ 
rung der Rindengefäße mit ihrem Gefolge von Zerstörungen und Reaktionen im 
nervösen Anteil und der Neuroglia, eben die progressive Paralyse.“ Jedenfalls 
erscheint letztere als eine Form der Hirnsyphilis. 

83) La rdaotion des antioorps syphilitiques dans la paralysie generale et 

le tabäs, par A. Marie et C. Levaditi. (Psych.-neur. Wochenschr. 1907. 

Nr. 18.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Verff. wandten das Wassermann-Plautsche Verfahren bei 65 Kranken 


(39 Paralytiker, 5 Taboparalysen, 

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4 Tabiker, 17 andere Psychosen) an. Sie 

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fanden unter den 39 Paralytikern 29mal (= 73°/ 0 ) positive Reaktion (Wasser¬ 
mann-Plaut fanden 88°/ 0 ). Im ersten Stadium der Paralyse war die Reaktion 
meist negativ, im vorgeschrittenen Stadium fand sich in 95°/ 0 der Fälle positive 
Reaktion. 

Bei Tabes und Taboparalyse fand sich positive Reaktion in 66°/ 0 der Fälle. 
Hingegen fand sich bei den übrigen 17 Kranken (Fälle von Melancholie. 
Epilepsie, Littlesche Krankheit, Dementia traumatica, Idiotie, Bleiintoxikation, 
Paranoia, Dementia praecox) kein einziges Mal positive Reaktion. 

Die VerfF. bringen die positive Reaktion nicht direkt in Zusammenhang mit 
der Syphilis an sich, zumal Individuen, die sicher früher Syphilis hatten, eine 
negative Reaktion gaben; sie halten das Vorhandensein der Antikörper vielmehr 
als den Ausdruck einer kortiko-meningealen Entzündung, welche die 
Syphilis charakterisiert. Die Existenz der Antikörper zeigt also das Bestehen 
eines intensiven syphilitischen oder parasyphilitischen Entzündungs¬ 
prozesses mit kortiko-meningealer Lokalisation an. 

34) Über den Nachweis syphilitischer Antikörper im Liquor cerebro¬ 
spinalis von Paralytikern nach dem Wassermann-Plautsohen Verfahren 
der Komplementablenkung, von J. Morgenroth und G. Stertz. (Vir- 
chows Archiv. CLXXXVIII.) Ref.: Kurt Mendel. 

Die Verff. konnten bei ihren Versuchen die Wassermann-Plautsohen Er¬ 
gebnisse (vgl. d. Centr. 1906. S. 1127) durchaus bestätigen. 

Die Zahl der von ihnen untersuchten Spinalflüssigkeiten betrug im ganzen 
25, darunter solche von 8 Paralytikern. In allen diesen 8 Fällen konnte das 
Vorhandensein syphilitischer Antikörper in der Cerebrospinalflüssigkeit nachgewiesen 
werden, während sämtliche übrigen Fälle mit Ausnahme eines Falles von sekun¬ 
därer Lues ein negatives Resultat ergaben. Auch die Fälle von Lues cerebro¬ 
spinalis und die spätlatenten Formen (5 Fälle) enthielten keine Antikörper, 
wenigstens nicht in nachweisbarer Menge. Ein Fall mit „Verdacht auf Tabes" 
zeigte keine Antikörper. 

Mit Sicherheit läßt sich aus dem Befunde von Antikörpern schließeri, daß 
das Individuum Syphilis gehabt hat. Hingegen beweist der negative Ausfall der 
Probe nichts gegen Lues. 

Von den 8 Paralysefällen, in denen Antikörper in der Cerebrospinalflüssig¬ 
keit nachgewiesen werden konnten, war nur in einem Falle Lues anamnestisch 
angegeben worden; die übrigen 7 Fälle wären also bei Aufstellung einer Paralyse- 
Syphilisstatistik ohne weiteres für dieselbe verloren gegangen, während sie durch 
das Wassermann-Plautsche Verfahren zugunsten der Syphilistheorie verwandt 
werden können. 


36) Zur kllnisohen Verwertung der Serumdiagnostik bei Lues, von Michael 

Wassermann und Georg Meier. (Deutsche med. Wochenschrift. 1907. 

Nr. 32.) Ref.: Kurt Mendel. 

Nach genauer Beschreibung ihrer Methodik geben die Verff. die Resultate 
ihrer Versuche an 39 Fällen, darunter 3 Fälle von Paralyse, 3 von Tabes, letztere 
6 Fälle sämtlich mit positiver Wassermannscher Reaktion im Blutserum bzw. 
in der Lumbalflüssigkeit. (Der Wert der Tabellen ist dadurch hochgradig ab- 
geschwäoht, daß bei einer großen Reihe von Fällen die Diagnose fehlt; der Grund, 
welchen die Verff. für dieses Fehlen angeben, ist nicht recht verständlich. Ref.) 
In einem Falle von zweifelhaften multiplen Tumoren ermöglichte die Serodiagnostik 
eine sichere Diagnose auf Gummata. Dreimal gelang der Nachweis von luetischen 


Antikörpern in der Milch von Wöchnerinnen. Ein 14 tägiger Säugling mit 
klinisch sicherer Lues congenita bot positive Reaktion im Serum. 


Schluß: mit der Wassermannschen Reaktion gelingt es, bei gewissen Fällen 


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im Blutserum Luetischer spezifische Stoffe Dachzuweisen. Ob man es dabei wirk¬ 
lich mit dem syphilitischen Immunkörper zu tun hat, ist noch ungewiß. 

30) Die Paralyse im Kanton Lusern während des Zeitraumes von 1873 
bis 1900, von Elmiger. (Psych.-neur. Wochenschr. 1906. Nr. 12.) Ref.: 
F. Schultze (Greifswald). 

Die Paralyse macht in dem Material des Verf.’s nur 3,8°/ 0 aller Geistes¬ 
kranken aus. Häufiger als Lues wird Alkoholismus in der Ätiologie erwähnt 
Unter den 74 männlichen Paralytikern finden sich nur 6 Personen, welche stets 
nur allein in der Landwirtschaft gearbeitet hatten. Über die- Hälfte sind Hand¬ 
werker, welche jahrelang in der Fremde und häufig in den Großstädten gelebt 
hatten. Verf. glaubt noch hervorheben zu müssen, daß über die Hälfte aller 
Paralytiker gut oder meistens sogar über gut begabt war. Die Hälfte ist erblich 
belastet 

37) Klinisoh-anatomisohe Beiträge sur Kenntnis der progressiven Paralyse 
und der Lues oerebro-spinalis, mit besonderer Berücksichtigung der 
Rückenmarks Veränderungen, von E. Meyer. (Archiv f. Psych. u. Nerven¬ 
krankheiten. XLIII. 1907.) Ref.: G. Ilberg. 

Die Diagnose der progressiven Paralyse macht oft keinerlei Schwierigkeiten. 
Die Zahl der unsicheren Fälle ist jedoch in Irrenanstalten und Kliniken keine 
geringe; zuweilen gelangt man erst durch die anatomische Untersuchung zu 
völliger Klarheit. 

Verf. hat in einer Anzahl von besonderen Fällen die Hirnrinde, die tieferen 
Hirnteile und das Rückenmark darauf durchforscht, ob die von Nissl und 
Alzheimer beschriebenen Plasmazelleninfiltrate vorhanden waren und bestätigt 
auf Grund Beiner Untersuchungen deren große Bedeutung. In der Substanz des 
Rückenmarks waren die Plasmazellen durchweg sehr klein; auch die entzünd¬ 
lichen Prozesse hielten sich hier in engen Grenzen. In der Pia oder im Gehirn 
fanden sich dort mächtige Plasmazellen, wo die entzündlichen Prozesse ausgedehnt 
waren, ähnlich groß wie am Rand von Tuberkeln. Verf. schreibt den Plasma¬ 
zellen mit anderen Autoren eine phagocytäre Rolle zu; er glaubt, sie sind eine 
Folge des Entzündungsreizes und werden später sämtlich oder zum Teil als 
Phagocyten verwendet. Betreib der Herkunft der Plasmazellen ist Verf. der 
Ansicht, daß sie Abkömmlinge der Lymphocyten sind. Auch rechnet er ihnen 
ein nicht geringes Bewegungs- und Wanderungsvermögen zu. 

Drei Arten von Erkrankungsformen finden sich im Rückenmark der Para¬ 
lytiker: primäre, strangartige Degeneration ohne nachweisbaren Zusammenhang 
mit einer Hirnerkrankun^, .sekundäre absteigende Degeneration von Hirnherden, 
speziell von Rindenherden aus, und diffuse adventitielle Plasmazellen- und Lympho- 
cyteninfiltration als Ausdruck eines chronisch-entzündlichen Prozesses. Der Nach¬ 
weis dieses chronisch-entzündlichen Prozesses vervollständigt die Rolle der Beweise, 
daß das ganztf Nervensystem bei Paralyse Sitz ein und desselben 
Entzündungsvorganges ist. 

38) Das Verhalten der Fibrillen bei progressiver Paralyse, vonDr. Renkichi 
Moriyasu. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLIII. 1907.) Ref.: G. Ilberg. 
Es war zu erwarten, daß Untersuchungen über die Fibrillen bei verschiedenen 

Geisteskrankheiten folgen würden, nachdem uns Bielschowsky seine vorzügliche 
Methode der Silberimprägnation der Neurofibrillen geschenkt und selbst Beiträge 
zur feineren Histologie und Histopathologie des kranken Gehirns geliefert hatte. 
Verf. hat nun in der psychiatrischen und Nervenklinik zu Kiel bei 30 Fällen 
von progressiver Paralyse Großhirn, Kleinhirn und Rückenmark mit Hilfe 
der Bielschowsky’schen Fibrillenmethode untersucht und die gewonnenen Bilder 
mit solchen verglichen, die mit der Weigert’schen Markscheidenmethode und 
Toluidinblau-Zellfärbungen behandelt worden waren. 


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Er sah in Fibrillen- und Toluidinpräparaten die Ganglienzellen der 
Großhirnrinde in großer Ausdehnung krankhaft verändert und zwar war die 
Zellerkrankung konstanter und ausgeprägter als der Faserausfall, was für ihren 
primären Charakter sprechen würde. Im Zelleib, und zwar besonders in der 
perinukleären Zone pflegte die Zerstörung der Neurofibrillen zu beginnen, um 
sich dann auf die Fortsätze und zwar zuerst auf die zarten und dann auf die 
Spitzenfortsätze auszubreiten. Auch die extracellulären Fibrillen waren bei 
der Paralyse gelichtet; allein es kam auch vor, daß die Fibrillen überall noch 
gut erhalten waren, wenn der Markscheidenschwund bereits Behr stark erschien. 
In allen Partien der Hirnrinde kam der Faserschwund diffus vor; im Hinter¬ 
hauptlappen war er in der Regel am schwächsten ausgesprochen. Im Kleinhirn 
hatten besonders die Purkinjeschen Zellen an Zahl stark abgenommen und ihre 
Fortsätze auf Fibrillenbildern vorzeitig verloren; die korbartigen Geflechte waren 
in ihrer Umgebung zu Grunde gegangen, die Parallelfasern am Rande der Körner¬ 
schicht verschwunden; besonders in den äußeren Abschnitten waren die Fibrillen 
der Körnenchicht vermindert. In der grauen Substanz des Rückenmarkes 
endlich sah man gut erhaltene Fibrillen; bei sekundärer Strangdegeneration er¬ 
blickte man die Fibrillen gelegentlich stärker betroffen als die Markscheiden. 

39) Beitrag zur Paralysefrage, von Dr. Erwin Stransky. (Wiener klin. 
Wochenschrift. 1907. Nr. 13.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. teilt zunächst einen kasuistisch interessanten Fall mit: Ein 69 jähriger 
ehemaliger Kaufmann ward unter einem ZustandBbild auf die Klinik eingebracht, 
welches vollkommen dem Schema einer gewöhnlichen Paralyse entsprach: Demenz, 
gegenstandslose Euphorie, Gedächtnisstörung, typische Rechenfehler, typische 
Sprachstörung, Argyll-Robertson nicht vorhanden; Lues bestritten; in der Bluts¬ 
verwandtschaft Fälle von Geisteskrankheit; mehrere Abortus der Gattin des Pat; 
eine Reibe von Kindern des Pat. wegen psychischer Erkrankung, speziell Ent* 
wicklungshemmungen, auswärts in Irrenpflege. In psychischer Hinsicht blieb das 
Bild bis zum plötzlich erfolgten Exitus (nach etwa 1 1 / 2 jährigem Spitalaufenthalte) 
ziemlich stationär; in somatischer Beziehung war nun sehr bemerkenswert das Auf¬ 
treten einer progredienten Amyotrophie vom spinalen Typus, welche sich während 
der klinischen Beobachtung zu entwickeln begann und zuerst die eine, dann die 
andere Oberextremität in typischer Weise befiel, in den kleinen Handmuskeln be¬ 
ginnend und allmählich auch die Muskeln am Unterarm, Oberarm und Schulter¬ 
gürtel ergreifend. Keine bulbären Störungen intra vitam zu konstatieren. Der 
makroskopische Obduktionsbefund schien die Annahme einer progressiven Paralyse 
bzw. Kombination derselben mit progressiver, spinaler ^myotrophie — ein in der 
Literatur nicht sehr häufig beschriebenes Vorkommnis — zu bestätigen. Die 
mikroskopische Untersuchung (Gehirn, Rückenmark, periphere Nerven, Muskeln) 
indeß verifizierte bloß das Vorhandensein der spinalen Amyotrophie (Affektion 
der Vorderhörner im Hals- und oberen Brustmark, der Nerven und Muskeln; 
Seitenstränge frei), während der übrige Befund in keiner Weise im Sinne einer 
Paralyse sprach: es fand sich eine mäßige, universelle Rindenatrophie, geringe 
Gliawucherung, keine Störung der Rindenarchitektur, keine stärkere Gefaß- 
infiltration, mäßige Arteriosklerose; Stäbchenelemente waren nicht zu finden; die 
feinen Markfaserungen in der Rinde wohl etwas gelichtet, doch recht deutlich 
erhalten; keine Herdchen. Bezüglich Details sei auf das Original hingewiesen. 

Verf. bespricht die nosologische Stellung des Falles unter besonderer Rück¬ 
sichtnahme auf die in der Literatur beschriebenen Fälle von Geistesstörung bei 


derartigen amyotrophischen Affektionen, speziell der so nahe verwandten amyo- 
trophischen Lateralsklerose, lehnt aber die Möglichkeit ab, den Fall im Rahmen 
dieser letzteren Kategorie zu rubrizieren. Die psychische Störung besieht Verf. 


auf die vorhandene Gefäßaffekt ion. Die von dem Verf. trotz des LeugnenB des 


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Kranken mit Rücksicht auf die Descendenzverhältnisse desselben keineswegs ab* 
gelehnte Annahme einer früheren Lues könnte vielleicht als ätiologisches Moment 
sowohl für die — wenn auch histologisch nicht spezifische — Gefäßerkrankung, 
wie auch für die Amyotrophie angesehen werden. Lues als Ursache solcher Pro¬ 
zesse ist schon von einer Reihe von Autoren angenommen worden. Jedenfalls 
aber kann von einer Paralyse nicht die Rede sein, und wenn man bedenkt, daß 
das Bild — abgesehen von der MuBkelatrophie — während der freilich nur 
1 1 / a jährigen Beobachtungsdauer ein stationäres blieb, kann der Fall vielleicht 
auch in dieser Richtung ein gewisses Interesse beanspruchen. Auf eine Reihe 
anderer, die Symptomatologie betreffender Erwägungen, die der Verf. an den 
Fall knüpft, sei hier bloß hingewiesen, speziell auf Fälle, die auf die Sprach¬ 
störung Bezug haben. 

40) Etüde statlstique sur lee form es oliniques de la paralysie gönörale, par 

Sörieux et Ducostö. (Progrös mödical. 1907. Nr. 11.) Ref.: K. Mendel. 

Unter 150 männlichen Paralytikern fanden die Verff. folgende klinische 
Formen: 27°/ 0 boten die expansive, megalomanische, je 24°/ 0 die demente und 
sensorische, je 7°/ 0 die cirkuläre und hypochondrische, 6°/ 0 die maniakalische, 
3 °/ 0 die peraekutorische und 2 °/ 0 die depressive Form. 3°/ 0 der ParalyBefälle 
der Anstalt Ville-Evrard betrafen Frauen. 

41) Lea symptömes ooulaires de la paralysie göndrale, par A. Rodiet, 

Dubois et P. Pausier. (Arch. de neurologie. XXII. 1906. Nr. 128.) 

Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

Die Verff. erachten viele der bisherigen statistischen Erhebungen über Augen¬ 
störungen bei Paralyse, die sich häufig nur auf einmalige Untersuchung im An¬ 
fangsstadium stützen, für ungenügend. Sie verlangen, daß die Paralytiker vom 
Anfangs- bis zum Endstadium in regelmäßigen Intervallen wiederholt untersucht 
werden und daß — zur Verhütung von Selbsttäuschungen — der einzelne Befund 
stets von mehreren Untersuchern (darunter immer ein Ophthalmologe) nachgeprüft 
werde. Nach diesen Grundsätzen verfuhren sie und prüften in jedem Falle 
1. Pupillen, 2. Sehvermögen, 3. vaskuläre Beziehungen zwischen Auge und Gehirn, 
4. Augenhintergrund, 5. begleitende Augensymptome. Von ihren Ergebnissen ist 
folgendes hervorzuheben: 

I. Stadium: Die nicht selten im Beginn der Paralyse zu treffende Ungleich¬ 
heit der Pupillen ist nur bei gleichzeitiger Pupillenstarre von Bedeutung. Diese 
Kombination zeigt dann den Beginn der wesentlichsten Augenstörung der progressiven 
Paralyse an, der fortschreitenden Ophthalmoplegie interna. Argyll-Robertson ist 
selten rein vorhanden, meist in verschiedener Kombination mit träger Akkommo¬ 
dationsreaktion. Beide Augen sind gewöhnlich ungleich stark ergriffen. Ist Ar¬ 
gyll-Robertson einmal da, so bleibt er in der Regel unverändert. Pseudo-Argyll- 
Robertson ist im ganzen häufiger als der echte. Deformationen und Unregel¬ 
mäßigkeiten der Pupille häufig, aber nicht charakteristisch für Paralyse. Atrophie 
der Iris kommt hier, aber auch bei Tabes und Lues vor. Fehlen der Pupillen¬ 
dilatation auf äußeren Reiz, paradoxe Reaktion, Hippus, Galassische Reflex¬ 
störung und Piltzsches Phänomen kommen vor, haben aber isoliert keine 
pathognostische Bedeutung. Lähmungen der äußeren Augenmuskeln können das 
erste Anzeichen der Paralyse bilden oder plötzlioh nach einem paralytischen An¬ 
fall auftreten; sie sind vorübergehend, unvollständig, rezidivierend; Nervus III 
meist zuerst ergriffen. Nystagmus im Anfang selten, häufiger während oder nach 
einem Anfall. Deviation conjuguöe wichtiges Symptom während des Anfalls. 
Hemiopie begleitet den Anfall bisweilen. Anästhesie der Kornea deutet auf alko¬ 
holische Antezedentien. Sehstörungen bilden sich in der Pegel sehr langsam aus, 
dem Pat. oft lange unbemerkt. Frühes Auftreten ist meist auf LueB zu beziehen. 
Kommen sie vor, so befallen sie beide Augen gleichmäßig, steigern sich gewöhnlich 


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nach einem Anfall und nehmen während der Remissionen ab. Zur richtigen 
Wertung sind auch Tabak* und Alkoholahusus, Diabetes und Nierenaffektionen 
in Betracht zu ziehen. Einengung des Gesichtsfeldes ist im Anfang der Paralyse 
selten und ohne ophtalmoskopischen Befund; sie deutet auf beginnende Atrophie, 
ist regelmäßig, meist vorübergehend oder intermittierend. Migraine ophtalmique 
und Augenneuralgien bilden nicht Belten Anfangssymptome der Paralyse. Von 
ophtalmoskopisch erkennbaren Zeichen sind wichtig als Vorboten der Sehnerven* 
atrophie: Ödem der Papille und ihrer Umgebung, miliare Aneurysmen der Retina 
und besonders perivaskuläre Sklerose der Retinal* und Papillargefäße. 

II. Stadium: Die im Anfang noch wandelbaren Pupillenstörungen werden 
hier stationär. Ophtalmoskopisch konstatiert man bisweilen (jedoch seltener als 
bei Tabes) Neuritis optica und Atrophia nervi optici; diese bei Paralyse gewöhnlich 
primär, unvollständig, bilateral, langsam fortschreitend. Diagnostisch wichtig ist, 
daß die Sehstörung nicht der Atrophie parallel läuft. 

Im III. Stadium sind Argyll*Robertson und Pseudo*Argyll*Robertson nun 
deutlich und konstant. Völlige Reaktionslosigkeit der Pupille bei Lichteinfall 
und Akkommodation ist seltener. Die Läsionen am Augenhintergrund sind in der 
Regel progressiv, parallel mit der Gehirnatrophie. Doch bewahrt Pat. meist bis 
zuletzt relativ gutes Sehvermögen. 

42) Valeur diegnoetiquo des troubles oculuires dans la paralysle generale, 

par Mignot, Schrameck et Parrot. (L’Encöphale. 1907. II. Nr. 6.) 

Ref.: Kurt Mendel (Berlin). 

Die Untersuchungen der Verff. umfassen 320 Fälle von progressiver Paralyse. 
6°/ 0 der Fälle boten keine Störungen seitens der Augen; einmal nur fanden die 
Verff. den „umgekehrten Argyll“, d. h. Pupillenstarre auf Akkommodation bei 
erhaltenem Lichtreflex, kein Fall hot totale Ophtalmoplegia interna. Zuweilen 
fiel Zurückgehen der Pupillenstörungen mit Remission des Leidens zusammen; in 
einem Fall verschwand der Argyll-Robertson und es trat restitutio ad integrum 
ein, zweimal verschwand die Anisokorie. 

Morphologische, sensible, sensorische Augenstörungen sowie Störungen seitens 
der Außenmuskulatur des Auges haben nur geringen diagnostischen Wert für die 
progressive Paralyse, wichtiger sind die Pupillenstörungen, und zwar nehmen 
die Pupillenstörungen in folgender Reihenfolge an diagnostischem Werte zu: 
Anisokorie, MydriasiB, Miosis, verzogene Pupillen, träge Reaktion auf Licht und 
Akkommodation, Pupillenstarre. Letzteres Symptom bestimmt fast sioher die 
Diagnose auf Tabes, Lues cerebralis oder Paralyse, sei es, daß sich die Pupillen* 
Btarre allein auf die Licht- oder die Akkommodationsreaktion, sei es, daß sie sich 
auf beide bezieht. 

43) Symptömes oculaires de la paralysle generale, leur valeur diagnos* 

tique aux diverses pöriodes de oette affeotlon, par G.Raviart, J. Privat 

de Fortuniö et M. Lorthiois. (Revue de med. 1906. Nr. 10, 11, 12.) 

Ref.: Eduard Müller (Breslau). 

Um sich ein Urteil über den diagnostischen Wert der Augenstörungen bei 
der progressiven Paralyse zu bilden, haben die Verfasser 268 Individuen mit ver¬ 
schiedenen organischen Erkrankungen des Nervensystems untersucht (darunter 
138 Paralytiker in den verschiedensten Stadien; 204 mänuliche, 64 weibliche In¬ 
dividuen). Sie gehen folgende Einteilung der Augenstörungen: 1. Augen¬ 

störungen, die von der progressiven Paralyse unabhängig sind und mit an¬ 
geborenen, bzw. sonst erworbenen Läsionen in Beziehung stehen (manche Fälle 
mit Nystagmus, Schielen und gelegentlich sogar mit Pupillendifferenz; diese Sym¬ 
ptome können gelegentlich zu diagnostischen Irrtümern führen). 2. Symptome, 
die gewöhnlich nur vorübergehend nachweisbar sind, wie HippuB und Skotasmen, 
3. gewöhnliche Symptome, die zu den charakteristischen Krankheitserscheinungen 


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gehören (Miosis, Mydriasis, Entrundung und Ungleichheit der Pupillen, Störungen 
der Licht- und Konvergenzreaktion, und endlich Augenhintergrundveränderungen). 
Paresen der äußeren Augenmuskeln halten sie für selten und ihren diagnostischen ' 
Wert für gering (häufig von Kombination mit anderen Prozessen abhängig). 
Nystagmus ist sehr selten (angeborene Komplikation). Die Entrundung der Pu¬ 
pillen zeigt sich sehr häufig und schon frühzeitig (oft vor dem Auftreten der 
Lichtstarre). Die Konvergenzreaktion ist relativ selten beeinträchtigt. Myopie 
ist bei der Paralyse selten, Hypermetropie ganz gewöhnlich. Die Augenhinter¬ 
grundsveränderungen sind in den einzelnen Phasen der Paralyse annähernd gleich 
häufig (nur in den Spätstadien ausgesprochener). Der diagnostische Wert der 
Augensymptome hängt nicht nur von ihrer Häufigkeit, sondern auch von ihrer 
Eigenart ab und vor allem auch von der Frühzeitigkeit ihres Auftretens. 

44) Über paroxysmale Fieberzustände bei progressiver Paralyse mit Ver¬ 
mehrung der polynukleären Leukozyten im Blute und ln der Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit, nebst Bemerkungen über Blut und Liquor bei Exa¬ 
zerbationen des paralytisohen Prozesses, von Pappenheim. (Monats¬ 
schrift f. Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H Vogt 

Verf. hat in einem genau beobachteten Fall von progressiver Paralyse bei 
intermittierend auftretenden Fieberattacken neben einer Hyperleukozytose des 
Blutes regelmäßig eine hochgradige polynukleäre Leukozytose im Liquor cerebro¬ 
spinalis auftreten sehen, wobei diese Liquorleukozytose nach Rückgang des Fiebers 
in ziemlich kurzer Zeit einer mäßigen Lymphozytose Platz machte, um mit dem 
Auftreten des Fiebers immer' von neuem zu erscheinen. Da sich eine akute 
Meningitis und ebenso eine übermäßige Durchgängigkeit der Gefäßwände (also 
die direkte Abhängigkeit der Liquorleukozytose von der Blutleukozytose) als 
Ursache ausschließen ließ, so „blieb demnach nur übrig anzunehmen, daß Blut- 
und Liquorleukozytose nicht im Verhältnisse von Ursache und Wirkung zu ein¬ 
ander stehen, sondern beide gemeinsam auf die Einwirkung eines giftigen Agens 
zurückzuführen sind, und zwar — da sonst auch komplizierende Infektionen die 
Erscheinung hervorrufen müßten — eines spezifischen Agens“. In zwei weiteren 
Fällen konnte Verf. nachweisen, daß in, bezw. nach dem Anfall eine ziemlich 
starke Vermehrung der mehrkernigen Zellen auftrat, und zwar war die Zunahme 
der Leukozyten eine sehr beträchtliche, ihre Zahl viel größer nach den Anfällen, 
als sie in gewöhnlichen Zeiten bei der Paralyse beobachtet wird. Ein weiterer 
Fall zeigte in Verbindung mit plötzlichem Auftreten von Sprachlosigkeit ge¬ 
steigerte Temperatur und Vermehrung der Leukozyten im Liquor, das letztere 
Symptom (aber ohne Fieber) ergab sich endlich bei einem weiteren Falle in Ver¬ 
bindung mit einem Zustand psychischer Erregung. 

Daraus geht hervor, daß alle diese Erscheinungen auf einen größeren Schub 
des auf den ganzen Körper wirkenden Paralysetoxins zurückzuführen sind. Eine 
beträchtliche Steigerung der Prozentzahl der polynukleären Leukozyten im Liquor 
ist ein Zeichen einer solchen massenhaften Toxinwirkung. 

45) Seltene Symptome der progressiven Paralyse, von G. Rossenda. (Arch. 
di Psichiatria, Neuropatologia, Antropol. criminale etc. XXVII. 1906.) Ref.: 

E. Oberndörffer (Berlin). 

Beschreibung eines 48jährigen Paralytikers, bei welchem mehrere Symptome 
der multiplen Sklerose: Nystagmus, skandierende Sprache, Intentionszittern, zu¬ 
gleich aber Ungleichheit und Lichtstarre der Pupillen, Gedächtnisschwäche und 
Größenideen vorhanden waren. Die letzteren bezogen sich nicht auf seine eigene 
Person, sondern nur auf seine Angehörigen und waren mit Verfolgungsideen kombiniert. 

46) Über die sogen, rhythmischen, mit dem Puls synchronen Muskel- 
Zuckungen bei der progressiven Paralyse, von Oscar Fischer. (Monats¬ 
schrift f. Psych. u. Neur. XXL 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 


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Verf. bespricht die Untersuchungen von Kemmler (Arbeiten psych. Klinik 
Breslau 1895), welcher Muskelzuckungen bei Paralyse mit dem Puls synchron fand 
und sie derart erklärt, daß im paralytischen Gehirn die einfache Puls welle als 
Reiz in den motorischen Centren wirke. Kemmler hatte nur mit Hand und 
Auge untersucht, Verf. benutzte an 4 Fällen ein genaues RegiBtrierverfahren mit 
Kurvenzeichnung und fand den Rhythmus des Pulses und der Muskelzuckungen 
voneinander unabhängig, jede stellt einen besonderen Typus dar. Der Rhythmus 
ist aber nicht sehr different, so daB ein synchrones Verhalten leicht vorgetäuscht 
werden und vorübergehend auch in der Tat bestehen kann. 

47) Über akustisohe und optisoh-motorische Folgeerscheinungen von 

Krampfanfällen, von A. Pick in Prag. (Deutsche med. Wochenschrift. 

1907. Nr. 1.) Ref.: R. Pfeiffer (Cassel). 

Verf. konnte bei Paralytikern im Anschluß an Krampfanfälle mehrfach be¬ 
obachten, daß die Patienten bei Anrufen von der gesunden Seite prompt reagierten, 
bei Anrufen von der gelähmten Seite dagegen keine Reaktion zeigten. Er nimmt 
zur Erklärung an, daß bei der nach einem Anfall zurückbleibenden Benommen¬ 
heit die durch den gekreuzten Acusticusanteil zugeführten, reichlicheren Gehörs¬ 
eindrücke schon eine Wirkung haben, während der geringfügige Anteil der un¬ 
gekreuzten eine solche noch nicht erzielt. Die Paracusis der Otologen kommt in 
reiner Form vor, doch muß man zur Vermeidung von Irrtümern auf das Vor¬ 
handensein einer der Lähmung gleichseitigen homonymen Hemianopsie wie auf 
entsprechende Lähmung der Augendreher achten. 

Verf. konnte neuerdings wieder beobachten, daß bei transitorischer Hemiopie 
nach paralytischen Anfällen dem ersten Stadium fehlender Reaktion ein zweites 
folgt, in welchem schon ein Aufmerksamkeitsreflex — Drehung des Kopfes und 
der Augen nach dem in den ausgefallenen Gesichtshälften gehaltenen Objekt — 
stattfindet, während die bewußte, willkürliche Einstellung noch nicht möglich ist. 
Die kortikale Funktion der Augendrehung liegt also noch zu einer Zeit darnieder, 
wo das subkortikale Centrum bereits funktioniert. 

48) Des symptomes catatonlques au oours de la paralysle gönerale, 

par Söglas. (Nouv. Iconogr. de la Salpetriere. 1907. Nr. 1.) Ref.: Ernst 

Bloch (Kattowitz). 

Unter Bezug auf die Arbeit von Knecht (Allgem. Zeitschr. f. Psych. 1886) 
führt Verf. kurze Beobachtungen von 11 Fällen von Paralyse an, welche beweisen, 
daß katatonische Zustände auch bei dieser Krankheit gar nioht so selten sind. 
Die Fälle bieten nichts Besonderes, mit Ausnahme des einen (5), wo der Kranke 
tagelang auf dem Rücken lag und die Beine in die Luft streckte. Die beobach¬ 
teten Symptome waren vorwiegend Negativismus, Echolalie, Echomimie, katalep- 
tische Zustände und Stereotypie. 

49) Über einen Fall von Paralyse mit 14jährlger Remission, nebst einigen 

Bemerkungen zur Therapie der Dementia paralytioa, von M. Dobr- 

schansky. (Jahrb. f. Psych. u. Neur. XXVIII. S. 169.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Unter Heranziehung der einschlägigen neueren Literatur berichtet Verf. über 
einen Fall von progressiver Paralyse, der nach 14jähriger Remission, während 
welcher Pat. seinem Berufe als Zählkellner anstandslos oblag, neuerdings der 
K. K. I. psychiatrischen Klinik mit allen Symptomen einer megalomanen Paralyse 
eingeliefert wurde, woselbst er nach 3V 2 jährigem Aufenthalte an Marasmus und 
Lobulärpneumonien zugrunde ging. 

Der makroskopische Hirnbefund ergab das gewohnte Bild (Hydrocephalus 
externus und internus chronicus, Ependymgranulationen, Verdickung der Lepto- 
raeningen), die histologische Untersuchung gleichfalls die typisch paralytischen 
Veränderungen. Auf einen eigentümlichen, ausschließlich im Mark erhobenen Be¬ 
fund glaubt Verf. besonders hinweisen zu sollen. Hier fanden sich nämlich (bei 

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Thioninfärbuog) vereinzelte rundliche, vollkommen homogene, rosenrot tingierte 
Gebilde von etwa 20 bis 30 n im Durchmesser. Am Rande oder an der Ober* 
fläche dieser Gebilde lagen Kerne von unbestimmtem Charakter; einige von ihnen 
wiesen Teilungsfiguren auf. Ob es sich hier um eventuelle Zwischenglieder von 
Glia* und Plasmazellen oder um Exsudationen oder um Artefakte handelt, bleibt 
unentschieden, doch sprechen mehrfach Gründe gegen die beiden letzten Annahmen. 

Es werden dann die Kriterien der Prognose erörtert und der ausnehmend 
benigne Verlauf des vorliegenden Falles dem Zusammentreffen der prognostisch 
relativ günstigen expansiven Form mib einem langwierigen Suppurationsprozesse 
zugeschrieben. 

Anhangsweise wird der therapeutischen Bestrebungen auf dem Felde der 
Paralyse gedacht und das weitere Schicksal einer Reihe mit Tuberkulininjektionen 
behandelter und von Pilcz publizierter Fälle mitgeteilt. 

50) Atoxyl bei Paralyse, von Spielmeyer. (Berliner klin. Wochenschr. 1907. 

Nr. 26.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Schon seit 1903 spritzt Verf. mit Atoxyl die Paralysefälle, bei denen all¬ 
gemeine Schwächeerscheinungen und eitrige Hautaffektionen in Erscheinung treten, 
vor allem aber die Fälle, die durch starke Erregung in der Ernährung rasch 
herunterkamen und körperlich zu verfallen schienen. Unter täglichen Injektionen 
von 0,2 Atoxyl — mitunter 5 Wochen lang — heilten die Hautaffektionen und 
der allgemeine Ernährungszustand hob sich. Ein Einfluß der Atoxylbehandlung 
auf den centralen Erkrankungsprozeß konnte jedoch nicht festgestellt werden. 

51) Über Geisteskran kheiten bei Prostituierten, von Prof. Tschisch. (Obosrenij e 

psich. 1906. Nr. 12.) Ref.: Wilh. Stieda (St. Petersburg). 

Eine in ihren Ergebnissen hochinteressante Arbeit. Bisher galt es als psychi¬ 
atrisches Dogma, daß die Prostitution zu Geisteskrankheiten prädisponiert. Alkohol, 
Syphilis, unhygienische Lebensverhältnisse, die Unsicherheit der Existenz — alles 
das schien dieses Dogma zu stützen. So fest saß es, daß es bisher kaum jemand 
für nötig fand, es durch tatsächliches Material zu beweisen. Indessen wußte man 
in Wirklichkeit über die Psychosen bei Prostituierten gar nichts. In den klassischen 
Werken über Prostitution von Parent-Duchatelet, Dufour, Blascbko und 
Ströhmberg ist darüber nichts zu finden und ebensowenig in den Lehrbüchern 
der Psychiatrie. In einigen der letzteren wird nur kurz die obige Behauptung 
als Dogma ausgesprochen. Von Spezialarbeiten in dieser Frage führt Verf. nur 
die Arbeit von Graz (Thöse de Lyon 1901) an, die das Dogma durchaus nicht 
zu bestätigen scheint. 

Verf. fiel es nun auf, daß er in seiner psychiatrischen Tätigkeit fast gar 
keine geisteskranken Prostituierten sah, obgleich er sowohl in Petersburg als auch 
in Dorpat stets in Anstalten gearbeitet hat, die für alle und insbesondere für 
die niedersten Schichten des Volkes bestimmt waren. Im Laufe von 30 Jahren 
batte er nun vier geisteskranke Prostituierte unter seinen Händen gehabt. Bei 
Gelegenheit des Besuches verschiedener Anstalten in Deutschland, Österreich, 
Italien, England, Holland und Spanien fragte er überall nach geisteskranken 
Prostituierten. In den meisten Anstalten fand er keine einzige und im ganzen 
gelang es ihm auf diesem Wege 11 zu sehen. 

Schließlich wandte er sich an die Direktoren der größten städtischen An¬ 
stalten in Petersburg, Moskau, Warschau, Saratow, Kasan und Odessa und bat 
um genauere Erhebungen. Das Resultat war, daß unter 13853 geisteskranken 
Frauen sich nur 43 Prostituierte befanden. Darunter waren 16 Paralytikerinnen 
und vier chronische Alkoholistinnen. Mehr als die Hälfte der übrigen litt an an¬ 
geborenen geistigen Störungen, an degenerativem Irresein, Moral insanity, Epilepsie 
und Hysterie, und es blieben für exogene Psychosen, für die die Prostitution die 
Ursache hätte abgeben können, nur etwa 10 Fälle übrig. 

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Auf Grund dieses Materiales fählt sich Verf. berechtigt zu sogen: das ein* 
gangs erwähnte Dogma von der Bedeutung der Prostitution in der Ätiologie der 
Geisteskrankheiten ist falsch. Prostituierte scheinen überhaupt selten an geistigen 
Erkrankungen zu leiden. Selbst Alkohol und Syphilis scheinen eine nur wenig 
deletäre Wirkung auf sie zu haben, ebensowenig alle die Bedingungen, die sonst 
als wichtige prädisponierende Momente in der Ätiologie der Psychosen angesehen 
werden, wie schlaflose Nächte, Entbehrungen, Beleidigungen, Prügel, Unsicherheit 
der Existenz, unhygienische Lebensweise usw. Der ätiologische Wert aller solcher 
Momente bedürfe daher einer eingehenden* Revision. 


Forensische Psychiatrie. 

52) Die Entlassung geisteskranker Rechtsbrecher aus Irrenanstalten, von 

v. Kunowski. (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. LXIV.) Ref.: Zingerle (Graz). 

Verf. bespricht auf Grundlage eigener Erfahrungen die Mängel in der Hand* 
habung der in Preußen geltenden Bestimmungen über die Entlassung geistes* 
kranker Rechtsbrecher. Diese sind darin begründet, daß die Sicherheitsbehörden 
zu einseitig dos Moment der Gemeingefährlichkeit im Auge haben und in Ver¬ 
kennung der Aufgaben der Irrenanstalten von diesen die völlige Sicherung der 
Gesellschaft verlangen. Die Rücksicht auf diese kann bei den Entlassungen, wenn 
sie auch im allgemeinen an erster Stelle stehen muß, doch nicht unbegrenzt zur 
Geltung kommen. Der Psychiater wird bei seinem Urteile, das sich auf den gegen¬ 
wärtigen Zustand mit Beziehung auf die Vergangenheit des Kranken und des 
künftigen Milieus stützt, selten die Gemeingefährlichkeit ganz negieren können, 
und dürften demnach nur wenige geisteskranke Rechtsbrecher entlassen werden. 
Aus volkswirtschaftlichen Gründen und im Interesse der Einzelindividuen und 
ihrer Familien muß aber ein gewisses Risiko mit in Kauf genommen werden, und 
ist es Sache der Hilfsvereine und aller sonst in Betracht kommenden Faktoren, 
dieses weiterhin einzuschränken. 

Weiterhin plädiert Verf. für die Unterbringung aller geisteskranken Ver¬ 
brecher in eigenen Anstalten. 


Ul. Bibliographie. 


1) Grundzüge der Psychiatrie, von Eschle. (Wien 1907, Urban & Schwarzen¬ 
berg. 297 S.) Ref.: H. Liepmann. 

Verf.’s Darstellung der Psychiatrie hält sich in der Hauptsache im Rahmen 
der Kraepelinschen Psychiatrie. Jedoch sind die Schilderungen der einzelnen 
Krankheitsformen nicht unselbständige Exzerpte aus dem Kraepelinschen Werke, 
sondern eigenes Beobachten und Nachdenken und von anderen Autoren über¬ 
nommene Gedanken haben sich mit den leitenden Gesichtspunkten der Kraepelin¬ 
schen Lehre amalgamiert. 

Die Schärfe der Begriffe und Definitionen und die Sprache — in einem Lehr¬ 
buch der Psychiatrie bei Leibe kein bloß kosmetisches Moment — müssen rühmend 
anerkannt werden, auch die Anknüpfung aller Besonderheiten an allgemeinere 
biologische, pathologische und philosophische Gesichtspunkte. 

Der Autor, der in den allgemeinen Beobachtungen am meisten zu Worte 
kommt, ist Rosenbach, den Verf. als Bahnbrecher verehrt, und dessen An¬ 
schauungen auf sein Denken von maßgebendem Einfluß waren; wir sehen überall 
in dem Buche Ansichten dieses zwar weitblickenden und ideenreichen, aber doch etwas 
kühn und schnell über das Verifizierbare sich zum Allgemeinsten erhebenden Kopfes 
eingestreut. Neben Binsenwahrheiten, für die wir wahrhaftig Rosenbach nicht 


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brauchten, findet sich manche kluge Bemerkung desselben — aber im Ganzen hat 
Ref. nicht die Überzeugung gewonnen, daß dieser Nicht-Psychiater uns Psychiatern 
so Wesentliches zu sagen hatte, daß ihm ein so großer Raum in einem Lehr¬ 
buche der Psychiatrie gebührte. Stellenweise ist sogar auf seinen Einfluß Irriges 
zurückzuführen, so wenn Verf. auf seine Autorität hin erklärt, daß es sich bei 
der Mehrzahl der Hypochonder um eine Unzulänglichkeit der Urteils- und Schlu߬ 
bildung, eine „falsche Analogie“ handele; eine, wie dem Ref. scheint, trotz der 
in Klammern beigefügten Milderung („unter dem Einfluß starker Gefühlsbetonung 
einzelner Vorstellungsreihen zustande gekommener“) doch das intellektuelle Moment 
ganz ungebührlich in den Vordergrund stellende Auffassung. 

Oder wenn Verf., bestochen durch Rosenbach, der Lues als ätiologischem 
Faktor bei Tabes und Paralyse eine nennenswerte Bedeutung nicht zuschreiben 
will, außer der Anlage den „sozialen Faktor“ verantwortlich macht, und dies auf 
die angebliche Affinität der Paralyse zu den höheren Ständen stützt — nach 
den Erfahrungen, die man an jeder großen Irrenanstalt machen kann, zweifellos 
eine Fabel. 

Daß Verf. in dem Umstand, daß bei den Frauen gerade die niederen Stände 
stärker an der Paralyse beteiligt sind, nicht gerade einen Hinweis auf die luische 
Ätiologie erkennt, ist erstaunlich. 

In dem allgemeinen Teil sind die Symptome der Geistesstörungen in „distink¬ 
tive, affektive, appetitive Insuffizienz“ gegliedert. Unter diesen Bezeichnungen 
treten uns die bekannten Störungen des Vorstellens, Fühlens und Wollens ent¬ 
gegen. Entschlußunfähigkeit und Unstätheit finden wir als „resolutorische und 
perseverntorische“ Insuffizienz wieder. 

Während so Rosenbach übermäßig in den Vordergrund gestellt ist, ist im 
übrigen die neuere Literatur recht ungleich und lückenhaft verwertet. Wernickes 
Lehre wird z. B. ganz ignoriert. Auch mancher Autor unseres österreichischen 
Nachbarlandes hätte Berücksichtigung verdient. 

Die Bemerkungen über die pathologische Anatomie der Paralyse entsprechen 
nicht dem Stande unseres Wissens im Jahre 1907 (Plasmazellen usw.). 

In dem beigegebenen forensischen Teil scheinen mir die Ausführungen über 
Zurechnungsfähigkeit und Willensfreiheit trotz Zitierung von Windelbands schönem 
Buche, obgleich oder vielleicht weil Kant und Rosenbach herangezogen werden, 
nicht recht miteinander und dem schließlichen Ergebnis ausgeglichen und geklärt zu 
sein. Die Willensfreiheit muß man entweder ganz einfach, nur dem praktischen 
Bedürfnisse Rechnung tragend erörtern, oder, wenn man schon die schwierigsten 
Fragen der Philosophie, Kants Lehre, die „intelligible Freiheit“, das Trans¬ 
zendente, hineinzieht, sich nicht auf einige, dem Uneingeweihten schwer verständ¬ 
liche Zitate beschränken. 

Soviel über Einzelheiten. Wohltuend* durchzieht das ganze Buch ein über 
die engsten psychiatrischen Fachfragen hinaus auf die großen Zusammenhänge mit 
• Leben und Krankheit überhaupt gerichtetes Interesse. 

2) Geisteskrankheiten, von G. Ilberg. (Aus Natur und Geisteswelt. CLI. 

Leipzig 1907, B. G. Teubner. 152 S.) Ref.: Kurt Mendel. 

Ein klar und gemeinverständlich geschriebenes Büchlein, in welchem die 
häufigsten der in Irrenanstalten vorkommenden psychischen Krankheiten abgehandelt 
werden, insbesondere die Melancholie, die Dementia praecox, Paranoia, progressive 
Paralyse und senile Demenz. 

In den beiden ersten Kapiteln berichtet Verf. über das Wesen der Geistes¬ 
krankheiten und die allgemeinen Zeichen geistiger Erkrankungen. Er folgt in 
seinen Ausführungen im großen ganzen der Einteilung und den Anschauungen 
Kraepelins. 


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IV. Aus den Gesellschaften. 


Gesellschaft der Neurologen and PByohiater in Kasan. 

Sitzung vom 12. April 1907. 


Herr Darkschewitsch: Zur Kasuistik der Perversität des Gesohleohts- 
trlebes. I. Der Kranke N., 41 Jahre alt, unverheiratet, von einer intelligenten 
Profession, vollzog nie normalen Koitus. Stammt aus einer gesunden Familie. Dege¬ 
neration konnte nicht konstatiert werden. Eine ganze Reihe sehr verschiedener 
Klagen neurasthenischer Art ist vorhanden. Geschlechtstrieb zu Frauen wurde 
nie empfunden; im Gegenteil, schöne Gesichter der Knaben und Jünglinge erregten 
immer seine Aufmerksamkeit. In den Nächten hatte er Träume erotischen Inhaltes, 
wobei das Objekt seiner Wünsche gewöhnlich Bilder männlichen Geschlechtes 
waren. Der Kranke selbst beurteilte seine Neigungen immer höchst kritisch, hielt 
sie für anormal, unmoralisch und fand in sich lange Zeit genügende Kräfte, um 
sich von irgendwelchen aktiven Schritten zurückzuhalten. In den letzten 6 Jahren 
aber fangen die Kräfte an ihm zu versagen und er wird immer öfter gezwungen, 
auf reale Art sehr verzwickte Pläne in Ausführung zu bringen, die ihm die 
Möglichkeit geben, eine ganze Reihe von Empfindungen zu haben, die ihn in 
sexueller Beziehung befriedigen. Der Kranke meidet die Bekannten seines 
Kreises und sucht unter verschiedenen Vorwänden nahe Beziehungen zu Schul¬ 
knaben zu unterhalten. Unter seinen Bekannten fand sich immer jemand, der 
seine Aufmerksamkeit besonders erregte, deshalb veranstaltet er bei sioh Ver¬ 
sammlungen, die gewöhnlich in Spielen und allgemeinen Lustbarkeiten bestanden. 
Alsdann zieht Pat. denjenigen an sich, der seine Aufmerksamkeit erweckt hat, 
setzt ihn auf den Schofi und nötigt ihn, ihm in den Mund zu speien, den er 
offen hält Während dieser Prozedur empfindet Pat den höchsten Grad sexueller 
Erregung, die gewöhnlich durch Ejaculatio endet. Wenn die Verhältnisse sich 
so gestalteten, daß Pat. einem erwachsenen jungen Mann begegnete, den er über¬ 
reden konnte seine krankhafte Neigung zu befriedigen, so unterließ Patient auf 
einige Zeit die Versammlungen der Schulkinder und gab sioh vollständig dem 
Verkehr mit dem neuen Bekannten hin, wobei der Charakter der Befriedigung 
immer derselbe bleibt, namentlich das Speien in den Mund. 

II. Der Kranke B., 27 Jahr alt, unverheiratet, von intelligenter Profession. Kein 
Hinweis auf pathologische Heredität. In der Kindheit war er schwach und kränk¬ 
lich. Masturbation praktizierte er nicht. Im Alter von 16 bis 17 Jahren stellt 
sich eine eigentümliche Äußerung der sexuellen Neigung ein. Jedesmal, wenn 
der Zufall ihn zum Zeugen einer Schlägerei macht, fesselt letztere seine be¬ 
sondere Aufmerksamkeit. Er beobachtete mit gleichem Interesse einen Kampf 
nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Tieren, wie Hunden, Hähnen. 
Während Bich vor ihm das Bild der Schlägerei immer mehr entwickelte, fühlte 
er immer stärker eine besondere Art von Genuß, bis endlich der Schlußakt seines 
eigentümlichen Zustandes — Ejaculatio — eintrat. Ein Umstand verdient be- * 
sondere Aufmerksamkeit: jedesmal wenn die Schlägerei einen ernsten Charakter 
annahm und irgend eine Gefahr für die an der Schlägerei Teilnehmenden bot, be¬ 
sonders wenn einer der Kämpfer sich mit Blut bedeckte, verschwand allmählich 
bei dem Pat. die Empfindung der Annehmlichkeit, die oft einer entgegengesetzten 
Empfindung, dem Gefühl des Abscheues, Platz machte; in diesen Fällen gab sich 
der Kranke die größte Mühe, um alles, was er eben sah, schneller zu vergessen. 
Wenn Pat. selbst am Kampf teilnahm, fühlte er nie die eigentümliche sexuelle 
Empfindung. Bei an Kindern verübten Leibesstrafen, wie auch Züchtigungen von 
Tieren, wie z. B. Hunden, hatte Pat. eher unangenehme Empfindungen, die an 
das Gefühl des Abscheues grenzten. Die letzten Jahre hat Pat. normalen Koitus, 
pur sehr unregelmäßig, wobei die Zahl der Koitus während einer Nacht manchmal 


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bis acht erreichte. Vortr. hat konstatiert, daß männliche Schönheit anf seinen 
Pat» keinen Eindruck machte; er machte nie Versuch mit Männern. Pollutionen, 
die während des Schlafes willkürlich Vorkommen, werden häufig von Traumbildern 
begleitet, in denen Bilder von Kämpfen zwischen Mensohen oder Tieren den 
Mittelpunkt bilden. 

Herr Perwuschin demonstriert einen Kranken, der an Spondylitis tuber- 
oolosa litt. K., Buchdrucker, 46 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos. Sein 
Vater war Potator, starb am Schlage, die Mutter starb an galoppierender Schwind» 
sucht. Als 14 jähriger Knabe litt Pat. an Brustschmerzen und Husten. Mit 
16 Jahren Potatorium; an Lues litt er nicht. Im Jahre 1898 Trauma des Kückens 
ohne sichtbare Folgen. 1902 bis 1904 waren drei Krampfanfälle. Im Dezember 
1903 Schmerzen im Kücken, Gürtelempfindungen, Gefühl von Schwere in den 
Füßen und Schwellungen derselben. In dem unteren Brustteil der Wirbel» 
Säule entstand eine Beule. Die Parese der unteren Extremitäten verstärkte sich 
allmählich, besonders in der rechten. Im Juli 1904, nach einer Erkältung und 
einem ermüdenden Wege, verschlimmerte sich plötzlich die Parese der unteren 
Extremitäten, es entstand eine Ketentio urinae und nach einigen Tagen Paraplegia 
inf. compl. In der Nervenklinik war der Kranke vom 3. September 1904 biB 
zum 30. April 1905. Stat praes.: Paraplegia inf. completa, retentio et incon* 
tinentia urinae und sexuelle Störungen, hei Nichtvorhandensein der Patellar- und 
Achillessehnenreflexe, schwacher Fußsohlenreflex. Störungen der Sensibilität der 
unteren Extremitäten und des unteren Körperteiles, vom Nabel abwärts. Starke 
Schwellungen und leichte Muskelatrophie in den unteren Extremitäten. Decubitus. 
Cystitis. Allgemeine Schwäche. Ausgesprochene schmerzlose Kyphosis in der Gegend 
des 9. bis 12. Brustwirbel. Die ganze Lendenwirbelsäule ist auf Druck schmerz¬ 
haft und leicht nach hinten gekrümmt. Während der Kranke in der Klinik war, 
wurde konstatiert: Temperaturschwankung im Zusammenhang mit der Cystitis, 
Verschärfung des spondylitischen Prozesses, unbedeutende Bewegungen der Finger, 
geringe Zuckungen der Muskeln der unteren Extremitäten und Schmerzen der 
Wirbelsäule; es kehrten die Patellar- und Achillessehnenreflexe wieder und 
wurden sogar allmählich lebhaft Babinski-Reflex. Allmähliche Entwicklung 
der spastischen Erscheinungen in den unteren Extremitäten in hohem Grade. 
Besserung der Sensibilität in den Füßen und im Kumpfe. Eine fast vollständige 
Heilung des Decubitus. Vom Januar 1905 ab Veränderungen der Gelenke der 
unteren Extremitäten. Eine allmähliche Besserung der Bewegungen der unteren 
Extremitäten, eine Verminderung des Schmerzes in den letzteren und im Rücken, 
Besserung der Beckenstörungen und der Sensibilität 30./III. Patient sitzt im 
Korsett und geht umher, sich leicht auf zwei Krücken stützend. Die passive 
Beweglichkeit in den Gelenken der unteren Extremitäten ist beschränkt, be¬ 
sonders in der rechten. Die Wirbelsäule ist schmerzlos. Kyphosis vom 9. bis 
11. Brustwirbel. Die Wirbelsäule im Brustteil ist unbeweglich, wie zu¬ 
sammengeklebt (Spondylosis). Die aktiven Bewegungen der unteren Extremitäten 
sind genügend ausgiebig, die Kraft ist geschwächt. Die Patellar- und Achilles¬ 
sehnenreflexe sind erhöht, besonders rechts. Der Babinski-Reflex ist auf beiden 
Seiten nicht besonders stark. Die Beokenorgane sind fast normal. Die Sensi¬ 
bilität der Beine und Sohlen ist herabgesetzt. Keine Rigidität der Muskeln. 
Schwache Muskelatrophie der unteren Extremitäten bei normaler elektrischer 
Erregbarkeit. Die Schmerzen kommen selten und nicht stark vor. Die Besserung 
ging langsam, aber sicher vor sich. Vortr. kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Die 
augenscheinlichen schwerwiegenden Symptome der Erkrankung des Nervensystems 
bei Spondylitis deuten noch nicht auf die Vernichtung der Nervenelemente hin; 
diese Symptome werden durch die Kompression hervorgerufen, während der Besserung 
des Wirbelprozesses gehen sie zurück, und es können sich bei günstigen Bedingungen 


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die zerstörten Funktionen wieder hersteilen. 2. Bei vorgerücktem Alter können auch 
noch günstige Resultate erzielt werden (beim Vortr. ist es der zweite Fall). 3. Die 
Komplikationen der Paraplegie durch die Cystitis und Decubitus sind bei ent¬ 
sprechender Pflege fürs Leben jetzt nicht mehr so gefährlich. 4. Die Diagnose 
der Spondylitis muß unter Teilnahme von Spezialisten festgestellt werden. 
5. Die Therapie der Spondylitis und Paraplegie erfordert viel Geduld, Beharrlich¬ 
keit und Aufmerksamkeit. Autoreferat. 

G. Kliatschkin. 


V. Vermischtes. 

Das definitive Programm der ersten Jahresversammlung der 

Gesellschaft Deutscher Nervenärzte 

am 14. und 15. September 1907 in Dresden ist folgendes: 

Freitag, den 13. September, abends ab 8 Uhr: Zwanglose Zusammenkunft im 
Hotel Bristol. — Sonnabend, den 14. September früh 9 Uhr: Eröffnung und Begrüßung 
der Versammlung durch H. Oppenheim (Berlin). Wahl des Vorsitzenden und des Vor¬ 
standes. Definitive Festsetzung der Statuten. — Referate: Chirurgische Therapie der 
Gehirnkrankheiten mit Ausschluß der Tumoren. Ref.: F. Krause (Berlin). — Die Hirn- 
punktion. Ref.: E. Neisser (Stettin). — Chirurgische Behandlung der Rückenmarkshaut¬ 
geschwülste. Ref.: L. Bruns (Hannover). — Therapie der Erkrankungen der Cauda equina. 
lief.: R. Cassirer (Berlin). — Nachmittags-Sitzung um 3 l / 4 Uhr: Fortsetzung der Referate 
und Diskussion derselben. Vorträge: Nonne (Hamburg): Differentialdiagnose des Tumor 
cerebri. — Schüller (Wien): Schädel-Röntgenographie mit Demonstrationen. — Hart¬ 
mann (Graz): Beiträge zur Diagnostik operabler Iiirnerkrankungen. — Saenger (Ham¬ 
burg): Über Herdsymptome bei diffusen Hirnerkrankungen. — A. Pick (Prag): Thema 
Vorbehalten. — v. Eiseisberg (Wien) und v. Frankl-Hoch wart (Wien): Über opera¬ 
tive Behandlung der Hypophysistumoren. 

Sonntag, den 15. September, 9 1 /« Uhr: Aschaffenburg (Köln): Die Bedeutung der 
Angst für das Zustandekommen der Zwangsvorstellungen. — Kühne (Kottbus): Die kon¬ 
tinuierliche Bezold-Edelmannsrhe Tonreihe als Untersuchungsmethode für den Nervenarzt. 

— L. ß. Müller (Augsburg): Über die Empfindungen in unseren inneren Organen. — 
Kohnstamm (Königstein) und Warnke (Berlin): Demonstrationen zur physiologischen 
Anatomie der Medulla oblongata. — Oppenheim (Berlin): Allgemeines und Spezielles 
zur Prognose der Nervenkrankheiten. — Veraguth (Zürich): Die Bedeutung des psycho- 
galvanischen Reflexphänomens. — E. Müller (Breslau) a. G.: Über die Symptomatologie 
der multiplen Sklerose. — K. Reicher (Wien) a. G.: Kinematographie in "der Neurologie. 

— Pfeifer (Halle) a G.: Cysticercus cerebri mit dem kliuischen Bilde einer kortikalen 
sensorischen Aphasie, durch Hirnpunktion diagnostiziert. — E. Schwarz (Riga): a) Über 
akute Ataxie, d) Über die segraentale Versorgung des M. rectus abdominis. — Fried¬ 
länder (Oberursel): Sexualität und Neurosen nebst therapeutischen Bemerkungen. — 
A. Schanz (Dresden): Demonstration chirurgisch-orthopädisch behandelter Lähmungen. — 
Mingazzini (Rom): Über einen Fall von transcentraler sensorischer Aphasie.— Schuster 
(Berlin): Über die antisyphilitische Behandlung in der Anamnese der an metasyphilitischen 
und syphilitischen Nervenkrankheiten Leidenden. — Wanke (Friedrichroda): Die Heilung 
der Neurasthenie, ein ärztlich-pädagogisches Problem. — Erben (Wien): Beobachtungen 
bei ataktischen Tabikern. — Laudenheimer (Alsbach): Über Korsakowsche Psychose in 
der Schwangerschaft. — t Flatau (Berlin): Über das Fehlen des Achillessehnenphänomens. 
—- Osann (Hannover): Über den Bechterew-Mendelscheu Fußrückenreflex. — Die Sitzungen 
finden im großen Hörsaal der Neuen Kunstgewerbeschule Eliasstr. 34 statt. 


Für die 79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Amte in Dresden 
vom 15. bis 21. September 1907 sind folgende den Neurologen und Psychiater interessierende 

Vorträge angemeldet: 

Abteilung: Neurologie und Psychiatrie. 

Anton (Halle a/S.): Über geistigen Infantilismus. — Betbe (Straßburg) und Spitzy 
(Graz): Über Nervenregeneration und Heilung durchschnittener Nerven. — Bum (Wien): 
Perineurale Infiltrationstherapie der Ischias. — Dollken (Leipzig): Die ersten Bahnen im 
Großhirn. — Fischer (Prag): Über den fleckweisen Markfaserschwund in der Hirnrinde bei 
progressiver Paralyse. — Grabley (Kurhaus Woltersdorfer Schleuse): Die therapeutische 
Bedeutung der Luftbäder bei der Behandlung der Neurasthenie, Anämie und Chlorose. — 
Haenel (Dresden): Über eine typische Form der tabischen Gehstörung. — Hirsch (Nieder 
walluf, /Rhemgau): lÜber die Bedeutung turnerischer Übungen im Luftbade, insbesondere für 

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Nervenheilanstalten. — Hirschei (Wien): Über cerebrogenen Diabetes. — Hoppe (Ucht- 
springe, Altmark): Die Bedeutung der Stoffwechseluntersuchungen für Geistes- und Nerven¬ 
kranke. — Kaluiann (Graz): Zur Physiologie und Pathologie der Wasserdampfabgabe durch 
die Haut. — Kroufeld (Wien): Zur Geschichte der Epilepsiebehandlung (mit Ausschluß der 
jetzt üblichen Verfahren). — Liepmann (Berlin): Über die Wahnricbtuugen, insbesondere 
Größen- und Kleinheitswahn. — Mayr (Graz): Über das Verhalten der Lab- uud Pepsin¬ 
sekretion und deren Bedeutung in der Symptomatik einzelner Gehirnkrankheiten. — Mat- 
tauschek (Wien): Über einige Rasseneigentümlichkeitei) der Wehrpflichtigen Bosniens und 
der Herzegowina. — Niessl (Osnabrück): Über die Lokalisation der optischen Erinnerungs¬ 
bilder. — Quensel (Leipzig): Beiträge zur Aphasielehrc. — Reicher (Berlin): Kinemato¬ 
graphie in der Neurologie. — Roh de (Königsbrunn): Gegenwartsfragen und Zukunftsauf- 

E aben im Hinblick auf die Behandlung Nervenkranker in offenen Heilstätten. — Derselbe: 

>as Vererbungsproblem in der Neuro- und Psychopathologie. — Roth mann (Berlin): Zur 
Funktion des hinteren Vierhügels. — Schröder: Hirnrinden Veränderungen bei arterio¬ 
sklerotischer Demenz (mit Demonstration). — Schulze (Sorau): Über den Einfluß der 
Psychiatrie auf die moderne Weltanschauung. — Stadelmaun (Dresden): Erlebnis und 
Psychose. — Stern (Wien): Gegenwärtige Endziele aller bewußten Menschenarbeit. — 
Stransky (Wien): Zur Methode der Intelligenzprüfung. — Trömner (Hamburg): Indi¬ 
kationen der Hypnotherapie. — Ziehen (Berlin): Thema Vorbehalten. 

Allgemeine Versammlungen: 

Hoche (Freiburg): Moderne Analyse psychischer Erscheinungen. — O. zur Strassen 
(Leipzig): Die neuere Tierpsychologie. 

Abteilung: Anthropologie, Ethnologie und Prähistorie. 

Richelmann (Lauban): Das Fühlen und Denken der Neger (ein Beitrag zur Psycho¬ 
logie der Schwarzen). 

Abteilung: Anatomie, Physiologie, Histologie und Embryologie. 

Stieda (Königsberg i/Pr.): Gehirn eines Sprachkundigen. 

Abteilung: Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Chiari (Straßburg): Über die Genese der Amyloidkörperchen des Centralnervensystems. 
— Dürck (München): Über die feineren histologischen Veränderungen besonders des Nerven¬ 
systems bei Beri-Beri. — Koch (Elberfeld): Spirochätenbefuud bei cavernöser Lungensyphilis 
uud Pachymeningitis interna haemorhagica productiva. — Mühlmann (Balachany): Das 
Wesen der Nissl sehen Körper. 

Abteilung: Innere Medizin, Pharmakologie, Balneologie und Hydrotherapie. 
Ziemssen (Wiesbaden): Heilung der Ischias. 

Abteilung: Chirurgie. 

Axenfeld (Freiburg): Exstirpation des Halssympathicus bei Glaukom. — Bade (Han¬ 
nover): Die Indikation zu Sehnenoperationen bei spinalen und cerebralen Lähmungen. — 
Radmann (Laurahütte, Oberschi.): Chirurgische Behandlung bei epidemischer Genickstarre. 

Abteilung: Kinderheilkunde. 

Escherich (Wien): Zur Diagnose des tetanoiden Zustandes im Kindesalter. — Zappert 
(Wien): Der Hirntuberkel im Kindesalter. 

Abteilung: Augenheilkunde. 

Bach (Marburg) und Bumke (Freiburg i/B.): Die Pathologie der Pupille. — Biel- 
schow8ki und Steinert (Leipzig): Die Bedeutung der Störungen im okulomotorischen 
Apparat für die Lokalisation cerebraler Herderkraukuugen. — Uhtlioff (Breslau): Augen- 
symptome bei Hirnsinusthrombose. — Franz Becker (Düsseldorf): Zur Frage der Amblyopia 
ex Anop8ia. — Bondi (Iglau): Augenbefunde bei Geisteskranken. — Schmidt-Rimpler 
(Halle a/S.): Über Sehnervenatrophie mit Drucksteigerung. 

Abteilung: Hals- und Nasenkrankheiten. 

Imhofer (Prag): Musikalisches Gehör bei Schwachsinnigen. 

Abteilung: Ohrenheilkunde. 

Alexander (Wien): Das Gehörorgan der Kretinen. 

Abteilung: Dermatologie und Syphilidologie. 

Galewsky (Dresden): 4 Fälle von Tabes in den ersten Jahren nach der Infektion. 
Abteilung: Militärsanitätswesen. 

Steinhausen (Danzig): Atypische Hitzschlagformen. — Mann (Krakau): Hysterie 
des Soldaten. — Naether (Leipzig): Praktischen Erfahrungen entstammende Winke für die 
militärärztliche Sachverständigentätigkeit vor den Militärgerichten. 

Abteilung: Gerichtliche Medizin. 

Zangger (Zürich) nnd Schwabe (Saarbrücken): Tod im Bergwerk vom gerichtlich- 
psychiatrischen Standpunkt. — Fritz Strassmann (Berlin): Farailiemnord in gerichtlich¬ 
psychiatrischer Beziehung. — Leere (Berlin): Exhibitionismus. 

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Abteilung: Hygiene and Bakteriologie. 
Wagner-Hohenlobbese (Dresden): Physiologie and Psychologie der Leibesübungen 
und ihre Anwendungen auf das Tarnen. 


VI. Mitteilung an den Herausgeber. 

Sehr geehrter Herr Kollege! In einem jetzt ausführlich erschienenen Vor¬ 
träge (vgl. Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIV. S. 380), den Befund eines Falles um¬ 
schriebener Hirnatrophie betreffend, legt Herr Kollege Reich das Hauptgewicht 
anf den Nachweis, daß die Flechsigschen Assoziationscentren der linken Hemi¬ 
sphäre von der Atrophie betroffen sind. 

Gestatten Sie darauf hinzuweisen, daß ich den gleichen Befund in einem im 
Jahre 1905 gehaltenen und später in der Monatsschrift f. Psychiatrie u. Neuro¬ 
logie veröffentlichten Vortrage mitgeteilt und in demselben Sinne verwertet habe. 
Herr Kollege Reich hat diese Publikation offenbar übersehen. A. Pick. 


Eduard Hitzig f 

Am 20. August starb in St. Blasien Eduard Hitzig. 

Am 6. Februar 1838 zu Berlin geboren, studierte er in Berlin und Würzburg 
und promovierte 1862 mit der Dissertation: „De ureae origine.“ Im Jahre 1875 folgte 
er einem Ruf nach Zürich als Prof. ord. und Direktor der dortigen Irrenanstalt, 1879 
wurde er in gleicher Eigenschaft an die Provinzial-Irrenanstalt zu Nietleben bei Halle 
berufen, 1885 zum Direktor der von ihm neu gegründeten Universitäts-psychiatrischen 
und Nervenklinik in Halle, der ersten in Preußen, ernannt 

Die Arbeiten Hitzigs umfassen die meisten Zweige der Psychiatrie und Neu¬ 
rologie. Als besonders wertvoll seien hier nur erwähnt: „Von dem Materiellen der 
Seele“ (Leipzig 1886), „Über traumatische Tabes“ (1894), „Über den Querulanten¬ 
wahnsinn“ (1895) und die Bearbeitung des Kapitels über Schwindel imNothnagel- 
schen Handbuch. 

Vor allem ist aber sein Name eng verknüpft mit der Lehre von der Hirnlokali¬ 
sation. Im Jahre 1870 begründete er sie durch die Entdeckung der elektrischen 
Erregbarkeit des Großhirns, länger als 3 Jahrzehnte widmete er alsdann sein durch 
kritische Schärfe ausgezeichnetes Studium der Erforschung der Hirnphysiologie, die 
von ihm geschaffenen ersten Grundlagen befestigend und weiter ausbauend, bis ihn 
ein tragisches Geschick, das ihn des Augenlichtes fast ganz beraubte, zwang, seine 
Untersuchungen abzubrechen. Mit berechtigtem Stolze mußte es ihn erfüllen, daß 
in den 80 Jahren, welche seinen ersten klassischen Untersuchungen folgten, die 
Wissenschaft seine Lehre in keinem wesentlichen Punkte zu erschüttern vermochte. 
So klingt denn auch stolze Entsagung aus den Worten, die er im September 1903 
niederschrieb: „Unbesiegt von meinen Gegnern, besiegt von dem allgewaltigen 
Schicksal lege ich jetzt das Messer, die Feder und das Schwert aus der Hand, in der 
Absicht sie nicht wieder aufzunehmen.“ — 

Seine Hand hatte sie gut geführt, alle drei, im Dienste der Wahrheit. Sein 
Name lebt darum fort in alle Zeiten auf dem Ruhmesbiatte, auf welchem die Neuro¬ 
logie und Psychiatrie ihren großen Heroen in Dankbarkeit huldigt 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Minen & Wiwio in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet ron Prof. *E. MendeL 

Herausgegeben 

▼on 

Dr. Kurt MendeL 

Sechsun dzwansigster_ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des ln* und Auslandes, die PoBtanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 16. September. Nr. 18. 


Inhalt I. Originalmitteilnngen. 1. Phylogenetische Verlagerungen der motorischen 
Oblongatakerne, ihre Ursache und Bedeutung, von C. U. Ariöns Kappers in Frankfurt a/M. 
2. Fall von Hypophysistumor mit Röntgen-Photogramm, von Privat-Dozent Dr. Schuster. 
8. Zur Freilegung der Hypophysis, von Dr. Ludwig Löwe. 4. Ein Fall von Hemiatrophia 
facialis progressiva mit Augennervensymptomen, von Dr. Siegfried Salomon. 

II. Referate. Anatomie. 1. Ricerche embriologiche ed anatomiche sul cervello an¬ 
teriore del pollo, per Bianchi. — Physiologie. 2. Vagus reflexes upon oesophagus and 
cardia, by Melber. 8. Etüde experimentelle de l'influence physiologique des vibrations 
möcaniques sur le systäme nerveux, par Stcherbak. 4. Comportamento di alcuni fenomeni 
riflessi dopo la sezione delle radici posteriori, per Rossi. — Psychologie. 5. Das psycho- 

g ilvanischeReflexphänomen, von Veraguth. — Pathologie des Nervensystems. 6. Über 
laseneruptionen an der Haut bei centralen Affektionen des Nervensystems, von Schlesinger. 
7. The cerebral element in the reflexes and its relation to the spinal element, by Walton 
and Paul. 8. Reflexes osseux, par NoTca et Strominger. 9. Contributions nouvelles ä l’£tude 
des reflexes osseux, par NoTca. 10. Kurze Notiz zur Kenntnis der Lidreflexe, von Levinsohn. 
11. Pupillenstudien, von Hummelsheim. 12. Lesioni spinali e riflessi pupillari, par Cavazzani. 
18. Ein Fall von einseitiger reflektorischer Pupillenstarre bei Vorhandensein der Konvergenz¬ 
reaktion infolge von peripherer Oculomotoriuslähmung nach Eindringen eines Eisensplitters 
in die Orbita, von Ohm. 14. Halswirbelfraktur und reflektorische Pupillenstarre, von Brassert. 
15. Zur prognostischen Bedeutung des Argrll-Robertson sehen Phänomens, von Pilcz. 16. Zur 
prognostischen Bedeutung des Argyll-Robertsonsehen Phänomens, von Weber. 17. Über 
ein im katatonischen Stupor beobachtetes Pupillenphänomen, sowie Bemerkungen über die 
Pupillenstarre bei Hysterie, von Westphal. 18. Di uno speciale riflesso che si osserva nella 
contrattura facciale, per Mondino. 19. Vorschlag zu einer konventionellen Fixierung des 
Kniephänomens (bzw. PatellaiTeflexes), von Pick. 20. Zur Untersuchungstechnik des Patellar- 
reflexes, von Guttmann. 21. Über ein neues Verfahren zur Untersuchung des Patellar- und 
Achillessehnenreflexes, von Feix. 22. Ein einfacher Kunstgriff zur Erzeugung des Knie- 
phänomens, von Krönig. 23. Die Methoden der Verstärkung des Kniephänomens, von Rosen- 
hach. 24. Über die Veränderungen des Kniereflexes unter dem Einfluß des Schreckes 
nach einem Schuß, von Sresnewski. 25. Über das Verhalten einiger Reflexe im Schlaf, von 
Kutner. 26. Über das temporäre Fehlen der Patellarreflexe bei der Hysterie, von Köster. 
27. Preuves anatomiqnes de la valeur du röflexe paradoxal, par Gordon. 28. De Pinfluence 
de facteurs p4riph£riques sur la genese du reOexe pathologique du gros orteil, par Bard. 
29. Neuere Untersuchungen über den dorsalen Fußrückenretiex, von Lissmann. 30. Zur 
Kenntnis des Fußrücken reflexes, von Meyer. — Psychiatrie. 31. Diagnostik und Therapie 
der psychischen und nervösen Krankheiten, von Sommer. 32. Der psychische Infantilismus. 
Eine klinisch-psychologische Studie von di Gaspero. 33. Les fugues dans les psychoses et 
los demences, par Ducostd. 34. La psychose maniaque-depressive. Les actnalites mldicales 
— les folies intermittentes, par Deoy et Camus. 35. Untersuchungen über die Ätiologie der 
Manie, der periodischen Manie und des cirkulären Irreseins nebst Besprechung einzelner 
Krankheitssymptome, von Saiz. 36. Einige plethysmographische Untersuchungen bei affek¬ 
tiven Psychosen, von Salz. 37. Zur Psychopathologie der Melancholie, von Heilbronner. 


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38. Neuralgien bei Melancholie, von Bruns. — Therapie. 39. Zur Bernhignngs- und Ein- 
schläferungstherapie, von Krllgar und v. 4. Velden. 40. Veraache fiber neuere Schlafmittel, 
von Ehrcke. 41. Proponal, von Breslsr. 42. Ober Neuronal, von. Wickel. 43. Die Behand¬ 
lung der Impotenz. Klinischer Vortrag von Filrbringer. 44. Ober die physiologischen 
Grundlagen der physikalischen Therapie (Bemerkungen zu dem Vortrage von A. Gold¬ 
scheider; vgl. Neurolog. Centralbl. 1907. S. 419), von Strasser. 45. Ein neuer elektromedi- 
zinischer Apparat, von Mann. 46. Zur Indikation der Behandlung mit Hochfreqnenzatrömen, 
von Nagelschmidt. 

III. Bibliographie. 1. Die Tetanie der Erwachsenen, von v. Frankl-Hochwart. 2. Geistes¬ 
krankheit und Geistesschwäche in Satire, Sprichwort und Humor, von MOnkemBller. 3. Studie 
Aber Minderwertigkeit von Organen, von Adler. 

IV. Aus den Gesellschaften. Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. — Medi¬ 
zinische Gesellschaft in Warachau. — Neurologisch-psychiatrische Gesellschaft in Warschau. 

V. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. Mai bis SO. Juni 1907. 

VI. Vermischtes. 


I. Originalmitteilungen. 


[Aus dem Dr. SaircKUNBBBo’schen Neurologischen Institut (Direktor: Prof. L. Edikoee).] 


1. Phylogenetische Verlagerungen der 
motorischen Oblongatakeme, ihre Ursache und Bedeutung. 

Von O. U. AriSna Kappen in Frankfurt a/H. 


Während die Lago der viscero-sensiblen und somato-sensiblen Endgebiete 
(Johnbton, Hebrick) in der Oblongata ziemlich konstant ist von den niederen 
Vertebraten bis zu den höchsten, ist diejenige, welche die motorischen Kerne 
bei den Säugern einnehmen, sehr verschieden von der ursprünglichen Lage hei 
den niederen Vertebraten. Die Ortsveränderung, welche sie im Laufe der Phylo¬ 
genese erfahren, ist interessant für die Erklärung des oft eigentümlichen Ver¬ 
laufes der intramedullären Wurzeln hei den höheren Tieren und dem Menschen. 

Das klassische Beispiel einer Verschiebung verdanken wir Koch und 
Brandib, welche die Aufmerksamkeit auf die Aufsteigung des Hypoglossuskernes 
lenkten. 

Bekanntlich entwickelt sich der Hypoglossus ans ein oder mehr motorischen, 
spino-occipitalen Nerven der Fische. Später tritt er in den Dienst der Zungeu- 
muskulatur, die, noch gering bei den Amphibien, sich erst bei den Reptilien 
kräftig entwickelt. Bei den Teleostiern entstehen die ihm entsprechenden Nerven 
aus dem oralsten Teile der ventralen Hörner (Fig. 1). Bei den Reptilien fängt 
der größte Abschnitt an, sich dorsal zu verlagern. Unter den Vögeln findet 
man nach Bbakdis bei den Hühnern noch eine mehr ventrale Lage als bei 
den übrigen Vögeln, wo, wie bei der Ente (Koch), ein beträchtlicher Teil schon 
ganz dorsal, und nur ein kleinerer Teil etwas ventral davon liegt Bei den 
Säugern ist der ganze Kern fast direkt unterhalb des Rautenbodens gelagert 
(Fig. 2). Eine ebensolche, noch etwas größere Wanderung von ventral nach 
dorsal macht der Ahduceuskero durch. 

Bei den Teleostiern (Fig. 3) und vielen Selachiern (f. Ausnahmen s. u.) 


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liegt er in dem Tentralsten Drittel der Oblongata basaler als der den Hypo- 
glossuskern repräsentierende Kern, was in Übereinstimmung ist mit seiner soma¬ 
tischen Natur, da er die Fortsetzung der ventralen Säule des Vorderhornes bildet 
und Derivate von parietalen Muskeln innerviert. 

Bei den Reptilien ist er schon mehr dorsalwärts gerückt, und zwar bei den 
Hydrosauriern (8. u.) etwas mehr als bei den übrigen Sauropsiden. Bei den 


Fig. 1. Frontalschnitt durch die Oblongata 
von Lophius piscatorins, hintere Vagus- Hypo- 
glossusregion (kombiniert). 


Fig. 2. Frontalschnitt durch die Oblongata 
des Menschen, hintere Vagus-Hypoglossus- 
region (kombiniert). 


Fig. S. Frontalschnitt durch die Oblongata 
von Gadus morrbua. Abducens-, Facialis- 
region. 


Fig. 4. Frontalschnitt durch die Oblongata 
von Pteropus edulis. Abducens-, Facialis- 
region (kombiniert). 


j. 5. Frontalschnitt durch die Mittelhirnbasis 
von Petromyzon. Oculo-motorische Kerne. 


Vögeln liegt der Kern wie bei den Säugern (Fig. 4) völlig dorsal, direkt lateral 
vom hinteren Längsbündel. Nur ein kleiner Teil des Kernes hat dort und auch 
bei den Mammaliern eine mehr ventrale Lage beibehalten (van Gehüchten, 
Lugabo, Pacetti). Auch bezüglich des Okulomotoriuskernes besitzen wir An¬ 
deutungen, daß die centrale Lage nahe dem Aquädukt, wenigstens teilweise, 
allmählich entstanden ist. Bei Petromyzon kann man zwei Okulomotoriuskerne 
unterscheiden, wovon der eine völlig basal, nabe der Wurzel austritt (Fig. 5), 
der andere nahe dem Aquädukt liegt. Bei allen anderen Fischen liegt der 
ganze Kern bereits nahe dem Aquädukt. Daraus geht hervor, daß der Okulo- 


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motoriuakern, der als somato-motorischer Kern der frontalste Best der ventralen 
VorderhomsäQle ist nnd Derivate von parietalen Muskeln innerviert, schon früh 
in der Phylogenese dorsal wärts gerückt ist 

Bei den höheren Tieren wurde diese dorsale Verlagerung auch ontogenetisch 
beobachtet (vgl. Gaseell, Carpkntkb). 

Das umgekehrte kommt auch vor, indem ursprünglich mehr medio-dorsal 
gelegene viscero-motorische Kerne bei den höheren Tieren ganz oder teilweise 
eine mehr basilaterale Stellung einnehmen. 

Der motorische VH-Kern, der bei den meisten Fischen (Fig. 3) im dorsalsten 
Drittel des Bulbus hegt, versohiebt sich im Laufe der Phylogenese nach der 
Basis hin. Im Gegensatz aber zu den schon bald stattfindenden obenerwähnten 
dorsal warte gehenden Verschiebungen, fängt diese ventrale Verlagerung erst 
viel später an. Auch bei den Reptilien und teilweise bei den Vögeln liegt der 
motorische Facialiskern noch ziemlich dorsal, erst bei den Säugern (Fig. 4) ist 
die Lage eine ganz ventrale geworden. 

Die motorischen Facialisfasern laufen von den Fischen an mit den sensiblen 
(Pars intermedia) zusammen, und da diese letzteren ihre dorsale Lage überall bei¬ 
behalten, bildet sich das bei diesen Tieren kaum angedeutete, ventral umbiegende 
Facialisknie viel mächtiger aus. Die motorischen Wurzelfasern des Facialis 
nehmen den bekannten aufsteigenden Verlauf von ventrolateral nach dorsomedial. 

Weil nun der Abducenskem ursprünglich mehr basal lag und gewiser¬ 
maßen überbrückt wurde von der austretenden Facialiswurzel (vgl. Fig. 3), bleibt 
dieses Verhalten bestehen: der Abducenskem liegt im Knie der motorischen 
Facialiswurzel. 

Wir finden in dieser Region also zwei Prozesse: 1. das Aufsteigen des 
ursprünglich basalen somato-motorischen Abducenskernes, 2. das Herabsinken des 
ursprünglich dorso-medialen viscero-motorischen Facialiskemes. 1 

Diese basale Verlagerang von ursprünglich dorsal situierten viscero-motorischen 
Nervenkeraen finden wir auch bei dem Vaguskomplex. 

Bei den Fischen, Teleostiern, Ganoiden, Selachiem liegt der kleinzellige 
Teil des motorischen Vaguskernes bis an den sensiblen Kern heran. Der große 
motorische Kern mit multipolaren Zellen liegt ebenfalls im dorsalsten Viertel 
der Oblongata (Fig. 1). Bei den Reptilien und Vögeln liegt der letztere Kern 
etwas mehr basal, jedoch noch viel dorsaler als bei den Säugern (vgl. Brande), 
wo der Nucleus ambiguus stark basalwärts verschoben ist (Fig. 2). Die austretenden 
Fasern desselben haben, gerade wie diejenigen des motorischen Facialis, ihren 
phylogenetisch älteren Verlauf beibehalten und bilden auch eine knieförmige 
Biegung, ziehen erst nach oben medial bis nahe dem feineren dorsalen moto¬ 
rischen Kern und dann nach außen. 1 

Man findet somit während der Phylogenese in der Oblongata einen Prozeß, 
welcher darin besteht, daß verschiedene ursprünglich basal gelagerte Kerne der 


1 Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein geringer, kleinzelliger Teil desselben die mehr 
dorsale Lage beibehält (s. S. 6). 

* Ontogenetisch liegen diesbezüglich einige Beobachtangen von His vor (vgl. Ziihss) 


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ventralen motorischen Säule sich nach oben und medialwärts verlagern, während 
einige ursprünglich doreo-mediale Kerne des viscero - motorischen Systems sich 
nach unten nnd etwas lateralwärts verschieben. Für die ersten zeigt in einem 
Falle (Abdncens) ein ventral gebliebener Kernrest, für die letzten der Verlauf 
der Wurzelfasem auch später noch die ältere Lage nnd den Weg der Ver¬ 
lagerung an. 

Die Frage ist nun: Welche sind die Ursachen dieser so auffallenden „Quadrille 
deB noyaux“? 

Vielleicht sind es die Verbindungen, welche die Kerne im Laufe der Phylo¬ 
genese eingehen. 

Für die Absteigung des ursprünglich medio-dorsalen motorischen VII 1 und 
Vaguskeme8 dürfte die Ausbildung der Pyramide die größte Bolle spielen. 
Hierfür spricht auch, daß die völlig ventrale Verlagerung erst stattfindet 
bei denjenigen Tieren, welche eine kortiko-bulbäre Bahn besitzen, und daß die 
ventrale Verlagerung zuerst und im stärksten Maße den motorischen Facialis- 
kern trifft, was auch in Übereinstimmung ist mit dem Faktum, daß die kortiko- 
bulbäre Bahn für den motorischen VH. Kern sich schon früh bildet (Fleder¬ 
maus). 

Was den Nucleus ambiguus anbelangt, so wäre der angegebene Grund der 
phylogenetischen Verlagerung auch in Übereinstimmung mit der noch neulich 
von Kohkstamm und Wolfstein, van Gehuchten gegenüber verteidigte Lehre, 
daß dieser Kern die Kehlkopf- und Schlundmuskulatur versorgt, welche sicher 
unter stärkerem kortikalem Einfluß steht (Produktion von Lauten, sprechen) als 
der in dorso-medialer Lage beharrende Lungen- und Herzkern. 

Das Aufsteigen der Augenmuskelkeme erklärt sich leicht nach demselben 
Prinzip. Wir wissen, daß die Zufuhr von „direkten“ kortikalen Impulsen zu 
den Okulomotoriuskernen, eine Okulomotoriuspyramide sogar bei den höheren 
Säugern noch sehr problematisch ist (van Gehuohtbn). Dagegen werden die 
Augenmuskelkerne in erster Stelle reflektorisch beeinflußt Bei den niederen, 
wahrscheinlich auch bei den höheren Vertebraten kommt der Haupteinfluß von 
dem Tectum opticum und namentlich nach der Darstellung von Ettobe Levi 
dürfen wir wohl nicht mehr daran zweifeln, daß das medio-dorsal gelegene prä¬ 
dorsale Bündel und seine Homologa bei niederen Vertebraten den Weg da¬ 
für bildet 

Daß das Bedürfnis zum Anschluß an dem prädorsalen Bündel, sowie an dem 
koordinatorisohen System des dorsalen Längsbündels wirklich der Grund dieser 
Verlagerung ist, dafür spricht, daß die dorso-mediale Verlagerung der ver- 


1 Der Kern sacht oSenbar Anschluß an der Region woron er Impulse empfängt: das 
Tegmentam ventrale bulbi, welches bei den niederen Tieren hauptsächlich von den tekto- 
halberen Bahnen inflaenziert wird. Bei den meisten Fischen sind seine Zellen mittels sehr 
langer Dendriten mit diesem Gebiet verbanden, aber bei einigen Teleostiern (Lophias) and 
Vögeln hat offenbar schon diese Bahn eine genügende „anziehende“ Kraft, am einen Teil 
des Kernes ventral za verlagern. Derselbe Faktor ist nun bei den Sängern darch die 
Pynunidenbahnen viel erheblicher. 


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schiedenen Augenmuskelkerne so früh in der Phylogenese stattfindet Der Oculo- 
motorius ist bei weitem der wichtigste Nerv für die Augenbewegungen, sowie 
auch für den Empfang der reflektorischen und koordinatorisohen Impulse. Hier- 
mit ist in Übereinstimmung, daß der Oculomotorius (und Trochlearis) eher medior 
dorsal wir t8 rückt als der Abducens. 

Innerhalb der Fische ist der Ahducenskem aber am meisten dorsal bei den 
Selachiera und sogar bei den Notidaniden, mit Ausnahme von wenigen Zellen, 
völlig neben, ja innerhalb der äußeren Seite des hinteren Längsbündels gelagert 
Nun sind die Selachier durch die mächtige Entwicklung ihres Koordinations¬ 
systems ausgezeichnet was in Verbindung steht mit ihrem starken Schwimmver¬ 
mögen und rasdien Bewegungen (Edinqbb), die eine ausgezeichnete Koordination 
aller Kerne, auch der Augenmuskelkerne beansprucht Die dem Fasdculus km- 
gitudinalis posterior so eng angeschlossene Lage der Kerne bei Hexanchos z. B. 
bestätigt diese Ansicht (ebenso unter den Reptilien beim Alligator). 

Schwieriger gestaltet sich die Erklärung der Verlagerung des Hypoglossns- 
kernes, namentlich wenn man diesen Kern in seinen Funktionen und Ver¬ 
bindungen mit dem Nucleus ambiguus vergleicht Auf den ersten Blick läßt 
sich nicht einsehen, weshalb der letzte sich wohl ventral verlagern sollte, während 
der ursprünglich etwas ventraler gelagerte Hypoglossuskern sogar dorsal wärts 
aufsteigt. 

Anatomisch jedoch wissen wir sioher, daß der Hypoglossuskern Fasern der 
kortiko-bulbären Bahn empfängt und physiologisch als Schluck- (und beim 
Mensohen als Sprech-)kern kommt ihm auch dieselbe kortikale Kontrolle gerade 
so gut zu wie dem Nucleus ambiguus. Die Zunge hat aber bei höheren 
Vertebraten noch eine andere Bedeutung. Sie ist der Träger der weitaus wich¬ 
tigsten Gesohmaoksorgane und wird als solcher teilweise von dem sensiblen, d. h. 
meist dorsalen VIL und IX. Kern innerviert Nun scheint es mir wahrschein¬ 
lich, daß die dorsale Verlagerung des Hypogloesuskernes beeinflußt ist durch 
die Assoziation der sensiblen Geschmacksreize mit ihren motorischen Equivalenten. 

Eine Verbindung zwischen den sensiblen dorsalsten VIL, IX. und X. Kernen 
und der grauen Substanz nahe des Hypoglossus wurde von Mabbuxg, Kohk- 
btaxm und Wolfstkin (Fibrae transsolitariae) gefunden und auch von Koch 
wahrscheinlich geachtet Auoh spricht hierfür, daß die dorsale Verlagerung des 
Hypoglossus erst anfängt bei den Tieren, die eine gut ausgebildete Zunge haben 
und davon zum Prüfen und Fangen der Nahrung Gebrauch machen (Schlangen, 
Chamaeleonidae). 

Bei den Fischen besteht keine muskulöse Zunge. Die frontalsten spino- 
occipitalen-motorischen Nerven innervieren ein Gebiet, welches dort nicht oder 
wenigstens nicht allgemein mit Geschmacksknospen bekleidet ist Jedenfalls 
besteht dort nicht die starke explorative Bewegungsfähigkeit dieser Teile, wie 
sie die Zunge vieler höherer Vertebraten hat 

Die dorsale Verlagerung des Hypoglossuskernes hat sich vollzogen, bevor 
die Hypoglossuspyramide sich bildete. Hiermit ist auoh der eigentümliche Ver¬ 
lauf der Hypoglossuspyramide bei den Säugern in Übereinstimmung. Diese 


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spaltet sich doch bereits am hinteren Brückenrande von der Gesamtpyramide 
ab and verläuft dann allmählich schräg nach oben zu ihrem Endpunkte; 

Hätte die Pyramide sich in Verbindung gesetzt mit dem Hypoglossuskern, 
bevor derselbe eine bedeutende dorsale Verlagerung erfahren hätte, so wäre dies 
höchstwahrscheinlich sichtbar gewesen in dem Verlauf der Pyramide. Sie wäre 
dann vermutlich ventral gelaufen bis zum Niveau des Hypoglossus und erst 
dann nach oben aufgestiegen. 

So läßt sich für die eigentümliche „Quadrille des noyaux“ eine ungezwungene 
Erklärung geben, die mit allen bekannten Tatsachen in Einklang ist und da¬ 
durch sogar bestätigt wird. 

An dieser Verlagerung nehmen keinen Teil diejenigen Kerne oder Teile 
von Kernen, die von Anfang an eine Lage hatten, welche für sie in Verbindung 
mit den sie ursprünglich und später beherrschenden Bahnen die meist geeignete 
war, das sind die hauptsächlich reflektorisch oder indirekt reflektorisch wirksamen 
Kerne der Herztätigkeit und Atmung, die ihre Lage nahe den sensiblen Centren 
der betreffenden Organe beibehalten (dorsaler Vaguskern). 

Hierzu dürfte auoh der obere salivatorische Kern Kohnstamh’s gehören, 
der mehr in der Nähe des Geschmackskernes bleibt 1 

Bis jetzt ist nicht die Rede gewesen von den motorischen Trigeminuskernen. 
Weil ihre Verhältnisse etwas anders sind, will ich sie besonders behandeln. 

Der Quintus hat bei allen Tieren mindestens zwei motorische Kerne, einen 
in der Oblongata, einen im Mittelhirn. 

Bei Petromyzon liegt der Oblongatakern direkt unter dem Ventrikelependym, 
bei den Ganoiden nur wenig davon entfernt. Bei den Selachiern und Teleostiern 
ist er zwar etwas mehr nach unten gerückt, aber liegt 'doch noch immer in der 
oberen Hälfte, meist in dem oberen Drittel der Oblongata. 

Im Gegensatz zum VIL, IX. und X. Kern hat der V. Kern diese Lage 
beibebalten, obschon er später auch mit der Pyramide in Verbindung tritt 

Es ist bekannt daß der Oblongatakern in hohem Maße reflektorisch beein¬ 
flußt wird von Fasern, die aus dem Tectum optioum absteigen und sich ganz 
oder sich mittels Kollateralen um den Kern aufsplittern (Pbobst: Säuger). Diese 
reflektorische Trigeminusbahn ist phylogenetisch eine sehr alte. Sie wurde von 
Bbanbis bei den Vögeln gesehen. 

Die Lage des mesencephalischen Quintuakeraea ist entwioklungsgeschichtlich 
eine primäre, da dieser Kern zweifelsohne dem Augennervemnetamer des Kopfes 


1 Weshalb ein Teil des Abdneenskernes in seiner ventralen Lage beharrt, läßt sieh 
nicht sicher sagen. Es gibt bei den Teleostiern ein Bandelchen, welches sieh von der 
latero basalen angekreuzten, tecto-bulbären Bahn abspaltet und sich in direkter Nähe des 
Abdneenskernes verliert. Eine laterale nngekreazte, tectobulbäre Bahn ist bekanntlich anch 
bei den Sängern anwesend. Teilweise endet es in derselben Region als bei den Fischen. 
Es könnte sein, daß die Persistenz dieser Bahn Einfluß gehabt hat auf dem Verharren eines 
Teiles des Abdneenskernes in seiner ursprünglichen Lage. Daß die Wurzelfasern dieses 
Kernes, anstatt den direkten Austritt beizubehalten, sich erst nach oben zum übrigen Teil 
des Kernes begeben, wäre vielleicht durch den mechanischen Einflaß der Verschiebung des 
letzteren zu erklären. 

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angehört (vgL auch Gaskell). Bekanntlich gehört ein Teil des sensibeln Tri¬ 
geminus (Bamos ophthalmious profandos) diesem Metamer zu (tan Wyhe, Hoct- 
mann, Giolio-To8) als dorsale Wurzel. Die dorsalen Wurzeln (lateralen im 
Sinne Gobkell’s) aber sind ursprünglich gemisoht sensibel und motorisch. Dieser 
Zustand scheint bei den höheren Tieren bewahrt geblieben für die Hirnnerven V, 
VII, IX, X, die bekanntlich gemischt austreten. Gerade so gut nun wie dem 
sensibeln Oblongata-Trigeminus ein motorischer Teil zukommt, kann man auch 
erwarten, daß der Ramus ophthalmious profundus einen solchen besitzt, und 
dies ist eben die Wurzel, welche im Mittelhirnkem ihren Ursprung nimmt. 

Literatur. 

Koch, Untersuchungen über den Ursprung and die Verbindungen des N. bypoglossus 
in der Mednlla oblongata. Archiv f. mikroskop. Anatomie. XXXI. 1888. — Boardis, 
Untersuchungen über das Gehirn der Vögel. II. Teil: Ursprung der Nerven der Medulla 
oblongata. I. Hypoglossus. Archiv f. mikroskop. Anatomie. XLI. 1892 u. Untersnehungen 
über das Gehirn der Vögel. II. Teil: Ursprung der Nerven der Medulla oblongata. 
UL Aeusticusgruppe. Ebenda. XLIII. 1894 u. Untersnehungen aber das Gehirn der 
VögeL IV. Der Ursprung der Augenmuskelnerven und des N. trigeminus. XLIV. 1895. — 
Kohhbtahm und Wolvsteih, Versuch einer physiologischen Anatomie der Vagusursprönge 
und des Kopfsympathicus. Journal f. Psychol. u. Neurol. VII. 1907. — Lxvi (Ettore), 
Contributo anatomo-comparativo alla conoscensa dei tratti tetto-bulbari. Bivista di Patologia 
nervosa e mentale. XIL 1907. Fase. 3. — tah Wthe, Über die Mesodermsegmente und 
die Entwicklung der Nerven des Selachierkopfes. Verhandelingen der Kon. Academie v. 
Welenschappen. Deel 22. Amsterdam 1882. — Hopfhahk, Weitere Untersuchungen zur 
Entwicklungsgeschichte der Reptilien. Morphol. Jahrbuch. XI.' 1896. — Giauo-Tos, Süll* 
origine embryonale del nervo trigemino dell* uomo. Anatom. Anzeiger. XXI. 1902. — 
Herricx (Jüdboh), The central gustatory paths in the Brains of Bony Rehes. Journal of 
Oomparative Neurology. XV.' 1905. — Johhstoh, The brain of Petromyzon. Journal of 
Comparative Neurology. XIL 1902 u. The nervous system of vertebrates. Philadelphia 
1906, P. Blakiston Sohn ft Comp. — Wibdbbsheim, Grundriß der vergleichenden Anatomie 
der Wirbeltiere. 6. Aufl. Jena 1906, Gustav Fischer. — Schilliro, Das Gehirn von Petro- 
myson fluviatilis. Abhandlungen der Senckenberg’sehen naturforschenden Gesellschaft in 
Frankfurt a/M. XXX. 1907. — Edihoxb, Vorlesungen über den Bau der nervösen Central¬ 
organe des Menschen und der Tiere. I, 7. Aufl. II, 6. Aufl. Leipzig 1904, Vogel. — 
var Gbhuohtrr, Anatomie du syetöme nerveux de 1'homme. III. Louvain 1900, Uyspruyst. 
— Ari£ns Kappus, The structure of the teleostean and selachian brain. Journal of Com- 
parative Neurology. XVI. 1906 u. Untersuchungen Ober das Gehirn der Ganoiden Amia 
calva und Lepidosteus osseus. Abhandlungen der Senckenberg’schen naturforschenden Ge¬ 
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tive zoölogy at Harvard College. XLVUL 1906. — His, Die Entwicklung des menschlichen 
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Lüqabo, Über den Ursprung einiger Hirnnerven (V, VI, VII, VIII). Untersnehungen sur 
Naturlehre des Menschen und der Tiere. XV. 


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2. Fall von Hypophysistumor mit itöntgen-Photogramm. 

Von Privat-Dozent Dr. Schuster. 

Da brauchbare Röntgen-Aufnahmen von Hypophysisgeschwülsten immer 
noch zu den Seltenheiten gehören, so seien hier zwei Röntgen-Aufnahmen re¬ 
produziert, welche ich der Güte des Herrn Kollegen Immelmann verdanke. 

Die wichtigsten Daten aus der Krankheitsgeschichte des Patienten, den ich 
am 25. März 1907 in dem Verein für innere Medizin demonstrierte, sind fol¬ 
gende: 33jähriger Sattler. Seit etwa 3 Jahren Verschlechterung des Sehens, 
seit 2 x / 2 Jahren Kopfschmerz. In der letzten Zeit ist die Sehkraft auf beiden 
Augen völlig verloren gegangen (nachdem vorher von Herrn Geh. Rat Prof. 
Dr. Hibschbebg — dem ich den Kranken verdanke — Scheuklappen hemi- 
anopsie festgestellt worden war). Häufiges Erbrechen in den letzten Monaten. 
Pat bemerkte im Laufe der letzten Jahre, daß seine Handschuhe zu eng wurden, 
daß sein Ring nicht mehr paßte. Die Frau des Pat findet, daß das Gesicht, 
besonders die Nase stärker geworden ist 



Figur A. Basis eines normalen Schädels, t normale Sella turcica. 


Die Untersuchung ergab: Auffallend blasse, trockene, in ihrem Aussehen 
an Myxödemhaut erinnernde Haut, Fehlen der Scham- und Achselhaare. Nase 
etwas groß, jedoch keine Vergrößerung der Zunge und des Kiefers. Hände und 
Finger im Verhältnis zu dem übrigen Körper etwas groß, jedoch keineswegs 
auffallend vergrößert. Linkes Auge in Divergenzstellung; Lichtreaktion auf dem 
linken Auge minimal, rechts fehlend. Akkomodationsreaktion links minimal, 


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rechts nicht feststellbar, da das Auge bei der Konvergenz nach außen abweicht 
Beiderseits totale Optikusatrophie. Rechter Mundwinkel wird eine Spur weniger 
als linker bewegt. Leichtes Zungezittern. Geringe Kyphoskoliose, angeblich 
durch Stellung bei der Arbeit entstanden (?). An den Beinen und Füßen keine 
Vergrößerungen. Motilität, Sensibilität und Sehnen- und Hautreflexe in Ordnung. 
Hoden sehr klein. Sexuelle Funktion erloschen. Psychisch auffallend sorglos und 



Figur B. Schädelbasis dos Patienten, t nm das Dreifache vergrößerte 
Sella turcica, deren hinterer Itand wie aaBgezogen erscheint. 

heiter sowie leicht geschwächt Es wurde die Diagnose auf Hypopbysistumor 
mit akromegalischen Symptomen gestellt Die Diagnose wurde durch die Unter¬ 
suchung mit Röntgen-Strahlen bestätigt Das Röntgen-Photogramm, welches 
duroh den Druck leider viel von seiner Deutlichkeit verloren hat, zeigt, daß die 
Sella turcica («' in Fig. B) auf das Dreifache der normalen Größe (.? in Fig. A) 
vergrößert ist. Außerdem ist die gleichmäßige ovale Rundung der Sella ver¬ 
schwunden und der hintere Rand der Grube erscheint wie ausgezogen. 


3. Zur Freilegung der Hypophysis. 

Von Dr. Ludwig Löwe, 

Ohren-, Nasen-, Halsarzt in Berlin. 

Die bei der Akromegalie so oft beobachtete Vergrößerung des Hirnanhanges 
ladet offenbar zur chirurgischen Hilfeleistung ein. Freilich läßt sich nicht an¬ 
nehmen, daß durch die Entfernung der Geschwulst die Krankheit selbst behoben 
sein werde. Wohl aber dürfte dies vielleicht mit zweien ihrer schlimmsten 

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Symptome, den Sehstörnngen and dem Kopfschmerz, der Fall sein. Denn beide 
beruhen offenbar auf der durch die Geschwulst bedingten intrakraniellen Druck* 
Steigerung. Lässt doch die Sehstörung häufig aus der Art, in der sie auftritt, 
Schlüsse darauf ziehen, auf welche Punkte des Chiasma jeweils der größte Druck 
seitens des Hirnanhangtumors ausgeübt wird. 

Um eine Hypophysisgeschwulst für das Messer des Chirurgen geeignet zu 
machen, muß zu der intrakraniellen Drucksteigerung noch eine weitere Eigen¬ 
schaft hinzukommen. Die Neubildung maß die Wachstumsrichtung nach unten 
gegen die Keilbeinhöhle eingeschlagen haben. Ist das nicht der Fall, ist sie 
nach irgend einer anderen Riohtung gewachsen, so verquickt sie sich so 
innig mit der Hirnmasse, daß an ihre operative Entfernung nicht gut zu denken 
ist In früheren Zeiten war die Frage, welche Wachstumsrichtung ein Hirn¬ 
anhangtumor jeweils eingeschlagen hat, nur durch die Leichenschau zu entscheiden. 
Heute ist man in dieser Beziehung dank den Röntgen-Strahlen besser daran 
(Schüllbb, Ebdhem). Freilich läßt sich die Geschwulst selbst nicht im 
Röntgen-Bilde erkennen. Wohl aber ist dies mit den Umrissen der Keilbein¬ 
höhle und des Türkensattels der Fall. Und das genügt, um konkludente 
Schlüsse darüber, oh der Tumor jeweils nach unten gegen die Keilbeinhöhle 
gewachsen, also operabel ist oder nicht, zu ziehen. 

Die Tierversuche haben ergeben, daß die Herausnahme des ganzen Hirn¬ 
anhanges häufig zum Tode führt Zwar sind einige Tiere trotzdem am Leben 
geblieben (Hobslhy, Fbiedbmann und Maass), aber die Mehrzahl ist ein¬ 
gegangen. Dagegen sind partielle Abtragungen in der Regel ohne wesentliche 
Störungen des Befindens überstanden worden. Ohne nun allzu großes Gewioht 
auf die Vivisektionsresultate legen zu wollen, muß doch aus ihnen der Schluß 
für die menschliche Pathologie gezogen werden, daß vorläufig eine totale Ex¬ 
stirpation des Hirnanhanges nicht angängig ist, daß der chirurgische Eingriff 
sich vielmehr darauf beschränken muß, den Tumor jeweils nur soweit als die 
Himdruckerscheinungen dies erforderlich machen, zu resezieren (Sohloffeb). 

Trotzdem zahlreiche Methoden, an den Hirnanhang heranzugehen an¬ 
gegeben sind, ist er doch erst einige wenige Male am lebenden Menschen an¬ 
gegriffen worden (Hobsley, Sohloffeb). Der Grund hierfür liegt einmal darin, 
daß der Gedanke der chirurgischen Anfassung der Hirnanhangsgeschwulst noch 
ein ganz junger ist (Caton und Paul 1898). Dann ist ja auch das Röntgen- 
Verfahren erst eine Errungenschaft der letzten Jahre. Ferner werden überhaupt 
nur wenige Menschen von Akromegalie befallen. Und von diesen ist wiederum 
nur ein Bruchteil, nämlich der mit nach unten gerichtetem Hypophysenwachstum 
und endokranieller Drucksteigerung (Sehstörungen und Kopfschmerz) zur Operation 
geeignet (Sohloffeb). Und nur die allerwenigsten hiervon gelangen zur Kog¬ 
nition der Chirurgen. Endlich ist auch in Anbetracht der — präsumierten — 
Kompliziertheit des Eingriffes die Meinung unter den Ärzten verbreitet, daß die 
Operation technisch überaus schwierig und deshalb nur für die allerschwersten 
Fälle geeignet sei, daß alle weniger bösartigen Akromegalien dagegen sich selbst 
zu überlassen seien. Dieser Auffassung muß mindestens, was die Encheirese, 


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die in den folgenden Zeilen entwickelt werden wird, anbetrifft, insofern ent* 
gegengetreten werden, als diese nach der bisher vorliegenden, allerdings nnr 
geringen Erfahrung eine leicht ausführbare Operation ist, die keine nennens¬ 
werte Störung hinterläßt 

Sämtliche bisher angegebenen Methoden der Hypophysisfreilegung lassen 
sich in drei Kategorien einteilen. Einmal in solche, die intrakraniell, dann in 
solche, die vom Munde und schließlich in solche, die von der Nase aus eingehen. 
Die intrakraniellen und die Mundmethoden haben vieles gegen sich. Die ersteren, 
weil sie gefährlich, schwierig, unsicher sind und die Kranken viel zu sehr an¬ 
greifen, die letzteren, weil sie keinen guten Überblick gewähren. Der einzig 
wirklich gut gangbare Weg zur Hypophysis ist der von der Nase her, was ja 
auch in der Natur der Sache begründet ist Denn es handelt sich, wie oben 
ausgeführt worden ist, immer nur um solche Hirnanhangsgeschwülste, welche 
nach unten in die Keilbeinhöhle hineingewaobsen, welche also gleichsam „Keil- 
beinhöhlengeschwülste“ geworden sind. Wer wird aber einen Keilbeinhöhlen¬ 
tumor anders als auf nasalem Wege entbinden? Dem Verfasser dieser Zeilen ist 
es gelungen, eine diesbezügliche relativ einfache Methode herauszufinden. 1 Das 
Wesen derselben besteht darin, daß die knöchernen und die Weichteilbedeckungen 
der äußeren Nase duroh einen neben der Mittellinie geführten Längsschnitt ge¬ 
spalten und jederseits nach Art einer Flügeltür nach außen umgeklappt werden, 
worauf das Innere beider Nasenhälften — duroh das noch intakteSeptum voneinander 
getrennt—vor Augen liegt Nun werden jederseits die Muscheln und das Siebbem- 
labyrinth entfernt Das Septum wird entweder ebenfalls reseziert, soweit es den 
Überblick hindert, oder es wird, nachdem es an seiner oberen und hinteren 
Kante abgetrennt ist, zur Seite gebogen (dekliniert), was manchmal auch ge¬ 
nügt Die Operation des Tierflügelaufklappens ist schon am Lebenden mehrfach 
vom Verfasser mit gutem Erfolge ausgeführt worden. Was jetzt aber folgt, das 
ist bisher vom Verfasser nur am Kadaver probiert Es ist indeß technisch so 
einfach, daß sein Gelingen außer Frage steht Außerdem ist es ganz neuerdingB 
von Schloffeb s als in vivo ohne jede Schwierigkeit machbar festgestellt worden. 
Es handelt sich nämlich um weiter nichts als um die Abtragung der die beiden 
Keilbeinhöhlen von vornher deckenden Knochenplättchen (der sogen. Ossicula 
Bertini) und des Septum intersphenoidale. So sind beide Keilbeinhöhlen zu 
einem einzigen Hohlraum vereinigt, der von vorn her in allen Teilen zugänglich 
ist, da alle vor ihm gelegenen Nasenabschnitte durch die Türflügeleröffnung 
temporär zur Seite gelegt bzw. durch die Besektion definitiv beseitigt sind. Nun 
folgt die Abschlagung desjenigen Stückes des Keilbeinhöhlendaches, das die 
Hypophysis von vom und unten her deckt und dessen Lage und Dioken- 
dimension ja schon vor Beginn des Eingriffes durch das präliminäre Böntgen- 
Bild festgestellt ist. 


1 Für die Überladung des zu diesen Stadien erforderlichen LeichennuterUles ist er 
den Herren ton Bkbgkahn, Obth, Vibchow and Waldbybb sa großem Danke verpflichtet. 

* Erfolgreiche Operation eines Hypophysentumors auf nasalem Wege. Wiener klin. 
Wochenschrift. 1907. Nr. 21. 


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Man hat gegen die Freilegung der Hypophysis von der Nase her zwei Ein¬ 
wände erhoben. Einmal den, daß dabei die Gefahr nahe liege, daß za große 
Mengen von Liquor cerebrospinalis abflössen. Zweitens hat man aaf die Möglich¬ 
keit hingewiesen, daß infolge der operativ hergestellten Kommunikation zwischen 
Nasen- and Schädelhöhle eine infektiöse Meningitis entstehen könne. Beide Ein wände 
sind hinfällig. Daß der Liqaor cerebrospinalis nicht in das Leben gefährdender 
Menge abfiießt, haben sowohl die Tierversuche ergeben, als auch hat sich das 
bei zahlreichen Unfällen, die mit Schädelbasisfrakturen und Abfluß des Liquor 
cerebrospinalis kompliziert waren, herausgestellt. Geben doch letztere trotz ihrer 
enormen Schwere nur eine Mortalitätsziffer von 16,6% (Kboibs-Schloffbb). >Und 
was die Gefahr einer infektiösen Meningitis infolge der operativ gesetzten Kom¬ 
munikation der Schädelhöhle mit der Nasenhöhle anbetrifft, so sind die Abflu߬ 
verhältnisse, die durch die Operation geschaffen sind, so überaus günstig, daß 
das Sekret fast bei jeder Kopfstellung abfließen muß. Es kann also nie zu einer 
Stase desselben bzw. zu einer Resorption seiner Toxine kommen. Womit be¬ 
kanntlich die Grundbedingungen einer Infektion entfallen. Außerdem lassen 
sich beide Gefahren — die des übermäßigen Liquorabflusses und die der 
Meningitis — durch folgenden Kunstgriff vermeiden. Die Opereration wird in 
2 Tempis ausgeführt, der erste Akt endet mit der Freilegung der Dura. Nun 
wird durch eine der von der Pleura her bekannten Methoden zuvörderst eine 
zirkumskripte adhäsive Pachymeningitis hervorgerufen. Nach wenigen Tagen 
muß darnach eine Verklebung der Dura mit der Hypophysis im Bereich der 
Eröfihungs8telle eingetreten sein. Und nun kann die Fensterung der harten 
Hirnhaut erfolgen, ohne daß der Liquor abfließen bzw. eine Meningitis ent¬ 
stehen kann. 

Der soeben beschriebene Weg: 

1. Türflügelaufklappung der beiderseitigen Knochenweichteildecke der Nase, 

2. Ausräumen des Naseninneren, 

3. Resektion (bzw. Deklination) des Septum nasale, 

4. Abtragung der beiderseitigen vorderen Keilbeinhöhlenwand und des 
Septum sphenoidale, 

5. Resektion eines Stückes des Keilbeinhöhlendaches 

macht selbstverständlich nioht nur die Hypophysis, sondern auch implizite die 
Sehnervenkreuzung, die Innenfläche beider Sinus cavernoei und die vordere 
Brückenregion dem Auge und der Hand des Chirurgen zugänglich. In analoger 
Weise kann auch die Gegend der Gehirnbasis über dem Siebbeinlabyrinth (Partie 
zwischen Gyros rectus und Sulcus cruciatus) freigelegt werden. Nur ist dazu 
natürlich nicht nötig die Keilbeinhöhle zu eröffnen. Es genügt schon, das Nasen¬ 
dach über dem Siebbeinlabyrinth abzutragen, nachdem Türflügelaufklappung und 
Ausräumung der Nase vorhergegangen sind. 

Wegen der genaueren Einzelheiten des Verfahrens verweist Verfasser auf 
seine Monographie: Zur Chirurgie der Nase. Heft 1, Berlin 1905; Heft 2, 
Berlin 1907. (Letzteres Heft erscheint demnächst) 


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4. Ein Fall von Hemiatrophia facialis progressiva mit 
Augennervensymptomen. 1 

Von Dr. Siegfried Salomon, 

Augenarzt in Berlin. 

Die Patientin, die ich vorstellte, suchte Mitte März d. J. die Dr. H. Neu- 
mann’sche Kinder-Poliklinik auf und zwar die von mir geleitete Augenabteilung. 
Sie klagte seit einiger Zeit über Störungen beim Sehen in der Nähe. 

Es fiel mir sofort die bedeutende Ungleichheit der beiden Gesichtshälften 
auf (siehe Photographie). Die jugendliche Kranke bot das typische Bild einer 

Hemiatrophia facialis progressiva, 
allerdings von den bisher seit 
Romberg beschriebenen spärlichen 
Fällen abweichend durch die Kom¬ 
bination mit den Erkrankungen 
von Hirnnerven und durch die Ätio¬ 
logie. 

Anamnese: Das Mädchen ist 
jetzt 9 Jahre alt, und seit 3 Jahren 
hat die Mutter an den Gesichts¬ 
hälften die Ungleichheit gemerkt, 
die speziell in dem letzten Jahre 
stärker fortgeschritten ist. Von den 
Ursachen, die bisher für das Ent¬ 
stehen einer Hemiatrophie in der 
Literatur angegeben sind, findet 
sich bei der Patientin nichts. Es 
hat angeblich niemals eine Ver¬ 
letzung stattgefunden, außer einem 
leichten Fall von Masern vor vier 
Jahren waren keine Infektionskrank¬ 
heiten aufgetreten, es besteht keine 
Kyphose der Halswirbel und in der 
Familie herrschen keine Geistes¬ 
krankheiten. 

Dagegen möchte ich hervor¬ 
heben, daß die Mutter 3 mal abor¬ 
tiert hat, daß drei Kinder in den ersten Lebensmonaten (zwischen 3 bis 7 Monat) 
an Ausschlag und inneren Krankheiten gestorben sind, und daß drei Kinder leben. 
Patientin ist das zweite Kind in der Folge der Geburten und das älteste der jetzt 
lebenden drei Kinder. 

Der Nervenstatus, den ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Kollegen 
Kali sc her verdanke, ergibt folgendes: 

Bei näherem Anblick zeigt sich zunächst die linke Schläfengegend eingesunken, 
ferner ganz besonders die linke Supramaxillargegend, aber auch die Inframaxillar- 
gegend. In der Entwicklung der Haare, Augenbrauen und Wimpern findet sich 
zwischen beiden Seiten kein Unterschied, wie es sonst bei Hemiatrophie meistens 
der Fall ist. Die Hautfarbe ist vielleicht links etwas blasser als rechts. Die 



1 Vorgestellt ara 10. Juni 1907 in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven¬ 
krankheiten; vgl. dieses Centralblatt. 1907. S. 614. 


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Haut ist links dünn und atrophisch, es fehlt das Fettgewebe. Von Muskeln ist 
der frontaüs, temporalis, die masseteren, buccinator, zygomaticus und levator und 
depressor anguli oris nicht fühlbar. Auch der Ober- und Unterkiefer sind links 
erheblich verkleinert. (Wiederholte Böntgen-Aufnahmen ergaben teils negative, 
teils undeutliche Bilder.) Das linke Auge scheint etwas eingesunken. Die Schweiß- 
Sekretion ist beiderseits gleich. 

Beweglichkeit: Stirnrunzeln ist rechts intensiver möglich als links, Augen¬ 
schluß dagegen beiderseits gleich. Das Auge kann rechts weiter geöffnet werden, 
und auoh in der Buhe scheint die Lidspalte reohts ein wenig weiter zu sein als 
links. Beim Lachen und bei anderen Bewegungen des Mundes tritt in der linken 
Gesichtshälfte eine deutliche Schwäche hervor, obgleich alle von dem mittleren 
und unteren Facialisteil innervierten Muskeln noch in Ihrer Funktion erhalten, 
wenn auch erheblich abgeschwächt sind. Beim Aufblasen der Backen wird die 
linke Hälfte fast garnicht ausgedehnt, und es gelingt bei leichtem Druck, die 
Luft aus der linken Mundhälfte herauszutreiben. Demnaoh ist links der orbicu- 
laris oris erheblich schwächer, ebenso die Lippen. Auch das Platysma ist links 
an der Atrophie beteiligt. An den Zähnen ist keine Differenz, ebensowenig an 
der Zunge, auch das Gaumensegel wird beiderseits gleich gut innerviert. Die 
Sohleimhäute selbst zeigen keine atrophischen Veränderungen. 

Die Sensibilität ist links gut erhalten, ebenso der Eorneal- und Gaumen¬ 
segelreflex. Beim Klopfen des Facialisgebietes bekommt man nur einen geringeren 
Schluß im Orbicularis palpebrarum. Eine Schwäche der Kaumuskeln läßt sich 
nicht nachweisen; Sprache und Schlucken sind ebenfalls ungestört. Bei der 
elektrischen Prüfung ergibt sich eine Herabsetzung in den erwähnten Muskeln 
nur entsprechend ihrer Atrophie und Funktionsstörung. Die Muskeln sind direkt 
wie indirekt erregbar, nirgends findet sich eine träge Zuckung oder 
Zeichen von Entartungsreaktion. 

Interessant ist nun die Kombination mit den Augenstörungen. 

Augenstatus: Auf dem rechten Auge, das völlig normal sieht und auch 
sonst an sich normal ist, besteht eine erhebliche Abducensparese. Das Auge kann 
nur wenig über die Mittellinie nach außen bewegt werden. 

Das linke Auge sieht a / 3 des normalen, Gläser verbessern nicht. 

Die Pupille ist mittelweit, ebenso weit wie rechts, aber absolut starr, 
sowohl für Licht wie für Konvergenz. Ebenso ist die Akkommodation gelähmt. 
Es besteht also eine Paralyse der inneren Äste des Nervus oculomotorius. Die 
Beweglichkeit ist links nach allen Seiten gut, die Tension beiderseits gleioh und 
normal. Der Augenhintergrund zeigt links eine diffuse Pigmentierung der Betina, 
besonders in der Makulargegend, wie wir es bei erworbener und nooh mehr bei 
kongenitaler Lues zu sehen gewohnt sind. Sonst ist an den Augen nichts 
besonderes, speziell keine Tränenanomalien und keine Hyperämie im vorderen 
oder hinteren Bulbusabschnitt (wie bei Sympathikueaffektionen). 


Das Seltene des Falles besteht in mehreren Momenten. 


Im Vordergrund steht das Bild der Hemiatrophia facialis progressiva mit 
ihren charakteristischen Symptomen. Aber dieser Symptomenkomplex ist kom¬ 
biniert mit einer Erkrankung von Hirnnerven, die mit Sicherheit einen neuro¬ 
genen Ursprung annehmen lassen. Auffallend ist im vorliegenden Falle das 
völlige Fehlen von Symptomen von Seiten des Sympathicus, wie es sonst in den 
meisten der wenigen bisher bekannt gewordenen Fälle beobachtet worden ist, 
und wie man es infolge theoretischer Erwägungen auch annehmen müßte. So 
hat erst jüngst auf dem letzten Ophthalmologenkongreß in Rom Dr. Papabcone 


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einen Fall von Hemiatropbia vorgestellt, der nur mit Sympathicoserkrankong 
kombiniert war. 

Durch die Mitbeteiligung des rechten Abducens und der isolierten Er¬ 
krankung der inneren Aste des linken Oculomotorius läßt sieb annehmen, daß 
die Hemiatrophie neurogenen Ursprungs ist und wahrscheinlich auf Erkrankung 
der trophischen Fasern des linken Trigeminus beruht. Das isolierte Befallen¬ 
sein der trophischen Trigeminusfunktion und der inneren Augenäste des linken 
Oculomotorius deutet mehr darauf hin, daß nicht die peripheren Nerven an der 
Basis, sondern die Centren und intrabulbären Bahnen der betreffenden 
Nerven ergriffen sind, und zwar weist die Beteiligung des rechten Abducens 
auf eine diffuse Ausbreitung oder mehrfache Lokalisation des Krankheits¬ 
prozesses hin. 

Am interessantesten ist wohl, daß ätiologisch auf die Entstehung dieser 
Hemiatrophie ein schärferes Licht geworfen wird, als es bisher möglich war. 
Die Möbius’ sehe Theorie einer lokalen Erkrankung der Tonsillen durch In¬ 
fektion und einer Weiterausbreitung auf die nervösen Apparate durch die Toxine 
ist sehr gewunden und bisher nirgends gestützt. 

Hier spricht für die Lues als ätiologisches Moment einmal, daß die Mutter 
häufig abortiert und mehrmals nicht lebensfähige Kinder geboren hat, und dann 
die Pigmentierung des Angenhintergrundes, die charakteristisch für Lues ist. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Bioerohe embriologiohe ed anatomlohe sul oervello anteriore del pollo, 

per Vic. Bianchi. (Annali di nevrologia. 1906. S. 1.) Bef.: Hübner (Bonn). 

Verf. hat die Entstehung der Hirnrinde des Huhns in den verschiedensten 
Entwicklungsstadien studiert. Er benutzte dazu Embryonen im Alter von 
24 Stunden bis 21 Tagen. 

In den ersten Tagen fällt dem Beobachter die im Verhältnis zum Hirnmantel 
mächtige Entwicklung des Corpus striatum auf. 

Am 6. Tage werden die beiden Hemisphären von zwei ovalen Bläschen ge¬ 
bildet, die aus einer meningealen und einer ependymalen Wand bestehen. Zwischen 
diesen beiden Gewebslagen finden sich junge Neuroblasten, die duroh Teilung 
runder Keimzellen entstehen. Letztere sind reichlich vorhanden und scheinen von 
der ependymalen Wand auszugehen. 

Im späteren Verlaufe — Verf. geht in dieser vorläufigen Mitteilung nur auf 
die jüngeren Embryonen ein — entfernen sich die beiden Wände mehr und 
mehr voneinander, während das Corpus striatum wächst. Die Neuroblasten 
sind nach einiger Zeit derartig angeordnet, daß man mehrere Schichten unter- 
scheiden kann. 

Im Corpus Btriatum und bald auch in der Binde finden sich zahlreiche Zellen, 
welche sich sowohl in bezug auf Form, wie auf Struktur und Bau der Kerne, 
hauptsächlich aber auch in bezug auf ihr Verhalten Farbstoffen gegenüber sehr 
verschieden verhalten. 

Verf. glaubt hierin möglicherweise die ersten Anfänge eines Selektions- 

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prozesses erblicken zu dürfen, mittels dessen die stärker differenzierten Zellen zu 
nervösen Elementen, wie wir sie bei Erwachsenen finden, umgewandelt werden. 


Physiologie. 


2) Vagus reflexee upon oesophagus and oardia, by T. J. Meitzer. (Brit. 
med. Journ. 1906. 22. Dezember.) Ref.: E. Lehmann (Oeynhausen). 

Versuche an Tieren, besonders Hunden, ergaben, daß man nicht nur, wie 
bekannt, durch elektrische Reizung des peripheren, sondern auch des centralen 
Endes des durchschnittenen Cerricalvagus eine tetanische Kontraktion des ganzen 
Oesophagus hervorrufen kann. Ferner konnte hei Kaninchen durch Reizung des 
peripheren Endes eine charakteristische Kontraktion der Cardia hervorgerufen 
werden, während die Reizung des centralen Endes inhihitorisch auf diese Cardia¬ 
kontraktionen wirkte. 


8) Etüde experimentelle de l’lnfluenoe physiologique des vibrations mö- 
oaniques sur le Systeme nerveux, par Stcherbak. (L’Encöphale. 1907. 
März.) Ref.: Baumann (Ahrweiler). 

Verf. konnte feststellen, daß man mit Hilfe eines Vibrators, wie sie in der 
Therapie bei der Vibrationsmassage verwandt werden, ganz leicht eine einseitige 
Steigerung des Patellarreflexes erzielen kann; es gelang ihm sogar, bei einem 
Tabiker, dessen Patellarreflexe beträchtlich geschwächt waren, diese Reflexe zu 
steigern durch lokale Anwendung der Vibrationen. Die weiteren Versuche wurden 
am Kaninchen angestellt, um diese Erscheinungen genauer analysieren zu können. 
Die Erfahrung lehrte, daß für das Entstehen des „vibratorischen Clonus“ der voll¬ 
ständige Zusammenhang des Rückenmarks mit dem Kleinhirn notwendig sei; das 
Kleinhirn spielt gewissermaßen die Rolle eines Akkumulators für nervöse Energie. 
Es handelt Bich nicht um einen Zufluß von Energie von außen her, sondern nur 
um eine neue Verteilung der bereits vorhandenen Energie. Man muß annehmen, 
daß unter dem Einfluß der Vibration, d. h. unter dem Einfluß der Summe der 
mechanisoh-rythmischen Reize, der Austausch der nervösen Energie zwischen den 
Neuronen, die die Reize empfangen, und denen, die physiologisch mit ersteren 
verknüpft sind, leichter wird; die nervöse Entladung geht leichter von statten 
als normalerweise. Die empirisch festgestellte ausgezeichnete therapeutische 
Wirksamkeit der Vibration beruht möglicherweise zum Teil auf der „Ladung 44 
des Centralnervensystems mit nervöser Energie, die dann verwandt bzw. auf¬ 
gebraucht wird für die Ernährung der Gewebe, d. h. für die centrifugalen Reize 
trophischer Natur. 

4) Comportamento di alouni fenomeni rlflessi dopo la sezlone delle radial 
posteriori, per 0. Rossi. (Riv. di Patol. nervosa e mentale. XII. 1907.) 
Ref.: E. Oberndörffer (Berlin). 

Reizt man beim nicht narkotisierten Hund eine hintere Wurzel mittels des 
Induktionsstromes, so gibt das Tier Schmerzlaute von sich, und es treten Reflex¬ 
bewegungen am ganzen Körper auf; trifft der Reiz den gemischten Spinalnerven, 
so gesellen sich dazu Kontraktionen in dessen Innervationsgebiet. Wird mm die 
hintere Wurzel durchschnitten, so ruft die Reizung des Nervenstammes bei 
gleioher Stromstärke die nämlichen Erscheinungen hervor. Verf. gibt dafür eine 
plausible Erklärung: der Induktionsstrom bewirkt schmerzhafte Muskelkontrak¬ 
tionen und dieser Reiz wird, da nach dem Sherringtonschen Gesetz mehrere 
Spinalsegmente an der sensiblen Versorgung einer Hautstelle beteiligt sind, nach 
wie vor auf dos Rückenmark übertragen, daher die Fortdauer der allgemeinen 
Reflexbewegungen trotz Durchsohneidung der hinteren Wurzel. Werden je zwei 
oberhalb und unterhalb gelegene hintere Wurzeln durchschnitten, so ruft die 


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Reinting des Nerven nur mehr Muskelkontraktionen, aber keine reflektorischen Er- 
eehein trage» hervor. Die Kenntnis dieser Tatsache ist wichtig, damit Lrrtüxner 
bei physiologischen Versuchen vermieden werden. 


Psychologie. 

6) Das psyohogalvanisobe Reflexphänomen, von Veraguth. (Monatsschr. f. 

Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Ref.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Die Arbeit enthält die Wiedergabe sehr interessanter Versuche, deren 
Würdigung in einem Referat nicht möglioh ist. Es seien daher im folgenden die 
Endresultate verkürzt wiedergegeben, für deren Verständnis aber besonders die 
Versuchsanordnung nachzusehen ist. 1. Das psychogalvanische Reflexphänomen 
besteht in einer InteDsitätsvariation eines elektrischen Stromes, der bei „Versuchs' 
anordnung M“ mindestens teilweise einer körperfremden, in den Stromkreis ein* 
geschalteten Stromquelle entstammt. Es spielt bei dieser Anordnung eine Rolle 
die Variation des Leitungswiderstandes des Körpers gegen diesen exogenen Strom 
bei der Variation der Stromintensität. 2. Die Variation geschieht im Sinne der 
Abnahme, wenn die Versuchsperson im Zustande der Ruhe längere Zeit ein¬ 
geschaltet bleibt. 3. Die Variation verläuft im Sinne der Zunahme, wenn die 
Versuchsperson Reizen ausgesetzt wird (Reize auf die peripheren Sinnesorgane, 
Erregung der perzeptiv-sprachlichen Sphäre, Reize autochthonen Ursprungs). 
4. Auch bei sensoriellen Reizen ist eine psychische Komponente zur Hervor- 
bringung des Phänomens anzunehmen. 5. Auch bei höheren Reizen ist die gal¬ 
vanische Reaktion eine elektive (quantitativer Unterschied zwischen Reaktionen 
auf gefühlsbetonte und nicht gefühlsbetonte Reize). 6. Die Gefühlsbetonung 
allein bedingt nicht die Stärke der Reaktion: auch bei den höheren psychischen 
Reizen kommt als weitere Komponente ihre Aktualität hinzu. Das Phänomen 
ist also ein Indikator für Gefühlsbetonung und Aktualität des psychischen Reizes. 
7. Die Aktualität kann auch darin bestehen, dafl für die Versuchsperson die 
Reize deshalb gefühlsbetont werden, weil sie von der Person des Experimentators 
ausgehen. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Über Blaseneruptionen an der Haut bei oentralen Affektionen des 
Nervensysteme, von Prof. H. Schlesinger in Wien. (Deutsohe med. 
Wochenschr. 1907. Nr. 27.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Verf. stellt in einer Tabelle die Merkmale zusammen, welche die bullösen 
Hauteruptionen bei AfFektionen des Gentrainervensystems vom Pemphigus unter¬ 
scheiden, und schlägt vor, die Hauteruptionen bei organischen Nervenkrankheiten 
einzuteilen in 

1. Blaseneruptionen von halbseitigem Charakter bei Cerebralafiektionen, 

2. Blaseneruptionen bei Spinalerkrankungen, 

a) halbseitig, 

b) beiderseitig; in beiden Fällen zumeist distal stärker auftretend, 

3. Blaseneruptionen bei Erkrankungen der Spinalganglien (?), der Plexus« 
und peripherischen Nerven (im Ausbreitungsgebiete der geschädigten Nerven¬ 
abschnitte). 

Ob diesen Formen die Blasenaussohläge bei Hysterischen anzureihen sind, 
läßt Verf. unentschieden. 

7) The oerebral element in th» reflexes and its velation to the spinal 
element, by Walton and Paul. (Journ. of Nerv, and Ment. Dia 1906t 
November.) Ref.: M. Bloch. 


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Die Verff. kommen aaf Grand klinischer Untersuchungen zu felgenden Srihluß- 
folgerangen: 

Die tiefen Reflexe sind Reeoltanten der Tätigkeit oerebraler and epinaler 
Reflexbogen, von denen jene das« neigen, mäßige, diese starke Reflexe bervor- 
aurufen. 

Bei geeuaden Individuen and bei Nemropsyohoeen variieren 1 die tiefen Reflexe 
je naeh dem prädominierenden Einfluß des längeren oder kürserea Reflexbogens 
bezüglich ihrer Intensität. 

Bei organischen Erkrankungen bew i r kt die teilweise Ausschaltung der höheren 
Centren den spinalen Typus des tiefen Reflexes, während die völlige Aasschaltung 
ihr Erlöschen bedingt, da der spinale Reflexbogen allein nicht imstande ist 
(wenigstens beim Menschen), den Reflex auszulösea. Die Reflexe kehren nach Er¬ 
holung der cerebralen Bahnen wieder und zwar nehmen sie den spinalen Typus 
bei partieller, den normalen bei völliger Erholung an. 

Anfängliche Absohwächung bzw. Erlöschen der tiefen Reflexe auf der ge¬ 
lähmten Seite ist die Regel bei der Apoplexie. Dieser Zustand dauert während 
ein» Periode, die Vs Stunde bis mehrere Tage währt, an, naeh deren Ablauf 
die Reflexe entweder normal werden oder den spinalen Charakter annehmen, 
je nachdem die Wiederherstellung des cerebralen Einflusses vollständig oder 
partiell ist. 

In den Ausnah me fallen von Apoplexie mit anfänglicher Steigerung der 
tiefen Reflexe ist die Ausschaltung des cerebralen Moments von Anfang an un¬ 
vollständig. 

Die oberflächlichen Reflexe haben wie die tiefen eerebrale Vertretung and 
verschwinden hei deren Ausschaltung. Die Tatsache, daß sie hei Erkrankung der 
Pyramidenbahnen keine Steigerung erfahren, zeigt, daß sie nur geringen oder gar 
keinen spinalen Einflüssen unterliegen. 

Die centrale Vertretung des Babinskischen Reflexes steht de» tiefen Reflexen 
näher als den oberflächlichen. 

8) Reflexes osseux, par D. No'ioa et L. Strominger. (Revue nenrologique. 

1906. Nr. 21.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Die Verff. geben zunächst einen kurzen Abriß der bisher vorliegenden Daten 
über Knochenreflexe. Sodann berichten sie über ihre eigenen Untersuchungen 
and detaillieren zunächst die verschiedenen Knochenreflexe an den oberen und 
Hnteren Gliedmaßen. Bei zwei Dritteln aller untersuchten gesunden Kindern 
fanden sie diese Reflexe, deren Intensität jener der Sehnenreflexe parallel ging; 
der Knochenreflex des Triceps surae schien in keinem Falle völlig zn fehlen: bei 
kranken bzw. herabgekommenen Kindern zeigte sieh stets eine Herabsetzung bzw. 
ein Fehlen dieser Reflexe. Ähnliche Befunde erhoben die Verff. auch Imi er¬ 
wachsenen Personen. Nervöse Personen zeigten eine Steigerung der Knochen* 
reflexe ebenso wie der Sehnenreflexe. Senile Individuen zeigten fehlende oder 
abgeschwächte Reflexe. Im großen ganzen nehmen die Knochenreflexe an Vor¬ 
kommen und Intensität mit zunehmendem Alter ab. Bei Tabes fanden die Verff. 
bei positivem Westphal Fehlen der Knochenreflexe an den unteren Extremitäten; 
in 30 Fällen organischer Hemiplegie verschiedenen Charakters waren sie immer 
vorhanden, doch war ihr Verhalten im übrigen ungemein verschieden: im ganzen 
erwies sich auch bei organischen Nervenkrankheiten der erwähnte Parallelismus 
mit den Sehnenreflexen. 

Die Verff. negieren konstante Relationen dieser Reflexe mit der Vibrations¬ 
empfindlichkeit der Knochen; sie denken sie sich auf analogem Wege zustande 
kommend wie die Sehnen- und Hautreflexe. Die Verff. machen den Versuch einer 
Lokalisation dieser Reflexe und glauben, daß deren Verhalten möglicherweise auch 
zur klinischen Segmentdiagnose verwertet werden könnte. 


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9) Oontributlons nouvelleB & l’ötude de* reflexee osseux, par Noica. (Revue 
neurologique. 1907. Nr. 5.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Beschreibung einer Reihe von Knochenreflexen bei Hemi- und (spastischen) 
Paraplegien; an den unteren Extremitäten: Fuflstreckung und Fußadduktion (mit 
Innenrotation) bei Beklopfen des Navikulare oder des I. Metatarsus und etlicher 
anderer weniger konstanter Reflexe; an den oberen Extremitäten wurden gleich¬ 
falls eine Reihe von Reflexen unter den obigen Umständen erhoben; zu kurzem 
Referat sind die Ausführungen nicht geeignet. 

10) Kurse Notis zur Kenntnis der Lidreflexe, von Priv.-Doz. Dr.LevinBohn. 
(Klin. Monatsblätter f. Augenheilk. XLV. S. 66.) Ref.: Fritz Mendel. 
Verf. hat zur näheren Bestimmung des Reflexmeohanismus bei einem 

48 jährigen Manne folgende Beobachtung gemacht: Es handelt sich um eine fast 
vollkommen einseitige, reflektorische Pupillenstarre, die eine geringe Pupillen¬ 
verkleinerung des entsprechenden Auges zur Folge hat, und zweitens an demselben 
Auge um eine Aufhebung des subkortikalen Blinzelreflexes bei Blendung, die 
höchstwahrscheinlich durch den stärkeren Leitungswiderstand des an Neuritis optica 
erkrankten Sehnerven bedingt ist. Der Fall lehrt mit Sicherheit, daß der durch 
Blendung bedingte Bubkortikale Blinzelreflex nicht als Mitbewegung von seiten des 
Pupillarreflexes aufgefaßt werden kann. 

11) Puplllenstudien , von Prof. Dr. Hummelsheim in Bonn. (Archiv für 
Augenheilkunde. LVII. S. 33.) Ref.: Fritz Mendel. 

Mit Hilfe eines von Prof. Hess konstruierten Apparates fand Verf. als Er¬ 
gebnis seiner Untersuchungen, daß die Pupille sich konzentrisch verengt und er¬ 
weitert. Alle 130 Augen lieferten den gleichen Befund. 

Der Regel nach verengt sich die Pupille konzentrisch, eine exzentrische 
Kontraktion wird zu den seltenen Ausnahmen zu rechnen sein. 

12) Leeioni spinal! e riflessi pupillari, per Cavazzani. (Riv. crit di clin. 
med. 1906. S. 565.) Ref.: Hübner (Bonn). 

34 jähriger Mann erleidet durch Sturz eine Fraktur der Halswirbelsäule, die 
völlige Aufhebung aller Bewegungen der Extremitäten, sowie des Rumpfes, 
Schwinden des Gefühls für alle Qualitäten und Erlöschen aller Haut- und Sehnen¬ 
reflexe zur Folge hat. Kopfbewegungen und Sensibilität blieben frei. 

Der Lichtreflex war ungestört, während die Schmerzreaktion auch dann 
fehlte, wenn die schmerzhaften Reize am Kopf appliziert wurden. 

Mydriasis und reflektorische Pupillenstarre blieben auch bis zum Ende aus. 
Bei der Autopsie: Fraktur der Wirbelsäule im Bereich des 3. bis 5. Cervikal- 
wirbels. Quetschung des Rückenmarkes in Höhe des 4. und 5. Cervikalsegmentes. 
An einer Stelle ist es zur völligen Durchtrennung gekommen. 

Verf. publiziert den Fall, um zu zeigen, daß, wenn die Riegersche Schule 
mit ihrer Behauptung, das Centrum für den Lichtreflex sitze im Rückenmark, 
Recht behalten sollte, jedenfalls die spinale Lokalisation nicht bei allen Indivi¬ 
duen identisch sein könne. Vielleicht müßte man sogar im Hinblick auf obige 
Beobachtung annehmen, daß das Centrum bei allen Menschen oberhalb des 
4. Cervikalsegmentes gelegen ist. 

13) Ein Fall von einseitiger reflektorischer Pupillenstarre bei Vorhanden¬ 
sein der Konvergensreaktion infolge von peripherer Okulomotorius¬ 
lähmung naoh Eindringen eines Eisensplitters in die Orbita, von Dr. 

Joh. Ohm. (Centralbl. f. prakt. Augenheilk. 1907. Juli.) Ref.: Fritz Mendel. 
Durch das Eindringen des EiBensplitters in die Orbita bei dem 19 jährigen 
stets gesunden Patienten traten Störungen auf in der centralen und peripheren 
Sehschärfe, sowie im äußeren und inneren Bewegungsapparat des rechten Auges, 
die sich meistens als vorübergehende erwiesen und die alle bis auf die Abducens- 
parese und die Pupillenanomalie wieder verschwanden. 

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Als mit der Konvergenzreaktion keine Spor einer direkten oder indirekten 
Lichtreaktion wiederkehrte, erhob sich die Frage nach dem Sitz der Störung, die 
wohl in dem centrifugalen Teil der Leitung sitzen muß. 

Verf. nimmt einen orbitalen Sitz der Nervenlähmung an und hält die Be¬ 
hauptung nicht für erwiesen, daß einseitige reflektorische Pupillenstarre bei 
Vorhandensein der Konvergenzreaktion einen oerebralen Herd zur Grundlage 
haben müsse. 

14) Halswirbelfraktur und reflektorisohe Pupillenstarre, von Dr. H. Br assert 

in Leipzig. (Münchener med. Wochenschrift. 1907. Nr. 6.) Bef.: E. Asob. 

Bei einem 44 jährigen Landwirt, der durch Sturz vom Wagen eine Fraktur 
des 2. Halswirbels erlitten hatte, im übrigen aber, abgesehen von beginnender 
Arteriosklerose, gesund und kräftig war, fand sich 2 1 / 2 Jahre nach dem Unfall 
eine Miosis und Lichtstarre beider Pupillen bei erhaltener Konvergenzreaktion 
und normalen Patellarreflexen. Verf. erblickt in dieser Beobachtung einen ein¬ 
deutigen Beitrag zu der Lokalisation der Pupillencentrums im Halsmark. 

16) Zur prognostischen Bedeutung des Argyll-Bobertson sohen Phänomens, 

von Pilcz. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. 1907. XXL) Autoreferat. 

Verf. gibt zunächst einen Überblick über das Vorkommen des Argyll- 
Bobertsonschen Phänomens bei nichtparalytischen und niohttabischenKranken, 
sowie über die bisher bekannt gewordenen Pupillarverhältnisse bei der einfachen 
Neurasthenie, wobei er an die bekannte hohe differentialdiagnostische Bedeutung 
„verdächtiger“ Symptome seitens der Pupille in der Frage: „Neurasthenie oder 
Paralysis progressiva incipiens?“ erinnert. 

Verf. verfolgte nun katamnestisch, womöglich durch persönliche Exploration 
das Schicksal aller in dem Nervenambulatonum der Wiener I. psychiatrischen 
Klinik erschienenen Kranken, bei welchen in den letzten 5 Jahren die Diagnose 
zwischen obenerwähnten beiden Affektionen, soweit nur das psychische Zustands¬ 
bild in Betraoht kam, offen gelassen werden mußte, die Diagnose „Paralysis pro¬ 
gressiva“ oder wenigstens der Verdacht auf Dementia paralytica incipiens seiner¬ 
zeit aber mit Bücksicht auf die suspekten Pupillarphänomene (Argyll-Bobertson, 
Anisokorie usw.) schließlich doch ausgesprochen worden war. In der über¬ 
wiegenden Mehrheit der Fälle hatte nun der weitere Verlauf zweifellos ergeben, 
daß es sich tatsächlich um initiale Paralytiker gehandelt hatte. Bei einigen aber 
verhielt es sich anders und Verf. bringt nun folgende Krankheitsskizzen. 

I. Erste Untersuchung am 22./XI. 1902. Cerebrasthenische Beschwerden. 
Pupillen entrundet, eng, auf Licht träge und spurweise, auf Akkom¬ 
modation und Schmerz prompte Beaktion. Zweite Untersuchung am 
6./VI. 1904. Pupillen mittelweit, rund, reagieren prompt in jeder Hinsicht. 
Katamnese: dauernd gesund, bis auf zeitweilig stärkere neurasthenische Be¬ 
schwerden. 

II. Erste Untersuchung am 14./V. 1902. Psychisch wie oben. Beiderseits 
enge, lichtstarre Pupillen, auf Akkommodation und Schmerz deut¬ 
liche, wenn auch träge Beaktion. Zweite Untersuchung am 22./V. 1902. 
Pupillen mittelweit, prompte Beaktion. Katamnese wie bei obs. L 

III. Lues. Erste Untenuchung am 30./V. 1904. Linke Pupille ent¬ 
rundet, reagiert in jeder Hinsicht träger als rechts. Katamnese 
wie oben. 

IV. Ein 22 jähriger Student. Schon seit der Gymnasialzeit mehrfach neur- 
asthenische Zustände. Zur Zeit der Untenuchung am 27./V. 1905 typisches Bild 
der einfachen Neurasthenie. Pupillen bei gewöhnlicher Prüfung liohtstarr, im 
Dunkelzimmer (Beflektor) manchmal träge, wenig ausgiebige Beaktion. Sonst 
keinerlei Anhaltspunkt für Paralysis progressiva. Katamnese fehlt 

V. Erste Untenuchung am 8./VII. 1904. Bild der einfachen Cerebrasthenie. 


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Zweite Untersuchung am 3./IL 1905. Linke Pupiile auffallend träge 
Lichtreaktion, rechte gut. Dritte Untersuchung im Juni 1906. Pnpillar- 
reaktion beiderseits prompt. Katanmose wie bei obe. I. 

VI. Lues. 9./V. 1904. Anieokorie, träge Liohtreaktion. 22./VI. 1906. 
Anisokorie, links Argyll-Bobertson, akkommodatiy prompte Beak- 
tion. Katamnese wie oben. 

VII. Dezember 1905. Pupillen eng, auf Licht kaum, besser auf 
Sehmers und Akkommodation reagierend. 3 Wochen später: Papillen 
reagieren in jeder Hinsicht, i. e. Lichteinfall, Akkommodation usw. gleich, wenn 
auch im allgemeinen weniger ausgiebig. Katamnese wie oben. 

In der Epikrise bemerkt nun Verf., daß er von obe. 8, 4, 6, 7 zunächst 
absehen will. Bei 3 und 6 lag sicher gestellte Lues vor, bei 4 fehlt weitere 
Beobachtung, 7 betrifft ein seniles Individuum, wenngleioh der Unterschied in der 
Lichtreaktion bei den aufeinanderfolgenden Untersuchungen unverkennbar war. 

Bei obs. 1, 2 und 5 aberhandelt es Bioh zweifellos um Neurastheniker 
(wie der Verlauf lehrte), welche vorübergehend pupilläre Symptome geboten 
hatten, die den begründeten Verdacht auf ein organisches Nervenleiden er* 
wecken mußten (toxische Einwirkungen, ebenso Trauma ließen sich aussohiießen). 

Die Einwände (Fehler in der Untersuchungstechnik, Möglichkeit, daß doch 
einmal eine Paralyse sich noch werde entwickeln können, daß Lues trotz gegen¬ 
teiliger Anamnese Vorgelegen haben konnte) glaubt Verf. unter Hinweis auf die 
lange Beobachtungsdauer, auf das transitorische der verdächtigen pupillären 
Symptome, auf den weiteren Verlauf, sowie durch Schilderung der Unter¬ 
suchungsmethode entkräften zu können (vide darüber, sowie betreffs der Krank - 
heiisskizzen Original). 

Verf. erinnert nebenbei daran, daß die Lehre von der differentialdiagnostisohen 
Bedeutung der Pupillenstarre beim epileptisohen gegenüber dem hysterischen An¬ 
falle so lange ein Dogma war, bis naoh den ersten Mitteilungen von Karplus 
die Berichte über PupillenBtarre bei Hysterikern immer zahlreicher wurden und 
schließt mit folgenden Worten: 

„Dergleichen Beobachtungen bei der Cerebrasthenie dürften wohl sehr selten 
sein. Möglicherweise — es ist dies lediglich eine persönliche Vermutung — 
werden sich solohe Fälle doch noch gelegentlich finden, wenn bei all den para» 
lyseverdächtigen Kranken, bei welchen schließlich nur die pupillären Er¬ 
scheinungen für die Diagnose Paralysis progressiva inoipiens ausschlaggebend 
waren, durch genaue Katamnesen nach Jahr und Tag der weitere Verlauf ver¬ 
folgt werden könnte. 

Jedenfalls aber sollten dergleichen Beobachtungen uns zu noch größerer 
Vorsicht in der Diagnosestellung bei parslyseverdächtigen Neurasthenikern 
mahnen, uns anspornen, noch mehr auf das Ergebnis der rein psychischen Explo¬ 
ration bedacht zu sein. Der Wert des Argyll-Bobertsonschen Phänomens in 
der Symptomatologie der progressiven Paralyse wird dadurch nicht gemindert; 
nur überschätzen dürfen wir das Symptom nicht. In diagnostisch unklaren 
Fällen wäre das Ergebnis der Lumbalpunktion von großer Wichtigkeit." 

16) Zur prognostischen Bedeutung des Argyil-Robertsonsohen Phänomens, 

von L. W. Weber. (Monatsschrift f. Psychiatr. u. Neurol. XXI. 1907.) 

Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. macht im Anschlüsse an die Pilczscbe Mitteilung über dasselbe Thema 
(vgl. vor. Referat) darauf aufmerksam, daß Gramer und im Anschluß an ihn 
Bef. schon vor Jahren darauf hinwies, daß nicht nur Alkoholiker, sondern auch 
Imbezille, Degenerierte, Erschöpfte das Symptom bei ganz geringen Alkoholgaben, 
nach welchen psychische Veränderungen ausbleiben, zeigen. Ferner teilt Verf. 
Fälle mit von langsam und etappenweise fortschreitender Arteriosklerose des Ge- 


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bims, die oft in Anfang und als eines der ersten Zeichen Pupillensymptome dar» 
bieten. Diese letzteren treten auch transitorisch im Verlauf der Krankheit hervor. 
Vielleicht gehören von den Pilozschen Fällen einige hierher, jedenfalls weist 
Verf. mit Recht auf die differantialdiagnostisobe Bedeutung dieser Befunde (gegen 
progressive Paralyse) hin. 

17) Über ein im katatonischen Stupor beobachtetes Pupillenph&nomen, 
sowie Bemerkungen Über die Pupil len starre bei Hysterie, von Prof. 
Westphal. (Deutsche med. WochenBchr. 1907. Nr. 27.) Ref.: 5t. Pfeiffer. 
In dem mitgeteilten Falle von katatonischem Stupor zeigten die Pupillen 

ungemein oft und anscheinend regellos Gestaltsveränderungen, d. h. sie nahmen 
statt der kreisrunden Form die Gestalt eines quergestellten Ovals an. Hand in 
Hand mit dieser Form Veränderung der Pupillen ging regelmäßig eine Verringerung 
der vorher prompten Liohtreaktion, die nicht selten bis zur Aufhebung derselben 
führte. Es handelte sich dabei nicht um reflektorische Pupillenstarre, sondern 
um eine Innervationsstörung der gesamten Irismuskulatur, welche die völlige Un¬ 
beweglichkeit der Pupille zur Folge hat. Die Tatsache, daß Pupillenstörungen 
mit Aufhebung der Lichtreaktion bei Katatonie Vorkommen, ist diagnostisch 
wichtig. Die gleichen mit Formveränderungen verbundenen Innervationsstörungen 
der Iris, wie sie der Katatoniker Verf.’s zeigte, sind mehrfach bei Hysterie be¬ 
obachtet worden, eine Tatsache, die nach mehrfacher Richtung volles Interesse 
verdient. 

Den gleichen Pupillenbefund mit zeitweise völliger Reaktionslosigkeit konnte 
Verf. noch in zwei weiteren Fällen von schwerem katatonischem Stupor erheben 
nnd bei einem anderen Katatoniker (Fall IV) auffallenden Wechsel in der 
Pupillenform beobachten, ohne jedoch Veränderungen der Lichtreaktion feststellen 
zu können. 

18) Di uno speoiale rlflesso ohe si osserva nella contrattura faooiale, per 

C.Mondino. (Riv.diPatol.nerv.ement. XII. 1907.) Ref.: E.Oberndörffer. 
Bei Fazialiskontraktnr nach peripherischer Lähmung erhält man eine reflek¬ 
torische Zuckung namentlich im Gebiet des unteren Astes, wenn man den Supra- 
erbitaÜB an seiner Austrittsstelle ganz leicht mit dem Hammer beklopft. Auch 
beim Gesunden ist nach wiederholtem Beklopfen dieser Reflex auszulösen. Bei 
centraler Fazialislähmung findet sieh weder eine Kontraktur, noch das beschriebene 
Phänomen, dessen Ursache demnach in einer nicht näher bekannten Veränderung 
des peripheren Neurons zu suchen ist. 

18) Vorschlag zu aluer konventionellen Fixierung des Kniephänomens 
(bsw. Patellarreflexes), von Prof. Piek in Prag. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift. 1907. Nr. 23.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Eine Einigung in der Bezeichnung der Intensitätsgrade des Kniephänomens 
ist wünschenswert. Verf. schlägt vor, folgende Skala aufeustellen: 

schwach normal: sichtbare Kontraktion des ganzen Quadrizeps ohne deut¬ 
lichen Ausschlag; 

normal: sichtbare Kontraktion mit deutlichem Ausschlag; 
lebhaft normal: sichtbare Kontraktion mit lebhaftem Ausschlag; 
schwaches Kniephänomen: fühlbare, nicht deutlich sichtbare Kontraktion 
<jke Quadrizeps oder einzelner Bäuche; mit Jendrässik noch Ansschlag; 

sehr schwaches Kniephänomen: nur mit Jendrässik sichtbare Kontrak¬ 
tion des Quadrizeps oder einzelner Bäuche; 

außerordentlich schwaches Kniephänomen: mit Jendrässik fühlbare 
Kontraktion des ganzen Quadrizeps oder einzelner Bäuche oder Teile; 

Fehlen des Kniephänomens: auch mit Jendrässik weder sichtbare noch 
fühlbare Kontraktion; 

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gesteigertes Kniephänomen: bei leichtem, selbst abgeschwächtem Be¬ 
klopfen der Patella verschieden heftiger Unterschenkelanssohlag; 

hochgradig gesteigertes Kniephänomen: Patellarklonus bei Beklopfen 
der Patellarsehne oder bei Herabziehen der Patella; damit zusammenfallend oder 
auch isoliert: mehr oder minder intensiver Ausschlag bei Beklopfen der Mitte 
der Patella. 

20) Zur Untersuohungsteohnlk des Patellarreflexes, von W. Guttmann. 
(Veröffentl. a. d. Gebiete d. Militär-Sanitätsw. Heft 35.) Bef.: S. Klempner. 
Besser als alle anderen bisher angeführten Methoden hat sich Verf. ein 

Untersuchungsmodus bewährt, der darin besteht, daß man das betreffende Bein 
mit Hilfe von zwei Handtüchern suspendiert: man legt zuerst ein Handtuch nm 
den Unterschenkel und hebt ihn damit etwas in die Höhe. Mit Hilfe des zweiten 
Handtuches, das um den Oberschenkel dicht oberhalb des Knies gelegt ist, läßt 
man durch einen Gehilfen den Oberschenkel etwas schräg nach oben ziehen, so 
daß das Knie einen stumpfen Winkel bildet. Es wird so eine vollständige Ent¬ 
spannung des Beines erzielt. 

Wie aus der Zusammenstellung von 56 untersuchten Fällen hervorgeht, war 
in einer Reihe von Fällen, wo mit keiner der gewöhnlichen Methoden ein Reflex 
zu erzielen war, bei Anwendung der Suspension der Ausfall positiv. 

Verf. möchte niemals mehr behaupten, daß der Patellarreflex fehlt, bevor er 
nicht auf die hier beschriebene Weise geprüft worden ist. 

21) Über ein neues Verfahren zur Untersuchung des Patellar- und Achilles- 
sehnenreflexes, von Feix. (Wiener klin. Wochenschrift. 1906. S. 1223.) 
Ref.: Pilcz (Wien). 

Um möglichstes Entspannen und Ablenkung der Aufmerksamkeit zu erzielen, 
fordert Verf. die Patienten auf, die Seitenlage einzunehmen, das Hüft- und Knie¬ 
gelenk in leichte Beugestellung zu bringen und die Augen zu schließen. Dadurch 
wird eine völlige Erschlaffung des Quadrizeps und der Wadenmuskulatur erzielt, 
es kann in ein und derselben Lage der Patellarsehnenreflex, Aohilleesehnenreflex 
und Glutäalreflex geprüft werden, und jeder Einfluß seitens des Kranken auf den 
Gang der Untersuchung wird ausgeschaltet. 

22) Bin einfacher Kunstgriff zur Erzeugung des Kniephftnomens, von 

G. Krönig. (Berl.klin. Woch. 1906. Nr.44.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 
Verf. empfiehlt gleichzeitig mit der Beklopfung der Sehne möglichst schnell 
forziert inspirieren zu lassen bei gleichzeitigem Hinaufblicken nach der Zimmer¬ 
decke. 

23) Die Methoden der Verstärkung des Kniephänomens, von 0. Rosenbach. 
(Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 2.) Ref.: Kurt Mendel. 

Der Kunstgriff R.’s bei Prüfung des Kniereflexes besteht darin, daß man den 
Patienten aus einem nicht zu kleinen Buche oder aus einem großen Zeitungs¬ 
blatte möglichst schnell und laut vorlesen läßt. 

24) Über die Veränderungen des Kniereflexes unter dem Einfluß dee 
Schreckes naoh einem Sohuß, von Sresnewski. (Obosrenije psich. 
1906. Nr. 3.) Ref.: Wilh. Stieda. 

Versuche mit Hilfe des Sommerschen Apparates, an dem jedoch die Regi¬ 
strierung durch pneumatische Übertragung vermittels einer Mareyschen Trommel 
bewerkstelligt wurde. Verf. studierte auf diese Art den Verlauf des Kniereflexes 
vor und nach einem Schuß, der auf elektrischem Wege ausgelöst und auf dem¬ 
selben Papierstreifen, auf dem die Reflexe dargestellt wurden, registriert wurde. 
Auf Grund dieser Versuche kommt Verf. zu folgenden Resultaten: der unerwartete 
Schuß, der subjektiv als Schreck empfunden wird und objektiv Zusammenzucken 
des ganzen Körpers, Augenblinzeln, Herzklopfen, Änderungen des Atmens und 
Blutdruckes, manchmal auch einen Aufschrei hervorruft, wirkt deutlich auf den 

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Kniesehnenreflex ein, und zwar sowohl auf seine Stärke als auch auf don zeit¬ 
lichen Ablauf desselben. Die Latenzperiode wird nach dem Schuß verkürzt, wo¬ 
bei das Minimum derselben erst beim 2. oder 3. Reflex nach dem Schuß erreicht 
wird. Die Stärke des Reflexes hingegen steigt sofort nach dem Schuß an. Der 
erste auf den Schuß folgende Reflex ist auch der ausgiebigste. 

In der Tatsache der Verspätung der Wirkung auf die Latenzzeit des Reflexes 
sieht Verf. einen Grund zur Annahme, daß nicht der sensorische Reiz, sondern 
die mit dem Schuß verbundene Emotion — der Schreck — die Wirkung 
hervorruft. 

26) Über das Verhalten einiger Reflexe im Schlaf, von Dr. Eutner. (Deutsche 

med. Wochenschr. 1907. Nr. 3.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Die Untersuchungen erfolgten an männlichen, tief schlafenden Geisteskranken. 
Verf konnte einen einwandsfreien Unterschied in den Sehnenreflexen im Schlafe 
und im Wachen nicht konstatieren — bei voller Würdigung der großen Unter¬ 
suchungsschwierigkeiten und der damit gegebenen Fehlerquellen. Ebensowenig 
ließ sich nach dieser Richtung hin ein Unterschied ermitteln zwischen dem natür¬ 
lichen und dem durch Hypnotica (Veronal, Trional, Paraldehyd und Chloralhydrat) 
in mittleren Dosen herbeigeführten Schlaf. Eine Ausnahme bildet das Skopolamin. 
Interessant ist das Verhalten des Babinski-Reflexes. Er war positiv im Schlaf 
bei progressiver Paralyse und Delirium tremens, d. h. bei sicherer bzw. wahr¬ 
scheinlicher Störung der motorischen Projektionsbahn, negativ bei den übrigen 
Psychosen. Der positive Babinski in Skopolaminnarkose beruht nach Verf. auf 
vorübergehend schädigender Wirkung des Skopolamins auf die kortiko-spinale 
Bahn, ähnlich wirkt der epileptische Anfall. 

Bei jungen Kindern ist der Babinski-Reflex der Ausdruck der noch nicht 
vollendeten Pyramidenbahn; das Auftreten des Reflexes bei älteren Kindern im 
Schlaf beweist eine funktionelle Minderwertigkeit, die eben nur unter den be¬ 
sonderen Verhältnissen des Schlafed zutage tritt. Ob sioh bei Nervengesunden, 
wie Bickel behauptet, häufig positiver Babinski findet, erscheint dem Verf. frag¬ 
lich und einer anderen Deutung fähig. Es könnte sich um eine mangelhafte 
Entwicklung bzw. Affektion der Pyramidenbahn handeln, so geringfügiger Natur, 
daß sie nur unter den besonderen, noch unbekannten Erregungsverhältnissen im 
Schlafe hervortritt. 

26) Über das temporäre Fehlen der Pstellarrefiexe bei der Hysterie, von 

Prof. G. Köster. (Archiv f. klin. Med. 1907.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

Eine bis auf eine fixierte Retroflexio gesunde 26jäbrige Frau hatte innerhalb 
von 6 Monaten zwei Aborte mit sehr starkem Blutverlust 4 Wochen nach letztem 
Abort entwickelt sich eine Astasie-Abasie, die nach Art ihres Auftretens und 
Verschwindens nur als hysterisch aufgefaßt werden konnte. Als weitere hysterische 
Symptome führt Verf. auf: 

Globus und Clavus, Parästhesien in allen Extremitäten, vorübergehende ob¬ 
jektive Störung des Gefühls auf den rechten Hinterbacken und in beiden Armen, 
Costalgie, schmerzhafte Proc. spinosi, Weinerlichkeit, Reizbarkeit, Schreckhaftig¬ 
keit und erotische Erregtheit, ferner namentlich monokuläre Diplopie, so daß die 
Patientin beim Sehen mit beiden Augen alle Gegenstände dreifach wahrnimmt. 
Bei dieser hysterischen Person stellten sich gleichzeitig mit der Lähmung der 
Beine Anfälle ein, die zuweilen hysterischer, zuweilen epileptischer Natur, meistens 
aber aus paroxysmalen Symptomen beider Erkrankungen zusammengesetzt waren 
(Zungenbiß, Urinabgang, Bewußtseinsverlust, Amnesie seien von den epileptischen 
Symptomen erwähnt). 

Bei dieser Kranken beobachtete Verf. nun das Fehlen der Patellar- und 
Achillessehnenreflexe für die Dauer von 4 Wochen. Der linke Patellarreflex war 
anfangs bei Anwendung des Muskens-Jendr&ssiksohen Kunstgriffes noch als 


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deutlich« Kontraktion mehrerer Faserbttndel des M. qo&dric. cruris auslösbar. Nach 
4 Wochen waren Patellar- und Aohillesreflexe wieder normal auslösbar bis aum 
Exitus letalis, der in einem schweren Krampfanfall eintrat. Die Sektion ergab: 
Gehirn, und zwar besonders in der Rinde, anämisch, im übrigen bis anf mäßigen 
Hydrocephalus internus in allen Teilen völlig normal. Pia mater durchweg zart, 
kein Hirnödem, kein Tumor usw. Mikroskopische Untersuchung des Gehirns und 
Rückenmarkssektion fehlt. 

Ob danach der Fall als vollgültiger Beweis für das Vorkommen des Fehlens 
der Patellarreflexe bei Hysterie neben den Nonneschen Fällen gelten kann, er¬ 
scheint dem Ref. zweifelhaft. Nach seiner* Ansicht können dazu nur Fälle reiner 
Hysterie herangezogen werden, nicht solche, in welchen die Hysterie in Korn* 
bination mit anderen Krankheiten — im vorliegenden Fall mindestens mit Epi¬ 
lepsie — auftritt. 

Für die Deutung der hysterischen Paraplegie mit Reflexstörungen zieht Verf. 
die Einwirkung von Stoffwechseltoxinen heran. 

27) Preuves anatomiques de la valeur du röflexe paradoxal, par A. Gordon. 

(Revue neurologique. 1906. Nr. 22.) Ref.: Erwin Straasky (Wien). 

Verf. hat den von ihm (Ebenda. 1904. Nr. 21; s. d. Centr. 1905. S.411) be¬ 
schriebenen paradoxen Beugereflex nunmehr an der Hand zweier Fälle, die er mitteilt, 
anf anatomische Basis zu stellen vermocht. Im 1. Fall Pachymeningitis mit Bluterguß 
über der rechten frontalen und der Centralregion (Symptome hauptsächlich Sopor, 
Fieber, Kopfschmerzen, linksseitige Krämpfe, Patellarsehnenreflex links gesteigert, 
deutlich paradoxer Reflex links, kein Babinski, kein Oppenheim, kein Fuflklonus), 
bei der operativen Schädeleröffnung gefunden, an die sich zunächst Besserung an- 
schloß; naoh wenigen Tagen Reetablierung des früheren Syndroms, Exitus; die 
Autopsie ergibt einen neuen Bluterguß über der rechten Hemisphäre. Im zweiten 
(anscheinend nicht vollkommen eindeutigen; Ref.) Fall operative Schädeleröffnung 
bei einem vor Monaten von einem Schädeltra'uma betroffenen, Kopfschmerzen und 
Bewußtseinstrübungen darbietenden jungen Menschen (Verhalten der Reflexe 
linkerseits wie in Fall I), in der Parietalregion rechts eine Sohädelnarbe; bei der 
Schädeleröffnung erschien die Hirnsubstanz von normalem Aspekt, aber unter 
Btarkem Druck zu stehen, drängte aus der Sobädellücke hervor; die Operation 
soll (nach 6 Wochen konstatiert) allgemeine Besserung und auch allmähliges Ver¬ 
schwinden des paradoxen Reflexes bewirkt haben. 

Verf. hält demnach daran fest, daß sein Reflex auf eine Reizung der moto¬ 
rischen Leitung hinweise (im Gegensätze zum BabiüBki). 

28) De l'influenoe de fäoteurs pöripheriques eur ln genöse du rdflexe 

pathologique du gTOS orteil, par L. Bard. (Revue neurologique. 1907. 

Nr. 12.) Ref.: Erwin Stransky (Wien). 

Verf. verficht, wie schon bei früherer Gelegenheit, die Anschauung, daß auch 
rein peripherisch bedingte Momente für dos Zustandekommen des Babinskischen 
Reflexes in Betracht kommen, bzw. denselben event. modifizieren können. Als 
Beleg bringt er mehrere Beobachtungen, von denen hier eine erwähnt sei: 70jähr. 
Frau mit Verkürzung des rechten Beines nach einer alten Fraktur, wodurch sich 
die Nötigung ergab, beim Gehen rechts die Zehen in extremer Flexions-, die der 
linken in Extensionsstellung zu halten; der Plantarreflex bestand bei dieser Person 
-— nach einem Schlaganfall — rechts in einer Flexions-, links in einer Extensions¬ 
bewegung der Zehen (im Sinne der assoziierten motorischen Innervationsart beim 
Gehen); eigentlicher Babinski fehlte; gelegentlich eines späteren Insultes (mit 
leichter linksseitiger Hemiparese) Flexionsreflex links, also eine Umkehrung des 
Typus der Reflexbewegung. 

Verf. sieht in dieser und einer Reihe anderer Beobachtungen einen Beleg 
für seine Ansicht, daß ein wichtiger peripherischer Faktor für das Zustaad«* 


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kommen des Babinski in dem normalen Spiel der Reflexe, bewirkt durch das 
Alternieren der Zehenbewegungen, gegeben ist. 

20) Neuere Untersuchungen über den dorsalen Fußrüokenreflex , von Dr. 

P. Lissmann. (Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 21.) Ref.: E. Asch. 

In dieser Arbeit werden die Angaben von Kurt Mendel und Bechterew 
über den dorsalen Fußrückenreflex in vielen Punkten bestätigt, doch weichen die 
neueren Untersuchungen auch in mancher Hinsicht von den früheren Befunden ab. 
Bei mehr als 900 nervengesunden Patienten gelang ausnahmslos die normale 
Dorsalflexion der Zehen, ebenso bei 41 Tabikern in den verschiedensten Stadien 
des Leidens, in 2 Fällen von Paralysis agitans und in 8 Fällen sicherer Ischias. 
In 5 Fällen spinaler Kinderlähmung fehlte auf der erkrankten Seite jeglicher 
Reflex; bei den meisten Babinski-positiven Erkrankungen fand sich Plantarflexion 
auf der kranken und negativer B ab inski sowie Dorsalflexion auf der gesunden 
Seite. Jedoch konnte in keinem einzigen Falle Plantarflexion bei 
negativem Babinski nach gewiesen werden. Die Tatsache des gleichzeitigen 
Vorkommens von Plantarflexion und Babinski veranlaßte Verf. Beine Unter¬ 
suchungen auf Kinder in den ersten Lebensmonaten auszudehnen. Bei allen 
Kindern mit Ausnahme von zweien erfolgte der Fußrückenreflex plantarwärts, 
wenn Babinski noch positiv war, also etwa his zum 3. bis 4. Lebensmonat, 
während bei 12 Babinski-negativen Kindern lOmal Dorsalflexion der Zehen 
eintrat und in den beiden anderen Beobachtungen die Richtung der Zuckung 
unsicher blieb. Es darf hieraus auf einen Zusammenhang des Mendel-Bech- 
terewschen Reflexes mit den Pyramideobahnen geschlossen werden und bildet 
das pathologische Ausfallen des Reflexes ein weiteres wichtiges Olied bei der 
Diagnose centraler Erkrankungen des Nervensystems. 

SO) Zur Kenntnis des FuSrüokenreflexes, von 0. B. Meyer. (Berliner klin. 

Wochenschr. 1907. Nr. 34.) Autoreferat. 

Im Gegensatz zu den Befunden Lissmanns (vgl. vor. Referat) stellte Verf. 
in einer größeren Anzahl (28) Fällen sicherer organischer Nervenerkrankungen: 
multipler Sklerosen, Hemiplegien, Ponsaffektionen usw., bei Auslösung des von 
K. Mendel in diesem Centralblatt (1904, Nr. 5 u. 1906, Nr. 7) beschriebenen 
Fußrückenreflexes plantare Zehenbewegung fest, während das BabinskiBohe 
Zeichen entweder völlig fehlte, bzw. undeutlich war oder sich erst später ent¬ 
wickelte. Der Mendelsche Reflex ist aber gerade in diesen Fällen, d. h. da, 
wo das Babinskische Phänomen nicht vorhanden ist, als wertvolles diagnostisches 
Zeichen für organische Nervenleiden anzusehen; eventuell ist er von differential- 
diagnostischer Bedeutung gegenüber funktionellen Erkrankungen, in welchen bei 
Beklopfen des Fußrückens stets eine Dorsalflexion der Zehen gefunden wird; auch 
kann der pathologische Fußrückenreflex als Vorläufer des Babinskischen Reflexes 
auftreten. 


Psychiatrie. 

31) Diagnostik und Therapie der psychischen und nervösen Krankheiten, 

von Prof. Sommer. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 31.) Ref.: 

Kurt Mendel. 

Verf. tritt in diesem klinischen Vortrage dafür ein, mit einer verbesserten 
psychophysiologischen Methodik psychische Abnormitäten ebenso „objektiv“ dar- 
sustellen, wie man es bisher im Gebiet der rein neurologischen Symptome getan 
hat. Auf diese Weise werde man die Krankheitsarten besser differenzieren können, 
dank der genaueren Differentialdiagnose werde man dann auch imstande sein, die 
spezielle Therapie differentialdiagnostisch zu vertiefen. So ergebe sich z. B. in 
der Behandlung der Depressionszustände auf Grund einer genaueren Unterscheidung 


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der Grundkrankheiten eine Reihe von praktisch wichtigen therapeutischen Regeln: 
Depressionen auf psychogen-nervöser Grundlage werden sedativ (gebrochene Sul- 
fonalgaben) und suggestiv, die auf epileptischer Basis mit Brom zu behandeln, 
sein; Opium wird vielfach in beiden Fällen nutzlos gegeben. 

32) Der psyohisohe Infantilismue. Eine klinisch-psychologische Studie von 

H. di Gaspero. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankheiten. XLUI. 1907.) 

Ref.: He in icke (Waldheim). 

Nach eingehender Besprechung der Literatur des Infantilismus und einer 
Darstellung dieses Begriffes in morphologischer, wie klinischer Beziehung, sowie 
der Wechselbeziehungen zwischen körperlichem Infantilismus und geistigen Ent¬ 
wicklungsstörungen, macht uns Verf. mit 6 von 20 eigenen diesbezüglichen Be¬ 
obachtungen bekannt. In der psychologischen Analyse dieser Fälle ließen rieh 
zwei Hauptgruppen abtrennen, deren hervorstechendste Merkmale folgende sind: 

I. Ganz kindliche Seelenartung; Leichtlebigkeit; Unbefangenheit; kindliche 
Triebe, kindliches Ethos; Geselligkeitstrieb; Affektflüchtigkeit; Furchtanwand¬ 
lungen; kindlicher Egoismus, Überschätzen von Wertgrößen, SelbstfÜhlen als Kind 
bzw. unerwachsenes Individuum; rasches, unüberlegtes Urteil, kritiklose Annahme 
der Ansichten Erwachsener; Mangel an sexuellen Vorstellungen und Empfindungen; 
undifferenziertes sexuelles Schamgefühl. 

II. Verstimmungszustand; Verzagtheit; Schüchternheit; Ratlosigkeit vor neuen 
Situationen; Kleinmütigkeit; Bedürfnis nach Anklammerung an andere Menschen; 
erhöhte Suggestibilität; Drang, sich Vorbilder aus dem Milieu zu schaffen; eng- 
grenzter Horizont; enges Urteil. 

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der psychologisch-klinischen Ana¬ 
lyse psychischer Grundphänomene bei den herangezogenen Infantilen; Verf. kommt 
dann zur Einteilung des psychischen Infantilismus dieser Fälle in zwei Formen, 
nämlich in die Form des echten psychischen Infantilismus als Persistenz eines 
kindlichen Seelenlebens und in die Form des kleindimensionalen psychischen 
Entwicklungsgrades, der sogenannten „Miniaturseele“; die betreffenden Individuen 
sind halb Erwachsene, halb Kinder. Das nächste Kapitel enthält differential¬ 
diagnostische Betrachtungen und Abgrenzungen von der Imbezillität und der 
Hebephrenie. Weiter wird in einem „Spezielle Infantilismuspathologie“ betitelten 
Abschnitt der psychische Infantilismus als eine psychopathologische Einheit ge¬ 
kennzeichnet und dann auf spezielle Untersuchungen des infantilen Verstimmungs¬ 
zustandes und der infantilen Erinnerungsfälschungen hingewiesen. Als Kompli¬ 
kationen des psychischen Infantilismus und als eventuelle Folgezustände nennt 
Verf. die Neuropsychasthenie, die psychogenen Neurosen und die Zwangsneurose, 
die in gegebenen Fällen auch das Zwischenglied zwischen Infantilismus und „in¬ 
fantilen“ Psychosen abgeben können; es können sich aber diese Psychosen auch 
direkt entwickeln. Bis jetzt kennt man folgende infantile Psychosen: 

1. transitorische Geistesstörungen: pathologische Affektzustände, raptusartige 
angstvolle Ausnahmezustände, 

2. protrahierte Dämmerzustände, 

3. akute halluzinatorische und ängstliche Verworrenheit, 

4. subakute und chronische paranoide Zustandsformen, 

6. melancholische und hypochondrische Krankheitsbilder bei geordnetem 
Hintergrund (Angstpsychosen). 

Nach Mitteilung einiger Selbstbeobachtungen infantiler Psychosen bespricht 
Verf. den Verlauf und Ausgang des psychischen Infantilismus in infantilen 
Schwachsinn; die Bemerkungen über die Lebensdauer soloher Individuen sind 
ebenfalls sehr interessant; hier sei nur erwähnt, daß sie meist frühzeitig 
sterben. 

Ein letztes Kapitel weist nach, daß der reine psychische Infantilismus selten 


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sei, daß dagegen die zweite Gruppe ungleich häufiger in Erscheinung trete; auch 
gibt es einen partiellen Infantilismus. Dieser erscheint am häufigsten unter 
dem Sammelbegriff der „leicht abnormen“ und „minderwertigen Persönlich* 
keiten“. Den Schluß bilden Erörterungen öber die Wechselbeziehungen zwischen 
körperlichem- und psychischem Infantilismus und Bemerkungen öber die Eon* 
gruenz beider Zustände. 

33) Lee fugu.es dans les psyohoses et les dömenoes, par Dr. Uaurice Du- 

costö. (Arcb. de neurol. 1907. Nr. 1 u. 2.) Ref.: S. Stier (Rapperswil). 

Verf., dem wir bereits eine vor 8 Jahren erschienene Studie öber die Fugues 
der Hysterischen, Epileptischen und Dögönörös verdanken, beschäftigt, sich hier 
mit den bisher noch wenig bearbeiteten Fugues bei Alkoholikern und verschiedenen 
Psychosen, namentlich den dementen Zuständen. Er definiert die Fugue als „an- 
fallsweise und ohne Motiv auftretendes Umherschweifen“. 

Bei den Fugues der Alkoholiker unterscheidet er zwei Formen: 1. die 
„Fugues d’instabilitö“, die schon bei leiohterer Alkoholintoxikation Vorkommen, 
im allgemeinen kurz sind, sich häufig wiederholen und keine wesentliche Be¬ 
wußtseinsstörung, keine Amnesie zeigen. Starker Bewegungsdrang ist charakte¬ 
ristisch. Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Fugues bei Dementia 
praecox. Wanderkrisen der Psychastheniker, Fugues der Manischen. Eine zweite 
Form (bei höheren Graden der Alkoholintoxikation) ist von längerer Dauer, mit 
beträchtlicher Bewußtseinstrübung und Amnesie, hat große Ähnlichkeit mit den 
Fugues der Epileptischen und Hysterischen, von denen sie oft nur die Anamnese 
unterscheidet. 

Bei den Manisch-Depressiven wurden Fugues nur in der manischen Phase 
beobachtet. Sie verlaufen ohne tiefere Bewußtseinsstörung und Amnesie, mit 
erotischen und alkoholischen Tendenzen, beträchtlicher psychomotorischer Erregung. 
Nicht selten plötzliches Einsetzen der Remission, Rückkehr nach Hause und Be¬ 
ruhigung. Keine Motivierung seitens des Patienten. 

Die Fugues der Moralisch-Defekten sind bewußt, mit intakter Erinne¬ 
rung, gut durchgeführt, meist häufig wiederholt; bisweilen scheinbar motiviert 
durch das Bestreben der Kranken, sich den Folgen etwaiger Delikte zu entziehen. 

Bei den Fugues der Debilen Bewußtsein und Erinnerung entweder intakt 
oder in geringerem oder höherem Grade gestört. Häufig Rezidive. 

Bei ParalyBis progressiva: im Initialstadium Bewußtsein und Erinnerung 
ziemlich klar; die Fugue an sich erscheint nioht immer als Ausdruck geistiger 
Schwächung, ist bisweilen aber doch schon absurd und ziellos. Im Stadium des 
ausgesprochenen Schwachsinns Bewußtsein und Erinnerung vague oder gänzlich 
gestört, Fugue ohne Plan und Ziel; oft läuft der Kranke bis an das Ende seiner 
Kräfte, ißt nicht und schläft nicht. 

Bei Dementia senilis Bewußtsein und Erinnerung es 0. Die Fugues ge¬ 
schehen blind in den Tag hinein. Pat. verliert sich jeden Augenblick. 

Bei der Dementia praecox sind vier verschiedene Formen der Fugues zu 
unterscheiden: 1. „Fugues d’instabilitö“ kurz, agitiert, rezidivierend — ähn¬ 
lich denen der Alkoholiker; 2. impulsive Fugues: Bewußtsein und Erinnerung 
getrübt, plötzlicher, meist heftiger Ausbruch, begleitet von ungeordneten Reden 
und Handlungen, meist kurz dauernd. Mit Nachlaß des Impulses orientiert sich 
der Kranke wieder und sucht freiwillig sein Heim wieder auf; 3. Fugues des 
intellektuellen Defektes haben bestimmtes Ziel, sind meist gut durchgeführt, 
mit klarem Bewußtsein, bisweilen geschwächter Erinnerung; 4. Fugues der 
tiefen Demenz, ohne Ziel, unbewußt, mit nahezu vollständiger Amnesie. 

84) La psychose maniaque - depressive. Les actualites mödioales — les 

folies intermittentes, par Deny et Camus. (Paris 1907. 96S.) Ref.: H.Vogt. 

Lehrhafte monographische Darstellung in gut faßlicher Form. In der Ein- 


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leitung betonen die Antoren bei Besprechung der Aufgabe, die sie sich gesetzt 
haben, daß es sich bei dem von ihnen behandelten Thema um die einheitliche 
Darstellung der unter verschiedenen Benennungen gehenden Psychose des „cirku- 
lären Irreseins usw.“ handelt, besonders ferner um die Stellung der „idiopathischen 
Manie“ und um die Frage, ob die Melancholie in den Rang einer Rückbildung»* 
Psychose zu verweisen sei. Bei der eingehenden Würdigung der Literatur wird 
auf dem behandelten Gebiet unterschieden: 1. die alte Periode bis> ca. 1860, 
2. die französische mit den besonders hervortretenden Namen von Falvet, 
Baillarger und Magnan, 3. die deutsche Periode seit 1899. Wenn auch die 
originalen Arbeiten unserer Autoren auf dem Gebiete schon an der Hand dieser 
Elinteilung etwas stark in den Hintergrund treten (Griesinger, Ludw. Meyer, 
Kräpelin u. a.), so ist doch die literarhistorische Darstellung nicht ohne Interesse 
zu lesen. Hingewiesen sei auf den symptomatologischen Abschnitt. Als klinische 
Typen werden unterschieden: hypomanie, agitation maniaque und agit. man. aveo 
troubles psychosensoriels et id6es dölirantes, sodann: döpression simple, depression 
avec stupeur, depression dölirante — also eine hauptsächlich symptomatologiache 
Elinteilung. Auf dem schwierigen Gebiet guter instruktiver Abbildungen (Kranken- 
typen) ist auch hier nichts Hervorragendes geleistet. 

35) Untersuchungen über die Ätiologie der Manie, der perlodisohen Manie 
und des oirkulären Irreseins nebst Besprechung einzelner Krankheits- 
Symptome, von Dr. Giovanni Saiz. (Berlin 1907, S. Karger.) Ref.: Georges 
L. Dreyfus (Heidelberg). 

In einer über 200 Seiten umfassenden Monographie verarbeitete Verf. mit 
Fleiß und Geschick alle Fälle von einfacher, rezidivierender und periodischer 
Manie, sowie die Fälle cirkulären Irreseins, welche seit dem Jahre 1895 bis zum 
1. April 1906 in der psychiatrischen Klinik der Charit6 zur Beobachtung kamen. 
Elr wollte dabei besonders feststellen, wieweit die Manie periodisch und rezidi¬ 
vierend auftrat und wieweit der periodischen Manie eine spezielle Ätiologie zu¬ 
kommt. Bei den im genannten Zeitraum in Betracht kommenden 24705 Auf¬ 
nahmen handelte es sich um 0,35 °/ 0 einfache Manien, 0,20 °/ 0 periodische Manien 
und 0,29 °/ 0 cirkuläres Irresein, mit anderen Worten: die Untersuchung erBtreckte 
sich auf insgesamt 168 Patienten. 

Die Krankengeschichten all dieser Kranken verarbeitete Verf. außerordentlich 
eingehend und gründlich. Eis kam ihm besonders darauf an, Momente zu eruieren, 
die als prädisponierende, bzw. auslösende angesprochen werden dürfen. In zweiter 
Linie erst handelte es sich um eine Ergänzung der Symptomatologie der in Rede 
stehenden Krankheiten. 

Alle nur möglichen anamnestisoh festgestellte Schädlichkeiten stellte Verf. 
aus den Journalen übersichtlich und kritisch besprechend zusammen, Schädlich¬ 
keiten, die vielleicht als letztes auslösendes Moment der Psychose angesprochen 
werden können, in erster Linie Heredität und Erschöpfung, während über die 
tatsächliche Ätiologie, die letzte Ursache der betreffenden Krankheiten nichts aus¬ 
gesagt werden kann. 

Es ist unmöglich in dem Rahmen eines Referates alle aufgeführten ätiolo¬ 
gisch in Betracht kommenden Momente, die Verf. bespricht, zu erörtern oder die 
gewonnenen Zahlen anzugeben. Hierfür muß das Buch selbst studiert werden. — 
Auf einige Punkte möchte ich jedoch noch hinweisen. Nach Verf., bzw. 
nach den jeweiligen psychiatrischen Anschauungen, welche die Krankengeschichten 
wiederspiegeln, die er bearbeitete, sind die manischen und cirkulären Erkrankungen 
auffallend selten. Das kommt daher, daß die Berliner Schule, im Gegensatz zu 
anderen, die genannten i’sychosen sehr eng faßte. Die akute halluzinatorische 
Paranoia wird, wenn auch heitere Verstimmung und Beschleunigung der Asso¬ 
ziationen sowie andere manische Symptome nachweisbar sind, scharf getrennt, 

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einfache und periodische Melancholie gehören nicht zum drkuläreu Irresein. Den 
großen Schritt, den Kraepelin machte, rein manische and melancholische Zu- 
standsbilder, einerlei, ob Bie nur einmal anftreten, oh eie periodisch oder alter- 
nierend sind, zum eirkulären Irresein zu rechnen, hat die Berliner psychiatrische 
Klinik nioht mitgemacht. Das Unheilvolle, daß jede psychiatrische Schule ihre 
eigene Nomenklatur, ihre eigenen Definitionen hat, macht sieh auch in der Arbeit 
des Verf.’s geltend: Trotz ihrer peinlichen Gründlichkeit sind die gewonnenen 
Resultate nur für einen kleinen Kreis (findend, eben für den, der genau die 
gleichen psychiatrischen Anschauungen und Definitionen hat. Darin liegt, solange 
noch keine Einheit der psychiatrischen Schulen erzielt worden ist, solange unter 
dem gleichen Namen ganz verschiedene Krankheitsbilder von den einzelnen Schulen 
verstanden werden, da» Aussichtslose psychiatrischer Monographien. Sie sind für 
den Tag und für einen kleineu Kreis geschrieben. Die Ansichten über die kli¬ 
nische Stellung der einzelnen Krankheitsbilder mit so verschwommenen Grenzen 
können wechseln und damit sind die durch nooh so große Gründlichkeit ge- 
wonnenen Resultate zum großen Teile falsch oder wertlos. — 

Trotz dieser in der Natur des bearbeiteten Stoffes liegenden Mängel kann 
das Buch demjenigen, der sich über die ätiologischen Momente der in Rede 
stehenden Psychosen unterrichten will, warm empfohlen werden. 

36) Einige plethysmographisohe Untersuchungen hei affektiven Psyohoaen, 

von Saiz. (Monatsschr. f. Psych. n. Neur. XX I. 1907. S. 492.) Ref.: H. Vogt. 

Ver£ stellt sich die Aufgabe, zu untersuchen, wie sich pathologische Lust- 
nnd Unlustzustände in der plethysmographischen Kurve äußern, ob eine Gesetz¬ 
mäßigkeit, wie sie Lehmann und Wundt für die Affekte des normalen Menschen 
beschreiben, sich nachweisen läßt oder nicht. Bei sechs Fällen (Frauen) voa 
affektiven Psychosen (Manie, oirkuläre Psychose, Melancholie usw.) wurden in toto 
133 plethysmographische Kurven aufgenommen. Es ließ sich erweisen, daß die 
Lehren der genannten Autoren auf pathologische Stimmungslagen nicht übertragen 
werden können, die Befunde stellen aber, da sie recht vielgestaltig sind, einer 
Erklärung nieht geringe Hindernisse entgegen. Verf. resümiert das Urteil seiner 
interessanten und sehr methodisch angestellten Untersuchungen in folgenden 
Sätzen: 

„In der normalen Kurve eines in affektivem Gleichgewichte befindlichen 
Menschen ist charakteristisch, daß Respirationeschw&nkungen fehlen oder wenigstens 
nur Bohwach ausgeprägt sind, während sanfte Undulationen oder jähe Senkungen 
in jeder Kurve vorhanden sind. Tritt nun ein Affekt von bestimmter Stärke 
auf, so gibt er sich in der Kurve durch das Auftreten der Respirations- 
aehwankongen kund, und zwar sowohl Unlust- als Lustaffekte, nur mit dem Unter¬ 
schiede, daß die Respirationsoszillationen bei den Unlustaffekten eher zustande 
kommen. Mit dem Verschwinden des Affektes, der stark gefühlsbetonten Vor¬ 
stellung, verschwinden auch die Respirationsschwankungen in der normalen Kurve. 
Bei einer gazz leichten Hypomanie oder bei einer leichteren Depression ohne 
Angst findet man die Respirationsschwankungen am häufigsten in den erste» 
Tagen, wenn die pathologische Verstimmung einsetzt, im weiteren Verlaufe ver¬ 
wischt sich das Bild immer mehr und mehr, und die Respirationsschwankungen 
werden undeutlich und versohwinden ganz. Wir bekommen Kurven mit sanften 
Undulationen oder jähen Senkungen, also Kurven, welche als normal zu bezeichnen 
■ind. Bei stärkerer hypomanischer Erregung, sowie bei tiefgehender Depression 
mit Angst treten die Respirationsschwankungen fast stets auf; ob dabei die 
Volumkurve im ganzen mehr gleichmäßig verläuft oder ob stärkere Undulationea 
Auftreten, hängt von den individuellen Verhältnissen ab. Die Stärke des Affektes, 
welche notwendig ist, um die Respirationsschwankungen durch längere Zeit in 
der Kurve zu erhaben, ist natürlich nicht als eine konstante Größe zu denken, 

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sondern sie schwankt je nach der Individualität und auch bei demselben Indivi¬ 
duum zu verschiedenen Zeiten innerhalb gewisser Grenzen.“ 

37) Zur Psychopathologie der Melancholie, von Prof. Dr. Karl Heil- 

bronner. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXII. 1907. S. 1.) Ref.: H. Vogt 

Ausgehend von den verschiedenen Auffassungen über den Begriff der 

Melancholie erinnert Verf. an eine wenig beachtete Anregung Wernickes, wie¬ 
weit der elementare Komplex der Melancholie durch anderweitige Symptome ver- 
. mehrt, wieweit also neben der intensiven eine extensive Steigerung des Krank¬ 
heitsvorgangs vorhanden sein kann. Als Momente letztgenannter Art kommen in 
Betracht u. a. das Auftreten von Halluzinationen, von phantastisch bedrohlichen 
Vorstellungen, dann vor allem hypochondrische Elemente. Letztere verlaufen 
stets unter dem Bild hypochondrischer Parästhesien. Verf erinnert an eine Mit¬ 
teilung Juliusburgers (Mon. f. Psych. u. Neur. XVIL S. 72), in der Symptome, 
die den letztgenannten verwandt sind, erörtert wurden; dieselben wiesen auf eine 
Herabsetzung, bzw. Aufhebung der sogen. Organgefähle hin und entsprächen mehr 
somatopsychischer Afunktion als Parafunktion. Diese Zustände bestanden bei 
Juliusburger in der Unfähigkeit sich Angehörige, Wohnort usw. vorzustellen, 
in Störungen der Wahrnehmung u. a. Im Gegensatz zu Juliusburger, der 
diese Zustände von Fällen reiner Melancholie trennt und als Pseudomelancholie 
bezeichnet, hebt Verf. hervor, daß die Zustände vielmehr essentiell zur echten 
Melancholie zu gehören scheinen. Es wird ein instruktiver einschlägiger Fall 
mitgeteilt. Für die Erklärung dieser Tatsache geht Verf. aus von der Wernicke- 
schen Auffassung des Bewußtseins der Körperlichkeit, nach welcher bekanntlich 
der Körper einen Teil der Außenwelt vorstellt, andererseits aber bildet das nor¬ 
malerweise inhaltlich konstante Bewußtsein der Körperlichkeit die Voraussetzung 
für ein einheitliches Bewußtsein der Persönlichkeit; die Grundlage sind assozia¬ 
tive Vorgänge. In den hierhergehörigen Zuständen ist das Bewußtsein der 
Körperlichkeit, soweit es den Körper als Außenwelt betrifft, nicht gestört, im 
Vordergrund steht nicht die vermeintliche Veränderung des betroffenen Organs, 
sondern die veränderte persönliche Reaktion auf das Wahrgenommene, der ver¬ 
änderte Eindruck, der das Ich des Kranken von dem Aufgenommenen erhält 
Verf. schließt die anregende interessante Erörterung, indem er hervorhebt, daß 
die Symptome von „Afunktion der Somatopsyche“ im Rahmen der Melancholie 
nichts einigermaßen Fremdes darstellen, daß sie vielmehr — gleichviel welcher 
Theorie der Melancholie man sich anschließen will — sich in durchaus analoger 
Weise ableiten lassen wie das typisch melancholische Symptom der subjektiven 
Insuffizienz und der psyohinchen Hemmung. 

38) Neuralgien bei Melaneholie, von Oskar Bruns. (Monatsschr. f. Psych. u. 
Neur. XXI. 1907. S. 481.) Ref.: H. Vogt 

Verf. gibt einen interessanten Beitrag zu den Beziehungen zwischen Neuralgie 
und Psychose. Er erörtert mehrere Fälle, für welche Krankenbeobachtungen an¬ 
geführt werden, an der Hund folgender Fragen: 1. welcher Art sind die be¬ 
obachteten Sensibilitätsstörungen; handelt es sich um echte Neuralgien oder um 
Pseudoneuralgien, Psychalgien, Topalgien? 2. Wie werden jene Sensibilit&ts- 
anomalien psychisch verwertet? 3. Was für Beziehungen haben sie zur Entstehung 
der Krankheit, zum Krankheitsverlauf und in welchem kausalen Verhältnis stehen 
sie zu den psychischen Störungen? 

Der erste Fall bot Antwort auf alle drei Fragen: Bei einer hereditär psycho¬ 
pathischen Person traten auf dem Boden nervöser hochgradiger Erschöpfung 
heftige neuralgiforme Schmerzen in der linken Seite auf, die teilB ins Thoraxinnere 
verlegt werden, teils äußerlich verlaufen. Kein anfallsweiser Charakter, keine 
Druckpunkte, dagegen ist die ganze vordere Thoraxwand druckempfindlich, es be¬ 
steht ferner symmetrische Hyperästhesie, Abhängigkeit der Schmerzstärke von der 

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Selbstbeobachtung: also Pseudoneuralgie. Psychische und körperliche Erschei¬ 
nungen gehen parallel. Die fortdauernden Schmerzen fixieren das erst latent ge¬ 
haltene Wahnsystem im Bewußtsein. So kommt es zu einer Allegorisierung der 
Schmerzen. Ein zweiter Fall bot Hand in Handgehen psychischer und körper¬ 
licher Krankheitserscheinungen ohne gegenseitige Kausalität. Keine echte Neur¬ 
algie, keine psychische Verwertung der Symptome. Im dritten Fall sehen wir 
infolge schwerer allgemeiner Erschöpfung Anfälle auftreten, die sich aus gleich¬ 
zeitigen körperlichen und geistigen Krankheitserscheinungen zusammensetzen, beide 
Erscheinungen sind central bedingt, kein WahnBystem. In einem weiteren Falle 
gehen gleichfalls die körperlichen Störungen nur in losem Zusammenhang mit den 
psychischen einher. Schließlich zeigt ein Fall von periodischer Melancholie 
Schmerzen zur Zeit der DepressionBzustände, die mit dem Verschwinden der¬ 
selben wieder abnehmen. Die Schmerzen sind auch hier pseudoneuralgischer 
Natur. 

Es handelt sich so in den Fällen um Pseudoneuralgien, deren periphere 
Projektion in ihrer Ausbreitung bestimmt wird durch die naiven Vorstellungen 
der Grenzen der Körperteile gegeneinander und der Lage der lebenswichtigen 
Organe in unserem Körperinnern. Es wird die Entstehung solcher Pseudo¬ 
neuralgien bei einer Psychose, speziell der Melancholie besprochen. In den vor¬ 
liegenden Fällen zeigen sich die neuralgiformen, bzw. pseudoneuralgischen 
Schmerzen als konkomitierende (bzw. sekundäre) Symptome der Psychosen und 
zwar speziell der Melancholie. 


Therapie. 

39) Zar Beruhigangs- and Einsohläferangstherapie, von Dr. Kröger und Dr. 
v. d. Velden. (Deutsche med. Wochensohr. 1907. Nr. 6.) Ref.: R. Pfeiffer. 
Die Verff. haben das „Bromural“ an den Kranken der Marburger Klinik 

einer systematischen Prüfung unterzogen. Bromural ist ein Monobromisovalerianyl- 
harnstoff; seine Wirkung beruht auf einer in besonderer Weise im Molekül der 
Baldriansäure verketteten Isopropylgruppe. Das Mittel wirkt einschläfernd in 
leichtesten Fällen meist nach 5 bis 25 Minuten; Dosis am besten 0,6 g, höhere 
Dosen ohne stärkere Wirkung. Wirkungsdauer etwa 3 bis 5 Stunden, danach 
schließt sich oft der natürliche Schlaf an den künstlich erzeugten an oder man 
kann mit einer zweiten Dosis den gleichen Effekt erzielen. Bei Schmerzen, Husten¬ 
reiz, Angina pectoris, Erregungszuständen oder Delirien keine Wirkung. Der 
BromuralBchlaf zeigt keine Abweichungen von dem natürlichen Schlaf, keine Nach¬ 
wirkungen oder Nebenerscheinungen. Die narkotische Wirkung ist gering, die 
Ausscheidung bzw. Zerstörung des Mittels erfolgt rasch. 

40) Versuche über neuere Sohlafmittel, von Ehrcke. (Psych.-neur. Wochen¬ 
schrift. 1906. Nr. 6.) Ref.: E. Schultze (Greifswald). 

Bericht über Versuche mit Neuronal, Veronal, Isopral, Viferrol und Hypnal. 
Besonders bewährte sich Veronal; Eintritt des Schlafes meist in 1 bis 2 Stunden; 
keine unangenehme Nebenerscheinungen, nur vielfach leichte Müdigkeit nach 
dem Erwachen. Mehrmals wurde nach Proponal über Schwindel und Angstgefühl 
geklagt, einmal selbst nach einer Dosis von 0,15 g. 

41) Proponal, von Bresler. (Psych.-neur. Wochenschr. 1906. Nr. 6.) Ref.: 
E. Schultze (Greifswald). 

Verf. wandte bei der Prüfung des Proponals dieselbe Versuchsanordnung an 
wie beim Neuronal. Die Wirkung des ProponalB war gut und frei von Neben¬ 
wirkungen; freilich wird 0,5 g bei erregten Geisteskranken nicht ausreichen, 0,6 
bis 0,75 aber mit großer Wahrscheinlichkeit. 

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42) Über Neuronal, von Wickel. (Psych.-neur. WochenBchr. 1906. Nr. 21.) 

Ref.: E. Schultze (Greifswald). 

Verf. bezeichnet das Neuronal als ein gutes und brauchbares Schlafmittel 
bei leichteren nnd auch stärkeren Erregungszuständen in der Dosis von 0,5, 1,5 
und 2,0 g. Bei heftigeren Erregungen ist seine Wirkung unzuverlässig. Bei Epi¬ 
lepsie ist es ohne besondere Wirkung. Der erzielte Schlaf ist ruhig und gleich¬ 
mäßig. Gewöhnung oder kumulative Wirkung traten nicht hervor; Nebenwirkungen 
zeigten sich äußerst selten. 

43) Die Behandlung der Impotenz. Klinischer Vortrag von FQrbringer. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 7.) Ref: R. Pfeiffer. 

Der Vortrag Fürbringers über die Behandlung der Impotenz gibt in ge- 
dräpgter Form einen erschöpfenden Überblick und gewinnt noch dadurch an 
aktuellem Interesse, als hier von autoritativer Seite über den Wert neuerer und 
neuester Mittel (Yohimbin, Muiracithin) geurteilt wird. 

44) Über die physiologischen Grundlagen der physikalischen Therapie 

(Bemerkungen zu dem Vorträge von A. Goldsoheider); vgl. Neurolog. 

Centralbl. 1907. S. 419, von Alois Strasser. (Blätter f. klin. Hydro¬ 
therapie. 1907. Nr. 3.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg). 

Verf. wendet sich gegen einige Ausführungen des Goldscheiderschen Vor¬ 
trages (s. d. Centr. 1907. S. 419). Verf. hält die physikalisch - therapeutischen 
Einflüsse auf die Haut für naturgemäße, weil er der Ansicht ist, daß die Haut 
als Einstellungsorgan für das nervöse Gleichgewicht, vielleicht im ganzen Körper, 
dient. Er bestreitet infolgedessen auf das lebhafteste, daß den physikalischen Be¬ 
handlungsmethoden direkte Wirkungen, wie Goldscheider meint, ahgehen. 

Verf. führt an, daß thermisch-mechanische Reize durch Anregung der hämato- 
poetischen Organe die Chlorose bessern können, daß Kreislaufsveränderungen auf 
physikalischem Wege bekämpft werden usw. Er meint, daß die Idee des nil nocere 
die bei weitem vorherrschende ist, und auf die Vorteile der physikalischen Methode 
verzichten ließ, weil ihre Beherrschung mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. 
Bei allen physikalischen Prozeduren muß man bestrebt sein, führt Verf. aus, die 
theoretischen Vorstellungen mit seinen praktischen Erfahrungen in Einklang zu 
bringen, was bis jetzt noch keineswegs der Fall ist. 

45) Ein neuer elektromedisinisoher Apparat, von Priv.-Doz. Dr. Ludwig 

Mann. (Zeitschrift f. medizin. Elektrolog. u. Röntgenk. IX. 1907. S. 98.) 

Ref.: Toby Cohn (Berlin). 

L6duc hat 1902 auf dem Berner Elektrologenkongreß eine Demonstration 
veranstaltet, deren wesentlichster Inhalt der folgende war: mit einem, 3000 bis 
12 000 mal in der Minute unterbrochenen Gleichstrom (galvanischen oder Dynamo¬ 
strom) von der relativ niedrigen Spannung der üblichen Elementbatterien erzielte 
er an Hunden (später auch am Menschen) bei Durchströmung des Kopfes einen 
narkoseähnlichen Zustand; Urin- und Stuhlentleerung wurde auch ohne Ein¬ 
schaltung des Gehirns in den Stromkreis erreicht. Die Firma Leopold 
Batochis in Naumburg a./S. hat nun einen Apparat konstruiert, der unter Be¬ 
nutzung eines Uhrwerkes sowohl diesen L£ducschen Strom als auch Wechsel¬ 
strom und gewöhnlichen galvanischen und faradischen Strom erzeugt, ferner auch 
eine Schaltvorrichtung nach Art des Schnöescben Vierzellenbades enthält, und 
dem biegsame Elektroden zur Allgemeinelektrisierung analog den Boruttau¬ 
schen Hüllenelektroden beigegeben sind. 

Mit diesem Apparat bat Verf. Untersuchungen angestellt; Narkoseversuche 
nur an einem Kaninchen, und zwar ohne Erfolg. Die vom Konstrukteur an¬ 
gegebene peripherische Anästhesie durch eine bestimmte Applikationsweise der 
Elektroden konnte Verf. ebenfalls nicht nachweisen, höchstens oberflächliche 
Schmerzabstumpfung. Interessanter waren dagegen die Untersuchungsresultate 


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bezüglich der motorischen Nerven: der maximal rasch unterbrochene L6ducsehe 
Strom verhielt sich nämlich in normalen wie pathologischen Fällen (Entartungs¬ 
reaktion, Myotonie), genau wie der galvanische; bei dieser Frequenz machen sich 
also die Unterbrechungen physiologisch nicht mehr bemerkbar. Der weniger fre¬ 
quente „L6duc“ hingegen wirkte tetanisierend wie der faradische Strom, dessen 
Wirkung auch in pathologischen Fällen die seine gleichkommt Nur in einem 
Falle von kompletter Entartungsreaktion fand sich bei aufgehobener faradischer 
Erregbarkeit eine träge AnSZ mit diesem „wenig frequenten L6duc“. Der Ba- 
tochissche Apparat, der noch in mancher Hinsicht verbesserungsbedürftig ist, 
und dessen genaues Studium noch einzelne auffallende, nicht genügend erklärte 
Beobachtungen aufweist, erscheint dem Verf. diagnostisch und therapeutisch, in 
letzterer Hinsicht vielleicht besonders als Sedativum bei Neuralgien, wohl ver¬ 
wendbar. 

46) Zur Indikation der Behandlung mit Hochfrequenzströmen, von Franz 

Nagelschmidt. (Deutsche med. Woch. 1907. Nr. 32.) Ref.: Kurt Mendel. 

a) Das große Solenoid, dessen Wirkung nach des Verf.’s Ansicht nicht ledig¬ 
lich auf Suggestion beruht, verschafft ein Gefühl der Erfrischung und erhöht 
Arbeitskraft und Arbeitslust, wirkt aber andererseits auch einen normalen, festen 
Schlaf erzeugend. Mit Erfolg wird es bei Anfällen von Angina pectoris angewandt, 
gleichfalls bei Neurasthenie. 

b) Die einpolige elektrische Dusche oder der elektrische Wind ist vornehm* 
lieh indiziert bei Hyperästhesien, Parästhesien, Neuralgien der Haut, juckenden 
Ekzemen, bei zweipoliger Applikation empfiehlt sich die elektrische Dusche bei 
den unterhalb der Haut gelegenen Neuralgien (Ischias, Trigeminusneuralgie usw.), 
auch bei nervösen Herzkranken. 

c) Die Kontaktanwendung mit zweipoliger Applikation bewährt sich 
hauptsächlich bei den lanzinierenden Schmerzen und gastrischen Krisen der 
Tabiker. 

d) Die rektale und endourethrale Behandlungsweise ist bei psychischer Im¬ 
potenz zu versuchen. 

e) Duroh Funkenentladung können besonders starke und ausgiebige Muskel¬ 
kontraktionen hervorgerufen werden, welche noch zu diagnostischen und thera¬ 
peutischen Zwecken des näheren zu ergründen sind. 


111. Bibliographie. 


1) Die Tetanie der Erwachsenen , von Prof. Dr. L. v. Frankl-Hochwart. 

(II., vielfach umgearb. Aufl. Wien 1907, Holder.) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

Durch die Epithelkörperchenfrage ist man gewohnt die Tetanie nur von 
diesem Gesichtspunkte aus zu betrachten. Und doch geht dabei der Blick für 
das Ganze verloren, das unter allen Umständen mehr bietet, als das erwähnte, 
wenn auch noch so interessante Detail, dessen Wichtigkeit unbestritten bleiben 
soll, wenn diese vielleicht auch mehr auf allgemein biologischem Gebiete gelegen ist. 

Es drängt sich einem diese Anschauung unwillkürlich bei der Lektüre des 
Fränkischen Buches auf, das in der Mehrzahl seiner Teile ein neues geworden 
ist. Seine Bedeutung liegt darin, daß das, was hier an jahrelangen Erfahrungen 
und Beobachtungen gesammelt ist, Tatsachen sind, die keine noch so ingeniöse 
Hypothese umzustoßen imstande ist. Wenn nun auch die tbyreoprive Tetanie 
als Epithelkörperchentetanie aufgefaßt werden kann, so ist doch nicht wegzuleugnen 
die Eigenart der anderen Tetanieformen, nur in den Frübjabrsmonaten aufzutreten, 
gewisse Berufskreise (Schuster, Schneider) zu befallen und auch in dem Auftreten 


an verschiedenen Orten eine gewisse Selektion zu zeigen. Das und eine Reihe 


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anderer Momente (initiales Fieber, Halluzinogen, mehrfaches Vorkommen in einer 
Familie) legen den Gedanken nahe, daß man es mit einer Infektionskrankheit 
zu tun habe. Von Bedeutung erscheint dabei, daß sich die verschiedenen Formen 
der Tetanie, z. B. die bei Magen-Darmaffektionen, hei Infektionen, Intoxikationen, 
die in der Matemität, im wesentlichen gleich verhalten im zeitlichen und ört¬ 
lichen Auftreten, im Befallen bestimmter Berufskreise mit der idiopathischen 
Tetanie, der Tetanie der gesunden Handwerker. 

Verf. verhält sich danach ah wartend zur Frage der Epithelkörperchentetanie. 
Wenn auch diese — die Epithelkörperchen —, wie Pineies meint, wesentliches 
nur für die Pathogenese bedeuten, die Ätiologie außer Spiel lassen, so kann man 
nach Verf. aus der Pathogenese von Erkrankungen ohne sonstige Anhaltspunkte 
nicht irgendwelche Schlußfolgerungen bezüglich der Ätiologie ziehen. 

Die Symptomatologie bringt eine .Reihe feinerer Details, die Abstufungen 
des Chvostekschen Phänomens, dessen Bedeutung für die Tetanie ins rechte Licht 
gestellt wird, die Eigentümlichkeit, daß Psychosen hei Tetanie hauptsächlich im 
Frühjahr auftreten, und daß diese mit den Krämpfen exacerbieren und remittieren, 
die Beobachtungen über initiales Fieber und ähnliches. 

Die größte Bedeutung aber kommt der katamnestischen Forschung an mehr 
als 50 eigenen Fällen zu, welche die ungünstige Prognose der Tetanie erweisen. 
Elf von den 56 Fällen waren in jungen Jahren gestorben, ein Fünftel litt an 
chronischer Tetanie, 19 an tetanoiden Zuständen, sechs an einem chronischen 
Siechtum, in manchen Zügen dem Myxödem vergleichbar. Es ist unter solchen 
Umständen bedauerlich, daß bisher alle therapeutischen Versuche, wenn man ihnen 
völlig objektiv entgegentritt, wenig oder keinen Erfolg hatten, da eben die 
wahren Ursachen der Tetanie noch nicht erschlossen sind. 

So bringt jedes der vielen Kapitel des Buches, das trotz Ausschlusses der 
Kindertetanie den früheren Umfang übertrifft, wesentlich Neues und das Alte wird 
übergeprüft und modifiziert. Über die klassische Diktion und die übersichtliche 
Anordnung des Stoffes in diesem Beispiel einer modernen Monographie sind bei 
dem Namen des Autors wohl keine Worte zu verlieren. 


2) Geisteskrankheit und Geistesschwäche in Satire, Sprichwort und Humor, 

von Dr. Mönkemöller. (Halles.S. 1907, C. Marhold.) Bef.: H. Haenel. 

Eine sehr dankbare Idee, und an ihrer Durchführung merkt man, wie Verf. 
von ihr mehr und mehr gefesselt wurde und wie sich der Stoff ihm unter den 
Händen zu einem Stück Kulturgeschichte erweiterte. Das Zusammenbringen der 
Literatur über diesen Gegenstaud mag, da ein ähnliches Werk noch nicht existiert, 
seine Schwierigkeiten gehabt haben, es setzt jedenfalls neben einer außerordent¬ 
lichen Belesenheit einen besonders feinen Spürsinn für das im gesuchten Zu¬ 
sammenhang Wichtige und Interessante bei dem Verf. voraus. Besonders ge¬ 
lungen und kulturhistorisch wertvoll erscheinen die Kapitel über die Hofnarren 
und die didaktischen Narren des Mittelalters, ebenso die vergnügten Geistes¬ 
kranken auf der Bühne. Die Ironie und Selbstironie, die in oft ergötzlicher 
Weise im Stile des Verf immer wieder durchbricht, macht auch manches hier 
und da etwas weit Hergeholte schmackhaft; jedenfalls hat es etwas Verblüffendes, 
zu sehen, wie durch die Jahrhunderte der Schwachsinnige eine immer neu spru¬ 
delnde Quelle des Vergnügens für die Menge hat abgeben können, und umgekehrt, 
wie fast überall, wo der Volkswitz eine besonders dankbare Figur für seine Be¬ 
tätigung gefunden hat, das geschärfte Auge des Psychiaters den Psychopathen 
darin erkennt. Wenn man an der Verteilung des Stoffes etwas aussetzen wollte, 
so wäre es höchstens das, daß die Abschnitte von den Geisteskranken in den 
heutigen Witzblättern und besonders die Kommersbuch- und Bieraeitungsliteratur 
wohl einen zu großen Kaum in dem Ganzen einnehmen und geeignet erscheinen, 


die dem Buche im ganzen ohne Zweifel zukommende ernsthafte literarische Be- 

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deutung etwas zu stören. Außer von den Fachgenossen wird es sicher von Histo¬ 
rikern und allen denen, die an der Betrachtung des menschlichen Geschehens von 
neuen Gesichtswinkeln aus Freude haben, mit viel Vergnügen und Genuß ge¬ 
lesen werden. 

3) Studie über Minderwertigkeit von Organen, von Dr. Alfred Adler. 

(Berlin und Wien. 1907. 92 Seiten.) Ref.: H. Vogt. 

Verf. betrachtet seine Studien als Ausgangspunkt einer weiteren Forschungs¬ 
richtung, die der klinischen Medizin sich angliedern soll. Der erstarrte und ge¬ 
bundene Krankheitsbegriff soll eine Auflösung erfahren. Verf. geht in geistvoller 
und origineller Schilderung dem Moment der Organminderwertigkeit nach. „Die 
Minderwertigkeit des Organs ist embryonalen Ursprungs.“ „Das minderwertige 
Organ trägt in Morphologie und Funktion den embryonalen Charakter an sich. 
Von den Ursachen der Organminderwertigkeit läßt sich nach Analogie der Ur¬ 
sachen von Mißbildungen folgendes Schema entwerfen: 

1. Primärer Mangel an Bildungsmaterial. Man wird dabei besonders deut¬ 
lich familiäres Auftreten beobachten können oder erschöpfende Krankheiten, Lues, 
Alkoholismus, Vergiftungen der Eltern zur Zeit der Zeugung, vorfinden. Im 
letzteren Falle wird jedoch häufig die Auswahl des Organs durch eine primäre 
Minderwertigkeit desselben weiter determiniert sein. 2. Entzündliche Vorgänge 
während der embryonalen Entwicklung, wobei wieder die Auswahl des Organs 
nicht ohne Determination geschehen kann. 3. Störender Einfluß eines benach¬ 
barten Organs in der fötalen Periode. Auch in diesem Falle muß ein disposi¬ 
tionelles Moment für das nachteilige Zusammenwirken aufgesucht werden.“ 

Beachtenswert erscheint in der Studie das überall hervortretende Suchen 
nach allgemeinen Gesichtspunkten (vgl. Abschnitt Biologische Gesichtspunkte in 
der Minderwertigkeitslehre). Es sind im einzelnen folgende Abschnitte behandelt: 
Heredität, anamnestische Hinweise, morphologische Kennzeichen, Reflexanomalien 
als Minderwertigkeitszeichen, mehrfache Organminderwertigkeiten, die Rolle des 
Centralnervensystems in der Minderwertigkeitslehre. Psychogenese und Grundlagen 
der Neurosen und Psychoneurosen. 

Hervorgehoben sei der Hinweis, daß oft die Neigung zur Erkrankung der 
nämlichen Organe und Organsysteme familiär auftritt (erbliche Minderwertigkeit). 
Die funktionellen Ausfälle können durch die konsekutive Überkompensation im 
dazu gehörigen psychischen Felde ausgeglichen werden. Alle Erscheinungen der 
Neurosen und Psychoneurosen sind zurückzuführen auf Organminderwertigkeit, 
den Grad und die Art der nicht völlig gelungenen centralen Kompensation und 
auf eintretende Kompensationsstörungen. Im Anhang werden Beobachtungen an 
52 Enuresisfällen erörtert. 

Ohne Zweifel wird die Beachtung der Adle rechen Gesichtspunkte nicht 
allein dem Verständnis einzelner Organstörungen zugute kommen, sondern bei dem 
Bestreben, immer wieder der Wechselwirkung zwischen den Organen und zwischen 
ihnen und dem Organismus gerecht zu werden, auch unseren allgemein-patho¬ 
logischen Anschauungen. Man darf auf die weiteren Ergebnisse der Forschung 
gespannt sein. Das von dem Autor mit Recht betonte „Unfertige an dieser Art 
von Organen, ihre oft nachweisbaren Entwicklungsstillstände, der Mangel an Aus¬ 
bildung in histologischer und funktioneller Richtung“, das spätere Versagen usw. 
weist nach Ansicht des Ref. besonders darauf hin, die morphologischen und em¬ 
bryologischen Gesichtspunkte dieser Art an dem Organe zu studieren, das allein 
wie kein anderes — auf Grund seiner architektonischen und strukturellen 


Gliederung, wie auf Grund seiner korrelativen Entwicklung, des gegenseitigen Ab¬ 
hängigkeitsverhältnisses seiner Teile usw. — geeignet ist, die Art und die Zeit, 
d. i. den Grad des Entwicklungsstillstandes zu erweisen, nämlich an dem Gehirn, 


speziell an den höher differenzierten Formen der Mißbildungen des Gehirns. Auf 


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diesem Wege läßt sich auch eine exakte Kenntnis der späteren eigentlich organo¬ 
genetischen Entwicklung des Gehirns gewinnen, die selbst wieder den Adler- 
schen weitausschauenden Gesichtspunkten zugute kommen muß. Schlüsse allge¬ 
meiner Art werden sich auf die an dem höchstdifferenzierten Organ gemachten 
Erfahrungen am ehesten aufbauen lassen. 


IV. Aus den Gesellschaften. 


Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 


Sitzung vom 12. März 1907. 


(Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 681.) 


Herr Bär&ny stellt eine 26jährige Frau mit luetisoher Erkrankung des 
linken Labyrinthes vor. Beginn der Erkrankung vor 3 Monaten mit Dreh¬ 
schwindel, linksseitigem Ohrensausen und Erbrechen. Auf Jodkali sistiert der 
Schwindel, nach Aussetzen desselben neuerliche Erkrankung. Augenblicklich 
heftigster Drehschwindel, besonders heftig bei Bewegungen, kontinuierliches links¬ 
seitiges Ohrensausen, keine Herabsetzung der Hörschärfe. Objektiv fand sich gute 
Hörschärfe, Weber nach links. Links kaum verkürzte Knochenleitung; starker 
spontaner rotatorischer und horizontaler Nystagmus nach links, bei Blick nach 
rechts Buhe. Der Nystagmus zeigt alle Zeichen des vestibulären. Die Gesamt¬ 
heit der Symptome weist auf Lähmung des N. vestibularis, wegen des bestehenden 
Ohrensausens kann der Sitz der Läsion „vom Bogengangsapparat bis zum Eintritt 
des N. vestibularis in die Medulla oblongata“ sein. 

Herr Frankl-Hoch wart hält infolge des lateralisierten Weber auch den 
Hörapparat für geschädigt, weshalb der Fall in die Gruppe des Meni&re- 
Schwindels bei wenig affizierter Hörschärfe gehört. Vortr. selbst hat den einzigen 
Fall von beglaubigter richtiger Diagnose auf Vestibularschwindel bei völlig in¬ 
taktem Gehör publiziert. Bei diesem Falle war auch der Stimmgabelbeiund 
normal. Erst nach längerer Zeit traten die Zeichen nervöser Hörstörung auf. 

Herr Mattauschek stellt einen Fall von hysterischem Dämmerzustand 
(Ganser) mit linksseitiger totaler Anästhesie und linksseitigem Schwitzen des 
Gesichtes vor, bei dem auch links Würgreflex und Ohr- und Nasenkitzelreflex 
fehlten. Daneben bestehen eine Reihe psychischer Symptome. Der Patient steht 
unter dem Einfluß lebhafter Gehörstäuschungen, nimmt oft und plötzlich ver¬ 
schiedene militärische Stellungen ein; antwortet langsam und zögernd, paralogisch: 
Ring = Knopf, Woche = 3 Tage, 4X4 = 20. Er macht den Eindruck des Ver¬ 
träumten, Automatenhaften, Gehemmten. 

Herr Pötzl demonstriert mikroskopische Präparate eines Falles von De¬ 
lirium acutum, bei dem Streptokokkenthromben in den Gefäßen der Hirnrinde, 
des Stammes an vielen Orten gefunden wurden. Die Reinkultur ergab Strepto¬ 
kokken in langen Ketten. 

Herr Hatschek: Zur vergleichenden Anatomie des Nuoleus ruber. Der¬ 
selbe besteht aus einem großzelligen kaudalen und kleinzelligen oralen Teil. Ersterer, 
bei niederen Säugern stark entwickelt, bildet sich in der Affenreihe zurück, ist 
beim Menschen rudimentär, während umgekehrt hier der kleinzellige Anteil, der 
bei den anderen Säugern, von den Affen abwärts, schlechter entwickelt ist, eine 
starke Ausbildung erfahren hat. Mit dem N. magnocellularis des N. ruber steht 
das Monakowsche Bündel in Zusammenhang, sowie der dorsale Anteil der Binde- 
armkreuzuug und die beim Menschen rudimentären Kleinhirnkerne (N. globosus, 
emboliformis). Mit dem kleinzelligen Anteil des N. ruber korrespondiert der 
N. dentatus cerebelli, dem die ventrale Bindearmabteilung entspricht. Diese Teile 


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sind koordinatorische Regulationscentren, die parallel der Großhirnentwicklung 
angewachsen sind, während die primären phylogenetischen Bewegungsautomatismen 
(N. rnber magnocellularis, Embolus, N. globosus) sich zurückgebildet haben. 

Herr Hirschl: Dementia praeoox und Syphilis. In diesem Vortrag 
(Referat liegt nicht vor) weist Vortr. darauf hin, wie häufig Dementia praecox 
in der Descendenz der Paralytiker und Luetiker sei. 

Herr v. Frankl-Hochwart weist darauf hin, daß auch Kinder von Lue¬ 
tikern ohne Nervensymptome pathologische Erscheinungen bieten; abgesehen von 
Psychosen, Paralyse, Imbecillität fanden sich häufig psychische Störungen geringen 
Grades. Die Kinder sind erregt, unträtabel, geistig leicht zurückgeblieben, mit 
moralischen Defekten. Auch Epilepsie finde sich. Die Wichtigkeit der ganzen 
Frage läßt einen Vorschlag des Vortr. berechtigt erscheinen, man solle eine 
Sammelforschung namentlich seitens der Hausärzte veranlassen, die Familien durch 
Jahrzehnte verfolgen müßte, um zu einer geeigneten Statistik zu gelangen. Ins¬ 
besondere berührt diese Sache die Heiratsfrage der Luetiker. 

Herr Pilcz kann Hirschls Ergebnisse bezüglich der Dementia praecox be¬ 
stätigen. Von 416 Fällen von Dementia praecox sind 5,12 % durch Tabes direkt 
belastet, während Tabes in der Ascendenz der Paranoiker z. B. nur in 0,51 °/ 0 , 
in jener der Pat. mit manisch-depressivem Irresein nur in 0,64 % Vorgelegen 
hatte. Interessant ist noch, daß z. B. bei 44 Hebephrenen in 23 Fällen Paralyse 
von Vater oder Mutter bestand, von 27 Katatonikern in nicht ganz 20%. 

Herr E. Stransky weist auf die Schwierigkeit der Abgrenzung katatoner 
Zustände hin, zumal solche bei Paralyse, nach Kopftraumen usw. Vorkommen, 
weshalb man die Frage aufwerfen könnte, ob die Fälle von Hirschl auch wirk¬ 
lich zur Dementia praecox zu rechnen sind. 

Herr Pötzl meint, daß antiluetische Behandlung bei Dementia praecox zwar 
erfolglos bleibe, aber man beobachtet Parallelismus im Verlaufe beider Prozesse, 
Aufflackern der Geisteskrankheit zugleich mit einem frischen Exanthem. Er 
glaubt nicht, daß Lues die spezifische Ätiologie der Dementia praecox darstelle, 
vielmehr reagiere das psychisch kranke Individuum im Sinne seiner Dis¬ 
position. Der Vortr. fragt, ob Lues oder Paralyse in der Ascendenz gleich¬ 
bedeutend seien? 

Herr v. Wagner-Jauregg kennt Fälle von besonderer Anzahl, die den 
Gedanken eines Zusammenhanges von Lues und Dementia praeoox nahelegen; die 
Statistik sei hier kein ausreichendes Moment für die Beweisführung. Jedenfalls 
käme es darauf an, die Fälle direkter Heredität zu erforschen, differenziert nach 
der Form der Geistesstörung, um zu sehen, ob progressive Paralyse häufiger als 
andere Psychosen in der Ascendenz von Dementia praecox-Kranken, diese Krank¬ 
heit häufiger in der Descendenz von Paralytikern anzutreffen sei. 

Herr Eduard Hitschmann glaubt, daß angehende Minderwertige leichter 
Lues akquirieren und verweist auf Freud, der Lues in der Anamnese schwerer 
Hysteriker fand. Bei Frauen sei Lues häufiger, als man es beweisen könne. 

Herr HirBchl stimmt in seinem Schlußworte v. Frankl-Hochwart be¬ 
züglich der Epilepsie bei. Die Heiratsfrage sei eine schwierige; man müßte zu 
vielen die Heirat versagen, was einesteils nicht befolgt würde, andernteils ist die 
Zahl der Ehelosen im Staate ohnehin eine schon zu große. Die Frage Pötzls, 
ob Lues oder Paralyse in der Ascendenz jener Belastung entspricht, ist noch 
nicht zu entscheiden. Vortr. erkennt wohl den geringen Wert einer Statistik 
— gleich v. Wagner — an, hier hatte die Statistik, die ohnehin zuungunsten 
der Empfindung über die Häufigkeit von Paralyse in der Ascendenz von Hebe¬ 
phrenen verschoben war, nur die Aufgabe, diese Empfindung deutlicher hervor¬ 
treten zu lassen. Herrn Hitschmann gegenüber sei bemerkt, daß die jugend¬ 
lichen Hebephrenen meist vor Ausübung der geschlechtlichen Tätigkeit in 


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Anstalten kommen und so Lues nicht akquirieren, im Gegensatz zu den älteren 
Hebephrenen, die der Infektion sehr ausgesetzt sind. Es gleichen sich aber da¬ 
durch die Verhältnisse aus. 


Sitzung vom 11. Juni 1907. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 29.) 

Herr Wagner v. Jauregg: Der Unzureohnungsfähigkeitsparagraph im 
neuen Strafgesetzentwurf. Vortr. weist zunächst auf die Inkongruenz von 
Wortlaut des Gesetzes und Praxis hin, die schwere Unzukömmlichkeiten im Ge¬ 
folge haben kann. Er bespricht Beispiele von Strafgesetzen mit einer weiten, 
allgemeinen Fassung des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen (französisches Gesetz) 
oder einer sehr engen (schottisches Gesetz), das den Intellekt als Kriterium der 
Zurechnungsfähigkeit hinstellt; während das deutsche auch die Einschränkung 
des Willens als maßgebend erachtet. Bei dem Streit zwischen Psychiatern und 
Juristen über die Moral insanity wäre es denkbar, daß in ein Strafgesetz die 
Bestimmung aufgenommen werden könnte: krankhafte Neigungen zur Begehung 
der Tat sind für sich allein nioht der Unfähigkeit zur freien Willensbestimmung 
gleich zu achten. Bezüglich der Stellung des psychiatrischen Sachverständigen 
steht Vortr. auf dem Standpunkt, der Psychiater ist sachverständiger Ratgeber; 
er soll die Geistesstörung möglichst eingehend klarlegen; Sache des Laien ist 
die Entscheidung, ob die vom Psychiater gefundene Geistesstörung die Zurech¬ 
nungsfähigkeit aufhebt oder nicht. Die Ursache, warum dieser einzig richtige 
Standpunkt jetzt nicht durchgeführt werden kann, liegt in den Gutachten, die den 
Laien meist mangels entsprechender Bildung unverständlich sind, und in dem 
Umstand, daß sich der Richter seiner Pflicht, sich selbst ein Urteil über den 
Geisteszustand zu bilden, nicht bewußt ist, sondern sich dieses meist vom 
Psychiater soufflieren läßt. Neben der Feststellung dieser Verhältnisse ist der 
Mangel an Bestimmungen über den Strafvollzug Ursache des nicht zufrieden¬ 
stellenden Funktionierens des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen; es ist vor 
allem die Einrichtung von Anstalten notwendig, in welchen der geisteskranke 
Verbrecher unter dem dauernden Einflüsse der Rechtsprechung steht. Schließlich 
hängt die Formulierung des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen auch von dem 
System deB Strafgesetzes ab, das für die vorliegende Frage von dem gegenwärtig 
geltenden nicht abweichen soll. Vortr. stellt den Antrag, ein Komitee einzusetzen, 
das über diese Frage zu beraten und am Irrenärztetag (Oktober — Wien) Referate 
mit konkreten Vorschlägen erstatten soll (wird nach längerer Diskussion an¬ 
genommen). 

Herr 0. Pötzl und Herr Schüller demonstrieren Schnitte eines Falles 
atypisoher Paralyse. Der 49jährige Patient bot Intelligenz- und Gedächtnis¬ 
störungen mit Konfabulation und ängstlichen Delirien; Pupillendifferenz und träge 
Lichtreaktion; epileptische Attacken brachten schubweise Verschlimmerungen mit 
dauernden oder vorübergehenden Reiz- oder Ausfallserscheinungen von wechselnder 
Lokalisation (sensorische Aphasie, Hemianopsie, Hemiplegie). Tod im Status epi- 
lepticus. Die Sektion ergab Hirnatrophie besonders im Stirnlappen, inneren und 
äußeren Hydrocephalus. Histologisch fand sich neben diffusen Rindenveränderungen 
eine Meningoencephalitis. Ferner systematische Faserdegenerationen in einzelnen 
Hirnlappen. 

Herr Pötzl bemerkt dazu, daß Lev ad iti präparate dieses Falles negativ 
ausfielen (Gegend der diffusen Rindenerkrankung), daß der Fall viel Ähnlichkeit 
mit den Sträusslerschen Befunden habe, die dieser als Kombination von lue¬ 
tischen und paralytischen Affektionen hinstellt, die wie in der Klinik auch unter 
dem Mikroskop oft Bchwer zu unterscheiden wären. Vortr. meint schließlich, daß 
vielleicht nur die antiluetische Kur, oder, wie er es jetzt mit Landet einer ver- 


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Sache, die Anwendung hoher Atozyldosen hei metaluetischen Erkrankungen, wenn 
letztere von Erfolg seien, die Differentialdiagnose ermöglichen. 

Herr Bonvicini und Herr Pötzl demonstrieren Präparate und Zeichnungen 
eines Falles reiner Alexie. Bei einem 82jährigen Pfründner hatte ein zweiter 
Schlaganfall eine vollständige rechtsseitige Hemianopsie zur Folge mit erhaltenem 
centralem Sehen. Die Sprache ist ungestört; Gegenstände erkennt und benennt 
er richtig. Jeden Buchstaben einzeln für sich liest er richtig, sie zum Worte 
zusammenzuBetzen ist unmöglich. Spontan, wie auf Diktat werden Buchstaben 
richtig geschrieben, Zahlen (vierstellige) liest und schreibt er richtig. Farben* 
bezeichnung fehlerhaft (meist grau). Gehör, Sprache, Sprachverständnis intakt. 
Klinisch ist der Fall demnach eine cficite verbale pure, eine reine verbale Alexie. 
Die Obduktion ergab außer allgemeiner Arteriosklerose und einigen Plaques 
jaunes im Stirnlappen, zwei auffallend kleine ältere Erweichungen im linken 
Occipitallappen: eine im Cuneus, an die cuneale Lippe der Calcarina grenzend, 
die zweite im Lohns lingualis superior, unterhalb der lingualen Calcarinalippe. 
Gyros angularis intakt (Arteria cerebri posterior frei, desgleichen die A. calcarina; 
Ramus lingualis und Arteria cunealis verstopft). 

Herr E. Stransky demonstriert Marchlprftparate vom Medianus einer im 
Klimakterium gestandenen Paranoia (Exitus an Pneumonie). Es fanden sich die 
ersten Stadien des diskontinuierlichen Zerfalles der Markscheide, der immer als 
Destruktions-, nicht als Regenerationsprozeß aufzufassen ist, wie dies noch heute 
gelegentlich geschieht. (Ausführliches später.) Otto Marburg (Wien). 


Medizinische Qesellsohaft in Warsohau. 

Sitzung vom 20. Februar 1906» 

Herr Krajewski bespricht im Anschluß an den Vortrag von Kryüski die 
Resultate der operativen Behandlung der SchuBverletzungen des Rücken¬ 
markes. Auf Grund einer genaueren Durchmusterung der gesamten Literatur kommt 
Vortr. zu folgenden Schlußfolgerungen: 1. Von 32 Fällen, in welchen die Operation 
(Laminektomie mit eventueller Entfernung der Kugel) vorgenommen wurde, trat in 
24 Fällen der Tod ein, d. h. 75 °/ 0 Mortalität. Von den übrigen 8 Patienten war 
bei drei kein Erfolg nach der Operation zu konstatieren. Von fünf, bei welchen 
eine relative Genesung eingetreten war, trat nur bei zwei eine totale Paraplegie 
der Beine gleich nach der Schußverletzung (in einem Fall saß die Kugel nur mit 
einem Pol im Wirbelkanal, im zweiten trat die Lähmung erst 6 Tage nach 
dem Schuß, im dritten war weder Anästhesie, noch Blasenlähmung vorhanden, im 
vierten trat bereits vor der Operation eine Besserung ein) ein. Somit ließ sich eine 
tatsächliche Besserung infolge der Operation nur in einem Falle von Prewitt 
(Annals of Surgery. XXVHI. 1898) konstatieren. Die Operation selbst kann 
aber gefährlich werden und den Tod beschleunigen (Meningitis, Paraplegie). Der 
Kranke von Briggs lebte nach der Verletzung 5 Jahre lang (Paraplegie) und 
starb dann 6 Tage nach stattgefondener Operation. 2. Von 22 Patienten, die konser¬ 
vativ behandelt wurden, starben 16 (75°/ 0 ). Bei den übrigen verblieb die Para¬ 
plegie und Blasenparese, sie konnten aber in ihrem Beruf tätig sein. Vortr. 
meint nun, daß im Falle, wenn sich der Chirurg zu einer Operation entschließt, 
er sich an folgende Indikationen halten soll: a) Die Operation soll möglichst 
rasch erfolgen (gleich nach dem Schuß oder am folgenden Tage); man verfolgt 
dabei keineswegs eine Abwendung der Paraplegie, sondern verhütet eventuell den 
Körper vor einer Infektion und begünstigt die Cirkulation am Orte der Verletzung; 
b) bat man aber diesen Moment verpaßt, so ist die Operation nur dann zweck¬ 
mäßig, wenn im Laufe der Krankheit sich neue Symptome hinzugesellen, welche 

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infolge der Entzündung bzw. der Narben entstehen (bei Entfernung der Kugel 
oder Knochensplitter können wenigstens die neuen Symptome verschwinden). In 
dem Fall von Delorme (bei Chipault) wurde 17 Jahre nach der Schuß- 
Verletzung die Kugel und Knochennarbe entfernt, und die intensiven Schmerzen 
verschwanden danach; c) es sind Fälle bekannt, wo bei erfolgter Durchtrennung 
des Bückenmarkes man die beiden Stümpfe des Rückenmarkes miteinander ver¬ 
nähte (analog wie bei peripheren Nerven). Diese Fälle (mit angeblich gutem 
Erfolg) wurden von amerikanischen Ärzten (Briggs, Sewartharte) beschrieben, 
man müsse sie aber cum grano salis betrachten. 

Sitzung vom 22. Mai 1906. 

Herr Kopczytiski und Herr Krydski besprechen einen operativ be¬ 
handelten Fall von Jaoksonsoher Epilepsie. Die 30jährige Frau, Tochter 
eines Epileptikers, leidet seit 8 Jahren an Krämpfen. Seit 4 Jahren rechtsseitige 
Krämpfe alle 4 Wochen. Status: In Intervallen von einigen Minuten treten bei 
Patientin tonische Krämpfe in der rechten Körperhälfte auf die alsbald zu klonischen 
werden. Leichte spastische Hemiparese rechts. Retina normal. Die Vortr. meinten, 
daß es sich um einen Tumor in der motorischen Region handelt und führten die 
Trepanation aus. Man fand dabei nichts Suspektes, nur war der Knochen an 
dieser Stelle 1 1 / a cm dick. Einige Tage nachher traten Krämpfe auf, dieselben 
wurden aber immer seltener und verschwanden nach einer Woche. Nach 2 Wochen 
verschwand die Hemiparese. 6 Monate frei. Dann wiederum Krämpfe alle 5 bis 
10 Minuten, reohts spastische Hemiplegie mit motorischer Aphasie (Bewußtsein 
während der Anfälle erhalten). Erneute Operation. (Man dachte an den Druck 
seitens des verdickten Knoohens.) Nach 13 Tagen keine Krämpfe mehr, es ver¬ 
schwand auch die Aphasie und Hemiplegie (nach 2 Monaten nur Parese der Hand). 
Die Vortr. betonen, daß man das Symptom der Jacksonschen Epilepsie mit 
großer Reserve in bezug auf die Pathogenese beurteilen soll. 

Edward Flatau (Warschau). 


Neurologisoh-psyohiatrisohe Goselleohaft in Warschau. 


Sitzung vom 22. Dezember 1906. 


Herr Kopczyüski demonstriert einen Fall von einseitigem Befallensein 
sämtliober Hirnstammnerven. Der Fall betrifft einen 18jähr. Mann, welch« 
vor l 1 / 8 Jahren einen Revolverschuß in die rechte Occipitalgegend erhielt. Bei 
diesem Eiranken läßt sich folgendes feBtstellen: völlige Lähmung mit Atrophie 
und Entartungsreaktion der rechten Zungenhälfte (N. XII), völlige schlaffe Lähmung 
des rechten M. trapezoides und sternocleido-mastoideus (N. XI); Lähmung der 
rechten Gaumenhäfte mit Anästhesie der rechten Pharynx-, Epiglottis-, oberer Larynx- 
hälfte, Lähmung der rechten Chorda vocaliB, Tachycardie (N. X); Hemiageusie an 
der ganzen rechten Zungenhälfte, erschwertes Schlucken, Anästhesie des rechten 
Pharynx (N. IX, wahrscheinlich mit Beteiligung der Chorda tympani); rechts 
Taubheit; Diplopie mit Parese des rechten Abducens. Vortr. meint, daß die 
Kugel die Nn. IX, X und XI unterhalb des Foramen jugulare und den N. XII 
unterhalb des Foramen condyloideum anterius verletzte. Die Taubheit entstand 
wahrscheinlich durch Labyrinthblutung. 

Herr Bregman demonstriert a) einen Fall von Schädelbasisbruch mit 
Diplegia facialis und Lähmung des reohten Abduoens. Die Abducens- 
lähmung klingt bereits ab, dagegen ist die Gesichtslähmung eine schwere mit 
kompletter Entartungsreaktion, b) einen Fall von unaufhörlicher Bhinorrhoea 
cerebrospinalis. Der Fall betraf ein junges Mädchen, welches bereits seit 


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5 Jahren ataktisch geworden ist. Tremor der rechten Hand, Uterus infantilis, 
Amenorrhoea, Kopfschmerzen mit Erbrechen, Atrophie der Nn. opticorum, Adipositas, 
dann Abmagerung. Diagnose: Tumor cerebri probabiliter Hypophysis. Aus der 
Nase fließt fortwährend eine Flüssigkeit heraus, die Vortr. für den Liquor cerebro¬ 
spinalis erklärt, o) einen Fall von merkwürdigem Symptomenkomplex von 
tonisohen und klonisotaen Zuckungen bei einem jungen Mann (nach Typhus¬ 
erkrankung); Athletenstatur. Pat. kann zwar stehen und gehen, tut es aber mit 
der größten Anstrengung, wobei diese Akte durch fortwährende Zuckungen in 
den Extremitäten und im Kumpf erschwert werden. Lordosis; Extensoren deB 
rechten Ellenbogens und des rechten Handgelenks abgeschwächt. Vortr. meint, 
daß es sich um eine Kombination von beginnender Dystrophie mit Myotonie und 
Myoklonie handelt. In der Diskussion kam es zu keiner Einigung über die Dia¬ 
gnose des Falls (Meinungen: Myotonie, Myoclonia hysterica, Hysterie, Maladie 
des tics, Chorea). 

Herr Rotstadt demonstriert 2 Fälle von Myasthenie. Fall I: Ein 19jähr. 
Mädchen klagt seit einem Jahre über ständige allgemeine Mattigkeit. Es fällt 
ihr sehr schwer, sich an- oder auszukleiden, sich zu kämmen usw. Sie wird be¬ 
reits nach einem sehr kurzen Gangversuch müde; Schluckbeschwerden; Ermüdung 
beim Augenschluß, beim Sprechen u. a. Seit etwa einem Jahre Diplopie und 
sogar Triplopie; myasthenische Beaktion. Vortr. hebt bei der Kranken zeitweise 
auftretende monokulare Diplopie und Anfalle von Schlafsucht hervor. Bei der 
Kranken wurden nach dem Vorschlag von Kauffmann (aus der Antonschen 
Klinik) Poehls Spermininjektionen angewandt. Es trat zur Zeit der Demon¬ 
stration eine subjektive Besserung ein (Patientin ermüdete weniger, Sprache war 
nicht so näselnd, Augenrinne nicht so eng). [Im weiteren Verlauf trat aber un¬ 
erwartet eine hartnäckige Diarrhoe auf — interkurrente Krankheit? — und die 
Patientin verstarb. Ref.] — Fall II betraf einen 31jähr. Arbeiter, welcher seit 
einigen Monaten an rechtsseitiger Ptosis leidet. Es fällt ihm auch schwer, den 
Kopf gerade zu halten. Häufige Diplopie, leichte Ermüdbarkeit bei der Arbeit. 
Bis zum Herbst 1905 fühlte sich Pat. ganz wohl. Zu jener Zeit trat eine Um¬ 
wandlung in seiner Stimmung auf (traurig). Vor s / 4 Jahr merkte Pat., daß die 
Buchstaben beim Lesen zusammenfließen. Es trat Diplopie auf, besonders wenn 
er bei der Arbeit ermüdete. Gleichzeitig begann das rechte Augenlid herabzu¬ 
fallen (bei anstrengender Arbeit; frühmorgens war die Ptosis nicht merkbar). 
Es wurde bei ihm damals eine spezifische Kur angewandt, jedoch ohne Erfolg 
(Lues negatur). Vor 3 Monaten merkte Pat., daß er nicht laufen könne (Er¬ 
müdung der Beine). Status: Rechtsseitige Ptosis. Nach 20- bis 30 maligem 
Augenschluß wurde die Augenrinne immer enger und schließlich konnte Pat. diese 
Bewegung nicht mehr ausfübren. Fast ständige Parese des M. rectus ext. sin. 
Rasche Hebung und Senkung der oberen Extremitäten verursacht bald eine all¬ 
gemeine Ermüdung und verstärkt auch die Ptosis; myasthenische Reaktion. Bei 
dem Pat. fiel auf, daß die rechte Stirn Btändig eine gefaltete Haut zeigte (kompen¬ 
satorische Hebung des rechten Augenlides). 

Herr Koelichen stellt einen Fall von Syringomyelie vor. Bei der 22jähr. 
Frau wurde folgendes konstatiert: Abschwächung der Seitenbewegungen der Augen 
mit nystagmusartigen Zuckungen, Schwäche des linken Ahducens, des N. IX, 
Lähmung des linken N. recurrens, Lähmung und Atrophie der linken Hand¬ 
muskeln, fehlende Bauchreflexe links, Parese des linken Beins mit verstärkten 
Reflexen, Abschwächung bzw. Fehlen des Schmerz- und Temperaturgefühls an der 
Außenfläche des linken Oberschenkels. Die Krunkheit begann vor 3 Jahren 


(Heiserkeit, Schluckbeschwerden usw.). 

Herren Fla tau und Sterling demonstrieren eine Kranke mit Hirntumor 
mit wahrscheinlichem Ausgang von der Glandula thyreoidea. Vor 5 Jahren 


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epileptische Krämpfe, die alle 2 Wochen auftraten (Bewaßtseinsverlust, Dauer 
einige Minuten). Vor 2 Jahren Schmerzen in der Gegend der linken Augenhöhle, 
Erbrechen. Vor 4 Wochen angeblich plötzliche Erblindung linkB. Status: 
Diffuse Schmerzhaftigkeit des Schädels (besonders stark in der linken Temporal* 
gegend), beiderseitiger mäßiger Exophthalmus (links stärker). Rechte Pupille 
weiter als die linke, diese letztere unregelmäßig oval, reaktionslos (rechts mini¬ 
male Lichtreaktion). Visus: links =s 0, rechts unterscheidet sie die Zahl der Finger 
in einer Entfernung von 3 m, konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung. Beider¬ 
seitige Stauungspapille mit Übergang in Atrophie, deutliche Abschwächung der 
Mm. raasseter und temporalis, Abschwächung des Schmerz- und Teraperaturgefuhls 
im Gebiete aller 3 Trigeminusäste links. Die Muskelkraft und die Sensibilität 
an den Extremitäten ungestört. Patellarreflex und Achillessehnenreflex sehr ge¬ 
steigert (Clonus pedis), fehlende Bauchreflexe, koin Babinski; Gang unsicher; 
keine Blasen- und Mastdarmstörungen; an der Stirn verbreiterte Venen; Geräusch 
bei Auskultation der linken Temporalgegend. In der Glandula thyreoidea palpiert 
man einen deutlichen tumorartigen Knoten von der Größe einer Mandel im rechten 
Lappen der Drüse. Die Vortr. meinen, daß dieser Fall vielleicht ein Analogon 
zu dem von Flatau und Koelichen unlängst beschriebenen (Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilkunde. XXXI. 1906) darBtellt, in welchem die Beziehung zwischen 
dem Kleinhirnknochentumor und der Glandula thyreoidea pathologisch-anatomisch 
nachgewiesen wurde. Edward Flatau (Warschau). 


V. Neurologische und psychiatrische Literatur 

vom 1. Mai bis 30. Juni 1907. 

(Die als Originalia in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch 

einmal angeführt.) 


!• Anatomie, von Cyon, Die Nerven des Herzens. Berlin. 328 S. 

II# Physiologie. Gordinier, Motor areas of cortex. Amer. Journ. of med. sc. Nr. 422. 
— Gordon, Lokalisation der inotor. Zone. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 25. — Bond, Regen, 
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keit. Zeitschrift für Biologie. XLIX. Heft 8. — Harnack, Hautelektric. Deutsche med. 
Wochenscbr. Nr. 19. — Makaroff, Elektrokutane Sensibilität. Russk. Wratseh. Nr. 15. — 
Egger, Fonction gnosique. Revue neur. Nr. 9 u. La baresthösie. Ebenda. Nr. 12. — 
Gordon, Lobus praefront. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 17. — Rothmann, Kortikospinale 
Bahn. Archiv f. Anat. u. Phys. Phys. Abt. Heft 8 u. 4. — Brock, Bogengangapparat. 
Archiv f. ohrenheilk. LXXI. Heft 1 u. 2. — Marinesco, Gangl. rachid. Revue neurol. 
Nr. 11. — Robinovitch, Resuscitation of electrocuted animals. Journ. of ment. Path. VIII. 
Nr. 2. 


m. Pathologische Anatomie« de Hontet, Untersuch, der Ganglienzellen. Centr. 
f. Nervenheilk. Nr. 238. — Auerbach, Einfluß physikalischer Faktoren auf die Färbbarkeit 
des Nervengewebes. Frankfurter Zeitschr. f. Pathol. I. Heft 1. — Fischei, Anomalien 
des Ccntralnervensystems bei Embryonen. Zieglers Beitr. zur path. Anat. XLI Heft 3. 
— Kutscher und Rieländer, Mikrocephalocele u. Encephalocele. Monatsschr. f. Geburtshilfe, 
u. Gynäkolog. XXV. Heft 6. —- Krauts. Turmschädel. Zeitschrift f. Aogenheilk. XVII. 
Heft 5 u. 6. — Buzzard, Toxic condit. of nerv, system. Brain Nr. 117. 

IV# Neurologie# Allgemeines: Riva, Annuario del man. provinc. di Ancona. IV 
e V. — MSnkemöller , Neurologie im Beginne des 19. Jahrhunderts. Psych.-neur. Wochen¬ 
schrift. Nr. 12. — Edinger, Nervenaufbrauch. Ebenda. Nr. 14. — Kollarits, Galvanische 
Muskelzuckung bei verschiedenen Krankheiten. Deutsches Archiv f. klin. Medizin. XC. 
Heft 3 u. 4. — Stiller. Asthenische Koustitutionskrankheit. Stuttgart, F. Enke. 228 S. — 
Vtilsch, Osteomalacie und osteomalacische Lähmung. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXL 
Heit 5. — Krön. II., Nervenkr. u. Zahn- u. Mundleiden. Berlin, L. Marcus. 200 S. — 
Forsyth, Projizierter Schmerz. Brit. med. Journ. Nr. 2425. — Minor, Quinquaudsches 
Phänomen bei Nichttrinkern. Berliner klin Wochenschr Nr. 18. — FOrnrohr, Rontgen- 
Strahlen und Neurologie. Zeitschr. f. ärztl. Fortbild. Nr. 10. — Meningen: Don, Tuberc. 
C^C\l .dp Original from 

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Herpes bei Mening. cerebrospin. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 23. — Claude et Lejonne, 
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Genickstarrebehandlnng. Deutsche militär-ärztl. Zeitschr. Heft 11. — Kernig, Flexions¬ 
kontraktur der Kniegelenke bei Meningitis. Russk. Wratsch. Nr. 18 bis 21. — Cere¬ 
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Gordon, Irritation of motor area. Medic. Record. Nr. 1911. — Eisath, Arteriosklerotische 
Hirnerkrankung. Jahrb. f. Psych. XXVIII. Heft 1. — Lamy, Poliencephalite. Nouv. 
Icon, de la Salp. XX. Nr. 2. — Lewandowsky, Sensible Reizerscheinungen bei Großhirn¬ 
erkrankungen. Deutsche med. Wochenschr. Nr 21. — Veraguth und Cloötta, Traumatische 
Läsion des rechten Stirnhirns. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. Heft 4 bis 6. 


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Schlesinger, H., Gekreuzte Hemichorea. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. Heft 4 
bis 6. — Fejer, Ophthalmopl. interna. Archiv f. Augenbeilk. LV1I. Heft 8. — Stalberg, 
Kongenitale Ophthalmoplegie. Hygiea. Nr. 5. — Broadbent, Atfections of speech. Brit. 
med. Journ. Nr. 2424. — Volpi-Ghirardini, Oftalmopleg. esterna bilat Arch. di psich. 
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Aphasie und Apraxie. Medizin. Klinik. Nr. 25 u. 26. — Vaschide, Souvenir chez les apha- 
siques. Revue neur. Nr. 11. — Kleist, Kortikale Apraxie. Jahrb. f. Psych. XXV1U. Heftl. 

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corp. call. Journ. of ment. path. VHL Nr. 2. — Neurath. Angeborene Funktionsdefekte 
im Gebiet der motorischen Hirnnerven. Münchener med. Wochenschr. Nr. 25. —* Rossi, 
Paraplegie cer. infant. Nouv. Icon, de la Salpötriere. XX. Nr. 2. — Hirntumor, Hirn- 
absceß: Tucker, Disloc. of eye-ball etc. Jouru. of Nerv, and Ment. Dis. Nr. 6. — Jankura, 
Neoplasma des Gehirns. Pester med.-chirurg. Presse. Nr. 22. — Schultze, F., Hirn- und 
ßücicenmarkstumoren. Mitteil. a. den Grenzgebieten derMediziu u. Chirurgie. XVII. H. 5. — 
Finzl, Tumoren des Teraporo-Sphenoidallappens. Rif. med. Nr. 18 u. 19. — Clarke, Hirn- 
abscess. L&ncet Nr.4374. — Uchermann, Otitische Hirnleiden. Archiv f. Ohrenheilk. LXXI. 
Hett 3 u. 4. — Kleinhirn: Langelaan, Cercbelluin. Tijdschr. voor Geneesk. Nr. 20. — 
Bach, Med. oblong, und Pupille. Münch, med. Wochenschrift Nr. 25. — Myasthenie: 
Salmon, Reaz. del Jolly. Riv. crit. di clin. med. Nr. 18. — Rückenmark: van Rynberk, 
■Segment, metam. del mid. spin. Monit. zoolog. ital. XV11L Nr. 5 u. 6. — Schmidt, A., 
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with nystagmus. Ebenda. — Kalb, Handgang inf. spinaler Kinderlähmung. Münchener 
med. Wochenschrift. Nr. 28. — Köster, Lokalis. Rücken markstumoren. Hygiea. Nr. 5. — Alz¬ 
heimer, Fixierung der zelligen Elemente der Cerebrospinaltiüssigkeit. Centralbl. f. Nerven¬ 
heilkunde. Nr. 239. — Wirbelsäule: v. Bechterew, öteitigkeit der Wirbelsäule. Monats¬ 
schrift f. Psych. u. Neur. XXI. Heft 6. — Schanz, Typus von Schmerzen an der Wirbel¬ 
säule. Monatsschr. f. Unfallheilkunde. Nr. 6. — Multiple Sklerose: Splller and Camp, 
Cerebrospin. syph. and disserain. scleros. Amer. Journ. ot med. sc. Nr. 423. — Syringo¬ 
myelie: Magnus, Syringomyelie. Norsk Mag. f. Laegev. Nr. 6. — Ferrannini, Traumatische 
Syringomyelie. Rif. med. Nr. 24. — Tabes, Friedreieh'sche Krankheit: Kopczyiiski, 
Rac. poster. des nerfs spinaux. Impr. Ludowa. Ldopol. 190 S. — Tilipkievitz, Tabes und 
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Brit. med. Journ. Nr. 2425. — Reflexe: Veraguth, Psycho-galv. Keßexphänomen. Monats¬ 
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Münchener med. Wochenschrift. Nr. 21. — Krampf, Kontraktur: te Kamp, Myotonia 
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er. journ. oi mei 

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Cassirer und Bamberger, Neuritis des N. cruralis. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 22. — 
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Thomas, Lesions radiculo — ganglionn. du zona. Revue neur. Nr. 10. — Diesing, Heilung 
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Heiser, Leprosy. Med. Record. Nr. 1909. — Unna, Lepra. Monatsh. f. prakt Dermatologie. 
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Basedow, Akromegalie, Myxödem, Tetanie, Raynaud: van Rynberk, Metameria 
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parathyr. Virch. Archiv. CLXXXVIII. Heft 2. — Halliday, Exophth. goitre and gynae- 
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Steinhaus, Hypophysisgeschwülste. Virchows Archiv. CLXXXVIII. Heft 2. — Schlotter, 
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dermie. Archiv f. Dermat. u. Syphilis. LXXXVI. Heft 1 u. 2. — Schwordt, Sklerodermie 
mit Mesenterialdrüsen behandelt. Münch, med. Wochenschr. Nr. 25. — Neurasthenie, 
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chorea. Dublin Journ. of med. sc. Nr. 425. — Epilepsie: Bra, Bakterienbefund bei Epi¬ 
lepsie. Arch. de neurol. Nr. 120. — Munson, Epilepsy. Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 
XXXIV. Nr. 5. — Reik, Augenüberanstrengung und Epilepsie. Journ. of Amer. Assoc. 
Nr. 18. — Donalh, Genäse de l’attaque d’epilepsie. Ann. möd.-psychol. LXV. Nr. 3. — 
Shanahan, Epilepsy with acromegaly. Journ. of Nerv, and Ment Dis. XXXIV. Nr. 5. — 
Patrick, Ambulatory automatism. Ebenda. Nr. 6. — Prunier, Adipöse doulour. chez une 
6pil. XX. Nr. 2. — Tetanus: Rimbaud et Roger. Tetanus acutissimus. Gaz. d. höpit. 
Nr. 67. — Federschmidt, Tetanusantitoxin. Münchener med. Wochenschr. Nr. 23. — Ver¬ 
giftungen: Geltond, Rekurrenslähmung infolge Bleivergiftung. Russk. Wratsch. Nr. 15. 

— Strangman, Morphinomania. Brit med. Journ. Nr. 2420. — Nienhaus, Veronalvergiftung. 


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879 


Korresp.-Blatt für Schweizer Ärzte. Nr. 11. — Bolle, Sulfonalvergiftung. Tijdschr. voor 
Geneesk. Nr. 21. — Mosny et Malloizel, Meningite saturnine. Rev. de möd. Nr. 6. — 
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Nr. 24. — Wimmer, Syphilitische Spinalparalyse. Hospitalstid. Nr. 12 u. Deutsche Zeit¬ 
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Nr. 23. — Harttung, Behandlung von Störungen des Nervensystems auf syphilit. Grundlage. 
Archiv f. Derraat. u. Syphilis. LXXXVI. Heft 1 u. 2. — Unfall: Fellchenfeld, Begriffs¬ 
bestimmung des Unfalls. Ärztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 9. — Mann, Schwindel nach Commotio 
cer. Med. Klinik. Nr. 20 u. 21. — Mendel, Kurt, Unfall in der Ätiologie der Nervenkrank¬ 
heiten. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXI. Heft 5 u. ff. — Seilz, Hirndrucksymptome 
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Tremor. Deutsche militärärztl. Zeitschr. Heft 11. — Oreyer, Traumatische Neurasthenie. 
Monatsschr. f. Unfallheilk. Nr. 5. — Hirschfeld, Traumatische Alopecia areata. Ebenda. — 
Eulenburg, Elektrischer Betriebsunfall. Ärztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 12. — Hevenstorf und 
Wigand, Akute Ataxie nach Hitzschlag. Ärztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 9. — Vorschütz, Hvper- 
algetische Zonen bei Schädel- und Hirnverletzung. Deutsche Zeitschr. f. Chir. LXXXVllI. 
Heftibis 3. — Alessi, Delinquenza in seguito a trauma. Arch. di psich. XXVIII. Fase. 3. — 
Frey, Seltene Willenskraft bei einem Schwerverletzten. Ärztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 10. — 
Eccard, Progressive Muskelatrophie nach Trauma. Ebenda. — £tienne, Trophoedemes chron. 
d’orig. träum. Nouv. Icon, de la Salp. XX. Nr. 2. — Dreyer, Traumatiscne Neurasthenie. 
Monatsschr. f. Unfallheilk. Nr. 5. — Muskelatrophie: Heinemann, Hemiatrophia faciei. 
Inaug.-Diss. Leipzig. — Sudeck, Muskelatrophie. Deutsche med. Woch. Nr. 22. — Ferrannini, 
Traumatische Amyotrophie. Rif. med. Nr. 21. — Wieland, Dystroph. Formen des angeborenen 
Riesenwuchses. Jahrb. f. Kinderheilk. LXV. Heft 5. — Wfnocouroff, Dystr. musc. progr. 
farail. Archiv f. Kinderheilk. XLVI. Heft 1 u. 2. — Familiäre Krankheiten: Cohen 
uud Dixon, Amaurot. familiäre Idiotie. Jonrn. of Amer. Assoc. Nr.21. — Varia: Bittorf, 
Verkürzungstypus bei Mitbewegungen usw. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXX11. 
Heft 4 bis 6. — Schneider, Kopfschmerz. Prager med. Wochenschr. Nr. 26. — Parry, 
Menieres disease. Brit med. Journ. Nr. 2419. — Allen Starr, New type of ataxia. Med. 
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hypotonia. Brit. med. Journ. Nr. 2424. — Wiljamowski, Schmerzgefühl der Uaut bei Er¬ 
krankungen innerer Organe. Russk. Wratsch. Nr. 18. 

V. Psychologie. Specht, Psychologie und Psychiatrie. Centralbl. f. Nervenheilkunde. 
Nr. 287. — Muthmann, Psychologie und Therapie neurotischer Symptome. Halle, C. Mar- 
hold. 115 S. — Gundobln, Eigentümlichkeit des Kindesalters. Jahrb. f. Kinderheilk. LXV. 
Heft 6. — Bresler, Religionshygiene. Halle, C. Marhold. 55 S. — Marx, Kriminalpsycho¬ 
logie. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 21. — Sidis, Psychopathol. Boston, Heath and Co. 
78 S. — Oesterreich, Entfremdung der Wahrnehmungswelt Journ. f. Psychol. u. Neur. 
IX. Heft 1 u. 2. — v. Bechterew, Bewußtsein. Ebenda. — Lombroso, Genie. Schmidts 
Jahrb. CCXCIV. Heft 5. — Clapar&de, Labor, de psychol. de Genöve. Arch. de Psychol. 
VI. Nr. 24. — Decroly et Degand, Pedagogie de la lecture et de Tecriture. Ebenda. — 
Maeder, Röves. Ebenda. — Bühler, Pensee. Ebenda. — Benussi, Vorstellungsinadäquat¬ 
heit. Zeitschr. f. Psychol. XLV. Heft 8 u. 4. 


TI« Psychiatrie. Allgemeines. StrDmpell, Möbius. Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬ 
heilkunde. XXXII. Heft 4 bis 6. — Reichardt, Leitfaden zur psychiatrischen Klinik. Jena, 
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disorder. Brit med. Journ. Nr. 2419. — Ziveri, L’albumosuria in alcune mal. ment. J1 
Morgagni. Nr. 6. — Rybakoff, Psychosen im Anschluß an die politischen Ereignisse Ru߬ 
lands. Russk. Wratsch. Nr. 20. — Bälz, Besessenheit. Wiener med. Wochenschr. Nr. 18 
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des Gemütsleben. Therapie der Gegenwart. Heft 6 . — Pomeroy, Lumbar punction in 
psychiatry. Journ. of Nerv, and Ment. Dis. XXXIV. Nr. 5. — Lorenz!, Psychosen nach 
Operationen. Rif. med. Nr. 19. — Köppen, Simulation bei Geisteskranken. Deutsche med. 
Wochenschr. Nr. 24. — Hellbronner, Residuärsymptome. Centralbl. f. Nervenheilk. Nr. 237. 

— Angeborener Schwachsinn: Takasu, Patholog. Anatomie der Idiotie. Monatsschr. 
f. Psych. u. Neurol. XXI. Heft 5. — Ralmann, Behandlung und Unterbringung geistig 
Minderwertiger. Jahrb. f. Psych. XXVIII. Heft 1. — Schlesinger, E., Schwachbegabte 
Schulkinder. Archiv f. Kinderheilkunde. XLVI. Heft 1 u. 2. — Sexuelles: Schreiber, 
Sexuelle Enthaltsamkeit Wiener med. Blätter. Nr. 25u.ff. — Terrier et Dujarier, Friapisme 


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prolonge. Rev. de chir. XXVII. Nr. 5. — F4r<, L’örotisme de la puberte. Rey. de med. 
Nr. 5. — Kühner, Störungen der Sexualfunktionen. Berliner Klinik. Heft 227. — v. Net- 
thaft. Sadismus. Heilkunde. Heft 5 u. 6. — Holterbach, Yobimbin. Deutsche tierärztliche 
Wocnenschr. XV. Nr. 13 u. 14. — Posner, Behandlung der Impotenz. Kuss. med. Rund¬ 
schau. V. Heit 3. — Funktionelle Psychosen: Burr, Paranoia. Journ. of Amer. Assoc. 
Nr. 22. — Jsserlin, Psychologie der Dementia praecox. Ceutralbl. f. Nervenheilk. Nr. 236. 

— Bertoldi, Eboidofrenia. Arch. di psich. XXV111. Fase. 3. — Muggia, Dementia praecox. 
Rif. med. Nr. 26. — Bellini, Paranoico — persecutore. Ebenda. — Oreyfus, Tod im kata¬ 
tonischen Anfall. Centralblatt f. Nervenheilk. Nr. 239 u. Melancholie. Jena, G. Fischer. 
329 S. — Abraham, Sexuelle Jugendtraumen bei Dementia praecox, üentralbl. f. Nerven¬ 
heilkunde. Nr. 288. — Bruns, O., Neuralgie bei Melancholie. Monatsschrift f. Psych. und 
Neurologie. XXL Heft 6. — Saiz, Plethysmogr. Untersuchungen bei affektiven Psychosen. 
Ebenda. — Anglade et Jacquin, Psych. period. et epilepsie. L’Encüphale. Nr. 6. — Pro¬ 
gressive Paralyse: Spielmeyer, Schlafkrankheit und Paralyse. Münchener med. Wochen¬ 
schrift. Nr. 22. — Joffroy et L4ri, Histol. de la par. gen. I/Encephale. Nr. 6. — Robertson, 
Paralyse. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 6. — Dobrschansky, Paralyse mit 14jähr. Remission. 
Jahrb. f. Psych. XXVIII. Heft 1. — Mignot, Schrameck, Parrot, Troubles ocul. dans la 
par. gen. 1/Encöphale. Nr. 6. — Pappenheim, Paroxysmale Fieberzustände bei Paralyse. 
Monatsschr. f. Psych. u. Neuro 1. XXI. Heft 6. — O'Brien, Vaccine bei Behandlung der 
Paralyse. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 26. — Forensische Pychiatrie: Wachsmuth, 
Forensische Bedeutung der Dementia praecox. Ärzti. Sachv -Zeitung. Nr. 9. — Tomellini, 
Biographia di due vecchi briganti. Aren, di psich. XXV1L1. Fase. 8. —■ Anglolella, Camorra 
et brigandage. Ebenda. — Herz, Criminalite et travailleurs. Ebenda. — Ciapar&de, T6moi- 
gnage et confrontation. Ebenda. — Parant, Loi sur les alienes. Ann. med.-psychol. LXV. 
Nr. 3. — Albrecht, Arteriosklerotische Geistesstörung und Strafrecht. Heilkunde. Heft 6. 

— Therapie der Geisteskrankheiten: Starlinger, Beschäftigungstherapie bei Geistes¬ 
kranken. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 7. — Woher, Beschäftigung in der Behandlung 
Geisteskranker. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 20. — Rimond et Volvonel, La trinitrine dans 
2 cas de mal. ment. Progr. möd. Nr. 22. — Charon, Hydrother. dans les asiles d'alienes. 
Ann. med.-psychol. LXV. Nr. 9. — Chotzen, Ärztlicher Nachwuchs für psych. Anstalten. 
Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 11. — Siemens, Ärztlicher Nachwuchs. Ebenda. Nr. 10. — 
Neisser, Anstaltsärzte. Ebenda. — Vocke, Ärztlicher Nachwuchs für psychiatr. Anstalten. 
Ebenda. Nr. 13. — Starlinger, Großbetrieb der Irrenanstalten. Ebenda. — Haardt, Irren¬ 
ärztliches aus Süddeutschland. Ebenda. 

VII. Therapie. Determann, Umschläge, Einwicklungen und Einpackungen. Deutsche 
med. Wochenschr. Nr. 24. — Linhart, Bornyval. Fortschritte der Medizin. Nr. 14. — 
Mayor, Chloral, Dormiol, Hedonal und Isopral und Herz. Therapeut Monatsh. Nr. 5. — 
Hatcher, Isopral und Chloralhydrat. Journ. of Amer. Assoc. Nr. 22. — Strasser, Physio¬ 
logische Grundlagen der physikalischen Therapie. Blätter f. klin. Hydrotherapie. XVII. 
Nr. 3. — Fackenheim, Physikal. Heilmethoden. Zeitschr. f. phys u. diät. Therapie. XI. 
Heft 3. — Buschan, Multostat. Centralbl. f. Nervenheilk. Nr. 236. — Kahane, Hochlrequenz- 
ströme. Wiener med. Presse. Nr. 22. — Sloan, Hochfrequenzströme. Lancet Nr. 4371. — 
Smitt, Massage. Deutsche militär-ärztliche Zeitschr. Heft 10. 


VI. Vermisohtes. 

Der Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien veranstaltet einen öster¬ 
reichischen Irrenärztetag, der am 4. und 5. Oktober 1907 in Wien stattflndon wird. 

Folgende Referate werden gehalten werden: 1. Zum gegenwärtigen Stande der Pfleger¬ 
frage. Kef.: Direktor Dr. Starlinger (Mauer-Öhling). — 2. Arzteaustausch zwischen 
Kliniken und Anstalten. Ref.: Hofrat Prof. Dr. v. Wagner. — 3. Der Unzurechnungs- 
fähigkeitsparagraph im Strafgesetz. Ref.: Hofrat Prof. Dr. v. Wagner. 

Außerdem erfolgen Vorträge und Demonstrationen. 

Präsident: Hofrat Prof. Dr. Obersteiner, Präsidentstellvertreter: Hofrat Prof. Dr. 
v. Wagner. 

Schriftführer: Privatdozent Dr. Pilcz und Privatdozent Dr. Rai mann. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 


Verlag von Veit 4 Comp, in Leipzig. 

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— Druck von Mktsgkb & Wimo in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet von Profi E. MendeL 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsundrwanngster Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. [.Oktober. Nr. 19. 


Inhalt. I. Originalmitteilung. Ein Fall von Alexie und Agraphie nach Trauma, von 
Dozent Dr. Allessandro Marina in Triest. 


II. Referate« Anatomie. 1. Die feine Struktur und eine neue Färbungsmethode des 
Gehirns der Menschen und der Tiere, von Larionoff. 2. Recherches sur les noyaux moteurs 
d’origine du nerf pneumogastrique et sur les localisations dans ces noyaux, par Marinesco 
et Parhon. — Physiologie. 3. The maintenance of.cerebral activity in mamraals by 
artifical circulation, by Guthrie, Pike and Stewart. 4. Über Neurofibrillen und chromato- 

S hile Substanz, von Rachmanow. 5. Über den Einfluß farbiger Beleuchtung auf den Blut¬ 
ruck beim Menschen, von Splrtow. 6 . Gehirn und Kultur, von Buschan. — Psycho¬ 
logie. 7. Psychic and economic results of man’s physical uprightness, by Heinemann. — 
Pathologische Anatomie. 8. On the relation between loss of function and structural 
change in focal lesions of the nervous System with special reference to secondary dege- 
neration, by Holmes. — Pathologie des Nervensystems. 3. Fortschritte in der Dia¬ 
gnostik der Nervenkrankheiten, von Weber. 10. Gutachten über den Zusammenhang zwischen 
Gasvergiftung und Geisteskrankheit, von Petersen-Borstel. 11. Bleilähmung, von Remak. 
12. Ein Fall von VeronalVergiftung, von ZSrnlaib. 13. Über akute VeronalVergiftung mit 
letalem Ausgange, von Schneider. 14. Ein Fall von Veronal Vergiftung, von Nienhaus. 
15. Ein Fall von Veronalvergiftung, von Popp. 16. Opium, morphine et cocaine. Intoxi- 
cation aigue par l’opium. Mangeurs et fumeurs d’opium. Morphinomanes et coca'inomanes, 
par Brouardel. 17. Psychische Störungen bei Morphiumabstinenz, von Sachartschenko .und 
Souchanoff. 18. Zur Kenntnis der Psychosen der Morphiumabstinenz, von Chotzen. 19. Über 
den Einfluß des Tabakrauches und des Nikotins auf den Blutkreislauf im Gehirn, von 
Pussep. 20. The action of alcohol on the circulation, by Dixon. 21. L’alcool e le malattie 
del sistema nervoso, per Bianchi. 22. Zur Statistik und Pathogenese des Quinquaud sehen 
Zeichens, von Lauschner. 23. Über das Quinquaudsehe Phänomen und seine Häufigkeit bei 
Nichttrinkern und bei Alkoholismus, Hysterie, Tabes und anderen nervösen Erkrankungen, 
von Minor. 24. Über den Alkoholismus im Orient, von Laquer. 25. Diagnostic differentiel 
des troubles cerebraux d’origine toxique dus ä l’alcool et au tabac et de la paralysie gene¬ 
rale d’apres les symptömes oculaires, par Rodiet et Cans. 26. Die Beziehungen zwischen 
Alkohol und Paralyse, von Delbrück, 27. Ein Beitrag zur Lehre von den Alkoholpsychosen. 
Nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung von Halluzinationen, von Goldstein. 28. Über 
atypische Alkoholpsychosen. Beitrag zur Kenntnis des halluzinatorischen Schwachsinns 
der Trinker und der alkoholistischen Pseudoparalyse, von Chotzen. 29. Transitorische 
Alkoholpsychosen, von Chotzen. 30. Beiträge zur Kenntnis der Gedächtnisstörung bei der 
Korsakoffschen Psychose, von Gregor. 31. Über paranoide Psychosen der Trinker, von Mandel. 
32. Ein Fall von Dipsomanie, von Gurewitsch. 33. Ein seltener Fall von Seibstverstümm- 
lung, von Bradäch. 34. Zur Behandlung des Delirium tremens, von Ganser. 35. Zur Be¬ 
handlung des Delirium tremens, von Aufrecht. 36. Über familiäre Fürsorgepflege für Trinker, 
von Knust. 37. Die Entwicklung der Trinkerfürsorge in Verbindung mit der städtischen 
Irrenanstalt zu Frankfurt a/M., von Sioli. 38. Die Trunkenheit vom forensisch ärztlichen 
Gesichtspunkte, von Fialovski. — Psychiatrie. 39. Die Grundlagen der Seelenstörungen, 
von Bessmer. 40. Über das Verhalten der Alkalescenz des Blutes und der weißen und 
roten Blutkörperchen bei Nerven- und Geisteskranken, von Schultz. 41. Die una speciale 


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56 • al frei”. 

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forma del globulo rosso nella demenza precooe, per Pighlni e Paoli. 42. La foraola emo- 
leocoeitaria nella demenza precoce, per Sandri. 43. Zur Pupillenuntersuchung bei Geistes¬ 
kranken. von Wassermeyer. 44. Über „Moral insanity“, von Longard. 45. La psychose 
maniaque-depressive, par Franco da Rocha. 

III. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft Deutscher Nerrenärzte. Erste Jahresversamm¬ 
lung in Dresden am 14. und 15. September 1907. — 79. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Ärzte in Dresden vom 15. bis 21. September 1907. — Internationaler Kongreß 
für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. Sep¬ 
tember 1907. 


I. Originalmitteilung. 


Ein Fall von Alexie und Agraphie nach Trauma. 

Von Dozent Dr. Aleesandro Marina in Triest 


Josef Vessel, 21 Jahre alt, Kesselschmied, seit einem Jahre verheiratet, stellte 
sich mir am 25. September 1905 vor. 


Anamnese: 


Der Vater, ein Trinker, starb im Alter von 58 Jahren an einem Herzfehler; 
bei der Geburt des Sohnes war er 39 Jahre alt Nach Angabe der Matter hat 
er nie Lnes akquiriert Die Mutter leidet seit mehreren Jahren angeblich an 
rheumatischen Schmerzen (Papillär- und Sehnenreflexe normal). Sie hat 15 Ge¬ 
hurten durohgemaabt. Den ersten Sohn, der lebt, hatte sie mit 16 Jahren; es 
folgte eine Tochter, die jetzt acht Kinder hat, dann ein Sohn, der gegenwärtig 
40 Jahre alt ist; nach diesem kam eine Tochter, die nach einer Geburt starb; 
auf diese folgte eine Tochter, die jetzt im 28. Lebensjahre steht und an Rheuma 
leidet. Auf diese folgte unser Patient. Auf diesen eine Fehlgeburt, dann ein 
Mädchen, das im Alter von 2 Jahren einer Darmkrankheit erlag; ein anderes 
Mädchen starb mit 7 Jahren an Meningitis; es folgten weiter eine Fehlgeburt im 
3. Sohwangerschaftsmonat, ein totgeboreneB Mädchen, ein Mädchen, das 8 Tage 
nach der Geburt verschied, ein Knabe, der im Alter von 6 Jahren einer Hirn¬ 
hautentzündung erlag. Das 13. Kind, ein Knabe, steht jetzt im 14. Lebensjahr 
und ist gesund. Das 14., ein Mädchen, starb, 8 Jahre alt, an Tnberknlose. Die 
Mutter erinnert sich nicht, wann und woran das 15. Kind, ein Knabe, starb. — 
Ein Bruder der Matter starb wahnsinnig. Von den Großeltern fehlen jede An¬ 
gaben. 

Patient kam reif und normal zur Welt. Zwischen dem 9. bis 14. Monate 
brachen die Zähne durch. Mit 15 Monaten lernte er gehen und sprechen. 

Im Alter von 3 Jahren litt er an Krampfanfällen, die je eine halbe Stunde 
andauerten; er blieb dabei starr, bewußtlos, hie und da traten Konvulsionen auf; 
doch ließ es sich nicht ermitteln, ob ihm dabei Schaum vor den Mund trat, ob 
er sich in die Zunge biß, ob er unwillkürlich Harn entleerte. Diese Anfälle 
wiederholten sich während eines Monates täglich, um dann vollkommen aufzuhören. 

Als Kind litt er an rechtsseitigen Ohrenschmerzen, die mit Otorrhoe einher¬ 
gingen; dieses Übel heilte jedoch vollkommen, ohne ärztliche Behandlung. 

Patient hat keine fieberhaften Krankheiten durchgemacht, litt nie an Ulcus 
oder Gonorrhoe, war dem Trünke ergeben (trank täglich 2 bis 3 Liter Wein, am 
Sonntage noch mehr) und ist starker Raucher. 

Er hat die Volksschule absolviert und wurde Kesselschmied; er konnte ge¬ 
läufig lesen, schreiben und rechnen und pflegte Lektüre. Vor 4 Jahren fiel er 
von einer Höhe von ungefähr 5 m auf das Hinterhaupt, wobei er das Bewußtsein 
verlor, ohne daß dabei Ohren- oder Nasenblntungen aufgetreten wären. Er wurde 


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damals ins Krankenhaus gebracht, wo er 20 Tage .verblieb. Da er eine ganze 
Woche bewußtlos dalag, wollten die Arzte angeblich schon die Trepanation des 
Schädels vornehmen; als er jedoch ohne Operation wieder zu sich kam, verstand 
er zwar alles, konnte jedoch weder sprechen noch lesen noch schreiben. Die Be« 
wegungen der Gliedmaßen waren dabei normal. 

Nach seinem Austritt aus dem Krankenhause lernte er innerhalb .eines Jahres, 
dank besonderer Wiedererziehungsmethode seines Schwagers, wieder sprechen, 
während die Alexie und Agraphie weiter bestehen blieben. 

So vergingen 3 Jahre, während welcher der niedergeschlagene Patient sonst 
nur nooh über Schmerzen am Hinterhaupt klagte, als er plötzlich einen Blutsturz 
bekam. Wieder ins Krankenhaus gelwacht, wurde er mit einer Ergotininjektion 
behandelt. Daraufhin bekam er den ersten einer langen Serie von Krampfanfällen, 
die noch jetzt fortdauero. Diese treten gewöhnlioh abends oder des naahts ein, 
beginnen an der rechten Wange mit einer sich rasoh auf den reohten Arm und 
auf den ganzen Körper erstreckenden Starre; dabei verliert er das Bewußtsein, 
es tritt ihm Schaum, der öfters blutig gefärbt ist, vor den Mund, er beißt sich 
in die Zunge und entleert manchmal unwillkürlich Harn. 

Diese Anfälle, welche manchmal auch tagsüber auftreten, erschrecken ihn, 
da er fürchtet, von ihnen auf der Straße befallen zu werden. 

In den Zwischenpausen leidet er jedoch an andersartigen Anfällen, die ihm 
teils an und für sich, teils aus Angst, daß sie die obengenannten Anfälle auslösen 
könnten — obwohl dies noch nie eingetreten ist —, ebenfalls Furcht einjagen. 

Während dieser zweiten Anfälle ist Patient sehr aufgeregt, er klagt über 
Stiche in der Zunge, im Gesichte, über einen furchtbaren Knoten, der ihm die 
Kehle zuschnürt, über Schnurren im .Geniok und in den Kiefern. Dabei verliert 
er die Stimme und muß nacheinander schluckweise Wasser trinken. Diese An¬ 
fälle dauern eine Stunde und mehr. 

Gewöhnlich wird er leicht müde, sein Schlaf ist unruhig, von schlechtesten 
Träumen begleitet; da >er nicht arbeiten kann, bleibt er immer zu Hause, in einem 
ärmlichen dunklen Stübchen, in steten Gedanken an seine Anfälle. Er lebt von 
einer kleinen Rente der Unfallversicherung und von dem spärlichen Verdienst 
seiner Hutter und seiner Frau. 

Er leidet außerdem an öfteren Blutungen aus der Nase infolge einer chronischen 
polypösen Rhinitis. Wiederholte Exstirpationen dieser Wucherungen hatten auf 
seine Anfälle keinen günstigen Einfluß. 

Ausgenommen im Sommer leidet er nicht an profusem Schweiß, ebensowenig 
an Durchfällen. 

Patient kam in sehr erregtem Zustand zu mir, gefolgt von seiner Mutter, die 
-eine Sohüssel voll Wasser mitbringt, aus welcher er von Zeit zu Zeit schlürft. 
Er kommt in Hemdärmeln, entblößt an Hals und Brust, hält sich den Hals, da 
er ein so starkes Würgen verspürt, daß er zu ersticken fürchtet, obwohl objektiv 
keine Cyanose zu bemerken ist. Er spricht voller Angst in kurzen, stoßweise 
vorgebrachten Sätzen, aus denen trotz einiger Erläuterungen von seiten seiner 
Hutter kaum einige Daten für die Anamnese gewonnen werden können. 

Patient ist ein blonder, junger Hann,.mittelgroß, gut genährt, etwas schwammig; 
sein Reden ist eintönig, immer zu seinen Anfällen und Krämpfen zurückkehrend; 
in steter Angst, in Konvulsionen zusammenzustürzen, weint er und in sein Jammern 
stimmt auch die Mutter ein, die dabei immer den Wassertopf in den Händen .hält. 

Sein KopfumfaDg beträgt 57 cm, von einem Warzenfortsatz zum anderen 36. om, 
die -Entfernung von Hinterhauptshöcker zur Glabella beträgt 36 cm (mit dem 
Bande gemessen). Ohrläppchen angewachsen. Harter Gaumen stark gewölbt. 

Augäpfel etwas vorstehend; leichte Ptosis der oberen Lider, namentlich links, 
Konvergenz beiderseits etwas unvollkommen, sonst die Augenbewegungen normal. 


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Facialis beiderseits normal, ebenso die Kau* und Schluckbewegungen. Zunge 
vollkommen beweglich mit leichtem Tremor; das Zäpfchen nach links geneigt. 
Die Muskeln des weichen Gaumens normal. Einige Zähne unregelmäßig ge¬ 
wachsen . 

Hals dick, 42,5 cm im Umfang messend, leichte gleichmäßige Schwellung der 
Schilddrüse. 

Die oberen Gliedmaßen kräftig entwickelt, muskelstark, nach allen Richtungen 
vollkommen beweglich. Dabei besteht Zittern der Finger, ohne daß dadurch selbst 
die feinsten Bewegungen irgendwie gestört wären. 

Die unteren Gliedmaßen normal sowohl in bezug auf Muskulatur und Kraft, 
als auch was die Schnelligkeit und Koordination der Bewegungen anbelangt. 

Reflexe: Pupillarreflexe sowohl auf Licht als auf Konvergenz und Akkom¬ 
modation normal, ebenso der Korneal- und Konjunktivalreflex. 

Der Rachenreflex verzögert und schwach; die Reflexe der oberen Extremitäten 
normal; ebenso die mechanische Muskelerregbarkeit. 

Patellar- und Achillessehnenreflexe lebhaft; bei leiohter Reizung der Fu߬ 
sohle bleibt die große Zehe steif, bei stärkerer treten Abwehrbewegungen im 
Fuße, in den Gliedmaßen und der Fascia lata auf. Kein dorsaler Fußklonus, 
ebenso fehlen die Mendel sehen, Oppenheim sehen und Stbümpell sehen Phänomene. 

Kremaster- und Bauchreflexe deutlich (Bauch vorgewölbt). 

Schmerz bei Druck auf die Hoden, auf das Hinterhaupt, sonst keine schmerz¬ 
haften Druckpunkte. 

Sensibilität links überall normal. Rechts scheint sie überall herabgesetzt zu 
sein (Pinsel), am meisten an der oberen Extremität; doch sind die diesbezüglichen 
Angaben so unsicher und widersprechend, daß man es nicht mit Sicherheit an¬ 
nehmen kann. 

Lagesinn der Extremitäten, Stereognosie für Gegenstände wie Münzen usw. 
vollkommen normal ebenso der Gleichgewichtssinn. 

Die inneren Organe bieten nichts abnormes dar, Herz innerhalb der physio¬ 
logischen Grenzen, die Töne etwas dumpf. Puls regelmäßig, schwach, schwankt 
zwischen 102 und 144 Schlägen. 

Untersuchung der Augen (Dr. Oblath): V = */ 6 , rechts und links gleich. 
Schwache Hypermetropie. Akkommodation gut. Chromatischer Sinn normal. 
Gesichtsfeld nioht eingeschränkt, ohne Ermüdungsreaktion. Das Gesichtsfeld für 
Farben insofern etwas abweichend, als das Feld für Grün Behr weit ist. Augen¬ 
hintergrund normal. 

Ohrbefund (Dr. Mobpugo): Leichte Rötung des äußeren Gehörganges. Alle 
Stimmgabeln werden frei gehört. Weber und Rinne rechts negativ. Leise ge¬ 
sprochene Worte werden rechts normal, links auf 3 m Entfernung gehört. Dia¬ 
gnose: Rechtsseitiger Ohrkatarrh; Nasenkatarrh. 

Untersuchung der Sprache: 

Patient ist Rechtshänder, ungebildet, hört und versteht ganz gut, was man 
zu ihm spricht. Er spricht etwas näselnd, mit monotonem Tonfall, doch fließend, 
wobei ihm aber manchmal das Wort ausgeht. Er sagt ganz gut die Wochentage 
auf, ebenso die Monate, jedoch letztere in ungeordneter Reihenfolge: April, Mai, 
Juni, Juli, November, Dezember, März, April. Auf diese Fehler aufmerksam ge¬ 
macht, berichtigt er sie, wobei er jedoch neue begeht, bis er schließlich aufhört 
mit dem Bemerken, er sei müde. 

Die Fragen, wie viel Tage ein Monat, wie viele eine Woche hat, beantwortet 
er richtig. 

Sein Alter, sein Geburtsjahr, die Namen seiner Familienmitglieder und seine 
Adresse gibt er richtig an. 

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Selbst bei den einfachsten Worten fällt es ihm schwer, die ihm vorgesagten 
Anfangssilben zu einem Worte zu ergänzen nnd das anch hei zweisilbigen 
Worten, während es ihm schon bei dreisilbigen ganz unmöglich wird; dabei löst 
er jedoch selbst ihm fremde, ungewöhnliche Worte, die ihm vorgesagt werden, 
ganz gut in die entsprechenden Silben auf. 

Die Aufforderung, vor die Hauptwörter den Artikel zu setzen, begreift er 
schwer und es bedarf großer Mähe, ihn aus dieser intellektuellen Trägheit auf* 
zurütteln; er sagt nun: der Vater, der Gatte, doch der Mutter, der Schule, 
der die Gattin, und auf mein Ersuchen, dem Worte „Tier (< den Artikel vorzu¬ 
setzen, wiederholt er fortwährend „o welch* ein schönes Tier“. 

Aufgefordert, mit gegebenen Worten Sätze zu bilden, tut er es auf folgende 
Weise: 

Rose, Blume. „Ein schöner Garten zwischen Rosen und Blumen.“ 
Ambulanz, Kranke. „Die Ambulanz ist für die Kranken.“ 

Triest, Stadt, Meer. „Ein schönes Triest, eine schöne Stadt, ein schönes 
Meer.“ 

Haus, schön. „Mein Haus ist schön, aber wegen meiner Krankheit ist es 
häßlich.“ 

Um mich zu vergewissern, ob er den Sinn der Worte versteht, untersuchte 
ich, wie er abstrakte Begriffe auffaßt und erklärt. Mit einer gewissen Schwierig¬ 
keit im Sammeln der Gedanken antwortet er folgenderweise: 

Was ist die Liebe? „Man liebt je nach der Person; eines ist die Mutter¬ 
liebe, etwas anderes die Frauenliebe; wenn ich mit einem Mädchen allein wäre, 
würde ich ihm schon sagen, was die Liebe ist.“ 

Was ist der Haß? „Sich wegen Liebeshändel oder Streitigkeiten zu 
prügeln; gegen den Mann, der mir die Ehre meiner Frau gestohlen, nähre ich 
einen Haß bis zum Tode.“ 

Was ist der Geiz? „Wie viele den ganzen Tag um kargen Lohn arbeiten 
lassen oder das Geld lieber im Schranke liegen lassen, als es den Armen zu geben.“ 
Was ist Freigebigkeit? „Gutherzige Menschen, die Arme beschenken, 
und sie nicht so leiden lassen wie mich jetzt.“ 

Die Frage: Was versteht man unter einer Versammlung? kann er 
nicht beantworten. 

Was ist eine Vorstellung? Etwas wohin man schauen oder lernen geht“ 
Bei der Prüfung, ob er den Begriffen den richtigen Namen geben kann, 
antwortet er folgenderweise: 

Wie würden Sie einen Menschen nennen, der sich die Sachen anderer an¬ 
eignet? „Einen Dieb.“ 

Wie nennen Sie denjenigen, der einen anderen beschenkt? „Ebnen gutherzigen 
Menschen.“ 

Was ist einer, der eine Frau liebt? „Ein guter Mensch.“ 

Manchmal findet er nicht den passenden Ausdruck. Während er auf die 
Fragen, wo er sich befinde, in welchem Gebäude, richtig antwortet, entgegnet er 
auf die Frage: 

Gibt es noch andere Krankenanstalten? „Ja.“ 

Wie heißen sie? „Ambulanzen.“ 

Gibt es Anstalten, wo die Kranken im Bette liegen? „Ja.“ 

Wie heißen sie? (Er weiß es nicht.) 

Heißen sie Spitäler? „Ja, die Spitäler.“ 

Waren Sie im Spital? „Ja.“ 

Warum? „Vor 4 Jahren, wegen meiner Krankheit; ich lag dort eine Woche 
bewußtlos und konnte darin weder lesen nooh schreiben.“ (Erzählt dann seine 
ganze Krankengeschichte.) 

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War Ihre Mutter im Spital? „Ja.“ 

War sie krank? „Nein.“ 

Wae tat sie dort? „Sie arbeitete.“ 

Was arbeitete sie? (Gr weiß es nicht.) 

War sie Krankenwärterin? „Ja, Krankenwärterin.“ 

Sein Bildungsgrad ist sehr gering und wird überdies durch den Mangel 
seines Gedächtnisses in ungünstigem Sinne beeinflußt. 

Wo leben Sie? „Zu Hause.“ 

In welcher Stadt? „In Triest.“ 

In welchem Reiche ist Triest? „In Österreich.“ 

Welches ist die Hauptstadt von Österreich? (Er weiß es nicht.) 

Wie heißt der Kaiser von Österreich? „Joseph.“ 

Welches ist die Hauptstadt Italiens? „Rom.“ 

Wie heißt der König von Italien? „Humbert.“ 

In welchem Weltteil liegt Triest? (Er weiß es nicht.) 

Wie heißen die Weltteile? (Er weiß es nicht.) 

Prüfung des Lesens: 

Er kann geschriebene und gedruckte Worte weder erkennen noch lesen; 
ebensowenig die sie zusammensetzenden Buchstaben. Eine Ausnahme bildet nur 
sein Vor* und Zunahme, was ihm jedoch auch manchmal unmöglich wird. Er 
erkennt jedoch mehrere Buchstaben, doch nicht immer dieselben. 

Er kennt die Buchstaben: a, f, i, n, o, r, p, v, z, t; heim b ist er unsicher; 
das c spricht er ca aus, das d = da, das 1 = la. Das g spricht er go, gu, ga 
aus, das h = che, das g = go, das s — se. 

Die Zahl der ein Wort zusammensetzenden Buchstaben und Silben gibt er 
genau an, wenn jedoch ein Wort länger ist, so irrt er manchmal. So sagt er 
z. B., daß Konstantinopel 13 Buchstaben hat, und kann die Zahl der Silben nicht 
angeben. Einzelne einfache Silben wie Ma, Pa, Ca liest er gut, aber mit einiger 
Mühe; aber wenn er Mama lesen soll, so gelingt es ihm nicht, liest aber die erste 
Silbe, wenn ich ihm die zweite bedecke; und umgekehrt. Das Wort kann er 
also nioht lesen, und wenn ich ihn mit vieler Anstrengung die zwei Silben lesen 
lasse, so versteht er den Sinn des Wortes nur, wenn er es öfters wiederholt, oder 
besser, wenn ich es ihm wiederhole, augenEcheinlieh weil er dann die Gehörs¬ 
vorstellung- davon erhält; tatsächlich konnte er ein andermal, als ich ihm dasselbe 
Wort lesen lassen wollte, es nicht mehr tun. 

Dasselbe gilt von anderen Worten, z. B. Rose, Birne usw., deren Farbe und 
Unterschied er ganz genau schildern konnte. Dreisilbige Worte kann er absolut 
nicht lesen, wohl aber die sie zusammensetzenden Silben, und dies auch nur 
dann, wenn keine Konsonanten Zusammenstößen. 

Er liest die Zahlen gut und ziemlich gut die mehrstelligen. So entziffert 
er die Zahl 565972 folgendermaßen: 5 Millionen 65 Tausend 972. 

Er kennt die Begriffe von Tieren und Gegenständen, wenn ihm auch manch¬ 
mal nicht das Wort einfällt. So erklärt er z. B. Zündhölzchenschachtel: „Das, 
was die Zündhölzchen enthält.“ 

Tintenfaß: „Das wo die Tinte ist.“ 

Bürste: „Dient zum reinigen.“ 

Berührt er den Gegenstand, so fällt ihm doch nicht der Name ein. 

Prüfung des Schreibvermögens: 

Während er alle Nummern spontan beim Diktieren oder abschreiben trifft, 
kann er weder voä Belbst, noch unter Diktat ein Wort schreiben, ebensowenig 
wie er Gedrucktes oder Geschriebenes kopieren kann. Dabei kann er doch die 

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Worte mechanisch exakt and langsam nachmachen, als handelte es sich für ihn 
am fremde Zeichen. Interessant ist dabei die Beobachtang, daß er beim Kopieren 
des Wortes Doktor den Buchstaben r nicht wie ich ihm geschrieben hatte (“r„), sondern 
so: „r“ kopierte, was sich auch bei anderen Worten wiederholte. Er kann von 
mir punktierte Buchstaben genau nachpunktieren und dann aritmetische Operationen 
ausfÖhren, wobei er aus dem Gedächtnis Additionen and Subtraktionen einfacher 
Zahlen schreiben kann. Multiplizieren kann er answendig nicht. Schriftlich kann 
er summieren, subtrahieren und multiplizieren, wenn auch etwas fehlerhaft; divi- 
dieren kann er nicht: 48 + 28 = 76; 9 — 4 = 6; 

aber 6 X 7 = 36 = 45; 8 X 9 = 81; 5 X 4 - 16 — 41. 

Bei geschlossenen Augen kann er unter Diktat einzelne Buchstaben schreiben, 
wobei er das r immer wie „r“ schreibt: er kann auch einzelne einfache Silben 


Kreis Quadrat 



wie „ma“ schreiben. Mama kann er aber nicht schreiben oder schreibt es so 
getrennt: ma-ma. 

Er kann auswendig auf plumpe Art geometrische Figuren (so hat ein Dreieck 
anfangs eine unregelmäßige, komplizierte Figur), Gegenstände, z. B. ein Pferd, 
zeichnen (Figg. 1 u. 2). Wenn er diese Dinge abzeichnet, so gelingen sie ihm 
nicht besser. 

Im allgemeinen kann man sagen, daß er die Buchstaben und Silben, die er 
lesen kann, auch zu schreiben vermag, die anderen nicht, und dies nicht im all¬ 
gemeinen, sondern in jedem besonderen Fall, d. h. nur diejenigen, die er in dem 

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betreffenden Moment lesen kann; denn einmal kann er einige Buchstaben und 
Silben lesen, ein andermal andere. 

Untersuchung durch Tastgefilhl und Einästhesis. 

Mit metallenen Setzerbuchstaben setze ich das Wort amore (Liebe) Zusammen. 
Wahrend er das Wort, selbst wenn er die einzelnen Buchstaben betastet, nicht 
aussprechen kann,. kann er es ganz gut aus den wieder zerlegten Buchstaben zu* 
sammenstellen. Bei der Aufforderung, das Wort Trieste zusammenzustellen, tut 
er es auf folgende Weise: zuerst T r i e, dann te und fügt endlich, aufmerksam 
gemacht, daß noch ein Buchstabe fehle, zuerst ein „r“, dann ein „t“ und endlich 
das „s“ dazu. 

Beim Wort „Papa“ setzt er zuerst ein „m“, dann das „p“, die anderen Buch* 
staben richtig und liest, dazu aufgefordert: „Pa-pa“. Bei einem anderen aus vier 
Buchstaben bestehenden Worte läßt er zuerst eins auB und gibt das fehlende erst 
dazu, als er darauf aufmerksam gemacht wurde. 

Ich ließ ihn nun die Augen schließen, ergreife seine Hand und zeichne mit 
ihr ein „0“; auf die Frage, was dies sei, sagt er, „ein runder Buchstabe“; und 
bei geöffneten Augen: „eine Null“. Ich schreibe nun in der Luft mit seiner 
Hand das Wort „no“ (nein); er erkennt es. Doch als ich in derselben Weise 
„ma“ schreibe, sagt er „va“, und erst auf eindringliches Fragen „ma“. Ebenso 
erkennt er „ma ma“; schreibe ich jedoch mamma (mit zwei m), so kann er es 
nicht mehr sagen. 

Ich lasse ihn in der Luft eine Silbe „pa“ zeichnen: er sagt va, ra na und 
erst als ich sie von ihm auf die Wand zeichnen lasse, sagt er: pa. Wiederhole 
ich die Silbe, so sagt er richtig pa-pk, als ich ihm jedoch gleich darauf das Wort 
Papi schreibe, und ihn enuche zu lesen, kann er es nicht mehr. 

Er kann somit mit Hülfe des Tastgefühles und der Einästhesis einige ein* 
fachen und gewöhnlichen zweisilbigen Worte erkennen und aussprechen; drei¬ 
silbige jedoch nicht. 

Nach dieser Darstellung der Krankengeschichte und der Beobachtungen 
am Patienten wollen wir dieses komplizierte Symptomenbild etwas in Ordnung 
bringen. 

Patient zeigt zwei Arten von Anfällen. Die einen, welche 3 Jahre nach 
dem Trauma begannen, bieten das reine Bild der Epilepsie dar, mit Verlust 
des Bewußtseins, Krämpfen, Schaum vor dem Munde, Zungenbissen, unfrei¬ 
willigen Harnentleerungen und Amnesie. Interessant ist dabei die Tatsache, 
daß sie zum erstenmal nach einer Ergotininjektion einsetzten, wenn sie auch 
eine gewisse Verwandtschaft mit solchen in seiner Kindheit aufgetretenen auf¬ 
weisen, während welcher Patient bewußtlos und von Starrkrämpfen befallen 
wurde; die lange krampffreie Zwischenpause spricht nicht gegen den Zusammen¬ 
hang beider. Diese epileptischen Krämpfe haben jedoch nicht den JacKsoN’schen 
Typus; er hat zwar anfangs ein Gefühl von Spannung, besonders in der rechten 
Wange, doch nach eingetretenem Bewußtseinsverlust verallgemeinern sich bald 
die Krämpfe und Konvulsionen; es besteht somit nicht die typische Beschrän¬ 
kung auf eine Muskelgruppe oder auf ein oder zwei Glieder, es besteht nicht 
die typische Progression, und es fehlt die einige Zeit nachdauernde Parese. 

Sicherlich leidet Patient außerdem noch an Anfällen, die nach ihrer Art 
und Natur von den oben erwähnten verschieden sind. Sie bestehen in Angst- 

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gefühl, Schnüren im Halse verbunden mit Erstickungsgefühl, außerordentlicher 
Erregung, Todesangst, in Angst vor den Anfällen selbst, „sowohl vor den kleinen, 
als auch vor den großen“. Rechnet man dazu noch die Herabsetzung und 
die Verzögerung des Pharynxreflexes, die abnorme Weite des Gesichtsfeldes für 
grün, außerdem noch die in der letzten Woche beobachtete Tatsache, daß nämlich ein 
infolge leichter Pharyngitis aufgetretener Husten in Schreien ausartete, so wird 
es wohl nicht als gewagt erscheinen, wenn man annimmt, daß diese zweiten 
Aufalle den Charakter des Hysterischen haben, und daß Patient nicht nur 
Epileptiker, sondern auch ein Hysteriker sei. — Eine andere Gruppe von 
Phänomenen, die sich in leichter Vorwölbung der Augäpfel mit Parese der Kon¬ 
vergenzbewegungen , und in einem dicken Halse, ohne daß man jedoch eine 
wahre Vergrößerung der Schilddrüse nachweisen kann, äußert, (über das Ver¬ 
halten des Pulses werde ich später berichten), könnte an eine Forme fruste 
der BASEDOw’schen Krankheit erinnern. Doch sind die Erscheinungen wenig 
ausgesprochen, es fehlen überdies die GnlFE’schen und STBLLWAG’schen 
Phänomene, die Zitterbewegungen, die profusen Schweisse, die Durchfälle, und ich 
halte es für plausibler, daß diese Phänomene, welche an einen rudimentären 
Basedow erinnern, eher mit dem hohen Gaumen und angewachsenen Ohr¬ 
läppchen in Zusammenhang zu bringen und eher als angeborene Anomalien auf¬ 
zufassen sind als BASEDOw’sche Komplikationsphänomene der Hysterie. 
Ebensowenig möchte ich sie in einen Zusammenhang mit den Nasenpolypen 
setzen, obwohl auch solches behauptet wird. Nach diesen Erläuterungen unter¬ 
suchen wir die durch das Trauma ausgelösten Symptome. 

Gleich nach dem Unfall trat Verlust des Bewußtseins ein, der eine Woche 
lang anhielt und ein so schwerer Allgemeinzustand, daß die Ärzte schon die 
Notwendigkeit einer Operation besprachen. Nach einer Woche kam Pat zu sich, 
jedoch mit motorischer Aphasie, Alexie und Agrapbie. Die Motilität, Sensi¬ 
bilität, das Gehör und die Apperzeption der Worte sowie das Gesicht blieben 
ungeschädigt 

Wenn man die Verletzung, den Schmerz am Hinterhaupte, wo die Ver¬ 
letzung einsetzte, die Anfangssymptome, die später dazugekommen, auch die bis jetzt 
noch bestehenden berücksichtigt, so scheint es natürlich, daß es sich um eine 
organische Störung (Blutung oder traumatische Encephalitis) in der Gegend der 
linken Fissura calcarina handle, womit die Alexie, in der BsocA’schen Win¬ 
dung, und die motorische Aphasie erklärt wäre, wobei die Agraphie eine 
Folge der Alexie wäre, um so mehr als man allgemein der ersteren eine besondere 
Lokalisation zuschreibt Es werden also zwei von einander getrennte geschädigte 
Herde bestehen; nicht der Hinterhauptslappen, da Sehstörungen fehlen, nicht 
die WebniCKE’ sche Windung, da die Worttaubheit fehlte, nicht die Gegenden 
der Centralwindungen und des angrenzenden Parietallappens, da Schmerzen und 
Astereognosie fehlten, nicht die Gegend des hinteren Stirnhims, da Apraxie 
fehlte. 

Doch nach einem Jahre verschwindet die Aphasie „sans mot“. Man könnte 
meinen, es handelte sich um Wiedererziehung; doch wir wissen zu gut, wie ge- 

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ring die Resultate der von Ärzten oder Lehrern unternommenen Wieder¬ 
erziehungsversuche bei organischen Aphasikern sind, um uns nieht zu wundern 
über das von einem Willensstärken Laien erzielte glänzende Resultat Die 
fließende, nicht paraphasische Sprache kann bei dem Patienten als normal an¬ 
gesehen werden. Bei der Prüfung zeigte sich wohl eine lachte Störung nicht 
in der Aussprache, sondern im innern Mechanismus der Zusammenstellung der 
Worte. So konnte er oft ein augefangenes, auch einfaches Wort nicht vollenden; 
vor die Worte setzte er nicht immer den richtigen Artikel, denn für ihn gab 
es nur einen Artikel „der“; und wenn er „die“ sagt, so setzt er immer auch den 
Artikel „der“ voraus, z. B. der die Frau. Ich glaube, es bandelt ach dabei nicht 
um eine Störung im Mechanismus der Sprache, sondern um einen torpiden Zu¬ 
stand seiner Intelligenz. So begriff er einmal die ihm gestellte Aufgabe nicht, 
verwechselte die Aufforderung, einem Worte „Tier“ den Artikel vorzugeben: mit 
dem Auftrag, eine Phrase daraus zu machen und sagte fortwährend: „0 welch 
ein schönes Tier.“ 

Aus einzelnen angegebenen Worten bildet er m kindlicher Weise Phrasen; 
er versteht den Sinn der Gegenstände und der Worte und erklärt deren Sinn, 
auch wenn es sich um abstrakte Dinge handelt. Dabei gibt er nicht Defini¬ 
tionen, die für seine Intelligenz unmöglich sind, sondern wendet praktische 
plastische Beispiele an. So verbindet er in einfacher Weise das Wort mit dem 
Begriff und wenn er es nicht kann, so hängt es wahrscheinlich davon ab, daß 
er sich nicht daran erinnert. So erinnert er sich z. B. an das Wort „Dieb“ 
und wendet es entsprechend richtig an, aber nicht an die Begriffe: „freigebig“, 
„Liebhaber“, die den ihm gestellten Fragen entsprechen würden. So kann er 
manchmal nicht das richtige Wort für Begriffe, die er kennt, finden, z. B. 
Schachtel, Tintenfaß, Wärterin; so daß er manchmal selbst an einfache, an ihn 
gestellte Fragen nicht antworten kann, wie schon früher nachgewiesen wurde. 

Doch, mit Ausnahme einer gewissen Gedächtnisschwäche für einzelne 
Worte, kann man nicht von eigentlicher Störung der Sprache reden; es bestehen 
auch nicht agrammatische Störungen oder wie es die Franzosen sagen „style 
negre avec les verbes ä l’infinitif“, seine Sätze sind wohlausgebildet. und 
werden normal ausgesprochen. 

Und nun frage ich, ist es möglich, daß eine Aphasie „sans mots“ innerhalb 
eines Jahres fast ohne Spuren verschwindet, wenn sie die Folge einer organischen 
Läsion gewesen ist? Oder ist es nicht logischer anzunehmen, daß es sich 
um eine infolge eines Traumas eingetretene funktionelle Störung gehandelt 
habe, ähnlich jener welche Chabcot die „Aphasie sans mot der Hysterischen“ 
genannt hat? Nach meiner Ansicht muß man ohne weiteres zur letzten Ansicht 
neigen. 

Und nun kommen wir zur Alezie, zu jener Funktionsstörung, welche 
in der Unmöglichkeit zu lesen besteht, während der Patient ganz gut redet 
und das gesprochene Wort versteht. Patient leidet an einer reinen, der so¬ 
genannten subkortikalen Alexie, welche in der Unmöglichkeit besteht, Worte, 
d. h. gedruckte Buchstaben in ihrem Zusammenhang zu lesen, in der Un- 


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mögliehkeit weiter, das Gelesene zu verstehen, obwohl das Sehvermögen ein gutes 
und die Erkennung der Gegenstände eine vollkommene ist. (Monakow.) 

Dabei handelt es sich nicht um Buchst&benalexie, denn er erkennt Buch¬ 
staben, ja sogar öfters auch Silben, doch zwei gleiche Silben, wie Ma-Ma 
(das einfachste Beispiel eines Wortes), sind für ihn eben nur zwei Silben ohne 
jeden Sinn. 

Wenn er seinen Vor- und Zunamen sowie Zahlen lesen und einfache 

aritmeti8che Operationen durchführen kann, so stört dies nickt das Bild der 

Alexie, da man das häufig beobachtet; wenn man ihm jedoch, nachdem er 
seinen Yor- und Zunamen Josef Vessel gelesen hatte z. B. nur das Wort Josef 
schreibt, so gelingt es ihm außerordentlich schwer, es zu lesen, und wenn ich 
ihm ein noch einfacheres Wort, z. B. Karl, zu lesen gebe, so gelingt es 
ihm nicht. 

Auch die Kinästhesis ist nicht imstande, das Bild des Wortes zu erwecken; 
er erkennt z. B. so nicht gleich das Wort Papä, das ich ihn auf die Tafel 

schreiben lasse, sondern er muß zuerst die zwei Silben Pä-Pä getrennt öfters 

wiederholen, bis er schließlich sie verbindet und „Papä, acht ja, Papä u sagt; er 
versteht somit das Wort nur dann, wenn er es laut ausspricht; nur mit Hilfe 
der Gehörvorstellung und vielleicht der labioglosso-phonetischen Kinästhesis; 
die Vermittlung durch das Auge, durch die Handkinästbesis und durch die Tast- 
geföhle ist unterbrochen, wie es die Versuche mit dem Lesen metallener Lettern 
bewiesen. Die Agraphie ist innig mit der Alexie verbunden: denn das, was er 
nicht lesen kann, vermag er auch nicht zu schreiben, weder Buch¬ 
staben, noch Silben; was er lesen kann, kann er auch schreiben. Worte 
kann er überhaupt nicht schreiben; dabei kann er, wie man es in vielen solchen 
Fällen beobachtet, mechanisch nachschreiben; aber seine spontane Schrift oder 
die unter Diktat geschriebene ist in der vorher beschriebenen Weise eingeschränkt 
Daraus erhellt, wie innig der Zusammenhang zwischen Agraphie und Alexie ist, 
so daß man annehmen muß, daß letztere auf die andere förmlich „calquäe“ ist; 
er kann nicht schreiben, weil er nicht lesen kann. 

Ich will hier nicht auf die Frage der Agraphie als selbständiger Affektion 
eingehen und lasse ihr relatives Centrum, das von den meisten Autoren negiert 
wird, sowie das Verhältnis des optico-verbalen Centums zu dem der Hand un¬ 
berührt, sondern will hier nur auf den innigen Zusammenhang zwischen Alexie 
und Agraphie hiuweisen. 

Ist die Alexie und die damit zusammenhängende Agraphie die Folge einer 
organischen Läsion? 

Bevor ich die genaue Anamnese kannte, wiesen mich die permanente 
Ausfallserscheinung und die posttraumatische Epilepsie auf diese Vermutung; 
als ich aber bei einer ersten Probe sah, daß er bei der mechanischen Wieder¬ 
gabe eines Wortes den Buchstaben r anders niederschrieb, als er gegeben war, 
so sagte ich mir, dies könne wohl nicht reine mechanische Wiedergabe sein: 
er wisse in seinem Unterbewußtsein, daß dies ein r sei und gebe es nach seiner 
Art wieder; es fehle ihm daher nicht das Wissen, wie es bei einer Zerstörung 

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eines Centrains der Fall sein müßte, sondern es müsse sich um eine Hemmung 
handeln,. welche sein Unterbewnßtsein nicht zur Oberfläche gelangen lasse. 

Doch als ich mich in den Gegenstand vertiefte, sah ich, daß selbst voll¬ 
kommenes Erkennen einzelner Buchstaben und Silben beim Unvermögen Worte zn 
schreiben und bei erhaltener Möglichkeit einzelne Lettern und Zahlen zu schreiben 
und Figuren zu zeichnen auch bei organischen Läsionen Vorkommen kann. 
Beim ersten Anblick scheint die Verbindung der Epilepsie mit den Ausfalls¬ 
erscheinungen für eine organische Störung zu sprechen; ich habe aber nacb- 
gewiesen, daß es sich um keine JACKBON’sche Epilepsie, sondern um eine wahre 
Epilepsie handelt, welche, nachdem sie infolge eines Krampfes der kleinen Ar¬ 
terien aufgetreten ist, an die Anfälle in der Kindheit sich anschließt 

Es Ist sicher, daß der überaus reizbare Zustand der Hirnrinde die Haupt- 
Ursache der epileptischen Anfalle war; aber dieser Zustand ist eben allen Epi¬ 
leptikern eigen und es ist die Gelegenheitsursache, die den Krampfanfall aus- 
löst Doch nicht einmal ein einseitiger oder noch beschränkterer Krampf hätte 
genügt, um eine organische Läsion anzunehmen; denn ich habe einen ähnlichen 
Fall vollkommen heilen sehen, wobei die später auftretenden Symptome die 
Diagnose: Hysterie aufdrängten. 

Damit der JAOKSON’sche Krampfanfall einer organischen Läsion entspreche, 
muß eine Lähmung oder Parese nachfolgen, was eben bei unserem Patienten nie 
der Fall war. Die Epilepsie hatte also hier nicht den pathognomonischen Charakter 
einer Reizung der vorderen Central Windung infolge organischer Läsion dieses Cen¬ 
trums oder seiner Umgebung. Die Alexie könnte jedoch dafür sprechen, wenn nicht 
die Hemianopsie fehlen würde. In der großen Mehrzahl der Fälle ist die Alexie 
mit Hemianopsie verbunden, da die Läsion des Gyros angularis und seiner Um¬ 
gebung die darunter verlaufenden, vom Hinterhauptslappen und namentlich 
vom Caneus kommenden Opticusfasem trifft. Allerdings braucht, wenn die 
Alexie eine Folgeerscheinung einer Läsion der Supramarginalwindung ist, das 
GnATiOLET’sche Bündel nicht mitgetroflen zu sein, ebenso kann diese Läsion 
verstrichen und nun nicht mehr nachweisbar sein; daraus folgt, daß das 
Fehlen der Hemianopsie für die Stellung der Differentialdiagnose nicht 
genügt. 

Bei organischen Läsionen besteht manchmal die Möglichkeit, einige Buch¬ 
staben, Silben, auch den eigenen Namen, sowie Zahlen zu schreiben, doch 
v. Monakow betont in diesen Fällen die Unmöglichkeit, arithmetische Operationen 
schriftlich durchzuführen, während unser Patient diese anzuführen imstande ist 

Wenn wir nun alle diese Daten summieren, daß nämlich die motorische 
Aphasie eine funktionelle war, daß jedes sichere Zeichen für die Annahme 
einer organischen Läsion fehlt, wenn wir das Fehlen der Hemianopsie, das Ver¬ 
mögen arithmetische Operationen auszuführen berücksichtigen und bedenken, 
daß Patient ein Hysteriker ist, muß man doch zugeben, daß höchstwahrschein¬ 
lich auch die Alexie funktioneller Natur ist 

Daß sie noch andauert, hängt damit zusammen, daß Patient im Gegensatz 
zur Sprache nicht die Notwendigkeit fühlte, das Lesen und Schreiben wieder zu er* 


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lernen; doch schon bei meinen in diesem Jahre unternommenen Versuchen 
konnte ich bemerken, daß er im Lesen einzelner Silben und Worte, namentlich 
der gedruckten, einen deutlichen Fortschritt gemacht hat und ich bin über* 
zeugt, daß ein Lehrer bei etwas besserem Willen seinerseits und unter andern 
Verhältnissen seiner Umgebung vieles erreichen könnte. 

Es würde sich also mit größter Wahrscheinlichkeit um eine funktionelle 
Störung in der Gegend der Fissura calcarina und um eine geheilte funktionelle 
Läsion in der BnooA’schen Windung handeln, als Residuen einer ursprünglich 
die gan^e Hirnrinde interessierenden funktionellen Störung, die sich anfänglich 
in einem eine Woche andauernden Bewußtseinsverlust äußerte. 

Einfacher jedoch gestaltet sich das Symptombild, wenn wir den Fall nicht 
vom anatomischen, sondern vom physiologischen Standpunkt aus betrachten. 
Wenn wir nach dem Effekt des Traumas forschen, so sehen wir es auf einen 
teil weisen Verlust des verbomotorischen und des sich gegenseitig ergänzenden 
▼erbooptischen und verbograpbischen Gedächtnisses reduziert 

Das verbomotorische bzw. kinästhetische Gedächtnis kehrte mit der Übung 
wieder zurück, die zwei letzteren fehlen noch aus Mangel an Übung. Patient 
fährt noch immer fort, sich an die Bilder der gedruckten und geschriebenen 
Worte nicht zu erinnern, er kann weder lesen noch schreiben. Es ist wahr, 
daß viele Autoren annehmen, die Alexie sei nicht eine Folge des Verlustes der 
Erinnerung der Worte, sondern der Begriffe; man nimmt nämlich an, daß 
dabei diese verloren gehen; aber ich habe durch Experimente nachgewiesen, daß 
Patient bei Erhaltensein der Wortbegriffe weder lesen noch schreiben kann: 
er beschreibt ganz gut den Begriff „Kirsche“, kann aber dieses Wort weder 
schreiben noch lesen; ich zeigte, daß er auch abstrakte Begriffe versteht und 
sie in seiner Art erklärt Er hat also nicht den Begriff der Worte, sondern 
das Gedächtnis derselben verloren. 

Diese partielle optico-verbale Wortamnesie ist vielleicht ein Fragment jener 
Amnesien, die man bei Hysterikern beobachtet, die Chabcot bei den „Aphasies 
sans mot“ der Hysterischen, bei den Amnesien der Persönlichkeit beschreibt, 
wobei sogar ein dödoublement de la personalitö auftritt. 

Wenn wir zum Krankheitsbild im allgemeinen zurückkehren, so würde der 
Verlust des Wortgedächtnisses vielleicht auch einen Teil jener Herabsetzung 
des Gedächtnisses darstellen, wie man sie nach einem Trauma von der 
Art, wie es der Patient erlitten hat, beobachtet, einen Teil nämlich jenes 
Symptomenkomplexes, welcher mit dem Namen traumatische Neurose belegt 
wurde. 

Unser Patient bot und bietet nämlich noch immer sehr bemerkenswerte 
diesbezügliche Symptome dar: Schmerzen am Hinterhaupt — am Ort des 
Traumas, — am Kopfe, im Gesichte, Neigung zu Hypochondrie, die fort¬ 
währenden Gedanken an sein Übel, die gesteigerte Pulsfrequenz, der unruhige 
Schlaf infolge schreckhafter Träume, die allgemeine Schwäche, eine so hoch* 
gradige vasomotorische Reizbarkeit, daß eine Ergotininjektion schon genügt, um 
einen epileptischen Anfall auszulösen. Die Symptome der traumatischen Neu- 

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rose, der posttraumatischen Hysterie sind beinahe vollzählig vorhanden, sodaß 
mau nach meiner Meinung, ohne den Dingen Gewalt anzutun, schließen hann, 
daß Patient ein Hysteriker und Epileptiker ist, der nach einem 
Unfall verschiedene Symptome der traumatischen Neurose darbot, 
wobei die Alexie und Agraphie als Ausfallserscheinungen aufzu* 
fassen sind, die als Residuen der ursprünglichen schweren psychi¬ 
schen Storung zurückgeblieben sind. 


IL Referate. 


Anatomie. 

1) Die feine Struktur und eine neue F&rbungemethode des Gehirne der 
Menschen und der Tiere, von Dr. W. Larionoff in Kiew. (Archiv für 
Psych. u. Nervenkrankh. XLIIL 1907.) Ref.: G. Ilberg. 

Die Methode, die Vert angewendet hat, besteht darin, daß er Hirnteile 3 
bis 4 Tage in 10°/ 0 ige Formalinlösung, dann 4 bis 7 Tage im Thermostaten bei 
27 bis 30 °C. in x / 2 , 1 bis 2 °/ 0 ige Lösung von Kali biehromicum und sodann 
ebensolange im gleichwarmen Thermostaten in 3°/ 0 ige Argentum-nitricum-lösung 
brachte. Das Objekt wurde dann abgetrocknet und trocken oder mit 70 bis 
90°igem Spiritus geschnitten. Schnell wurde endlich Spiritus-Sandaraklack und 
Xylolkanadabalsam daraufgegeben. 

2) Beoherches sur les noyaux moteurs d'origine du nerf pneumogastrique 
et sur les looaüsations dans oes noyaux, par Marinesco et Parhon. 
(Journal de neurologie. 1907.) Bef.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Die Verff. teilen den dorsalen und den ventralen Kern des N. vagus in fol¬ 
gende Gruppen: Am dorsalen, am Boden der Bautengrube gelegenen Kern unter¬ 
scheiden sie zwei proximale (obere) Zellsäulen, welche vorn nebeneinander her¬ 
laufen und an ihrem hinteren Ende verschmelzen, sowie eine distale (untere) 
Säule, welche gerade im Niveau der Erweiterung des Centralkanals zum Ventrikel 
gelegen ist. 

Den ventralen Kern (N. ambiguus) teilen sie in vier Unterabteilungen ein, 
nämlich in eine Gruppe dicht stehender Zellen, welohe in der kontinuierlichen 
Verlängerung des Fazialiskernes liegt, ferner in eine Gruppe von großen moto¬ 
rischen Zellen, welche in ziemlich weiten Abständen voneinander liegen und wenig 
proximalwärts vom Niveau des Hypoglossuskernes ihre größte Entfaltung haben, 
sowie zwei lateral von diesen beiden Gruppen befindliche Zellanhäufungen. 

Durchschneidungen des Vagus an verschiedenen Stellen seines Verlaufes 
brachten im Nissl-Bilde retrograde Zellveränderungen in den verschiedenen Gruppen 
hervor, aus denen die Verff. weitgehende Schlüsse über ihre Funktion ziehen. Die 
wichtigsten Resultate seien hier mitgeteilt. 

1. Die Gruppe der dicht angeordneten Zellen (formation dense) des ventralen 
Kernes ist in ihrem dorsomedialen Teile das Ursprungsgebiet für die zu den 
Pharynxmuskeln hinziehenden Nervenfasern; der äußeren Partie derselben Gruppe 
entspringen wahrscheinlich die motorischen Oesophagusfasern. 

2. Die untere Gruppe derselben Formation ist als Kern für den M. crico- 
thyreoideus aufzufassen. 

3. Die Gruppe der in weiteren Abständen liegenden Zellen des ventralen 
Kernes (formation lache) sendet ihre Fasern zur Larynxmuskulatur, soweit sie 
vom N. recurrens innerviert wird. 


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4. Die untere Gruppe des dorsalen Kernes ist das Ursprungsgebiet für die 
zentrifugalen Fasern des Magens. 

5. Eine sichere Angabe über die Funktion derjenigen Zellgruppen, welche 
die beiden Hauptformationen des ventralen Kernes an ihrer lateralen Seite be¬ 
gleiten, läßt sich nicht machen. Dasselbe gilt für die beiden proximalen Gruppen 
des dorsalen Kernes. Fest steht nur, daß die Fasern aller dieser Zellen bis zum 
Thoraxteil des Vagus ziehen. Eine der beiden Anßensäulen am ventralen Kern, 
und zwar die mehr kaudalwärts gelegene, sendet wohl motorische Fasern zum 
Herzen. Die oberen dorsalen Zellgruppen stehen wahrscheinlich mit den glatten 
Muskeln der Bronchien in Verbindung, und zwar durch Vermittlung eines sym¬ 
pathischen Ganglions, welches wie ein Beiais zwischen den Kern und das eigent¬ 
liche Innervationsobjekt eingeschaltet iah 


Physiologie. 

3) The maintenance of cerebral aotivlty ln mammals by artifleal olrou- 
lation, by C. C. Guthrie, F. H. Pike and G.N.Stewart in Chicago. (Americ. 
Journal of Physiology. XVII. 1906. Dez.) Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin). 

Die Verff. stellen drei Versuche an: 

1. Sie prüfen an einem Hund die Hirntätigkeit (Beflexprüfung), nachdem 
sie das Blut durch Lockesche Lösung ersetzt haben und diese nun cirknlieren 
lassen und ihr nachträglich von dem abgelassenen Blut wieder eine größere Menge 
hinzufügen. 

Ergebnis: Diese Lösung ist völlig ungeeignet die Hirntätigkeit zu unter¬ 
halten. 

2. Ähnliche Prüfung mittels defibrinierten und mit Sauerstoff angereicherten 
Blutes eines anderen Hundes. 

Ergebnis: Es gelingt auf diese Weise, die Pupillenreflexe während neun 
Minuten zu unterhalten. 

3. Der Kopf eines Hundes wird durch Kanülen, die von den Karotiden und 
Jugularvenen zu denen des anderen Hundes verlaufen, mit diesen verbunden und 
dann völlig vom Bumpf getrennt, der Hautlappen über die Schnittstelle hinweg¬ 
genäht. Das Blut des einen Hundes, der in Äthernarkose gehalten wird, versorgt 
also auch das Gehirn des abgeschnittenen Kopfes des anderen Hundes. 

Ergebnis: Die Pupillenreflexe sind 27 Minuten lang auszulÖBen; der ab¬ 
geschnittene Kopf führt 19 Minuten lang Schluckbewegungen aus, wenn man ein 
Stück Fleisch in den Bachen bringt. 

Desgleichen werden von diesem Kopf, und zwar öfters synchron mit dem 
anderen Hund, 30 Minuten lang Atembewegungen ausgeführt. Die Verff. wollen 
diese Erscheinung nicht unbedingt für einen Beweis halten, daß es ein Atem¬ 
centrum gibt und dieses durch den Kohlensäuregehalt vielleicht gereizt wird, 
sondern sie nehmen vorläufig nur ein zufälliges Zusammentreffen an. 

4) Über Neurofibrillen und ohromatophile Substans, von Bachmanow. 
(Obosren. psich. 1907. Nr. 3.) Bef.: Wilh. Stieda. 

Verf. untersuchte Nervenzellen aus dem Bückenmark von Hunden, Katzen 
und Kaninchen, zum Teil in normalem Zustande, zum Teil nach Vergiftung mit 
Strychnin, nach Übererwärmung der Versuchstiere und nach Ausreißen peripherer 
Nerven. Zur Untersuchung der chromatophilen Substanz wurden die Schnitte 
mit Toluidinblau gefärbt, zur Untersuchung der Neurofibrillen mit einer 5°/ 0 igen 
Argentum nitricum-Lösung. Näheres über die Färbung s. d. Centr. 1907. S. 188. 

Auf Grund seiner Präparate kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 


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Die chromatophile Substanz und die Neurofibrillen in den Nervenzellen stehen 
in unmittelbarer Abhängigkeit voneinander. 

Beide Substanzen sind plastisch und verändern leicht ihre Form und Lage. 

Größe, Form und Lage der Schollen der chromatophilen Substanz entsprechen 
vollkommen der Ausbreitung des Neurofibrillennetzes. Das rührt davon her, daß 
die Körner der chromatophilen Substanz an den Fibrillen angelagert Rind. 

Bei Anhäufung der chromatophilen Substanz zu kompakten Massen und 
Quellung derselben wird das Fibrillennetz auseinandergedrängt und bildet Fibrillen* 
stränge und weitmaschige Netze. 

In Zellen, wo die chromatophile Substanz zerfällt oder verschwindet, sowie 
in Zellteilen, die gar keine chromatophile Substanz enthalten, sind die Fibrillen¬ 
netze gleichmäßig und regelmäßig angeordnet. 

Das Neurofibrillennetz zerfällt, wenn der Kern zugrunde geht und die Zelle 
stirbt. 


5) Über den Einfluß farbiger Beleuchtung auf den Blutdruck beim Menschen, 

von J. Spirtow. (Obosrenije psich. 1906. Nr. 6.) Ref.: Wilh. Stieda. 

Verf. untersuchte den Blutdruck beim Menschen unter dem Einfluß farbiger 
Beleuchtung, indem er zu dem Zweck die Versuchspersonen auf eine Stunde in 
einen Raum setzte, in den das Licht durch farbige Fensterscheiben bineinfiel. 
Zu Kontrollversuchen diente gewöhnliches Tageslicht, halbverdunkeltes Tageslicht 
und vollkommene Dunkelheit (im landläufigen Sinne). 

Auf Grund von 56 Versuchen, die an 3 Personen angestellt waren, kommt 
Verf. zu folgenden Resultaten: 

1. Unter dem Einfluß des roten und grünen Lichtes fällt der Blutdruck 
konstant und progressiv, während er unter dem Einfluß des blauen LichteB steigt 
und erst nach einer gewissen Zeit zu fallen beginnt, jedoch nie so tiefstehende 
Zahlen erreicht, wie bei rotem und grünem Licht. 

2. Nach vorherigem Aufenthalt in der Dunkelheit wird die Tendenz des 
Blutdruckes, unter dem Einfluß des farbigen Lichtes zu fallen (bei blauem Licht 
nach der anfänglichen Steigerung), verringert. Vor allem wird die Zeit, die er¬ 
forderlich ist, das Minimum des Blutdruckes zu erreichen, größer. 

3. Das monotone untätige Sitzen im Laufe einer ganzen Stunde, wie es bei 
diesen Versuchen erforderlich ist, ergibt auch bei gewöhnlichem, wie auch bei 
leicht verdunkeltem einfachem Tageslicht eine Erniedrigung des Blutdruckes, je¬ 
doch nicht in dem Maße, wie bei farbiger Beleuchtung. Nach Aufenthalt im 
Dunkeln gibt das schwach verdunkelte Licht im Anfang eine gewisse Steigerung 
des Blutdruckes und später ein geringes Fallen desselben. 

4. Unterwirft man die Versuchsperson nacheinander der Beleuchtung mit 
verschiedenem Licht, so scheinen die verschiedenen Lichtarten ihren charakte¬ 
ristischen Einfluß auf den Blutdruck auch unter diesen Bedingungen zu behalten. 

Aus den Darlegungen des Verf.’s ist zu ersehen, daß seine Versuche durch¬ 
aus nicht ganz einwandfrei sind. Abgesehen von den event. Fehlern der Methode 
der Blutdruckmessung (Gärtners Tonometer) ist doch zu bedenken, ob solche 
Versuche, die mit nicht monochromatischem Licht angestellt werden, einen Wert 
haben. Auch haben ja die Kontrollversuche mit verdunkeltem Licht gezeigt, daß 
der Helligkeitsgrad an und für sich schon eine Bedeutung hat. 

6) Gehirn und Kultur, von Georg Buschan. (Grenzfragen des Nerven- und 
Seelenlebens. Heft 44.) Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg). 

Verf. kommt auf Grund einer großen statistischen und kritischen Arbeit über 
die Beziehungen des Gehirns zu den geistigen Fähigkeiten zu folgenden besonders 
hervorzuhebenden Ergebnissen: 

Körpergröße und Konstitution beeinflussen im allgemeinen nur wenig, hohes 


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Alter schon bedeutend mehr, und Geschlecht am meisten die Schwere des mensch¬ 
lichen Gehirne. 

Völker, welche anf besondere niederer Kulturstufe stehen, besitzen einen un¬ 
gleich kleineren Schädftlbinnenpaum als die moderne^ Kulturvölker. 

Entsprechen«} der Zunahme seines Hirnvolumens weist der Kultormanseh, je 
gebildeter er ist, einen um so größeren Schädelbinnenraum auf. 

Je größer der Schädelbinnenraum, bzw. der Horizontalumfang, desto größer 
ist das pirnvolumen nnd die im allgemeinen von diesem abhängige Intelligenz. 

Die Besse spielt bei dem Auftreten schwererer Gehirne keine Bolle, vielmehr 
ist die Annahme am Nächstliegenden, daß stärkere Inanspruchnahme des Qehifns 
eine Vermehrung seiner spezifischen Elemente zur Folge hat. 

Der Metopismus, d. h. das .^.uftretpp einer persistierendeh Stirnpaht hängt 
mit der stärkeren Ausbildung des Gehirns zusammen und ist im allgemeinen das 
Zeichen geistiger Superiorität. 

Verfi glaubt an die Möglichkeit einer Vererhung des durch Übung an Yolumen 
vermehrten Gehirns. 

Die zunehmende pultur vermehrt das pimvolumen durch Beizung der 
geistigen Fähigkeiten des Menschen. Auf der anderen Seite macht aber die tLbpr- 
handnehmende Kultur das Gehirn leichter invalide und empfängliche? für eine 
krankhafte Beaktiqn auf es bestürmende Beize. 

Anscheinend macht sich dieser Nachteil iq höherem Maße bei Völkern be¬ 
merkbar, die plötzlich der Segnungen der Kultur teilhaftig werden, ohne vorher 
die verschiedenen Stufen der Zivilisation langsam erklommen zu haben. 


Psychologie. 

7) psyohlo and eoonomio results of man’s physioal uprlghtness, by F. 

W. Heinemann. (Pasadena, Cal. U. S.A. I90ß.) Bef.: Bratz (Wuhlgarten). 

Im Kampf ums Dasein war der Urmensch nach Verf schlechter mit psychi¬ 
schen Eigenschaften ausgerüstet als die meisten Tiere. Er bat nicht mächtige 
Angriffs: und Verteidigungsmittel wie Hörner, scharfe Hque?, Klauen usw. Er 
hat nicht solchen Schutz gegen Wind und Wetter wie Pelz, Federkleid usw. fSr 
ist nicht durch Anpassung seiner Farben an die Umgebung geschützt, aber in¬ 
folge seiner nackteq Haut ein besonders anreizender Bissen für Baubtiere. Durch 
die verhältnismäßige Kleinheit seines Intestinaltraktus ist der Mensch gezwungen, 
häufiger Nahrung zu suchen und sich dadurch in Gefahr zu begeben. Endlich 
liegt eine Schwäche in seinem Fortpflanzungsgeschäft: Der Mensch bringt im 
allgemeinen nur ein Junges zur Welt. Die Gravidität dauert länger als bei den 
meisten Tieren. Durch die Änderung der Lage des Beckens und des Uterus, 
welche durch den aufrechten Gang eingetreten ist, ist die Schwangerschaft und 
besonders das Geburtsgeschäft wesentlich gefahrvoller geworden. 

Bei so viel schlechteren Chancen hätten unsere Voreltern aussterben müssen, 
wenn nioht zum Ausgleich schon in den ersten Stadien, als der aufrechte Gang 
eintrat, auch die höhere Intelligenz vorhanden gewesen wäre. Nur diejenigen 
Urmenschen, welche eine gesteigerte Intelligenz besaßen, konnten in dem schwierigen 
Kampf ums Dasein bis ins geschlechtsreife Alter gelangen und so wurden nur 
die intelligenteren fortgezüchtet. Die größere Mannigfaltigkeit ferner der Be¬ 
wegungen, die der Mensch vor den Tieren vorauB hat, befähigt ihn zu einer 
wachsenden Übung seiner Gesamtführung im Kampf ums Dasein, wobei wieder 
die größere Intelligenz sich betätigen und die betreffenden Individuen eher über¬ 
leben lassen wird. 

In gleichem Sinne hat die bessere Tastempfindung der Hände gewirkt, welche 
nicht gleichzeitig in grober Weise als Gehwerkzeuge benutzt wurden. So aus- 


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gerüstet konnten wenigstens die gewandtesten, kräftigsten Urmenschen in dem 
schweren Kampf mit den damals viel zahlreicheren und gewaltigeren Säugetier* 
typen den Kampf um Nahrung, Wasser, Schutzplätze mit Aufbietung aller physi¬ 
schen Kräfte bestehen und überleben. Für die schwangeren Frauen allerdings, 
die am Laufen und anderen raschen Bewegungen verhindert waren, gab es nur 
eine Bettung: sich zu verstecken. 

Verf. legt dar, daß in dieser ersten Periode des Urmenschen, wo er den 
Gebrauch von Waffen, von Keulen und Wurfgeschossen noch nicht kannte, die 
weiblichen Individuen während der Schwangerschaft von den männlichen Gefährten 
ihre Nahrung in das Versteck gebracht bekamen. Die Urmenschen lebten, um 
den Angriffen der Baubtiere zu entgehen und leichter Nahrung zu finden, zerstreut, 
meist vereinzelt oder durch den Geschlechtstrieb vereint zu zweien. Wenn bei 
einem solchen Paare, das mit der gegenseitigen Fähigkeit Wasser, Nahrung usw. 
zu finden vertraut war, der Mann merkte, daß bei dem Weibe in dem letzten 
Monat der Schwangerschaft die Kraft in dem Kampfe ums Dasein abnahm, so 
wird im gleichen Verhältnis der Mann für sie seine Anstrengungen vergrößert 
haben. Zuletzt wird das Weib in dem gemeinschaftlichen Versteck zurückgeblieben 
sein, der Mann die Nahrung dorthin gebracht haben. Nur diejenigen Kinder 
blieben am Leben, wo der Mann Neigung und Kraft besaß, während der ersten 
Jugendzeit die Sorge für die Ernährung usw. zu übernehmen, so daß gerade 
diese fürsorgerische Veranlagung wieder sich forterbte. Danach ist die monogame 
Ehe und die Familie eine primitive, durch den aufrechten Gang des Urmenschen 
begründete Institution, welche der späteren Vereinigung der Menschen zu 
Stämmen lange vorausgeht. Besonders kriegerische Zeiten, welche die männliche, 
geschlechtsreife Jugend dezimierten, mögen hier und da die spätere Entwicklung 
polygamer Sitten begünstigt haben. 

Von Anbeginn der Menschheit ist also die Differenz im Denken und Fühlen 
angelegt zwischen Mann und Weib, welche im Zusammenleben erst den Höhe* 
punkt des Lebens erreichen. 

Bäuberische Einfälle vereinzelter Männer in die Schlupfwinkel anderer 
Familien führten in einer späteren Periode zu Kämpfen, zur Ausbildung von 
Stämmen, zur Teilung der Menschen in herrschende und die beherrschte, produ¬ 
zierende Masse. Verf. sieht diese Entwicklung als eine unerwünschte Gliederung 
der menschlichen Gesellschaft an und hofft auf eine Periode allgemeinen Friedens, 
freiwilligen Zusammenwirkens aller in bezug auf die Produktion, die Verteilung 
und Verwaltung menschlicher Güter. 


Pathologische Anatomie. 

8) On the relatlon between loss of funotion and struotural ohange in 
fooal lesiona of the nervoua System with speolal referenoe to seoon- 
dary degeneration, by Gordon Holmes. (Brain. CXVI. 1906.) Bef.: Bruns. 

Verf. hat in 3 Fällen von Kompression des Bückenmarkes und einem von 
Ponsläsion trotz ausgedehnter und schwerer Lähmungen sekundäre Degenerationen 
vermißt. Dabei fanden sich im erkrankten Herd selber die Markscheiden zerfallen, 
aber die Achsencylinder erhalten. Auf der Erhaltung der Achsencylinder beruht 
also wohl das Fehlen sekundärer Degenerationen, während der Markscheidenzerfall 
allein schon genügen kann, um die Leitung aufzuheben. (Immer genügt er dazu 
nicht, wie die Erfahrungen bei multipler Sklerose und z. B. bei Gliomen des 
Centralnervensystemes zeigen; Bef.) 


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Ö99 — 


Pathologie des Nervensystems. 

®) Fortschritte in der Diagnostik der Nervenkrankheiten, von L. W. Weber. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 33 u. 34.) Bef.: Kurt Mendel. 

Verf. zeigt, wie die soziale Gesetzgebung, insbesondere die Unfallheilkunde, 
die Neurologie aus dem Rahmen eines engen Spezialfaches herausgehoben und sie 
mehr zum Allgemeingut gemacht hat, und wie dann experimentelle Untersuchungen 
und theoretische Aufstellungen über die Funktion und den Stoffwechsel im Nerven* 
eystem (Verworn, Goldscheider, Weigert, Edinger u. a.) neue Gesichts¬ 
punkte in die neurologische Diagnostik getragen haben. 

Verf. führt alsdann aus, wie zwischen den organischen und funktionellen 
Nervenkrankheiten nur ein quantitativer Unterschied besteht, wie aber dennoch 
die klinische Praxis diese Begriffsscheidung nicht entbehren kann. Ebenso wird 
man für die praktischen Bedürfnisse der klinischen Diagnostik an der Anschauung, 
daß die Neurone, d. h. Nervenzelle mit zugehöriger Nervenfaser und Endapparat, 
trophische funktionelle Einheiten bilden, die für sich relativ selbständig, unter* 
■einander in einer gesetzmäßigen Verbindung stehen, auch dann noch festhalten 
müssen, wenn man die Neuronenlehre zugunsten der Kontinuitätslehre hat auf* 
geben müssen. 

Nach diesem allgemeinen Teile geht Verf. in seiner Besprechung zu der 
speziellen Diagnostik der Symptome, zur Lokaldiagnostik und zur Diagnostik der 
Krankheitsbilder über. 

10) Gutachten über den Zusammenhang zwischen Gasvergiftung und 

Geisteskrankheit, von Petersen-BorsteL (Vierteljahrsschr. f. ger. Med. 

u. offentl. Sanität«w. 1906.) Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin). 

Es bandelt sich um einen 17jährigen jungen Mann, der vorher geistig ge¬ 
sund war, eine Kohlenoxydvergiftung erleidet und am anderen Tag in Delirien 
verfällt. Eb entwickelt sich danach rasch das ausgeprägte Bild einer Manie. 
Verf. vertritt in seinem Gutachten mit aller Bestimmtheit seine Ansicht, daß die 
Gasvergiftung als unmittelbare Ursache für die Entstehung der Geisteskrankheit 
betrachtet werden muß. 

11) Bleil&hmung, von Prof. E.Remak. (Eulenburgs Beal-Encyklopädie der 

gas. Heilkunde. 4. AufL Berlin und Wien 1907, Urban & Schwarzenberg.) 

Bef.: Kurt Mendel. 

Die Ätiologie der Bleilähmung wird durch jede längere Zeit fortgesetzte 
Einführung eines Bleipräparates, selbst in kleinster Dosis, gegeben. Die Em¬ 
pfänglichkeit der einzelnen Individuen ist sehr verschieden. Im Durchschnitt 
setzten bei Verf.’s Patienten die Lähmungserscheinungen erst nach 14jähr. Arbeit 
«in. Schlechte Ventilation der Arbeitsräume, Unreinlichkeit, Alkoholabusus be¬ 
günstigen den Eintritt der Bleilähmung. 

Bezüglich der Stellung der Bleilähmung zu den übrigen Bleikrankheiten er¬ 
gibt die Statistik, daß erstere der Häufigkeit nach an dritter Stelle steht. 

Die Bleilähmung ist zumeist partiell, selten generalisiert. Die partielle Form 
zeigt sich am häufigsten an den Oberextremitäten, meist bilateral (N. radialis), an 
den Beinen meist im Peronealgebiet. 

Nach näherer Beschreibung der speziellen Lokalisation der Bleilähmung, so¬ 
wie des elektrischen Verhaltens, der Atrophie, der Sensibilität (dieselbe bleibt 
meist intakt) und der Reflexerregbarkeit geht Verf. zu den generalisierten Blei¬ 
lähmungen über. Als solche bezeichnet man gewöhnlich im Anschluß an andere 
schwere Bleikrankheit, zuweilen auch unter hohem Fieber und meist mit Schmerzen 
auftretende, über sämtliche Extremitäten verbreitete motorische Lähmungen mit 
rapide sich entwickelnder amyotrophischer Degeneration der schwerer affizierten 
Muskeln. 

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Schließlich werden abgehandelt Diagnose (meist leicht zu stellen!), Verlanf 
und Prognose (langwierig, aber heilbar bei Vermeidung der toxischen Schädlich* 
keit), pathologische Anatomie (Myositis, degenerative Neuritis an den peripheri* 
sehen Nerven, zuweilen Veränderungen an den vorderen Rückenmarkswurseln, 
manchmal Veränderungen in den Vorderhörnern), Pathogenese (entweder primäre 
degenerative Neuritis oder sekundär durch spinale Veränderungen induziert), 
Prophylaxe und Therapie (Enthaltung von Bleiarbeit, Buhe, Dampf*, Schwefel¬ 
bäder, bydriatisches Verfahren, Jodkäli, Strychnin, Elektrotherapie [am besten 
stabile und vorsichtig labile Applikation mittelstarker galvanischer Ströme auf 
die affizierten Nerven* und Muskelgebiete]). 

12) Bin Fall von Veronalvergiftung, von Zörnlaib. (Wiener med. Wochen¬ 
schrift. 1906. S. 2454.) Bef: Pilcz (Wien). 

54jähr. Mann nahm in selbstmörderischer Absicht etwa 8,0 bis 10,0 Veronal 
(genauere Dosis nicht eruierbar). Bei der ärztlichen Untersuchung (2l/ 2 Stunden 
nach Einnahme des Mittels) Bewußtlosigkeit, Cyanose, Kornealreflexe erloschen, 
Pupillen mittelweit, träge Lichtreaktion. 

' Trotz Magenausspülungen, Excitantien usw. Exitus 24 Stunden später. Kein 
Obduktionsbefund. 

Anhangsweise berichtet Verf. über einen Doppelselbstmordversuch durch 
Veronal. Die Dosis betrug hier je 6,0 (!) Veronal. Das 26jähe. Mädchen starb 
3 Tage nach der Vergiftung, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben (der 
Fall wird demnächst ausführlich publiziert), der Mann, der bald nach der Ein¬ 
nahme des Mittels erbrochen hatte, kam mit dem Leben davon (vgL des folgende 
Beferat). 

18) Über akute VeronalvergUtuug mit letalem Ausgange, von Schneider. 

(Prager med. Wochenschr. 1907. S. 17.) Bef: Pilcz (Wien). 

45jährige Frau nahm in selbstmörderischer Absicht 11g Veronal auf einmal* 
Sofort tiefer Schlaf, bald darauf Klooismen in den Extremitäten. 3 Stunden 
später: Pupillen miotisch, Kiefer aufeinandergepreßt, vollständige Areflexie. Nach 
24 Stunden Cyanose, nach 33 Stunden Fieber, profuser Schweißausbruch, nach 
39 Stunden Puls klein, Cheyne-Stoke. Exitus 46 Standen nach der Einnahme 
des Mittels. Obduktion ergeh (neben alter, ^becknlose) Lungenödem, Ödem und 
Hyperämie der Meningen. 

Recht interessant sind die Harnanalysen. Vier (stets mittels Katheters ge¬ 
wonnene). Proben ergehen Oligurie, hochgradige Herabsetzung der N-Auescheidung. 
Im Ham ließ sieb Veronal als solches nach weisen. Im Blute konnte Harnstoff 
nicht gefunden werdep. 

Verf! erblicht in dar Herabsetzung der N-Ausscheidung ein wesentliche^. 
Symptom der ahnten Veronal Vergiftung, und bemerkt in seinen Schlußfolgerungen 
u. a., daß in der Behandlung von Nierenkranken, wobei die. Gefahr eines Copia 
uraemicum ins Auge gefaßt werden muß, das Veronal koptraindiziert ppi. 

Bef. möchte dazu noch bemerken, daß der vorliegenden Mitteilung um so 
höhere praktische Bedeutung zukommt, als nach Tierversuchen, welche unter der 
Leitung des Ref. ü,ber Veronai angestellt wurden (vgl. Arbeite^ von Itaschko^r, 
Wiener klin. Rundschau. XVII. Nr. 41), die Dosis letalis viel höher bewertet 
werden durfte. 

14) Ein FpU von Verpn^lvargiftung, von E. Nienhaus. (Koirespopctauz-Blatt 

f. Schweizer Ärztp. 1907. N r * 11) Bejf.: Kurt ktendel. 

Eine Frau nahm in, selbstmörderischer Absicht 4 g Veronal auf einppak 
Darauf Bewußtlosigkeit, Cyanose, dann rpbiger Schlaf, prompte Lichtrp.aktiop der 
Eopiiien, Puls 80. in der folgenden Nacht plötzlich starke Unruhe und lautes 
Scbrpiep. Die app nächsten Vormittag gelassenen 100 ccm Urin enthalten 0,1 g 
Veronal. In den nächsten Tagen viel Schlaf, zeitweise Unruhe und Verwirrtheit 

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Kopfschmerz, Doppeltsehen, Erbrechen, taumelnder Gang. Die Rekonvalescenz 
dauerte 10 Tage, was bei der relativen kleinen Dosis von 4 g auffällig erscheint. 
Der gähze Symptotaehkomplex hat Viel Verwandtes mit einem urämischen Zustand. 

Therapie der VerönalVergiftung: Magenausspülung mit Tannitilösungeh, Exci- 
tAntien, Koffein, Kampher, Kaffee, Injektionen von physiologischer KbchSälZlöShhg, 
Darmeinläüfe. 

Verf. verlangt, daß auf gesetzlichem Wege dafür gesorgt Wird, daß das 
Veronal aus dem Handverkauf verschwindet und nur noch auf ärztliche Verordnung 
abgegeben wird. 

iß) Bin Fall vbn Verottalvörglftung, von Dr. Popp. (Thetiap. Monatsh. 1907. 

MärZ.) Ref.: H. Haenel (Dresden). 

Vbrf. nahin wegen eines mit mehrtägiger Schlaflosigkeit verbundenen Un¬ 
wohlseins innerhalb 8 Stunden 2mal 0,75 Veronäl. Beim Erwachen nach llstün- 
digem Schlafe zeigte sich ein hochgestellter, reichlich Eiweiß, rote Blutkörperchen 
Und vereinzelte gekörnte Cylinder enthaltender Urin, dazu ein außerordentlich 
starkes Schwindelgefühl wie bei cerebellarer AtAxib Und Neigung zu Propulsion. 
Ith übrigen Wohlbefinden. Der Zustand bestand in vermindertem Grade noch 
am 3. Tage nach der Verönäleinnahihe fori. Eine Spezielle Ursabhe für diese 
hbnörme Wirkung einer relativ geringen Dosis War nicht auffindbar. 

18) Ojpluih, morphlne et oocalne. Intoxlcatlon algue par 1'oplum. Man- 

geürsetfutaeurs d’opium. Morphinomanes et oooalnomanös, parP.Brou- 

ardel. (Paris 1905, J. B. Bailliere et fils. 156 S.) Ref.: E. Müller (Breslau). 

In dem ersten Abschnitt beschäftigt Bich der Verf. mit der akuten Opium¬ 
vergiftung. Er bespricht genau die einzelnen in diesem Medikament enthaltenen 
Alkaloide, ihre Wirkungsweise, die Art ihrer Aufnahme in den Körper und ihre 
Ausscheidung, die gebräuchlichen pharmazeutischen Präparate, die Symptomato¬ 
logie der Vergiftung usw. 

Im zweiten Teil befaßt er sich mit den Morphinisten} Sowie mit den Opium¬ 
essern und Rauchern. Es werden hier auch die Ursachen des Morphinismus, die 
strafrechtliche Verantwortlichkeit der Kranken, Bowie die Methoden, Wie sich die 
Patienten das Mittel verschaffen, erörtert. 

Der dritte Teil ist der Kokainibtoxikation gewidmet, wobei die einzelnen 
Zufuhrwege (Magen, Rektum, Schleimhäute usw.) besonders berücksichtigt sind. 

Aus dem Buche, das Sich gut zur Orientierung über die genannten Gebiete 
eignet, soll folgendes hervorgehoben werden: 

Bei der Behandlung der akuten Opiumvergiftung werden neben Magenspülungen 
medikamentöse Darmentleerungen empfohlen. Dem Laxahs Soll man ein Jod¬ 
präparat, etWas Gerbsäure, essigsaures Natron oder ein kohlenSaures Salz zufügen, 
Weil dadurch die Fällung deä Morphins begünstigt Wird. Außerdem soll man 
den Krankeil am Schlafen Verhindern (Hinweis, daß man in England die Kranken 
zum Gehen zwingt, selbst wenn man sie fortwährend führen muß). Endlich sind 
Reizmittel wie Kaffee, Thee, Koffein aüzuwenden, sowie bei Synkope eVent. lange 
Zeit künstliche Atmung, die gelegentlich 10 bis 12 Stunden lind noch länger 
fortgesetzt Werden muß. Auch Sauerstoffeinatmungen können versucht Werden. 
Mit Atropin soll man vorsichtig sein, zumal über die alB Gegengift zu reichende 
Dosis noch Unklarheit herrscht und eine sehr verschiedene individuelle Empfind¬ 
lichkeit besteht. 

Am häufigsten verschaffen sich die Morphiumsüchtigen (namentlich anfäng¬ 
lich) die Medizin mit Hilfe der vom Arzte ausgeschriebenen Rezepte. Verf. rät 
seinen Studenten, zur Vermeidung von Fälschungen auf den Rezepten die Morphium¬ 
dosis nicht nur in Zahlen, sondern auch in Buchstaben auszudrücken und stets 
oberhalb der Unterschrift hinzuzusetzen: „Nicht zu erneuern!“ 

Oft sind skrupellose Apotheker die Lieferanten der Morphinisten. Über 


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einige einschlägige Fälle von gerichtlicher Bestrafung solcher Apotheker wird 
kurz berichtet. 

Nicht selten sind die Ärzte dadurch mitschuldig, daß sie ihre Unterschrift 
unleserlich schreiben und dadurch Fälschungen begünstigen. Oft gebrauchen die 
Morphiumsüchtigen die List, nachts eilig den Apotheker zu wecken und ein fast 
unleserlich unterzeichnetes, schleunigst für einen Notfall anzufertigendes Bezept 
vorzuzeigen, das der Apotheker dann gar nicht oder nur flüchtig auf Echtheit 
prüft. 

Vielfach verschaffen sich die Morphinisten das Gift aus ausländischen Fabriken, 
deren Vertreter oder Adressen sie durch „Konnexionen“ mit anderen Kranken 
kennen lernen. Bei dem Versuch einer Morphiumentwöhnung wird oft der Fehler 
gemacht, daß die Familie sich mit dem Apotheker in Verbindung setzt und ihn 
zur heimlichen allmählichen Verringerung der Dosis auffordert. , Merkt dies der 
Kranke aber, so wechselt er fast immer den Lieferanten. Das geheime Ein* 
Verständnis des Arztes mit dem Apotheker kann auch aus anderen Gründen be¬ 
denklich sein. Ein Arzt schrieb z. B. ein Morphiumrezept mit der Angabe, daß 
es erneuert werden könne, bat aber heimlich den Apotheker, die Dosis bei gleichem 
Bezept allmählich zu verringern. Als der des Morphiums tatsächlich fast ganz 
entwöhnte Kranke vergessen hatte, sich die Morphiumlösung bei dem genannten 
Apotheker zu holen, ging er mit seinem alten Bezept in der Eile zu einem 
anderen, nicht eingeweihten Apotheker. Dieser gab ihm die volle Dosis; nach 
kurzer Zeit erlag der Kranke einer akuten Morphiumvergiftung. Eine richtige 
häusliche Behandlung ist bei Morphinisten geradezu unmöglich. Man muß die 
Kranken isolieren und man darf ihnen vor allem kein Geld geben. Im Kranken¬ 
haus bzw. Sanatorium empfiehlt sich die plötzliche Entziehung höchstens für ge¬ 
wisse Ausnahmefälle (robuste Konstitutionen, vollkommen normale innere Organe, 
geringe Dosen). Verf. widerrät diese „brutale“ und gelegentlich sehr gefährliche 
Methode (sogar tötliche Kollapse) und fordert eine langsame Entziehung. Dauer 
der Behandlung 6 Wochen bis 2 Monate. Bei Schlaflosigkeit gibt er Opium- 
pillen; Bettruhe ist zu empfehlen. 

17) Psyolilsohe Störungen bei MorphinmabetinenB, von Dr. M. Sachar- 

tschenko und Priv.-Doz. S. Souchanoff. (Korsak. Journ. f. Neur. u. Psych. 

1906.) Bef.: Krön (Moskau). 

Auf Grund von vier eigenen Beobachtungen und Literaturstudien kommen 
die Verff. zu folgenden Schlüssen: Bei der Morphiumabstinenz werden, in der 
überwiegenden Mehrzahl der Fälle, verschiedenartige psychische Symptome be¬ 
obachtet: Ermüdung, Schlaffheit, Niedergeschlagenheit, AngBtzustände, Selbstmord¬ 
gedanken. Die sekretorischen Verrichtungen erfahren eine Steigerung (Husten, 
Niesen, Durchfälle). Die Kranken klagen oft über Schmerzen am ganzen Körper. 
Impulsive Handlungen solcher Kranker weisen auf ein kongenital oder erworben 
labiles Nervensystem hin. 

Bei der plötzlichen Entziehung des Morphiums kommen vorübergehend Delirien 
vor mit Gesiohts-, Gehörs- und Gemeingefühlshalluzinationen. 

18) Zur Kenntnis der Psyehosen der Morphiumabstinenz, von CKotzen 

(Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIII.) Bef.: Zingerle (Graz). 

In der Morphiumabstinenz entwickeln sich mannigfache Geistesstörungen, die 
häufig durch die Erscheinungen einer psychopathischen Veranlagung oder durcb 
konkurrierende Giftwirkungen (Alkohol, Chloral) modifiziert werden. 

In 2 Fällen, die Verf. mitteilt, kam die Erkrankung unter dem klinischen 
Bilde der Amentia zum Ausdrucke und ergibt sich ihm nach kritischer Sichtung 
der vorhandenen Literatur, daß viele der als Delirium tremens der Morphinisten 
beschriebenen Fälle keine spezifischen Merkmale als Morphinabstinenzpsychosen 
besitzen, also nicht in Analogie mit dem Alkoholdelir gesetzt werden dürfen. Sie 


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tragen das Gepräge der Erschöpfungspsychosen und sind der Amentiagruppe zn- 
zurechnen. Diese Geistesstörungen sind Ausdruck einer Ernährungsstörung, für 
welche durch die chronische Intoxikation häufig unter Mitwirkung von prädispo¬ 
nierenden Momenten (Neurasthenie, Schlaflosigkeit) der Boden geschaffen wurde 
und die durch die Morphinentziehung in akuter Weise zur Geltung kommt. 

19) Über den Binflnfl des Tabakrauohes und des Nikotins auf den Blut¬ 
kreislauf im Gehirn, von L. Pussep. (Obosrenije psich. 1906. Nr. 24.) 
Bef.: Wilb. Stieda. 

Verf. ließ Hunden Zigarrenrauch direkt von der brennenden Zigarre einatmen 
und untersuchte dabei den Blutkreislauf nach der Hörthleschen Methode. In 
zwei weiteren Versuchen spritzte er den Hunden Nikotin in die Vene. Auf Grund 
dieser wenigen (im ganzen 5) Versuche kommt er zu folgenden Resultaten: So¬ 
fort nach Beginn des Rauchversuches steigt der Blutdruck im Gehirn um ein 
Geringes, hält sich einen Augenblick auf dieser Höhe und steigt dann weiter um 
ein Bedeutendes an. Bei Fortsetzung des Versuches über länger als 5 Minuten 
fängt der Druck wieder an zu fallen und fällt bis unter die Norm, um nach 
Aufhören des Rauchens nach einigen geringen Schwankungen bald wieder die 
Norm zu erreichen. Die Blutgefäße erweitern sieb anfangs, um sich am Sohluß 
wieder zu verengern. Der Puls ist verlangsamt, die Pulswelle vergrößert. 

Nach der Einspritzung von Nikotin sinkt der Blutdruck für einen Augen¬ 
blick unbedeutend und steigt dann beträchtlich an. Zu gleicher Zeit erweitern 
sich die Gefäße. Nach etwa 5 Minuten werden diese Erscheinungen wieder vom 
Fallen des Druckes und einer Gefäßverengerung abgelöst. 

Die Versuche erklären nach des Verf.’s Meinung die meisten klinischen Er¬ 
scheinungen der akuten Rauchvergiftung: das Erröten und Herzklopfen im Anfang 
und das Erblassen und die Zeichen von erhöhtem intracerebralem Druck (Schwindel, 
Erbrechen, Krämpfe) im weiteren Verlauf. 

20) The aotion of aloohol on the oiroulatlon, by W. E. Dixon. (Journal 

of Physiology. XXXV. Nr. 4.) Ref.: Blum (Nikolassee-Berlin). 

Verf.’s Untersuchungen an Tieren (Kaninchen, Katzen, Hunden), welchen Ein¬ 
fluß der Alkohol auf die Blutcirkulation ausübt, hatten, zusammengefaßt, folgendes 
Ergebnis: 

1. In mäßiger Menge und gewöhnlicher Lösung (33,3%) hat er nur eine 
geringe Wirkung; in größeren Dosen reizt er die Medulla und verlangsamt das 
Herz durch den Vagus; bei Herzfehlern tritt eine Beschleunigung der Tätig¬ 
keit ein. 

2. In mäßiger Menge verursacht er eine Erweiterung der oberflächlichen 
Gefäße und Verengerung der inneren Gefäße, die sich jedoch bei weiterer Dar¬ 
reichung auch in eine Erweiterung umändert. 

3. In mäßiger Menge steigert der Alkohol die Pumpkraft des Herzens. In 
großer Konzentration, über 0,5% im Blut, setzt er die Herzkraft herunter, er 
wirkt hier als Gift. 

4. Der Alkohol, in mäßiger Menge Tieren mit Cirkulationsfehlern beigebracht, 
steigert den Blutdruck, hauptsächlich im Herzen selbst. Beim normalen Tier 
wächst dagegen der Unterschied zwischen systolischem und diastolischem Druck. 

21) L'aloool e le malattie del sistema nervoso, per L. Bianchi. (Annali 

di nevrologia. 1906. S. 129.) Ref.: Hübner (Bonn). 

In Form einer klinischen Vorlesung wird gezeigt, wie sich der schädliche 
Einfluß des Alkohols beim einzelnen Individuum, seiner Nachkommenschaft und 
im öffentlichen Leben bemerkbar macht. 

Die Arbeit ist unter ausgiebiger Benutzung der einschlägigem Literatur ge¬ 
schrieben. 

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28) Zttr Statistik and Pathögeness des Qai&quiud sehen ZOiohöna, voh Dr. 

E. Lansehner. (Berliner klin. Wochenschrift. 1906. Nr. 34 u. 35.) Ref.: 

BifelSchowsky (Breslau). 

Verf. kommt nach Seinen eingehenden Untersuchungen zu folgenden Resul¬ 
taten: 

1. Das Quinquaudsche Phänomen ist ein Symptom allgemeiner nervöser 
Erregbarkeit, kein charakteristisches Zeichen für AlkoholiniBbr&uch: 

2. Das Quinquaudsche Ph&nomen ist kein Sehnenschwircfen, sondern ein 
Krepitieren der Gelenkflächen. 

3. Das Krepitieren rührt wahrscheinlich von seitlichen Verschiebungen der 
Interphalangealgelenke her, wie sie durch Wirkung der Mm. interossei hervor¬ 
gerufen werden können. 

28) Über das Quihquattd sohe Phänomen und seine Häufigkeit bbi Hioht- 

trlnkem und bei Alkoholismus, Hysterie, Tabes und anderen nervösen 

Erkrankungen, von L. Minor in Moskau. (Berliner klin. Wochenschrift. 

1907. Nr. 18 bis 21.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Die sehr ausführliche Arbeit führt zu folgenden Ergebnissen: 

1. Das Quinquaudsche Phänomen ist für Alkoholismus weder spezifisch 
noch pathognomonisch, kommt sogar häufig sehr ausgeprägt bei Temperenzlern und 
Abstinenzlern vor. 

2. Sehr häufig hingegen findet es sich bei Tabes und dann bei Hysterie; 
es fehlt vollständig bei alten Hemiplegien mit Kontrakturen, bei Dupuytren - 
scher Kontraktur, bei Radialislähmung. 

3. Das Quinquaudsche Phänomen ist eine von allen Tremorformen ganz 
unabhängige Erscheinung. 

4. Es ist ein feines Zeichen verschiedener hypotonischer Zustände, ein sehr 
feines Reaktiv auf die neuromuskuläre Ermüdbarkeit. 

5. Es ist nicht zu entscheiden, welche Muskeln das Quinquaudsche Zeichen 
hervorrufen. 

6. Es ist ein akustisches Phänomen, bei dem molekuläre Vibrationen der 
Kn’öchen sich von der Hand des Kranken auf die Knochen des Untersuchers über¬ 
tragen. 

7. Die beste taktile Untersuchungsmethode ist die, bei der die Hände in 
der Luft schieben mit leicht gebeugtem Ellbogen, der etwaB nach unten hängt; 
die Finger sind gespreizt, nicht gebeugt, sondern gestreckt. Die Fingerspitzen 
des 2., 3. und 4. Fingers stützen sich auf die Hand des Untersuchers unter einem 
Winkel von 45°. 

Die beste akustische Methode besteht in Benutzung eines Resonators, auf 
dessen obere Fläche die Finger und das Phonendoskop aufgesetzt werden. 

24) Über den Alkohollsnius Im Orient, von B. La quer in Wiesbaden. (Deutsche 

med. WochenSchr. 1907. Nr. 20.) Ref.: Kurt Mende\. 

Verf. berichtet über den zunehmenden Alkoholgenuß in Ägypten und die 
dadurch bedingte Zunahme der ägyptischen Verbrecherziffer, die von 1891 bis 
1899 ständig zurückging, um von 1899 bis 1904 zu steigen; nur 1905 sank die 
Zahl von 3109 Bestrafungen auf 3011. Unter diesen Zahlen betrafen fast ein 
Drittel, nämlich 917, Mord bzw. Mordversuch, 440 Brandstiftung. Messerstechen 
spielt in Kairo, besonders seitens Trunkener, dieselbe Rolle wie in den euro¬ 
päischen Großstädten. 

„So bringt die zunehmende Zivilisation, die Steigerung von Handel und Wohl¬ 
stand auch ihre Plagen in dieses gesegnete Land, ihrer Ausbreitung ist aber, wie 
Indien beweist, wo auf 2400 Menschen eine Schänke kommt (in England auf 242), 
duroh strengere Handhabung der Gesetze leicht zu steuern.“ 

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26) Diagnostio difförbiitiel dds tfoubles oeröbraui d’origiüe tozique das 
a l’aloool et au tabao et de la paralyale gönörale d’apres les flytn- 
ptömes oculatreS, par Rodiet et Cins. (Aon. mfed.-psych. 1906. Not.- 
Dezember.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Bei den Papillen beben die Verff. hervor, daß Differenz dbr Papillen, Völlige 
Papillenstarte, Sowie Form Unregelmäßigkeiten der Papillen für Paralyse sprächen, 
bei Alkoholisthüs and Nikotismuh Sei am häufigsteh beiderseitige Miosis and 
Trägheit der Lichtreaktion. Äußere Augenmuskellähmung, vor allem einseitige 
Ptosis, seien inehr der Paralyse eigen. 

SeriSibilitätsstöruhgen an Konjunktiva und Kornea* z. B. in Form der Hemi- 
anästhesie, glauben die Verff. besonders beim AlkoholismnS und NikotinismuS ge« 
funden zu haben, ebenso Erythröpsie hnd Mikropsie u. a. Das Auftreten viel« 
facher, lebhafter visueller Halluzinationen lassen zum mindesten die Mitwirkung 
des Alkohdlismus sehr wahrscheinlich erscheinen. 

Störungen des Angenhintergrundes seien bei Alkoholismas seltener, am ehesten 
hätten sie die Form der Hyperämie oder temporalen Abblassung, ausgesprochene 
Atrophie usw. wie bei Paralyse seien Ausnahmen. Die Einengung des Gesichts¬ 
feldes und die Skotome seien häufiger bei Alkoholismus und stehen außerdem 
-Vor allem bei der Paralyse im Gegensatz zum Alkoholismus in fortschreitender 
Parallele zu den Veränderungen des Augenhintergrundes. 

Das Fortächreiten der Prozesse bei der Paralyse ermöglicht ain ehesten die 
U nterscheidung. 

26) Die Bestehungen zwischen Alkohol und Paralyse, von Dr. Delbrück. 
(Bericht üb. d. IV. Deutschen Abstinententag, Oktober 1906. Jena, G. Fischer.) 
Ref.: Kurt Mendel. 

Der Alkoholmißbrauch spielt bei vorhanden gewesener Syphilis eine ver¬ 
hängnisvolle Rolle, indem er die Paralyse auslösen kann. Zudem bedingt häufig 
der Alkohol wiederum seinerseits die Akquisition der Syphilis. Die Paralyse 
würde zum größten Teil aus der Welt geschaßt, wenn es gelänge, den Alkohol- 
genhß überhaupt abzuschaffen. Zum mindesten ist jedem, der Syphilis akquiriert 
bat, Völlige Alkoholabstinenz als notwendig anzuempfehlen. 

27) Bin Beitrag zur Lahre von den Alkoholpsyohosen. Nebst Einigen 
Bemerkungen über die Entstehung von Halluzinationen, von Goldstein. 

’ (Allg. Zeitschr. f. Psych. LXIV.) Ref.: Zingerle (Graz). 

Die Fälle des Verf.’S, die zum Teil in ausführlichen Krankengeschichten 
wiedergegeben sind, stammen aus dem Materiale der Königsberger mediz. Klinik. 
In Hinsicht darauf, daß eine Reihe voh Autoren geneigt ist, Fälle mit Ab¬ 
weichungen vom typischen Bilde nicht mehr alB reine Alkoholpsychosen anzu¬ 
erkennen, hat er seine Untersuchung speziell darauf gerichtet, welche atypischen 
Symptome bei der akuten Halluzinose von einwandfreier alkoholistischer Grund¬ 
lage Vorkommen können. Es ergaben sich Abweichungen mannigfacher Art, die 
Sich auf alle einzelnen Symptome beziehen köhnen. Die Gesichtshallazinationen 
fehlen — wenn auch Gehörshalluzinationen ganz im Vordergründe Btehen — nie, 
können sogar gelegentlich fast das ganze Bild beherrschen. Seltener sind Gefühls¬ 
täuschungen, die aber immerhin noch ziemlich häufig Vorkommen. Dagegen sind 
Geruchs- und Geschmackshalluzinationen sowie hypochondrische Sensationen selten, 
ihr Vorkommen und selbst ein gelegentliches Vorherrschen derselben spricht nicht 
ohne weiteres gegen eine alkoholische Erkrankung. Doch sind sie meist An¬ 
zeichen einer üblen Prognose. Die motorischen Erscheinungen sind nicht primäre, 
psychomotorische Symptome, sondern durch Sinnestäuschungen bedingt. Weder 
in der Literatur, noch in seinen Fällen fand Verf. eine Beobachtung, bei der man 
berechtigt wäre, primäre psychomotorische Symptome anzunehmen. Das Vorhanden¬ 
sein solcher gestattet daher mit einer gewissen Sicherheit den Schluß einer nicht 

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rein alkoholischen Erkrankung. Die nicht geringe Variationsbreite des Typischen 
ist wahrscheinlich auf persönliche Varianten und Verschiedenheiten der Lokali¬ 
sation und Intensität des Krankheitsprozesses zurückzuführen, und können daher 
einzelne abweichende Symptome nur mit Vorsicht gegen die Alkoholätiologie ver¬ 
wendet werden. Das seltene Hervortreten der Halluzinationen der tieferen Sinne 
sucht Verf. damit zu erklären, daß es hierzu wahrscheinlich einer stärkeren Er¬ 
regung durch größere Schwere des Krankheitsprozesses bedarf, oder daß indivi¬ 
duelle Differenzen bezöglich der Bolle dieser Sinne im Seelenleben von Einfluß 
sind. Die Untersuchungen werfen auch ein Licht auf die Frage, warum bei der 
Halluzinose die Gehörstäuschungen, beim Delir dagegen die Gesichtshalluzinationen 
im Vordergründe stehen. Bei den nioht seltenen Fällen von Mischformen der 
akuten Halluzinose mit Delirium tremens (die übrigens beweisen, daß beide Formen 
sich nicht ausschließen, wie von einigen Autoren angenommen wird) war es außer¬ 
ordentlich bezeichnend, daß beim Übergange vom Delir zur Halluzinose mit dem 
Wechsel des ganzen Zustandsbildes die Sinnestäuschungen in der charakteristischen 
Weise sich änderten. Das wesentliche scheint dabei der momentane Bewußtseins¬ 
zustand zu sein, in dem Sinne, daß mit der schweren Bewußtseinsstörung des 
Delirs sich vorwiegend Gesichtshalluzinationen, mit der Besonnenheit der Halluzi¬ 
nose dagegen Gehörstäuscbungen verbinden. Diese Differenz erscheint somit 
durch die Verschiedenheit des psychischen Grundzustandes und nicht durch die 
Spezifität der Krankheitsform bedingt und ist dies wahrscheinlich ein Erfahrungs- 
satz von allgemeiner Bedeutung für die Art der bei Psychosen auftretenden 
Sinnestäuschungen. 

Die Fälle von chronischen paranoischen Alkoholpsychosen erwiesen sich teils 
als sehr protrahierte Halluzinosen, teils als Besiduärzustände von solchen, für die 
besonders eine ausgebildete psychische Schwäche charakteristisch zu sein scheint. 
Nur 2 Fälle stellten sich als eigentlich chronische Alkobolpsycbosen dar und 
kommt Verf. zu dem Ergebnisse, daß, wenn auch diese Psychosen selten sind, an 
ihrem Vorkommen nicht gezweifelt werden könne. 

28) Über atypische Alkoholpsyohosen. Beitrag sur Kenntnis dea hallu¬ 
zinatorischen Schwachsinns der Trinker und der alkoholistisohen 
Pseudoparalyse, von Dr. F. Chotzen in Breslau. (Archiv f. Psych. u. 
Nervenkrankh. XLI. 1906.) Bef.: G. Ilberg. 

Verf. bringt 80 interessante Krankengeschichten mehr oder weniger kompli¬ 
zierterer Alkoholpsychose und macht darauf aufmerksam, wie schwierig es oft ist 
zu beurteilen, ob die Psychose eines Trinkers eine Alkoholpsychose ist oder ob 
der Alkoholmisbrauch erst durch die Geistesstörung ausgelöst wurde oder ob die 
letztere mit dem Alkohol gar nichts zu tun hat. Er zeigt, wie die Alkohol- 
halluzinosis gewissen halluzinatorischen Formen der Dementia praecox sehr ähnlich 
tat. Die fortgesetzte Vergiftung des Körpers mit Alkohol führt oft zu dauernden 
Organveränderungen, welche dauernde Stoffwechselstörungen und darauf beruhende 
chronische Psychosen im Gefolge haben können. Verf. behandelt namentlich auch 
die Abarten der Kor8ako wsehen Psychose und beschäftigt sich besonders eingehend 
mit der alkoholischen Pseudoparalyse, bei welcher Arteriosklerose, Polyneuritis 
und Entartung von großem Einfluß sind. Oft sind die Bedingungen für die Ent¬ 
stehung von Psychosen beim chronischen Alkoholismus analog denen bei akuten 
und chronischen Infektionskrankheiten und so können wir auf dem Boden des 
chronischen Alkoholismus ganz dieselben akuten und chronischen Intoxikations¬ 
und Erschöpfungspsychosen finden. 

29) Transitorische Alkoholpsyohosen, von Chotzen. (Monatsscbr. f. Psych. 
u. Neur. XXI. 1907.) Bef.: H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. beschreibt Zustände, die bei degenerativ veranlagten Patienten unter dem 
Zusammenwirken affektiver Momente mit Alkoholmißbrauch hervortreten, und deren 

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wesentliches Moment in einem protrahierten Dämmerzustand besteht. Aach aas der 
klinischen Erscheinungsweise tritt die doppelte Beziehung zur alkoholischen Ent* 
stehung einerseits and za der psychischen Degeneration andererseits hervor. Nach 
ihren hervorstechendsten Symptomen könnte man überwiegend delirante, motorische, 
expansive and depressive unterscheiden. Einer der Fälle (Nr. 3) zeigt folgendes 
Bild: 27 jähriger junger Mann, immer viel gegrübelt, kein regelmäßiger Trinker, 
kommt nach vorausgehender Erregung and darauf durchschwärmter Nacht ange¬ 
trunken nach Hause; nun erst Schlaf, dann (daraus geweckt) plötzlicher Ausbruch 
heftiger Erregung, Verkennung der Umgebung, ängstliche Mißdeutung, einförmige 
Halluzinationen, große Unruhe: Bild also wie im pathologischen Bausch. Der 
Zustand verliert sich aber nach Schlaf nicht, sondern Desorientierung, Halluzina¬ 
tionen und Beeinträchtigungsideen halten 4 Tage lang an, dann klar. Tags da¬ 
rauf hysteriformer Anfall. Von da an völlig frei, unvollständige Erinnerung. — 
Die Zustände bieten also das Bild des protrahierten pathologischen Bauschzustandes. 

30) Beiträge zur Kenntnis der Gedächtnisstörung bei der Korsakoffsohen 

Psychose, von Gregor. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXI. 1907.) Bef.: 

H. Vogt (Göttingen-Langenhagen). 

Verf. kommt in seinen ausführlichen, an zwei Fällen angestellten experi¬ 
mentell-psychologischen Untersuchungen zu folgenden Schlüssen: Eine Neuerwerbung 
von Eindrücken bei Korsakoff ist möglich (öftere Wiederholung, aufmerksames 
Verfolgen). Im gewöhnlichen Leben fehlt diese Bedingung, auch verhindert der 
Mangel an Krankheitseinsicht die Patienten zur Aneignung neuer Eindrücke. 
Solche erfolgen daher nur, wenn Vorkommnisse sich beständig wiederholen oder 
(in 8 bis 10°/ o aller Eindrücke) bei solchen, die spontan schon nach einmaligem 
Erleben fester assoziiert werden. In einfache Lebenaverhältnisse können die 
Patienten sich finden, auch mechanische Leistungen verrichten, besonders gut, 
wenn diese au den alten Besitz anknüpften. Daraus ergibt sich die Möglichkeit 
einer erfolgreichen Übungstherapie. 

Eine affektive Betonung der Eindrücke ergab keine Veränderung der Besul- 
täte. Die Unkorrigierbarkeit gewisser Urteile basiert auf dem Gegensatz zwischen 
dem festen alten Besitz und neuerworbenen Eindrücken; letztere haben unter¬ 
geordneten Wert; dazu kommt die subjektive Überschätzung des Gedächtnisses 
bei den Patienten. Die zeitliche Täuschung erklärt sich: die Hauptumstände 
werden gemerkt, die Nebenumstände vergessen. Aus letzteren heraus erfolgt aber 
beim Normalen die zeitliche Lokalisation. Dabei ist die Frage offen gelassen, ob 
bei Korsakoff die primitive zeitliche Anschauung eine normale ist. Es folgen An¬ 
gaben über die Irrtümer des Wiedererkennens. Auf die Konfabulation wirkt 
fördernd Ablenkung und Erschlaffung der Aufmerksamkeit, Mangel an Kritik für 
die eigenen Leistungen. Perseveration trat hervor bei relativ großer Festigkeit 
früherer Assoziationen gegenüber neuen Eindrücken, zusammen mit der für Kon¬ 
fabulation charakteristischen Kritiklosigkeit Nichts sprach für „eine abnorm 
starke Nachwirkung der perseverierenden Assoziationen“. Die Entwicklung stereo¬ 
typer Wendungen ergibt sich aus dem Übergewicht, das eine mehrmals wieder¬ 
holte Assoziation vor neuen besitzt. 

31) Über paranoide Psyohosen der Trinker, von Ignatz Mandel. (Gyö- 

gy&szat. 1906. Nr. 12,14,15,17,18, 21,23,33.) Bef.: Hudovernig. 

Auf Grund der Literaturangaben und mitgeteilter eigener Beobachtungen 
nimmt Verf. bezüglich der paranoiden Alkobolpsychosen folgenden Standpunkt 
ein: Neben gewohnheitsmäßigem Alkoholgenuß ist noch eine besondere Disposition 
zur Entwicklung von Alkoholpsychosen notwendig; in sämtlichen derartigen Fällen 
ist stets ein dem Delirium tremens ähnliches Anfangsstadium vorhanden; Demis¬ 
sionen können Vorkommen; Heilung hat Verf. nie beobachtet, zumeist ist eino 
Demenz eingetreten. Solche Fälle können als „Alkoholparanoia“ bezeichnet werden, 

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doch ist diese Benennung keine glückliche. Mit der Zeit dürfte es möglich Bein, 
aus dieteb Erkrankungsbildern ein selbständiges klinisches Bild herauszunchäleb, 
aber derzeit ist man nicht berechtigt, diese Erkrankungen als selbständige alko¬ 
holische Paraboia zu bezeichnen, obwohl die vorköinmebden Sinnestäuschungen, 
Wähnideen usw. jenen ähnlich Sind, welche man bei Trinkern findet 
32) Ein Fäll von Dipsomätiie, von Dr. M. Gu re Witsch. (Korsakoffsbhea Journ. 
f. Neur. u. Psych. 1906.) Ref.: Krön (Moskau). 

Vater des 34jähr. Patienten ist Potator und leidet au Ohbmachtsanfällen, 
Großvater und Onkel sind Dipsomanen, ein anderer Onkel ist Potator, andere 
Verwandte sind nervös. Pat. bietet von jeher die Anzeichen der Beschränktheit, 
Zerfahrenheit und ziemlich niedriges geistiges Niveau. Seit seinem 20. Jahre 
fühlt er zeitweise eineb unwiderstehlichen Wandertrieb in Sich, plötzlich taucht 
in ihm eih völlig unmotivierter Plan zu reiSeü auf, der ihn Sofort zur Ausführung 
drängt. Er ist sich der Unsibnigkeit seiner ReiSen bewußt, besitzt aber nicht die 
Energie, um heimzukehren: wiederholt bat er telegraphisch die Seinigen, ihn nach 
Hause zh bringen. Es besteht keine Amnesie für die Zeit der Reisen. Nach 
Verf. handelt es sich um einen Degeneranteh, der jegliche Herrschaft über seine 
in krankhafter Stärke entwickelten Triebe verloren hat. 

38) Bin seltener Fall von Sdlbstverstümmlong, von E. Bradäch. (Orvoei 
Hetilap. 1906. Nr. 2.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

Verf. bespricht vom chirurgischen Standpunkte die Verletzungen eines 47jähr. 
Alkoholikers, welcher nach seiner Einlieferung ih die Irrenanstalt und nach Schein* 
barer Beruhigung sich im deliranten Zustande mit der bloßen Hand den rechten 
Hoden samt dem Vas defereüs herausgerissen uhd den Pebis fast gänzlich der 
häutigen Hülle entblößt hat. Keine besobdere Blutung; nach fachgemäßer chirur¬ 
gischer Behandlung ziemlich rasche Heilung. 

34) Zur Behandlung des Delirium tremens, von Oberarzt Dr. S. Ganser in 
Dresden. (Münchener med. Wochensohr. 1907. Nr. 3.) Ref.: E. Asch. 
Innerhalb des Zeitabschnittes 1890 bis 1905 wurden auf der dem Verf. unter¬ 
stellten Dresdener städtischen Heil- und Pflegeanstalt 1051 Fälle von Delirium 
tremens aufgenommen, und zwar handelte es sich um unkomplizierte und kom¬ 
plizierte Affektionen, zum größten Teil um Schnapstrinker. Die eine Hälfte, 
Welche den ersten 8 Jahren angehört, umfaßt 486 Kranke mit 31 Todesfällen 
(6,37 °/ 0 Mortalität). Der anderen Hälfte aüs den folgenden 8 Jahren gehören 
565 Deliranten mit 5 Todesfällen an (0,88 °/ 0 Mortalität). Während in den all¬ 
gemeinen Grundsätzen der Behandlung (absolute Abstinenz, Bettruhe usw.) im 
Laufe der Jahre keine Veränderung eintrat, Wurde die inedikamentöse Therapie 
insofern verbessert, als dem Eintreten von Hehsschwäche durch Darreichung ton 
Digitalis vorgebeugt wurde. Und zwar Wurde 1,5 pro die im Aufguß gegeben 
und diese Dosis je nach dem Fall 2 bis 3 Mal wiederholt. Eine kumulative 
Wirkung wurde niemals beobachtet. Machte die Aufnahme per os Schwierigkeiten, 
so wurde das Mittel 2 stündlich per Klysma gegeben. Wurde trotzdem der Puls 
klein, rasch und unregelmäßig, so gab Verf. 1 bis 2 stündlich 1,0 Kampheröl 
subkutan. In der Annahme, daß das Leiden auf einer Vergiftung mit abnormen 
Stoffwechselprodukten beruht, wurde außerdem zur Auswaschung der GeWebe und 
zur Steigerung der Diurese eibe einprozentige Lötung von Natrium aceticum in 
Wasser mit geringem Zusatz von Syr. communis dargereicht, ein Getränk, das 
die Kranken sehr gern nehmen und immer wieder verlangeb. 

36) Zur Behandlung des Delirium tremene, von Prof. Dr. Aufrecht in 
Magdeburg. (Münchener med. Wochenschr. 1907. Nr. 32.) Ref.: E. Aach. 
Den an unkompliziertem Delirium tremens Leidenden werden abends 4,0 g 
Cbloralhydrat gegeben, wonach meistens schon in der ersten Nacht Beruhigung 
eintritt. Ist in seltenen Fällen die Unruhe am folgenden Morgen eine Sehr große, 

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tobsuchtähnliche, so erhalten die Kranken 2 bis 3 g Chloralhydrat. Dies geschieht 
aber nur ausnahmsweise. Bleibt die Unruhe trotzdem bestehen» so wurden am 
zweiten Abend nochmals 4 g gegeben. Meistens tritt daraufhiu beruhigender 
Schlaf ei»« Nur in ganz seltenen Fällen müssen an drei aufeinander folgenden 
Abenden je 4 g dargereicht werden, länger pls 3 mal 24 Stunden dauert der 
Anfall niemals und nur in hpcbst seltenen Fällen müssen noch an 1 bis 2 weiteren 
Abenden je 2 g verabfolgt werden, ln den Fällen, in welchen das Leiden zu 
einer Pneumonie, einem Erysipel usw. hinzutritt, erhalten die Kranken 3 g pro 
Abend, welche Gäbe an den nächsten Abenden wiederholt wird. Fast stets tritt 
schon nach der ersten Dosis Schlaf ein. In bezug auf die sonstige roborierende 
Behandlung gibt Verf. in den unkomplizierten Fällen entweder 200 g Ungarwein 
oder, was noch empfehlenswerter, 2stündlich 1 Eßlöffel einer Mixtur, welche 
30°/ 0 eines 90%igen Albohpls enthält (Alkohol 60,0, Syx. simpl. 10,0, Tinct. 
ampra und aromatica Sä 1,0, Aq. amygd. amar. 0,2, Aq. destill. 200,0 nebst 
etwas Sacch. tostum zur Dunkelfärbung der Arznei). Im Gegensatz zu der üb¬ 
lichen Methode wurde in den Fällen von reinem Delirium tremens niemals Alkohol 
verabreicht Derselbe fehlte den franken niemals und wurde nicht danach ver¬ 
langt 

36) Über familiäre Fürsorgepflege für Trlnkgr, von Knust (Psych.-neur. 
Wochenschr. VIEL 1907. Nr. 48.) Bef.: E. Schultze (Greifswald). 

Verf. will die guten Erfahrungen, ch e man mit der Familienpflege gemacht 

bat, insbesondere trunksüchtigen Geistesschwachen zugute kommen lassen. Sie 
sollen gegen Entschädigung in ländlichen Kolonien in abstinenten Familien unter¬ 
gebracht werden, die mit gemMg Minderwertigen umzugehen verstehen. Die Auf¬ 
sicht und Leitung der B^olonie soll den Fürsorgestellen für Alkohofiaten über¬ 
geben worden. 

37) Die Entwicklung dpr Trinkerfürsorge in Verbindung mit der städti¬ 
schen Irrenanstalt zu Frankfurt e/M., von Sioli. (Psych.-neur. Wochen¬ 
schrift. 1907* Nr. 4.) Bef.: Ku rt Mendel. 

Am 1. April 1901 wurde der städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt a/M. das 
Gut Hüttenmühle bei Köppern im Taunus als Filiale e Q d landwirtschaftliche 
Kolonie überwiesen. Im ganzen wurden daselbst vom 1. April 1901 bis 31. März 
1906 214 Kranke (154 Alkoholisten, 25 Epileptiker bzw. Hysterien, 35 an 
anderen Psychosen Leidende) aufgenommen. Strengste Durchführung der Ab¬ 
stinenz, auch beim Personal, und allgemeine Beteiligung an der. Arbeit (Land¬ 
wirtschaft, Hausarbeiten, Handwerkerarbeiten) sind die Hauptaufgaben der Trinker¬ 
heilstätte, 

Bedingungen der Aufnahme: völlige Abstinenz, Nichtverlassen des Anstalts¬ 
gebietes, außer mit besonderer Erlaubnis des Direktors, unterschiedlose Beteiligung 
an allen notwendigen und dem einzelnen zugeteilten Arbeiten. 

Bechte der Aufgenommenen: freie Bewegung, Möglichkeit täglich den Aus¬ 
tritt aus der Anstalt erklären zu können. Letztere Freiheit erhält einen gewissen 
Geist der Zufriedenheit in der Anstalt. Dem Kranken wird efn wöchentliches 
Krankengeld von 30 Pfg. gewährt, welches jedem Kranken gutgeschrieben und 
bei seiner Entlassung gezahlt wird. 

Die Einrichtung der Trinkerheilanstalt in örtlich entfernter, ärztlich und 
verwaltungsmäßig enger Verbindung mit d,er Irrenanstalt bewährt sich durchaus. 
I)as Wesentlichste würde für die Ergänzung der Anstalt eine Fürsorge für die 
Entlassenen sein, ein abstinent gehaltenes Heimatshaus im Gentrum der Stadt mit 
billiger Eß- und Schlafgelegenheit und genügender Unterhaltungsmöglichkeit (Lek¬ 
türe, Vorträge usw.). 

38) DJk» Trunkenheit vom forensisch -ärztliohen Gesichtspunkte* von Fia- 
lovski. (Gyogyäszat 1906. Nr. 30.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

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Verf. führt aus, daß die Konstatierung der Trunkenheit, bzw. der durch die¬ 
selbe bedingten Störung der geistigen Tätigkeit keine so einfache Sache sei und 
länger währende Beobachtung, eingehende Untersuchung des Falles erheische. 
Kommt der Sachverständige zur Überzeugung, daß der Alkohol die freie Willens¬ 
bestimmung des Angeklagten aufhob, so möge er seiner Ansicht unverhohlen Aus¬ 
druck geben, wenngleich er damit oft Mißfallen erregt. Nur so kann klar ge¬ 
macht werden, wie verheerend der Alkohol wirkt 


Psychiatrie. 


39) Die Grundlagen der SeelenBtörungen, von Julius Bessmer, S. J. (Frei¬ 
burg i/Br. 1906, Herder.) Bef.: H. Haenel (Dresden). 

Eine Schrift über Psychiatrie, die unter dem Imprimatur des Erzbischofs 
von Freiburg erscheint, dürfte für den Arzt nicht ohne Interesse sein. Der geist¬ 
liche Verfasser sucht seiner Aufgabe dadurch gerecht zu werden, daß er aus den 
Werken von Griesinger, Kräpelin, Krafft-Ebing, Binswanger, Monakow, 
Oppenheim usw. das heraussucht, was darin über die Ätiologie der Seelen¬ 
störungen ausgeführt ist, und dies, so weit es ihm möglich ist, mit seinen theo¬ 
logisch-scholastischen Anschauungen vereinigt. Das Tatsächliche über die körper¬ 
lichen Ursachen, das den größten I. Teil des Buches füllt, ist im ganzen richtig 
wiedergegeben und durch Anführung mancher kasuistischer Beispiele aus der 
Literatur auch für den nicht-medizinischen Leser interessant gemacht. Aber 
schon hier zeigt sich, daß Verf. über die Grenzen der Kirchenlehre nicht hinaus 
kam, den „niederen“ seelischen Tätigkeiten wie Empfindung, sinnliche Vorstellung, 
Gefühl, Affekt, gesteht er, muß er wohl eine Abhängigkeit von den physiologischen 
Vorgängen im Gehirn zugestehen; die „höheren“ Funktionen, Wille, Selbstbewußt¬ 
sein, Urteils- und Begriffsbildung Bind nicht an das Körperliche gebunden. Es 
versteht sich von selbst, daß Verf. ein unbedingter Vertreter der Lehre von der 
Willensfreiheit ist: „der Wille des Menschen erhebt sich über die Schranken der 
Materie“. Wenn er als Stütze dieses Satzes die Tatsachen anführt, daß der 
Mensch oft Opfer an Bequemlichkeit, Gesundheit und Leben für ideelle Güter, 
für das Glück einer unsterblichen Seele und die Verherrlichung seines Gottes 
bringt, so erscheint er in der Wahl gerade dieses Beweises allerdings weniger 
glücklich. — Von seinem Standpunkte aus, der die Seele nicht für erzeugt, sondern 
für erschaffen erklären muß, interessieren Verf. die seelischen Ursachen der 
psychischen Störungen noch mehr als die körperlichen. Den Zitaten aus den 
psychiatrischen Lehrbüchern und Zeitschriften tut er indessen mehr als Zwang 
an, wenn er, um seinen moralisierenden Standpunkt zu stützen, aus ihnen folgert, 
„daß Irrtum, Sünde und Laster eine große Rolle in der Ätiologie der Geistes¬ 
krankheiten spielen“. Außer einem Zitat aus dem alten Esquirol und dem 
allgemeinen Hinweis auf Heinroth kann die unvoreingenommene Betrachtung 
auch in den vom Verf. speziell ausgewählten Stellen nichts finden, was diesen 
Schluß reohtfertigte. Eine Schrift wie die Friedmanns: Über Wahnideen im 
Völkerleben, die nicht zu seiner Meinung paßt, wird damit abgetan, daß er 
sagt, sie huldigte zu „kritiklos“ der „neuen Mode“, Übernatürliches als unmöglich 
zu verwerfen (!), weil sie die Möglichkeit von Wundern leugnete. Das Kapitel 
schließt mit einer Betrachtung über den Zusammenhang von Leib und Seele, das 
zu dem Schlüsse kommt, daß „als absolute Denknotwendigkeit sich dem Psycho¬ 
logen die Annahme einer Seelensubstanz aufdränge“. Der Sprachgebrauch der 
Jahrhunderte — auch dieser in solchen Dingen recht zweifelhafte Zeuge muß 
herhalten! — spreche dafür, daß Seele der substantielle Träger unserer Gedanken, 
Wünsche, unseres Urteilens, Wollens und Strebens sei; die Aktualitätslehre sei 
„nichts für denkende Menschen“. Die Anhänger dieser Lehre müssen sich also 


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damit abfinden, vom Yerf. nicht mit zum Genus des Homo sapiens gezählt zu 
werden. Jene selbe Substanz ist aber auch die „Wesensform“ des Körpers, die 
sich von der pflanzlichen und tierischen Wesensform dadurch unterscheidet, daß 
sie mit ihrem Denken und Wollen — kann eine Wesensform denken und wollen? 
— „hinausragt über den Stoff, hinein ins Reich des freien Geistes“. („ ... denn 
wo Begriffe fehlen . ..“) Was dieses Reich seinerseits ist, wie es sich zum 
Denken, Wollen, Schließen osw. verhält, darüber wird kein Wort verloren. Aber 
das tut ja schließlich nicht viel, denn — diese Anschauung ist, wie zum Schluß 
ausdrücklich festgestellt wird, eine Glaubenslehre, welche von der Kirchenversamm¬ 
lung zu Vienne unter Klemens Y. definiert wurde; — und damit hört für den 
katholischen Theologen bekanntlich die weitere selbständige Kritik auf. 

Der 3. Teil: „Disposition zu seelischen Störungen“ kann kurz abgemacht 
werden. Da die Seele „erschaffen“ wird, kann von einer direkten Vererbung 
geistiger Eigenschaften nicht die Rede sein. Bestimmte Veranlagungen körper¬ 
licher Art können zwar übertragen werden, zu geistigen Anomalien werden sie 
aber erst durch die Erziehung, der eine ausschlaggebende Bedeutung zugeschrieben 
wird. Bei der Betrachtung der forensischen Seite der Frage finden wir den 
Satz: „so lange keine Verirrung des Verstandes eintritt, kann der Mensch auch 
dem stärksten Trieb zu einer verbrecherischen Handlung widerstehen; Beweggründe 
bewegen den Menschen, aber sie unterjochen den Willen nicht“. Natürlich, denn 
hätten Beweggründe auf den Willen einen Einfluß, so würde ja die Willens¬ 
freiheit an dieser wichtigsten Stelle ein Loch kriegen! Für eine mildere Be¬ 
strafung der Verbrecher unter bestimmten Umständen ist Verf. allerdings zu 
haben, besonders, wenn die Erziehung mangelhaft war. In einem Appell an die 
Sorge für die seelische Gesundheit findet er sich zuletzt mit den Aussprüchen 
verschiedener Nervenärzte und Psychiater wieder zusammen 

Zur Verfechtung von Sittenlehren und Verbreitung nützlicher Lebensregeln 
sind Schriften, wie die vorliegende, ohne Frage am Platze; aber Verwahrung 
muß dagegen eingelegt werden, wenn sie sich so geberden, als ob sie irgendwie 
zur Vermehrung oder Findung wissenschaftlicher Erkenntnis beitragen wollten. 
Das erste Blatt mit dem oberhirtlichen Imprimatur wirft notwendigerweise seinen 
Schatten auf das ganze Buoh; es darf nichts darin stehen, was mit der Kirchen¬ 
lehre nicht übereinstimmt, und das bedeutet jenes sacrificium intellectus, durch 
das dem wirklich naturwissenschaftlichen Denken von vorn herein die Flügel be¬ 
schnitten sind. Hier ist die Scheidewand, die Bich unübersteiglich zwischen uns 
und einer katholisch-jesuitischen Wissenschaft aufrichtet. 

40) Über das Verhalten der Alkaleszenz des Blutes und der weißen und 

roten Blutkörperchen bei Nerven- und Geisteskranken, von J. H. S chultz. 

(Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XXII. 1907.) Ref.: H. Vogt. 

Die vorliegende Arbeit stellt eine aus der psychiatrischen Klinik der Göt¬ 
tinger Universität hervorgegangene, von der Fakultät gekrönte Preisarbeit dar. 
Zum Teil handelt es sich um die Anwendung der neuesten chemisch-physikalischen 
Ergebnisse auf die Blutuntersuchungen beim Menschen, es wurden für diesen 
Zweck ganz besondere, klinischen Untersnchungsverhältnissen adoptierte Methoden 
ersonnen. Der betreffende Abschnitt ist zum Teil im Breslauer chemisch-physi¬ 
kalischen Institut ausgeführt. 

Die Aufstellung der Arbeit an sich und ihre exakte Inangriffnahme ist als 
ein Verdienst zu bezeichnen, das der klinischen Psychiatrie zugute kommt. Zum 
Teil sind durch die ungemein fleißige UnterBuchungsreihe, der auch ein lesenswerter 
literarischer Überblick auf das dem Psychiater und Neurologen meist weniger 
naheliegende Gebiet beigegeben ist, ganz neue Gesichtspunkte eröffnet, zum anderen 
Teil beseitigen die Ergebnisse, da wo sie den negativen Befund ergaben, ein¬ 
wandsfrei gewisse Erörterungen und Vorstellungen, die man mehr allgemeiner 

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Art aaoh dieser Richtung für die klinische Psychiatrie vielfach erhoffte. Der 
Erfolg ist also avich nac ^ dieser Seite ein voller. 

Der erste Teil behandelt die Frage der Alkaleszepz bei ^pryen-, und Geistes¬ 
krankheiten. Nach methodischen Erörterungen, deren Wiedergabe hier zu yreit 
fuhren würde (Yerf. wandte eine Modifikation der Friedentholachen Methode 
von 1904 an), folgt ein experimenteller Teil, die Mitteilung der Untersuchung 
von etwa JO Fällen; Yerf. kommt zu folgendem Ergebnis: Eine Abweichung der 
Blptrenktien von der Nqrm wurde nirgends gefunden; der epileptische Anfall 
geht nicht mit einer solchen einher. Von dem sonstigen Blutzustande (Gehalt 
an Fonpbestandteilen» Hämoglobin) ist die Reaktion unbeeinflußt Es ist also 
weder Paralyse noch Tab.es noch Epilepsie noch Idiotie noch Katatonie oder 
eine der untersuchten Psyphosen, auch weder Hysterie noch Neurasthenie mit 
einer Reaktionsänderung des Blotes notwendig verbunden. 

Der zweite Abschnitt behandelt das Verhalten der roten und weißen Blpt- 
körperchen bei Nerven- und Geisteskranken. Die bisherigen zahlreichen Unter¬ 
suchungen anf diesem Gebiete lassen ein einheitliches Resultat vermissen. Die 
Befunde sind different, nicht charakteristisch für die Art der Krankheit. Pie 
eigenen Untersuchungen des Verf.’s ergaben zunächst für Tabes und Paralyse, 
daß hiermit Anämie prinzipiell nicht verknüpft ist. Schwankungen der Wefte, 
die sonst Beziehungen zu psychischen Faktoren vermissen lassen, zeigen sieh 
deutlicher nur beim paralytischen Anfall, wo sie als der Ausdruck einheitlicher 
vasomotorischer Beeinflussung großer Gefäßbezirke erscheinen. „Pie Leukozyten¬ 
befunde sind bei Berücksichtigung der Verdauungsleqkozytose in keiner Weise 
charakteristisch.“ Vermehrung der Werte zeigt sich in der Agone (Flüssigkeits¬ 
verarmung, cirkulatorische Schwäche), deutlich ist der Einfluß besonders stickstoff¬ 
haltiger Kost. Epilepsie: Tendenz zur Verminderung der Erythrozyten, nicht des 
Hämoglobin; dieser Gegensatz und Widerspruch zwischen beiden Zahlen zeigt 
sich besonders bei der Berechnung des Blutkörperchen wertes; die weißen Blut¬ 
körperchen nehmen nach jedem Anfall zu. Idiotie: Hämoglobingehalt normal 
bis übernormal, Erythrozyten stark herabgesetzt, charakteristisch also die piver- 
genz zwischen Hämoglobin- und Erythrozytenzahlen* Weiße Blutkörperpbenzohl 
normal, Verdauungswerte desgleichen, nnr in einem Fall Leukopenie. (Verfi 
macht selbst aufmerksam auf die Wichtigkeit der Nachprüfung dieser Ergebnisse 
an kindlichen Idioten, sowie an den Durchschnittsblutwerten erwachsener Idioten. 
Diese Hinweise sind wertvoll. Eis würden dann auch bei Berücksichtigung der 
grundverschiedenen klinischen Formen der „Idiotie“ sich wichtige Resultate er¬ 
geben. Die Untersuchungen des Vepf.’s scheinen ja gerade auch noph der Seite 
der idiotischen Zustände hin weitere Fragestellungen zu eröffnen.) Katatonie: 
Die katatonischen Jugendirreseinsformen neigen zur Verminderung der Erythro- 
zytepzahl, weniger des Hämoglobins. Die extremen Zustände nähern sich den 
Befunden bei der Idiotie, jedoch ohne so deutliche Divergenz. Hysterie: Trotz 
blasser Hautfarbe usw. übererhöhte Hämoglobinwerte. Erythrozyten normal* 
Nervosität: Zuweilen, besonders bei Erschöpfungsnenrasthenie, geringe Herab - 
setzung der Erythrozytenzahl, Hämoglobin mit einer Ausnahme (98°/ 0 ) normal- 
Endogene Form: nie subnormale Werte der Erythrozyten, Hämoglobin desgleichen, 
letzteres oft übernormal. Nicht selten Leukopenie. 

Als Resultat ergibt sich folgendes Gesamtergebnis: 

„Paralyse, Epilepsie und katatonische Verblödungsprozesse scheinen eine ge¬ 
wisse Tendenz zu haben, die Erythrozytenzahlen des in den Hauptgefäßen baßud* 
liehen Blutes herabzuBetzen. Weniger wird das Hämoglobin betroffen. Diese 
Tendenz ist keine spezifische, sondern meist auf allgemeine Bedingungen zurück¬ 
zuführen, besonders die Ernährung. Die Idiotie scheint durch ihrp „Divergenz* 1 
charakterisierte Blutbilder herbeizuführen. Reine Psychosen zeigen wechselnd* 

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Befände. Der Beweis eines scharfen Parallelismus von Blutbefand und Stimmung 
dürfte bei Berücksichtigung der zahlreichen Schwankungen des Blutbildes ohne 
irgendwelche Stimmungsunterschiede schwer für irgend einen Fall zu erbringen 
sein. Irgend ein Befund schwer anämischer Art wurde überhaupt nicht erhoben. 
Die funktionellen Neurosen (Hysterie, Nervosität, besonders endogener Art) zeigen 
fast ausnahmslos normale Blutbilder; nur die Häufigkeit hoher Hämoglobin* und 
niedriger Leukozytenzahlen fiel auf. 

Zuletzt wäre bemerkenswert, daß der Durchschnitt der im Winter beobach¬ 
teten Werte bei fast allen Patienten oder, wo einzelne Patienten nicht verfolgt 
wurden, bei den gleichen Erkrankungen höher zu liegen schien, als der im Vor¬ 
frühling gewonnene. Ein Einfluß der Jahreszeit in diesem Sinne wird nur von 
Malassez behauptet, von Andresen aber vasomotorisch gedeutet. Systematische 
Untersuchungen gesunder Individuen in verschiedenen Jahreszeiten dürfte von 
Interesse sein.“ 

41) Di una speoiale forma del globulo rosso nella demenza preeooe, per 

Dr. G. Pighinie G. Paoli. (Riv.difren.emed. leg. XXXII.) Ref.: Merzbacher. 

Die Verff. färben und behandeln Blutpräparate nach der folgenden Methode: 
Auffangen eines Tropfen auf Deckgläschen, Trocknen in der Hitze, Fixierung in 
einer Lösung von 4 °/ 0 Sublimat 20 ccm, 4°/ 0 Ammoniummolybdän 30 ccm, reine 
HCL 19 Tropfen. In diesem Gemisch bleiben die Präparate 13 bis 14 Stunden; 
Waschen in fließendem Wasser 1 Stunde lang; Färbung in Thionin Nioolle 
(100 Teile l°/ 0 Karbolwasser und 10 Teile 60°/ o alkoholischer Thioninlösung) 
1 / 2 bis 1 Stunde; Fixierung in 4°/ 0 Ammoniummolybdatlösung 10 bis 15 Minuten, 
Waschen in Wasser, Trocknen in der Hitze, Alkohol, Einschließen in Balsam. 
Als Kontrastfärbung kann man sich noch des Eosins oder Fuchsins bedienen. 
Nach dieser Behandlung sieht man in den roten Blutkörperchen gesunder Personen 
einen kleinen centralgelegenen dunkeln Körper, der in seiner Mitte wieder eine 
Verdichtung enthält; die Verff. bezeichnen diesen Körper mit dem Namen hämo- 
globigene Substanz, in der kleinen Verdichtung sehen sie Reste des Kernes wieder. 
Bei embryonalen Wirbeltieren nun sollen die Blutkörperchen ein ganz anderes 
Aussehen haben: die gefärbte Substanz ist weit größer, nimmt fast die ganze 
Blutzelle ein, das Centrum ist ganz hell, wie mit dem Locheisen ausgestoßen. 
Diese „juvenilen“ Formen haben nun die Verff. in 10 Fällen von Dementia 
praecox im Blute der Kranken vorgefunden, und zwar in fast allen Blut¬ 
körperchen, während sie völlig fehlten oder nur ausnahmsweise vorhanden waren 
in zahlreichen anderen untersuchten Fällen von Gesunden oder Geisteskranken, 
die an anderen Psychosen leiden. Ähnliche Formen wollen die Verff. bei zwei 
ohlorotischen Mädchen und nach einem epileptischen Anfall gesehen haben. Den 
Befund deuten die Verff. ab einen neuen Index für eine schwere Alteration des 
Stoffwechsels, die wahrscheinlich die Dementia praecox begleiten wird. 

42) La formola emo-leuoooitaria nella demenza preoooe, per Dr. 0. Sandri. 

(Riv. di Patol nerv, e ment. X.) Ref.: Merzbacher. 

Verf. hat bei 40 Dementia praecox-Kranken das Blut auf das Ver¬ 
hältnis der einzelnen Elemente zueinander untersucht. Die absolute Zahl an und 
für sich scheint nicht wesentlich verändert zu sein: dagegen scheint für alle 
Formen der Dementia praecox-Gruppe eine leichte Steigerung der absoluten Zahl 
der weißen Blutkörperchen sich einzustellen. Die verschiedenen Formen der 
weißen Blutkörperchen wieder erfahren quantitativ eine Verschiebung zu einander 
bei den verschiedenen Gruppen dieser Erkrankung: bei der Katatonie nämlich 
tritt eine erhebliche Vermehrung der mononukleären Elemente ein, während die 
polynukleären Elemente im Gegensatz zu den anderen Formen der Dementia 
praecox eine Verminderung erfahren. Die quantitative Verschiebung der Elemente 
zueinander tritt schon sehr bald nach Beginn der Erkrankung zutage und ist bei 


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den frischen Formen ebenso deutlich nachweisbar wie bei den chronischen. Be¬ 
sonders lehrreich war für den Verf. ein Fall, der zunächst unter dem Bilde der 
Hebephrenie verlief — und auch die entsprechende cytologische Formel zeigte — 
und dann plötzlich typisch katatonische Symptomenkomplexe aufwies. Mit dem 
Einsetzen derselben nahm auch die Zahl der mononukleären Elemente zu, während 
die polynukleären eine deutliche Abnahme aufwiesen. Die Veränderungen in der 
Zusammensetzung des Blutes führt Verf. auf eine wahrscheinlich vorhandene In¬ 
toxikation zurück. 

43) Zur Pupillenuntersuohung bei Geisteskranken, von Dr. Wassermeyer. 

(Archiv f. Psyoh. u. Nervenkrankh. XLIII. 1907.) Ref.: G. Ilberg. 

Nach Bumke ist das Fehlen der „Pupillenunruhe“ und die Erweiterung der 
Pupille auf sensible und psychische Reize für die Dementia praecox geradezu 
typisch. Ähnliche Verhältnisse fand derselbe Autor bei Imbezillen. Hübner 
konstatierte dann ein sicheres Fehlen der Pupillenunruhe und der Psychoreflexe 
nur bei 75% seiner Fälle von Dementia praecox; in 8% waren Pupillenunruhe 
wie Psychoreflexe sicher vorhanden; ausnahmsweise fanden sie sich auch trotz 
einer seit längerer Zeit bestehenden erheblichen Demenz. Bei 50% der von 
Hübner untersuchteu Imbezillen fehlten die genannten Reaktionen nicht. Verf. 
nun hat statt mit der Westienschen Lupe mit dem stärker vergrößernden Zeiss- 
sehen binokularen Mikroskop gearbeitet und vermißte Pupillenunruhe und psycho¬ 
reaktive Erweiterung der Pupille bei 39 Fällen von Dementia praecox nur 6 mal 
s 15 %. Bei 6 Imbezillen fehlten diese Symptome nur lmal. Stets nachweisbar 
waren sie bei Manisohen, Melancholischen und chronisch Verrückten. Verf. ging 
nun an die Untersuchung Gesunder heran und fand interessanterweise, daß von 
174 Marinesoldaten bei 13 % die Pupillenunruhe fast — 0 war. Bei einem 
Soldaten fehlten sogar Pupillenunruhe und Psychoreflexe vollständig, ohne daß bei 
ihm eine Imbezillität erheblichen Grades vorlag. 

44) Über „Moral insanity“, von Dr. Joh. Longard. (Archiv f. Psych. u. Nerven¬ 
krankheiten. XLHI. 1907.) Ref.: Heini oke (Waldheim). 

Verf. greift aus einem ihm zur Verfügung stehenden reichen Material einige 
Beispiele verschiedener Erscheinungsformen krankhafter Zustände heraus, die früher 
unter dem Namen „Moral insanity“ zusammengefaßt wurden und erörtert im An¬ 
schluß daran bestimmte charakteristische Einzelsymptome, als: von Jugend auf 
bestehende Unerziehbarkeit und Neigung zum Verbrechen, unstätes Wesen, Em- 
pfindungs- und Gefühllosigkeit, Selbstüberhebung, reiche Phantasie, bei bisweilen 
jecht leidlichem Intellekt; dazu können somatische Degenerationszeichen kommen; 
auch besteht hereditäre Belastung, besonders spielt der Alkoholismus in der As- 
cendenz eine Rolle. Die in der Literatur häufig vorkommende Behauptung, daß 
es dieses Bild als selbständige Krankheit überhaupt nicht gäbe, sondern daß es 
nur ein Symptomenkomplex, ein Vorläufer schwerer Erkrankung sei, erkennt Verf, 
und wohl mit vollem Recht, nioht an, wenngleich er natürlich zugibt, daß es 
sich bei den verschiedensten Psychosen auch einmal um „Moral insanity“ ähnliche 
Zustände handeln könne. Die in seiner Arbeit angezogenen und ähnliche Fälle 
rechnet nun Verf. entweder zur „moralischen Idiotie“ oder zur „moralischen Im¬ 
bezillität“, wobei er unter Imbezillität die im Sinne Jolliers versteht. 

Sehr richtig sind auch die Ausführungen des Verf.’s darüber, daß die an 
moralischer Imbezillität leidenden Individuen am besten sich in Irrenanstalten 
führen, während sie in Strafanstalten oder in der Freiheit, vielleicht noch unter 
Einwirkung des Alkohols, also unter Existenzbedingungen, die mehr Anforderungen 
an ihre Leistungsfähigkeit stellen, versagen und zu Klagen, disziplinellem und 
strafrichterlichem Einschreiten Veranlassung geben. 

Diesem Umstand ist es auch zuzuschreiben, daß häufig die Urteile der Ge¬ 
fängnisärzte bo ganz verschieden ausfallen von dem der Irrenärzte. Das Krank- 

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heitsbild der moralischen Imbezillität ist eben unter verschiedenen Lebensbedingungen 
ein ganz anderes und eine zutreffende diagnostische Beurteilung ist in der Irren* 
anstalt entschieden weniger leicht möglich als im Gefängnis. Die vier veröffent¬ 
lichten Fälle bezeichnete Verf. als strafvollzugsunfähig. 

45) La psyohose mauiaque-döpressive, par Franco da Rooha. (Ann. möd.- 
psychol. 1906. Sept/Okt.) Ref.: E. Meyer (Königsberg). 

Verf. tritt für das Vorkommen isolierter Fälle von Manie und Melancholie 
ein und spricht sich dagegen auB, daß alle Fälle periodischer Art im manisch- 
depressiven Irresein aufgehen. Das manisch-depressive Irresein stellt nach ihm 
eine Untergruppe des periodischen Irreseins dar, nicht umgekehrt. 


111. Aus den Gesellschaften. 

Gesellschaft Deutscher Nervenärzte. 

Erste Jahresversammlung in Dresden am 14. u. 16. September 1907. 


Referent: H. Haenel (Dresden). 


Herr Oppenheim (Berlin) begrüßt die Versammlung und beleuchtet in 
kurzen Worten die Gründe, die zu ihrer Begründung geführt haben. Die Vor¬ 
standswahl ergab: Zum I. Vorsitzenden Herrn Erb (Heidelberg), zum II. Vorsitzen¬ 
den Herrn Oppenheim (Berlin), zum Schriftführer Herrn Schönborn (Heidel¬ 
berg), zum Schatzmeister Herrn Bruns (Hannover). 

Zu Beisitzern: die Herren v. Frankl-Hochwart, v. Monakow, Saenger, 
Nonne, Edinger. 

Die Satzungen werden beraten und beschlossen; die Versammlung ernennt zu 
ihrem ersten Ehrenmitglied Sir Victor Horsley (London), zu korrespondierenden 
Mitgliedern die Herren v. Eiseisberg (Wien), Sherrington (London), Pierre 
Marie, Dejerine (Paris), Henschen (Stockholm). 

Vorträge: 

1. Herr Neisser (Stettin): Die Hirnpunktion. Vortr. schildert die Technik 
des von ihm erfundenen Verfahrens. Mit einem Bpitzen Bohrer, der durch einen 
Elektromotor in rasche Umdrehungen versetzt wird (2400 i. d. M.), dringt er durch 
Kopfschwarte und Schädel bis auf die Dura. Lokalanästhesie durch Spray wird 
sowohl auf die Punktionsstelle als auch zur Vermeidung störender Gewebskontrak- 
turen auf die Umgebung gerichtet. Narkose ist nicht nötig, die Schmerzhaftig¬ 
keit ist überraschend gering. Mit spitzer Stahlnadel, 1 bis 3 mm stark, durch¬ 
dringt er dann die Dura und aspiriert mit der Spritze. Anwendungsgebiete: 
1. Bei Hämatomen. Er hat nach Entleerung von alten und frischen Blutergüssen 
wiederholt prompte Besserungen gesehen, gelegentlich lebensrettend gewirkt. 
Wichtig sind auch die negativen Fälle, bei denen durch Punktion eine subdurale 
Blutung ausgeschlossen werden konnte. — 2. Bei Cysten. Auch bei diesen hatte 
gelegentlich schon die Punktion heilende Wirkung oder sie machte sie der Ope¬ 
ration zugänglich. — 3. Bei Tumoren tritt der diagnostische Wert der Punktion 
besonders hervor, wenn eine mikroskopische Untersuchung des hervorgeförderten 
Gewebsmateriales ausführbar ist. Pfeifer in Halle hat hier besonders Erfolge 
zu verzeichnen. Er konnte Tiefe, Ausdehnung, Malignität, Erweichung usw. fest¬ 
stellen, die mikroskopische Diagnose teils am frischen, teils am gehärteten Präpa¬ 
rate ausführen und so die explorative Freilegung der Hemisphären überflüssig 
machen. — 4. Sehr wichtig bei Abscessen; die Gefahr der Infektion gesunder 
Gehirnteile kommt bei dem Verfahren so gut wie nicht in Betracht. Nach der 
Diagnose des Abscesses soll wegen der Gefahr plötzlichen Himtodes immer mög¬ 
lichst sofort operiert werden. Der negative Ausfall der Punktion bei zweifel¬ 
haften Fällen ist auch hier oft von größtem Werte. — 5. Ventrikelpunktion als 


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Ergänzung der Lumbalpunktion zur Feststellung dee Hydrooephalus: Findet man 
Liquor in weniger als 3 cm Tiefe, so ist letzterer anzunehmen. Die Ventrikel* 
punktion ist hierbei ein durchaus ungefährlicher Eingriff und wirkt sehr erleieh* 
ternd auf die Drucksymptome, ist auch wiederholt im selben Falle ausführbar. 
Nach Anführung einer Anzahl charakteristischer Fälle, unter denen auch die 
Heilung einer Meningitis serosa nach vergeblicher Lumbalpunktion hervorgehoben 
sei, führt Vortr. an, daß die Nebenwirkungen geringfügig sind und daß bei 
heilbaren Patienten noch nie Schaden angerichtet wurde. Er selbst hat nur 
zweimal bei hoffnungslosen Patienten (großen Tumoren) schweren Kollaps, baw. 
Tod infolge Punktion erlebt. 

2. Herr F. Krause (Berlin): Ohirurgiaohe Therapie der Gehirnkrankheiten 
mit Ausschluß der Geschwülste. Unter Fortsetzung seines vorjährigen Vor¬ 
trages auf der Stuttgarter Naturforscherversammlung behandelt Vortr. zuerst die 
Epilepsie, und zwar in Form der Jackson sehen. Diese ist entweder trauma¬ 
tischer Natur und in diesem Falle oft günstiges Objekt der Operation, oder Reflex- 
epilepsie, die von irgend einer Körperstelle her ausgelöst werden kann. Hier 
werden namentlich Narben, welche mit der Knochenhaut oder den Nerven ver¬ 
wachsen und stark druckempfindlich sind, zur Operation auffordern. In der dritten 
wichtigen Reihe von Fällen handelt es sich um Jackson sehe Epilepsie im An¬ 
schluß an cerebrale Kinderlähmung. Bei einem 15jährigen Mädchen fand sich in 
dem primär an den Krämpfen beteiligten Armcentrum dicht unter der Hirnrinde 
eine große encephalitische Cyste, nach deren Beseitigung schwere Epilepsie heilte 
und die verblödete Kranke wieder zu einem normalen Menschen wurde. Weiter 
können porencephalische Cysten angeborener oder sekundärer Natur die Ursache 
einer Epilepsie bilden, auch solche Fälle sind vom Vortr. mit Erfolg operiert 
worden. Bei narbigen Veränderungen der Gehirnoberfläcbe verspricht die Ope¬ 
ration keinen Erfolg, wohl aber dann, wenn die Narben sich auf die Hirnhäute 
beschränken, während das Gehirn sioh anatomisch normal verhält. Die letzte 
Gruppe umfaßt jene Form der Jacksonschen Epilepsie, wo sich bei der Operation 
keine oder keine wesentlichen Abnormitäten am Gehirn und an seinen Häuten finden. 
In diesen Fällen führt Vortr. die Exzision des primär krampfenden Himcentrums 
aus bis zur weißen Substanz, nachdem er es durch elektrische Reizung genau lokali¬ 
siert hat. Die zunächst nach diesem Eingriff eintretenden Lähmungen und sen¬ 
siblen Störungen gehen wieder zurück. Die herausgeschnittene Knochenplatte 
läßt er wieder fest und knöchern einheilen im Gegensatz zu Kocher, ohne daß 
dadurch der Dauererfolg der Operation beeinträchtigt wird. Daß allerdings während 
dee epileptischen Anfalles der intrakranielle Druck sehr hoch steigt, demonstriert 
Vortr. an einer Reihe von Bildern, die das Verhalten des Gehirns in während 
der Operation beobachteten epileptischen Anfällen wiedergeben. Dabei wölbt sich 
das Gehirn wie eine stark gespannte Blase aus der Trepanationsöffnung hervor 
und nimmt eine violette bis dunkelblaue Färbung an. Vortr. bespricht weiter die 
Ergebnisse, die er bei der einpoligen faradischen Reizung der Rinde bekommen 
hat und demonstriert die bei 18 Menschen festgestellten Herde der verschiedenen 
Körpermuskeln. Sie liegen sämtlich in der vorderen Centralwindung. Von 
weiteren Hirnerkrankungen demonstriert Vortr. Fälle von Fremdkörperverletzungen, 
Hirnabscessen, Nekrosen des Schädeldaches, und geht zum Schluß auf Beobach¬ 
tungen ein, in denen die Erscheinungen auf eine solide Geschwulstbildung in der 
hinteren Schädelgrube hinwiesen, die Operation aber meningitische Cysten ergab. 
Schließlich erwähnt er noch eine bestimmte Form des Hydrooephalus internus, die 
hauptsächlich den 4. Ventrikel betrifft und zu einer Punktion desselben Anlaß 
geben kann. Selbst die Eröffnung des 4. Ventrikels würde Vortr. event. zur Be¬ 
seitigung eines Cysticercus in demselben für technisch ausführbar halten. 

Diskussion: Herr Oppenheim macht ergänzende Mitteilungen zu dem Referat 

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des Herrn Krause und stellt einen Kranken als geheilt vor, bei dem die Sym¬ 
ptome eines Tumor oerebelli durch zwei Cysten im Kleinhirn bedingt waren, die 
auf operativem Wege entleert wurden. 

Herr Auerbach (Frankfurt) rät zur Vorsioht bei Punktion der hinteren Schädel- 
grübe, da durch die nicht seltenen Verdrängungen und Verlagerungen lebenswichtige 
Stellen (Rautengrube) unter Umständen verletzt werden könnten. Er hält über* 
haupt das Neissersohe Verfahren für keinen ganz harmlosen Eingriff. Kleine 
Knochensplitter sind gelegentlich bei der Bohrung in das Gehirn hineingedrückt 
worden. Die Chirurgen stehen dem Verfahren ebenfalls nicht günstig gegenüber 
und ziehen die breite Eröffnung vor. ln Frankfurt pflegen die Chirurgen unter 
lokaler Anästhesie erst eine kleine Inzision zu machen und dann mit der Doyen* 
sehen Fräse eine kleine 0,5 cm grofle Trepanationsöffnung zu machen. Von dieser 
aus kann man nach verschiedenen Richtungen hin punktieren, schließt die Ver¬ 
unreinigung durch Knochenspäne aus und entgeht leichter der Gefahr, ein 
größeres Duralgefäß anzustechen. Weiter kann man dabei sehen, ob die Dura 
pulsiert, kann Nadeln mit weiterem Lumen anwenden und besser Gewebspartikelohen 
aspirieren, ist an der Auffindung der Punktionsöffhung besonders am Hinterkopf 
nicht durch sich kontrahierendes Muskelgewebe behindert und kann den Wider¬ 
stand der Gewebe gegen die Nadel besser bemessen. Die Schädelöffnung kann 
dabei mit der durch Hand getriebenen Fräse angelegt werden. Diese Vorzüge 
wiegen den Nachteil einer etwas größeren Schädellücke auf. — Die Wiederaufnahme 
der Rindenexzision bei Jacksonscher Epilepsie hält er für ein großes Verdienst 
des Herrn Krause. Die scharfe Trennung zwischen Jacksonscher und genuiner 
Epilepsie möchte er nicht aufrechterhalten, auch bei der letzteren kann ein ope* 
rativer Eingriff um so eher ins Auge gefaßt werden, je mehr Halbseitenerscheinungen 
sich nachweisen lassen und je bestimmter die Anamnese für die Einwirkung einer 
erheblichen Kopfverletzung oder eines früheren encephalitischen Prozesses spricht, 
oder die Anfälle zeitweise auf eine Körperhälfte beschränkt sind. Die außer¬ 
ordentliche anatomische Variabilität der Hirnwindungen und Furohen kann A. 
bestätigen, dieselben lassen die elektrische Bestimmung der Centren als die einzig 
zuverlässige Methode erscheinen. 

Herr Pfeifer (Halle): Durch die Neissersohen Punktionen sind im wesentlichen 
flüssige Substanzen festgestellt worden. Einmal gelang es ihm, einen im Centrum 
durchbluteten Tumor zu diagnostizieren. Er wendet für die Diagnose solider 
Tumoren eine etwas dickere und abgestumpfte Punktionsnadel an, am besten aus 
Platiniridium. Von fünf seiner zur Operation gekommenen Fälle sind drei als 
-vollkommen geheilt zu betrachten, in einem sind in letzterer Zeit wieder Druok- 
erscheinungen aufgetreten, der fünfte kam 5 Monate nach de% Operation zum 
Exitus, ln letzter Zeit hat er noch in zwei weiteren Fällen mittels Hirnpunktion 
eine genaue Lokaldiagnoee stellen können, die durch Operation bestätigt wurde. 

Herr Rothmann (Berlin) bestätigt nach seinen Erfahrungen an Affen, daß die 
vordere Centralwindung leichter faradisch erregbar ist. Die hintere wurde erregbar 
einige Monate nach Exstirpation der vorderen. Das elektrisch reizbare und das 
krampfauslösende Gebiet darf nicht ohne weiteres identifiziert werden, wie ja gerade 
die vielen Mißerfolge bei der Operation der Jacksonschen Epilepsie beweisen. Er 
warnt vor zu häufiger Reizung der Rinde, vor allem muß bei Auslösung eines 
Krampfanfalles die Reizung sofort abgebrochen werden, da es sonst zu Todes¬ 
fällen kommen kann. 

Herr Fischer hat in einem Falle bei einem 6jährigen Knaben 45 com Ven¬ 
trikelflüssigkeit entleert, was der Patient sehr gut vertrug. 

Herr Bruns (Hannover) nimmt an, daß in bezug auf die motorischen Centren 
und ihre Lage individuelle Unterschiede bestehen. Er sah mehrmals bei Reizungen 
dicht an der Medianfurche nur Arm- und Kopf bewegungen, so daß in diesem Falle die 

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Beincentren wohl im Paracentrallappen lagen. Klonische und tonische Zuckungen 
sind wohl nicht qualitativ verschieden, die tonischen sind aus einer großen Zahl 
klonischer zusammengesetzt, die bo rasch aufeinander folgen, daß eine Lokomotion 
der Gliedmaßen nicht Btattfinden kann. Erst bei Abnahme der Zuckungshäufig¬ 
keit wird dann der Krampf klonisch. 

Herr Redlich (Wien) glaubt ebenfalls, daß eine strenge Unterscheidung von 
Jackson scher und genuiner Epilepsie in bezug auf die Operabilität nicht getroffen 
werden kann, Belbst die Lähmung braucht mit Rücksicht auf die Tatsache, daß 
Erschöpfungslähmungen Vorkommen, nicht immer strenges Lokalzeichen zu sein. 
R. sah einen Fall von Jacksonscher Epilepsie mit Beginn in der linken Hand 
nach einfacher Trepanation ohne Exzision der Rinde heilen. 

Herr v. Monakow (Zürich) weist darauf hin, daß in bezug auf eine günstige 
Beeinflussung der Jacksonschen Epilepsie die Beinregion sich anders verhält als 
die Armregion. Er kennt einen Fall, in dem fast die ganze Beinregion abgetragen 
wurde, ohne jeden Einfluß auf die Jacksonschen Krämpfe, ja ohne daß eine 
erhebliche Parese des betreffenden Beines eingetreten wäre. Er schließt hieraus, 
daß die Vertretung der unteren Extremität nach etwas anderen Grundsätzen in 
der Rinde gestaltet ist, jedenfalls in diffuserer Weise als die der oberen. Er 
mahnt in bezug auf die Behandlung der Epilepsie durch Abtragung nicht mani¬ 
fest erkrankter Rindenfelder zur Vorsicht. 

Herr Oppenheim (Berlin) hat in einer großen Zahl von Fällen dieNeissersche 
Hirnpunktion auBführen lassen und kann bestätigen, daß sie uns in der Diagnostik 
größere Sicherheit zu geben vermag, namentlich kann die Entscheidung, ob der 
rechte Hinterhaupts- oder Schläfenlappen betroffen ist, recht schwierig sein und 
hierbei hat das Verfahren gute Dienste geleistet. Wenn irgend möglich, wurden 
die aspirierten Gewebsteile im gehärteten Präparate untersucht. Er erblickt in 
dem Verfahren einen Fortschritt, der nicht wieder fallen gelassen werden dürfte, 
doch darf seine Bedeutung nicht überschätzt werden und uns nicht veranlassen, 
im Dunkeln herumzutappen. Wir dürfen die Punktion vor allem nicht beliebig 
oft bei demselben Patienten ausführen, denn sie ist durchaus nicht irrelevant. 
0. hat den Eindruck gewonnen, daß sie, abgesehen von den etwaigen direkten 
Folgen, das Gehirn weniger widerstandsfähig gegen die nachfolgende Radikal¬ 
operation macht. Er hat in zwei Fällen den Tod nach dem ersten Akt der 
Trepanation eintreten sehen, wo er nach den übrigen Verhältnissen nicht zu er¬ 
warten gewesen wäre, ln dem einen fanden sich große Blutungen im Hirnstamm, 
die zwar nicht direkt durch die Punktion hervorgerufen waren, für die er aber 
die vorausgegangenen Punktionen mit verantwortlich zu machen geneigt ist. 

Herr Neisaer (Schlusswort): Natürlich ist bei der Trepanation eine bessere 
Übersicht zu gewinnen, man kann sie aber nicht beliebig oft und dicht anwenden. 
Die Punktion soll kein chirurgisches Verfahren sein. Bei richtiger Anwendung und 
Indikation gehört sie in die Irren- und Nervenklinik, wo sie auch bisher die 
besten Erfolge gehabt hat. 

Herr Krause (Schlußwort) betont die unangenehmen Zufälle bei der Hirn¬ 
punktion, die er gesehen. Sie soll im Operationssaal ausgeführt werden, wo 
nötigenfalls Bofort die Trepanation angeschlossen werden kann. Herrn Rothmann 
stimmt er in allen Punkten zu, namentlich soll die Stromstärke zur Erregung der 
Hirnrinde so schwach wie möglich genommen und nur ganz allmählich verstärkt 
werden. Die Ausfallserscheinungen nach Exzision aus der vorderen Central¬ 
windung betreffen nicht nur die Motilität, sondern auch alle Qualitäten der Em¬ 
pfindung. Der 8tereognostische Sinn blieb bei der Wiederherstellung der Funk¬ 
tionen am längsten gestört. 

(Schluß folgt.) 


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70. Versammlung deutsoher Naturforscher und Ante ln Dresden 
vom 15. bis 21. September 1007. 

Abteilung für Neurologie und Psychiatrie. 

Referent: H. Haenel (Dresden). 

1. Herr Redlich (Wien): Über den Mangel der Selbstwahrnehmung 
des Defektes bei oerebml bedingter Blindheit. Vortr. führt einige Fälle aus 
der Literatur von Rieger, Wolff, Monakow, Dejerine und Anton an, die 
das gemeinsam hatten, daß sie seelenblind für ihre Blindheit waren, daß das 
Sehen vollständig aus dem übrigen Gehirnmechanismus ausgeschaltet war, daß 
aber andererseits subkortikale Erregungen der Sinnesbahnen gleichsam den Ausfall 
der bewußten Sinneswahrnehmungen verdeckten. Vortr. selbst hat drei Fälle zu 
beobachten Gelegenheit gehabt, die, ohne komplett dement oder verworren zu 
sein, kein Bewußtsein ihrer Blindheit hatten. Im ersten Falle wurde der Anschein 
einer mangelnden Selbstwahrnehmung vorgetäuscht, indem der Kranke sich für 
gewöhnlich der Blindheit nicht bewußt war, bei darauf gerichteter Aufmerksam¬ 
keit aber doch wahrnahm, daß er nicht sah. Die Obduktion ergab ein im basalen 
Anteile des Balkens aufsitzendes Gliom. Der Kranke hatte über gar nichts zu 
klagen, war nur allmählich darauf zu bringen, daß Beine Augen schlecht seien. 
Unmittelbar darauf hatte er aber diese Angabe wieder vergessen und behauptete, 
vollständig gesund zu sein. Zur Erklärung dieser Erscheinung ist in erster 
Linie auf eine schwere Störung der Merkfahigkeit hinzuweisen, weiter bestand 
eine allgemeine Apathie, ebenso eine unverkennbare Euphorie. Daneben bewirkte 
seine Demenz nnd Kritiklosigkeit, daß er des Gegensatzes zwischen seinen Äuße¬ 
rungen und der Wirklichkeit nicht inne wurde. Im zweiten Falle handelte es 
sich um einen Tumor in der Gegend der Brücke. Die Kranke war infolge Seh¬ 
nervenatrophie nach Stauungspapille völlig erblindet, auch sie wußte von ihrer 
Blindheit nichts, nahm dieselbe aber auch wirklich nicht wahr, war niemals zum 
Eingeständnis derselben zu bringen, ja behauptete positiv, zu sehen und beschrieb 
eine Menge Dinge, die sie zu sehen vermeinte. Die Gedächtnisstörung war hier 
nicht so ausgesprochen, daB optische Erinnerungsvermögen relativ gut erhalten, 
so daß die Kranke ihre neue Umgebung mit Reminiscenzen früherer Zeiten 
bevölkerte. Die zwei Fälle zeigen, daß der Mangel der Selbstwahrnehmung 
der Blindheit zustande kommen kann ohne grobe anatomische Schädigung der 
Sinnescentren und ihrer Bahnen dann, wenn die allgemeine psychische Leistungs¬ 
fähigkeit des Gehirns herabgesetzt ist und gewisse Funktionen im besonderen 
geschädigt sind. Ein dritter Fall betraf einen 74 jährigen Mann, der von zwei 
aufeinanderfolgenden Schlaganfällen getroffen wurde, die außer eigenartigen 
peripheren Störungen durch Summation einer links- und rechtsseitigen Hemi¬ 
anopsie Blindheit erzeugt hatten, ohne daß, wie gewöhnlich, die centralsten 
Anteile des Gesichtsfeldes erhalten geblieben wären. Auch dieser Kranke war 
sich seiner Blindheit für gewöhnlich durchaus nicht bewußt, ja lehnte die 
Zumutung, blind zu sein, entschieden ab. Er meinte, das Licht wäre nicht 
angezündet, die Lampe brenne schlecht oder ähnl. Er gibt unter Umständen eine 
ins einzelne gehende Schilderung von Personen oder Vorgängen, die er zu sehen 
vermeint, glaubt sich auch meistens in der früher gewohnten Umgebung und 
Beschäftigung, nur manchmal, wenn er sich im Krankenhaus weiß, gibt er auch 
zu, nichts zu sehen, ja sogar, blind zu sein, doch fehlt ihm auch dann der ent¬ 
sprechende Affekt, und eine der Korsakowschen ähnliche Gedächtnisschwäche 
läßt ihn diese Erkenntnis bald wieder vergessen. Dabei spielen Erinnerungs¬ 
täuschungen eine eigenartige Rolle. Ein Zündhölzchen, dessen Anzünden er hört, 
vermeint er zu sehen, eine Speise, die er durch den Geschmack erkennt, beschreibt 


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er, als wenn er sie sehe tuf. Spürt er die Wärme des Zündhölzehens nicht mehr 
so behauptet er, jetzt sei es verlöscht. Genaue Intelligenzprüfungen ergeben 
zwar Ausfälle, doch nicht derart intensive, um daB Verhalten des Kranken ein¬ 
fach mit Demenz zu erklären. Gleichsam das Gegenstück zu solchen Fällen bieten 
andere nicht allzuseltene, wo Kranke, denen ein Rest des Gesichtsfeldes zurück¬ 
geblieben ist, behaupten, blind zu sein. Vortr. schließt aus den geschilderten 
Fällen, daß man mit einer rein anatomischen Betrachtung dieselben nicht auf klären 
kann. Die Zerstörung gewisser Centren allein macht es uns nicht verständlich, 
daß der Kranke nicht merkt, daß ihm eine wichtige Sinnesbahn versperrt ist. 
Auch der Umstand, daß die Kranken doch bisweilen, wenn auch vorübergehend, 
sich des Defektes bewußt wurden, während die anatomischen Schädigungen doch 
gewiß die gleichen blieben, zeigt die Unzulänglichkeit anatomischer Erklärungs¬ 
versuche und weist auf die Notwendigkeit einer eingehenden psychologischen 
Analyse solcher Fälle hin. (Der Vortrag erscheint als Originalarbeit in der 
nächsten Nummer dieses Centralblattes.) 

Diskussion: Herr Heilbronner: Von den 3 Fällen des Vortr. scheinen H. 
zum mindesten die beiden ersten ohne Heranziehung der cerebralen Genese der 
Blindheit erklärbar. Kranke, deren Geisteszustand dem der beiden ersten ent¬ 
spricht (im wesentlichen wohl Korsakowsche Psychose), nehmen auch periphere 
Störungen (Lähmungen usw.) nicht wahr und lassen sich entsprechende Leistungen 
suggerieren. Die Antonschen Fälle scheinen ihm einer anderen Kategorie zu- 
zugehören. H. fragt nach der Erklärung der sehr merkwürdigen Erscheinung, 
daß die Kranken nicht nur die Funktionsstörung übersehen, sondern auch durch 
die soziale Behinderung nicht geBtört werden, auch in den Fällen nicht, in denen 
die Einsichtslosigkeit durch allgemeine psychische Störungen nioht erklärt wird. 

Herr Meyer (Königsberg) hat ähnlioh wie Heilbronner den Eindruck gehabt, 
daß die dem Defekt zugrunde liegenden psychischen Störungen dem Korsakow- 
schen Symptomenkomplex angehören. Bemerkenswert bleibt es, daß in Redlichs 
Fällen rein psychische Störungen das gleiche äußerliche Bild hervorriefen, wie 
greifbare cerebrale Herde. Er macht darauf aufmerksam, daß auch blinde 
Paralytiker besonders dann der Wahrnehmung der Blindheit entbehren, wenn 
sie starke Neigung zum Fabulieren haben. 

Herr Saenger fragt nach dem Verhalten der Pupillen und nach optischen 
Reizerscheinungen bei den Patienten. Er schließt sich in der Deutung Heil¬ 
bronner an. Auch Tabiker mit Opticusatrophie halten sich manchmal nicht für 
blind, wenn sie von heftigen subjektiven Liohtempfindungen heimgesucht werden. 

Herr Anton: In den vorgetragenen Fällen ist die Frage nach Verlust der 
optischen Phantasie zu erörtern. Für den Verlust der Selbstwahrnehmung kommt 
wohl auch der elektive Ausfall der Aufmerksamkeit und des Sohlußvermögens in 
bezug auf das ausgefallene Sinnessystem in Betracht. 

HerrHaenel: Daß auch bei peripherer Entstehung eines optischen Defektes 
dieser unbemerkt bleibend, bzw. falsch gedeutet werden kann, habe ich an mir 
selbst erfahren, als ich vor einiger Zeit durch Schneeblendung rotgrüu-blind 
wurde. Ich suchte 2 Tage lang die Veränderung in den umgebenden Objekten 
und nicht in mir selbst. Auch Redlichs Kranken scheint ja der Defekt nioht 
völlig unbewußt geblieben zu sein, sie waren nur nicht imstande, die richtige 
Deutung zu finden oder zu behalten. 

Herr Niessl schließt sich den Worten Heilbronners und Saengers an. 
Nur bei Geisteskranken unterbleibt die Selbstwahrnehmung von Herdwirkungen, 
besonders häufig bei der polyneuritischen Psychose. Bei doppelseitigen Er¬ 
weichungen im Hinterhauptlappen findet sich die Selbstwahrnehmung stetB erhalten. 
Der Mangel an Selbstwahrnehmung kann nicht auf der Herderkrankung, sondern 
nur auf den allgemeinen Störungen der Großhirnfunktion beruhen. 

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Herr Sträussler geht auf die Eigenart einiger vom Vortr. in seinen Fällen 
erwähnter Sensibilitätestörungen ein. 

Herr Redlich (Schlußwort) wiederholt, daß besonders im zweiten Falle 
gerade der Umstand dsus Wesentliche ist und eine besondere Erklärung erforderte, 
daß die Kranken ihre Blindheit nicht nur nicht wahrnahmen, sondern auch durch 
die Umstände nicht zum Bewußtsein derselben zu bringen waren, d. h. zu sehen 
behaupteten. Die Pupillenreaktion fehlte in den ersten 2 Fällen, war im 3. Fall 
träge; ob die Kranken grau oder schwarz sahen, ist nicht zu eruieren. Reiz¬ 
erscheinungen fehlten. Gegenüber Anton bemerkt er, daß seinen Kranken das 
optische Erinnerungsvermögen nicht fehlte, zum Teil sogar sehr gut erhalten 
war. Daß die Schlußbildung gestört war, hat er schon betont. 

2. Herr Mattauschek (Wien): Über einige Rassenelgentümliehkeiten 
der Wehrpflichtigen Bosniens und der Herzegowina. Vortr. hat seit Jahren 
die bosnisch-herzegowinischen Soldaten in neurologisch-psychiatrischer Richtung 
untersucht. Nach einigen ethnographischen Bemerkungen, die zeigen, daß das 
schöne und kräftige Aussehen dieses Menschenschlages mit einer geringen Wider¬ 
stands* und Leistungsfähigkeit kontrastiert, führt er aus, daß speziell für Hysterie 
und Epilepsie den Bosniaken eine ungewöhnlich hohe Disposition zukommt Be¬ 
sonders auffallend sind sowohl vorübergehende als auch dauernde und schwere 
hysterische Symptomkomplexe bei verschiedenen Organerkrankungen, so daß es 
bei Rekruten manchmal zu wirklichen hysterischen Epidemien kommt. Im 
Gegensatz dazu steht die relativ geringe Zahl der beobachteten Geisteskrank¬ 
heiten (4 °/ 0 gegen 8 °/ 0 bei den übrigen Truppen), ebenso die sehr niedrige Zahl 
der Selbstmorde bei den bosnisch-herzegowinischen Soldaten (0,2 °/ 0 gegen 1 °/ 0 bei 
den übrigen Truppen). Die Kriminalität stellt sich ähnlich günstig, es kamen 
in den letzten 5 Jahren beim Garnisonsgerichte in Wien unter 3139 Personen 
nur 108 Bosniaken zur Aburteilung, darunter nur 35 mit EigentumBvergehen. 
Der Grund für die offenkundig erhöhte Disposition zur Epilepsie und Hysterie 
ist wohl in der niederen Rasse, Heredität, Lues und Tuberkulose, verschärft 
durch die geringe Blutmischung innerhalb des kleinen Volksstammes, zu suchen. 
Vortr. hat deshalb auch 400 bosnische Soldaten auf Degenerationszeichen unter¬ 
sucht und fand bei diesen in 16,5°/ 0 das Zusammentreffen von drei oder mehreren 
sicheren Degenerationszeichen, speziell 7 °/ 0 Linkshändigkeit und 9 °/ 0 Asymmetrie 
der Gesichtsinnervation. Bei einem entsprechend großen Kontrollmateriale fanden 
sich nur 8 °/ 0 Individuen mit drei oder mehr Degenerationszeichen und nur 9 °/ 0 
Fazialisdifferenzen. Zum Schluß spricht Vortr. seine Überzeugung dahin aus, 
daß bei dem bosnisch-herzegowinischen Volke auf Grund der besonderen ethno¬ 
logischen und sozialen Entwicklung und der zahlreichen pathogenen Momente die 
Entartung größere Fortschritte gemacht hat, als durch den Effekt einer kaum 
20 Jahre lang wirkenden Zivilisation erklärt werden könnte. 

Diskussion: Herr Meyer fragt an, wie es sich mit einer Angabe der Literatur 
verhält, nach welcher auffallend wenig psychisch-nervöse Störungen nach Trauma in 
Bosnien Vorkommen. 

Herr Fischer erinnert daran, daß bei der bosnischen Bevölkerung trotz 
stark verbreiteter Syphilis die progressive Paralyse sehr Belten ist. Da Herr 
Mattauschek erwiesen hat, daß in der Bevölkerung eine starke nervöse Degene¬ 
ration vorhanden ist, dürfte diese Mitteilung auch für unsere Kenntnisse über die 
Ätiologie der Paralyse von Wichtigkeit sein. 

Herr Sohüller fragt an, ob sich unter den Degenerationszeichen auch eine 
abnorme Kleinheit des Genitales häufiger gefunden habe. 

Herr Mattauschek (Schlußwort): Bezüglich der Anfrage des Herrn Meyer: 
Es mag der Unterschied darin liegen, ob die Individuen in der Heimat und unter 

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gewohnten Lebensverhältnissen von Traumen getroffen werden oder bei den er¬ 
höhten Anforderungen, die in der Fremde an sie gestellt werden. Bezüglich der 
Anfrage des Herrn Schüller: Die Zahl der konstatierten Hypoplasien des Geni¬ 
tales war selbstverständlich klein, da es sich um diensttaugliche Soldaten handelte. 

3. Herr Rothmann (Berlin): Zur Funktion der hinteren VierhügeL 
Über die Bedeutung der hinteren Vierhügel waren bisher weder die anatomischen 
noch auch die physiologischen Untersuchungen zu einer Übereinstimmung gelangt. 
Die Versuche des Vortr. wurden an Hunden derart angestellt, daß durch Frei¬ 
legen und vorsichtiges Hochheben der Hinterhauptlappen der hintere Vierhügel 
sichtbar gemacht und durch Spalten des Tentoriums freigelegt wurde. Sowohl 
einseitige wie doppelseitige Zerstörungen wurden vorgenommen. Die einseitige 
war ohne jede Wirkung, auch das Hörvermögen zeigte keine Störung entsprechend 
der partiellen Kreuzung der Hörbahn. Nach doppelseitiger Zerstörung waren 
die Tiere anfangs völlig taub, lagen in den ersten Tagen zusammengekauert in 
einer Art Dämmerzustand, ähnlich wie großhirnlose Hunde. Motilität und Sensi¬ 
bilität waren ungestört, Ohrbewegungen und Stimmäußerungen fehlten dagegen 
vollkommen. Auch in den nächsten Monaten wurde bei den gewöhnlichen Hör¬ 
prüfungen keine wesentlidhe Wiederherstellung des Hörvermögens nachgewiesen. 
Anders bei Prüfung mit der von Kali sc her ausgebildeten Methode, die sich 
auf die Dressur auf einen bestimmten Ton stützt und die eine außerordentlich 
scharfe Prüfungs- und Einübungsmethode des Gehörsinnes darstellt. Es wurden 
teils operierte Hunde dieser Dressur unterzogen, teils vorher dressierte Hunde 
der hinteren Vierhügel beraubt. Es ließ sich feststellen, daß auch den operierten 
Hunden nach einiger Zeit eine Tonwahrnehmung und eine allerdings unsichere 
Tonunterscheidung wieder zur Verfügung stand. Doch erlangte die Tonunter- 
Bcheidung niemals die Sicherheit der normalen Hunde. Nach Zerstörung der 
Corpora geniculata med. erwiesen sich alle Dressurversuche auf Tonwahrnehmung 
als vergeblich. Diese Hunde blieben so gut wie völlig taub, eine Bestätigung 
der anatomischen Ergebnisse von Monakows. Die anatomische Untersuchung 
der operierten Gehirne ergab, daß vom hinteren Vierhügel direkt keine Bahnen, 
weder auf-, noch absteigend zu verfolgen sind, auch nicht im Arm des hinteren 
Vierhügels. Hiernach stellt der hintere Vierhügel einen Nebenschluß der zur 
Hirnrinde heraufziehenden Hörleitung dar, ohne dessen Funktion normalerweise 
keine Gehörsempfindung zustande kommt. Doch kann die direkte Bahn, die über 
die Kerne der lateralen Schleife zum Corpus geniculatum med. zieht, die Leitung 
der Hörreize unter Umständen übernehmen. Letzteres ist also das subkortikale 
Centrum des Gehörsinnes. 

Diskussion: Herr v. Monakow erblickt in den Befunden des Vortr. eine 
wertvolle Bereicherung unserer Kenntnisse über die Bubkortikalen Hörcentren. 
Die anfänglichen schweren Gleichgewichtsstörungen nach Abtragung der hinteren 
Vierhügel sind wohl auf eine temporäre Beeinflussung (Diaschisis) von Labyrinth¬ 
fasern zu beziehen. Die geringe sekundäre Schädigung des sog. Arms des hinteren 
Zweihügels kann auch M. auf Grund eigener Erfahrungen bestätigen. 

Herr Kohn stamm: Der Vortr. schließt aus seinen Befunden, daß der Nucleus 
intratrigeminalis des hinteren Vierhügels Neurone entsendet, die nur bis zur 
Oblongata gehen. Dies stimmt mit K.’s Befunden gut überein. 

Herr Mingazzini erinnert an Versuche von Sgobbo, der ähnliche Opera¬ 
tionen an Kaninchen ausgeführt hat, mit dem Erfolg, daß nach Läsion der hinteren 
Vierhügel Taubheit und Parese der Ohrmuschel eintrat. 

Herr Rothmann (Schlußwort) glaubt nicht an eine Diaschisiswirkung bei 
seinen Ergebnissen. Herrn Mingazzini gegenüber betont er, daß die Bedeutung 
seiner Versuche im Operieren bei einem so hochstehenden Säugetiere wie dem 

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Hönde liegt und in dem genauen Nachweis der allerdings unvollkommenen Wieder* 
herstellung des Hörvermögens. 

4. Herr Cnrschmann (Mainz): Über spastischen Tortloollis bei Laby- 
rintherkr ankun gen . Das Hypothetische, das der inneren Ätiologie der scheinbar 
funktionellen Torticollisformen anhaftet, steht in geradem Verhältnis zur häufigen 
Machtlosigkeit der Therapie. Die rein hysterische Grundlage ist unwahrscheinlich, 
dementsprechend die Suggestivbehandlung meist erfolglos. Man muß demnach 
versuchen, organische Ursachen zu finden, im Dienste einer zweckmäßigen Therapie. 
Eine derartige organische Ursache scheinen mir Labyrintherkrankungen darzustellen. 
Fall I: Seit über 10 Jahren Otitis media und interna, dann Men iö re sehe Symptome. 
Diese führten, da Patient bemerkte, daß der Schwindel bei Hechtsdrehung und 
Senkung des Kopfes aufhörte, zu einer Schiefhaltung. Diese ging im Laufe der 
letzten 2 Jahre in einen starren spastischen Torticollis über. Wenn Meniöresohe 
Anfalle den Schwindel vermehrten, so überkorrigierte Patient diese Haltung noch 
durch Torquierung des ganzen Körpers. Objektiv zeigte Patient einen dauernden 
spastischen Torticollis nach rechts. Bewegungen des Kopfes um alle Achsen bis 
auf die Sagittale nach rechts frei. Bei Forcierung der Bewegung um die Sagittal- 
achse nach rechts erfolgt regelmäßig enorme Zunahme des Karussellschwindels 
und des Nystagmus. Bei allen Körperhaltungen wurde das Verhältnis der Kopf¬ 
haltung zur Sagittalachse ängstlich beibehalten. Eis besteht typische chronische 
Labyrintherkrankung. Gehör für tiefe Töne aufgehoben. Auf Chininbehandlung 
erfolgte zuerst Besserung der Menidreschen Störungen und dann allmähliche 
völlige Heilung des Torticollis. Die labyrinthäre Entstehung des spastischen 
Torticollis scheint, obwohl bisher in der Literatur noch nicht erwähnt, nicht 
ganz selten zu sein. Vortr. hat seit 1906 noch zwei ähnliche Fälle beobachtet, 
die beide ebenso auf Chinin reagierten. Er fordert hei der Hoffnungslosigkeit 
so vieler Torticollisfälle auf, stets nach Labyrinthstörungen zu Buchen. 

Diskussion: Herr v. Frankl-Hochwart glaubt, daß die Fälle des Vortr. doch 
eine Parität darstellen müßten, da er unter seinen ca. 300 Fällen noch keinen 
solchen gesehen habe. Er wendet sich gegen die Chinintherapie, weil das Mittel 
nach seinen Erfahrungen wenig nützt, aber für das Hörvermögen sehr schädlich 
ist. Der Menidresche Schwindel heilt in den meisten Fällen nach Jahren auch 
ohne Behandlung. Die besten Behandlungsmethoden sind noch Brom-, Jodpräparate, 
Galvanisation, Höhenluft. 

Herr Rothmann: Bei einer Frau in mittleren Jahren trat plötzlich ein 
heftiger klonischer Krampf im linken Cucullaris und Sternocleidomastoideus auf. 
Nach erfolgloser medikamentöser Behandlung ergab die Untersuchung des durchaus 
nicht empfindlichen Ohres einen abgestorbenen kleinen Käfer im äußeren Gehör¬ 
gang. Entfernung desselben bewirkte promptes Aufhören des Akzessoriuskrampfes, 
der also mit der Sicherheit eines Experimentes eine Folge der Ohrreizung war. 

HerrSaenger hat entgegen v.Frankl-Hochwart doch vom Chinin nach ver¬ 
geblicher Anwendung vieler anderer Mittel so gute Wirkungen gesehen, daß die 
Patienten ihrem Beruf wieder nachgehen konnten, ohne daß irgend ein Schaden 
dabei nachweisbar gewesen wäre. Doch sollte immerhin die Chininbehandlung 
erst dann angewendet werden, wenn andere Heilversuche keinen Erfolg haben. 

Herr Curschmann (Schlußwort): Auch die Ohrenärzte haben die vorsichtige 
Chininbehandlung hei Labyrinthstörungen noch nicht verlassen, besonders ist sie 
angezeigt, wenn die Vertaubung schon weiter vorgeschritten ist. Die Labyrinth¬ 
störungen sind in seinen Fällen auch nur die periphere Ursache gewesen. Eine 
Anlage zur Krampfdiathese muß dazukommen, sonst würde das geschilderte Zu¬ 
sammentreffen viel häufiger sein. 

5. Herr Trömner (Hamburg): Indikationen der Hypnotherapie. Vortr. 


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hat bei etwa einem Drittel seiner poliklinischen und Privatpatienten die Hypnose 
angewendet. Je tiefer dieselbe gelang, um so besser waren die Resultate. Er 
hat von organischen Erkrankungen multiple Sklerose, Myelitis, Paralysis agitans 
und Tabes hypnotisch behandelt. Nur bei Tabes hatte er mehrfach überraschende 
Erfolge, so schwanden bei einer 37jährigen, seit 4 Jahren kranken Frau schon 
nach der ersten Hypnose fast völlig die lancinierenden Schmerzen, die auch bei 
Rückfällen wieder auf Hypnose reagierten. In einem anderen Falle wurden 
durch Hypnose heftige gastrische Krisen zum Aufhören gebracht. In einem 
dritten besserte lediglich hypnotische Suggestion die Ataxie derartig, daß der 
Patient seinen Dienst als Maschinist wieder aufnehmen konnte. Alle diese Falle 
schliefen amnestisch. Von Motilitätsneurosen wurden Tic, Schreibkrampf, Stottern, 
Chorea behandelt. Speziell hat er von 20 Stotterern vier geheilt, 14 gebessert, 
zwei nicht beeinflußt. Unter den günstigen Erfolgen waren auch mehrfach solche, 
die vorher vergeblich Übungsbehandlung durchgemacht hatten. Die Dauerhaftig- 
keit der hypnotischen Erfolge schien größer als die der übungstherapeutischen. 
Oft ist eine Kombination beider Methoden zweckmäßig. Die beste Prognose bei 
Hypnotherapie geben solche Fälle, wo infolge von Angst und Oppressionsgef üblen 
gestottert wird. Leichtere Fälle von Chorea sind hypnose- und besserungsfähig. 
Von den sensiblen Neurosen waren besonders auffallend die Erfolge bei reiner 
Trigeminus-Neuralgie. Vortr. schildert kurz drei überraschend prompt beein¬ 
flußte, jahrelang vergeblich behandelte Fälle und stellt die Forderung auf, daß 
jeder Fall von Trigeminus*Neuralgie, bevor er dem Operateur zugewiesen wird, 
einer hypnotischen Behandlung unterzogen werden soll. Neurasthenisohe Kopf¬ 
sohmerzen reagierten in der Regel sehr leicht, von pathologischen Gewohnheiten 
wurden erfolgreich Nägelkauen, Masturbation, Lügen und Stehlen behandelt. 
Ferner alle Arten von Schlafstörungen. Erfolge sah er weiter bei Migräne, 
Epilepsie, Hypochondrie, vor allem auch bei Enuresis nocturna und diurna. 
Zum Schluß empfiehlt er die Hypnotherapie als unbedingt günstig in folgender 
Reihenfolge: Trigeminus-Neuralgie, Enuresis, pathologische Gewohnheiten, Schlaf¬ 
störungen, tabische Schmerzen, Stottern, Kopfschmerz, Migräne, Asthma, Angst¬ 
neurosen, Verstopfung. 

Diskussion: Herr Curt Sohmidt: Hypnose ist nur ein kleiner Teil der 
Suggestivbehandlung, die wir erstens in der Form der Wachsuggestion, zweitens 
der verkappten Suggestion, drittens der Hypnose ausführen können. Schwierig 
ist der Nachweis, daß eine Krankheit oder ein Symptom psychisch bedingt ist 
Durch Aufzählung einzelner Krankheitsformen kommen wir bei der Indikations¬ 
stellung für die Hypnose nicht weiter, sondern nur durch die Betonung der 
psychischen Ätiologie und des Nichterfolges der Wachsuggestion. 

Herr Kohnstamm weist auf den Unterschied hin, der zwischen psychisch ent¬ 
standenen und psychisch beeinflußbaren Krankheitserscheinungen besteht. Beispiel 
vor allem: hypnotische Beeinflußbarkeit der Menstruationsstörungen. 

6. Herr Stadelmann (Dresden): Erlebnis und Psychose. Das Ver¬ 
hältnis des Erlebnisses zur Psychose kann festgestellt werden, wenn man den 
Menschen bezüglich seines Verhaltens der Außenwelt gegenüber als Einheit auffaßt 
Die Reaktion, die das Ereignis auf die seelische Anlage ausübt, ist Gefühl und 
Stimmung. Nach der Art, wie jeweils bei einem Menschen das Ereignis zum 
Erlebnis wird, und wie er die Folgen dieses Erlebnisses wieder ausgleicht, lassen 
sich Typen der menschlichen Anlage aufstellen. Die in Frage kommenden Vor¬ 
gänge sind dabei bei gesund veranlagten Menschen im wesentlichen die gleichen 
wie bei einem krankreranlagten. Der Unterschied ist nur ein quantitativer be¬ 
züglich der Möglichkeiten, die Ereignisse zu erleben. Da die psychotischen 
Symptome alle analoge Vorgänge im gesunden Seelenleben haben, kann man auch 
Typen von psychotisch veranlagten Menschen auffinden. Das Ereignis macht nicht 

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die Psychose, aber ee ist eine Notwendigkeit, daß es zur Anlage hinzukommt, 
wenn jene entstehen soll. Es ist ein Beagens auf die Anlage. Das Erlebnis 
bringt die beim Veranlagten von Anfang an schlummernde Psychose an den Tag. 
Als Beispiel sei das Erlebnis der Enttäuschung angeführt Der Enttäuschte ist 
zuerst ratlos, daraufhin stellt sich eine traurige Stimmung ein über den Verlust 
eines Wertes. Dann lacht er darüber, daß er sich täuschen lassen konnte, dieser 
heiteren Stimmung folgt Gleichgültigkeit. Denkt man sich diese Vorgänge ins 
Übergroße verzerrt, bo sind die vier seelischen Stadien der Katatonie gegeben: 
Verwirrtheit, Melancholie, Manie, Blödheit. Um die Schicksale der Menschen za 
verstehen, bedürfen wir einer biologisch-psychologischen Analyse des Erlebnisses. 

7. Herr Schaffer (Budapest): Über Saohssohe famili&r-amaurotisohe 
Idiotie. Nach kurzer Charakterisierung des klinischen Krankheitsbildes sohildert 
Vortr. das fast stets gleichartige histo - pathologische Bild: am Bielschowsky- 
sehen Fibrillenpräparate eine Schwellung des Zellkörpers und der Dendriten bei 
anverändertem Achsenzylinder. Der Zellkern wird randständig, die Dendriten 
erhalten eine oft enorme ballonformige Blähung. Durch die Schwellung werden 
die Maschenlücken des Innennetzes (Donaggio) aufgetrieben, der Prozeß enthüllt 
die Struktur dieses Netzes in deutlichster Weise Aus diesem Bilde geht hervor, 
daß die strukturlose Grundsubstanz, das Hyaloplasma, primär ergriffen ist, das 
fibrillo retikuläre Netz nur sekundär gelitten hat, ein Hinweis auf die vermutliche 
Natur der sogenannten Neurofibrillen. Bei dem exquisit endogenen Charakter 
des Leidens und dem Mangel jedweder Spur einer Entzündung im Zentralorgan 
ist es zweifellos höchst befremdend, daß nicht das fibrillo-retikuläre Gerüst die 
Stätte der primären Erkrankung abgibt, sondern das Hyaloplasma. Es deutet 
dies auf die spezifisch-nervöse Natur des strukturlosen Protoplasmas im Gegensatz 
zur nichtnervösen, anscheinend nur fixatorischen Bedeutung des fibrillo-retikulären 
Gerüstes. Sehr bezeichnend ist dabei das Erhaltenbleiben des Golgischen Außen¬ 
netzes, welcher Umstand ebenfalls gegen die Beizleiternatur des Innennetzes spricht. 

8. Herr Grabley (Woltersdorfer Schleuse): Die therapeutische Bedeutung 
der Luftbäder bei der Behandlung der Neurasthenie, Anämie und Chlorose. 
Nach einem kurzen historischen Überblick über die Licht-Luft-Therapie geht 
Vortr. auf die moderne wissenschaftliche Begründung dieser Behandlungsweise 
ein, die besonders durch Quincke, Winternitz u. a. ausgebildet worden ist. 
Die respiratorische Tätigkeit der Haut hat eine größere Bedeutung, als es nach 
ihrer relativ geringen Größe erscheinen könnte. Unsere Haut ist ein Schutz-, 
Sekretions- und Nervenorgan, das aber durch die unzweckmäßige dauernde Be¬ 
deckung in seiner normalen Betätigung gehemmt wird und schließlich entartet. 
Im Luftbade wirken auf die Haut einmal die atmosphärische Luft selbst mit 
ihren Temperatur- und Bewegungsreizen ein, ferner das Licht. Die Gefahr der Er¬ 
kältung ist weniger groß als in Wasserbädern von gleicher Temperatur. Nach 
Luftbädern steigt in der Begel die Körpertemperatur um einige Zehntel Grad. 
Das Licht hat eine intensive Wirkung auf den gesamten Zellstoffwechsel (Quincke). 
Vortr. hat Versuche bei Ghlorotischen und Anämischen gemacht, Blutkörperchen¬ 
zählungen und Hämoglobinbestimmungen ausgeführt und zwar in einer Beihe bei 
Luftbäderbehandlung, in einer anderen bei Behandlung mit Arsen-Eisen und 
warmen Vollbädern. Er fand, daß der Hämoglobingehalt und die Zahl der roten 
Blutkörperchen im Luftbade schneller als unter der Eisenbehandlung Zunahmen. 
Selbst wo Eisen versagte oder nicht vertragen wurde, war die Luft-Licht- 
Therapie noch von günstigem Einfluß. Beide Versuchsreihen standen unter gleicher 
Diät und gleichen Lebensbedingungen. Vortr. belegt die Ergebnisse mit genaueren 
Zahlen. Bei Neurasthenie hat er häufig infolge herabgesetzter Kohlensäureabgabe 
Fettansatz und Blässe beobachtet, und die Neubildung des Protoplasmas 
im Blute, den Muskeln und Nervenelementen war herabgesetzt. Auch auf 


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diese Störungen übte das Luftbad eine toniBierende Wirkung aus, und zwar 
in besonders schonender Weise. DaB Luftbad bereitet das schlecht reagierende 
Hautorgan gut auf die eigentliche Bäderbehandlung vor. Die kurze Dauer des 
Bades ( 1 / 4 oder 1 / 3 Stunde) genügt vollkommen, um bei einem an das Nacktsein 
nicht gewöhnten Körper die gewünschte Reaktion hervorzurufen. Vortr. schließt 
mit einer kurzen Schilderung der Technik des Luftbades. 

9. Herr Döllken (Leipzig): Die ersten Nervenbahnen im Großhirn. Durch 
Vorbehandlung von embryonalen und erwachsenen Gehirnen mit verschiedenen 
Reagenzien und folgender Einwirkung von Argentum nitricum werden ganz ver¬ 
schiedene Resultate bei der Reduktion erzielt. Vortr. hat nach den verschieden«! 
Methoden, besonders Ramon y Cajals mehr als 120 embryonale Gehirne der 
verschiedensten Stadien gefärbt, und betont die Notwendigkeit, einen schürfen 
Unterschied zwischen Faserfärbung und Fibrillenfärbung zu machen. Die erste 
Fibrillenbahn des Großhirns sah er bei einem menschlichen Embryo von 5 mm 
Durchmesser, sie ging vom lateralen Teil des Striatum zur Faserung des Hirn¬ 
schenkelfußes. Noch übersichtlicher war dieses System bei einem Meerschweinchen 
von 5 mm Durchmesser dargestellt. Die nächste Stufe waren Mausembryonen 
von 7 bis 8 mm Durchmesser. Vom Ganglion bulbi olfactorii laufen dicke 
Fibrillen als Längssystem der lateralen Riechrinde bis in die untere sphenoidale 
Rinde; in der Höhe der inneren Kapsel vermitteln quergestellte Zellen- mit kau¬ 
dalem Fibrillenkegel eine Verbindung mit dem Fuß. Die Stria thalami wird 
sichtbar. Beim Embryo von 11 mm Durchmesser lassen sich vier basale Systeme 
zum Fuß unterscheiden: 1. Das primäre System des Striatums, 2. ein direktes 
basales Bündel zwischen bulbuB und Fuß, 3. vom unteren vorderen Teil des 
Striatum, 4. vom ganzen mittleren und vorderen Teile des Striatums. Das ganze 
beteiligte Striatum ist jetzt von einem diohten Fibrillennetze bedeckt und gleich¬ 
zeitig erscheint das erste System des Thalamus, die Radiatio strio-thalamica 
Edingers. Sie entspringt von einem gut abgrenzbaren Kern, dicht unter dem 
Ganglion habenulae. Zahlreiche Fibrillenbündel laufen nach vorn und vereinigen 
sich zu einem vorderen Stiel des Thalamus, während die dorsalsten Teile des 
Striatums noch lange fibrillenfrei sind. Mit der Riechrinde bestehen bereits asso¬ 
ziative Verbindungen, nicht aber mit höher gelegenen Rindenabschnitten, die voll¬ 
kommen fibrillenfrei sind. Vom hinteren Teil des Striatums und der bedeckenden 
Riechrinde verläuft ein System nach der Richtung der späteren Commissura an¬ 
terior. Später gibt es ein Bündel zur vorderen Commissur, eins zur Ammons- 
commisBur, eins zum Thalamus. Bei einem Mausembryo von 12 mm ist außerdem 
der Tractus olfactorius ausgebildet, bei 13 mm sieht man Assoziationsfasern und 
Fibrillen, die im Bogen von der primären Riechrinde zum Striatum ziehen, diese 
selbst läßt vier scharf gesonderte Gentren erkennen. Erst nachdem die Ent¬ 
wicklung des Riechhirns und des Striatums diese hohe Stufe erreicht hat, wachsen 
die ersten spärlichen Fibrillen in der Zwischenhemisphärenrinde und im Ammons¬ 
horn aus. Bei Faserfärbung eines menschlichen Embryo von 28 mm sieht man 
einen ausgebildeten Stabkranz, der das Striatum durchläuft und Fasern zur ganzen 
Körperfühlssphäre der Rinde sendet. Das starke Auseinanderweichen der Fasern 
erklärt, weshalb Verletzungen der basalen Teile so wenig geschlossene Degenera¬ 
tionen ergeben. Es ist demnach zweifellos, daß die frühsten Nervenstrecken des 
Großhirns systemweise im Striatum und der Riechgegend sich entwickeln und 
daß die Projektionssysteme den Assoziationssystemen vorausgehen (Flechsige 
Gesetz). Weiter ergibt sich das wichtige Resultat, daß diejenigen Bahnen und 
Centren des Großhirns, welche in der Wirbeltierreihe die ersten sind, eben Riech¬ 
hirn und Streifenhügel (Edinger), auch in der Entwicklung des Säugetieres allen 
anderen Teilen des Großhirns vorauseilen. 

10. Herr Schröder (Breslau): Hirn rinden Veränderungen bei arterio- 

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sklerotisoher Demenz. Jeder kennt Fälle, die unter dem Bilde der arterio¬ 
sklerotischen Demenz verlaufen, ohne daß größere Herde die klinischen Symptome 
zu erklären vermöchten. Bei manchen solcher Fälle sind Atrophien bestimmter 
Windungsgebiete gefunden worden. Die Forschung drängt nach einem strengeren 
Unterschied zwischen Arteriosklerose und Senium. Außer den von Alzheimer 
zuerst genauer dargestellten Vorgängen lassen Bich bei einer Anzahl Fällen von 
arteriosklerotischer Demenz im Rindengrau Veränderungen nachweisen, die vor 
allem infolge ihrer oft großen Ausdehnung für das Verständnis der klinischen 
Symptome wichtig sein können. Sie lassen sich bei schwacher Vergrößerung im 
Nissl-Bilde gut erkennen. Eis fallen hierbei ziemlich scharf begrenzte helle Stellen 
in der Rinde auf, die die ganze Rindenbreite oder einen Teil derselben ein¬ 
nehmen. Ihre Form ist bald reohteckig, bald mehr rund oder oval, gelegentlich 
erstrecken sie sich über einen größeren Teil einer ganzen Windung, fließen oft 
unregelmäßig zusammen und geben dadurch der Rinde ein geflecktes Aussehen, 
stets sind sie streng auf das Rindengrau beschränkt. Auch bei diffusen Färbungen 
(van Gieson, Nigrosin) fallen sie als hellere Flecken auf. Schwerer sind sie an 
Markscheidenpräparaten zu finden. Sie lassen Bich definieren als eine fleckweise 
Lichtung des Rindengebietes, dieselbe ist in erster Linie dadurch bedingt, daß 
ein Teil der körnig erscheinenden normalen Grundsubstanz des nervösen Gewebes 
verloren gegangen ist. Dabei fehlen alle Wucherungserscheinungen der Glia, im 
Gegenteil findet man fast stets regressive Veränderungen an derselben. An den 
Gefäßen zeigen sich entweder gar keine Abweichungen oder nur geringe 
Schwellungen der Endothelien, keine Gefäßvermehrung oder entzündliche Er¬ 
scheinungen. Niemals fanden sich Körnchenzellen, bei Marohi-Präparaten keinerlei 
Schwärzung. Die Aufhellung auf dem Nissl-Präparate kommt dadurch zustande, 
daß die Nervenzellen an Zahl vermindert sind. Die noch vorhandenen sind ver¬ 
kleinert, blasser als normal mit tiefdunklem Kern und zeigen sogen. „Inkrustation 
der Golgi-Netze“ (Nissl). Bei Fibrillenfärbung nur diffuse mäßige Lichtung, keine 
Faserveränderungen, daneben allerdings in einem Fall mehr, im anderen weniger 
echte gliöse Narben als Endzustände von kleinen Erweichungen. Gelegentlich 
fanden sich auch Stellen, welche die Deutung von Übergangsformen zu Alzheimers 
unvollkommenen Erweichungen zuließen. Für die arteriosklerotische Natur der 
geschilderten Veränderungen spricht, daß die Sklerose der Gefäße stets aus¬ 
gesprochen war, daß daneben mehr oder minder zahlreiche Erweichungsherde vor¬ 
handen waren und in anderen Fällen die Veränderungen sich bisher nicht finden 
ließen. Gegen eine rein senile Rückbildung sprach die Tatsache, daß eiue Person 
erst 49 Jahre alt war. Bei den beschriebenen Veränderungen handelt es sich 
um multiplen, lokalen, partiellen Untergang des funktionierenden Gewebes im 
Rindengrau, wobei die bekannten groben Zerfallsprodukte fehlen, deshalb auch 
die der Aufräumung solcher Produkte dienenden reaktiven Veränderungen am 
Stützgewebe vermißt werden. Es handelt sich um eine einfache Rarefizierung 
des Gewebes. Cramer, ferner Hiyake haben bereits ähnliches gesehen. 

Diskussion: Herr Döllken hat bei lange dauernder Alkoholeinwirkung auf 
ganze Gehirne ähnliche Flecken von ähnlicher mikroskopischer Beschaffenheit ge¬ 
funden, welche Amyloidreaktion zeigten und als reine Kunstprodukte angesprochen 
werden mußten. Es ist wesentlich, ob Fixierung und Härtung rasch oder lang¬ 
sam vorgenommen worden ist. Er fragt, ob bestimmte Gegenden des Gehirns be¬ 
vorzugt waren. 

Herr Schröder: Schlußwort. 

11. Herr Steinhausen (Danzig): Zur Meohanik des Zitterns. Vortr. hat 
willkürliche physiologische Zitterbewegungen, ausgehend von den beim Spielen von 
Musikinstrumenten nötigen Bewegungen (Vibrato, Staccato des Geigenbogens) 
studiert. Eis gibt Menschen, die dazu mehr talentiert sind als andere. Diese 


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zeigten durchweg innerhalb physiologischer Grenzen erhöhte Sehnenreflexe. Die 
Übung wirkt auf das willkürliche Zittern derartig ein, daß nur der Rhythmus 
gleichmäßiger wird, die Frequenz bleibt unbeeinflußt. Diese ist individuell be¬ 
stimmt, und schwankt zwischen 5 und 12 in der Sekunde. Es handelt sich also 
um eine präformierte Anlage, welche mit der von Broca und Rieh et gefundenen 
phase refractaire bei elektrischer Reizung der Rinde im nahen Zusammenhang 
steht. Außerdem hängt die Frequenz noch von Faktoren ab, die in der Gelenk- 
und MuBkelmechanik zu suchen sind, so ist z. B. rasches rhythmisches Spreizen 
der Finger viel schwerer ausführbar, als Beugen oder Strecken der Hand, schwer 
wieder Ab- und Adduktion im Handgelenke. Sehr leichten Zitterns ist die 
Unterarmrollung fähig. Bekannt ist der Versuch des FußzitternB im Sitzen, der 
auf einem mechanisch besonders günstigen Mechanismus beruht, erlernbar ist das¬ 
selbe Fußzittern auch in Rückenlage. Der Kopf schwankt leicht um seine vertikale 
und frontale, schwer um seine Bagittale Achse. Mechanisch ungünstig verhalten 
Bich die einzelnen Finger. Sie nehmen auch an pathologischen Zitterbewegungen 
meist nur passiv teil. Die Frequenz wird von der Verteilung der Masse um die 
Drehungsachse herum bestimmt, d. h. von den Trägheitsmomenten. Die Masse 
eines Gliedes muß relativ groß und schwer sein, um in schwingende Bewegung 
gesetzt zu werden. Vermöge der Trägheit dauert die Exkursion länger als der 
kurze Muskelimpuls, die Masse schwingt, der Schwere überlassen, weiter. So 
erklären sich die Unterschiede der Frequenz an den verschiedenen Gelenksystemen 
rein mechanisch. Es ist ein Unterschied, ob das Glied frei oder um einen festen 
Stützpunkt rotiert. Die letzteren sind den klonischen Phänomenen ähnlich. Der 
Pseudoklonus kommt offenbar auf demselben Wege zustande wie das künstliche 
Zittern. Ist Jsei Gesunden eine Art Talent die Vorbedingung, so findet sich diese 
Disposition gesteigert wieder bei Hysterischen. Der Pseudoklonus bei diesen ist 
ein Kunstprodukt, während der echte Klonus ein rein reflektorischer, jedenfalls 
subkortikaler Vorgang ist. Allerdings gibt es Übergänge, der echte Klonus kann 
durch den Willen beeinflußt oder sistiert werden, der funktionelle wird durch 
zunehmende Bahnung mehr und mehr subkortikal und nähert sich dem reflekto¬ 
rischen Ablauf. Vortr. hat einen Fall beobachtet, der echten organischen Fuß- 
klonus am einen und unechten, funktionellen, eingeübten am anderen Fuß zeigte. 
Es handelte sich um eine vor 7 Monaten erlittene in Heilung befindliche Stich¬ 
verletzung des dritten Dorsalsegments mit Brown-Sequard und spastischen 
Phänomenen links. Zweifellos ist das Fußzittern simulierbar, wie alle übrigen 
Zitterphänomene, namentlich auf hysterischer Grundlage und bei dauernder Ein¬ 
übung. Die Unterscheidung kann schwierig werden, auch die Ablenkung der 
Aufmerksamkeit kann alB Unterscheidungsmerkmal versagen. Der sicherste Weg 
ist, es nicht erst zur Vervollkommnung durch die Übung kommen zu lassen. 

12. Herr Stern (Wien): Gegenwärtige Endziele aller bewußten Mensohen- 
arbeit. Vortr. entwickelt aus den Tatsachen der Muskelbewegung eine Reihe 
psychischer Äußerungen beim einzelnen Menschen und bei sozialen Gruppen. Die 
etwas sprunghaften Ausführungen entziehen sich der Darstellung in einem kurzen 
Referat. 

(Schluß folgt.) 


Internationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und 
Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1907. 

Referent: Dr. Bles (Amsterdam). 

Eine große Schar der hervorragendsten Psychiater und Nervenärzte der 
meisten europäischen Länder, Nord- und Südamerikas und selbst Japans waren, 


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teils aus bloßem Sachinteresse, teils als Abgeordnete von Regierungen und ver¬ 
schiedenen wissenschaftlichen Vereinigungen, zu einem internationalen Kongreß 
für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege zusammengetreten. Das 
Königliche Ehepaar, unter dessen hohem Protektorate dieser Kongreß steht, be¬ 
ehrte die erste Versammlung desselben mit seiner Anwesenheit. 

Die Königin und der Prinz wurden von Herrn Professor Dr. G. Jelgersma 
aus Leiden, dem Vorsitzenden des Kongresses, herzlich bewillkommnet. 

Sr. Exzellenz, der Herr Justizminister van Raalte, ergriff danach, als einer 
der Ehrenvorsitzenden, das Wort zu der Begrüßungsrede. Sr. Exzellenz sagte u. a.: 
„Das, was die Bedeutung dieses Kongresses noch erhöht, ist die Anteilnahme an 
seinem Wohlgelingen, die ihm von 17 fremden Regierungen, deren offizielle 
Vertreter wir hier begrüßen dürfen, entgegengebracht wird. Wir haben die Ehre 
und die erfreuliche Genugtuung, diesen Kongreß beschickt zu sehen durch die 
Abgeordneten der Regierungen von Deutschland, der Vereinigten Staaten von 
Amerika, England, der Argentinischen Republik, Belgien, Bulgarien, Brasilien, 
Chile, Dänemark, Spanien, Frankreich, Griechenland, Japan, Luxemburg, Rumänien, 
Rußland und Schweden.* 4 Hierauf sprach Professor Jelgersma in einer Rede 
über die Frage, inwieweit die Bildung als prädisponierende Ursache für 
Nervenaffektionen in Betracht kommen könnte. 

Danach sprachen verschiedene Delegierte der fremden Staaten, so für Deutsch¬ 
land Prof. Ziehen (Berlin); für Österreich Prof. Pick, der dem niederländischen 
Neurologen Schroeder van der Kolk eine Huldigung darbrachte; für Dänemark 
Prof. Friedereich; für Amerika Dr. Hendry G. Beijer; für Frankreich Prof. 
Marie, der in schwungvoller Weise die niederländischen Frauen feierte; für 
Griechenland Dr. Catsaras (Athen); für Italien Prof. Ferrari (Bologna); für 
Japan Dr. Rinji Shima, der, mit Applaus begrüßt, in wenigen deutschen Worten 
seinen Dank aussprach für die an sein Vaterland ergangene Einladung; für 
Luxemburg Dr. Lucien Buffet; für Rumänien Dr. Barnu (Bukarest); für 
Rußland endlich Prof. v. Bechterew (Moskau), der das Land feierte, in welchem 
Peter der Große, mit dem Beile des Schifiszimmermanns in der Hand, die Grund¬ 
lage zu seinem Reiche gelegt hatte. 

Nach dem Schlüsse der Eröffnungssitzung begab sich eine große Anzahl der 
Teilnehmer nach dem Städtischen Museum zur Besichtigung der dortigen Aus¬ 
stellung. Herr Dr. van Deventer gab eine kurze Erläuterung, um den Zweck 
und die Einrichtung der Ausstellung zu erklären. 

Aus den Mitteilungen des Herrn Generalsekretärs, Dr. van Wayenburg, 
ergab sich, daß in der Eröffnungssitzung anwesend waren: 36 offizielle Vertreter, 
53 Abgeordnete wissenschaftlicher Einrichtungen aus 46 Ländern, während aus 
21 Ländern 681 Namen von Kongreßteilnehmern eingetragen waren, darunter 
350 Niederländer. 


Sektion für Psychiatrie und Neurologie. 

Herr Winkler eröffnet die Versammlung mit einer kurzen Ansprache. 

Der erste Gegenstand, der auf die Tagesordnung gesetzt war, lautete: Der 
Labyrinth-Tonus. — Das Labyrinth, das früher ausschließlich als ein Teil des 
Gehörorgans aufgefaßt wurde, hat sich nicht nur als ein sehr wesentlicher Be¬ 
standteil dieses Sinneswerkzeuges erwiesen, sondern es hat auch noch Funktionen 
gezeigt, durch die es auch auf andre Teile unseres Körpers Einfluß ausüben kann, 
unter anderen auf den Tonus unserer Muskeln. 

Über die Bedeutung dieses Labyrinth-Tonus referierten Herr R. Ewald 
(Straßburg) und Herr Winkler (Amsterdam). Nach Operationen am Labyrinth, 
so wies der erstgenannte Vortr. nach, nimmt man nicht allein Störungen in den 
Muskeln des Mundes und des Kehlkopfes wahr, sondern es ist auch die rohe 


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Kraft vieler willkürlicher Muskeln gestört. Das sind Erscheinungen, die nicht aus- 
schliefilich aus Gehörstörungen erklärt werden können. Die von dem Labyrinth 
ausgehenden Reize verursachen an sich keine Bewegung, sondern allein eine 
Disposition zur Bewegung, wodurch es verständlich ist, daß nach Labyrinth* 
Störungen keine Lähmungen eintreten. Ursprünglich hat das Labyrinth mit dem 
Gehörorgan nichts zu schaffen gehabt; aber in der Evolution des Tierreiches hat 
dieses Organ allmählich die Bedeutung des „Hörens“ bekommen, während seine 
Tonusfunktion mehr in den Hintergrund trat. Dies erklärt denn auch, warum 
die Störungen in den Funktionen des Labyrinthes bei Menschen und Tieren solche 
verschiedenartige divergierende Erscheinungen hervorrufen. 

Derselbe Gegenstand, den Ewald einleitete, wurde von Winkler (Amsterdam) 
behandelt. Er beschreibt die Symptome, die nach Exstirpation des Labyrinthes 
bei Kaninchen entstehen und bespricht im weiteren Verlaufe ausführlich die 
anatomischen Veränderungen, die in den Nerven und im Gehirne naoh einer der* 
artigen Exstirpation wahrgenommen werden. Ausdrücklich weist er darauf hin, 
daß diese anatomischen Resultate für das Kaninchen, aber nicht für die Taube 
gelten, bei welcher auch viele Untersucher Labyrinth-Exstirpationen vorgenommen 
haben, wo aber die anatomischen Verhältnisse völlig andere Bind. 

An der Diskussion beteiligte sich Herr v. Gebuchten. 

Herr van Rijnberk (Rom) gab ein kurzes Referat über den Tonne des 
cerebellums und beschrieb einzelne Versuche. Er bestritt dabei die Auffassung 
Lewandowsky9, der meint, daß der Tonus des Cerebellum von einer afferenten 
Bahn ausgeht. 

An der Diskussion nahmen teil Herr Lewandowsky, Herr L. Mann, 
Herr Zenker. Darauf folgte ein Vortrag von Herrn de Lange (Amsterdam) 
Anatomie betreffend. 

Das erste Thema, welches in der Nachmittagssitzung zur Behandlung kam, 
betraf die chronischen Geistesstörungen, die durch Alkohol verursacht 
werden, mit Ausnahme der reinen Formen der Dementia. Es wurde eingeleitet 
von Herrn T. W. Mott (London) und Herrn P. Schroeder (Breslau). Ersterer 
wies darauf hin, daß der Affekt des Alkohols auf das Individuum nicht so sehr 
von der Art des alkoholischen Getränkes, das genossen wird, von dem Quantum 
Alkohol und der Zeit, während welcher es gebraucht wird, abhängt, sondern in 
erster Linie von seiner Persönlichkeit, seinem Temperament und seiner organischen 
Konstitution. Die voneinander abweichenden Statistiken der verschiedenen Lon¬ 
doner Irrenanstalten sind durch die verschiedene Auffassung der Mediziner über 
die Frage, was man zu alkoholischen Excessen rechnen muß, zu erklären. Zu¬ 
fällige Koinzidenz von Alkoholismus und Psychose werden oft für Ursache und 
Folge angesehen, während es auch oft schwer ist, zu unterscheiden, was die Folge 
von Erblichkeit und was die Folge von Alkoholismus ist. Die Alkoholpsychosen 
teilt Vortr. in drei Gruppen. Die erste Gruppe umfaßt die Krankheiten, welche 
durch Einwirkung von Alkohol, sei es nun direkt oder indirekt auf Gehirne, deren 
Funktion vor dem Alkoholgebrauch normal war, entstehen. Die Patienten, die 
zu dieser Gruppe gehören — wozu u. a. Delirium tremens gerechnet werden 
kann —, kommen in London sowohl in gewöhnliche Krankenhäuser, als auch in 
die Anstalten. Zu der zweiten Gruppe rechnet er die Krankheiten, welche die 
Folge von chronischem Alkoholismus sind und bei Personen auftreten, die psychisch 
bereits nicht mehr normal Bind, und in die dritte Gruppe bringt er die Fälle, 
deren Symptome sowohl mit Krankheiten der ersten als auch der zweiten Gruppe 
Übereinstimmung zeigen. Verschiedene, sowohl physische als psychische, Symptome 
können direkt auf Alkohol als Ursache hinweisen; die makroskopische und mikro¬ 
skopische Untersuchung iBt aber noch nicht imstande, alle diese Symptome zu 
erklären, und es ist oft zweifelhaft, ob der Alkohol direkt oder indirekt eingewirkt 

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hat. Unter den Fällen, die zu der zweiten und dritten Gruppe gehören, kann 
man noch, was die Bedeutung des Alkohols für diese Fälle betrifft, eine Unter¬ 
scheidung machen. Es gibt nämlich Formen, bei denen alle psychischen Symptome 
wieder verschwinden, um später vielleicht nach dem Gebrauch von Alkohol wieder 
zurückzukehren, in welchen Fällen man von einer Intoleranz gegenüber Alkohol 
sprechen kann, und solche Formen, bei denen, selbst wenn der Patient bereits 
länge dem Einflüsse des Alkohols entzogen ist, doch die psychischen Erscheinungen 
nicht mehr versohwinden. 

Herr Schroeder weist darauf hin, daß der Begriff „Alkoholpsychosen“ so 
schwer zu umgrenzen ist, weil wir betreffs der Ursache von Geistesstörungen im 
allgemeinen noch sehr wenig wissen. Hinzu kommt, daß beinahe niemals allein 
der Alkoholgebrauch als der Erreger der hier gemeinten Krankheiten angesehen 
werden kann; selbst bei Delirium tremens muß nächst dem Alkoholgebrauch noch 
ein zweiter Faktor vorhanden sein, der den Ansatz zu der Krankheit gibt. Bei 
weiter Auffassung des Begriffes „Alkoholpsychosen“ läuft man Gefahr, diese mit 
anderen Psychosen bei Trinkern, wo der Alkohol nicht die eigentliche Ursache, 
sondern nur die Veranlassung zum Ausbrechen der Krankheit ist, zu verwechseln. 
Eine große Schwierigkeit besteht auch noch darin, daß die Neigung zum Trinken 
bereits eine Folge von Degeneration oder von einer psychischen Störung ist. Der 
Referent meint denn auch, daß Geistesstörung und Alkoholismus bei einer und 
derselben Peroon oft eine Komplikation ist und daß auch nicht auf Alkohol be¬ 
ruhende Geistesstörungen mehr bei Trinkern als bei Nichttrinkern Vorkommen. 
Die meisten chronischen Alkoholpsychosen stehen mit zwei Krankheiten in Zu¬ 
sammenhang, nämlich der progressiven Paralyse und der Paranoia. Besonders 
was den Zusammenhang zwischen der letzteren Krankheit und dem Alkoholismus 
betrifft, ist unser Wissen noch sehr unzulänglich. Bei Degenerierten, gleichgültig, 
ob sie trinken oder nicht, finden wir oft an Paranoia erinnernde Vorstellungen, 
die durch den Gebrauch von Alkohol stärker in den Vordergrund treten. Die 
bei diesen Kranken vorhandene Wahnidee kann also aus dem Alkoholismus neue 
Nahrung erhalten. 

Von Herrn Jelgersma (Leiden) wurden Durohsohnltte, durch die Ge¬ 
samtmasse des Gehirns gemacht, demonstriert. 

Darauf übernimmt Herr v. Bechterew das Präsidium und erteilt das Wort 
an Herrn Dnpre (Paris) über den Unterschied swisohen Dementia paraly- 
tica und anderen Formen von Dementia. Die erstere unterscheidet sich 
von den anderen Formen dadurch, daß wir in der Ätiologie fast stets 
Syphilis finden. Ferner treten Lähmungen auf. Die psychischen Erschei¬ 
nungen sind niemals partiell, sondern bilden immer ein geschlossenes Ganzes. 
Der Charakter verändert sich, der Geschmack, die Neigungen nehmen andere 
Eigenschaften an. Die Selbstkritik nimmt ab und geht schließlich völlig 
zugrunde. Dieser Verlust der Selbstkritik wird durch eine Methode angezeigt, 
die in einer Konfrontation mit sich selbst besteht. Weiter hängt hier¬ 
mit eine Reihe psychopathischer Erscheinungen zusammen, wie Veränderungen im 
Empfinden, in Kombination von Empfindungen, die nichts miteinander zu tun 
haben. Auch der organische Körper geht unter; denn die Dementia paralytica 
ergreift anoh das vegetative System. Im allgemeinen wird die Krankheit also 
charakterisiert durch diffuse Prozesse, die von Syphilis, von Gefäßveränderung 
oder einer Intoxikation abhängig sind. Im Gegensatz zu ihr ist der Prozeß bei 
der Syphilis des Gehirnes nicht so diffus. Sie ist mehr ungleichartig, sowohl in 
ihren Erscheinungen als in ihrem Verlauf. Es treten plötzliche Verschlimmerungen 
auf und daneben Perioden, in welchen der Prozeß zurückgeht. Auch die Tuber¬ 
kulose bietet ein anderes Krankheitsbild und tritt in einem andern Lebensalter 
auf. Ebenfalls wird darauf hingewiesen, daß durch Syphilis, Alkohol, Trauma und 


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andere Momente dem Auftreten von Dementia paralytica in die Hand gearbeitet 
werden kann. (Mit Rücksicht auf die dem Yortr. zur Verfügung stehende Zeit 
wurden die verschiedenen Punkte nicht näher ausgeführt.) 

Herr Binswanger machte einige Bemerkungen bezüglich der von Dupre 
genannten Unterschiede zwischen Dementia paralytica und der syphilitischen 
Demenz, desgleichen bezüglich des Unterschiedes zwischen Dementia paralytica 
und der Dementia auf Gefäßveränderung beruhend. Nach seiner Ansicht sind 
diese Unterschiede nicht so prägnant. 

Herr Putnam weist hin auf die Veränderungen in Sprache und Schrift. 
Vortr. demonstriert eine Zeichnung, von einem seiner Patienten angefertigt, der 
einige tausend Skizzen herstellte, die alle Ausdruck seines inwendigen Zu* 
Standes sind. 

Herrr Catsaras spricht über die diagnostischen and prognostischen 
Werte einseiner katatonischer Erscheinungen bei Kranken aus seiner Klinik. 
Vortr. spürte bei verschiedenen Zuständen von Demenz den Erscheinungen von Kata* 
tonie bis zu ihrer anatomischen und histologischen Basis nach; er behandelt ausführ* 
licher den ProzeBs des hysterischen Schlafes, die Lokalisation der verschiedenen Pro¬ 
zesse, welche katatonische Erscheinungen herbeiführen. Vortr. folgerte, daß es keine 
Erscheinungen gibt, welche die Natur von derartigen Erscheinungen erkennen 
lassen, daß sie jedoch von großer Bedeutung sind, um die Lokalisation des Pro¬ 
zesses festzustellen. 

Herr David Orr und Herr Rows aus Manchester bzw. Lancaster teilten 
hierauf durch den Mund des ersteren ihre Erfahrungen über die Wirkung von 
Toxinen auf Gehirn* und Büokenmarksnerven mit. Früher ist bereits ge¬ 
zeigt worden, daß Degenerationen in den Hintersträngen des Rückenmarkes ihren 
Ausgangspunkt an der Stelle hatten, wo die Hinterwurzeln in das Mark treten. 
Hier werden die sensiblen Fasern in das Centralnervensystem aufgenommen und 
verlieren ihr Neurilemm. Bei dem Studium der Lymphcirkulation ergab sich, 
daß der Strom bis zum Rückenmark ging und daß sie ihren Platz direkt unter 
der Scheide hatte. Wir wissen, daß bei Tetanus und Tollwut das Gift längs 
der Wurzeln geht, was durch die Versuche von Marie und Morax bewiesen 
wird, welche die Wurzeln durchschnitten, Toxine injizierten und keine Krämpfe 
auftreten sahen. Versuche von Homön, Laitinen und Pirzone führten zu 
demselben Resultate. Was für organische Stoffe gilt, gilt auch für chemische, 
was durch Versuche von Guillain, Sicard und Bauer bewiesen wird, die mit 
Eisensalzen experimentierten. Bei verschiedenen Affektionen müssen dann Herde 
in den Hinterhörnern vorhanden sein, und auch experimentell fanden sie bei 
Kaninchen, was bei Krankheiten bereits für den menschlichen Körper bekannt 
war. So wurden Kapseln mit Staphylococcus pyogenes aureus, Bacillus pyo- 
cyaneus, Gaertners Bazillus und Bacillus coli in den Körper gebracht. Erst 
nahmen sie gesunde Tiere; dann und wann wurde die Kapsel erneuert. Die 
entstehenden Läsionen waren deutlich in dem Rückenmark des Kaninchens zu 
sehen. Die Degeneration begann, wo das Neurilem auf hörte. Auch die Colla- 
teralen, von hier an entspringend, waren angegriffen; die äußersten Zonen waren 
am meisten betroffen. Die Zeichnungen ließen deutlich erkennen, daß zuerst die 
Markscheide zu degenerieren beginnt; darauf Behen wir Wall er sehe Degeneration 
und schwarze Kügelchen (Fett, durch Osmiumsäure gefärbt) auftreten. Nirgends 
sahen sie Degeneration außerhalb des Markes. Bei den Gehirnnerven zeigen sich 
analoge Erscheinungen. Auch hier sahen sie Auftreten von Degeneration, wo das 
Neurilemm aufhörte. Nach ausführlichen Beschreibungen des Zustandes bei den 
verschiedenen Experimenten schließt Vortr., daß 1. Toxine längs den Nerven nach 
dem Centralnervensystem gehen; 2. letztere extramedullär durch ihr Neurilemm 
beschützt sind; 3. zuerst Veränderung der Markscheide auftritt; Aohsencylinder 


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und Zellen folgen Bpäter. Sie fassen die Toxinwirkung als direkt die Nerven 
angreifend auf und nehmen nicht mit Nageotte eine Entzündung an. Vortr. 
geht nicht näher hierauf ein. Ein gewichtiges Argument hiergegen ist die De¬ 
generation des intramedullären Teiles, der Vorderhörner, die so oft bei Affektionen 
sensibler Fasern vorkommt. 

Herr Wertheim Salomonson demonstrierte, wie ein mdnsohliohes 
Elektrodlagramm mittels des Galvanometers von Einthoven registriert werden 
kann. Nachdem Vortr. mit Lichtbildern erläutert hatte, wie sein Instrument be¬ 
schaffen ist, zeigte er verschiedene Aufnahmen von Herzpalpitationen und PuIb- 
Schlägen bei gesunden und kranken Personen. 

Herr Förster: Über die Bedeutung des Affektes bei Paranoia. Vortr. 
legt dar, welche Gefühle von Lust und Unlust bei verschiedenen Wahrnehmungen 
auftreten. Das Lustgefühl nennt er schließlich das, was geschieht, wenn Schmerz 
aufhört. Wenn hiermit ein Maximum von Vorstellungen gepaart geht, dann ist 
der Affekt auch am größten. Alles ist also schließlich auf Schmerz zurück¬ 
zuführen. Schmerz hat keinen Gefühlston, ist jedoch selbst Unlust; Lust ist Auf¬ 
hören des Schmerzes. Bei einer Psychose müssen wir einen Defekt angeben, und 
der Defekt bei Paranoia ist der, daß jede Vorstellung anders geschieht als bei 
dem normalen Individuum. Bei der Paranoia ist die Anzahl der Vorstellungen 
sehr groß, der Komplex derselben ist sehr umfangreich und damit übereinstimmend 
ist auch der Affekt enorm. 

Herr v. Wayenburg kann sich mit der Auffassung, in dem Schmerz den 
Ausgangspunkt zu sehen, nicht einverstanden erklären. In vielen Fällen bestehe 
ein Ausgangspunkt, der neutral sei und bei welchem von Lust oder Unlust keine 
Bede sei. 

Herr Förster stimmt der letzteren Ansicht bei; jedoch bei Hunger, dem 
Beispiele des Dr. v. Wayenburg, sei doch das Schmerzgefühl auch prinzipiell 
vorhanden. 

Zum Schlüsse hielt Herr Marcus seinen Vortrag über akute Verwirrt¬ 
heitszustände auf syphilitischem Boden. 

Es kommt dann zur Behandlung das Thema: Neue Theorien über das 
Entstehen der Hysterie. 

Erster Referent ist Herr P. Janet (Paris): Er erinnert zuerst an den Streit, 
ob Hysterie zu dem Gebiete der Nerven- oder zu dem der Seelenkrankheiten ge¬ 
hört. Ist letzteres der Fall, dann muß man die Krankheit auch zufolge psychia¬ 
trischer Methode analysieren. Vortr. erinnert nun an die Neigung Hysterischer, 
ein Ereignis, dem sie beigewohnt haben oder eine als fixe Idee festgelegte Hand¬ 
lung immer aufs neue zu wiederholen. Dieser Grundgedanke wird weiter aus- 
gefiihrt. Darauf werden die verschiedenen Definitionen der Hysterie besprochen, 
wobei Vortr. darauf hinweist, daß eine physiologische Theorie der Hysterie noch 
fehlt; wir haben übrigens ebensowenig eine physiologische Erklärung von Ver¬ 
folgungswahnsinn usw. Jede Definition der Hysterie muß also einen psycho¬ 
logischen Charakter tragen, wovon denn auch die gegenwärtigen Neurologen und 
Psychiater vollkommen überzeugt sind. 

Dasselbe Thema wurde auch noch von Herrn Aschaffenburg (Köln) und 
Herrn C. G. Jung (Zürich) behandelt. Letzterer bespricht mehr speziell die 
Theorie von Freud, welche die Hysterie als eine Neurose betrachtet, für 
welche die Anlage durch vor der Pubertät erhaltene Eindrücke sexueller Art 
ntBteht. 

Letzter Referent ist Herr Jelgersma (Leiden), der folgende Sätze formuliert: 
1. Die hysterischen Symptome müssen in Stigmata und Symptome, übereinstimmend 
mit den Auffassungen der französischen Schule, eingeteilt werden. 2. Die Stigmata 

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sind nicht psychologisch bestimmt, sondern verursacht durch mangelhafte Anlage 
des Centralnervensystems; man kann sie mit einem Kurzschluß vergleichen. 3. Die 
Stigmata sind Ausfallssymptome in dem Sinne, daß nur wenige Verbindungen 
zwischen ihnen und der übrigen Psyche bestehen; sie sind darum nicht zu lokali- 
sieren. 4. Im normalen Leben begegnet man zahlreichen Analogien mit Stigmata; 
es sind stets sehr einfache psychische Prozesse. 5. Hysterie mit Stigmata stellt 
eine starke Vereinfachung des psychischen LebenB vor. 6. Die Symptome ent¬ 
stehen durch erhöhte Intensität des psychischen Prozesses (Emotionalität) der 
Stigmata. 7. Emotionalität wird verursacht durch die Intensität der psychischen 
Prozesse; Intellektualität ist die Extensität (das Komplizierte) des psychischen 
Prozesses. 

Zum Schlüsse hält Herr Bam6n y Cajal (Madrid) einen Vortrag über 
die traumatisohe Degeneration der Aohsencyllnder des Groß- und Klein¬ 
hirns. 

Herr Oppenheim (Berlin) demonstriert Hüokenmarksgesohwülste, 
die operativ entfernt waren. Von 12 Fällen gelangen sieben und nahmen 
fünf einen tödlichen Verlauf. Diese fünf sind älteren Datums, was darauf hin¬ 
weist, daß die operative Technik in den letzten Jahren sehr fortgeschritten 
ist. Nach einer Erläuterung an der Hand von Lichtbildern wies Vortr. 
darauf hin, wie in allen diesen Fällen die Geschwülste einander gleichen. Er 
schloß mit dem Satze, daß das Resultat der Operationen bei Rückenmarkstumoren 
als befriedigend bezeichnet werden darf. (Mit Rücksicht auf die Mittagssitzung 
und die vorgeschrittene Stunde wurden die übrigen Vorträge zurückgestellt.) 

Es folgt Asymbolie, Apraxie und Aphasie, worüber Herr A. Pick (Prag) 
das Wort ergreift. Der Ausdruck Asymbolie, der zuerst von Finkeiburg an¬ 
gewendet ist, ist so häufig in seiner Bedeutung verändert worden, daß es notwendig 
ist, erst an der Hand ursprünglicher Akten die rechte Bedeutung des Wortes 
festzustellen. Nach Kant sind alle Kennzeichen, die durch Sinneswerkzeoge 
wahrgenommen werden, auch die Sprache, Symbole; also Asymbolie ist der all¬ 
gemeine Ausdruck für Agnosie und Aphasie. Finkeiburg dagegen beschränkt 
den Begriff Asymbolie auf die Störungen, welche auf angelernte Zeichen von Be¬ 
griffen Beziehung haben; nach seiner Auffassung sind die verschiedenen Störungen 
in dem Vermögen, Begriffe auszudrücken, vor allem in der Sprache, Unterteile 
der Asymbolie. Schließlich gebraucht Wernicke diesen Ausdruck für alle Stö¬ 
rungen in dem Erkennen der Gegenstände, mit Ausnahme derjenigen Störungen, 
die auf die Sprache Bezug haben. Pick empfiehlt nun, zu der Definition 
Finkeiburgs zurückzukehren. Die Definition Kants ist zu weit, während 
sie obendrein auf metaphysischer Grundlage ruht Die von Wernicke angegebene 
Beschränkung empfiehlt sich nicht. Agnosie und Apraxie stehen neben Asymbolie, 
sind jedoch nicht scharf von ihr geschieden. 

Herr v. Monakow (Zürich) ist der zweite Redner. Aphasie, Apraxie und 
Asymbolie sind eng miteinander zusammenhängende Zustände, die darin überein¬ 
stimmen, daß die Möglichkeit, Gedanken in konventioneller, zusammenhängender 
Weise auszudrücken oder auch Ausdrücke von andern, auch von dem Kranken 
selbst, richtig zu verstehen und zu begreifen, gestört ist. Man kann zwei Haupt¬ 
gruppen unterscheiden. Zunächst diejenige, wo die Störungen vornehmlich auf 
den Gebrauch und das Begreifen von Sprachzeichen Bezug haben. Zweitens die¬ 
jenige Gruppe, welche solche Störungen umfaßt, welche die Orientierung über 
Zeit und Raum betreffen (Agnosie, sensorische Asymbolie) oder solche Störungen, 
wodurch das Vermögen, bestimmte Bewegungen oder Handlungen zu verrichten, 
verloren gegangen ist; (motorische Asymbolie, Apraxie). Beide Hauptgruppen 
kann man unter dem Namen Asemie zusammenfassen. Beide Hauptgruppen um- 

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fassen eine ganze Reihe von Symptomen, die oft zusammen ein klinisches Bild er* 
geben. Alle möglichen Kombinationen und Übergänge können Vorkommen. Aphasie, 
Apraxie und Asymbolie werden gewöhnlich durch Herde in der linken Hemisphäre 
verursacht. Die Erscheinungen, die unmittelbar nach dem Entstehen des Herdes 
zutage treten, sind teilweise bleibende, teilweise vorübergehende. Die letzteren 
können noch wieder in zwei Gruppen eingeteilt werden, nämlich solche, welche 
unmittelbar mit den allgemeinen Erscheinungen verschwinden, und solche, welche 
erst nach Monaten oder Jahren zu bestehen aufhören. Die höheren Faktoren für 
die Sprache brauchen durch einen einzelnen Herd in dem im übrigen gesunden 
Gehirn nicht gestört zu sein. Das Zurückgehen verschiedener Erscheinungen 
weist darauf hin, daß von dem Herde aus eine zeitweise elektive schädliche 
Einwirkung auf einige Gehirnteile entsteht, wodurch diese gleichsam ausgeschaltet 
werden (Diaschisis). Diese Diaschisis folgt keinem anatomischen, sondern einem 
mehr physiologischen Wege, wodurch die klinisch scharf umschriebenen Formen 
der Aphasie und Apraxie erklärt werden. Die auftretende Stabilität in den Er¬ 
scheinungen hängt nicht so sehr von dem Herd als von der Natur der patho¬ 
logischen Prozesse ab (Zirkulationsstörungen, Toxine usw.). 

Herr Fritz Hartmann (Graz) spricht über das gleiche Thema. Er weist 
darauf hin, daß die Erscheinungen, die sich bei umschriebenen Herden in dem 
Centralnervensystem zeigen, nicht einfach durch das Wegfallen der physiologischen 
Erscheinungen erklärt werden können, die im Herde ihren Sitz haben. Dies 
führt zu der Frage, inwiefern die beiden Hemisphären deB Gehirns miteinander 
Zusammenhängen und welche Bedeutung vor allem das Corpus callosum hat. Aus 
einem klinischen Gesichtspunkt schließt sich hieran die Frage, inwiefern auf 
Grund klinischer Erscheinungen auf einen lokalisierten Herd geschlossen werden 
kann. Ferner tritt die Frage heran, ob die in dieser Richtung ausgeführten 
Experimente bereits brauchbare Resultate ergeben haben. Hinsichtlich der ersten 
Frage weist Vortr. darauf hin, daß Zusammenarbeiten der beiden Hemisphären 
bereits bei ziemlich einfachen Prozessen vorkommt, während verschiedene andere 
Tatsachen darauf hindeuten, daß oft die physiologischen Eigenschaften der beiden 
Hemisphären verschieden sind. Vortr. hält es für möglich, in verschiedenen Fällen 
die besonderen Formen von Asymbolie und Apraxie auf lokalisierbare Herde 
zurückzuführen. Die Schwierigkeiten einer rationellen Pathophysiologie deB Ge¬ 
hirns müssen vor allem in der Unmöglichkeit gesucht werden, die wirkliche physio¬ 
logische Bedeutung der morphologischen Substrate festzustellen. Die geringe 
Anzahl der in dieser Richtung gemachten Versuche gaben für die asymbolischen 
und ^praktischen Erscheinungen brauchbare Resultate. 

Über dasselbe Thema sprach auch noch Herr Liepmann (Dalldorf-Berlin). 
Die Tätigkeit mehrerer Muskeln ist schon in angeborenen und präformierten 
Mechanismen zusammengefaßt. Schon spinal, cerebellar, dann kortikal. Neue und 
höhere universale Verknüpfungen bildet die Erfahrung des Lebens aus: erlernte 
Verknüpfungen der angeborenen und präformierten Synergien zu Handlungen, 
d. i. Bewegungen nach Zwecken. Die Vernichtung der angeborenen und prä¬ 
formierten Mechanismen in irgend einem Abschnitt ist Lähmung, ein ungeordnetes 
Funktionieren derselben infolge von Fortfall centripetaler Regulierungen Ataxie. 
Die Zerstörung der erlernten Verknüpfungen bedingt Apraxie (die aphasischen 
Störungen sind — soweit expressiv — Apraxie der Sprachmuskeln). Diese Ver¬ 
knüpfungen finden für einfache und sehr geübte Bewegungen ihr nervöses Substrat 
schon in den Rindenfeldern der verschiedenen Gliedmaßen in Gestalt der Rema¬ 
nenzen — ein Ausdruck Kohnstamms — gleich kinetische Erinnerungen (be¬ 
wußte und rein materielle). Im Armcentrum finden Bich z. B. außer den Struk¬ 
turen für präformierte Synergien die Remanenzen für die Bewegung des Handgebene, 
Winkens, Drohens usw. Verwickeltere Bewegungen und vor allem die von Fall zu 

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Fall variierenden Bewegungen nach Maßgabe der optisch-taktil oder auch akustisch 
aufgefaßten Situation, setzen eine Verknüpfung der kinetischen Gliedremanenzen 
mit den Remanenzen der übrigen Rindenfelder (optisches, taktiles usw. beider 
Hemisphären) voraus. Pathologisch finden sich nun folgende Stufen: 1. Ein 
Gliedapparat ist nicht gelähmt — denn unter günstigen Umständen funktioniert 
er — aber ist willkürlich schwer ansprechbar: Wernickes transkortikale 
Lähmung, Bruns’ Seelenlähmung, herabgesetzte Bewegungsintention. Anatomisch 
wohl lokale Shockwirkung auf das Rindenzentrum des Gliedes (am besten als 
Willenslähmung zu bezeichnen). 2. Der Gliedapparat funktioniert, aber be¬ 
stimmte erlernte Bewegungskombinationen (Pusten, Pfeifen usw.) können nicht 
mehr ausgeführt werden: Verlust kinetischer Remanenzen, früher von mir „Verlust 
der gliedkinetischen Komponente“ genannt. Anatomisch durch oberflächliche 
Herde in den Gliedzentren (vielleicht den Fuß der 1. und 2. Stirnwindung ein¬ 
schließend) oder atrophisierende oder elektive Prozesse in diesen bedingt, welche 
die groben Synergien verschonen. Tiefergehende Läsionen der Gliedzentren machen 
Lähmung, welche diese gliedkinetische Apraxie verdeckt. Diese Form hatte 
Meynert mit seiner kurzen Andeutung einer motorischen Asymbolie im Auge. 
Die Störung ist auf bestimmte Glieder lokalisiert, zeigt sich in groben Bewegungen 
eines „Ungeübten“, Fortfall der feineren erlernten Bewegungen. 3. Die glied¬ 
kinetischen Remanenzen sind erhalten, aber von den übrigen Rindenfeldern ab¬ 
gesperrt oder wenigstens in ungenügendem Einvernehmen: die von mir als moto¬ 
rische Apraxie par excellence geschilderte Form; am besten ideo-kinetische 
Apraxie genannt, weil den ideatorischen Prozeß und kinetische Remanenzen aus¬ 
einanderreißend. Anatomisch durch Unterbrechung vieler Leitungsbahnen, welche 
das Gliedcentrum mit den übrigen Rindenfeldern verbinden, bedingt. Prädilektions¬ 
stelle für die Apraxie der Glieder: tiefes Mark des ScheitellappenB. Die Störung 
ist auf bestimmte Glieder lokalisiert, zeigt sich in Bewegungsverstümmelung, 
BewegungsVerwechslung, Bewegungsversagen, und zwar schon bei einfachsten 
Bewegungen und beim Nach machen. 4. Die gliedkinetischen Remanenzen sind 
erhalten, auch im Einvernehmen mit dem in anderen Rindenfeldern zustande 
kommenden Entwurf der Bewegung, aber dieser „ideatorische“ Entwurf ist fehler¬ 
haft: ideatorische Apraxie (Picks ideomotorische Formen). Anatomisch besonders 
durch Herde im konvexen Hinterhauptslappen und durch diffuse, das gesamte 
psychische Leben schädigende Prozesse bedingt (senile Atrophie, Intoxikation). 
Die Verfehlungen erinnern an Zerstreutheitentgleisungen, betreffen alle Glieder 
gleichmäßig, beginnen erst bei komplizierten Akten, das Nachmachen ist besser 
als das Spontanmachen. Es finden Auslassungen von Teilakten, Verstellung der 
Teilakte usw. statt. Zwischen Fehlreaktion und richtiger ist ein assoziatives 
Band zu erkennen. Wir haben so' 1. Willenslähmung, 2. gliedkinetische Apraxie, 
3. ideo-kinetische Apraxie (= meiner motorischen Apraxie), 4. ideatorische Apraxie. 
Nun kann eine ideo-kinetische Apraxie sekundär ideatorische Apraxie bedingen. 
Das gilt ganz besonders für diejenigen, welche linkshirnigen Herden entspringen. 
Denn die Remanenzen des linkshirnigen Handcentrums und deren Verbindungen 
spielen eine besondere Rolle ebenso, wenn auch nicht in gleichem Grade, wie die 
akustischen Remanenzen des linken Schläfenlappens. Sie sind für sehr geübte 
Handlungen die Hauptstütze auch des ideatorischen Prozesses. Ja, es ergibt sich, 
daß sie für die Innervation des rechtsbirnigeu Handcentrums eine zwar nicht 
ganz unerläßliche, aber nicht ohne Schaden entbehrliche Durchgangsstelle sind. 
Dadurch erleidet der Satz von der Lokalisation der gliedkinetischen und ideo- 
kinetischen Apraxie auf ein Glied eine Beschränkung für solche Apraxien, wenn 
sie die rechte obere Extremität betreffen: dann ist in geringem Maße auch die 
linke Hand mit betroffen — wenigstens für die Mehrzahl der Menschen. Die 
Unterbrechung des Balkens, sowie intrahemisphärialer Balkenfasern bewirkt auch 


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Apraxie der linken Hand. So ist die Eapraxie abhängig von der Intaktheit eines 
großen Apparates im Gehirn, an dem sich viele Rindenfelder, besonders der linken 
Hemisphäre, und der Balken beteiligen. Die besondere Wichtigkeit, die in dem 
Gesamtapparat dem Centrum der rechten Hand und seinen Verbindungen zukommt, 
bewirkt, daß es quoad Apraxie besonders verwundbare Stellen im Gehirn gibt: 
für die rechte Körperhälfte der linke Scheitellappen, für die linke der Balken¬ 
körper und seine Einstrahlungen in die Rinde. 

In der darauffolgenden Diskussion bemerkt Liepmann noch folgendes: 
Daß das Wort „Asymbolie“ zweckmäßiger im alten Finkelburgschen Sinne 
angewendet werde und für die Störungen des Erkennena besser „Agnosie“ gesagt 
werde, dafür bin gerade ich wiederholt eingetreten. Daß die Diaschise ein wesent¬ 
liches Erklärungsmoment für die Aphasielehre abgeben werde, glaube ich nicht, 
sie kommt nur für Tage, höchstens Wochen in Betracht. Ausfälle, die viele 
Monate oder Jahre dauern, können nur durch Zerstörungen von Substraten 
erklärt werden, die bisher unerläßlich für die Funktion waren. 

Vor den klinisch oder anatomisch negativen Fällen steht die Diaschisislehre 
ganz ratlos. Daß die „klassische“ Theorie in vielen Fällen sich nicht ohne weiteres 
buchstäblich bestätigt findet, dafür gibt es, ohne Annahme der Diaschisis, Er¬ 
klärungen genug. Erstens ist die Theorie überhaupt eine Idealisierung und Ver¬ 
einfachung der wirklichen Gesetze, und es ist selbstverständlich, daß sie in dem 
Gewirr von Fasern und Zellen, welche das Gehirn darstellt, sich nur selten ohne 
weiteres ablesen wird. Jeder Herd ist anders, in jedem Fall sind andere Nach¬ 
barschafts- und Fern Wirkungen durch Zirkulationsstörung und Ödem. Die Rüstig¬ 
keit der nicht direkt befallenen Gebiete ist nach Alter, Anlage, Atrophie, Arterio¬ 
sklerose eine verschiedene, daher sehr variabel. Ebenso wie auf Nebenbahnen 
neue Anschlüsse entstehen, oder bisher feiernde Gebiete Ersatz leisten können. 
Insbesondere ist die Mitwirkung der rechten Hemisphäre eine sehr verschiedene 
bei verschiedenen Menschen. Es wird im allgemeinen nicht beachtet, daß es 
außer ausgesprochenen Linkshändern eine große Anzahl von Amphidextern gibt. 
Berücksichtigt man diese Umstände, so braucht man bezüglich der Lokalisation 
nioht so skeptisch zu sein. Aus der Vielzahl der Fälle leuchtet doch eine für 
etwa 90 °/ 0 der Menschen gültige lokalisatorisclie Gesetzmäßigkeit hervor. Ich 
bin im Begriff einen Fall zu publizieren, in dem typische motorische Aphasie 
über 2 Jahre bis zum Tode angedauert hat bei ausschließlicher Läsion der 3. Stirn¬ 
windung mit ganz leichter Mitbeteiligung der zweiten und des Überganges der 
dritten in das Operculum Rolandi. 

Über die Grenzen des Gebietes, dessen Zerstörung notwendig motorische 
Aphasie macht, sie machen muß, sind wir allerdings noch nicht sicher, aber 
daß irgend eine Läsion eine bestimmte Aphasie machen muß, hat auch keiner 
der Lokalisatoren behauptet. Die Ausnahmslosigkeit eines mathematischen Ge¬ 
setzes besitzt kein lokalisatorischer Satz. Wie vorsichtig man bei Verwertung 
eines Falles vorgeben muß, und wie nur mustergültig klinisch und anatomisch 
untersuchte Fälle verwertet werden können, also die Mehrzahl in der Literatur 
vorhandenen nicht, lehrte mich folgender Fall: ein nicht aphasischer Dall- 
dorfer Patient zeigte bei der Sektion Vernichtung zwar nicht der ganzen Broca- 
scben Gegend (das hinterste Viertel erhalten), aber doch des größeren Teiles. 
Das schien Wasser auf die Mühle der Gegner der Lokalisation zu sein und be¬ 
sonders P. Marie Recht zu geben. Nähere Befragung der Angehörigen ergab 
aber, daß Patient vor 10 Jahren mindestens ein halbes Jahr lang motorisch 
aphasisch war. Wieviel nur flüchtig und unsachkundig studierte Fälle mögen 
unter denen sein, die in der Literatur als negative Fälle auftreten! Autoreferat. 

An der Debatte über diese Referate nahmen noch teil: Herr Heillironner 
(Utrecht) und Herr v. Monakow (Zürich). 


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Herr Binswanger spricht über Herdersoheinungen bei genuiner Epi¬ 
lepsie. Die genuine Epilepsie ist charakterisiert durch die oft wiederkehrenden 
allgemeinen Krampfanfälle mit Verlust des Bewußtseins. Zuweilen sind die An¬ 
fälle nicht vollständig. Anstatt der Krampfanfälle können eigenartige psychische 
Krankheitsbilder auftreten. Zu der genuinen Epilepsie rechnet Vortr. nicht die 
Krankheitsbilder, die infolge materieller Affektionen des Gehirns auftreten. Er 
hält trotz der Untersuchungen von Alzheimer, der bei genuiner Epilepsie 
pathologisch-histologische Veränderungen gefunden hat, an dieser Scheidung fest 
Er hält diese Veränderungen nur für die Folge fortdauernder chemischer nutri¬ 
tiver Wirkungen. Es kann nach Ansicht des Vortr. kein Zweifel darüber be¬ 
stehen, daß auch bei der genuinen Epilepsie Herderscheinungen auftreten; als 
solche müssen einzelne Aurasymptome und einige Erscheinungen der Krampf¬ 
anfälle genannt werden. Die Herderscheinungen selbst besitzen mehr einen theo¬ 
retischen Wert. Sie geben keine Hinweise für die Lokalisation des Krampf¬ 
anfalles. Selbst wenn die genuine Epilepsie mit Herderscheinungen gepaart geht, 
ist keine Ursache vorhanden, zu einer operativen Behandlung überzugehen. 

Nach Beendigung dieses Vortrages entspann sich eine lebhafte Debatte, an 
welcher teilnahmen: Herr Muskens (Amsterdam), Herr Waldenburg (Berlin) 
und Herr Heilbronner (Utrecht). 

Herr Lewandowsky (Berlin) sprach über den Farbensinn bei Herd¬ 
erkrankungen im Gehirn. 

Nach dem Schluß der allgemeinen Sitzung wurde eine Extrasitzung der Sek¬ 
tion I abgehalten, um die Debatten über das Wesen der Hysterie fortzusetzen. 
Viel Beifall fand hierbei Prof. Alt, der kräftig gegen die Theorie Freuds pro¬ 
testierte und mit Nachdruck darauf hinwies, daß er nicht gern die Verantwortung 
auf sich nehmen möge, einen Kranken nach einem Sanatorium zu senden, wo 
eine Untersuchung oder Behandlung auf den Grundlagen der Freud sehen Theorie 
geschieht. 

An der weiteren Debatte nahmen u. a. teil: Herr Heilbronner, Herr Gion, 
Herr Bari. 

Fräulein Marie Bobinowitsch demonstrierte, wie man mittels des elek¬ 
trischen Stromes Tiere gefühllos machen kann. Während dieser gefühllosen 
Periode können selbst große Operationen schmerzlos verrichtet werden. Die Vor¬ 
tragende meint, daß diese Methode in der Zukunft eine große Bedeutung haben 
kann, und wahrscheinlich das Chloroform auf die Dauer werde ersetzen können. 

Eine zweite Mitteilung derselben Bednerin bezog sich auf den Tod durch 
elektrische Ströme. Sie teilte mit, daß es gelang, Tiere, die durch den elek¬ 
trischen Strom getötet seien, das will sagen, bei denen Herz und Atmung Still¬ 
ständen, wieder ins Leben zurückzurufen durch rhythmische Einwirkung bestimmter 
Ströme. 

Im Anschluß hieran gab Herr Mac Donald (New York) eine Übersicht über 
die Elektrokution in Amerika, an deren Einführung er selbst einen wirksamen 
Anteil genommen habe. Er beschreibt die Art und Weise, in welcher diese Exe¬ 
kution ausgeführt werde, und teilte mit, daß er nach seiner Bückkehr nach 
Amerika den Gouverneur ersuchen werde, bei der nächstfolgenden Elektrokution 
die Methode des Fräulein Bobinowitsch anwenden zu dürfen, um zu versuchen, 
den getöteten Verbrecher wieder in das Leben zurückzurufen. 

Herr L. Mann (Breslau) spricht über sekundäre Kontrakturen bei der 
Hemiplegie. Vortr. erinnert daran, daß die hemiplegische Kontraktur eine echte 
Hypertonie ist und keine passive Verkürzung darstellt. Die Hypertonie betrifft 
aber nicht alle Muskeln, sondern allein die, welche ein gewisses Maß von Be¬ 
weglichkeit zurückerhalten haben. Entsteht durchaus keine Beweglichkeit, dann 
bleiben die Muskeln auch schlaff. Diese von van Gehuchten gefundenen Tat- 

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eachen kann Vortr. bestätigen. Jede Theorie über die hemiplegischen Kontrak¬ 
turen wird also hierauf Rücksicht nehmen müssen, van Gebuchten erklärt dies 
einfach durch die überwiegende Innervation der noch funktionierenden Muskeln, 
und man findet denn auch zufolge van Gehuchtens Ansicht dieselben Kontrak¬ 
turen nach peripheren Lähmungen. Vortr. stimmt mit dieser Theorie van Ge¬ 
huchtens nicht überein, weil man dann auch eine Kontraktur in dem Falle auf- 
treten sehen mufi, wenn ein Muskel vollkommen gelähmt ist und sein Antagonist 
vollkommen funktioniert, was in Widerspruch mit der Beobachtung steht. Das 
Mißverhältnis zwischen Innervation in einem Muskel und in Beinern Antagonisten 
ist also nicht das Entscheidende. Vortr. hat bereits im Jahre 1898 eine Er¬ 
klärung der Kontraktur gegeben, die er, abgesehen von einigen Modifikationen, 
auch jetzt noch aufrecht zu halten wünscht. Vortr. geht bei seiner Erklärung 
aus von dem Mechanismus der willkürlichen Bewegungen. Bei einer Bewegung 
muß nicht allein eine Beihe von Muskeln zusammen wirken, sondern es müssen ihre 
Antagonisten außer Wirkung gesetzt werden, also entspannt werden. Entspannen 
und Spannen von Muskeln ist prinzipiell dasselbe; ob sind allein verschiedene 
Grade eines und desselben Zustandes; man würde nötigenfalls im ersten Fall von 
einer negativen, im zweiten Fall von einer positiven Innervation sprechen können, 
oder auch wohl von Denervation und Innervation. Wenn nun eine centrale Läh¬ 
mung auftritt, dann fällt sowohl die Denervation als die Innervation weg. Da 
nun die Denervation auf die Antagonisten Bezug hat, erhalten diese einen Über¬ 
schuß von Innervation und geraten in Kontraktur. Dieses Prinzip wird nun 
durch den Vortr. weiter ausgeführt und auf die verschiedenen Lähmungen an¬ 
gewandt. 

Herr Jonas (London) spricht über die klinische Bedeutung Alloohirie, da¬ 
rauf Herr J. W. Putnam über 4 Fälle von Landrysoher Paralyse, 2 Fälle 
von Neuritis multiplex, durch Infektion entstanden, und über einen Fall von 

Myasthenia gravis. 

Herr F. W. Mott (London) hält einen Vortrag über experimentelle und 
histologische Untersuchungen der Hirnrinde beim Halbaffen verglichen mit 
derjenigen der Primaten und in Verbindung mit der Funktion und Entwicklung 
der Gehirnwindungen. 

Herr W. Sterling (Warschau) spricht über eine eigentümliche Form von 
progressiver Muskel- und Knoohenkrankheit. 

Darauf kommt an die Beihe Herr Bychowski (Warschau) mit dem Thema: 
Beflexstudien. Die Haut- und Sehnenreflexe, die uns gegenwärtig als ziemlich 
zwecklos Vorkommen, haben ursprünglich die Bedeutung von Angriff- und Ab¬ 
wehrbewegungen gehabt und sind im Lauf der Entwicklung einfache unwillkür¬ 
liche Bewegungen geworden. Es sind also rudimentäre Funktionen. Die Bekon- 
struktionen dieser Funktionen sind äußerst schwierig; doch ist es wahrscheinlich, 
daß sie nicht denselben phylogenetischen Wert haben. Vortr. hat nun die am 
besten bekannten Beflexe bei Neugeborenen und jungen Kindern untersucht. Der 
Patellarrefiex ist bei Neugeborenen konstant vorhanden und sehr lebhaft. Der 
Achillessehnenreflex ist jedoch in den ersten Monaten beinahe nicht auszulösen 
und ist erst im 3. Lebensjahre konstant vorhanden; das gleiche gilt für die 
Reflexe der Bauchhaut. Vortr. folgert, daß der Achillessehnenreflex und der Bauch¬ 
reflex phylogenetisch später als der Patellarrefiex entstanden sind. Er betrachtet 
die beiden ersten als cerebralen Ursprungs. 

Dann spricht Herr A. Saenger (Hamburg) über Röntgendiagnostik von 
Hypophysentumoren. (Demonstration mit Lichtbildern.) 

Es folgt Herr Arriens Kappers (Frankfurt) mit dem Thema: Über die 
phylogenetischen Verlagerungen der motorischen Oblongatakerne, ihre 
Ursaohen und ihre Bedeutung (vgl. d. Centr. 1907. S. 834). 


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Sektion für Psychologie und Psycho-Physica. 

Vorsitzender: Herr Heymans (Groningen), Ehrenvorsitzender: Herr Jodl 
(Wien). 

Herr Gutzmann (Berlin) spricht über: Versuche, betreffend Hören und 
Begreifen. Selbst Personen mit einem normalen Gehör verstehen von Lauten, 
die keine Bedeutung haben, nur wenig, so daß das Begreifen des Gehörten 
größtenteils auf Kombination beruht. Vortr. ging bei seinen Versuchen von der 
Idee aus, daß bei Telephongesprächen die Kombination eine noch größere Rolle 
spielen müsse, weil wir durch das Telephon Personennamen schlecht hören. Um 
nun die Kombination auszuschließen, wurden bei den Versuchen allein bedeutungs¬ 
lose Laute gebraucht. Weiter wurden Versuche in offener Luft und im Zimmer 
angestellt. Der Untersuchende muß vor allem darauf achten, daß er während der 
ganzen Probe in derselben Stimmhöhe spricht. Die größte Zahl von Fehlern 
wurde bei den Telephonversuchen gemacht, die geringste bei den Zimmerversuchen. 
Laute mit einem gleichen akustischen Klang wurden am meisten miteinander 
verwechselt, z. B. p, t, k und b, d, g. Die Vokale wurden im allgemeinen gut 
verstanden. Obgleich bei den Versuchen den Versuchspersonen — meistens sehr 
intelligenten Individuen — mitgeteilt worden war, daß ausschließlich Laute ohne 
Bedeutung verwendet werden sollten, war es doch eigentümlich, daß oft Wörter 
mit Bedeutung verstanden wurden. Kinder von 10 und 11 Jahren schrieben 
fortgesetzt französische Wörter nieder. Ein junger Mann von 18 Jahren, der für 
das schöne Geschlecht nicht unempfindlich war, schrieb sogar fünfmal einen 
Mädchennamen nieder. Das Verkehrtverstehen von Wörtern hat auch vom ge¬ 
richtlichen Gesichtspunkte aus seine große Bedeutung. Bei einem Versuche mit 
einem Studenten, welcher bereits von seiner Geburt an taub war, der jedoch 
mustergültig gesprochene Wörter vom Munde ablesen konnte, wurden auch Fehler 
wabrgenommen, die sich aber in ganz anderer Richtung bewegten; so wurden 
z. B. b, p und m — bei allen drei wird beim Aussprechen der Mund ge¬ 
schlossen — verwechselt. Es fiel dieser Person sehr schwer, nicht zu kom¬ 
binieren? 

Herr R. Sleeswijk spricht über die Bedeutung des psychologischen 
Denkens in der Heilkunde. Er skizziert erst die verschiedenen Auffassungen 
über das Entstehen und das Wesen von Krankheiten in früheren Zeiten. Es be¬ 
steht kein einziger Grund, nicht auch das Wesen des Wahrnehmens und Denkens 
zum Gegenstände des Studiums zu machen und das Psychische nicht auf gleiche 
Linie mit dem Physiologischen zu stellen. In beiden können wir Regelmäßigkeit 
wahrnehmen; bei beiden folgt auf einen bestimmten Reiz ein bestimmter Effekt, 
was Vortr. noch weiter ausführt. Kein staatsmännisches Talent, keine Reklame, 
kein Quacksalber würde denkbar sein, wenn das psychische Handeln nicht einen 
voraus zu berechnenden Effekt haben würde. Als Sitz unserer Psyche ist keines¬ 
wegs ausschließlich das Gehirn anzuBelien, weil auch Entfernung anderer Organe 
psychische Störungen verursachen kann. Die verschiedenen Erscheinungen Bucht 
Vortr. auf mechanischem Wege, durch die Annahme von Spannungszuständen zu 
erklären und w’eist zum Schlüsse auf die große Bedeutung hin, welche die 
Kenntnis unseres psychologischen Denkens auch für den praktischen Arzt 
haben kann. 

Herr A. Morro (Turin) referiert über: Die Psychologie der Pubertftt. 
Er beschreibt die verschiedenen Veränderungen, die während der Pubertät auf- 
treten. Im allgemeinen offenbart sich diese in einer größeren Reizbarkeit; das 
Individuum entdeckt neue Eigenschaften in Bich, so u. a. die Neigung zum Singen, 
die unbemerkt hervortritt. Auch andere Eigenschaften zeigen sich im Charakter; 
Eifersucht oft bei Mädchen, ein starkes religiöses Gefühl usw. Der Jüngling 
fühlt Liebe zu dem Mädchen, er erfährt zuerst, daß sie etwas Göttliches ist; er 

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ist in Gegenwart des Mädchens verlegen, schüchtern. Später nimmt dies jedoch 
andere Formen an. Anders ist dagegen das Mädchen, das sich wohl fühlt bei 
Knaben ihres Alters, bis auch bei ihr das Verlangen erwacht, geliebt zu werden. 
Später sehen wir, daß bei dem Knaben sich wiederum der Charakter ändert. Er 
nimmt Ermahnungen nur mit Widerstreben an, ist unordentlich in seinem Be¬ 
tragen und begeht das, was man als* aktive Übertretungen bezeichnen könnte. 
Das Mädchen dagegen (die Strafstatistiken der Schalen lassen dies erkennen) ver¬ 
übt passive Übertretungen wie Trägheit, Nachlässigkeit, Unreinlichkeit usw. Dann 
tritt bei ihr die Neigung auf, sich vor ihren Geschlechtsgenossen dem andern 
Geschlecht gegenüber auszuzeichnen; sie wird kokett und eitel. Im weiteren Ver¬ 
laufe skizziert Vortr. noch ausführlich die verschiedenen Eigenschaften, die das 
Mädchen während der Pubertät bekommt. Dies alles sieht er als vollkommen 
normal an und geht darauf zu den krankhaften Abweichungen im Charakter 
während dieser Periode über. 

Herr C. J. Wynaendts-Francken spricht über den Unterschied der 
Träume bei Männern und Frauen. Bereits in früheren Jahren sind hierüber 
zahlreiche Mitteilungen, jedoch oft spekulativ-theoretischer Art erschienen. All¬ 
gemeine Resultate über Träume sind ausschließlich auf statistischem Wege zu er¬ 
halten. Diese Methode ist bereits früher von Keerwagen, de Sanctis und 
einigen Amerikanern angewendet worden; doch beschränkte sie Bich nur auf 
einzelne Punkte. Vortr. hat nun mittels Formularen an 300 Personen, sowohl 
Männern als Frauen, 45 Fragen bezüglich ihrer Träume gestellt. Es ergab sieb, 
daß 54°/ 0 der Männer und 75 °/ 0 der Frauen oft träumten. Farbensensationen 
in den Träumen kamen bei Männern in 48%, bei Frauen in 74% der Träume 
vor; Geräusche wurden wahrgenommen von Männern in 30 %, von Frauen in 
58 % der Fälle; Geschmacksensationen in 6 bzw. 15 %, Geruchsensationen in 
1 bzw. 13% der Träume. Emotionen erweckende Träume kamen bei Frauen in 
81 %, bei Männern in 57 % der Fälle vor. Für belanglose (farblose) Träume 
gab Vortr. die Ziffern 32 % für Männer und 4 °/ 0 für Frauen. Hiermit steht 
die Tatsache im Zusammenhang, daß Frauen viel häufiger durch den Inhalt ihres 
Traumes erwachen und sich desselben besser zu erinnern wissen als Männer; sie 
vergessen die Träume auch weniger schnell als die Männer und hegen im all¬ 
gemeinen für das Traumleben mehr Interesse; eine Fortsetzung früherer Träume 
kommt denn auch bei Frauen sehr oft vor (64 %). Die größere Lebhaftigkeit 
der Träume und das erhöhte Interesse der Frauen an den Träumen haben die 
Folge, daß sie nicht immer Traum und Wirklichkeit voneinander unterscheiden 
können. Der Inhalt der Träume von Frauen besteht oft in einer Erfüllung von 
Wünschen, die sie in ihrem gewöhnlichen Leben hegen (43 % der Frauen gaben 
an, daß dieB in ihren Träumen dann und wann vorkam, während nur 23 % der 
Männer diese Frage bejahend beantworteten). Vortr. schreibt dies hauptsächlich 
der größeren Phantasie des weiblichen Geistes zu wie auch der größeren Be¬ 
deutung, welche die Frauen den Träumen beimessen. 24 % der Frauen, aber 
nur 7 % der Männer legten den Träumen einen gewissen vorauskündenden Wert 
bei. Die zahlreichen quantitativen Unterschiede zwischen den Träumen der beiden 
Geschlechter können logisch aus einander erklärt werden und sind wahrscheinlich 
auf nur wenige Grundunterschiede zurückzuführen. 

Herr Sollier (Brüssel) referiert: Gegenwärtiger Stand der Lange-James- 
sohen Theorie der Affekte. Vortr. gibt erst eine Übersicht über die Theorie 
von Lange und über die von James und beleuchtet kurz die Einwände, die 
von verschiedenen Seiten gegen diese Theorien vorgebracht sind. James meinte, 
daß seine Theorie durch Beobachtungen bei Personen, die völlig empfindungslos 
waren, bewiesen werden könne, aber er vergaß dabei, daß dies unmöglich ist, 
weil ein derartiger Zustand allein im Tode vorkommt. Man muß sich also für 

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die Untersuchung der Theorie mit Zuständen, die dem von James gewünschten 
Zustand mehr oder minder nahe kommen, zufrieden geben. Im weiteren Verlaufe 
legt Vortr. dar, welche Resultate die Krankheitslehre, die Psychologie und die 
Physiologie für diese Theorie ergeben, um endlich zu dem Schlüsse zu kommen, 
daß der größere Teil der Psychologen gegenwärtig diese Theorie verwirft, um 
ihr nur noch einen historischen Wert zuzuerkennen. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren Kohnstamm, Aschaffen» 
bürg (Köln), Liepmann (Berlin) und Otto Gross (Qraz). 

Ehrenvorsitzender: Herr Sommer. 

Herr Jo dl spricht über: Wahrnehmung und Vorstellung. Vortr. be¬ 
schäftigt sich erst mit der Terminologie. 1. In weiterem Sinn ist Wahrnehmung 
dasjenige, was man bewußt erlebt. 2. In engerem Sinn ist es das, was wir 
brauchen, um es einer Vorstellung entgegenzustellen. Man muß das Erinnerungsbild 
hier ausschließen; jedoch müssen wir hier noch den Sprachgebrauch einiger 
Psychologen erwähnen, die unter den Begriff Vorstellung auch die Wahrnehmung 
rechnen. Den großen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung trifft 
man in der Terminologie des täglichen Lebens, wo man jemanden, der zwischen 
beiden unterscheidet, als gesund ansieht. Die deskriptive Weise, zu einer Unter¬ 
scheidung zu kommen, nennt Vortr. ungenügend. Wir wissen, daß es Wahr* 
nehmungen gibt, die mehr umfassen, als die Vorstellung geben kann, bei den 
Halluzinationen, bei Illusionen, bei hoch erregter Phantasie. Jedoch bei der 
Hysterie findet man, daß auf Reizen beruhende Wahrnehmungen durch centrale 
Prozesse völlig ausgelöscht werden können; so daß wir also den Unterschied nicht 
allein auf Klarheit, Deutlichkeit gründen können. Von Taine ist dies so gut 
skizziert in seinen „Wahren Halluzinationen“. Auf die genetische Weise kommen 
wir auch nicht weiter. Wir können uns nicht auf das Wahrnehmen von Reizen 
stützen. Trotz normaler Reize findet keine Wahrnehmung bei Aufheben der 
Centren statt; sind diese intakt, die periphere Leitung aufgehoben, dann kann 
noch Bewußtsein durch centrale Reize auftreten. Die Zusammenwirkung der 
Sinne unterstützt das Wahrnehmen der Reize; aber auch das kann durch ver¬ 
schiedene Ursachen vermindert sein. Im täglichen Leben kennen wir den Unter¬ 
schied. Vor Halluzinationen ist keiner von uns geschützt. Den Menschen, der 
seine Wahrnehmung durch seine Vorstellungen verdrängen läßt, würde jeder als 
abnorm erklären. Nietzsche hat gesagt: „Dasjenige, waB am schwersten zu 
beweisen ist, ist das Selbstverständliche“. Die Erklärung des Individuums im 
geistigen Sinn können wir erat im Bozialpsychologischen Sinn erhalten. Ein 
völlig vereinzeltes Individuum wird den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung 
und Vorstellung mehr und mehr verlieren; siehe den einsamen Träumer. Lebt 
der Mensch in der Gesellschaft anderer, dann kann er seine Wahrnehmung ve» 
gleichen mit der Wahrnehmung dieser anderen; man kann sich mit leichter 
Mühe vergewissern, ob sie auch bei anderen besteht, aber nicht die Vorstellung. 
In der Sozialpsychologie wurzelt der Zusammenhang zwischen der äußeren Wahr¬ 
nehmung und der Vorstellung. 

Bei der Debatte spricht Herr Heymans die Meinung aus, daß wir das 
Soziale nicht immer nötig haben; daß es ein gutes sekundäres Kriterium ist, 
aber nicht als fundamentales, primäres Kriterium brauchbar ist. Bevor wir uns 
auf andere berufen können, müssen wir diese doch erat kennen, doch ein Kriterium 
dafür haben. Als Wahrnehmung sehen wir etwas an, wenn wir in unserem Be¬ 
wußtsein nichts finden, was eine Ursache dafür angibt; das ist ein gutes primäres 
Kriterium; wir werden es jedoch selten gebrauchen. 

Herr Sommer weist darauf hin, daß das Einsamsein nur eines der be¬ 
günstigenden Momente ist, um Vorstellung und Wahrnehmung zu vermischen: 

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denn außer einsamen Träumern gibt es auch einsame Wahrnehmer. Eh sieht 
aber den sozialen Punkt als sehr wesentlich an. Er verweist auf Zeugen vor 
dem Gericht und auf klinische Wahrnehmungen bei einigen Hysterischen, und 
weist auch noch hin auf die Sinnestäuschungen bei der Paranoia. ' 

Herr Jo dl gibt zu, daß der soziale Punkt für einige Fälle nur ein letzter 
Punkt ist, um den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung Enden 
zu können. 

Darauf macht Herr de Bo er (Amsterdam) einige Mitteilungen über seine 
Untersuchungen über das Thema: Assoziation gegensätzlicher Begriffe. Da 
die Versuche jedoch noch nicht abgeschlossen sind, kann Vortr. noch nicht die 
Resultate in ihrem ganze Umfange mitteilen. 

Herr Jo dl weist auf die Wichtigkeit dieser Versuche für die Psychologie 
hin, während Herr Sommer ihren Wert für psychiatrische Fälle zeigt 

Herr Clemens Charpentier (Paris) hält seinen Vortrag über einen Fall 
von Simulation einer Geisteskrankheit, woran er seinen essai de Psycho¬ 
logie criminelle anknüpft Vortr. spricht über ein Mädchen, das unter dem 
Stigma Hysterie in dem Gefängnis saß; sie beschrieb sehr genau alle Symptome 
ihrer Kleptomanie. Nach langer Beobachtung kam Vortr. dazu, sie als Simulantin 
anzusehen. Sie hatte sowohl ihre Familien- als auch ihre persönlichen Antecedentien 
erlogen. Sie bekannte schließlich, daß sie simuliere, weil es sie langweile, noch 
weiterhin auf allerlei Weise untersucht zu werden. Sie erzählte, daß sie von 
einem Advokaten über das Simulieren aufgeklärt worden sei. Vortr. teilt dann 
einige Fälle über den Scharfsinn dieser Person bei ihrem Stehlen mit. Es besteht 
ein Verband mit einer Administration, selbst mit Richtern, zwischen vielen Ver¬ 
brechern. Diese Person stand auf intimem Fuß mit einem Anarchisto-Philosophen, 
der ihr sagte: „Stiehl! Das ist das beste Mittel, die kapitalistische Gesellschaft 
zu vernichten!“ Sie ihrerseits machte sich nicht das mindeste daraus, daß sie im 
Gefängnis saß. Da wurde sie gut behandelt, während sie von der Organisation 
der Verbrecher gleichfalls verdiente. 

Da Herr Michotte nicht anwesend ist, schließt Herr Sommer die Ver¬ 
sammlung und verweist auf die hohe Bedeutung, in einem Kongreß die Fächer 
Psychiatrie und Psychologie vereinigt zu sehen, ein Fortschritt, den er den Be¬ 
mühungen des Herrn Heymans in Groningen zuBchreibt. 

Herr Gross (Graz) referierte über das Thema: Die sekundäre Funktion, 
das sich jedoch zu einem kurzen Auszug nicht eignet. 

Weiter nimmt das Wort Herr M. Schuyter, Direktor des Städtischen 
Instituts für Pädologie in Antwerpen, zu dem Referat: Probleme in der Pädo- 
logie. Verschiedene wesentliche Fragen pädologischer Art wurden berührt u. a. 
bei der Frage des Einflusses, den das erste Schuljahr auf die Kinder ausübt, still¬ 
gestanden, Vortr. zitiert dabei einige Autoren, die darauf hingewiesen haben, 
daß zugleich mit der Entwicklung des Verstandes (zusammenfallend mit der ersten 
Schulzeit) eine intellektuelle Depression auftritt, die auch physisch ihren Ein¬ 
fluß geltend macht. 

Herr v. Römer beschreibt die neue Theorie zur Erklärung psycho¬ 
logischer Probleme von B. v. Albada. Albada hat eine neue Theorie über 
die Zellteilung anfgestellt und meint, daß dabei molekulare Kräfte, die eine 
Schwingung verursachen, wirksam sind. Dieselben Einflüsse, die bei der Zell¬ 
teilung eine große Rolle spielen, tun dies auch unter anderen Umständen im 
Pflanzen- und Tierreich. Der Bau der Diagramme von Pflanzen, des Gehirns usw. 
erinnert hieran. Als Resultat seiner Untersuchungen hat Albada zwei Sätze auf¬ 
gestellt: a) Jede Zelle hat ihre eigene Schwingungszahl, die von Struktur, Spannung 
und Masse abhängig ist. b) Jedes Konglomerat von Zellen hat seine eigene 
Schwingungszahl, die von seiner gesamten Struktur, Spannung und Masse ab- 

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hängig ist. Durch diese Sätze werden zahlreiche Probleme viel deutlicher, so 
die Probleme über Sympathie und Antipathie, die Erscheinungen der Telepathie 
und Psychometrie. Auch die nationale Musik. Man wird immer wieder von dem 
eigenartigen Charakter jeder nationalen Musik seltsam betroffen. Augenscheinlich 
haben verschiedene Konglomerate von Menschen auch ihre eigene SchwiDgungszahl. 
Ebenso besteht eine nationale Malerkunst. Wie verschieden ist nicht die hollän¬ 
dische Malerkunst von der italienischen; bei der ersteren Licht und Schatten und 
Plastik, hei der letzteren allein Farbenpracht. Auch in diesen bereits viel feineren 
Schwingungen findet man verschiedene, für jedes Volk charakteristische Nuancen. 
Durch diese Theorie sind nach Ansicht des Vortr. auch zahlreiche andere Er¬ 
scheinungen zu erklären, z. B. die größere Reizbarkeit einiger Individuen im 
Frühlinge, wenn die Energie*Ausstrahlungen der Sonne intensiver sind; auch die 
Massensuggestion. 

Herr Hey man s spricht in Kürze über Klassifikation der Charaktere. 

Herr von Römer wollte eine Mitteilung über ein Instrument machen, mit 
welchem man die Fertigkeit der Artilleristen im Richten des Geschützes unter¬ 
suchen kann. Er verweist zu diesem Zweck auf die in Druck erschienene Be¬ 
schreibung des Instrumentes. 

Herr Sommer spricht über die Vorgeschichte der Psyohopathen. Bei 
der Ascendenz der Psychopathen muß man gleichartige Anlage, das will sagen 
die Fälle, hei denen man jetzt und in der Vorgeschichte dieselben Krankheiten 
findet (z. B. Epilepsie usw.), von komplizierter Anlage unterscheiden, das will 
sagen, von den Fällen, wo jetzt vage Symptome auftreten, während in der Vor¬ 
geschichte eine bestimmte Krankheit in den Vordergrund trat. Man muß mit 
der Anamnese bis auf die Konzeption zurückgehen, darauf die Schwangerschaft 
und die Geburt studieren, wobei Vortr. besonders auf Asphyxie und Hydrocephalie 
hinweist; danach die erste geistige Entwicklung des Kindes verfolgen, dann die 
Entwicklung in der Schule, woran Vortr. die Besprechung der Schule für zurück¬ 
gebliebene Kinder anknüpfte. Von großer Bedeutung ist weiter die Berufswahl. 
Dies alles ist sehr wichtig für das ganze Studium der Kriminologie und auch bei 
den militärischen Aushebungen muß diese Anamnese berücksichtigt werden. Die 
Untersuchung des Stammbaumes muß nicht allein nach der väterlichen Seite 
erfolgen, sondern sich in mehr Richtungen erstrecken, und man achte dabei vor 
allem auf die wesentlichsten Eigentümlichkeiten der Familien. Auf diese Weise 
sieht man bei einigen Familien sowohl Degeneration als Regeneration auftreten. 

An der Diskussion nahmen teil die Herren Jodl (Wien), de Groot (Brüssel), 
Gunning (Amsterdam) und A. Waldenburg (Berlin). Der Letztgenannte wies 
darauf hin, daß er bereits seit 1900 solche Untersuchungen, wie sie Herr Sommer 
über Stammbäume als wünschenswert erachte, vorgenommen habe, mit denen er 
Schädelmessungen verbunden habe, aus welchen er eine bestimmte psychopathische 
Schädel form ableitete. 

(Schluß folgt.) 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 


Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzosb 4 Wirna in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet von Prot E. Mendel. 

Herausgegebeu 

Ton 

Dr. Kurt Mendel. 

Seehsnndzwanzigster Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Za beziehen durch 
alle Bachhandlangen des In* and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 16. Oktober. Nr. 20. 


Inhalt. I. Originalmltteilungen. 1. Ober mangelnde Wahrnehmung (Autoanästbesie) 
der Blindheit bei cerebralen Erkrankungen, von Prof. Dr. Emil Redlich and Dr. Glulio Bon* 
vieini in Wien. 2. Ober das Verhalten ues proximalsten (extramedullären und -pialen) 
Teiles der hinteren Wurzeln bei Degeneration und Regeneration, von Prof. Dr. G. Bikelss. 
3. Kurze Bemerkungen zu der Freud sehen Lehre über die sexuelle Ätiologie der Neurosen, 
von Hofrat'Dr. A. Friedlinder. 4. Ein Fall von rhythmischen, kontinuierlichen Krämpfen 
der 8chling- und Respirationsmuskulatur auf der Basis einer funktionellen Neurose (trauma* 
tische Neurose), von Dr. E. Ernst in Kowno (Rußland). 

II. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft Deutscher Nervenärzte. Erste Jahresversamm¬ 
lung in Dresden am 14. und 15. September 1907. (Schluß.) — 79. Versammlung deutseher 
Naturforscher und Arzte in Dresden vom 15. bis 21. September 1907. (Schluß.) — Inter¬ 
nationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege in Amsterdam 
vom 2. bis 7. September 1907. (Schluß.) • 

III. Vermischtes. — IV. Berichtigung. 


I. Origin&lmitteilungen. 


1. Über mangelnde Wahrnehmung (AutoanästhesieJ der 
Blindheit bei cerebralen Erkrankungen. 1 

Von Prof. Dr. Emil Bedlieh und Dr. Oiulio Bonvicinl in Wien. 

Im Jahre 1892 hatte Kleger einen Fall, einen 76jährigen Mann, mit 
cerebral bedingter Blindheit zu beobachten Gelegenheit, der in der Habilitations¬ 
schrift von Wolff* ausführlich wiedergegeben ist; hier war nach einem apoplek- 
tischen Anfalle nebst Störungen der Motilität beider Seiten und psychischen 
Alterationen vollständige Blindheit aufgetreten. Auffallenderweise aber war 
sich der Kranke seiner Blindheit nicht bewußt, ja er protestierte sogar 
entschieden gegen eine solche Zumutung. Er ließ sich auch leicht angebliche 
optische Wahrnehmungen suggerieren, „sein ganzes Sehen beruhte lediglich auf 


1 Vorgetragen in der Sektion fflr Neurologie und Psychiatrie der Naturforscherversamm¬ 
lung in Dresden; vgl. d. Centn 1907. S. 919. 

* Wolf v, Über krankhafte Dissoziationen der Vorstellungen. Leipzig 1897. 


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Einbildung“. Auf die wirklich mustergültige Untersuchung in psychologischer 
Sichtung, auf die Besonderheiten, die sich dabei ergaben, kann hier nicht ein¬ 
gegangen werden; wir wollen nur noch kurz auf den bloß kursorisch angegebenen 
Obduktionsbefund hinweisen, der u. a. rechts eine Erweichung des Stirnlappens, 
des oberen Scheitelläppchens und des Hinterhauptslappens, speziell des Cuneus, 
links einen Defekt in den Centralwindungen, dann im oberen und unteren 
Scheitelläppchen und im Hinterhauptslappen ergab. 

Schon vor Riegeb hat Monakow 1 einen Fall beobachtet, der infolge beider¬ 
seitiger Occipitalerkankung nach der Anamnese durch längere Zeit vollständig 
blind gewesen sein soll, ohne sich seiner Blindheit bewußt zu sein; anfänglich 
suchte der Kranke ganz wie unser später zu erwähnende Fall Hl die Ursache 
seines Nichtsehens in äußeren Verhältnissen, vermeinte in einer finsteren Grube 
zu sein. Später hat Monakow noch einen zweiten ähnlichen Fall beschrieben. 

Einen in gewisser Beziehung analogen Fall haben auoh Dejebine und 
Vialet im Jahre 1893 beobachtet. 1 * 3 Bei einem 64jährigen Manne hatte sich 
nach mehreren Schlaganfällen Blindheit eingestellt, nur ein ganz kleiner Sektor 
links oben war lichtempfindlich geblieben. Der Kranke war sich seiner Seh¬ 
störung in keiner Weise bewußt; wurde er zum Eingeständnis des Nichtsehens 
geführt, dann gebrauchte er Ausreden. Die Obduktion ergab rechts eine, wenn 
auch nicht totale Erweichung des Sehcentrums mit Zerstörung des sagittalen 
Marklagers, links eine ähnliche, wenn auch kleinere Zerstörung des optischen 
Centrums. 

Im Jahre 1899 endlich ist Anton, anscheinend ohne Kenntnis der eben 
zitierten Fälle, in einer den Gegenstand zusammenfassenden Arbeit 9 auf die 
mangelnde Selbstwahrnehmung von Defekten bei rindenkranken Individuen aus¬ 
führlich eingegangen, speziell bei Rindentaubheit und Rindenblindheit Hier 
sei nur auf den letzteren Punkt eingegangen, den zu erörtern Antonb II. Fall 
Gelegenheit bietet Es handelte sich um eine 56jährige Frau, die anfänglich 
ein minimales Gesichtsfeld hatte, später aber total blind gewesen sein soll. 
Davon nahm Patientin aber keine Notiz, sie war, wie sich Anton ausdrückte, 
seelenblind für ihre Blindheit, sie behauptete positiv Dinge zu sehen, die 
sie nicht sah, auch war sie im Raume desorientiert Bei der Obduktion fand 
sich eine nahezu symmetrische Erweichung an der Konvexität beider Hinter¬ 
hauptslappen und eine Zerstörung jener Bahnen, die den Hinterhauptslappen 
mit dem übrigen Gehirn verbinden, sowie eine Läsion des hinteren Balken¬ 
anteiles. Zur Erklärung der mangelnden Selbstwahrnehmung in solchen Fällen 
zieht Anton in erster Linie den Umstand heran, daß nicht nur die Sinnes- 
centren selbst zerstört, sondern gleichsam auch vollständig aus dem 
übrigen Gehirnmechanismus ausgeschaltet gewesen seien, daß aber 
andererseits subkortikale Erregungen der Sinnesbahnen gleichsam 
den Ausfall der bewußten Sinneswahrnehmungen verdecken. Endlich 


1 v. Monakow, Archiv f. Psychiatrie. XVI. 1885. 

1 Sur qd cas de clcitd corticale. C. R. Soo. de Biolog. 1893. 

3 Archiv f. Psychiatric. XXXII. 


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seien von einschlägigen Arbeiten genannt jene von Gboss 1 , der den Haupt¬ 
akzent auf Orientierungsstörungen (im weiteren Sinne nach Haetbcann) 
und die mangelnde biologische Korrektur derselben legt, endlich Bonhöffeh,* 
der auf die Wichtigkeit der Störungen der Merkfähigkeit und eine gewisse 
Analogie zur KoBSAZOw’scben Psychose hinweist 

Wir hatten in der letzten Zeit auf der Klinik v. Wagneb’s 3 Fälle za 
beobachten Gelegenheit, die blind waren, aber, ohne daß sie komplett dement 
oder verworren gewesen wären, kein Bewußtsein ihrer Blindheit hatten. Die 
Fälle sind, wie die eingehende klinische Untersuchung festzustellen erlaubte, 
nicht gleichwertig, auch die anatomischen Veränderungen sind verschieden¬ 
artig (in dem einen, der noch am Leben ist, lassen sie sich aus der Sympto¬ 
matologie hinreichend sicher erschließen), sie sind aber geeignet, interessante Be¬ 
helfe zur Erklärung des uns beschäftigenden Symptoms, der mangelnden Selbst- 
wahmehmung solcher Defekte, zu liefern.* 

Zunächst soll ein Fall kurze Erwähnung finden, der dartun kann, daß der 
Anschein einer solchen mangelndenSelhstwahmehmung vorgetäuscht werden kann 
dadurch, daß der Kranke infolge einer eigentümlichen psychischen Verfassung 
und vor allem, weil er seine Blindheit immer wieder vergißt, sich für ge¬ 
wöhnlich derselben nicht bewußt ist, während er tatsächlich bei darauf 
gerichteter Aufmerksamkeit doch wahrnimmt, daß er nicht sieht. 
Es handelt sich um einen 21jährigen Mann, bei dem sich das typische, hier 
nicht weiter zu schildernde BUd eines Hirntumors entwickelt hatte und der 
infolge von Atrophia nervi optici nach Stauungspapille vollständig erblindet 
war. Die Obduktion ergab ein im vorderen basalen Anteile des Balkens 
sitzendes und auf die angrenzenden Anteile des Stirnbims flbergreifendes Gliom. 

Immer wieder ergab es sich in Gesprächen mit dem Kranken, daß er zunächst 
über gar nichts su klagen hatte, daß er nur allmählich darauf zu bringen war, 
daß „seine Augen schlecht seien“, bis er endlich zugab, eigentlich blind zu sein. 
Aber unmittelbar darauf hatte der Kranke dies wieder vergessen und behauptete, 
vollständig gesund zu sein. In ähnlicher Weise äußerte sich der Kranke, der 
nicht gehen konnte, über seine Lokomotionsfähigkeit 

Zur Erklärung der Nichtbeachtung der Blindheit durch den Kranken, 
einer Teilerscheinung des überhaupt fehlenden Krankheitsbewußtseins, müssen 
wir, wie schon oben angedeutet, in erster Linie seine schwere Gedächtnis¬ 
störung, insbesondere auch die leicht nachweisliche Störung der Merkfähigkeit 
heranziehen, die es verhinderten, daß die Erkenntnis seiner Blindheit, zu der der 
Kranke zu bringen war, haften geblieben wäre. Erinnerungstäuschungen und 
die allgemeine Desorientiertheit mußten ihn auch weiter über die wahre Sachlage 
täuschen. Daß er niemals spontan über seine Blindheit sprach, daran hinderte 
ihn eine allgemeine Apathie, die ausgesprochene Interesselosigkeit, ebenso eine 
unverkennbare Euphorie, die in manchem an das bekannte Bild der Moria 


1 Gboss, Zeitschrift f. Psych. LXI. 

* Bohbövpbb, Archiv f. Psychiatrie. XXXVII. 

* Die ausführliche Publikation mit den genauen Krankengeschichten erfolgt demnächst. 


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erinnerte. Auch seine Demenz und Kritiklosigkeit tragen dazu bei, daß er sich 
des Gegensatzes, in dem sich seine Äußerungen zur Wirklichkeit verhielten, 
nicht inne wurde. Inwieweit der anatomische Befund, der Balkentumor, sowie 
gewisse nachweisliche, diffuse Veränderungen der Hirnrinde zu einer Erklärung 
beizutragen geneigt sind, soll an anderer Stelle auseinandergesetzt werden. 1 

Der zweite Fall knüpft an den ersten an, mit dem er vielfach Ähnlich¬ 
keiten hat, schon darum, weil es sich auch hier um einen Tumor cerebri, ein 
Endotheliom der Dura mater in der Gegend des Pons bei einer 42jährigen 
Frau handelte. Die somatischen Erscheinungen, welche die typischen des Tumors 
cerebri waren, können hier bei Seite gelassen werden. Auch diese Kranke war 
infolge von Atrophia nervi optici naoh Stauungspapille vollständig erblindet. 
Auoh sie wußte von ihrer Blindheit nichts; abweichend aber vom ersten Falle 
nahm sie dieselbe wirklich nicht wahr. Daher war sie niemals zum Ein¬ 
geständnis derselben zu bringen, ja im Gegenteile, sie lehnte immer eine solche 
Zumutung strikte und entschieden ab. Niemals zeigte sie den aus dem Aus¬ 
fälle des wichtigsten Sinnesorganes zu erwartenden Affekt, verhielt sich auch 
sonst nicht wie ein blindes Individuum. Ja noch mehr, die Kranke behauptete 
positiv zu sehen und beschrieb über Befragen eine Menge Dinge, die sie zu 
sehen vermeinte, und das manchmal in einer geradezu verwirrenden Weise; so 
wußte sie z. B., aus dem Gehörseindrucke stets richtig schließend, ob der mit 
ihr Sprechende stehe, und wann er sich niedersetze. Übrigens war die Kranke 
sich auch sonst ihrer Defekte, z. B. ihrer Lokomotionsunfahigkeit, nicht bewußt. 

Zur Erklärung dieses eigentümlichen psyohischen Verhaltens kann vieles 
von dem, was im ersten Falle bereits erwähnt wurde, herangezogen werden, 
so eine gewisse Apathie mit Euphorie, die allgemeine Demenz, während die 
Gedächtnisstörung hier nioht so ausgesproohen war. Wichtig ist, daß das 
optische Erinnerungsvermögen der Kranken relativ gut erhalten 
war und sie so über das Material zur Beprodnktion selbst ins Detail gehender, 
optischer Erinnerungsbilder verfügte. Die allgemeine Orientierungsstörung und 
Erinuerungstäuschungen ermöglichten es also, daß die Kranke gleichsam ihre 
neue Umgebung mit Reminiszenzen früherer Zeiten bevölkerte. Andere Momente; 
z. B. die Bedeutung akustischer, taktiler Sinneseindrücke der vermeintlich ge¬ 
sehenen Objekte und Personen, die Verwechslung gehörter Objekte mit gesehenen 
wird später beim dritten Fall, wo dies noch viel deutlicher war, ausführlicher 
besprochen werden. 

Dieser in aller Kürze besprochene Fall zeigt also, daß der Mangel der 
Selbstwahrnehmung der Blindheit zustande kommen kann, ohne 
grobe anatomische Schädigung der Sinnescentren und ihrer Bahnen 
dann, wenn, wie z. B. hier, durch einen Tumor cerebri die allgemeine 
psychische Leistungsfähigkeit des Gehirns herabgesetzt und gewisse 
Funktionen im besonderen geschädigt sind. 


1 Redlich, Über diffuse Veränderungen der Hirnrinde bei Hirntumoren, 
dem neurolog. Institute von Prof. Obbbsteinbb, 1907. 


Arbeiten aus 


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Den Fällen von Monakow, Ribose, Dejerinb und Anton in der 
Pathogenese steht ein dritter Fall nahe, den wir durch lange Zeit genauestem 
zu beobachten Gelegenheit haben. Es handelt sich um einen 74 jährigen Mann, 
der im Jahre 1902 einen Schlaganfall erlitt, der eine leichte, vorabergehende 
linksseitige Lähmung und als dauerndes Herdsymptom eine linksseitige 
homonyme Hemianopsie hinterließ. Am 14. November 1905 ein zweiter 
Schlaganfall mit Krämpfen der rechten oberen Extremität Als dauernde 
Störung blieb zurück eine leichte rechtsseitige Hemiparese, rechts¬ 
seitige Hemianaesthesie, die insofern vom gewöhnlichen Bilde abweicht, 
als anfänglich für die taktile Sensibilität, später für die Schmerzempfindung 
und Thermosensibilität die Empfindungsstörung am Rumpfe stärker als am 
Kopfe, und am Ober- und Vorderarme stärker als an der Hand ausgesprochen 
ist Seit dem zweiten Schlaganfalle ist der Patient, der auch eine gewisse 
Orientierungsstörung zeigt, dauernd vollständig blind; der ophthalmoskopisohe 
Befund ist normal. Wir haben hier wohl zwei Erweichungsherde vorauszusetzen, 
deren einer im rechten Hinterhauptslappen sitzt und, durch Verschluß der 
rechten Arteria cerebri posterior bedingt, das optische Centrum, bzw. die optischen 
Bahnen zerstörte, der andere in der linken Hemisphäre sitzt, entweder im Parietal¬ 
lappen mit Übergreifen auf die optischen Bahnen, oder, was wahrscheinlicher 
ist, durch Verschluß der Arteria chorioidea anterior eine Zerstörung des hinteren 
Schenkels der inneren Kapsel und so Hemiparese und Hemianaesthesie auslöst, 
während die rechten optischen Bahnen entweder im retrolentikulären Anteile 
der inneren Kapsel oder im Tractus opticus selbst lädiert sind. Die Blindheit 
ist also bedingt durch die Summation einer linksseitigen und rechts¬ 
seitigen Hemianopsie, ohne daß, wie dies gewöhnlich der Fall ist, 
die centralsten Anteile des Gesichtsfeldes erhalten geblieben wären. 
Von der totalen Blindheit haben wir uns auf jede nur mögliche Weise zu über¬ 
zeugen gewußt Bei den Fällen von Bebqeb, Boutebbt, Oulmont, Schibmeb usw., 
wo gleichfalls totale Blindheit angegeben ist, ist nicht mit allen gebotenen 
Kautelen untersucht worden, so daß immerhin Zweifel bestehen können. 


Von besonderem Interesse ist es nun, daß auch dieser Kranke sich 
seiner Blindheit für gewöhnlich durchaus nicht bewußt ist, ja daß 
er die Zumutung, blind zu sein, ganz entschieden zurückweist Kur schlecht zu 
sehen, gibt er zu. Dann aber sind es äußere Umstände, auf die er es zurück- 
führt, daß er nicht oder schlecht sehe, „das Licht wäre nicht angezündet, die 
Lampe brenne schecht und ähnliches“. Er beschreibt auch auf Aufforderung 
eine Menge Dinge, die er angeblich sieht, er gibt unter Umständen eine bis 
ins Detail gehende Schilderung der Personen, die er zu sehen vermeint Immer 
aber entsprechen seine Mitteilungen über angebliche optische Wahrnehmungen, 
soweit es sich nicht um reine Phantasiegebilde handelt, Erinnerungsbildern 
früherer Zeiten, wie denn der Kranke überhaupt örtlich vollständig desorientiert 
ist und sich meist in der ihm früher gewohnten Umgebung und Beschäftigung 
vermeint Wie eine genaue Prüfung seines optischen Erinnerungsvermögens 
ergab, and dem Patienten optische Erinnerungsbilder in großer Zahl erhalten 


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geblieben, und so hat er, wie der zweite Fall, in Verwechslung von Gr* 
innerungebildern mit Wahrnehmungen Material genug für das angebliche 
Sehen. Manchmal aber, wenn auch sehr selten, wenn ihm, durch äußere Um¬ 
stände veranlaßt, das Bewußtsein seiner Situation aufdämmert, wenn er sich 
im Krankenhause weiß, dann gibt er auch zu, nicht zu sehen, ja sogar blind 
zu sein. Freilich, der entsprechende Affekt fehlt ihm auch dann, und die all¬ 
gemeine Gedächtnisschwäche, die, wie die eingehende Untersuchung zeigte, an 
die senile, bzw. KonsAKOw’sche erinnert, läßt diese Erkenntnis bald wieder 
vergessen sein. Die Gedächtnisstörung verhindert wohl auch, den Zustand von 
einst und jetzt in bezug auf die optischen Wahrnehmungen zu vergleichen. 
Erinnerungstäuschungen spielen übrigens auch hier wie in den vorausgehenden 
Fällen eine gewisse Bolle. 

Für die positive Behauptung des Sehens ist aber ein anderes Moment, das 
schon im zweiten Falle kurz Erwähnung fand, von der allergrößten Bedeutung, 
das ist gleichsam die Substituierung der optischen Komponente eines Objektes, 
einer Person oder einer Handlung durch einen andersartigen Sinneseindruck. Ein 
Zündhölzchen, dessen Anzünden er durch das damit verbundene Explosiona- 
geräusch hört, oder dessen Wärme er spürt, vermeint er zu sehen. Oder eine 
Person, mit der er sich längere Zeit unterhalten hat, glaubt er nun optisch 
wahrzunehmen, eine Speise, die er durch die Geschmacksempfindung erkennt, 
beschreibt er, als wenn er sie sähe, ebenso einen Gegenstand, den er durch 
Betasten erkannt hat Seine sonstigen Sinneswahrnehmungen erfolgen ja, so¬ 
weit nicht organische Ausfälle vorliegen (Sensibilitätsstörungen!) gut Daß dem 
wirklich so ist, zeigt der Umstand, daß er, wenn das Geräusch des Anzündens 
des Zündhölzchens auf hört oder die Wärme auf die rechte thermanaesthetische 
Gesichtsseite einwirkt, behauptet, jetzt sei es verlöscht Ob wirkliche Gesichts¬ 
bailuzinationen bei dem Kranken Vorkommen, oder ob es sich bei solcherart 
zu deutenden Angaben bloß um Erinnerungstäuschungen bzw. Traumerlebnisse 
handelt, konnte nicht mit aller Sicherheit entschieden werden. Eine genaue 
Intelligenzprüfung ergibt zweifellose Ausfälle, aber doch nicht derart intensiver 
Art, um das Verhalten des Kranken einfach mit Demenz erklären zu können. 
Immerhin ist eine gewisse Urteilsschwäche unverkennbar, sie ist auch not¬ 
wendig, soll uns der Kranke nicht ganz unverständlich bleiben. 

Ganz erklärt ist durch das Gesagte das uns beschäftigende Symptom gewiß 
nicht, nur Hinweise für ein solches Verständnis dürften geliefert sein. Weitere 
Beobachtungen werden hoffentlich mancherlei Ergänzungen bringen. Denn es ist 
anzunehmen, daß bei entsprechender Untersuchung noch mehr Fälle von beider¬ 
seitiger Zerstörung der optischen Centren bzw. Bahnen sich als hierhergehörig 
erweisen werden. Gleichsam das Gegenstück dazu bieten die nicht allzu seltenen 
Fälle, wo Kranke, die plötzlich Störungen des Sehvermögens erfahren, denen 
aber ein Best des Gesichtsfeldes, sogar das centrale Sehen zurückgeblieben ist, 
behaupten blind zu sein. 

Aus unseren Auseinandersetzungen dürfte aber eines hervorgehen. Mit einer 
rein anatomischen Betrachtung gewinnen wir für unsere Fälle keine volle Aufr 


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klärung. Es handelt sich nicht nm eine streng lokalisierbare und 
anatomisch, definierbare Ausfallserscheinung; die Zerstörung der optischen 
Centren und ihre Ausschaltung aus dem übrigen Gehimmechanismus hat gewiß 
ihre Bedeutung, aber sie allein lassen es uns uns nioht verständlich erscheinen, 
daß der Kranke in keiner Weise merkt, daß ihm eine wichtige Sinnesbahn 
versperrt ist, ja daß er behauptet, Sinneswahrnehmungen zu haben, die ihm 
fehlen, ohne daß immer Halluzinationen oder schwere Demenz vorliegen. 

Schon der Umstand, daß unser dritter Kranke doch bisweilen, wenn auch 
vorübergehend, sich des Defektes bewußt wurde, während die anatomischen 
Läsionen doch gewiß die gleichen geblieben sind, zeigt die Unzulänglichkeit 
eines solchen Standpunktes. Nur die ins Detail gehende psychologische Analyse 
solcher Fälle läßt uns das Verhalten dieser Kranken ihrem Defekte gegenüber 
verständlich erscheinen; in anatomischer Hinsicht ist neben den lokalen Läsionen 
eine mehr allgemeine Schädigung des Gehirns unerläßlich. 


[Aas dem physiologischen Institut (Prof. A. Bbck) der Universität in Lemberg.] 


2. Über das Verhalten des proximalsten (extramedullären 
und >pialen) Teiles der hinteren Wurzeln bei Degeneration 

und Regeneration. 


Von Prof. Dr. G. Bikeles. 


Gelegentlich anderweitiger, neulich ausgeführterUntersuchungen nach Durch¬ 
quetschung von hinteren Wurzeln (und zwar der VI. und VII. lumbalen) beim 
Hund konstatierte ich folgendes: Bei einem Tier, welches die Durchquetschung 
der hinteren Wurzeln proximal vom Spinalganglion über einen Monat (36 Tage) 
überlebte, erschien die hintere Wurzel in beträchtlicher Länge hochgradig 
degeneriert und bei Färbung nach Weigbrt gänzlich ungefärbt, kaum noch 
minimale Spuren von Myelinzerfallsprodukten zeigend, hingegen färbte sich ein 
kleiner unmittelbar hinter dem Durchtritt durch die Pia gelegener Abschnitt 
ebenso wie die intramedulläre Fortsetzung der hinteren Wurzel noch ziemlich 
gut. Umgekehrt wiederum war das Verhalten bei zwei Tieren, die nach statt¬ 
gehabter Durchquetschung der hinteren Wurzeln 3 Monate am Leben erhalten 
worden waren. Bei diesen letzteren zeigten sich in der hinteren Wurzel von 
der Quetschungsstelle angefangen sehr zahlreiche, ziemlich dicht beieinander 
gelagerte, feine regenerierte Nervenfasern, die durch eine ganz beträchtliche 
Länge der extramedullären Wurzel bis unweit von der Durchtrittsstelle durch 
die Pia sich verfolgen ließen. In geringer Entfernung jedoch von der Pia (also 
noch extrapial) vermindert sich sehr die Anzahl der regenerierten Nervenfasern 
bei gleichzeitiger Zunahme von Myelinzerfallsprodukten, so daß das Aussehen 
dieses Teiles der hinteren Wurzel sich in nichts von dem des intramedullären 
unterscheidet. 


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Dieser unmittelbar hinter der Durchtrittsstelle durch die Pia gelegene extra¬ 
medulläre Abschnitt der hinteren Wurzel, welcher einerseits einen verlangsamten 
Ablauf der Degeneration, andererseits eine nur geringfügige Regeneration zeigt, 
hebt sich auf diese Weise schon gewöhnlioh von der übrigen extramedullären 
Wurzel deutlich ab. Selbst bei Weigert-Päl-ilrbung von Rückenmarksquer¬ 
schnitten, falls die hintere Wurzel denselben noch in einiger Längsausdehnung 
außen anliegt, sieht man nämlich (vgl. Figur), daß ein unmittelbar hinter der 



a Durchtrittstelle daroh die Pi», b proximalsteF extrapialer Abschnitt 
der hinteren Wurzel, d Hauptabschnitt der hinteren Wurzel, e Grenz¬ 
linien zwischen b—d. ... 

Durchtrittsstelle durch die Pia befindlicher Absbhnitt der hinteren -Wurzel sich 
von der übrigen extramedullären Wurzel durch minder intensive Traktion und 
weniger scharfe Konturen der einzelnen Nervenfasern (i. e. deren Markscheiden) 
unterscheidet und zwar ist die Grenze zwischen diesen Abschnitten eine ganz 
scharfe meist in Form einer nach außen konvexen Linie. Wir haben augen¬ 
scheinlich auf der Höhe des Lumbalmarks beim Hund ähnliche Verhältnisse, 
wie sie jüngst Ettohe Levi 1 beim Menschen beschrieben hat, nämlich ein Fort¬ 
setzen der Glia* sowie ein Aufhören der SoHWANK’schen Scheiden an den hinteren 
Lumbalwurzeln noch extrapial, wobei die gegenseitige Abgrenzung zwischen 
Glia und Ende der ScHWANN’schen Scheiden, mit der Aufhellungslinie von 
Obebstbineb und Redlich zusammenfallend, ebenfalls die Form einer nach 
außen konvexen Kugel besitzt. 

Das Fehlen der SoHWANn’sehen Scheide am proximaTsten Abschnitt der 
extramedullären hinteren Lumbalwurzeln dürfte vor allem Ursache sein, daß 
sich dieser Teil bezüglich De- und Regeneration nicht mehr wie periphere, 
sondern wie centrale Nervenfasern verhält und dies ist eben von Interesse. 
(Auf das Mitergriffensein dieses Abschnittes bei Tabes dorsalis macht Levi (1. c.) 
mit Recht aufmerksam.) 


1 Arbeiten aas dem Laboratorium Obersteiners. XIII; ref. auch in d. Centn 1907. Nr. 16. 
* Dies konstatierte bereits Hochb: Beiträge zur Kenntnis des anatomischen Verhaltens 
der menschlichen RQckenmarkswnrzoln. 1891. 


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[PriT&tklinik Hohe Mark bei Frankfurt a/M.] 


3. Kurze Bemerkungen zu der Freud’schen Lehre 
über die sexuelle Ätiologie der Neurosen. 1 

Von Hofrat Dr. A. Friedländer. 

Die Frage nach der „sexuellen“ Ätiologie der Neurosen ist sehr aktuell 
geworden. Zuletzt beschäftigten sich bei dem Internationalen Kongreß für 
Psychiatrie usw. in Amsterdam Janet, Aschaffenburg und Jung damit, ins¬ 
besondere mit Bezug auf die Hysterie. Ich selbst habe vor etwa einem Jahre 
in einem kritischen Referat die Entwicklung der Fnsun’schen Lehre mit ihrer 
gewissermaßen pansexuellen Grundlage darzustellen versucht und in einer kleinen 
Arbeit über Hysterie meine Erfahrungen kurz besprochen. Bei der großen 
Verschiedenheit der Meinungen dürfte eine geraume Zeit verstreichen, bis eine 
Klärung derselben eintritt. Es leuchtet ein, daß eine solche angestrebt werden 
muß; denn die Erforschung der Ätiologie einer Krankheit ebnet den Boden für 
die Prophylaxe und die Therapie. Darum sollten alle, die für oder wider Freud 
streiten, ihre Erfahrungen bezüglich der Ätiologie ausführlich veröffentlichen, 
damit in einigen Jahren ein großes Material zur Verfügung steht, das nach 
jenen Gesichtspunkten geprüft werden kann, die Freud und seine Anhänger 
aufgestellt haben. 

Ich habe dies mit Bezug auf meine zahlreichen Fälle versucht und in gewissen 
Fällen die „psychoanalytische Methode“ angewandt, um dem (nicht ganz unberech¬ 
tigten) Vorwurf, der manchen Gegnern dieser Methode gemacht wurde, zu ent¬ 
gehen, man dürfe nur über eine Methode urteilen, die man selbst kennt und 
angewendet hat An dieser Stelle kann ich darauf nicht näher eingehen. Ich 
möchte nur erwähnen, daß ich auch seit der Niederschrift der oben angegebenen 
Arbeiten zufälligerweise Gelegenheit hatte, neue Fälle von Hysterie und Zwangs¬ 
neurosen in Befyndlung zu nehmen (die auch zur Veröffentlichung gelangen), 
und daß sich auch bei diesen bestätigt hat, was Aschaffenburg, Hoche u. a. 
ausgeführt haben, zur selben Zeit als ich, noch ohne Kenntnis von dem Stand¬ 
punkt jener Autoren, den gleichen in meiner Besprechung der FREun’schen 
Arbeiten vertreten und niedergelegt habe. Es handelt sich bei mir natürlich nicht 
um die ganz nebensächliche Zeitfolge, sondern um die Bekanntgabe meiner 
eigenen Untersuohungsergebnisse, deren Nachprüfung jedem nach dem Erscheinen 
der ausführlichen Arbeiten, selbst möglich sein wird. Wenn ich zum Teil be¬ 
kannte Dinge wiederhole, so geschieht es nur ans dem Grunde, weil es mich 
(gerade nach den JuNG’schen Ausführungen in Amsterdam) bedünkt, als ob die 
Jünger Fbeud’s, denen wir gewiß viele wertvolle Beiträge zu dem Ausbau der 
Lehre von den Neurosen verdanken, für ätiologische Auffassung einerseits und 
daraus entspringendes therapeutisches Handeln andererseits Wege weisen, die 


1 Diese Ausführungen bildeten die Grundlage für einen Vortrag, den ich zu der Ver¬ 
sammlung der Deutschen Nervenärzte in Dresden angemeldet hatte. 

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auf Abwege führen könnten. Die Beurteilung meiner Fälle läßt mich folgende 
Schlüsse ziehen: 

1. Freud zieht den Kreis der sexuellen Ätiologie der Neurosen 
viel zu weit 

2. Es gibt Fälle von Hysterie, die eine rein sexuelle Ätiologie 
haben; diese stellen den Typus der. traumatischen Form dar; solche 
Hysterien werden mit Recht nach Breuer und Freud Abwehr- 
neuropsychosen genannt; für diese gelten die psychologisch feinen 
und fruchtbaren Ausführungen in den „Studien“, die kurz gekenn¬ 
zeichnet werden können durch „eingeklemmten Affekt und Ab¬ 
reaktion“. 

3. Der „eingeklemmte“ Affekt, überhaupt die Affekte spielen 
bei der Entstehung und Weiterentwicklung der Hysterie eine große 
Rolle. Jede Hysterie erscheint symptomatologisch gekennzeichnet 
als Affektneurose oder Affektpsychose. 

4. Jedes andere, nicht sexuelle Trauma kann eine Hysterie er¬ 
zeugen. 

5. Die endogene Veranlagung (Heredität, erschöpfende Ein¬ 
flüsse usw.) wird durch exogene Ursachen manifest, in ihrer gegen¬ 
seitigen Einwirkung, als Hysterie, Zwangsneurose. Diese exogenen 
Ursachen sind nicht nur sexueller, in vielen Fällen überhaupt nicht 
sexueller Art. 

6. Hieraus ergibt sioh auch, daß die psychoanalytische Methode 
Fbrud’s nicht für alle Fälle der Hysterie Geltang haben könnte, 
selbst wenn sie an sich das beste therapeutische Mittel darstellte. 
Sofern aber diese Methode das detaillirteste Eingehen auf ge¬ 
schlechtliche Perversitäten nötig macht, halte ich sie für gefähr¬ 
licher, als ihren Nutzen für erwiesen, nachdem es gelingt, ohne sie, 
selbst bei schwersten Fällen, Heilung zu erzielen, wie ich durch 
meine ausführlichen Darstellungen zu erweisen hoffe/ 


4. Ein Fall von rhythmischen, kontinuierlichen Krämpfen 
der Schling- nnd Respirationsmuskulatur auf der Basis einer 
funktionellen Neurose (traumatische Neurose). 1 

Von Dr. E. Ernst in Kowno (Rußland). 

M. H.l Der Patient, den ich Ihrer werten Aufmerksamkeit empfehle, befindet 
sich in meiner Beobachtung seit 22. Februar a. c. An demselben Tage, gegen 
6 Uhr nachmittags, erhielt Patient, der Gemeiner im hiesigen Festungsregiment 
ist, während einer Turnübung an den Ringen einen Schlag gegen den Kehlkopf 
unter folgenden Umständen: in dem Augenblick, wo Patient sich an den hängen- 


1 Vortrag, gehalten in der medizin. Gesellschaft in Kowno (Rofland) am 26./IIL 1907. 


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den Ringen emporgezogen hatte nnd eben im Begriffe war sich mit beiden Händen; 
gegen dieselben zu stemmen, verlor er die Stütze im linken Arm, der nach vorn 
ausglitt; mit der linken Hand, welche noch den Ring umklammert hielt, bekam 
Patient den erwähnten Schlag gegen den Kehlkopf. Gleich darauf verlor Patient" 
die Besinnung. Die Bewußtlosigkeit dauerte ungefähr 10 bis 15 Minuten. Der 
herbeigeholte Arzt fand den Patienten schon bei vollem Bewußtsein, konstatierte 
aber Behr starke Atembeschwerden, weshalb er den Patienten sogleich ins hiesige 
Militärlazarett transportieren ließ. 

Bei der Aufnahme, die gegen 10 Uhr abends erfolgte, wurde folgender Be¬ 
fund festgestellt: 

Patient ist von kleinem Wuchs, mittelstark, etwas bleich. Das erste, was 
dem Beobachter ins Auge fällt, ist eine überaus oberflächliche Respiration: die 
Exkursionen des Brustkorbes fehlen beinahe gänzlich; dagegen bemerkt man im 
Epigastrium deutliche rhythmische Zuckungen, die- man auch beim Palpieren recht 
deutlich wahrnehmen kann. Gleichzeitig, vollständig synchron mit den oben¬ 
erwähnten Zuckungen im Epigastrium, bemerkt man ebensolche Zuckungen am 
Kehlkopf, der 52 bis 5 6 mal in der Minute emporgehoben wird. Synchron mit 
letzteren bestehen rhythmische Zuckungen in der Muskulatur des Mundbodens. 
Bei der Untersuchung der Mundhöhle gewahrt man ebensolche klonische Zuckungen 
in den Muskeln des weichen Gaumens, wobei jedesmal die beiden Gaumensegel 
einander genähert werden; zugleich bemerkt man rhythmische Zuckungen in den 
Zangenmuskeln: die Zunge wird dabei vorwärts und rückwärts gezogen und gleich¬ 
zeitig an den Gaumen gedrückt. In der Gesichtsmuskulatur können mit Aus¬ 
nahme von Kontraktionen des Levator alae nasi keinerlei Zuckungen wahrgenommen 
werden. 1 

Bei der Aufforderung tief zu atmen sieht man recht energische Kontraktionen 
der Mm. sternocleidomastoidei und scaleni, wobei sich das Epigastrium und Hypo- 
chondrium einwölbt; der Brustkorb hingegen bleibt bei den tiefen Inspirationen 
bewegungslos. 



Sprachstörungen existieren nicht. Die laryngoskopische Untersuchung, welche 
bereitwillig vom Spezialisten Laryngologen Dr. Bulgaxow ausgeführt wurde, er¬ 
gab auch im Gebiete der Kehlkopfmuskulatur ein analoges Bild wie an den 
Schlingmuskeln. An den Zuckungen beteiligten sich die Mm. arythaenoidei trans- 
versus et obliqui, thyreoarythaenoid. et aryepiglott. Synchron mit allen übrigen 
Zuckungen adduzieren sich die beiden Stimmbänder, wobei aber keine Spannung 
derselben bemerkbar ist; gleichzeitig wird der Kehlkopfdeckel löffelartig eingebogen. 


1 Während des Schlafes hören alle Zackungen auf, die Respiration ist oberflächlich, 
aber ruhig. 


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Weder Schwindel, noch Kopfschmerz, noch Erbrechen. 
Keine Gleichgewichtsstörungen beim Stehen oder Gehen mit 
geschlossenen Augen. Pupillen gleichweit mit prompter 
Licht- und Akkommodationsreaktion. 

Visus = *°/ 40 auf beiden Augen. Konzentrische Ver¬ 
engerung des Gesichtsfeldes beiderseits (vgl. Fig. 1). Am 
Augenhintergrunde nichts Pathologisches. Deutliche Areflexie 
der Cornea und Sclera beiderseits. 

Dagegen ist der Rachenreflex sehr bedeutend gesteigert. 
Keinerlei Lähmungserscheinungen im FacialiBgebiet. 

Puls 78 bis 82 in der Minute, vollständig regelmäßig, 
von befriedigender Füllung (vgl. Fig. 2). 

Alle Hautreflexe gleichmäßig gesteigert mit Ausnahme 
des Plantarreflexes, welcher fehlt. Die Sehnenreflexe an 
den unteren Extremitäten gleichmäßig gesteigert: kein Klonus. 
Keinerlei Lähmungserscheinungen seitens der Extremitäten. 
Funktion des Mastdarmes und der Blase normal. 

Urin hell, spez. Gewicht 1008, schwach sauer, ent¬ 
hält weder Eiweiß noch Zucker. 

Lokal am Kehlkopf, außer geringer Druckempfindlich¬ 
keit des Bingknorpels, keinerlei Veränderungen. 

Die Sensibilitätsprüfung ergab vollständige Analgesie 
und Therroanästhesie am ganzen Rumpf und den oberen 
Extremitäten, die sich nach oben bis zum Schildknorpel, 
unten bis zur Plica inguinalis, hinten bis zur Reg. glutea 
erstreckte (vgl. Fig .3 u. 4). 



Die Diaskopie ergab beinuhe vollständige Unbeweglich¬ 
keit des Zwerchfelles beiderseits: bei tiefer Inspiration ge¬ 
währt man klonische Zuckungen im Zwerchfell, die synchron 
mit den Zuckungen in der Kehlkopfmuskulatur verlaufen. 


Wenden wir uns zur einschlägigen Literatur, so finden wir eine Reihe 
kasuistischer Mitteilungen, die teils einseitige, teils beiderseitige rhythmische 
Krämpfe in der Schlingmuskulatur zu verzeichnen haben. 


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Wenn wir von den Fällen, in welchen über rhythmische Krämpfe im Be¬ 
reiche einzelner Nerven berichtet wird, absehen, so bleiben uns nur wenige Fälle 
übrig, in denen die erwähnten Krämpfe entweder einseitig oder doppelseitig be¬ 
obachtet wurden. 

Was die Ausbreitung der in Bede stehenden Krämpfe anbetrifft, so berichten 
Boeck(I), Küpper (2), Schbch(8), Avellis (4) und Holmes (5) über rhyth¬ 
mische Zuckungen in der Muskulatur des weichen Gaumens und Mundbodens 
mit Hebung des Kehlkopfes; in den Fällen von Küpper und Avellis erwähnen 
Verfasser ein Mitzucken der Zungenwurzel. 

In allen zitierten Fällen wurden die Krämpfe auf reflektorischem Wege 
ausgelöst, wobei es sich um organische Prozesse der Nasen-Rachenhöhle oder der 
Ohren und des Kehlkopfes handelte. 

In einer anderen Beihe von Fällen bestanden die erwähnten Symptome 
gleichzeitig mit anderen Erscheinungen, die auf einen organischen Prozeß im 
Gehirn deuteten; hierher gehören 2 Fälle von Oppenheim (6): in einem waren 
diese Symptome durch eine das verlängerte Mark komprimierende Kleinhirn- 
geschwulst bedingt; in dem zweiten Falle traten die rhythmischen Krämpfe in 
der Schling- und Kehlkopfmuskulatur im Verlaufe einer akuten Meningitis auf. 
In einem von Oppenheim und Siemerling publizierten Falle wurden doppel¬ 
seitige Krämpfe der Gaumensegel durch ein Aneurysma der Art vertebralis 
bedingt 

Weiter müssen 2 Fälle von Kleen (8) erwähnt werden, in denen es sich 
um Erweichungsherde im Kleinhirn handelte; in dem einen der erwähnten Fälle 
wurden doppelseitige, rhythmische Krämpfe in der gesamten Schlingmuskulatur 
mit Beteiligung der Kehlkopfmuskeln, des Zwerchfelles und der Mm. intercostales 
beobachtet Gleichzeitig bestanden Symptome seitens des rechten unteren Facialis, 
Hypoglossus, außerdem eine spastische Parese der rechten Extremitäten, sowie 
Kopfschmerz, Drehschwindel, Erbrechen und Abschwächung der geistigen Fähig¬ 
keiten. 

In dem zweiten von Klien(9) mitgeteilten Falle existierten vollständig 
analoge Erscheinungen, aber nur linkerseits. Auch in diesem Falle handelte es 
sich, wie oben erwähnt, um einen Erweichungsherd im Kleinhirn. 

Was die Hysterie, diese große Vortäuscherin aller möglichen organischen 
Krankheiten des Nervensystems, anbetrifft, so standen die Fälle Williams (10) 
und Nilsens(U) vereinzelt da. Was den letzteren Fall anbetrifft, so äußert 
sich Klien in seiner ersten Mitteilung der oben zitierten Fälle 1 : es „dürfte 
kaum bloße Hysterie Vorgelegen haben“. Ich kann dieser Äußerung Klien’s 
nicht beistimmen, da ich den erwähnten Fall im Original vor mir habe und 
daher in allen Details mit diesem Falle bekannt bin. Es handelte sich un¬ 
streitig um reine Hysterie: es existierte in diesem Falle ein linksseitiger hömi- 
spasme glosso-labial, kombiniert mit rhythmischen Zuckungen des Kehlkopfes. 
Abgesehen von dem typisch hysterischen Symptom des hemispasme glosso-labial 


1 Deutsche med. Wochenschr. 1904. Nr. 18. 

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bestanden hysterische Stigmata: anästhetische Zonen, konzentrische Verengerung 
des Gesichtsfeldes, Areflexie der Cornea und der Rachenschleimhaut 

Resümieren wir nunmehr unseren eigenen Fall, so finden wir, daß es sich 
um einen bisher vollständig gesunden jungen Mann handelt, der plötzlich nach 
einem Trauma (Schlag in die Kehlkopfgegend) das Bewußtsein verliert Gleich 
nachdem Patient zu sich gekommen, treten doppelseitige rhythmische Krämpfe 
in der gesamten Schling- und Kehlkopfmuskulatur mit Beteiligung des Zwerch¬ 
felles auf. Wir haben es also in diesem Falle mit Reizerscbeinungen im Be¬ 
reiche beider Hypoglossi, Glossopharyngei, Vagi, Phrenici, zum Teil auch der 
Intercostales zu tun. 

Wie allgemein bekannt, liegen die Schling- und Respirationsoentren sehr 
nahe beieinander in der Rautengrube. Es drängt sich daher die Frage auf, ob 
es sich nicht um einen pathologischen Prozeß am Boden der Rautengrube handele? 
Meiner Ansicht nach ist es wohl kaum möglich, solch einen streng begrenzten 
Herd (punktförmiges Extravasat?) am Boden der Rautengrube annehmen zu 
können, der nur Reizerscheinungen im Gebiete der erwähnten Centren 
hervorzurufen imstande wäre. Ebenso existieren in unserem Falle auch keinerlei 
Symptome, die den Verdacht auf eine Läsion im Bereiche des Kleinhirns oder 
der Oblongata erwecken könnten. Endlich sind die Erscheinungen in diesem 
Falle zu weitgreifend, um das ganze Bild für reflektorisch vom Kehlkopf aus¬ 
gelöst zu erklären. 

Wenn wir uns aber nach anderen Anhaltspunkten fflr die Erklärung des 
ganzen Symptomenkomplexes Umsehen, so stoßen wir in unserem Falle auf die 
typische Sensibilitätsstörung, die Areflexie der Cornea und Sclera, die konzen¬ 
trische Einengung des Gesichtsfeldes, das Fehlen der Plantarreflexe, die gleich¬ 
mäßig gesteigerten Haut- und Sehnenreflexe; alle aufgezählten Symptome scheinen 
mir genügend zu sein, um das ganze Bild als traumatische Neurose anfzufassen. 
Was den Ohnmachtsanfall, der sozusagen das Präludium des ganzen Falles 
bildete, betrifft, so kann er, meiner Ansicht nach, hinlänglich durch einen Reflex 
vom N. laryngeus erklärt werden: der Schlag auf den Schildknorpel konnte durch 
Reizung des N. laryngeus reflektorischen Herzstillstand und somit die Bewußt¬ 
losigkeit hervorrufen. 

Literatur. 

1. Boeck, Archiv f. Obrenheilk. 1867. S. 218. — 2. KOppeb, Zeitachr. f. Ohrenheilk. 
VIII. 1879. — 8. Scheoh, Münchener med. Wochenachr. 1886. Nr. 22. — 4. Avelub, 
Cit. nach Kusu, Deutsche med. Wochenachr. 1904. Nr. 18. — 5. Holubs. Zeitachrift für 
Ohrenheilk. VIII. 1879. — 6. Oppenheim, Neur. Centralbl. 1889. S. 182. — 7. Oppen¬ 
heim nnd Siemeblino, Cit. nach Klibk, 1. c. — 8. Klien, Deutsche med. Wochenschrift. 
1904. Nr. 17 n. 18; Neur. Centr. 1907. Nr. 6. — 9. Derselbe, Ebenda. — 10. Williams, 
CiL nach Klien, 1. c. — 11. Nilbbhb, Wratach. 1898. Nr. 82. 


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n. Aus den Gesellschaften. 


Gesellschaft Deutscher Nervenärzte. 

Erste Jahresversammlung in Dresden am 14. u. 16. September 1907. 

Referent: H. Haenel (Dresden). 

(Schluß.) 


II. Sitzung. Vorsitzender: Herr Erb (Heidelberg). 

3. Herr Müller (Augeburg): Über die Empfindungen in unseren inneren 
Organen. Vortr. wendet sich gegen die von chirurgischer Seite aus aufgestellte 
Behauptung, daß unsere inneren Organe ganz unempfindlich seien und von ihnen 
nur dann Schmerzen ausgel5st würden, wenn die dort vorliegende Störung in 
irgendeiner Weise auf die peripheren Nerven des eerebrospinalen Systems ein¬ 
wirke. Vortr. weist nach, daß das Kopfweh in der Gehirnsubstanz selbst zustande 
komme und nicht, wie es allgemein angenommen wird, von den Hirnhäuten aus* 
gehe. Auch von den Lungen ziehen sensible Beize durch die Vagusäste nach 
dem Centralorgan. Die heftigen Herzsohmerzen, wie sie bei der Angina pectoris 
auftreten, werden durch die mangelnde Blutversorgung vom Herzmuskel selbst aus* 
gelöst. Wenn sich der Magen bei der Operation und auch gegen alle äußeren Ein¬ 
griffe als unempfindlich erweist, so ist es doch nicht angängig, die von den Kranken 
auf den Magen lokalisierten Schmerzen auf eine Lymphgefäßentzündung, die sich 
bis zur hinteren Bauchwand erstrecke und dort sensitive Nerven reize, zurück¬ 
zuführen. Vielmehr ist nachgewiesen, daß durch den vermehrten HCl-Gehalt 
des Magensaftes Magensohmerzen hervorgerufen werden können. Ob freilich das 
Magengeschwür als solches Beschwerden hervorruft, ist noch unentschieden. Auch 
die Darm-, Gallenstein- und Nierenkoliken kommen sicherlich nicht nur, wie das 
Lenander und Wilms behaupten, durch Reizung der Bauchwandnerven zustande, 
vielmehr deutet allerhand darauf hin, daß die sympathischen Nervenfasern dieser 
Organe für die Sohmerzleitung in Betracht kommen; stehen doch auch die großen 
Geflechte des Sympathikus durch zahlreiche Rami communicantes und durch die 
Nervi Bplanchnici mit dem Rückenmark in Verbindung, dort dringen die Reize 
durch Irradiation auf die schmerzleitenden Fasern, welche aus den spinalen Nerven 
kommen über und werden mit diesen durch die graue Substanz der Hintersäulen 
centralwärts geleitet. So ist es zu erklären, daß in den Hautpartien, deren Nerven 
aus demselben Rückenmarksabschnitt stammen wie die sympathischen Fasern des 
erkrankten Organes, eine Überempfindlichkeit gegen Schmerzeindrücke besteht. 
Aus den Untersuchungen des Vortr. geht hervor, daß Bich die Sensibilität der 
Blase und des Mastdarmes anders verhält als die des übrigen Darmes und des 
Magens. Die Tatsache, daß die inneren Organe für Reize, welche wir an der 
Körperoberfläche empfinden, anästhetisch sind, kann somit nicht als Beweis für 
ihre absolute Unempfindlichkeit gelten. Die Sensibilität der inneren Organe 
richtet sich nach der Art der jeweils in Betracht kommenden Schädlichkeiten. 
So reagiert das Gehirn auf Intoxikationen, der Magen auf ungeeignete Speisen mit 
Schmerzen; in den muskulären Hohlorganen lösen oft erschwerte und verstärkte 
Tätigkeit und Mangel an Blutzufuhr peinliche Empfindungen aus. Dem Sym¬ 
pathikus fällt die Aufgabe zu, solche Störungen aus den inneren Organen dem 
centralen Nervensystem zu übermitteln. 

4. Herr Bruns (Hannover): Die ohirurgisohe Behandlung der Büoken- 
markshautgesohwülste. Vortr. will nicht über die eigentliche chirurgische Be¬ 
handlung sprechen, sondern aus der gesamten Pathologie der Tumoren an den 
Rückenmarkshäuten das hervorheben, was für den schließlichen Rat zu einem 
chirurgischen Eingriff von Bedeutung ist, was diesen Rat erleichtert oder er¬ 
schwert. Er spricht so zunächst über die pathologische Anatomie, die Form, 


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Größe und den Sitz dieser Geschwülste, dann über ihre Einwirkung auf das 
Rückenmark, seine Warzein and Seine Hüllen. Es folgt ein Abschnitt über die 
Symptomatologie, wobei besonders Rücksicht genommen wird aaf die Fälle mit 
atypischem Verlauf: Fehlen ganzer Symptomengruppen, z. JB. der Schmerzen, 
Änderungen in der Aufeinanderfolge der Symptome. Vortr. weist mit Nachdruck 
darauf hin, daß man auch in solchen atypischen Fällen unter Umständen zu einer 
Operation raten müsse, daß diese dann aber einen explorativen Charakter habe. 
Immer bleibt die Aufgabe, die Diagnose möglichst so zeitig zu stellen, daß das 
Rückenmark selbst noch nicht durch Kompression erheblicher geschädigt ist. 
Differentialdiagnostisch sind besonders Caries der Wirbelsäule, multiple Sklerose, 
Syringomyelie, Meningitis serosa spinalis in Betracht zu ziehen. Bei der Segment* 
diagnose wird besonders der Unterschied zwischen Cauda equina- und Lumbo- 
dorsalmarkstumoren erörtert. Hervorgehoben wird nochmals, daß die Segment* 
diagnose eines Tumors der Häute meist nur eine solche des oberen Randes sein 
kann. Dos Sherringtonsche Gesetz: Versorgung jeder Hautpartie aus mehreren 
Segmenten, besteht uoch zu Recht. Nach Erörterung aller dieser Verhältnisse kommt 
Vortr. zu dem Schluß, daß die intraduralen, extramedullären Tumoren hervorragend 
günstige Objekte für eine chirurgische Behandlung sind, und beweist das durch 
die glänzenden Erfolge F. Schultzes und Oppenheims auf diesem Gebiete. 
Zum Schlüsse bringt er noch einige Bemerkungen über Operationsgefabren. Sie 
sind im allgemeinen geringer als die bei Hirntumoren. 

5. Herr Cassirer (Berlin): Die Therapie der Erkrankungen der Cauda 
equina. Die operative Behandlung der Tumoren hat bisher sehr schlechte Resultate 
gehabt, bei 24 Fällen in der Literatur scheint dreimal die Operation zu einem 
Erfolge geführt zu haben (Rehn, Ferrier und Horsley, Kümmel]), in drei 

‘ weiteren scheint ebenfalls ein günstiges Resultat erzielt zu sein; das wären 25 °/ 0 . 
In den übrigen 75 °/ 0 keine Heilung, wenn auch in der Mehrzahl vorübergehende 
Besserung. In mehr als 1 / 4 der Fälle folgte auf die Operation ziemlich rasch 
der Tod, oder die Operation konnte nicht zu Ende geführt werden. Die Ursachen 
dieser Mißerfolge liegen einmal in der Art der Tumoren, die meist bösartig oder 
multipel waren; noch nicht 20 °/ 0 betreffen relativ gutartige Tumoren. Ferner 
können die Geschwülste sehr groß werden. Für die unter allen Umständen 
schwierige Diagnose genügt nicht allein die Feststellung, daß es sich um einen 
Tumor der Cauda handelt, sondern es muß auch eine genauere Höhenbestimmung 
des Sitzes versucht werden. Letzteres stößt auf zum Teil unüberwindliche Schwierig¬ 
keiten, da Affektionen in verschiedenen Höhen dasselbe Symptombild erzeugen können. 
In einem Falle eigener Beobachtung wurde Kreuzbein und Lendenwirbelsäule ge¬ 
öffnet, ohne daß der vermutete Tumor gefunden wurde. Der Fall blieb unauf¬ 
geklärt, die Patientin überstand die Eingriffe anstandslos. Auch die Diagnose 
der Art des Leidens macht oft Schwierigkeiten. Von Symptomen ist hervor¬ 
zuheben, daß die Schmerzen fast stets heftig sind, daß die Achillesreflexe in der 
Regel früher yerschwinden als die Patellarreflexe, daß Anästhesien in radikulärer 
Verteilung fast nie fehlen. Blasen- und Mastdarmsymptome sind häufig, aber 
nicht ausnahmslos vorhanden. Trotz aller ungünstigen Momente muß die operative 
Behandlung, und zwar möglichst frühzeitig, weiter verbucht werden, auch bei 
Wahrscbeinlichkeitediagnose ist die Vornahme der Laminektomie erlaubt. Bei 
Tuberkulose der Cauda sollte, wenn Extension, Fixation usw. erfolglos blieben, 
häufiger als bisher zur Operation geraten werden. Einige Sektionsfälle lehren 
die Möglichkeit der operativen Behandlung. In Frage kommt Tuberkulose der 
Symphysis sacroiliaca und des Kreuzbeines, ferner Wirbelresektionen bei Tuberkulose 
der Lendenwirbelsüule, Ferrier und Bailance brachten einen derartigen Fall 
operativ zur Heilung. Bei Traumen deB in Betracht kommenden Gebietes ist zu 
berücksichtigen, daß oft spontan weitgehende Besserungen Vorkommen, so daß 

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mit der operativen Behandlung jedenfalls abgewartet werden muß. Die Aus¬ 
sichten derselben sind wechselnde: neben Besserungen ist auch nicht zu selten 
von einem unglücklichen Ausgang der Operation berichtet worden. Am besten 
waren die Erfolge noch bei Schuß Verletzungen, bei denen sich übrigens auch 
spontane Besserungen beobachten ließen. 

Diskussion: Herr Oppenheim (Berlin) bespricht kurz seine eigenen Er¬ 
fahrungen über Bückenmarkshauttumoren. In 12 Füllen hat sich die von ihm 
gestellte Diagnose bestätigt, der Tumor wurde gefunden und konnte in toto ent¬ 
fernt werden. In sechs von diesen Fällen erfolgte Heilung, in einem siebenten 
hat sich die Besserung bis heute verzögert. In 5 Fällen war der Verlauf ein 
tödlicher, diese entstammen aber einer früheren Zeit. Die entsprechenden Tumoren 
werden im Bilde demonstriert. 

Herr Säenger (Hamburg) hat den von Herrn Cassirer angeführten Fall 
Kümmells diagnostiziert. Nach Entfernung des Sarkoms der Cauda trat eine 
Metastase im Dorsalteil ein, die ebenfalls exstirpiert wurde. Patient starb nach 
3 / 4 Jahren. Im 2. Falle handelte es sich um ein Fibromyxom; nach der erfolg¬ 
reichen Entfernung durch Sick in Hamburg trat bald der Tod durch Shoc ein. 
In 2 Fällen konnte er die günstige Wirkung einer Explorativtreponation sehen, 
obgleich kein Rückenmarkstumor gefunden worden war. 

Herr Nonne (Hamburg) hat im vergangenen Jahr 5 Fälle von extra¬ 
medullärem Tumor diagnostiziert und operieren lassen. In allen Fällen wurde 
die Geschwulst gefunden und entfernt. Einmal saß sie extradural. Er gibt 
einen kurzen Abriß der Krankengeschichten dieser Fälle. Bedauerlich für die 
Differentialdiagnose ist es, daß auch bei der multiplen Sklerose Schmerzen kon¬ 
stringierender Art Vorkommen. Wenn bei einem solchen Fall nur die Er¬ 
scheinungen der Myelitis dorsalis spastica bestehen, kann die Differentialdiagnose 
unmöglich werden. N. erlebte einen solchen Fall, in dem die Laminektomie 
keinen Befund ergab und erst die Sektion eine ausgedehnte multiple Sklerose 
feststellte. 

Herr Auerbach: Der Fall von Laquer-Rehn ist nach einer von Herrn 
Laquer selbst gemachten Mitteilung nicht geheilt geblieben, sondern an einem 
Rezidiv zugrunde gegangen. Dagegen ist der Fall von Brodnitz und mir 
jetzt seit nahezu 3 Jahren geheilt. Es ist bis jetzt der größte mit Glück 
operierte Rückenmarkstumor. Brodnitz empfiehlt auch bei Operationen am 
Rückenmark, ebenso wie am Gehirn, zweizeitig zu operieren. 

Herr Roth mann weist auf die Echinokokken im Rückenmarkskanal hin. 
Sie sind außerordentlich selten, am häufigsten noch im Gebiete der Cauda; vou 
Wilma und Raymond sind derartige Fälle operativ in Angriff genommen, 
wegen ungenügender Entfernung der Echinococcusblasen aber nicht geheilt worden. 
Frühzeitige Diagnose, durch Auffindung extravertebraler Tumoren und durch das 
Röntgen-Bild erleichtert, wird vermutlich auch hier die Resultate bessern. 

Herr Bruns (Schlußwort): GummÖBe Prozesse der Häute sind oft von 
anderen Tumoren nicht zu unterscheiden. Tumoren am Halsmark geben wegen 
leichterer Öffnung der Wirbelsäule bessere Aussichten für die Operation. 

Herr Cassirer (Schlußwort): Die von den Herren Saenger und Auerbach 
gemachten Mitteilungen verschlechtern die Aussicht der Operation bei Cauda- 
tumoren noch weiter, insofern als sowohl die Fälle von Kümmell als der von 
Laquer nicht als dauernd geheilt zu betrachten sind. 

6. Herr Nonne (Hamburg): Differentialdiagnose des Tumor cerebri. 
Vortr. berichtet zunächst über 4 Fälle von Hirnhauttumoren. Der Tumor ging 
jedesmal von der Dura mater aus, das Hirn nur verdrängend. In 2 Fällen 
handelte es sich um Kompressionen des einen vorderen Hirnpoles, in einem Falle 
um eine solche des Occipitalpoles, im vierten um die Entwicklung des Tumors 


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61 Qrigiral frei”. 
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vom Tentorium cerebelli aas. Nor io diesem letzteren Falle war die Entwicklung 
der Drucksymptome zu verfolgen, in den drei anderen traten die Erscheinungen 
akut in Form von Konvulsionen, bzw. einseitigen Gesichtshalluzinationen auf. ln 
einem weiteren Falle hatte sich ein Hämatom auf der Basis einer Pachymeningitis 
hämorrhagica langsam entwickelt unter den Symptomen eines Tumors mit Er* 
scheinungen, die teils auf die rechte Seite (Fazialisparese) teils auf die linke 
(Verhalten der Sehnen und Hautreflexe) deuteten. Da Vortr. solche doppelseitige 
Symptome bereits in zwei früheren Fällen von Hämatom beobachtete, empfiehlt er, 
differential-diagnostisch auf dieses Verhalten zu achten, ln zwei weiteren Fällen 
handelte es sich um Hirnabszesse, die nicht diagnostiziert waren, weil einmal jede 
Ätiologie fehlte und starke progrediente Stauungspapille bestand, der andere Fall 
gerade so lag und der Kranke nach Ausbildung der Stauungspapille noch fast 
3 Monate lebte, ln diesen zwei Punkten ist also die bisherige Lehre von der 
Symptomatologie des Hirnabszesses zu revidieren. Zum Schluß berichtet Vortr. über 
weitere Beobachtungen von „Pseudotumor cerebri“: Dreimal hatte das Bild einer 
allmählich entstandenen Hemiparese von organisch - cerebralem Charakter mit 
Abducensparese bzw. Abducens- und Oculomotoriusparese bestanden. Nur in 
einem Falle geringe Stauungsneuritis; in allen Fällen fehlte jede greifbare Ätio¬ 
logie für ein organisches Gehirnleiden, in allen Fällen erfolgte völlige Heilung, 
einmal von einem doppelten Rezidiv gefolgt, ln drei anderen Fällen kam ee 
zum Exitus und jedeBmal war die anatomische Untersuchung (zweimal makro¬ 
skopisch und mikroskopisch, einmal nur makroskopisch) absolut negativ, auch in 
bezug auf Hydrocephalus. In 2 Fällen hatte es sich um das Bild eines Tumor 
cerebelli gehandelt mit Stauungspapille, einmal mit Konvulsionen kompliziert, im 
3. Falle um die Erscheinungen einer Hemiepilepsie mit schwerer Stauungspapille 
und hochgradiger Prostration. 

III. Sitzung. Vorsitzender: Herr Jendr&ssik. 

7. Herr Hartmann (Graz): Zur Diagnostik operabler Hirnerkrankongen. 
Vortr. bringt einige Erfahrungen aus dem Grenzgebiete der Chirurgie und Neuro¬ 
pathologie. Unter den Hirngeschwülsten ist ähnlich wie bei den basalen und Rücken- 
markBhauttumoren deu ausschälbaren mehr zu kugeligem Wachstum neigenden 
Geschwülsten besonderes Augenmerk zuzuwenden. Hier wieder sind es die 
Psammome insbesondere der weichen Häute, welche durch ein eigenartiges 
Wachstum mit lediglichei Verdrängung der Hirnsubstanz und ein charakte¬ 
ristisches histologisches Li Id ausgezeichnet sind. Durch Hirnpunktion konnte 
der Vortr. in 2 Fällen diese für die Operation sehr günstigen Geschwülste fest- 
steilen und empfiehlt die Hirnpunktion nicht so sehr zur lokalen Diagnose, die 
vorwiegend eine Domäne der funktionellen Diagnostik bleiben soll, als vielmehr 
zur Feststellung der Art und Größe der operablen Herderkrankungen. Die Vor¬ 
nahme der Hirnpunktion soll dem Chirurgen überlassen bleiben, sowohl aus rein 
technischen Gründen als auch wegen des oft sofort nach der Punktion nötigen 
weiteren chirurgischen Vorgehens. Weiter berichtet Vortr. über die Sympto¬ 
matologie zweier Fälle von Ventrikelblutungen, bei welchen die Lumbalpunktion 
Blut in größeren Mengen ergab. Dieses Blut blieb ungerinnbar. Vortr. sieht 
hierin ein wichtiges diagnostisches und differentialdiagnostisches Kennzeichen der 
Ventrikelblutungen und empfiehlt, auf dasselbe in Zukunft zu achten. Im 2. Falle 
hat Vortr., was bisher nicht durchgeiuhrt wurde, die Entleerung des in die 
Ventrikel ergossenen Blutes durch Ventrikelpunktion dem Chirurgen empfohlen. 
Das Ergebnis war hinsichtlich der Hirnerscheinungen ein überraschendes, so daß 
Vortr. dazu auffordert, künftig die Heilung der Ventrikelblutung auf diesem Wege 
zu versuchen, sintemalen auch die bisherigen Erfahrungen mit der Entleerung 
oxtracerebraler Blutungen dazu ermuntern. Schließlich empfiehlt Vortr. zur Ver- 

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feinerung der topischen Diagnostik raumbeengender Erkrankungen des Schädel* 
inneren die Verabreichung von Cardio- und Vasotonicis; die oft störenden Nach¬ 
barschafts- und Allgemeinsymptome Bchwinden unter dem Einflüsse der Erhöhung 
der Gefäßspannung und des Blutdruckes. Die schweren allgemeinen Störungen, 
welche dem Vortr. in einem Falle von Hirnabszefl jegliche Handhabung zur 
topischen Orientierung benahmen, schwanden unter dieser Behandlung rasch und 
ausgiebig, so dafl schon nach wenigen Stunden Diagoose und erfolgreicher opera¬ 
tiver Eingriff ermöglicht wurden. Auch in leiohteren Fällen leistet das angegebene 
Verfahren ansgezeichnete Dienste durch die Verminderung insbesondere der zirkula- 
torischen Folgeerscheinungen des Hirndruckes, so dafl dasselbe allgemeiner Be¬ 
nutzung zu diagnostischen Zwecken, mitunter gewifl auch zu therapeutischen 
(Kopfschmerzen, Kollaps, Sclilinglähmung, Atemstörung bei raumbeengenden Hirn¬ 
erkrankungen) empfohlen werden muß. 

Diskussion: Herr Bruns (Hannover): Die Duraendotheliome sind nicht so 
ganz selten und erlauben auch öfters eine genaue Lokaldiagnose. Die Allgemein¬ 
symptome sind aber oft in diesen Fällen gering, so daß die Kranken sich leider 
nicht rechtzeitig zur Operation entschließen. 

Herr Oppenheim (Berlin) bestätigt, daß die Duraltumoren nicht so selten 
Vorkommen. Ein von ihm beobachteter von Bergmann operierter Fall dieser 
Art ist von letzterem veröffentlicht. 

Herr Schuster (Berlin) hat drei Hirntumorfälle nach kleinen Morphium¬ 
darreichungen ganz kurze Zeit nach der Injektion durch den Tod verloren. Er 
möchte den Vortr. fragen, ob er ähnliche Beobachtungen gemacht hat In der 
Literatur hat er nichts darüber finden können. 

Herr Hartmann (Schlußwort) macht Herrn Bruns und Oppenheim darauf 
aufmerksam, daß es sich hier um Tumoren der weichen Häute, nicht um solche 
der Dura handelte, welch letztere ihm wohl bekannt sind. Die letzteren flachen 
die Konvexität ab, erzeugen Dellen, diese Tumoren der weichen Häute aber 
wachsen in charakteristischer Weise die Hirnsubstanz einstülpend, meist von der 
Tiefe eines Sulcus aus und zeigen histologisch das charakteristische Bild des 
Psammoms. Herrn Schusters Erfahrung über ungünstige Wirkung von Morphium¬ 
verabreichung kann er bestätigen. Er glaubt, einen Fall von Abszeß, bei welchem 
behufs Operation Morphium verabreicht wurde, durch sehr rasch darauf auftretende 
Atemlähmung verloren zu haben. 

8. Herr Schüller (Wien): Sohädelröntgenographie mit Demonstrationen. 
Vortr. demonstriert eine große Zahl von Röntgenogrammen des Schädels. Die Fälle 
betreffen Verletzungen des Schädels durch Fremdkörper und durch stumpfe Gewalt 
(Fissuren, Impressionen), ferner Destruktionen und Hyperostosen infolge von Lues, 
kuöcherne Tumoren des Schädels und Destruktionen desselben durch solche intra¬ 
kraniellen Sitzes. Besonders wichtig wird die Röntgenuntersuchung bei der Diagnose 
von Basis-, speziell Hypophysentumoren; auch bei Epilepsie und bei Erkrankungen 
der Nebenhöhlen der Nase, welche oft mit nervösen Störungen einhergehen, gibt 
das Röntgen-Bild nicht selten interessante Aufschlüsse über Veränderungen des 
Schädels. 

Diskussion: Herr Oppenheim (Berlin) bemerkt zur Geschichte der Frage, 
daß es ihm im Jahre 1899 zum ersten Male gelungen sei, eine Erweiterung der 
Sella turcica nachzuweisen; das sei der Ausgangspunkt der weiteren Beobach¬ 
tungen gewesen, er selbst habe seitdem in 10 bis 12 Fällen dasselbe gesehen. 
Das Verdienst des Vortr. sei es, die Sache für die feinere Differentialdiagnose 
ausgebaut zu haben. Freilich könne der Hydrocephalus, vielleicht auch die basale 
Lues dasselbe bedingen. 

Herr Krause hat am Röntgen-Bilde bei Hirntumoren Sprengung bzw. 
Diastase der Schädelnähte gesehen. Er weist auf die Monographie von 


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Virchow „Über die Kyphose der Schädelbasis“ hin, die dieses wichtige Gebiet in 
erschöpfender Weise behandelt. Er hat bei einer 18 jährigen Kranken derartige 
Veränderungen im höchsten Grade ausgebildet gesehen und in den Brunsschen 
Beiträgen zur Chirurgie 1902 veröffentlicht. Es hatten sich bei ihr infolge der 
starken Baumbeengung in der hinteren Schädelgrube alle Erscheinungen der Klein¬ 
hirngeschwulst entwickelt. Die Ursache der Knochenveränderung war Rachitis. 

Herr Saenger (Hamburg) demonstriert Diapositive von Böntgen-Aufnahmen 
bei Hypophysistumoren. Die Vergrößerung oder Zerstörung der Sella turcica 
tritt aus denselben klar hervor, einmal war der Befund einer normalen Sella 
turcica wichtig, weil er die fälschlich gestellte Diagnose auf einen Hypophyßis- 
tumor berichtigte, einmal konnte die Diagnose Kleinhirntumor durch den Befund 
einer erweiterten Sella turcica richtiggestellt werden. 

Herr Schüller (Schlußwort) erwidert Herrn Krause, daß bei intrakraniellen 
Tumoren außer der Sprengung der Schädelnähte auch Persistenz der Knorpel¬ 
fugen im Böntgen-Bilde nachweisbar ist. Die Virchowschen Fälle von sogenannter 
basaler Impression sind verschiedener Ätiologie, beruhen nicht bloß auf Rachitis. 
Gegenüber Herrn Saenger betont er, daß es gerade darauf ankommt, das Auge 
für die Frühstadien der Veränderungen an der Sella zu schärfen. 

9. Herr Saenger (Hamburg): Über Herdsymptome bei diffusen Hirn¬ 
erkrankungen. Nicht immer entspricht dem Auftreten von Herdsymptomen eine 
lokalisierte organische Veränderung im Gehirn. Das Übersehen dieser Tatsache 
hat vielfach zu übereilten schweren chirurgischen Eingriffen Veranlassung gegeben. 
So kommt es bei Meningitis, speziell M. tuberculosa, nicht selten zu lokalisierten 
Symptomen. Vortr. hat schon 1903 Fälle von umschriebener tuberkulöser Meningitis 
mitgeteilt. In seltenen Fällen kann sich auch die eitrige Meningitis lediglich durch 
Herdsymptome bemerkbar machen, desgleichen sarkomatöse Meningitis, wofür er 
je einen Fall aus seiner Erfahrung anführt. In einem Fall von rechtsseitiger 
Lähmung fand sich nichts als eine diffuse Leptomeningitis. Scharf um¬ 
schriebene Herdsymptome, die manchmal bei Karzinomatose Vorkommen, sind 
oft der Ausdruck einer mikroskopischen karzinomatösen Infiltration der Pia. 
Ferner kann eine diffuse Encephalitis Herdsymptome machen, am häufigsten 
gibt aber der chronische Hydrocephalus Anlaß zu Irrtümern, indem meistens ein 
Hirntumor dabei diagnostiziert wird. Es ist unsere Aufgabe, die Herdsymptome 
genauer zu erforschen, um sie mit größerer Sicherheit differenzieren zu können. 
Lumbal- und Hirnpunktion sowie das Röntgen-Bild werden hierbei weiter heran¬ 
gezogen werden müssen, um die Allgemeinerkrankungen besser aussondern zu 
können. 

Diskussion: Herr Redlich macht darauf aufmerksam, daß bei der senilen 
Atrophie Herderscheinungen relativ häufig sind, z. B. Epilepsie bei Aphasie 
hervorrufen können. In solchen Fällen deckt oft erst die mikroskopische Unter¬ 
suchung eine besondere Verstärkung des atrophischen Prozesses in der ent¬ 
sprechenden Rindenpartie auf. 

Herr Saenger (Schlußwort) konnte bei der Kürze der Zeit nicht auf alle 
diffusen Hirnaffektionen eingehen, die sich durch Herdsymptome dokumentieren 
können. Die Arbeiten Picks über die senile Hirnatrophie sind ihm wohlbekannt. 
Auch auf die Cysticerkose und namentlich auf die diffusen Gefäßerkrankungen 
hätte er hinweisen müssen, die beide nicht selten einen Hirntumor Vortäuschen 
können. 

10. Herr von Frankl-Hochwart und Herr von Eiseisberg: Über opera¬ 
tive Behandlung der Hypophysistumoren. (Der Vortrag erscheint als Original¬ 
mitteilung in der nächsten Nummer dieses Centralblattes.) 

Diskussion: Herr Oppenheim (Berlin) berichtet kurz über einen mit 
Krause beobachteten Fall, in welchem eine Geschwulst * des Cerebellum, der 

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Vierhügel und des Ventrikeldaches die Erscheinungen eines Hypophysistumors 
vorgetauscht hatte. 

Herr Schüller: Der Zusammenhang zwischen Hypophysistumor und Genital¬ 
atrophie wird durch einen Fall von Nazari beleuchtet. Hier fand sich bei 
einem 20 jährigen Individuum bei histologischer Untersuchung ein dem embryo¬ 
nalen entsprechender Befund des Testikels. Es scheint also die Hodenaffektion 
der Hypophysenaffektion koordiniert zu sein. Die Fettsucht könnte dann eine 
Folge der Genitalaplasie sein. 

Herr Mingazzini: Fichera hat nach Kastration von Stieren und Hähnen 
gesehen, daß makroskopisch wie histologisch die Hypophysis sich vergrößerte, 
infolge Hyperplasie von Elementen des vorderen Lappens. Das erklärt wahr¬ 
scheinlich die Hodenatrophie beim Riesen. Es existiert augenscheinlich ein Zu¬ 
sammenhang zwischen den Funktionen der Genitalien und der Hypophyse. 

11. Herr Reicher (Wien): Kinematographie in der Neurologie. Vortr. 
hat nach Überwindung von allerhand technischen Schwierigkeiten, die besonders 
in der genauen Centrierung der Bilder bestanden, lückenlose Schnittserien aus 
dem Centralnervensystem von Menschen und Tieren auf Filmbänder photographiert und 
demonstriert vermittelst des Kinematographen den Verlauf der Faserbahnen nach Art 
eines aktiven Vorganges. Er verspricht sich von dem Verfahren besonderen Wert 
für Lehrzwecke, glaubt aber auch für die Erforschung des Centralnervensystems 
damit ein neues Hilfsmittel gewonnen zu haben (vgl. d. Centr. 1907. S. 496). 

12. Herr Kühne (Cottbus): Die kontinuierliche Bezold- Edelmann sehe 
Tonreihe als Untersuchungsmethode für den Nervenarzt. Die Tonreihe be¬ 
steht aus 10 an ihren Zinkenenden mit Gewichten belasteten Stimmgabeln, zwei 
Orgelpfeifen und dem sogenannten Galton-Pfeifchen. Durch Verschiebung der 
Gewichte können die Stimmgabeln auf die gewünschte Höhe eingestellt werden. 
Mit diesen Instrumenten können alle Töne, die das menschliche Ohr wahr¬ 
zunehmen vermag, in kontinuierlicher Reihe und mit genügender Stärke hervor¬ 
gebracht werden. Die wichtigste Strecke des Hörfeldes ist die von b 1 bis g 2 , 
denn in diese Strecke fallen die Eigentöne unserer wichtigsten Sprachlaute. Ist 
sie nicht oder nicht mit der genügend nötigen Stärke wahrnehmbar, so ist das 
Sprachverständnis aufgehoben. Bei der Hörprüfung prüft man zuerst am besten 
die Flüstersprache, dann Töne in Luftleitung, indem man zunächst die Grenzen 
feststellt, bis zu welchen hohe und tiefe Töne noch gehört werden und danach 
2. auf Hörlücken fahndet, 3. prüft man die Knochenleitung durch Aufsetzen 
der Stimmgabel auf den Scheitel. Für eine Verlängerung oder Verkürzung 
der Knochenleitungsdauer ist ein Unterschied von mindestens 10 Sekunden 
gegenüber der normalen zu fordern, 4. wird mit den Stimmgabeln g 1 oder a 1 
der Rinnesche Versuch ausgeführt (Vergleich der Luftleituugsdauer mit der 
Knochenleitungsdauer desselben Ohres). Die erstere ist normal etwa 30 Sekunden 
länger als die letztere. Die Prüfung von Geräuschen kann unberücksichtigt bleiben. 
Statt der üblichen nervösen Schwerhörigkeit unterscheidet Vortr. 1. Labyrinth¬ 
schwerhörigkeit, 2. Leitungsschwerhörigkeit, 3. Rindenschwerhörigkeit bzw. Taub¬ 
heit. Für den Nervenarzt kommen hauptsächlich von Labyrinthschädigungen die¬ 
jenigen nach Schädeltrauma in Betracht. Er hat zu entscheiden, ob den so 
häufigen Klagen über Schwindel, Schwerhörigkeit und Kopfschmerz eine Ver¬ 
letzung des inneren Ohres zugrunde liegt. Das Labyrinth ist ein sehr feines 
Reagens für die Stärke von Kopferschütterungen. Bei der schwächsten Form 
der Labyrintherßchütterung können die Hörstörungen erst einige Zeit nach dem 
Unfall eintreten. Bei den meisten Schädigungen des Labyrinths, namentlich wenn 
sie vom Mittelohr ausgehen, aber auch bei Schädelbasisbrüchen, ist die Wahr¬ 
nehmung der höchsten Töne zuerst beeinträchtigt. Dies Verhalten ist aber kein 
durchgängiges. Beim Weber sehen Versuch ißt, falls Labyrinthsclnidigung vor- 

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liegt, die Knochenleitung stets verkürzt, Verlängerung deutet auf eine Schädigung 
des Mittelohres. Der Rinnesche Versuch fällt bei Labyrintherkrankung wie bei 
Gesunden aus. Auch bei ganz taubem einem Obre wird von a 1 an eine schwache 
Wahrnehmung der Töne vom anderen niemals ganz verschließbaren Ohre aus 
erzielt, was wichtig ist für die Feststellung der Simulation einseitiger Taubheit. 
Für die Simulation doppelseitiger Taubheit ist die kontinuierliche Tonreihe nicht 
ausreichend. Dagegen kann Bie der Simulation Verdächtige unter Umständen 
rechtfertigen; so kann jemand für Sprache taub sein und dennoch eine große 
Anzahl Töne wahrnehmen, ja er kann sogar z. B. das Wort Sieben sehr gut 
hören, das Wort Hundert aus derselben Entfernung aber nicht, weil die Eigentöne 
der Sprachlaute bei dem ersten Worte in eine andere Hörstrecke fallen. Ver¬ 
änderungen am Stamm des Schneckennerven können entweder durch Geschwülste 
oder durch Druckwirkung zustande kommen. Wird die centrale Hörbahn in 
der Vierhügelgegend geschädigt, so kommt es meist zu doppelseitiger Taub¬ 
heit. Die Diagnose wird durch die gleichzeitige Störung von seiten anderer 
Hirnnerven gesichert. Eine Differentialdiagnose, ob der Herd in der Schnecke, 
im Hirnnervenstamra oder der centralen Hörbahn liegt, ist auf Grund der Hör¬ 
prüfung allein heute noch nicht zu stellen. Bei Schläfenlappenläsionen ist der 
klinische Befund noch kein eindeutiger, sicher ist nur doppelseitige Taubheit bei 
Erkrankung beider Hörcentren gefunden worden. Zum Schluß erwähnt Vortr. 
die Untersuchungen von Wanner und Gudden, die bei gewissen Erkrankungen 
des Schädelknochens oder Gehirns eine wesentliche Verkürzung der Knochen- 
leitung (für a und a 1 mindestens 4 bzw. 2 Sekunden), bei regelrechtem Hör¬ 
vermögen für Luftleitung, feststellen konnten. Das normale Verhalten der 
Knochenleitung gestattet natürlich nicht den entgegengesetzten Schluß, organische 
Veränderungen auszuschließen. Bei reinen traumatischen Neurosen zeigt das Hör¬ 
vermögen charakteristische Ermüdungserscheinungen. Vortr. schließt mit der Auf¬ 
forderung, der Hörprüfung in den neurologischen Untersuchungsmethoden eine 
größere Beachtung als bisher zu schenken. 

Diskussion: Herr Rothmann fragt, ob die geschilderte Untersuchung»- 
methode die Differentialdiagnose zwischen Simulation und funktioneller einseitiger 
Taubheit, vor allem bei Hysterie, gestattet. Er weist ferner auf die Wichtigkeit 
genauer Stimmgabeluntersuchungen bei Schläfenlappenaffektionen des Menschen 
hin. Bei Hunden iBt die Tonunterscheidung bis zu einem gewissen Grade er¬ 
halten, solange auch nur der kleinste Rest der Hirnrinde stehen geblieben ist. 

Herr v. Frankl-Hocbwart kennt Fälle, bei denen trotz guter Hörschärfe 
echter Obrenschwindel diagnostiziert werden mußte. Schwierigkeiten entstehen, 
wenn Drehschwindel, Ohrensausen und Erbrechen als hysterischer Anfall oder 
epileptische Aura auftritt. 

Herr Höniger beobachtet augenblicklich einen Fall von Tumor des linken 
Kleinbirnbrückenwinkels, bei dem die Hörprüfung auch mittels der kontinuier¬ 
lichen Tonreihe bisher nur zweifelhafte Resultate ergeben hat: schwere Beein¬ 
trächtigung der tiefen Töne, geringe für die hohen, Knochenleitung auf der kranken 
Seite besser als Luftleitung, herabgesetzt nur gegen die gesunde Seite. Rasche 
Ermüdung bei der Prüfung. 

Herr Mann warnt davor, aus dem negativen Ausfall der Hörprüfung, also 
normalem Hörbefunde, nach Kopfverletzungen den Schluß zu ziehen, daß eine Ver¬ 
letzung des inneren OhreB nicht vorliegen könne. Er kennt Fälle mit intaktem Hör¬ 
vermögen, in denen erst die galvanische Untersuchung und die Gleichgewichtsprüfong 
nach v. Stein darauf hinwies, daß die Klagen über Schwindel durch eine Verletzung 
des Vestibularapparates bedingt waren. Es gibt also offenbar Verletzungen des 
inneren Obres, bei denen dieser allein getroffen, der akustische Apparat aber verschont 
ist. Auch in dem Buch von v. Frankl-Hoch wartjistjein solcher Fall erwähnt. 

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Herr Kühne (Schlußwort): Die HyBterie macht keine charakteristischen 
Hörstörungen. Man darf solche nur dann diagnostizieren, wenn sich andere hyste¬ 
rische Symptome psychischer oder somatischer Art finden. Die Besprechung der 
Störungen der halbzirkelförmigen Kanäle ohne Hörstörungen nach Felsenbeinver- 
letzungen lag außerhalb seines Vortrages. 

13. Herr Schanz (Dresden): Demonstration chirurgisch orthopftdisoh 
behandelter Lähmungen. Durch die Einführung der Sehnen* und Muskeltrans- 
plantation in die Therapie der Lähmungen ist ein großer Fortschritt erzielt worden. 
Wir ersetzen einen gelähmten funktionsuntüchtigen MuBkel durch einen unge¬ 
lähmten und vermindern auf diese Weise den Funktionsdefekt, welchen die Lähmung 
erzeugt. Im günstigsten Falle ist das Resultat der Operation als eine vollständige 
funktionelle Heilung zu bezeichnen. Unter anderen Verhältnissen ist nur ein ge¬ 
ringer Nutzeffekt zu erzielen, bei schlechter Indikationsstellung kann auch die 
gelungene Operation eine direkte Funktionsverschlechterung herbeiführen. Unter 
günstigen Umständen gelingt es, Muskeln Aufgaben zuzuführen, die ihnen von 
Natur ganz fremd sind. Wir erreichen nicht nur Verschiebungen in derselben 
Arbeitsgruppe, etwa derart, daß wir verschiedene Fußstrecker für einander ein- 
setzen können, sondern wir können einem Muskel auch die Erfüllung der Tätig¬ 
keit seines Antagonisten übertragen, z. B. beim Ersatz des Kniestreckmuskels. 
Die Operierten müssen dann allmählich lernen, die verpflanzten Muskeln zur ent¬ 
gegengesetzten Arbeit zu verwenden. Die Hoffnung, durch Teilung der Muskeln 
neue Muskelindividuen zu den alten hinzugewinnen zu können, hat sich nicht 
erfüllt. Die neue Methode kann mit all den alten Hilfsmitteln der Lähmungs¬ 
therapie (Massage und Gymnastik, Schienen, Sehnenverkürzung und -Verlängerung, 
Arthrodese) zusammen verwendet werden. Fehlerquellen liegen dabei besonders 
in der Überschätzung der neuen Methode, erst nähere Bekanntschaft zeigte neben 
ihren Licht- auch die Schattenseiten. Die neue Methode bat die alten nicht über¬ 
flüssig gemacht, sondern die günstigsten Erfolge wurden dann erzielt, wenn man 
sie mit der alten zusammen anwandte und jeder nach ihrer Eigenart ihren Platz 
in der Therapie angibt. Das Hauptanwendungsgebiet sind die Kinderlähmungen. 
Die schlaffen bieten bessere Heilaussichten als die spastischen. Vortr. stellt eine 
Reihe von Fällen vor, in denen der gelähmte Kniestrecker durch Kniebeuger er¬ 
setzt worden ist. Die Operationsmethode besteht in der Einpflanzung eines von 
der Innen- und eines von der Außenseite genommenen Beugemuskels mit seinem 
unteren Ende in das obere Ende der Kniescheibe. Die vorgestellte Patientin, 
die vor der Behandlung ungestützt weder stehen noch gehen konnte, ist jetzt 
dazu imstande. In einem weiteren Falle ist ein paralytischer Klumpfuß mit Ver¬ 
lagerung der Peroneussehne vor den äußeren Knöchel behandelt. Man gibt da¬ 
durch dem Peroneus Btatt seiner Beugekomponente eine Streckwirkung und er¬ 
hält zugleich eine Barriere gegen spätere Rezidive. In einem weiteren Fall ist 
ein Schlotterfuß mit Transplantation und Arthrodese behandelt. Der Fuß hat 
gute Festigkeit und dabei genügend Spiel. Bei einem dritten Patienten ist der 
Cucullaris in den Deltoideus gepflanzt mit Besserung der Gebrauchsfahigkeit des 
Armes. Schließlich einige Fälle von Littlescher Krankheit, die, früher völlig 
gehunfähig, sich jetzt selbständig fortbewegen können. 

Diskussion: Herr Krause hat den Ersatz des gelähmten Quadriceps durch 
die Flexoren des Unterschenkels 1898 zuerst ausgeführt. Zur Erzielung guter 
Ergebnisse muß man sich in jedem einzelnen Falle die mechanischen Verhältnisse 
klarlegen. Er hat z. B. auch den gelähmten Biceps brachii durch Teile des 
Triceps, ein anderesmal den ausgefallenen Triceps durch Teile des Biceps ersetzt. 

14. Herr Kohnstamm (Königstein) und Warncke (Berlin): Demonstra¬ 
tionen zur physiologischen Anatomie der Medulla oblongata. Unter den 
in der Med. obl. entstehenden Neuronen ist neben den motorischen Haubenkernen 

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ein „Gentrum sensorium“ zu unterscheiden. Dasselbe nimmt Endigungen der ge¬ 
kreuzten sensiblen Spinalbahn und gekreuzter Sekundärneurone ans den sensiblen 
Hirnnervenkernen auf und entsendet einen ungekreuzten Tractus bulbo-thalamicus 
ascendens, der in den Endstätten des Schleifensystems endigt. Damit ist die ge* 
kreuzte sensible Bahn lückenlos erkannt. — Demonstration des motorischen und 
sensiblen Anteils der Formatio reticularis an Photogrammen. 

Herr Warncke demonstriert Einzelheiten über den Bau des Seitenstrang¬ 
kerns der Medulla oblongata. Er schlägt vor den Namen Nucleus funiculi late¬ 
ralis zu ersetzen durch die Bezeichnung Griseum fun. lat. Er unterscheidet in 
diesem Griseum eine Pars marginalis mit relativ kleinen runden Zellen und eine 
Pars principalis mit größeren polygonalen Zellen. An der Pars principalis kann 
man einen Processus caudalis fronto-lateralis und fronto-medialis unterscheiden. 
Der letztere zeichnet sich durch auffallend große Zellen aus. (Erscheint aus 
führlich im Journal für Psychologie und Neurologie.) 

Diskussion: Herr Rothmann betont Herrn Kohnstamm gegenüber, daß 
der Tractus cerebello-spinalis, das Gowerssche Bündel, mit der Bahn für den 
Schmerzsinn nichts zu tun hat. Die cerebrale Fortsetzung des letzteren, die 
allerdings vorwiegend im Seitenstrang verläuft, kennen wir noch nicht. Eine 
Einstrahlung in die Formatio reticularis hat er nach isolierten Läsionen des 
Gowersschen Bündels im Halsmark nie beobachten können. Im unteren Seiten- 
ntrangkern endigen bei Hund und Katze zahlreiche Fasern des Tractus cerebello- 
spinalis dorsalis; mit der ventralen Seitenstrangbahn hat er nichts zu tun. 

IV. Sitzung. Vorsitzender: Herr Mingazzini (Rom). 

15. Herr Oppenheim (Berlin): Allgemeines und Spezielles über die 
Prognose der Nervenkrankheiten. Vortr. zeigt an einer Reihe von Krankheits¬ 
formen, daß die Prognose sich im Laufe der Zeit viel günstiger gestaltet habe, 
als sie den früheren Erfahrungen und Anschauungen entsprach. Er führt das 
aus für die Tabes, Sclerosis multiplex, den Tumor medullae spinalis, die Polio¬ 
myelitis, den Tumor cerebri, den Abscessus cerebri, die Psychasthenie, die Tics usw. 
Dieser Wandel in den Auffassungen und Tatsachen sei auf verschiedene Momente 
zurückzuführen. 1. Die Fortschritte der Therapie, besonders der chirurgischen, 
2. die Fortschritte in der Erkenntnis der Ursachen, 3. die Fortschritte in der 
Diagnostik, 4. die Tatsache, daß nicht nur die Infektionskrankheiten, sondern 
auch die aus ihnen hervorgehenden Nervenkrankheiten ihren Charakter ändern 
können, 5. daß auch die Individuen und die Generationen in ihrer Reaktion auf 
Krankheitsstoffe einem Wechsel unterliegen, 6. die Meinungen bezgl. der Pro¬ 
gnose der Nervenkrankheiten ursprünglich einer zu ernsten Auffassung Raum 
gaben, weil sie von den schweren tätlichen Fällen abgelesen waren. Vortr. schließt 
daran die Mahnung, mit der Prognose vorsichtig zu sein und vor allem ent¬ 
sprechende trübe Auslassungen den Kranken gegenüber zu vermeiden. 

Diskussion: Herr Löwenthal kann die weitgehende Besserungsfähigkeit 
von Tabes und multipler Sklerose bestätigen, betont aber die Abhängigkeit der 
Prognose von der Art der Lebensführung. Insbesondere ist neben der in¬ 
dividuellen Anlage der Aufbruch im Sinne Edingers entscheidend für den 
Verlauf. 

Herr Krön (Berlin): Auch die peripherischen Nervenerkrankungen bedürfen 
Vorsicht hinsichtlich der schlechten Prognose. Neuritiden können noch nach Jahren 
völlig ausheilen. Solche traumatischer Art, z. B. durch Knochenfragmente veran¬ 
laßt, kommen leicht zur frühzeitigen chirurgischen Behandlung, die dann den 
sonst gutartigen Verlauf der Neuritis stören kann. Die Fälle für Operationen 
müssen auf das sorgsamste ausgewählt werden. 

Herr Oppenheim erwähnt im Anschluß an Herrn Krön einen Fall von 

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Kadialislähmung durch Callusdruck, der noch nach 1 l / a Jahre langem stabilem 
'Verlauf ohne Operation durch Elektrotherapie, Massage und Heißluft heilte. 

16. Herr Veraguth (Zürich): Über die Bedeutung des psychogalva- 
zwischen Reflexes. (Vgl. Referat in Nr. 18 d. Centralblattes, S. 850.) 

17. Herr Pfeifer (Halle): Cysticercus oerebri mit dem klinischen 
Silde einer kortikalen sensorisohen Aphasie, durch Hirnpunktion diagnosti¬ 
ziert und operiert. Die Erkrankung begann 7 Wochen vor der Aufnahme mit 
Kopfschmerz und einer Sprachstörung, wozu sich eine bald wieder zurückgehende 
rechtsseitige Hemiparese gesellte. Bei der Aufnahme bestanden nur Klagen über 
Kopfschmerz und zeitweilige Benommenheit, Objektiv: Stauungspapille, links 
stärker als rechts, leichte rechtsseitige Facialisparese im unteren Ast, kortikale 
sensorische Aphasie, beiderseits transkortikale motorisch• apraktische Störungen, 
zuweilen auch ideatorisch-apraktische Erscheinungen, leichte rechtsseitige spastische 
Parese. Durch Hirnpunktion wurde am mittleren Teil der ersten linken Schläfe- 
windung ein grauweißes Gewebsstückchen gewonnen, dessen mikroskopische Unter¬ 
suchung ergab, daß es sich nur um die Wandung einer Cysticerkenblase handeln 
konnte. Die Operation bestätigte diese Diagnose; trotzdem aber die Cysticerkcn 
anscheinend sämtlich entfernt wurden, gingen die Lokalsymptome nicht zurück, 
es traten sogar später noch solche von seiten des Kleinhirns und der rechten 
motorischen Region ein. Der Fall lehrt, daß man auch nach dem klinischen Be¬ 
fund anscheinend lokalisierter Cysticerkenansamrolung und bei anscheinend radi¬ 
kaler Entfernung auf weitere Herdsymptome durch neue Cysticerken anderen 
Sitzes gefaßt sein muß. Obduktionsbefunde zeigen aber andererseits, daß die 
Operation solcher Fälle trotzdem stets versucht werden soll. Die Hirnpunktion 
kann zur richtigen Diagnose verhelfen. 

18. Herr Schwarz (Riga): Über akute Atazie. Vortr. berichtet über 
zwei Kranke, bei denen akut hochgradige Ataxie nach exzessivem Alkoholmi߬ 
brauch eintrat. Der eine Kranke bot die Erscheinungen einer alkoholischen 
Polyneuritis mit hochgradiger Sensibilitätsstörung und motorischer Schwäche, 
beim zweiten Kranken bestand starke Ataxie der unteren und oberen Extremi¬ 
täten bei erhaltener, sogar erheblicher grober Kraft, Hyperästhesie der unteren 
Eztremitäten, erhaltenem Lagegefühl, gesteigerten Knie- und Bauchreflexen. Augen¬ 
schluß verschlimmerte die Ataxie nicht, es bestanden Mitbewegungen und Nystag¬ 
mus. Psychisch war der Kranke intakt. Das Mißverhältnis zwischen den ge¬ 
ringen hzw. fehlenden Sensibilitätsstörungen und dem hohen Grade der Ataxie 
läßt es zweifelhaft erscheinen, ob die letztere auf die geringen neuritischen Ver¬ 
änderungen bezogen werden kann. Sie stellt eine reine Form der motorischen 
Ataxie vor, wie sie wohl bisher noch nicht beobachtet ist. Sie ist eine Analogie 
der Korsakowschen Psychose, bei der man ebenfalls Formen beobachten kann, 
in denen die polyneuritischen Erscheinungen in den Hintergrund treten, jedoch 
die hochgradigsten Störungen des Gedächtnisses sich entwickeln. Die Fälle bilden 
eine Illustration zu den Ausführungen Duchennes, der aus anderen Erfahrungen 
ein solches Bild konstruierte, ohne einen derartigen Fall gesehen zu haben. Die 
Hochgradigkeit der Störung wird bei dieser Annahme verständlich. Das Gift 
hat das centrale Koordinationsvermögen an der Wurzel gefaßt. Die akute Ataxie 
nach multiplen cerebralen Herden kann differential-diagnostisch ausgeschlossen 
werden. Verfasser unterscheidet demnach vier Formeu von akuter Ataxie: 1. nach 
multiplen cerebralen Herden; 2. akute polyneuritische Ataxie; 3. akute motorische 
Ataxia centralis; 4. akute cerebellare Ataxie (Bechterew). 

19. Herr Mingazzini (Rom): Über einen Fall von sensorischer trans¬ 
kortikaler Aphasie. 61jährige Patientin, Analphabetin, 1905 von einem rechts¬ 
seitigen Schlaganfall betroffen, bald darauf schwere psychomotorische Erregung. 
Sprachuntersuchung: Will Patientin Wünsche ansdrücken oder auf Fragen nnt- 


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Worten, so wiederholt sie stets dieselben stereotypen and bedeutungslosen Phrasen, 
z. B.: Hier iat nichts gewesen — gehe dorthin, sie ist nicht — siehe da — hier 
ist nicht — sie hat geschickt — Gevatter sie schickte u. a. Abgesehen von 
diesen Phrasen kunn sie keinen Satz aussprechen, der einen bestimmten Gedanken 
ausdriickte. Häufig paraphasische Störungen. Die Üblichen Gebete werden aber 
gut aus eigenem Antriebe hergesagt. Bei Fragen und Aufforderungen erfaßt sie 
nur den Sinn einzelner Wörter, nicht aber des ganzen, wenn auch noch so kurzen 
Satzes. Aufgefordert, das Brot zu nehmen, zeigt sie nach dem Brote, ohne es 
zu ergreifen, ebenso, wenn sie das Kissen umdrehen soll, zeigt sie auf das Kissen. 
Hanchmal wiederholt sie monoton in perseveratorischer Weise die obengenannten 
Phrasen. Hin und wieder Echolalie: Wie heißt du? „Heißt“ — Wo bist du 
geboren? „Geboren“. Worte von zwei oder drei Silben vermag sie nicht in 
korrekter Weise zu wiederholen, verbildet dieselben in parapbasischer Weise, 
statt forchetta — foceta, statt coltello — collato usw. Die Gebärdensprache 
ist ausdrucksvoll und richtig. Patientin schwatzt viel. Schimpfworte werden 
dazwischen mit überraschender Deutlichkeit ausgesprochen. Das Ganze gibt das 
charakteristische Bild der transkortikalen 'sensorischen Aphasie. Obduktion: In 
der linken Hemisphäre eine gelbe Erweichung, welche in Form einer Ellipse die 
Substanz des Centrum ovale ausftillt. Bei Horizontalschnitten in Pal scher Färbung 
trifft der Herd in höheren Abschnitten die ganze retrolentikuläre Zone der inneren 
Kapsel, das proximale Ende der Sehstrahlungen und des Funicnlus longitudinal» 
inferior. In tiefer gelegenen Schnitten rückt er immer weiter nach außen und 
endigt in der weißen Substanz, welche unmittelbar der Basis des Gyrus tempo¬ 
ral» medius entspricht. Die gegenwärtige Anschauung lehrt, daß die trans¬ 
kortikale sensorische Aphasie durch bilaterale Herde bedingt ist, die nicht in spe¬ 
ziellen Gebieten lokalisierbar sind. Der vorliegende Fall lenkt die Aufmerksamkeit 
daraufhin, daß die Läsionen am häufigsten im Centrum ovale der zwei ersten 
Schläfenwindungen und des Lobulus parietal» inferior liegen, ferner aber, daß sie 
nicht immer auf beiden Seiten, sondern auch ausschließlich links Vorkommen. Eine 
Läsion dieses Gebietes links hat also die Folge, die Verbindung der Wernicke* 
sehen Stelle mit der übrigen Hirnrinde zu unterbrechen und daduroh die sekun¬ 
däre Identifikation der Worte unmöglich zu machen. Dos Wiederfinden der 
Worte ist erschwert, daher die Perseveration und die Beschränkung des Wort¬ 
schatzes, dagegen die echolalische Wiederholung erleichtert. Diese letztere Eigen¬ 
tümlichkeit ist dadurch erklärlich, daß die kortikale und subkortikale Substanz 
der zwei ersten Schläfen Windungen, der Insel und der dritten Stirnwindung un¬ 
berührt geblieben sind, die Leitung der Impulse vom Klangbild zum verbomoto- 
rischen Centrum ohne Verständnis der Worte durch die Insel also noch möglich ist 
20. Herr Schuster (Berlin): Über die antisyphilitisohe Behandlung in 
der Anamnese der an metasyphilitisehen und syphilitischen Nerven¬ 
krankheiten Leidenden. Vortr. suchte festzustelleu, ob die mehr oder minder 
intensive Behandlung der Syphilis von Einfluß ist auf die folgenden Erkrankungen 
des Nervensystems. Die Ansichten der Autoren über die vorbeugende Kraft der 
antisyphilitischen Behandlung weichen in diesem Punkte erheblich voneinander 
ab, ja widersprechen sich direkt. Neisser hat unter 445 Fällen von Tabes 
53 bis 57 °/ 0 gefunden, welche nie antisyphilitisch behandelt waren; in einer 
Statistik von Eulen bürg und einer solchen von Dinkler findet Vortr. den 
Prozentsatz der unbehandelten Fälle geringer als bei Neisser. Das eigene 
Material des Vortr. umfaßt 186 Fälle: 75 Tabiker, 35 Paralytiker und 76 Pa¬ 
tienten mit cerebrospinaler Lues. Unter diesen Fällen ist ein kleinerer Prozent¬ 
satz gänzlich unbehandelt, in maximo etwa 23 °/ 0 . Der Prozentsatz der ein- 
und mehrmal behandelten Fälle ist größer als er anscheinend hei Neisser war, 
viel größer — zwischen 17 und 19 °/ 0 — ist in dem Material des Vortr. der 


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Prozentsatz der mit zahlreichen (3 bis 8 bis 9 Kuren) Behandelten, wenn er auch 
noch immer nicht sehr erheblich ist. Weiter fragte sich Vortr., ob die Latenz* 
zeit, d. h. die zwischen der syphilitischen Infektion and dem Auftreten der ersten 
nervösen Zeichen liegende Zeit bei den nicht und schlecht behandelten Fällen 
durchschnittlich kleiner sei als bei den gut behandelten Fällen. Er fand, daß 
weder in seiner eigenen Statistik, noch in der von Eulenburg und Dinkler 
ein derartiger zeitlich günstiger Einfluß der Hg-Behandlung festgestellt werden 
konnte. Vortr. zieht aus diesen Zusammenstellungen den Schluß, daß ein Nutzen 
der merkuriellen Behandlung hinsichtlich der Verhütung nervöser Nachkrankheiten 
nicht erweislich ist. Als Ergänzung zu dem Gesagten berichtet Vortr. über 16 
serologische Untersuchungen an Paralytikern, Tabikern und Patienten mit Lues 
cerebrospinalis, welche von Citron und Mühsam in seiner Poliklinik ausgefübrt 
worden sind. (Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.) Eis fanden sich 
in einem großen Prozentsatz der Fälle Antikörper im Blute, jedoch ließ sich 
eine deutliche Einwirkung des Umstandes, ob die Kranken mit Hg behandelt 
waren oder nicht, auf den Gehalt an Antistoffen nicht feststellen. Es konnte 
auch kein Unterschied in dem klinischen Bilde der antikörperhaltigen gegenüber 
demjenigen der antikörperfreien Fälle gefunden werden. Vortr. meint deshalb, 
daß die Behandlung der primären Lues den Ausbruch der metasyphilitiBchen 
Leiden aus dem Grunde nicht verhüten könne, weil die Hg-Behandlung die Anti* 
Stoffe nicht aus dem Blute beseitigen könne. Es wäre dies eine Stütze der An* 
sicht von Wernicke und Löwenthal, nach welcher die Antikörper die Haupt- 
schädlichkeit für das Nervensystem darstellen können. 

Diskussion: Herr Krön (Berlin) ist bei seiner Arbeit über Tabes doraalis 
beim weiblichen Geschlecht 1898 zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Die 
Intervalle zwischen Lues und dem Ausbruch der Tabes waren bei den energisch 
behandelten Fällen in der Regel kleiner als bei den nicht oder weniger behandelten. 

Herr Rothmann (Berlin) widerspricht den Anschauungen des Vortr., daß 
die frühzeitige und sorgfältige Behandlung der Lues keinen Schutz gegen die 
Entwicklung der Tabes gewähre, ja sogar die Latenzzeit herabsetzen könne. Er 
hält die Statistik nicht für beweisend und erklärt das ungünstige Verhältnis der 
mit mehreren Kuren behandelten Fälle so, daß hier nur diejenigen schweren 
Fälle übrig bleiben, die schlecht vom Hg beeinflußt werden, während alle anderen 
Fälle zur Heilung gelangen. Er hält zunächst die Neissersche Statistik nach 
den strengen Grundsätzen Neissers für die Syphilistherapie für beweisender und 
würde es bedauern, wenn die Ärzte sich etwa abhalten ließen, rechtzeitig energische 
Hg-Kuren anzuwenden. 

Herr Schuster (Schlußwort) entgegnet Herrn Rothmann, daß er selbst¬ 
verständlich kein Gegner der antiByphilitischen Therapie sei, das könne ihn aber 
nicht abhalten, die vorliegenden Statistiken unbefangen zu betrachten. Es handelt 
sich auch bei den Tabikern und Paralytikern in der Regel nicht um besonders 
schwere Fälle von Syphilis, im Gegenteil haben verschiedene Autoren gefunden, 
daß die Lues bei den Tabikern gerade häufig einen auffallend leichten Verlauf 
genommen hatte. Die Fälle der Statistik, die eine große Zahl von Hg*Kuren 
aufwiesen, seien deshalb durchaus nicht als besonders schwere Fälle von Syphilis 
aufzufassen. 

21. Herr Erben (Wien): Beobachtungen bei atakttaohen Tabikern. Für 
das Aufrechtstehen sind die Wahrnehmungen an der Fußsohle wesentlicher als 
der Vestibularapparat. Beim aufrechten Stehen gibt es immer Neigungen, da 
unsere Körpermasse im labilen Gleichgewicht eingestellt ist. Durch dieselben 
kommt in der Regel der Schwerpunkt nicht über die Unterstützungsfläche hinaus. 
Tut er dies trotzdem, so reicht die Muskelkraft nicht mehr aus, das Fallen auf¬ 
zuhalten, es sei denn, daß die Körpermasse durch rasche Gegenbewegung wieder 

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zurückgebracht wird oder die Unterstützungsfläche durch rasches Versetzen eines 
Beines vergrößert wird. Die Sohlensensibilität gibt Nachricht über die ersten 
Anfänge einer solchen Neigung. Beim ataktischen Tabiker reicht diese oft nicht 
aus, selbst wenn er mit beiden Sohlen voll aufsteht; einmal empfinden sie weniger 
und dann sind seine Schwankungen größer als beim Normalen. Letzteres hat 
seinen Grund darin, daß beim Tabiker noch Spontanbewegungen in den Gelenken 
der Beine auftreten, die ihrerseits eine Folge der Gelenk- und Muskelanasthesie 
sind. Die Muskeln können ohne die „tiefe Sensibilität“ keine isometrischen Kon¬ 
traktionen mehr ausführen. Die Gelenkunruhe tritt nur bei willkürlichen Muskel¬ 
anspannungen auf, ohne Willensimpulse entsteht sie niemals. Vortr. zerlegt die 
Erscheinung der Ataxie beim Stehen in zwei Komponenten, die Gelenksunruhe 
und die durch sie erzeugten Körperschwankungen. Beim Rombergschen Ver¬ 
suche werden die Schwankungen oft sofort unterdrückt, wenn der Kranke nur 
mit dem Finger einen festen Punkt berührt, obwohl die Gelenkunruhe bleibt. 
Es wird hierdurch von der Ataxie die eine Komponente beseitigt. Der tastende 
Finger wirkt nur auf die Neigungen des Körperschwerpunktes ein, ebenso wie 
die Augen und die Fußsohlen nur als Perzeptionsorgane für die Schwankungen 
der Schwerlinie beim Stehen wirken. Die Fußsohle perzipiert nur die Schwan¬ 
kungen der Schwerlinie im Bereich der Unterstützungsfläche. Der Grad der Ge- 
fühlsabstiimpfung an den Sohlen läßt sich schon durch die Schwankungsrichtung 
beim stehenden Tabiker erkennen. Fällt er nach vorn oder hinten, so kann er 
die Belastung der Ferse von der des Ballens nicht mehr unterscheiden, schwankt 
er seitwärts, so ist die Empfindung für die Mehrbelastung des rechten oder linken 
Fußes gestört. Spontanbewegungen in den Muskeln der Tabiker treten nur auf 
in der Innervationsbreite zwischen maximaler und keiner Kontraktion (Versuch 
beim sitzenden Tabiker, der den Unterschenkel hebt). In therapeutischer Hinsicht 
ist zu erwähnen, daß kraftvolle Bewegungen imstande sind, die Gelenksunruhe 
zu korrigieren, daß die Gleichgewichtsschwankungen dagegen in erster Linie 
durch Verfeinerung der Fußsohlenempfinduug korrigiert werden. Beim Rom¬ 
bergschen Versuch ist die Unruhe im Knie geringer als in den Hüft- und Sprung¬ 
gelenken, weil bei maximaler Kniestreckung im Stehen der Körper ohne An¬ 
spannung des Quadrizeps feststeht, lediglich durch den mechanischen Zug der vor 
der Kniegelenksachse ziehenden Schwere. Nur wenn durch Unruhe der Sprung¬ 
gelenke die Schwerlinie hinter die Kniegelenksachse gerät, spannt sich der 
Quadrizeps reflektorisch an, woran sich zugleich ataktische Unruhe des Kniees 
knüpft. Aus dieser Beobachtung erklärt sich die instinktiv vom Tabiker bevor¬ 
zugte Hyperextension der Kniee im Stehen. 

Diskussion: Herr Lilienstein (Nauheim) hat durch Einlegen von unebenen 
Gummieinlagen in die Schuhe eine Unterstützung für die herabgesetzte Sohlen¬ 
sensibilität gegeben und dadurch eine Verminderung des Rombergschen Sym- 
ptomes und eine Verbesserung des Ganges bewirkt. 

22. Herr Flatau (Berlin): Über das Fehlen des Achillesreflexes. (Er¬ 
scheint unter den Originalien dieses Centralblattes.) 


79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Dresden 
vom 15. bis 21. September 1907. 

Abteilung für Neurologie und Psychiatrie. 

Referent: H. Haenel (Dresden). 

(Schloß.) 

13. Herr Rohde (Königsbrunn): Das Vererbungsproblem in der Neuro- 
und Psychopathologie. Die Zahlen über die erbliche Belastung bei Nerven- 

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und Geisteskranken schwanken bei den einzelnen Autoren in verwirrender Weise 
zwischen 4 und 90°/ 0 . Zur Klärung dieser Verschiedenheiten ist es nötig, auch 
die gesundgebliebenen Glieder einer belasteten Familie zu berücksichtigen, weil 
sonst die Annahme, die Nachkommen nervenkranker Eltern könnten in ähnlicher 
AVeise erkranken, zu der irrigen wird, sie müßten erkranken. Wichtiger als 
Massenstatistiken aufzustellen ist das Studium von Individualstammbäumen. Aus 
Arbeiten von Koller, v. Wagner und Diem geht hervor, daß die Gesamt- 
Belastung der Geistesgesunden von der der Geisteskranken nur wenig abweicht 
(70°/ 0 gegenüber 77 °/ 0 ). Die Wertung der Vererbung für die Pathogenese ist 
zurzeit eine recht verschiedene. Wir müssen den Begriff in strengem biologischem 
Sinne anwenden und ihn nicht ausdehnen auf Vorgänge, die mit echter Vererbung 
nichts zu tun haben, z. B. mit fötaler Infektion. Intrauterine Erwerbungen sind 
als angeborene, nicht als vererbte zu bezeichnen. Der eigentliche Akt der Ver¬ 
erbung ist beendet mit der Verschmelzung der Kernsubstanzen von Ei und 
Spermatozoon. Es gibt demnach keine hereditäre Tuberkulose oder Syphilis, über¬ 
haupt keine hereditären Krankheiten, nur Krankheitsanlagen werden vererbt. 
Sine solche konstitutionelle Anlage wird bei der Schrumpfniere angenommen, bei 
manchen nervösen Systemerkrankungen, bei der progressiven Muskelatrophie u. a. 
Neben diesen Anlagen können auch abnorme Zustände vererbt werden, z. B. 
Farbenblindheit, Hämophilie, familiärer Diabetes insipidus, Thomsensche Krank¬ 
heit. ln den Wunsch, auf gesetzgeberischem Wege Vorbeugungsmaßregeln gegen 
die Verschlechterung der Rasse zu ergreifen, kann Vortr. nicht mit einstimmen, 
weil die Komponenten, mit denen man zu rechnen hat, noch zu unsicher sind. 
Von Vererbungsgesetzen zu reden, ist heute noch verfrüht. Die Forschung be¬ 
findet sich noch im Stadium der Sammlung von Tatsachen. Daraus ergibt sich 
aber nicht, daß wir Veranlassung hätten, das ganze Problem für unlösbar zu 
halten. Aussichten auf Fortschritte bietet das Heranziehen der Genealogie und 
der Vererbungsverhältnisse im Tier- und Pflanzenreich. 

Herr Fischer (Prag): Über den fleck weisen Markfaserschwund in der 
Hirnrinde bei progressiver Paralyse. Die demonstrierten Flecken treten bei 
verschiedenster Fixation und Färbung auf, sind bei Lupenvergrößerung schon auf 
Querschnitten durch die frische Rinde zu sehen, also keine Kunstprodukte. Sie 
entstehen durch einen perivaskulären Schwund der Markscheide und des Neuro¬ 
keratins, die Achsencylinder bleiben unverändert. Die Glia befindet sich dort in 
einem Zustande geringer Wucherung, Ganglienzellen und Gefäße sind an dem 
Prozesse nicht beteiligt. Vortr. untersuchte 94 Gehirne, darunter 43 Paralysen 
und 51 von senilen, arteriosklerotischen Demenzen, anderen Psychosen und Nor¬ 
malen. Die Flecken fanden sich nur bei Paralysen, und zwar in 65°/ 0 der Fälle; 
sie sind also für diese spezifisch, ähneln in manchen Punkten der multiplen 
Sklerose, erinnern auch an die von Schröder beschriebenen Befunde bei Arterio¬ 
sklerose, nur daß bei dieser die Ganglienzellen fleckweise atrophieren und die 
Markfasern verbleiben. Diese Ähnlichkeit weist auf einen gemeinsamen histo- 
pathologischen Mechanismus bei einem differenten Agens hin. 

Diskussion: Herr Mingazzini fragt, ob die Stellen mit kortikofugalen Fasern 
von denen mit kortikopetalen unterscheidbar waren, ferner ob die Flecken alt 
oder jung sind. 

Herr Heilbronner hat ähnliche Herdchen bei Paralytikern mit Lissauer- 
Färbung häufig gesehen; er macht auf analoge herdförmige Zellveränderungen 
aufmerksam. 


Herr Fischer (Schlußwort): Da sekundäre Degeneration fehlte, konnte die 
Frage, ob centripetale oder centrifugale Fasern besonders gelitten hatten, nicht 
iu Betracht kommen. Die Flecke sind offenbar alt. 


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Gemeinsame Sitzung mit der Abteilung für Augenheilkunde. 

14. Herr Uhthoff (Breslau): Die Augensymptome bei der Thrombose 
des Hirnsinus. Vortr. teilt die Sinusthrombose in 3 Gruppen ein: die primäre, 
marantische Sinusthrombose, die septische Form (mit Ausschluß der otogenen und 
der traumatischen) und die otogene Thrombose. Diese 3 Formen ergeben auch 
in bezug auf die dabei vorkommenden Augensymptome ein verschiedenes Ver¬ 
halten. Die primäre marantische Sinusthrombose befällt in erster Linie die un- 
paaren Hirnsinus, vor allem den Sinus longitudinalis, Sinus rectus, die Vena 
magna Galeni. Sie ist in der Hegel nicht septisch und beträgt etwa 1 ö°/ 0 des 
vom Vortr. zusammengestellten Materiales. Eigentliche Sehstörungen und Ver¬ 
änderungen am Augenhintergrunde sind bei dieser Form verhältnismäßig selten. 
Ganz vereinzelt findet sich Amaurose ohne wesentlichen Befund von Hemianopsie, 
erheblich häufiger Störungen in den Augenbewegungen, besonders D6viation con- 
juguöe offenbar als kortikales Reizsymptom. Selten sind Lähmungen und Nystag¬ 
mus. Ebenso kommt selten Exophthalmus hier vor und die Pupillen bieten wenig 
charakteristische Anhaltspunkte. — Die septische phlebitische Sinusthrombose (15°/ 0 ) 
zeigt schon erheblich häufiger Augensymptome. Hier tritt gelegentlich eine 
metastatische eitrige Ophthalmie aut Auch wenn Thrombophlebitis der Orbita 
vorliegt, führt dieselbe doch fast niemals zu eitriger Entzündung des Augapfels 
selbst. AugenmuBkellähmungen wurden hier in etwa 22°/ 0 der Fälle gefunden. 
Am häufigsten war hier Exophthalmus (72°/ 0 ). Vortr. zeigt Präparate eine« 
solchen Falles und bespricht die näheren anatomischen Vorgänge. — Die otitische 
Sinusthrombose kommt relativ am häufigsten vor, etwa 60°/ 0 , und befällt in 
erster Linie den Sinus transversus und sigmoideus, Sehstörungen und ophthalmo¬ 
skopische Veränderungen spielen hier eine große diagnostische und prognostische 
Rolle. Die Bedeutung der Stauungspapille, Neuritis optica, Opticusatrophie, 
Hyperämie und Stauung im Augenhintergrunde, besonders auch in otiatrischer 
Hinsicht wird besprochen. Die meisten Fälle mit positivem ophthalmoskopischem 
Befunde bieten Komplikationen mit Meningitis, Hirnabsceß, extraduralem Absceß usw. 
Augenmuskellähmungen fanden sich in etwa 12 °/ 0 und deuten in der Hälfte der 
Fälle auf eine Mitbeteiligung des Sinus cavernosus. Am häufigsten ist Abducens- 
lähmung, selten Deviation conjuguöe, Nystagmus deutet auf Mitbeteiligung des 
Labyrinths oder auch auf cerebrale Komplikationen; eitrige Ophthalmie ist hier¬ 
bei sehr selten. 

Diskussion: Herr v. Frankl-Hochwart hat einen Fall von allgemeinen 
CerebralBymptomen mit Neuritis optica bei einem chlorotischen Mädchen, dos 
später alle Erscheinungen wieder verlor, als Sinusthrombose gedeutet. 

Herr Pick betont auch seinerseits die Wichtigkeit der ophthalmoskopischen 
Untersuchung von sonst unverdächtigen Fällen. Er hat bei einem als Typhus 
eingelieferten Kranken eine Neuritis optica gefunden, Operation ergab eine Sinus- 
thrombose, Patient wurde geheilt 

Herr Krückmann warnt gleich dem Vortr. davor, eine zweite Operation 
allzu rasch folgen zu lassen, wenn nach der ersten die Papillenerscheinungen 
nicht rasch zurückgehen. 

15. Herr Bach (Marburg) und Herr Bumke (Freiburg i/B.): Pathologie 
der Pupille. 

Herr Bach bespricht den allgemeinen Teil des Themas, und zwar 1. die 
Störungen in der centripetalen und centrifugalen Lichtverengerungsbahn, 2. die 
Störungen in der aktiven und passiven Pupillenerweiterungsbahn, 3. die reflek¬ 
torische Pupillenstarre, 4. einige seltenere Pupillenanomalien: paradoxe Reaktion, 
die sogenannten springenden Pupillen, den Hippus iridis. 

Herr Bumke bespricht die diagnostische Bedeutung der Pupillensymptome. 
Die Lehre steht jetzt fest, daß die echte reflektorische Pupillenstarre so gut wie 


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ausschließlich bei Tabes und Paralyse vorkommt. Eine Ausnahme bilden nur die 
seltenen Fälle, in denen bei früher syphilitisch Infizierten dos Robertson’sche 
Zeichen jahrelang allein ohne andere Symptome bestand. Um beginnende reflek¬ 
torische Pupillenträgheit zu erkennen, sind Pupillometer konstruiert worden 
(Schlesinger), ferner hat Weiler auf die „sekundäre Lichtreaktion'' hingewiesen, 
die bei 96°/o d er Paralytiker fehlte und Ref. die galvanische Reflexerregbarkeit 
des Auges untersucht. Neben der reflektorischen Starre ist diagnostisch wertvoll 
die Mioais und die Entrundung der Pupillen. Die Kenntnisse über die Pupillen¬ 
symptome bei der senilen Demenz, arteriosklerotischen Hiruerkrankung, bei chro¬ 
nischem Alkoholismus und den übrigen organischen Hirnleiden zeigen wenig Fort¬ 
schritte. Dagegen konnte bei der Dementia praecox eine Pupillenstörung fest¬ 
gestellt werden, die in einem Mangel der Pupillenerweiterung auf psychische und 
sensible Reize besteht. Leider ist dieses katatonische Symptom nicht konstant 
und hat besonders keinen frühdiagnostischen Wert. Das Vorkommen von abso¬ 
luter Pupillenstarre bei Hysterie, und zwar innerhalb sowohl wie außerhalb des 
Anfalles, kann nicht mehr bezweifelt werden. Die Pupillen sind dabei gewöhnlich 
entweder maximal eng oder maximal weit. Die Erklärung der letzteren macht 
auch heute noch Schwierigkeiten. Ref. konnte durch Anwendung von Cocain 
und Homatropin nachweisen, daß die hysterische PupillenBtarre auf einer Herab¬ 
setzung des Sphinktertonus beruht, nicht auf einem Dilatatorkrampf. Die An¬ 
gaben der Autoren, besonders Bachs, daß Läsionen des oberen Halsmarkes bez. 
der Medulla oblongata Pupillenstarre bewirken sollten, sind nicht aufrecht zu 
erhalten. Dagegen haben Versuche von Ref. und W. Trendlenburg ergeben, 
daß das Bild der Sympathicusparese auch durch Verletzung jener Rückenmarks¬ 
teile zustande kommen kann. Im übrigen können auch Verletzungen des Schädels 
und selbst solche der Orbita in sehr seltenen Fällen Pupillenstörungen hervor- 
rufen, die ausnahmsweise einmal auch dem Robertsonschen Zeichen ähnlich 
sehen können. 

Diskussion: Herr v. Frankl-Hochwart wünscht, daß man sioh mehr mit 
der paradoxen Pupillenreaktion befassen und über ihr Vorkommen bei den ver¬ 
schiedenen Krankheiten berichten möge. Er sah sie nicht allzu Belten bei den 
metasyphilitischen Nervenkrankheiten. 

Herr Pretori möchte den Ausdruck Pupillenstarre überhaupt vermieden 
sehen und nur von Pupillenreaktion oder Pupillenreaktionslosigkeit sprechen. Die 
Pupillenreaktion sollte niemals durch Vorhalten und Wegziehen der Hände ge¬ 
prüft werden, sondern immer nur mit dem Spiegel. 

Herr Mingazzini erwähnt Untersuchungen von Signorelli in Rom, der 
gesehen hat, daß bei Typhus, Malaria und Pneumonie die linke Pupille oft träge 
reagierte und gleichzeitig Anisokorie bestand. Nach Absinken der Temperatur 
verschwanden die Pupillenstörungen wieder. Auch bei Migräne kommt Aniso¬ 
korie vor. 

Herr Hess: Bei Prüfung der Reaktion ist nicht nur die Lichtquelle, sondern 
auch der Adaptationszustand zu berücksichtigen. Es ist nicht gleichgültig, ob 
der Kranke direkt nach Eintritt aus dem Hellen ins Dunkle untersucht wird oder 
nach Dunkelaufenthalt von 10 od<r 20 Minuten. 

Herr Krückmann fragt, in welcher Weise Ref. die sensiblen und psychi¬ 
schen Reize ausgeführt bat. 

Herr Heilbronner: Um nicht eine träge Pupillenreaktion zu finden, wo 
keine ist, sollte an der Untersuchung im Dunkelzimmer und mit künstlichem 
Lichte festgehalten werden. Bei Verwertung der trägen Reaktion für die Dia¬ 
gnose des pathologischen Rauschzustandes scheint ihm Vorsicht geboten. 

Herr Wolfrum kann die Chromatophoren, welche Münch als Muskelelemente 
in der Iris ansieht, nicht als solche gelten lassen. Es fehlen alle Merkmale dafür. 


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Herr Pick erwähnt einen Fall von anscheinend absoluter Pupillen starre bei einem 
Patienten mit Tumor cerebri; die Pupillen waren stark dilatiert. Im Schlafe 
zeigte sich aber, daß die Pupillen der geradeaus gerichteten Augen (ihre Be¬ 
weglichkeit nach oben war aufgehoben) sehr stark verengt waren; im Moment 
des Erwachens erweiterten sie sich sofort und blieben weit und Btarr. 

Herr Rühlmann macht ebenfalls auf die Wichtigkeit der Pupillenprüfong 
im Schlafe aufmerksam. 

16. Herr Steinert (Leipzig): Die Bedeutung der Störungen im okulo- 
motorischen Apparat für die Lokalisation cerebraler Herderkrankungen. 

Vortr. betont die Wichtigkeit einer sicheren Unterscheidung zwischen supra¬ 
nukleären Augenmuskelstörungen und solchen durch Läsion des peripheren Neu¬ 
rons; supranukleäre Störungen betreffen immer bestimmte Synergismen, die aus- 
füllen, während die geschädigten Muskeln für andere Funktionen sich normal 
verhalten können. Die Schädigung kann bei bestimmtem Sitz der Läsion sich 
auf einen Muskel beschränken, der dann an dem betreffenden Synergismus sich 
nicht zu beteiligen vermag, wohl aber bei anderen funktioniert. Nicht das Kon¬ 
jugierte, sondern die Lähmung nur für bestimmte Funktionen ist das Ausschlag¬ 
gebende. Die Intaktheit des peripheren Apparates geht aus dem Nachweis anderer 
erhaltener Synergismen hervor. Man prüft bei Seitenwendungslähmungen und 
Konvergenz ganz allgemein gewisse sogenannte reflektorische Augenbewegungen, 
wie sie durch Führung eines bewegten Fixationsobjektes, durch passive Kopf¬ 
drehungen und auf andere Weise ausgelöst werden können. Außerdem ist die 
absolute Gleichmäßigkeit der Beweglichkeitsbeschränkung zweier Synergisten dia¬ 
gnostisch wichtig für den Nachweis der supranukleären Natur der Störung. Das 
einzige okulomotorische Symptom der Erkrankung einer Großhirnhemisphäre ist 
die Deviation conjuguee. Bei doppelseitigen Herden kann es zur Cykloplegie, 
zur völligen Aufhebung aller Blickbewegungen, kommen. Eine kortikale Ptose 
ist nicht anzuerkennen. Von der Deviation conjuguöe des Kopfes und der Augen 
wesentlich unterschieden ist die pontine einfache seitliche Blicklähmung; von be¬ 
sonderer diagnostischer Bedeutung ist die doppelte seitliche Blicklähmung ohne 
vertikale Blicklähmung und die die beiden Synergisten ungleichmäßig befallende 
seitliche Blicklähmung, mag sie durch ungleichmäßige Läsion der supranukleären 
Faserung oder durch komplizierende nukleäre Affektionen bedingt sein. Diese 
Bilder kommen bei Hemisphärenherden nie vor. Kleinhimherde können Störungen 
der seitlichen Blickbewegungen machen, die teils durch den Druck auf den Pons 
zu erklären sind, teils aber wohl von der Läsion cerebellarer und vestibulärer 
Apparate selbst abhängen. Ein pathognomonisches Symptom der Erkrankung der 
Dachregionen des Vierhügelgebietes scheint die isolierte, nicht mit seitlicher Blick¬ 
lähmung kombinierte vertikale Blicklähmung zu sein. Bei der häufigen Kompli¬ 
kation mit peripherer Parese einzelner Vertikalmotoren iBt es besonders wichtig, 
durch Prüfung der reflektorischen Augenbewegungen die supranukleäre Natur der 
Läsion sicher festzustellen, der allein die große topisch • diagnostische Bedeutung 
zukommt. Seitliche Blicklähmung tritt bei der Symptomatologie dieses Gebietes, 
merkwürdigerweise auch desjenigen des Hirnschenkelfußes, ganz zurück. Bei 
einem kurzen Überblick über die peripheren Augenmuskellähmungen wird vor 
allem vor der Überschätzung ihrer topisch-diagnostischen Bedeutung gewarnt. 


Abteilung für innere Medizin. 

17. Herr Ziemssen (Wiesbaden): Heilung der Ischias. Vortr. betont 
die Notwendigkeit der Spezialisierung und der exaktesten Kausaldiagnose jedes 
einzelnen Falles. Fast stets ist eine allgemeine Ursache von der lokalen zu trennen, 
wenn nicht Trauma oder Neubildung vorliegt. Es geht daraus hervor, daß man 
durch lokale Mittel allein wenig odor nichts erreicht, wenn man nicht gleichzeitig 
der a)lgeineinen| Ursache gerecht wird. Die große Zahl lokaler. Mittel, die ohne 

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gleichzeitige Allgemeinbehandlung als Universalmittel gegen Ischias gerühmt 
werden, beweisen nur, wie oft das einzelne im Stich läßt. Sie wirken teils durch 
Ableitung oder Betäubung des Schmerzes, teils beeinträchtigen sie das Gefühl im 
Nerven. Die Mittel der ersteren Art genügen vielleicht in leichten Fällen, sind 
jedoch meist von Rezidiven gefolgt. Die Mittel der zweiten Art, unter denen 
neuerdings besonders die verschiedenen Injektionen in den Nerven oder die Nerven* 
scheide Bedeutung erlangt haben, verwandeln die Hyperästhesie zwar in Anästhesie, 
die den Kranken für längere Zeit beschwerdefrei machen kann, aber sie setzen 
gleichzeitig die Vitalität des Nerven in so hohem Maße herab, daß eine Schwäche 
und Atrophie der betreffenden Extremität eintritt, die manchmal zu einer Umfangs- 
differenz von 4 bis 6 cm führt. Vortr. kennt nur eine lokale Methode, die die 
Hyperästhesie mildert und den Nerv entlastet, ohne ihn gleichzeitig zu schädigen: 
die warme Dusche mit Massage im warmen Bade. Er hat diese Methode aus 
Aix-les Bains in Savoyen in Wiesbaden eingeführt. Wirklichen Nutzen hat aber 
auch diese Massagedusche nur bei gleichzeitiger, dem einzelnen Falle genau an¬ 
gepaßter Allgemeinbehandlung. Das Gesagte trifft ceteris paribus auch auf andere 
Neuralgien zu. 

18. Herr Steinhausen (Danzig): Atypische HitzBOhlagformen. Vortr. 
hat schon in früheren Arbeiten darauf hingewiesen, daß der Hitzachlag nicht als 
Hyperthermie oder Asphyxie, sondern als eine Erkrankung des Centralnerven- 
Systems mit sehr wechselnder Lokalisation aufzufassen ist. Die innere Disposition 
ist es, welche die in der Literatur wie in dem Beobachtungsmaterial der Armee 
in außerordentlicher Fülle enthaltenen, bisher als atypisch aufgefaßten Erschei¬ 
nungen seitens des Nervensystems erzeugt: Delirien, Dämmerzustände, diffuse und 
herdförmige Hirnaffektionen, Sprachstörungen aller Formen und motorische mit 
sensorisch-sensiblen Ausfalls* und Beizerscheinungen in buntem Wechsel. 

19. Herr Reicher (Wien): Kinomatographie in der Neurologie. (Vgl. 
S. 965.) 

r . Abteilung für gerichtliche Medizin. 

• 20. Herr Näcke (Hubertusburg): Der Familienmord vom psychiatrischen 

Standpunkte. Zu unterscheiden: Vollständiger und unvollständiger Familien¬ 
mord, je nachdem alle oder nur einzelne Mitglieder attackiert wurden, mit oder 
ohne Selbstmord des Täters. Das untersuchte Material bestand aus 110 Männern 
und 51 Frauen. Die größere Hälfte aus der Literatur. Die meisten standen 
zwischen 20 und 40 Jahren und gehörten dem Volke an; in öffentlichen Anstalten 


ziemlich selten. Nachfolgender Selbstmord oder -Versuch bei 20 Männern und 
17 Frauen. Bei den Männern richtete sich das Attentat in 66 °/ 0 gegen die Frau 
allein, in 10°/ 0 gegen das Kind, in 6,4 °/ 0 gegen beide. Vollständige Familien¬ 
morde oder Versuche dazu in 8,2 %. Somit scheinen solche seltener zu sein als 
bei Geistesgesunden, dagegen die unvollständigen wahrscheinlich häufiger. Am 
häufigsten wurden scharfe und stumpfe Schlagwaffen benutzt, dann Stich- und 
Schußwaffen. Bei den Frauen war das Attentat in 6°/ 0 allein gegen den Ehe¬ 
mann, in 76 % gegen das Kind gerichtet, meist durch Ertränken oder Erwürgen. 
Erblich belastet waren 70,5°/ 0 Männer und 88°/ 0 Frauen. Die persönliche Anlage 
war soheinbar eine größere als bei den anderen Geisteskranken, wahrscheinlich 
auch die Entartungszeiohen. Wahn, meist Verfolgung und Eifersucht, in 9,6% 
bzw. 9,8%, verschiedene Affekte 11,7 bzw. 23,5%, Dämmerzustände 11,7 bzw. 
9 %, Hulluzinationen selten erwähnt. Bisweilen altruistische Gründe, besonders bei 
Frauen; Eifersucht durchaus nicht immer bei Trinkern, bei Männern hauptsächlich 
Alkoholismus, Paranoia, Epilepsie, bei Frauen Melancholie, Paranoia, Dementia 
praecox. Das Verhältnis von Verbrechen zu Irrsinn, ebenso die Prophylaxe des 
Familienmorde8 wird gestreift. (Ausführliche Veröffentlichung als Monographie.) 

21. Herr Strassmann: Familienmord ln geriohtlich - psychiatrischer 


Bestehung. Vortr. beschränkt sich auf die Fälle, die als kombinierter Selbst- 


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mord bezeichnet werden können, d. b. bei denen das ursprüngliche Motiv der 
Selbstmord ist. Er bat 12 Fälle beobachtet, zwei betrafen Männer, bei denen 
zur ursprünglichen degenerativen Beschaffenheit noch Alkoholismus hinzugekommen 
war; 10 Frauen, die Bämtlich vom Schwurgericht freigesprochen wurden, ließen 
als Ursache des kombinierten Selbstmordes durchweg häusliches Mißgeschick aller 
Art, Mißhandlungen durch den Ehemann, die sich zum Teil auch auf die Kinder 
erstreckten, Untreue desselben, Notlage usw. erkennen. Die Mehrzahl waren eben¬ 
falls von vornherein psychopathisch, in anderen Fällen war das seelische Gleich¬ 
gewicht noch durch gleichzeitige Schwangerschaft, Menstruation oder puerperale 
Erkrankungen gestört. Mehrmals erschien die Erinnerung an die Vorgänge bei 
der Tat getrübt, so daß an einen pathologischen Affekt gedacht werden mußte. 
Wenn auch in Fällen, in denen die Zurechnungsfähigkeit nicht verneint worden 
war, Freisprechung erfolgte, so war diese von der Erwägung geleitet, daß der 
Selbstmord an sich nicht strafbar ist, daß die gleichzeitige Tötung der Kinder 
aus altruistischen Motiven geschah, daß die Frauen ohne eigene Schuld in die 
Notlage gekommen waren, und daß, abgesehen von dieser einen Tat, eine Gefähr¬ 
lichkeit oder die Notwendigkeit einer bessernden Einwirkung auf sie nicht er¬ 
sichtlich war. Bemerkt sei noch, daß in diesen letzten 10 Fällen die Tötung 
ausgeführt wurde 6 mal durch Lysol, 2 mal durch Kohlenoxyd, lmal durch Er¬ 
öffnen der Pulsadern, lmal durch Lysol und Erhängen. 

22. Herr LeerB (Berlin): Über die kriminalbiologisohe Bedeutung des 
Exhibitionismus. Vortr. bespricht 11 dem Grenzgebiet zwischen Gesundheit 
und Krankheit angehörende Fälle von Exhibition. In 3 Fällen, in denen epilepti- 
forme Erscheinungen nachgewiesen werden konnten, war die Beurteilung dadurch 
erschwert, daß in Absencezuständen neben der Exhibition anscheinend bewußte 
Handlungen begangen wurden, die den Ausschluß der freien Willensbestimmung 
zweifelhaft machten. In 4 Fällen fand sich Imbezillität bzw. degenerative Geistes¬ 
beschaffenheit. In weiteren 3 Fällen lag ein pathologischer Rauschzustand nahe 
infolge voraufgegangener Kopfverletzungen, allgemeiner Neurasthenie, chronischem 
Alkoholismus. Nur in einem Falle mußte die Zubilligung des § 51 verneint 
werden. Vortr. bespricht die Frage der Gemeingefährlichkeit der Exhibitionisten 
und weist auf das Unrecht hin, welches die Gesellschaft erleidet, wenn geistig 
abnorme Exhibitionisten freigesprochen werden oder mildernde Umstände erhalten 
in Gestalt von Strafverkürzung, ohne daß der Strafrichter unter dem Eindrücke 
der Verhandlung und an der Hand des Sach verständigen-Gutachtern» gesetzlich die 
vorläufige Unterbringung verfügen kann, an die sich die Überweisung an den 
Entmüdigungsrichter anschließen müßte. (Der Vortrag erscheint ausführlich in 
der Vierteljahrschrift f. gerichtl. Medizin. 1907. Suppl.) 


Abteilung für Chirurgie. 

23. Herr Radmann (Laurahütte): Chirurgisohe Behandlung der Oerebro- 
spinalmeningitis. Die bisher bei Genickstarrekranken ausgeführten Operationen, 
die Lumbalpnnktion, die Kanülendrainage nach der Lumbalpunktion, die Durch¬ 
trennung deB Ligamentum atlanto-occipitale, Punktionen der Seitenventrikel mit 
und ohne nachfolgende Spülung, hatten keine Einwirkung auf den Krankheits¬ 
verlauf. Ein radikaler Erfolg ist auch von chirurgischer Behandlung nicht zu 
erwarten, da einerseits die Krankheit keine Lokalaffektion ist wie die gewöhn¬ 
lichen eitrigen Meningitiden, sondern von Anfang an und während ihrer ganzen 
Dauer eine Allgemeininfektion, andererseits überhaupt bezweifelt werden muß, daß 
die Genickstarreeiterungen durch chirurgische Eingriffe zu heilen sind wie ge¬ 
wöhnliche Eiterungen. Denn die Meningokokken wirken wesentlich anders auf 
menschliches Gewebe ein als andere Eitererzeuger. Subkutane Einspritzung der 
eigenen Cerebrospinalfiüssigkeit verursacht bei Genickstarrekranken keinerlei 
Reaktion, der Heningococcus erzeugt weder lokale Einzelherde noch Abszesse, 


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liaftet dagegen besonders gut in der Pia. Auch symptomatisch leisten chirur¬ 
gische Eingriffe in den Anfangsstadien wenig. Die Lumbalpunktion hat nur in 
einzelnen Fällen vorübergehende Beruhigung zur Folge. Ihre schematische An¬ 
wendung zu therapeutischen Zwecken ist zu widerraten. Die Vermehrung des 
Hirndruckes bedarf in den .Anfangsstadien keiner Bekämpfung. Dagegen scheint 
in den Spätstadien, wo die rein mechanische Einwirkung der vermehrten Flüssig¬ 
keit den größten Teil der schweren Erscheinungen verursacht, eine künstliche 
Herstellung dauernden Abflusses symptomatisch zu nützen. Da dnreh die Lumbal¬ 
punktion und einfache Ventrikelpunktion das Großhirn nicht dauernd entlastet 
wird, so hat Vortr. in 2 Fällen die Seitenventrikel tamponiert mit erheblicher, 
aber vorübergehender Besserung der Erscheinungen. (Ein Patient lebte noch 
IO Tage nach der Operation, der andere 17 Tage.) Zur Sicherung des Abflusses 
und zur Vermeidung sekundärer Infektion bei der Nachbehandlung empfiehlt es 
sieb, in beide Ventrikel ein Silberdrahtgestell mit Fäden einzuführen, durch deren 
sukzessives Herausziehen sich Störungen des Abflusses beseitigen lassen. 

Abteilung für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

24. Herr Dürck (München): Über die feineren histologischen Verände¬ 
rungen besonders des Nervensystems bei Beri-Beri (unter Vorweisung zahlreicher 
histologischer Abbildungen). Vortr. bat das ganze peripherische Nervensystem 
und das Rückenmark bei 11 Fällen von Beri-Beri von verschieden langem klini¬ 
schem Verlauf (aus Sumatra und Selangor) histologisch genau untersucht. Die 
ersten Veränderungen bestehen in Erweiterungen der Maschenräume an dem 
Ewald-Kühn eschen Neurokeratingerüst der Markhüllen. Es kommt dann zu 
Vakuolisierung und Bildung von Schaumstrukturen unter fettiger Degeneration 
des Markes, mit Zerklüftung, Klumpenbildung und segmentärem Zerfall der Mark¬ 
mäntel. Ein großer Teil des Markes wird chemisch unverändert resorbiert und 
ist in den massenhaft zwischen den Nervenfasern, in den perivaskulären und 
perineuralen Lymphränmen auftretenden Körnchenzellen nachweisbar. Die Achsen- 
cylinder werden auf gewissen Stadien von gelöster Marksubstanz imbibiert, so 
daß sie Markfärbung annehmen, dann zeigen sie eigentümliche Knäuelbildung und 
sehen wie zusammengeschnürt aus, dann findet ebenfalls segmentärer Zerfall statt. 
Die ihres Inhaltes so beraubten Neurilemmschläuche kollabieren unter Anschwellung 
und Vermehrung ihrer Kerne; von ihnen aus und gleichzeitig von dem wuchern¬ 
den Endoneurium aus bildet sich Narbengewebe, wodurch der degenerierende 
Nerv allmählich vollkommen substituiert werden kann, so daß nur mehr ein 
Bindegewebsstrang übrig bleibt. Regenerationserscheinungen hat Vortr. niemals 
wahrgenommen. Im Rückenmark fand Vortr. außer Wurzeldegenerationen in 
mehreren Fällen totale Sklerose der Hinterstränge, ausgezeichnet durch den söhr 
reichlichen Qehalt an Körnchenzellen. Die Sklerose reichte gleichmäßig vom 
Sakral* bis in dos oberste Cervikalmark. 

Hj^25. Herr Cbiari (Straßburg i/E.): Über die Genese der Corpora amy- 
laoea des Centralnervensystems. In Chiaris Institute untersuchte Dr. Nambu 
aus Tokio die Genese der Corpora amylacea des Centralnervensystems nach den 
verschiedensten Methoden. Mit Hilfe der Weigertschen Gliamethode gelang es, 
klare Übergangsbilder zwischen den Gliakernen und den Corpora amylacea zur 
Darstellung zu bringen, so daß diese Methode zum Studium der Genese der 
Corpora amylacea des Centralnervensystems sehr empfohlen werden kann. (Die 
ausführliche Arbeit des Herrn Dr. Nambu wird im Archiv f. Psychiatrie publiziert 
werden.) 


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Internationaler Kongrea für Psyohiatrie, Neurologie, Psychologie und 
Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1007. 

Referent: Dr. Bl es (Amsterdam). 

(Schluß.) 


Sektion für Irrenpflege. 

Herr Ruysch, Vorsitzender der dritten Sektion, eröffnet die Versammlung. 

Auf der Tagesordnung steht: Das Pflegepersonal in den Anstalten, sein 
Unterricht, seine Hechte und Pflichten. 

Herr J. van Deventer, Inspektor der staatlichen Aufsicht über Geisteskranke 
und Irrenanstalten, ist der Referent. Das Kriterium der Geisteskrankheit muß 
als sowohl im Interesse der Kranken wie auch in demjenigen der Gesellschaft 
liegend angesehen werden. Der Psychiater findet seinen Wirkungskreis besonders 
in der Anstalt. Die Gründung großer Anstalten kann sehr viel zum Erzielen 
guter Resultate beitragen. Darum ist die Pflege die Hauptsache, ein Umstand, 
den man erst erkannte, als Geisteskranke auch als Kranke angesehen wurden. 
Irrenpfleger sind eine unentbehrliche Hilfe für Psychiater. Jeder Pfleger muß 
die für die Verpflegung nötigen speziellen Kenntnisse besitzen. Seine Persönlich* 
keit spielt vor allem eine große Rolle. Die Pfleger müssen aber auch einen guten 
theoretischen Unterricht erhalten, welcher teilweise der Zulassung zu der prak¬ 
tischen Pflegearbeit vorangehen muß. Der Unterricht muß umfassen: Kenntnis 
der Haushaltung und der Küche, Kenntnis der Handelswaren, der wesentlichsten 
weiblichen Arbeiten usw. Die männlichen Pfleger müssen zugleioh einen Beruf 
haben, um den Verpflegten bei Handarbeiten behilflich sein zu können. Der 
Vorbereitungsunterricht hat auch den Vorteil, daß man die zukünftigen Pfleger 
bereits im voraus kennen lernt. Der praktische Unterricht werde in verschiedenen 
Kursen gegeben und dauere insgesamt 3 Jahre. Bei diesem Unterricht nehme 
man Rücksicht auf die persönlichen Fähigkeiten der Pflegzöglinge. Der Unter¬ 
richt muß unter Staatsaufsicht stehen. Nach jedem Kursus soll ein Examen — 
am liebsten ein Staatsexamen — abgelegt werden. Die Leitung des Unterrichtes 
soll dem leitenden Arzte übertragen werden. Jeder Arzt hat einen Oberpfleger 
unter sich, der seinerseits wieder an der Spitze des übrigen Pflegepersonals steht 
Nachtdienst darf allein solchen übertragen werden, die ein Examen mit Erfolg 
abgelegt haben. Die Pflege steht in enger Verbindung mit den durch die Be¬ 
handlung erzielten Resultaten. Man stelle also die Pfleger nicht hinter das übrige 
Personal zurück. Ihre Besoldung usw. entspreche den von ihnen geleisteten 
Diensten. Man sorge durch Krankheits- und Unfallversicherung, durch Pensions* 
fonds und auf andere Weise, daß auch ihre Zukunft gesichert ist. In erster 
Linie ist eine gesetzliche Regelung der Anforderungen wünschenswert, die an das 
Pflegepersonal zu stellen sind. 

Bei der Diskussion wurden von französischer Seite (von Herrn Pactet) einige 
Mitteilungen über das Pflegepersonal im Seine-Döpartement gemacht. 

Herr Pinkhof (Amsterdam) stellt die Frage, ob es nicht wünschenswert sei, 
die jungen Pflegerinnen 1 1 / 2 Jahr in einer Frauenabteilung zu beschäftigen, um 
ihre Art und ihren Charakter kennen zu lernen, bevor sie in der Männerabteilung 
Verwendung finden. 

Dann hielt Herr Shuttlewort (London) einen Vortrag über dasselbe Thema. 

Ein Vortrag über die Verbesserung der Pflegerausbildung in den Ver¬ 
einigten Staaten von Nord-Amerika von Herrn Krotes (Boston) wird, da der 
Referent nicht anwesend ist, von Herrn Bloomer vorgelesen. 

Herr Aug. Ley, leitender Arzt von „Fort Jaw“, gibt Auskunft über die 
niederl&ndisohe Pflege in der Anstalt, wo eine mehr moderne Pflege eingeführt 
ist. Mit dem französischen Personal, das keine Ausbildung genossen hat, war 
dies unmöglich, und da es in Belgien auch keine Schulen für eine derartige Aus¬ 
bildung gibt, mußte man sich nach ausländischem Personal umsehen. Durch Mit- 


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Wirkung niederländischer Psychiater, besonders des Herrn van Oeventer, gelang 
es, holländisches Personal zu bekommen, das im Gegensatz zu dem in Belgien 
üblichen Gebrauch direkt den Ärzten unterstellt wurde. Vortr. kommt zu dem 
Schluß, daß besonders die Anstalten, deren Frequenz stark wächst, ihr Personal 
besonderen Ausbildungsschulen entnehmen müßten. 

Noch dem Vortrag entspann sich eine Debatte, die sich besonders auf die an 
das Personal zu stellenden Anforderungen bei einer mehr modernen Verflegung 
und auf die Weise seiner Ausbildung bezog. 

Herr Buy sch erinnert die Redner, welche meinten, daß das moderne Pflege* 
System nicht so schnell und bequem eingeführt werden könne, an die Verhält* 
niese in Holland, wo — seitdem Minister van Honten vor einem Jahrzehnte 
durch Cirkular auf einzelne Zustände aufmerksam gemacht habe — die Pflege 
ausgezeichnet geworden sei. 

Am Schlüsse entstand noch eine lebhafte Diskussion zwischen belgischen 
Ärzten einerseits und Pater Amadöe Stockmans und Kanonikus van Beekom 
andererseits über die Ausbildung des Pflegepersonals in Belgien, soweit es — 
und dies ist ein wesentlicher Teil — aus Religiösen (geistlichen Brüdern und 
Schwestern) besteht. So wurde darauf hingewiesen, daß ihre Ausbildung sehr 
schlecht war, daß sogar der Bischof von Gent ihnen verboten habe, an einem 
Kursus der Niederländischen Vereinigung für Psychiatrie teilzunehmen. 

Nachdem auch noch von deutscher Seite einige Mitteilungen erfolgt waren, 
verteidigte Herr van Deventer noch einige Leitsätze, gipfelnd in den Forde* 
rungen: Spezielle Ausbildung von Pflegern und Pflegerinnen für Geisteskranke! 
Der Direktor sei der Leiter, das Haupt des gesamten Dienstes! 

Diesen Leitsätzen stimmte die Sektionsversammlung bei. 

Das folgende Referat lautet: Pflege von Geisteskranken, die mit dem 
Strafrichter in Berührung gewesen sind. 

Erster Referent ist Herr J. Morel (Bergen). Er teilt diese Personen 
in zwei Gruppen ein: 1. in solche, die als unzurechnungsfähig anzusehen sind. 
Diese müssen direkt in die Anstalt weitergesandt werden und nicht in das Ge¬ 
fängnis; 2. in solche, die eine beschränkte Zurechnungsfähigkeit besitzen. Im 
Prinzip müssen diese zur Verfügung des Strafrichters bleiben; Bie erhalten jedoch 
eine verringerte Strafe und werden während dieser Zeit gründlich untersucht. 
Auch wird hierüber Bericht erstattet und darauf Rücksicht genommen, ob eine 
Entlassung erfolgen kann oder nicht. Ehe dies jedoch (in Belgien) möglich sein 
wird, ist es wünschenswert, erst in bezug auf die Gefangenen eine Regelung zu 
treffen. Vortr. wünscht, daß die Behandlung der geisteskranken Gefangenen im 
Gefängnis einem Psychiater übertragen werden solle, während dieser zugleich der 
konsultierende Arzt sein soll, wenn der Gefängnisarzt ein psychiatrisches Kon¬ 
silium benötigt. Vortr. nimmt weiter die psychische Untersuchung der Gefangenen 
vor, die jedesmal, falls dies wünschenswert ist, wiederholt wird, und gibt einer 
Anzahl Gefangenwärter Unterricht in der Behandlung derartiger Gefangener. 
Der Gefängnispsychiater wird einen Gefangenen, bei dem Hoffnung auf Genesung 
besteht, unter Behandlung behalten können. Wird diese Genesung aber lange 
dauern oder ist der Gefangene ein unheilbarer Geisteskranker, dann muß er nach 
einer Anstalt überführt werden können. 

Herr T. Hay Shaw (London) gibt einen Beitrag zur Analyse psyohisoher 
Prozesse bei Verbrechen. Vortr. kommt zu dem Schluß, daß bei Verbrechen 
keine besonderen psychischen Prozesse im Spiele sind. Wir Anden allein einen Unter¬ 
schied in den Motiven oder in den Voraussetzungen, die einige Faktoren beherrschen. 

Herr G. A. van Hamei (Amsterdam) war der zweite Referent über das obige 
Thema. Der Vortr. teilt diese Personen in drei Gruppen ein: a) diejenigen, 
die im Augenblick der Tut als unzurechnungsfähig angesehen werden müssen; 


b) die, welche, während 

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der Untersuchungshaft oder im Gefängnisse nach der 

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Verurteilung Symptome von Geistesstörung zeigen; c) die, welche — Geistes¬ 
störungen zeigend — früher bereits wegen eines Deliktes verfolgt oder verurteilt 
sind. In keinem Fall darf die Behandlung der zu den drei Gruppen gehörenden 
Personen anders sein als diejenige gewöhnlicher Geisteskranker; sie sind ebenso¬ 
gut Kranke wie diejenigen, welche niemals mit dem Strafrichter in Berührung 
gekommen sind, und man findet unter ihnen sowohl unruhige als ruhige Geistes¬ 
kranke. Das Inberührungkommen mit der Justiz ist nur ein hinzukommender 
Umstand. Wenn sie während ihrer Gefangenschaft Symptome von Geisteskrank¬ 
heit zeigen, müssen sie zeitweise in einem besonders hierfür bestimmten Teil des 
Gefängnisses untergebracht und gepflegt werdeD, der zwar administrativ zu diesem 
gehört, an dessen Spitze aber ein Arzt steht. Wird ihr Leiden chronisch, so 
müssen sie in eine gewöhnliche Anstalt überführt werden. Was die gefährlichen 
Geisteskranken betrifft, so kann man hier zwischen zwei Systemen wählen: Pflege 
in speziell dafür eingerichteten Gebäuden (Gefängnis für geisteskranke Verbrecher) 
oder auch in zu diesem Zweck eingerichteten Pavillons, welche einen Teil der 
gewöhnlichen Irrenanstalt bilden. Vortr. gibt letzteren den Vorzug. Das In¬ 
freiheitsetzen geisteskranker Verbrecher, die als genesen entlassen werden, muß 
unter Kontrolle juridischer Autoritäten geschehen. Die Lösung des Problems der 
Pflege und Infreiheitsetzung Geisteskranker, die mit dem Strafrichter in Berührung 
gekommen sind, wird allein dann eine fruchtbare sein können, wenn zugleich eine 
Regelung bezüglich derer getroffen wird, die eine Bogen, beschränkte Zurechnungs¬ 
fähigkeit — übrigens ein Ausdruck, den man lieber vermeiden muß — besitzen, 
der sogen, geistig Minderwertigen. 

Diskussion: Herr Charpentier: Nicht so sehr die Verantwortlichkeit als die 
in Frage kommende Person muß beurteilt werden. 

Herr Ruysch spricht sich gegen die Adnexe bei den Gefängnissen aus. 
Eine gute Behandlung hält er hier nicht für möglich. Er wurde hierin von 
Herrn Aschaffenburg unterstützt. 

Herr van Hamei meint, daß hier doch eigentlich kein prinzipieller Unterschied 
bestehe; es hänge nur davon ab, ob man die Personen längere oder kürzere Zeit 
in diesem Asyl halte. 

Herr Meyers (Amsterdam) spricht über die sogen. Asyle in großen Städten. 
Dies sind Anstalten, in welche man Geisteskranke, die aus einem oder dem anderen 
Grunde unmittelbar aufgenommen werden müssen, überführt. Der Aufenthalt 
daselbst hat einen vorübergehenden Charakter; es sind also eigentlich Durchgangs- 
häuser. Drei Gruppen Kranke kommen hier hinein. Zunächst solche, welche nach 
einem kurzen Aufenthalt daselbst wieder hergestellt sind, zweitens solche, deren 
Krankheit voraussichtlich einen mehr chronischen Verlauf nehmen wird, und 
drittens Kranke, deren körperlicher Zustand einen weiteren Transport nicht mehr 
ermöglicht. Die Kranken der zweiten Gruppe verleihen dem Asyl seinen eigen¬ 
tümlichen Charakter. Diese Patienten müßten eigentlich dann erst weitergesandt 
werden, wenn die psychiatrische Diagnose festBteht; aber wegen verschiedener 
Ursachen ist dies nicht immer möglich, oft zum Nachteile der Patienten. Das 
verschiedenartige Benehmen der verschiedenen Patienten (fiebernde Deliranten, 
schwere Hysterie, Alkoholisten) stellt hohe Anforderungen an die Pflege, und 
daher ist es oft erforderlich, von Isolierräumen Gebrauch zu machen. Die für 
die Pflege gebräuchliche Einteilung in ruhige und unruhige Patienten ist hier 
nicht genügend, da auch die unruhigen einen völlig verschiedenen Charakter 
zeigen können. Amsterdam besitzt ein derartiges Asyl auf dem Terrain des 
Wilhelmina-Krankenhauses. Per Jahr werden ungefähr 190 Patienten darin auf¬ 
genommen, von denen 28 °/ 0 als genesen entlassen werden; fÜr59°/ 0 ist das Asyl 
nur Durchgangsstation; die Sterbeziffer beträgt 13 °/ 0 . Diese Ziffern sind nur 
abgerundete, da eir.e genaue Statistik nicht gut erhältlich ist, besonders weil 
Patienten entlassen werden, die kurz danach wieder aufgenommen werden müssen. 

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983 — 


Vortr. faßt seine Ausführungen dahin zusammen, daß mit einem derartigen Asyl 
große Nachteile verknüpft sind, die aber völlig Wegfällen, wenn es mit einer 
großen Anstalt verbunden wird. 

Herr A.Marie (Villejuif) berichtete— auch für Hrn. Picquet (Paris) sprechend 
— über das Entstehen von Geisteskrankheiten nach Kopfverletzungen. Diese 
können unmittelbar nach dem Trauma auftreten. Zuweilen verursacht eine schein* 
bar geringe Verletzung eine ernstliche Störung; in diesen Fällen bestand schon 
durch Erblichkeit eine Disposition zur Geisteskrankheit oder auch das Individuum 
war bereits geisteskrank. In einzelnen Fällen ist die Geisteskrankheit selbst die 
Ursache der Kopfverletzung. Entsteht die Geisteskrankheit lange nach der Ver* 
letzung, dann ist es oft sehr schwer, den Zusammenhang zwischen beiden festzu- 
stellen. Ein genaues methodisches Studium der Tatsachen wird aber noch oft den Zu¬ 
sammenhang feststellen lassen und Anlaß zu einem operativen Eingriff geben können. 

Herr Ruysch (Haag) spricht über Einrichtung der Verwaltung von 
Irrenanstalten und die Staats&ufsioht über die Irrenpflege. Die Anstalten 
müssen Eigentum des Staates oder der Provinz sein. Die Regierung stelle die 
Anforderungen fest, denen eine Anstalt genügen muß und achte dabei auf die 
Wahl des Terrains, die Bauausführung, die wissenschaftliche und hygienische 
Einrichtung, die Anzahl der Ärzte, der Pfleger usw. Der Regierung muß das 
Recht zugestanden werden eine Anstalt zu schließen, wenn ernste Fehler in der 
Pflege gemacht worden sind. Die Aufsicht wird von der Regierung durch 
Inspektoren ausgeübt, die keine andere Stellung bekleiden dürfen. Der leitende 
Arzt fuhrt die Direktion der ganzen Anstalt und steht auch an der Spitze der 
Verwaltung. Er wird unterstützt von Ärzten (Psychiatern), administrativen Be¬ 
amten, dem Pflegepersonal usw. Alle Beamten und Angestellten der Anstalt, 
mit Ausnahme der Ärzte, werden von ijim ernannt und entlassen. An das 
Pflegepersonal müssen Anforderungen bezüglich Kenntnisse, Bildung, Tüchtigkeit 
und Hingabe gestellt werden. Jeder Pfleger soll seine Ausbildung in einer speziell 
dafür bestimmten Schule erhalten. Die Besoldung des Personals entspreche den 
geleisteten Diensten, der Dauer des täglichen Dienstes und der Zahl der Dienst¬ 
jahre. Die Versicherung des Personals in einer Lebens-, Kranken- und Unfall¬ 
versicherung erscheint ihm wünschenswert. Rechte und Pflichten des Personals 
werden in einer besonderen Instruktion festgestellt 

Weiter hielt Herr A. Uarriera (Barcelona) einen Vortrag über die 
Iieitung der Irrenanstalten und die Staatsaufsicht über dieselben. Die 
Direktion muß durch einen Psychiater erfolgen, weil allein dieser imstande ist, 
auf eine Anzahl Dinge wie Nahrung, Kleidung, Zimmer, Bett usw. zu achten; er 
allein kann auch die Arbeitsbehandlung der Patienten regeln. Man wird dann 
auch ein besseres Personal von Pflegern und Pflegerinnen erzielen können, an das 
man dann auch größere Anforderungen bezüglich Ausbildung und Intellekt stellen 
kann als gegenwärtig. (Man denke daran, daß der Vortr. spanische Zustände im 
Aoge hat; Ref.) Der leitende Arzt, der auch administrativ an der Spitze steht, 
muß ein hinreichendes Personal von Ärzten und Verwaltungsbeamten unter sich 
haben und muß nicht aus finanziellen Gründen genötigt sein, am Personal Er¬ 
sparungen zu machen. Die Art und Weise, wie in Spanien der Staat sich um 
die Irrenanstalten bemüht, hat ihre großen Nachteile. So wird für die Auf¬ 
nahme eines Geisteskranken eine Anzahl erschwerender Formalitäten gefordert, 
so u. a. Erklärungen des Bürgermeisters, eines ärztlichen Beamten und zwei 
anderer Ärzte. Zu diesen Maßregeln hat man gegriffen, um Mißbräuche zu ver¬ 
hindern; jedoch glaubt der Vortr., daß diese Mißbräuche mehr in der Phantasie 
bestehen, und es ist nicht zu leügnen, daß alle diese Maßregeln einer rechtzeitigen 
psychiatrischen Behandlung wenig günstig sind. Vortr. meint, daß der Aufnahme 
der Patienten in die Irrenanstalten keine Beschwerden eutgegengestellt werden 


dürfen; d 

Digitizsc: b 


lese Anstalten selbst unter einer sehr strengen .Aufsicht 

^ UMIVERSITY OF CALIFORNIA, 



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stehen müssen. Sie müssen regelmäßig durch dazu vollkommen kompetente Per¬ 
sonen inspiziert werden. Auch hinsichtlich der Pflege geisteskranker Verbrecher 
steht Spanien zurück; für solche gibt es keine besonderen Einrichtungen. 

Auf den Vortrag des Herrn Ruysch folgte eine Debatte, in welcher auch 
die Familienpflege zur Sprache kam. 

In seiner Erwiderung Betzte Herr Ruysch auseiander, daß er kein Gegner 
derselben sei, jedoch diese nicht selbständig, sondern in der Nähe von Anstalten 
angewendet wissen wolle. Vortr. bedauerte die Abwesenheit der französischen 
Mitglieder, die er gerne um einige Mitteilungen über das letzte Zirkular von 
Clemenceau ersucht haben würde, weil dieses Zirkular bei ihm den Eindruck 
erweckt habe, daß die Anzahl der in französischen Anstalten untergebrachten 
Personen, die dort nicht hineingehörten, ziemlich groß sei. 

Herr Mabon ist abwesend; sein Vortrag über Behandlung von Geistes¬ 
kranken in freier Luft wird vorgelesen. Die durch solche Behandlung er¬ 
zielten Resultate sind besonders günstig. Die Patienten werden in Pavillons ge¬ 
pflegt, die auf hohem, trockenem Grunde gelegen sind, so daß die Luft reichlich 
Zutritt hat. Nicht allein die ganze Umgebung, so verschieden von Anstalten mit 
ihren Zellen — sondern auch der Verkehr in der freien Luft Belbst verursachen 
die günstigen Resultate. 

Herr Morel bestätigte noch näher die erfreulichen Resultate der Freiluft¬ 
behandlung, während Herr Ley (Fort Jaco Uede) auf die guten, durch Bett¬ 
behandlung erzielten Resultate hinwies. Auch die Kombination beider Behand¬ 
lungen hat sehr günstige Ergebnisse. 

Familienpflege und Landarbeit. Über diesen Gegenstand wurde von Herrn 
A. Marie (Villejuif) referiert. In der Zukunft wird die Behandlung der Geistes¬ 
kranken mehr und mehr mit den Fortschritten in der Therapie Rechnung tragen 
müssen, und man wird verschiedene Gruppen sehr unterschiedlich behandeln müssen. 
Gefährliche und kriminelle Geisteskranke müssen in besonderen Abteilungen be¬ 
handelt werden; akute, die erst geisteskrank geworden sind, gehören in eine 
Anstalt; jedoch die chronischen und die heilbaren Fälle müssen in einer Um- 
«gebung behandelt werden, durch welche die Patienten langsam wieder an die 
Zurückkehr in die Gesellschaft gewöhnt werden. Hierfür ist die Familien pflege 
sehr geeignet, sowohl vom therapeutischen als ökonomischen Gesichtspunkt aus. 
Die mit der Familienpflege in verschiedenen Ländern gewonnene Erfahrung er¬ 
möglicht es nun schon, allgemeine Regeln für Familienpfiege, kombiniert mit 
Landarbeit, und für Anstaltspflege festzustellen. 

Herr Alt (Uchtspringe) spricht über denselben Gegenstand. Er erinnert daran, 
wie Griesinger bereits vor 40 Jahren darauf hinwieB, daß viele Geisteskranke 
mehr Freiheit genießen könnten, als man ihnen gab, und er skizzierte die Zu¬ 
stände in den Anstalten, die vor ungeiähr 40 Jahren mehr Gefängnissen als 
Krankenhäusern glichen. Auch jetzt noch kommen in Deutschland Anstalten 
vor, in welchen von den Geisteskranken keine Arbeit verrichtet wird; sie müssen 
ihre ungebrauchte Arbeit in Schreien usw. umsetzen. Naoh Griesingers Auf¬ 
treten ist in Deutschland eine Veränderung vor sich gegangen; Anstalten sind 
mit Landkolonien für Geisteskranke verbunden worden und zugleich wurde das 
Gebalt der Pfleger verbessert. Eine Kombination von Familienpflege und AnBtalts- 
pflege, wie das in Belgien vorkommt, besteht in Deutschland nicht. Man kom¬ 
biniert in Deutschland die Pflege auch im akuten Stadium soviel wie möglich 
mit Handarbeit. Die Landarbeit verdient im allgemeinen den Vorzug, weil damit 
zugleich ein Aufenthalt in der freien Luft verbunden ist; nur die grobe Land¬ 
arbeit kann natürlich durch geisteskranke Landarbeiter verrichtet werden. Die¬ 


jenigen, welche früher keine Handarbeit verrichteten, müssen mehr mit Garten¬ 
arbeit beschäftigt werden. Auch die Familienpflege muß mehr Verbreitung 


finden. Im allgemeinen ist die Bevölkerung — wie man früher fürchtete — 

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nicht dagegen. Ist dies doch der Fall, so beginnt man, selber eine Kolonie für 
Familienpflege zu gründen; die Erfahrung lehrt, dafl eine derartige Kolonie sich 
gewöhnlich schnell vergrößert. Bei der Überweisung an die Familien muß man 
soviel wie möglich den Wünschen der Patienten Rechnung tragen. Diejenigen 
z. B., die gerne mit Pferden umgehen, überweise man an eine Familie, wo dies 
möglich ist. Man sieht verschiedentlich, wie Geisteskranke, deren Zustand in 
Anstalten jahrelang stationär blieb, durch Familienpflege sich langsam bessern, 
ja selbst soweit genesen, daß sie nach Hause zurückkehren können. 

Bei der Debatte bemerkt Herr Ruysch, daß er Familienpflege allein für 
Genesende wünsche und stets als Filiale einer Anstalt, während Herr Rennö die 
völlige Scheidung befürwortet. Er verteidigt ferner das Zirkular des Ministers 
Clemenceau. Herr Prögoin appelliert an die Mitwirkung der Ärzte, um soviel 
wie möglich die Insassen der Anstalten nach den Kolonien überzuführen; für 
viele ist es schwierig, dies Prinzip zu verteidigen, weil sie dann in Streit mit 
den Direktionen der Privatanstalten geraten. Herr Peters machte darauf einige 
Mitteilungen über die in Gheel erzielten Resultate. Die dortigen Ergebnisse 
übertreffen weit diejenigen der AnBtaltspflege, trotzdem die ungünstigsten Fälle 
nach Gheel gesandt werden. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und das allein 
erklärt schon, daß ein Patient bei Familienpflege Lust zur Arbeit bekommt oder 
erhält, während er diese in einer Anstalt schnell verlieren würde. Zum Schlosse 
folgte noch eine Replik von Herrn Ruysch, der, trotzdem er das Gute der 
Familienpflege anerkannte, doch meint, zur Vorsicht mahnen zu müssen. 

Herr William W. Ireland spricht über die Zunahme von Nerven- und 
Geisteskrankheiten. Vor 7 Jahren hat Vortr. eine Rundfrage an eine Anzahl 
Ärzte gerichtet, ob sie während der Dauer ihrer Praxis eine Zunahme nervöser 
Krankheiten haben konstatieren können, ob neue Krankheitsformen hinzugekommen 
seien, und ob etwaige Veränderungen in dem Typus der bekanntesten Krankheiten 
aufgetreten seien. Aus den Antworten ergab sich, daß allein in den großen 
Städten eine Zunahme stattgefunden habe. Darauf gibt Vortr. einige Statistiken 
und weist auf die Zunahme der Selbstmorde in Schottland hin, deren Ziffer bis 
auf 305 pro Jahr gestiegen ist (d. h. 65 auf 1 Million Einwohner). Zum Schlüsse 
werden an der Hand der Literatur die Zustände in verschiedenen Ländern besprochen. 

Herr C. C. Easterbrook (Ayr, Schottland) ist nicht anwesend. Sein Vortrag 
wird vorgelesen. Derselbe hat zum Inhalte: Sanatoriumbehandlung duroh 
Bettruhe in der freien Luft. Es wurde eine ausführliche Beschreibiing des 
Sanatoriums in Ayr gegeben. Die Ausführungen gipfeln darin, daß — obgleich 
die Beobachtungen sich noch über eine größere Anzahl Jahre erstrecken müssen — 
die vorläufig erzielten Resultate sehr ermutigend sind. 

Herr Ferrari (Bologna) spricht über die Erstehung geistig zurückge¬ 
bliebener Kinder. Er beschreibt die Elinrichtung des medizinisch-pädagogischen 
Institutes in Bologna. Alle die Schüler betreffenden Momente: Messungen, ethno¬ 
graphische Besonderheiten, Größe, Gewicht, Fortschritte, Betragen, Aufmerksam¬ 
keit usw. wurden genau aufgezeichnet, und im Zusammenhang damit wurde 
eine entsprechende Behandlung eingeführt. Diesem Umstande schreibt der Vortr. 
das starke Sinken der Sterbeziffer für die im Institute behandelten Kinder zu. 
Während diese vor 1901 noch 20°/ 0 betrug, im Jahre 1901 sogar 29,6 °/ 0 , ist 
sie jetzt (1906) auf 4,7 °/ 0 gesunken. Vor allem hat eine bessere Regelung der 
Ernährung das ihre dazu beigetragen. Vortr. erwähnt ferner, daß die geistig 
zurückgebliebenen Kinder in der Regel widerstandsfähiger gegen Krankheiten 
und schädliche Einflüsse sind als normale Kinder; sie Bind für ansteckende Krank¬ 
heiten wenig empfänglich. Dagegen verlaufen andere ernste Krankheiten oft bei 
diesen Kindern völlig anders; wenn die Krankheit selbst gewichen ist, sieht man 
oft einen Zustand von Kachexie eintreten, dem sie zuweilen nach Monaten erliegen. 
Vortr. kommt nun zi den verschiedenen Normen, auf welche man die geistig 
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Zurückgebliebenen zurückführen kann. Von Idioten spricht er allein, wenn die 
geistige Minderwertigkeit einer überstandenen Gehirnkrankbeit zuzuscbreiben ist. 
Die Affektion der Imbecillen dagegen ist stets angeboren. Man sieht beide 
Gruppen von Individuen gewöhnlich als Personen an, die in ihrer geistigen Ent¬ 
wicklung zurückgeblieben sind, und bei denen allein durch die Erziehung selbst 
noch einige Besserung erzielt werden kann. Vortr. erachtet letzteres als unrichtig. 
Besonders bei männlichen Idioten tritt erhebliche Besserung ein, falls sie unter 
günstigen hygienischen Voraussetzungen untergebracht werden, ohne daß die Er¬ 
ziehung selbst etwas dazu beizutragen braucht. Letztere ist nur sekundär be¬ 
hilflich. Vortr. führt als Beweis an, daß unter reichen Idioten, die doch zu 
Hause auf die denkbar beste Weise versorgt und erzogen werden, viele keine 
Fortschritte zeigen. Also die Erziehung ist nicht daB wichtigste Moment für 
Besserung. Vortr. hat eine Zeitlang die Idioten des Institutes in einige Gruppen 
eingeteilt und auf verschiedene Weise erzogen; es zeigte sich, daß die Idioten, 
denen Lektionen erteilt wurden, durchaus nicht schnellere Fortschritte machten 
als die, bei denen dieses wegfiel. Was die Imbecillen betrifft, so kann man diese 
ein einfaches Handwerk lehren, wobei anerkennenswerte Resultate erzielt werden; 
jedoch lehrt die auf dem Institut gemachte Erfahrung, daß sie dieses wieder 
schnell vergessen. Schließlich bleiben noch zwei Gruppen übrig: die Früh- 
Dementen, bei denen absolut keine Resultate erzielt werden und die geborenen 
Kriminellen usw. (Lombroso). Auch hier sind die Resultate nicht sehr be¬ 
friedigend. Hinsichtlich des Unterrichtes muß man streng individualisieren. Die 
männlichen Patienten lehrt man gewöhnlioh Feld- und Gartenarbeit; die weib¬ 
lichen werden zu Dienstboten herangebildet. Vortr.«nimmt an, daß der Dienst¬ 
botenstand auf die Dauer in Europa verschwinden wird, so daß diese Funktion 
in Zukunft ausschließlich von geistig Zurückgebliebenen ausgeübt werden dürfte. 

Herr Alt weist darauf hin, daß ein plötzlicher Stillstand in der geistigen 
Entwicklung der Kinder wiederholentlich vorkommt nach einer akuten Infektions¬ 
krankheit wie Masern, Röteln usw. Die Eltern nehmen darauf zu wenig Rück¬ 
sicht. Weiter ist es natürlich, daß Kinder, die an einer oder der anderen Krank¬ 
heit oder an körperlichen Gebrechen leiden, dadurch auch oft geistig Zurückbleiben. 

Herr van Renterghem spricht über verschiedene Methoden in der Psycho¬ 
therapie. Er unterscheidet drei Methoden: 1. die moralische, bei der man ver¬ 
sucht, dem Patienten Mut einzuflößen, ihm Hoffnung auf Genesung zu geben, sein 
Angstgefühl zu beseitigen. Jeder Arzt mit dem nötigen Takt wird diese Methode 
in Anwendung bringen; 2. die pädagogische Methode, bei der man auf den 
Intellekt des Patienten einwirkt. 3. Die suggestive Methode. Gegen diese letste 
Methode haben sich einige Autoren, besonders Dubois und Dejerine gewandt; 
sie meinen, daß die Methode gefährlich ist, daß Bie die Patienten zu Sklaven 
macht usw. In Zusammenhang hiermit weist Vortr. darauf hin, daß er die 
Hypnose mehrmals angewandt aber niemals etwaige nachteilige Folgen davon 
beobachtet habe. Darauf beschreibt der Vortr. die Einrichtung seiner Klinik und 
gibt die allgemeinen Regeln an, die für die Behandlung angewandt werden 
müssen. Sein Vortrag ist unter dem Titel: „La psychothörapie dans see diffe¬ 
rentes modes“ bei dem Verleger F. van Rossen erschienen. 

Herr L. Muskens (Amsterdam) referierte über die Notwendigkeit, in der 
Fürsorge für die Epileptischen die beginnenden oder zur Zeit noch nicht 
komplizierten Fälle von den veralteten zu unterscheiden. Während in den meisten 
Ländern bis heute nur Einrichtungen für chronische und bereits stumpfsinnige 
epileptische Patienten bestehen, hat die Niederländische Vereinigung gegen Fall¬ 
sucht seit 5 Jahren einen neuen Weg beschritten und zwar dadurch, daß sie für 
die erst beginnenden Fälle ein besonderes kleines Krankenhaus eröfinete, das so 
gut wie möglich mit den nötigen Hilfsmitteln ausgeetattet ist. Nach der be¬ 
redten'--Aufmunterung durch Herrn Frank in Zürich drängt sich die Frage anf, 
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ob keine Veranlassung besteht, bei dem gegenwärtigen Stande der Forschung 
eine internationale Kommission für das Studium der Epilepsie einzusetzen. 

Darauf wird von der Errichtung eines internationalen Bureaus für das 
Studium der Ursaohen und die Prophylaxe von Nerven» und Geistes¬ 
krankheiten Mitteilung gemacht. Der Sitz soll vorläufig in Bologna sein, später 
definitiv in Zürich. 

Plenar-Sitzung. 

Vortrag von Herrn v. Beohterew (Petersburg) über objektive Psyohologle. 

Unser Urteil über den psychischen Charakter eines Individuums beruht auf der 
Wahrnehmung äußerlicher Erscheinungen (Sprache, Mimik, Handlungen), die wir 
mit unserem eigenen „Ich“ vergleichen, und aus denen wir Folgerungen bezüg¬ 
lich subjektiver Gefühle für andere ziehen. Diese Methode, aus der Analogie 
mit unserem „Ich“ das innerliche Seelenleben anderer abzuleiten, ist soweit gut, 
als die Analogie gut ist und kann also z. B. nicht auf Idioten, Geisteskranke 
und noch viel weniger auf Tiere angewandt werden. Auch ihr innerliches Leben 
können wir nicht aus Analogie auf Grund äußerlicher Erscheinungen mit dem 
unseren folgern. Viele innerliche Gefühle von anderen können wir nicht immer 
bei uns selbst reproduzieren. Dies gilt nicht allein für einfache Dinge wie Ge¬ 
schmacks- oder Geruchseindrücke anderer, sondern z. B. sehr stark für religiöse 
Gefühle. Man kann also nur aus äußerlichen Erscheinungen auf die subjektiven 
Gefühle anderer schließen, wenn diese Gefühle zu allen Zeiten reproduziert werden 
können. Dies gilt aber nur für sehr wenige subjektive Gefühle, so daß die 
Methode nur in beschränktem Maße brauchbar ist. Nun steht aber fest, daß die 
subjektiven Gefühle bei gleichen äußerlichen Erscheinungen doch für verschiedene 
Individuen nioht gleich sind, so daß man fragen kann, ob man selbst in den ein¬ 
fachen Fällen das Recht hat, aus äußerlichen Erscheinungen auf subjektive Wahr¬ 
nehmungen zu schließen. Vortr. verneint dies. Die einzige Methode ist Beob¬ 
achtung unseres eigenen „Ich“. Es ist vollkommen verkehrt, zu denken, daß wir 
ans Gesichtsausdruck, Gebärden usw. auf subjektive Wahrnehmungen anderer 
schließen können. Wir können aber wohl den Zusammenhung zwischen äußer¬ 
lichen Reizen und objektiv wahrnehmbaren psychischen Äußerungen feBtstellen. 

Das Studium dieses Zusammenhanges kann man „objektive Psychologie“ nennen. 

Dieses Studium wird zugleich zu der Entdeckung derjenigen Prozesse im Nerven¬ 
system leiten müssen, durch welche dieser Zusammenhang zustande gebracht wird. 

Der Ursprung aller äußerlichen psychischen Erscheinungen ist in äußerlichen 
Reizen zu suchen. Die einfachste Erscheinung ist der Reflex und die automatische 
Bewegung. Hier besteht ein unveränderlicher Zusammenhang zwischen Reaktion 
und Reiz, eine Folge der Übung und Erfahrung zahlloser Generationen. Kom¬ 
plizierter sind die Fälle, wo die persönliche, auf frühere Reize beruhende Er¬ 
fahrung eine Rolle spielt; dann besteht kein einfacher Zusammenhang zwischen 
Reiz und Reaktion. Man weint oder lacht nicht infolge des äußerlichen Ein¬ 
druckes in dem betreffenden Fall, sondern weil durch diesen äußerlichen Umstand 
Erinnerungen früherer Einwirkungen wieder geweckt werden. Die äußerlichen 
Bewegung8reaktionen können wir einteilen in Greif- und Abwehrreaktionen, die 
letzteren wieder in passive und aktive. Als besondere Form der ersteren kennen 
wir die konzentrative Reaktion, während die symbolische oder Verbalreaktion, 
die bei dem Menschen als Mittel des Verkehrs der Individuen eine sehr große 
Bedeutung hat, auch eine besondere Form materieller Reaktion darstellt. Mit 
Bezugnahme auf die vegetativen Organe und die sekretorischen und trophischen 
Funktionen kann man noch sthenische Reaktionen (entsprechend den Greifreak¬ 
tionen) und asthenische Reaktionen (entsprechend den passiven Abwehrreaktionen) 
unterscheiden. Der Charakter der Reaktion bei den Reflexen ist unmittelbar von 
Art und Weise der äußerlichen Wirkungen des Organismus abhängig. Reize, 
die den Organifüpkti^peib günstig sind, verursachen Greifreaktionen und als fVor- 

XjO gTL UNIVERSITY OF CALIFORNIA - 



988 


bereitung dazu konzentrative Reaktionen, in den inwendigen Organen athenische 
Reaktionen. Für den Organismus ungünstige Reaktionen verursachen Abwehr* 
reaktionen und in dem Gebiete der vegetativen Funktionen asthenische Reaktionen. 
Die objektive Psychologie muß den Zusammenhang zwischen früheren Reizen and 
dem Charakter der Reaktion feststellen; auf die subjektive Seite kommt es hier 
nicht an. Darum ist die objektive Psychologie ein Unterteil der Naturwissen¬ 
schaften, während die subjektive Psychologie trotz ihrer experimentellen Hilfs¬ 
mittel mehr zu dem Gebiete der Philosophie gehört. Um nun experimentell die 
Voraussetzungen für das Entstehen eines PsychoreflexeB zu ergründen, wurde der 
Atmungsprozeß studiert. Dieser Prozeß ist von vielen äußerlichen Reizen ab¬ 
hängig. Inspiratorischer Reflex erfolgt auf Schallreiz. Kombiniert man Schall¬ 
reiz mit Lichtreiz, dann erfolgt nach zahlreicher Wiederholung schließlich aueh 
ein Reflex auf Lichtreize allein; diese letztere Reaktion ist also von derjenigen 
auf Schall abhängig; sie ist nicht dauernd. Bei Wiederholung nach längerer Zeit 
muß wieder ein Schallreiz vorangehen. Man hat es hier also mit einer Assoziation 
von zwei Bahnen zu tun, und man kann von einem Assoziationsreflex sprechen. 
Der künstlich erhaltene Assoziationsreflex kann nun im Zusammenhang mit dem 
ursprünglichen Reflex näher studiert werden. Ein zweites Gebiet der Unter¬ 
suchung betrifft die assoziative automatische Bewegung, Laufen, Musizieren usw. 
Dies ist auch experimentell zu untersuchen. Man kann erst einfache Finger¬ 
bewegungen machen lassen und diese registrieren. Später läßt man diese Be¬ 
wegungen während einer psychischen Arbeit wieder auBführen. Dies geschieht 
bei hinlänglicher Übung automatisch. Man kann nun den Einfluß dieser auto¬ 
matischen Fingerbewegung auf die andere Hand usw. studieren. Außer dem Ergo- 
graphen von Mosso und dem Apparate von Sommer wird hierfür auch wohl 
ein Gummiballon gebraucht, der durch den Finger eingedrückt wird und diese 
Bewegungen registriert. Man läßt nun auf den Schlag eines Metronomes eine 
Bewegung ausfllhren und zugleich eine Lichterscheinung auftreten. Man hat hier 
also eine gleiche Einrichtung des Versuches wie bei der Atmung, mit dem 
alleinigen Unterschiede, daß sie hier auf eine automatische Bewegung angewandt 
wird. Um die persönliche Reaktion zu studieren, muß künstlich ein positiver 
oder negativer neuro-psychischer Ton erregt werden, was durch Suggestion ge¬ 
schehen kann. Die Verbalreaktion eignet sich natürlich auch ausgezeichnet zum 
Anstellen von Versuchen. Die Erinnerungsbilder von äußerlichen Einwirkungen 
werden in der Nähe der Hirnrinde bewahrt; sicher ist dies für Licht-, Schall¬ 
und Hautrefiex. Um die Lokalisation der Reflexe näher zu studieren, wurden in 
dem Laboratorium des Vortr. bei Hunden Atmungszentren aus der Hirnrinde 
exstirpiert. Dann ergibt sich, daß die allgemeinen Atmungsreflexe gewöhnlich 
bestehen bleiben, jedoch die Psychoreflexe aufgehoben werden. Analoge Versuche 
wurden mit Bezug auf die Psychoreflexe des Herzens gemacht, und es wurden analoge 
Resultate erhalten. Auch die sexuellen Psychoreflexe (also Geruch usw.) hängen 
mit kortikalen Genitalzentren zusammen. Besonders merkwürdig sind die Psycho¬ 
reflexe im Gebiete der sekretorischen Organe. Von besonderem Interesse sind 
die Speicheldrüsen. Speichelsekretion kann durch Säuren erregt werden. Da¬ 
durch, daß man dies nun mit anderen Reizen kombinierte (Schall, Licht usw.), 
konnte auch hier wieder ein Psychoreflex erhalten werden. Nach lange andauern¬ 
der Übung verursachte dann der Schallreiz allein Speichelabsonderung. Dieser 
Psychoreflex verschwindet jedoch schnell und ist viel schwächer als der ursprüng¬ 
liche Reflex. Untersuchungen hierüber sind besonders in dem Laboratorium von 
Pawlow gemacht worden. Auch diese Reflexe kommen unter dem Einflüsse der 
Hirnrinde zustande. Analoge Resultate wurden bezüglich des Magensaftes und 
der Milchsekretion erhalten. Die psycho-automatische Bewegung des „Pflotegebeus“ 
heim Hunde geschieht durch Vermittelung kortikaler Zentren für das Gesicht und 
das Gehör; jedoch scheint 
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es. 


daß nicht alle psycho-automalischen Bewegungen 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



989 


diesem Schema folgen. Es gibt nämlich Wahrnehmungen, die darauf hinweisen, 
daß auch subkortikale Zentren für die Psychoreflexe bestehen. Die psycho-indi- 
viduelle Reaktion ist noch wenig studiert worden; auch ihre Bahnen sind nicht 
bekannt. Dagegen sind die Bahnen der symbolischen oder Verbandreaktion durch 
das Studium der Aphasie gut bekannt geworden. Alle diese Ergebnisse setzen unB 
gegenwärtig in die Lage, das Gebiet der objektiven Psychologie ziemlich zu übersehen. 

Darauf demonstrierte Herr Gaskell (Cambridge) Llohtbilder, die sieh auf 
die Entwicklung des Centralnervensystens bei den Vertebraten bezogen. 

Vortrag von Herrn Ziehen (Berlin) über Methoden für Untersuchung 
des Intellektes. Bereits früher hat man versucht, Einsicht in den menschlichen 
Intellekt zu erhalten; die Methoden hierfür waren aber früher wenig ausgearbeitet; 
die systematische Analyse fehlte. Wir erhalten eine große Anzahl Eindrücke und 
bauen darauf unsere Vorstellungen auf. Die Schwierigkeit bei der Untersuchung 
besteht nun darin, daß wir keine Normale haben, mit welcher wir vergleichender¬ 
weise arbeiten können. Die einfachste Gruppe von Vorstellungen ist die der Er¬ 
innerungen; hierauf haben in erster Linie die Untersuchungen nach dem Intellekt 
Bezug. Doch auch diese Methode bietet bereits Schwierigkeiten. So erzählt Vortr., 
daß er verschiedenen Berlinern begegnet sei, die nicht wußten, an welchem Flusse 
Berlin liegt. Doch darf man hieraus nicht auf einen Defekt des Intellektes 
schließen, weil gerade das Wort Spree (natürlich wohl der Fluß selbst) keine 
Rolle in dem Leben der Berliner spielt. So sieht man auch oft, wenn man nach 
der Farbe eineB bekannten Gegenstandes (z. B. einer Briefmarke) fragt, daß diese 
verkehrt angegeben wird, jedoch nur, weil die Erinnerungsbilder dieser Farben 
unklar werden. Dies ist auch kein Defekt des Intellektes. Weiter untersuchte 
man mittels Schallbilder Formen ubw. Vortr. erinnert an das Gesetz von Ribot, 
in welchem gesagt wird, daß bei einigen Krankheiten das Vergessen zuerst statt¬ 
findet bei zuletzt aufgenommenen Eindrücken und erst später bei früheren Eindrücken. 
Aus einfachen Vorstellungen bauen wir gewöhnlich wieder zusammengesetzte Vor¬ 
stellungen (komplexe Vorstellungen) auf. Das Umgekehrte kommt auch vor: ein 
Kind lernt erst eine Rose kennen und daraus erst später die Farbe (Isolation). Eine 
dritte Form von Vorstellungen ist die spezifische: erst lernt man Rosen kennen, 
später diese voneinander unterscheiden. Bei unserer allgemeinen Vorstellung 
haben verschiedene Elemente eine sehr verschiedene Bedeutung. Fragt man 
einen Unentwickelten, was eine Straße ist, dann wird er z. B. antworten, daß 
eB etwas ist, was ein Pflaster hat. Dies Pflaster ist also ein Element in seiner 
Vorstellung von der Straße, das bei ihm besonders deutlich in den Vordergrund 
tritt. Bei der Untersuchung nach diesen Elementen wird man gut tun, an die 
zu untersuchende Person Fragen zu stellen bezüglich des Unterschiedes zwischen 
zwei Dingen, z. B. zwischen Pferd und Ochse. Was bis soweit bezüglich des 
Intellektes mitgeteilt ist, hat nur Beziehung auf Reproduktionen. Wenn man 
sagt: Wieviel ist 7 X 8? dann ist die Antwort eine Reproduktion des Gelernten. 
Aber wenn man fragt: Wieviel ist 7 + 8, dann ist die Antwort nicht ein ab¬ 
sichtlich gelerntes Etwas. Hier kommt eine neue Vorstellung hinzu (Kompilation). 
Dies ist nur ein einfaches Beispiel. Ein sehr zusammengesetztes Beispiel ist z. B. 
das Schachspiel. Wenn man nun mit dieser Methode den Intellekt untersuchen 
will, dann kann man nur die Fälle wählen, auf welche nur eine Antwort er¬ 
folgen kann. Das Auflösen von Gleichungen ist z. B. eine sehr geeignete Methode, 
iim diese Funktion des Intellektes zu untersuchen; man fragt z. B.: Wieviel muß 
zu 5 hinzugefugt werden, um 12 zu erhalten. Für weitere Untersuchungen ge¬ 
braucht man z. B. Skizzen, die eine bestimmte Vorstellung wiedergeben, und läßt 
die untersuchte Person sagen, was die Skizze bedeutet. Das Begreifen einer er¬ 
zählten Geschichte gehört auch zu der kompilatorischen Funktion des Intellektes; 
das einfache Nacherzählen kann auch auf dem Gedächtnis beruhen. Man hat 


wohl einmal 

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laß diese Methode zu fehlerhaften Schlüssen Anlaß geben 

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C UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



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kann, z. B. bei einem Mangel an Aufmerksamkeit. Aber es ist selbstverständlich, 
daß man in derartigen Fällen auch noch andere Dntersuchungsmethoden gebrauchen 
wird. Die Untersuchung nach dem Intellekt hat für die Psychiatrie eine große 
Bedeutung, allein schon deshalb, weil sie lehrt exakt zu untersuchen, und nach 
Bekanntwerden mit diesen Methoden den Widerwillen gegen Untersuchung mit 
Instrumenten vermindern wird. Vortr. nennt einige Beispiele, die zeigen, wie 
diese Methode für das Studium der Psychiatrie von großer Bedeutung sein kann. 

Herr A. Pick (Prag) spricht über die umschriebene senile Gehirn* 
atrophie als Gegenstand der klinischen und anatomischen Untersuchung. 
Vortr. weist die große Bedeutung eines allgemeinen Studiums der Herderschei¬ 
nungen nach und entwickelt eine ausführliche theoretische Betrachtung hierüber, 
im Zusammenhang mit der umschriebenen Gehirnatrophie. Eines und das andere 
wurde durch Zeichnungen erläutert 

Vortrag von Herrn MacDonald über die Behandlung Geisteskranker 
nach dem System im Staate New York. Vorausgeschickt, daß die Fürsorge 
für Geisteskranke und deren Behandlung eine Sache von allgemeiner Wichtigkeit 
ist, darf sie doch nicht durch Ankauf von Land und durch Errichtung von Gebäuden 
große Summen Geldes verschlingen. Geisteskrankheit ist ein Übel, mit welchem 
die Menschheit am meisten beimgesucht wird, und dem also der Gesetzgeber alle 
Aufmerksamkeit Bchenken muß. Nach der Beobachtung des Vortr. rekrutieren 
sich die meisten Geisteskranken aus dem besser situierten Stande, sind also 
Menschen, die vor ihrer Krankheit sich eines gewissen Wohlstandes erfreut haben 
oder wenigstens vollkommen für den eigenen und den Familienunterhalt sorgen 
konnten. Also verliert der Staat an jedem Tag, wo ein solcher Patient krank ist, die 
Verpßegungskosten (ungefähr 200 Pfund Sterling pro Jahr) und obendrein, was er 
selbst verdient haben würde. Der Staat New York hat 15 öffentliche Hospitäler 
für Geisteskranke und 23 Asyle. Die Anzahl der Patienten beträgt 28000, da¬ 
runter 14500 Frauen. Obendrein sind in den privaten Einrichtungen noch ungefähr 
1000 Verpflegte. Ein Personal von 300 Ärzten und 3500 Pfleger und Pflegerinnen 
arbeitet in diesen Anstalten. Die Anlagekosten belaufen sich, alles inbegriffen, auf 
eine Summe von >26000000 Pfd., während die jährliche Unterhaltung 5000000 Pfd. 
erfordert. In den Vereinigten Staaten gibt es insgesamt ungefähr 200000 Geistes¬ 
kranke. Vor 1843 wurden die Geisteskranken in Armenhäusern und Asylen be¬ 
handelt, deren Zustand sehr schlecht war. Im genannten Jahre wurde die erste 
Anstalt eröffnet. 1699 wurde eine Staatskommission mit einem Psychiater an 
der Spitze ernannt; diese Stellung hatte Vortr. 7 Jahre inne. Eis wurden neue 
Asyle gebaut, und die Armenhäuser kamen an den Staat. Die Pflege ist gegen¬ 
wärtig ausgezeichnet; alle Patienten sind in guten Einrichtungen untergebracht. 
Der Name „Staatshospital“ genießt heim Publikum vollkommenes Vertrauen. Die 
Einrichtung genügt den höchsten Anforderungen; es besteht obendrein ein patho¬ 
logisch-anatomisches Laboratorium für weiteres Studium. Der Patient selbst genießt 
relativ große Freiheit. So dürfen sie u. a. auf Parole 30 Tage nach Hanse gehen. 
Alle sich bewerbenden Ärzte werden einem vergleichenden Examen unterworfen. 
Deijenige, welcher die größte Anzahl von Punkten hat, wird zuerst berücksichtigt, 
wenn eine Stelle frei ist. Mindestens 5 Jahre muß der Arzt in einer Abteilung 
gearbeitet haben, bevor er zu dem Examen als Chefarzt zugelassen wird. In 
jedem Krankenhause muß mindestens ein weiblicher Arzt anwesend sein. Die 
Pflegerinnen sind gegenwärtig auch allseitig für ihre Aufgabe ausgebildet und 
empfangen u. a. auch Lektionen in der Kochkunst. Die Patienten verrichten 
sowohl Handarbeit als Garten- und Feldarbeit; durch entere werden haupt¬ 
sächlich Bürsten, Schuhe usw. hergestellt. Vortr. konstatiert den großen Fort¬ 
schritt seit dem Berichte der erwähnten Staatskommission und konstatiert weiter, 
daß durch die diversen Maßnahmen die Kosten um mehrere hunderttausend Dollars 



so daß Amerika in dieser Hinsicht nun einen ehrenvollen Platz 

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C UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



991 


sinnimmt. Io dieser Hinsicht hat man die Stadien von Pinse, Tube, Jacoby 
ind Everts mit Erfolg verwendet. Das glänzende System in dem Staat 
Sew York repräsentiert die Resultate eines mehr als ein halbes Jahrhundert an¬ 
lauernden Wachstumes des Monumentes selbstloser medizinischer Wissenschaft 
and Studien, und ist ein strahlender Triumph der Humanität über Unkenntnis 
und Aberglauben in der fortschreitenden Bildung. 

Vortrag von Herrn A. van Gehuchten (Löwen) über den Meohanismus 
der Heflexe. Die Reflexbewegungen können wir einteilen in Sehnenreflexe und 
Hautreflexe. Die ersteren werden stets durch Bewegung eines Muskels verur¬ 
sacht; die letzteren sind monomuskulär, soweit klinische Hautreflexe in Betracht 
kommen; die sogenannten physiologischen Hautreflexe sind polymuskulär. Alle 
diese Reflexe haben ihr unmittelbares Centrum in der grauen Substanz des 
Nervensystems; jedoch können die Sehnenreflexe und die klinischen Hautreflexe 
erst durch Mitwirkung der weißen Substanz zustande kommen. Um nun zu wissen, 
welche besondere Rolle der weiBen und der grauen Substanz zuerteilt ist, müssen 
wir die Anatomie und Physiologie des Rückenmarkes studieren. Dieses besteht, 
physiologisch betraohtet, aus zwei Organen: einem autonomen Organ, dem Reflex¬ 
centrum, und einem „Durchgangs“-Organ, vertreten durch die Nervenfasern. Wenn 
man aus dem Rückenmarke die oszendierenden und deszendierenden Nervenfasern 
entfernt, würden die Teile übrig bleiben, die für sich ein selbständiges Organ 
bilden. Ein derartig zusammengestelltes Rückenmark ist imstande zu funktionieren, 
wie durch Wahrnehmungen bei Patienten bewiesen wird, die an einer kompletten 
transversalen Läsion in dem cervikalen Teile leiden. Diese • Patienten zeigen eine 
Paraplegie mit Verschwinden der Sehnenreflexe und der Hautreflexe der Kliniker. 
Jedoch ein Reiz der Haut an einer der unteren Extremitäten verursacht un¬ 
mittelbar eine Bewegung. Diese Reflexbewegung ist absolut unwillkürlich und 
geschieht ohne jedes Bewußtsein. Selbst die spino-spinalen Fasern, wie Vortr. 
sie bezeichnet, sind für die Funktion dieses als besonderes Organ gedachten 
Teiles des Rückenmarkes nicht erforderlich, wie die Untersuchungen bei kom¬ 
pletten transversalen Läsionen in dem Brust- oder Lendenteil beweisen. Man kann 
sich also vorstellen, daß das Rückenmark aus ebenso vielen Segmenten aufgebaut 
ist, als es periphere Nerven gibt. Jedes Segment ist also der Sitz eines be¬ 
sonderen Reflexes. Dieser Reflexapparat ist nun aus zwei Neuronen, einem centri- 
petalen und einem centrifugalen aufgebaut. Das Rückenmark ist also schließlich 
aus einer großen Anzahl Einheiten von grauer Substanz, die mit peripheren 
Nerven in Verbindung stehen, aufgebaut. Jede dieser Einheiten kann man als 
ein primitives medulläres Ganglion auffassen. Wenn wir hier nun nacheinander 
die Fasern der weiBen Substanz hinzufügen, dann erhalten wir das Rückenmark 
so aufgebaut, wie es wirklich ist. Wir werden zu gleicher Zeit sehen, welche 
Veränderungen diese Hinzufügung in der Funktion verursacht. Diese primitiven 
Ganglien sind untereinander durch Nervenfasern verbunden (spino-spinale Fasern), 
wodurch auch eine Verbindung zwischen einer centripetalen und vielen centri¬ 
fugalen Fasern zustande gebracht wird. Ein Reiz einer centripetalen Faser kann 
also auf eine große Anzahl motorischer Zellen übertragen werden. Es entsteht 
also eine polymuskuläre Bewegung, die zugleich koordiniert ist. Das Rücken¬ 
mark hat also auch Einfluß auf die Koordination der Bewegungen. Mit diesem 
Komplex von Ganglienzellen und Fasern treten nun auch noch höhere nervöse 
Centren in Verbindung, und mit den bulbären Centren die einzelnen im Gehirn 
gelegenen Centren, besonders die, welche mit dem Sehnerv in Verbindung stehen 
und die kortikalen Zentren. Die Fasern, die von den zwei genannten Gruppen 
nach den medullären Ganglien laufen, ermöglichen das Entstehen der Sehnen¬ 
reflexe, die durch Beklopfen jeder willkürlichen Sehne erregt werden können. 
Die aus den kortikalen Centren kommenden Fasern üben eine Art bremsende 


Wirkung aus; jrie vermindern die Intensität der Haut- und Sehnenreflexe und 

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992 


veranlassen zugleich das Entstehen eines neuen Reflexes: der Hautreflexe der 
Kliniker. Von dem Rückenmark gehen also dreierlei Reflexe aus: 1. Die Haut* 
reflexe der Physiologen, die ausschließlich medullären Ursprunges sind. 2. Die 
Sehnenreflexe, die ihr Centrum in dem Rückenmark haben, die jedoch zugleich 
die Mitwirkung anderer Fasern brauchen. 3. Die Hautreflexe der Kliniker, gleich¬ 
falls mit den Reflexcentren in dem Rückenmark, die jedoch erst durch deszen¬ 
dierende Fasern, welche von kortikalen Centren ausgehen, wirksam werden. Diese 
Einteilung ist für die Klinik von großer Bedeutung. Ein altes physiologisches 
Gesetz lehrt, daß die höheren nervösen Centren eine bremsende Wirkung auf die 
niederen ausüben. Dieses Gesetz ist auf den Menschen nicht anwendbar, obwohl 
diese bremsende Wirkung an sich besteht; aber Bie übt allein auf die eigentlichen 
Rückenmarkereflexe (die physiologischen Hautreflexe) eine Wirkung aus. Dies er¬ 
klärt denn auch, warum allein diese bei kompletten transversalen Läsionen in dem 
cervikalen Teile erhöht sind. Das Stadium der Reflexbewegung erklärt die große 
Bedeutung der sensiblen Nervenfasern und macht den Unterschied deutlich, der 
zwischen der Anzahl centripetaler (— im Rückenmark 1300000 —) und der An¬ 
zahl centrifugaler (— im Rückenmark 400 000 —) Fasern besteht. Die Be¬ 
deutung dieser sensiblen Nervenfasern ist so groß, daß wir ruhig sagen können, 
daß ohne sie kein Leben möglich sein würde. Anstatt also mit dem Philosophen 
zu sagen: „Ich denke, also bin ich“, würde der Anatom mit größerem Recht be¬ 
haupten können: „Ich bin, ich lebe; also werde ich gereizt.“ 

In der Aula der Universität hielt der Kongreß noch eine Abendsitzung, 
die einen mehr oder weniger populären Charakter trug. Diese Sitzung war Vor¬ 
trägen über die Famillenpflege von Geisteskranken gewidmet und wird un¬ 
zweifelhaft dazu beigetragen haben, das System der Familienpflege und alles, was 
damit im Zusammenhänge steht, weiter zu popularisieren. Zahlreiche Lichtbilder 
wurden vorgeführt Redner waren die Herren: J. A. Peters, Arzt in Gbeel 
(Belgien), Alt (Uchtspringe), Meeus, Marie (Villejuif). 

in. Vermischtes. 

Zn der am 26. and 27. Oktober 1907 in Leipzig stattfindenden XltL Versammlung 
mitteldeutscher Psyohiater und Neurologen sind folgende Vorträge angemeldet: 
1. Flechsig (Leipzig): Über die Hörspbärc des menschlichen GehiriiB ,mit Demonstrationen). 

— 2. Anton (Halle): Anatomischer Befund bei Aphasie. — 3. Held (Leipzig): Über Zu¬ 
sammenhang und Entwicklnng der Ganglienzellen mit Demonstrationen über den Bau der 
Neuroglia. — 4. Müller (Breslau): Über akute Paraplegien nach Tollwut-Schutzimpfungen. 

— 5. Haenel (Dresden): Eine typische Form der ataktischen Gehstörung. — 6. Meitzer 
(Chemuitz): Zur Pathogenese der Opticusatrophie und des sogen. Turmschädels. — 7. Hoehl 
(Chemnitz): Demonstration von Röntgenogrammen (za 6). — 8. Kauffm.inn (Halle): Über 
Diabetes und Angstpsychose an der Hand eines geheilten Falles. — 9. Gregor (Leipzig): 
Über die Diagnose psychischer Prozesse im Stupor. — 10. Döllken (Leipzig): Über Ge¬ 
dankenlautwerden und Halluzinationen. — 11. Rauuiger (Hocbwcitzschen): Epilepsie und 
Dementia praecox. — 12. Wanke (Friedrichroda): Die Heilung der Neurasthenie, eiu ärzt¬ 
lich-pädagogisches Problem. — 13. Herr Dell io (Dösen): Weitere Erfahrungen über Dauer¬ 
bäder. — 14. Degenkolb (Roda): Über Fälle von Kombination verschiedener Scelenstörangen 
mit Hysterie. — 15. Hecker (Dresden): Tetanie und Osteomalacie. 


IV. Berichtigung. 

Auf S. 934 soll es in dem Referat über den Vortrag des Herrn Oppenheim heißen: 
im ersten Satze: „In 7 von 12 Fällen war die Operation eine erfolgreiche, während sieh 
in 5 der Exitus früher oder später an die Operation anschloß“; — und im letzten Satz: 
„daß das Resultat der Operationen bei Rückeumarkstumoren als ein sehr befriedigendes 
bezeichnet werden darf.“ 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten^ 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kart Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 


Verlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzou & Wime in Leipzig. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




Neurologisches Centralbutt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet yon Prof» E. MendeL 

Herausgegtben 

T<m 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsundzwaniigster _ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 1. November. Nr. 21. 


Inhalt I. Originalmittellungen. 1. Über operative Behandlung der Tumoren der 
Hypophysisgegend, von A. Freiherrn v. Eiseisberg und L. v. Frankl-Hochwart in Wien. 2. Akute 
multiple Sklerose oder disseminierte Myelitis? Yon E. Stadelmann und M. Lewandowsky. 
3. Ist die Erkrankung des Sehapparates für die Differentialdiagnose zwischen multipler 
Sklerose und chronischer cerebrospinaler Lues von maßgebender Bedeutung? Ein kasuisti¬ 
scher Beitrag von Dr. M. van Oordt in St. Blasien. 

II. Referate« Anatomie. 1. Über die wechselseitigen Beziehungen zwischen Kopf¬ 
form nnd Geburtsmechanismus, von Müller. — Physiologie. 2. The subdivision of the 
representation of cutaneous and mnscnlar sensibility and of stereognosis in the cerebral 
cortex, by Mills and Weisenburg. 3. Ein Nachweis von intrakraniell verlaufenden, gefä߬ 
erweiternden nnd gefäßverengernden Nerven für das Gehirn, von Weber. 4. Zur Frage der 
Ursachen der motorischen Störungen bei Läsionen der hinteren Wurzeln nnd des Verlaufes 
der Kollateralen im Rückenmark, von Lapinsky. 5. Vergleichende Untersuchungen über den 
Einfluß des Sauerstoffes auf die Reflexerregbarkeit, von Bethe. — Psychologie. 6. Über 
Kontrastträume und speziell sexuelle Kontrastträume, von Nicke. — Pathologische 
Anatomie. 7. Sülle alterazioni della sostanza reticolo-flbrillare delle cellule nervöse in 
alcuni malattie mentali, per Agostini e RossK. — Pathologie des Nervensystems. 
8. Über einen Fall von Hypophysensarkom beim Pferde, von Wolff. 9. Effetti delle iniezioni 
del succo d’ipofisi suir accrescimento somatico (zwei Mitteilungen), per Cerletti. 10. Sur 
un cas de gigantisme precoce avec polysarcie excessive, par Parhon et Zalplacta. 11. Sexual 
infantilism with optic atrophy in cases of tnmor affecting the hypophysis cerebri, by Cushing. 
12. Wachstnmsanomalien bei der temporalen Hemianopsie, bzw. aen Hypophysisaffektionen, 
von Uhthoff. 13. Über Akromegalie, von Westphal. 14. Über eine Kombination von Akro¬ 
megalie und Myxödem, von Auerbach. 15. A case of epilepsy associated with acromegaly, 
by Shanahan. 16. Acromögalie sans gigantisme, par Claude. 17. Erfolgreiche Operation 
eines HypophysentumorB auf nasalem Wege, von Schloffer. 18. Weiterer Bericht über den 
Fall von operiertem Hypopbysentumor. Plötzlicher Exitus letalis 2 % Monate nach der 
Operation, von Schloffer. 19. Untersuchungen über das Röntgen-Bild der normalen Hals¬ 
wirbelsäule und die daraus für die Röntgen-Diagnostik der Halswirbelsäulenverletznng ab¬ 
zuleitenden Folgerungen, von Ossig. 20. Eine typische Erkrankung der Wirbelsäule. In- 
sufficientia vertebrae, von Schanz. 21. Sur un cas de rhumatisme chronique vertebral, par 
Raymond et Babonneix. 22. Über die klinischen nnd pathologisch-anatomischen Besonder¬ 
heiten der nervösen Form der Steifigkeit und der Ankylose der Wirbelsäule und ihre Be¬ 
handlung, von v. Bechterew. 23. Die chronische Steifigkeit der Wirbelsäule, von Krause. 

24. Über die chronische ankylosierende Entzündung der Wirbelsäule, von v. Lagiewski. 

25. Beitrag zum Studium der Spondylose rhizomölique, von Mingazzlni. 26. Über chronische 
ankylosierende Wirbelsäulenversteifung, von Fränkel. 27. A case of ankylosis of the spine, 
by Hunter. 28. Pottsche Krankheit bei einem Affen, von Southard. 29. Quinze autopsies 
de mal de Pott chez fadulte, fitude des lesions nerveuses, par Alquier. 30. Zur Patho¬ 
logie des Malum Pottii, von Vargas. 3t. Zwei Fälle Pottscher Krankheit mit Kernigschem 
Zeichen, von Pagani. 82. A study of the sensory Symptoms of a case of Potts disease of 
the cervical spine. by Fry. 33. Cyphose prononcee" chez un tuberculeux, par Brissaud et 
Montier. 34. Übereinen Fall von Kompressionsmyelitis. Geringe Wirbelerkrankung (Röntgen- 

63 

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Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


994 


Untersuchung). Erfolgreiche physikalische Behandlung, von v. Leyden. 35. Schwere spondy- 
litische Paraplegie, spontan geheilt unter Anwendung der Rauchfass sehen Schwebe, die 
auch zur Prophylaxe des Decubitus bei spondylitischen Lähmungen dient, von Schilling. 
36. Über operative Behandlung des Malum suboccipitale, von Payr. 37. Die Bfilausche 
Heberdrainage bei Behandlung einer schweren Spondylitis tuberculosa, von Meede. — 
Psychiatrie. 38. Der Einfluß der Blutsverwandtschaft der Eltern auf die Kinder, von 
Feer. 39. Les psyeboses aigues et leur Classification, par Sokalsky. 40. Perte de la vision 
mentale des objets dans la melancolie anxieuse, par Lemos. 41. Die Melancholie, ein Zu- 
standsbild des manisch-depressiven Irreseins, von Dreyfus. 42. Sur un cas de ddlire collectif 
oü figure un paralytique general, par Cldrambault. 43. Affektivität, Suggestibilität, Paranoia, 
von Bleuler. — Forensische Psychiatrie. 44. L’opera di Cesare Lombroso nella scienza 
e nelle sue applicazioni. 46. Greisenalter und Kriminalität, von Bresler. 

III. Aus den Gesellschaften. Internationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psycho¬ 
logie und Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1907. (Nachtrag zu Sektion I.) 
— XVIL Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs und französisch sprechender 
Länder in Genf und Lausanne vom 1. bi6 6. August 1907. 

IV. Neurologische und psychiatrische Literatur vom 1. Juli bis 31. August 1907. 

V. Berichtigung. 


I. Originalmitteilungen. 

1. Über operative Behandlung der Tumoren 
der Hypophysisgegend. 1 

Von A. Freiherm v. Eiaelsberg and L. v. Frankl-Hoohwart in Wien. 

ln unserem Falle handelt es sich um einen jetzt 20jährigen Kommis R. D. 
Derselbe wurde von dem damaligen Assistenten von F.-IL, Dr. Fröhlich, auf 
der Wandervereammlung des Vereine für Psychiatrie und Neurologie in Wien 
am 12. Oktober 1901 vorgestellt. Ans dem Aufsatze, den Fr. damals in der 
Wiener klinischen Rundschau 1901 Nr. 47 n. 48 veröffentlichte, entnehmen wir 
die wichtigsten Daten: 

D. kam am 14. November 1899 im 12. Jahre mit seiner Hutter in das 
Nervenambulatorium der Klinik weil. Nothnagel. Seine Mutter gab an, daß er 
seit April 1899 zweimal wöchentlich, zuweilen in 14tägigen Intervallen von der 
Sohule mit Kopfschmerz nach Hanse käme. Er muß sich dann zu Bette legen; 
2 Stunden nachher Erbrechen; mitunter Erbrechen gleich nach dem Nachhause- 
kommen. Kopfschmerz links, zuweilen beiderseits, meist im Vorderkopf. Er lernt 
gut, gutes Gedächtnis; keine Zeichen von Nervosität oder Hysterie, keine frühere 
Erkrankung, kein Trauma. Sehen normal. Keine Blasen - M astdarmstörungen. 
Wir besitzen eine Krankengeschichte, in welcher der negative Befund völlig 
detailliert ausgeführt erscheint; Prof. Königstein fand zu dieser Zeit das Ange 
völlig normal. Patient erschien erst am 19. August 1901 wieder, diesmal mit 
einer Reihe ernster Beschwerden. Die Matter gibt folgendes an: Seit März 1899 
begann Patient, der biB dahin ein mageres Kind war, rapid an Körpergewicht 
zuzunehmen. Januar 1901 klagte er über Herabsetzung der Sehkraft am linken 
Auge, einUmstand, dem aber keine weitere Beachtung geschenkt wurde. Juli 1901 
begannen die Kopfschmerzen neuerdings aufzutreten und in der Folgezeit an 
Intensität zuzunehmen. Gleichzeitig klagte er über Mattigkeit; öfters Erbrechen, 


1 Vortrag, gebalten auf der ersten Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher 
Nervenärzte in Dresden am 14. September 1907. 


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besonders im Anschluß an Mahlzeiten. Weitere Abnahme der Sehkraft des linken 
Auges, dann Erblindung links. Später nahm auch die Sehkraft rechts ab. Am 
23. September 1901 konnte F. folgenden Befund erheben: Seit einigen Wochen 
subjektiv Besserung. Weniger Kopfschmerz, kein Schwindel. Seit 10 Tagen 
kein Brechreiz, Körpergewicht nimmt ab. Intelligenz, Sprache durchaus normal. 
Kopfbewegungen frei. Die linke Schläfengegend — und nur diese — auf Perkussion 
schmerzempfindlich. Keine Störungen des Geschmackes, Geruches, sowie der Sensi¬ 
bilität im Gesichte. Gehör normal. Übrige Hirnnerven normal. Motilität und 
Sensibilität an den Extremitäten und am Rumpfe durchaus normal. Sehnen¬ 
reflexe, namentlich Kniereflexe lebhaft. Kein Fußklonus, kein RoMBBBa’sches 
Phänomen. Sphinkteren normal. Innere Organe normal. Urin frei von Zucker 
und Eiweiß. 

Augenuntersuchung: (Dozent Dr. Kunn): Pupillen etwa 4 mm weit, gleich. 
Die linke Pupille reagiert auf Lichteinfall nicht, auf Akkommodation sehr gut 
Rechts prompte Reaktion auf Licht und Akkommodation. Bulbi frei beweglich, 
kein Nystagmus. Fundus: genuine Atrophie N. optici sinistri; rechts normal. 
Links Amaurose, rechts # / I0 (Gläser bessern nicht); temporale Hemianopsie rechts; 
die Gesichtsfeldgrenzen des rechten Auges sind in der nasalen Hälfte ganz normal. 
Die sehende nasale Partie grenzt sich gegen die blinde temporale durch eine 
nahezu vertikale Trennungslinie ab, welche aber nach außen vom Centrum ver¬ 
läuft, dasselbe in einem sanft geschwungenen Bogen umgreifend. Die Papilla 
n. optici sinistri ist schneeweiß, sehr scharf begrenzt; an den Gefäßen keine 
Veränderungen. (Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung am 12. November 
1901 war die innere Hälfte der rechten Papille stark gerötet, opak und leicht 
geschwollen [Neuritis].) Fböhlich hob damals noch hervor, daß der rasch ver¬ 
fettete Kranke 54 kg wog, während das Durchschnittsgewicht eines gleichaltrigen 
Knaben von gleicher Größe 39 bis 40 kg beträgt. Die Finger erschienen fett, 
die Hände wohl gepolstert; besonders auffällig ist die Ansammlung von Fett¬ 
massen in der Haut des Rumpfes, am Abdomen und in der Nähe des Genitales. 
Der Penis, der übrigens normal entwickelt ist, erscheint dermaßen zwischen 
diesen Fettanhäufungen eingelagert, daß sich das Genitale dem femininen Typus 
nähert; die Hoden sind in der Tiefe der Fettmassen palpabel und bieten infantile 
Verhältnisse dar. In der Gegend der Mamilla finden sich gleichfalls namhafte 
Fettansammlungen, in den Brustdrüsen sind einige Knötchen palpabel; Flüssig¬ 
keit läßt sich nicht ausdrücken. Die Behaarung der Achselhöhle fehlt; am 
Genitale finden sich nur vereinzelte Härchen, die Haare am Schädel sind spröde, 
kurz, spärlich, fallen leicht aus, die Haut trocken, stellenweise schilfernd; an 
vielen Stellen, so namentlich am Rumpfe läßt sie sich mit dem unter ihr liegenden 
Fett in dicken Falten abheben. An anderen Orten, so namentlich an den Fingern, 
am Handgelenke wird bei der Palpation das Gefühl erweckt, daß es sich hier 
um eine Dickenzunahme der Haut handelt. Diagnose: Hypophysistumor. 

Patient war von da ab in unserer kontinuierlichen Beobachtung. Die von 
Herrn Dr. Fböhlich eingeleitete Thyreoidinbehandlung brachte temporäre Besserung, 
indem der Kopfdruck seltener wurde und das Körpergewicht etwas zurückging. 

Visus 19./X. 1901 rechts s / 1( . Allmähliche Besserung des Sehvermögens. 
Am 24./VL 1902 ist vermerkt: Visus rechts 5 /$> Gesichtsfeld normal. Am 27./1.1903 
auffallende Zunahme des Fettgewebes, besondere der Mammae. Rechtes Auge: 
Sehschärfe, Akkommodation, Gesichtsfeld normal. In den nächsten Jahren fiel die 
starke Fettentwicklung am Genitale auf. Penis sehr klein, Testikel nicht zu 
tasten. Nie geschlechtliche Erregungen. Später kam es wieder zu Verschlechterung: 
Am 19./IX. 1905 Visus rechts: 5 / 16 , Gläser bessern nicht. Am 25./I. 1907 fand 
sich dos rechte Auge stark verschlechtert: es wurde abermals Hemianopsie nach¬ 
gewiesen. Am 26. Januar 1907 ergab der radiolog»che Befund (Dozent Dr. Holz- 

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knecht): der Keilbeinkörper und die Sattellehne destruiert, die Processus clinoidei 
antici erhalten (s. Röntgen-Bild). 

Patient wurde am 10. Juni 1907 in die I. chirurgische Klinik auf¬ 
genommen. Die Untersuchung ergab ähnliche Verhältnisse, wie die oben geschil¬ 
derten: Patient ist geistig sehr gut entwickelt, mittelgroß, ausgesprochen infantil¬ 
weiblicher Typus, Barthaare vollkommen fehlend, Üesicht fett, Doppelkinn, leichter 
Exophthalmus; rechtes Auge fixiert, linkes Auge nach außen abweichend. Pupille 
rechts prompt reagierend, links lichtstarr, Bulbusbewegungen frei, geringes Ein- 




Btellungszittern. Ophthalmoskopischer Befund vom J5./VI. 1907 (Klinik Fuchs) 
ergibt: rechtes Auge Atrophie der temporalen Papillenhälfte, linkes Auge genuine 
Atrophie. Gefäße nicht verändert, leichte Exkavation. Visus: rechtes Auge Finger¬ 
zählen in 2 1 / 2 m (Gläser bessern nicht), linkes Auge Amaurose. Das Gesichtsfeld des 
rechten Auges weist ein Fehlen des temporalen Abschnittes auf, der nasale ist 
vorhanden. Der Nervenbefund im übrigen völlig negativ. Geschmack, Geruch, 
Sensibilität normal; Motilität frei, ziemlich gute motorische Kraft. Keine Ataxie, 
kein Romberg-Phänomen. Sehnen- und Hautreflexe normal. Innere Organe normal. 
Urin frei von Eiweiß und Zucker. Körpergewicht vor der Operation betrug 
65,20 kg. 

Ehe wir zur Besprechung der Therapie schreiten, mögen noch einige Worte 
über die Diagnose gesagt werden; selbstverständlich kann hier nur das Wich- 



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tigste rekapituliert werden, da es anmöglich ist, auf die nun schon sehr um¬ 
fangreich gewordene Literatur einzugehen. Wer sich näher orientieren will, 
vergleiche die ausführliche Arbeit von Bartels. 1 

Der von uns besprochene Fall hat insofern auch Bedeutung, als er den 
Anlaß zu einer Studie von A. Fröhlich gab: der genannte Autor stellte sämt¬ 
liche ans der Literatur bekannte Fälle von Hypophysistumoren ohne Akromegalie 
zusammen, in denen ähnliche Störungen wie im Falle D. verzeichnet waren, 
ohne daß jedoch die Bescbreiber diesen Zusammenhang erkannt hatten. Der 
wichtigste unter diesen war der Fall von Pechkranz. 2 Fröhlich formulierte 
damals den Satz, „daß bei Symptomen, die auf einen Tumor in der 
Gegend des Hirnanhanges hinweisen, bei Fehlen akromegalischer 
Symptome das Vorhandensein anderweitiger trophischer Störungen, 
wie rasch sich entwickelnde Fettleibigkeit oder auch an Myxödem 
erinnernde Hautveränderungen, auf die Hypophyse selbst als Aus¬ 
gangspunkt der Neubildung hinweist Allerdings beweist das Fehlen 
solcher Erscheinungen freilich nichts gegen das Vorhandensein eines Tumors 
des Hirnanhanges“. 

Daß man tatsächlich auf Grund dieses diagnostischen Satzes imstande ist, 
Gesohwülste der Hypophysis oder, wie man auf Grund neuerer Forschung 
(Ebdheemr, Bartels) wohl meist richtiger sagt, Geschwülste der Hypophysis¬ 
gegend diagnostizieren kann, zeigte bald die Arbeit von A. Berger, der im 
Nervenambulatorium der I. med. Klinik (F.-H.) einen ähnlichen Patienten beobach- 
i tete, der dann in der Klinik von Nothnagel starb. Es handelte sich um einen 
16jährigen Lehrling, der folgende Symptome aufgewiesen hatte: Kopfschmerz, 
Erbrechen, Schlafsucht, schwere Sehstörangen wechselnden Charakters (bis zur 
völligen Amaurose). Auf hören des Längenwachstums, Persistieren des infantilen 
Habitus; Genitale sehr klein, infantil, völliges Fehlen der Scham- und Achsel¬ 
haare. Opticusatrophie. Mächtige Entwicklung des Körperfettes. Die klinische 
Diagnose lautete: Tumor der Hypopbysis bzw. der Hypophysisgegend mit 
Schädigung der Hypophysenfunktion. Die Autopsie ergab: Plattenepithelial¬ 
karzinom der Hypophysengegend. Die histologische Untersuchung (Dr. Erdheim) 
ergab eiue Plattenepithelialgeschwulst des Infundibnlam. Eine ganze Reihe von 
Mitteilungen folgte nun, welche die Beobachtung Fröhlich’s stützten und auch 
erweiterten (Goetzl-Erdheim, Zack, A. Fuchs, Madelung, Jolasse, Bartels, 
Schuster, Uhthoff u. a.). 

Eine besonders wichtige Stütze erhielt die Diagnostik durch die von Oppen¬ 
heim inaugurierte radiologische Untersuchung der Sella tnreica. Man vergleiche 
darüber noch die Studien von Erdheim (1. c.) und Schüller. 8 Während wohl 
allgemein im Sinne Fröhlich’s die Bedeutung der „Dystrophia adiposo-genitalis“ 
(Bartels) für die Diagnose der Geschwülste der Hypophysisgegend angenommen 
wurde, divergieren über die physiologische Erklärung die Ansichten noch 

1 ZeiUchr. f. Angenheilk. XVI. S. 407ff. 

* Nenrolog. Centralbl. 1899. 8. 203. 

* Die Schädelbasis im Böntgen-Bild. Hamburger Atlanten 1905. 

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völlig. Während einerseits der Hypophysis bzw. ihrer Zerstörnng die Entwick¬ 
lung der Fettwucherung und der Infantilismus zugeschrieben werden, meinen 
andere (Erdheim, Bartels), daß irgend eine Stelle der Hirnbasis lädiert sei, 
welche direkt oder indirekt den Fettgewebe-Stoffwechsel beeinflußt Auch äußert 
der letztgenannte Autor die Ansicht, daß die Atrophie der Keimdrüse, sowie 
die Verkümmerung der äußeren Genitalien, das Zurückbleiben im Wachstum 
und der Habitus femininus (der schon Fröhlich aufgefallen war) höchstwahr¬ 
scheinlich, wie auch der Tumorkeim, als Fehler in der Anlage anzusehen sind, 
und daß sie koordinierte Störungen darstellen. 

Gehen wir aber nun wieder zum Hauptzwecke unserer Darstellung, zur 
Therapie zurück: Für die konservative Behandlung hat auch Fröhlich einen 
glücklichen Griff getan, indem er Thyreoidin innerlich gab. Tatsächlich trat 
in dem Falle D. anfangs entschieden Besserung auf; einer von uns (F.-H.) hat 
auch in zwei Fällen der Privatpraxis, bei denen er die Diagnose „Hypophysis¬ 
tumor“ stellte, ganz gute Erfolge von dem genannten Mittel gesehen — leider 
waren die Effekte nur vorübergehend. Im Falle D. versagte die Therapie später 
auch völlig. Da der Kopfdruck immer heftiger wurde und die Sehstörung sehr 
bedeutend war, entschlossen wir uns zur Operation, die am 21. Juni 1907 von 
E. ausgeführt wurde. 

Morphium-Chloroformnarkose, Umschneidung der Nase und Umklappung der¬ 
selben nach rechts zu. Durchtrennung des Septum narium und Entfernung der 
oberen Muschel; von der Mitte wird nach oben der Schnitt erweitert — Stimm¬ 
gabelschnitt. — Nunmehr wird der Sinus frontalis bloßgelegt und seine Vorderwand 
entfernt. Da nunmehr die Blutung eine starke wurde, wird die weitere Operation 
bei hängendem Kopfe ausgeführt und vollendet. Eine besondere Erleichterung 
dabei gewährt die ZEiss’sche Lampe. 

Stück weises Wegnehmen des Vomer bis an seinen Ursprung, bis das Ende 
der vorderen Wand der Keilbeinhöhle bloßgelegt ist. Durch Vergleich mit dem 
Böntgen-Bild kann man sich sicher darüber orientieren, daß man sich tatsächlich 
an dieser Stelle befindet. Vorsichtiges Wegnehmen einer dünnen Knochenlamelle, 
worauf eine weißliche Membran sichtbar wird, die mit Wahrscheinlichkeit — 
besonders nach Vergleich mit der Entfernung am Böntgen-Bild — als der Hypo¬ 
physengegend angehörig, aufzufassen ist. Es ist keinerlei Pulsation merkbar. 
Vorsichtige Eröffnung in der Medianlinie, worauf sich eine braunrötliche Flüssig¬ 
keit (altes Blut) entleert; beim Eingehen mit dem Löffel findet man einen relativ 
großen Hohlraum, nun ist auch deutliche Pulsation der Bänder des Defektes 
nachweisbar; es wird mittels Scheere und Pinzette soviel von der Umgebung 
dieses Schnittrandes weggenommen, als dies ohne Verletzung des Chiasm&s aus¬ 
führbar erscheint. Tamponade mit Isoformdochten, welche zum Nasenloch 
herausgeführt werden. Ein zweiter Streifen wird in die Stirnhöhle, ein dritter 
in die Nase lose eingelegt. 

Die Untersuchung des kleinen, aus der Cystenwand exzidierten Stückes (es 
gingen mehrere Stückchen verloren), die von Herrn Dozenten Dr. Stöbck durch¬ 
geführt werde, ergab, daß die Sackwand aus derbem faserigen Gewebe bestand, 
welches der nicht wesentlich veränderten Dura entsprach, die Fasern selbst waren 
aber durch einen Tumor, der ein vorwiegend infiltrierendes Wachstum zeigte, aus¬ 
einandergedrängt; die Tumorzellen zeigen einen vorwiegend epithelialen Charakter. 
Wahrscheinlich handelt es sich um ein Karzinom der Hypophyse, und zwar um 

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das adenomatöse Vorstadium desselben; es lädt sich aber nicht sagen, ob es sich 
um eine primäre oder metastatische Geschwulst gehandelt hat. 

Im Verlaufe der ersten Woche war abendliche Temperatursteigerung und 
Entleerung von übelriechendem, schleimigem Sekret aus der Nase. Gerade mit 
Rücksicht darauf, wurde der Tampon erst möglichst spät entfernt, worauf erst 
die starke Verunstaltung, welche durch die Entfernung der vorderen Wand der 
Stirnhöhle erzeugt war, deutlich hervortritt. Vollkommenes Erlöschen des Ge¬ 
ruchssinnes des Patienten; sonst keine weiteren Ausfallserscheinungen bemerkbar. 
Subjektive Besserung des Sehens. 

Dem freundlichen Entgegenkommen des Kaiserl. Rates Dr. Fbiedmann in 
Vöslau - Gainfarn verdankte Patient, daß er zwei Monate in seiner Anstalt 
unter den besten äußeren Bedingungen zubringen konnte. Die Behandlung 
daselbst bestand vorwiegend in einer Mastkur, ferner Elektro- und Hydro¬ 
therapie. Nur hier und da trat etwas Kopfdruck und Erbrechen ein. Seit Ende 
August will sich aber Patient ganz besonders wohl fühlen; er hat trotz reich¬ 
licher Ernährung seit Juli um 2 Kilo abgenommen. 


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Die am 7. September 1907 vorgenommene äußere Untersuchung ergab tat¬ 
sächlich eine merkliche Besserung des Visus bis auf 2 /„> die temporale Gesichts¬ 
hälfte erschien sehr erweitert (s. Perimeterbefund). Patient, der vor der Operation 
nur Finger zählen konnte, war allein imstande, von Vöslau nach Wien zu fahren, 
dabei mehrere Male umzusteigen. 


Nun noch einige Worte über die technische Seite der Frage: 

Von Zugängen zur Hypophyse gibt es zwei: die intrakranielle und extra- 


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kranielle. Die erstere etwa iu der Art and Weise, wie F. Kbause den Trige¬ 
minus exstirpiert, von der Seite oder von vorne her. Hobslet soll in einer 
Reihe von Fällen von vorneher mit Abhebung des Stimhirns nach oben gute 
Erfolge erzielt haben; auch F. Kbause berichtet Aber ein ähnliches Vorgehen. 
In jüngster Zeit ist von Schloffeb 1 die Frage Gegenstand eines besonderen 
experimentellen Studiums an Leichen geworden. Er hat außerdem mit Erfolg einen 
Fall von Adenom der Hypophyse in der Weise operiert, 3 daß er die Nase auf¬ 
geklappt und einen großen Teil des Tumors entfernt hat Wenn der Patient auch 
2*/ 2 Monate später starb, 9 so hat der Fall doch den Beweis dafür geliefert, daß 
die Operation ausführbar ist, indem die Wunde an der Schädelbasis mit einer 
soliden Narbe ausgeheilt ist Schloffeb macht mit Recht auf die große Be¬ 
deutung des Röntgen-Bildes, auf die Notwendigkeit einer guten Beleuchtung, 
sowie auf den Zugang von der Nase her aufmerksam. 

Es ermutigt also dieser Fall durchaus diesen Weg auch weiterhin zu be¬ 
treten. Kürzlich hat Moscovicz 4 in Wien gemeinsam mit Professor Takdlek 
am anatomischen Institut E. Zückebkandlb Operationen an der Leiche aus¬ 
geführt, um die Hypophysis zu entfernen. Sein Verfahren lehnt sich im wesent¬ 
lichen an das von Sohlovfeb an, er betont besonders den Wert der auch von 
Schloffeb vorgeschlagenen Resektion der Vorderwand der Stirnhöhle. Ein 
wesentlicher Unterschied seiner Methode besteht darin, daß er vorschlägt, die 
Operation zweizeitig zu machen: beim ersten Akt einen langen zungenförmigen 
Hautlappen aus der Stimhaut hineinschlagen, um den zweiten Akt, die Entfernung 
der Hypophyse, aseptisch zu gestalten. 

In unserem Falle hatte sich die Aufklappung der Nase, ebenso wie im 
Falle Schloffeb’s, gut bewährt Ich glaube, daß die Anlegung des Schnittes 
bzw. Erweiterung zu einem Stimmgabelschnitt durchaus zweckmäßig ist, auch 
die Wegnahme der vorderen Stimhöhlenwand war leicht ausführbar und hat 
den Einblick in die Tiefe erleichtert: ob dieselbe wirklich absolut nötig ist, 
wird sich in Zukunft erst erweisen. Die Beleuchtung mit Hilfe des ZEiss’schen 
Apparates ist eine so vollkommene, daß ich mir wohl denken kann, daß auch 
ohne Wegnahme der vorderen Stirnhöhlenwand der Eingriff ausführbar wäre. 

Das Zerlegen der Operation in zwei Zeiten möchte ich nur als Notbehelf 
empfehlen, wenn man dazu gezwungen ist; im übrigen aber beweist der Verlauf 
des Falles Schloffeb und des unsrigen, daß die Gefahr der Meningitis nicht 
so imminent ist. Zudem soheint mir, daß die Übersichtlichkeit und Orientierung 
durch die zweizeitige Operation leiden dürfte. 

Sehr gut hat sich in meinem Falle die wiederholte Betrachtung des neben 
dem Operationstische aufgestellten Röntgen-Bildes bewährt Ganz besonders sei 
auf den Wert der Operation bei hängendem Kopf hingewiesen. Es war 
dabei auch der Kopf bequem zu verstellen, um so den Einfall des Lichtes bald 


1 Beitr. z. klin. Chirurgie. Bd. L. 1906. Heft 3. S. 767. 

* Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 62. 

* Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 1076. 

* Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 792. 


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schräger, bald steiler zu gestalten. Die Tamponade der Wundhöhle mit 
Isoformdochten und das lange Liegenlassen des Tampons sei noch besonders 
hervorgehoben. Je stärker die Sekretion war, desto länger ließ man den Tampon 
liegen, um denselben erst dann zu entfernen, als vorauszusetzen war, daß schon 
eine Granulationsschicht die Wundhöhle vor einer Infektion von der Nasenhöhle 
her schützen würde. Erst am 10. Tage wurde der Docht vollkommen entfernt, 
and ich möchte bei dieser Gelegenheit wiederum darauf hinweisen, wie leicht 
and schonend dies gelang, dadurch daß an jedem Faden für sich gezogen 
wurde. Das schonende Entfernen hat in diesem Falle eine ganz besondere Be¬ 
deutung. Auffallend war die nach Entfernung aller Streifen zurückgebliebene 
Verunstaltung durch starkes Eingezogensein der Glabella; dieselbe kommt jedoch 
gegenüber der Schwere des Leidens nicht in Betracht. 

Schließlich sei noch erwähnt, daß die Böntgen-Bilder, welche nach der 
Operation aufgenommen wurden, gegenüber den vor derselben angefertigten, 
keinen Unterschied aufweisen. 

Rückblickend können wir in unserem Falle von einer erheblichen Besse¬ 
rang (Rückgang des Kopfschmerzes, der rechtsseitigen Sehstörung, Körper¬ 
gewichtsabnahme) sprechen. Allerdings macht es der histologische Befund 
zweifelhaft, ob die Besserung eine dauernde bleiben wird. Es wird weiterer 
Beobachtungen bedürfen, um zu zeigen, inwieweit sich die Operationsmethode 
bewähren wird. 

Anmerkung bei der Korrektur (21./X. 1907): Patient fühlt sich an¬ 
dauernd wohl, der Visus hat sich weiter gebessert (Vxo)* Gesichtsfeld fast 
normal. Das Gewicht, das vorübergehend zugenommen hatte, sinkt wieder. 


[Aas der I. medizin. Abteilung des städtischen Krankenhauses Friedrichshain in Berlin.] 

2. Akute multiple Sklerose oder disseminierte Myelitis? 

Von E. Stadelm&nn and M. Lewandowsky. 

J. 8., 26 Jahre alt, Dienstmädchen. 

Keine nervöse Belastung. 

Patientin selbst bisher stets gesund. Infectio und Potus 0. 

Am 12. August 1906 plötzlich Schmerzen im ganzen Kopf, die sich später 
auf die linke Seite beschränkten. In den nächsten Tagen Gefühl beim Gehen, 
als wenn sie in eine Vertiefung trete. Gleich zu Beginn auch Doppeltsehen, 
merkte selbst, daß ihre eine Pupille weiter sei als die andere. Gefühl, als wenn 
ihr alles zu eng sei und ihr ein Gürtel umgeschnallt wäre. 

Diese Beschwerden erstreckten sich auf einen Zeitraum von etwa 4 Wochen. 
In dieser Zeit wurde auch das Sehen schlecht, so daß sie nur ganz undeutlich noch 
sehen konnte. Konnte auch schließlich nicht mehr gehen. 

Aufnahme ins Krankenhaus am 15./IX. 1906. Leidlicher Ernährungszustand. 
Außer von seiten deB Nervensystems nichts Bemerkenswertes. Kein Fieber. 

Nervensystem: Neuritis optica beiderseits, keine Niveaudifferenz. Links 
sehr deutliche Ptosis. Pupillen weit, die linke weiter als die rechte. Die linke 

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ist lichtstarr, die rechte reagiert noch wenig. Sehvermögen sehr gering. Finger* 
zählen unmöglich. 

Doppelseitige spastische Parese der unteren Extremitäten. Babinski beider¬ 
seits. Fußklonus links noch stärker als rechts. Aktive Beweglichkeit fast auf¬ 
gehoben. 

. Kraft der oberen Extremitäten herabgesetzt, links noch geringer als rechts. 

Sensibilität von der S. Rippe an abwärts für alle Qualitäten stark herab¬ 
gesetzt, nach den Füßen zunehmende Störung. Bauchdeckenreflexe fehlen. 

Unvollständige Blasen- und Mastdarmlähmung. 

Cerebrospinaldruck 26 1 / 2 cm. Im Punktat ausgesprochene Vermehrung der 
zeitigen Elemente. 

Sensorium frei. 

24./IX. Zunahme der Ptosis. ' Zunahme der Parese in den oberen Extremi¬ 
täten. Leichte Somnolenz. 

2./X. Die Papille zeigt rechts und links schon deutliche Atrophie, daneben 
noch Neuritis optica. Patientin kann fast nichts mehr sehen. 

Die PtOBis links besteht weiter. Beim Blick nach links deutlicher Nystagmus. 

Rechts hat sich eine Facialisparese mäßigen Grades von peripherem Typus 
ausgebildet. 

Die Schwäche der oberen Extremitäten hat zugenommen, dabei mäßige Ataxie, 
kein Intentionstremor. Parästhesien in beiden Armen und Händen. 

9. /X. Deutliche Progression. Rechter Arm kann fast gar nicht mehr bewegt 
werden. Charakter der Parese in den unteren Extremitäten wie früher. Zunahme 
der Sensibilitätsstörungen. Zunahme der Somnolenz. Decubitus. Retentio urinae 
et alvi. Cystitis. Gestern zum erstenmal Temperatur über 37 (37,6), heute 37,9. 
Puls 104 bis 112. 

10. /X. Rechts hinten unten Schallabschwächung mit kleinblasigem Rasseln. 
Temperatur 38,3. Puls 120 bis 128. Patientin verfällt. 

12./X. Exitus. 

Obduktion am 13./X. 1907 (Prosektor Dr. Pick) ergab, abgesehen von dem 
Befund der inneren Organe (Pleuritis adhäsiva, Bronchopneumonie, Tracheitis et 
Bronchitis, Cystitis), in bezug auf das Nervensystem: Dura spinalis ziemlich ge¬ 
spannt, Injektion der arachnoidealen Gefäße, insbesondere die Venen des unteren 
Abschnittes sehr gefüllt. Der Subarachnoidealraum ist leer. Nervenwurzeln frei. 
Auf Querschnitten durch das Rückenmark erscheint im Lumbalmark das linke 
Vorderhorn verbreitert und größer. Ein Quetschpräparat an dieser Stelle zeigt 
massenhaft Fettkörnchenkugeln. Degeneratio inflammatoria medullae 
spinal iS. Die Sektion des Gehirns bietet makroskopisch keine Abweichungen. 

Schnitte (10°/ 0 Formol, gefroren, Hämalaun Sudan) zeigen, daß die Ver¬ 
änderungen noch weit ausgedehnter sind, als dem makroskopisch Sichtbaren nach 
zu vermuten. Sie betreffen (Lendenmark) den gesamten Seitenstrang links, den 
lateralen Teil des Hinterstranges und die ventralen Teile des Vorderstranges. 
Hier sind die Markscheiden so gut wie völlig zerstört, statt diesen sieht man 
dichte Häufungen polymorpher, meist einkerniger Zellen mit gut ausgesprochenen 
Kernen, die zum großen Teil Fettmassen einschließen, besonders um die Gefäße 
herum. 

An der Diagnose hatten wir von vornherein keinen Zweifel, die Verteilung 
der Herderscheinungen machte die Annahme multipler Herde notwendig. Der 
akute Verlauf und die Neuritis optica sicherten dann die Annahme, daß es sich 
um einen jener Fälle handelte, welche in nicht ganz geringer Zahl als akute 
multiple Sklerose oder als disseminierte Myelitis beschrieben worden sind, wobei 

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ja gerade die Frage nach dem Wesen des zugrunde liegenden Prozesses noch 
nicht ganz geklärt ist, und welche neuerdings durch Mabbubq 1 eine zusammen¬ 
fassende Bearbeitung erfahren haben. 

Zur Veröffentlichung des Falles sehen wir uns abgesehen davon, daß die 
Anzahl der genügend untersuchten Fälle derart akuten Verlaufes (8 Wochen) 
eine reoht geringe ist, noch durch eine Besonderheit des mikroskopischen Be¬ 
fundes veranlaßt Die mikroskopische Untersuchung wurde von dem einen von 
uns im Laboratorium der psychiatr. Universitätsklinik (Geh. Bat Prof. Ziehen) 
ausgeführt. 

Die Untersuchung ergab zunächst eine ganz massenhafte Herdbildung. 
Weder im Bückenmark noch im Hirnstamm war ein Querschnitt zu finden, der 
nicht Herde gezeigt hätte. Im Rückenmark nahmen die Herde ganz regellos 
bald die Vorder-, die Hinter- oder die Seitenstränge ein. In der Medulla ob- 
longata waren beide Pyramiden neben Teilen der Corpora restiformia Sitz der 
pathologischen Veränderungen, weiter oralwärts die Bindearme und die Brücken¬ 
arme des Kleinhirns usw. Auch im Großhirn fanden sich zahlreiche Herdchen, 
meist an der Grenze zwischen grauer und weißer Substanz. 

Der histologische Bau der Herde war überall der gleiche und ein sehr ein¬ 
facher. Sie bestanden fast ausschließlich aus gliösen Elementen der 
verschiedensten Form und Größe, wie insbesondere das Nissl-Präparat zweifellos 
zeigte. Da alle Herde den gleichen Bau aufwiesen, waren Altersunterschiede 
nicht zu erkennen, die Gliawucherung mußte vielmehr als primär angesehen 
werden. Daneben bestand in den Herden eine Gefäßvermehrung und eine 
Wucherung der adventitiellen Elemente. Nur ganz vereinzelt fanden sich echte 
Körnchenzellen (Gitterzellen) oder an einem Gefäß einmal eine Plasmazelle, so 
vereinzelt, daß man meist lange suchen mußte, ehe man eine dieser beiden Zell¬ 
arten auffinden konnte. Dagegen fanden sich die Gliazellen mit Fettsubstanzen 
überladen. Sowohl im frischen Präparat wie nach Behandlung mit fettdarstellen¬ 
den Methoden (Osmium, Sudan) imponierten viele Gliazellen als Fettkörnchenzellen. 
Nichts von kleinzelliger Infiltration. Es ist selbstverständlich, daß die Mark¬ 
scheiden im Bereich der Herde fehlten. 

War so zunächst das Bild das einer multiplen Sklerose, also auch einer 
akuten multiplen Sklerose, so erlebten wir eine Überraschung, als wir versuchten 
die Achsencylinder darzustellen. Es zeigte sich auch bei Anwendung der Biel- 
BCHOwsKT’scben Methode, daß es im Bereich der Herde nicht gelang 
Achsencylinder darzustellen, so daß die BiELSCHOwsKi’schen Achsen- 
cyliuderpräparate genau die gleichen völlig ungefärbten Lücken aufwiesen, als 
die Markscheidenpräparate. Die beigegebene Figur zeigt die Grenze eines solchen 
Herdes gegen die normale Umgebung bei Anwendung der BiELSCHOwsKv’schen 
Methode. 

Wenn man es nun im allgemeinen als ein Kennzeichen der multiplen 
Sklerose auffaßt, daß die Achsencylinder erhalten oder wenigstens im wesent- 

1 Jahrbücher für Neurologie. XXVII. 1906. S. 211. 

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liehen erhalten wären, so könnte unser Fall keine multiple Sklerose sein. Ge¬ 
rade für die Unterscheidung der akuten multiplen Sklerose von der disseminierta 
Myelitis ist die Erhaltung der Achsencylinder als differential-diagnostisches Merk¬ 
mal von Finkelnburg 1 noch besonders betont worden. Freilich bleibt ei» 
Umstand noch zu erwähnen: es fanden sich trotz der Unmöglichkeit die Aehset- 
cylinder darzustellen zwar eine diffuse, ziemlich ausgebreitete sekundäre Dege¬ 



neration der Markscheiden, aber keine geschlossene Strangdegeneration *ie 
man sie wohl hätte erwarten können, wenn die Kontinuität der Fasern völlig 
unterbrochen gewesen wäre. Es bleibt also die Möglichkeit, daß die Achsen¬ 
cylinder zwar erhalten gewesen sind, aber ihre Darstellbarkeit völlig verloren 
hatten. 

Wegen des ganz eindeutigen Zellbefundes, wegen des Mangels eines jeden 
Zeichens eigentlicher Entzündung sind wir persönlich der Meinung, daß der be¬ 
schriebene Fall in die Gruppe der akuten multiplen Sklerose gehört, durften 
uns aber jedenfalls erlauben, ihn als Material zur Entscheidung der Frage 
den Beziehungen zwischen akuter multipler Sklerose und sogenannter disse- 
minierter Myelitis beizusteuern. 


1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XX. 


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3. Ist die Erkrankung 

des Sehapparates für die Differentialdiagnose zwischen 
multipler Sklerose und chronischer cerebrospinaler Lues 
von maßgebender Bedeutung? 

Ein kasuistischer Beitrag yon Dr. M. van Oordt in St. Blasien. 

Man hat schon länger erkannt, daß neben objektiven Veränderungen der 
Sehnen- und Hautreflexe für die Frühdiagnose der multiplen Sklerose der tem¬ 
poralen Abblassung der Sehnervenpapillen die allergrößte Bedeutung beizulegen 
ist. Man hat dann gefunden, daß diese initiale, sklerotische Erkrankung des Seh¬ 
apparates häufig mit Störungen in der Funktion des Auges verbunden ist, die 
sich als abnorme Ermüdbarkeit der Sehkraft, als vielgestaltige Amblyopie, durch 
Ausbildung centraler Skotome, besonders aber als ganz eigenartige Defekte der 
Rot- und Grünempfindung bemerkbar machen bei vielfach erhaltener Empfind¬ 
lichkeit für Blau und Gelb, während eine periphere Gesichtsfeldeinschränkung 
selten ist. 

Von mancher und gerade von ophthalmologischer Seite ist dieser optische 
Symptomenkomplex allein schon als fast beweisend für das Bestehen einer 
Sclerosis multiplex angesehen worden. Tritt nun gar noch das häufig schwan¬ 
kende Mißverhältnis zwischen der anatomischen Störung einerseits und dem etwa 
vorhandenen funktionellen Defekt andererseits hinzu, so scheint nach der jetzt 
nahezu allgemein gültigen Anschauung ein Zweifel an der Diagnose nicht mehr 
berechtigt. 

Ganz besonders nun müßten diese Veränderungen am Sehapparat zu der 
Abgrenzung der disseminierten Sklerose von der chronischen Lues cerebrospinalis 
dienlich sein, die auf anderen Gebieten als denen des Gesichtssinnes für längere 
Zeit einen Verlauf nehmen kann, der manchen Skleroseformen ähnlich sieht Die 
chronisch-luetischen Schädigungen des Sehvermögens jedoch pflegen sich in ihrer 
Art und ihrem Verlauf von den sklerotischen in einigen markanten Zügen zu 
unterscheiden. Sie treten außer unter der Form der Amblyopie, der Amaurose 
oder verschiedenartiger Hemianopsien viel häufiger, und zwar im direkten Gegen¬ 
satz zur multiplen Sklerose als gleichmäßige oder ungleichmäßige periphere, 
exzentrische oder fleckenförmige, häufig wechselnde Verdunklungen im Gesichts¬ 
felde zutage, während reine centrale Farbenskotome ohne Störungen in der 
Peripherie vorübergehend Vorkommen können, jedenfalls aber ungewöhnlich sind. 

Wer diese Auffassung vom differential-diagnostischen Werte der optischen 
Initialsymptome sich zu eigen macht, leitet sie ab von der pathologisch¬ 
anatomischen Eigenart der sklerotischen und der luetischen Erkrankung und 
ihrem Angriffspunkt an der Sehnbahn. Der sklerotischen Papillenatrophie 
liegen mechanische Momente zugrunde, die sich meist von der Entwicklung 
retrobulbärer Plaques ableiten, welche das papillo-makuläre Bündel der Opticus¬ 
fasern schädigen. Der luetische Prozeß hingegen, der sich an verschiedenen 


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Stellen der Gehirnbasis entwickelt, ruft im Beginne wenigstens diffuse neuritische 
Veränderungen an den Nerven der Basis, so auch am Opticus hervor oder be¬ 
einträchtigt deren Funktion durch basale Exsudate. Die rasche Veränderlich¬ 
keit des luetischen Granulationsgewebes bedingt dabei, vor allem in der ersten 
Zeit der Erkrankung, den häufigen Wechsel der Erscheinungen und das Um¬ 
springen der Symptome. 

Demnach könnte die Differentialdiagnose, insoweit als der Sehapparat in 
Betracht kommt, ziemlich gesichert erscheinen und doch mußte sich bei einem 
jetzt 2 7j Jahre lang beobachteten Falle, der im folgenden zu skizzieren ist, die 
Frage aufdrängen, ob das Faktum einer nur wenige Jahre zurückliegenden Lues 
und der Erfolg der antiluetischen Behandlung zur Annahme berechtigen, daß 
der als typisch geltende, sklerotische Initialbefund auf optischem Gebiet auch 
luetischer Natur sein könne. 

Der 33 Jahre alte Patient hat früher Tabakmißbrauch getrieben and vor 
4 Jahren Lues akquiriert. Er machte vier Inunktionskuren durch, davon die 
beiden letzteren nur aus prophylaktischen Rücksichten. Einen Monat nach der 
letzten Kur traten unter Verschlechterung des Befindens mit Schwindel, Kopf- 
drnck, Schlaflosigkeit, Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit eine rasche Er¬ 
müdbarkeit und vorübergehende Sehstörungen auf. Dann bemerkte der Kranke 
eine deutliche Abnahme des Visus auf dem rechten Auge; seine Beschreibung 
deutet auf ein centrales Skotom. Etwas später beobachtete der Patient selbst 
Pupillendifferenz und unter fortschreitender Verschlechterung des Befindens, 
Schmerzen und spannenden Sensationen in der Kreuzbeingegend, kommt eine Er¬ 
schwerung der Stuhl- und Urinentleerung mit Inkontinenz der Blase, sowie Nach¬ 
schleppen des linken Fußes hinzu. Sein Arzt 1 findet eine erhebliche Abnahme 
der Sehschärfe auf dem rechten, eine mäßige auf dem linken Auge, ferner Pupillen- 
differenz, Miose und fehlende Konvergenzreaktion, jedoch vollkommen erhaltene 
Lichtreaktion. Rechts bestehen centrale Farbenskotome und beiderseits ist eine 
temporale Abblassung der Opticuspapillen vorhanden. 

Außerdem wird eine spastische Parese des linken Beines unter erheblicher 
Steigerung der gesamten Reflexerregbarkeit konstatiert Es folgt dann rasche 
Abnahme der Sehkraft des linken Auges, ebenfalls mit Ausbildung von centralen 
Farbenskotomen. 

Status: Als Patient, 3 Monate nach Beginn der Erkrankung, in meine 
Behandlung kam, bestand Retentio alvi et urinae und Inkontinenz der Blase, eine 
Steigerung sämtlicher Sehnenreflexe, vorwiegend links und besonders an der linken 
Unterextremität, wo Reflexklonus, BABiNSö’tches und OpPENHKiM'sches Phänomen 
und eine spastische Parese naobzuweisen sind. Die Parese hat vorwiegend die 
Peronealmuskulatur befallen. Die Spasmen sind im Verhältnis zur Parese nicht 
sehr lebhaft. Die Hautreflexe der linken Seite sind deutlich herabgesetzt und 
der linke, untere Bauchreflex fehlt. An der rechten Unterextremität sind nur 
leichte Spasmen ohne grobe Paresen nachzuweisen. Das OppENHBiM’sche Zeichen 
findet sich auch da, aber was hervorgehoben zu werden verdient, ohne gleich¬ 
zeitigen BABiNSKi’echen Reflex. Man vermißt jegliche Sensibilitäts- und Koordi¬ 
nationsstörungen, Mitbewegungen, Tremor, Nystagmus, Skandieren; auch das Zehen¬ 
phänomen und Tibialisphänomen nach Strümpell fehlen. 

Von Seiten der Augen lassen sich die schon vorhin skizzierten Störungen 


1 Einen großen Teil des optischen Befundes bez. dessen häufige Kontrollierung ver¬ 
danke ich der Güte des Herrn Dr. Wessel Y-Berlin. 

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nach weisen; nur die Konvergenzreaktion ist nicht mehr ganz erloschen. Die Seh¬ 
schärfe ist rechts S / J0 , links werden noch Finger innerhalb 4 m gezählt. Rechts 
besteht ein centrales absolutes Skotom für Grün, Weiß und Rot, ein relatives 
für Gelb und für Weiß, links ein centrales Rot- und Grün-Skotom. Nur im 
rechten Gesichtsfelde ist die für Grün geltende Grenze etwas eingeschränkt; sonst 
sind die Grenzen normal. 

Obgleich der Augenbefund eine Sklerose zu begründen scheint, wird in 
Rücksicht auf die vor 4 Jahren erlittene luetische Infektion eine vierwöchent¬ 
liche Quecksilber- und Jodbehandlung eingeleitet. Mit deren Beendigung 
hat sich unter erheblicher Gewichtszunahme eine bedeutende Besserung des Be¬ 
findens eingestellt und die spastische Parese hat sich fast verloren, während die 
Sehnenreflexe noch stark erhöht sind. Die Sehschärfe beider Augen und die 
Skotome des linken Auges haben sich nur wenig verändert. Auf dem rechten 
Auge ist das Gelbskotom zwar nicht mehr nachweisbar, die Perzeption für Grün 
izt jedoch ganz erloschen und ein centrales Blauskotom hinzugekommen. Dieses 
Blauskotom schwindet bald wieder unter Fortsetzung des Jodgebrauches und die 
Sehschärfe hebt sich rechts auf 4 / 26 , links auf 4 / 35 . Auch der Patellarklonus und 
die Blasen- und Mastdarmstörungen schwinden; der spostisch-paretisohe Gang ist 
beseitigt, das OppBNHBiM’sche Zeichen fehlt rechte wieder. 

Im Verlauf des nächsten Vierteljahres bessert sich der Nervenstatus objektiv 
und subjektiv noch langsam unter zeitweisem Jodgebrauoh. Die Spasmen treten 
noch mehr zurück, Babinski und Oppenheim schwinden auf der linken Seite. 
Neu ist aber die Ausbildung einer hypästhetisohen radikulären Zone auf der 
Thoraxhaut von etwa 10 cm Breite. Die Sehschärfe beider Augen weist mittler¬ 
weile gröbere Schwankungen auf, doch ist sie am Ende dieses Vierteljahres rechts 
schon s / |0 bis */ a$ , links S / 1S bis ®/ a# , je naoh dem Grade der Ermüdung, welche 
überhaupt die Sehprüfung schwierig gestaltet. Die centralen Skotome sind durch¬ 
sichtiger. Interessant ist, daß auf dem rechten Auge in dem vorher vollständig 
grünblinden Gesichtsfeld sich wieder ein konzentrischer, jetzt 10° betragender 
grünempfindlicher Ring gebildet hat. 

Erneutes Auftreten von leichten Blasenstörungen, sowie von Parästhesien und 
Schmerzen im linken Ulnarisgebiet veranlaßten dann eine zweite Inunktions- und 
Jodkur. Während dieser hebt sich der Visus noch, so daß nach Beendigung der 
Kur am rechten Auge durchschnittlich eine Sehschärfe von */ 16 bis 8 / 10 , am linken 
Auge von # / 20 bis ®/ 16 vorliegt und Zeitungsdruck auf etwa 20 cm Entfernung 
fließend gelesen wird. Auch das rechtsseitige Weißskotom ist nun fast ver¬ 
schwunden, während die centralen Rot- und Grünskotome beiderseits sich wenig 
verändert haben. Die Blasenfunktion ist wieder eine normale. Die Sehnen- und 
Hautreflexe weisen noch eine allerdings geringere Differenz zwischen beiden 
Seiten auf. 

Der Patient hat daraufhin 1 / 2 Jahr lang ohne neue subjektive Erscheinungen 
tüohtig gearbeitet. Er stellt sich dann wieder vor mit einer Herabsetzung der 
Geruchs- und GeschmackBfunktion auf beiden Seiten und einer bei differenten 
Pupillen geschwächten Lichtreaktion auf dem stärker miotischen Auge. Die Seh¬ 
schärfe ist jedoch beiderseits etwa l / 3 . Der eher etwas verbreiterten hypästhe- 
tischen Zone auf der Brusthaut hat sich eine deutliche Hyperästhesie für Kälte¬ 
reize in den lumbalen Segmenten am Rücken zugesellt. 

Während und nach der nun folgenden dritten Inunktionskur bessern sich 
wiederum das Allgemeinbefinden und die Sehschärfe; sie nimmt in der der Kur 
folgenden Zeit noch etwas zu und beträgt jetzt seit 1 / 2 Jahr, 2 Jahre nach Be¬ 
ginn der Krankheit, rechte 1 / 2 , links 1 / 3 , während die Reste der centralen Rot* 
und Grünskotome beiderseits, bei normaler Peripherie, fortbestehen, und die tem¬ 
porale Abblassung der Papillen vielleicht noch etwas zugenommen hat. 

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1008 — 


Die hypästhetische Zone ist weniger ausgeprägt, die Sehnenreflexe sind noch 
erhöht, die Hautreflexe herabgesetzt, aber ohne Veränderung in der Qualität. 
Befinden und Leistungsfähigkeit können bei vorsichtiger Lebensweise ab normal 
gelten. 

Nur beiläufig erwähnt sei der negative Ausfall des cytologisehen Befundes 
am Liquor cerebrospinalis nach der ersten Hg-Behandlung und ferner in .Rück¬ 
sicht auf die Befunde von Müllbb(I) und von Finkklnbübg (2) die häufige 
Konstatierung einer normalen Kraft der Bauchmuskulatur bei der Abschwächung 
bez. beim Fehlen der linken Bauchreflexe. Nochmab betont sei, daß die klassischen 
Symptome der entwickelten Sklerose zu jeder Zeit fehlten. 

Besonders drei Dinge verdienen an dem auch sonst lehrreichen Falle für 
seine nosologische Klassifizierung in Betracht gezogen zu werden: 

1. Die Entwicklung des Leidens mit den als charakteristisch angesprochenen 
optischen Erscheinungen der multiplen Sklerose, während die Kombination der 
anderen objektiven und subjektiven Symptome am Nervensystem und auch der 
Zustand der Befleze zur differentialdiagnostischen Klärung zwischen Lues und 
Sklerose nichts Entscheidendes beitragen, 

2. die deutliche Beeinflussung aller oder mehrerer Erscheinungen durch 
die wiederholte Quecksilbeijodbehandlung und 

3. die spätere Entwickung des Leidens mehr in der Richtung einer chro¬ 
nischen cerebrospinalen Lues (hypästhetische radikuläre Rumpfzone, Beteiligung 
anderer Gehirnnervenwurzeln, wie der Geschmaoks- und Geruchsnerven, die 
Ulnarisneuralgie, einseitige Pupillenstarre usw.), während natürlich der unter 
besonderen Umständen erfolgte negative Ausfall des cytologisehen Spinalbefundes 
der Bedeutung entbehrt. 

Bei der Wichtigkeit der Diagnose für Behandlung und Lebenshaltung 
des Kranken stand der optische Symptomenkomplex zunächst im Mittelpunkt 
des Interesses. Es würde zu weit führen — und ich muß es berufeneren 
Beobachtern überlassen —, das Vorkommen genuiner, totaler und auch partieller 
Atrophien der Opticuspapille als eine zuweilen luetische Erscheinung (3) zu 
besprechen. Schon nach der rein theoretischen Stellungnahme zur Möglichkeit 
dieses Vorkommens bemißt sich der differential-diagnostische Wert, den man 
dem geschilderten optischen Symptomenkomplex beizulegen hätte. Umsomehr 
möchte ich hier die klinische Erfahrung heranziehen, welche den vorliegenden 
Fall, wenn die Anamnese nichts ätiologisch Belangreiohes zutage gefördert 
hätte, wohl ohne weiteres mit Rücksicht auf den Befund am Sehapparat 
als multiple Sklerose angesprochen hätte. Nachdem nun aber die Anamnese, 
der Erfolg der dadurch angezeigten antiluetischen Behandlung und der Verlauf 
des Leidens die Möglichkeit einer luetischen Ätiologie nähergerückt haben, ent¬ 
steht die Frage: Soll man die wesentlich durch den optischen Befund motivierte 
Diagnose: „Sclerosis multiplex“ auf Grund des Behandlungserfolgee und des 
weiteren Verlaufes des Leidens fallen lassen? Mit der Bejahung dieser Frage 
würde man auf den selektiven Wert der optischen Initialsymptome der Sklerose 
verzichten. Das wäre auf Grund des vorliegenden Falles zu weit gegangen, wu 
man mit dem Einwand zu rechnen hat, daß die bekannten spontanen Remissionen 


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der Sklerose einen Erfolg Vortäuschen und damit einen diagnostischen Irrtum 
herbeiführen können and wo man die mögliche Kombination von Lues cerebro- 
spinalis und multipler Sklerose zugeben muß, wenn man dem auch entgegen¬ 
halten könnte, daß einige wertvolle, wenn auch unregelmäßige Initialsymptome 
der Sklerose, wie das Tibialis- und Zehenphänomen, fehlten. 

So scheint mir im wesentlichen das Eine beachtenswert, daß trotz der 
großen Bereicherung, welche die Klinik der Sclerosis multiplex durch die Er¬ 
kennung optischer und anderer Initialerscheinungen erfahren hat, ihr Krank¬ 
heitsbild doch noch nicht so scharf gezeichnet ist, daß nicht die Tatsache einer 
kurze Zeit zurückliegenden Lues die therapeutischen Maßnahmen zunächst im 
Sinne einer antiluetischen Kur beeinflussen dürfte. Ungeachtet eines für Sklerose 
scheinbar beweisenden Augenbefundes würden dafür solche Fälle mit luetischer 
Vorgeschichte in Betracht kommen, wo andere Symptome die Diagnose einer 
chronischen Cerebrospinalsyphilis mit konkurrieren lassen. Allerdings ist eine 
längere funktionelle und ophthalmoskopische Kontrolle des Sehapparates not¬ 
wendig, durch die man sich über den Erfolg der antiluetischen Behandlung 
und über den Verlauf des Leidens weiter orientieren muß. 

Literatur. 

1. E. MCllkb, Die multiple Sklerose des Gehirns nnd Rückenmarkes. Jena 1904; s. a. 
Neurolog. Centralbl. 1905. S. 593. — 2. R. Finkklnbükö, Über Bauchmuskellähmung bei 
multipler Sklerose. Med. Klinik. 1906. Nr. 5. — 8. Uhthopf, Untersuchungen Aber die 
bei der Syphilis des Centralnervensystems vorkommenden Angenstörungen. Archiv f. Oph¬ 
thalmologie. XXXIX. 1898. — H. Schmidt - Rimpleb, Die Erkrankungen des Anges im 
Zusammenhang mit anderen Krankheiten. Wien 1905; s. a. die dort angegebene Literatur. 
— Uhthopf, Untersuchungen Aber die bei multipler Sklerose vorkommenden Augenstörungen. 
Archiv f. Psych. u. Neur. XXI. 1889. 


11. Referate. 


Anatomie. 

1) Über die wechselseitigen Beziehungen swisohen Kopfform und Geburts- 
mechanisxnus, von Dr. Arthur Müller in München. (Archiv f. Gynäkol. 
LXXXII.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 

Jede der verschiedenen Einstellungen (Positio) des Kopfes hat, wenn sie er¬ 
halten bleibt und somit zur „Lage“ (Partus, Positio definitiva) wird, eine ganz 
bestimmte charakteristische Kopfform (Konfiguration) zur Folge. 

Die Kopfform macht den Kopf zwangsläufig, d. h. bedingt den jeder Lage 
zugehörigen charakteristischen Austrittsmechanismus, welcher stets so erfolgt, daß 
die jeweils kleinsten Umfänge und Durchmesser des Kopfes zum Durchschneiden 
kommen. Es erfolgt also der Austritt in der jeweils für die Mutter relativ 
günstigsten Weise. 

Fast in jeder größeren Versammlung kann man Köpfe sehen, welche die 
verschiedenen Typen der Kopfformen poBt partum, besonders auch die der Stirn¬ 
lage repräsentieren. Eine Feststellung, ob diese Formen der Geburt ihre Ent¬ 
stehung verdanken, läßt sich leider fast nie erreichen. Hier wäre nur durch Mit¬ 
hilfe weiter ärztlicher Kreise, welche als Hausärzte Auskunft erhalten können, 
Mitteilung zu erlangen, und wäre es daher wünschenswert, weitere Kreise, speziell 

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auch die Kinderärzte, dafür zu interessieren. Nach den bekannten Erfahrungen 
verschwindet die Konfiguration im wesentlichen schon nach 5 bis 6 Tagen. Asym¬ 
metrie und Schiefstand des HirnschädelB hat Verf. schon 2 bis 3 Jahre lang sich 
erhalten sehen und dürften geringere Grade dauernd bleiben. 

Im allgemeinen ist anzunehmen, daß eine sich dauernd erhaltende Kopfform 
ererbt ist, oder durch lange Zeit einwirkende intrauterine Einflüsse erworben ist. 

Die neueren Versuche durch Lagerung post partum auf die Kopfform in 
dolichocephalem oder brachycephalem Sinne einzuwirken, sind noch nicht auf 
längere Jahre ausgedehnt, daß aber längere Einwirkung dauernden Einfluß haben 
kann, beweisen die bekannten Flachkopfindianer und Peruaner. 

Vor der Geburt vorhandene hochgradige Dolichocephalie und Br&chycephalie 
kann je zu verschiedenen Einstellungen des Kopfes sub partu disponieren. 

Die Einstellung des Kopfes bewirkt im Verlaufe der Geburt eine für jede 
Lage charakteristische typische Kopfform. 

Die den typischen Konfigurationen ähnelnden Kopfformen Erwachsener dürften 
meist nicht als erhaltene Konfiguration, sondern als ererbt oder durch länger an¬ 
dauernde intra- oder extrauterine Einflüsse erworben anzusehen sein. 


Physiologie. 

2) The subdivision of the representation of outaneous and musoular sensi- 
bility and of stereognosis in the oerebral oortax, by Charles K. Hills 
and T. H. Weisenburg. (Journ. of Nerv, and Ment Disease. 1906. Oktober.) 
Bef.: M. Bloch (Berlin). 

Das Material der vorliegenden Arbeit soll folgenden Schlüssen der Verff. als 
Grundlage dienen: 

1. Die kortikale Vertretung der Haut- und Muskelsensibilität ist unabhängig 
von den motorischen Centren; jene umlagert die motorische Zone und bildet ein 
Mosaik von Centren; jedes von diesen, bzw. Gruppen von ihnen stehen anatomisch 
und funktionell in Beziehung zu einem motorischen Centrum oder Gruppen von 
solchen. 

2. Jeder Muskel bzw. jede Muskelgruppe, die gesonderte kortikale Centren 
besitzt, hat topographische Beziehung zu einem Hautsegment, das gleichfalls ein 
bestimmtes kortikales Centrum besitzt, das anatomisch und funktionell mit dem 
motorischen Centrum enge Beziehungen unterhält. 

3. Auch der stereognostische Sinn hat, wie die Haut- und MuskelBensibilität 
und die motorische Funktion, seinen selbständigen kortikalen Sitz, der, wie jene, 
aus einer Zahl einzelner Zonen besteht. 

Zur Stütze obiger Thesen werden außer kritischer Beleuchtung einer Anzahl 
von Fällen aus der Literatur vier eigene Beobachtungen, davon eine mit Sektions¬ 
befund, mitgeteilt, die die Verteilung von Sensibilitätsstörungen der verschiedenen 
Qualitäten an den Extremitäten und besonders das Befallensein einzelner Teile 
und Segmente derselben von ihnen, das Freibleiben anderer illustrieren. Eine aus¬ 
führliche Mitteilung der einzelnen Fälle würde den Rahmen eineB Referates über¬ 
schreiten, es sei aber ausdrücklich auf das Studium des Originals verwiesen. 

3) Ein Nachweis von Intrakraniell verlaufenden, gefäßerweiternden und 
gef&ßverengernden Nerven für das Gehirn, von Ernst Weber in Berlin. 
(Centralbl. f. Physiol. XXI. 1907. Nr. 8.) Ref.: Kurt Mendel. 

Aus den des näheren im Original nachzulesenden Versuchen des Verf.’s ergab 
sich folgendes: 

1. Nach Durchsohneidung des Rückenmarkes oberhalb des Abganges der 
Vasomotoren (2. Brustwirbel) tritt bei elektrischer Reizung des centralen Teiles 


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des Rückenmarkes oder der Medulla oblongata immer eine Volum Vermehrung des 
Gehirns ein ohne Änderung des allgemeinen Blutdruckes oder der Pulsfolge. 

2. Die Volumänderung des Gehirns bei Reizung der centralen Enden der 
HalsBjmpathici, deren Durchschneidung erfolglos war, ist in ihrer Tendenz variabel, 
dauerhafter scheint die Wirkung des Eintretens der Volumzunahme des Gehirns 
zu sein. 

3. Die Wirkung der Sympathicusreizung auf das Hirnvolumen ist auch vor« 
banden nach Ausschaltung der eigentlichen sympathischen Fasern durch Nikotini- 
sierung des Ganglion supremum und auch noch nach vollständiger Zerstörung der 
Medulla oblongata, dagegen fällt sie weg nach Exstirpation des gleichseitigen 
Ganglion jugulare vagi. 

4. Die Wirkung der Sympathicusreizung auf das Hirnvolumen fällt weg 
nach Exstirpation des gleichseitigen Ganglion jugulare vagi. 

„Alles dies bedeutet, daß es intrakraniell verlaufende gefäßverengernde und 
gefäßerweiternde Nerven für das Gehirn gibt, die anscheinend von einem Hirn* 
teil abhängig sind, der centralwärts von der Medulla oblongata gelegen ist, und 
die über diesen Hirnteil reflektorisch sowohl vom Rückenmark als vom Kopfteile 
des durchschnittenen Halssympathicus aus erregt werden können. 


4) Zur Frage der Ursaohen der motorisohen Störungen bei Läsionen der 
hinteren Wurzeln und des Verlaufes 4er Kollateralen im Büokenmark, 

von Michael Lapinsky. (Archiv f. Psych. LII. 1907.) Ref.: G. Ilberg. 

Werden die hinteren Wurzeln zwischen dem Spinalganglion und dem Rücken¬ 
mark durchschnitten, so können in den Zellen der Clark eschen Säulen und im 
Neuron der Vorderwurzelzellen Veränderungen eintreten. Diese besahen in einem 
Aufquellen der Zellen, in einer Auflösung der Nissl-Körper und in einem Zerfall 
der chromatophilen Substanz des Protoplasmas, sowie in einer Konzentration der 
Bruchstücke dieser Körner am Kern der Zelle. Letzterer ist aufgequollen, in 
seiner Form verändert und vom Centrum der Zelle nach ihrer Peripherie gerückt. 

Die bedeutendste Länge und Dichtigkeit besitzen die kollateralen Zweige der 
einzelnen hinteren Wurzeln in derjenigen Etage, in der sich die betreffende hintere 
Wurzel im Rückenmark in zwei Arme teilt. 


5) Vergleichende Untersuchungen über den Einfluß des Sauerstoffes auf 
die Reflexerregbarkeit, von Albrecht Bethe. (Aus der Festschrift für 
J. Rosenthal. Leipzig 1906.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Die Untersuchungen des Verf.'s zielen auf die Beantwortung der Frage hin, 
ob die bei verändertem Gasstoffwechsel auftretende Steigerung der Reflexerregbar¬ 
keit . in Sauerstoffmangel oder Kohlensäureanreicherung, die Herabsetzung der 
Erregbarkeit in Sauerstoffreichtum oder Kohlensäureverminderuug - ihren Grund 
haben. Auf Grund einer Reihe zweckmäßig angeordneter Experimente kommt er 
zu dem Schluß, daß bei weitem die Hauptrolle dem Sauerstoff zuzuschreiben ist, 
und daß die Kohlensäure als interner Reiz gar keine oder eine sehr geringe 
Rolle spielt. 

Die Hauptergebnisse der Arbeit werden in folgenden Sätzen zusammengefaßt: 

1. Sauerstoffmangel ruft bei allen untersuchten Tierarten eine Steigerung der 
Erregbarkeit hervor; an diese schließt sich erst später ein Sinken der Erregbar¬ 
keit an. Je größer das Sauerstoffbedürfnis eines Tieres ist, desto schneller und 
deutlicher äußert sich diese Steigerung. 

2. Die bei Warmblütern zu beobachtenden Verblutungs- und Erstickungs¬ 
krämpfe beruhen nicht auf Kohlensäureretention, sondern auf Sauerstoffmangel, da 
sie am isolierten Rückenmark nicht bei der Atmung kohlensäurehaltigen Sauer¬ 
stoffes, wohl aber bei Wasserstoffatmung auftreten. Auch bei Kaltblütern treten 
Erstickungskrämpfe bei Sauerstoffentziehung ein, wenn der Sauerstoffverbrauch 

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durch Wärme gesteigert ist. Der Ausbruch der Erstickuugskrämpfe fällt mit dem 
Maximum der Erregbarkeitssteigeruug zusammen. 

3. Die Wirkung der Sauerstoffentziehung addiert sich beim Frosch zur 
Wirkung ganz schwacher Strychninvergiftungen, so daß Tetani zustande kommen, 
wo jede Schädigung allein keinen Tetanus hervorruft. 

4. Eohlensäureretention ruft im allgemeinen nur eine Depression der Erreg¬ 
barkeit hervor. Die Erregbarkeitssteigerung durch Kohlensäure bei der Atmung 
der Säugetiere und Vögel ist ein Spezialfall. 

5. Sauerstoffliberschuß im Gewebe setzt die Erregbarkeit gegen die Norm 
herab und macht alle Reaktionen träger, indem, wie mir scheint, die Wider¬ 
stände im Centralnervensystem verstärkt werden. Am deutlichsten zeigt sich dies 
Verhalten beim Fisch, Krebs und Blutegel. Beim Frosch ist die Sauerst offwirkung 
sehr gering. Beim Hund und Kaninchen hat Freusberg eine derartige Wirkung 
deutlich nachweisen können. Beim* Säugetier und Frosch ist von vornherein keine 
starke Wirkung gesteigerter Sauerstoffzuführung zu erwarten, da das Central - 
nervensystem unter normalen Verhältnissen nahezu sauerstoffgeBättigt ist. Sehr 
wirkungsvoll erweist sich dagegen die künstliche Zuführung von Sauerstoff bei 
den Tieren, hei denen im ganzen Körper und auch im CentralnervenBystem unter 
gewöhnlichen Verhältnissen Sauerstoffunterbilanz herrscht. 


Psychologie. 

6) Über Kontrastträume und spesiell sexuelle Kontrastträume, von Näcke. 

(Archiv f. Kriminalanthrop. etc. XXVIII. 1907. 19 S.) Autoreferat. 

Nachdem Verf. allgemeines über Träume gesagt hat, namentlich den charaktero- 
logischen Wert derselben bei Aufnahme von Serien und auch ihre Wichtigkeit bez. 
der Vita sexualis betont hat, definiert er Kontrastträume als solche, „die in schreiendem 
Kontrast zum gewöhnlichen Charakter stehen, also nicht solche, die dem gewöhnlich 
niedriger eingestellten Moralniveau entsprechen“. Man hat sie bisher wenig beachtet 
und Verf. sucht sie psychologisch zu erklären. Für gewöhnlich wird man zu unter¬ 
scheiden haben, „ob man annehmen soll, daß vorwiegend nur das „primäre Ich“ 
gereizt oder aber auch gleichzeitig das „sekundäre“ geschwächt wurde“. Ver¬ 
schiedene Ursachen lassen sich denken. Meist Bind es abnorme, und zwar große 
geistige oder körperliche Anstrengungen am Tage vorher, oder starke Affekte 
oder Erschütterungen. Andererseits gewisse Gifte, besonders Alkohol, Äther, 
Morphium, Absinth ubw., die wieder vorwiegend, aber kaum wohl allein, auf die 
Grundtriebe einwirken und sie erregen. Ob man dann hier von Atavismus reden 
kann, ist fraglich. Nun gibt es aber auch sexuelle Kontrastträume. Das sind 
solche, „die der gewöhnlichen Geschlechtsempfindung des Träumenden entgegen¬ 
gesetzt sind“; z. B. wenn ein durchaus Heterosexueller einmal homosexuell träumt usw. 
Beispiele. Hirschfeld hat nur einige Male heterosexuelle Träume bei Homo¬ 
sexuellen gesehen. Die Erklärung ist schwierig, die Hypothese von Ellis, daß 
Assoziationsbilder einen homosexuellen Traum bei normal Fühlenden erzeugen 
können, wäre erst noch zu beweisen. Verf. glaubt nicht daran. Er führt sie 
vielmehr auf zeitweiligen Durchbruch der latenten homosexuellen Komponente 
zurück, da die Anlage der Menschen jedenfalls eine bisexuelle ist. 


Pathologische Anatomie. 

7) Bulle alterasioni della sostanza retloolo-flbrillare delle oellule nervöse 
in alcuni malattie mentall, per C. Agostini e U. Rossi. (Giä Santucci 
1906, Perugia.) Ref.: Hübner (Bonn). 


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Es wurden mit den Methoden von Ramon y Cajal und Donaggio Stücke 
aus den Stirn*, Schläfen*, Scheitel* and Hinterhauptslappen untersucht. 

Es handelte sich um Fälle von chronischem Alkoholismus, Epilepsie, Dementia 
senilis, Pellagra, Angstmelancholie, Katatonie und progressiver Paralyse. 

Der Arbeit sind 8 Tafeln mit 46 Photographien beigegeben. 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Über einen Fall von Hypophysensarkom beim Pferde, von M. Wolff. 

(Inaug.-Dissert. Gießen. Berlin 1906, Schuhmacher.) Ref.: Dexler (Prag). 

Verf. ist es gelungen einen der bei den Tieren so überaus seltenen Tumoren 
der Hypophyse zu beobachten. Es handelte sich um ein Pferd, das Verf. seit 
4 Jahren kannte. Es hatte dummkollerartige Erscheinungen gezeigt, die langsam 
Zunahmen, allmählich eine völlige Entwertung des Tieres herbeiführten, und die 
sich bei genauerer Analyse in eine ganze Reihe von Einzelsymptomen besonderer 
Art auf lösen ließen. Es bestand Schlafsucht, durch die ohne Zweifel beim Pferde 
auch der Kopfschmerz znm Ausdrucke gebracht wird. Bis nahe gegen das Lebens¬ 
ende war die Somnolenz von keiner sonstigen Bewußtseinsstörung begleitet. Trotz 
der anscheinend sehr großen Schläfrigkeit reagierte das Tier auf äußere Reize 
prompt und in normalem Grade. Daneben wurde konstatiert: cerebrales Er¬ 
brechen, Stauungspapille, Verminderung der Puls* und Atemfrequenz und in den 
letzten Lebenswochen einseitige Ptosis. Erst später kam es auch zu einer stetig 
zunehmenden Herabsetzung des Bewußtseins, der im vorgerückten Stadium auch 
eine Beeinträchtigung der Intelligenz folgte. 

Das Pferd starb spontan und die Sektion deckte ein großes Rundzellensarkom 
auf, das von der Hypophyse ausging und vom Pons bis zum Chiasma reichte und 
sowohl in das Keilbein wie auch in den linken Seitenventrikel hineingewuchert 
war. Hydrocephalus internus unilateralis höheren Grades. 

Durch den Umstand, daß Verf. keine einzige der modernen für das Nerven¬ 
system spezifischen Tinktionen angewendet hat, blieb die Ausbeute des schönen 
Falles naturgemäß nur eine unvollständige. 

9) Effettl delle iuiezioni del suooo d’ipoflsi sull* aooresoimento somatioo 

(zwei Mitteilungen), per Ugo Cerletti. (Rendiconti della R. acad. dei lincei 

Roma 1906.) Ref.: Hübner (Bonn). 

Verf. steht auf dem Standpunkt, daß die Akromegalie infolge von Hyper* 
funktion der Hypophyse entstehe (Tamburini). Zur Prüfung dieser Hypothese 
hat er eine Reihe von Tierversuchen angestellt. 

Es wurden Gruppen von mehreren gleichschweren Tieren (Kaninchen, Hunden 
usw.) in einem Käfig zusammen untergebracht und in gleicher Weise ernährt, so 
daß die äußeren Lebensbedingungen bei jeder Gruppe die gleichen waren. 

Den zu injizierenden Extrakt ließ Verf. aus den Hypophysen junger Lämmer 
herstellen (Genaueres ist im Original nachzulesen). Die Injektion der Flüssigkeit 
erfolgte intraperitoneal, da subkutane Einspritzungen nicht resorbiert wurden oder 
weil es dabei zur Abszeßbildung kam. 

An einer Reihe von Diagrammen, sowie an anatomischen Präparaten, die er 
photographiert hat, glaubt Verf. den Erfolg der Injektionen zeigen zu können. 

Das Körpergewicht der Versuchstiere nahm sehr bald ab, bis es einen be* 
stimmten Punkt erreicht hatte. Parallel damit ging eine Verkürzung der Röhren¬ 
knochen. An den Epiphysen dagegen stellte sich eine Verdiokung ein. 

Die Untersuchungen der übrigen Organe haben keine positiven Befunde er¬ 
geben. Nur in den Hypophysen glaubt Verf. eine Vermehrung der eosinophilen 
Zellen gesehen zu haben. 

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10) Sur un oas de gigantisme pröoooe aveo polysaroie exoeraive, par 

Parbon et Zalplacta. (Nouv. Iconogr. de la SalpetriÄre. 1907. Nr. 1.) 

Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

Ein Knabe von 16 Jahren, dessen Hutter sehr fett war und dessen Onkel 
mütterlicherseits einen Typ des akromegalen Riesenwuchses darbot. Bei dem 
Kranken sollen die Erscheinungen gegen Ende des 4. Jahres aufgetreten sein, in 
welchem Jahre er erst laufen lernte. Der Kranke ist 1,75 m groß, keine Pro- 
gnation oder sonst kein Zeichen von Riesenwuchs. Der Rumpf ist sehr fettreich, 
die Mammae hängen nach unten. Der Bauch ist ebenfalls sehr fett, die Linea 
alba weist eine Menge feiner, dünner Haare auf. Eine Prüfung der Genitalien 
läßt er nicht zu, er errötet, wenn man ihn darnach fragt. Die Extremitäten sind 
sehr groß, aber vollkommen normal entwickelt. Gewicht 246 kg, keine auffallen¬ 
den psychischen Störungen. 

Verf. meint, daß die Polysarcie und der frühzeitige Riesenwuchs durch 
Störungen der Hypophysis zustande gekommen seien. Er belegt diese Anschauung 
durch zahlreiche Beispiele aus der Literatur. 

11) Sexual infantilism with optie atrophy in oases of tumor affecting the 

hypophysis oerebri, by Harvey Cushing. (Journ. of Nerv, and Ment Dis. 

1906. November.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

I. 16jähriges Mädchen leidet seit Jahren an Kopfschmerzen, die in letzter 
Zeit an Intensität zugenommen haben und von Übelkeit und Erbrechen begleitet 
waren. Patientin ist von infantilem Habitus, hat nie menstruiert Seit einem 
Monat Sehschwäcbe. Die Haut ist wachsartig, Hände und Füße leicht ödematös. 
Blutbefund negativ, Harn frei. 2 Monate nach der Aufnahme wird doppelseitige 
Stauungspapille konstatiert, die Sebstörung nimmt progressiv zu, das Bewußtsein 
ist zeitweilig getrübt. Keine Hemianopsie, Gesichtsfeld beiderseits konzentrisch 
verengt. Patientin wird mehreren (3) palliativen Trepanationen unterzogen, bei 
denen eine Herderkrankung nicht nachgewiesen werden kann, jedesmal aber er¬ 
heblich gesteigerter Hirndruck konstatiert wird. Nach der zweiten Trepanation 
erhebliche subjektive Besserung. Nach der dritten Spasmen in allen Extremitäten, 
Bewußtlosigkeit, die 6 Wochen andauert. Tod an Inonition und Sahluckpneumonie. 
Bei der Autopsie fand sich ein Teratom von Wallnußgröße zwischen den Hirn- 
Schenkeln und der Sehnervenkommissur, intradural gelegen. 

Verf. nimmt an, daß es sich um einen sehr langsam wachsenden kongenitalen 
Tumor gehandelt hat, der Jahre hindurch keine anderen Symptome als gelegent¬ 
lich auftretende Kopfschmerzen und durch Druck auf die Hypophysis Störungen 
der sexuellen Entwicklung gezeitigt hat; die schließlich aufgetretenen schweren 
Erscheinungen waren hauptsächlich auf Rechnung des Hydrocephalus internus zu 
setzen. 

II. 26jährige Patientin, die nur einmal in ihrem 14. Lebensjahre eine 
menstruelle Blutung gehabt hat, leidet seit dem 16. Jahre an Kopfschmerzen, die 
in den letzten Jahren fast konstant und heftiger aufgetreten sind und in der 
letzten Zeit besonders die rechte Kopfseite befallen. Seit 4 Jahren Amaurose 
links, in der letzten Zeit Abnahme des Sehvermögens auf dem rechten Auge. 
Seit 3 Jahren hin und wieder Schwindel&nfälle mit visuellen Halluzinationen. 
Objektiv beiderseits Opticusatrophie, links weiter vorgeschritten; rechts erhebliche 
Einschränkung des Gesichtsfeldes, Hypiisthesie im ganzen rechten Trigeminus, 
Geruchsvermögen r. < 1. Eine im März 1906 vorgenommene doppelseitige Kraniek- 
tomie war von wesentlicher Besserung gefolgt, die Kopfschmerzen nahmen wesent¬ 
lich ab, das Sehvermögen besserte sich, die Trigeminussymptome schwanden. Die 
Besserung war noch ein Jahr nach der Operation zu konstatieren; subjektiv war 
das Befinden der Patienten wesentlich besser, die Kopfschmerzen waren fast völlig 
geschwunden, das Gesichtsfeld hatte sich erheblich erweitert (auch für Farben). 

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Alle 4 Woehen treten jetzt eigentümliche, etwa 4 bis 5 Tage anhaltende Sensa* 
tionen auf, Wallungen mit Sehstörungen, Sehmerzen in der Gegend der Ovarien, 
allgemeines Unbehagen. Eine Röntgen-Untersuchung ergab einen Schatten an der 
Schädelbasis in der Gegend der Sella turcica. Verf. nimmt an, daß es sich um 
einen dem Fall I ähnlichen Prozeß handelt. 

12) Wachstumsanomalien bei der temporalen Hemianopsie, bsw. den 
Hypophysisaffektionen, von Uhthoff. (Vortrag auf der 34. Versammlung 
der ophthalmolog. Gesellschaft zu Heidelberg, August 1907.) Ref. nach der 
Deutschen med. Wochenschr. 1907. Nr. 38 von Kurt Hendel. 

Vortr. berichtet über drei Patienten mit Hypophysistumoren, enormer Adi¬ 
positas universalis, verkümmerten Genitalien (letzteres nicht Ursache der Adipositas, 
da die Fettsucht schon weit in die Kindheit zurückreicht). In zweien dieser Fälle 
Gigantismus, in einem Infantilismus. Ursache dieser differenten trophischen Störungen 
kann das Vorhandensein einer Hyper-, bzw. einer Hypofunktion der Hypophysis 
in den verschiedenen Fällen sein. 

18) Übor Akromegalie, von Prof. Westphal. (Deutsche med. Wochenschrift. 
1907. Nr. 22.) Ref.: R. Pfeiffer. 

In der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn 
demonstrierte Vortr. einen Patienten mit Akromegalie. Doppelseitige Stauungs¬ 
papille, Krampfanfälle und Apathie lassen mit größter Wahrscheinlichkeit die 
Diagnose Tumor cerebri stellen. Vielleicht sitzt der Tumor an der Hypophysis, 
da anscheinend (?) bitemporale Hemianopsie besteht. Das Röntgen-Bild zeigt 
keine Vertiefung und Ausbuchtung der Sella turcica. 

14) Über eine Kombination von Akromegalie und Myxödem, von Auer¬ 
bach. (Wiener klin. Rundschau. 1907. S. 85.) Ref.: Pilcz (Wien). 

16 x / a jähriger Bursche, seit dem 10. Jahre häufig Stirnkopfschmerzen (ohne 
Erbrechen); Pat. nahm seither auffallend zu, ward apathischer, schwerfälliger, der 
Intellekt nahm ab. Seit einigen Monaten habe sich der Kranke öfters verbrannt 
oder geschnitten, ohne dabei Schmerz empfunden zu haben. 

Status praes. vom 27./VIL 1905: Körpergewicht 116kg(!), Größe 170 cm 
(16V a J & hre!). Unterkiefer deutlich stärker entwickelt. Haut im Gesichte und 
am Rumpfe trocken, an den Händen, Füßen, in den Achselhöhlen und Leisten¬ 
gegend schwitzt Pat. stark. Haut und subkutanes Gewebe im allgemeinen derber 
anzufühlen, am Halse, Über den Vorderarmen und Händen in Falten abhebbar 
und dünner und weicher. Hirnnerven bieten nichts besonderes. Schilddrüse nicht 
palpabel. Hände und Füße sehr groß und fleischig, „verbreiterte, massive 
akromegalische Hand“ (Sternberg). Vollständige allgemeine Analgesie (Nadel¬ 
stiche nur als Berührung empfunden). Kalt und warm wird deutlich unterschieden; 
überhaupt Sensibilität sonst in jeder Hinsicht normal. Patellar- und Achilles¬ 
sehnenreflexe rechts etwas <, links normal. Puls 80. Motilität normal, nur 
erfolgen die Bewegungen im allgemeinen langsam und träge. Pubes normal. 
Penis und Hoden größer als dem Alter entsprechend, aber proportional dem 
Körperumfange. Pat. hat noch keine Erektion und keine Pollution gehabt. Harn 
befundlos. Merkliche intellektuelle Abschwächung. Thyreoidintherapie und kohlen¬ 
saure Thermalbäder. 

4./IX. 1905. Psychisch total verändert, heiter, aufgeweckt. Gewicht 111,6 kg. 
Von der Analgesie waren jetzt frei: Volaraeiten beider Hände, Gesicht, Glutäal- 
gegend und Hinterfläche beider Beine. Puls 100. Röntgen-Untersuchung ergab 
deutliche Vertiefung der Sella turcica, gleichmäßige Verbreiterung der Knochen 
der Hände und Füße, keine Exostosen. 

Mit der Thyreoidinbehandlung wurde, nachdem zunächst die Dosis verringert 
worden war, 5 Wochen ganz ausgesetzt. 

20./XI. 1905. Gewicht 118 kg. Pat. ist wieder schwerfälliger geworden. 

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Sensibilität normal; schon vorher war unter faradischer Pinselung die Analgesie 
ganz geschwunden. 

Es wird wieder Thyreoidin gegeben. 22 Tage später ist Patient deutlich 
munterer, hat um 0,5 kg ahgenommen. 

In den epikritischen Bemerkungen erörtert Verf. zunächst das Verhalten der 
Sensibilität, wobei er annimmt, daß „lediglich die cerebrale, kortikale Komponente 
der Schmerzempfindung versagte“. 

Was die Frage der Kombination von Akromegalie und Myxödem im vor¬ 
liegenden Falle anbelangt, so glaubt Verf., mit großer Wahrscheinlichkeit der 
Akromegalie folgende Symptome zurechnen zu können: 1. die im Verhältnis 
exorbitanten Körpermaße, 2. den radiologisohen Befund, 3. die stellenweise vor¬ 
handene Hyperhidrosis. 

Zugunsten des gleichzeitigen Myxödems sprechen: 1. das psychische Ver¬ 
halten, 2. die Wirkung der Thyreoidinmedikation, durch welche andererseits die 
akromegalischen Symptome in keiner Weise beeinflußt wurden, 4. das (palpatorisch- 
konstatirbare) Fehlen oder wenigstens die hochgradige Atrophie der Schilddrüse. 

Endlich ist die an verschiedenen Körperstellen differente Beschaffenheit der 
Haut zu berücksichtigen, welche an den Oberarmen, am Bumpfe und an den 
Beinen myxödemartig ist. 

15) A oase of epilepsy assooiated with aoromegaly, by William T. Sha- 

nahan. (Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1907. Mai.) Bef.: M. Bloch. 

Mitteilung eines Falles von Akromegalie bei einer 31jährigen Frau; die Akro¬ 
megalie war im Alter von 22, die Epilepsie im 26. Lebensjahre aufgetreten. 
Augensymptome bestanden nicht. 

16) Aoromegalie sann gigantisme, par Henri Claude. (L’Encöphale. 1907. 

März.) Bef.: Baumann (Ahrweiler). 

Verf. berichtet über einen Fall von Akromegalie, bei dem eine periodische 
Schwellung der Schilddrüse mit heftigen Kopfschmerzen und frequenter Atmung 
auftrat; ferner bestand ein Mißverhältnis zwischen der Volumzunahme des Ge- 
siebtes und der Extremitäten derart, daß lediglich eine Veränderung der Gesichts¬ 
knochen eintrat. Die Krankheit begann im 16. Lebensjahr und hatte keine 
Tendenz sich zu verschlimmern. Wahrscheinlich waren bei Beginn der Krank¬ 
heit die Knorpel bereits fest verbunden, weshalb sich die Krankheit in der Sich¬ 
tung nach der Akromegalie weiterentwickelte, nicht aber in der Sichtung des 
Biesenwuchses. Der Grund für das vorzeitige Verknöchern der Epiphysenknorpel 
soll nach Ansicht des Verf.’s auf einer Dystrophie des Knochengewebes beruhen. 

17) Erfolgreiche Operation eines Hypophysentomors auf nasalem Wege, 

von Schlöffer. (Wiener klin. Wochenschrift. 1907. S. 621 u. 670.) 

Bef.: Pilcz (Wien). 

30jähriger Mann, seit etwa 7 Jahren Kopfschmerzen, seit 2 Jahren sehe er 
schlechter, vor 6 Jahren begannen die Haare auszufallen. Seit Beginn des Jahres 
1906 enorme Steigerung der Kopfschmerzen, zeitweise von Schwindel, Ohrensausen, 
seltener von Erbrechen begleitet. Seit Februar 1906 plötzlich einsetzende bitem- 
porale Hemianopsie. Die Potenz hat im Verlaufe der Krankheit gelitten, die 
Hoden sollen kleiner geworden sein. Leichte rechtsseitige Fazialisparese, Per¬ 
kussionsempfindlichkeit der Stirnhöcker (besonders rechts) und des rechten Scheitel¬ 
beines. Allgemeine Asthenie. Fundus normal, bitemporale Hemianopsie. Böntgen- 
Untersuchung ergab eine deutliche Erweiterung der Sella turcica zu einer fast 
nußgroßen Höhle. (Abbildung im Texte.) 

Die genaue Schilderung der Operation (der Tumor erwies sich als Adenom) 
möge im Originale nachgelesen werden. Keine Meningitis. 

Irgendwelche Ausfallserscheinungen, welche auf den Verlust von Hypophysen¬ 
gewebe zu beziehen wären, sind nicht aufgetreten. 

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Der Kranke war in ungestörtem Wohlbefinden 8 Wochen nach der Operation 
der Innsbrucker wissenschaftlichen Ärztegesellschaft vorgestellt worden. Als inter¬ 
essante Einzelheit ergab sich nachträglich, daß seit kurzem dem Kranken ein 
dichter Flaum an den unteren Teilen der Backe sprießt. 

Verf. meint, daß durch die Operation die Funktionsverhältnisse an der Hypo¬ 
physe in günstigem Sinne beeinflußt wurden, und stellt eine spätere ausführlichere 
Arbeit über diesen Fall in Aussicht. 

18) Weiterer Bericht über den Fall von operiertem Hypophysentumor. 

Plötzlicher Exitus letalis 2 1 /, Monate nach der Operation, von Schloff er. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 1075.) Bef.: Pilcz (Wien). 

Der am 16. März operierte Fall von Hypophysentumor (vgl. vor. Beferat) 
hot am 17. Mai 1907 folgenden Befund: Keinerlei subjektive Beschwerden; Inner¬ 
vationsverhältnisse der Hirnnerven normal bis auf die durch die Operation be¬ 
dingte Störung der Geruchsempfindung (r. < 1.) und der Sensibilität im Gebiet 
des Trigeminus an der Nasenwurzel, sowie entsprechend der linken Nasenhälfte 
bis an die Operationsnarbe. Bei extremer Blickrichtung nach rechts gekreuzte 
Doppelbilder. Bitemporale Hemianopsie. 

Haut im Gesicht an Myxödem erinnernde Behaarung wie vor der Operation, 
unter dem Kinn zarter Nachwuchs. 

Am 22. Mai Kopfschmerzen, Erbrechen; nach laxativer Therapie wieder Wohl¬ 
befinden, ebenso ging ein ähnlicher Anfall 3 Tage später rasch vorüber. Am 
29. Mai sehr starke Kopfschmerzen, Pulsverlangsamung, Erbrechen. Der Zustand 
hält an (Sensorium frei). Um 2 Uhr Nachts des 31. Mai wird Pat. unruhig, bald 
darauf bewußtlos, Pupillen starr, weit, Atmung und Puls verlangsamt. Es zessierte 
zuerst Atmung, dann Herztätigkeit Um 5 Uhr früh Exitus. 

Die Sektion ergab u. a.: chronischer Hydrocephalus internus der Seitenventrikel 
infolge Vordringens eines Hypophysenödems in das Gebiet des Foramen Monroi 
und durch das Genu corpor. callosi. Anämie und ödem des Gehirns. Hypoplasie 
der Nebenniere und der Hoden und Samenbläschen mit Aspermie derselben. Hypo- 
triohie. 

Zwei Abbildungen im Texte veranschaulichen den Befund, der in extenso im 
Original nachgelesen werden möge. 

Die epikritischen Bemerkungen sind wesentlich chirurgisch-technischer Art 
Verf. betont auch den überraschend günstigen Erfolg des Elingriffes in Hinsicht 
auf das subjektive Befinden des Kranken trotz des großen Bestes bei der Operation 
zurückgelassener Tumormassen. 

19) Untersuohongen über das Böntgen-Bild der normalen Halswirbelsäule 

und die daraus für die Böntgen-Diagnostik der Halswirbelsäulen* 

Verletzung abzuleitenden Folgerungen, von C. Ossig. (Monatsschrift f. 

Unfallheilk. 1907. Nr. 3.) Bef.: Kurt Mendel. 

Verf. macht an der Hand seiner Böntgenbilder der normalen Halswirbel¬ 
säule auf die Schwierigkeit der Deutung dieser Böntgen-Bilder in normalen nnd 
pathologischen Fällen aufmerksam. Zuweilen ist es nicht möglich, auf dem Böntgen- 
bild eine Veränderung an der Halswirbelsäule zu erkennen, während die klinisohen 
Erscheinungen keinen Zweifel auf kommen lassen, daß eine Verletzung der Hals¬ 
wirbelsäule vorliegt. Ein negativer Untersuchungsbefund beweist nicht, daß keine 
Verletzung vorliegt. 

20) Eine typische Erkrankung der Wirbelsäule. Insuffloientla vertebrae, 

von A. Schanz. (Berl. klin. Woch. 1907. Nr. 31.) Bef.: Bielschowsky 

(Breslau). 

Verf. beobachtete eine große Anzahl von Patienten beiderlei Geschlechts und 
jeden Alters, meist jedoch zwischen 20 und 45 Jahren, deren verschiedenartigste 
Beschwerden durch den Nachweis einer „Insufficientia vertebrae“ eine Erklärung 

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fanden. Die Patienten klagen gewöhnlioh über Stuhlverstopfung, Appetitlosigkeit, 
Schmerzen in der Magengegend, in der Brost, im Kopf, besonders im Hinterkopf, 
über Schlaflosigkeit; bei Frauen erfahren die Beschwerden zurzeit der Menstruation 
oder kurz vorher eine Steigerung. Klagen über Rückenschmerzen sind selten. 
Körperliche oder geistige Anstrengung sowie psychische Affektionen führen eine 
Verschlimmerung des Zustandes herbei, nach Ruhe tritt Besserung ein. Als 
ursächliche Momente für das Zustandekommen der Erkrankung finden sich an* 
amnestisch häufig Erkrankungen, die den Allgemeinzustand des Patienten herunter* 
gedrückt haben, z. B. schwere Bleichsucht und Blutarmut, schnell aufeinander 
folgende Entbindungen; manche Frauen gaben an, daß die Beschwerden sich ein¬ 
gestellt, nachdem sie das früher gewöhnte Korsett abgelegt hätten. Mitunter 
findet sich in der Anamnese ein Trauma. 

Der Befund an den inneren Organen ist negativ, auch tun die schmerzenden 
Stellen bei Druck nicht weh. Dagegen findet man in allen Fällen schmerzhafte 
Wirbel. Besonders häufig ist die Mitte der Brustwirbelsäule und der untere 
Teil der Lendenwirbelsäule beim Beklopfen schmerzhaft. Doch sind andere Lokali¬ 
sationen nicht ausgeschlossen. Fast ausnahmslos findet sich aber eine Druck¬ 
empfindlichkeit der Lendenwirbelkörper vom Abdomen aus; ja mitunter ist nur 
diese allein zu konstatieren. 

Außerhalb der Wirbelsäule recht häufig Druck- und Klopfempfindlichkeit an 
den Rippen und am Becken. 

Keinerlei erhebliche Veränderungen der Wirbelsäule, kein Gibbus, keine aus¬ 
gesprochene Kyphose oder Skoliose. Der Röntgen-Befund negativ. 

Verf. gibt nach ausführlicher Besprechung der Differentialdiagnose — Nervo¬ 
sität, Hysterie, Spondylitis tuberculosa, chronisch-rheumatische Erkrankungen der 
Wirbelsäule, KümmelBche Deformität — eine Erklärung des Krankheitsbildes, 
die ausgeht von anamnestisch fast immer nachweisbaren Momenten, die geeignet 
• sind, die Tragkraft der Wirbelsäule zu schwächen oder eine höhere Traginanspruch¬ 
nahme der Wirbelsäule zu bedingen. Dann vergleicht er die Beschwerden, die 
der Plattfuß macht, mit denen der Insuff, vertebr. und weist auf gewisse Ähnlich¬ 
keiten im anatomischen Bau des Fußes und der Wirbelsäule hin. In beiden Fällen 
geht die statische Inanspruchnahme über die statische Leistungsfähigkeit hinaus. 

Therapeutisch kommt in erster Linie eine Verminderung der Belastung durch 
Stützapparate in Betracht; zur Erhöhung der Tragfähigkeit der Wirbelsäule wird 
Massage und Gymnastik empfohlen, ebenso lokale Wärmeapplikation. Prognose 
ist sehr günstig bei zweckmäßiger Kur. 

21) Sur un oas de rhumatisme ohroniqu© vertebral, par Raymond et 

Babonneiz. (Nouv. Icon, delaSalp. 1907. Nr. 1.) Ref.: E.Bloch (Kattowitx). 

Paraplegia dolorosa sind bei Krebs und Tuberkulose der Wirbelsäule ge¬ 
nügend bekannt. Erst in neuester Zeit sind Fälle veröffentlicht worden — dem 
Beispiel von Senator folgend —, welche zeigen, daß Paraplegie und überhaupt 
das Ergriffensein deB Nervensystems auch bei anderen Erkrankungen der Wirbelsäule 
Vorkommen kann. Der Fall der Verff. gehört dazu. 

Eine 28jähr. Maschinistin, bei welcher außer Kinderkrankheiten keine andere 
Erkrankung vorlag. Mit 18 Jahren Eintritt der Regel, welche plötzlich, ohne 
jede Vorboten, und ziemlich stürmisch einsetzte. Zugleich verspürte sie eine 
Schwäche in den Beinen, welche sich dermaßen steigerte, daß sie zu Bett liegen 
mußte; auch verspürte sie ein Gefühl von Schwere im Kreuz. In die Salpetri&re 
aufgenommen, fand man die Bein-, Hüft- und Kniegelenke vollständig frei (Nar¬ 
kose), dagegen waren im wachen Zustande die drei Gelenke so vollständig immo¬ 
bilisiert, daß die Beine förmlich einen Stock bildeten, ebenso war die Schulter 
fixiert. Eine leichte Krümmung der Wirbelsäule wurde damals bereits festgestellt. 
Man hielt die Kranke für eine Hysterika, behandelte sie demgemäß, und nach 

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3 Monaten erlangte sie die Bewegungsfreiheit ihrer Extremitäten wieder, so daß 
sie entlassen werden konnte. Sie ging ihrem Beruf wieder ohne Störung nach, 
ja sie besuchte sogar Tanzvergnügungen. Allmählich aber stellte sich wieder 
dieselbe Schwäche wie vor 5 Jahren ein und sie wurde wieder in die Salpetrige 
aufgenommen. 

Status: Patientin steht, den Kopf vornübergebeugt, Knie flektiert, auf den 
Fußspitzen. Bei passiven Bewegungen eines Oberschenkels bewegt sich das Becken 
und der Oberschenkel der anderen Seite mit. Die Wirbelsäule ist stark ge¬ 
krümmt, den Gipfelpunkt bildet der 7. bis 10. Brustwirbel, der Bauch bildet da¬ 
durch einen Wulst, der über die Gegend der Symphyse prominiert. Es ist auch 
eine gewisse Drehung der Wirbelsäule vorhanden, welche dem Thorax eine ge¬ 
wisse Schiefheit verleiht. Regio cervicalis frei, der Kopf wird nach allen Rich¬ 
tungen hin gut bewegt. Die Wirbelsäule von unten bis zum Ende der Brust¬ 
wirbel vollkommen steif, ebenso beide Hüftgelenke, die Oberschenkel stehen in 
Abduktion und Flexion und sind nach außen rotiert. Die Stellung ist unmöglich 
zu korrigieren. Nach ungefähr 14 Tagen ist die Kranke imstande, ihre Unter¬ 
schenkel fast frei zu bewegen. Fuß* und Zehengelenke intakt, die Bewegungen 
der Hände und Arme sind ebenfalls völlig intakt, nur ermüdet die Kranke leicht. 
Nach 2 Monaten gehen auch die Fixationen im Hüftgelenk zurück, so daß die 
Kranke sich ohne Hilfe erheben und aufstehen kann, gehen kann sie aber nur 
mit Unterstützung. Keine Sphinkterenlähmung, keine Schmerzen, keine Sensi- 
bilitätsstörung, nur die MuskelmasBen sind verändert, die Unterschenkel haben 
eine cylindrische Form, zeigen aber keine Veränderung der elektrischen Erregbar¬ 
keit. Haut ohne trophische Läsionen, die Gelenke zeigen in der Narkose kein 
Krachen, keine Exostosen usw. Kein hysterisches Stigma. Im Anfang ihres 
Krankenhausaufenthaltes leichter Tremor der Hände, Zunge und Lippen und 
Nystagmus horizontale, welches sich aber alles später verlor. Die Patientin ver¬ 
blieb 1 ] s Jahr im Krankenhause, kam im Jahre 1905 jedoch wieder mit den 
Zeichen einer Herzinsufficienz. Sie starb nach 8 Tagen. Die Erscheinungen an 
den Extremitäten waren* wieder genau dieselben wie vor ihrer Aufnahme 1898. 

Autopsie: Die Mehrzahl der Eingeweide waren mit einer Scheide von 
fibrösem Gewebe umgeben, ebenso die Wirbelsäule. Hier sei von dem sehr aus¬ 
führlich gehaltenen Sektionsprotokoll nur das wichtigste wiedergegeben: Verände¬ 
rung der Drüsen mit innerer Sekretion: Aplasie des Ovariums und der Niere 
(Malpig hi sehe Körper), der Thyreoidea, Nebennieren und der Glandula pitnitaria. 
Ferner eine Aplasie der Aorta; dieselbe erreicht kaum Kinderfingerdicke. Ver¬ 
änderungen der Wirbelsäule: um die Wirbelsäule herum existiert eine lamelläre 
Bindegewebsscheide, die aus zwei Lagen besteht, welche zwischen sich fassen eine 
Schicht fettiger Zellen. Die Intervertebralknorpel sind vollständig verknöchert, 
ebenso sind die Hüft- und Kniegelenke von einer dicken, fibrösen Scheide um¬ 
geben, sind aber nicht verknöchert. In den Muskeln und nervösen Centralorganen 
nichts abnormes zu konstatieren. Die mikroskopische Untersuchung der Wirbel¬ 
säule ergab eine einfache Substitution der Zwischenwirbelscheiden durch Knochen¬ 
massen. 

Verf. erörtert zum Schluß der sehr genauen Arbeit die Differentialdiagnose. 
In Frage kommen die heredo-traumatische Kyphose, die Spondylosis traumatica 
und die Spondylosis rhizomelica von Marie. Trotz der Verschiedenheit von der 
letzteren — ausschließliches Betroffensein des männlichen Geschlechtes, Lebens¬ 
alter, Schmerzen, Muskelatrophien — entscheiden sich die Verff. für die Marie- 
sehe Krankheit. Sie meinen, daß man am Nervensystem nichts besonderes gefunden 
hätte, daran sei das verhältnismäßig jugendliche Alter der Patientin schuld, in 
dem sie zugrunde gegangen sei. 

22) Über die klinischen und pathologisch-anatomischen Besonderheiten 

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der nervösen Form der Steifigkeit und der Ankylose der Wirbel¬ 
säule und ihre Behandlung, von Prof. Dr. W. v. Bechterew. (Monatsschr. 

f. Psych. u. Neur. XXI. 1907. S. 527.) Ref.: H. Vogt. 

Verf. erinnert an die seit 1892 von ihm als „Steifigkeit der Wirbelsäule“ 
beschriebene Krankheitsform, die folgende Granderscheinungen aafweist: 1. mehr 
oder weniger ausgesprochene Unbeweglichkeit oder wenigstens erschwerte Be¬ 
weglichkeit der ganzen Wirbelsäule oder eines Teiles derselben bei Fehlen stärkerer 
Empfindlichkeit gegenüber Perkussion oder Beugung; 2. bogenförmige Verkrümmung 
der Wirbelsäule nach hinten, vorzugsweise im oberen Brustteil, wobei der Kopf 
ein wenig vorgestreckt und gesenkt erscheint; 3. paretischer Zustand der Musku¬ 
latur des Rumpfes, des Halses und der Extremitäten, größtenteils verbunden 
mit geringer Atrophie der Rücken- und Schulterblattmuskeln oder Anzeichen von 
Degeneration; 4. Abschwächung der Costalatmung und Überwiegen der Abdominal¬ 
atmung; 5. Abstumpfung der Sensibilität, vor allem im Verbreitungsgebiet der 
Hautäste der Rücken-, unteren Hals-, manchmal auch der Lendennerven; 6. mannig¬ 
faltige, nicht immer gleich stark ausgesprochene Reizerscheinungen seitens der 
genannten Nerven in Gestalt von Hyperästhesien, Parästhesien und Schmerzen im 
Rücken, am Halse, im Bereiche der Extremitäten und der Wirbelsäule, in letzterer 
besonders bei längerem Sitzen. Durch diese Merkmale unterscheidet sich die 
Bechterewsche nervöse Form von der namentlich von Strümpell und Marie 
beschriebenen ankylotischen Form. Die Unterschiede gründen sich auf Ätiologie 
und Verlauf, wobei in letzterer Beziehung zu betonen ist, daß die Strümpellsche 
Form mehr einem abgelaufenen Prozeß, die Bechterewsche Form dagegen eine 
fortschreitende Krankheit mit ausgesprochenen Perioden der Reizung darstellt. 
Die pathologische Anatomie der nervösen Form hat ergeben: Auflockerung der 
Knochen der Wirbelsäule, Porosität ihrer Knochensubstanz, Verschmächtigung und 
Atrophie des Knorpelbelages der Wirbel, besonders an ihren vorderen Teilen bei 
Fehlen von Exostosen und Verwachsungen der Wirbel, chronische Entzündung 
der weiohen Rückenmarkshäute, bestehend in Verdünnung derselben, Degeneration 
der Nervenwurzeln (insbesondere der hinteren), Atrophie und Degeneration der 
Zellen der Spinalganglien und zerstreute Faserdegeneration der weißen Substanz 
des Rückenmarks von offenbar sekundärem Charakter; dazu kommt vor allem als 
negatives Moment das Fehlen hyperplastischer Vorgänge an den Knochen und 
namentlich Mangel wirklicher Ankylose. Verf. betont, daß die von ihm be¬ 
schriebene Krankheit sich klinisch wie pathologisch - anatomisch genau um¬ 
schreiben lasse. 

ln therapeutischer Hinsicht hebt Verf. hervor, daß, wenn auch beide Formen 
nicht nur der Besserung fähig seien, sondern sogar zum Stillstand gebracht werden 
könnten, doch die zu treffenden Maßnahmen entgegen der meist verbreiteten 
Ansicht für beide Formen eine verschiedene Richtung einschlagen müssen. Die 
Prognose der nervösen Form ist nun allerdings weniger günstig als die der 
anderen, insbesondere erweisen sich <lie schweren Reizerscheinungen im Gebiete 
des Rumpfes und der Extremitäten in hartnäckigen Fällen Behr schwer beeinflußbar. 
Die Therapie, die hier hauptsächlich in schmerzstillenden Mitteln besteht, wird 
erörtert. Außerdem und namentlich in den leichteren Fällen kommen vor allem 
resorbierende Mittel in Betracht, die näheren therapeutischen Vorschläge sind im 
Original nachzulesen. 

23) Die ohronisohe Steifigkeit der Wirbelsäule, von Arthur Krause. 

(Inaug.-Dissert. Berlin 1905.) Ref.: P. Lissmann (München). 

Verf. hat 77 Fälle der chronischen Steifigkeit der {Wirbelsäule bzw. der 
Spondylose rhizomölique zueam mengestellt und beweist, daß die Scheidung in den 
Bechterewschen und Strümpell-Marieschen Typus unberechtigt ist; denn er 
fand Beteiligung des Schulter-, Hüft-, Kniegelenks und anderer Gelenke in vielen 


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Köllen des Bechterewschen Typus, andrerseits erhebliche Nervenstörungen bei der 
Strümpell-Marieschen Form in zahlreichen Fällen. In kasuistischer Betrachtung 
liebt er dann die partielle oder vollkommene Steifheit der Wirbelsäule, die Gc> 
lenkerkrankungen, die nervösen Störungen, die Atrophie und Starrheit der Böcken« 
muskulatur, die behinderte Bespiration, die Körperhaltung und den Gang hervor 
und geht dann auf die Autopsie seiner Fälle ein. Verknöcherungen der Wirbel 
unter sich, der Gelenkkapseln und Bänder, Atrophie der Zwischenwirbelscheiben 
bei meist normalem Böckenmark nebst Häuten sind der Hauptbefund in den 
meisten Fällen. Auch in pathologisch-anatomischer Hinsicht zwei getrennte Typen 
zu unterscheiden ist unberechtigt. Mit den Hinweis, daß meist Gelenkrheumatismus, 
Lues und Gonorrhoe ätiologisch eine Bolle spielen, daß die Prognose infaust und 
die Therapie machtlos ist, schließt Verf. seine sehr interessante Arbeit. 

24) Über die obronische ankylosierende Entzündung der Wirbelsäule, von 

Th. v. Lagiewski. (Inaug.-Dissert. Leipzig 1905.) Bef.: P. Lissmann. 

Nach einer längeren Skizzierung der über die chronische Wirbelsteifigkeit 
bzw. die Spondylose rhizom£lique erschienenen Arbeiten beschreibt Verf. einen 
von ihm selbst beobachteten Fall, der sich in nichts von den bekannten unter¬ 
scheidet. Auch der Verf. neigt sich der sich immer mehr verbreitenden Ansicht zu, 
daß die Unterscheidung in Bechterewschen bzw. Strümpell-Marieschen Typus 
unberechtigt ist und die beiden Formen nur graduelle Unterschiede der gleichen 
Krankheit darstellen. 


26) Beitrag sum Studium der Spondylose rhizomelique, von Dr. G. Min- 
gazzini. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXVIII.) Bef.: E. Asch. 
29jähriger Mann aus belasteter Familie, Potator, ohne Merkmale von Lues. 
Mit 19 Jahren Schmeißen in den Beinen und in der lumbosakralen Gegend. Nach 
16 monatlichem Soldatenleben Schmerzen in der linken Hüfte und linken Ober¬ 
schenkel und Fixation des linken Hüftgelenkes, Entlassung vom Militärdienst, er¬ 
neute Schmerzen im linken, später auch im rechten Oberschenkel. Bei der ersten 
Untersuchung (Oktober 1900) fand sich diffuse Atrophie beider Schenkel und 
Waden, und zwar r. > 1., in den Muskeln keine degenerativen Veränderungen, 
passive Bewegungen in den coxo-femoralen und den Kniegelenken wegen der 
Schmerzen unmöglich, auch aktive Bewegungen der Ober- und Unterschenkel un¬ 
ausführbar. Periphere Nerven der Hüften und unteren Extremitäten stark druck¬ 
empfindlich, sämtliche Drehbewegungen des Körpers sehr schmerzhaft. Später 
auch Beschwerden beim Drehen des Halses, der nach passiven Bewegungen resistent 
ist. Obere Extremitäten normal. Bechte untere Extremität erscheint merklich 
kürzer als die linke, Becken nach links geneigt. Beide Oberschenkel scheinen bei 
Bewegungen am Becken fixiert zu sein. Kopf stark nach vorn und leicht auf 
die rechte Seite geneigt, oberer Teil der Wirbelsäule mit der Konvexität nach 
hinten gedrückt. Patellarreflexe links schneller und lebhafter zu erreichen als 
rechts, Kremaster-, epigastrische und Unterleibsreflexe lebhaft, kein Babinski, 
Sensibilität und elektrische Erregbarkeit normal, das radiographische Bild ergibt 
Erscheinungen von Verdickung der Knochen oder der fibrösen periartikulären 
Kapsel am rechten coxo-femoralen Gelenk. 

26) Über ohronisohe ankylosierende Wirbelsäulen Versteifung, von Engen 
Fränkel. (Fortschr. a. d. Geb. d. Böntgenstr. XI. 1907.) Bef.: Kurt Mendel. 
Verf. hält die Trennung der Spondylose rhizomölique in den Bechterew¬ 
schen und Strümpell-Marieschen Typus nicht für berechtigt. Inkeinemseiner 
früher mitgeteilten 4 Fälle war die Gesamtheit, ja nicht einmal die Mehrzahl 
jener Symptome vorhanden, welche für einen der beiden Typen als charakteristisch 
hingestellt war. Neben Erscheinungen des Bechterewschen Typus bestanden 
vielmehr auch solche des Strümpell-Marieschen. 


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Id vorliegender Arbeit teilt nun Verf. drei weitere Fälle von chronischer 
ankylosierender VVirbelsäulenversteifung mit Sektionsbefund mit. 

Unter dem Bilde der Wirbelsäulenversteifung sind seiner Ansicht nach zwei 
ihrem Wesen nach ganz differente Krankheitsprozesse verborgen, die man wohl 
meist schon klinisch, ganz sicher aber anatomisch auseinander halten kann: die 
Spondylarthritis ankylopoetica und die Spondylitis deformans. Zu ersterer gesellt 
sich sehr häufig eine tuberkulöse Lungenerkrankung hinzu, letztere befällt meist 
ältere Individuen. Die sich auf dem Boden der Spondylitis deformans entwickelnde 
Wirbelsäulenversteifung dehnt sich meist nicht über so große Strecken der "Wirbel* 
eäule aus wie bei der Spondylarthr. ankylopoetica, welche bei genügend langem 
Fortbestand des Lebens nahezu ausnahmslos die ganze Wirbelsäule befällt. 

Ein wertvolles Hilfsmittel zur Unterscheidung der beiden Krankheitsformen 
bietet uns das Röntgenbild: bei der Spondylarthr. ankylopoetica Integrität der 
Wirbelkörper, bei der Spondylitis deformans Difformität der Wirbel. 

In anatomischer Hinsicht ist ferner zu erwähnen, daß bei letzterer Form die 
Wirbelrippengelenke meist völlig unbehelligt bleiben, während es sich bei der 
Spondylarthritis ankylopoetica um eine die Wirbel* und Wirbelrippengelenke be¬ 
treffende, also arthrogene Erkrankung handelt (infolgedessen starke Beeinträchtigung 
des kostalen Atemtypus infolge Starrheit des Brustkorbes und Disposition zur 
Tuberkulose bei der Spondylarthritis ankylopoetica; dooh hat die Wirbelgelenk- 
«rkrankung an sich mit Tuberkulose nichts zu tun). 

In der Ätiologie der Spondylarthritis ankylopoetica spielen — wie 3 Fälle 
des Verf.’s zeigen — traumatische Einwirkungen nicht selten eine wesentliche 
Rolle. In einem Falle entwickelte sich das klassische Bild der chronischen Wirbel- 
sänlenver8teifung im Anschluß an ein schweres Trauma, das zunächst zur Kom¬ 
pressionsfraktur mit später auftretender Gibbusbildung Anlaß gab. In etwa ein 
Drittel aller Fälle ist ein Trauma vorausgegangen. Sonst kommen ätiologisch in 
Betracht rheumatische Prozesse, Infektionskrankheiten und unbekannte Noxen. 
Die Prognose der Sppndylarthritis ankylopoetica ist wegen der häufig hinzu¬ 
tretenden Lungentuberkulose infaust. 

27) A oase of ankylosis of the spine, by Walter K. Hunter. (Glasgow med. 
Journ. 1907. März.) Ref.: Georges L. Dreyfus. 

Verf. beschreibt ausführlich einen Fall mit völliger Ankylose sämtlicher 
Wirbel, die mit universeller Muskelatrophie, fibrillären Zuckungen, Muskelkontrak¬ 
turen und Hautveränderungen einherging, während bei fehlenden Achilles- und 
Patellarsehnenreflexen die Sensibilität intakt war. Die Versteifung der Wirbel¬ 
säule war die Folge einer rheumatischen Erkrankung. 

28) Pottsohe Krankheit bei einem Affen, von E. E. Southard. (Journ. of 
medic. Research. 1906. Januar.) Ref. nach der Revue neurol. 1907. Nr. 12 
von Kurt Mendel. 

Pottsche Krankheit bei einem Makakus, der einige Wochen nach Beginn 
einer Paraplegie getötet wurde. Das Rückenmark war in Höhe des 2. Lumbal¬ 
segmentes komprimiert. Verf. vergleicht diese Beobachtung mit dem beim Menschen 
Gefundenen. 

20) Quinze autopsies de mal de Pott ohes l’adulte. Stüde des lösten* 
nerveuses, par Alquier. (Nouv. Iconogr. de la SalpStriöre. 1906. Nr. 6.) 
Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 

16 Sektionsprotokolle von Malum Pottii beim Erwachsenen mit besonderer 
Berücksichtigung der nervösen Störungen. 3 Mal ragte ein Knochenvorsprung, 
der ausging vom hinteren Rande eines sonst ganz zerstörten Wirbelkörpers, in 
den Rückenmarkskanal hinein. In den übrigen Fällen war die Kompression durch 
einen Knochen unbedeutend, sondern die Kompression des Markes wurde bewirkt 
durch einen epiduralen Herd, der sich bei der mikroskopischen Untersuchung als 

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ein Tuberkel herausstellte. Die Wurzeln, komprimiert in der Begel zwischen 
Knochen und Dura, zeigten eine unregelmäßige Schwellung der Achsencylinder 
mit Verdickung der Neuroglia, Desintegration des Myelins und Degeneration. Die 
hinteren Wurzeln waren durchweg mehr betroffen als die vorderen. Eine Unter* 
Buchung der Spinalganglien fand nicht statt. An der Dura mater machte die 
tuberkulöse Entzündung, 2 Fälle ausgenommen, halt. In diesen beiden Fällen 
bestanden zahlreiche Adhärenzen zwiBohen Dura und Pia, welche eine akute Ent* 
Zündung darstellten, mit einer massigen Infiltration von polynukleären Zellen und 
hier und da mit jungen Tuberkeln. Die Blutgefäße waren beträchtlich erweitert. 
Im Bückenmark fand sich ein einfaches Ödem und Sklerose mit Degeneration. 
Die Nervenzellen waren stellenweise komprimiert und pigmentiert. Der Sitz der 
Erkankung waren 3 Mal die Cervikalwirhel, 1 Mal die Cervikal* und die Sakral* 
wirhel, 8 Mal die Brustwirbel, 2 Mal die Sakralwirbel, 1 Mal die Lumbalwirbel. 

Stellt man die klinischen Symptome dem anatomischen Befunde gegenüber, 
so ergab sich folgendes: die Wurzelschmerzen fehlten kein Mal und boten immer 
eine frühzeitige, schlechte Prognose. Die Schmerzen nahmen häufig den Charakter 
einer Ischias an und treten gern doppelseitig auf. Wurzelsymptome waren zwar 
jedesmal vorhanden, sie ließen aber keinen Schluß zu auf den Sitz der Erkrankung. 
Einmal wurde zuerst Syringomyelie diagnostiziert, das andere Mal zeigte sich eine 
Brown-Säquardsche Lähmung. Sphinkterenlähmung war einmal ein Früh* 
Symptom, das andere Mal trat sie erst später auf, ein drittes Mal (in der 
Mehrzahl der Fälle) war sie gar nicht vorhanden. 

Bei ein Drittel der Fälle war Amyloid der Niere nachzuweisen, mehr als 
zwei Drittel hatten auch noch andere tuberkulöse Zeichen. Die Böntgen-Aufnahme 
wies außer in den 3 Fällen von Zerstörung des Vorderteiles der Wirbelkörper 
nichts nach. 

30) Zur Pathologie des Mal um Pottii, von Prof. A. Martinez Vargas in 
Barcelona. (Monatsschr. f. Kinderheilk. 1906. April.) Bef.: Zappert (Wien). 
Ein ungewöhnlich schwerer Fall von Wirbelkaries bei einem 13jährigen 

Mädchen gibt dem Verf. Anlaß zur Hervorhebung ungewöhnlicher Details dieser 
Erkrankung. So reicht die Ausbreitung der Läsionen vom 7. Cervikal- bis zum 
letzten Lumbalwirbel, die hintere Seite der Wirbelkörper, sowie die Gelenkflächen, 
die Gelenkfortsätze, die Dornfortsätze waren gleichfalls ergriffen. Knochenankylosen 
waren vorhanden, jedoch nirgends die Zeichen einer Begeneration anzutreffen. 
Besonders bemerkenswert ist der Umstand, daß der Wirbelkanal nicht verengt, 
eher erweitert gewesen, daß jedoch in der Höhe des 10. Dorsalwirbels ein Sequester 
in den Kanal hakenförmig hineinragte, welcher eine Lähmung des rechten Beines 
zur Folge gehabt hatte. 

31) Zwei Fälle Pott scher Krankheit mit Kemigsohem Zeiohen, von C. Pa* 

gani. (Bif. med. XXII. Nr. 28.) Bef. nach der Bevue neurol. 1907. Nr. 11 
von Kurt Mendel. 

Im ersten Fall von Pottscher Krankheit nichts, was auf eine Mitbeteiligung 
der Meningen hindeutete: kein Kopfschmerz, keine Pupillarsymptome, keine Puls¬ 
veränderung, keine Lähmungen; im zweiten Fall ergab die Autopsie intakte 
Meningen. Trotzdem in beiden Fällen das Kernigsche Zeichen. Letzteres hat 
demnach ‘keine pathognomonische Bedeutung für Meningitis, bei Pottscher Krank¬ 
heit deutet es auf einen Beizzustand der Bückenmarkswurzeln. 

32) A study of the sensory Symptoms of a oase of Potts disease of the 
cervioal spine, by Frank B. Fry. (Journ. of Nerv, and Ment. Disease. 1907. 
März.) Bef.: M. Bloch. 

Fall von Kompressionsmyelitis bei tuberkulöser Halswirbelerkrankung mit 
sehr sorgfältigen Sensibilitätsprüfungen, deren interessante Details sich einer refe¬ 
rierenden Wiedergabe entziehen und besser im Original nachgelesen werden. 

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33) Cyphose prononoöe ohez un tuberouleux, par Brissaud et Montier. 
(Nouv. Iconogr. de la Salp. 1906. Nr. 1.) Ref.: Ernst Bloch (Kattowitz). 
Der Fall ist von Brissaud und Grenet bereits unter dem Titel: „Un cas 

de cyphose d’origine articulaire ou musculaire“ veröffentlicht (Nouv. Iconogr. de 
la Salp. 1904. Nr. 2). Er wurde damals nicht referiert, weil er nichts Neuro* 
logisches hot. 

37jähriger Porzellanarbeiter. Seit 1887 vage Schmerzen, 12 Jahre später 
krisenartige Schmerzen im Rücken. Im Jahre 1900 begann sich der Rücken zu 
krümmen und die Schmerzen hörten auf. In der ersten Veröffentlichung hatte 
der Kranke von ursprünglich 1,71 cm 10 cm an Körperlänge eingebüßt. Jetzt 
ist wieder eine Abnahme seiner Körperlänge um 12 cm zu konstatieren, wenn er 
sich große Mühe gibt, kann er sich noch um 5 om erheben, diese Anstrengung 
kostet ihm jedoch große Ermüdung und Atemnot. Druck auf den 8. und 9. Brust¬ 
wirbel ist schmerzhaft. Die Krümmung ist am stärksten ausgesprochen im mitt¬ 
leren Brustteil. Hüftmuskeln stark atrophisch, ausgesprochene Bauchatmung. Vor¬ 
geschrittene Tuberkulose der Lungen, die schon damals bestand. 

Die Verff. diagnostizieren sekundäre Tuberkulose der Brustwirbel. Auffallend 
ist, daß eine so weit fortgeschrittene Tuberkulose der Brustwirbel, die eine so 
ausgesprochene Kyphose veranlaßt hat, das Rückenmark absolut unangetastet ge¬ 
lassen hat. Die Verff. halten die Atrophie der Lendenmuskulatur nur für eine 
rein muskuläre Affektion, nicht für central, da das übrige Nervensystem 
nichts abnormes darbot. 

34) Über einen Fall von Kompressionsmyelitis. Geringe Wirbelerkran¬ 
kung (Böntgen-Untersuohung). Erfolgreiche physikalische Behandlung, 

von E. v. Leyden. (Charitö-Ann. XXXI. S. 3.) Ref.: Heinemann (Berlin). 
Krankengeschichte eines 54jährigen Arbeiters, der mit Schmerzen in Hüfte 
und Kreuz, sowie Schwächegefühl in den Beinen erkrankt, wozu sich später Par- 
ästhesien und Gehstörungen gesellten. Als Pat. nach ^jähriger Krankheitsdauer 
in die Charitö kommt, ließ sich objektiv eine geringe bogenförmige Krümmung 
in der Mitte der Brustwirbelsäule feststellen und dementsprechend eine geringe 
Lordose der Lendenwirbelsäule, ohne lokale Druckempfindlichkeit. Das beigegebene 
Röntgenbild zeigt außer der Verkrümmung keine lokale Erkrankung in den 
Wirbeln. Muskelspasmen und Zittern in den Beinen, erhöhte Muskel- und Sehnen¬ 
reflexe an den unteren Extremitäten, beiderseits Patellar- und Fußklonus, Babinski 
beiderseits positiv, Bauchdecken- und Kremasterreflex beiderseits fehlend. Außer 
den erwähnten Parästhesien Hypästhesie vom 8. Brustwirbel abwärts nebst einer 
kleinen linksseitigen, völlig anästhetischen Zone. Die Behandlung bestand in 
Streckung in der Glissonschen Schlinge auf dem Schrägbett, Übungen im Geh¬ 
stuhl und schließlich in Sandbädern. Daraufhin lassen die Spasmen nach, Pat. 
kann mit Stock gehen, die Sensibilitätsstörungen gehen etwas zurück. Eis folgt 
noch ein Auszug aus der Krankengeschichte eines analogen Falles, den Ver£ 
während seiner Straßburger Zeit (1877) zu beobachten Gelegenheit hatte. 

36) Schwere spondylitisohe Paraplegie, spontan geheilt unter Anwendung 
der Bauohfusssohen Schwebe, die auch zur Prophylaxe des Decubitus 
bei spondylitisohen Lähmungen dient, von Hofrat Schilling. (Deutsches 
Archiv f. klin. Medizin. LXXXIV.) Ref.: Hugo Levi (Stuttgart). 

Verf. faßt das Bemerkenswerte an der mitgeteilten Beobachtung in folgenden 
Schlußsätzen zusammen: 

1. Nach jahrelanger Dauer der Krankheit kann, wie genügend bekannt, auch 
eine schwere spondylitisohe Paraplegie spontan komplett zurückgehen. Unser Fall 
heilte in 2 1 /, Jahren. 

2. Bei unserem Kranken zeigte sich im Beginn und gegen den Schluß der 


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Erkrankung ein spastisch-ataktischer Symptomenkomplex. Ataxie ist bei extra¬ 
medullärem Sitz der Geschwulst (tuberkulöser Abszeß) äußerst selten. 

3. Bei totalem Verlust aller übrigen Empfindungsqualitäten waren die 
.Leitungsbahnen für die Wärme- und für die Kältenerven ungestört. 

4. Die Haut- und Sehnenreflexe, sowie die tonische Spannung der Muskulatur 
der unteren Körperhälfte waren während der ganzen Dauer der langen Krankheit 
stets erhöht. 

5. Miktion und Defäkation, Erektion und Ejakulation waren ungehindert 
trotz der schweren Paraplegie und Anästhesie. 

6. Die Behandlung der Lähmungen infolge von tuberkulöser Spondylitis der 
mittleren und unteren Brustwirbel sowie der Lendenwirbel geschieht sehr zweck¬ 
mäßig, besonders in der PrivatpraxiB, mittels der Rauchfussschen Schwebe. 
Diese einfache Vorrichtung gestattet die ausgiebigste Entlastung und Lordosierung 
der kranken Wirbelsäule und ermöglicht zur Hintanhaltung des Decubitus eine 
Moderierung und Dosierung des Druckes des Kreuzes gegen die Unterlage, je 
nachdem man die Schwebe mehr oder weniger hoohzieht. 

7. Ich empfehle das graue lufthaltige Pessarium bei prononziertem Gibbus 
sowohl zur Verhütung des Druckbrandes, als auch zur perigibbären Reduktion 
behufs Verstärkung der Wirkung der Rauchfussschen Schwebe. 

8. Infolge des durch die konsequente Anwendung des Rauchfussschen 
Apparates verminderten Druckes auf das Kreuz kam es in vorliegendem Fall aus- 
Dahmsweis nicht zu Decubitus am Kreuz. 

9. Bei vorhandenem Druckbrand ist das protrahierte, eventuell kontinuierliche 
Wasserbad neben der Rauchfussschen Schwebe das beste Heilmittel. 

10. Zur Ruhigstellung der erkrankten Wirbelsäule im Bad ist die Lagerung 
des Patienten auf Gurten ä la Rauchfusssche Schwebe zweckdienlicher als die 
Lagerung auf einem ausgespannten Leintuch, durch welche der Fixierung der 
spondylitischen Wirbelsäule nicht genügend Rechnung getragen wird. 

36) Über operative Behandlung des Malum suboccipitale, von Prof. Payr 

in Graz. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 50.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. hat in einem Falle von Malum suboccipitale (Osteitis tuberculosa) bei 
einer 35jährigen Frau durch radikale Entfernung der erkrankten Knochenpartien 
an den suboccipitalen Wirbeln mit Meißel und Knochenzange nach vorheriger 
breiter Freilegung der ganzen Suboccipitalregion eine ÜBtellose, vollständige Heilung 
erzielt. Das Atlantooccipitalgelenk war noch frei, das verlängerte Mark intakt. 
Seit der Operation ist fast ein Jahr verflossen. Die anatomischen Verhältnisse 
der Krankheitsherde waren besonders günstig. 

Bezüglich der Indikationsstellung für einen radikalen Eingriff führt Verf. 
folgendes aus: 

1. Mitbeteiligung des Rückenmarkes und seiner Häute oder des Gehirns 
schließt jeden Eingriff ans. 

2. Erkrankung des Zahngelenkes zwischen Atlas und Epistropheus läßt gleich¬ 
falls einen Eingriff untunlich erscheinen. 

3. Die Wirbelerkrankung soll sich womöglich in einem frühen Stadium 
befinden und auf eine Seite beschränkt sein. 

4. Kommunikationen des Krankheitsherdes mit der Mundrachenhöhle, sowie 
Mischinfektion bei nach außen mündender Fistel sind als gefährliche Komplikationen 
zu betrachten. 

5. Es soll durch Röntgenographie der hauptsächlichste Sitz der Knochen¬ 
erkrankung festgestellt sein; die klinischen Symptome sollen eine Lokalisations¬ 
diagnose des Erkrankungsherdes, event. per exclusionem, gestatten; die Anwesen¬ 
heit eines kalten Abszesses ist kein Hindernis für den Eingriff. 

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6. Es sollen keine irgend schweren tuberkulösen Veränderungen in anderen 
Organen vorhanden sein. 

Man sieht, daß — da diese Bedingungen nur selten alle erfüllt sein werden 
— nur ganz ausnahmsweise und auch nur in frühen Stadien der Erkrankung, ein 
radikales operatives Vorgehen beim Malum suboccipitale gestattet ist. „Relatives 
Freibleiben der Drehbewegung und geringe Schmerzhaftigkeit bei Druck auf den 
Scheitel scheinen die brauchbarsten klinischen Anhaltspunkte zu sein.“ 

37) Die Bülausohe Heberdrainage bei Behandlung einer schweren Spon¬ 
dylitis tuberoulosa, von Dr. Men de in Gottesberg. (Therap. Monatshefte. 

1906. Heft 11.) Ref.: Kurt Mendel. 

In einem Falle von Spondylitis tuberculosa mit mehreren Fisteln am Röcken 
und einem Senkungsabszeß, der bei der vorherigen Behandlung (Ruhelagerung, 
Stützkorsett, Punktion des Abszesses, Jodoformglyzerininjektionen) keine Besserung 
zeigte, führte die Bülausche Heberdrainage (Eiterentleerung durch ununter¬ 
brochenes Ansaugen) eine schnelle Heilung der Abszesse sowie der Wirbelkaries 
herbei, und zwar in Verbindung mit der Anwendung des Lorenzschen Gips¬ 
reklinationsbettes (vor- und nachmittags je 2 Stunden). 


Psychiatrie. 

38) Der Einflufi der Blutsverwandtschaft der Eltern auf die Kinder, von 

Prof. Dr. E. Feer. (Jahrbuch f. Kinderheilkunde. LXVI.) Ref.: Zapp er t. 

Unter den Belastungsmomenten, denen man seit Alters her einen höchst un¬ 
günstigen Einfluß auf die Gesundheit der Nachkommen zuschreibt, spielt die 
Blutsverwandtschaft der Eltern eine wichtige Rolle. Der Kampf den die „Anti- 
konsanguinisten“ und „Konsanguinisten“ bereits in der Mitte des vorigen Jahrhun¬ 
derts geführt hatten, brachte zwar keine Klärung der Frage, aber in der Mehrheit 
der Ärzteschaft war und ist man immer geneigt, sich auf die Seite jener zu 
stellen, welche in der Blutsverwandtschaft der Eltern ein schwer schädigendes 
Moment erblicken wollen, ohne daß bedeutsame, zu anderen Resultaten führende 
Arbeiten der letzten Jahrzehnte diesen Standpunkt zu erschüttern vermocht haben. 
Es ist daher ein anerkennenswertes Verdienst des Verf.’s, daß er, einer Anregung 
des Referenten folgend, dieses Thema zum Gegenstand einer ausführlichen Be¬ 
sprechung in der vorjährigen Tagung der Gesellschaft für Kinderheilkunde gemacht 
hat, deren bemerkenswerte Resultate nun vorliegen. 

Die Konsanguinität kann entweder an sich durch Wegfall frischen Blutes 
bei gesunden Individuen, oder durch Summierung äußerer schädigender Bedingungen, 
unter denen die Eltern aufgewachsen, oder endlich durch gesteigerte Übertragbar¬ 
keit gleichartiger Erblichkeitsanlagen auf die Nachkommen ungünstig einwirken. 

Um zu studieren, welche dieser Momente in den Vordergrund zu stellen sind, 
zieht Verf. vorerst die Verhältnisse bei den Tieren heran. Hier zeigt sich, daß 
fortgesetzte engste Inzucht keineswegs immer schädlich auf die Nachkommen ein¬ 
wirke, sondern sogar ein wertvolles Mittel zur Reinzüchtung einer Rasse abgeben 
könne. Schädliche Wirkungen treten meist erst nach Generationen auf und 
sind vielleicht nicht unabhängig von den äußeren Lebensbedingungen der Tiere. 
Zu einer Erkennung deletärer Einflüsse der Konsanguinität an sich kann man 
beim Studium der Tierzüchtung nicht gelangen. 

Fernerhin wendet sich Verf. der Inzuohtfrage bei den Kulturvölkern zu, 
wobei er sich vielfach auf das interessante Werk Reibmayers über dieses Thema 
beruft. Aber auch diese Betrachtungen führen nicht dazu, einen unbedingt schäd¬ 
lichen Einfluß der Konsanguinität erkennen zu lassen, ja es muß zugegeben werden, 
daß die Erhaltung einzelner Rassen (Juden), die hervorragende Bedeutung einzelner 
Geschlechter (Ptolomäer) durch Fernhaltung fremden Blutes bedingt gewesen ist. 

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Statistische Untersuchungen und S&mmelforschungen über die 
Häufigkeit der Krankheiten bei den Nachkommen konsanguiner Ehen führten zu 
keinem Resultate, weil verläßliches Vergleichsmaterial nicht vorliegt. Die Ei- 
f&brungen in einzelnen, abgelegenen, seit Generationen auf Verwandtenehen an¬ 
gewiesenen Ortschaften ließen ebensowenig eine Verschlechterung der Rasse er¬ 
kennen, wie persönliche Beobachtungen von Ärzten, in deren Familie seit vielen 
Generationen konsanguine Ehen häufig waren. 

Die allgemeinen Untersuchungen führen also zu keinem eindeutigen Resultate, 
jedenfalls nicht zu dem, daß die KonBanguinität bzw. die Inzucht als solche 
schädliche Folgen haben müsse. 

Verf. wendet sich nun dem Studium einzelner Krankheiten zu, denen 
man angeblich bei Abkömmlingen konsanguiner Ehen häufig begegnet. 

Für Idiotie ist ein solcher Zusammenhang erst letzthin durch die sinn¬ 
reichen Zusammenstellungen Mayets (vgl. d. Centr. 1903. S. 739) behauptet worden 
und läßt sich wohl kaum in Abrede stellen, wird aber vom Verf. nicht hoch 
veranschlagt. Anders steht die Sache bei der Retinitis pigmentosa und der 
angeborenen Taubstummheit. Für beide Krankheiten ist es kaum zu be¬ 
zweifeln, daß sie in Verwandtenehen häufiger Vorkommen als in anderen. Doch 
folgt daraus keineswegs, daß die Konsanguinität als solche diese Schädigung der 
Kinder bedinge. So ergeben die Untersuchungen Uchermanns in Norwegen 
keineswegs eine Kongruenz der Bezirke mit zahlreichen Verwandtenehen und der 
Häufigkeit angeborener Taubstummheit, so steigert Taubstummheit in der Ascen- 
denz die Häufigkeit dieses Leidens ebenso bei den Abkömmlingen konsanguiner 
wie nicht konsanguiner Ehen, so finden sich auf dem Lande überhaupt mehr 
Taubstumme als in der Stadt ohne Beziehung auf die Konsanguinität der Eltern. 

Wenn sich somit ziemlich eindeutig ergibt, daß die Konsanguinität als 
solche keinen schädigenden Einfluß auf die Nachkommenschaft ausübe, so muß 
doch eine Erklärung für die tatsächliche Häufung mancher Krankheiten in Ver¬ 
wandtenehen gesucht werden. 

Verf. setzt in wohlfundierter und recht einleuchtender Form auseinander, daß 
die Ursache dieser Häufung der Taubstummheit und Retinitis pigmentosa bei 
Abkömmlingen konsanguiner Ehen in der spezifischen Vererbungsart dieser Krank¬ 
heit gelegen sei. 

Die Art, wie sich einzelne Krankheiten vererben, ist durchaus verschieden. 
So zeigen viele exquisit hereditäre Krankheiten keinerlei Tendenz zum Auftreten 
in Verwandtenehen. Die Retinitis pigmentosa und Taubstummheit — beides 
Schädigungen des embryonalen Ektoderms unserer höchsten Sinnesorgane — haben 
die Eigentümlichkeit, daß ihre Vererbungskraft bei einem Elternteil meist zu 
schwach ist, um bei den Nachkommen zum Ausdruck zu kommen, daß sie aber 
durch das Zusammentreffen zweier belasteter Elternteile jene Intensität erlangt, 
welche zum Ausbruche der Krankheit bei den Kindern erforderlich ist. Oft sind 
dann mehrere Geschwister von der Krankheit betroffen. Das letztere ist auch 
manchmal dort der Fall, wo keine konsanguine Belastung, sondern nur eine ent¬ 
sprechende Keimesdegeneration beider Eltern vorliegt. Das Eigentümliche dieser 
Krankheiten ist ulso ihre Entstehung durch zweigeschlechtliche Vererbung, so daß 
sie in Verwandtenehen sich wohl häufen, aber nicht durch die Verwandtschaft 
als solche bedingt sind. 

Praktische Konsequenzen aus diesen Schlüssen lassen Bich insofern ziehen, 
als eine gesetzliche Einschränkung der Verwandtenehen nicht gerechtfertigt er¬ 
scheint, daß aber solche Ehen nach Möglichkeit hintanzuhalten sind, in denen nicht 
eine tadellose Ahnentafel durch mindestens drei Generationen beigebracht werden 


kann. 


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39) Les psyohoses aigues et leur olassifloatlon , par Sokalsky. (Annal. 
möd.-psychol. 1906. Jan./Febr.) Ref.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Verf. erhebt eine Reibe der bekannten Einwilnde gegen die Kräpelinsche 

Klassifikation, ohne Neues zu bringen. Die Besonderheit aller Kranken mit akuten 
Geistesstörungen ist ihm die Verwirrtheit mit schreckhaften Sinnestäuschungen, im 
Beginn finde sich eine Mischung von Zögen der Amentia und Dementia praecox, 
wobei ja richtig ist, daß gerade bei akut entstandenen Psychosen, die auf eine 
greifbare Ursache ihrer Entstehungszeit nach hinweisen, z. B. auf das Puerperium, 
oft längere Zeit die Differentialdiagnose schwierig sein kann. Daß mit dem 
Namen: Psychosis acuta, subaouta, remittens u. a. irgend etwas gewonnen sei, 
wird außer dem Verf. kaum jemand glauben. Wir alle denken vielfach an 
körperliche Ursachen der Geistesstörungen, toxischer oder infektiöser Art, Ref. hat 
aber nicht den Eindruck, daß durch die bloße, nicht weiter bewiesene Annahme 
der Art, wie sie Verf. beliebt, nun wirklich mehr „Klarheit“ uns gebracht wäre. 

40) Porte de la Vision mentale des objets dans la mölanoolie anxieuae, 
par Le m os. (Ann. möd.-psych. 1906. Juli/Aug.) Ref.: E. M ey e r (Königsberg i/Pr.). 
Verf. berichtet ausführlich über eine Hysterische mit längerdauerndem De¬ 
pressionszustand, in dem allmählich die Fähigkeit, sich Gesichtseindrücke in Ge¬ 
danken wachzurufen, schwand, die Kranke vermochte Bich z. B. nicht Farbe und 
Form einer Orange vorzustellen, dagegen sehr wohl deren Geruch und Geschmack, 
auch die akustischen Erinnerungsbilder waren erhalten. Gleichzeitig erschienen 
den Blioken der Kranken die Dinge in der Umgebung verändert, die Bäume z. B. 
trocken usw. Diese Erscheinungen traten später wieder zurück. Beide ist Verf. 
geneigt auf dieselbe Grundlage zurückzuführen, auf eine Schwäche der Fähigkeit, 
die visuellen Erinnerungsbilder zu erwecken, während in anderen Fällen nicht 
eine funktionelle, sondern eine organische Störung zugrunde liege. 

41) Die Melancholie, ein Zustandsbild des manisoh-depressiven Irreseins, 
von Georges Dreyfus. (Jena 1907, G. Fischer.) Ref.: Hübner (Bonn). 
Die theoretische Erwägung, auf Grund deren Verf. zu dem Schlüsse gelangt, 

die bisher von Kraepelin als Involutionsmelancholie bezeichnete Psychose sei 
ein manisch-depressiver Mischzustand (s. auch d. Centralbl. 1907. S. 631), ist 
folgende: findet man bei Zergliederung einer depressiven Krankheitsphase irgend 
ein manisches Symptom, dann hat man das Recht, von einem Mischzustand zu 
reden. Bei der Melancholie finden sich nun manische Symptome. Verf. nennt 
als solche die StimmungBSchwankungen nach der manischen Seite hin, die im 
Prodromalstadium beobachtete Empfindlichkeit und Reizbarkeit, das Mitteilungs¬ 
bedürfnis, den Rededrang, Gedankenflucht, gehobenes Selbstgefühl und Größen¬ 
ideen. Außerdem führt er die sogen, „partielle subjektive Hemmung“ an. Er 
versteht darunter ein teilweiBes Vorhandensein der von ihm als subjektive Hemmung 
zusammengefaßten Erscheinungen. (Näheres b. S. 30 der Monographie.) 

Ref. stimmt mit Verf. vollkommen darin überein, daß die Melancholie ein 
selbständiges Krankheitsbild nicht darstellt (s. Archiv £, Psych. 1907. S. 405), 
glaubt aber nicht, daß die Auffassung, die Melancholie sei ein manisch-depressiver 
Mischzustand, allgemeine Anerkennung finden wird. 

42) Sur un oas de ddlire oolleotlf ou. flgure un paralytique genöral, par 

Clörambault. (Ann. möd.-psych. 1906. Nov./Dez.) Ref.: E. Meyer. 

Verf. schildert eingehend ein geisteskrankes Ehepaar, bei dem die Ehefrau 
an einem System von Verfolgungsideen schon länger litt, der Mann an Paralyse. 
Letzterer hatte von seiner Frau einzelne Wahnideen übernommen. Der Einfluß 
der Frau batte außerdem sich auf die an sich wohl schon paranoisch veranlagte 
Mutter derselben ausgedehnt, von der aus wieder ihr (der Mutter) Mann und ihr 
Sohn in den Bannkreis ihrer Verfolgungsideen gezogen waren. Verf. erörtert im 
Einzelnen, wie die Entstehung der psychischen Störungen bei den einzelnen 


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Personen wahrscheinlich vor sich gegangen ist und wie man Bich den Gang der 
psychischen Infektion vorstellen kann. 

43) Affektivität, Suggestibilität, Paranoia, von E. Bleuler. (Halle a/S. 1906.) 

Refi: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Verf.’s interessante Studie behandelt in einem ersten Abschnitt den Begriff 
der Affektivität, deren Beziehung zu der Suggestion im zweiten Teil erörtert 
wird, während der dritte der Paranoia in ihren Entstehungsbedingungen und ihrem 
affektiven Verhalten gewidmet ist. 

Bei der Besprechung der Affektivität wendet sich Verf. zuerst gegen die Un¬ 
klarheit, die durch den gleichartigen Gebrauch von Affekt, Gemüt, Gefühl usw. 
für affektive Vorgänge entstanden sei. An ihrer Stelle will er nur den Ausdruck 
„Affektivität“ gebraucht sehen, bei welchem Mißverständnisse ausgeschlossen seien. 
Nur die Gefühle von Lust und Unlust, denen wir die Affekte anreihen müssen, 
bilden die Affektivität, von der die Erkenntnisvorgänge — Empfindungen usw. — 
scharf zu trennen sind. 

Verf. wendet sioh dann der Affektivität in ihren vielseitigen Beziehungen 
und Besonderheiten zu. Nur das wichtigste von seinen Ausführungen kann hier 
Platz finden. Die Affekte sind stets mit körperlichen Begleiterscheinungen ver¬ 
bunden, sie sind so gleichsam verallgemeinerte Reaktionen. Die Affektivität steht 
in engster Beziehung zum Wollen, demgegenüber sie „den weiteren Begriff“ bildet. 

Verf. bespricht insbesondere diejenigen psyohischen Vorgänge, die dahin 
streben, die Affektivität möglichst angenehm zu gestalten, zu den „Wünschen“. 
Er knüpft dabei an Freu dB Lehren von der Bedeutung unterdrückter Unlust- 
gefühle für die Entstehung der Hysterie usw. an, wie denn wohl Freuds Arbeiten 
ohne Zweifel dem Verf. zu seinen Studien angeregt haben. Überall knüpft Verf 
wieder an sie an. 

Weiter geht Verf. u. a. näher auf das Verhalten der Affektivität bei den 
verschiedenen Psychosen ein. 

Bei den organischen Psychosen z. B. ist die Affektivität erhalten, die Gemüts¬ 
reaktionen erfolgen aber zu leicht und sind nicht von normaler Nachhaltigkeit. 
Ähnlich liegen die Dinge bei den Alkoholisten; bei den Epileptikern ist dem¬ 
gegenüber die Affektivität eine sehr nachhaltige. 

In dem Kapitel: Suggestion sucht Verf. die enge Verwandtschaft zwischen 
Suggestion und Affektivität nachzuweisen. Suggestion und Affektivität beeinflussen 
Geist und Körper in der gleichen Weise. Unter einfachen Verhältnissen beim 
Tiere kommt es nach Verf.’s Ansicht nur zur Suggestion von Affekten, beim 
Menschen spiele die intellektuelle Seite eine größere Rolle, das Hauptgewicht legt 
Verf. aber auf die Affekte. „Je größer der Gefühlswert einer Idee, um so an¬ 
steckender ist sie.“ 

Verf. kommt zu dem Resultat, daß die Suggestion am einfachsten als ein 
affektiver Vorgang aufzufassen sei, und daß den weiteren, umfassenderen Begriff 
die Affektivität bilde, von der somit die Suggestibilität nur eine Teilerschei¬ 
nung sei. 

Bei der „Paranoia“ wendet sich Verf. zuerst gegen die Anschauung, daß die 
Paranoia aus dem „krankhaften Affekt des Mißtrauens“ entstehe. Das Mißtrauen 
sei kein Affekt, sondern nur vom Affekt begleitet. 

Nach der Meinung des Verf.’s ist eine primäre Störung der Affekte bei der 
Paranoia nicht bewiesen, sie seien nur sekundär gestört. 

Die eigenartige Wesensänderung der Paranoia, bei der die eigene Person in 
krankhafter Weise den Brennpunkt abgibt, den „egocentrischen Charakter“ der 
Paranoia will Verf. im Anschluß an Freud dadurch erklären, daß ein „affekt¬ 
betonter Vorstellungskomplex den Ausgangspunkt der Wahnideen“ bilde und 
dauernd „im Vordergrund der Psyche“ stehe. 

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Verf. weist auf die erotischen, hypochondrischen und querulatorischen Wahn¬ 
komplexe in dieser Hinsicht hin und teilt Fälle mit, die seine Ansicht stützen 
sollen. 


Forensische Psychiatrie. 

44) L’opera di Cesare Lombroso nella soienza e nelle sue applicazioni. 

(Torino 1906, Fratelli Bocca.) Bef.: Hübner (Bonn). 

Zum 70. Geburtstage Lombrosos haben sich seine Freunde und Mitarbeiter 
zu einem Komitee vereinigt, dos ihm neben zahlreichen anderen Ehrungen auch 
eine literarische in Gestalt einer Festschrift bereitete. Das umfangreiche Werk 
hat, wie sein Titel besagt, den Zweck, zu zeigen, wie großen Einfluß die Lebens¬ 
arbeit des italienischen Gelehrten auf die Entwicklung der verschiedensten Wissen¬ 
schaften und auf deren Anwendung im praktischen Leben ausgeübt hat. 

45) Greisenalter und Kriminalität, von Bresler. (Jurist.-psychiatr. Grenzfr. 

Halle a/S. 1907, Marhold.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Die Statistik zeigt, daß im Greisenalter schon an und für sich die Verbrechen 
zunehmen, und zwar besonders die sexuellen Delikte (Unzucht), fahrlässige Brand¬ 
stiftung, ungesetzliche Trauung u. dgl. Es liegt darin nicht etwa der Beweis für 
Zunahme oder Fortdauer früherer verbrecherischer Neigungen, sondern es sind 
unter den Greisen, die Verbrechen begehen, sehr viele, die noch unbestraft bisher 
waren. Verf. weist dabei darauf hin, daß manche Gesetze Altersschwäche neben 
Geistesstörung als Grund für Straffreiheit anerkennen bzw. anerkannten. Es 
erscheint daher bei unserer heutigen Gesetzgebung die Forderung dringend ge¬ 
boten, daß bei strafbaren Handlungen von Greisen, die zum ersten Male sich 
vergangen haben, ihre Zurechnungsfähigkeit geprüft werden muß. 

Auch die Zeugenaussagen von Greisen müssen stets mit Vorsicht aufgenommen 
werden. 

Die Psychologie des Greisenalters hat wenig eingehende Bearbeitungen erfahren. 
Verf. hebt hervor, daß man nicht nur von einer Abnahme der Lebenstätigkeit 
sprechen dürfe, sondern vor allem auch von einer Bichtungsänderung derselben. 

Ein sehr frühes Auftreten der dem Senium eigenen Änderungen und ein 
auffallender Gegensatz zwischen dem jetzigen und dem früher bekannten Wesen 
lassen die Grenze des Pathologischen vermuten. 

Verf. wendet sich weiter dem Senium praecox und der Arteriosklerose in 
ihrer Bedeutung für die Entstehung psychischer Störungen zu, um weiter die 
Literatur über die Seelenstörungen des Greisenalters in ihren Hauptzügen durch- 
zusprechen. 

In dem Schlußkapitel der eingehenden Arbeit wird die Kriminalität geistes¬ 
gestörter Greise besprochen. Es sind neben vielen Fahrlässigkeitsvergehen vor 
allem sexuelle Delikte, die das Hauptkontingent der Verbrechen der geisteskranken 
Greise ausmachen und die bemerkenswerter Weise oft als erstes Symptom der 
Psychose des Seniums in die Erscheinung treten. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Internationaler Kongreß für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und 
Irrenpflege in Amsterdam vom 2. bis 7. September 1907. 

Beferent: Dr. Bl es (Amsterdam). 

Nachtrag zu Sektion I. 

Herr L. J. J. Muskens demonstriert an Projektionspräparaten die resultieren¬ 
den Degenerationen nach Exstirpation des Flocculus bei Kaninohen, Eichhörnchen 
und Katze. In keinem Falle, auch nicht bei Kaninchen und Katze, wo der 


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Flocculus (eigentlich Pars petrosa cerebelli) außer Kleinhirnrinde und weißer Sub¬ 
stanz auch einen Teil des Nucleus dentatus enthält, fand er im Rückenmark ab¬ 
steigende Degenerationen. Beim Eichhörnchen, wo nur Kortex und weiße Sub¬ 
stanz im Flocculus enthalten sind, sieht man nur Degeneration bis in den Nucleus 
dentatus. Nur beim Kaninchen und Eichhörnchen zeigt sich infolge der Läsion des 
gezahnten Kernes auch Entartung des oberen Kleinhirnarmes. Merkwürdig ist, daß 
bei Kaninchen nur das mittlere Drittel des Crus cerebelli ad corpora quadrige- 
mina degeneriert ist, so daß hier eine weitere Differenzierung der verschiedenen 
zusammensetzenden Bündel möglich erscheint. Vortr. weist darauf hin, daß der 
Ursprung und die Bedeutung des von Thomas und RamönyCajal entdeckten, 
von Probst als ventrales Kleinhirn-Thalamusbündel bezeiohneten Faserbündels noch 
dahin steht. Zahlreichen eigenen Versuchen zufolge glaubt Vortr. nicht, daß diese 
Fasern absteigende Kollateralen sind. Mit Rücksicht auf die Zwangsbewegungen, 
nach diesen Experimenten beobachtet, will er an seine Definition der Zwangs¬ 
bewegungen erinnern (Journal of Physiol. 1904), naoh welcher die Abwesenheit 
von Lähmungen dafür wesentlich ist. Nur die Richtung der Lokomotion, nicht 
die Bewegungen selbst sind gestört. Jeder Versuch, die Zwangsbewegungen durch 
Lähmung oder gleichartige Zustände — der einen Körperhälfte — zu erklären, 
muß deshalb als verfehlt betrachtet werden. 

Herr van Gehuchten bemerkt, daß die Beweise sich gemehrt, daß ab¬ 
steigende cerebellare Fasern nicht existieren. Er ist noch nicht überzeugt, daß 
seine Auffassung des ventralen Thalamusbündels unrichtig ist. 


XVII. Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs 
und französisoh sprechender Länder in Genf und Lausanne vom 

1. bis 6. August 1807. 

Referent: R. Hirsehberg (Paris). 

In der ersten allgemeinen Sitzung hielt der Vorsitzende des Kongresses, 
Herr Prfivost, einen wichtigen Vortrag über experimentelle Epilepsie. Sein 
Schüler F. Battelli hat gezeigt, daß ein alternativer Strom am Kopfe appliziert 
(eine Elektrode am Mund, die andere am Nacken) einen konvulsiven epileptiformen 
Anfall zur Folge hat, welcher bei den Säugetieren mit einem tonischen Stadium 
apfängt, um dann in das Stadium der klonischen Krämpfe überzugehen. Bei 
dieser Methode wird das ganze Gehirn gleichzeitig gereizt. Dazu hat dieselbe 
noch den Vorzug, daß man sie mehrmals bei demselben Tier applizieren kann, 
da man gar keine operative Eingriffe am Schädel vorzunehmen braucht. Andrerseits 
ist man auch der Gefahr nicht ausgesetzt durch Lähmung des Herzens den Tod 
des Tieres zu verursachen, wie dies geschieht, wenn der elektrische Strom durch 
die Gegend des Herzens geht. Aus den Experimenten des Vortr. und des Herrn 
Battelli geht hervor, daß der Tod durch elektrische Ströme nicht auf eine 
Inhibition des Nervensystems zurückzuführen ist, wie es manche Autoren behauptet 
haben, sondern von einer Herzlähmung herrührt. Die Ursache dieser Lähmung 
sind fibrilläre Tremulationen des Herzens, und wenn man dagegen nicht ein- 
schreitet, so ist bei manchen Tieren, so z. B. beim Hund, der Tod auch ein 
definitiver. In der Tat hat Battelli gezeigt, daß man diese Herzlähmung zum 
Verschwinden bringen kann durch direkte Applikation eines Stromes von einer 
Spannung von wenigstens 210 Volten und somit das Tier retten kann. Bei anderen 
Tieren (Meerschweinchen, Kaninchen, Ratten) sind die fibrillären Tremulationen 
des elektrisierten Herzens keine definitiven, darum vertragen diese Tiere ohne 
Schaden elektrische Ströme. Appliziert man bei einem Hunde eine Elektrode am 
Nacken und eine am Mund (alternativer Strom), so ruft man einen epileptischen 


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Anfall hervor. Zunächst während 15 bis 20 Sekunden tonische Krämpfe, dann 
tritt ein Stadium von klonischen Krämpfen ein von einer Dauer von 10 bis 
50 Sekunden. Während dieses Stadiums sind die Pupillen erweitert. Auf 
das klonische Stadium folgt ein Stadium von tiefem Coma. Aus dem Coma 
wacht dos Tier bald auf in einem Zustand von großer Erregung und Zorn. 
Das Maul voll von blutigem Schaum, bellend und heulend wirft sich das Tier 
auf alle Gegenstände. Das Sehen des Tieres scheint getrübt zu sein. Mit 
einem Worte, dieses Stadium ähnelt dem postepileptischen Ezzitationsstadium 
bei der menschlichen Epilepsie. Allmählich beruhigt sich das Tier und kehrt in 
einen vollständig normalen Zustand zurück. Herr Samaja, ein Schüler des 
Vortr., hat nachweisen können, daß das klonische Stadium von einer Keizung der 
Rindenschichte des Gehirns abhängt. Hat man auf experimentellem Wege das 
Gehirn seiner Rindenschichte und der psychomotorischen Centren beraubt, so ruft 
der elektrische Strom nur tonische Krämpfe hervor und kein Stadium von kloni- 
Bchen Krämpfen mehr. Dasselbe beobachtet man bei jungen Tieren, bei welchen 
die kortikale Schichte des Gehirn noch nicht ausgebildet ist (Samaja, bei Katzen, 
die jünger sind als 18 Tage). Appliziert man den elektrischen Strom beim Hund, 
Katze oder Affe vom Kopf bis zum After, so fehlt ebenfalls das klonische Stadium, 
trotzdem die Tiere erwachsen sind. Vortr. erklärt dieses Phänomen als Folge 
von Rindenanämie, verursacht durch Herzlähmung. Mit einem seiner Schüler, 
M ioni, hat er Experimente angestellt, die in der Tat beweisen, daß bei künst¬ 
licher Anämisierung des Gehirns (durch Kompression der Halsarterien) das klonische 
Stadium der durch elektrischen Strom hervorgerufenen Epilepsie vollständig fehlt 
Übrigens ruft die Applikation des elektrischen Stromes am Rückenmark immer 
nur tonische Krämpfe und nie klonische hervor. Beim Kaninchen und beim 
Meerschweinchen kann man klonische Krämpfe hervorbringen nach Abtragen von 
beiden Großhirnhemisphären. Das Centrum für klonische Zuckungen muß bei 
diesen Tieren im verlängerten Mark oder im Isthmus liegen. Bei allen Säuge¬ 
tieren und Vögeln ist das ganze Rückenmark der Sitz ausschließlich von tonischen 
Centren, und nie kann man bei diesen Tieren durch Reizung des Rückenmarks 
klonische Krämpfe hervorbringen. 

Referat 1. In der psychiatrischen Sektion teilt zunächst Herr Gilbert 
Ballet sein Referat mit: Forensisohes Gutachten und die Frage der Zu- 
reohnungsfähigkeit. Vortr. meint, daß die Frage der Zurechnungsfähigkeit 
(Responsabilitä) bei psychiatrischen Gutachten nicht von ärztlicher Kompetenz ist. 
Die Frage von der Zurechnungsfähigkeit (Responsabilitö) oder Unzurechnungs¬ 
fähigkeit (Irresponsabilite) geht den Arzt nichts an. Der französische Richter 
ist nicht einmal berechtigt diese Frage an den Sachverständigen (Psychiater) za 
stellen, da der § 64 des französischen Strafgesetzbuches, auf Grund dessen der 
Sachverständige zugezogen wird, von Zurechnungsfähigkeit oder Unzurechnungs¬ 
fähigkeit keine Silbe enthält. Dieser Paragraph lautet: „Es besteht weder Ver¬ 
brechen noch Vergehen, sobald der Angeklagte, während er die Tat begangen hat, 
sich in einem Zustand von Demenz befunden hat, oder von einer Kraft, der er 
nicht imstande war zu widerstehen, zu dieser Tat bewogen wurde.“ Es ist also 
gegen das Gesetz, wenn die Frage von der Zurechnungsfähigkeit an den sach¬ 
verständigen Arzt gestellt wird. Es ist wahr, daß in den meisten Fällen ein solches 
Verfahren keine praktischen Übelstände nach sich zieht, da die Bezeichnungen 
Zurechnungsfähigkeit mit geistig normal und Unzurechnungsfähigkeit 
mit geistig abnorm sich decken. Es gibt aber auch Fälle, in welchen solches 
Verfahren zu bedauernswerten Konsequenzen führen kann. Bei dem Begriff von 
Zurechnungsfähigkeit kann es sich entweder um moralische oder soziale Zu¬ 
rechnungsfähigkeit handeln. Die moralische Zurechnungsfähigkeit gehört in das 
metaphysische Gebiet und geht die Ärzte nichts an. Wir haben uns mit der 


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sozialen Zurechnungsfähigkeit allein zu befassen. Der Gesetzgeber glaubt irriger- 
-weise, daß mit Ausnahme der unzurechnungsfähigen Irrsinnigen es nur strafbare 
gewöhnliche Verbrecher gibt, gegen welche die Gesellschaft genügend geschützt 
ist, indem sie einem jeden Vergehen eine proportioneile Strafe appliziert. Der 
Gesetzgeber bat aber eine ganze Kategorie von Delinquenten außer acht gelassen, 
die man weder für unzurechnungsfähige Irrsinnige, noch für geistig Normale und 
darum vollständig Zurechnungsfähige halten kann. Gerade in bezug auf diese 
^Kategorie von Delinquenten haben die Ärzte die üble Gewohnheit angenommen, 
eich der Bezeichnung verminderte Zurechnungsfähigkeit zu bedienen. Vortr. 
ist der Meinung, daß diese Bezeichnung erstens keinen medizinischen Sinn bat, 
und zweitens zu einer Verminderung der Strafe führt, die nicht gerechtfertigt ist, 
da gerade die meisten vermindert Zurechnungsfähigen vom sozialen Standpunkt viel 
gefährlicher sind als mancher vollständig zurechnungsfähiger Verbrecher. Der 
Sachverständige darf in seinem Gutachten die Gefährlichkeit solcher Delinquenten 
nicht totschweigen, da dieselbe aus seiner ärztlichen Untersuchung des betreffen¬ 
den hervorgeht. Er bleibt somit in seiner Bolle des Sachverständigen, indem er 
den Grad dieser Gefährlichkeit bestimmt. Der Arzt hat freilich sich nicht in 
die Frage des Strafmaßes hineinzumischen, nichtsdestoweniger darf er nicht in 
seinem Gutachten, in seiner Aussage, Bezeichnungen anwenden, die erstens 
ins Gesetze gar nicht figurieren und zweitens zu einer Strafe führen, die die 
Gesellschaft ungenügend gegen einen gefährlichen Delinquenten schützt Vortr. 
möchte deswegen, daß man die Bezeichnung verminderte Zurechnungsfähigkeit aus der 
forensischen Psychiatrie streichen soll. Der heutige Mißbrauch der Bezeichnungen 
zurechnungsfähig, unzurechnungsfähig, vermindert zurechnungsfähig 
liegt darin, daß der sachverständige Arzt naturgemäß auf die Fragen antworten 
möchte, die der Richter an ihn stellt. Dem Wortlaut des Gesetzes zufolge hat 
aber der Richter nicht das Recht in dieser Weise dem Arzt die Frage zu stellen. 
Das Gesetz ist lückenhaft in dieser Beziehung. Da soll sich der Richter an den 
Gesetzgeber wenden, um das Gesetz zu modifizieren. Bis dahin ist er aber vom 
Gesetz dazu nioht berechtigt, eine schwere soziale Verantwortung ganz und gar 
auf die Schultern des Bachverständigen Arztes zu wälzen. 

Diskussion: Herr Grasset (Montpellier) mt der Meinung, daß die sach¬ 
verständigen Ärzte die Pflicht haben, den Richter über den Grad der Zurechnungs¬ 
fähigkeit des Angeklagten aufzuklären. Im Gegenteil zu dem Vortr. verteidigt 
G. lebhaft den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit. Er bedauert, daß das 
französische Gesetz in dieser Beziehung so lückenhaft ist, und schlägt dem Kongreß 
folgendes Votum vor: 1. Die Begriffe von Zurechnungsfähigkeit, von Unzurechnungs¬ 
fähigkeit und verminderter Zurechnungsfähigkeit sollen in das Gesetz eingeführt 
werden, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß es sich dabei um medizinische 
oder physiologische Zurechnungsfähigkeit handelt. 2. Das Gesetz soll gestatten, 
daß unter bestimmten Umständen das Urteil neben oder anstatt der Strafe obli¬ 
gatorisches Behandeln in speziellen Anstalten befiehlt von solchen Verurteilten, 
die als unzurechnungsfähig oder vermindert zurechnungsfähig erklärt wurden. 

Herr Giraud (Saint Yon) bekämpft ebenfalls die Schlüsse des Vortr. und 
findet, daß unsere heutige soziale Organisation die Zurechnungsfähigkeit zur Basis 
hat, und der sachverständige Arzt kann in seinem Gutachten dieser Frage nicht 
entgehen. In demselben Sinne äußert sich auch Herr Francotte (Lüttich). 

Herr Joffroy (Paris) erblickt keinen großen Schaden in dem Gebrauch von 
den Ausdrücken zurechnungsfähig, unzurechnungsfähig in prägnanten, aus¬ 
gesprochenen Fällen. Die Schwierigkeit liegt in den wenig ausgesprochenen Grenz¬ 
fällen. J. möchte, daß man eine passendere Bezeichnung als den Begriff Respon- 
sa bilität finden sollte. Man würde alsdann den Wortstreit zwiBohen dem Vortr. und 
Grasset beseitigen können, da sie doch im Grunde beide derselben Ansioht sind. 

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Herr Rögis (Bordeaux) ist der Meinung, daß die Divergenz der Ansichten 
nicht einzig und allein in der verschiedenen Auffassung eines Wortes bestehen. 
Etwas viel wichtigeres ist im Spiele. Der Vortr. scheint zu glauben, daß die 
Mission des Sachverständigen damit erfüllt ist, wenn er die Diagnose gestellt hat. 
Das ist aber durchaus nicht der Fall. Ein Gutachten ist mehr als eine Diagnose, 
da es sich auch auf die medico-legale Konsequenzen der Diagnose zu erstrecken 
hat, um den Richter über den verschiedenen Grad der Zurechnungsfähigkeit auf¬ 
zuklären. In einem Arbeitsunfall würden wir uns dann nur auf eine Diagnose be¬ 
schränken und gar nichts von der späteren Arbeitsfähigkeit des Verunglückten sagen? 
Warum soll dann der sachverständige Psychiater nicht das Recht haben, von der 
Arbeitsfähigkeit des Gehirns, d. h. von der Zurechnungsfähigkeit zu sprechen. Er 
hat nichts dagegen, wenn das Wort zurechnungsfähig (responsable) durch ein besseres 
ersetzt würde, er bleibt aber fest der Meinung, daß der Sachverständige in seinem 
Gutachten neben der Diagnose die forensischen Schlüsse derselben zu ziehen hat. 

An der Diskussion beteiligten sich noch die Herren Bard (Genf), Bern heim 
(Nancy), Alexandre Paris (Nancy), Zangger (Zürich), Vallon (Paris) und 
Er ne st Duprä (Paris). Leider sind alle diese sehr interessanten Reden in einem 
kurzen Referat nicht wiederzugeben. Die meisten gingen weit über die Grenzen 
des Referats des Vortr. hinaus und berührten ethische und philosophische Fragen, 
um am Ende für oder gegen die Thesen des Vortr. sich auszusprechen. 

In seinem Schlußwort schlägt Vortr. vor, daß vom Kongreß über folgende« ab¬ 
gestimmt wird. 1. § 64 des französischen Strafgesetzbuches, auf Grund dessen die 
Sachverständigen ernannt werden, um auf Geistesstörungen verdächtige Angeklagte 
zu untersuchen, lautet einfach, daß weder Verbreohen noch Vergehen besteht, 
sobald der Angeklagte im Augenblick, als die Tat begangen wurde, sich in einem 
Zustande von Demenz befand. Das Wort Zurechnungsfähigkeit ist jedoch in diesem 
Paragraph nicht enthalten. 2. Die Fragen von Zurechnungsfähigkeit, sei es 
moralische, sei es soziale, sind eher metaphysischen oder juristischen als ärzt¬ 
lichen Charakters. 3. Der Arzt, dessen alleinige Kompetenz auf die Wirklich¬ 
keit und Natur der Geistesstörung und auf den Einfluß, den diese Geistesstörung 
auf die inkriminierten Handlungen des Angeklagten ausgeübt hat, sich erstreckt, 
hat nicht auf diese Fragen einzugehen. 

Der Kongreß beschließt: „Die Richter mögen sich an den Text des § 64 
halten und die ebenerwähnten Fragen an die sachverständigen Ärzte nicht richten, 
da diese Fragen außerhalb der ärztlichen Kompetenz liegen.“ Mit großer Mehr¬ 
heit werden diese Thesen angenommen 

Referat II. Herr Antheaume (Paris). Die periodischen Psychosen. 
Die Periodizität und das Alternieren der Manie und der Melancholie war von jeher 
bekannt. Es ist aber das große Verdienst von Baillarger und J., P. Fahret 
im Jahre 1864 das cirkuläre Irresein und die Folie & double forme von 
der gewöhnlichen Manie und Melancholie isoliert und die Symptome und die 
Prognose der neuen Krankheit festgestellt zu haben. Im Jahre 1890 beschreibt 
Magnan das intermittierende Irresein (la folie intermittente), das in rezi- 
divirender Manie und Melancholie bestehen und in sich alle Exzitations- und 
Depressionszustände einschließen soll, das weder zu den organischen, noch degeBe- 
rativen oder idiopathischen Psychosen gehört. Im Jahre 1899 beschreibt 
Kraepelin das manisch-depressive Irresein. Durch dasselbe werden alle Falle 
von Manie in die periodische Verrücktheit eingeschloBsen, ebenso alle Fälle 
von Melancholie, mit Ausnahme der präsenilen Involutionsmelancholie. Wir 
sehen somit, daß auf Kosten der Manie und der Melancholie die neue Krankheit 
sich zwischen 1864 und 1899 ausgebildet hat. Das periodische Irresein 
der Franzosen und das manisch-depressive Irresein von Kraepelin unter» 
scheiden sich in verschiedenen Punkten. Das periodische Irresein begründet seine 


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Definition in seiner Ätiologie, in seinen Symptomen und in seiner charakteristischen 
Evolution. Die Kraepelinsche Auffassung sucht ihre Begründung in einer ein¬ 
gehenden psychologischen Analyse, die beweisen soll, daß die Manie und Melancholie 
keine entgegengesetzte Zustände sind, wie man es bis dahin geglaubt hat, sondern 
homologe Zustände, die beide dadurch charakterisiert Bind, daß die Aufmerksam¬ 
keit herabgesetzt ist, die Ideenassoziation verlangsamt, die Perzeption eine un¬ 
genügende ist. Die Lähmung der höhereren psychischen Funktionen ist somit bei 
der Manie wie hei der Melancholie vorhanden. Nur ist bei der ersteren der 
psychische Automatismus exaltiert, während bei der Melancholie die höheren psy¬ 
chischen Qualitäten in einem Zustande von Inhibition sich befinden. Kraepelin 
erkennt keine einfache Manie und Melancholie an. In der Tat sind die Symptome 
beider einander ähnlich, wie beim periodischen Irresein, sie rezidivieren immer. Die 
Anfälle sind nie ausschließlich maniakalischer oder melancholischer Natur, sondern 
immer von doppelter Form. Gegen Kraepelins Ansichten wurden von verschiedener 
Seite Bedenken, jedoch ohne großen Belang, erhoben. Seine Ideen gewinnen immer 
mehr und mehr an Terrain, da sie eine sehr verlockende Auffassung des perio¬ 
dischen Irreseins bilden. Kraopelin hat die Symptomatologie dieser Krankheit 
um die ötats mixtes bereichert, die in Augenblicken beobachtet werden, wo der 
melancholische Zustand in den maniakalischen umschlägt und umgekehrt. Die 
heutige Auffassung des manisch-depressiven Irreseins scheint zu sein, daß es sich 
um eine konstitutionelle Psychose bandelt, die während der Pubertät oder der 
Involutionsperiode ausbricht. Für Kraepelin, sowie für die meisten ausländischen 
Psychiater gibt es zwischen den Anfällen keine vollständig klaren Intervalle. Es 
bestehen immmer abnorme Erscheinungen: Daniederliegen der psychischen Energie, 
abnorme Reizbarkeit usw. 

Diskussion: Herr Rägis (Bordeaux) ist der Meinung, daß die Kraepelinsche 
Theorie der Realität der Tatsachen nicht entspricht. Es ist nicht möglich, die 
Existenz der einfachen Manie und einfachen Melancholie zu leugnen. Man hat auch 
die Konstanz der Rezidive behauptet. R. bringt aber eine Statistik von 181 Fällen, 
die er im Verlaufe von 25 Jahren gesammelt hat und die Bich auf 48 Fälle von 
einfacher Manie ohne Rezidiv und 86 Fälle von reiner Melancholie ohne Rezidiv 
erstreckt (= 74 °/ 0 ). Dagegen 47 Fälle von rezidivierender Manie und Melancholie 
(=26 %). Diese Statistik ist maßgebend für die Beurteilung dieser Frage. 
Weiter bekämpft er Kraepelins Ansichten über Manie und Melancholie. Die 
Manie ist die Exaltation des ganzen Wesens, aller Funktionen des Organismus. 
Die Melancholie ist eine Konzentration, eine Depression desselben. 

Herr Gilbert Ballet (Paris) glaubt nicht, daß Kraepelins Ansichten, selbst 
von allen angenommen, die Psychiatrie umwälzen werden. Er akzeptiert wohl diese 
Ansichten, verficht sie aber nicht als Dogma. Und dies fällt ihm um so leichter, als 
die Lehre Kraepelins während der verschiedenen Auflagen seines Buches sich ge¬ 
ändert hat. Die von ihm geschaffene Involutionsmelancholie hat er jetzt verlassen. 
B. macht ihm durchaus keinen Vorwurf. Im Gegenteil, es ehrt ungemein den 
Forscher, wenn er seinen Irrtum bekennt. B. ist gegen die Bezeichnung „manisch- 
depressives" Irresein (Folie maniaco-depressive). Erstens ist der Ausdruck nicht 
elegant, und auch das Wort Folie gefällt ihm nicht. Er möchte, daß dieses Wort 
— Verrücktheit — aus der Psychiatrie gestrichen und durch das Wort Psychose 
ersetzt wird. Das Wort „cirkulär“ ist auch nicht passend. Viel richtiger wäre 
periodische Psychose zu sagen. Die Statistik von Herrn Regis wundert ihn 
gehr. Nach Beiner Erfahrung bilden die reinen, nicht rezidivierenden Formen von 
Manie und Melancholie eine Ausnahme. 

Herr Dupre (Paris) möchte die Gelegenheit benutzen und die Lebens- 
geschichte zweier berühmter deutscher Musiker — Schumann und Hugo Wolff — 
erzählen. Schumann hat sechs große Krisen von melancholischer Depression über- 

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standen, zwischen welchen sich Perioden von außerordentlicher produktiver Akti¬ 
vität befinden, mit gehobener Stimmung, die entschieden Ezzitationskrisen ent¬ 
sprechen. In den letzten Jahren des Lebens dieses großen Künstlers tragen seine 
Kompositionen Zeichen von Schwankungen, die sicher auf Schwäche der psychi¬ 
schen Tätigkeit zurückzuführen sind. Später tritt halluzinatorisches Delirium 
hinzu, ein Selbstmordversuch, und Schumann geht an einer diffusen chronischen 
Encephalopathie zugrunde. Hugo Wolff, der an einer progressiven Paralyse starb, 
überstand im Alter zwischen 27 und 40 Jahren 4 Exzitationskrisen, während 
welcher er Hunderte seiner Lieder komponiert hat. Zwischen diesen Anfallen 
längere Perioden von Untätigkeit und absoluter musikalischer Stille. Diese zwei 
Krankengeschichten sind insofern interessant, als sie uns den Einfluß zeigen, 
welchen eine periodische Psychose auf den Schaffungsgeist zweier genialer Musiker 
ausgeübt hat. Die Psychose dieser zwei Meister hat übrigens nichts gemein¬ 
schaftliches mit der „folie intermittente“. 

An der Diskussion beteiligten Bich weiter die Herren Vallon (Paris), Pailhas 
(Albi) und Deny (Paris). 

(Schluß folgt.) 


IV. Neurologische und psychiatrische Literatur 

vom 1. Juli bis 31. August 1907. 

(Die als Originale in diesem Centralblatt veröffentlichten Arbeiten sind hier nicht noch 

einmal angeführt.) 

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Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXIII. Heft 1 u. 2. — Varia: Tobler, Kongemt. Muskelafconie. 
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minalpfropf. Prager med. Wochenschrift. Nr. 33. — Anton, Selbstmord in der Marine- 
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vorstellungen u. somat. Storungen. Med.Klinik. Nr. 30. — Boege, Periodische Paranoia. Archiv 
f. Psycü. XLIII. Heft 1 . — - Ferris, Paranoia. Med..Record. Nr. 1919. — Progressive 
Paralyse: Seiffer, Alkohol, Unfall und Paralyse. Ärztl. Sachv.-Ztg. Nr. 16. — Moreira 
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Paralyse und Lues cerebro-spin.. Archiv f. Psych. XLIIL Heft 1. — Moriyasu, Fibrillen 
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mann-Plaut sehe Methode. Cas. lek. cesk. Nr. 24 u. 25. — Marie et Levaditi, Anticorps 
syphil. dans la par. gen. et le tabös. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 18 u. Rev. de med. 
Nr. 7. — Plaut. Syphilisdiagnose bei Paralyse und Lues cerebro-spin. Monatsschr. f. Psych, 
u. Neur. XXII. Heft 2. — Cornell, Cerebrospin. fluid in paresis. Amer. Journ. of insan 
LXIV. Nr. 1. — Pilcz, Tuberkulin bei Paralyse. Wiener med. Wochenschrift. Nr. 30. — 
Spielmeyer, Atoxyl bei Paralyse. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 26. — Kayser, Mergal 
bei Paralyse. Pöych.-neur. Wochenschr. Nr. 22. — Forensische Pychiatrie*. Näcke, 
Adnexe an Gefängnissen für geisteskranke Verbrecher. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 19. 
— Wagner, Forensische Tätigkeit der Anstaltsärzte. Ebenda. — Leppmann, A., Forensische 
Bedeutung der Zwangsvorstellungen. Ärztl. Sachv.-Zeitung. Nr. 13. — Therapie der 
Geisteskrankheiten: Lehrmann, Freiluft-Dauerbäder. Psych.-neur. Wochenschr. Nr. 17. 
— Ennen, Ärztefrage. Ebenda. Nr. 18. — Hopf, Ärztemangel an Anstalten. Ebenda. Nr. 17. 
— Deutsch, Anstaltsarztfrage. Ebenda. Nr. 15. — Sandner, Ärztlicher Nachwuchs an An¬ 
stalten. Ebenda. — Wickel, Pflegerfrage. Ebenda. Nr. 16. — Kerris, Ärztefrage. Ebenda. 
— Dietz, Franz. Kreisirrenanstalten. Ebenda. Nr. 19. — Tintemann, Freiluftdauerbäder. 
Ebenda. Nr. 20. — Ultz, Kostfrage in Anstalten. Ebenda. Nr. 22. — Scholz, Heilungs¬ 
aussichten in der Anstalt. Ebenda. Nr. 21. — Moreira, I/assist. des aliönös au Bresi!. 
Bologna. Stab, poligraf. Emiliano. 

Y1I. Therapie. Daeubler, Castoreum-Bromid. Therap. Monatsh. Heft 8. — Chiroae, 
Chloralhydrat und Blut. Rif. med. Nr. 33. — Jones, Electrotherapeutics. Glasgow med. 
Journ. LXVIII. Nr. 2. — Boruttau, Hochgespannte Ströme. Zeitschr. f. ärztl. Fortbild. 
Nr. 14. — Nagelschmidt, Hochfrequenzströme. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 32. — 
Martin, Luft-, Bonnen- und Lichtbäder. Zeitschr. f. physik. u. diät. Ther. XI. Heft 5. — 
Vlna), Hydriatik u. Temperatursinn. Blätter f. klin. Hydrother. Nr. 9. — Laqueur, Hydro¬ 
therapie. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 84. — Winternitz, Hydrotherapie. Wiener med. 
Blätter. Nr. 30. — Benderski, Streichelnde Massageprozeduren. Wiener med. Wochenschr. 
Nr. 84. — Vitatf, Paraganglin bei Nervenkranken. Rif. med. Nr. 25. — Uspenskl, Cerebrale 
Organotherapie. Deutsche Arzte-Ztg. Heft 14. — v. Mosetig-Moorhof, Operationen am Nerven¬ 
system. Heilkunde. Heft 8. 

V. Berichtigung. 

Auf S. 952, Zeile 4 muß es heißen*, „auf dieser Höhe“ statt auf diese Weise. 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 

Verlag von Veit & Comp. in^Leipsig. — Druck von Minen & Wime in Leipsig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet yon Prof. E. Mendel» 

Herausgegeben 

von 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsundzwanzigster Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 16. November. Nr. 22. 


Inhalt. I. Originalmitteillingen. 1. Otogener Hirnabsceß. Mitgeteilt von Prof. Karl 
Schaffer. 2. Über das Fehlen des Achillesphänomens, von Dr. Georg Flatau in Berlin. 


II. Referate. Anatomie. 1. L^corce cerebrale. Premiere partie: developpement, mor- 
phologie et connexions des cellules nerveuses, par Bonne. — Physiologie. 2. Schädel¬ 
maße und Beruf, von Lomer. 3. Weitere Untersuchungen über die Beziehungen zwischen 
Schädelumfang und Intelligenz im schulpflichtigen Alter, von Bayerthal. — Psychologie. 
4. Zur Psychologie der plötzlichen Bekehrungen, von Näcke. 5. The psychology of sudden 
religious conversion, by Prince. — Pathologische Anatomie. 6. Über die Widerstands¬ 
fähigkeit des Neurofibrillennetzes der normalen und pathologischen Nervenzelle gegen Ver- 
faulnis, von di Mattei. 7. Zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Naka. 

8. Pathology of paralysis agitans, by Camp. — Pathologie cles Nervensystems. 

9. Contributo alla conoscenza dei movimenti nel sonno, per Segre. 10. Über einseitigen 
klonischen Krampf des weichen Gaumens, von Lachmund. 11. Zur Ätiologie des Spasmus 
nutans, von Rletschel. 12. Zur Geschichte des Torticollis spasmodicus, von Steyerthal. 
13. Zur Kasuistik der tonischen Krämpfe des Rumpfes, von Fuchs. 14. Eigentümliche 
Kontraktur nach Ablaktation, von Turnowsky. 15. Zwei Fälle von Myoklonie; von Lukäcs 
und Verzär. 16. Contributo allo studio delle mioclonie infettive neir etä infantile, oer 
Meynier. 17. Zur Kenntnis der Athetose, von Berger. 18. Chorea electrica congenitalis bei 
einem Lamm, par Besnftit. 19. Case of multiform tic including automatic speech and pur- 
posive movements, by Prince. 20. Iconographie de Revolution d’un cas de maladie des tics, 
par Roubinowitsch. 21. The differential diagnosis between chorea minor and tic, by Graves. 
22. Beiträge zur Pathogenese der Chorea und der akuten infektiösen Prozesse des Central¬ 
nervensystems, von Cramer und TObben. 23. Über akuten Gelenkrheumatismus, Chorea und 
Endokarditis der Kinder, von Kephallinos. 24. An analysis of 808 cases of chorea, by 
Thayer. 25. Maniacal chorea, by Finny. 26. Über Todesfälle bei Chorea, von Rachmaninow. 
27. Zur Chorea gravidarum, von Martin. 28. Un caso di corea di HuntiDgton con reperto 
anatomo-patologico. del Besta. 29. Über chronische progressive Chorea (Huntington) im 
jugendlichen Alter, von Lange. 30. Über Myatonia congenita (Oppenheim), von Rosenberg. 
31. Ein Fall von Myatonia congenita, von LugenbUhl. 32. Über kongenitale Muskelatonie, 
von Tobler. 33. Über progressive Muskelatrophien, von Rotstadt. 34. Zur Pathologie der 
dystrophischen Form des angeborenen partiellen Riesenwuchses, von Wieland. 35. Zwei Fälle 
von Dystrophia muscularis progressiva farailiaris, von WinocourofV. 36. Pseudo-hypertrophic 
muscular atrophy, by Ingbert. 37. Myopathy of the distal type and its relation to the 
neural form of muscular atrophy (Charcot-Marie, Tooth type), by Spiller. 38. A case of 
neuromuscular paralysis (Charcot-Marie-Tooth type), by Raffan. 39. Atrophia nervi optici 
und neurotische Muskelatrophie, von Krauss. 40. Histoire clinique d'un cas d'atrophie du 
tissu celluloadipeux, par Barraquer. 41. The influence of facial hemiatrophy on the facial 
and other nerves, by Gowers. 42. Über Hemiatrophia faciei, von Heinemann. — Psychiatrie. 

43. Zur Lehre von den psychopathischen Konstitutionen, c) Wahnvorstellungen, von Ziehen, 

44. Die Sekretion des Magensaftes und ihre Beziehungen zu psychopathologischen Zustands-. 


bildern, von Mayr. 45. Der Mongolismus. Referat von Vogt. 46. Die Heredität der Dementia 
praecox, von Wolfsohn. 47. La tubercolosi nella etiologia e nella patogenesi delle malattie 
nervöse e mentali, per Morselli. 48. Les alienes et la tuberculose, par Marie. 49. Notes 

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1042 


upoD tbe incidence of tubcrculosis in asylums, by Greene. 50. Propbylaxie et traitemect 
de la tuberculose dans les asiles d’alienes, par Briand. 51. On tne etiology of asylum 
dysentery, by Knobel. 52. Über die Entlarvung von Simulation bei Geisteskranken/ von 

KGppen. 

III. Bibliographie. 1 . Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten, von ElehfeorsL 
2. Die Geschwülste des Nervensystems: Hirngeschwülste, Rückenmarks- und Wirbel¬ 
geschwülste, Geschwülste der peripheren Nerven, von Bruns. 3. Leitfaden der ärztlichen 
Untersuchung mittels der Inspektion, Palpation, der Schall- und Tastperkussion, sowie der 
Auskultation, von Ebstein. 

IV. Aus den Gesellschaften. XIII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neuro¬ 
logen in Leipzig am 26. und 27. Oktober 1907. — XXXVIII. Versammlung der südwest¬ 
deutschen Irrenärzte in Heidelberg am 2. und 3. November 1907. — XVII. Kongreß der 
Psychiater und Neurologen Frankreichs und französisch sprechender Länder in Genf und 
Lausanne vom 1. bis 6. August 1907 (Fortsetzung.) — Österreichischer Irrenärztetag in 
Wien vom 4. bis 6. Oktober 1907. 

IV. Vermisches. — V. Personalien. 


I. Originalmitteilungen. 


Aas der Budapester Poliklinik.] 

1. Otogener Hirnabsceß. 

Mitgeteilt von Prof. Karl Sohaffer. 

Oberarzt der Nervenabteilung. 

G. K., 28jähriger, verheirateter Tisohler wurde als Patient der Krankenkasse 
am 5. Februar 1906 auf die Hospital&bteilung der Poliklinik aufgenommen. Den 
Kranken untersuchte in der Ambulanz der Krankenkasse Priv.-Doz. v. Sabbö, 
dessen Befund und Diagnose ich im folgenden gebe. „Geschwächte Hörfähigkeit 
seit Kindheit auf dem linken Ohre; Lues negiert; hat ein Kind, seine Frau 
abortierte während der zwei ersten Schwangerschaften. Patient war früher nie 
krank und als fleißiger und nüchterner Arbeiter bekannt. Am 14. Januar 
1906 erkrankte er unter Erscheinungen von Schwindel und Ohrensausen; seine 
Untersuchung wies zu dieser Zeit nichts Abnormes nach. Am 1. Februar wird 
sein unsteter Blick auffallend, er kann sich nicht • gut ausdrüoken und beklagt 
sich, nicht lesen zu können. Fragen apperzipiert er nur nach Wiederholung; 
seine Antworten sind zögernd. Nach Angaben der Frau ist ihr Mann seit 
3 Wochen vergeßlich, gibt verkehrte Antworten, ist in letzter Zeit fieberhaft, 
schlaflos, springt &ub dem Bett und hat einen unheimlichen Blick. Am 3. Februar 
sprang er aus dem Bett mit den Worten: „Läßt man mich nicht in Buhe?“ Er 
beklagt sich über immer heftiger werdende Kopfschmerzen, deren Intensität oft 
unerträglich ist; sie sind auf die Stirn lokalisiert. Pupillen dilatiert, gleich, 
reagieren gut so auf Lioht wie konsensuell, Akkommodation normal. Mit Augen¬ 
spiegel Papilloretinitis. Im Dunkeln ist die rechte Pupille etwas weiter als 
die linke. Die rechte Nasolabialfalte verstrichener; oberer Facialis in Ordnung. Es 
sind Erscheinungen vorhanden, welche auf die Affektion des Seh- und Hörcentrums 
hinweisen; letztere sowie die progressiv heftigen Kopfschmerzen lassen die Diagnose 
auf Hirnabsceß stellen. Dieser ist offenbar otogen; der Ohrbefund ist folgender: 
Im äußeren Ohrgang weißlicher Eiter, nach dessen Entfernung im hinteren oberen 
Trommelfellquadrant eine stecknadelkopfgroße Perforation sichtbar wird, durch 
welchen aus der Trommelhöhle Granulationen wuchern. Diagnose: Cholesteatom? 
Caries (Dr. Nbubaübr). Der Gang ist frei, etwas verlangsamt; steht mit ge¬ 
schlossenen Augen sicher.“ 

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Den Patienten sah ich zum ersten Mal am 7. Februar 1906, als ich folgenden 
Status erheben konnte: Der Schädel des mittelmäßig entwickelten, anämischen 
Mannes weist keine Abnormität auf. Pupillen mittelweit, gleich; die linke reagiert 
etwas träge, während bei Konvergenz beide gleich prompt sich bewegen. Im 
Augenhintergrund findet Dr. Rbmbnäb Neuroretinitis. Die Sehfelder sind 
beiderseits gleich groß und von normaler Ausdehnung. Augenhewegungen normal, 
keine Diplopie, weder jetzt noch früher. Sensibilität sowie Motilität vorzüglich; 
Lokalisation der Berührungen prompt. Zungenbewegungen, Deglutition frei. Der 
rechte Mundfacialis bleibt etwas zurück. Gehör auf dem linken Ohre Null, auf 
dem rechten Ohre normal. Kein Romberg; Gang mit geschlossenen Augen sicher. 
Kniereflexe scheinen zu fehlen; Achillessehnenreflexe sicher vorhanden. Patient 
selbst, wie auch seine Frau, beklagt sich über auffallende Vergeßlichkeit. Er 
kann nicht sagen, in welcher Gasse er wohne; als Tischler vermag er den Hobel 
nicht zu benennen und markiert nur durch entsprechende Bewegungen die Bestimmung 
dieses Werkzeuges, womit er die Kenntnis des letzteren beweist. Er kann nicht 
angeben, wo er sich befindet; erst als ich ihn auf die Betten und deren Insassen 
aufmerksam mache, kommt er darauf, daß er sich im „Krankenzimmer“ befinde. 
Auffallend ist die Lesestörung, welche sich darin kundgibt, daß Patient die ein¬ 
zelnen Buchstaben, besonders die am Anfang der Worte, fehlerhaft erkennt; so 
z. B. liest er den Personennamen „Görgey“ unrichtig „Forgei“. Besonders auf¬ 
fallend ist, daß er die im Ungarischen so wichtigen Akzentzeichen nicht zu be¬ 
merken scheint und liest daher statt ö „o“, statt ü „u“. Auf „A“ sagt er „J“, 
nun fordere ich ihn auf, „A“ zu schreiben, was er richtig tut. Unmittelbar 
hernach soll er „C“ schreiben, was ihm nach einigem Nachsinnen nicht gelingt; 
nun ließ ich ihm das Alphabet schreiben und da schreibt er nach „B“ richtig 
„C“ und erkennt letzteren Buchstaben als solchen. Im Schreiben vergißt er die 
Akzente aufzusetzen, so z. B. schreibt er Donnerstag, im Ungarischen „csötörtök“ 
folgendermaßen: „sotortok“; mache ich ihn auf den Mangel der Akzente aufmerksam, 
so legt er bei mehrmaligem Durchlesen erst auf das erste o die zwei Punkte und 
macht somit aus dem ersten o ein ö, und so geht dies sukzessive, erst nach 
wiederholter Durchsicht, mit den übrigen Selbstlauten. Statt 906 schreibt er 
auf Diktat 96; indem ich ihm jetzt 96 schreiben lasse, fällt ihm der Fehler 
auf. 906 X S07 vollzieht er fehlerlos und nennt dos Endresultat der Multiplikation 
731042 ganz richtig. 

Am 9. Februar fand ich den Kranken an sehr starken Kopfschmerzen leidend, 
welche auf die Stirn sich beschränkten, zeitweilig nachlassen, um dann plötzlich 
lanzinierend wieder zu erscheinen. In einem solchen Zustand ist der Kranke 
unfähig zu sprechen und zu lesen; er liegt den ganzen Tag teilnahmlos und wortlos, 
bei Ansprache jedoch reagiert er vernünftig. Aus dem gedruckten Alphabet 
bezeichnet er einzelne Buchstaben folgendermaßen: E=A, P=L, H=H, L = L, 
P = ?, „ich kenne es nicht“, doch nach einiger Zeit kommt er doch darauf und 
sagt richtig P. Das Wort Pester Journal, ungarisch „Pesti Hirlap“ schreibt er 
so: „Baapti hirtap“. Seinen Namen schreibt er fehlerlos, seinen Geburtsort 
„Äroktö“ als „urogtö“. Pupillen, Kniephänomene unverändert. Ich halte ihm 
einen Schlüssel vor, die Antwort erfolgt pantomimisch, indem er mit drehender 
Handbewegung die Bestimmung des Gegenstandes bezeichnet; nach einer gewissen 
Zeit kommt er schließlich auf den Namen und sagt „Schlüssel“. Ich halte eine 
Taschenuhr vor, worauf: „Ich weiß, was es ist, wenn ich mich besser fühle, so 
werde ich es benennen können.“ Ich gehe ihm die Uhr in die Hand, halte sie 
ihm zum Ohre (ich fahnde auf optische Aphasie!), ohne Erfolg. Nach einer 
Weile sagt er spontan „Uhr“. Die linke Schläfe ist auf Beklopfen ent¬ 
schieden empfindlicher! 

Die progressive Verschlimmerung des Zustandes gebot raBch zu handeln und 


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66*üii:;i> il frei”. 

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1044 


so war ich gezwungen, Diagnose zu stellen, obschon die Erscheinungen seitens 
der Sprache, Schrift und des Lesens ein eingehenderes Studium erfordert hätten. 
Doch erlaubten die rasche Ermüdung und der leidende Zustand eine Vertiefung 
nicht; da aber nach dem therapeutischen Eingriff, welcher dem Kranken subjektiv 
eine große Erleichterung verschaffte, die bereits berührte Aphasie eine geraume 
Zeit hindurch bestand, so war ich später auch weiterhin in der Lage, meine 
Untersuchungen ohne wesentliche Störung fortzusetzen. 


Bezüglich der Diagnose waren die maßgebenden Erscheinungen: 1. der 
Kopfschmerz, 2. d^e perkutorische Empfindlichkeit der linken 
Schläfe, 3. der Ohrbefund, 4. die Neuroretinitis und 5. die Aphasie. 

Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, daß der seit Kindheit be¬ 
stehende eitrige Ohrfluß, namentlich die otiatrische Feststellung der Felsenbein¬ 
karies, meine Aufmerksamkeit dahin lenkte, daß die cerebralen Erscheinungen 
— die Sprachstörung, die Neuroretinitis, die Kopfschmerzen, die perkutorische 
Empfindlichkeit der linken Schläfe — mit einem Hirnabsceß im Zusammen¬ 
hang stehen, eine Annahme, zu welcher Kollege Sabbö bereits vor mir kam; 
ist doch bekannt, welche eminente Rolle die Otitis media purulenta in der Genese 
des Himabscesses spielt. Im vorliegenden Fall war es daher eine begründete 
Annahme, daß der purulente Prozeß aus der Trommelhöhle auf dem beliebten 
Wege der Kontinuität den linken Temporallappen erreichte, somit eiuen Haupt¬ 
punkt der cerebralen Sprache affizierte, woraus eine Sprachstörung resultierte, 
welche v. Monakow treffend Wortvergessenheit, Erinnerungsaphasie 
(Amnesia verbalis) nennt. Es ist dies eine Art der Aphasie, welche in reiner 
Form eine erschwerte Reproduktion der sprachlichen Bezeichnungen bei un¬ 
geschmälertem Begriffssohatz bedingt. Neben dieser Sprachstörung waren weder 
Störungen des Sehcentrums, noch solche der perzeptiven sowie der expressiven 
Sprachcentren vorhanden; es fand sich allein die oben angedeutete assoziative 
Sprachstörung vor, von welcher unten noch ausführlicher die Rede sein soll. 

Somit ist es naheliegend, daß die Einseitigkeit der Otitis, und die mit 
letzterer topisch kongruente Aphasie, sowie die perkutorische Empfindlichkeit der 
linken Schläfe übereinstimmend auf die linke Hemisphäre als auf den Sitz des 
Himabscesses hinwiesen. Bei genauerer Lokalisation erschien es schon vorweg 
als sehr wahrscheinlich, daß der Sitz des Abscesses im Schläfen lappen zu suchen 
sei, denn hierauf wies die assoziative Aphasie sehr energisch. Die Möglichkeit 
eines Kleinhirnabscesses wurde auch in Erwägung gezogen, besonders da die 
Patellarreflexe zu fehlen schienen; doch wurde diese Annahme durch den totalen 
Mangel einer Kleinhirnataxie, sowie von Bulbärerscheinungen (Dysarthrie, Para¬ 
parese) ganz hinfällig. Endlich hat die Neuritis optica den Hirnabsceß auch 
wahrscheinlich gemacht, obschon bekanntlich dieses Symptom bei Absceß weniger 
beständig ist als in Fällen von Hirntumor. Ferner bekräftigte den Himabsoeß 
jene Störung des Bewußtseins, welche in der Verlangsamung und Erschwerung 
des Denkens sich kundgab. Fieber beobachteten wir nicht; ebenso wissen wir 
nichts von Schüttelfrost; Puls zeigte nichts auffallendes. 


Nach obigem stellte ich die Diagnose auf otogenen Hirnabsceß im 
linken Temporallappen. Den entsprechenden operativen Eingriff vollzog mein 


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poliklinischer Kollege Priv.-Doz. v. Illy£s am 11. Februar 1906; angesichts der 
zunehmenden Bewußtseinsstörung, der äußeret heftigen Kopfschmerzen erschien die 
Operation dringend geboten. Es wurde eine osteoplastische Tür über den linken 
Temporallappen geöffnet, bei welcher Gelegenheit die Hirnsubstanz, sich energisch 
hervordrüngend, starken Druck vermuten ließ; Bie war oberflächlich etwas ver¬ 
färbt. Mittels Pravaz konnten wir aus der Tiefe des Temporallappens schmutzig- 
gelben, übelriechenden Eiter erhalten; hierzu mußte Kollege v. Illy£s etwa 3 cm 
tief die Nadel in die Hirnsubstanz hineinstechen. Nun wurde die Hirnrinde 
durchschnitten und es entleerte sich unter großem Druck der Eiter aus einer etwa 
nußgroßen Höhle. Letztere wurde mit Hydrogen byperoxyd, nachher mit warmem 
sterilem WasBer ausgespült und mit Jodoformmull locker ausgestopft. Der operative 
Eingriff verifizierte somit die gestellte Diagnose in jeder Beziehung. 

Am 13. Februar (zwei Tage nach der Operation) notierte ich folgendes: 
Patient fieberlos (36,5°); Kopfschmerzen ganz geschwunden. Die Kranken¬ 
pflegerin bemerkt spontan, daß die Antworten des Kranken bereits anfangen, 
richtig zu sein, während es ihr vor der Operation auffallend war, daß der Kranke 
nur nach längerem N.achsinnen und dann erst verkehrte Antworten gab. Die 
Apathie ist auch geschwunden; er erkundigt sich nach seiner Frau; er erinnert 
sich auf den Tag der Operation und ist räumlich wie zeitlich ganz orientiert. 
Patellarreflexe fehlen auch heute. Appetit gesteigert. Bemerkt Bpontan, daß er 
sich besser fühle. Die Sprachstörung ist unverändert: den Namen des 
Schlüssels und des Hobels vermag er auch heute nicht anzugeben; auf die Taschen¬ 
uhr sagt er Sonnenuhr; auf den Zwicker Augengläser; den Buchstaben F scheint 
er nicht zu kennen, liest aber das Wort „frisch“. 

Am 15. Februar ist dos Sensorium derart frei, daß der Kranke ohne Stockung 
und Anstrengung das Gespräch führt. Und so gibt er bezüglich der Anamnese 
an, daß er gegen Ende Januar 1906 mit Kopfschmerzen erkrankte, welche im 
Nacken beginnend, zur linken Schläfe zogen, endlich an der Stirne anhielten; sie 
zeigten sich weniger bei Tag als in der Nacht mit reißendem Charakter. Im 
Kopfschmerz waren stellenweise Intermissionen vorhanden. Ferner Schlaflosigkeit. 
Außerdem war er sehr vergeßlich, zeigte sich in der Handhabung der Werkzeuge 
sehr konfus, wurde bereits bei einfachen Arbeiten wirr, so daß er innehalten 
mußte und schließlich, sich dennoch nicht auskennend, die Arbeit stehen zu lassen 
gezwungen war. Er machte die Beobachtung, daß er nicht lesen konnte; die an 
ihn gerichtete Sprache verstand er, nur seine Antworten waren falsch. Er aß 
wenig, sein Stuhl war retardiert. Während dieser Zeit hatte er nie einen 
Schüttelfrost, auch meldete sich kein Erbrechen. Auf meine Frage gibt 
Patient an, daß er während seiner Krankheit in der Spontansprache die Aus¬ 
drücke suchen mußte, diese oft nicht fand, obschon er sehr gut wußte, was er 
ausdrücken wollte; bezüglich der Bedeutung jenes Gegenstandes oder Begriffes, 
dessen Wort er suchte, war er immer orientiert. Bezüglich der Benennung ein¬ 
zelner Gegenstände wird folgendes notiert: 1. Schlüssel = „Ich weiß, wozu man 
es braucht, ich benutze es auch viel, womit man öffnet“. 2. Trinkglas ■* „Glas“. 
3. Fensterglas = „Glas“. 4. Bett ■= keine Antwort. 6. Stuhl =» keine Antwort, 
6. Tintenfaß = keine Antwort. 7. Schreibfeder = keine Antwort. 8. Regen¬ 
schirm *=* keine Antwort. 9. Seife = „Waschzeug“. 10. Stuhl (von neuem) = 
„Möbel“. Die folgenden Gegenstände, wie Rock, Tisch, Handtuch, Kreide, 
Cylinder, werden richtig benannt. Seine Wohnung kann er auch heute nicht 
angeben, während er den Namen seines Meisters und die Adresse desselben genau 
nennt. Die Merkfähigkeit des Patienten ist Null; ich zähle ihm zehn sinnvolle 
Wortpaare zweimal vor (Wiese-Gras, Fenster-Vorhang, Dach-Haus, Fluß Brücke usw.) 
und obschon er förmlich einprägend die Worte mir laut nachsprioht, so ist er 
dennoch unfähig, auf das Weckwort (Wiese, Fenster, Dach, Fluß usw.) das ent- 


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sprechende Reaktionswort (Gras, Vorhang, Haus, Brücke usw.) anzageben. Nach 
diesem Experiment bemerkt Patient spontan, daß er absolut anfähig ist, sich 
etwas zu merken; er ist im höchsten Grad vergeßlich. Lesen und Schreiben 
genau so wie vor der Operation. Er zeichnet richtig einen Kreis, ein Drei-. 
Vier* und Fünfeck; ich zeichne ihm ein Sechseck vor, das er sofort erkennt. 

17. Februar. Die Mimik ist freier, Pat. hat keine Kopfschmerzen, beklagt 
sich allein über schlechten Schlaf und schwere Träume. Puls 110, jedoch sub¬ 
jektiv ohne Herzklopfen. Heute kann er seine Wohnung schon angeben und nennt 
die vorgestern nicht bezeichneten Gegenstände richtig. Als interessanter Um¬ 
stand sei erwähnt, daß, so oft er von seiner Nase sprechen will, er das Wort 
Ohr gebraucht; auch bezeichnet er seinen Daumen mit dem allgemeineren Namen 
„Finger“. Den Zeigefinger kann er dann ent bezeichnen, wenn ich meine 
Hand in eine hinweisende Stellung venetze. Lesen unverändert. Kniereflexe 
fehlen. 

19. Februar. Status idem. Die assoziative Sprachstörung besteht; die Nase 
benennt er nach kurzem Nachdenken richtig, hingegen bezeichnet er den Mond, 
die Zähne, die Zunge erst dann, wenn ich frage: „Was öffnen Sie beim Essen? 
Mit was beißen Sie? Was stecken Sie hervor?“ Den Daumen und kleinen 
Finger kann er auch heute nicht benennen. 

22. Februar. Beklagt sich zwar über schwachen linksseitigen Kopfschmerz, 
macht jedoch im allgemeinen sehr guten Eindruck. Sein Bliok ist frisch, seine 
Antworten zutreffend und rasch, dooh verwechselt er noch immer einzelne Aus¬ 
drücke. So benennt er heute die Nase, den Mund, die Lippen, die Zähne richtig, 
während die Spezialbezeichnungen der einzelnen Finger ihm nicht in den Sinn 
kommen wollen. Setze ich die Taschenuhr neben sein Ohr, so antwortet er: „Bitte 
zu warten, es wird mir gleich einfallen" und faktisch sagt er bald darauf „Uhr“. 
Die Schlüsseln erkennt und benennt er nach dem Klirren richtig. Das Lesen ge¬ 
schieht schon viel besser, obschon er die Akzente noch immer nicht gut bemerkt; 
den Inhalt vermag er ganz gut zu reproduzieren. Bezüglich des Operationsterrains 
fiel bereits am 19. Februar der Prolaps des Gehirns auf, welcher heute noch aus¬ 
gesprochener ist; mittels Probepunktion ist aus der Tiefe kein Eiter zu erhalten. 
Am rechten Augenhintergrund ist die Papille prominent, rotgefärbt und ver¬ 
schwommen; die Venen geschlängelt und erweitert. Am linken Hintergrund er¬ 
scheint die Papille rot, Venen etwas erweitert. 

Bis 23. März war die Wunde geheilt, der Hautlappen drängte sich nicht 
mehr hervor. Diesen Prolapsus cerebri gibt nachstehende Figur wieder, welche zu¬ 
gleich das Operationsterrain veranschaulicht. Doch mußte der Kranke am 13. April 
von neuem aufgenommen werden, denn in der bogenförmigen Narbenlinie befindet 
sich eine kleine Fistelöffnung, durch welche viel dicker und übelriechender Eiter sich 
entleert. Auf entsprechende chirurgische Behandlung vollkommene Heilung. Am 
19. Juli Radikaloperation wegen der linksseitigen Felsenbeinkaries. Am 11. August 
wird Patient genesen mit einer Schutzpelotte entlassen. Bis zu diesem Termin 
beobachtete ich ihn wegen meiner Ferienreise nioht; meine Aufzeichnungen reichen 
bis Ende Mai. Am 16. März gibt es noch immer Worte, die ihm nicht einfallen; 
zu diesen kann ich ihn verhelfen, indem ich den Anfangsbuchstaben des be¬ 
treffenden Wortes angebe oder verwandte Begriffe nenne; so z. B. will ihm das 
Wort Tisch nicht einfallen, doch kommt er sofort darauf, nachdem ich frage: 
Was sind Sie? (Tischler). Am 7. April begeht der Kranke nooh immer Verwechs¬ 
lungen, indem er statt Ohr beharrlich Auge gebraucht, sagt daher: „Ich höre mit 
meinem Auge“; den Unsinn bemerkt er erst, nachdem ich ihn hierauf aufmerksam 
mache. Im Monat Mai ist wesentlich derselbe Zustand zu verzeichnen; auffallend 
ist die Schwäche der Merkfähigkeit. 

Den Patienten untersuchte ich zuletzt am 18. Januar 1907, also 11 Monate 

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nach der Operation. Bei dieser Gelegenheit bemerkt er, daß ihm auch jetzt noch 
einzelne Worte mangeln, doch pflegt er nach einer Weile darauf zu kommen. Im 
allgemeinen macht er die Beobachtung, daß sein Zustand in stetiger Besserung 
begriffen ist, was er daraus ersieht, daß ihm gewisse Sachen, die vor der Operation 
seinem Gedächtnis gänzlich entfallen waren, successive einfallen. So z. B. wußte 
er im gesunden Zustande die etwa 35 bis 40 Ortsnamen seines Heimatskomitates 
in ^alphabetischer Reihenfolge; diese vergaß er ganz, namentlich versuchte er nach 



der Operation noch vergebens dieselben flott machen. Nach 1 bis 2 Monaten sind 
ihm einzelne Namen eingefallen und heute rezitiert er diese fehlerlos. Die Schrift 
ist unvergleichlich sicherer, Fehler kommen nur selten vor. Das Lesen geschieht 
in langsamem Tempo, mit Fehler, förmlich syllabisierend. Merkfähigkeit sehr 
schwach. Pupillen different, die rechte dilatierter, beide reagieren träge. Gesichts- 
mti9keln arbeiten prompt; Schlucken, Kauen frei. Kein Romberg; Patellarreflexe 
nicht zu erhalten; Augenbewegungen frei. 


Die prägnantesten Züge des vorliegenden Falles erlaube ich mir in 
folgendem zusammenzufassen: 

1. Die akustische Perzeption und Apperzeption war vorzüglich, 
denn der Patient hörte und verstand alles, was wir zu ihm sprachen; unsere 
Befehle vollzog er immer prompt, bei geschlossenen Augen faßte er akustische 
Eindrücke (Schlüsselklirren, Uhrticken) sehr gut auf. Somit war im centralen 


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Hörfeld, namentlich weder in dessen Wahrnehmungs- noch Erinnerungsfeld, gar 
keine Veränderung anzunehmen. 

2. Das Nachsprechen gelang immer gut. 

8. In der Spontansprache zeigte sich mehrfach Wortverwechslung, z. B. 
Auge statt Ohr usw.; sie war holprig aus dem Grund, weil der Kranke 9ehr 
oft den sprachlichen Ausdruck für den Begriff nicht fand. In dieser Beziehung 
waren zwei Momente auffallend: a) Patient konnte den fehlenden Ausdruck mit 
einem verwandten Wort ersetzen (Glas statt Trink- und Fensterglas, Möbel statt 
Sessel usw.); b) Patient fand das fehlende Wort vermittels Assoziation (so z. B. 
kam er auf „Mund“, indem ich frug: „was öffnen sie beim Essen?“). Ich muß 
mit Nachdruck auf den Umstand hinweisen; daß im Begriffsschatz des Kranken 
objektiv kein Defizit zu entdecken war, folglich fehlten gewisse Worte nicht aus 
dem Grunde, als wären die entsprechenden Begriffe geschwunden. 

4. Die Schrift ging als Kopieren ganz gut und fehlerlos, wenn ich die 
Aufmerksamkeit fixieren konnte; die begangenen Fehler, hauptsächlich in der 
Spontan- und Diktatschrift, entstanden durch die lose Aufmerksamkeit bzw, Auf¬ 
merksamkeitsermüdung, wodurch Patient mehr-minder verwandte Buchstaben an 
die Stelle der richtigen setzte. Besonders auffallend war der totale Mangel der 
Akzente. Die fehlende Aufmerksamkeit bewies der Umstand, daß der Kranke 
solche fehlerhaft geschriebene Worte so las, wie sie ihm diktiert wurden bzw. 
wie er sie spontan richtig dachte (bei Spontanschrift); erst als ich ihn wiederholt 
anrief, er möge das Geschriebene gut ansehen, d. h. als mir seine Aufmerksam¬ 
keit festzunageln gelang, kam er selbst auf die Fehler und korrigierte die¬ 
selben. Seine Schrift war sauber und nett. 

5. Im Lesen zeigten sich analoge Fehler wie in der Schrift: Buchstaben¬ 
verwechslung und Verkennung der Akzente. Die einzelnen Buchstaben des 
Alphabets erkannte er einzeln zumeist richtig, doch machte er mehrfach Fehler, 
indem er statt D z. B. J nannte; naoh kurzer Zeit erkannte er D richtig, doch 
kam auch umgekehrt vor, daß er den ursprünglich richtig erkannten Buch¬ 
staben falsch nannte. Es ist wohl einleuchtend, daß die Lesestörung des 
Kranken entschieden keine Alexie, sondern eine durch Aufmerksamkeitsmangel 
bedingte Dyslexie war. 

6. Sehstörung, Hemianopsie fehlte. 

Auf Grund der Sprachstörung war festzustellen, daß 1. weder das motorisch- 
expressive, noch das sensorisch-rezeptive Sprachcentrum alteriert war und 
2. eine eigenartige Störung der Sprache, Schrift und des Lesens sich zeigte, welche 
als Reproduktionsfehler darin bestand, daß der Kranke immer wußte, was er 
ausdrücken wollte, doch entweder gebrauchte er ein inadäquates Wort oder 
aber es fiel ihm das Wort überhaupt nicht ein. In der Schrift und im Lesen 
zeigten sich Buchstabenverwechslungen. Schließlich war 3. am Patienten ein 
hochgradiger Aufmerksamkeitsmangel festzustellen, was besonders die außer¬ 
gewöhnliche Schwäche der Merkfähigkeit bewies. 

Die im obigen beschriebene Sprachstörung charakterisiert vorzüglich 
v. Monakow; sie besteht hauptsächlich in der Schwierigkeit, die im Gedächtnis 

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wohl aufbewahrten Eindrücke bzw. Wortbilder zu wecken. „Meist handelt es 
sich da um eine Lockerung zwischen dem Objektivbild und der Bezeichnung, 
weniger um eine Schwierigkeit, die Eigenschaft»- oder Zeitwörter zu finden. 
Namentlich Personennamen und solche Bezeichnungen, deren Assoziationen nicht 
enger gepflegt und näher eingeübt wurden, sind schwer zu evozieren; oft schwebt 
der Ausdruck auf den Lippen, kann aber willkürlich durch Besinnen nicht flott 
gemacht werden. Hier kann man den Patienten zum Auffinden des richtigen 
Wortes auf Umwegen verhelfen (er selbst kann es bisweilen mnemotechnisch 
tun), auch erkennt der Patient blitzschnell das fragliche Wort, wenn er es aus¬ 
sprechen hört oder wenn er es liest.“ 1 Für diese Sprachstörung charakteristisch 
führt v. Monakow noch die Störung der Merkfahigkeit an. Die Amnesia 
verbalis kann nach diesem Autor als Allgemeinerscheinung bei seniler In¬ 
volution, als Teilerscbeinung bei schwerer nervöser Erschöpfung oder bei orga¬ 
nisch bedingter Demenz, sie kann aber auch als topische Erscheinung — in 
diesem Fall als Lokalsymptom bei der Erkrankung des tiefen Markes des linken 
Parietotemporallappens — bestehen. Nach v. Monakow’s Erfahrung bildet die 
Wortvergessenheit bei tiefliegenden Tumoren des linken gyr. angularis keine 
seltene Erscheinung. 

Oppenheim 2 hält die Worttaubheit für charakteristisch in Fällen von Ab- 
sceß des linken Schläfenlappens; innerlich handelt es sich selten um komplette 
Worttaubheit, vielmehr um partielle, um amnestische Aphasie, um Paraphasie 
und nach Oppbnheim’s eigenen Feststellungen auch um optische Aphasie, indem 
der Eiterherd nicht das sensorische Sprachcentrum selbst, sondern die zu diesem 
führenden Bahnen lädiert resp. unterbricht. Die Sprachstörung kann sich auch 
mit Alexie und Agraphie verbinden. In Oppenheim’s neuestem Werk 3 finde 
ich einen höchst instruktiven Fall, Geschwulst im Grenzgebiet des Schläfen- 
und Scheitellappens, welcher zu folgenden Erscheinungen Veranlassung gab: 
Linksseitige heftige Kopfschmerzen, sensorisch-amnestische Aphasie, rechtsseitige 
Hemianopsie, leichte Hemiparesis dextra, Hemibypaesthesia dextra, linksseitige 
Hyposmie und Druckempfindlichkeit der linken Schläfengegend. Augenhinter¬ 
grund frei. Der 50jährige Mann gibt verwirrte Anworten, kann sich oft nicht 
erinnern, ist sehr vergeßlich, kann nicht ordentlich sprechen, weiß recht gut, 
was er sagen will, kann aber oft das richtige Wort nicht finden. Verwechselt 
Knie mit Kinn, sagt für Kamm Klamm, gebraucht oft Umschreibungen. 
Oppenheim stellte die Diagnose auf einen Tumor im tiefen Mark des Temporal¬ 
lappens und da das Sensorium sich bedrohlich trübte, wurde Patient operiert. 
Offhung des Schädels dermaßen, daß die SvLviüs’sche Fissur freiliegt; Dura 
sehr stark gespannt, pulsiert nicht; mehrfache Probepunktionen fördern aus dem 
Hirn etwas mit Blut untermischtes Serum zutage. Nach kreuzförmiger Inzision 
wölbt sich das Gehirn stark vor, welches sich auffallend weich aufühlt; Tumor 


1 Gehirnpathologie. 1905. S. 886. 

* Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 1905. S. 865. 

* Beitrag zur Diagnostik und Therapie der Geschwülste im Bereich des Centrainen en- 


1907. 


Systems. 

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mit Sicherheit nicht zn palpieren. Hierauf Lappen zurückgeklappt, Druckverband. 
Nun allmähliche Besserung; nach etwa 5 Wochen Patient lebhaft, Wunde fest 
geschlossen. Sprache bat sich gebessert. Zwei Monate nach erfolgter Operation 
(10. Okt.) eine Verschlimmerung und (am 25. Dez.) Exitus. Bei der Obduktion 
fand sich eine Neubildung im Gebiet des linken Scheitel- und Schläfenlappens 
vor; es konnte festgestellt werden, daß die Punktion im Bereich des Tumors 
vorgenommen wurde (Beobachtung IV). 

Eine sehr klare Schilderung des Hirnabscesses verdanken wir Ziehen, 1 der 
bezüglich der Herdsymptome des Schläfenlappenabscesses als am wichtigsten die 
Störungen des Sprachverständnisses anführt, natürlich in Fällen von links¬ 
seitigen Herden. Nach diesem Autor handelt es sich nicht um einfache sen¬ 
sorische Aphasie (Worttaubheit), sondern in der Regel um komplizierte, partielle, 
transkortikale Sprachstörungen, und zwar sowohl motorische wie sensorische. Es 
beruht dies nach Ziehen’s trefflicher Bemerkung darauf, daß der Absceß ge¬ 
wöhnlich im Marklager des Schläfenlappens sich ausbreitet, wo er Assoziations¬ 
bahnen unterbrechen kann; namentlich kann er die vom sensorischen Feld 
unter der REiL’schen Insel zum motorischen Sprachfeld ziehende ideomotorische 
Bahn lädieren. 

Mit Rücksicht auf die angeführten Ansichten maßgebender Autoren, möchte 
ich aus dem beschriebenen Fall folgende Lehren ziehen. 

1. Der im tiefen Mark des linken Schläfenlappens sitzende Eiterherd ver¬ 
mag als konstantes Symptom eine derartige Störung des Sprach Vermögens 
verursachen, daß der Patient, dessen Diktion sowie Rezeptionen vorzüglich sind, 
die Bezeichnungen vieler Gegenstände nicht flott machen kann. Zu betonen 
wäre, daß der Kranke in seinem Begriffsschatz nicht ärmer geworden ist, denn 
die fehlenden Bezeichnungen befinden sich in seinem Geist latent, worauf über¬ 
zeugend jener Versuch weist, das auf Umweg, mittels Assoziationen, das als 
verloren geltende Wort auf einen Schlag zu mobilisieren ist. 

Die Erscheinung der Wort Vergessenheit — Amnesia verbalis — rührt nach 
Lkwandowsky 4 von der Läsion jener transkortikalen, nach ihm richtiger trans¬ 
centralen, Bahn her, welche das centrale, sensorische Sprachfeld mit dem durch 
die gesamte Hirnrinde repräsentierten Begriffscentrum verbindet. Es ist be¬ 
kannt, daß das Hörfeld das motorische Sprachfeld in dem Sinne beeinflußt, daß 
zur artikulierten Sprache die Weckung der Klangbilder, deren sog. inneres Er¬ 
klingen notwendig ist; auf Grund des bekannten WEBNiOKs’schen Sprachschemas 
taucht im Fall des spontanen Sprechens vor allem der Begriff (B) auf, von 
welchem die Erregung nicht sofort zum motorischen Sprachfeld (M), sondern 
auf Umweg über das sensorische Sprachfeld (S) gelangt Zwischen S und B 
erstreckt sich eine transcentrale Bahn, welche zum Begreifen des Gehörten er¬ 
forderlich ist. Nach Lewandowsky ist die Bahn SB eigentlich eine Doppel¬ 
bahn mit zweierlei Leitungsrichtung; in der Richtung von S zu B (S-»-B) ver¬ 
lauft eine katacentrale Bahn, welche das Wortverständnis ermöglicht, andrer- 


1 Handb. d. prakt. Medizin. (Ebstkin-Schwalbb.) 

* Die Funktionen des Centralnervensystems. Jena 1907, G. Fischer. 


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seits erstreckt sich von B zu S (B-»-S) eine anacentrale Bahn, welche das 
innere Erklingen der dem Begriffe entsprechenden Klangbilder gestattet Auf 
letzterer Bahn läuft jene Erregung ab, welche das dem aufgetauchten Begriff 
zugehörige Wort wachruft, daher nennt Lbwandowsky sehr zutreffend die 
B-+-S anacentrale Bahn als die Bahn der Wortfindung; hingegen ist die 
S-+-B katacentrale Strecke die Bahn des Wortverständnisses. Wenn daher 
bei Unterbrechung der anacentralen Bahn B-+-S die katacentrale Bahn S->-B 
intakt ist, so wird die spontane Sprache gestört sein im Sinne der amnestischen 
Aphasie, während das Wortverständnis ungestört ist. 

2. Mit der Wortvergessenheit geht eine mehr-minder ausgeprägte Schwäche 
der Merkfähigkeit einher, welche wieder ihrerseits auf die Abnahme der Auf¬ 
merksamkeit hinweist. Mit dieser fehlerhaften Aufmerksamkeit sind die Mängel 
im Lesen und Schreiben des Patienten zu erklären; sie bestanden darin, daß 
einzelne Buchstaben unrichtig erkannt wurden. Es handelte sich ausschließlich 
um ein mangelhaftes Erkennen infolge Unaufmerksamkeit, denn daß der optisohe 
Prozeß unbehindert ablief, bewies der Umstand, daß die fehlerhaft gelesenen 
bzw. geschriebenen Worte bei angespornter Aufmerksamkeit wiederholt richtig 
gelesen bzw. geschrieben wurden. Diese Störung kann nur als Dyslexie bzw. 
Djsgraphie bezeichnet werden. 


S. Es wäre noch auf den Umstand aufmerksam zu machen, daß die Wort¬ 
vergessenheit und die Schwäche der Merkfahigkeit ziemlich parallele Er¬ 
scheinungen waren, denn mit der Besserang ersterer hielt letztere so ziemlich 
Schritt. Die Wortvergessenheit faßten wir als Herderscheinung des tiefen Tem¬ 
poralmarkes auf; ob nun die fehlende Merkfahigkeit gleichfalls ein Herdsymptom 
derselben Region ist oder aber bei cirkumskripten Erkrankungen anderer Lappen 
auch Vorkommen kann, mag vorläufig noch dahingestellt bleiben. 

Am 26. Jan. 1907 meldete sich der Kranke in Begleitung eines Arbeits¬ 
genossen auf meiner poliklinischen Ordination; die Veranlassung hierzu gab ein 
konvulsiver Zustand, in welchen er des Morgens in der Werkstätte verfiel. Der 
Anfall dauerte etwa 15 Minuten, zeigte keinen Jackson-Typus; nachher war der 
Kranke noch 10 Minuten verwirrt. Meine Untersuchung ergab abermals eine 
Unaufmerksamkeit, schwere Fixierbarkeit, so daß der Patient nur nach längerem 
Besinnen Antwort geben konnte; im ganzen machte er den Eindruck eines 
Snhwerbesinnlichen. Wer bin ich? „Prof. Sarbö, nein Prof. Schaffer.“ Er 
weiß schon wieder nicht die Lage und Adresse der Werkstätte (noch vor 5 Tagen 
machte er diesbezüglich prompte Angaben), findet die Bezeichnung des Mundes 
nicht, verwechselt in der Sprache Buohstaben (etwa wie Oppbnheim’s Patient: 
Klamm statt Kamm). Statt 90006 schreibt er 9006, doch korrigiert er den Fehler 
nach erfolgter Durchsicht; in der Schrift ebenfalls Buchstaben Verwechslung und 
Weglassen der Akzente. Physikalischer Zustand unverändert gegen jenen vom 
18. Januar v. J. Obschon ich dem Patienten die Aufnahme versprach, meldete er 
sich am anderen Tage nicht; wie ich nachträglich erfuhr, litt er noch an epi- 
leptiformen Zuständen, wodurch er an der Arbeit verhindert war. Schließlich 
soll er in die Provinz nach seinem Heimatsort abgereist sein. 


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Wie wäre mm dieser epileptiforme Zustand aufzufassen, welcher nach er¬ 
folgreicher Operation sowie nach 11 monatlichem, successivem Rückgang der 
Krankheitserscheinungen und speziell nach dem ungestörten Allgemeinbefinden 
der letzten 5 Monate sich meldete? Oppenheim sagt von den Krampf¬ 
erscheinungen, daß sie im Verlauf des Hirnabscesses zu jeder Zeit auftreten 
können, sie bilden jedoch kein konstantes Symptom. Es ist immerhin interessant, 
daß die konvulsiven Erscheinungen bei unserem Patienten auf der Höhe des 
Prozesses fehlten, und nun, als wir an eine Heilung glauben wollten, erscheinen 
dieselben, ich möchte sagen, verspätet An einer neueren Absceßbildung an 
anderer Stelle des Hirns wäre nicht zu denken, sind doch die otogenen Hira- 
abscesse fast immer solitäre Bildungen (Oppenheim). Weil aber der letzte 
Zustand des Kranken mit jenem vor der Operation symptomatisch übereinstimmt, 
kann eine erneute Abscedierung im linken Temporallappen nicht ganz ausge¬ 
schlossen werden. Freilich könnte diese Vermutung nur durch eine genaue 
Beobachtung begründet werden, welche aber durch die Abreise des Kranken un¬ 
möglich wurde. 


2. Über das Fehlen des Achillesphänomens. 1 

Von Dr. Georg Flatau in Berlin. 

Der diagnostische Wert des Fehlens von Sehnenphänomenen hat gerade in 
Anfangsfällen oder unvollkommen entwickelten Fällen von Tabes und von Para¬ 
lyse eine außerordentliche Bedeutung. Während aber Jahre hindurch das West- 
PHAL’sche Phänomen als unbestritten einziges verwertbares Symptom in dieser 
Hinsicht angesehen wurde, hat später das Bedürfnis, noch mehr Zeichen für die 
Frühdiagnose zu finden, dazu geführt, auch die anderen Sehnenphänomene und 
zwar das Supinator-, Triceps- und das Achillesphänomen auf ihre diagnostische 
Verwertbarkeit zu prüfen. Bezüglich der Sehnenphänomene an den oberen Ex¬ 
tremitäten bat sich indessen die Mehrzahl der Autoren dahin entschieden, daß 
ihr Fehlen auch bei Gesunden so häufig ist, daß es als verwertbares Material 
nicht angesehen werden könne. Auf Grund eigener Erfahrungen und Unter¬ 
suchungen, die an anderer Stelle niedergelegt sind, stimme ich dem durchaus 
bei. Anders steht es mit dem Fersenphänomen. Zwar behauptete Eulenbubg, 
daß es auch bei Gesunden in einer außerordentlich großen Zahl von Fällen 
fehle; er spricht von 80% des Fehlens, doch steht dem gegenüber die An¬ 
gabe von Ziehen, welcher es bei etwa 2000 Fällen untersuchte und zu der 
Ansicht kam, daß das Achillesphänomen ein ebenso empfindliches, wenn nicht 
noch empfindlicheres, Reagens auf bestimmte Erkrankungen des Nervensystems 
sei wie das Kniephänomen. Von besonderer Wichtigkeit ist namentlich das 
doppelseitige Fehlen. Dieses, sofern es bei einem Geisteskranken beobachtet wird, 
deutet mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf Paralyse oder centrale Syphilis. 


1 Vortrag, gehalten auf der Versammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte in 
Dresden. 


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In zweiter Linie kommen auch Syphilis und chronischer Alkoholismus in Betracht. 
Periphere Komplikationen sind natürlich auszuschließen. Stbassburger findet 
«ien Reflex nicht so konstant wie den Patellarreflex. B ab inski fand, daß das 
Achillesphänomen bei Ischias fehlen könne und bei Tabes auch vor dem Knie« 
Phänomen vermißt wird. Nach seinen Untersuchungen hat das Fehlen des 
Achillesphänomens eine gleichgroße, wenn nicht größere Bedeutung als das 
WESTPHAL’sche Phänomen. Goldflam hält das Fehlen des Achillesphänomens 
für ein pathologisches Zeichen, da es bei Gesunden ebenso konstant vorhanden 
sein müsse wie das Kniephänomen. Schönborn fand Fehlen des Achillesphäno¬ 
mens in 1 % der Fälle bei Gesunden, des Kniephänomens nur bei 0,04 °/ 0 . Er 
hält aber das Fehlen beider Reflexe für gleich pathologisch. Oppenheim hat 
das Fersenphänomen nur außerordentlich selten vermißt, „aber,“ so fahrt er 
weiter fort, „es kommen an der Achillessehne weitaus häufiger jene Veränderungen 
nichtnervöser Natur vor, die auf mechanischem Wege das Verhalten beeinflussen. 
Wo aber derartige Veränderungen nicht vorliegen, ist das Fehlen des Fersen¬ 
phänomens ein Symptom pathologischer Natur.“ Sarbö kommt in einer ein¬ 
gehenden Arbeit zu folgenden Schlüssen: 

Der Achillesreflex ist geradeso wie der Patellarreflex bei Gesunden stets zu 
erzielen. Dem Fehlen des Achillesreflexes kommt dieselbe Bedeutung zu wie 
dem W estph Ai/schen Zeichen. Es gibt Fälle von Tabes und Paralysis, in denen 
das Achillesphänomen eher fehlt als das Kniephänomen. 

Meine eigenen Untersuchungen, die ich an einem kleinen Materiale bereits 
vor Jahren ausgeführt hatte, machten es mir sehr wahrscheinlich, daß das 
Achillesphänomen häufiger bei Gesunden fehlen kann als das Kniephänomen. 
In einer 11jährigen Tätigkeit an der Poliklinik Prof. Oppenheim’s erinnere ich 
mich kaum, bei einem Gesunden das Kniephänomen vermißt zu haben. Im 
weiteren Verlauf der Untersuchungen wurde zugleich in Betracht gezogen, wie 
Verletzungen oder andere periphere Ursachen nicht nervöser Natur das Achilles¬ 
phänomen beeinflussen können. 

Von den Arten der Prüfung des Phänomens sind folgende zu nennen: 

1. Der Untersuchte sitzt auf dem Rande des Stuhles, hat den Unter¬ 
schenkel im stumpfen Winkel vorgestreckt, den Fuß mit ganzer Sohle leicht auf¬ 
gestellt. Der Untersucher prüft durch Schlag auf die Achillessehne, indem er 
sich nach dem Vorschlag von Muskens die Stellung der Gelenke zur Entspan¬ 
nung des Fußes nach Bedarf ändert. Als Stelle des Reizes gibt Muskens an, 
dürfe man nicht höher gehen als 2 cm oberhalb des Ansatzes der Sehne am 
Calcaneus. 

2. Untersuchung in Rückenlage. Bein des Untersuchten in Hüfte und 
Knie gebeugt, am besten von einer assistierenden Person im Knie unterstützt. 
Der Untersucher hält den Fuß lose an der Fußspitze und schlägt von unten 
gegen die Sehne. 

3. Untersuchung, während der Patient in Bauchlage sich befindet; das Knie 
rechtwinklig gebeugt und der Fuß lose gehalten wird. — In Abänderung dieser 
Lage kann man auch die Seitenlage des Untersuchten wählen. 


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Schließlich 4. Nach dem Vorschläge von Babinski läßt man den zn Unter¬ 
suchenden auf einem Stuhle knieen, während die Föße lose an der Stuhlkante 
berabhängen. 

Diese Methode, welche auch Oppenheim für die weitaus beste erklärt, gibt 
völlig einwandsfreie Resultate, wenn man noch einige Besonderheiten dabei be¬ 
obachtet. Einmal, daß der Untersuchte weit genug mit den Unterschenkeln 
auf den Stuhl hinaufgeht und die Füße genügend entspannt. Das letztere kann 
er um so besser, wenn die Unterlage genügend weich ist, damit er nicht durch 
schmerzhaften Druck auf die Schienbeine zu reflektorischer Muskelanspannung 
sich veranlaßt sieht — Ferner muß der Untersuchte genügend sicher knieen 
und sich auf die Lehne des Stuhles aufstützen, damit er nicht seine Unsicherheit 
durch unwillkürliche Muskelkontraktion zu korrigieren sucht. — Als Reizpunkt 
ist die Grenze zwischen unterem und mittlerem Drittel der Achillessehne zn 
wählen. Da man mit dieser Methode, wie auch aus meinen Fällen hervorgeht, 
noch häufiger ein positives Resultat bekommt, wenn es nach den anderen Me¬ 
thoden ausgeblieben war, so darf man sich beim negativen Ausfall der Prüfung 
nicht mit den unter 1 bis 3 genannten Methoden zufrieden geben, sondern muß 
noch in der Eniemethode prüfen. Bei dieser kann man ebenso wie bei der 
Prüfung des Kniephänomens durch Ablenkung der Aufmerksamkeit und Aus¬ 
führung von JENDBASSiK’schem Kunstgriff und seinen Modifikationen die Prüfung 
unterstützen. — Unter diesen Gesichtspunkten wurden 250 Fälle von mir unter¬ 
sucht Eine spinale Erkrankung konnte in allen diesen Fällen mit Sicherheit 
ausgeschlossen werden. Von denjenigen Ursachen nichtspinaler Erkrankung, die 
in der Literatur genannt werden als solche, die zum Fehlen des Aohillesphäno- 
mens führen können, sind zu nennen: Diabetes, Bleivergiftung, hoher Grad von 
Alkohol- und Nikotinvergiftung, hohes Alter, überstandene Ischias, Verletzung, 
Plattfüße, starke Krampfadern. In 200 Fällen war zweimal das Achillesphänomen 
beiderseits nicht hervorzurufen; das Kniephänomen war in allen diesen Fällen 
vorhanden. Ein dritter Fall scheidet aus dieser Rubrik aus, es handelt sich um 
einen wegen einer Kopfverletzung zu begutachtenden Arbeiter, welcher außer 
dem Fehlen des Achillesphänomens noch Abschwächung eines Patellarreflexes 
zeigte. Es war hier nicht ohne weiteres möglich, Alkoholismus sioher auszu¬ 
schließen. Jedes weitere Zeichen einer spinalen Erkrankung fehlte. Ebenso 
muß ein vierter Fall ausscheiden, bei welchem beide Kniephänomene und beide 
Achillesphänomene fehlten, vielmehr nicht zu erzielen waren. Die Patellarsehne 
war völlig in Fett vergraben und sehr kurz. Die Untersuchung nach Babinski 
war an der Achillessehne nicht einwandsfrei durchzuführen. Patient war enorm 
fettleibig. Zur Untersuchung kam er wegen eines Knöchel braches. Zeichen 
spinaler oder sonstiger centraler nervöser Erkrankung waren nicht vorhanden. 

Sechsmal fehlte das Achillespbänomen einseitig; einmal bei einem Patienten, 
der rechts eine Kniegelenksaffektion hatte, aber mit erhaltenem Kniephänomen. 
Links fehlte ohne nachweisbare Ursache das Achillesphänomen. Es ist nicht 
mit Sicherheit zu sagen, inwieweit ein Plattfuß imstande ist, das Fehlen des 
Achillesphänomens hervorzurufen. Es ist auch nicht recht einzuseben, warum 

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gerade ein Plattfuß das Achillesphänomen beeinträchtigen sollte. In ausge¬ 
sprochenen Fällen von Plattfuß habe ich es übrigens ganz einwandsfrei nach- 
weisen können. Von den Krampfadern ist anzunehmen, daß sie durch Ver¬ 
änderung der Blutzirkulation, durch Beeinträchtigung der Ernährung das Achilles¬ 
phänomen schädigen. 

Weiterhin fehlte das Achillesphänomen zweimal beiderseits in Fällen, wo 
als einzige Ursache das Alter der Untersuchten, 61 und 72 Jahre, als Grund 
in Betracht kam. Bramwell fand das Achillesphänomen bei Leuten von über 
50 Jahre inkonstant Da in meinen beiden Fällen das Kniephänomen erhalten 
war, so ist zu sagen, daß, sofern das Alter einen Einfluß auf die Sehnenphäno¬ 
mene hat, das Achillesphänomen eher leidet als das Kniephänomen. Von den 
Verletzungen mit Fehlen des Acbillesphänomens kommen nur die in Betracht, 
bei denen die Beweglichkeit der Achillessehne nicht durch mechanische Verhält¬ 
nisse, Verwachsungen der Sehne ausgeschaltet oder sehr erheblich beeinträchtigt 
war. Unter 25 Knochenbrüchen und Gelenkkontusionen, die den Unterschenkel 
und Fuß betrafen, fehlte das Fersenphänomen sechsmal auf der verletzten Seite. 
Davon scheiden zwei Fälle, bei denen eine Verwachsung der Achillessehne vor¬ 
handen war, aus, sodaß noch vier Fälle übrig bleiben. Für den Vergleich mit 
dem Kniephänomen reicht das mir zu Gebote stehende Material von Verletzungen 
der Oberschenkel und Kniegelenksgegend nicht aus. Indessen waren von den 
untersuchten Fällen — und zwar: 2 Brüche des Oberschenkels, 1 Bruch der 
Kniescheibe, 1 Kontusion des Knies, 2 chronische Gelenkentzündungen, 1 Ver¬ 
stauchung des Knies — nur ein Fall, bei dem das Patellarphänomen nicht 
auszulösen war, doch war dies der schon oben erwähnte Fall von Fettleibigkeit. 

Obgleich die Gesamtzahl meiner untersuchten Fälle nicht die großen Zahlen 
anderer Autoren erreicht, so glaube ich doch auf Grund der Untersuchungen 
zu folgendem Schlüsse berechtigt zu sein: 

Als einwandsfreie Prüfungsmethode ist nur die im Knieen mit den oben¬ 
genannten Vorsichtsmaßregeln anzusehen. Das Achillesphänomeu ist im Ver¬ 
gleich zu den Sehnenphänomenen der oberen Extremitäten ein konstantes Symptom. 
Es ist nicht so konstant wie das Kniephänomen, jedenfalls kommt einseitiges 
Fehlen ohne nachweisbare Ursache nicht allzu selten zur Beobachtung. Das 
Achillesphänomen wird leichter durch periphere, nicht nervöse Ursachen ge¬ 
schädigt, als das Kniephänomen. Daher ist zwar das Fehlen des Achillesphänomens, 
insbesondere das beiderseitige Fehlen, stets ein beachtenswertes Symptom, kann 
aber nicht als vollkommen gleichbedeutend mit dem W estph AL’schen Zeichen 
angesehen werden. 


IL Referate. 


Anatomie. 


1) L’ecorce cerebrale. Premiere partie: Developpement, morphologie et 
connexions des cellules nerveuses, par Ch. Bonne. (Oktober 1906. 578 S.) 
Ref.: Th. Kaes. 

Die Arbeit ist eine umfangreiche entwicklungsgeschichtliche Monographie, 


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welche der Revue gönörale d’histologie als Band VI, 2. Teil angehört und bei 
A. Storck & Cie., Lyon-Paris 1907 erschienen ist. Bei der relativ grofien 
Ausdehnung des Werkes muß sich das Referat auf die Angabe der allgemeinen 
Einteilung beschränken und das Studium der sehr eingehenden Einzelheiten dem 
Leser überlassen. 

In der Vorrede wird darauf aufmerksam gemacht, daß die elektive Färbung 
des Nervenmarkes eine Klasse für sich bildet, sowie daß die Arbeiten hierüber so 
vielseitig und umfangreich sind, daß sie eine gesonderte Darstellung verdienen. 
Verglichen mit den nervösen Elementen bieten das Stützgewebe und die Kapillaren 
nur eine geringe Anzahl von Einzelheiten, deren Aufzählung anderwärts über eine 
vorläufige Entwicklung und über die generellen Verbindungen der Neuroglia 
Rechenschaft geben wird. All dieses wird für spätere Veröffentlichungen erspart 
und zwar ohne Schaden für das Studium der Nervenzellen, dem diese Arbeit ge¬ 
widmet ist. Mehrere Methoden, deren Objekt letztere sind, wie die von Golgi, 
Ehrlich und Cajal, geben unter gewissen Bedingungen den Ursprung, die letzten 
Verästelungen und die Art der Gruppierung der Achsencylinder besser als die Me¬ 
thoden von Einer, Weigert und Wolters. Was die Neuroglia betrifft, so 
wird ihre Entwicklung nur verfolgt werden bis zur Differenzierung der ihr eigenen 
Elemente von den Nervenfasern. Verf. macht darauf aufmerksam, daß sich schon 
bei den Knochenfischen das Rinencephalon von den übrigen Momenten in der 
Wand des Palliums unterscheidet, wobei besonders auf die jüngste Monographie 
von Cajal hingewiesen wird. Die Arbeit ist ausschließlich den Nervenzellen des 
Pallium gewidmet, das erste Kapitel handelt von deren Entwicklung, das zweite 
von ihrer Morphologie und ihren durch die Golgimethoden dargestellten Verbin¬ 
dungen sowie von deren einzelnen Schichten. Die Struktur wie die von ihren 
Verbindungen, deren Beschreibung notwendig vorangehen muß, Bind der Inhalt 
des dritten Kapitels; im vierten sind die regionären Verbindungen der Zellen¬ 
architektonik beschrieben, die in dem Werke zitierten Figuren Bind größtenteils 
vereinfacht, schematisiert oder Gruppen von Zeichnungen zusammen gedrängt, um 
das Verständnis zu erleichtern und um entgegengesetzte Meinungen einander näher 
zu bringen. 

Zwei Hauptmeinungen beherrschen heutzutage die HiBtogenese in bezug auf 
die Entwicklung der Hirnrinde: nach der älteren und viel verbreiteten entspringt 
jede Nervenzelle mit ihren Verästelungen von einem primordialen Elemente, dem 
Neuroblasten (His, Cajal, Koelliker, Lenhössek, van Gehuchten, Claudio 
Sala, Lenbossek und Retzius), diesen entgegenstehend sind die Ansichten 
von Apathy, Bethe, Nissl, Fragnito, Capobianco, Joris und Kronthal, 
die darin fußen, daß die Nervenzelle mit ihren Fortsätzen aus vielerlei und ver¬ 
schiedenen Elementen entsteht. Die Entwicklung setzt ein mit der epithelialen 
Nervenachse und dem primitiven Stützgewebe, es handelt sich dabei um die Primitiv¬ 
stadien, den Mechanismus der Bildung des MyelospongiumB, die differenzierten 
Spongioblasten. Bei der postepithelialen Nervenachse mit den undifferenzierten 
und den differenzierten Zellen werden behandelt neue Schichtungen, eingeschränkt 
durch freie Elemente, dann Keimzellen und undifferenzierte Zellen, weiter Nerven- 
und Neurogliazellen, Fundamentalsubstanz. Bei dem genetischen Berichte über 
die Zellformen finden wir zunächst die Proliferationsketten, dann den Ursprung 
der Keim- und indifferenten Zellen sowie den Ursprung der epithelialen Zellen 
und der Spongioblasten, weiter den Ursprung der Neuroblasten und der definitiven 
Neurogliazellen; den Schluß bildet ein histogenetischer Vergleich. Bei den neuen 
histogenetischen Theorien wird der Ursprung der Nervenfasern und der der Nerven¬ 
zellen behandelt. 

Bei der Entwicklung der Rinde werden drei Perioden unterschieden, die der 
Vorbildung, die der Differenzierung der Rinde und die der Schichtung. Bei der 


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Vorbildung werden zuerst die topographischen Voraussetzungen behandelt, dann 
der menschliche Embryo, weiterhin die vergleichende Embryologie. Die Periode 
der Differenzierung der Binde handelt zunächst wieder vom menschlichen Embryo, 
woran sich aufB neue eine vergleichend embryologische Betrachtung schließt; es 
folgen Merkzeichen über sichere Vorgänge in der zweiten Periode. Die Periode 
der Schichtung setzt ein mit einer Beschreibung der Zustände im fünften und 
sechsten Monat, es folgt der siebente und achte Monat und dann das Ende der 
dritten Periode. 

Das zweite Kapitel, das von der Gestaltung und den Verbindungen der Zellen 
handelt, gibt in einer analytischen und schichtenbeschreibenden Studie zunächst 
eine Beschreibung der Zellen einer jeden Schicht, beginnend mit der zonalen, 
plexiformen oder molekularen Sohicht, worin die Randzellen (Retziussche Zellen), 
die spindelförmigen und die dreieckigen oder Sternzellen behandelt werden, denen 
sich die Zellen mit kurzen Achsen anschließen. Bei der Schicht der kleinen 
Pyramiden und der großen oberflächlichen (2. und 3. Schicht) werden zwei Lagen 
unterschieden und die Zellen mit der Rinde zu* oder abgewandtem Neuron unter¬ 
schieden. Bei der vierten oder Granularschicht wird auf den Polymorphismus der 
Schicht hingewiesen und auch hier die der Rinde zu- oder abgewandten Zellen 
unterschieden. Auch bei der Schicht der tiefen Pyramidenzellen oder der ganglio- 
nären tritt der Polymorphismus zutage, ebenso wie die der Rinde zu- und ab¬ 
gewandten Zellen. Bei der letzten Schicht, der polygonalen oder spindelförmigen, 
finden sich einmal Zellen mit von der Rinde abgewandtem Neuron, dann die 
Cajalschen Triangelzellen, weiter die eigentlichen Spindelzellen und die poly¬ 
gonalen oder unregelmäßigen, als fernere Gruppe die der Rinde zugewandten 
Neurone, dann Zellen mit bogenförmig aufsteigendem Neuron, endlich solche mit 
Nenronen ohne bestimmte Richtung. Hieran schließt sich ein historischer Überblick, 
ausgehend von den ersten sohichtenbeschreibenden Untersuchungen und werden 
folgende Autoren im einzelnen besprochen: Baillarger, Remak, Koelliker 
(1850), Berlin (Carminfärbung), Stephani, Clarke, Arndt, Meynert, 
Einer, Betz, Stieda, Cleland, Krause, Henle, Bevan-Lewis, die irrigen 
Anschauungen von Schwalbe und Golgi, Cajal, Hamarherg, Nissl, Schlapp 
und Kolmer, endlich Vogt und Brodmann. 

Der folgende Artikel behandelt die Verbindung der Zellen der Binde unter¬ 
einander. Zuerst wird die Gruppierung und Endigung der interkortikalen Nerven¬ 
fasern besprochen und zwar einmal der von außen kommenden Fasern, das ist der 
zur Rinde strebenden Projektionsfasern, dann die der Assoziationsfasern, weiterhin 
werden die autochthonen Fasern abgehandelt und die um die Zellen liegenden 
Achsencylinderendigungen erwähnt. Ein weiterer Absatz beschäftigt sich mit den 
Verbindungen und der Begleitung der Zellen; er beginnt mit der Verbindung der 
Zellen mit von der Rinde abgewandtem Neuron und zwar der Verbindung durch 
die Dendriten und das Cytosom, dann folgen die Verbindungen durch die Axi- 
kollateralen, weitere Verbindungen gibt das Axon. Weiterhin bespricht der Autor 
den Übergang der der Rinde zugewandten Bahnen in die der Rinde abgewandten, 
wobei drei Wege angenommen werden: eine tiefe, direkte und indirekte Bahn 
und eine oberflächliche. Endlich wird kurz die Zahl, der Umfang und das Total¬ 
gewicht der Nervenzellen nach den Schätzungen von Meynert, Donaldson, 
Thompsen behandelt und auf den Wert der Hamarberg’schen Ergebnisse hin¬ 
gewiesen. Den Schluß bildet eine vergleichende Histologie, die von den Batrachiern 
ausgehend über die Reptilien und Vögel zu den Säugetieren führt. Der ungemein 
ausführlichen und die verschiedensten Standpunkte älterer und neuerer Autoren 
kritisch beleuchtenden Arbeit ist auf 22 Druckseiten eine ebenso umfassende 
Bibliographie, nach Kapiteln geordnet, beigegeben. Die Arbeit kann dem, der sich 
für das Thema interessiert, nur aufs dringendste empfohlen werden. 


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Physiologie. 

2) Sohftdelmaße und Beruf, von Lomer. (Allgem. Zeitscbr. f. Psych. LXIV.) 
Ref.: Zingerle (Graz). 

Zu diesen, nach einem event. Zusammenhänge von Schädelbildung mit dem 
jeweiligen Lebensberufe, gerichteten Untersuchungen wurden 650 Männer der 
Landespflegeanstalt zu Tapiau herangezogen, die zum größeren Teile ländlichen 
Verhältnissen entstammen. 

Die Mehrzahl der Schädelmaße ist bei den Geisteskranken großer als bei 
den Geistesgesunden (körperlich Siechen). Von den niederen Volksständen weist 
der niederste, der Arbeiterstand, auch fast durchwegs — im geistesgesunden wie 
geisteskranken Zustande — die kleinsten Schädelmaße auf. Auffallend groß sind 
sämtliche Schädelmaße der geistig gesunden Bauern; sie sind Bämtlich größer als 
diejenigen der Handwerker, der Kaufleute, der Beamten. Für den Umfang gilt 
dies auch bezüglich der geisteskranken Bauern. Die Schädelmaße der geistes¬ 
kranken Handwerker, Kaufleute und Beamten stehen im ganzen etwa auf gleicher 
Höhe. 

Der Index ist bei den Bauern im Ganzen am kleinsten. Es folgen, der Reihe 
nach, Arbeiter, Handwerker, Kaufleute, Beamte und Gelehrte. Unter Berück¬ 
sichtigung nur der geistigen Verfassung finden sich die kleinsten Indices bei den 
Siechen, etwas größer sind sie bei den kriminellen, am größten bei den gewöhn¬ 
lichen Geisteskranken. 

3) Weitere Untersuchungen über die Besiehungen zwisohen Soh&delumflang 
und Intelligenz im schulpflichtigen Alter, von Dr. Bayerthal. (Zeit¬ 
schrift f. exper. Pädagogik. V.) Ref.; Zappert (Wien). 

In Fortsetzung früherer Untersuchungen an Schulkindern kommt Verf. immer 
mehr dazu, einen innigen Zusammenhang zwischen Sohädelumfang und Intelligenz 
anzunehmen. Besonders zur Hervorbringung hervorragend guter Schulleistungen 
ist bei Knaben (im Alter • von 9 1 / a bis lO 1 ^ Jahren) ein Schädelumfang von 
mindestens 52 cm, bei gleichaltrigen Mädchen ein solcher von 51 cm erforderlich. 
Ein Scbädelumfang unter 46^ cm dürfte bei Kindern von 7 Jahren an auf ein 
Unvermögen, den Normalforderungen der Schule zu entsprechen, schließen lassen. 
Bei weiterer Erfahrung glaubt Verf. nach dem Schädelumfang Voraussagen zu 
können, wie ein Schulanfänger den intellektuellen Forderungen gerecht werden 
wird. Von der Größe des Kindes sind diese Berechnungen unabhängig. 


Psychologie. 

4) Zur Psychologie der plötzlichen Bekehrungen, von Näcke. (Zeitschrift 
f. Religionspsychologie. I. S. 233 bis 253.) Autoreferat. 

Verf. unterscheidet die plötzliche und die allmähliche Bekehrung, ferner die 
dogmatisch-religiöse und die ethische. Die ethische kann mit der anderen, der 
konfessionellen, verbunden sein oder nicht. Jede Art von Bekehrung setzt einen 
geeigneten Boden und ein Auslösungsereignis voraus und alles erscheint streng 
determiniert, folglich ist die sogen. Willensfreiheit nur eine Illusion, trotzdem 
wir sie aus praktischen Gründen beibehalten müssen. Bei der allmählichen 
Bekehrung fehlt der letzte Anlaß scheinbar ganz oder ist geringfügig; alles ent¬ 
wickelt sich aus dem Innern. Anders bei den plötzlichen Bekehrungen, wo auch 
das endo- und exogene Moment zu unterscheiden sind. Die endogenen Faktoren 
werden des näheren untersucht. Meist werden Frauen plötzlich bekehrt. Wichtig 
ist auch d'e Pubertätszeit, am wichtigsten aber die Individualität, die an sich 
schon ein Produkt von Endo- und Exogenem darstellt. Das wird dee Näheren 
ausgeführt, ebenso daB Milieu studiert. Am häufigsten sind die plötzlichen Be- 


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kehrungen wahrscheinlich zwischen dem 15. bis 25. Jahre und nach dem 50. Lebens¬ 
jahre, in den oberen Schichten wahrscheinlich seltener, aber dafür inniger. Ein 
Inkubationsstadium geht wohl stets voraus, allerdings meist im Unterbewußtsein. 
Je geeigneter der Boden, je größer und plötzlicher das affektbetonte Ereignis 
ist, um so sicherer und inniger ist die Konversion. Das Auslösungsmoment kann 
sehr verschieden, muß aber immer stark effektbetont sein. Der nähere Mechanismus 
läßt verschiedene Möglichkeiten zu, die erörtert werden; manche erinnern an die 
Freud sehen Mechanismen. Die Stoffweohselveränderungen spielen sicher hierbei 
eine große Bolle. Die ethischen Bekehrungen sind schwieriger zu erklären, scheinen 
seltener als die dogmatischen zu sein und mehr in den unteren Ständen. Leider 
liegt bis jetzt so gut wie kein wirklich wissenschaftliches Material für dio Be* 
kehrungsfrage vor. Wir haben also hier zurzeit nur Hypothesen. Im vor¬ 
stehenden sind bloß die Bekehrungen bei geistig Normalen betrachtet worden, 
nicht aber in pathologischen Fällen aller Art, wo sie bekanntlich sehr häufig 
sind. Auch hier gibt es sicher noch Übergänge zwischen Normalen und patho¬ 
logisch Affizierten. 

5) The psyohology of sudden religious oonversion, by Morton Prince. 

(Journ. of Abnormal psychol. I. 1906. 1. April.) Bef.: H. Haenel (Dresden). 

Ein junges Mädchen wurde durch einsames Gebet in einer leeren Kirche 
plötzlich in einem tranceartigen Zustande von ihren zahlreichen nervösen Be¬ 
schwerden, ihrer Hoffnungslosigkeit und Depression befreit und beschloß darauf, 
zum Katholizismus über- und in ein Kloster einzutreten. Mehrere Hypnosen ge¬ 
statteten Verf., in den seelischen Prozeß dieser Bekehrung und Wunderheilung 
einzudringen; in denselben konnte er eine Spaltung der Persönlichkeit erzielen, 
und diese einzelnen Phasen der Persönlichkeit waren imstande, die von der wachen 
Patientin vergessenen Assoziationen und Gemütszustände bei der Bekehrung zu 
reproduzieren und die Bewußtseinslücke auszufüllen. Im Ganzen ergab sich daraus, 
daß das Unterbewußtsein viel mehr durch Erzeugung von bestimmten, euphorisch 
betonten Affekten, als durch Lieferung begrifflich bedeutsamer Assoziationen wirk¬ 
sam gewesen war; jene Affekte wirkten in den Wachzustand bestimmend hinüber, 
die Assoziationen blieben unter der Bewußtseinsschwelle. Verf. zieht einige Ver¬ 
gleiche dieses Bekehrungsvorganges mit verschiedenen aus Bibel und Geschichte 
bekannten Beispielen. 


Pathologische Anatomie. 

6) Über die Widerstandsfähigkeit des Neurofibrillennetzes der normalen 
und pathologischen Nervenzelle gegen Verfäulnis, von Emil di Mattei. 
(Friedreichs Blätter f. ger. Med. u. Sanitätspolizei. LVIII.) Ref.: Blum. 

Verf. benutzte zur Darstellung des Neurofibrillennetzes die Methoden von 
Donaggio. Seine erste Versuchsreihe bezieht sich auf normale Tiere mit nor¬ 
malem Centralnervensystem (wie Verf. hier die Tötung vornimmt oder ob das 
Tier den physiologischen Tod Btirbt, ist nicht angegeben), seine zweite auf nor¬ 
male Tiere mit künstlich pathologisch gemachtem Nervensystem, dadurch daß 
er die Tiere erhängte, erwürgte oder ertränkte. Das so gewonnene Material 
setzte er verschieden lang, zwischen 0 und 120 Stunden, der Fäulnis aus, um es 
dann in Schnitten zu untersuchen; er fand entsprechend der vorgeschrittenen 
Fäulnis stets andere Bilder des Neurofibrillennetzes sowie der Nervenzelle und 
des Kernes. Die Einzelheiten müssen im Original nachgelesen werden. 

Verf. will bis fast zur 48. Stunde nach dem Tode des Tieres eine Diagnose 
der pathologischen Läsion (schnelle mechanische Asphyxie) aus dem hergestellten 
Präparat stellen können. Nach dem Tode durch Ertränken tritt am raschesten 
die Fäulnis der Nervenzelle ein. 


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7) Zur pathologischen Anatomie der Paralysis agitans, von Kinichi Naka. 

(Archiv f. Psych. u. Nervenkrank!). XLI. 1906.) Ref.: G. Ilberg. 

Verf. berichtet über 2 Fälle von Paralysis agitans. Die erste Patientin, die 
wegen ihrer Krankheit Selbstmord beging, zeigte geringe Veränderung der Ni sei* 
sehen Körpereben in den Zellen der Paracentralwindnng und in den Purkinje- 
schen Zellen, auch waren die Gollschen Stränge im Halsmark leicht gelichtet. 
Die Uuskeln zeigten eine der Dystrophia musculorum progressiva ähnliche Er* 
krankung. Die zweite Patientin erlitt im Verlauf der Paralysis agitans einen 
apoplektiformen Anfall, nach welchem das Zittern auf der gelähmten Seite auf* 
hörte. Die Zellen in den Centralwindungen und im Kleinhirn waren, abgesehen 
von den Folgen der Apoplexie, in geringem Grade verändert, die Gollschen 
Stränge waren auch hier im Halsmark gelichtet. In Daumenballmuskeln und 
Bizeps fanden sich isolierte Tuberkelknötchen. Verf. bringt die Muskelverände* 
rangen in beiden Fällen nicht in Zusammenhang mit der Paralysis agitans. 

8) Pathology of paralysis agitans, by C. D. Camp. (Journ. of Amer. med. 

Assoc. XLV11I. 1907. Nr. 15.) Ref.: Kurt Mendel. 

Schlußfolgerungen: 

1. Die Paralysis agitans ist weder eine Neurose, noch eine senile Er¬ 
krankung. 

2. Die pathologisch-anatomische Basis der Symptome (Muskelsteifigkeit, 
Tremor und der von ihnen abhängigen Erscheinungen) liegt in einer Affektion 
der Muskeln. 

3. Wahrscheinlich beruht das Leiden auf einer allgemeinen Toxämie, und 
zwar ist letztere bedingt durch eine SekretionsBtörung der Glandulae para- 
thyreoideae. 


Pathologie des Nervensystems. 

9) Contributo alla oonosoenza doi movimenti nel sonno, per L. Segre. 
(Arch. di Psichiatria, Neuropatologia etc. XXVIII.) Ref.: Oberndörffer. 

Die Arbeit bringt außer einer instruktiven Zusammenstellung des spärlichen 
Materiales über die Bewegungen während des Schlafes drei eigene Beobachtungen, 
[m ersten Fall handelt es sich um einen 14jährigen Jungen, der im Schlaf ein 
rhythmisches Hin- und Herwerfen des Kopfes, 35 bis 40 mal in der Minute, er¬ 
kennen ließ; dieselbe Erscheinung zeigte in noch heftigerem Maße ein 18jähriger 
Jüngling. Der dritte Patient, ein 8jähriger Junge, litt zuerst an Spasmus nutans; 
vom 3. Lebensjahr an trat ein rhythmisches Drehen deB Vorderarmes um Beine 
Längsachse auf, das die ganze Nacht andauert Der Schlaf war in allen 3 Fällen 
tief und erfrischend; sämtliche 3 Patienten waren neuropathisch veranlagt 

10) Über einseitigen klonischen Krampf des weiohen Gaumens, von Dr. 
H. Lachmund. (Mon. f. Psych. u. Neur. XXI. 1907. S.518.) Ref.: H. Vogt 
Es handelt Bich um eine schon Jahre lang bestehende rechtsseitige Otitis 

media mit Cholesteatombildung, durch die Mittelohr und inneres Ohr verödet sind 
'Taubheit, Fehlen des Gefühls der Gegendrehung bei passiver Centrifugierung usw.), 
ferner besteht degenerative Parese des rechten N. facialis, Tics in der rechten 
Hälfte der Gesichtsmuskulatur, fibrilläre Zuckungen in den Muskeln der rechten 
Kinn- und Wangengegend. Der weiche Gaumen steht Bchief, klonischer Krampf 
des rechten Gaumensegels, Bowie nach jeder aktiven Hebung des Gaumensegels 
noch eine nachfolgende Kontraktion der rechten Seite des Gaumensegels. 

Die Arbeit beschäftigt sich vor allem mit der in letzter Zeit wieder lebhafter 
ventilierten Frage der Innervation des Velum palatinum. Verf. faßt den Befund 
im Gegensatz zu Oppenheim u. a. als für eine Anteilnahme des N. facialis an 
der Innervation des weichen Gaumens sprechend auf, speziell ergibt Bich nach 


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seinen Darlegungen die Tatsache der Innervation des M. levator veli palutini durch 
den N. facialis auf dem Wege: Ganglion geniculi, N. petrosus superficialis major, 
Ganglion sphenopalatinum, Rami palatini. 

11) Zar Ätiologie des Spasmus nutans, von Rietschel. (Charitö-Annalen. 

XXX. 1906.) Re£: Martin Bloch (Berlin). 

In einer sehr interessanten Arbeit, die 14 eigene Beobachtungen und 6 noch 
nicht publizierte anderer Autoren enthält, bestätigt Verf. die von Raudnitz be¬ 
hauptete Bedeutung der mangelhaften Lichtzufuhr für die Entstehung des Spasmus 
nutans. Entgegen den Behauptungen von Kassowitz u. a., die in genannter 
Affektion eine Form des die schwere Rachitis begleitenden spasmophilen Zustandes 
sehen, legt er besonderen Wert auf die Konstatierung der Tatsache, daß in seinen 
Fällen von schwerer Rachitis nirgends die Rede war. Auch hat er einen heilenden 
Einfluß von Phosphorlebertran bei der Affektion nicht gesehen; wohl aber konnte 
jedesmal ein Rückgang der Symptome beobachtet werden, je mehr die kleinen 
Patienten der Sonne und der freien Luft zugeführt wurden. Von Bedeutung für 
die behauptete Ätiologie ist auch das fast regelmäßige Auftreten der Affektion 
im Winter und ihre Tendenz zur Heilung im Sommer. Die Beobachtung Finkei* 
steins, die Verf. verwertet, stützt die Hypothese des Verf.’s insofern sehr, als 
hier fast gleichzeitig 4 Kinder, die in einen bestimmten Raum einer Döcker- 
sehen Baracke verlegt wurden, an der Affektion erkrankten In 4 Fällen, die 
darauf untersucht wurden, wurde eine Steigerung der elektrischen Erregbarkeit 
nur einmal beobachtet; tetanoide Symptome fehlten also in der großen Mehrzahl 
der Fälle. Wo Verf. die Wohnungen der Patienten in Augenschein nehmen 
konnte, waren dieselben entweder ungewöhnlich dunkel oder der Aufenthalt der 
kleinen Patienten im Bett oder Wagen war auf künstliche Weise dem Lichte 
möglichst entfernt gerückt. 

12) Zur Geschichte des Tortioollis spasmodious, von Dr. Armin Steyer* 

thal. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906.) Ref.: Heinicke. 

In anerkennenswerter Weise hat sich Verf. der Aufgabe unterzogen, eine 

Geschichte des Tortioollis spasmodicus zu schreiben. Das aus diesem Studium 
hervorgegangene Material ist besonders dadurch bemerkenswert, daß es die Be¬ 
schreibung einiger Fälle von dieser Krankheit von älteren medizinischen Autoren 
enthält, die ihrer genauen Beobachtung wegen und deshalb, weil sie viel Wert¬ 
volles zur Kasuistik des Torticollis spasmodicus beitragen, mit vollem Recht ver¬ 
dienen, der Vergessenheit nicht anheimzufallen. 

In einem kurzen Anhang berichtet Verf. über das Schicksal seiner früher 
von ihm beschriebenen Torticollisfälle, von denen einer durch Verunglückung 
starb. Die Hirnautopsie ergab außer etwas feuchter Substanz nichts Besonderes. 
Verf. findet dies nicht auffällig, da er sich, entgegen der Ansicht Solgers, die 
er zwar ganz beachtenswert findet, nicht recht dafür erwärmen kann, daß die 
anatomische Untersuchung der Lösung dieser Frage uns näher bringen wird. 

13) Zur Kasuistik der tonischen Krämpfe des Rumpfes, von A. Fuchs. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1906. Nr. 48.) Ref.: Pilcz (Wien). 

35jährige Frau bemerkt im Anschluß an einen Sturz (Fall auf Hinterhaupt, 

ohne Zeichen von Hirnerschütterung), daß sich seit jener Zeit ihr Kreuz immer 
mehr einbiege, der Kopf nach vorn falle, so daß der Rücken in den unteren 
Teilen hohl, in den oberen nach rückwärts gekrümmt werde. Zunehmende Ver¬ 
schlimmerung, namentlich beim Stehen, Sitzen und Gehen, schließlich auch in der 
Horizontallage. Zunächst könne sie ruhig liegen bleiben, dann fühlt sie, wie „ob 
ihr das Kreuz einbiegt“. Die Beobachtung ergibt, daß sich Patientin zunäohst 
ganz gerade halten kann; alsbald aber treten Krümmungen der Wirbelsäule (cerviko- 
dors&le Kyphose, lumbale Lordose) ein. Läßt man von der höchsten Kuppe der 
Kyphose (im Bereiche des 10. Brustwirbels) ein Loth herab, so beträgt die maxi- 

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male Tiefe der Lordoee (4. bis 5. Lumbalwirbel) bis 12 1 / a cm, das Becken dreht 
sich um die Querachse nach vorn (2 bis 3°/ 0 ). Übriger Befund (speziell radio¬ 
logische Untersuchung usw.) absolut negativ. Patientin kann sich auch aus dm* 
maximal gekrümmten Position immer sofort geradestrecken. 

In den lesenswerten epikritischen Bemerkungen kommt Verf. nach Ausschluß 
aller organischen Möglichkeiten zu dem Schlüsse, daß eine funktionelle Störung, 
und zwar ein Krampfzustand der Mm. erectores trunci vorliege. — Zwei 
Abbildungen im Texte. 

14) Eigentümliche Kontraktur nach Ablaktation, von Turnowsky. (Wiener 
med. Presse. 1907. Nr. 16.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Kind von 11 Monaten erkrankt 24 Stunden nach plötzlicher Ablaktation 
unter gastrischen Symptomen und eigentümlichen Kontrakturen derart, daß Hände 
und Füße in maximaler Palmar- und Plantarflexion gehalten werden. Jeder Ver¬ 
such, diese Stellungen zu korrigieren, verursacht lebhafte Schmerzen. Hand- und 
Fußrücken stark ödematös. Im Übrigen Befund vollkommen negativ. 

In wenigen Tagen ging die Erscheinung auf Laxantien und entsprechende 
Diät spurlos zurück. 

15) Zwei Fülle von Myoklonie, von Dr. Hugo Lukäos und Dr. Istv&n 
Verz&r. (Pester med.-chir. Presse. 1906. Nr. 26.) Ref.: S. Klempner. 
Mitteilung zweier Fälle von Myoklonie, wo die klonischen Zuckungen mit 

denen des Friedreichschen Paramyoclonus multiplex insofern übereinstimmen, 
als sie symmetrisch auf beiden Körperhälften und immer isoliert auftreten nnd 
nicht zu Lokomotionen führen. 

16) Contributo allo Studio delle mioolonie infettive nell* eta infantile, per 

E. Meynier. (Arch. di Psich., Neuropat. etc XXVII.) Ref.: E. Oberndörffer. 
Verf. berichtet über 4 Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren, bei denen im 
Anschluß an Infektionskrankheiten die Symptome der Myoklonie auftraten. Bei 
dem ersten Fall erschienen sie im Anschluß an Gelenkrheumatismus und äußerten 
sich in blitzartigen horizontalen Nystagmusbewegungen und Lidschluß von gleichem 
Charakter. Da auch Analgesien und Anomalien des psychischen Verhaltens ge¬ 
funden wurden und die Myoklonie durch Suggestion zur Heilung kam, wird eine 
hysterische Genese derselben angenommen; ebenso in einem weiteren Fall mit 
neuropathischer Belastung, wo die Zuckungen gleichfalls nach Rheumatismus sich 
gezeigt hatten und die Muskeln der Gliedmaßen und des Rumpfes betrafen. Beide 
Kinder hatten Mitralfehler. In den zwei anderen Fällen handelte es sich um 
Myoklonie nach Darmkatarrh; die Zuckungen wurden bei dem einen Kind haupt¬ 
sächlich in den Hals-, Schulter- und Bauchmuskeln, bei dem anderen an den 
Extremitäten, speziell am Quadriceps femoris beobachtet Hier führte die Be¬ 
seitigung der Verdauungsstörung und die Hebung des Kräftezustandes zur Heilung. 

17) Zur Kenntnis der Athetose, von A. Berger. (Jahrbücher f. Psychiatrie 
und Neurologie. XXIII. S. 214.) Ref.: Pilcz (Wien). 

62 jähriger Mann. Im Alter von 3 Jahren (angeblich auf ein psychisches 
Trauma hin) Bewußtlosigkeit, dann rechtsseitige Lähmung. Nach teilweisem 
Rückgänge derselben im Arme und Gesichte rechterseits eigentümliche unwill¬ 
kürliche Bewegungen, welche mit Intensitätsschwankungen zeitlebens anhielten. 
Exitus infolge hochgradiger Kachexie (Magenkarzinom). Im linken Linsenkerne, 
dessen hinteren Anteil fast total einnehmend, ein mit verkalkten Massen an¬ 
gefüllter, etwa kirschgroßer Hohlraum. Der Herd reichte in die innere Kapsel 
hinein, dieselbe auf a / 3 ihres Volumens beschränkend. Im Bereiohe der Pyramiden 
(Brücke, Rückenmark) kein Faserausfall (!). 

Verf. betont die relative Seltenheit der Mitbeteiligung der Gesichtsmuskulatur 
an den athetotischen Bewegungen (Verf. konnte nur 17 analoge Fälle in der 
Literatur auffinden) und bringt eine sehr genaue Zusammenstellung der bisher 

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publizierten Fälle von Athetose mit Obduktion. Unter den angeführten Fällen 
sei auch eine Beobachtung v. Frankl-Hoch warte erwähnt (mündliche Mitteilung 
an den Verf.: Kombination von Tabes mit Athetose, vorzugsweise linkerseits). 

Die Kasuistik gruppiert Verf. in 8 Gruppen: 1. mit negativem Obduktions¬ 
befunde, 2. mit mehreren, 3. mit einem Herde; letztere wieder in Fälle mit Herd 
im Zwischen- bzw. Vorderhirn und in Fälle mit einem Herde im Rückenmarke 
oder Gehirnabschnitten bis inklusive zum Mittelhirne. Endlich sind die Fälle 
mit Herden im Kleinhirn und in den Bindearmen erwähnt. 

18) Chorea eleotrioa oongenitalis bei einem Lamm, par Besnoit. (Revue 
vötörinaire de Toulouse. 1906. S. 433). Ref.: Dezler (Prag). 

Verf. demonstrierte ein mit einer besonderen Form von Chorea behaftetes 
Lamm, das aus einer Herde stammte, in der die Gnubberkrankheit stationär 
war. Es zitterte seit seiner Geburt in einer ganz eigentümlichen Weise. Die 
Muskulatur deB ganzen Rumpfes und der Extremitäten war schnellschlägigen 
dauernden Konvulsionen unterworfen, die den Kopf in eine bizarre pendelnde oder 
verneinende Bewegung setzten und Zähneknirschen veranlaßten. Intermittierend 
wurde der Rumpf seitlich auf das heftigste zusammengezogen und das Stehen und 
der Gang so erschwert, daß das Tier nur schwer von der Stelle zu bringen war 
und sehr leicht hinfiel. Der Schweif befand sich in einer sehr fein oszillierenden 
Zitterbewegung. Bog das Tier aktiv den Kopf nach rückwärts, so nahmen die 
Kontraktionen ab, ohne aber gänzlich aufzuhören; wurde der Kopf dagegen passiv 
nach rückwärts gedreht, so verschwanden sie auf die Dauer der passiven Fixation, 
um nach deren Aufhören mit erneuter Heftigkeit wieder aufzutreten. Inten¬ 
dierte Bewegungen schienen den Krampf zu verstärken. Da dem Verf. ein ähn¬ 
licher Fall aus der Literatur nicht bekannt war, zog er zum Vergleiche die beim 
Menschen vorkommenden Zitterkrankheiten heran. Er behandelt differential- 
diagnostisch die Paralysis agitans, den Intentionstremor bei multipler Sklerose 
und die Myoklonien. Von den letzteren findet Verf. die Chorea electrica Bergeron, 
soweit sie ihm nach der Beschreibung von P. Bloqu bekannt ist, den chorea¬ 
tischen Störungen seines Falles homolog. Verf. glaubt sich hierzu umsomehr 
berechtigt, als das Leiden bei dem Lamm nach 4 Wochen völlig verschwand. 

19) Case of multiform tio inoluding automatio speeoh and purposlve 
movementa, by Morton Prince. (Journ of Nerv, and Ment Disease. 
1906. Januar.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

Interessanter FalL von Maladie des tios bei einem 35 jährigen Patienten, 
seit 20 Jahren bestehend und ausgezeichnet durch die Ausbreitung der motorischen 
Störung auf die verschiedensten Muskelgebiete, Bowie durch die Begleiterscheinung 
automatischer Wortinteijektionen, auch obscoenen Charakters. Bemerkenswert ist, 
daß sich bei demPat. auch sensorischer Automatismus feststellen ließ; beim Fixieren 
glänzender Flächen (Kristallglas usw.) entstehen Visionen verschiedener Art. Die 
Auseinandersetzung des Verf.’s über das Entstehen der eigenartigen automatischen 
Sprachäußerungen dieses und verwandter Fälle, sowie über den Einfluß der be¬ 
gleitenden Angstvorstellungen auf ihr Auftreten müssen im Original nachgelesen 
werden. 

20) loonographie de Involution d’un oas de maladie des tios, par Roubino- 
witsch. (Nouv. Iconogr. de la Salp. 1906. Nr. 3.) Ref.: Ernst Bloch. 
23 jähriger Mann. Uneheliches Kind, Mutter nervös, während der Schwanger¬ 
schaft war sie zahlreichen Nervenshoks ausgesetzt. Mit 12 Jahren, in der Rekon- 
valesoenz von einem Typhus, trat ein Tic auf, bestehend in einem übermäßigen 
Öffnen der Augen mit gleichzeitigem Zusammenkneifen der Lippen. Diese Grimasse 
trat im Anfang seltener auf, jedoch beim Bemühen, sie zu unterdrücken, stellten 
sich Kontraktionen der Halsmuskeln ein, so daß 2 Jahre später zwei verschiedene 
Tics bestanden. In der Schule verschlimmerte sich sein Zustand, die Kameraden 


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verspotteten ihn, und durch die Anstrengungen, der Bewegungen Herr zu werden, 
kamen noch zwei Tics hinzu: Er reibt seine Magengrube mit dem Daumen der 
linken Hand, und mit dem Zeigefinger der rechten Hand reibt er gleichzeitig da* 
Kinn oder die Stirn. Im Jahre 1902 — als er das Abgangsexamen trotz der 
größten Anstrengung nicht erreichen konnte — ging er von der Schule ab, and 
sofort verminderten sich die Tics sowohl an Häufigkeit wie an Intensität. 
Während seiner Dienstzeit als Soldat kommt ein neuer Tic hinzu: Er erhebt die 
Schultern brüsk, zieht sie nach hinten, wirft zur selben Zeit den Kopf nach 
hinten, beugt die Arme leicht und nimmt eine etwas gezwungene Stellung ein, 
„oomme un soldat prussien“. Entlassen vom Militär, wird er Diener, die Tics 
treten nach einiger Zeit wieder auf, vermehrt um folgende: Reiben der Daumen 
aneinander, Zurechtstellen deB Körpers in der Haltung eines, der sich zum Laufen 
anschickt, Bewegung des Gesäßes, Ausstrecken der Hände und eines Beines. 

Am Tage nach einer angestrengten körperlichen Arbeit treten die Tics am 
häufigsten auf, gar nicht des Morgens. Langweile, Unruhe, Sorgen um die Zu* 
kunft usw. vermehren sie. Die Tics kommen so plötzlich, daß er Gegenstände, 
die er in der Hand trägt, fallen läßt; einmal hat er sich sogar mit einer Feder 
verletzt. Oft hindern sie ihn auch beim Schreiben und Sprechen, er verschluckt 
oft die Hälfte der Wörter. Sonst ist er ein großer Hypochonder, fürchtet Veits* 
tanz, Epilepsie zu bekommen, ist leicht erregbar, weint über jede Kleinigkeit nzw. 
Verf. stellt die Prognose schlecht. 

21) The differential diagnosis between ohorea minor andtio, by William 

Graves. (Medic. Record. LXXII. 1907. Nr. 8.) Ref.! Kurt Mendel. 

Verf. stellt 22 Punkte zusammen, in welchen sich Chorea minor und Tic 
voneinander unterscheiden. Dieselben sind, da ihre Aufführung im Referat zu 
viel Platz in Anspruch nehmen würde, im Original nachzulesen. 

22) Beiträge zur Pathogenese der Chorea und der akuten infektiösen 

Prozesse des Centralnervensystems, von Prof. Dr. Cramer und Dr. 

Többen. (Monatsschr. f. Psych. u. Neur. XVIII. 1906.) Ref.: M. Probst. 

Die Verff. beschreiben zwei Fälle ron Chorea, bei denen intravital auB dem 

Blute ein positiver bakterieller Befund erhoben werden konnte und zwar in dem 
ersten Falle Staphylokokken, in dem zweiten Streptokokken. Die Gebirnunter- 
sucbnng des /.weiten Falles ergab pralle Füllung der Gefäße, perivaskuläre Blu* 
tungen, randständige Gliakerne. Aus dem Blute, aus Gehirnstückchen, aus der 
Cerebrospinal* und Peritonealfiüssigkeit, wie aus einem Stücke der Herzklappe 
ließen sich die Streptokokken züchten. Kaninchen gingen nach Injektion (V 8 ccm) 
der Bouillon kultur nach 14 Tagen zugrunde. 

Die Verff. weisen darauf hin, daß bei einer Reihe heterogener Krankheits* 
bilder wie Chorea, Laudrysche Paralyse, hämmorrhagischePolioenoephalitis, akutes 
Delir eine ganze Reihe von Mikroorganismen nachgewiesen wurden, die meist zur 
Gruppe der pyogenen Bakterien gehören. Diese Krankheitsbilder schließen sich 
häufig an akute Infektionskrankheiten an und zeigen gemeinsam motorische Reiz* 
oder LähmungB8ymptome. 

Hypothetisch nehmen die Verff. an, daß das InficienB von den verschiedensten 
Invasionspforten in den Körper gelangt und Stoffweohselprodukte absondert, welche 
eine besondere Affinität zum Centralnervensystem besitzen und hier gerade die 
motorische Zone elektiv in ihrer Giftwirkung bevorzugen und hier die patho¬ 
logisch-anatomischen Prozesse hervormfen 

23) Über akuten Oelenkrheumatismus, Ohorea und Endokarditis der Kinder, 

von Kephallinos. ( Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 563.) Ref.: Pilcz. 

Verf. berichtet über 129 Fälle akuter Polyarthritis aus der Grazer pädia¬ 
trischen Klinik. Für den Neurologen sind folgende Daten aus dieser Arbeit be¬ 
merkenswert: Kaum 5°/ 0 der Knaben, aber mehr als 20°/ 0 der Mädchen, die an 

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Polyarthritis erkrankt waren, bekamen Chorea. Beim Veitstänze der Knaben 
läßt sich die Polyarthritis als ätiologisches Moment nur halb so oft nachweisen, 
als bei Mädchen. Der Beginn der Erkrankung war bei den Knaben viel seltener 
als bei den Mädchen ein plötzlicher. Den nicht oder nicht nachweislich auf 
PolyarthritiB acuta beruhenden Fällen der männliohen Chorea minor muß ein im 
allgemeinen minder gutartiger Verlauf zugeschrieben werden (es konnten von den 
Mädchen wesentlich mehr geheilt entlassen werden). 

24) An analysls of 808 oases of ohorea, by W. S. Thayer. (Journ. of Amer. 

med. Assoc. XLVII. 1906. Nr. 17.) Ref.: Kurt Mendel. 

Material: 808 Fälle von Chorea. 96,9°/ 0 gehörten der weißen, 3°/ 0 der 
farbigen Basse an. Bei letzterer ist Chorea verhältnismäßig selten. 28,7 °/o 
männlich, 71,2°/ 0 weiblich. 84,5°/ 0 im Alter von 5 bis 15 Jahren. Bei 20,4 °/ 0 
Chorearecidiv (zweiter Anfall), bei 17,1 °/ 0 dritter oder noch höherer Anfall. In 
21,6°/ 0 war Rheumatismus in der Anamnese zu eruieren. In 40,5°/ 0 Herz¬ 
geräusche, in 27,7°/ 0 mußte man ein organisches Herzleiden annehmen, meist 
Mitralinsuffioienz. 4 Fälle verliefen tödlich, 2 kamen zur Autopsie, in beiden 
Rheumatismus vorangehend, in beiden akute Endokarditis. Herzalterationen 
waren besonders häufig bei Patienten, welche akuten Gelenkrheumatismus Über¬ 
stunden hatten. Zumeist besteht Temperaturerhöhung, besonders in Verbindung 
mit akuter Endokarditis. Fieber ohne Rheumatismus mit beschleunigtem oder 
unregelmäßigem Puls spricht für das Bestehen einer akuten Endokarditis. Herz¬ 
komplikationen waren bei Chorearecidiv häufiger als beim ersten Anfall. 

25) Maniaoal ohorea, by J. M. Finny. (Dublin Journ. of med. Science. 1907. 

Nr. 425.) Ref.: Kurt Mendel. 

Fall von maniakaliacher Chorea mit rheumatischen Schmerzen und Herz¬ 
atrophie. Exitus am 9. Tage. Verf. macht auf die üble Prognose der mania- 
kalischen Chorea aufmerksam und führt aus, daß die Chorea auf ein Toxin zurück¬ 
zuführen ist, und daß die Schwere der Affektion von der Virulenz dieses Toxins 
und seiner Wirkung auf die Nervencentren abhängt. Die bakteriologische Unter¬ 
suchung des Hirns und Rückenmarkes ließ in Verf.’s Fall einen Mikroorganismus 
nicht auffinden. 

26) Über Todesfälle bei Chorea, von J. M. Rachmaninow. (Arch.f. Kinder- 
heilk. XLV. 1907. S. 378.) Ref.: Kurt Mendel. 

Todesfälle werden bei Chorea selten beobachtet. Die schwere, tödlich ver¬ 
laufende Chorea dauert selten über 6 Wochen, gewöhnlich weit weniger. Oft 
Delirien und Bewußtlosigkeit, zuweilen Beginn mit akutem Gelenkrheumatismus. 
Prognostisch sehr ungünstig ist das Auftreten von Ausschlägen (miliares oder 
scharlachähnliches Exanthem). Zuweilen tritt der Tod ganz unerwartet ein bei 
Erkrankungen mäßigen Grades, die eigentlich eine günstige Proguose gestatten. 

Verf. berichtet über 2 Fälle von Chorea mit tödlichem Ausgang. In beiden 
ergab die Sektion eine akute Hyperplasie der Milz und frische Endokarditis der 
Bicuspidalis, letztere hatte zu Lebzeiten keine deutlichen Symptome verursacht. 
Beide Fälle boten gleich zu Beginn anscheinend schwere Erkrankungsformen dar; 
doch lag nichts vor, was veranlassen konnte, diese Erkrankungen als unbedingt 
tödliche zu betrachten, späterhin traten allerdings schwere Hirnerscheinungen 
hinzu (getrübtes Sensorium, Lähmungen). In beiden Fällen waren die chorea¬ 
tischen Zuckungen ungeheuer heftig, die Temperatur erhöht (im 2. Fall trat 
Fieber allerdings erst 24 Stunden vor dem Tode ein). 

Die in beiden Fällen gefundene frische Endokarditis und akute Hyperplasie 
der Milz sprechen für die infektiöse Natur der Chorea, allerdings könnte diese 
Infektion auch eine sekundäre, durch das Eindringen eitererregender Bakterien 
von den zahlreichen Erosionen am Körper aus hervorgerufene Bein. Verf. spricht 
sich für den Zusammenhang zwischen Chorea und Rheumatismus aus, er fand bei 


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seinem Material in etwa 37 °/ 0 der Fälle von Chorea Gelenkrheumatismus in der 
Anamnese. 

27) Zur Chorea gravidarum, von Prof. Martin in Greifswald. (Deutsche med. 

Wochenschr. 1906. Nr. 31.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Bei schweren, zunächst recht bedrohlich aussehenden Fällen soll ein naoh 
haltiger Versuch mit geeigneten Bromgaben bei sorgfältiger Pflege und Er¬ 
nährung, geeigneter Lagerung, Bädern und Packungen der Unterbrechung der 
Schwangerschaft vorhergehen. Komplizierende schwere Endokarditis und Meningitis 
(letztere äußerst selten! Ref.) bieten auch in dieser Richtung eigene Indikationen. 

28) Un oaso di oorea di Huntington oon reperto anatomo-patologioo, del 

Dr. C. Besta. (Riv. speriment. di Freniatria. XXXI.) Ref.: Merzbacher. 

Verf. hat das Centralnervensystem eines Mannes zu untersuchen Gelegenheit 

gehabt, der mit 40 Jahren an Chorea erkrankte. Bereits drei Generationen des 
betreffenden Kranken waren der nämlichen Krankheit erlegen. 6 Jahre nach 
Ausbruch der motorisohen Erscheinungen traten noch psychische hinzu, die schlie߬ 
lich zu einer deutlichen, wenn auch nicht starken, Demenz führten. An die 
Diagnose Chorea Huntington setzt der Autor keine Zweifel (wir wollen es 
nicht unterlassen, zu bemerken, daß der Kranke vor Beginn der choreatischen 
Erscheinungen an Typhus gelitten hat). Die mikroskopische Untersuchung ergab 
folgendes: sehr starke Veränderungen an den Blutgefäßen im ganzen Central- 
nervensystem. Die kleineren Gefäße scheinen stärker betroffen zu sein, indem 
an denselben sämtliche Teile in Mitleidenschaft gezogen worden sind (weitgehendste 
Sklerose). Die großen Gefäße hingegen weisen nur eine stärkere Infiltration 
der Adventitia auf. Die Gefäßerkrankung setzt sich auf die Pia fort und hat 
hier zu einer deutlichen Leptomeningitis Anlaß gegeben. Die Tangentialfaaem 
erscheinen in der Rinde geschädigt, ebenso die oberste Ganglienzellenschicht der 
Rinde. Die zuletzt genannten Veränderungen führt der Autor sekundär auf die 
primär entstandenen Piaveränderungen zurück. Er glaubt also im Einklang mit 
anderen Autoren das Wesen des Prozesses auf eine primäre Gefäßerkrankung 
der kleineren Gehirngefäße zurückführen zu können. Die übrigen Ganglien¬ 
zellen erschienen nicht lädiert, Gliaveränderungen wurden nicht beobachtet. Bei 
dieser Auffassung des Prozesses bleiben die lang andauernden motorischen Er¬ 
scheinungen unaufgeklärt. 

29) Über ohronlsohe progressive Chorea (Huntington) im jagendlichen 

Alter, von F. Lange. (Berl. kL Wochenschr. 1906. Nr. 6.) Ref.: Bielscho wsky. 

In Anlehnung an den von Heilbronner (Arch. f. Psychiatrie. XXXVI.) auf¬ 
gestellten Satz, daß: „der familiären Chorea im allgemeinen die Tendenz inne¬ 
wohnt, in jeder folgenden Generation im Durchschnitt jüngere Individuen zu be¬ 
fallen, als in der vorhergegangenen“, bespricht Verf. ausführlich einen Fall von 
Huntingtonscher Chorea, in dem es möglich ist, für das Einsetzen der Er¬ 
krankung in zwei aufeinander folgenden Generationen genaue Daten beizubringen. 
Der Vater des Patienten, ein gesunder, intelligenter, rüstiger Mann erkrankte 
naoh einem schweren Trauma im Alter von 48 Jahren an einer allmählich zu¬ 
nehmenden Unruhe der Glieder und Abnahme der Intelligenz. Die Diagnose 
wurde auf Chorea progress. gestellt. Nach 13 Jahren unter steter Zunahme der 
Krankheitserscheinungen exitus letalis. Ob schon für diesen Patienten eine Be¬ 
lastung vorliegt, ist nicht sicher nachzuweisen. Der Sohn dieses Choreatikers 
erkrankte mit 23 Jahren nach einem schweren Trauma psychischer und körper¬ 
licher Art (schlechte Behandlung und Mißhandlung beim Militär) mit denselben 
Erscheinungen wie der Vater, nur daß die psychischen Störungen hier den 
somatischen vorausgingen. Die psychischen Störungen betrafen vorwiegend die 
Intelligenz, Desorientierung, partielle Gedächtnisdefekte, völliger Mangel an Auf¬ 
merksamkeit, Erscheinungen, die Verf. als „choreatische Demenz“ benannt wissen 

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will. Was die Erklärung dieser choreatischen Geistesstörung anlangt, so verwirft 
Verf. die Krafft-Ebingsohe Auffassung, daß es sich um eine „Inanitionspsychose“ 
handelt, ebenso wie die Francottesche Hypothese, daß „die ständigen Krampf¬ 
zustände die Aufmerksamkeit hemmen und den Intelligenzverfall begünstigen." 
Verf. hält vielmehr auf Grund anatomisch - pathologischer Forschungen die der 
Chorea eigentümlichen unwillkürlichen Bewegungen und die geistigen Defekte für 
etwas Koordiniertes. Es handelt sich um einen chronischen Prozeß in der Binde, 
besonders der motorischen Begion, der bald herdweise, bald diffus auftretend viel 
Ähnlichkeit mit dem Prozeß der progressiven Paralyse darbietet. Als Ausgangs¬ 
punkt der Erkrankung nimmt er eine Proliferation fixer epitheloider Embryonal¬ 
zellen an, in denen er das Objekt der Vererbung erblickt. Die Wucherung der¬ 
artiger Zellen tritt nach Cohnheim durch Trauma oder spontan auf einer ge¬ 
wissen Altersstufe ein. Ausschlaggebend für die Differentialdiagnose der chronischen 
Huntingtonschen Chorea sind: Heredität und psychische Störungen. Die Pro¬ 
gnose ist infaust. 

SO) Über Myatonia congenita (Oppenheim), von Dr. Ludwig Bosenberg. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXI. 1906.) Bef.: E. Asch. 

Das seltene Leiden betraf ein 2 1 / i jähriges, hereditär nicht belastetes Kind, 
dessen Mutter eine normale Gravidität und Entbindung durchgemacht, aber 
Kindsbewegungen nicht verspürt hatte. 6 Wochen nach der Geburt Auftreten 
eines Nabelbruchs. Beim Stehenlernen im Alter von 11 Monaten fiel die Halt¬ 
losigkeit in den Knie- und Hüftgelenken auf; Stehen und Gehen bis heute nicht 
möglich. Geistige und körperliche Entwicklung gut. Es besteht schlaffe Läh¬ 
mung beider Beine ohne Atrophie. Beim passiven Strecken der Unterschenkel 
bemerkt man kurz vor der Endstellung ein leichtes mechanisches Hindernis infolge 
von geringer Verkürzung der Beuger. In den Fußgelenken besteht nur Hypotonie. 
Muskeltonus herabgesetzt, dadurch Fehlen der Sehnenphänomene. Kein Babinski, 
kein Oppenheim. Muskulatur an den Oberschenkeln und in der Gesüßgegend 
auffallend weich-teigig. Elektrische Beaktion derselben vollkommen erloschen. An 
den Unterschenkeln N. peroneus bei Btarken faradischen und galvanischen Strömen 
und blitzartiger Zuckung erregbar. Sensibilität anscheinend in allen Qualitäten 
erhalten. Cremaster-, Bauch- und Hypochondrienreflexe = 0. Hirnnerven und 
ophthalmoskopischer Befund normal, Sprache und Intelligenz dem Alter entsprechend. 
Nach längerer faradischer Behandlung allmähliche Besserung im rechten und linken 
Ileopsoas und beginnende elektrische Beaktion in beiden Nn. crurales. Während 
das Leiden mit frischen Fällen von Poliomyelitis ant. chronica große Ähnlichkeit 
hat, unterscheidet es sich davon doch dadurch, daß es stets angeboren aufzutreten 
pflegt. Ferner ist der Verlauf beider Affektionen ein ganz verschiedener. Auch 
die Differentialdiagnose gegenüber Bhachitis, Polyneuritis und der Dystrophia 
muscul. progr. ist nicht schwierig. 

31) Bin Fall von Myatonia congenita, vonLugenbühl(Wiesbaden). (Deutsche 

med. Wochenschr. 1907. Nr. 35. Vereinsbeil.) Ref.: Kurt Mendel. 

5 Monate altes Mädchen, Kind gesunder jüdischer Eltern. Normale, spontane 
Geburt. Großmutter hat Tabes. Sonst Heredität 0. Schon bei der Geburt fiel 
Bewegungslosigkeit und schlaffes Herabhängen der Extremitäten auf. 4 Wochen 
später: schlaffe Lähmung aller 4 Extremitäten, die bewegungslos daliegen; Thorax- 
und Halsmuskulatur schlecht entwickelt und aktiv nicht in Funktion; tiefe und 
Hautreflexe nicht auszulösen; Sensibilität normal; elektrisch weder faradisch noch 
galvanisch Beaktion an den befallenen Muskeln. Hirnnerven und innere Organe 
normal. Atmung wegen der schlecht entwickelten Thoraxmuskulatur fast nur 
abdominal. Unter elektrischer Behandlung und Massage leichte Besserung. 
Diagnose: Myatonia congenita (Oppenheim). 

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32) Über kongenitale Muskelatonie (Myatonia oongenita Oppenheim), von 

Dr. L. Tobler. (Jahrb. f. Kinderheilk. LXVI.) Ref.: Zappert (Wien). 

Verf. beschreibt einen charakteristischen Fall der angeborenen Hypotonie der 
Körpermuskulatur ohne Atrophie, wie sie Oppenheim ab Myatonia congenita 
bezeichnet hat. Bis zum 5. Lebensjahr hatte sich wohl die Beweglichkeit etwas 
gebessert, aber zu kraftvoller Muskelaktion war es nicht gekommen. Das Kind 
starb an den Folgen einer Lungenentzündung. Autopsie liegt nicht vor. Die 
vorliegende Arbeit bringt eine Zusammenstellung der bisher beschriebenen Fälle. 

In der nächsten Nummer der Jahrb. f. Kinderheilk. (LXVI, H. 2) findet sich 
eine kurze Kontroverse zwischen Prof. Bernhardt (Berlin) und Tobler, welche 
die von ersterem Autor vertretene neuritische Ätiologie der Myatonie zum Inhalt hat. 

33) Über progressive Muskelatrophien, von Botstadt. (Medycyna. 1906. 

Nr. 47 bis 52. [Polnisch.]) Ref.: Edward Flatau. 

Verf. gibt in seiner Arbeit eine sehr ausführliche kritische Bearbeitung der 
Frage nach der Pathogenese verschiedener Formen der progressiven Muskel¬ 
erkrankungen, d. h. sowohl der atrophischen Formen, wie auch der sog. Dystro¬ 
phien. Es folgt aus dieser Darstellung, daß man heutzutage keine scharfen 
Grenzen zwischen diesen Formen stellen kann, denn man findet sowohl klinische 
wie auch pathologisch-anatomische Fälle, in welchen die angeblich für eine Form 
pathognomonbchen Merkmale sich gerade in der anderen ebenfalb vorfinden. 
Sehr viele Forscher sind der Ansicht, daß die progressiven Muskelerkrankungen 
auf Grund angeborener pathologischer Abweichungen im Gebiete des Nerven- und 
des Muskelsystems entstehen. 

Verf. selbst beschreibt 3 Fälle, von welchen einen mit einem ausführlichen 
histopathologischen Befund. Der erste Fall betraf ein 15jähriges Mädchen, bei 
welchem sich vor 3 Jahren Lordose entwickelte, die immer größer wurde. Gang 
schwankend, dann ganz unmöglich. Schwäche zunächst der linken, dann auch der 
rechten oberen Extremität. Seit 3 Monaten Abmagerung der oberen und der 
unteren Extremitäten. In der Familie keine analogen Fälle. Status: Asymmetrie 
des Brustkorbes. Scapulae stehen weit vom Brustkorb ab. Skoliose hauptsächlich 
im oberen Dorsalteil. Lordose im Lumbalteil. Pat. kann ohne Hilfe nicht sitzen. 
Hirnnerven normal Mm. cucullares und sternocleidomastoidei sehr abgeschwächt 
und atrophisch. In den oberen Extremitäten überall Atrophie, hauptsächlich in 
den Armen (lose Armgelenke). Keine Bewegung in den Armgelenken, sehr 
schwache im Ellenbogen. Handbewegungen ebenfalls schwach. Elektrische Reaktion 
zeigt quantitative Veränderungen (zum Teil Fehlen der Reaktion), nirgends träge 
Zuckungen oder Umwandlung der Formel. Keine Triceps- und Periostreflexe. 
In den Beinen sämtliche Muskeln atrophisch, besonders die Extensores cruris 
und die Peroncalgruppe. Minimale Bewegungen im Hüftgelenk (Ab- und 
Adduktion nicht möglich). Plantare Flexion des Fußes nicht möglich, dorsale 
sehr schwach. Zehenbewegungen erhalten. Patellarreflexe fehlend, Achilles 
reflexe ziemlich lebhaft. Sensibilität überall erhalten. Elektrisch wie oben. Analoge 
Bewegungsstörungen und Atrophien am Rumpf. Hypertrophie der Muskeln vielleicht 
in den Waden. Während der letzten Lebensjahre keine deutlichen Schwankungen 
des Status. Tod infolge einer Erkältung. Die Sektion ergab in den Rumpf¬ 
muskeln (an der Wirbelsäule) blasse oder graue Verfärbung (an einzelnen Stellen 
normale tief-rote). Die Halsmuskeln waren besser erhalten. In der Glutaal¬ 
gegend eine enorme subkutane Fettentwicklung und darunter fast völlig fettig 
degenerierter M. glutaeus. Sehr viel subkutanes Fett findet man ebenfalls in 
der Fossa poplitea. Die mit der modernen Technik ausgeführte Untersuchung 
sowohl der peripheren Nerven, wie auch des Centralnervensystems (Marchi, 
Nissl u. a.) zeigten keinerlei Abweichungen von der Norm. Die Untersuchungen 
der Muskeln an verschiedenen Gebieten (Extremitäten, Rumpf) zeigten überall 

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analoge Bilder, nämlich Atrophie der Mehrzahl der Muskelfasern, hochgradige Fett¬ 
entwickelung zwischen den erhaltenen Muskelfasern, hypertrophische Mulkelfasern 
(80 bis 150 und darüber) mit meistens sehr verschwommener Streifung, Falten¬ 
bildung an diesen hypertrophischen Fasern, Längsteilung, Hyperplasie sowohl der 
atrophischen wie auch der hypertrophischen Muskelfasern (regression cellulaire 
par division von Durante), Kern Vermehrung hauptsächlich in den Teilungs¬ 
stellen, leere Sarkolemmschläuche, keine deutliche Proliferation des Bindegewebes, 
keine nennenswerte Gefäßalteration, nur Kernvermehrung in den kleinen Gefäßen 
und in den Kapillaren. Die Neuromuskulärbündel nicht verändert. Dagegen 
leichte fettige Degeneration der neuromuskulären Spindeln. Die mit Marchi be¬ 
handelten Präpamte zeigten sowohl in den atrophischen wie auch in den hyper¬ 
trophischen Muskelfasern Fettdegeneration ganz verschiedenen Grades. (Die Fett- 
schollen liegen wahrscheinlich im Sarkoplasma selbst.) In manchen Muskeln ließ 
sich ferner eine wachsartige Degeneration feststellen. Alle diese Alterationen 
waren in verschiedenen Muskeln bald mehr bald weniger entwickelt. In einzelnen 
Muskeln (M. spinalis cervicis) fand man nur die Merkmale der Atrophia simplex, 
in einzelnen Muskeln (Ext. digitorum brevis, M. tib. ant. sin., Hypothenar, Inter- 
costales) fand man die größte Zahl wohlerhaltener Fasern. Verf. hebt besonders 
die Hyperplasie der Muskelfasern und die Degeneration der neuromuskulären 
Spindel in seinem Falle hervor. Im zweiten Falle handelte es sich um einen 
13jährigen Knaben, bei welchem die Krankheit angeblich erst vor 1 Jahre nach 
einem Fußtrauma entstand. Der Status ergab die zum Teil juvenile und zum 
Teil infantile Form der Muskeldystrophie. Es ist in diesem Falle bemerkenswert, 
daß nach der Angabe der Mutter seit der frühesten Kindheit der Knabe mit halb- 
offenen Augen schlief, daß seine Augen stets leicht getränt haben und daß die 
Bewegungen der Gesichtsmuskeln (Pfeifen, Stirnrunzeln, Mundbewegungen, Amimie) 
sehr schwach entwickelt waren. Verf. meint, daß es sich hier um eine angeborene 
primäre Störung (Lähmungserscheinung) der vom N. facialis innervierten Muskeln 
handelt. Ein so frühzeitiges Auftreten der Gesichtsmuskelstörung fand Verf. nur 
in den Fällen von Hoffmann und Bregman. Im dritten Falle handelte es 
sich um eine 35jährige Jungfrau, bei welcher man die Hoffmann - Marie- 
Toothsche Form der Muskelatrophie feststellen konnte. Schmerzen im 8. Lebens¬ 
jahre in den Beinen, hauptsächlich in den Knien, Störungen beim Gehen seit 
etwa 23 Jahren, wobei sie zunächst Parese in der großen linken Zehe bemerkte, 
dann Ermüdbarkeit beim Gehen, Kältegefühl und leichtes Frieren der Füße, seit 
5 Jahren Ungeschicklichkeit bei den Handarbeiten. Status: In den Beinen Ab* 
Schwächung der Fußbewegungen, besonders der Zehenbewegungen (links ganz 
unmöglich), Klumpfüße. Atrophie der Unterschenkelmuskulatur. Patellarreflex 
lebhaft. Achillesreßex beiderseits fehlend. Nerven nicht druckempfindlich. Obere 
Extremitäten nur insofern in ihren Funktionen betroffen, als die Bewegungen mit 
der rechten Hand nicht so geschickt und prompt ausgeführt werden (Handarbeiten) 
wie mit der linken. Auch leichte Ermüdbarkeit der Finger der rechten Hand. 
Atrophie der kleinen Handmuskeln beiderseits (Affenhände). Kleinoscillierendes 
Zittern der Finger. Gang mit kleinen Schritten, unsicher, etwas schwankend. 
Patient ermüdet leicht. Sehr deutlicher Romberg. Abschwächung des Tast- und 
Schmerzsinnes von den Kniegelenken nach abwärts. Verlangsamung der Tem¬ 
peraturempfindung unterhalb der Kniegelenke (an den Zehen = 0). Störung der 
Lageempfindung in einzelnen Zehen. Elektrische Prüfung ergab zum Teil quan¬ 
titative Abnahme in den distalen Abschnitten der Beine, teils Entartungsreaktion 
(im rechten Tbenar, im rechten und linken Hypothenar). 

34) Zur Pathologie der dystrophischen Form des angeborenen partiellen 

Riesenwuchses, von Dr. E. Wieland in Basel. (Jahrb. f. Kinderheilkunde. 

LXV.) Ref.: Zappert (Wien). 

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Bei einem Kinde, das eine Mißbildung des linken Fußes mit auf die Welt 
gebracht hatte, stellt sich etwa im 8. Monate eine Vergrößerung dieses Fußes ein, 
welche nach weiteren 2 Monaten schubweise stark zunahm und Haut und Knochen 
in gleicher Weise betraf. Der Fuß wurde amputiert und lieferte ein Objekt für 
gründliche anatomische Untersuchungen. Es ergaben sich hierbei vorwiegend die 
Zeichen der echten Hypertrophie aller Gewebe (namentlich des Unterhautfettes, 
aber auch der Haut und der Muskulatur) und atrophische, durch den Druck 
gewucherter Nachbargewebe entstandene Veränderungen. Am Knochen zeigten 
sich neben ausgesprochener Hypertrophie auch regressive Befunde (Brüchigkeit, 
Osteoporose usw.), die wohl als primäre Skelettanomalie aufzufassen sind, ln 
dieser Kombination liegt nach Meinung des Vcrf.’s das charakteristische Moment 
für die vorliegende Form des partiellen Biesenwuchses, die Verf. daher als 
dystrophisch zu bezeichnen vorschlägt. Auf die Ätiologie dieser eigentümlichen 
Störung wirft auch der besprochene Fall nicht genügend Licht, doch ist nach 
Ansicht des Verf.’s noch am ehesten an das Vorhandensein embryonaler Wachs* 
tumsstörungen zu denken. 

35) Zwei Fälle von Dystrophia musoularis progressiva familiaris, von Dr. 

J. Winocouroff. (Archiv f. Kinderheilk. XLVL) Bef.: Zappert (Wien). 

An den beiden anscheinend der juvenilen Muskelatrophie Erbs zugehörigen 
Fällen ist nur bemerkenswert, daß es sich um Mädchen (13 und 11jährige Ge* 
schwister) handelt, und daß ein recht reichlicher Weingenuß seit frühester Kind¬ 
heit bestanden hatte. 

36) Pseudo hypertrophio musoular atrophy, by Charles E. Ingbert. (Journ. 

of Nerv, and Ment. Dis. 1907. Januar.) Bef.: M. Bloch. 

Die Krankheit des im 20. Lebensjahre an Typhus verstorbenen Patienten 
begann im 2. Lebensjahre in den Unterextremitäten in typischer Weise bei den 
ersten Gehversuchungen, es bestanden später Kontrakturen und Deformitäten der 
Füße (Pes equino*varu8), Skoliose, Schwäche der Bumpfmuakeln, vasomotorische 
Störungen an den Beinen (dabei herabgesetzte Kälteempfindlichkeit), leichte Atrophie 
der Handmuskeln. Eine Störung der Mastdarmfunktion beruhte, wie die Sektion 
feststellte, auf einer lokalen Erkrankung. Ein genauer klinischer Status liegt 
offenbar nicht vor. Im Anfang der Erkrankung bestand an den Oberschenkeln 
Pseudohypertrophie. Bei der Obduktion fand sich in den untersuchten Muskeln 
verringerte Querstreifung und Färbbarkeit, fettige Degeneration, in den Gefäßen 
organisierte Thromben und diffuse Wandverdickung. Im Bückenmark im vierten 
Lumbarsegment und unterhalb desselben bestand Chromatolyse der Zellen des 
Seitenhorns, ferner Verringerung der Seitenhornzellen im 4. und 5. Lumbarsegment, 
Verringerung des Querschnittes der Spinal wurzeln vom 4. Lenden* bis zum 
2. Sakralsegment; die letztgenannte Veränderungen hält Verf. wohl mit Becbt für 
sekundäre. 

37) Myopathy of the distal type and its relatlon to the neural form of 

musoular atrophy (Oharoot-Marie, Tooth type), by William G.Spiller. 

(Journ. of Nerv, and Ment. Dis. 1907. Januar.) Bef.: M. Bloch. 

I. 59jähriger Patient, in dessen Familie ähnliche Erkrankungen nicht vor* 
gekommen sind, erkrankt im 15. Lebensjahre an Schmerzen in den Unterschenkeln 
und Füßen, die kurze Zeit anhielten und sich in der Folge in jedem Frühjahr 
wiederholten; im 35. Lebensjahr Schmerzen in den Händen und Armen, sowie 
Schwäche, Abmagerung und Deformierung der Unterschenkel. Seit 5 Jahren 
arbeitsunfähig, nachdem die Krankheit konstant fortgeschritten war. Die Ober¬ 
extremitäten waren seit 10 Jahren abgemagert. 

Status: Starke Atrophie der Hände und der Vorderarme, während die 
Muskulatur oberhalb der Ellenbogen intakt ist. Sensibilität intakt, BizepB* und 
Trizepsreflex schwach vorhanden. Erhebliche Atrophie der Unterschenkel, es be- 

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steht doppelseitiger Talipes equino-varus, Patellar- und Achillessehnenreflexe 
fehlen. Oberschenkel nicht abgemagert. Sensibilität intakt. 

II. 28jähriger Patient, dessen Familiengeschichte and eigene Anamnese Bonst 
ohne Belang ist, ist in den letzten 2 Jahren mehrfach gefallen, offenbar infolge 
allmählich auftretender Schwäche der Beine; seit 1 1 j 2 Jahren zunehmende Schwäche 
und Abmagerung derselben, erst links, dann rechts, 1 / 4 Jahr später auch Störungen 
in den Armen. Die Untersuchung ergibt 1898: Abmagerung der Arme ohne 
dietinkte Atrophien, erhebliche Abmagerung der Unterschenkel, Pes equinus, Zehen 
leicht gekrümmt, keine Spasmen, Fehlen der Sehnenreflexe, Sensibilität intakt, 
ln den folgenden Jahren allmähliches Fortsohreiten der Erkrankung, bo daß Pat. 
nicht mehr gehen kann. 1903: hochgradige Atrophie der Unterschenkel, Schwäche 
in den Oberschenkeln, Atrophie der Vorderarme, der Oberarme, des Schulter- 
gxlrtels, der Rückenmuskeln, der Pektorales. Fehlen sämtlicher Sehnenreflexe, 
Hirnnerven und Organreflexe ohne Störungen, Sensibilität intakt. Zeitweilig 
-dampfe Schmerzen in Armen und Unterschenkeln. Bei dem am 11./I. 1906 er¬ 
folgenden Tode des Pat. bestand hochgradige Atrophie aller Extremitätenmuskeln, 
leichte Kontraktur des rechten Knies und der rechten Hüfte, geringe Lordose in 
der Lumbosakralgegend. 

Die anatomische Untersuchung ergab völlig normales Verhalten des peri¬ 
pherischen und centralen Nervensystems, aber ausgedehnte alte Veränderungen in 
der befallenen Muskulatur. 

38) A case of neuromuacular psralysis (Charoot-Marie-Tooth type), by J a m e s 

Raff an. (ScottiBh med. and surg. Journ. 1907. April.) Ref.: G. L. Dreyfus. 

Verf. publiziert die Krankengeschichte eines 17jähr. jungen Menschen, der 
mit 10 Jahren an einer eigentümlichen Nervenkrankheit erkrankte. Pat. bemerkte 
damals eine Schwäche in den Knöcheln des rechten Fußes, dem bald der linke 
in gleicher Weise folgte. Diese Schwäche führte zu beiderseitiger Equino-varus- 
Stellung der Füße. Die Extensoren und die Peronealmuskulatur sind beiderseits 
atrophisch und ergeben elektrische Entartungsreaktion. Mit 16 Jahren entwickelte 
sich eine Atrophie der Thenar- und Hypothenarmuskulatur beider Hände mit Ent¬ 
artungsreaktion ohne Bewegungsstörungen und ohne fibrilläre Zuckungen bei 
überall erhaltener Sensibilität und erhaltenen Reflexen. 

Diese Krankheit ist nach eingehenden Forschungen seit 5 Generationen in 
der Familie erblich und hat im ganzen 15 Mitglieder, männliche und weibliche, 
betroffen. Die Krankheit entwickelte sich stets ungefähr im 10. Lebensjahr ohne 
ersichtliche Ursache. 

Bei dem zitierten Kranken erzielte eine beiderseitige Arthrodese der Fu߬ 
gelenke eine recht zufriedenstellende Gehfähigkeit. 

39) Atrophia nervi optici und neurotische Muskelatrophie, von Dr. Krause 

in Marburg. (Zeitschr. f. Augenheilk. XVL 1906.) Ref.: Fritz Mendel. 

Verf. führt vier Gründe auf, die für den Zusammenhang zwischen der Seh¬ 
nervenatrophie und der neurotischen Muskelatrophie sprechen: 

1. Es ist geboten, für zwei Prozesse, die bei einem und demselben bisher 
gesunden Menschen sich finden, ein und dieselbe Ursache anzunehmen, zumal wenn 
sie beide selten sind; 

2. sprechen Anamnese und Verlauf für eine gemeinsame Entstehung, die 
allerdings bei beiden Prozessen dunkel erscheint; 

3. läßt sich das pathologisch-anatomische Bild beider Prozesse recht gut in 
Einklang bringen und 

4. ist die Opticusatrophie auch anderwärts schon einwandfrei festgestellt 
worden. 

Verf. rät daher bei Fällen von neurotischer Muskelatrophie das Sehorgan 
einer genauen Untersuchung zu unterwerfen. 

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40) Histoire olinique d’un oaa d'atrophie du tissu oolluloadipeux, par Dr. 

L. Barraquer. (Barcelona 1906.) Bef.: S. Klempner. 

25 Jahre altes Mädchen begann mit 13 Jahren im Gesicht und dem oberen 
Teile der Brust abzumagern. Zurzeit erscheinen Gesicht und oberer Teil der 
Brust hochgradig abgemagert und kontrastieren lebhaft mit den übrigen normal 
ernährten Körperteilen. Das abgemagerte Gesicht ist symmetrisch, die Haut nicht 
rigide, zeigt normale Elastizität und Verschiebbarkeit. Die Haare sind normal 
entwickelt, das Gesichtsskelett zeigt weder Asymmetrie noch atrophische Verände¬ 
rungen. Von Beiten der Hirnnerven keinerlei Störungen. Thyreoidea von normaler 
Größe. Atmung, Herzaktion normal. 

Verf. schließt in diesem Falle die verschiedenen Formen der Hautatrophie 
aus, desgleichen die Sklerodermie und die Hemiatrophia faciei. 

Es handelt sich lediglich um eine Atrophie des Unterhautzellgewebes. Er 
ist geneigt eine Erkrankung des Sympathicus als Ursache anzunehmen. 

41) The influenoe of faoial hemlatrophy on the faoial and other nerve«, • 

by W. B. Gowers. (Beview of Neurology and Psychiatry. 1906. Januar.) 

Bef.: Blum (Nikolassee-Berlin). 

Infolge der Hemiatrophia facialis entsteht auch ein Schwund der betreffenden 
Gesichts- und Schädelknochen, u. a. auch deijenigen, in deren Kanälen Nerven 
und Blutgefäße verlaufen; diese werden selbstverständlich dadurch in Mitleiden¬ 
schaft gezogen. In dem enger gewordenen Kanal können kleinere Entzündungen 
eher die Nervenleitung unterbrechen als bei normal weitem Lumen. 

Verf. hat 3 Fälle beobachtet, bei denen diese Verhältnisse Vorlagen. In den 
beiden ersten Fällen bestand infolge Verengerung des Fallopi sehen Kanals eine 
Facialisparese mit veränderter elektrischer Erregbarkeit der dazugehörigen Ge¬ 
sichtsmuskeln, und diese Erscheinung lenkte erst auf die Diagnose Hemiatrophia 
facialis hin. 

Im 3. Falle lagen die Verhältnisse noch komplizierter. Eis wurden nach¬ 
einander der N. facialis, aousticus, recurrens, der motorische Ast des Trigeminus, 
der Glossopharyngeus, Accessorius und schließlich die Herz- und Lungenäste des 
Vagus ergriffen, und der Pat. ging an einer interkurrenten Pneumonie zugrunde. 
Die Sektion ergab eine Verengerung der Austrittspforten für die betreffenden 
Kopfnerven, besonders für das Foramen laoerum. 

42) Über Hemiatrophia faciei, von Walter Heinemann. (Inaug.-Dissert 

Leipzig 1907.) Autoreferat. 

Nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick und einer kasuistischen Über¬ 
sicht der letzten Jahre bringt Verf. zwei Krankengeschichten von Hemiatrophia 
faciei. Der erste Fall ist dadurch bemerkenswert, daß sich außer einer links¬ 
seitigen Gaumen- und Zungenatrophie noch eine auffallende Atrophie der linken 
Brustdrüse vorfand. Bei dem zweiten Fall wurde durch Paraffininjektion ein 
schöner kosmetischer Erfolg erzielt. Es folgt eine Besprechung der verschiedenen 
aufgestellten Theorien sowie der pathologischen Anatomie und zum Schluß Er¬ 
örterung der Therapie der Hemiatrophia faciei. 

Psychiatrie. 

43) Zur Lehre von den psyohopathisohen Konstitutionen, c) Wahnvor¬ 
stellungen, von Th. Ziehen. (Charitä - Annalen. XXXI. S. 146.) Bef.: 

Walter Heinemann (Berlin). 

Verf. bespricht in dieser Fortsetzung (vgl. d. Oentr. 1906. S. 43 u. 769) 
die „paranoiden“ Vorstellungen der psychopathischen Konstitutionen. Diese stimmen 
zwar inhaltlich mit den Wahnvorstellungen der Paranoia chronica simples über¬ 
ein, unterscheiden sich aber von ihnen durch das erhaltene Krankheitsbewußtsein 

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und dadurch, daß sie sich nicht dauernd fixieren und keine komplementären Wahn¬ 
vorstellungen erzeugen. Besonders kommen diese paranoiden Vorstellungen — 
die Bezeichnung „paranoid 41 ist hier symptomatologisch im Gegensatz zu der im 
folgenden gebrauchten Bezeichnung „alkoholiBtisch“, die dort ätiologisch gemeint 
mt — beider alkoholistisoheti psychopathischen Konstitution vor. Hier 
sind sie häufig latent, und Sinnestäuschungen, die sich hier häufig mit ihnen 
kombinieren, setzen vermöge ihres Inhaltes immer die Präexistenz der Wahn¬ 
vorstellungen voraus, auoh wenn sie zeitlich primär aufbreten. Sehr schwierig ist 
zuweilen die diagnostische Abgrenzung gegen die chronische Paranoia, zumal man 
häufig nebenher einen leichten Defekt im Sinne einer alkoholistischen Demenz 
findet. In einem Teil der Fälle (nicht in allen) steht das Auftreten der para¬ 
noiden Vorstellungen in Beziehung zum einzelnen Alkoholexceß. Treten dann 
Sinnestäuschungen oder Amnesie hinzu, so hat man den pathologischen Bausch 
oder, wie ihn Verf. lieber bezeichnen möchte, den (eben durch die Sinnes¬ 
täuschungen oder Amnesie) „komplizierten 44 Rausch. Weniger bekannt, da 
auch weniger häufig, sind die paranoiden Vorstellungen bei der hereditären 
psychopathischen Konstitution. Die Abgrenzung von der Dementia hebe- 
phrenica und besonders von der Paranoia chronica incipiens ist hier häufig recht 
schwer, unter Umständen gar nicht möglich. In 7 Sätzen hebt Verf. die diffe¬ 
rential-diagnostisch wichtigsten Punkte hervor. Zwei Krankengeschichten werden 
als Beispiele Angeführt. Schließlich bespricht Verf. noch in Kürze das Vorkommen 
der „paranoiden 44 Vorstellungen bei der hysterisohen psychopathischen Kon¬ 
stitution und der psychopathischen Konstitution des Traumatikers. 
Wesentlich seltener sind sie bei der epileptischen und neurasthenischen 
psyohopathischen Konstitution. 

44) Die Sekretion des Magensaltes und ihre Beziehungen zu psyohopatho- 

logisohen Zustandsbildern, von Mayr. (Wiener klin. Wochenschr. 1907. 

S. 1285.) Bef.: Pilcz (Wien). 

Ungefähr 90 Kranke, über 200 Bestimmungen der HCl-, Pepsin- und Lab¬ 
sekretion nach der Petryschen Methode. 

Fälle reiner Manie haben eher niedrige Zahlen für die Acidität, sehr 
mäßige für das Pepsin; die ausgeheberte Milch gerinnt erst nach einiger Zeit 
im Brutschränke, Labbestimmung ergibt geringe Werte. 

Manische ZuBtandsbilder bei Dementia praecox haben erhöhte Zahlen 
für HCl und Pepsin; Milch wird geronnen ausgehebert, Lab > als bei Manie. 

Amente Zustandsbilder: hohe Acidität, geringe Pepsinwerte. Milch ist 
geronnen, Labgehalt gering. 

Bei Katatonikern Milch meist ungeronnen, Lab sehr gering, HCl meist 
herabgesetzt, Pepsin ebenso oder fehlend. Dem katatonen Stupor entsprechen die 
niedrigsten, den amenten Bildern dieser Krankheit die höheren Zahlen. 

Bei „psychogenen 44 Krankheitsbildern ist HCl sehr hoch, Pepsin 0 oder 
gering, Milch geronnen, Lab gering; ähnlich verhält sich die Paranoia. Be¬ 
sonders hohe Acidität findet sich außerdem bei Krankheitsbildern während der 
Schwangerschaft, des Wochenbettes und der Laktation. Die Verweigerung der 
Nahrungsaufnahme an sich scheint den Typus der Sekretion nicht zu beeinflussen. 

Mehrfache Untersuchungen an denselben Personen ergaben Schwankungen, 
welche durch Änderungen der Affektlage bedingt scheinen. 

Verf. stellt eine ausführliche Publikation in Aussicht. 

46) Der Mongolismus. Referat von Priv.-Doz. Dr. H. Vogt. (Zeitschr. f. die 

Erforschung u. Behandlung d. jugendl. Schwachsinns. I.) Ref.: Zappert. 

Die scharfe Begrenzung gegenüber anderen Formen von Idiotie und die Fülle 
höchst eigentümlicher somatischer Symptome haben die mongoloide Idiotie bereits 
seit längerer Zeit zum Studienobjekt der Nerven* und Kinderärzte gemacht. In- 


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dem Verf. mit recht eingehender Würdigung der Literatur eine Darstellung dieses 
abnormen Zustandes gibt, hebt er sich weit über den äußerlich festgehaltenen 
Rahmen eines Referates empor und ist vielfach in der Lage, die bisherigen Kennt* 
nisse über den Mongolismus zu ergänzen und bei strittigen Ansichten mit seiner 
eigenen Erfahrung sich für eine bestimmte Meinung zu entscheiden. Einige 
Punkte aus dem reichen — sich naturgemäß nach Ätiologie, Symptomatologie, 
Prognose, Differentialdiagnose, Therapie, Anatomie usw. gliedernden — Inhalt 
seien besonders hervorgehoben. So führt Verf. als Beweis für den degenerativen 
Charakter des Mongolismus an, daß derselbe meist letzte Sprossen kinderreicher 
Familien treffe, eine Ansicht, die wohl nur der Zufälligkeit des Materiales ent¬ 
springt, da Ref. erste Kinder in zwei Familien (in einer derselben seit 4 Jahren 
das einzige Kind) mit Mongolismus kennt. Mit Recht hebt Verf. die große 
Gesichtsähnlichkeit mongoloider Kinder hervor, welche zur Verwechslung der 
Kinder in Anstalten führen kann. In der Darstellung der Symptome fallen ferner 
die sorgfältigen Schädelmessungen auf, welche den Verf. zu dem Schlüsse fahren, 
daß Bracbycephalie mit sehr geringer Höhe und meist geringem Horizontalumfang 
für Mongolismus charakteristisch seien. In bezug auf die Ossifikationsverhältniase 
steht Verf. im Gegensatz zu Kassowitz auf dem Standpunkte, daß rechtzeitige 
Ossifikation nicht unbedingt vorhanden sein müsse, sondern daß ebenso verzögerte 
als vorzeitige Verknöcherung sich vorfinde. Bemerkenswert ist die nicht seltene 
Kombination von angeborenen Herzfehlern und anderweitigen Mißbildungen (Schwimm¬ 
hautbildung, Anomalien der Gesichtsteile usw.) mit Mongolismus. Vorzüglich sind 
die Darstellungen des Verf.’s über das eigentümliche psychische Verhalten, die 
Art der Motilität, die Klangfarbe der Sprache, die Veranlagung zu Imitation, zu 
Musik, die Grenzen der intellektuellen Entwicklung. Sehr beachtenswert ist die 
Hervorhebung von — seltenen — Form es frustes der Erkrankung. Die Kranken 
neigen zu lymphatischen Erkrankungen (z. B. Liderkrankungen), gehen leicht an 
Tuberkulose zugrunde. Eine völlig zutreffende Besprechung widmet Verf. der 
3?herapie und setzt eingehend auseinander, daß die vielfach angewendete Thyreoidin- 
behandlung nur unwesentliche Symptome (Fettleibigkeit, gestörten Ernährungs¬ 
zustand, Stuhlverstopfung), nicht aber die körperlichen und namentlich geistigen 
Anomalien bessere. Differentialdiagnostisch wird namentlich die Abgrenzung 
gegenüber Myxödem scharf durchgeführt. Recht anregend sind die Ausführungen 
des Verf’s über die nosologische Stellung des Leidens, wobei Verf. daran fest¬ 
hält, daß der Mongolismus eine Hemmungsbildung sei, und in geistreicher Weise 
die Idee einer Stoffwechselstörung (analog dem Myxödem), die Frage nach der 
anthropologischen Bedeutung der mongoloiden Merkmale, die Beziehung zu anderen 
Konstitutionsanomalien (familiäre Ataxie) in Diskussion stellt. Für die Kenntnis 
dieser eigentümlichen angeborenen Idiotieform ist vorliegende Arbeit von nicht 
zu unterschätzender Bedeutung. 

46) Die Heredität bei Dementia praeoox, von Wolfsohn. (Allg. Zeitscbr. f. 

Psych. LXIV.) Ref.: Zingerle (Graz). 

Von 2215 in den Jahren 1898 biB 1905 in der Irrenanstalt Burghölzli auf¬ 
genommenen Patienten waren 30°/ 0 an Dementia praecox erkrankt. Etwa 90% 
aller Fälle sind bei beiden Geschlechtern hereditär belastet. Von den vier Be¬ 
lastungsfaktoren ist Geisteskrankheit mit etwa 64% am häufigsten vertreten, so¬ 
dann folgen die Nervenkrankheiten, der Alkoholismus, und zuletzt die sonderbaren 
Charaktere. In 34% war die Heredität kombiniert; am häufigsten kamen vor 
Kombination von Geisteskrankheiten mit Alkoholismus oder Nervenkrankheiten. 
Ein deutlicher Einfluß der erblichen Belastung auf die Krankheitsform ließ sich 
so gut wie gar nicht nachweisen bei Belastung durch Alkoholismus, Nerven¬ 
krankheiten und sonderbare Charaktere, während die Katatoniker am stärksten, 
die Paranoiker am wenigsten durch Geisteskrankheit belastet erscheinen. Der 

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Einfluß der Belastung hat keine ausschlaggebende Bedeutung für den Ausgang 
des ersten Schubes der Dementia praecox. 

47) La tuberooloBi nella etiologia e nella patogenesi delle malattie nervöse 

e mental!, per A. Morselli. (Torino 1907.) Bef.: Hübner (Bonn). 

Eine spezifische Heredität gibt es bei der Tuberkulose nicht. Die Descen- 

denten von Phthisikern sind nur leichter anfällig, als nicht Belastete. Sie stellen 
einen gut vorbereiteten Boden dar, auf dem sich die verschiedensten Erkrankungen 
entwickeln können, konstitutionelle sowohl wie erworbene — funktionelle ebenso 
wie organische. 

Daß bisweilen bei Ascendenten und Descendenten Tuberkulose zur Beobach¬ 
tung kommt, beweist eine gleichartige Vererbung nicht 

Auffallend ist, daß unter den Nachkommen Tuberkulöser verhältnismäßig 
häufig — nach Orchanski in 58,1 °/ 0 der Fälle — Nervenkrankheiten, und zwar 
besonders oft funktionelle Störungen auftreten. 

Die Frage, ob Belastung von seiten des Vaters oder solche mütterlicherseits 
ungünstiger für die Nachkommen ist, beantwortet Verf. dahin, daß Tuberkulose 
der Mutter von schwerwiegenderer Bedeutung sei, da bei ihr nicht nur die im 
Blut kreisenden Toxine, sondern auch der veränderte Stoffwechsel während des 
gesamten intrauterinen Lebens die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. 

Die anatomischen Veränderungen, welche sich am Nervensystem von früh 
gestorbenen Kindern tuberkulöser Mütter fanden, hat Verf in 3 Fällen genauer 
studieren können. Er fand mannigfache Zellveränderungen, daneben auch 2 mal 
hintere Strangdegenerationen. 

Die nervösen und psychischen Störungen, welche bei mit Tuberkulose Be¬ 
lasteten Vorkommen, zeigen keine besonderen Merkmale. 

Große Bedeutung mißt Verf. der Tuberkulose als degenerirendem Faktor der 
Familie bei. Er führt dies an dem Beispiel der Valois und Bourbonen näher aus. 

In dem zweiten Abschnitt des Buches werden die durch tuberkulöse Infektion 
unmittelbar und mittelbar entstehenden Charakterveränderungen, Neurosen und Psy¬ 
chosen besprochen. An eigenen Beiträgen bringt Verf dabei u. a. zwei ab Tetanie 
bezeichnete Fälle, die bei zwei Geschwistern einer mit Tuberkulose stark durch¬ 
setzten Familie auftraten. Er weist ferner darauf hin, daß bei Phthisikern nach 
seinen Erfahrungen der Morphinismus eine häufigere Erscheinung ist, als man 
bisher allgemein geglaubt hat. Auch der Selbstmord sei oft in Beziehung zur 
Tuberkulose zu bringen, da‘die Stimmungslage vieler Tuberkulöser der Ausführung 
eines solchen günstig sei. 

Die in den Endstadien der Tuberkulose beobachteten deliriösen Phasen unter¬ 
scheiden sich von den bei anderen Kachexien vorkommenden Zuständen nicht, sie 
sind nach Verf. aus der Einwirkung der Toxine auf einen erblich oder individuell 
prädisponierten Menschen zu erklären. Daneben können auch noch andere Fak¬ 
toren, wie chronischer Alkoholismus, begünstigend mitwirken. 

Der dritte Abschnitt der umfangreichen Monographie ist den anatomischen 
Veränderungen gewidmet. Verf. hat zu demselben eigene Untersuchungen an¬ 
gestellt. Er injizierte mehreren Kaninchen teils intraperitoneal, teils in die Venen 
hinein tuberkulöse Giftstoffe verschiedener Virulenz. Es gelang ihm, auf diese 
Weise eine Beihe klinischer und anatomischer Veränderungen an den Versuchs¬ 
tieren hervorzurufen, die aber, wie er selbst Bagt, nichts Spezifisches darbieten. 

Jedem Abschnitt ist ein umfangreiches Literaturverzeichnis beigegeben. 

48) Lob alienös et la tuberoulose, par A. Marie. (Bevue de medecine. XXVL 

1906. Nr. 7.) Bef: Eduard Müller (Breslau). 

Nach den Tuberkulosestatistiken, die für eine besondere Häufigkeit des 
Liungenleidens überall da sprechen, wo zahlreiche Personen auf einem relativ be¬ 
schränkten Baume zusammen wohnen, ist zu erwarten, daß die Asyle für Geistes- 


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kranke stark verseucht sind, zumal sie nicht selten wenig widerstandsfähige und 
unreinliche Kranke beherbergen und zum Teil stark überfüllt sind. Tatsächlich 
richtet auch die Tuberkulose in den Anstalten vieler Länder große Verheerungen 
an. Es ist deshalb dringend notwendig, Abwehrmaßregeln zu treffen, wenn auch 
die finanziellen Schwierigkeiten sehr große sind. 

Verf., der seine Anschauungen durch gute Statistiken (besonders aus den 
Asylen der Seine) belegt, spricht sich einerseits für die Notwendigkeit einer Iso¬ 
lierung der Tuberkulösen in besonderen Pavillons der Irrenanstalten aus und 
andererseits für eine vorbeugende genaue Lungenuntersuohung der aufzunehmenden 
Patienten. Wünschenswert sind spezielle Sanatorien für die Kombination von 
Lungentuberkulose und Psychose. 

49) Kotes upon the inoidenoe of tuberoulosis in asylums, by Greene. 

(Joura. of ment. sc. 1906. Januar.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Verf. führt aus, daß in den englisohen Irrenanstalten etwa einer von 70 Todes¬ 
fällen an Tuberkulose erfolge, die Zahl der Todesfälle durch Tuberkulose sei in 
den Anstalten nicht wesentlich größer als in der Gesamtbevölkerung. In vielen 
Fallen steht die Entstehung der Tuberkulose nicht in Zusammenhang mit dem 
Aufenthalt in der Anstalt, sondern der tuberkulöse Prozeß habe nachweislich schon 
vorher bestanden. 

In der lebhaften Diskussion behaupteten manche Redner (Crookshank z. B.), 
daß die Todesfälle an Tuberkulose in den Anstalten weit zahlreicher Beien, sie 
seien bis zu lOmal häufiger als die in der GeBamtbevölkerung; auch die Ma߬ 
regeln gegen die Tuberkulose in den Anstalten wurden erörtert. 

60) Prophylaxie et traitement de la tuberoulose dans les asiles d’alienös, 

par Briand. (Annal. m6d.psych. 1906. Jan./Febr.) Bef.: E. Meyer. 

Verf. tritt mit Wärme für die Bekämpfung der Tuberkulose in Irrenanstalten 

ein. Er hat als einer der ersten die Absonderung der Tuberkulösen durchgeführt, 
die mit Ausnahme der sehr erregten Kranken und solcher mit zu weit vor¬ 
geschrittener Tuberkulose in Sanatorien verpflegt werden sollen, wie Verf. eines 
eingerichtet hat. Er weist zum Schluß darauf hin, daß auch das Ministerium in 
Frankreich besonders auf die Notwendigkeit derartiger Einrichtungen hingewiesen hat. 

61) On the etiology of asylum dysentery, by Bernard Knobel. (Journ. 

of ment. sc. 1906. April.) Bef.: E. Meyer (Königsberg i/Pr.). 

Die sehr große Zahl von „Dysenterie“-Fällen in englischen Anstalten — 
in den Anstalten der London country 1904: 231 — haben Verf.’s eingehende 
Zusammenstellung veranlaßt. Nach Verf.’s Schlußsätzen ist die Dysenterie in 
England überwiegend in den Irrenanstalten heimisch, man begegnet ihr nur aus¬ 
nahmsweise in Gefängnissen und Arbeitshäusern. Die bisherigen Bekämpfungs¬ 
versuche haben keinen wesentlichen Erfolg gehabt Nach den bisherigen Fest¬ 
stellungen scheinen nicht ein, sondern mehrere Mikroorganismen die Dysenterie 
hervorzurufen, die schon unter normalen Verhältnissen Insassen des gastro-intesti- 
nalen Traktus sind. Zu Krankheitserregern werden sie anscheinend durch die 
Abnahme der Widerstandskraft der Gewebe bei den Geisteskranken, die auf 
trophische Störungen zurückzuführen ist. Bei angeborenen geistigen Defekt- 
zuBtänden tritt die Dysenterie seltener auf. 

52) Über die Entlarvung von Simulation bei Geisteskranken, von Prof. 

Koppen. (Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr. 24.) Bef.: R. Pfeiffer. 

Die Nr. 24 der Deutschen med. Wochenschrift 1907 bringt eine Reihe von 
Aufsätzen über Entlarvung von Simulation, und zwar neben der Arbeit Köppens 
Ausführungen von Prof. Rumpf (Bonn): „Über Krankheitssimulation bzw. -dis- 
simulation und ihre Entlarvung in der inneren Medizin“, von Prof. Ledderhose 
(Straßburg): „Über Simulation und ihre Entlarvung in der Unfallchirurgie“, von 
Prof. Groenouw (Breslau): „Über Simulation von Augenleiden und deren Ent- 

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larvung“, von Prof. Stenger (Königsberg): „Simulation und Dissimulation von 
Ohrkrankheiten und deren Feststellung“, sowie von Gen.-Oberarzt Schill (Dresden): 
„Über Simulation beim Militär.“ 

Ein genaues Studium dieser Arbeiten ist allgemein zu empfehlen in Rück¬ 
sicht auf die große Bedeutung der Simulation und Dissimulation von Krankheits¬ 
zuständen in der gegenwärtigen Zeit und in bezug auf die Tatsache, daß die 
Schwierigkeit der Beurteilung häufig unterschätzt wird. 


III. Bibliographie. 


1) Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten, von H. Eich hörst. 
(2 Teile. Berlin u. Wien 1907, Urban & Schwarzenberg. 908 S.) Ref.: Kurt 
Mendel. 

ln dankenswerter Weise hat die Verlagsbuchhandlung diesen die Nerven¬ 
krankheiten behandelnden Teil des „Handbuches der speziellen Pathologie und 
Therapie“ desselben Verfassers gesondert herausgegeben. Das Werk gibt in 
knapper klarer Form ein Bild von dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse 
in der Neurologie. Es sei hiermit den Fachkollegen, besonders aber den prak¬ 
tischen Ärzten, welche sich über Ätiologie, Pathologie, pathologische Anatomie 
oder Therapie in einem bestimmten Nervenfalle ihrer Praxis schnell orientieren 
wollen, bestens empfohlen. 

2) Oie Geschwülste des Nervensystems: Hirngesohwülste, Rückenmarks- 
und Wirbelgesohwülste, Gesohwülste der peripheren Nerven, von Lud¬ 
wig Bruns. II., gänzlich umgearbeitete Auflage. Mit 64 Abbildungen im Text. 
(Berlin 1908, S. Karger. 480 S. Preis 18 Mk.) Ref.: Adler (Pankow). 

Das ausgezeichnete Werk von Bruns ist anläßlich des Erscheinens der ersten 
Auflage in diesem Centralbl. (1898, S. 94) eingehend vom Ref. besprochen worden. 
In den seit dem Erscheinen der ersten Auflage verstrichenen 10 Jahren hat die 
Lehre von den Hirn- und Rückenmarksgeschwülsten und insbesondere auch deren 
chirurgische Behandlung eine derartige Vervollkommnung erfahren, daß bei der 
Neubearbeitung des Werkes, abgesehen von der im wesentlichen beibehaltenen 
Disposition, kaum ein Kapitel unverändert bleiben konnte. Man werfe nur einen 
Blick in die beigegebenen Literaturverzeichnisse oder in das Verzeichnis der 
gleichfalls vom Verf. bearbeiteten einschlägigen Abschnitte des „Jahresberichtes 
über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Neurologie und Psy¬ 
chiatrie“, um zu ersehen, wie erstaunlich die Publikationen gerade auf diesem 
Gebiete im letzten Dezennium zugenommen haben. Freilich ist auch unter diesen 
^Fortschritten und Leistungen“ nicht alles Fortschritt und Leistung. Aber kaum 
einer erschien mehr berufen hier — die Spreu vom Weizen sondernd — einzu¬ 
greifen, als der Verf., dessen große persönliche Erfahrungen auf dem Gebiete der 
Geschwülste des Nervensystems im verflossenen Dezennium an Umfang noch er¬ 
heblich zugenommen haben, wie ein Vergleich der beiden Auflagen fast allent¬ 
halben ergibt. 

In erster Linie gilt dies von den Hirntumoren, bei welchen Verf. über 
nicht weniger als 210 eigene Beobachtungen verfügt! Zwar haben hier die thera¬ 
peutischen Erfolge mit der Erweiterung des diagnostischen Könnens nicht Schritt 
zu halten vermocht; immerhin ist schon insofern ein Erfolg zu verzeichnen, als 
die Chirurgie jetzt auch die hintere Schädelgrube und das Kleinhirn sich zu¬ 
gänglich zu machen gelernt hat, während bislang fast ausschließlich nur die 
Tumoren der Konvexität für operabel galten. WaH die therapeutischen Erfolge 
anlangt, so kommen auch jetzt noch 53 °/ 0 der Hirntumorfälle mit sicherer 
Lokaldiagnose für eine chirurgische Behandlung nicht in Betracht, weil sie ope¬ 
rativ nicht zu erreichen sind. Da nun von allen Hirngeschwülsten nur etwa 


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75% im günstigsten Falle eine exakte Lokaldiagnose gestatten, so bleiben von 
100 Tumoren im Ganzen nur etwa 35 übrig, bei welchen eine sichere Allgemein* 
und Lokaldiagnose möglich ist und nach letzterer der Tumor an chirurgisch an* 
greifbarer Stelle sitzt. Zieht man dann noch alle Fälle von operativen Mißerfolgen 
ah, so stellt sich der Prozentsatz der Geheilten oder wesentlich Gebesserten immer 
noch nicht höher als auf 3 bis 4°/ 0 . 

In erfreulichem Gegensätze hierzu stehen die allgemein bekannten, glänzenden 
operativen Erfolge der modernen Chirurgie der Rückenmarkstumoren, welche 
im Gegensätze zu den Hirntumoren mit den gewaltigen diagnostischen Fortschritten 
Hand in Hand gegangen sind. 

Das Studium des Buches zeigt, wie Verf. eifrig bemüht war, allen diesen 
Fortschritten in der Neuauflage Rechnung zu tragen. Insbesondere gilt dies auch 
von dem Kapitel der peripheren Nervengeschwülste. 

Dementsprechend ist auch der Umfang des Buches erheblich angewachsen 
und die Zahl der Abbildungen fast auf das Doppelte gestiegen. 

Unverändert geblieben ist nur der streng wissenschaftliche Geist, welcher die 
ganze Arbeit durchweht. Und das ist gut so! 

3) Leitfäden der ärztlichen Untersuchung mittels der Inspektion, Palpation, 
der Schall* und Tastperkussion, sowie der Auskultation, von Wilhelm 
Ebstein. (Stuttgart 1907, F. Enke. 323 S.) Ref.: Kurt Mendel. 

Dieses neue Werk des bekannten Verf.’s stellt zwar in der Hauptsache ein 
Geschenk an den inneren Mediziner dar, doch auch der Neurologe findet ihn 
Interessierendes in demselben. Insbesondere sei auf das Kapitel der Inspektion 
und Palpation des Gesichtes und Kopfes hingewiesen, sowie auf dasjenige über 
die Auskultation des Schädels und der Wirbelsäule. Bei der Auskultation der 
letzteren findet man — wie Verf. ausführt — an Stellen, an denen die Unter¬ 
suchung mittels der Inspektion und Palpation völlig versagte, nicht selten ein 
deutliches Knirschen und Krachen, besonders an der Grenze zwischen Kreuzbein 
und Lendenwirbelsäule, doch auch an anderen Stellen, und zwar während die 
Patienten die verschiedensten Bewegungen ausführen. Es bedarf deshalb zur 
Auskultation eines flexiblen Stethoskops. Bei der Röntgen-Untersuchung wurden 
an den betreffenden Stellen kleine Auflagerungen an den Gelonkgrenzen und 
Arthritis deformans an den Wirbelgelenken konstatiert. Besonders wichtig ist 
diese Auskultation auch bei Traumatikern; solche, die lange als Simulanten ge¬ 
golten hatten, kamen so zu ihrem Recht. Eis konnte z. B. beim abwechselnden 
Heben des betreffenden Beines bei Frakturen des Os sacrum in der Nähe der 
Symphysis sacro-iliaca Krepitieren gehört werden. Zuweilen ergibt bei Genick¬ 
schmerzen, die für rein nervös gehalten wurden, die Auskultation materielle Ver*. 
Änderungen an den Knochen als die Ursache der geklagten Beschwerden. 


IV. Aus den Gesellschaften. 


XIII. Versammlung mitteldeutscher Psyohiater und Neurologen 
in Leipzig am 26. und 27. Oktober 1907. 

Referent: H. Haenel (Dresden). 


Der erste Einführende, Herr Flechsig, eröffnet die Versammlung und ge¬ 
denkt der im Laufe des Jahres verstorbenen Mitglieder, unter denen er die Namen 
Möbius und Hitzig besonders hervorhebt Die Versammlung ehrt ihr Andenken 
durch Erheben von den Plätzen. Zum Vorsitzenden der ersten Sitzung wird 
Herr Sommer (Gießen), der zweiten Herr Weber (Sonnenstein) gewählt 

Vorträge. 1. Herr Flechsig (Leipzig): Über die Hörsphire des 


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znensohllohen Gehirns (mit Demonstration). (Erscheint als Originalmitteilong 
in diesem Centralblatt.) 

Diskussion: Herr Rothmann weist auf Tieruntersuchungen hin, die Munk 
und er selbst im Schläfengebiete angestellt haben. Ersterer hatte das Hörfeld 
ursprünglich viel größer gefunden, nachträglich eingeschränkt. R. fand mit Hilfe 
genauerer, auf TondresBur beruhender Prüfungen an Hunden, daß ein voller Aus¬ 
fall des Gehörs erst eintritt, wenn der ganze Schläfenlappen und noch angrenzende 
Gebiete zerstört sind. Selbst kleinste übriggebliebene Rindenreste ermöglichen 
die Restitution des Gehörs. 

Herr Flechsig: Tier- und Menschengehirne können nicht ohne weiteres 
verglichen werden, beim Gorilla z. B. ist die vordere Querwindung viel größer 
als beim Menschen. 

Herr Haenel: Es ist ein methodologischer Unterschied, oh man die ursprüng¬ 
lich funktionierenden Sinnesfelder sucht oder die Grenzen derer bestimmt, die 
vikariierend für jene eintreten können. Daraus mag sich der Widerspruch 
zwischen Flechsigs und Rothmanns Hörsphäre erklären. 

Herr Döllken: Auch in der Hörfähigkeit sind die Unterschiede zwischen 
Tieren und Menschen so erhebliche, daß die Verhältnisse des einen nicht ohne 
weiteres auf die anderen übertragen werden können. Die meisten Versuchstiere 
haben ein schärferes Gehör als der Mensch. 

Herr v. Nie sei: Die Erfahrungen am Menschen haben gezeigt, daß die nach 
doppelseitiger Schläfenlappenzerstöruug entstandenen Gehörstörungen sich nicht 
wieder herstellen, im Gegensatz zum Hund. 

Herr Rothmann widerspricht diesem: Doppelseitig operierte Tiere werden 
nnd bleiben taub, wenn die Rinde im genannten Umfang wirklich völlig zer¬ 
stört war. 

Herr Flechsig hält selbst die vervollkommnete Hörprüfung der Tiere noch 
für ein sehr unsicheres Verfahren. Er weist auch darauf hin, daß eine Unter¬ 
suchung der Funktionen des N. vestibularis kaum ausführbar ist. 

2. Herr Anton (Halle): Über geistigen Infantilismus. (Erscheint als 
Originalmitteilung in diesem Centralblatt.) 

3. Herr Held (Leipzig): Über Zusammenhang und Entwicklung der 
Ganglienzellen mit Demonstrationen über den Bau der Neuroglia. Die 
Ausführungen des Vortr. richten sich gegen die Neuronenlehre. Er unterscheidet 
bei den Resultaten der Golgi-Imprägnation drei Stadien: 1. bei unvollständiger 
Imprägnation erscheinen die Zellfortsätze frei verästelt. 2. in weiteren Stadien 
erscheinen die Nervenfasern mit den Ganglienzellen durch „EndfÜßchen (< ver¬ 
bunden, 3. bei sekundären Osmiumfärbungen sind diese Endfüßchen scharf vom 
Protoplasma der Ganglienzelle abgesetzt, 4. hei Protoplasmafärbung zeigt sich 
das Nervenendfüßchen granuliert durch Neurosomen, die in die Substanz der 
Zelle übergehen. Es besteht also statt des nach 3. scheinenden Kontaktes eine 
Kontinuität Die einzelnen Endfüße sind auf der Oberfläche der Ganglienzelle 
ihrerseits durch Netzwerk untereinander verbunden: pericelluläres Nervennetz. 
Bei Fibrillenfärbung sieht man, daß auch die Fibrillen des Nervenendfußes sich 
mit denen der Ganglienzelle mischen und verbinden. Gegenüber Apäthy und 
Bethe stimmt Vortr. im Prinzip mit der Hisschen Neuroblastenlehre überein. 
Die Neuroblasten sind die Bildungszellen der Neurofibrillen. Entgegen HiB hat 
er dagegen nie ein Freiwachsen der embryonalen Nervenfaser gesehen, diese 
wächst stets in den Interzellularbrücken der embryonalen Bindegewebszellen, die 
später zu Gliazellen der weißen Substanz werden. Schon in sehr frühen Stadien 
hat er zwischen den einzelnen Neuroblasten durch Fibrillen hergestellte Ver¬ 
bindungen festgestellt, die auch später nicht wieder aufgegehen werden, woraus 
folgt, daß die Ganglienzelle keine genetische Einheit ist. Das spätere Fibrillen* 


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bild ist nicht mononeuroblastisch, Bondern polyneuroblastisch zusammengesetzt: 
jede Nervenfaser empfangt Wurzeln aus mehreren Neuroblasten. Weiter wendet 
sich Vortr. gegen die Zellkettentheorie. Die Schwannschen Zellen bilden sich 
aus Zellen, die aus dem Medullarrohr entlang den in den Zellbrücken liegenden 
Fibrillenbündeln sich vorschieben und letztere sekundär umscheiden: sie sind aus- 
gewanderte Gliazellen, und, wie diese, für die Ernährung der Fibrillen von großer 
Wichtigkeit, nicht nur einfache Stützsubstanz. Die retrograde Veränderung der 
Ganglienzelle nach peripherer Nervendurchschneidung beweist das Abhängigkeits¬ 
verhältnis beider. Die exzentrische Stellung des Zellkernes hierbei erinnert an 
das embryonale Bild. Die Schwannschen Zellen haben also die Nervenfaser nicht 
gebildet; es wohnt ihnen aber bis zu einem gewissen Alter eine Regenerations¬ 
kraft für diese inne. Die Versuche Bethes über autogene Regenerationen lassen 
sich vielleicht durch im peripheren Stumpf versprengte Ganglienzellen erklären, 
die man dort hat finden können. 

4. Herr Müller (Breslau): Über akute Paraplegien nach Tollwut- 
Bohutzimpfung. Vortr. hatte in der Strümpei Ischen Klinik Gelegenheit, einen 
jener extrem seltenen und in der deutschen Literatur bisher überhaupt noch nicht 
verzeichneten Fälle zu beobachten, in denen anscheinend im Anschluß an die 
Wutschutzimpfung eine äußerst schwere, aber dennoch merkwürdig gutartige Form 
spinaler Querschnittslähmung sich entwickelt. Eis handelt sich um einen 36 Jahre 
alten KreiBtierarzt, der sich bei der Sektion eines lyssaverendeten Hundes eine 
Schnittwunde am linken Zeigefinger zuzog; daraufhin ließ sich der Kranke in 
der zweiten deutschen Wutschutzstation Breslau impfen. Nach etwa 15 Tagen 
und ebensoviel Injektionen in die Unterbauchgegend entwickelte Bich nach 
kurzen, als „Influenza“ gedeuteten Vorläufererscheinungen binnen zwei Tagen 
das typische Bild einer spinalen Querschnittslähmung schwersten Grades mit 
völliger Urin- und Stuhlverhaltung, mit segmentär begrenztem Empfindungs¬ 
ausfall für alle Qualitäten der Oberflächen- und Tiefenempfindungen bis etwa zur 
Höhe der Brustwarzen, mit völliger Aufhebung jeder auch nur angedeuteten will¬ 
kürlichen Bewegung in der gesamten Hüft- und Beinmuskulatur, sowie in einzelnen 
Muskeln des Rumpfes. Dazu traten eine Lähmung des Rectus superior links und 
des Nervus facialis rechts. Nach relativ kurzer Zeit begann trotz eitriger Cystitis 
und Pyelonephritis zuerst eine langsame, dann eine immer raschere Rückbildung. 
Es verschwanden diejenigen Symptome zuerst, die zuletzt gekommen waren. Nach 
etwa drei Monaten verließ der Kranke fast geheilt die Klinik. Der eigenartige 
Krankheilsverlauf, vor allem aber die merkwürdig günstige Prognose schließen 
hier eine echte Lyssa aus; die Lyssa humana ist ja die prognostisch ungünstigste 
Erkrankung des Nervensystems. Wahrscheinlich handelt es sich um eine sym- 
ptomatologische äußerst sohwere, aber pathologisch-anatomisch dennoch gutartige 
Form der Myelitis im Gefolge der Wutschutzimpfung. Remlinger hat aus der 
Weltliteratur nicht weniger als 40 ähnliche Fälle gesammelt, die bald als akute 
spinale Querschnittslähmung, als akute Bulbärparalyse, Landrysche Paralyse u. dgl. 
gedeutet wurden. Trotz vieler symptomatologischer Unterschiede haben alle diese 
Fälle etwas Gemeinsames, das sie von der echten Lyssa trennt; dies ist die auf¬ 
fallend günstige Prognose: von den 40 Patienten Remlingers starben nur zwei. 
Die Frage, wodurch die Schutzimpfung bei einem vielleicht durch andere Ursachen 
disponierten Menschen geschadet hat, ist schwer zu beantworten. In dem Falle 
des Vortr. liegt die Möglichkeit nahe, daß hier ohne eigentliche Straßenvirus¬ 
infektion eine abgeschwächte, paralytische Wut durch die Wutschutzimpfung 
selbst, also eine „abgeschwächte Kaninchenlyssa“ beim Menschen vorlag. Diese 
Annahme wird eingehend begründet. Der Nachweis solcher Fälle von Impf¬ 
schädigungen verpflichtet uns, durch fortschreitende Verbesserung der Methodik 
derartige höchst unangenehme Zwischenfälle möglichst zu vermeiden. Solche Fälle 

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sind allerdings große Raritäten. Die 40 Fälle Remlingers verteilen sich auf 
über 100000 Behandelte. Bei den unbestreitbaren Vorteilen der Wutschutz* 
impfung sind vir deshalb gezwungen, deren Vorzüge gegen die Nachteile richtig 
abzuwägen und an dieser Form der prophylaktischen Behandlung zunächst noch 
festzuhalten. Autoreferat. 

5. Herr H. Haenel (Dresden): Eise typische Form der ataktischen 
Gehstörung. Die grundlegende Bewegung bei jedem Schritte besteht in der 
Verlegung des Körperschwerpunktes von zwei Beinen auf eins. Diese Bewegung 
muß durch Kontraktion von Muskeln ausgeführt werden, die ihr Punctum fixum 
weiter nach außen von der Mittellinie haben als ihr Punctum mobile. Die Über* 
legung ergibt, daß das Gelenk, um das diese Seitwärtslegung ausgeführt wird, 
dos Fußgelenk ist, die wirkende Muskelgruppe die Peronei. Diese wirken hierbei, 
unter Vertauschung ihrer AnBatzstellen, nicht als Heber des Fußrandes, sondern 
als Senker des äußeren Randes des Unterschenkels, eine Bewegung, die sich auf 
Oberschenkel und Becken überträgt. Eine Koordinationsstörung in den Peronei, 
wie sie bei TabeB nicht selten ist, wird sich also nicht nur am Schwungbein, 
sondern auch am Standbein beim Lösen der genannten Aufgabe bemerkbar machen. 
Eine weitere Störung hat ihren Sitz in den kurzen Muskeln zwischen Oberschenkel, 
speziell Trochanter major und Becken: den Abduktoren, den Adduktoren und den 
Rotatoren. Eine Funktionsprüfung dieser Muskeln ergibt oft schon in Verhältnis* 
mäßig frühen Stadien beim Tabiker Störungen. Am besten wird diese Prüfung 
in Seitenlage ausgeführt: Abspreizung des Beines, Abheben des Knies bei ge* 
beugten Beinen und aufeinanderruhenden Fersen u. a. Auch die Hypotonie der 
kurzen Hüftmuskeln ist hierbei oft deutlioh festzustellen. Beim stehenden Kranken 
mit der letzteren Störung wird die Aufgabe, auf einem Bein zu stehen, in 
typischer Weise fehlerhaft gelöst. Statt der notwendigen Senkung der dem Stand¬ 
bein entsprechenden Beckenhälfte senkt sich die entgegengesetzte, das Schwungbein 
wird verlängert statt verkürzt, der Kranke ist genötigt, durch Beugung in Knie 
und Hüfte das Bein vom Boden zu entfernen. Ein langsames Heben und Nieder* 
setzen des Beines ist durch dieses Umkippen des Beckens fast ausgeschlossen. 
Beim Schritt sucht der Eiranke deshalb möglichst rasch aus der einfachen Unter¬ 
stützung des Schwerpunktes wieder zu der doppelten zu gelangen und läßt das 
gebeugt ankommende Schwungbein durch brüske Streckung zum Standbein werden. 
Bei der Nachbewegung des nachfolgenden Schwungbeins tritt das Umkippen des 
Beckens in derselben Weise wieder störend auf. Der Seitwärtsgang ist hierbei 
noch mehr gehindert wie das Vorwärtsschreiten, weil dabei die Abduktoren am 
Schwungbein als solche, am Standbein aber gleichzeitig als Beokensenker zu 
funktionieren haben, eine Doppelinnervation, die dem Tabiker stets besonders 
schwer fallt. Der Gang entspricht unter diesen Verhältnissen dem bei einer 
Lähmung oder Schwäche des M. glutaeus medius und kann deshalb als typisch 
bezeichnet werden. Vortr. schließt einige therapeutische Bemerkungen an, die 
sich auf die Auswahl speziell für diese Störung geeigneter Übungen beziehen. 
Besonders günstig wirkt hier eine Übung auf balanzierendem Sattel, auf dem der 
Kranke mit frei herabhängenden Beinen sitzt und die Aufgabe hat, die seitlichen 
Schwankungen des Sattels und Körpers auszugleichen. 

6. Herr Meitzer (Chemnitz): Zur Pathogenese der Opticusatrophie und 
des sogenannten Turmsoh&dela. (Erscheint ab Originalmitteilung in diesem 
Centralblatte.) 

7. Herr Hoehl (Chemnitz): Demonstration von Röntgenogrammen. Vortr. 
hat einen großen Teil der von Meitzer untersuchten Fälle von Turmschädel 
röntgenographisch aufgenommen ln den Bildern fallen ab * charakteristisch vor 
allem die starken Impressiones digitatae der Schädelkonvexität auf, für die an der 
Schädeloberfläche keine Anhaltspunkte zu finden waren. Die Orbitae sind meistens 


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abgeflacht, der Vertikaldurchmesser länger als der Horizontaldurchmesser (Hypsi- 
conchie), an der Basis 'fallt das steile Aufsteigen des Planum sphenoidsde auf, 
das in starkem Winkel gegen das Planum ethmoidale anstößt. Heist ist die 
Sella turcica der Orbita sehr genähert, die hintere Schädelhälfte dadurch größer 
als die vordere, der ganze Vorderschädel verkürzt. Die Schädelbasis im ganzen 
erscheint nach unten durchgehogen, die Sella turcica oft vertieft. Je nach der 
Dichtung, in der der erhöhte Innendruck wirksam gewesen ist, sind diese Ver¬ 
hältnisse mehr oder weniger modifiziert. 

Diskussion: Herr Näcke wünscht eine Definition des Turmschädels, die 
allerdings ihre Schwierigkeiten habe. Ätiologisch sei für die Erblindung die 
Verengerung des foramen opticum nicht genügend hervorgehoben worden, ebenso 
der Einfluß der Zangengeburt. Bei Geisteskranken ist der Tnrmschädel sehr 
selten: N. kann bestätigen, daß die Intelligenz bei Turmschädel meistens nicht 
gelitten hat. 

Herr Haenel fragt, oh die Abflachung der Orbitae nur nach dem Böntgen- 
hilde festgestellt worden ist. Die verschiedenen Projektionsrichtungen könnten 
hierbei zu Irrtümern Anlaß gehen. 

Herr Meitzer: Der Ausdruck Turmschädel würde besser durch HochBchädel 
ersetzt. Eine Verengerung des foramen opticum ist jedenfalls sehr selten, nur 
in drei Fällen der Literatur erwähnt. 

Herr Hoehl verneint die Frage des Hrn. Haenel; die starken Impressiones 
digitatae sind bisher Unika. 

8. Herr Kauffmann (Halle): Über Angstpsychose und Diabetes, an 
der Hand eines geheilten Falles. Ein fiOjähriger Landwirt erkrankte im 
Frühjahr 1906 an Diabetes; seit Sommer 1906 war er deshalb in ärztlicher Be¬ 
handlung, hielt aber keine Diät. Ein Bruder desselben ist an Diabetes gestorben. 
Ende Sommer 1906 traten schwere Angstvorstellungen mit großer Unruhe auf. 
Er werde unheilbar krank, er werde anfangen zu toben, machte sich Sorgen, daß 
keine Kammer vorhanden sei, wo er eingesperrt werden könnte, wenn er zu toben 
anfange. Lief in großer AngBt planlos umher. Wurde im September in die 
Klinik eingeliefert. 12 °/ 0 Zucker im Urin. Klinisch: typisches Bild einer Angst¬ 
psychose. Die Frau sei tot, das Vieh sei kaput, das Geld sei verloren, heftige 
Unruhe, pruriginöse Ekzeme, Selbstmordgedanken. Bei teilweiser Zuckerdiät 
Besserung des Diabetes und der Angst. Bei Vermehrung der Zuckerausscheidung 
infolge Diätfehler wieder Verschlechterung der Stimmung. Der Kranke wurde 
vom 13. Dezember an in den Stoffwechsel genommen. Um eine event Acidoais 
zu vermeiden, wurde allmählich mit den Kohlenhydraten heruntergegangeD. Er 
erhielt die erste Woohe 200 Kohlenhydrate, die nächste 100, dann eine Woche 50, 
und darauf 9 Tage keine Kohlenhydrate. In der ersten Woche war die Stimmung 
noch sehr ängstlich, intensive Selbstmordgedanken. Traubenzucker wurde täglich 
durchschnittlich 240 g ausgeschieden. In der zweiten Woche wurden durch¬ 
schnittlich 120 g Zucker ausgeschieden. Die Stimmung war andauernd ängstlich. 
In der dritten Woche wurden durchschnittlich 80 g Zucker ausgeschieden. Es 
trat eine rasche, auffallende Besserung auf, besonders vom zweiten Tage der ver¬ 
minderten Kohlenhydratzufuhr an. Die Stimmung war indessen noch wechselnd. 
In der vierten Periode traten durchschnittlich 20 g Zucker im Urin auf. Klinisch 
war Wohlbefinden, immer mehr subjektives Kraftgefühl und Krankheitseinsicht zu 
konstatieren. Am letzten Tage war die Zuckeraussoheidung, die an dem Tage 
vor dem Versuch 302 g betragen hatte, auf 7 g gesunken. Überraschend war die 
psychische Veränderung nach der Zufuhr von nur 50 Kohlenhydraten und die 
Heilung der Psychose nach Eingabe einer kohlenhydratfreien Kost. Eis besteht 
kein Zweifel, daß die Beseitigung der nutzlosen Kohlenhydrate aus der Nahrung 

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zugleich die Elimioation von körperfremden Stoffen bedeutete, die anscheinend 
eine schwere toxische Wirkung auf das Gehirn ausäbten. Der Traubenzucker 
kann, in großen Mengen gegeben, tödlioh wirken. Bei Kaninchen hat man nach 
großen Dosen Exitus beobachtet. Es ist wohl möglich, daß die dauernde Über¬ 
ladung des Blutes mit Traubenzucker für das Gehirn äußerst nachteilig war. 
Acetonkörper waren nur in minimalen Mengen vorhanden, ebenso Acetessigsäure. 
Die Elisenchloridreaktion war negativ, Oxybuttersäure war nicht nachzuweisen. 
Der respiratorische Quotient in nfichternem Zustande war normal. Der Patient 
wurde am 12. Januar 1907 als geheilt aus der Klinik entlassen. Am 8. Februar 
stellte er sich wieder in der Klinik vor. Der Zuckergehalt des Urins war wieder 
auf 3 °/ 0 gestiegen, da er nicht streng diät gelebt hatte. Es bestanden Kopf¬ 
schmerzen und Druck im Hinterkopf. Infolge ganz strenger Diät war Mitte März 
der Zuckergehalt des Urins auf 0,2 °/ 0 gesunken, zugleich war eine ausgezeichnete 
Stimmung vorhanden. Der Mann arbeitete wieder wie früher. Im Juli d. J. 
betrug der Zuckergehalt 0,8 °/ 0 . Der Kranke ist jetzt gesund und arbeitsfähig 
geblieben. Die Fettverdauung war eine gute. Ob es sich um einen Pankreas¬ 
oder neuro>hepatogenen Diabetes gehandelt hat, ist für die Beurteilung des Falles 
gleichgültig. Eis hat sich um ein krankes Gehirn gehandelt, das durch die Mit¬ 
ursache des Diabetes funktionsunfähig wurde. Ängstliche Zustände sind eine bekannte 
Erscheinung beim Diabetes, ja, es erzeugt Angst und psychische Erregung eine 
Verschlimmerung desselben. Mein Fall beweist mit der Schärfe eines Experimentes, 
daß der Diabetes die Angst verursacht hat. Wie Stoffwechselstörungen auf das 
Gehirn wirken, welche anatomischen Veränderungen sie dort hervorbringen, ist 
zurzeit noch unbekannt. Liegen aber Störungen des Stoffwechsels bei einer 
Psychose vor, bo können sie nur als Mitursache derselben gelten. Wiederholt be¬ 
obachtete schwere Oxydationsstörungen vor dem epileptischen Anfall, die Oxydations¬ 
störungen der Hebephrenen, die vor allen Dingen sich in der zeitweisen N-Retention 
äußern, die toxische Wirkung von hohen Eiweißgaben bei manchen Paralytikern 
— man kann experimentell hohes aseptisches Fieber mit Erregungszuständen und 
einen N-Gehalt des Blutes bis zu 4,2 °/ 0 erzeugen — sind zur Erklärung mancher 
psychischen Wirkungen heranzuziehen, nur mit dem Vorbehalt, daß eine bestimmte 
anatomische Veränderung des Gehirns vorliegt, daß diese aber, wenn man das 
Organ vor Schädlichkeiten bewahrt, nicht zu Funktionsstörungen desselben zu 
führen braucht. Diabetes wird häufig im Verlauf einer Psychose, besonders der 
progressiven Paralyse, beobachtet, sehr oft einhergehend mit schweren Angst- 
zuständen. In einzelnen solcher Fälle wurde durch Kohlehydratentziehung eine 
rasche Besserung der psychischen Erscheinungen erzielt Nahrungsschlacken, wie 
angreifbarer Traubenzucker, Abbauprodukte des intermediären Stoffwechsels, wie 
Aminosäuren und organische Säuren, selbst Eiweiß, das retiniert und nicht an¬ 
gebaut wird, können auf das äußerst labile Gehirn der Geisteskranken toxisch 
wirken. Versuche z. B. mit Darreichung von schwer verbrennlichen Salzen haben 
besonders bei Epileptikern und Hebephrenen schwere Oxydationsstörungen kennen 
gelehrt, die durch exakte Respirationsversnche bestätigt wurden. Wir stehen bei 
der Beurteilung der interessanten Stoffwechselstörungen von Geisteskranken noch 
vor manchen Rätseln, die von der Pathologie anderer abweichen, deren exakte 
Lösung indes die bis jetzt so wenig erfreuliche Therapie der Psychosen in manoher 
Beziehung fördern kann. Autoreferat. 

9. Herr Gregor (Leipzig): Über die Diagnose psyohisoher Prozesse im 
Stupor. Eine 25jährige Gummiarbeiterin war kurz vor der Aufnahme mit Selbst¬ 
vorwürfen, Depressionen und Krämpfen erkrankt. Bei der Aufnahme war sie 
stnporös, zeigte MutaziBmus und Katalepsie. Der Stupor vertiefte sich in der 
Folge weiter, die Patientin wurde völlig reaktionslos, alle aktiven Bewegungen 
hörten auf, sie verunreinigte sich. Der Versuch, Puls, Atmung und Atemvolumen 


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auf ihre reflektorischen, durch Beize verursachten Veränderungen zu studieren, 
lieferte keine verwertbaren Ergebnisse. Vortr. fragte sich deshalb, ob nicht will' 
kiirliche Veränderungen der Atmung bei Reizen festzustellen seien, die unabhängig 
von den Reflexen auftreten. Mit dem Marey sehen Pneumographen nahm er 
Atmungskurven auf und konnte an denselben feststellen, daß sie durch Zuruf 
von Worten, durch mit Suggestion betonte Geruchseinwirkungen, Drohungen usw. 
beeinflußbar waren, vorübergehende willkürliche Beschleunigung, Verlangsamung, 
Vertiefung und Abflachung zeigten. Er demonstriert die betreffenden Kurven. Als 
nach zweimonatlicher Dauer sich der Stupor allmählich löste, konnte die Patientin, 
die volle Erinnerung an diese Zeit hatte, bestätigen, daß, wie es die Atnrungs- 
kurven bewiesen hatten, die äußere Reaktionslässigkeit nioht gleichbedeutend war 
mit einer Nichtauffassung der Reize. 

Diskussion: Herr Sommer empfiehlt gleichzeitige Schreibung der kostalen 
und abdominalen Atmungskurve. Beide ergeben oft interessante Verschiedenheiten, 
die ebenfalls auf psychische Prozesse Rückschlüsse erlauben. 

10. Herr Wanke (Friedrichroda): Die Heilung der Neurasthenie, ein 
ärztlioh - pädagogisches Problem. Die Charakteristik, die man früher auf 
die Erscheinung der Neurasthenie anzuwenden pflegte, indem man Bie als reiz¬ 
bare Schwäche bezeichnete, trifft für den modernen Neurastheniker nicht mehr 
zu. Hier handelt es sich in der Regel vorwiegend um ein krankhaft ver¬ 
ändertes Affektleben infolge der Steigerung der Einflüsse moderner Über¬ 
kultur. Statt der auf Schwäche deutenden Symptome sind die abstoßenden, 
krittelichen Züge in den Vordergrund getreten. Die Kranken sind zänkisch und 
launenhaft, rücksichtslos, reizbar und despotisch geworden. Dadurch sind die un¬ 
günstigen Einwirkungen auch auf ihre Umgebung in verstärktem Maße zum Vor¬ 
schein gekommen, die Gefahr, daß diese von dem neurasthenischen Verhalten an- 
gesteokt werden, ist gewachsen. Manchmal kann man sogar an Paranoia erinnernde 
Eigenbeziehungen bei den Patienten finden. Unter diesen Umständen sind die 
bisher üblichen physikalisch - diätetischen Einwirkungen in der Therapie neben¬ 
sächlich geworden, das SanatoriumBohema hat an Wirksamkeit eingebüßt. Will 
man Erfolge heute erzielen, so ist es nötig, an die tätige Mitwirkung des Neur¬ 
asthenikers zu appellieren. Der Arzt muß in erster Linie erzieherisch einwirken. 
Er muß der Vertraute des Patienten werden und dieser Einfluß muß oft über 
Jahr und Tag fortgesetzt werden. Dem Hausarzte fallen nun von neuem die 
dankbarsten Aufgaben zu. Das Ziel muß sein eine Wiedererziehung zur Geduld, 
Ausdauer, Willensstärke, Gewissenhaftigkeit, Regelmäßigkeit in den Tagesgewohn¬ 
heiten, Pflichterfüllung, Rücksicht, Anerkennung und Dankbarkeit, Selbstlosigkeit. 
Alles dieses fällt, wie ersiohtlich, mehr in das pädagogische als in das rein ärzt¬ 
liche Gebiet. 

11. Herr Dehio (Dösen): Weitere Erfahrungen über Dauerbäder. In 
der Dösener Anstalt haben sich die Prinzipien, die Vortr. auf der Versammlnng 
von 1904 vorgetragen hat, bewährt und sind weiter ausgebaut worden. Die 
Dauerbäder sind zwar nicht die einzige, aber doch eine der wichtigsten Methoden 
zur Behandlung unruhiger Geisteskranker. Seit Oktober 1902 sind in Dösen 
überhaupt keine Kranken mehr isoliert worden. Die früheren Isolierzellen sind 
zu Separaträumen eingerichtet worden, die jetzt gern als Auszeichnung für be¬ 
sonders gutes Verhalten gewährt werden. Seit 2 Jahren ist die Bäderbehandlung 
mit der Freiluftbehandlung kombiniert worden: In einer Abteilung des Gartens 
sind aus Stampfbeton mehrere Wannen aufgestellt worden, in denen, sobald es 
die Witterung einigermaßen erlaubte, vom Juni bis weit in den Herbst Dauer¬ 
bäder im Freien verabreicht wurden. Die Wannen haben Anschluß an die Kana¬ 
lisation, gegen die zu starke Sonnenwirkung hat sich die Anbringung eines 
Sonnensegels Uber den Wannen als nötig erwiesen. Die Freiluftbehaudlung der 


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bettlägerigen, aber nicht badebedörftigen Kranken ist damit vereinigt worden: zu 
beiden Seiten des Gartens sind offene Liegehallen eingerichtet worden, so daß 
jetzt an Sommertagen seit 2 Jahren grundsätzlich kein unruhiger Kranker mehr 
im Hause gehalten wird. Alle sind von früh bis abends im Freien. Den Anstoß 
zu der Einrichtung gaben die Nachteile, die sich bei der Verabreichung der 
Dauerbäder im Zimmer zur Sommerszeit zeigten: die hohe Temperatur im Bade* 
raum steigerte oft die Erregung der Kranken, eine Lüftung war der Gefahr des 
Zuges und der Erkältung wegen nur unvollständig möglich, deshalb lag es nahe, 
das ganze Bad hinauszuverlegen. Von den Kranken wurde die Veränderung sehr 
angenehm empfunden. Vor allem fiel auch eine außerordentliche Steigerung des 
Appetites auf. Die gefürchtete Störung der Unruhigen untereinander stellte sich 
als geringer heraus, als wie man erwartet hatte: die Kranken beachteten sich 
gegenseitig weniger als im geschlossenen Baume, bliehen leichter in der Wanne. 
Erkältungen kamen die ganze Zeit so gut wie niemals vor. Der Vorteil für alle 
Beteiligten, nicht zum mindesten auch für das Wartepersonal, war in die Augen 
springend. — Vortr. führt die gesamte Einrichtung in einer Anzahl Photo* 
graphien vor. 

12. Herr Degenkolb (Roda): Zwei Fälle von Kombination verschiedener 
Seelenstörungen mit Hysterie. Vortr. beriohtet kurz über zwei Fälle, die in 
die Krankheitsgruppe der Hysterie einzureihen sind. Das Eigentümliche des über 
viele Jahre sich erstreckenden Verlaufes war, daß sie in regelmäßigem Wechsel 
zwischen manischem und depressivem Zustandsbilde und freien Intervallen das Bild 
einer zirkulären Psychose nachahmten, so daß die Differentialdiagnose lange Zeit 
Schwierigkeiten bereitete. (Ausführlichere Veröffentlichung a. a. 0.) 

13. Herr Sommer (Gießen): Zur Genealogie Goethes. Die Lehre vom 
Genie stand bis vor kurzem noch unter der Herrschaft der Anschauung, daß es 
sich dabei um eine explosionsartige Erscheinung, ein unvermitteltes Auftreten 
unerklärlicher Geisteseigenschaften bei einem Individuum handele. Jetzt ist man 
auf Grund einer genetischen Psychopathologie dem Problem des Genies näher 
gekommen. Zu seiner Lösung bedarf es genauerer Studien der Anlage, bedarf 
es der Familienforschung, auch die Methoden der Kriminalpsychologie können 
unter Umständen Anwendung finden. Bei der Familienforschung sind bisher die 
weiblichen Glieder oft zu wenig berücksichtigt worden. Als Beispiel wählt Vortr. 
die Genealogie Goethes. Äußerlich und psychisch ist Goethe Beiner Mutter im 
Grunde wenig ähnlich gewesen, dagegen fällt bei genauerem Zusehen eine große 
Ähnlichkeit mit seiner Großmutter Textor auf. Familienbilder zeigen dies be¬ 
züglich der Gesichtszüge deutlich, wahrscheinlich sind aber auch die spezifischen 
psychologischen Züge Goethes, speziell „der Hang zum Fabulieren“, von dieser 
Großmutter her bestimmt. Frau Textor war eine geborene Lindheimer, über die 
wir von Senckenberg eine, allerdings unzutreffende, d. h. zu ungünstig ausgefallene 
Schilderung besitzen. Gehen wir weiter zurück, bo sehen wir in dem Vater Lind¬ 
heimer allerhand Züge, die auf den Urenkel Hinweisen. Vortr. hat in den Wetz- 
larer Archiven u. a. eine von diesem Lindheimer verfaßte Schilderung der 
Belagerung WetzlarB durch die ReichBtruppen gefunden, die sich durch eine 
außerordentliche Deutlichkeit der optischen Vorstellungen, eine Neigung zur Kon¬ 
fabulation, eine ersichtliche Freude am Grotesken und Komischen, und nicht zu¬ 
letzt auch durch einen für jene Zeit sehr merkwürdigen Stil, der dem Goetheschen 
auffallend ähnlich ist, auszeichnet. Man erkennt also, daß Goethe durch Ver¬ 
mittlung der in diesen Zügen übersprungenen Mutter von der Familie Lindheimer 
aus Wetzlar allerhand Eigenschaften geerbt hat, die in der Linie seiner väter¬ 
lichen Vorfahren unauffindbar sind. Seine Eigenart wird erklärlich, wenn man 
sie nicht bloß von den seinen Namen tragenden Vorfahren herleitet, sondern ihn 
als ein Produkt der Synthese aus verschiedenen Familien erkennt. 


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14. Herr Döllken (Leipzig): Über Halluzinationen und Gedankenlaat- 
werden. Untersucht sind 11 Fälle einer Halluzinose, die nicht Geisteskrankheit 
ist. Die Halluzinationen wurden stets korrigiert. Es gibt keine einheitliche 
Formel für den Mechanismus der Halluzinationen. Fast immer ist der ganze 
sensible oder motorische Teil des Leitungsbogens beteiligt oder beide Teile gleich¬ 
zeitig. Ein assoziatives Übergreifen auf eine andere Sinnesleitung ist in dem 
einen Fall nur nach einer Richtung möglich, im andern herüber und hinüber, 
obwohl jedesmal beide Leitungen erkrankt sind. Die Aktivierung der Bahnen 
und Zentren erfolgt von irgend einer primärerkrankten Stelle der Bahn ans und 
kann peripher oder transkortikal gelegen sein. Durch länger dauernde elektrische 
Reize lädt sich experimentell unter Umständen ein geringerer oder größerer Teil 
des Leitungsbogens zur Beteiligung heranzieben. Lokalzeichen der Halluzinationen 
sind abhängig von der Ursprungsstelle und der Art der Aktivierung. Die wich¬ 
tigsten Elementargefühle bei Trugwahrnehmungen sind das Fremdgefühl und das 
Wirklichkeitsgefühl der einzelnen Wahrnehmung. Sie haben auf die Korrektur 
einen sehr geringen Einfluß. Die Halluzination kann auf zentrifugalen Wegen 
laufen, viel häufiger scheint sie eine retrograde Richtung zu nehmen. 


XXXVIII. Versammlung der südweetdentsohen Irrenärzte in Heidelberg 

am 2. und 3. November 1007. 

Referent: Hugo Levi (Stuttgart). 

Herr Nissl (Heidelberg) eröffnet als Geschäftsführer die Versammlung. Den 
Vorsitz übernimmt auf seinen Vorschlag in der ersten Sitzung Herr Hoc he (Frei¬ 
burg), in der zweiten Sitzung Herr KreuBer (Winnenthal). 

Zunächst erstattet Herr Wilmanns (Heidelberg) das Referat über Gefängnis- 
psychosen. Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung entwickelt Vortr. an 
der Hand des Materiales der Heidelberger Klinik seine Ansichten über die Frage, 
aus denen wir folgendes hervorheben: senile, paralytische und andere 
schwere organische Erkankungen sind im Gefängnisse selten und haben 
ebenso wie die Alkoholpsychosen nichts Spezifisches. Selten ist auch das 
manisch-depressive Irresein, wahrscheinlich deshalb, weil manisch-depressiv 
Veranlagte selten gewohnheitsmäßig kriminell werden. Die größte Zahl dar 
Kranken gehörte den juvenilen Verblödungsprozessen an. Vortr. teilt sie 
in drei Gruppen: die Landstreicher, die in den meisten Fällen erst infolge der 
Geistesstörung asozial geworden waren, die Gewohnheitsverbrecher, die fast 
ausschließlich in früher Jugend geschwächt und erst nach vielen Jahren in den 
Gefängnissen erkrankt waren, und endlich die Gelegenheitsverbrecher, die 
im Anschluß an die erste Straftat in der Untersuchungs- oder Strafhaft von 
Geisteskrankheit befallen wurden. Betrachtet man die Dementia praecox als eine 
Autointoxikationspsychose, so erscheint es möglich, daß die Stoffwechselstörungeo 
in der Strafhaft sie auszulösen vermögen. Die Äußerungen der Dementia praecox 
werden besonders während der Entwicklung der Erkrankung im hohen Maße von 
dem Milieu beeinflußt, und Bilder, die stark an den Querulantenwahnsinn er¬ 
innern, sind im Prodromalstadium der Krankheit nichts Seltenes. Den Begriff der 
Epilepsie sucht Vortr. enger zu fassen, als es bisher von der Heidelberger Schule 
geschah, und betont, daß die periodische endogene Verstimmung als pathognosti- 
sches Symptom für die Epilepsie zu hoch eingeschätzt worden sei. Die im Ge¬ 
fängnis ausbrechenden Psychosen der genuinen Epilepsie unterscheiden sich nicht 
wesentlich von denen der freilebenden Epileptiker, doch kommen gerade so wie 
hysterische Anfälle auch hysterische Haftpsychosen bei genuinen Epileptikern vor. 

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Diesen Psychosen stellt Vortr. die Psychosen auf dem Boden der Entartung 
gegenüber. Unter Entartung versteht er die Summe der minderwertigen 
Variationen des Menschen auf geistigem und körperlichem Gebiete, minder¬ 
wertig oft vom Standpunkte des Individuums selbst, dann im Hinblick auf 
seine Descendenz. An Variationen sind die Entartungszustände, die Imbezillität, 
die Hysterie, die Debilität usw. nioht scharf von der Norm, aber auch nicht 
unter sich abzugrenzen. Die Psychosen auf dem Boden der Entartung sind 
Reaktionen auf überstarke Reize oder Steigerungen der abnormen Veranlagung 
unter ungünstigen Einflüssen. Eigentliche Krankheitsbilder, wie z. B. die Para¬ 
lyse, das Delirium tremens welche sind, lassen sich daher nicht aufstellen, wohl 
aber charakteristische Krankheitstypen, die unter sich wieder durch zahlreiche 
Übergänge verbunden sind. Vortr. teilt diese degenerativen Psychosen in akute 
und chronische, erstere sind der Prototyp der Untersuchungshaft, letztere der der 
langen Strafhaft, erstere im allgemeinen Reaktionen, letztere Steigerungen der 
Entartung. Unter den akuten Haftpsychosen lassen sich verschiedene Typen 
wohl unterscheiden, Bilder wie sie Reich, Ganser, Räcke, Rudin geschildert 
haben und manche andere. Als Typen der chronischen Psychosen werden be¬ 
sonders paranoische Erkrankungen geschildert, die Vortr. aus der Wirkung des 
Strafvollzugs auf den minderwertigen Gewohnheitsverbrecher psychologisch zu er¬ 
klären versucht. Die charakteristische Erkrankung der langen Strafhaft ist die 
querulatorische Form. Vortr. bezeichnet diese Haftpsychosen als „langsam sich 
entwickelnde, dauernde, unerschütterliche Wahnsysteme bei vollkommener Erhaltung 
der Klarheit wie der Ordnung im Denken, Wollen und Handeln“ und stellt sie 
der Paranoia Friedmanns und dem Querulantenwahnsinn Kraepelins gleich. 
Nach Besprechung der Prognose und Differentialdiagnose der verschiedenen Psy¬ 
chosen vergleicht Vortr. die verschiedenen nach ihrer Herkunft geordneten Sträf¬ 
lingspsychosen unter sich und erläutert auf seine Weise das Verständnis für die 
widersprechenden klinischen Anschauungen früherer Forscher über die besprochene 
Frage. (Der Vortrag wird an anderer Stelle ausführlich veröffentlicht werden.) 

Herr Hellpach (Karlsruhe): Das Unbewußte. Das Unbewußte steht im 
Mittelpunkt der psychologischen Debatten; aber es wird meist in unklarer Be¬ 
deutung verwendet. Man kann heute acht Hauptbedeutungsgruppen unter¬ 
scheiden: 1. das Unerinnerte, 2. das Unbezweckte, 3. das Unbemerkte, 4. das 
Mechanisierte, 5. das Reproduzible, 6. das Produktive, 7. das psychisch Reale, 
8. das Absolute. Diese Bedeutungen, die kurz charakterisiert werden, umspannen 
zum Teil (1 bis 3) Tatbestände, zum Teil (6 bis 8) Deutungen, zum Teil (4 
und 5) Mischungen von beiden. Es wird vom Vortr. gefordert, das Wort „Un¬ 
bewußt“ nur als Deutungsbegriff zu gebrauchen; wer an kein Unbewußtes neben 
Bewußtem und Physischem glaubt, soll das Wort nicht benutzen. Beide Parteien 
sollen sich ferner besser als heute über die theoretischen Konsequenzen ihres 
Standpunktes klar werden. Wer ein Unbewußtes annimmt, muß wissen, daß es 
nie erforscht werden kann; er kann also entweder nur einen agnostischen 
Standpunkt wählen (daran glauben, ohne es irgendwie erkennen zu können), oder 
aber er muß es hypothetisch genauer ausarbeiten (analog z. B. der Äthertheorie 
in der Naturwissenschaft). Dazu gibt es zwei Wege, den analogistischen (der 
an Freuds Traumtheorie) und den metaphysischen (der an Hartmanns 
Philosophie erläutert wird). Der zweite kann wissenschaftlich mindestens so 
wertvoll sein wie der erste. Wer das Unbewußte ablehnt, kann sich auf die 
reine Empirie zurückziehen, die freilich meist auf dem Papier steht; meist wird 
doch „gedeutet“, und dann entweder nur aus dem Bewußten heraus (wobei 
prinzipielle Lücken bleiben, wenn auch gewiß vieles, was heute dem Unbewußten 
zugeschoben wird, innerhalb des Bewußten ergründet werden könnte), oder nur 
aus dem Physischen heraus, was in seinen Konsequenzen radikaler Materialismus 


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ist, oder meist aus Bewußtem plus Physischem. Dabei heißt es, zwischen 
Parallelismus und Wechselwirkung wählen. Der Parallelismus hat seine 
zeitlichen Verdienste gehabt, aber er ist eigentlich nur brauchbar, solange man 
nicht an ihn denkt. Praktisch verdient heute der Standpunkt der Wechselwirkung 
den Vorzug. Die Entscheidung, ob unbewußt oder nicht, will Vortr. gar nicht 
berühren, sie kann auch, wie alle theoretischen Entscheidungen, nie endgültig, 
immer nur zeitlich ausfallen: einer Zeit nützt eine Theorie heuristiech, der fol¬ 
genden schadet sie. Daß heute so viel über theoretische Probleme abgebandelt wird, 
liegt im Zuge der Zeit, gilt für fast alle Wissenschaften und ist eine Reaktion 
auf die bloße „Forschungsarbeit“, sowie eine Ergänzung zum praktischen Be¬ 
tätigungsdrange der Forschung. Eine empirisch-methodische Periode der Seelen- 
forschung liegt hinter, eine „philosophische“ und zugleich „technische“ vor uns. 
Das mag manchem nicht gefallen, aber es ist „pragmatisch“ unabwendbar. 

Autoreferat. 

Herr Bayerthal (Worms) demonstriert einen Fall von cerebraler Kinder¬ 
lähmung mit Pseudobulbärparalyse und doppelseitiger Ptosis. Das Leiden 
soll sich bei dem 9 1 /, Jahre alten Knaben im Anschluß an wiederholte Krampf¬ 
anfälle, die unter fieberhaften Erscheinungen in den ersten Lebensmonaten auf- 
traten, entwickelt haben. Das psychiatrische Interesse des Falles beruht auf 
einem Intelligenzdefekt, der für das Kind den Besuch der Hilfsschule erforderlich 
machte. Auffallend und, soweit Vortr. die Literatur zu übersehen vermag, noch 
nicht beschrieben ist die Kombination der pseudobulbären Form der infantilen 
Cerebrallähmung mit doppelseitiger Ptosis. Ob letztere ätiologisch und patho¬ 
logisch-anatomisch zum übrigen Krankheitsbilde gehört oder nur eine zufällige 
Komplikation (kongenitaler Natur) bildet, muß vorerst unentschieden bleiben. 

Autoreferat. 

(Schluß folgt) 

XVII. Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs 
und französisch sprechender Länder in Genf und Lausanne vom 

1. bis 6. August 1007. 

Referent: R. Hirschberg (Paris). 

(Fortsetzung.) 

Referat III. Ref.: Herr Henri Claude (Paris): Definition und Wesen 
der Hysterie. Eine wissenschaftliche Definition des Wesens der Hysterie kann 
heutzutage noch nicht gegeben werden, höchstens ist ein Versuch möglich, die 
wichtigsten Manifestationen so zu gruppieren, daß daraus eine Differenzierung 
von dem, was wir unter hysterisch verstehen, entsteht Wir besitzen kein 
Kriterium, welches mit Bestimmtheit erlaubt die Hysterie zu definieren. Vortr. 
bespricht die verschiedenen Definitionen der Hysterie von Charcot, Bern heim, 
Sollier, Babinski. Alle diese Definitionen haben den Nachteil engherzig zu 
sein und die hysterischen Erscheinungen, die in ihr System nicht hineinpassen, 
einfach beiseite zu lassen. Ehe man aber eine Definition der Hysterie gibt, ist 
es wichtig festzustellen, ob wir genügend klinische Merkmale besitzen über die 
Natur dieses Krankheitszustandes, um daraus ein charakteristisches Bild zu kon¬ 
struieren. Allerdings ist ohne Berücksichtigung der anatomischen und biochemischen 
Ergebnisse die Interpretation klinischer Tatsachen selbst mit Hilfe der Physiologie 
und Psychologie eine sehr schwierige. In dieser Beziehung wäre es ratsam, die ver¬ 
schiedenen im Verlaufe der Jahre sich angehäuft habenden Symptome der Hysterie 
einer strengen wissenschaftlichen Revision zu unterwerfen. Eine Anzahl der Sym¬ 
ptome wäre gewiß besser denen der Simulation zuzuzählen. Vortr. zitiert die 

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Definition der Hysterie nach Raymond. Derselbe äußert sich in seinen Vor* 
lesungen folgendermaßen: dem Hysterischen fehlt die eigene Kontrolle über den 
wirklichen Wert der Perzeptionen nnd der Konzeptionen. £s fehlen die Korrek* 
tionsempfindungeu psychischer, motorischer, taktiler, muskulärer, artikularer usw. 
Natur. Auf den Mechanismus dieser Perturbationen kommt es weniger an. Die 
Hauptsache ist, daß die zur Perzeption gelangten unkontrollierten Empfindungen 
ein so übertriebenes Relief annehmen, daß sie pathologisch werden. Raymond 
behauptet, daß diese Theorie alle Symptome der Hysterie erklärt und definiert 
die Hysterie als „eine Psychoneurose, die durch eine eigentümliche Art der Patienten 
zu fühlen und zu reagieren sich auszeichnet und in einer besonderen Modi* 
fikation des nervösen Dynamismus besteht. Diese Modifikation dee Dynamismus 
zeichnet sich auB durch eigentümliche Störungen der kortikalen und subkortikalen 
Reflexe. Die Inhibition oder Exzitation dieser Reflexe hat eine Störung der 
„phyeiopsychologischen Funktionen“ zur Folge. Vortr. schließt sich dieser Definition 
an, nur findet er, daß dieselbe dem Terrain, auf welchem die Hysterie sich ent* 
wickelt, keine Rechnung trägt, und daß man diesen Faktor bei der Genesis der 
Hysterie in Betracht ziehen muß. In der Tat zeigt unB die klinische Beobachtung, 
daß es eine Kategorie von Individuen gibt, die von der frühesten Kindheit her 
ein labiles Nervensystem besitzen, sei es hereditär, sei es akquiriert durch schlechte 
Hygiene, Krankheiten, Traumen usw. Diese Vulnerabilität des Nervensystems 
bezeichnet Vortr. als Nervosismus. Auf diesem Terrain entwickelt sich dann 
mit Vorliebe die Hysterie. Vortr. kommt somit zum Schluß: Die Hysterie kann 
als eine Diathese angesehen werden, die ihren Ursprung in der Konstitution des 
Nervensystems selbst hat, in dem Nervosismus, der in einer mangelhaften Regulation 
der psychischen, organischen und reflehtiven Funktionen besteht. Die Eigen¬ 
tümlichkeit der Hysterie besteht darin, daß der Kranke die Gabe besitzt, bestimmte 
Perzeptionen und Aperzeptionen bewußt oder unbewußt zu isolieren und denselben 
während einer bestimmten Zeit eine solche Bedeutung beizumessen, daß verschiedene 
Funktionen denselben vollständig unterliegen. Diese Definition erklärt auch, wie 
man bei Hysterischen mit Hilfe von Suggestion und Überzeugung eine Störung 
zum Verschwinden bringen und eine Funktion wiederherstellen kann. In der Tat 
kann die Überzeugung das Gleichgewicht der gestörten psychischen Tätigkeit 
wiederherstellen. Besteht aber die Störung in einer permanenten organischen 
Läsion, so bleibt auch die Psychotherapie nutzlos. 

Ref.: Herr L. Schnyder (Bern): Die Hysterie ist hauptsächlich eine 
psychopathologische Äußerung des menschlichen Geistes. Sie ist auch die primi¬ 
tivste und gewöhnlichste Äußerung der Schwächen der Seele. Es existiert mehr 
nnd mehr die Ansicht, die Hysterie nicht mehr als eine selbständige Krankheit 
zu betrachten (Babinski, Crocq, Dubois). Der hysterische Geisteszustand be¬ 
steht in einer Übertreibung und Perversion der normalen psychischen und psycho¬ 
physischen Reaktionen. Der Geisteszustand des Kindes erinnert an den des Hyste¬ 
rischen, und man kann sagen, daß das Kind einen physiologischen hysterischen 
Zustand bietet. Beim Erwachsenen knüpft sich die Hysterie an einen regressiven 
Geisteszustand von kindlichem Typus, der besonders charakterisiert ist durch das 
Fehlen von logischen Urteilen. Vortr. betrachtet die Hysterie als eine Evolutions¬ 
krankheit des menschlichen Geistes, als Krankheit der primitiven Menschheit. 
Man begegnet selten der Hysterie beim Greis, dessen Geist seine Evolution beendet 
hat, dagegen begleitete die Hysterie die evolutiven Epochen der Menschheit. In 
den großen moralischen, sozialen und politischen Revolutionen begegnet man als 
Vorläufer Massenhysterie. So war es besonders im Mittelalter. Vortr. glaubt nicht, 
daß man die Hysterie betrachten kann als Attribut von Völkern, die eine zu 
raffinierte Zivilisation besitzen. Sie gehört ebensowenig in die Periode der Dekadenz 
eines Volkes, wie in die Dekadenz des Individuums (Greisenalter). Neben der 


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sozusagen evolutiven Hysterie unterscheidet Vortr. noch eine degenerative 
Hysterie, die sich auf neuropathischem hereditärem Boden entwickelt. Die Ent¬ 
artung hat eine Abschwächung der Psyche zur Folge und führt den Kranken auf 
den geistigen Zustand des Kindes zurück. Diese Form der Hysterie findet man 
eher in den höheren Schichten der Gesellschaft. Sie trägt auch nicht mehr den 
Charakter der puren massiven Hysterie, sondern ist kombiniert mit anderen 
Symptomen, die Jan et unter dem Namen von Psychasthenie beschrieben hat. 
Mit der Entwicklung der Zivilisation n imm t die Hysterie an Frequenz ab. Man 
kennt heutzutage nicht mehr die Massenepidemien von Hysterie des Mittelalters. 
Die Hysterie bleibt immer das Los der primitiven einfachen Leute, wie des Kindes. 
Auch die Frau infolge ihrer sozialen Stellung wird noch lange das Opfer der 
Hysterie bleiben. Mit den Fortschritten des Feminismus nimmt auch bei Frauen 
die Hysterie ab und an die Stelle derselben tritt immer mehr und mehr die Neur¬ 
asthenie. Vortr. schließt, indem er erklärt, daß er die Hysterie von der mora¬ 
lischen Seite auffaßt, da bei dieser Krankheit es sich um pathologische Mani¬ 
festationen des Geistes handelt, und zwar solcher, die im intimsten Zusammenhang 
stehen mit der moralischen Persönlichkeit des Menschen. 

Diskussion. Den zwei Referaten folgte eine sehr lebhafte und interessante 
Diskussion, bei der sieb die hervorragendsten französischen Kliniker beteiligten. 
Leider war aber die Zeit zu beschränkt (ein einziger Vormittag von 10 bis 12 Uhr!), 
um diese wichtige Frage in erschöpfender Weise zu erledigen. Nicht einmal alle, 
die sich bei der Debatte beteiligen wollten, konnten das Wort ergreifen. So 
z. B. mußte leider Pitres (Bordeaux) auf das Wort verzichten. Als erster ergriff 
das Wort Raymond (Paris), der in lichtvoller und klarer Weise den heutigen 
Stand der Frage über Natur und Definition der Hysterie klarzulegen suchte. Er 
resümierte zunächst die zwei eben vorgetragenen Referate. R. stimmt nicht mit 
Herrn Claude darin überein, daß die Hysterie eine konstitutionelle Krankheit, eine 
Diathese ist. Er hat viele Fälle von vollständiger Heilung von Hysterie beob¬ 
achtet, Heilung, die seit 10, 15, 20 und 30 Jahren besteht, die man also als 
definitiv betrachten kann. Weiter erhebt sich R. gegen Babinskis Auffassung 
der Hysterie. Er zitiert Fälle von unzweifelhaften hysterischen trophischen 
Störungen der Haut, namentlich von Pemphigus, Ecchymosen und Ödemen. Be¬ 
kanntlich bestreitet Babinski die hysterische Natur solcher Störungen, da sie 
durch Suggestion nicht hervorgerufen und nicht zum Verschwinden gebracht 
werden können. 

Herr Bernheim (Nancy) formuliert folgendermaßen seine Ansicht über die 
Hysterie: Was unter dem Namen von Hysterie beschrieben wird, existiert nicht 
als selbständige Krankheit. Am besten wäre das Wort Hysterie ganz zu streichen 
oder nur in bezug auf den Nervenanfall zu reservieren. Die Nervenkrise ist 
einfach eine emotive psychodynamische Reaktion, die sich bei bestimmten Indi¬ 
viduen entwickelt infolge von Aufregungen bei gleichzeitig bestehenden psychischen 
Krankheiten, Intoxikationen usw. Eb entsteht einigermaßen ein Zustand von Angst, 
der bei manchen hysterogen wird. Die psyohischen Symptome, die geistige 
Desagregation, die Abulie, die Einschränkung des Bewußtseinkreises, wenn vor¬ 
handen, hängen von psychischen Krankheiten ab, zu denen die Nervenkrise hinzu¬ 
tritt uls Epiphänomen. Dieses Epiphänomen kann durch Erziehung zum Ver¬ 
schwinden gebracht werden. 

Herr Terrien (Nantes) erklärt zunächst, daß er aus beiden Referaten nichts 
verstanden hat. Er findet die Referate nicht klar, und daß sie die Definition der 
Hysterie noch mehr verwickelt haben, als sie bis jetzt war. Er erhebt sich gegen 
die Behauptung von Schnyder, daß Neurasthenische leichter suggerierbar sind 
als Hysterische. Seine Erfahrungen lauten ganz anders. Die Suggestion wirkt 
kaum bei Neurasthenischen und fast immer bei Hysterischen. Er bekämpft eben- 


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falls die Ansicht von Babinski, daß nur solche Symptome als hysterische zu 
betrachten sind, die durch Suggestion hervorgebracht und durch Suggestion unter¬ 
drückt werden können. Babinski bestreitet die Realität von hysterischem Fieber 
und vasomotorischen und trophischeu Störungen, weil er bis jetzt keine Gelegen¬ 
heit gehabt hat dieselben zu beobachten. Diese Gelegenheit kaun sich aber leicht 
bieten. Er zitiert einen Fall von unzweifelhaftem hysterischem Fieber bei einer 
Bäuerin. Dieser Fall schien aber Babinski nicht als überzeugend, trotzdem T. 
durch einfache Suggestion den Fieberanfall zum Verschwinden brachte. Er hat 
aber leider unterlassen, ebenfalls durch Suggestion das Fieber wieder wachzurufen. 
Weiter zitiert er einen Fall von „Leichenhand“ bei einem jungen Manne, bei 
welchem er nach Belieben die vasomotorische Störung hervorbringen und unter¬ 
drücken konnte. Dieser Fall, der in der Nanter medizinischen Gesellschaft vor¬ 
gestellt wurde, entspricht somit allen Anforderungen, die Babinski an die Hysterie 
stellt. Er zitiert endlich einen prägnanten Fall von hysterischer Hauteruption 
in Form von Phlyktänen. 

Herr Sollier (Paris) findet, daß die Einführung von philosophischen, mora¬ 
lischen und metaphysischen Begriffen in das Studium der Hysterie die Frage verwirrt 
und kompliziert. Er möchte, daß man auf den anatomischen und physiologischen 
Boden zurückkehre. Alle sind darüber einig, daß zur Hysterie ein spezielles 
Terrain notwendig ist. Dieses Terrain kann hereditär oder akquiriert sein. 
Die Hysterie ist keine selbständige Krankheit, das hat S. schon im Jahre 189.') 
proklamiert. Es ist nur eine eigentümliche Reaktion des Nervensystems bzw. der 
Großhirnrinde. 

Herr Claparöde (Genf) schlägt eine neue Hypothese zur Definition der 
Hysterie vor. Er betrachtet dieselbe als eine Anomalie des Nervensystems charak¬ 
terisiert durch eine Übertreibung der jedem lebenden Wesen innewohnenden Ver¬ 
teidigungsreaktion (Röaction de Döfense). 

Herr Mendicini Bono (Rom) hat während 7 Monaten in den meisten Pariser 
Hospitälern eine Enquete gemacht und an die Arzte die Frage gerichtet, ob sie 
in ihrer Praxis Fälle von hysterischen Ödemen, Phlyktänen, Pemphigus, Hämor- 
rhagien, Fieber u. dgl. beobachtet haben. Fast alle haben kategorisch erklärt, 
nie diese Symptome als echte hysterische beobachtet zu haben. Fast in allen 
beschriebenen und bekannten Fällen handelt es sich um vulgäre Simulanten, 
die sich selbst beschädigten, um Mythomane, dem trefflichen Ausdruck Dupres 
zufolge. 

Herr Babinski (Paris): Die Referenten scheinen zu glauben, daß es un¬ 
umgänglich ist, den Mechanismus der Hysterie zu bestimmen, ehe man diese Krank¬ 
heit definiert. B. ist anderer Meinung. Definieren denn die Physiker die Elek¬ 
trizität nicht, trotzdem die Natur derselben noch immer eine hypothetische ist? 
Wichtig ist zunächst, den Gegenstand zu begrenzen, sonst gibt es nur Konfusion. 
Die Definition der Hysterie soll somit nur auf klinische Merkmale gerichtet sein, 
die man auch verifizieren kann. Hypothesen sollen am besten bei Seite gelassen 
werden. B. etabliert zunächst eine bestimmte Kategorie von Symptomen, die 
dadurch charakteristisch sind, daß man sie durch Suggestion reproduzieren und 
ausschließlich durch Suggestion zum Verschwinden bringen kann. Er behauptet 
absolut nicht, daß diese Symptome immer ein Produkt der Suggestion sind, 
sondern will nur sagen, daß dieselben durch Suggestion reproduziert werden 
können. Nicht jede Störung, die infolge einer Gemütsbewegung oder geistigen 
Aufregung auftritt, ist einer Suggestion zuzuschreiben. Dazu ist es notwendig, 
daß der Wille in Wirklichkeit Herr des gegebenen Phänomens bleibt, d. h. 
daß der Wille nach Belieben die Form, den Sitz, die Intensität und die 
Dauer desselben bestimmt; dieses ist z. B. bei Lähmungen, Kontrakturen, An¬ 
ästhesien und hysterischen Krisen der Fall. Es genügt auch nicht, daß ein Sym- 


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ptom durch die Anwendung von Psychotherapie verschwindet, um zu behaupten, 
daß das die Suggestion war, die das Symptom zum Verschwinden gebracht hat 
Die Intervention jedes anderen therapeutischen Mittels muß dabei mit Sicherheit aus¬ 
geschlossen werden können, es muß ferner die Heilung unmittelbar der Anwendung 
der Suggestion folgen, damit der Einfluß der Zeit und der Ruhe nicht in Betracht 
gezogen werden kann. Man muß endlich an den Zufall denken. Aus diesen ver¬ 
schiedenen Gründen könnten in diese Gruppe nur solche Symptome aufgenommen 
werden, die man imstande ist nach Belieben zu reproduzieren und zu unterdrücken. 
Für diese Gruppe von Symptomen hat B. den Namen Pithiatiques (heilbar 
durch Überzeugung) vorgeschlagen und rangiert dieselben in die Hysterie. Er 
bekämpft die Ansicht von Bernheim, der nur in der Nervenkrise die ganze 
Hysterie sehen will, auch mißt er der Gemütsbewegung bei der Entstehung des 
Nervenanfalles eine zu große Bedeutung bei. Nach B. spielt in den Krankensälen 
die Imitation und die Ansteckung eine viel größere Rolle als die Gemütsbewegung. 
Alle Symptome, die nicht pithiatischer Natur sind, schließt B. aus der Hysterie 
aus. Da man die Haut-, Sehnen- und Pupillarreflexe durch Suggestion nicht 
modifizieren kann, so können dieselben auch keine hysterischen Symptome abgeben. 
Es gibt keinen hysterisch gesteigerten Patellarreflex und keinen echten hysterischen 
Fußklonus, wie das auch Claude und Rose nacbgewiesen haben. B. gibt zu, 
daß Gemütsbewegungen cirkulatorische und vasomotorische Störungen hervorbringen 
können, Gemütsbewegung und Suggestion sind aber zwei verschiedene Dinge. Man 
hat von verschiedener Seite behauptet, daß eine Gemütsbewegung Ödeme und 
Phlyktäne erzeugen kann, die auch infolge einer Gemütsbewegung verschwinden 
können, aber die Realität dieser Erscheinungen selbst angenommen, so fehlt doch 
denselben jeder Charakter pithiatischer Phänomene; dieselben dürfen also dem¬ 
nach in die Hysterie nicht aufgenommen werden. Dasselbe gilt auch von ver¬ 
schiedenen Hämorrhagien, Hämoptysis, Hämathemesis, Hämaturie, Metrorrhagie, 
Purpura, Anurie, Albuminurie, Fieber. Diese Gruppe von Symptomen muß von 
den pithiatisohen streng gesondert gehalten werden. B. wirft die Frage auf^ 
ob diese zwei Gruppen von Symptomen in irgend einem Zusammenhang stehen. 
Die Hypothese von Raymond und Claude befriedigt ihn nicht. Wenn bewiesen 
wäre, daß die Symptome beider Gruppen immer Hand in Hand gehen, bo wäre 
die Unität dieser zwei Gruppen auch bewiesen. Das ist aber durchaus nicht der 
Fall. So sind z. B. die Sehnen- und vasomotorischen Reflexe bei Hysterischen gar 
nicht immer gesteigert und unterliegen denselben Variationen bei gesunden Leuten, 
wie bei Leuten, die pitbiatische Erscheinungen darbieten. Dasselbe gilt auch von 
der trophischen Störung, und wie die Enquete von Mendicini Bono gezeigt hat, 
stehen alle Pariser Dermatologen, mit Ausnahme eines einzigen, auf B.’s Stand¬ 
punkt. Die Fälle, die Raymond ihm entgegenbringt, sind nicht beweisend, da 
R. sie nicht persönlich kontrolliert hat. Es ist doch eigentümlich, daß man trotz 
so häufiger Mahnung bis jetzt noch keinen einzigen Fall der Pariser neurologi¬ 
schen Gesellschaft hat vorführen können. B. resümiert seine Ansicht dahin, daß 
die Störungen der ersten — pithiatischen — Gruppe sich scharf von den 
Störungen der zweiten Gruppe unterscheiden, und daß keine einzige klinische 
Tatsache diese zwei Gruppen verbindet. Wenn man schon das Wort Hysterie 
beibehalten will, trotzdem es jeden ethymologischen Sinn verloren hat, so soll 
man es nur auf die Fälle der ersten Gruppe anwenden. B. unterwirft ebenfalls 
die verschiedenen Äußerungen über die Natur der Hysterie einer scharfen Kritik. 
Für Janet besteht die Hysterie in einer Abschwächung der psychologischen 
Synthese, in Willensschwäche, in einer Verengerung des ßewußtseinsfeldes; für 
Schnyder in einer Urteilslosigkeit, im Fehlen von vernünftiger Kritik. Diese 
Eigentümlichkeiten finden wir aber, und sogar mehr ausgesprochen, bei anderen 
psychischen Krankheiten, wie z. B. bei der Dementia praecox. Von jeher mißt 

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man der Gemütsbewegung eine Hauptbedeutung bei der Genesis der Hysterie bei. 
Dies ist entschieden übertrieben. Han ist im Gegenteil oft frappiert von ihrer 
Gemütsruhe und Gleichgültigkeit ihrer Krankheit gegenüber und eher geneigt, 
wie dies Dupr6 mit Recht hervorhebt, zu glauben, daß ihre Emotiritat eher ge¬ 
schwächt als gesteigert ist. B. ist der Meinung, daß die Suggestion, die Auto¬ 
suggestion, die unwillkürliche und unbewußte Simulation am besten die Erschei¬ 
nungen der Hysterie erklären. Die Nachahmung, die als eine Form der Suggestion 
angesehen werden kann, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Hysterie. 
B. gibt gern zu, daß eine Interpretation streitbar ist, da es zuweilen unmöglich 
ist, die Suggestion oder unbewußte Simulation im Ursprünge hysterischer Störungen 
nachzuweisen. 

Herr Sicard und Herr Bauer (Paris): Die Wirkungen der X-Strahlen 
auf das Büokenmark und Oehim dea Hundes nach Laminektomie und 
Oraniektomie. Die Vortr. legten das Gehirn auf einer Strecke von 2 qcm 
oder das Rückenmark auf eine Länge von 2 cm bloß, nähten dann die Muskeln 
und die Haut zu und ließen auf diese Stellen Röntgenstrahlen in mehreren und 
langen Sitzungen einwirken. Mit Hilfe eines Bleiplättchens wurde das Versuchstier 
▼or den totalen Ausstrahlungen geschützt. Die Vortr. haben keine direkten Wir¬ 
kungen der X-Strahlen auf das centrale Nervensystem konstatieren können. Der 
Tod des Tieres wurde manchmal durch Hautnekrose, Radiodermatitis und konse¬ 
kutive Infektion verursacht. Die Vortr. glauben deswegen, daß man berechtigt 
ist, cerebrale und medulläre bösartige Geschwülste bei Rezidiven nach operativem 
Eingriff durch Röntgenstrahlen zu behandeln. Nur muß man acbtgeben, keine 
trophischen Störungen zu veranlassen. Die Gehirn- und Rückenmarksubstanz 
scheint den Röntgenstrahlen besser zu widerstehen als die Haut. 

Herr Mabaim (C6ry): Über Aphasie. Pierre Marie zufolge soll die 
Insel mit den darunter liegenden Teilen das motorische Centrum der arti¬ 
kulierten Sprache enthalten. Die Zerstörung dieses Centrums soll eine Anarthrie 
im Sinne Pierre Maries zur Folge haben, was man früher eine motorische 
Aphasie nannte. Die motorische Aphasie soll die Aphasie von Wernicke und 
Anarthrie im obigen Sinne einschließen. Vortr. macht Marie den Vorwurf, 
seine Präparate nicht in Serienschnitten studiert zu haben. Er bekämpft die 
M ariescbe Theorie auf Grund folgender Beobachtungen: Fall von sensorieller 
Aphasie. Schwatzhafter Patient. Paraplegie. Jargonaphasie. Der Kranke 
spricht Tag und Nacht. Die mikroskopische Untersuchung ergibt: bitemporale 
Laesion. Links zerstört: Insula, Claustrum, äußere Kapsel und die hinteren 4 / 6 
der äußeren Schichte des Putamen. Dabei keine Spur von Anarthrie im Sinne 
von Pierre Marie. Zweiter Fall: Keine Spur von motorischer Aphasie, trotz 
Zerstörung der Insula. Die vordere erste Windung, Claustrum und die äußere 
Kapsel sind intakt. Dritter Fall: Totale Aphasie. Scheinbare Intaktheit der 
dritten frontalen Windung. Auf Serienschnitten findet man im Centrum ovale alle 
frontalen ProjektionBfasern vollständig unterbrochen. Es besteht keine Verbindung 
mehr zwischen der dritten frontalen und der Schläfenwindung. Dieser Fall 
beweist, daß bei Aphasie mit scheinbarer Integrität der F 8 die Untersuchung 
mit Hilfe mikroskopischer Schnitte notwendig ist. Vortr. demonstriert seine 
mikroskopischen Serien auf Projektionsbildern. 

Diskussion. Herr Dejerine (Paris) bemerkt, daß diese Mitteilung nur 
bestätigt, wie nötig es ist, Gehirnläsionen an Serienschnitten zu studieren. 

Herr Angl ade (Bordeaux) sagt, daß die Beobachtungen des Herrn Mahaim, 
obwohl sehr interessant, doch nicht absolut beweisend sind. Die Bedenken, die 
Herr Pierre Marie gegen die jetzige Theorie der Aphasie erhoben hat, werden 
durch dieselben nicht beseitigt. Er glaubt sogar, daß Bie eher Pierre Maries 
Ansicht unterstützen. 


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Herr Mahaim ist der Meinung, daß seine Serienschnitte absolut beweisen, 
daß die Insel keine Bolle bei der artikulierten Sprache spiele. Ebenso hat 
der Linsenkörper nichts mit der Funktion der artikulierten Sprache zu tun. 

Herr Thomas (Paris) zitiert einen Fall von Brocascher Aphasie mit leichten 
Störungen der inneren Sprache. Im Verlaufe von 12 bis 15 Monaten lernte der 
Kranke wieder das Sprechen, trotzdem bei der Autopsie eine vollständige Zer¬ 
störung des LinsenkörperB konstatiert wurde. 

Herr Italo Rossi (Mailand) und Herr Gustav Boussy (Paris): Patho¬ 
logisch-anatomische Beiträge zur Lokalisation der kortikalen motorischen 
Contra. 3 Fälle von amyotrophisoher Lateralsklerose mit Degeneration 
der Pyramidenbahnen verfolgt duroh Marc hi im Rückenmark und 
im Cortex oerebri (vgl. d. Oentr. 1906 S. 914). Bis jetzt wurde als be¬ 
wiesen betrachtet, daß die motorische Zone beim Affen und beim Menschen 
sich in den Central Windungen, im Lobulus paracentralis und vielleicht auch im 
Fuße der drei Frontalwindungen befindet. Grünbaum und Sherrington haben 
durch unipolare Faradisation gezeigt, daß die reizbare motorische Zone beim 
anthropoiden Affen auf die zweite (hintere) Centralwindung sich nicht erstreckt. 
Diese Ergebnisse wurden bestätigt beim Affen von Vogt, Brodmann und beim 
Mensohen von Krause, Mills, Frazier, Cushing, Lloyd. Außerdem haben 
die histologischen Untersuchungen von Kolmer, Brodmann, Campbell dar¬ 
getan, daß der Zellenbau beider Centralwindungen ein verschiedener ist. Diese 
Ergebnisse sprechen dafür, daß die Funktion beider Centralwindungen eine ver¬ 
schiedene sein muß. Daraus entstand die neue Theorie, der zufolge die hintere 
Centralwindung keine motorische Funktionen besitzt. Das Studium der kortikalen 
Veränderungen bei amyotrophisoher Lateralsklerose bestätigt diese Theorie. Vortr. 
hat 3 Fälle dieser systematisierten Erkrankung des motorischen Neurons nach 
Marchi und Weigert untersucht, die degenerierte Pyramidenbahn vom untersten 
Teil des Kückenmarks bis zur Großhirnrinde hinauf verfolgt. Die topographische 
Verteilung der Läsionen in der Binde, ebenso der Fasern wie der Zellen zeigt, 
daß ein großer Kontrast besteht zwischen den Störungen beider Centralwin düngen. 
In der vorderen Centralwindung: Degeneration der radiären Fasern sehr aus¬ 
gesprochen mit Marchi, weniger, aber doch deutlich noch mit Pal; Störungen der 
großen Pyramidenzellen und der ßetzschen Biesenzellen. In der hinteren Central- 
windung:normales Aussehen der Fasern mit Pal, die Zellen intakt. Mit Marchi 
sind nur einige degenerierte radiäre Fasern zu konstatieren. Diese Kesultate 
bestätigen diejenigen von Probst und Campbell und sprechen für die neue 
Auffassung der Topographie der motorischen Bindenzone. Vortr. schließt, daß 
seine persönlichen Untersuchungen ihn in der Idee bestätigen, daß beim Menschen 
der Ursprung der Pyramidenbahn sich fast ausschließlich in der vorderen 
Centralwindung befindet. Nur ein ganz minimaler Teil von Pyramidenfasern 
scheint aus der hinteren Centralwindung zu entspringen. 

Herr Long und Herr Wiki: Ein Fall von cerebraler Agenesie daroh 
cystische Transformation des Gehirns während des intrauterinen Lebens. 
Zur Zeit geborenes Kind; starb im Alter von 2 1 / 2 Jahren. Kontrakturen der Glied¬ 
maßen und des Rumpfes. Patellarreflexe gesteigert und Fußklonus. Träge 
Pupillenreaktion. Schwache Phonation. Wiederholte tonische Krämpfe. Bei der 
Autopsie fand man normale Form des Gehirns, dagegen waren die Windungen 
wenig ausgesprochen, die Furchen inkoraplet und nicht tief. Die Gehirnrinde 
bildet eine dünne Membran. Darunter multiple Cysten, die miteinander kom¬ 
munizieren. Die Gehirnventrikel sind jedoch unabhängig von diesen Cysten, 
welche wahrscheinlich die Folge eines intrauterinen entzündlichen Prozesses dar¬ 
stellen mit nachfolgender Resorption der Gehirnsubstanz. Es werden Projektions- 
bildcr von Serienschnitten dieses Gehirns demonstriert. Die Kerne der Basis, der 


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Isthmus, das verlängerte Mark, das Rückenmark und alle Fasersysteme sind normal. 
Dagegen fehlen alle Projektionsfasern, ebenso die absteigenden Fasern der inneren 
Kapsel und die Pyramidenbahn. In der mittleren und oberen Thalamusregion 
sind die thalamokortikalen Fasern, wie sie Herr und FrauDejerine beschrieben 
haben, vorhanden. 

Herr Ch. Ladame (St. Pirminsberg): Über diffuse Gehirnsyphilis. Die 
diffuse Gehirnsyphilis gehört zur Gruppe der vasculären Form von Lues cerebralis. 
Die Läsionen sind diffus und von verschiedener Intensität. Es sind hauptsächlich 
die feineren Gefäße und die Kapillaren der Rinde, die in Mitleidenschaft gezogen 
werden. Manche klinische Symptome und anatomische Daten lassen diese Form 
von der progressiven Paralyse, mit der sie verwechselt werden kann, unterscheiden. 
Die klinischen Symptome der diffusen Gehirnsyphilis sind: Pupillenstarre, unregel¬ 
mäßige Konturen derselben, Anisocorie, paradoxe Reaktion, gesteigerte Muskel- 
und Sehnenreflexe, Anästhesien, Hyperästhesien, Paresen und Lähmungen, Agraphie, 
Aphasie usw. Verlauf langsamer, schubweise. Psychisch mehr oder weniger aus¬ 
gesprochene geistige Schwäche, die stationär bleibt. Die Ort- und Zeitorientierung 
bleibt eine gute. Der Kranke ist nicht imstande, neue Kenntnisse zu erwerben, 
behält aber die, die er schon erworben hat. Die höheren intellektuellen Funktionen 
sind reduziert. Die anatomischen Veränderungen sind: makroskopisch chronische 
Leptomeningitis, Gehirnatrophie, besonders ausgesprochen manchmal an bestimmten 
Windungen, keine Herdläsionen, mikroskopisch obliterierende Arteriitis und Phlebitis, 
Obliteration durch hyalinen Thrombus der feinen Gefäße und Kapillaren, hyaline 
Degeneration der Wandungen feiner Gefäße, kapilläre Blutungen, Infiltration durch 
Lymphocyten und Plasmazellen der lymphatischen Scheiden der feinen Rinden- 
gefäße, Durchtränkung der grauen und weißen Gehirnsubstanz durch obengenannte 
Zellen sowie durch stäbchenförmige Zellen, disseminierte Hyperplasie der Neuroglia, 
Atrophie der Nervenfibrillen, Degeneration, Neuronophagie und Zerstörung der 
Ganglienzellen. Die diffuse cerebrale Syphilis unterscheidet sich von der pro¬ 
gressiven Paralyse durch folgende Merkmale: 1. apoplektische Anfälle, die dauernde 
Störungen hinterlassen; 2. Herdsymptome von verschiedener Lokalisation; 3. schub¬ 
weiser Verlauf und stationärer Zustand; 4t. alleinige Verminderung und kein totaler 
Untergang der geistigen Fähigkeiten; 5. obliterierende Entzündung der feinsten 
Arterien und Venen der Gehirnrinde; 6. ausgesprochene Infiltration der grauen 
und weißen Substanz: 7. Erfolg der spezifischen Behandlung. 

Herr Sicard und Herr Descomps (Paris): Zur Diagnose und Prognose 
der Meningitis cerebro-spinalis auf Grund der Untersuchung der oerebro¬ 
spinalen Flüssigkeit. Bei milchiger Beschaffenheit des Liquor cerebro-spinalis 
kann man mit Sicherheit tuberkulöse Meningitis ausschließen. Dagegen ist solche 
Beschaffenheit des Liquor sehr häufig bei cerebro-spinaler Meningitis. Die milch¬ 
artige Opalescenz rührt von den suspendierten weißen Blutkörperchen her, und 
durch Centrifugation kann man die Flüssigkeit vollkommen klar machen. Pro¬ 
gnostisch ist wichtig festzustellen, ob bei wiederholten Punktionen normale poly¬ 
nukleäre Zellen an Stelle von erkrankten auftreten, ob mittlere und feine Endothel- 
und mononukleäre Zellen gefunden werden, ob der Eiweißgehalt abnimmt und der 
Zuckergehalt zunimmt. Sind alle diese Zeichen vorhanden, so geht man einer 
sicheren Genesung entgegen. 

Herr Bernheim (Nancy): Theorie der Tabes. Alle Symptome der Tabes 
lassen sich nicht einzig und allein durch die Erkrankung der Hinterstränge 
oder der peripheren Nerven erklären. Die Tabes ist eine allgemeine toxi- 
infektiöse Krankheit. Die Arthropathien, die trophischen Störungen der Haut, die 
Magenkrisen usw. sind der Ausdruck einer direkten toxischen Infektion. Es muß 
neben der Syphilis noch ein anderes unbekanntes Virus im Spiele sein, welches 
beim Ausbruch derjTabes eine Rolle spielt. 

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Diskussion: Herr Leopold-Levi (Paris) teilt nach seinen klinischen Er¬ 
fahrungen ganz und gar die Ansicht des Vortr. 

Herr Thomas (Paris) ist auch der Meinung, daß die pathologische Anatomie 
allein nicht imstande ist, die so mannigfachen Symptome der Tahes zu erklären. 
Man muß auch das irritative Stadium der Wurzeln, welches dem degenerativen 
folgt, in Betraoht ziehen. Man muß auch an die Möglichkeit einer Regeneration 
der Nervenfasern denken. Obwohl er die Möglichkeit einer Toxiinfektion bei der 
Tahes nicht von der Hand weist, so glaubt er doch, daß die bald irritativen, 
bald destruktiven Erscheinungen am Rückenmark, an den Meningen, an den 
Wurzeln, an den peripheren Nerven, am Sympathikus in ausreichender Weise 
alle Symptome der Tabes erklären. 

Herr Charpentier (Paris) hebt die Frage hervor über die Nützlichkeit der 
Quecksilberbehandlung der Tabes. Er glaubt, daß, wenn solche Behandlung früh 
genug angefangen und lange genug fortgesetzt wird, sie von entschiedenem 
Nutzen ist. 

Diese Meinung wird von den Herren Crooq, Dejerine, Anglade, Duprö, 
Sicard, Minor bekämpft. Die antisyphilitische Behandlung soll nicht nur nutzlos, 
sondern manchmal sogar direkt schädlich sein. 

Herr Marinesco und Herr Minea (Bukarest): Neue Untersuchungen 
über die feinere Histologie der Ganglien und der hinteren Wurzeln bei 
Tabes. Die Vortr. haben neue 6 Fälle von reiner Tahes und von Tabes mit 
progressiver Paralyse untersucht. In den SakralgaDglien, wo der tabische Prozeß 
älteren Datums ist, sind die stärkeren Fasern zum größten Teil geschwunden, und 
an ihre Stelle ist eine große Zahl von feinen Fasern getreten, die in Bündeln 
verteilt sind, zwischen welchen apotrophische Zellen sich befinden. Diese Fasern 
enden in Klumpen bald im Inneren des Ganglions, bald im radikulären Nerven, 
und nur ausnahmsweise in den hinteren Wurzeln. Ehe sie zu Nervenbündeln 
werden, bieten sie die verschiedensten Formen: Netze, Knäule, Verzweigungen in 
Form von Y. Die degenerativen Erscheinungen geben sich kund durch monili- 
forme Anschwellungen an centralen Fasern im Innern des Ganglion. Der tabische 
Prozeß kann nioht mit dem verglichen werden, was man bei durchschnittenen 
oder komprimierten Nerven beobachtet. Erstens findet man im Innern des 
Ganglions in Degeneration begriffene und später regenerierte Fasern, wie man es 
am centralen Ende eines sektionierten Nerven nie beobachtet; zweitens erreichen 
die neugebildeten Fasern der hinteren Wurzeln bei der Tabes nie einen hohen 
Grad von Maturität und behalten immer den Charakter von embryonalen Fasern. 
All das spricht dafür, daß als Ursprung der tabischen Degeneration eine Intoxi¬ 
kation des centralen Endes der hinteren Wurzel vorhanden ist, welche es ver¬ 
hindert, daß die neugebildeten Fasern eine vollkommene Ausbildung erreichen. 

Herr Long (Genf): Beiträge zur Tabes. Ataxo-spaemodische Tabes 
ohne Läsion der Seitenstränge. Tabes dorsalis mit unbedeutenden Ver¬ 
änderungen in den hinteren Wurzeln. 63jähriger Mann, tabisch seit dem 
48. Jahr. Beginn mit lanzinierenden Schmerzen, mit Blasenstörungen und Im¬ 
potenz. Progressive Verschlimmerung und Ataxie der oberen Extremitäten. Sensi¬ 
bilitätsstörung der Haut, Gelenke, .Muskeln. Dabei die Patellarreflexe gesteigert 
und keine Pupillenstörungen. Nur 1 Jahr vor dem Tod tritt Pupillenstarre auf, 
gleichzeitig partielle Okulomotoriuslähmung und progressive Abschwächung der 
Sehnenreflexe. Bei der histologischen Untersuchung fand man keine Sklerose der 
Seitenstränge, dagegen Atrophie des Brustmarkes und des oberen Teiles des 
Lendenmarkes. Disseminierte Gefäßerkrankung. Der Kranke hatte vor dem An¬ 
fang seiner Tabes ein tertiäres Syphilid. Man kann somit annehmen, daß infolge 
von vaskulären Störungen sein Rückenmark atrophisch wurde und infolgedessen 
die Reflexe gesteigert wurden. Es ist auch bemerkenswert, daß in diesem Falle 

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die hinteren Wurzeln in dem lumbosakralen Teil kaum verändert waren, trotzdem 
ausgesprochene Ataxie bestanden hat. Dieselbe Eigentümlichkeit bestand bei 
einem anderen Kranken, der erst im Alter von 65 Jahren tabiBch wurde (Syphilis 
im Alter von 22 Jahren). Ausgesprochene Ataxie aller Extremitäten. Westphal 
und Argyll - Robertson positiv. Blasenstörungen. Auch in diesem Falle waren 
die hinteren Wurzeln wenig lädiert. Aus diesen Fällen kann man den Schluß 
ziehen, daß bei der Tabes dorsalis die pheripheren Läsionen eine größere Be¬ 
deutung haben können als die Veränderungen an den hinteren Wurzeln. 

Herr Hirschberg (Paris): Kritische Bemerkungen zur Therapie der 
Tabes. Vortr. behandelt nicht die Therapie der Tabes im allgemeinen. Er be¬ 
spricht nur zwei Methoden von mechanischer Behandlung der Tabes, nämlich die 
Suspension von Motschutkowski und die Frenkelsche Übungstherapie. Die 
Suspension, die auf Charcots Autorität gestützt ihre Glanzepoche gehabt hat, 
scheint in den letzten Jahren in Vergessenheit zu geraten. Das ist schade, denn 
mit Überlegung und vorsichtig appliziert ist diese Methode entschieden von 
großem Nutzen im Verlaufe der Tabes. Was die Frenkelsche Methode an¬ 
belangt, so ist dieselbe viel komplizierter, als man es im allgemeinen zu glauben 
scheint. Der Arzt, der mit Nutzen diese Methode anwenden will, muß nicht nur 
sich an die allgemeinen Regeln, die Frenkel festgestellt hat, halten, sondern 
auch jeden einzelnen Fall von tabischer Ataxie genau studieren, da es keine 
schematischen Übungen für die Behandlung der Ataxie geben kann. Kontra¬ 
indiziert sind die Übungen bei akut verlaufender Tabes. Während einer thermalen 
Kur in Nauheim, Lamalou-les-Bains usw. sind anstrengende Übungen jeder Art 
ebenfalls zu verbieten. 

Herr Courtellemont (Amiens): Familiäre spastische Paraplegie. Vortr. 
teilt die Krankengeschichte mit und demonstriert Photographien eines Falles von 
familiärer spastischer Paraplegie mit Störungen des Urogenitalsystems, einigen 
vasomotorischen Störungen und leichter Ptosis links. Sinnesorgane, Sensibilität, 
Sprache, Geisteszustand normal. Keine Muskelatrophie. Elektrische Reaktionen 
normal. Anfang der Krankheit zwischen 35, 49 und 50 Jahren. Beginn 
schleichend. Verlauf langsam progressiv. Mutter, Bruder und Schwester leiden 
an derselben Krankheit. Keine syphilitischen Antezedentien. Keine Leukocythose 
im Liquor cerebrospinalis. Spezifische Behandlung ohne Resultat. Vortr. betont 
die similäre Heredität und die Seltenheit mancher Symptome (Lagophthalmus, 
Urogenitalstörungen) bei dieser Krankheit. Der negative Befund bei der Lumbal¬ 
punktion spricht für Fehlen jedes meningitiachen Reizes und für fasciculäre 
Störungen. 

Herr Etienne und Herr Champy (Nancy): Veränderungen ln den Zellen 
der Vorderhörner des Rückenmarks bei nervösen Arthropathien. In einem 
Falle von Tabes mit Arthropathie des rechten Schultergelenks fanden die Vortr. 
in den Zellen der Vorderhörner längs des ganzen Rückenmarks, aber besonders 
ausgesprochen in den Zellen der antero-externen Gruppe des rechten Vorderhorns 
des Cervikalmarks, Chromatolyse, Pigmentation, Vakuole. In einem zweiten Fall 
von Arthropathie beider Schultergelenke bei einem Kranken mit Aran-Duchenne- 
scher Muskelatrophie wurde in den antero-externen und antero-internen Zellen 
ausgesprochene Chromatolyse konstatiert. In dem Falle von Tabes sollen die 
Läsionen der Zellen sekundärer Natur sein, bedingt durch die tabische Entartung 
des centripetalen Protoneurons. Bei dem zweiten Kranken ist die Alteration der 
Zellen eine direkte und primitive. 

Herr Miralliä, Herr Jalaber und Herr Cullerre (Nantes): Faoio-soapulo- 
humerale Myopathie nebst myotonlsohen Symptomen. Die Assoziation von 
Myopathie mit Thomsenscher Krankheit ist äußerst selten. Im ganzen sind in 
der Literatur 17 solche Fälle bekannt. Die Vortr. teilen folgenden Fall mit: 


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19 jähriger Bursche; nach einer schweren doppelseitigen Pneumonie treten gleich¬ 
zeitig Muskelatrophien nach Landouzy-Dejerineschem Typus und myotonische 
Störungen auf. Die letzteren Störungen sind mehr in den Händen ausgesprochen, 
wie die Atrophie in dem Schultergürtel lokalisiert ist. Die myotonischen Störungen 
erstrecken sich allein auf die Streckung der Finger und fehlen bei den anderen 
Bewegungen. 

Herr Duprä und Herr Ribierre (Paris): Atrophisohe und retr&ktile 
Myosklerose bei Greisen. Die Vortr. schlagen diesen Namen vor für eine 
Krankheit, die schon von Hayem angedeutet wurde und vor kurzem von Lejonne 
und Lhermitte unter dem Namen von „Paraplögie par rötraction des vieillards“ 
beschrieben wurde. Die Vortr. teilen folgenden Fall mit: 80jährige Frau bietet 
solche diffuse retraktile Amyotrophien, daß sie wie eine peruvianische Mumie 
aussieht. Das Befallensein der Hals- und Schulterblattmuskeln bedingt einen 
permanenten Opisthotonus. Eigentliche Lähmungen sind nicht vorhanden. Es 
gibt auch keinen Anhalt für cerebralen, medullären oder neuritischen Charakter 
der Krankheit. Es handelt sich somit um eine senile progressive Myopathie, die 
diffus sich verbreitet, jedoch vorwiegend an den unteren Extremitäten. 

Herr Etienne (Nancy): Über spontane zonaartige Ecchymosen. In 
einem Falle von heftigen neuralgischen Schmerzen trat spontan eine ecchymotische 
Eruption im Gebiete des N. frontalis auf. Vortr. rechnet diese Eruption dem 
Zona zu, hervorgebracht durch eine Läsion von Sympathikusästen 

Herr Pr6vost und Herr Batelli (Genf): Über experitnentelle Epilepsie. 
(Vgl. d. Centr.-Bl. 1907. S. 1031.) 

Diskussion: Fräulein Robinovitch (New York) bemerkt, daß sie viele 
Experimente über Epilepsie angestellt hat und daß sie sich dabei hat überzeugen 
können, daß während der Periode der tonischen Krämpfe das Gehirn eine rosige 
Farbe annimmt, während der klonischen dagegen dasselbe rot erscheint Sie hat 
auch festgestellt, daß man durch elektrischen Strom getötete Tiere wieder ins 
Leben rufen kann durch eine Applikation nicht des induzierten, sondern eines 
alternativen Stromes. Diese Tatsache kann von großem praktischem Wert sein. 

Fräulein Robinovitch (New York): Eine Methode elektrokatierte Tiere 
wieder ins Leben bu rufen (vgl. d. Centr. 1907, S. 938). Die Wirkungen 
verschiedener elektrischer Ströme. Durch den Körper eines Kaninchens wird 
ein Strom (Leducscher Strom) von 14 Volt geleitet von einer Dauer von 
30 Sekunden bis 2 Minuten. Nachdem man durch Registrierapparate konstatiert 
hatte, daß die Herztätigkeit still steht und keine Atembewegungen mehr vor¬ 
handen sind, das Tier also im Zustande des Scheintodes sich befindet, kann 
man dieses Tier wieder ins Leben rufen, indem mau durch den Körper desselben 
rythmische Reize desselben Stromes gehen läßt. Diese Reize sind von der Dauer 
einer Sekunde und werden alle drei Sekunden wiederholt. Der Leducscbe 
Strom wirkt auf das Herz und auf die Atmungscentra weniger lähmend als der 
konstante Strom oder der induzierte. Wurde ein Tier durch den konstanten 
Strom getötet, so war es unmöglich, durch rythmische Reize desselben Stromes 
dieses Tier wieder lebendig zu machen. In den seltenen Fällen, wo es gelang, 
starben die Tiere einige Stunden später. Der induzierte Strom scheint die Tiere 
zu töten durch Lähmung der Atmungscentra. Dagegen gelang es mit Hilfe des 
Ledueschen Stromes, durch rythmische Reize selbst die Tiere wieder ins Leben 
zu rufen, die im Zustande des Scheintodes sich befanden nach einer Einwirkung 
eines konstanten oder induzierten Stromes. Der Leducsche Strom ist somit das 
beste Mittel, um elektrokutierte Tiere wieder zu beleben. 

Fräulein Robinovitch (New York): Der allgemeine und oerebrale 
Blutdruck bei der elektrischen Epilepsie. Der allgemeine Blutdruck steigt 
am Anfang der Phase der tonischen Krämpfe und nimmt allmählich zu, um sein 


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Maximum zu erreichen, während die klonischen Krämpfe ihr Maximum erreicht 
haben. Mit Abnahme der klonischen Konvulsionen nimmt auch der Blutdruck 
ab, und beim Auf hören der Krämpfe ist der Blutdruok wieder normal. Wird 
durch Trepanation das Gehirn eines Hundes bloßgelegt, so bemerkt man, daß beim 
Passieren eines Leducschen Stromes das Gehirn blaß wird. Während der Phase 
der klonischen Krämpfe rötet sich das Gehirn mehr und mehr. Die Gehirngefäße 
erweitern sich sichtlich. Das Gehirnvolumen nimmt zu mit dem Maße der Gefä߬ 
dilatation, so daß sich das Gehirn sub der Trepanationsöffnung herausdrückt. Dos 
Maximum der Gehirnhernie entspricht dem Maximum der klonischen Krämpfe. Mit 
dem Abschwächen der Konvulsionen reduziert sich allmählich die GehirnBubstauz, 
und mit dem Aufhören des Anfalls kehrt alles wieder in die Norm zurück. 

Herr Parhon und Herr Uröche (Bukarest): Untersuchungen über die 
Wirkung von Calcium- und Natriumsalz auf den Verlauf von experimen¬ 
teller Tetanie. Die Vortr. haben bei 20 Hunden die Thyroparathyreoiddrüsen 
entfernt und daraufhin denselben Tieren Natrium- und Calciumsalze injiziert. Die 
Natriumsalze hatten eine Verstärkung der Krämpfe zur Folge. Die Calciumsalze 
übten dagegen eine beruhigende Wirkung aus. 

Herr Bonjour (Lausanne): Differentialdiagnose zwischen epileptischen 
und hysterisohen Krisen. Bin neues Symptom. Vortr. ist der Meinung, daß 
eine partielle Heilung durch den Gebrauch von Bromsalzen und einer kochsalz- 
armen Diät für Hysterie spricht. Zunahme der Anfälle während einer Bromkur 
spricht ebenfalls für Hysterie. Auftreten der Anfälle in der Pubertätszeit ist fast 
immer ein Zeichen der Hysterie. Trotz der Meinung von F6r6 und von Bim»- 
wanger sind die Konvulsionskrisen während der Menstruation immer hysterischer 
Natur, mit Ausnahme einiger seltener Fälle von Epilepsie bei Hysterischen. Der 
Kranke, der am Anfang deB Anfalls zu „laufen sucht“, sich „hinsetzen“ will, sich 
„mit Absicht zu Boden fallen läßt“ ist immer hysterisch. Der epileptische Anfall 
überkommt den Patienten mit solcher Plötzlichkeit, daß er keine Zeit zum Denken 
hat. Schwere Verletzungen und selbst der Tod können die Folgen eines hyste¬ 
rischen Anfalls sein. Der Epileptische verhält sich gleichgültig den Anfällen gegen¬ 
über, der Hysterische dagegen fürchtet dieselben. Der Zungenbiß ist das sicherste 
Symptom, welches uns bei der Diagnose leiten wird. Der Sitz der Verletzung 
der Zunge ist nach dem Vortr. von der größten Bedeutung. So soll allein die 
Verletzung der Zungenspitze für die echte Epilepsie maßgebend sein, dagegen 
sprechen die Verletzungen der Zungenränder, der Wangenschleimhaut, der Lippen 
immer für Hysterie. Auf dieses Symptom hat bis jetzt noch niemand die Auf¬ 
merksamkeit gelenkt. 

Herr L6opold-Lövi und Herr Baron von Rothschild (Paris): Klinische 
Form von Sohilddrüsennervosität (vgl. d. Centr. 1907, S. 329). Auf Grund 
von 76 Fällen kommen die Vortr. zu folgenden Schlüssen: Allgemeine Nervosität 
ist oft in Zusammenhang mit mangelhaftem Funktionieren der Schilddrüse und 
äußert sich klinisch unter folgenden Formen: Nervöse Hyperthyroidie, die 
ihren vollsten Ausdruck in der Basedowschen Krankheit hat. Es gibt aber auch 
eine ganze Reihe von klinischen Zuständen, die Übergangsstufen bilden von der 
einfachen chronischen, gutartigen Hyperthyroidie bis zur Basedowschen Krank¬ 
heit. Nervöse Hypothyro'idie. Nervöse Zustände infolge von ungenügendem 
Funktionieren der Schilddrüse, und die ihren vollsten Ausdruck in der Schild¬ 
drüsenneurasthenie erreicht. Es werden noch eine Reihe anderer nervöser Zustände 
mit barbarischen Namen angeführt: Dysthyro'idie mit Hypothyro’idie, Dysen- 
docrisies coupl6es (Schilddrüse und Ovarium), tricouplees (Schilddrüse, Hypophysis, 
Ovarium). Passende opotherapeutische Behandlung wird den Zusammenhang 
zwischen der Nervosität und der lädierten Drüse bestätigen. 

Herr Royet (Lyon): Neurasthenie und Nasenrachenerkrankungen. 


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Vortr. ist der Meinung, daß die Neurasthenie oft ihren Ursprung in Erkrankungen 
des Nasenrachenraumes hat. Filr diesen Zusammenhang sprechen ebenso ana¬ 
tomische wie physiologische Gründe. Zunächst die Nachbarschaft wichtiger Organe: 
das Gehörorgan, der spinale Ast des N. vagus, der Hypoglossus und Glosso- 
Pharyngeus, das obere cervicale Ganglion des Sympathicus, welches samt der 
Carotis interna und der Vena jugularis in einem engen Raum in der Nachbar¬ 
schaft der Rosenmüllerschen Grube eingeschlosBen ist. Die anatomischen Be¬ 
dingungen sind besonders günstig für chronische Erkrankungen dieser Grube. Die 
neurasthenischen Symptome können mit den Symptomen der Erkrankung des 
Nasenrachenraumes verglichen werden. So findet man bei letzteren occipitale 
und frontale Schmerzen, intellektuelle Schwäche und Schwäche der Aufmerksam¬ 
keit, Atembeschwerden. Bei den Erkrankungen des Ohres: Ohrensausen, Hämmern 
und Gehörstörungen, Schwindel und Agoraphobie, Eingenommenheit des Kopfes 
(Sensation de casque) und Angstzustände. Bei den Erkrankungen des Ganglion 
cervicale sup. und des N. vagus findet man: Cirkulationsstörungen, Herzpalpita- 
tionen, Tachycardie, Arythmie, vasomotorische Störungen usw., Verdauungsstörungen, 
Sekretionsstörungen usw. Es gibt kaum einen anderen Punkt im Organismus, 
der alle Elemente so vereinigt, um die Symptome der Neurasthenie in dieser 
Weise zu reproduzieren. Vortr. zitiert eine Reihe von Krankengeschichten zum 
Beleg des oben Gesagten. Heilung oder zum wenigsten Besserung neurasthe- 
nischer Symptome durch rationelle Behandlung zugrunde liegender Nasenrachen¬ 
erkrankungen. 

Herr Hartenberg (Paris): Die Psychotherapie bei Neurasthenischen. 
Bei der echten Neurasthenie, d. h. bei den zahlreichen Kranken mit ganz aus¬ 
gesprochenem klinischem Typus, mit großer körperlicher und geistiger Ermüdung, 
mit Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Aufregbarkeit, wirkt die Psychotherapie, 
sei es Hypnose, Suggestion, Zureden, so gut wie gar nicht. Der Grund von 
diesem Mißerfolg liegt darin, daß diese Form von Neurasthenie keine Geistes¬ 
krankheit ist. Die die Neurasthenie begleitenden psychischen Symptome, — Angst- 
zustande, Grübeln, Hypochondrie usw. — erheischen ebenfalls keine psychische 
Behandlung, da sie auch spontan verschwinden, sobald man durch hygienische, 
physikalische und medikamentöse Behandlung die nervöse Erschöpfung zum Ver¬ 
schwinden gebracht hat. Die Kranken, die man glaubt durch Psychotherapie ge¬ 
bessert oder geheilt zu haben, sind in der Wirklichkeit von der Rohe, Über¬ 
fütterung usw., die gleichzeitig mit der Psychotherapie angewandt wurden, 
gebessert worden. 

Diskussion: Herr Dejerine (Paris) glaubt nicht, daß die Neurasthenie eine 
Erkrankung der Zelle ist, daß es sich eher um funktionelle Störungen handelt, 
und daß jeder Kranke, der wirklich den Namen Neurastheniker verdient, einzig 
und allein durch Psychotherapie gebessert werden kann. 

Herr Bern heim (Nancy): Es ist notwendig, die Neurastheniker von den 
Melancholischen streng auseinander zu halten. Es ist möglich, daß die Neurasthe¬ 
niker des Vortr. einfach prämelancholische waren, für welche die Bezeichnung 
von Neurasthenie nicht passend ist und welche auf die Psychotherapie nicht 
reagieren. 

Herr Sollier (Paris) behauptet, daß die Psychotherapie sehr nützlich ist, 
selbst in Fällen von Intoxikationspsychosen. 

Herr Leopold - Lövi (Paris): Die ätiologische Indikation darf nie von 
der Hand gewiesen werden. Es gibt Neurasthenie, die auf eine Erkrankung der 
Schilddrüse zurückzuführen ist, und die durch passende opotherapeutische Be¬ 
handlung zu heilen ist. 

(Schluß folgt.) 

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Österreichischer Irrenärzte tag in Wien vom 4. bis 6. Oktober 1907. 

Referent: Otto Marburg (Wien). 

Herr Starlinger: Befer&t zum gegenwärtigen Stande der Pflegerflrage. 

Vortr. geht vom rein praktischen Standpunkte ans und sucht entgegen den 
meisten bisherigen Untersuchungen in der Pflegerfrage einmal das Haben auf 
diesem Gebiete in Erfahrung zu bringen. Zu diesem Zwecke hat er eine Rund¬ 
frage bei ca. 100 Anstalten des In- und Auslandes veranstaltet, welche die 
wesentlichsten Punkte der Pflegerfrage umfaßten. Es ergab sich, daß die Heil¬ 
anstalt und die einheitliche Heil- und Pflegeanstalt die Majorität in der heutigen 
Anstaltsorganisation bilde. Das Verhältnis der Pfleger zu den Kranken beginnt 
bereits unter 7 zu sinken, nähert sich in vielen Anstalten 5. Die Anmeldung 
zum Pflegerdienst ist sowohl quantitativ als qualitativ ungenügend. Die Liebe 
zum Krankendienst reizt ebensowenig wie die Altersversorgung. Er empfiehlt 
daher Heranziehung von Militärurlaubern. Der Wechsel ist allgemein. 50 °/ 0 
wechseln meistens im ersten Halbjahr, der größte Teil scheidet strafweise oder als 
unbrauchbar aus. Großer Barlohn vermag den Wechsel nicht zu unterdrücken. 
Altes Pflegepersonal mit über 10 Dienstjahren ist gegenüber den Verhältnissen 
bei der Industrie nirgends in großer Zahl vorhanden. Redner empfiehlt mög¬ 
lichste Annäherung an die Arbeiterverhältnisse: Freigebung der Lebensweise, Auf¬ 
lassung der dienstfreien Bevormundung und Kontrolle, Einschränkung der Kaser¬ 
nierung. Die Barlöhne schwanken von 200 bis 640 Mk. als Anfangs- und 218 
bis 1320 Mk. als Endlohn für Pfleger, und 560 biB 1800 Mk. als Anfangs- und 
560 bis 2500 Mk. als Endlohn für Oberpfleger. Außerdem erhalten sie zumeist 
Kost, die Pfleger 3. Klasse, die Oberpfleger 2. Klasse. Ruhegenüsse gewähren 
47 Anstalten. Witwen- und Waisenversorgung ist weniger häufig. Mit Pflegern 
aus besseren Häusern hat man keine guten Erfahrungen gemacht. Mißhandlungen 
von Pflegern seitens der Patienten sind häufiger als das Umgekehrte. Da alle 
Irrenpflege in letzter Linie eine Pflegerfrage ist, so ist dieser eine größere Auf¬ 
merksamkeit als bisher zuzuwenden, damit sie eine zeitgemäße Entwicklung nimmt. 
Eine solche kann niemals gedeihen ohne Führung und Leitung durch die Er¬ 
fahrungen und die Psychologie. 

An der Diskussion beteiligen sich die Herren: Stransky, v. Frank 1- 
Hochwart, Moravcsik, v. Pfungen, Schweighofer, Mayer, Pick und 
Starlinger. Es wird für Erweiterung der intellektuellen Ausbildung der Pfleger 
plädiert, für die Errichtung eigener Pflegerschulen, die Heranziehung von geist¬ 
lichem Pflegepersonal, die Ausscheidung minderwertiger Elemente, und schließlich 
dafür, daß das Resume des Vortr. auch der breiteren Öffentlichkeit bekannt gegeben 
werde, damit das Urteil der Menge über manche Verhältnisse in den Anstalten 
sich ändere und die Öffentlichkeit auf die Behörden einen Einfluß nehmen könnte. 

Herr Holub (Wien): Wir und die Öffentlichkeit. Vortr. führt eine Reihe 
von Beispielen an, durch welche er zeigt, wie die Presse und die Verteidiger sich 
gegenseitig bemühen, den Stand der Irrenärzte herabzusetzen. Die Beispiele, die 
er anführt, sind in der Tat geeignet, bei Leuten, welche die Verhältnisse nicht 
näher kennen, irrtümliche Meinungen aufkommen zu lassen. Deshalb wäre es 
angezeigt, in solchen Fällen offiziell die Publizistik zu beraten. 

Diskussion: Herr Starlinger schlägt ein Komitee für diesen Zweck vor. 

Herr v. Wagner meint, daß die Ursache dieser fortwährenden Angriffe auf 
die Psychiatrie in dem Bedürfnisse des Publikums nach Sensation gelegen seien. 
Geisteskrankheit ist ein modernes Thema. Die Zeitungen werden deshalb, da Bie 
sich dem Sensationsbedürfnisse nicht immer ganz entziehen können, solche Dinge 
gerne aufnebmen, nicht alle in gleicher Weise, manche mit einer gewissen Reserve, 
andere wieder mit vollem Herzen. Diese Journale werden uns gewiß auch unsere 


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Artikel aufnehmen, aber das wird sie nicht hindern, daß wir in der nächster. 
Nummer doch wieder als die ärgsten Lumpen und Gauner hingestellt werden. 
Wir müßten daher einen Appell an die Journalistik richten, bei Nachrichten über 
solche Dinge sich möglichst zu bemühen, der Wahrheit nahe zu kommen. 

Herr Stransky meint, daß die in öffentlicher Stellung fungierenden Psychiater 
öfters ihren Amtscharakter hervorkehren sollen und daß man die Kenntnisse über 
das Anstaltswesen möglichst popularisieren sollte. 

Herr Kramer wendet sich gegen den Ausdruck Irrenarzt, da dieser viel an 
den Vorurteilen gegen die Psychiatrie schuld sei. 

Herr v. Wagner: Über Ärzteaustausoh zwisohen Kliniken und Irren¬ 
anstalten. Nachdem Vortr. die großen Vorteile der aus dem Titel des Vortrages 
hervorgehenden Pläne für die praktische Ausbildung der Arzte beleuchtet und 
namentlich auf die Verschiedenheiten des psychiatrischen Materiales an den Kliniken 
und in den Irrenanstalten hingewiesen hat, stellt er folgende Anträge: Der öster¬ 
reichische Irrenärztetag erklärt es als wünschenswert, daß 1. subalternen Anstalts¬ 
ärzten die Annahme von Assistentenstellen an psychiatrischen Kliniken erleichtert 
werde durch Gewährung von mehrjährigen Urlauben bei Wahrung ihres Dienst¬ 
rangs und Anrechnung der an der Klinik verbrachten Zeit in ihre Dienstzeit: 
2. daß emeritierten Assistenten der Eintritt in Anstalten erleichtert werde durch 
Anrechnung der an Kliniken verbrachten Zeit bei Bestimmung des Dienstrangs 
und der Dienstzeit. 3. Diese Beschlüsse sind allen Landesausschüssen bekanut zn 
geben. 4. Die Irrenanstaltsdirektoren der dem Sitze der Landesbehörden zunächst 
liegenden Irrenanstalten sind zu ersuchen, diese Beschlüsse persönlich zu über¬ 
reichen und die Berücksichtigung derselben warm zu befürworten. 

Diskussion: Die Herren Stransky und Mayer sprechen dafür, Herr Holuh 
dagegen. 

Herr Hartmnnn (Graz): Über das Löb-Litsmannsohe Maß der psychischen 
Tätigkeit. (Erscheint ausführlich in der Wiener klin. Wochenschrift.) 

An der Diskussion beteiligen sich die Herren: Pick, v. Niessl-Mayendorf 
und Hartmann. 

Herr Mayr (Graz): Die Sekretion des Magensaftes bei einigen paycho- 
pathologischen Zustandsbildem (s. Ref. 44 S. 1073). Bei einer größeren Anzahl von 
Kranken wurde nach der Methode von Petry die Sekretion von Lab, Pepsin und 
Säure untersucht. Die wesentlichsten Ergebnisse lassen sich in drei Sekretionstypen 
ausdrücken. Der eine mit sehr geringen Labmengen, geringen Pepsin- und Säure*- 
mengen wurde bei Krankheitsbildern mit motorischen, katatonischen Symptomen, 
dann bei zwei Fällen von echter Manie gefunden. Den 2. Typus bilden Fülle* 
von einfach hebephrenem Stupor und hebephrener Manie mit etwas höherer I^ab- 
sekretion und mäßig hoher Säure- und PepsinausBoheidung. Gewisse hysterische 
Zustände und einige Fälle von Paranoia bilden den 3. Typus mit geringer Lab- 
uud Pepsinsekretion, jedoch erhöhter Säureproduktion. Einfluß anf die Sekretion 
hat die Größe der Abwehr und des geäußerten Ekels (da die Untersuchungen 
mittels der Nasensonde vorgenommen wurden). Die Nahrungsverweigerung da¬ 
gegen hat keinen deutlichen Einfluß. 

Diskussion: Herr Mayer (Innsbruck) fragt nach Befunden bei Paralyse unn 
wundert sich, daß die Ergebnisse der gestörten Magensaftfunktion sich streng an 
die Klassifikation halten und nicht an gröbere Symptome. 

Herr Hartmann betont, daß der Vortr. sich bemüht hat, gerade die 
Schwierigkeit in der Abtrennung der klinischen Bilder vorläufig zu vermeiden 
und drei Typen der Magensaftsekretion aufzustellen, daraus seien freilich keine 
Schlüsse über Parallelismus und Kausalität dieser Sekretionsvorgänge zur Form 
der Psychose zu ziehen. 

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1103 


Herr Schüller fragt, ob Kontrolluntersuchnngcn bei Geistesgesunden aus¬ 
geführt wurden. 

Herr Pötzl meint, daß die Übereinstimmung der Befunde mit der Gruppierung 
nach klinischen Diagnosen gerade in dem einen Punkt einfach dadurch zu er¬ 
klären seien, daß bei akuten Psychosen mit katatonen Symptomen Zeichen einer 
schweren Intoxikation sehr häufig Vorkommen, daß Fälle dieser Art tatsächlich 
mit den hebephrenischen Verblödungsprozessen nur äußere Ähnlichkeiten, nicht 
aber eine innere Gemeinsamkeit haben. 

Herr Pilcz erwähnt einen Fall von katatonem Stupor, wo im Erbrochenen 
weder Salzsäure noch Pepsin noch Lab sich fand, so daß ein Kollege die Dia¬ 
gnose auf Atrophie der Magenschleimhaut gestellt hatte. Plötzlich eines Abends 
erhebt sich Patient aus dem Stupor, beginnt zu essen und nimmt nun Wochen 
hindurch beliebige Quantitäten der schwerstverdaulichen Speisen zu sich, bis er 
plötzlich wieder zu abstinieren beginnt und beim Versuche der künstlichen Er¬ 
nährung erbricht, so daß er rektal ernährt werden mußte. 

Herr Mayer (Innsbruck) unterschätzt die Untersuchungen des Vortr. keines¬ 
wegs, nur befremdet ihn die Art der Gruppierung, die sich ergibt. 

Herr Stransky führt auch Momente an, die gegen die Art der Gruppierung 
sprechen. 

Herr Mayr führt zum Schlüsse an, daß er die Untersuchung von Paralytikern 
unterlassen habe, um schweren organischen Läsionen von vornherein aus dem 
Wege zu gehen. 

Herr Tandler: Zur Entwicklungsgeschichte des Qeokogehirnes. (Anatom. 
Hefte XXXIII.) 

Herr Wintersteiner: Augenspiegelbefande bei Psyohosen. Bei diesen 
an 1000 Geisteskranken der Klinik von Wagner unternommenen Untersuchungen er¬ 
gab sich, daß angeborene Augenhintergrundsveränderungen, welche als Degenerations¬ 
zeichen gedeutet werden dürfen, bei solchen Psychosen gehäuft Vorkommen, welche 
auf hereditärer Veranlagung beruhen. So waren bei der Paranoia die positiven 
Befunde doppelt so häufig als die negativen, während bei der progressiven Paralyse 
die negativen Befunde die positiven ums Doppelte übertrafen. Interessant ist das 
Ergebnis bei 111 Fällen von Alkoholpsychosen. Bei 32 hereditär Veranlagten 
fanden sich 18 mal positive Spiegelbefunde, unter den 45 ohne hereditäre Belastung 
nur 6. Die erworbenen Augenhinlergrundsveränderungen sind bei der progressiven 
Paralyse (284 Fälle) am häufigsten. Es fanden sich 52 mit Abblassung der 
Papille, 30 mit Atrophie des Opticus (genuine). Nach dem Stadium der Krank¬ 
heit gruppiert ergeben sich: im ersten Stadium in einem Viertel der Fälle, im 
zweiten in etwas über der Hälfte, im dritten in Dreiviertel der Fälle Atrophie. 
Bei den Paralytikern überrascht das seltene Vorkommen von Chorioretinitis, 
hzw. von Residuen einer Iritis, welche ja zu den häufigsten Manifestationen der 
Lues zählen, diese war aber bei der größten Mehrzahl der Paralytiker anamnestisch 
nachzuweisen. Dekoloration des Nervus opticus fand Bich in l8°/ 0 , Atrophie 
in lO,5°/ 0 , Chorioiditis in 3,86°/ 0 , Iritis in 1,76"/ 0 - Vortr. führt das zurück 
auf die Selektion bei der Erkrankung, indem einmal ektodermale, das andere Mal 
mesodermale Gebilde affiziert werden. Unter den 111 Alkoholpsychosen war 39 mal 
eine Abblassung eines temporalen Papillensektors und 5 mal eine Atrophie des 
OptiouB zu konstatieren, was einem Prozentsätze von 39,t! entspricht. 

Diskussion: Herr v. Wagner meint dazu, daß die Seltenheit der Chorioiditis 
bei Paralytikern ihm schon lange aufgefallen sei. Die Ursache dafür liege darin, 
daß ein Antagonismus bestehe zwischen Kranken, welche zu Sekundärerscheinungen 
bei Lues disponiert sind und Individuen mit Disposition zur Paralyse. 

Herr Wintersteiner stimmt diesen Angaben Wagners bei. 

Herr E. Raimann berichtet über 4 Fälle von Melancholie, die planmäßig 


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nur ein fremdes Leben angriffen, vor dem Selbstmord zurückschreckten, sich 
geradezu zu salvieren versuchten. Diese Fälle erscheinen dem Vortr. theoretisch 
von Interesse, sie sind es aber auch praktisch wegen ihrer forensischen Wichtig¬ 
keit, ihrer Häufigkeit und dem Umstande, daß in keinem Falle die Umgebung, auch 
nicht die ärztliche, das drohende Unheil merkte. Es folgt daraus, daß melancho¬ 
lische und hypochondrische Zustandsbilder immer ernst zu nehmen und unter Auf¬ 
sicht zu halten sind. Weiter plädiert Vortr. dafür, daß sie nach Begehung ihrer 
das menschliche Gefühl abstoßenden, geradezu soheußlichen Morde nicht in die 
Heil- und Pfiegeanstalten, sondern in die von v. Wagner postulierten Staats¬ 
anstalten aufgenommen werden mögen. 

Diskussion: Herr Bertze berichtet über den Weiterverlauf zweier dieser 
eben vorgebrachten Fälle, von denen der eine bereits ungezählte Selbstmord¬ 
versuche durch Erhängen unternommen hat. Pat. geht dabei in raffiniertester Weise 
zu Werke. Ferner hat er eine Fülle hypochondrischer Klagen. Im zweiten Falle 
trat eine Verschlimmerung der melancholischen Verstimmung und Angst ein, die 
jedoch in nicht zu langer Zeit in eine auffällige Besserung übergeht Er konnte 
schließlich geheilt entlassen werden. 

Herr Stransky möchte die Möglichkeit von Verblödungsprozessen bei der¬ 
artigen Fällen nicht ganz von der Hand weisen. Als Ursache des Deliktes sei 
vielleicht melancholische Denkungsweise anzusehen. Er morde, um sich selbst 
noch mehr belasten zu können. 

HerrRaimann hält in seinen Fällen an der Diagnose Melancholie fest und 
führt an, daß der Fall II in dem unmittelbar nach der Tat geschriebenen Testa¬ 
ment erklärte, er könne seine Frau nicht allein auf der Welt zurücklassen. 
Fall IV erklärt, daß sie (die Mutter) ihren Sohn für tuberkulös verloren hielt 
und ihm langes und fürchterliches Leiden ersparen wollte, ein Raisonnement, das 
für Melancholie spricht. 

(Schluß folgt) 


V. Vermischtes. 

Zweier Jubiläen haben wir mit den besten Wünsohen für die Zukunft zu gedenken: 

Am 15. November ist zu Frankfurt a/M. das neue Senckenbergische neurologische 
Institut eröffnet worden; gerade vor 25 Jahren begann der Direktor des Institutes. Herr 
Prof. Edinger, seine Untersuchungen über die Anatomie des Gehirns. 

In Wien feiern am 23. November die Schüler des neurologischen Institutes an der 
Universität das 25jährige Gründungsfest des Institutes. Gleichzeitig hiermit wird die Büste 
des Gründers und Chefs Hofrat Obersteiner enthält. 

Zahlreiche wertvolle Arbeiten sind aus diesen beiden Instituten hervorgegangen, sie 
zeigen die Schaffensfreudigkeit und -kraft an, die daselbst walten und sicherlich auch in 
Zukunft dort walten werden. 


VI. Personalien. 

Unserm sehr verehrten Mitarbeiter Herrn Dozent Dr. Pilcz (Wien) ist der Titel eines 
a. o. Professors verliehen worden. 

Herr Prof. Dr. Fritz Hartmann wurde als Nachfolger Antons zum Direktor der 
neurolog.-psychiatr. Klinik in Graz ernannt. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzokb & Wrana in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet Ton Prof. E. MendeL 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsnndzwanzigster Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 

1907. 1. Dezember. Nr. 23. 


Inhalt I. Originalmitteilungen. 1. Zur sakralen Form der Sclerosis multiplex, von 

H. Oppenheim. 2. Über die Hervorrufung von Schmerzen bei Ischias durch Hyperextension 
der Extremität und über die Unfähigkeit beide Beine zu strecken, von Prof. Dr. W. v. Bach- 
terew in St. Petersburg. 3. Traumatische Rückenmarksblutung bei beginnnender Tabes 
dorsalis, von Giovanni Salz. 4. Vaguslähmung (vorzugsweise Kehlkopfmuskellähmung) bei 
Syringobulbie. Vorläufige Mitteilung von Dr. N. S. Iwanow. 

II. Referate. Anatomie. 1. Über den zeitigen Aufbau der Nervenfasern auf Grund 
mikrohistochemischer Untersuchungen. I. Teil: Die ehern. Bestandteile des Nerven mar kes, 
ihr mikrochem. und farberisches Verhalten, von Reich. 2. Sul nucleo di origine del faoiale 
superiore, per Gianelli. 8 . Eine bisher übersehene Wurzel des N. glossopharyngeus und 
vagus, von Huguenin. — Pathologische Anatomie. 4. Über Alters Veränderungen 
der Ganglienzellen im Gehirn, von Saigo. — Pathologie des Nervensystems. 
5. Über die paroxysmelle Tachykardie und ihre Beziehungen zu den Erkrankungen des 
Nervensystems, von Schlesinger. 6. Neuralgie, Myalgie, von Peritz. 7. Der Kopfschmerz 
und seine physikalische Behandlung, von Riedel. 8. Über Kopfschmerz, von Pinelef. 
9. Migraine and hemianopsia, by Thomas. 10. Beitrag zur Erklärung der ophthalmo¬ 
plegischen Migräne, von Plavec. 11. Über Hypothermie infolge von Migräneanfällen bei 
Tuberkulösen, von Mantoux. 12. Neuralgie oder Zahnschmerz? von Berger. 13. Exstirpation 
des Ganglion Uasseri und Keratitis neuroparalytica beim Menschen, von Weiss. 14. Über 
das Verhalten der Sensibilität im Trigeminusgebiet nach vollständiger Exstirpation des 
Ganglion Gasseri, von Pruschinin. 15. Zur Kasuistik der tiefen Resektion des 2. und 3. Trige¬ 
minusastes bei Neuralgien, von Lissowsky. 16. Ein geheilter Fall von Zygomaticus- und 
Infraorbitalneuralgie operiert nach der Bardenheuer sehen Methode (Neurinsarkoklese), von 
Grabowski. 17. Drei Fälle von Zungenneuralgie, von Hoeflmayr. 18. Über Interkostal¬ 
neuralgie, von Janowski. 19 Überein bisher unbekanntes pathognoraonisches Symptom der 
Ischias, von Gara. 20. Durch Retroflexio uteri bedingter Fall von echter Ischias, von Offer- 
geld. 21. Bemerkungen zur Diagnose und Therapie der Ischias, von Bosänyi. 22. Peri¬ 
neurale Infiltrationstherapie der Ischias, von Bum. 23. The treatment of sciatica by means 
of saline injections, by Hay. 24. Über Nervendehnung, mit besonderer Berücksichtigung 
der Neuralgien, von Reich. 25. Über unblutige Nervendehnung bei Neuritis und Neuralgie, 
von Pazeller. — Psychiatrie. 26. Klinische Beiträge zur Lehre von den Degenerations¬ 
psychosen, # von Bonhoeffer. 27. Degeneratie (eene espulatirogene correlatie stoornis), per 
Cox. 28. Über eine besondere Form von Gehörshalluzinationen bedingt durch Cerumen- 
pfropf, von Stein. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten am 11. November 1907. — XXXVIII. Versammlung der südwestdeutschen Irren¬ 
ärzte in Heidelberg am 2. und 3. November 1907. (Schluß.) — XVII. Kongreß der Psychiater 
und Neurologen Frankreichs und französisch sprechender Länder in Genf und Lausanne vom 

I. bis 6. August 1907. (Schluß.) — Österreichischer Irrenärztetag in Wien vom 4. bis 6. Ok¬ 
tober 1907. (Schluß.) 

IV. Mitteilung an den Herausgeber. 


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I. Origmalmitteilungen. 


1. Zur sakralen Form der Sclerosis multiplex. 1 

Von H. Oppenheim. 

Ich möchte Ihnen heute einen Fall demonstrieren, der eine etwas ungewöhn¬ 
liche Symptomatologie bietet und mir Anlaß geben wird, über einen speziellen 
bisher nicht genügend berücksichtigten Typus einer bekannten Krankheitsform 
zu sprechen. 

Der 46jährige Herr ist vor 12 Jahren plötzlich erkrankt mit Harnverhaltung 
und Schwäche in den Beinen. Bald trat Besserung ein, aber die Blasen- 
beschwerden blieben bestehen und äußerten sich besonders in Inkontinenz. 

Im Jahre 1906 erneuter Anfall von Blasenlähmung, er ging ins Kranken¬ 
haus. 

Im Juni d. J. dieselben Erscheinungen, dazu drückende und reißende 
Schmerzen in den Beinen, ferner Incontinentia alvi, die auch früher schon in 
leichterem Grade bestand. Seit 2 Jahren Impotenz. 

Keine cerebralen Beschwerden, nur gelegentlich etwas Schwindel 

Die geschilderten Symptome deuten ohne weiteres auf das Sakralgebiet des 
Rückenmarkes oder die aus ihm entspringenden Wurzeln der Cauda — um so 
sicherer, wenn, wie Sie an dem Gange des Patienten sehen, keine wesentliche 
Bewegungsstörung in den Beinen vorliegt. 

Und in der Tat entspricht dem das Ergebnis der objektiven Untersuchung: 
keine wesentliche Motilitätsstörung in den Beinen, keine Anästhesie an denselben, 
dagegen: völliges Fehlen des reflektorischen Sphinkterschlusses für den Anus. 
Fehlen des Analreflexes und eine leichte, aber sichere cirkumanale Anästhesie 
für Berührungen und Schmerzreize. 

Aber mit dieser Annahme einer auf den Conus beschränkten Erkrankung 
deckt sich der weitere Befund nicht. Zunächst deutet freilich das Fehlen des 
linken Fersenphänomens auf denselben Sitz, aber die Kniephänomene sind un¬ 
gewöhnlich lebhaft und es läßt sich beiderseits das BABmsKi’sche Zeichen, rechts 
das dorsale Unterschenkelphänomen auslöscn und schließlich fehlt der Bauch¬ 
reflex, der übrigens vor einiger Zeit noch schwach auslösbar war. 

Das ist der Status praesens. 

Wir müssen also doch mehrfache Herde annehmen. 

Damit kommen wir dann gleich zu einer bestimmten Diagnose. Es kann 
sich wohl nur um Lues spinalis oder multiple Sklerose handeln. 

Auch die Art der Entwicklung in Schüben, unter Remissionen und Exa¬ 
cerbationen, würde mit dieser Annahme im Einklang stehn. 

Bezüglich der Lues kann ich zunächst nur soviel sagen, daß sie in Abrede 
gestellt wird, und daß jeder Anhaltspunkt für diese Annahme fehlt 

1 Nach einer Krankendemonstration in der Novembersitzung der Berliner Gesellschaft 
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 


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Wie steht es aber mit der Diagnose Sclerosis multiplex? 

Mit unsern früheren Anschauungen würde diese Diagnose im vollen 
Widerspruch stehen. Ich habe dann aber gezeigt, daß Störungen der Blasen* 
Mastdarmfunktion nicht eine seltene, sondern eine recht häufige Erscheinung bei 
Scler. mult bilden, und es ist das von v. Frankl-Hochwabt, E. Müller u. a. 
vollauf bestätigt worden. 

Immerhin handelt es sich da meist um leichtere, temporäre Störungen, hier 
aber stehen sie im Vordergründe, hier handelt es sich geradezu um den vesiko* 
ano-genitalen Symptomenkomplex. 

Nun, mit der multiplen Sklerose ist es ja eigentümlich gegangen. Wir 
haben immer neue Spezialformen derselben kennen gelernt, deren Wesen be* 
sonders darin beruhte, daß sich das Leiden trotz seines multilokulären Charakters 
doch in einer Gruppe von Fällen in diesem Bezirk, in einer anderen in jenem 
Bezirk festsetzt, daß es häufig nicht nur von einem bestimmten Abschnitt des 
Nervensystems ausgeht, sondern auch für lange Zeit bzw. für Jahre an diesem 
festhaftet, bzw. immer wieder sich dort ansiedelt Ich erinnere Sie an die oku¬ 
läre, optische Form, an die von mir erschlossene und auf meine Anregung von 
Cassirer ausführlich beschriebene cervikale Form, an die bulbäre, cere- 
bellare usw. 

Ich möchte heute von der sakralen Form der multiplen Sklerose sprechen, 

und zwar nicht nur auf Grund dieses Falles, sondern eines halben Dutzend 

derartiger Fälle, die ich gesehen und zum Teil weiter verfolgt habe. 

Es bleibt ja hier der Einwand, daß es sich vielleicht doch um einen spezi¬ 

fischen Prozeß handelt, aber da muß ich auf meine weiteren Beobachtungen, die 
ich bald zusammenstellen zu können hoffe, verweisen. Auch möchte ich noch die Be¬ 
merkung anfügen, daß der Entwicklung der Lehre von der Sclerosis multiplex 
nichts so sehr im Wege gestanden hat, als die bei vielen Elinikem herrschende 
Tendenz, für alle möglichen sonst schwer zu deutenden Erankheitsbilder, nament¬ 
lich wenn sie zu Remissionen neigen, die Lues verantwortlich zu machen. 


2. Über die Hervorrufung von Schmerzen bei Ischias durch 
Hyperextension der Extremität und über die Unfähigkeit 

beide Beine zu strecken. 1 

Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 

Außer den längst bekannten V ALLEix’schen Schmerzpunkten ist als hervor¬ 
ragendes diagnostisches Merkmal der Ischias das LASiouE’sche Symptom zu 
nennen, bestehend in Schmerzen beim Erheben der affizierten Extremität im 
Liegen. Das BoNNET’sche Merkmal besteht im Auftreten von Schmerzen bei 
Adduktion der affizierten Extremität. 


1 In der rassischen Literatur erschien eine 
heft der Zeitschrift Obosrenie psichi&trii. 

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Beschreibung dieses Symptomes im April- 
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Als besonderes diagnostisches Merkmal der Ischias bezeichnet neuerdings 
Montabd-Mabtin das Auftreten von Schmerzen in der neuralgischen Extre¬ 
mität bei Flexion des gesunden Beines im Hüftgelenk. Diese „kontralaterale" 
Schmerzen, gewöhnlich in der Gesäßgegend oder öfter am Tuber ischiadicum, 
stellen sich nach M. bei einer Flexion der gesunden Extremität ein, deren Grad 
je nach dem Fall wechselt, gewöhnlich aber größer ist, als die Ausgiebigkeit der 
Flexion im Hüftgelenk der kranken Extremität, die nötig ist, um gleichstarke 
Schmerzen hervorzurufen. 1 

Ich habe dieses Symptom schon 1906 bemerkt und in einer Reihe von Fällen 
näher verfolgt Nach meiner Beobachtung ist es recht konstant in Fällen von 
Ischias wurzeligen Ursprunges und besonders bei Ischiasschmerzen im Anschluß 
an Neubildungen des Cauda equina-Gebietes, in welch letzterem Falle die Schmerzen 
bei Flexion des Oberschenkels der gesunden Seite in der Tiefe der Kreuzbein- 
gegend auftreten. In anderen Ischiasfällen habe ich das Symptom vermißt 

In der klinischen Praxis übe ich schon seit längerer Zeit ein Verfahren, 
das sich mir am Krankenbett als konstantes und bequemes diagnostisches Merk¬ 
mal der Ischias bewährt hat. Faßt man die kranke Extremität am Unter¬ 
schenkel und sucht man sie so zu erheben, dann flektiert der Kranke das Knie¬ 
gelenk, um so instinktiv einer Hyperextension des N. isohiadicus entgegenzu¬ 
wirken. Übt man nur mit der Hand einen Druck auf das Knie aus, um die 
Extremität gerade zu richten, so treten Schmerzen im Verlaufe des Ischiadicus 
auf, insbesondere in der Wade und am Tuber ischiadicum. Bei diesem Ver¬ 
fahren ergibt sich, daß die auftretenden Schmerzen durch Hyperextension des 
erkrankten Nerven bedingt sind. Das Flektieren des Kniegelenkes bei Erheben 
der ganzen Extremität geschieht, um einer Überdebnung des affizierten Nerven 
vorzubeugen. 

In letzter Zeit bat man mehrfach das Erscheinen des KEBNio’schen Sym- 
ptomes bei der Ischias bemerkt Auch mir ist dieses Symptom bei Ischias auf¬ 
gefallen. Es ist nach meinen Beobachtungen in allen Fällen reflektorisch be¬ 
dingt und hängt direkt von den bei Streckung oder Dehnung des Beines ein¬ 
setzenden Schmerzen ab. 

In Fällen neuralgischer Schmerzen im Bereich des Ischiadicus, die von 
Neubildungen der Cauda equina-Gegend abhängen, konnte ich mit dem ge¬ 
schilderten Handgriff Schmerzen nicht nur im Verlaufe des Nerven, sondern auch 
in der Tiefe der Lendengegend erzielen. In solchen Fällen von Erkrankung der 
Cauda equina, die mit Schmerzen im Ischiadicus des einen Beines verlaufen, 
bewirkte nicht nur Hyperextension dieses Beines bei flektiertem Knie Schmerzen 
im affizierten Ischiadicus und in der Tiefe der Sakralgegend, sondern auch Hyper- 
extension des gesunden Beines erzeugte unter gleichen Verhältnissen Schmerzen 
in der Tiefe der Sakralgegend und im affizierten Ischiadicus. 

Auch bei anderen Neuralgien ruft Hyperextension bzw. Überdehnung des 


1 Society des höpitaux zu Paris, Sitzung vom I. Februar 1907. Vcrgl. Vraiebn. gas. 
1907. S. 194. 


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N. ischiadicus, wo dies erzielbar, Schmerzen im Verlauf des Nerven hervor. Das 
Merkmal gilt daher allgemein für alle Arten der Neuralgie. 

Ferner ist mir in den einzelnen hochgradigen Fällen der Ischias eine eigen* 
tümliohe Erscheinung an der unteren Extremität aufgefallen. 

Bei schwerer Ischias kann die kranke Extremität im Sitzen gewöhnlich nur 
bis zu einem gewissen Winkel gestreckt werden (KBBNio’sches Symptom). 

Läßt man den Kranken aber das gesunde Bein ausstrecken, dann vermag 
er das kranke fast gar nicht mehr zu strecken: sucht der Kranke zuerst das 
kranke Bein auszustrecken, so vermag er nicht gleichzeitig auch das andere 
gerade zu richten. Und doch kann er jedes Bein für sich strecken, nur daß 
das kranke eine Winkelstellung des Kniegelenkes dabei behält 

Dieses merkwürdige Symptom geht, sobald die Ischiasschmerzen nachlassen, 
allmählich zurück. Es ist ein Anzeichen von schwerer Erkrankung. 

Ein damit bis zu einem gewissen Grade ähnliches Symptom beschreibt 
Grassbt bei organischen Paralysen. 1 Die betreffenden Kranken können beide 
Beine nicht gleichzeitig heben, wohl aber das gelähmte Bein für sich. 

Nach Ansicht von Bychowsky ist dieses Symptom bei Hemiplegien durch 
bilateralen Einfluß der gesunden Hemisphäre bedingt; beim Erheben der kranken 
Extremität allein sei die gesunde Hemisphäre stärker beteiligt, als in dem Fall, 
wenn beide Beine zugleich gehoben werden. Grasset bestreitet diese Auflassung; 
bei den Bewegungen spielen immer zwei Faktoren eine Bolle, nämlich einerseits 
die Muskelkraft, die zur Bewegung dient, und die Muskelkraft, deren es zur 
Fixation des Stützpunktes bei der Bewegung bedarf. Wenn jemand im Liegen 
ein Bein heben will, so stützt er sich auf den Rumpf und auf das andere Bein; 
werden aber beide Beine gehoben, dann wirkt der Rumpf allein als Stütze und 
es bedarf dann seitens der Beine einer stärkeren Anstrengung als im ersten 
Falle. 

Zum Beweise dafür betont Grasset folgendes: 1. das vom ihm beschriebene 
Symptom tritt manchmal im Anfangsstadium der Paraplegia inferior auf, wo 
also von einer Kompensation seitens der gesunden Hemisphäre keine Rede sein 
kann; 2. ein Gesunder hebt im Liegen mit einem Beine eine größere Last, als 
mit beiden Beinen; 3. hat der Kranke die gelähmte Extremität gehoben, dann 
sinkt sie wieder herab, sobald der Arzt das zweite Bein erhebt; 4. bei Hemi- 
plegikem erfolgen bilaterale Bewegungen überhaupt leichter als unilaterale; 
5. einige Kranke können beide Beine gleichzeitig heben, wenn man durch Druck 
auf die Crista ileum ihnen hilft, das Becken zu fixieren. 

Was das von mir beschriebene Symptom betrifft, so liefert weder Bychowsky’s 
noch Grasset’s Auffassung dafür eine Erklärung. In meinem Falle konnte von 
einer gesunden oder kranken Hemisphäre nicht die Rede sein, sondern beide 
waren gesund, und es handelte sich um eine periphere Affektion. Grasset’s 
Erklärung ist hier unzulänglich, denn das Symptom wurde in meinem Falle bei 
sitzender Haltung beobachtet, wo beim Erheben eines oder beider Beine der 
Stützpunkt derselbe bleibt. 

1 Revue neurolog. 1907. Nr. 6. 

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Die Entstehungsweise des von mir beschriebenen Symptomes hängt, wie es 
scheint, zusammen mit der Verteilung der Innervation bei einseitiger und zwei¬ 
seitiger Muskelkontraktion. Durch den Druck einer Hand können wir am 
Dynamometer eine größere Wirkung erzielen, als bei gleichzeitigem Zusammen¬ 
drücken beider Hände. Das gleiche gilt von den Extremitäten. Bei der Ischias 
ist die motorische Kraft der kranken Extremität unzweifelhaft herabgesetzt, was 
auch objektiv (auf Widerstand z. B.) nachweisbar ist und nicht selten Hinken 
erzeugt. Infolge dieser Herabsetzung der Muskelkraft kann die kranke Extre¬ 
mität für sich gestreckt werden; wird aber der Versuch gemacht, gleichzeitig 
auch das gesunde Bein auszustrecken, dann reicht der Innervationsstrom nicht 
mehr hin, um auch das kranke in gestreckter Lage zu erhalten. Wurde zuerst 
das gesunde Bein ausgestreckt, dann erweist sich die Innervationsenergie bei dem 
Versuch, das kranke Bein zu heben, bei ihrer bilateralen Verteilung nicht stark 
genug, um das kranke Bein gerade zu streoken. 

Jedenfalls aber ist das hier erörterte Symptom, soviel ich weiß, bei der 
Ischias bisher nicht bemerkt worden; es verdient als neues diagnostisches Merk¬ 
mal schwerer Ischiasformen beachtet zu werden. 


[Ans dem Nervenambulatorium der Poli&mbalanz zu Triest.] 

(Vorstand: Prof. Dr. A. Marina..) 

3. Traumatische Rückenmarksblutung bei beginnender 

Tabes dorsalis. 

Von Dr. Giovanni Sais. 

Es erscheint mir der vorliegende Fall einer Veröffentlichung wert, da er 
die Kombination einer Systemerkrankung und einer akuten akzidentellen Bücken¬ 
markserkrankung wiedergibt 

Anamnese. Es handelt sich um einen 40jährigen intelligenten Maurer. 
Vater Potator. Patient fiel mit 5 Jahren von einem Baum herunter und trug 
eine Verletzung an der rechten Supraorbitalgegend davon. Ob er Kommotions- 
erscheinungen dargeboten hat, ist nicht bekannt. Bis zum 25. Jahre schwerer 
PotuB (drei und mehr Liter Wein), in den letzten 15 Jahren mäßiger Alkohol¬ 
genuß. Mit 20 Jahren Tripper, mit 32 Schanker ohne Sekundärerscheinungen: 
wurde örtlich behandelt. Sonst stets gesund. 

Am 15./XU. 1906 stürzte er von der II. Etage eineB Neubaues herunter. 
Er stieß zunächst gegen das Gerüst des ersten Stockwerkes und fiel dann auf 
die Straße hinab. War durch 1 / 2 Stunde bewußtlos; kein Erbrechen. Er kann 
nicht angeben, wie er gefallen sei. Er trug eine Fraktur der linken Fibula in 
der Supramalleolargegend und eine Riß- und Quetschwunde an der linken Ohr¬ 
muschel davon. Einige Blutstropfen quollen aus dem linken äußeren Gehörgang 
hervor. Als er wieder zu Bewußtsein kam, merkte er sofort, daß der linke Arm 
vollständig gelähmt war, und daß er den Muud nur auf wenige Millimeter öffnen 
konnte. Eine Verletzung der Knochen und Gelenke konnte nicht nachgewiesen 
werden; der radioskopische Befund war negativ. 

An den unteren Extremitäten wurde ein Gipsgehverbond angelegt^ und die 


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Fraktur war nach 40 Tagen geheilt. Die Lähmung der oWeu Extremität 
blieb zum Teil hartnäckig bestehen; im Laufe der nächsten Wochen nahm zwar 
die Hand- und Vorderarmmuskulatur ihre Funktion teilweise wieder auf, aber der 
Oberarm blieb gelähmt. Dabei fehlten Parästhesien und Schmerzen vollständig. 
Erst 1 Monat nach dem Trauma traten durch einige Tage — zur Zeit der strengen 
Winterkälte — ganz leichte Schmerzen an der Außen- und Innenseite des linken 
Oberarmes auf, doch diese verschwanden spurlos. Nach 2 1 / 2 Monaten klagte Pat. 
durch zwei Wochen über Stiche an der Dorsalfläche der Mittel- und Endphalanx 
des linken Zeigefingers; doch auch diese Schmerzen traten bald vollständig zurück. 
Erscheinungen von seiten der rechten oberen Extremität und von seiten der 
unteren Extremitäten fehlten, ebenso fehlten Hlasen-Mastdarmstörungen vollständig. 

Der NervenstatuB wurde wiederholt, zum erstenmal 15 Tage nach dem Trauma, 
aufgenommen. Der Befund war im großen ganzen stets derselbe. Ich gebe hier 
einen Auszug aus dem letzten 

Status praesens wieder (3i/IV. 1907). 

Wohlgenährter kräftiger Mann. Kopfperkussion nicht empfindlich. 

N. olfactorius o. B. 

Linke Pupille um 1 / 3 weiter als die rechte (doch schwankte dieses Verhalten 
sehr; an manchen Tagen war umgekehrt die rechte Pupille weiter als die linke). 
Beide unregelmäßig. Die rechte Pupille ist vollständig lichtetarr; die linke 
reagiert auf Licht sehr träge und mit minimaler Exkursion. Beide reagieren 
prompt auf Akkommodation und Konvergenz. Fundus und Gesichtsfeld normal. 

Bulbusbewegungen frei. Kein Nystagmus. 

Sensibler Trigeminus o. B. Kornealreflex prompt. 

Kraft der Kaumuskulatur gut erhalten. Masseterenreflex vorhanden, nicht 
gesteigert. Bei geöffnetem Munde deutliche Abweichung des Unterkiefers nach 
links. (In den ersten 2 Monaten bestand Unvermögen den Mund weit zu öffnen 
[auch passiv]; Patient konnte den Unterkiefer nur auf wenige Millimeter vom 
Oberkiefer entfernen.) Fazialis symmetrisch. 

Vestibularis und Cochlearis o. B. 

Zungenbewegungen frei. Zunge nicht atrophisch. Keine Bißnarbe. 

Schlucken normal. 

Linke obere Extremität: Erhebliche Atrophie der Mm. deltoides, biceps, 
brachialis, sup. long. und triceps. Die Konturen dieser Muskeln sind fast voll¬ 
ständig verschwunden. Die Funktion dieser Muskeln ist vollständig aufgehoben. 
Leichte Atrophie der Mm. supra-infraspinatus, serratus, rhomboidei. Fibrilläre 
Zuckungen nicht nachweisbar. Parese dieser Muskeln sowie des M. subscapularis, 
Pectoralis und Latissimus dorsi, der Pro- und Supinatoren, sowie aller Vorder¬ 
arm-, Hand- und Fingermuskeln. Leichte Parese des Cucullaris und Lev. ang. scap. 
Alle letztgenannten Muskeln bewahren ihr normales Volumen. 

Elektrische Untersuchung: Vollständige Entartungsreaktion im Deltoi- 
deus, Biceps, Brachialis; unvollständige Entartungsreaktion (sehr träge Zuckung 
bei direkter galvanischer Beizung; keine Zuckung bei indirekter galvanischer 
Beizung; minimale Zuckung bei faradischer Beizung) am Sup. long. und Triceps. 
Quantitative Veränderungen (leichte Herabsetzung der Erregbarkeit bei prompter 
Zuckung) an allen Vorderarm-, Hand- und Fingermuskeln; leichte Steigerung der 
elektrischen Erregbarkeit (bei prompter Zuckung) im N. accessorius und im 
M. cucullaris. 

Die Lähmung ist schlaff. Der Trizepsreflex fehlt links, ist rechts deutlich 
vorhanden. Der Skapularreflex von Bechterew fehlt beiderseits. Periostreflex 
vom Badiusende symmetrisch. 

Handklonus links. 

Sensibilität: Berührungen werden überall gut empfunden und richtig 


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lokalisiert. Nur am Daumen und Zeigefinger ist der Lokalisationsfehler im Durch¬ 
schnitt etwas größer als rechts. Analgesie und Thermanästhesie im Bereich 
des Daumens, Zeigefingers, teilweise auch des Mittelfingers (vorwiegend die radiale 
Hälfte desselben, und zwar alle 3 Phalangen betreffend), im Bereich der radialen 
Hälfte des Vorderarmes und der Außenseite des Oberarmes. Die Thermanalgesie 
reicht bis 5 Querfinger unter dem Akromion (in den ersten 2 Monaten nach dem 
Unfall reichte die Thermanalgesie bis zum Akromion). An der oberen Grenze 
des thermanalgetischen Feldes ist keine hyper ästhetische Zone nachweisbar. Im 
Bereich der Thermanalgesie besteht Pallanästhesie. Bathyästhesie normal 
Stereognose geschädigt wegen der Parese der Handmuskeln. 

Die Plexus brachialis sind beiderseits oberhalb des Schlüsselbeines ganz 
leicht druckempfindlich. 

Die Haut an der Dorsalfläche aller Finger ist atrophisch, gespannt, faltenlo6, 
glänzend. 

Callus an der linken Fibula oberhalb des Malleolus ext. An den unteren 
Extremitäten besteht leichte Hypotonie. Sonst ist die Motilität, Sensibilität 
(auch Bathyästhesie) an den unteren und an dem rechten oberen Gliedmaße 
normal. Die Nervenstämme an den unteren Extremitäten sind nicht druck¬ 
empfindlich. Rein Las&gue. 

Pate Harr eflexe: rechts mit Jendrassik spurweise erhältlich, links erloschen. 

Achillessehnenreflex: fehlt beiderseits. 

Schmerz auf Druck der Achillessehne gering (Abadib). 

Sohlenreflex beiderseits plantar. 

Abdominal- und Kremasterreflex prompt. 

Es besteht kein Tremor, keine Ataxie, kein Romberg. Sprache o. B. 

Innere Organe o. B. Herztöne rein. Mäßige Arteriosklerose. 

Wir wollen zunächst von der Papillenstarre und den fehlenden Sehnen¬ 
reflexen an den unteren Extremitäten absehen und wenden unser Augenmerk 
auf die Lähmung der linken oberen Extremität. 

Es besteht daselbst vollständige schlaffe Lähmung mit Atrophie und Ent¬ 
artungsreaktion an den vier vom EnB’schen Punkt aus erregbaren Muskeln 
(Deltoideus, Bizeps, Brachialis, Sup. long.), sowie am Trizeps. Schulter¬ 
gürtel-, Vorderarm- und Handmuskeln sind paretisch. Der Trizepsreflex fehlt; 
es besteht Handklonus. Außerdem ist eine dissoziierte Empfind ungslähmung im 
Bereich der radialen Hälfte der linken oberen Extremität nachweisbar. 

Sitzt die Läsion im Plexus brachialis, in den Wurzeln oder im Rücken¬ 
mark? 

Gegen eine Plexusläsion spricht die Gruppierung der paretischen Muskeln. 
Eine Plexusläsion könnte uns die Lähmung der Oberarmmuskeln und die Parese 
der Hand- und Vorderarmmuskeln erklären. Doch finden wir hier eine Parese 
der Rhomboidei, des Serratus, des Cucullaris und des Lev. ang. Die zwei letzten 
Muskeln werden vom N. accessorius innerviert und könnten daher bei einer 
Läsion, welche bloß den Plexus brachialis betrifft, nicht in Betracht kommen. 
Aber auch schon das Mitergriffensein des Serratus und der Rhomboidei spricht nach 
einigen Autoren (Gbenet, W abrington und Jones) für eine höher sitzende 
(inter- oder intravertebrale) Läsion, weil die entsprechenden Nerven (N. thoracicus 
longus für den Serratus und N. dorsaüs scapulae für die Rhomboidei) schon 
hochoben vom Plexus abgehen. 

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Ferner spricht gegen eine Plexusläsion das vollständige Fehlen von Par- 
ästhesien und das völlige Zurücktreten von Schmerzen. Die leichten vorüber¬ 
gehenden Schmerzen in einem umschriebenen Gebiet müssen eher auf die strenge 
Winterkälte und auf die Cirkulationsstörungen in der gelähmten Extremität 
zurückgeführt werden. Der Plexus ist kaum druckempfindlich; übrigens bestand 
dasselbe Verhalten auch auf der gesunden Seite! Auch die dissoziierte Em¬ 
pfindungslähmung spricht im Verein mit den anderen Faktoren gegen den Sitz 
im Plexus. 

Eine Wurzelläsion ist aus denselben Gründen abzulehnen. Bei den 
Wurzelläsionen treten Reizerscheinungen in den Vordergrund, lanzinierende 
Schmerzen, Parästhesien, Hyperästhesien, Spasmen, Reflexsteifigkeit der Wirbel¬ 
säule, während hier die Lähmungserscheinungen durchaus das Krankheitsbild 
beherrschen. Die Wirbelsäule war stets frei beweglich; Schmerzen in der 
Gegend der Halswirbelsäule traten nie auf. 

Wenn wir den Prozeß in das Rückenmark verlegen, so werden uüs alle 
Symptome, die Patient darbietet, leicht verständlich. Wir müssen einen Herd 
annehmen, der die graue Substanz im Bereich des 5. und 6. linken Cervikal- 
segmentes zerstört, denn wir finden atrophische Lähmung mit Entartungsreaktion 
im Bereich der vom EsB’schen Punkt aus erregbaren Muskeln. Es wird uns 
auch die Läsion der Rhomboidei, Serratus, Supra-Infraspinatus, Pectoralis ver¬ 
ständlich, weil diese den größten Teil ihrer Fasern aus diesen Segmenten be¬ 
ziehen. Die atrophische Lähmung mit Entartungsreaktion des Trizeps deutet 
uns das Mitergriffensein des Vorderhorns des 7. Halssegmentes an. 

Die dissoziierte Empfindungslähmung im Bereich der radialen Hälfte der 
linken oberen Extremität (Thermanalgesie und Pallanästhesie bei intakter tak¬ 
tiler Empfindung und Bathyästhesie) findet in der Zerstörung des Hinterhorns 
des 5. bis 7. linken Halssegmentes ihre Erklärung. 

Die Parese der Vorderarm-, Hand- und Schultergürtelmuskulatur muß als 
indirektes Herdsymptom aufgefaßt und auf Cirkulationsstörungen, auf den Druck, 
den der primäre Prozeß auf die zunächst höheren und tieferen Segmente ausübt, 
zurückgeführt werden. Eine Parese des Diaphragma, welche bei Kompression 
des vierten Cervikalsegmentes auch mit in Frage käme, konnte nicht festgestellt 
werden. Doch ist dies ein Symptom, welches sich allzu leicht der Beobachtung 
entzieht Die Parese des Lev. ang. scap. und des Cucullaris wäre auf die Be¬ 
einträchtigung, welche die Ursprungskerne der spinalen Accessoriuswurzel, die 
ja bis in das 3. Cervikalsegment bin unterreicht, durch Cirkulationsstörungen oder 
durch Kompression von Seiten des primären Erkrankungsberdes erleiden, zurück¬ 
zuführen. 

Den Handklonus können wir vielleicht damit erklären, daß der Erkrankungs¬ 
herd im Bereich der grauen Substanz die angrenzenden Fasern der Pyramiden¬ 
seitenstrangbahn in Mitleidenschaft zieht Nun sind gerade diejenigen Pyramiden¬ 
fasern, welche mit den nächst unteren Vorderhörnern in Beziehung treten, der 
grauen Substanz naturgemäß am nächsten und diese werden daher am ehesten 
geschädigt werden. Die Läsion der Pyramidenfasem hat den Klonus zur Folge. 


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Der Klonus wäre in unserem Falle als indirektes Herdsymptom aufzufassen. 
Damit stimmt auch das starke Schwanken der Intensität dieses Symptoms gm 
überein; an manchen Tagen kaum auslösbar, trat der Klonus an anderen Tagen 
fast spontan anf. Sollte dieser Befund in anderen ähnlichen Fällen Bestätigung 
finden, so könnte dieses Zeichen eine gewisse Bedeutung erlangen zur Diagnose 
von Prozessen, welche in den grauen Hinterhörnern des 5. bis 7. Cervikalsegmentes 
sich befinden. 

Das plötzliche, geradezu apoplektiforme Einsetzen aller Erscheinungen nach 
einem Trauma, läßt mit Sicherheit die Diagnose auf eine Blutung stellen. 
Die Erweichung, Myelomalacie, würde uns nicht die elektive Zerstörung der 
grauen Substanz erklären. Alle anderen Prozesse, die eventuell in Frage kommen 
könnten, selbst die akute Myelitis, verlaufen viel langsamer. Es ist bekannt, 
daß Rückenmarksblutungen vorwiegend die graue Substanz betreffen, und daß 
die Halsanschwellung einen Prädilektionsort für diese Blutung abgibt Es ist 
möglich, daß die bestehende mäßige Arteriosklerose (falls sie sich auch auf die 
Rückenmarksarterien erstrecken sollte) beim Zustandekommen der Blutung be¬ 
günstigend gewirkt hat. Nach Doerb spielen bei der spontanen Rückenmarks- 
blntung Veränderungen der Gefäßwände gar keine Rolle. — Die Blatung 
würde die graue Substanz des linken 5., 6. und teilweise auch des 
7. Cervikalsegmentes zerstört haben. 

Nun bietet Patient rechts das ABGYLL-RoBEBTSON’sche Phänomen und auch 
links ist die Licbtreaktion äußerst dürftig, während die Konvergenzreaktion und die 
akkommodative Reaktion gut erhalten ist. Einige Autoren, in erster Linie Bach, 
lokalisieren das Pupillenreflexcentrum im untersten Abschnitt der Med. oblong, 
oder im obersten des Halsmarkes. Wir müssen erwägen, ob nicht die Hämato- 
myelie dieses hypothetische Centrum, das im Hinterstrang, zwischen dem Gonn- 
schen und BunDACH’schen Strang, in der sogen. BECHTEBEw’schen Zwischenzone 
zu suchen wäre, zerstört oder wenigstens dessen Funktion indirekt beeinträchtigt 
haben könnte. Wir müssen eine solche Auffassung von vornherein ablehnen, 
weil Patient das AnoYLn-RoBEBTSON’sche Phänomen beiderseits darbietet, sogar 
auf der rechten gesunden Seite in noch höherem Grade als auf der linken 
Seite, der Seite der Rückenmarksläsion. Übrigens verhält sich die Mehrzahl der 
Autoren gegenüber der Rolle, welche die BECHTEREw'sche Zwischenzone für das 
Zustandekommen des Pupillenlichtreflexes spielen sollte, recht skeptisch gegen¬ 
über. Denn die meisten neigen zur Annahme eines cerebralen und eines peri¬ 
pheren Pupillenreflexoentrum8, welch letzteres im Ganglion ciliare zu 
suchen ist 


Unser Patient bietet außer dem ABGYLL-RoBEBTSON’schen Phänomen das 
WESTPHAii’schen Zeichen (links fehlt der Patellarsehnenreflex vollständig, rechts 
mit Jendbassik spur weise erhältlich); Achillessehnenreflexe fehlen beiderseits.. Der 
Schmerz auf Druck der Achillessehne ist sehr gering (Abadie). Es besteht 
beiderseits Hypotonie. Wir haben allen Grund, die Koexistenz eines tabischen 
Prozesses anzunehmen, welcher mit dem vor 8 Jahren akquirierten Ulcus in 
Beziehung zu bringen ist. Sicherlich bestand die Tabes schon vor dem Trauma 


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und sie wurde gleich bei der ersten Untersuchung nach dem Trauma festgestellt. 
Multiple kleine ftlutungen im Rückenmark als Ursache des Erloschenseins der 
Reflexe anzunehmen, erscheint gekünstelt, um so mehr als man das Abgyll- 
RoBBBTsoN’sche Phänomen damit auch erklären müßte. Ich erwähne ausdrück¬ 
lich, daß Patient nie an lanzinierenden Schmerzen gelitten hat, nie Blasen¬ 
störungen, Parästhesien, Krisen, Doppeltsehen usw. dargeboten hat. Objektiv 
ist auch die tiefe Sensibilität und die Schmerzempfindlichkeit an den unteren 
Extremitäten normal, der Augenhintergrund ist intakt. Nichtsdestoweniger er¬ 
scheint mir die Diagnose Tabes zur Genüge erhärtet 

Wir sehen somit hier eine Hinterstrangsklerose, welche zurzeit 
vorwiegend das Lendenmark betrifft, mit einer Blutung in der 
grauen Substanz des Halsmarkes vereint. 

Patient konnte dnrch 2 Monate den Mnnd nicht öffnen; jetzt bemerkt man 
bei geöffnetem Munde eine deutliche Abweichung des Unterkiefers nach links. 
Man hätte einen Augenblick daran denken können, ob nicht der hämorrhagische 
Herd im 5. bis 7. Cervikalsegment die spinale Trigeminuswurzel, welche in den 
obersten Cervikalsegmenten nachweisbar ist, gereizt und dadurch Trismus bedingt 
haben könnte. Doch muß man diese Annahme ohne weiteres fallen lassen, weil 
die spinale Trigeminuswurzel eine rein sensible Bahn ist. Die motorischen Fasern 
des Trigeminus stammen auB dem Nucleus masticatorius und aus der cerebralen 
Trigeminuswurzel. Nach meinem Erachten lag hier eine Infraktion der knöchernen 
Wand des linken äußeren Gehörganges vor. Diese Infraktion kommt durch 
Traumen zustande, welche den Unterkiefer von der Seite treffen und gibt sich in 
dem Unvermögen den Mund zu öffnen kund. Der otoskopische Befund, welcher 
jedoch leider erst 3 Monate nach dem Unfall aufgenommen wurde, ergab normales 
Verhalten des äußeren Gehörganges. Doch muß man bedenken, daß sofort nach 
dem Trauma einige Blutstropfen aus dem äußeren Gehörgang geflossen waren; 
auch die Abweichung des Unterkiefers nach links läßt auf eine Läsion schließen, 
welche nur die linke Seite betrifft und somit dem rechten M. pterygoideus ext. 
ein Übergewicht gegenüber dem linken verschafft. Der M. pteryg. ext. schiebt 
bekanntlich den Unterkiefer nach der entgegengesetzten Seite. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. Mabina für die Unter¬ 
stützung sowie für die liebenswürdige Überlassung des Falles meinen ergebensten 
Dank auszusprechen. 

4. Vaguslähmung (vorzugsweise Kehlkopfmuskellähmung) 

bei Syringobulbie. 1 
[Vorläufige Mitteilung.] 

Von Dr. N. S. Iwanow, 

Assistenten der Universitäts-Nervcnklinik zu Moskau. 

In den ersten Arbeiten über Syringomyelie (Roth, Kahleb, Schultz u. a.) 
sind bereits Bulbärsymptome erwähnt. Eine ausführliche Beschreibung und 
Abgrenzung eines besonderen Typus dieses Leidens — der Syringobulbie — 
finden wir zuerst in Schlesingeb’s Monographie. Aber auch bis jetzt existiert 

1 Vortrag auf dem Pirogotfschen Ärztekongreß am 30. April 1907. 

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die Syringobulbie nicht als selbständige Krankbeitsform, sie gilt bloß dann als 
erwiesen, wenn die Symptome der Syringomyelie vorhanden änd. Im Laufe 
der letzten 3 Jahre hatte ich Gelegenheit 40 Fälle von Syringobulbie zu sammeln, 
die ich demnächst veröffentlichen werde. Hier liegt es mir daran, eine eigen¬ 
artige Kehlkopfmnskelstörung zu beschreiben. Nach Sohlbsingrb läßt die 
Rekurrenslähmang bei Syringomyelie dieselben Stadien erkennen, wie eine 
centrale Rekurrenslähmung aus anderen Ursachen, zuerst scheint Postikuslähmung 
aufzutreten, der dann rasch komplette Rekurrenslähmung folgt. Die Lähmungen 
sind bei Syringomyelie, im Gegensatz zur Tabes, in der Regel nur einseitig. 
Eine derartige stereotype Affektion der Kehlkopfmuskeln bei den verschiedensten 
Erkrankungen der Medulla oblongata erweckte in mir Zweifel. Mit Rücksicht 
auf den langsam fortschreitenden Krankheitsprozeß und auf die Ausdehnung des 
Vaguskemes war bei der Syringobulbie ein der Gliosis der Vorderhömer 
analoges Krankheitsbild zu erwarten, und zwar mehr oder minder starkes Be¬ 
fallensein einzelner Muskeln bei Intaktheit der übrigen vom selben Nerv ver¬ 
sorgten. Von diesem Gesichtspunkte aus wurden meine Kranken vom Laryngo- 
logen Dr. A. Th. Iwanoff untersucht Unsere Erwartungen wurden bald be¬ 
stätigt: 35 Patienten mit Syringobulbie (im Ganzen waren ihrer 40) wurden 
laryngologisch untersucht Bei 28 waren Kehlkopfstörungen vorhanden. Ver¬ 
gleichsweise sei erwähnt, daß Lamacq bei 52 aus der Literatur gesammelten 
Fällen von Syringobulbie 21 mal, Schlesingeb 12 mal Kehlkopfstörungen ge¬ 
funden haben. Doppelseitige Lähmung traf Schlesingeb bei einem seiner 
Patienten und 5 mal in der Literatur. Ich fand unter meinen Fällen 12 mal 
doppelseitige Kehlkopflähmung. Rekurrenslähmung mit anfänglicher Postikus¬ 
lähmung oder ohne sie halten Schlesingeb u. a. für typisch bei der Syringo¬ 
bulbie, ich fand nur in 7 Fällen das typische, in 21 Fällen ein atypisches Bild. 
Letzteres ist aber meiner Meinung nach für die Syringobulbie charakteristisch. 
Auf Grund meiner Fälle komme ich zu folgendem Schluß: der Syringobulbie 
ist eine elektive Störung einzelner Kehlkopfmuskeln oder Muskelgruppen eigen, 
z. B. Lähmung der Mm. thyreoarytaenoidei interni oder M. postici plus Lähmung 
noch eines Muskels oder fast völlige Lähmung des N. recurrens, wobei irgend 
ein Muskel oder bloß einzelne Muskelbündel erhalten sind oder schließlich Läh¬ 
mung des N. recurrens auf einer Seite plus Lähmung irgend eines Muskels auf 
der anderen Seite. In meinen Fällen waren die Mm. interni am häufigsten 
ergriffen; eine Postikuslähmung ohne gleichzeitige Lähmung eines anderen Muskels 
habe ich keinmal gefunden. Ich führe beispielsweise 3 Fälle an: 

1. Typische Syringomyelie mit partieller Empfindungslähmung, Muskel¬ 
atrophie, Skoliose usw., von seiten der Hirnnerven sind befallen: VII. d., V., IX. 
und X. utriusque. Das Gaumensegel wird beim Phonieren nach links hinüber¬ 
gezogen. Schwache Stimme. Schlingstörungen. Keblkopfuntersnchung (13./V. 
1905): mäßiger Grad von Lähmung der Mm. interni und transversi beiderseits, 
links sind die Lähmungen stärker ausgeprägt: 31./IIL 1907: Zur Lähmung der 
Mm. interni und transversi beiderseits bat sich eine Parese des N. recurrens sin. 
hinzugesellt. 

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2. Humeroscapulartypus der Syringomyelie. Von Hirnnerven sind betroffen 
X., XI. und XII. Schluckbeschwerden. Lähmung der linken und Parese der 
rechten Gaumensegelhälfte, heisere, näselnde Sprache. Laryngoskopische Unter¬ 
suchung: bei völliger Lähmung der linken Kehlkopf hälfte ist die Beweglichkeit 
des Apex cartilaginis arytaenoideae erhalten. 

3. Der sjringomyelitische Prozeß hat das ganze Halssegment und fast das 
ganze Dorsalsegment des Rückenmarkes ergriffen. Von Hirnnerven sind links 
affiziert: V., VH., IX. und X. und beiderseits N. XI. Das Gaumensegel ist 
normal. Keine Schluckbewerden. Laryngoskopische Untersuchung: 11./XII. 1906 
Paralysis n. recurrentis sin. ohne Abweichung nach links. 15./I. 1907 Beweg¬ 
lichkeit des linken Stimmbandes gebessert, letzteres ist deutlich ausgebuchtet 
(Paral. m. interai). Die Bedeutung der angeführten Kehlkopfstörungen für die 
Diagnose der Syringobulbie kann dadurch illustriert werden, daß Dr. A. Th. Iwa¬ 
now auf Grund dieses Symptomes bei zwei Patienten in der Klinik für Hals¬ 
krankheiten Syringobulbie annahm. Diese Diagnose wurde von mir nach Unter¬ 
suchung des Nervensystems bestätigt Ohne die Bedeutung dieses Symptomes 
zu überschätzen — es ist nicht für die Syringobulbie ausschließlich pathogno- 
monisch, sondern kommt auch bei anderen Erkrankungen vor, z. B. bei der 
progressiven Bulbärparalyse —, muß jedoch zugegeben werden, daß dieses Sym¬ 
ptom die Diagnose Syringobulbie erleichtert 

Gaumensegellähmung beobachtete ich 32mal; in 26 Fällen war sie ver¬ 
gesellschaftet mit einseitiger Lähmung der Stimmbänder; in 12 Fällen fehlte 
die VII-Lähmung, aber selbst in den Fällen, wo sie vorhanden war, bestand 
gleichseitige Lähmung des Gaumensegels und der Stimmbänder. Meine Fälle 
sprechen für die Abhängigkeit der Innervation des Gaumensegels vom Vagus. 
In 10 Fällen wurden Schlingbeschwerden, in 5 Fällen Störungen der Herztätig¬ 
keit konstatiert In meinen Fällen steht, entgegen der herrschenden Ansicht, 
an erster Stelle die Affektion des Vagus, nicht die des Trigeminus — ersterer 
war 32 mal in 40 Fällen, letzterer 28mal betroffen. 

Zum Schluß einige Worte über das SEMON’sche Gesetz: bei progressiven 
organischen Erkrankungen der Kehlkopfnerven oder ihrer Centren werden vor 
allem, oder sogar ausschließlich, die Stimmbanderweiterer betroffen. Im Laufe 
von 30 Jahren widersprach diesem Gesetz nur ein einziger Fall von R. Saundybd 
und S. Hewetson (1904) und selbst dieser Fall wurde, im November v. J., von 
Rosenbach widerlegt Meine Fälle zwingen zur Annahme, daß dieses Gesetz 
einer Durchsicht bedarf, da in der Mehrzahl die Adduktoren der Stimmbänder 
erkrankt, die Abduktoren normal waren. Letzterer Umstand ist eine natürliche 
Folge des pathologisch-anatomischen Prozesses. Da bloß ein Stimmbanderweiterer, 
jedoch einige Adduktoren vorhanden sind, so ist es klar, daß letztere im Vagus¬ 
kerne durch eine größere Zahl von Zellen repräsentiert werden. Bei der be¬ 
trächtlichen Ausdehnung des Kernes können die Zellen und Nervenfasern, welche 
die Adduktoren versorgen, häufiger durch den pathologischen Prozeß in Mit¬ 
leidenschaft gezogen werden, als die Abduktoren, besonders, wie aus unseren 
Fällen ersichtlich, zu Beginn des Leidens. 

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II. Referate. 


Anatomie. 

1) Über den zeitigen Aufbau der Nervenfasern auf Grund mikrohisto- 
ohemischer Untersuchungen. I.Teil: Die ohem. Bestandteile des Nerven- 
markes, ihr mikroohem. und färberisches Verhalten, von Dr. F. Reich. 
(Journ. f. Psychol. u. Neur. VIII. 1907.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Die Arbeit wird von jedem, der sich wissenschaftlich mit mikroskopischer 
Technik beschäftigt, mit großer Freude begrüßt werden. Sie bringt in dem vor¬ 
liegenden ersten Teile eine Reihe wichtiger Aufschlüsse über die physiologisch¬ 
chemischen Eigenschaften der Substanzen der Markscheide und deren Darstellungs¬ 
weise. Diese Substanzen sind das Cholesterin, Lecithin, Protagon, das 
Neurokeratin und das seiner chemischen Einheitlichkeit bereits entkleidete 
Cerebrin. Alle diese Substanzen sind hinsichtlich ihrer Kristallisationsformen 
und ihrer Löslichkeitsverhältnisse von Reich genau untersucht worden. 

Besonders interessant sind seine Versuche über den mikrochemischen und 
färberischen Nachweis der Myelinstoffe, weil diese eine praktische Bedeutung für 
unsere Färbetechnik besitzen. Die wichtigsten Resultate seiner Arbeit faßt er in 
folgenden Sätzen zusammen: 

Das Cholesterin ist löslich in Äther und erwärmtem Alkohol, weniger lös¬ 
lich in kaltem Alkohol. Es ist erkennbar an der Form Beiner Kristalle, deren 
Doppelbrechungsvermögen und an bestimmten chemischen Farbreaktionen. Gegen 
die üblichen Färbungen verhält es sich völlig negativ. 

Das Lecithin ist leicht löslich in Äther und Alkohol, es bildet myelinartige 
Quellungsfiguren bereits in kaltem Wasser, es besitzt ein Doppelbrechungs¬ 
vermögen, das vom Grade seiner Quellung abhängig ist; es gibt nach voraus¬ 
gegangener Müller-Härtung eine der Weigertschen Markscheidenfärbung 
entsprechende Färbung mit Hämatoxylin und eine ähnlich beständige und in¬ 
tensive Färbung mit Säurefuchsin. Es nimmt bei Osmiumbehandlnng eine 
grauschwarze Farbe an. 

Das Protagon besteht in reinem Zustande au6 Kristalldrusen. Es ist un¬ 
löslich in kaltem Alkohol und Äther, löslich in einem auf 45° erwärmten 
Alkohol. Es wird von Thioninlösung metachromatisch in karmoisinrotem 
Farbenton gefärbt. 

Diese metachromatische Färbung des Protagons ist eine Entdeckung von Be¬ 
deutung. Durch pathologische Prozesse wird nämlich die Markscheide chemisch 
in ihre Komponenten zerlegt; der eine ihrer Zerfallsstoffe ist das Lecithin, welches 
durch Osmium schwärzbar ist. Durch diese Eigenschaft ist dieser Körper neben 
dem Fett zum Substrat der für pathologisch-anatomische Zwecke so wichtigen 
Osmiummethoden geworden, unter denen die Marchische obenan steht. Ein 
anderes Zerfallsprodukt ist das Protagon, welches durch seine metachromatische 
Färbung mit violettstichigen blauen Anilinfarbstoffen ein Indikator für degenerative 
Prozesse werden kann. „Es ist Aussicht vorhanden, daß es bei weiterer Ver¬ 
vollkommnung der Methode gelingen wird, die Osmiummethode mehr oder weniger 
durch Anwendung des Thionins und ähnlicher Farbstoffe zu ersetzen, indem man 
nunmehr statt der Darstellung des Fettes die Darstellung des Protagons zum Nach¬ 
weise der Degeneration benutzt.“ Ref. kann diese Ansicht des Verf.’s aus eigener 
Erfahrung vollauf bestätigen. Die Metachromasie des Protagons ist unter Um¬ 
ständen sogar ein viel feinerer Indikator als die Osmiumschwärzung des Fettes; 
nur muß man auf jede Einbettung des Materiales, sei es in Paraffin oder in 
Celloidin bzw. Photoxylin, verzichten, weil durch die Entwässerungsprozeduren 
mit Alkohol und besonders durch die der Colloidineinbettung vorangehende Durch- 

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tränkuog mit Ätheralkohol das Protagon ganz oder zu einem großen Teile ex¬ 
trahiert oder seiner Färbbarkeit beraubt wird. An Gefrierschnitten von formol- 
fixierten Gewebsblöcken gelingt die Farbreaktion aber stets. Der Referent benutzt 
anstelle des vom Autor bevorzugten Tbionins einen Farbstoff, welcher zu Oxazinen 
gehört, das Cresylviolett RR oder R extra. Dieser wegen seiner metachroma¬ 
tischen Eigenschaften auch sonst geschätzte Körper färbt das Protagon in einem 
leuchtenden hellroten Farbton auf blauem Grunde. Außer den größeren Farben¬ 
kontrast besitzt er vor dem Thionin noch den Vorzug, daß die Präparate viel 
länger haltbar bleiben. 

2) Sol nucleo di origine del faoiale superiore, per A. Gianelli. (Rivista di 

Patol. nervosa e mentale. XI. 1906.) Ref.: E. Oberndörffer (Berlin). 

ln der Arbeit wird die anatomische Untersuchung eines Falles mitgeteilt, 
bei welchem 50 Jahre vor dem Tode der Stirnast des Facialis bei der Operation 
einer Cyste durchschnitten worden war. Es fand sich eine leichte Rarefikation 
der Fasern auf einigen Schnitten durch das Knie des Facialis, vor allem aber 
eine deutliche Atrophie eineB Kernes, der in einer Einsenkung des hinteren Längs¬ 
bundeis liegt. Eine Anzahl feiner Fasern, die sich von diesem Kerne aus zum 
hinteren Längsbändel gesellen, war gleichfalls auf der Seite der Läsion rarefiziert. 
Dagegen war der Kern des Facialis beiderseits völlig intakt. Der Fall bestätigt 
somit die von Mendel (auf Grund von Tierversuchen) geäußerte Anschauung, 
daß der obere Facialis nicht vom Facialiskern, sondern vom distalen Teil des 
Okulomotoriuskernes entspringt und daß die betreffenden Fasern im hintern Längs¬ 
bündel verlaufen, auch für den Menschen. 

3) Eine bisher übersehene Wurzel des N. glossopharyngeus und vagus, von 

Prof. Huguenin. (Korresp. f. Schweizer Ärzte. 1907. Nr.20.) Ref.: KurtMendel. 

Allgemein wird angenommen, daß sowohl der Glossopharyngeus wie auch 
der Vagus ihre sensiblen Fasern zum größten Teil und ihre Geschmacksfasern 
alle in den Fasciculus solitarius senden. Verf. wendet sich gegen diese Ansicht 
und weist nach, daß z. B. vom Vagus nicht 1 / 5 seiner sensiblen Fasern diesen 
Weg gehen, daß vielmehr da, wo die in die Med. oblong, eintretenden Stämme 
des N. IX und X auf die große Trigeminuswurzel stoßen, sehr bedeutende Anteile 
vom Glossopharyngeus und vom Vagus nach unten umbiegen, um sich der Trige¬ 
minuswurzel auf ihrem Verlaufe nach unten anzuschließen. Sensible Faserung 
weiter unten gelegener Nerven schließt sich also an diejenige des weiter oben 
gelegenen Trigeminus an, die Geschmacksfasern biegen aber nach außen ab, 
um sämtlich in das Ganglion des Fasciculus solitarius zu gelangen. Letzterer 
hat neben der Funktion für den Geschmack wohl auch noch andere Bedeutung 
(vielleicht für die Respiration). Die sensiblen Fasern des N. IX und X ge¬ 
langen schließlich wie die Trigeminusfasern in das große sensible Ganglion, die 
Subst. gelatinosa der Trigeminuswurzel. (Verf. vermutet sogar, daß Fasern vom 
Vagus nach hinten abbiegend, peripher um den Pedunculus cerebelli als Stratum 
zonale herumlaufend, zu den Hintersträngen und deren Kernen gelangen.) In der 
Subst. gelatinosa Rolandi treten dann die sensiblen Vagus- und Glossopharyngeus- 
fasern auf irgend eine Weise in Bezug zu den Zellen des Ganglions, um schlie߬ 
lich quer durch die Med. oblong, die gekreuzte Schleife zu gewinnen. Einzelne 
sensible Fasern der beiden Nerven laufen aber doch höchstwahrscheinlich in den 
FasciculuB solitarius hinein, letzterer nimmt allerdings in der Hauptsache Ge¬ 
schmacksfasern auf 


Pathologische Anatomie. 

4) Über Altersveränderungen der Ganglienzellen im Gehirn, von Y. Saigo. 
(Virchows Archiv. CXC. 1907.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 


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Der Autor will in dieser Mitteilung die von ernsthaften Leuten wohl nie 
diskutierte Hypothese Metschnikoffs widerlegen, nach welcher die Alters- 
Veränderungen an den Ganglienzellen dadurch bedingt sind, daß sie von Leuko- 
cyten, sogen. Makrophagen, aufgefressen werden. Die lakunäre Ausbuchtung der 
Ganglienzellleiber, welche Metschnikoff im Sinne seiner Hypothese gedeutet 
hat, kommt zwar durch Anlagerung kleiner mononuklearer Bundzellen zustande; 
dieses Bild findet sich aber in allen Lebensaltern mit Ausnahme der frühesten 
Kindheit und kann demnach nicht als Charakteristikum des Greisenalters gelten. 
Ein Teil jener Ausbuchtungen ist, wie man übrigens längst weiß, durch die Prä¬ 
paration, speziell durch die Einwirkung des Alkohols, bedingt. Der Autor hebt 
hervor, daß die Rundzellen Metschnikoffs keine weißen Blutkörperchen, sondern 
Gliazellen sind, und daß mit atrophischen Prozessen am Zellkörper eine Ver¬ 
dichtung der Umgebung der benachbarten Gliasubstanz mit Kernproliferation 
Hand in Hand geht. Wie stets, so gilt das auch für die pigmentöse Zellatrophie, 
welche im Senium so häufig vorkommt, daß man sie als charakteristisch für 
dieses Alter bezeichnen darf. Pigmentöse Atrophie und Gliaverdichtung sind 
beide wohl auf primäre Veränderungen am Gefäßapparat zurückzuführen. 


Pathologie des Nervensystems. 

5) Über die paroxysmelle Taohykardie und ihre Beziehungen zu den Er¬ 
krankungen des Nervensystems, von Herrn. Schlesinger. (Volkmannsehe 
Sammlung klin. Vorträge. N. F. Nr. 433.) Bef.: H. Marcuse (Dalldorf). 

Das Symptomenbild der paroxysmellen Tachykardie ist subjektiv und objektiv 
gut charakterisiert. Bezüglich seiner Ätiologie gehen die Anschauungen aus¬ 
einander. Verf. verfügt über eine relativ große Anzahl eigener Beobachtungen. 
Er sah das anfallsweise auftretende Herzjagen bei hysterischen und neurasthenischen 
Zuständen, viermal bei Epilepsie, zweimal bei Urämie und einmal bei Tabes. 
Andere beobachteten es bei schweren Kopftraumen, Meningitis basilaris, Gehirn¬ 
tumor. Es scheint demnach: „Die paroxysmelle Tachykardie kann als allgemeines 
Cerebralsymptom bei Hirnaffektionen verschiedener Art und verschiedener Lokali¬ 
sation auftreten.“ Fehlen cerebrale Erscheinungen, so ist die periphere Auslösung 
des Symptoms wahrscheinlich. Diese Annahme kann sich bisher nur auf einen 
positiven anatomischen Befund stützen. Pal fand bei Lungentuberkulose sym¬ 
pathische Nervenfasern in einen bindegewebigen Zug eingebettet und nahm an, 
daß sich dadurch ein Erregungszustand im benachbarten Grenzstrang und damit 
im N. accelerans ausgebildet habe. Ein Fall des Verf. zeigte dagegen den rechten 
N. vagus mit indurierten Lymphdrüsen verwachsen und teilweise degeneriert 
Weder Lähmung des Vagus noch Beizung des Accelerans kann für sich die 
paroxysmelle Tachykardie erzeugen. Man muß vielmehr annehmen, „daß dieselbe 
uns unbekannte Ursache gleichzeitig eine Lähmung der herzhemmenden und 
Beizung der herzbeschleunigendon Fasern herbeiführt“. 

Die Arbeit enthält noch eine Fülle von Einzelheiten, die sich auf die Pro¬ 
gnose, den Verlauf und die Therapie der Erkrankung beziehen. 

0) Neuralgie, Myalgie, von G. Peritz. (Berliner klin. Wochenschrift 1907. 
Nr. 30.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Verf. sucht beide Erkrankungsformen differentialdiagnostisch abzugrenzen und 
findet die Myalgie charakterisiert vor allem dadurch, daß bei ihr ein oder mehrere 
Muskeln in der Gegend, in die der Patient seine Schmerzen verlegt, auf Druck 
schmerzempfindlich sind. Über diesen schmerzhaften Muskelpartien ist meistenteils 
die Haut gegen Nadelstiche hyperalgetisch ebenso wie gegen faradische Reize. 
Dieses Merkmal ist so konstant, daß man mit seiner Hilfe versteckte Myalgien 
auffinden kann. Ein Einstich oder eine Kochsalzinjektion ( 1 / 4 bis 1 / s ccm) in den 

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erkrankten Muakel ruft — nach Anästhesierung der Haut — einen sehr starken 
Schmerz hervor. Ein weiteres wichtiges Symptom der Myalgien sind parästhetische 
Beschwerden, die in ihrer Ansdehnung immer den hyperalgetischen Bezirken über 
den erkrankten Muskelstellen entsprechen und sich durchaus nicht auf den Bezirk 
eines Hautnerven beschränken. Die Druckschmerzhaftigkeit der myalgisch er¬ 
krankten Partien ist ganz konstant zu finden auch in der schmerzfreien Zeit. 
Aus der Beschreibung der Topographie und der Prädilektionsstellen für Myalgien 
geht besonders hervor, daß die erkrankten Bezirke meistens an exponierten Stellen 
liegen und zwar vor allem am Ursprung oder am Übergang des Muskels in 
seine Endsehne, d. b. an seinen dünnsten Stellen. Während bei den Neuralgien 
die Druckpunkte den Nervenaustrittsstellen entsprechen, also einen ganz be¬ 
grenzten Umfang haben, ist die Mindestgröße der myalgischen Druckstellen die 
eines Talers. 

Zum Schluß teilt Verf. die Krankengeschichte eines 52jährigen Herrn mit, 
der längere Zeit an schwerer Angina peotoris litt; es fand sich eine Myalgie des 
freien Bandes des Pectoral. major, nach deren Behandlung durch Kochsalzinjektion 
(0,2:100,0, Novocain 0,5) alle Beschwerden verschwanden. 

7) Der Kopfschmerz und seine physikalische Behandlung, von Stabsarzt 
Dr. Biedel. (Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 20; vgl. d. Centralbl. 
1907. S. 358.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 

Verf. unterscheidet 4 Formen von Kopfschmerz: eine vasomotorische, rheu¬ 
matische, neuralgische und neurasthenische. Wichtig ist, sich über die genaue 
Lebensweise des Patienten ein klares Bild zu schaffen. Wertvolle Fingerzeige für 
Diagnose wie Therapie bietet die sorgfältige Bestimmung der Lokalisation des 
Kopfschmerzes. Für die Grade desselben schlägt Schoen folgende zweckmäßige 
Unterscheidung vor: 

1. Benommenheit, Eingenommenheit (Cephalaea), 

2. Kopfdruck, wozu der Casque asthönique Charcots gehört, 

3. dumpfer Schmerz, 

4. stechender, bohrender Schmerz; hierzu ist der Clavus hystericus zu rechnen 
(2 bis 4 — Cephalalgia). 

Die stärksten Kopfschmerzen verursachen die Trigeminusneuralgien und 
Migräneanfälle sowie der Tumor cerebri. 

Der hyperämische Kopfschmerz beruht auf einer Blutstauung im Gehirn. Die 
Therapie muß berücksichtigen, ob die Blutstauung akut oder chronisch, oine aktive 
oder passive, arteriell oder venös ist. Sie hat die Gelegenheitsursachen auszu- 
sohalten, ohne dabei die Allgemeinbehandlung zu vernachlässigen. Aufmerksam¬ 
keit erheischt die Kopfhaltung der Patienten. Im besonderen ist beim hyper- 
ämischen Kopfschmerz eine ableitende Behandlungsweise indiziert. Der Hydro¬ 
therapie gebührt der erste Platz. Im akuten Stadium sorgt man für Kopfkühlung. 
Umschläge in Wasser von 10 bis 15°, alle 5 bis 10 Minuten erneuert, 2 Stunden 
lang werden verordnet. Dann pausiert man etwa 1 Stunde und macht nachher, 
wenn nötig, die Umschläge von neuem. In der Zwischenzeit legt man eine Eis¬ 
krawatte oder einen feuchten kalten Umschlag um den Hals, welcher den Nacken 
frei läßt, besonders aber die Carotidengegend trifft. Bei empfindlichen Patienten 
fängt man erst mit etwas wärmeren Temperaturen an. Angenehmer als die Um¬ 
schläge sind die von Winternitz eingeführten Kühlschläuche. Gleichzeitig wird 
noch für Blutableitung durch feuchtwarme Packungen gesorgt. Ein Klysma oder 
Laxans wirkt oft Wunder. Oft ist mit der Kopfkühlung eine Stammpackung — 
Einwickeln der Kranken von der Achsel bis zur Symphyse in ein feuchtkaltes 
Laken — zu verbinden. Bei den mehr paroxysmal verlaufenden Kopfschmerzen 
empfiehlt Verf. entsprechend der Zahl der Anfälle ganz kurze, kalte Kopf¬ 
waschungen vorzunehmen; gute Dienste leistet auch das fließende Fußbad von 8 


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bis 10°, 10 Minuten lang. Neben der Hydrotherapie kommen hier die Naegeli- 
schen Handgriffe in Betracht. In Frage kommen der Kopfstütz- und der Kopf- 
b treckgriff. 

Der anämische Kopfschmerz beruht auf allgemeiner Anämie oder Chlorose. 
Hoohlagerung und ableitende Therapie ist indiziert. Warme Tücher um den 
Kopf, heiße Kompressen, über die Stirn oder in den Nacken gelegt, werden 
gut vertragen und genügen meist den Anforderungen. Gründliche Massage der 
gesamten Kopfhaut ist im chronischen Stadium empfehlenswert 

Der rheumatische Kopfschmerz hat seinen Sitz in der Haut* und Kopf¬ 
schwarte; seine Grundlage ist eine Myositis rheumatica. Als wichtigster Heil¬ 
faktor bei der rheumatischen Kephalalgie gilt die Massage. Die Massagekur dauert 
so lange, wie die Empfindlichkeit besteht, und sie währt, wenn man täglich jede 
Sitzung etwa 1 / 4 Stunde ausdehnt, bis zur vollständigen Heilung meist 1 Monat 
Neben Massage wird oft mit Erfolg die Heißluftdusche angewendet, desgleichen 
warme Kopfumschläge in Form der trockenen Wärme 1 bis 2 Stunden lang vor 
dem Zubettegehen. Bei den paroxysmalen Attacken Bind zum Koupieren etwas 
intensivere Wärmeapplikationen in Gestalt von Kompressen, Schlauchkappen 
u. dgl. indiziert. 

Bei der Kopfneuralgie müssen die Points douloureux genau festgestellt werden. 
Die Therapie besteht in Wärmeapplikationen und Massage. Verf. massiert be¬ 
sonders die Gegend der Nerveudruckpunkte und bedient sich mit Vorliebe der 
Vibration. Bei reflektorischen Vorgängen muß die Therapie stets eine kausale sein. 

Ist der Kopfschmerz durch Neurasthenie bedingt, so sucht die Therapie zu¬ 
nächst den Gesamtorganismus zu kräftigen. Der Arzt hat die im Verlauf be¬ 
stimmter Nerven sich zeigenden Valleixschen Druckpunkte aufzufinden. Durch 
Massage werden die Nervenpunkte zunächst vorübergehend, allmählich dauernd 
beruhigt und zum Schwinden gebracht. Der einzelne Fall kann bei täglich 
1 /, ständiger Massage bis zu 40 Sitzungen erfordern. Verf. kombiniert diese Be¬ 
handlung meist mit der Hydrotherapie, speziell mit Packungen. Die Punktmassage 
ist hauptsächlich von Cornelius angewendet worden. In Frage kommen beim 
neurasthenischen Kopfschmerz ferner das Sonnenbad und das elektrische Blau- 
Lichtbad. Herz hat gute Erfolge zu verzeichnen mit einer Methode, die eine 
Verquickung der Bierschen Stauung mit ableitender Kopfmassage, dem Naegeli- 
sehen Kopfstützgriff und Vibration der Brustwirbelsäule darstellt. 

8) Über Kopfsohmerz, von Pineles. (Wiener klin. Rundschau. 1907. S. 21.) 

Ref.: Pilcz (Wien). 

Für den praktischen Arzt sehr lesenswerter und belehrender Aufsatz, nach 
einem von dem Verf. in einem Vortragscyklus für praktische Ärzte gehaltenen 
Vor trage. 

0) Migraine and hemianopsia , by John Jenks Thomas. (Journ. of Nerv. 

and Ment. Dis. 1907. März.) Ref.: M. Bloch. 

Verf. teilt 3 Fälle von Migräne mit, in deren Verlauf es zu einer persistiren- 
den Hemianopsie kam, die noch nach Jahren nachgewiesen werden konnte. In 
einem der Fälle handelt es sich vielleicht um eine symptomatische Migräne, während 
die beiden anderen sicher der idiopathischen Form angehören. Die Details der 
interessanten Krankengeschichten werden besser im Original nachzuleBen sein. 

10) Beitrag zur Erklärung der ophthalmoplegisohen Migräne, von Dr. Vielav 

Plavec. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch. 

20jähr. Mädchen, in dessen Familie keine Fälle von Migräne zur Beobachtung 
gelangten. Schon im Alter von 2 Jahren bemerkten die Eltern, daß das Kind 
zeitweise verdrießlich war, weinte und erbrach. Dieser Zustand dauerte gewöhn¬ 
lich einen Tag, worauf dann Wohlbefinden eintrat. Später, als das Kind sprechen 
konnte, klagte es bei jedem derartigen Anfall auch über Kopfweh. Zur Zeit des 

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beginnenden Schulbesuches wiederholten Bich die Anfälle oft schon nach 14 Tagen 
und die Kopfschmerzen dauerten 2 bis 3 Tage. Dabei wurde auch bemerkt, daß 
das linke Auge im Anfall nach außen und etwas nach unten verdreht wurde. 
Die Parese ging innerhalb einiger Tage dann wieder zurück. Seitdem besteht 
links Abnahme der Sehkraft. Während die Anfälle länger dauerten und inten¬ 
siver wurden, stellte sich vom 12. Lebensjahre an dabei auch eine linksseitige 
Ptose ein. Seit den letzten 5 Jahren sind die Kopfschmerzen sehr heftig, dauern 
2 bis 5 Tage, sind von Erbrechen begleitet und am Ende des Anfalles stellt sich 
Schlaf ein. Die abweichende Stellung des Auges ist eine dauernde und besteht 
auch nach dem Anfall unverändert fort, nur die Ptose bessert sich langsam. Inner¬ 
halb der letzten 15 Jahre schwankt die Zahl der jährlichen Anfälle zwischen 12 
bis 17, die im Sommer seltener auftreten alB während der übrigen Jahreszeiten. 
Die Menstruation war regelmäßig und hing mit den Anfällen nicht zusammen. 
Seit 3 Jahren besteht eine Struma mäßigen Grades. Bei der Untersuchung findet 
sich ein Tieferstehen des linken Oberlids, die nur unvollständig gehoben wird. 
Linke Augenspalte mißt nur 1 / 2 cm, die rechte dagegen 1 cm. Linker Bulbus 
nach außen und unten gedreht, Bewegung nach innen und unten verlangsamt 
und etwas beeinträchtigt, nach oben vollständig unmöglich. Linke Pupille 
etwas diktiert, Reaktion auf Licht und Akkommodation und konsensuell = 0. 
Links beträchtlicher Astigmatismus. Visus links herabgesetzt, linkes Gesichts¬ 
feld ergibt nur für Blau normalen Befund, während Rot und Grün nur schwierig 
erkannt werden. Sensibilität des Gesichtes auf beiden Seiten gleich. In diesem 
Fall war also die Lähmung eine totale und auf den linken N. oculomotorius be¬ 
schränkt; eine periodische Steigerung der Paralyse betraf nur den M. levator pal- 
pebrae sup., an dem sich in den freien Intervallen nur eine schwache Parese 
nachweisen ließ. Während der 15 Jahre, seit Bestehen der periodischen Okulo¬ 
motoriuslähmung, dürften mehr als 200 Anfälle aufgetreten sein, so daß von einem 
rezidivierenden, organischen Prozeß als einziger Ursache der Attacken wohl nicht 
gesprochen werden kann. 

Verf. nimmt an, daß die Grundlage der ophthalmoplegischen Migräne die 
echte Migräne ist, und daß diese Migräne als Ursache der Okulomotoriuslähmung 
aufzufassen ist. Sowohl die gewöhnliche, als auch die ophthalmoplegische Migräne 
sind eine basale lokale Erkrankung, wahrscheinlich durch eine periodische Schwellung 
der Hypophysis hervorgerufen. Bei der einfachen Migräne ist diese Schwellung 
eine allgemeine oder einseitige, bei der ophthalmoplegischen ist sie immer eine 
einseitige, vielleicht durch eine laterale Verlagerung der Hypophysis bedingt. Bei 
der gewöhnlichen Migräne handelt es sich um einen aktiven Prozeß (Hyperämie), 
bei der ophthalmoplegischen Form indessen hauptsächlich um eine venöse Stase 
der Hypophysis. Da die letztere auf einer besonderen, lokalen, anatomischen An¬ 
lage beruht, so braucht sie nicht hereditär aufzutreten, wie dies bei der gewöhn¬ 
lichen Migräne meist der Fall zu sein pflegt. 

11) Über Hypothermie infolge von Migrftneanfällen bei Tuberkulösen, von 

Mantoux. (Wiener med. Presse. 1907. S. 550.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Bei vier tuberkulösen Patienten, welche gleichzeitig an typischer Migräne 
litten, beobachtete Verf. konstant ein Absinken der Temperatur während der 
Migräneanfälle, sogar in einem Falle eine wirkliche Hypothermie; und zwar ließ 
sich dieses Verhalten bei Rektalmessungen feststellen. 

Verf. deduziert daraus, daß bei Tuberkulösen der Migräneanfall eine Herab¬ 
setzung der centralen Temperatur bewirkt, während bei Gesunden (nach Unter¬ 
suchungen von Stekel) die Migräneattacke ein AbBinken zwar der peripheren 
(Achselhöhlen-)Temperatur hervorruft, die centrale (Rektal-/Temperatur aber nicht 
oder nur selten und wenig beeinflußt. Kurze Mitteilung von vier Kranken¬ 
geschichten und zwei Temperaturkurven im Texte. 


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12) Neuralgie oder ZahnsohmerzP von Franz Berger. (Gyögyäszat. 1906. 
Nr. 28.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

In zweifelhaften Fällen kann folgender Vorgang Aufklärung bringen: Der 
auf die Schneide* oder Kaufläche des fraglichen Zahnes einwirkende faradiscbe 
Strom bringt bloß leichtes Kriebeln hervor, wenn der Zahn gesund ist; bei ent¬ 
zündeter Pulpa entsteht lebhafter Schmerz, bei abgestorbener Pulpa gar keine 
Empfindung. 

13) Exstirpation des Ganglion Gasserl und Keratitis neuroparalytica beim 
Menschen, von Dr. K. E. Weise. (Klin. Monatsblätter f. Augenheilk. XLV. 
1907.) Ref.: Fritz Mendel. 

Nach vollständiger dauernder Durchtrennung des linken Trigeminus bei einem 
47jährigen Patienten ist die Hornhaut während der 4jährigen Beobachtung klar 
geblieben, niemals trat eine Keratitis neuroparalytica auf. Aus diesem und ähn¬ 
lichen Fällen ergibt sich die praktische Folgerung, daß die Gefahr einer Keratitis 
neuroparalytica nach Exstirpation des Ganglion Gasseri sehr gering ist, so daß 
von augenärztlicher Seite, namentlich bei einseitiger Trigeminusneuralgie, Bedenken 
der Exstirpation des Ganglion nicht entgegenstehen. 

14) Über das Verhalten der Sensibilität im Trigeminusgebiet nach voll¬ 
ständiger Exstirpation des Ganglion Gasseri, von H. Pruschin in. (In- 
augural-Dissertation. Berlin 1906.) Ref.: S. Klempner. 

Krause war der erste, der darauf aufmerksam machte, daß nach totaler 
Exstirpation des Ganglion Gasseri die Sensibilität in den Ausbreitungsbezirken 
des betroffenen Trigeminus in mehr weniger vollkommener Weise wiederkehrte. 

Verf. gibt eine Übersicht der bisher in der Literatur beschriebenen Fälle 
und fügt aus eigener Beobachtung einen neuen Fall hinzu, wo trotz der sicher 
festgestellten vollständigen Ganglionexstirpation überall die Sensibilität partiell 
oder vollständig wieder eintrat. 

Im Gegensatz zu anderen Fällen kehrte auch die Empfindung in den Schleim¬ 
häuten wieder, ebenso stellte sich der Geschmack in der betroffenen Zungenhälfte 
wieder ein. 

Verf. erklärt sich diese weitgehende Restitution durch die Annahme, daß in 
die peripheren Stümpfe des Trigeminus Fasern von den mit ihnen anastomosieren- 
den Cervikal- und Occipitalh&utnerven, vielleicht auch vom Trigeminus der anderen 
Seite an der Mittellinie hineinwachsen und auf diese Weise die Leitung wieder 
lierstellen. (Ein analoges Verhalten hat Münzer in seinen bekannten Tierver¬ 
suchen festgestellt und damit das wichtigste Argument Bethes für dessen Lehre 
von der autochtonen Regeneration der peripheren Nerven erschüttert. Ref.) 

16) Zur Kasuistik der tiefen Besektion des 2. und 3. Trigeminusastee bei 
Neuralgien, von Dr. Lis6owsky. (Russisch med. Rundschau. 1907. H. 2.) 
Ref: Georges L. Dreyfus (Heidelberg). 

Verf. veröffentlicht einen gut beobachteten Fall von Trigeminusneuralgie im 
2 . und 3. Ast. Bei dem betreffenden Kranken wurde die tiefe Resektion der 
zwei erkrankten Trigeminusäste mit gutem Erfolg ausgeführt. Die Schmerzen 
zessierten sofort nach der Operation. 1 Jahr und 2 Monate nach der Operation 
war noch kein Rezidiv aufgetreten. 

16) Ein geheilter Fall von Zygomatious- und Infraorbitalneuralgie ope¬ 
riert nach der Bardenheuer sohen Methode (Neurinsarkoklese), von Dr. 

Grabowski. (Zeitschr. f. Chir. LXXXVI.) Ref.: Max Jacoby (Mannheim). 
Verf. verfügt über zwei Fälle von Neurinsarkoklese, die er vollständig hat 
ausheilen sehen. Beide Fälle haben jeder anderen Therapie gespottet und bei 
beiden waren die neuralgischen Schmerzen so groß, daß die bereits im höheren 
Lebensalter stehenden Patienten sich entschlossen, den Eingriff machen zu lassen, 
der beide Male den gewünschten Erfolg hatte. Die Operation besteht in Frei- 

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legung des affizierten Nerven aus seiner Knochenwandung, Unterschiebung eines 
Periostmu8kellappens zwischen Nerv und Knochenwunde und subkutaner Hautnaht. 

17) Drei Fälle von Zungenneuralgie, von L. Hoeflmayr. (Münchener med. 
Wochen8chr. 1906. Nr. 51.) Ref.: Kurt Mendel 

In allen 3 Fällen von Zungensohmerz war der objektive Befund völlig negativ. 
Eine Regelung der Darmfunktion als Haupttherapie führte zum allmählichen Ver¬ 
schwinden der Zungenschmerzen. Mundspülungen mit Kamillenthee und Kal. chlor, 
wurden außerdem verordnet. In allen 3 Fällen handelte es sich um mäßig neur- 
asthenische Patienten mit träger Darmtätigkeit. Der N. IX und XII waren völlig 
unbeteiligt Die Schmerzen traten nur im Ausbreitungsgebiet des N. lingualis auf. 
Als Ursache der Lingualisneuralgie sieht Verf. die habituelle Obstipation an, durch 
Vermittlung des Sympathicus wird die Neuralgie ausgelöst, und zwar wahrschein¬ 
lich infolge Wirkung eines bei der Darmfäulnis entstehenden und von der Darm¬ 
wand resorbierten Toxalbumins. (Nach Ansicht des Ref. beruhen fast alle Fälle 
von „Glossodynie“ auf Hypochondrie, auch Fall 2 und 3 des Verf.’s zeigen hypo¬ 
chondrische Vorstellungen (Furcht vor Zungenkrebs), bei Fall 1 wird nur erwähnt, 
daß Pat neurasthenisch war.) 

18) Über Interkostalneuralgie, von W. Janowski. (Therapie der Gegenwart. 
1907. Heft 3 u. 4.) Ref.: Kurt Mendel. 

Häufigkeit: 9°/ 0 aller Kranken des Verf.’s litten an Interkostalneuralgie. 
Geschlecht: 73°/ 0 Frauen, 27°/ 0 Männer. Alter: am häufigsten 20. bis 40. Jahr. 
Meist linksseitig. Prädisponierende Ursachen: hauptsächlich Neurasthenie, Gicht, 
Lungentuberkulose. Auslösende Momente: Erkältung, Infektionskrankheit (In¬ 
fluenza, Angina), Pleuritis, hartnäckiger Husten (Bronchitis, Keuchhusten), mora¬ 
lische Erschütterung. 

Prognose gut. 

Therapie: Zugpflaster an jedem genau zu bestimmenden Schmerzpunkt an- 
legen, ferner Brom mit Antipyrin, laue Bäder, allgemeine Behandlung gegen die 
prädisponierende Ursaohe. 

Die Beschwerden, über welche die an Interkostalneuralgie Leidenden klagen, 
werden genau durchgesprochen. 

Siegel (Therapie d. Gegenwart. 1907. Heft 6) schreibt bei der Interkostal¬ 
neuralgiebehandlung der Massage die Hauptwirkung zu. 

19) Über ein bisher unbekanntes pathognomonisohes Symptom der Isohias, 

von Gara. (Wiener med. Wochenschr. 1907. Nr. 23.) Ref.: Pilcz (Wien). 
Bei vielen Fällen von Ischias konnte Verf. anamnestisch erheben, daß den 
typischen Schmerzen in den Beinen ein plötzlich einsetzender „lumbago“artiger 
Schmerz wochenlang vorausging. Dadurch aufmerksam gemacht, untersuchte Verf. 
systematisch die Wirbelsäule dieser Patienten und fand nun konstant, auch in 
den Fällen von Ischias ohne jene „prodromalen 4 ' Kreuzschmerzen, eine eminente 
Druckschmerzhaftigkeit deB Dornfortsatzes des letzten Lendenwirbels. Diese Druck¬ 
empfindlichkeit war an dem vorletzten Lendenwirbeldornfortsatz schon weit weniger 
ausgesprochen, an den übrigen nicht nachweisbar. Verf. erbliokt in diesem Sym¬ 
ptom eine Stütze für die Auffassung der Ischias als Wurzelerkrankung. 

Drei Krankengeschichten werden kurz mitgeteilt. 

20) Duroh Retroflexio uteri bedingter Fall von eohter Isohias, von Dr. 
Offergeld. (Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr.öl.) Ref.: Kurt Hendel. 
43jährige Patientin mit rechtsseitiger Ischias (Muskelatrophie, Nervenstämme 

druckschmerzhaft, Lasögue, Fehlen des rechten Achillesreflexes). Jegliche Therapie 
erfolglos. Gynäkologisch: Retroflexio uteri mit geringer perimetritischer Fixation 
nach der rechten Seite. Operative Behandlung der Retroflexio. Darauf Schwinden 
der Muskelatrophie, Wiederkehr des Achillesreflexes. Heilung der Ischias. 

Es kann wegen der topographischen Verhältnisse eine direkte Druckwirkung 

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auf den Stamm des Isohiadicus zustande kommen (besonders bei retroflektiertem 
gravidem Uterus) oder es können uterine Reizvorgänge in reflektorischen Bahnen 
auf das psychische Organ fortschreiten. Im vorliegenden Fall neigt Verf. der 
Ansicht zu, daß es sich um eine echte Druckneuritis handelte. 

Die über 16 Jahr steril verheiratete Frau konzipierte übrigens kurze Zeit 
nach Reposition des Uterus. 

21) Bemerkungen zur Diagnose und Therapie der Ischias, von B. Bosänyi. 

(Budapesti Orvosi Ujs&g. 1907. Nr. 9.) Ref.: Hudovernig (Budapest). 

In der Diagnose der Ischias ist von großer Bedeutung die Schmerzhaftigkeit 
des N. isohiadicus, sowie die vorhergehende Lumbago; letztere pflegt oft der eigent¬ 
lichen Ischias voranzugehen, und zeigt sich temporär, manchmal Jahre hindurch. 
Während bei der wirklichen Ischias die Schmerzen sich auf die ganze untere 
Extremität erstrecken, ergreifen dieselben bei Hüftgelenkserkrankungen bloß den 
Oberschenkel. Namentlich bei schweren Fällen ist mehr Erfolg von lokalen 
Scblammumschlägen zu erwarten als von Vollbädern. 

22) Perineurale Infiltratlonstherapie der Isohlas, von A. Bum. (Wiener 

med. Presse. 1907. Nr.46.) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. verfährt bei der Ischiasbehandlung folgendermaßen: er gebraucht ein 
Instrumentarium bestehend aus einer graden oder gekrümmten Kanüle, einem 
kurzen Verbindungsschlauch aus auskochbarem Durit, der die Übertragung der 
Bewegungen der Spritze auf die Kanüle verhindert, und einer 100 ccm fassenden 
Glasspritze. Auskochen des Instrumentariums in Sodalösung. Eintauchen des 
Duritschlauches in sterile 8 °/ 00 ige Kochsalzlösung, hierdurch Füllung der Spritze 
mit dieser Lösung. Einstechen der Kanüle in Knie-Ellenbogenlage des Patienten 
an der mit Äther sorgfältig gereinigten Stelle der Beugeseite des Oberschenkels 
(da, wo der lange Kopf des Biceps vom Glutaeus max. geschnitten wird). So¬ 
bald Pat. Ischiadicussymptome — blitzartiges Zucken der ganzen Extremität, 
heftiger Schmerz in centrifugaler Richtung, ParästheBien in Unterschenkel und 
Fuß — zeigt und meldet, wird der distale Ansatz des mit der Injektionsflüssig¬ 
keit vollständig gefüllten Schlauches unter langsamem Nachdrücken des Spritzen- 
Stempels an die Kanüle gesteckt und die Injektion in continuo vollendet. Ein¬ 
tritt etwaiger Luftblasen ist durch Hochhalten des proximalen Spritzenendes zu 
vermeiden. Nach Entfernung der Kanüle Gaze und Heftpflaster auf die Einstich¬ 
stelle. 36 bis 48 Stunden nach der Injektion Ruhelage. 

Meist sofortiger Effekt. Injektion event. 2 bis 4 mal in Intervallen von 4 
bis 6 Tagen zu wiederholen. 

Verf. behandelte auf diese Weise 73 Fälle. In 6 Fällen konnte er den End¬ 
effekt nicht eruieren, 42 wurden vollständig geheilt ( = 62,6 °/ 0 ) und hlieben bisher 
— nach 2 bis 30 Monaten — rezidivfrei, in 14 Fällen (=20,8°/ o ) erhebliche 
Besserung, in 6 Rezidiv, in 6 keine nennenswerte Besserung. Bei 26 der ge¬ 
heilten Fälle genügte eine Injektion. Nie unangenehme Zwischenfälle. 

Die Wirkung der perineuralen Injektionen ist eine ausschließlich mechanische 
auf das Neurilemm sowie auf etwaige Verklebungen der Scheide mit der Nach¬ 
barschaft. 

Bei allen Formen unkomplizierter, essentieller, subakuter und chronischer 
peripherer Ischias hält Verf. sein Verfahren für indiziert. Für akute Fälle von 
Ischias empfiehlt er es nicht. 

23) The treatment of solatioa by means of aaline injeotione, by Archibald 

G.Hay. (Glasgow med. Journ. 1907. Mai.) Ref.: Georges L. Dreyfus 

(Heidelberg). 

Verf. berichtet über 4 Fälle von Ischias, die durch mehrfach wiederholte 
Salzinjektionen (jedesmal 10 ccm) in den N. isohiadicus dauernd von ihren Schmerzen 
befreit worden sein sollen. Verf. wählte die Stelle zwischen Trochanter und Tuber 

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ischii, um den Nerven zu treffen. Schon nach 1 bis 2 Injektionen ließen die 
Schmerzen bei seinen Kranken nach. 

24) Über Nervendehnung, mit besonderer Berücksichtigung der Neural* 
gien, von Nikolaus Reich. (Budapesti orvosi ujs&g. 1906. Nr. 3.) 
Ref.: Hudovernig (Budapest). 

ln vielen Fällen von Neuralgie hat Verf. eine abnorme Spannung des be¬ 
treffenden Nerven beobachtet. Die Nervendehnung selbst wirkt nicht durch die 
Dehnung des Nerven, sondern dadurch, daß auf die Cirkulation desselben und der 
umgebenden Gewebe ein mechanischer Zug ausgeübt wird. In erster Reihe kommt 
in Betracht die auf die Venen ausgeübte Dehnung; so manche als neuralgisch 
erscheinende Schmerzen sind bloß vaskuläre Schmerzen, welche durch Blutstauung 
bedingt sind, und deshalb durch die Nervendehnung behoben werden. Durch 
strukturelle Veränderung des Nerven bedingte Neuralgien sind relativ selten. 

25) Über unblutige Nervendehnung bei Neuritis und Neuralgie, von H. Pa- 
zeller. (Wiener med. Presse. 1907. Nr. 45) Ref.: Kurt Mendel. 

Verf. sah gute Erfolge von einer mäßig starken, doch öfter wiederholten, 

unblutigen Nervendehnung bei Neuritiden und Neuralgien. Er gibt die Stellen 
an, wo die einzelnen Nerven am besten auf der Knochenunterlage gedehnt werden, 
und zwar 

1. N. auriculo-temporalis: auf der Schläfenbeinschuppe am äußeren Ende des 
temporalen Jochbogenfortsatzes; 

2. N. buccinatorius: am inneren Rande des Proc. alveolaris des Os zygomati- 
cum, in der Gegend des 1. und 2. oberen Molarzahnes; 

3. N. cervico-occipitaÜB: auf den Querfortsätzen des 4. und 5. Halswirbels, 
am inneren Rande des M. cucularis; 

4. N. radialis: bei erhobenem Arme in der Achselhöhle zu fassen und herunter¬ 
zuziehen, oder er wird in der Ellenbogenbeuge in der Furche zwischen Supinator 
long. und Brachialis internus auf dem HumeruB gedehnt; 

5. N. ischiadicus: knapp nach seinem Austritt aus dem Foramen ischiad. 
(Knieellenbogenlage); 

6. N. cut. fern, eit.: an der Spina anter. sup. ossis ilei nach außen und oben 
zu dehnen; 

7. N. peroneus: am Capitulum fibulae nach innen und oben. 


Psychiatrie. 

26) Klinisehe Beiträge zur Lehre von den Degenerationspsyohosen , von 

Prof. Dr. K. Bonhoeffer. (Samml. zwang]. Abhandl. a. d. Geb. d. Nerven- 
u. Geisteskr. VII. Halle a.;S. 1907, Carl Marhold.) Ref.: Berze (Wien). 
Das Gebiet der Syndromes öpisodiques bei Degenerierten im Sinne Magnans 
ist ein sehr engbegrenztes geworden, seitdem unter dem Einflüsse der Lehren 
Kraepelins ein Teil dieser psychotischen Episoden im manisch-depressiven Irre¬ 
sein und in der Dementia praecox untergegangen ist, eine Gefahr, die um so 
größer ist, ak sich, wie Verf. richtig betont, nicht selten „eine sachlich nicht 
begründete Vereinfachung der klinischen Diagnostik fühlbar macht“. Die vor¬ 
liegende hochwichtige und interessante Arbeit des Verf.’s. wird wesentlich zur 
Klärung beitragen. Verf. stützt sich auf das an degenerativen Zuständen außer¬ 
ordentlich reiche Material der Breslauer Beobachtungsstation für geisteskranke 
Gefangene. Bei 12 °/ 0 der 221 Kranken dieser Station sind nach Verf. degenerative 
Psychosen (einschließlich Hysterie) zu diagnostizieren. 

Verf. beschäftigt sich nun mit drei Gruppen dieser Psychosen. Die erste 
Gruppe umfaßt die einfachen paranoiden Erkrankungen bei Degene¬ 
rierten. Akut oder subakut kommt es bei erhaltener Besonnenheit und äußerer 

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Orientierung zu Beziehungswahn und Erklärungswahnideen. Immer treten, wenn 
auch nicht massenhaft, Gehörstauschungen auf. Dauer von einigen Monaten bis 
zu zwei Jahren. Nach längerem oder kürzerem Stationärbleiben des Wahn¬ 
bildungsprozesses stellt sich allmählich Krankheitseinsicht ein], die Wahnideen 
treten zurück, es bleibt keine Veränderung der Persönlichkeit zurück. — Verf. 
möchte diese Gruppe, welcher durchweg Personen von „erethischer Debilität“ an¬ 
gehören, mit den episodischen Erkrankungen bei endogener hysterischer oder 
epileptischer Anlage in eine Linie stellen. Ausgezeichnet sind sie aber durch die 
geordnete paranoische Wahnbildung. Die degenerative Anlage verrät sich auch 
in der Zeit der Wahnbildung durch die bekannten Merkmale des degenerativen 
Charakters. Stets kommt äußeren Einflüssen eine größere Bedeutung für den 
Krankheitsverlauf zu als bei den echt paranoischen Prozessen. 

Die Fälle der zweiten Gruppe stellen sich als akute Steigerungen 
bereits vorher bestehender Erscheinungen paranoischer Veranlagung 
und Denkrichtung dar. Es handelt Bich um Personen mit einer dauernden 
in einer Temperamentsanomalie begründeten „Neigung zu einer Disharmonie in 
der Dynamik der Vorstellungen in dem Sinne, daß bestimmte Vorstellungsgebiete 
von einem andauernden Afifektüherschuß begleitet sind, so daß Gegenvorstellungen 
nicht die entsprechende Betonung finden“. Aus beliebigen erregenden Anlässen, 
wie sie sich gerade im Gefängnisleben leicht ergeben, kommt es zur Bildung von 
überwertigen Ideen im ursprünglichen Sinne Wernickes, die den Kern für eine 
Wahnbildung abgeben. Die krankhaften Symptome gehen zuweilen über den 
durch die dominierende Idee gegebenen Kreis hinaus; ängstliche Erregungen, 
ängstliche Träume, Hallucinationen stellen sich ein. Diese Symptome treten, wenn 
sich die Krankheitseinsicht fühlbar zu machen beginnt, als die ersten zurück, 
während der Komplex der überwertigen Wahnidee noch längere Zeit fortbestehen 
kann. Verf. meint, daß „in der Praxis des sogen. Querulantenwahnsinns die Fälle 
die häufigeren sind, in denen es sich lediglich um derartige paranoische Episoden 
bei abnorm veranlagten Individuen handelt“. 

Von größtem Interesse sind wohl die Ausführungen des Verfs. über die dritte 
Gruppe seiner Fälle. Die „Labilität des Persönlichkeitsbewußtseins“, 
eine Erscheinung, die nach Verf. als ein weit über das Gebiet der Hysterie 
hinausreichendes Degenerationssymptom zu betrachten ist, ermöglicht es in diesen 
Fällen, daß sich, namentlich oft im Anschlüsse an unangenehme Gefangniserlebnisse, 
weit schneller, als dies bei der echten chronischen Paranoia der Fall ist, zuweilen 
geradezu subakut — auf autosuggestivem Wege — eine paranoische Um¬ 
wandlung des ganzen, die eigene Person betreffenden individuellen 
Erfahrungsinhaltes „in der Richtung der Erhöhung der äußeren 
Person“ vollzieht. Eine ausgesprochene „Verarbeitung“, eine eigentliche Wahn¬ 
bildung wie bei der Paranoia fehlt. Es fehlt auch ein deutlicher Beziehungs¬ 
wahn; dagegen tritt die Lust zu fabulieren mehr oder weniger hervor. „Die 
Größenideen wie die Beeinträchtigungsideen sind eines Tages nach Art der Pri¬ 
mordialdelirien da.“ Oft fallt Gemütsstumpfheit auf; doch handelt es sich nicht 
wie bei der Dementia praecox um „generelle Abstumpfung des Interesses“, zeit¬ 
weise tritt vielmehr „eine deutliche Aktivität insofern hervor, als eine Neigung 
zum Aufhetzen und zu Disziplinstörungen besteht“. Die Trennung der Wahn¬ 
ideen von einfachen und Phantasielügen ist in diesen Fällen recht oft kaum durch¬ 
führbar. Groß ist die Ähnlichkeit mit Simulation — begreiflicher Weise, da 
langdauernde Simulation wohl nur auf dem Boden einer degenerativen Anlage 
vorkommt und auch die Simulanten, ähnlich den Kranken der dritten Gruppe, 
nicht selten autosuggestiv „mit ihren Rollen verwachsen“. — Selbst nach mehr¬ 
jähriger Dauer kann bei Fällen dieser Art überraschender Weise Heilung mit 
völliger Krankheitseinsicht eintreten. 


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Manchen diagnostischen und, was für die Praxis vielleicht noch wichtiger ist, 
manchen prognostischen Irrtum wird der Psychiater vermeiden, der des Yerfs. 
überzeugende Ausführungen berücksichtigt. Recht sehr zu wünschen und wohl 
auch zu erwarten ist es, daß uns Verf. auch über seine weiteren Erfahrungen auf 
dem Gebiete der im allgemeinen viel zu wenig gekannten und auch viel zu wenig 
gewürdigten DegenerationBpsychosen beriohten wird. 

27) Degeneratie (eene espulatirogene oorrelatie stoornis), per Dr. W. H. Cox 

(Utrecht). (Psychiatr. enneur.Bladen. 1907. Nr.l.) Ref.: Giesbers (Rotterdam). 

In einer größeren Arbeit kommt Verf. auf Grund anthropologischer Unter¬ 
suchungen und Überlegungen zu folgenden Folgerungen: 

Bevor man sich den Begriff Degeneration genauer klarlegen kann, muß man 
erst den Begriff Genus näher bestimmen. 

Das Genus einer Pflanze oder eines Tieres ist nach de Vries (Mutations¬ 
theorie) bestimmt durch einen Komplex von elementären Eigenschaften, die konstant 
sind nach Art und Zahl. Den Zusammenhang, der zwischen verschiedenen Unter¬ 
teilen bei organischen Wesen besteht, nennt er nach Darwin Korrelation. Eine 
Störung dieser Korrelation will er als Degeneration bezeichnen. Die Bewohner 
von Westeuropa bestehen nach den neueren Ansichten aus zwei Hauptrassen und 
deren Kreuzungsprodukten, der teutonischen mit blonden Haaren, blauen Augen, 
dolichocephal, und der alpinen mit braunen Haaren und Augen und rundem Schädel. 
Jede dieser Rassen hat eine bestimmte Korrelation der Eigenschaften. Korrelations- 
Störungen kommen hauptsächlich bei Kreuzungsprodukten vor, als Hypertrophie 
einer oder mehrerer Eigenschaften mit Hypotrophie anderer. Betrifft dies die 
psychischen Eigenschaften, dann entstehen nach der einen Seite einseitige Talente, 
Genies, nach der anderen Desiquilibrierte und Verbrecher. Je weitergehend die 
Kreuzung, desto größerer Korrelationsverlust, desto mehr Polymorphie. 

28) Über eine besondere Form von Qehörshallozinationen bedingt duroh 

Cerumenpfropf, von Stein. (Prager med. Wochenschr. 1907. S.429.) 

Ref.: Pilcz (Wien). 

78jähriger Mann. Seit 2 Jahren hat derselbe die Empfindung anfangs,, daß 
er ein wirklich gehörtes Wort oder kurzes Satzgefüge etwa 20 mal im Kopfe 
wiederholen hört; später hörte er noch öftere Wiederholungen und zwar solange, 
bis er ein anderes reales Wort hörte, das nun seinerseits im Kopfe wiederholt 
wurde; schließlich nahmen die Gehörshalluzinationen auch musikalischen Charakter 
an, insofern als jede Phrase nach irgend einer bestimmten Melodie wiederholt 
wurde (Pat. ist nicht musikalisch). Die Erscheinung hält den ganzen Tag an, 
wird bei Ablenkung der Aufmerksamkeit (intensive Arbeit) schwächer, umgekehrt, 
wenn sich Pat. die Ohren zuhält, deutlicher. Pat. gibt an, auf dem linken Ohre 
schlechter zu hören. Die otologische Untersuchung ergab: links: Krustenbildung 
im Gehörgange. Trommelfell blaßgrau, leichte Gehörseinschränkung, Knochen¬ 
leitung gut; rechts: harter voluminöser Ceruminalpfropf. Hörfähigkeit bei ob¬ 
jektiver Prüfung, entgegengesetzt den Angaben des Patienten, rechts schlechter 
als links. Knochenleitung gut. Nach Entfernung des Ceruminalpfropfes schwanden 
die Gehörstäuschungen vollständig und definitiv. Psychischerseits in den letzten 
Tagen „leichter“ BeziehungBwahn (!), Reizbarkeit. 

In den Erklärungsversuchen rekurriert Verf. auf die Arbeit von Pick: 
„Über Halluzinationen in pathologisch veränderten sensorischen Mechanismen“, die 
übrigens nicht, wie Verf. irrtümlich angibt, in der Wiener klin. Wochenschrift 
1907 Nr. 7 erschienen ist, sondern ebenda 1905 Nr. 7; er faßt die Gehörshallu¬ 
zinationen auf als Reaktionen des durch Gehörtes noch im Erregungszustand be¬ 
findlichen Wortcentrums, und betont, daß zum Zustandekommen der Symptome 
außer dem Ceruminalpfropf noch die veränderte Psyche des Kranken notwendig war. 

Ref. kann nicht umhin, den Fall als einen mangelhaft beschriebenen aufzu- 

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fassen; die Frage: Hallucinose (Wernicke), Paranoia, seniler Beeinträchtigungs- 
wahn wird gar nioht berührt; es ist nichts gesagt, ob die Halluzinationen uni¬ 
lateral waren, nichts über den weiteren Verlauf, nioht einmal, wie lange denn 
nach der Operation die Erscheinungen „definitiv 1 * beseitigt waren; die Frage der 
Dissimulation wird gar nicht erörtert. Aach die schönen und gerade in diesem 
Falle unbedingt zu berücksichtigenden Arbeiten von Berze: „Über das Bewußt¬ 
sein der Halluzinirenden“ (Jahrb. f. Psych. 1897) und von Redlich-Kaufmann: 
„Ohrnntersuchungen bei Öehörshalluzinanten“ (Wiener klin. Wocbenschr. 1896) 
scheint Verf. nicht zu kennen. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psyobiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 11. November 1907. 

Herr Oppenheim hält einen warmen Nachruf auf Hitzig. 

Tagesordnung: 1. Herr Oppenheim: Demonstration eines Falles von 
sakraler Form der multiplen Sklerose. (Vgl. Originale I in dieser Nummer.) 

Diskussion: Herr Jacobsohn fragt, ob bei dem Pat. eine Lumbalpunktion 
gemacht ist und mit welchem Ergebnis. 

Herr K. Mendel hat einen ganz gleichen Fall beobachtet, der aber außerdem 
eine temporale AbblassnDg der Papillen darbot, letztere sicherte die Diagnose 
„multiple Sklerose“. Im Anfang hatten Symptome einer Halbseitenlähmung be¬ 
standen, so daß zunächst an einen Bückenmarkstumor gedacht wurde, später aber 
entwickelte sich das gleiche Symptomenbild, welches der Fall des Vortr. darbietet. 

Herr Oppenheim verneint die Frage von Herrn Jacobsohn. In anderen Fällen 
der gleichen Art hat anch er die Diagnose sichernde Begleitsymptome gesehen. 

2. Herr Brodmann: Zur histologisohen Lokalisation des menschlichen 
Scheitellappens. (Mit Demonstrationen.) Im Anschluß an seine frühere lokali- 
satorische Einteilung der Großhirnrinde bei den Affen und an die kürzlich voll¬ 
endete, noch unveröffentlichte topographische Feldergliederung der Halbaffenrinde 
hat Vortr. neuerdings auch die kortikale Lokalisation des menschlichen Großhirns 
in Angriff genommen und gibt zunächst eine abgeschlossene histotopographische 
Einteilung des Lobus parietalis (und des Lobus occipitalis). In dem in 
Frage kommenden Gebiete lassen sich folgende durch ihren cytologischen Schichten¬ 
bau voneinander abweichende Strukturtypen unterscheiden und diesen entsprechende 
Bindenfelder (Areae cytoarchitectonicae) räumlich abgrenzen: I. In der Begio 
Rolandica, wie schon vor Jahren beschrieben: 1. Die Area gigantopyra- 
midalis — Typus 4 der niederen Affen (Biesenpyramidentypus) —, auf die 
kaudale Rinde des Gyrus centralis anterior beschränkt. 2. Die Area frontalis 
agranularis — Typus 6 — nach vorn an den Biesenpyramidentypus sich an¬ 
schließend, gehört im kaudalen Abschnitt ebenfalls der Begio Bolandica an, da 
das Feld den vorderen Umfang des Gyrus centralis anterior fast in ganzer Längen¬ 
ausdehnung, ausgenommen dessen dorsalsten Teil, einnimmt. 3. Die Area post- 
centralis oralis — Typus 3 —, ein schmaler Bindenstreifen, welcher in der 
Hauptsache auf die vordere Lippe des Gyrus centralis posterior beschränkt ist. 
4. Die Area postcentralis intermedia — Typus 1 —, der Kuppe der hin¬ 
teren Centralwindung entsprechend. 5. Die Area postcentralis caudalis — 
Typus 2 —, welche im wesentlichen die hintere Lippe des Gyrus centralis 
posterior einnimmt und teilweise auf den angrenzenden Lobulus parietalis su- 
perior übergeht. Diese 5 Typen sind bei den Affen in allen wesentlichen 
Strukturmerkmalen ebenso ausgebildet und auch ihre topische Lokalisation ist die 
gleiche wie beim Menschen, so daß an der Homologie kein Zweifel sein kann. 
Bei den Halbaffen sind Typus 4 und 6 gleichfalls vorhanden, dagegen findet sich 

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an Stelle von Typus 1, 2 und 3 (der Area postcentralis oralis, intermedia und 
caudalis) nur ein einziges Strukturgebiet, die Area postcentralis communis, welche 
gewissermaßen ein Mischtypus der drei genannten ist und daher das indifferenzierte 
Ausgangsstadium von jenen darstellen dürfte. — Die gleichen Verhältnisse wie 
bei den Halbaffen sind bei den lissencephalen Krallenaffen (Hapalidae) vorhanden. 
II. Im eigentlichen Scheitellappen: 6. Die Area praeparietalis — ein 
Rindentypus, der vom Vortr. zuerst hei den Affen als Typus 5 beschrieben und 
jüngst (Euch bei den Halbaffen nachgewiesen wurde und der mit dem Riesen- 
pyramidentypus das Gemeinsame hat, daß in der 5. Schicht außerordentlich große 
Ganglienzellen vorhanden sind. Er nimmt beim Menschen einen ganz kleinen 
Bezirk im vordersten Teile des oberen Scheitelläppohens ein und greift, zwerch¬ 
sackförmig über die Mantelkante hinweghängend, auf den hinteren Rand des 
Lobulus paracentralis über, wo er mit der Area gigantopyramidalis zusammenstößt. 
Biologisch bedeutungsvoll ist es, daß das homologe Feld bei den Halbaffen nicht 
nur räumlich am ausgedehntesten, sondern auch strukturell am differenziertesten 
ist, während die Affen eine Mittelstellung einnehmen. Sein Vorkommen bei 
niederen Tieren (auch bei Chiropteren) läßt auf elementare Funktionen, denen 
es vorsteht, schließen. 7. Die Area parietalis superior gehört in der Haupt¬ 
sache dem oberen Scheitelläppchen und an der Medialfläche dem Praecuneus an. 
8. Die Area supramarginalis und 9. die Area angularis, beide annähernd auf 
die gleichnamigen Windungszüge beschränkt. Die letzteren 3 Typen sind struk¬ 
turell einander am ähnlichsten, bieten aber für eine genauere histologische Analyse 
hinreichend Unterschiede, um sie als besondere Felder abgrenzen zu können. Bei 
den Affen und Halbaffen findet sich an ihrer Stelle nur ein Feld, die Area parie¬ 
talis communis (Typus 7 der Affen). Ob dieses Feld allen drei menschlichen 
Scheitellappentypen entspricht, und als deren tektogenetisches Ausgangsglied an¬ 
gesehen werden muß, oder ob es nur einem von ihnen, etwa der Area parietalis 
superior homolog ist, läßt sich vorläufig nicht sicher entscheiden. Im letzteren 
Falle wären die Area supramarginalis und angularis als spezifisch menschliche 
Bildungen aufzufassen. III. Im Occipitallappen sind ganz übereinstimmend 
mit Affen und Halbaffen von den angrenzenden Parietaltypen zu unterscheiden: 
10. Die Area striata — Calcarinatypus oder Typus 17 der Affen —, schon 
1903 im Anschluß an Bolton auch beim Menschen eingehend lokalisatorisch be¬ 
handelt. 11. Die Area occipitalis — Typus 18 — ein koronales Rindenfeld, 
das wie bei den Affen und Halbaffen die Area striata gürtelförmig an der 
medialen und lateralen Hemisphärenfläche umgreift. 12. Die Area praeoccipi- 
talis — Typus 19 der Affen —, welche die Area occipitalis koronaartig rings 
umschließt, wie diese die Area striata. Oralwärts grenzt sie an die Area parie¬ 
talis superior und die Area angularis. — Vortr. geht nicht so weit, die von ihm 
abgegrenzten Rindenfelder für irgend eine physiologische Anschauung oder gar 
jedes für eine ganz bestimmte Funktion in Anspruch nehmen zu wollen; es ist 
jedoch zu beachten, daß in den letzten Jahren sowohl auf klinischer Seite (Fälle 
von Mills, Spiller und Monakow einerseits und von Redlich, Oppenheim, 
Grasset, Monakow, Durant, Lemos u. a. andrerseits) wie von experimentell 
physiologischer Seite (Rindenreizungen von Sherrington und Grünbaum, C. und 
0. Vogt an Affen, Horsley, Stewart, F. Krauße u. a. beim Menschen), sich 
die Erfahrungen mehren, welche für eine funktionelle Scheidung der hinteren 
Centralwindung bzw. des Sch eitel lappens von der vorderen Centralwindung sprechen. 
Von diesem Gesichtspunkte aus könne den anatomisch lokalisatorischen Fest¬ 
stellungen vielleicht sehr bald praktische Bedeutung zukommen. Autoreferat. 

Diskussion: Herr M. Rothmann: Wir alle sind wohl Herrn Brodmann 
für die Demonstration dankbar, welche eine wesentliche Bereicherung und Ver¬ 
feinerung der anatomischen Differenzierung der Scheitellappenrinde darstellt. Be- 

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sonders angenehm fiel mir die große Zurückhaltung auf, die der Vortr. in bezug 
auf physiologische Schlußfolgerungen aus den anatomischen Differenzen ver¬ 
schiedener Rindenabschnitte heute geübt hat. Wenn er zum Schluß seiner Aus¬ 
führungen darauf hinwies, daß gewisse RUokschlüsse auf die funktionelle Bedeutung 
des Scheitellappens sich aus dem Verhalten der Rinde, die von dem „motorischen“ 
Rindentypus beträchtlich abweicht, entschieden aufdrängten, so ist immer wieder 
zu betonen, daß beim Affen dieses Gebiet unbedingt mit entfernt werden muß. 
damit die von der Großhirnrinde abhängigen Bewegungen der Extremitäten 
dauernd zum Ausfall kommen. Die von H. Munk festgestellten Grenzen der 
Extremitätenregion, die sich bei allen Nachuntersuchungen bewährt haben, um¬ 
fassen, vor allem im Gebiet des Lobus parietalis sup., auch große Abschnitte des 
Scheitellappens. Sogar die Versuche Brodmanns selbst, bei denen bald die 
vordere, bald die hintere Centralwindung entfernt wurde, bestätigen ja die Resti¬ 
tution der Bewegungen nach alleiniger Ausschaltung der Gebiete vor dem Sulcus 
centralis. Ich möchte auf diese Verhältnisse heute nicht näher eingehen und nur 
nochmals betonen, wie vorsichtig man bei der Übertragung anatomischer Ergeb¬ 
nisse auf das funktionelle Gebiet sein muß. Nur das physiologische Experiment 
kann hier, gestützt auf die Resultate anatomischer Forschung, das entscheidende 
Wort sprechen. Dann möchte ich den Herrn Vortr. um eine Aufklärung bitten. 
Bekanntlich bat Campbell auf dem gleichen Gebiet ausgedehnte Untersuchungen 
angestellt. In seiner zusammenfassenden Arbeit grenzt er eine besondere Scheitel¬ 
lappenrinde eigentlich nur entsprechend dem Lobus parietalis superior ab, während 
fast das ganze Gebiet des unteren Scheitellappens mit Ausnahme eines schmalen 
Streifens an der hinteren Centralwindung zusammen mit den unteren Windungen 
des Schläfenlappens sein audito-psychisches Feld darstellt. Sie sehen, daß 
Campbell in der Übertragung der anatomischen Ergebnisse auf die Funktion 
besonders weit geht. Eine derartige Ausdehnung der mit dem Gehörssinn in Be¬ 
ziehung stehenden Rindengebiete erscheint nun, auch nach den experimentellen 
Ergebnissen, wenig wahrscheinlich und stimmt, so weit ich verstanden habe, auch 
mit den Resultaten des Vortr. nicht überein. Vielleicht gibt uns Herr Brod- 
mann noch genauere Auskunft, wie sich seine Untersuchungen zu denen Camp- 
b el 1 s stellen. Autoreferat. 

Herr Vogt behauptet auf das entschiedenste, daß hintere und vordere Central- 
windung physiologisch streng getrennt sind, sowie daß Exstirpationen der beiden 
Regionen ganz verschiedene Bilder in klinischer Beziehung darbieten. 

Herr M. Rothmann: Nachdem der Vorredner so nachdrucksvoll auf die Be¬ 
ziehungen der vorderen und hinteren Centralwindung eingegangen ist, muß ich 
doch mit einigen Worten meinen Standpunkt wahren. Eis kann beim niederen 
Affen durchaus nicht als gesicherte Tatsache gelten, daß nur die vordere Central¬ 
windung elektrisch erregbare Foci enthält. H. Munk uud ich selbst konnten 
solche Foci auch in der hinteren Centralwindung nachweisen, wenn dieselben auch 
hier in geringerer Zahl und Ausdehnung vorhanden Bind. Aber der Nachweis 
der elektrischen Erregbarkeit ist hier nicht das Wesentliche, da elektrische Er¬ 
regbarkeit und motorische Funktion durchaus nicht in der Großhirnrinde unbedingt 
zusammenfallen. Hätte Herr Vogt seine Affen mit exstirpierter vorderer Central¬ 
windung nicht nur 3 Wochen, sondern einige Monate am Leben erhalten, so 
würde er sich von der Wiederkehr der isolierten Bewegungen in den geschädigten 
Extremitäten leicht überzeugt haben. Das beweist aber, daß hinter der Central¬ 
furche auch Centren für die Motilität vorhanden sind. Daß der motorische Aus¬ 
fall bei Entfernung der vorderen Central windung größer ist als bei Entfernung 
der hinteren, das erklärt sich aus der weit mächtigeren Entwicklung der ersteren. 
Ob die Verteilung der sensiblen und motorischen Centren in beiden Central¬ 
windungen die gleiche ist, das ist allerdings fraglich. Ein Überwiegen der sensiblen 


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Lokalisation in der hinteren Centralwindung und in dem Parietallappen ist sehr 
wohl möglich; aber daran ist nach den Ergebnissen des physiologischen Experi¬ 
mentes unbedingt festzuhalten, daß die ganze Extremitätenregion im Uunkschen 
Sinne motorische Elemente enthält, deren Erhaltensein auch nur hinter der Central¬ 
windung zur Auslösung der isolierten Bewegungen ausreicht. Autoreferat. 

Herr Vogt hat nie von motorischen und sensorischen Funktionen gesprochen, 
sondern nur von der elektrischen Reizbarkeit bestimmter Stellen (elektrischen 
Foci) und von dem verschiedenen Aussehen der Ausfallserscheinungen. Auch be¬ 
züglich der Dauer der Störungen ist er anderer Meinung als Herr Roth mann. 

Herr Brodmann (Schlußwort): Wenn Herr Rothmann jetzt eine ver¬ 
schiedene physiologische Dignität des Gyrus centralis anterior und posterior an¬ 
erkennt, so kommt er unserem Standpunkte immer näher. Herr Campbell 
ist in seiner lokalisatorischen Gliederung der menschlichen Hirnrinde nicht so 
weit gekommen, wie ich (zeitlich vor ihm) bei den niederen Affen. Er hat 
in der hinteren Centralwindung nur zwei Typen unterschieden, im Ocoipital- 
lappen trennt er die strukturell ganz differente Area occipitalis nioht von der 
Area praeoccipitalis, die Area praeparietalis wurde von ihm ganz übersehen, 
obwohl sie bereits früher von mir beschrieben war. Den Lobulus parietalis 
inferior, in dem ich zwei Felder abgrenze, faßt er mit dem ganzen Lobus tem- 
poralis zu einem einheitlichen Gebiet zusammen, während ioh in der ersten 
Schläfenwindung allein wieder drei, in den übrigen Temporalwindungen mindestens 
zwei Felder unterscheiden kann. Seine Lokalisation kann also gerade in bezug 
auf die wichtigen Rindenabschnitte des Scheitel- und Schläfenlappens nicht als 
erschöpfend und ausreichend bezeichnet werden. Autoreferat. 

3. Herr Reich (Herzberge): Arefiexie der Cornea bei Tumor des Stirn- 
hirns (Neuroglioma ganglionare). Vortr. berichtet über einen Tumor des rechten 
Stirnhirns, der klinisch und anatomisoh mancherlei interessante Eigenheiten dar¬ 
bot. Bezüglich der Symptome war besonders auffällig Beugung des Kopfes 
nach der Seite des Tumors, Drehung des Gesichtes und der Augen nach 
der dem Tumor entgegengesetzten Seite, verbunden mit starrer Kontraktur des 
Sternocleidomastoideus auf der Seite des Tumors, Verkrümmung des 
Rumpfes mit der Konvexität nach der vom Tumor abgekehrten Seite. Die Ex¬ 
tremitäten der dem Tumor entgegengesetzten Körperseite befanden sich in dem 
Zustande einer eigenartigen tonischen Lähmung, die, in den distalen Teilen 
am wenigsten ausgeprägt, proximalwärts progressiv zunahm und besonders 
stark in Schulter und Hüfte ausgebildet war. Dieselbe ging in den letzten 
Stadien der Krankheit auch auf die andere Seite über. Außerdem bestand eine 
Arefiexie der rechten Cornea, aus der sich allmählich eine fast völlige 
sensible Lähmung des rechten Trigeminus entwickelte. Von weiteren Symptomen 
seien erwähnt: Neuritis optica (r. > 1.) mit Ausgang in Atrophie, hochgradige 
anscheinend central ausgelöste Schmerzhaftigkeit in den befallenen Gliedern und 
auch im Rumpfe, Atrophie der gelähmten Muskeln ohne Entartungsreaktion, 
Temperaturdifferenz beider Achselhöhlen, Drehschwindel, Gangstörung, Bradyphasie, 
Benommenheit, Halluzinationen usw. Die Diagnose wurde hauptsächlich mit 
Rücksicht auf die Arefiexie der Cornea vermutungsweise auf Tumor der rechten 
hinteren Schädelgrube gestellt. Die übrigen Symptome schienen mit einer solchen 
Diagnose nicht ganz imvereinbar. Anatomisch fand sich ein gut abgegrenzter klein¬ 
apfelgroßer Tumor, der sich in dem Sulcus frontalis 1 des rechten Stirnhirns ent¬ 
wickelt hatte und die erste Stirnwindung stark medialwärts, die zweite und dritte 
Stirnwindung nach lateral unten und das Mark der hinteren Teile des Stirnhirns 
nach hinten verdrängt hatte. Die mediale Fläche des linken Stirnhirns war durch 
den Druck von rechts her stark ausgehöhlt. Außerdem fand sich eine auf Serien¬ 
schnitten verfolgte hochgradige Degeneration des rechten Trigeminus, die sich auf 

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«len Nervenstamm und die auf- und absteigende Wurzel erstreckte, und im Qaer- 
schnittbild deutlich als scharf abgegrenztes helles Feld hervortrat. Nur die 
motorischen Fasern waren wenigstens partiell erhalten. Im motorischen Ker-i 
fanden sich rechts zahlreiche, links spärliche Zellen mit chromolytischer Dege¬ 
neration. Der Ramus ophthalmicus des Trigeminus und das Ganglion ciliare 
waren unversehrt. Das rechte Ganglion Gasseri zeigte sich verkleinert, etwas 
arm an Zellen und in seiner allgemeinen Konfiguration etwas deatruiert. Neben 
dem rechten Ganglion Gasseri fand Bich völlig frei in der Impressio trigemini 
unterhalb der Dura liegend eine länglich runde wie ein Fettträubchen aussehende 
Bildung von etwa ReiskorngröBe. Dasselbe bestand mikroskopisch aus einem 
neurogliären Grundgewebe, das reichlich feine Nervenfasern und Ganglienzellen 
enthielt. Letztere zeigten zum Teil etwas atypische Formen, zum Teil aber 
handelte es sich um ganz große Zellen von ausgeprägt stiohochromem Typus mit 
groben Nisslschen Granulis von charakteristischer Anordnung. Eis war dabei 
eine deutliche Schichtung in Mark und Rinde vorhanden derart, daß die Nerven¬ 
fasern im wesentlichen im Centrum, die Ganglienzellen hauptsächlich an der Peri¬ 
pherie angeordnet waren. Auch eine kleine Pia, die die Geschwulst einhüllte 
und von der aus die Gefäße ins Innere zogen, war vorhanden. Es handelte sich 
also um ein Gebilde, das die histologische Struktur des Gehirns im kleinen wieder¬ 
holte, also gewissermaßen um ein kleines „Nebengehirn“. Will man dies Gebilde 
als Geschwulst auffassen, so wäre es als Neuroglioma ganglionare zu bezeichnen. 
Der große Tumor bestand aus atypischen sternförmig verästelten Zellen. Sie 
hatten zum Teil Kerne, die wie die der Ganglienzellen aussahen, es ließen sich 
in ihnen nach Bielschowskys Verfahren Fibrillen darstellen, auch gelang es 
mit basischen Anilinfarbstoffen meist mehrfÖrroig angeordnete färbbare Substanz¬ 
portionen in ihnen nachzuweisen. Vortr. glaubt, daß die Annahme nicht ganz 
von der Hand zu weisen ist, daß die große Geschwulst sich ebenso wie die kleine 
als „Nebengehirn“ charakterisierte Bildung auB einem verirrten Keime neuro- 
epithelialer Art entwickelt haben dürfte. Dieser Keim hätte sich dann in dem 
einen Falle zu typischem organoidem Gewebe, im andern Falle durch atypische 
Wucherung zu einer großen deletären Geschwulst entwickelt. Vortr. meint, daß 
genauere Untersuchung der Gehirngeschwülste mit den feineren Methoden der 
neurologischen Technik wohl manche der als Sarkome und mit ähnlichen Namen 
bezeichneten Geschwülste ah neuroepithelialer Natur erkennen lassen würde. Er 
hat selbst erst vor kurzem an anderer Stelle zeigen können, daß eine Gehirn- 
geschwulst, die in vieler Hinsicht den Charakter eines Spindelzellensarkoms zeigte, 
nicht aus Zellen bindegewebiger Natur, sondern aus neurofibrillenbildenden, also 
nervösen Zellen bestand. Bezüglich der einzelnen klinischen Symptome glaubt 
Vortr. zunächst, daß die Areflexie der Cornea, die sonst als ein typisches Symptom 
für Tumoren der hinteren Schädelgrube gilt, hier zustande gekommen ist durch 
vereinigte Wirkung beider Tumoren. Die eigenartige Kombination von Blick¬ 
wendung, Kopfdrehung, Rumpfbeugung und Lähmung von Schulter und Hüfte 
hängt wohl direkt von der Lokalisation des Tumors ab, der, wenn man ihn in 
das übliche Lokalisationsschema einträgt, entsprechend seiner Lage zwischen dei 
ersten und zweiten Stirnwindung, so gelegen ist, daß sein Druck sich medialwärta 
gegen das in der ersten Stirnwindung gelegene Rumpfcentrum, lateralwärts gegen 
das in der zweiten Stirnwindung gelegene Centrum für Kopfdrehung und Blick¬ 
bewegung und nach hinten gegen die am Fuße der ersten Frontalfurche an¬ 
einanderstoßenden Centren für Schulter und Hüfte richten mußte. Vortr. hält es 
für möglich, daß das Symptom einer derart kombinierten Lähmung eventuell in 
späteren Fällen für die Lokaldiagnose von Stirnhirntumoren verwertet werden 
könnte. Autoreferat. Martin Bloch (Berlin). 


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XXXVIII. Versammlung der südwestdeutsohen Irrenärste in Heidelberg 

am 2. und 3. November 1907. 

Referent: Hugo Levi (Stuttgart). 

(Schluß.) 

Herr Fuchs: Psychiatrie und Mneme. Neben der klinischen Zusammen¬ 
gehörigkeit sind die biologischen und anthropologischen Zusammenhänge von Be¬ 
deutung. Die moderne Naturwissenschaft, die den Gedanken Herings von dem 
Gedächtnis als einer allgemeinen Funktion der organischen Materie annimmt und 
damit Gedächtnis, Vererbungsfähigkeit, Regulations- und Regenerationsvermögen 
einheitlich erklärt, gestattet Analogieschlüsse auf allen Gebieten der Naturwissen¬ 
schaft. Aus den Vererbungsgesetzen (Mendel), dem Gesetz der Anpassung, der 
Zuchtwahl, ans den Erfahrungen der Tierzüchter, der Pädagogen wie der Psychiater 
geht hervor, daß die psychische Individualität aus Einzelbestandteilen sich zu- 
sammensetzt, die sich gegenseitig mehr weniger glücklich im Sinne der Funktion 
ergäuzen, und daß davon die Art der Reaktion auf Erlebnisse sowie die Leistungen 
abhängen. Autoreferat. 

Herr L. Mann (Mannheim): Die psychiatrischen Aufgaben der Gemeinden. 
In der Mehrzahl der Städte ist im Gegensatz zu dem sonstigen Verständnis für 
sozial-hygienische Aufgaben die Versorgung der Geisteskranken vor der Aufnahme 
in die Anstalt eine ungenügende. Die paar Zellen, die gewöhnlich zur Verfügung 
stehen, können nur der Verwahrung dienen, eine Behandlung ist so gut wie aus¬ 
geschlossen. Die Gemeinden müssen entweder in Form eigener psychiatri¬ 
scher Abteilungen der Krankenhäuser oder von Asylen — beide unter 
spezialistischer Leitung — für eine sachgemäße Vorbehandlung Geisteskranker, 
Versorgung akut hilfsbedürftig Gewordener (Epileptiker, Hysteriker, Alkoholiker, 
Deliranten, Psychopathen usw.), die rasch wieder zur Entlassung kommen, sorgen. 
In größeren Städten ist dieser Einrichtung die Begutachtung event. Behandlung 
und Erziehung von Fürsorgezöglingen und Jugendlichen anzuschließen, wie dies 
Frankfurt durchgeführt hat. Der klinischen Einrichtung ist eine psychiatrische 
Beratungsstelle anzuschließen mit Poliklinik für das Heer der psychisch Ner¬ 
vösen und mit einer Auskunftsstelle für alle Fragen des Irrenwesens, in welcher 
Gesunde und Kranke über die rechtlichen Verhältnisse, Anstaltsunterbringung, Ent- 
mündigungsangelegenheiten, Verfahren mit Alkoholikern usw. unentgeltlich Aus¬ 
kunft erhalten. In Verbindung hiermit wäre eine Centrale zur Bekämpfung 
des Alkoholismus zu schaffen. Ferner wird die Einrichtung von Kursen für 
Freiwillige und Berufsirrenpfleger ermöglicht, die den Anstalten einen 
Nachwuchs von geeignetem Material liefern können. Es ist anzunehmen, daß bei 
dem Wechsel der Lage des Arbeitsmarktes sich genügend Leute für den Pfleger¬ 
beruf finden, wenn sie Gelegenheit haben, diesen vorher kennen zu lernen. Vortr. 
verspricht sich hiervon Vorteile für die Qualität des Pflegepersonals. Ebenso 
werden Kurse für Juristen, Verwaltungsbeamte, Lehrer und die Polizei abzuhalten 
sein, wie dies Dannemann, der in allen diesen Fragen besondere Verdienste 
hat, für letztere durchführte. Sehr wichtig ist die Fürsorge für die entlassenen 
Geisteskranken und Fürsorgepfleglinge. Die Hülfsvereine für entlassene Geistes¬ 
kranke genügen nicht; es muß ein psychiatrischer Arbeitsnachweis ge¬ 
schaffen werden, der einerseits in Verbindung mit den entlassenden Anstalten, 
andererseits in Verbindung mit den städtischen allgemeinen Arbeitsnachweisen und 
den Arbeitgebern stehen soll. Wenn ein Kranker zur Entlassung kommt, so soll 
schon eine Unterkunftsstelle und Arbeitsstelle für ihn bereit sein. Die Centrale 
übt dann die weitere Kontrolle aus und erledigt die Erkundigungen der Anstalten. 
Weiter muß die Centrale in Verbindung stehen 1. mit der Schulbehörde, 2. mit 
der Aushebungskommission (rechtzeitige Ausschaltung Minderwertiger vom 
Militär), mit den Gerichtsbehörden (bei Einleitung von Zwangs- und Fürsorge- 


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erziehung, Verfahren bei Jugendlichen), 4. mit dem Bezirksamt oder der ent¬ 
sprechenden Verwaltungsbehörde (Begutachtung und Verfahren bei Landstreichern, 
Prostituierten usw.). Schließlich wird die Stadtpsychiatrie bei der Statistik der 
Psychosen und Psychoneurosen, bei anamnestischen und katamnestischen Erhebungen, 
bei der Familienforschung, bei der Erforschung der sozialen Ursachen und sozial¬ 
hygienischen Prophylaxe (Einfluß von Beruf, Wohnungsverhältnissen, Arbeits¬ 
verhältnissen, Kinderarbeit usw.) wertvolle Dienste leisten können. Autoreferat. 

Diskussion: Herr Sioli (Frankfurt) und Kreuser (Winnenthal) stimmen 
dem Vortr. bei. 

Herr M. Friedmann: Zur Indikationsstellung für den künstlichen 
Abort wegen psyohiaoher Krankheit. Nach Vortr. sind zwei prinzipiell 
geschiedene Anzeigen für den Abort wegen psychischer Krankheit zu trennen. 
Bisher hat es sich fast durchweg in den Erörterungen um die sogen. Graviditäts¬ 
und Puerperalpsychosen gehandelt und dabei um die kausale Frage, ob der 
Abort die Entstehung einer solchen Psychose verhindern oder die Heilung einer 
bereits ausgebrochenen Psychose herbeiführen könne. Diese Frage wird im 
allgemeinen verneint (zuletzt von Alzheimer). Jolly dagegen hatte behauptet, 
daß die Schwangerschaft als ungünstige Komplikation einer Melaucbolie und 
Katatonie erscheinen und daß daher ihre Beseitigung normalere Heilungsmöglicb- 
keit schaffen könne. In der ärztlichen Praxis indessen besitzt nach langjähriger 
Erfahrung des Vortr. die Frage des Abortes bei allen echten Psychosen überhaupt 
nur recht geringe Bedeutung. Sehr viel häufiger ergibt sich hier die zweite 
Indikation, welche freilich bisher anscheinend nur von Pick literarisch vertreten 
worden ist, und welche Vortr. veranlaßt hat, bisher binnen 12 Jahren in fünf 
Fällen den Eingriff zu befürworten. Es handelt sich hier um ausnahmsweise 
schwere atypische und psychogene Erregungen, aUo um eine abnorme 
psychopathische Reaktion, welche ihrer Art nach vergleichbar ist beispiels¬ 
weise mit gewissen atypischen Haftpsychosen (Willmanns), vielen traumatischen 
Neurosen und der „neurasthenischen Melancholie“, wie sie Vortr. selbst schon 
früher beschrieben hat. Zugrunde liegt die Angst und Furcht der Frauen vor 
der Geburt oder vor der neuen Mutterschaft und zwar dann, wenn jene in seltenen 
Fällen zu hochgradiger und abnormer „Überwertigkeit“ anwächst. Das 
Symptomenbild wird in erster Linie beherrscht von der andauernden und schweren 
Angst bzw. von besonderen schweren Angstanfallen. Dazu tritt fast regulär 
ein intensiver Selbstmorddrang, häufig Feindseligkeit und Wutanfälle gegen 
den Ehemann und regelmäßig ein Erlöschen aller sonstigen geistigen Interessen 
und nützlicher Betätigung. Die Stimmung ist die einer kontinuierlichen dumpfen 
oder erregten Verzweiflung begleitet von rascher körperlicher Abnahme. Objektiv 
sind die Ursachen der Geburtsangst an und für sich betrachtet nicht sehr erheblich 
gewesen (z. B. vorangehende schmerzhafte Entbindung, ärmlich gewordene Ver- 
mögensverhältnisee bei den Frauen). Vor Eintritt der Schwangerschaft indessen 
sind die Frauen schon nervös erschöpft und überdies oft neuropathisch belastet 
gewesen. Charakteristisch für den psychogenen Ursprung der Psychopathien ist, 
daß sie fast sofort nach Beseitigung der erregenden Ursache zur Heilung gelangen. 
In der Tat sind sämtliche 5 Patienten des Vortr. sogleich nach der Ver¬ 
richtung des Abortes normal und ruhig geworden, und nur ein Fall wurde 
später rückfällig. Die Gefahren der Zustände liegen begründet: 1. in dem 
starken Selbstmordtriebe und den schon ausgeführten Selbstmordversuchen; 2. in 
der raschen köperlichen Abnahme, welche in der Tat in dem nicht geheilten Falle 
nach 2 2 / 2 Jahren den Eintritt einer floriden Lungentuberkulose mit Exitus binnen 
3 Monaten zur Folge hatte; 3. in einer hartnäckigen schweren Neurasthenie und 
wahrscheinlich auch einer echten Melancholie, welche hinterher in Fällen des Vortr. 
sich einstellten, wo der Abort nicht ausgeführt worden war; 4. in einer dauernden 


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psychischen Alteration mancher Frauen, welche sie späterhin zu kouseijuenter Ver¬ 
weigerung des ehelichen Zusammenlebens (und einmal seihst zur Ehescheidung* 
veranlagte. Als Hilfsmittel gegen die Selhstmordgefahr hat Vortr. nicht die Ein¬ 
schließung in einer Irrenanstalt dem Aborte vorgezogen, weil jene 1. die Frauen 
noch Monate lang ihrer Angst überantwortete, weil 2. die Frauen gar nicht 
wirklich geisteskrank sied (so wenig wie ein übertriebener Eifersüchtiger oder 
Hypochondrischer) und weil sie auch kaum ohne Zwang in die Anstalt zu bringen 
wären, und weil 3. die Anstalt die Frauen ihren Kindern und ihrer Familie ent¬ 
reißen würde. Richtig ist, daß diese psychogenen Angstzustände nur in seltenen 
und besonders schweren Fallen den Abort rechtfertigen. Zu verlangen ist, daß 

1. stets zwei Arzte und darunter ein Psychiater die Indikation billigen und daß 

2. stets der Patientin gegenüber der Eingriff zunächst verweigert und daß eine rationelle 
Nervenkur zuvor erprobt wird. Da es sich um schwere und nicht unbedenkliche 
Krankheitszustände hier handelt und da der Abort fast mit Sicherheit sofortige 
Hilfe bringt, da auch das psychische Verhalten bei den Frauen selbst auf krank¬ 
haft abnormaler Grundlage beruht, so wird die Rücksicht auf die Humanität 
sicherlich zugunsten des Eingriffs sprechen. Der Arzt, welcher ihn dennoch ver¬ 
weigert, maß sich klar darüber sein, daß er sich dabei nicht lediglich von ärzt¬ 
lichen, sondern auch von ethischen und sozial-juristischen Anschauungen und 
Gesichtspunkten leiten läßt. Ob aber das öffentliche Rechtsbewußtsein vom Arzte 
eine solche Strenge verlangt, das erscheint Vortr. mindestens zweifelhaft. 

Diskussion: Die Herren Alzheimer, Gaupp und Schüle bekämpfen den 
Standpunkt des Vortr. Gaupp führt aus, daß für das Handeln des Arztes das 
bestehende Gesetz maßgebend sein muß, daß die Einleitung des Aborts nur dann 
gerechtfertigt sei, wenn direkt das Leben der Mutter ohne dieselbe verloren sei; 
davon könne in den Fällen des Vortr. nicht die Rede sein, da durch Unter¬ 
bringung der Patientinnen in der Irrenanstalt die Gefahr des Selbstmordes be¬ 
seitigt worden wäre. Schüle hält es direkt tur gefährlich, wenn der Standpunkt 
des Vortr. im großen Publikum bekannt würde. Herr Wo 11 e u b e rg tritt 
dieser Ansicht Schüles mit Nachdruck entgegen. Die Stellungnahme Jollys 
zu dieser Frage *in Hamburg habe auch keinen Schaden gebracht. Wollenberg 
kann sich sehr wohl denken, daß es Fälle gibt, in welchen das Vorgehen des 
Vortr. in Frage kommen kann. Es muß von Fall zu Fall entschieden werden. 
Herr Neu mann (Karlsruhe) legt das Hauptgewicht auf die Frage: ist es ein 
pathologischer oder physiologischer Angstzustand. 

Herr Quensel: Mit dem gleichen Thema wie der Herr Vortragende habe 
ich mich kürzlich beschäftigt in einem Vorträge in der Leipziger Gesellschaft für 
Geburtshilfe und Gynäkologie, der demnächst in der „medizinischen Klinik“ er¬ 
scheinen soll. Auf Grund eigener langjähriger Erfahrungen in der psychiatrischen 
Klinik zu Leipzig bin ich zu im ganzen den gleichen Resultaten gekommen wie 
Herr Alzheimer. Die Heilung bei unseren Graviditätspsychosen erfolgte meist 
ganz unabhängig von der Entbindung, entweder vor oder lange nach derselben, 
nur zweimal in kurzer zeitlicher und wohl auch ursächlicher Folge. Bei einer 
dieser Kranken war (nach dem Vorschläge Jollys) auf unseren Rat ein Abort ein¬ 
geleitet. Bei einer neuen Depression in graviditate ist ohue Hinzuziehung eines 
Psychiaters wiederum so und, wie ich erfahren habe, mit noch schnellerem Er¬ 
folge verfahren worden. Ich selbst hätte nicht wieder dazu geraten, da die Frau 
inzwischen mehrfach auch normale Entbindungen durchgemacht hat, trotzdem auch 
da in der Gravidität die gleiche Komplikation eingetreten, aber auch ohne Abort, 
geheilt war. Es dürlte doch sehr schwer sein, die Fälle auszusondern, hei welchen 
die Schwangerschaftsunterbrechung auch nur erfolgreich sein wird, und wenn man 
hierbei auf die Mitwirkung psychogenbedeutsamer Faktoren besonderes Gewicht 
legt, läuft man die Gefahr zu großer Konnivenz gegen nicht immer kontrollierbare 


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Wünsche seiner Kranken. Ich möchte nur noch kurz erwähnen, daß mir meine 
Erhebungen Material auch zur Prüfung einer anderen wiederholt aufgeführten 
Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung geliefert haben, nämlich der, man 
solle damit die Wiedererkrankung von Frauen verhüten, welche früher einmal 
eine Psyohose im Anschluß an Gravidität oder Entbindung durchgemacht haben. 
Von meinen derartigen geheilten Kranken haben eine große Anzahl später noch 
eine oder mehrere Entbindungen durchgemacht, fast alle aber sind, gewisse ohnehin 
periodische Kranke abgerechnet, trotzdem dauernd gesund geblieben. Es kann 
also diese Indikation nach der einfachen klinischen Erfahrung künftig nicht mehr 
aufrecht erhalten werden. Autoreferat. 

Herr Friedmann (Schlußwort) erkennt an, daß heute noch die Mehrzahl der 
Ärzte einen von dem seinigen verschiedenen Standpunkt einnimmt. 

Herr Oppenheim (Freiburg): Plasmazellenbefunde im Rüokenmark 
bei progressiver Paralyse. In Analogie zur Rindenerkrankung beanspruchen 
bei der progressiven Paralyse auch im Rückenmark neben den degenerativen die 
entzündlichen Vorgänge besondere Beachtung. In 13 Fällen von progressiver 
Paralyse, bei welchen Vortr. das Rüokenmark untersuchte, fanden sich als Aus¬ 
druck der entzündlichen Veränderungen Plasmazelleninfiltrate in der Pia nnd den 
Adventitialscheiden der Rückenmarksgefäße. Häufig wurde eine direkte Fort¬ 
setzung der Piainfiltration auf die im Rückenmark eintretenden, feineren Gefäße 
beobachtet. Bevorzugt erwiesen sich die Gefäße der Seitenstränge und der hinteren 
Wurzeln, während sich in der grauen Substanz nur spärliche Plasmazellen fanden. 
An Stellen, die Weigertdegeneration zeigten, besonders in alten, sklerotischen 
Partien, fanden sich stets nur wenige oder gar keine Plasmazellen, während an 
den Stellen der reichlichsten Plasmazellinfiltration Marchidegenerationen bald 
nachweisbar waren, bald fehlten. Ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen 
degenerativen und entzündlichen Vorgängen ließ sich demnach nicht feststellen. 
Die entzündlichen Prozesse spielen also im Rückenmark bei der progressiven 
Paralyse eine nicht zu unterschätzende Rolle und können auch in Fällen, wo 
Faserdegenerationen fehlen, die Beteiligung des Rückenmarks an der paralytischen 
Erkrankung erweisen. (Der Vortrag wird demnächst in ausführlicher Form er¬ 
scheinen.) Autoreferat. 

Herr Quensel demonstriert Präparate mit aktiven Zelldegenerationen 
naoh Hirnstammverletzung bei Kaninchen. Bei gemeinsam mit Kohnstkmm 
ausgeführten experimentellen Untersuchungen fanden sich im Anschluß an eine 
Läsion, die in der Höhe des motorischen Trigeminuskernes gerade die Raphe 
und den mittleren Teil der Formatio reticularis, von den hinteren Längsbündeln 
an bis ventral in den Trapezkörper, zerstörte, eine Tigrolyse caudal gelegener 
Zellen in der Formatio reticularis bis zur Höhe der Hinterstrangskerne abwärts. — 
Diese Reaktion läßt dieselben als Ursprungszellen eines in der Formatio reti¬ 
cularis ansteigenden Systems erscheinen. Ein solches ist zu postulieren als wesent¬ 
liches Glied in der dritten großen corticopetalen, der Leitung von Schmerz- und 
Temperatureindrücken dienenden Bahn (Kohnstamm, Gesellsch. deutscher Nerven¬ 
ärzte 1907), dem mit dem (zum Kleinhirn bestimmten) Gowersschen Bündel ver¬ 
laufenden tractus anterolateralis ascendens. Das System stammt aus Hinterhorn- 
zellen, kreuzt in der ventralen Commissur, ein kleiner Teil (spinotectale Bahn 
von Edinger) erreicht die Vierhügel (Hoche, v. Sölder u.a.), ein noch kleinerer 
gelangt zum Thalamus (spinothalamische Bahn, Mott, beim Menschen zuerst vom 
Vortr. beobachtet). Die Hauptmasse endet in der Formatio reticularis, wie 
demonstrierte M ar ch i präparate zeigen (Centrum receptorium medullae oblongataeK.). 
Aus der Oblongatu steigen in der Formatio reticularis ventral und lateral vom 
Fase, longitudinalis post. Faserzüge auf (Forelsche Faszikel von Lewandowsky), 
die den Thalamus und damit den Anschluß an die Rinde erreichen. Sie ver- 


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laufen in unmittelbarer Nähe der sekundären Trigeminusbahnen, für die nach 
klinischen wie anatomischen Erfahrungen durchaus analoge Verhältnisse bestehen. 
Als Sohlußstein in der Kette der inultineuronalen Schmerz- und Temperatursinnes¬ 
leitung fehlte uns bisher nur die Kenntnis der Ursprungszellen für die aus der 
Medulla oblongata entspringenden Fasern. Unsere Präparate zeigen sie genau an der 
zu erwartenden Stelle degeneriert. Unsere Deutung findet gewisse Schwierigkeiten 
darin, daß, wie Kohnstamm gezeigt hat, Zellen der Formatio reticularis, speziell 
auch im unteren Lateralkern (Nucleus reticularis lateralis) nach Rückenmarksdurch- 
schneidungen aufsteigend degenerieren, also absteigende Axone aussenden. Dem¬ 
gegenüber ist zu bemerken: 1. Es handelt sich zum Teil hier um andere Zellen, 
besonders auch um mittelgroße im dorsalen Teile der Formatio reticularis grisea, 
direkt ventral vom hinteren Längsbiindel gelegene. 2. Von den großen, ventraler 
gelegenen Zellen ist von Kölliker, Ramon und von Held beobaohtet, daß sie 
einen Achsenzylinderfortsatz aussenden, der sich in einen auf- und einen ab¬ 
steigenden Ast teilt. Damit ist die Möglichkeit einer reaktiven Degeneration 
sowohl auf- als absteigend durchaus gegeben. Die Zellen stellen das Glied einer 
centripetalen Kette dar. Wie so oft bei centralen Elementen sind sie aber damit 
in ihrer Funktion nicht erschöpfend charakterisiert, sondern erfüllen zugleich noch 
reflektorische und koordinatorische Funktionen. Als Reflexelemente sind sie denn 
auch schon von Held u. a., als sensibles Neuron dritter Ordnung von Kölliker 
angesprochen worden. Autoreferat. 

Herr Merzbacher (Tübingen) spricht über eine eigenartige familiäre Er¬ 
krankung des Centralnervensystems, die bei 11 Mitgliedern einer Familie 
in gleichartiger Weise aufgetreten ist. Die Erkrankung beginnt im 4. Lebens¬ 
monat mit Nystagmus und Tremor des Kopfes und führt allmählich zu einem Ge¬ 
samtbilde, das sehr an eine schwere multiple Sklerose erinnert. Bei zwei Familien¬ 
mitgliedern kamen noch Muskel atroph ien, Lähmungen der Extremitäten und 
eigenartige Erkrankungen der Knochen hinzu. Die klinische Stellung der Er¬ 
krankung erscheint noch unsicher. Vortr. gelangte auch in den Besitz des Gehirnes 
eines 20jährigen verstorbenen Mitgliedes dieser Familie. Die Veränderungen am 
Gehirn sind sehr merkwürdig. Die Markscheiden sind fast ganz verschwunden, 
die Markstreifen und so auch der Balken auf ein Minimum reduziert. Die im 
Jahre 1885 von Pelizäus beschriebene familiäre juvenile multiple Sklerose 
zeigt weitgehende Analogien mit der vom Vortr. gefundenen Erkrankung. Die 
Untersuchungen sind noch im Gange, nach Abschluß derselben erfolgt ausführliche 
Mitteilung in einem Fachblatte. Autoreferat. 

Herr Homburger: Fragestellungen zur Lehre von der Struktur der 
fhserlgdn pathologischen Neuroglia. Weigert hatte festgestellt, daß in der 
Anordnung der normalen Neurogliafasern, deren Wesen ab Stützsubstanz ent¬ 
sprechend, mechanische Momente der Zug-, Druck-, Schubfestigkeit mitbestimmend 
Bind und daß die normale Neuroglia von dem Rouxschen Maximum-Minimum¬ 
gesetz keine Ausnahme mache. Für die pathologisch neugebildete faserige Glia 
beanspruchte er die Geltung seiner Schädigungstheorie in dem Sinne, daß durch 
Ausfall nervösen Gewebes eine Glianeubildung ausgelöst wird mit der Tendenz 
zur Überproliferation. Vortr. bringt nun einige Beispiele dafür bei, daß auch 
unter pathologischen Bedingungen an der gliösen Abgrenzung von apoplektischen 
Cysten bzw. Erweichungshöhlen und am Rande traumatischer Hirnrindendefekte 
echte Stützgerüstformationen Vorkommen, welche dem Maximum-Minimumprinzip 
entsprechen. Diese Bildungen stellen in konstruktiver und biologischer Hinsicht 
einen scharfen Gegensatz dar gegenüber den strukturlosen, unentwirrbaren Faser¬ 
massen, die man um Erweichungen usw. gewöhnlich findet. In diesen einander 
gegenüberstehenden Bildungen kommen zwei Formen des Maximum-Minimum¬ 
gesetzes zum Ausdruck: 1. Die gewöhnliche und für normale Verhältnisse durch- 


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weg gütige: Ein Minimum an Material leistet ein Maximum an Funktion durch 
die mechanisch hochwertigste Anordnung der Elemente. Unter pathologischen 
Verhältnissen der seltenere Fall. 2. Ein Maximum neugebildeten Materiale* 
leistet die reparatorische Funktion in einem Minimum von Zeit, wobei die An¬ 
ordnung der Elemente in den Hintergrund tritt; die Druckausgleichung duich 
Raumausfüllung ist das wesentliche. In der Geltendmachung des zeitlichen 
Momentes sieht Vortr. ein wesentliches Charakteristikum formativer Prozesse unter 
krankhaften Bedingungen. Von diesen Gesichtspunkten aus ist es an sich schon klar, 
daß die pathologische Neubildung von Gliafasern nicht unabhängig von derjenigen 
der zelligen Glia verständlich ist; in jedem Falle sind folgende Fragen zu stellen: 
1. nach der Fähigkeit der Zellen Fasern zu bilden, 2. nach der Möglichkeit 
hierzu nach Maßgabe der Spannungsverhältnisse zwischen nervöser Substanz, 
Flüssigkeiten und Neuroglia selbst, 3. nach dem mechanischen Erfordernis zur 
Bildung von Fasern. Hierfür Kriterien zu schaffen, ist die Aufgabe späterer 
Untersuchungen. Autoreferat, 

Herr Rosenfeld (Straßburg): Die Serodiagnose der syphilidogenen Er¬ 
krankungen des Centralnervensystems. Vortr. referiert zunächst diejenigen 
Arbeiten, nach welchen mit Hilfe der Komplementbindungsmethode Antistoffe in 
der Cerebrospinalflüssigkeit und im Serum gefunden wurden (Wassermann. 
Plaut, Marie, Levaditi, Schütze, Neisser, Bruck, Schucht u. a.). Die 
beiden zuerst genannten Autoren fanden bei ihren ersten Untersuchungen in 
41 Fällen von 54, Antistoffe in der Cerebrospiualflüssigkeit; in 19 Fällen von 

20 auch im Serum. Marie und Levaditi konnten dieselben in 29 Fällen von 

39 nach weisen. Bei Tabikern scheint der positive Ausfall der Reaktion nicht so 
häufig zu sein. Nach der Untersuchung von Schütze fanden sich in 11 Fällen 

von Tabes nur achtmal Antistoffe; dabei war es auffällig, daß in den vier übrig 

bleibenden Fällen auch die luetische Infektion geleugnet wurde. Zahlreiche Fällt, 
in denen sich Antistoffe nachweisen ließen, hatten angeblich keine Infektion durch¬ 
gemacht. Für den Ausfall der Reaktion war es gleichgültig, ob die Zustands- 
bilder schwer waren, ob eine antiluetische Behandlung stattgefunden hatte und 
ob der Zeitpunkt der Infektion schon lange zurücklag. Ein Parallelismus zwischen 
der Lymphocytose und dem Vorhandensein von Autistoffen ließ sich nicht Dach¬ 
weisen. Bei späteren Untersuchungen von Plaut stieg die Zahl derjenigen Fälle, 
in welchen sich Antistoffe im Serum und Cerebrospinalflüssigkeit nachweisen 
ließen, fast auf 100 Prozent. Bei Lues cerebri und bei Lues ohne cerebrale 
Affektion war die Zahl der Fälle, welche eine positive Reaktion gaben, eine 
geringe. Das Vorkommen von Antistoffen in der Cerebrospinalflüssigkeit erscheint 
demnach als pathognomonisch für Paralyse. Vortr. berichtet dann ferner über 
Untersuchungen, welche von Fornet und Schereschewsky im Bakteriologischen 
Institut zu Straßburg angestellt worden sind. Die genannten Autoren suchten 
mit Hilfe der Präzipitatreaktion den Nachweis zu führen, daß in dem Serum von 
Paralytikern und Luetikern sich spezifische korrespondierende Körper nachweisen 
lassen. Das Material zu diesen Untersuchungen stammte aus der Klinik für Haut¬ 
krankheiten und der Psychiatrischen Klinik zu Straßburg. Die genannten Autoren 
ließen das Serum eines Luetikers, bei welchem sie die Spirochaeta pallida nach¬ 
gewiesen hatten, mit dem Serum verschiedener Paralytiker und Tabiker reagieren. 
In der Mehrzahl der Fälle traten spezifische Präzipitate auf, während weder das. 
Serum der Luetiker noch das der Paralytiker und Tabiker mit normalem Menschen- 
sernm zusammen die gleiche Reaktion gaben. In einer Reihe von Fällen sicherer 
Paralyse und in einem Falle von Paralyse mit Knochensyphilis fiel die Präzipitat- 
reaktion aber negativ aus. Der Vorzug der von den genannten Autoren an¬ 
gegebenen Methode ist zunächst der, daß sie leicht auszuführen ist Ob sie sich 
in der Praxis ebenso bewähren wird wie die Komplementbindungsmethode, wird 


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durch weitere Untersuchungen erst noch festgestellt werden müssen (Literatur 
vergl. Fornet und Schereschewsky, Serodiagno9e bei Lues, Tabe9 und Para¬ 
lyse durch spezifische Niederschläge. Münchener med. Wochenschrift. 1907. Nr. 30 
und Über Luespräzipitine und Luespräzipitinogene. Vortrag gehalten auf dem 
XIV. Internat. Kongreß für Hygiene und Demographie, Berlin 1907.) Autoreferat. 

Diskussion: Herr Alzheimer (München) weist darauf hin, daß nach den 
neueren in München angestellten Untersuchungen die Komplementbindungsmethode 
zuverlässiger ist als die Präzipitationsmethode. 

Herr Rosenfeld gibt dies zu, betont aber nochmals, daß der Vorzug der 
letzteren darauf beruhe, daß sie wesentlich leichter ausführbar sei. 

Herr Spielmeyer (Freiburg i. Br.): Über die nervösen Veränderungen 
bei der Dourine (Mal de coit) der Tiere. Die Dourine, eine besondere Form 
der Trypanosomiasis, die bei Pferden in bestimmten Bezirken Afrikas, Asiens usw. 
als Seuche herrscht, hat nach Infektionsmodus, Verlauf und Symptomatologie viel 
Ähnlichkeit mit der Syphilis (Verbreitung durch den Geschlechtsakt, Primäraffekt, 
Allgemeinexanthem usw.). Auch anatomisch lassen sich nahe Beziehungen zwischen 
dieser Form der Trypanosomiasis und der Syphilis, bzw. deren nervösen Nach¬ 
krankheiten, auffinden. Die Haut- und Knochenhautaffektionen der Donrinetiere 
ähneln den syphilitischen Granulomen, die Veränderungen am Rückenmark der 
Pferde (speziell die meningitischen Veränderungen) gleichen denen am para¬ 
lytischen Rückenmark und drittens kann die Dourine in seltenen Fällen zu 
zirkumskripten Plasmazellinfiltraten der Rindenpia führen. Außerdem wurden 
hei 2 von 12 Hunden, die mit dem Trypanosoma des Mal de coit infiziert worden 
waren, diffuse Veränderungen vom Typus der Schlafkrankheit des Menschen ge¬ 
funden, die damit also auch an das Gewebsbild bei der Paralyse erinnern. Diese 
klinischen und anatomischen Befunde hei dem Mal de coit bringen weitere Stützen 
für die Ansicht, daß die Trypanosomenkrankheiten zur Syphilis und ihren so¬ 
genannten Nachkrankheiten in verwandschaftlich nahen Beziehungen stehen. Diese 
Ansicht gründet sich nicht auf einzelne histopathologische Eigentümlichkeiten, 
die beide Krankheitsgruppen miteinander gemeinsam haben, sondern auf die ge¬ 
meinsamen Züge in dem ganzen Komplex von pathologisch-anatomischen, 
klinischen und allgemein biologischen Merkmalen. (Eine ausführliche Veröffent¬ 
lichung des Vortrages erfolgt demnächst im Centralblatt für Nervenheilkunde und 
Psych i at ri e.) Autoreferat. 

Herr Ranke (Heidelberg) begrüßt die im Vortrage zum Ausdruck ge¬ 
kommene Konvergenz der Anschauungen Spielmeyers über die Ähnlichkeit des 
liistopathologischen Bildes bei syphilitischen und raetasyphilitischen Prozessen 
einerseits, den Trypanosomenerkrankungen des Centralnervensystems andererseits 
mit den Ansichten, zu welchen Nissl und seine Schüler im Heidelberger Labora¬ 
torium gekommen sind. Nach den heutigen Kenntnissen können die von 
Schaudinn (auf Grund seiner Beobachtungen über den Entwicklungsgang des 
Trypanosoma der Athene noctua und über die morphologischen Eigenschaften der 
Spirochaeta pallida) angenommenen nahen Beziehungen zwischen Spirochäten und 
Trypanosomen nicht als sicher erwiesen gelten, im Gegenteil dürfte es vorläufig 
richtiger sein, sich den von Robert Koch, Laverran, Sobernheim u. a. 
vorgebrachten Bedenken anzuschließen. Zum Belege seiner Anschauung, daß die 
Spirochaeta pallida weit eher den Bakterien als den Trypanosomen verwandt sein 
dürfte, zeigt R. eine Zeichnung nach Präparaten, in welcher die Syphilis¬ 
spirochäte eine deutliche Lagerung in Ketten (vermutlich als Zeichen einer Ver¬ 
mehrung durch Querteilung zu deuten) erkennen laßt. Auch die Stütze, welche 
die Histopathologie der Erkrankungen des centralen Nervensystems durch die ver¬ 
schiedenartigen Trypanosomeninfektionen, sowie durch luetische und metasyphili¬ 
tische Prozesse der biologischen Hypothese Schaudinns zu briugen schien, ist 


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mit größter Vorsicht zu bewerten. Untersuchungen in Nissls Laboratorium 
haben einmal gezeigt, daß subakute experimentelle TrypanoBomeninfektion 
sehr abweichende Bilder von der kongenitalen Hirnlues erkennen läßt, d&Ü 
aber die entzündlichen Veränderungen bei diesen Erkrankungen Bowohl, wie bei 
der gleichfalls parasitären Schlafkrankheit von dem Bilde der progressiven 
Paralyse des Menschen (in den feineren histologischen Details und in der 
Verteilung des Prozesses) weit stärker ahweichen, alB manche experimentell 
erzeugte (weder durch Spirochäten noch durch Trypanosomen bedingte) Ent¬ 
zündungen des tierischen, manche Spontanerkrankungen sowohl des tierischen wie 
des sehr jugendlichen menschlichen Gehirns. Auch die Beurteilung der sekun¬ 
dären Strangdegenerationen bei den syphilitischen (bzw. metasyphilitischen) und 
den durch Trypanosomeninfektion bedingten Erkrankungen des centralen Nerven¬ 
systems begegnet noch den größten Schwierigkeiten, solange uns weder etwas 
sicheres über ihre Pathogenese noch über ihre feineren histologischen Eigen¬ 
tümlichkeiten bekannt ist. Zusammenfassend stimmte R. dem Vortr. in dem 
Satze durchaus bei, daß nach unseren heutigen Kenntnissen aus gewissen histo¬ 
logischen Ähnlichkeiten trypanosomatischer, syphilitischer und paralytischer Binden¬ 
erkrankungen irgendwelche Schlüsse auf eine etwaige biologische Verwandtschaft 
der Spirochäten mit den Trypanosomen sich nicht ziehen lassen. Autoreferat. 

Herr Pfersdorff (Straßburg) Über Störungen der Spraohe im manisch- 
depressiven Irresein. Vortr. berichtet über die Ergebnisse von Assoziations¬ 
versuchen bei 5 Kranken, die im depressiven Stadium des manisch-depressiven 
Irreseins sich befanden. Bei allen bestand eine stark ausgeprägte psychomotorische 
Hemmung. In drei der Fälle trat in unregelmäßigen Intervallen eine motorische 
Erregung auf. Die während derselben spontan produzierten sprachlichen 
Äußerungen zeigten ebenso wie die durch Beizworte (im Stadium der Hemmung) 
hervorgerufenen sprachlichen Reaktionen folgende auffallende Merkmale: Voll¬ 
ständiges Fehlen von Klangassoziationen; Prävalieren der Wortstammassoziationen 
und der Wortergänzungen. Die Reihenproduktion war ungestört. Wir haben 
hier eine rein motorische sprachliche Leistung, welche von dem unkomplizierten 
manischen Rededrang, der durch Klangassoziationen und das Auftreten von Reihen 
charakterisiert ist, sich vor allem durch das Fehlen von Klangassoziationen aus¬ 
zeichnet. Es hat hier die Trennung der sprachlichen Vorstellungen in rein 
motorische und sensogene, lautliche Vorstellungen, welche Heilbronner in 
seinem Münchener Referat (1906) als wahrscheinlich hinstellte, tatsächlich nach¬ 
gewiesen werden können. Diesen eigenartigen Rededrang konnten wir bereits 
bei Kranken nachweisen, bei denen Rededrang bei Denkhemmung bestand. Diese 
Kranken geben an, daß ihnen „angefangene Worte einkommen, die sie innerlich 
ergänzen müssen usw.“ Auch der „dialogisierende Rededrang“ ist durch das Prä¬ 
valieren von Wortassoziationen ausgezeichnet. (Der Vortrag erscheint in extenso 
im Centralblatt f. Nervenheilkunde.) Autoreferat. 

Herr Nissl (Heidelberg): Experimentalergebnisse zur Frage der Hirn- 
rindensohichtung. Vortr. berichtet über Versuche, die er an jungen Kaninchen 
und Hunden angestellt hat. Trotz Ablösung der Hirnrinde von allen Verbindungen, 
entwickelten sich doch sämtliche Schichten der Hirnrinde, die innersten durch 
mangelhafte Blutversorgung stets am schlechtesten. Vortr. widerspricht auf Grund 
der Ergebnisse seiner Untersuchungen der Lehre von Monakows über die Be¬ 
ziehungen des Thalamus opticus zur Hirnrinde. 

Herr Ranke (Heidelberg): Klinische und histopathologisohe Demon¬ 
stration foetaler Erkrankungen. Vortr. demonstrierte 3 Geschwister, welche 
an einer familiären epileptischen Idiotie mit Erscheinungen einer in¬ 
fantilen Cerebrallähmung leiden. Bei allen dreien traten in den ersten 
Lebenswochen „Gichter“ auf, welche in schwere epileptische Anfalle übergingen. 

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Die intellektuellen Leistungen sind bei dem ältesten Kinde 15 jährig) sehr gering, 
(spricht einige Worte, versteht einfache Aufforderungen, kennt die gebräuchlichsten 
Gegenstände mit Namen, kann aber weder lesen noch schreibend, bei den zwei 
jüngeren (12 und 6jährig) gleich null (fixieren nicht, kennen weder Mutter noch 
Geschwister, äußern keinerlei Lustgefühle). Bei allen dreien ist eine gewisse 
Progredienz des Leidens unverkennbar: Das älteste Kind bekam erst im 10. Jahre 
schwere epileptische Anfälle, das zweite erlitt im 6. Jahre einen „Schlaganfall 4 *, 
das dritte verlernte unter heftiger werdenden Anfällen das mit 4 Jahren gelernte 
Gehen im Alter von 5 1 '* Jahren wieder. Bei allen drei Kindern endlich sind 
Erscheinungen einer infantilen Cerebrallähmung vorhanden. Das älteste zeigt 
eine leichte rechtsseitige Schwäche und Hypotrophie, das zweite eine schwere 
spastische Paraplegie sämtlicher Extremitäten (r. > 1.), das dritte leichtere 
Spasmen und ebenfalls geringe, doch sichere Halbseitenerscheinungen. Zwischen 
dem ersten und zweiten lebenden Kinde ist eins gestorben, das mit schlaffer 
Paraplegie der sämtlichen Extremitäten auf die Welt kam, ebenfalls „Gichter 4 * 
und später schwere epileptische Krämpfe zeigte und im Alter von 6 Jahren an 
einem Schube seiner Krankheit (an „Hirnentzündung“) starb. Auch zwischen 
dem 2. und 3. Kinde starb eins, bereits im Alter von 5 Monaten, an „Gichtern 44 , 
das niemals irgendwelche psychischen Regungen gezeigt hatte. Nach dem letzten 
lebenden Kinde hat die Mutter noch dreimal geboren: einmal lebensunfähige 
Zwillinge.im 6. Fötalmonate, ferner ein Kind, das idiotisch war wie die andern 
und mit 7 Monaten an „Hirnhautentzündung 44 starb, endlich worde kürzlich auf 
ihren Wunsch — bei der völligen Aussichtslosigkeit auf ein gesundes Kind — 
im 5. Monate der Gravidität der Abort eiugeleitet. Als wahrscheinliche Ursache 
dieser familiären Idiotie ließ sich nur ein sehr schwerer chronischer Alkoholismus 
des Vaters feststellen. Anschließend an diese klinische Demonstration sprach 
Vortr. über den histologischen Nachweis feinerer Entwicklungsstörungen bei solchen 
Hirnkiankheiten, bei welchen wir annehmen dürfen, daß sich ein bestimmter 
pathologischer Prozeß auf einem für diesen besonders geeigneten Boden entwickelt 
hat. Neben einigen normalen und pathologischen Föt&lpräparaten, welche uns 
derartige Veränderungen im fertigen Gehirn besser verstehen lassen, zeigt er 
Bilder von juveniler Paralyse (auf dem Boden einer hereditären Lues) und ge¬ 
nuiner Epilepsie. Bei dieser fanden sich (in allen daraufhin untersuchten Fällen) 
in der obersten Rindenschicht eigentümliche nervöse Elemente, welche in be¬ 
stimmten Fötalzeiten eine große Rolle zu spielen scheinen, später aber normaler 
Weise wieder verschwinden; bei jener dagegen ließen sich die von Sträupler- 
Prag zuerst mitgeteilten eigentümlichen Störungen der Purkinjezellen des Klein¬ 
hirns (Doppel- und Dreikernigkeit, ganz eigentümliche Formen auch der einkernigen 
Zellen) an vier Fällen konstatieren. Endlich fand sich in einem Falle von ju¬ 
veniler Paralyse eine eigentümliche Zellraaüe im äußersten Saume des Großhirns, 
welche sich auf eine bestimmte Entwicklungsstörung zurückführen läßt. Autoreferat. 

Herr Re iss (Tübingen): Über paranoide Symptomenkomplexe bei De- 
generierten. Vortr. zeigt an der Hand eines Falles, daß auch im gewöhnlichen 
Leben paranoide Erkrankungen Vorkommen, die als pathologische Reaktionen auf 
Grund einer eigentümlichen degenerativen Veranlagung aufgefaßt werden müssen. 
Diese Erkrankungen entsprechen durchaus der von Bonhoeffer in seiner Arbeit 
über Degenerationspsychosen geschilderten ersten Gruppe von Gefäugmspsychosen, 
für die daher die gleiche Auffassung gilt. Eine Zusammenstellung der in der 
Tübinger Klinik beobachteten hierher gehörigen Fälle bestätigte diese Annahme, 
(Der Vortrag wird im Centralblatt f. Nervenheilkunde u. Psychiatrie in extenso 
veröffentlicht werden.) Autoi eferat, 

Herr Zöllner (Straßburg): Über einen Fall von Hypophyeentumor (mit 
Demonstration einer Photographie der Hirnbasis). Der Fall bietet in folgenden 


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Punkten ein Interesse: Es hatten sich im Laufe der 5 Jahre, in denen der Tumor 
Symptome machte und schließlich zum Exitus führte, eigenartige Wachstums- 
Störungen (Zurückbleiben im Größenwachstum, Fettreichtum, kindlich-weiblicher 
Habitus) bei dem jungen Manne eingestellt. Bei der Sektion fand sich ein um¬ 
fangreicher Tumor der Schädelbasis, der vom Vorderlappen der Hypophyse aus¬ 
gegangen war. Der Tumor hatte das Keilbein und das Siebbein durchwuchert, 
war in beide Augenhöhlen und in der Nase bis nahe an die Nasenlöcher vor- 
gedrungen. Auf der Schädelbasis wölbten sich 4 Geschwulstmassen vor, durch 
deren eine die Brücke eine tiefe Impression erlitten hatte. Die Hirnnerven II, 
III, IV, r. V, VI waren durch den Druck schwer beschädigt. Zu Lebzeiten be¬ 
standen keine Erscheinungen, die auf die Schädigung der Brücke hin weisen 
konnten, geringe seitens der Hirnnerven. Eine absteigende Degeneration in den 
Pyramidenbahnen war nicht vorhanden. Es dürfte wohl möglich sein, die Diagnose 
Hypophysentumor bei solchen Tumoren der Nase bei Lebzeiten durch Probe- 
excision pathalogisch-anatomisch zu begründen. Eine ausführlichere Bearbeitung 
des Falles liegt dem Archiv für Psychiatrie zum Druck vor. Autoreferat. 

Herr Berliner (Gießen): Zur Kasuistik der Diplopie. Vortr. berichtet 
über eine eigenartige Form von Diplopie, die, abgesehen von Symptomen einer 
Verengerung der rechten Tuba Eustachii, mehrere Monate hindurch das einzige 
Symptom eines von der Schädelbasis ausgegangenen Sarkoms bildete: Der Patient 
sah Objekte, die sich in einer Entfernung von weniger als 60 cm befanden, 
einfach. Außerhalb dieses Umkreises entstanden gleichnamige und gleich hoch 
nebeneinander stehende Doppelbilder, deren Abstand beim Geradeaussehen mit der 
Entfernung vom Patienten zunahm. Bei seitlicher Verschiebung des Objekts 
wuchs ebenfalls der Abstand der Doppelbilder, in gleichem Maße bei Verschiebung 
nach rechts wie nach links. Die Annahme einer doppelseitigen Abducensparese 
genügte zur Erklärung der Störung nicht. Dagegen sprachen zwei Feststellungen: 

1. erwiesen sich alle Bewegungen der Augen als ungestört; auch .die Abduktion 
beider Augen war beim Seitwärtsblicken nach l’echts oder nach links völlig intakt. 

2. Verschob man innerhalb des Abstandes von 60 cm das Objekt seitlich, nacli 
rechts oder nach links, so blieb das Bild einfach, auch bei maximaler Seitwärts- 
vrendung des Blickes. Es wurde demnach binocular (nach Verdecken des dem 
Gegenstände zugekehrten Auges wurde dieser weiter wahrgenommen) einfach 
gesehen, auch wenn an die Leistungsfähigkeit der Nervi abducentes hohe An¬ 
forderungen gestellt wurden. Mit der Annahme einer Lähmung der Divergenz 
war das Verhalten der Doppelbilder bei Verschiebung des Objekts nach rechts 
oder links von der Medianlinie nicht vereinbar. Nach Straub gehört es zu den 
Symptomen der Divergenzläbmung, daß die Doppelbilder sich dabei nähern und 
schließlich zusamraenfallen. Im vorliegenden Falle entfernten sich die Doppel¬ 
bilder außerhalb des Fernpunktes der Konvergenz immer weiter voneinander, je 
weiter das Objekt seitlich verschoben wurde. Dieser Befund wurde in der Zeit 
von Anfang Juli bis Ende August bei wiederholten Untersuchungen immer wieder 
festgestellt. Eine Änderung trat während dieser Zeit nur insofern ein, als der 
Konvergenzfernpunkt immer näher rückte, der Patient schließlich nur im Um¬ 
kreise von 8 cm noch einfach sah. Im August wurde bei Untersuchung in der 
Ohrenklinik eine kirschgroße Geschwulstbildung am Ostium pharyngeum tubae 
gefunden. Ein zur Probe exzidiertes Stück zeigte Sarkomstruktur. Im Laufe des 
September trat eine Schwellung in der Gegend des rechten Jochbogens ein, 
außerdem rechtsseitige Ptosis; die bis dahin normalen Pupillen wurden ungleich, 
die linke weiter als die rechte. Eine Operation (von der Regio zygomatica aus) 
war ohne Erfolg. Bei der letzten Untersuchung zeigte sich beim Blicken 
geradeaus sowie nach links der gleiche Befund w r ie früher, während beim Seit¬ 
wärtsblicken nach rechts nunmehr das für Abducenslähmung charakteristische 

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Verhalten der Doppelbilder konstatiert wurde. In der Literatur fand sich nur 
eine der obigen ähnliche Schilderung der Diplopie. Dor hat eine 16 Monate 
andauernde Diplopie bei einem 12jährigen Knaben beobachtet, die sich von der 
vorliegenden nur insofern unterschied, als dabei die Entfernung der Doppelbilder 
beim Blicke geradeaus wie zur Seite bei gleichem Abstande die gleiche blieb. 

Autoreferat. 

Herr Bayerthal (Worms): Sohulärstliche Erfahrungen. (Der Vortrag 
wird in der psychiatr.-neur. Wochenschrift erscheinen.) 

Am Sonntag, den 3. November, fand nachmittags noch die Besichtigung der 
neuen Anstalt Wiesloch statt. 


XVn. Kongreß der Psychiater und Neurologen Frankreichs 
und französisch sprechender Länder in Genf und Lausanne vom 

1. bis 6. August 1907. 

Referent: R. Hirschberg (Paris). 

(Schluß.) 


Herr Rögis (Bordeaux): Die präsenile Phase bei Jean*Jacques-Rousseau. 

Der pathologische Zustand von J. J. Rousseau ist uns trotz zahlreicher Arbeiten 
kaum bekannt. Eb steht immerhin fest, daß er Neurastheniker und zwar auf 
arteriosklerotischer Basis war. Auf diesem konstitutionellen Boden entwickelte 
sich später melancholischer Verfolgungswahn. In den 2 letzten Jahren seines 
Lebens erkannte und beschrieb Rousseau selbst, daß seine intellektuellen Fähig¬ 
keiten progressiv abnahmen. In seinen Briefen namentlich schildert er in sehr 
drastischer Weise die Symptome von präseniler Gehirninvolution: 1. Schwierigkeit 
Sensationen in Ideen wiederzugeben. 2. Abnahme der Scbaffensmacht. 3. Ver¬ 
engerung des Gehirnfeldes. 4. Im geistigen Leben Prädominieren von Reminis- 
cenzen und Automatismus. 

Herr Ernest Dupr6 und Herr Paul Camus (Paris): Die Cenestopathien. 
Im allgemeinen bieten die Cenestopathien Störungen der allgemeinen und inneren 
Sensibilität. Die Wichtigkeit solcher Störungen bei Geisteskrankheiten ist all¬ 
gemein bekannt. Es gibt aber Patienten, die nicht geisteskrank sind und über 
eigentümliche Sensibilitätsstörungen klagen, die eher lästig als schmerzhaft sind. 
Auf Grund von 7 Krankengeschichten werden diese Sensibilitätsstörungen, die nie 
zu hypochondrischen Wahnideen Anlaß gaben, als Cenestopathien von den Vortr. 
beschrieben. 

Herr Hirschberg (Paris) bemerkt, daß er im Jahre 1893 in der Revue 
neurologique einen Fall unter dem Namen von Paresthösies multiples ohez 
une degdneree höreditaire veröffentlicht hat, der entschieden in die Kategorie 
von Cenestopathien gehört. 

Herr L. Marchand und Herr M. Olivier: 3 Fälle von Hypothermie 
nervösen Ursprungs. Fall I: 54jähriger Mann mit progressiver Paralyse. 
1 Tag vor dem Exitus rektale Temperatur 28°. Die Temperatur sinkt allmählich 
und beträgt unmittelbar vor dem Tode 23°. Fall II: 40 jähriger Paralytiker. 
3 Tage vor dem Tod rektale Temperatur 29° und unmittelbar vor dem Tode 28,5°. 
Fall III: Chronische Meningitis und Sklerose der Gehirnrinde bei einem 57 jäh¬ 
rigen Manne. Kurz vor dem Tode fällt die Temperatur von 36 auf 30,7 °. Die 
Vortr. sind der Meinung, daß diese Hypothermie centralen Ursprungs sei, da der 
Harn der Patienten nichts Pathologisches enthielt und man sonst bei der Unter¬ 
suchung der Brust- und Bauchorgane nichts Abnormes fand. 

Herr Anglade und Herr Latreille: Meningocerebellitis bei progressiver 
Paralyse. Die Vortr. fanden bei der Untersuchung des Kleinhirns progressiver 


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Paralytiker charakteristische Veränderungen in der Kleinbirnrinde, die sie als 
interstitielle Meningocorticalitis bezeichnen. 

Herr Yanniris (Athen): Die progressive Paralyse und die alkoholischen 
Psychosen in Griechenland. Statistische Daten. Die progressive Paralyse ist 
sehr verbreitet in Griechenland (15,20°/ 0 ), und sehr selten bei Frauen: unter 
380 Kranken nur 19 Frauen. 75°/ 0 der progressiven Paralyse sind syphilitischen 
Ursprungs. Dagegen sind die Alkoholpsychosen selten (4,11 °/ 0 ). Unter 2000 Geistes¬ 
kranken 83 Fälle und davon 3 Frauen. Bei den Griechen in Konstantinopel 
sind Alkoholpsychosen häufiger (16°/ 0 ), wahrscheinlich deswegen, weil sie minder¬ 
wertigen Alkohol, namentlich „Raki“ verzehren. 

Herr Roger Mignot und Herr G. Bouchaud (Paris): Atoxyl in 2 Fällen 
von progressiver Paralyse. Bei einem Paralytiker mit tertiären syphilitischen 
Erscheinungen (cirkumskriptes Gumma an der unteren Lippe) wurde Atoxyl an¬ 
gewandt. Das Gumma heilte rasch, dagegen blieb dieses Mittel auf die para¬ 
lytischen Erscheinungen ohne jeglichen Einfluß. In einem anderen Falle von 
progressiver Paralyse war das Atoxyl auf den Verlauf der Krankheit von gar 
keiner Wirkung. 

Herr Antheaume und Herr Roger Mignot (Paris): Hyperhidrose bei 
Dementia praeoox. Die Vortr. fanden die Schweißabsonderung besonders ver¬ 
mehrt bei der Dementia praecox, und hauptsächlich bei den unbeweglichen Kata- 
tonikem. Am meisten schwitzen die Hände und die Finger. Dagegen soll bei 
Melancholischen die Schweißabsonderung sistieren. 

Herr Henri Fran$ais (Paris) und Herr Gustav Darcanne (Fougeres): 
Über Psyohosen kardialen Ursprungs. Eine eigentliche Herzpsychose scheint 
nicht zu existieren. Die Symptome, die man bei herzkranken Geisteskranken 
konstatiert, sind hauptsächlich depressiver Natur. 3 Krankheitsgeschichten als Beleg. 

Herr Chaumier und Herr Taty (Lyon): Verwirrtheit, Glykosuria, 
Aoetonurie in einem Falle von Achondroplasle. Bei einem 28 jährigen Manne, 
der an Achondroplasie litt, trat Verwirrtheit auf. Man konstatierte gleichzeitig 
in seinem Urin Zucker und etwas Aceton. Auf Behandlung mit Brom und 
alkalischen Salzen verschwand der Zucker, gleichzeitig besserte sich auch der 
geistige Zustand. Es wurde dann Jodothyrin angewandt, und Pat. verließ die 
Klinik vollständig geheilt Es blieb nur Polydipsie und einfache Polyurie zurück. 
Die Vortr. sind der Meinung, daß bei diesem Kranken die geistige Verwirrung 
auf einen toxischen Einfluß des Zuckers zurückzuführen ist. 

Herr Antheaume und Herr Roger Mignot (Paris): Kantharldennephritis 
und spätes toxialkoholisohes Delirium. Bei einem gewesenen Alkoholiker, 
Abstinenzler seit 2 Jahren und der früher nie psychisch krank war, trat akutes 
Delirium nach dem Auflegen eines Blasenpflasters ein. Infolge von ungenügender 
Nierenausscheidung sammelten sich die Toxine im Blute an und das Delirium 
kam zum Ausbruch. Mit der Besserung der Kantharidennephritis besserte sich 
auch der geistige Zustand des Pat. Bei Leuten, die chronische Alkoholiker 
waren, selbst nach längerer Abstinenz, sind deswegen die Nieren in sorgfältiger 
Weise zu überwachen. 

Herr J. Rayneau (Orleans) und Herr H. Nouet (Blois): Chronisches 
Sohwangersohaftsdelirium bei einer Schwachsinnigen. Die Einbildung einer 
Schwangerschaft ist häufig bei Geisteskranken beschrieben worden. Im Falle der 
Vortr. handelt es sich um eine Patientin mit kongenitalem Schwachsinn, die seit 
5 Jahren sich schwanger glaubt. Der Grund dieser persistenten Wahnidee ist 
wahrscheinlich in einer Anästhesie des Abdomens, die die Kranke bietet, zu suchen. 

Herr Arnaud (Vanves): Psyohasthenie und Delirium. Es existieren 
drei verschiedene Modalitäten von Assoziation von delirierenden Zuständen mit 
Psychasthenie. In die erste Kategorie sind Neurastheniker mit Zwangsideen zu 

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reihen, die zufällig einen Anfall von Delirium bekommen. Interessant ist, daß 
während der Däner des Deliriums die Zwangsideen verschwinden und erst dann 
wieder auftauchen, sobald der Kranke von seinem Delirium wieder befreit ist. 
Die zweite Kategorie umfaßt eine mehr intime Assoziation von neurasthenischen 
und eigentlichen Delirideen. Die gewöhnlichsten Formen dabei sind Melancholie 
und Verfolgungswahn. Solche Kranke sind oft unheilbar. In der dritten Kategorie 
endlich handelt es sich um Patienten, bei welchen die gewöhnlichen psychastheni- 
sehen Zwangsideen kolossal exageriert werden. Die Zwangsideen bleiben in ihrer 
Art dieselben, nur sind die Kranken nicht mehr imstande, eine Selbstkritik zu 
üben. Das psychasthenische Delirium findet man nur in sehr schweren Fällen. 

Herr Bernard Leroy: Kleptomanie bei einer Hysterischen. Es handelt 
sich um eine 49 jährige Frau, die sich meldete, um von einem unwiderstehlichen 
Zwange, Gegenstände, die ihr vollständig unbrauchbar sind, zu stehlen, befreit 
zu werden. Diese krankhafte Passion trägt alle Anzeichen der klassischen Klepto¬ 
manie. Die Kranke ist vermögend und stiehlt Stückchen Kohle, Hundehalsband 
(trotzdem sie gar keinen Hund besitzt), Datteln (die sie sonst gar nicht gerne 
ißt). Die gestohlenen Gegenstände hat sie nach der verübten Tat wieder zurück¬ 
erstattet. Die Kranke ist sich ihres krankhaften Zustandes vollständig bewußt 
und behauptet, daß sie beim Begehen der Tat sich von einer Macht beherrscht 
fühlt, der sie nicht widerstehen kann. Interessant ist, daß diese Patientin schon 
vorher mit verschiedenen krankhaften Passionen behaftet war. So hatte sie vor 
10 Jahren einen ebenso unbegründeten wie unwiderstehlichen Haß gegen ihren 
Mann gefaßt und trug sich mit dem Gedanken, denselben zu töten. Sie hatte 
sogar einen ganzen Plan ausgearbeitet, wie sie ihre Tat verüben wird und ging 
bis zum Versuch, ihren Mann mit einem Kissen zu ersticken. Als der Versuch 
mißlang, erzählte sie ihm die ganze Geschichte. Später verspürte sie einen un¬ 
widerstehlichen Drang für das Militär, blieb stundenlang vor Kasernen stehen 
und liebäugelte mit Offizieren. Um sexuellen Drang handelte es sich dabei nicht 
Sie fühlte sich von der Uniform angezogen. 

Herr Belletrud und Herr Mercier: Aufhebung von Qesohmaoksillu- 
sionen durch Anwendung von Aoidum gymnemioum. Das Acidum gymnemicum 
(C 32 H 66 0 ]2 ), wirkendes Prinzip von Gymnema sylvestris, besitzt die bemerkens¬ 
werte Eigenschaft, auf die Zunge gestrichen, den Geschmack für süß und bitter 
aufzuheben. Bei mehreren Kranken gelang es den Vortr., damit Geschmacks¬ 
illusionen momentan zu unterdrücken. Die Patienten aßen dann mit gutem Appetit 
Speisen, die sie vorher verweigerten. 

Herr A. Marie und Herr Bourilhet (Villejuif): Tuberkuline Oph¬ 
thalmoreaktion bei Geisteskranken. Die Vortr. fanden, daß die tuberku¬ 
lösen und Tuberkulose-verdächtigen Geisteskranken auf die Calmettereaktion sehr 
gut reagieren. Da es von großer Wichtigkeit ist, in Krankenanstalten die 
Tuberkulösen zu isolieren, so ist die Ophthalmoreaktion für Geisteskranke von 
reellem Werte. 


Österreichischer Irrenirstetag in Wien vom 4. bis 6. Oktober 1907. 


Referent: Otto Marburg (Wien). 

(Schloß.) 

Herr v. Wagner referiert über den Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen 
im Strafgesetz. (Erscheint ausführlich in Aschaffenburgs Monatsschr. f. Kri¬ 
minalpsychologie u. Strafrechtsreform; vgl. d. Centr. 1907. S. 872). Vortr. ver¬ 
weist auf Formulierungen des Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen, welche in der 
Komiteeberatung vorgeschlagen wurden. 1. Hövel: „Ein Verbrechen oder Ver- 


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"ehen ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat in einem dauernden 
oder vorübergehenden Zustande von Geistesstörung sich befand, durch welchen 
sein Handeln in entscheidendem Maße beeinflußt wurde.“ — 2. Hart mann: 
..Nicht- strafbar ist, wer zur Zeit der Tat wegen zurückgebliebener Entwicklung 
des geistigen Lebens, Schwäche des Verstandes, Trübung des Bewußtseins, Störung 
der geistigen Tätigkeit nicht imstande war, das Strafbare seiner Handlung ein- 
zusehen.“ — 3. Stransky: ,,Die Tat wird als Verbrechen oder Vergehen oder 
Übertretung nicht zugerechnet, wenn der Täter zur Zeit der Tat an einer er¬ 
fahrungsgemäß vollentwickelten, dauernden oder vorübergehenden Geistesstörung 
ohne Rücksicht auf den Grad derselben gelitten hat. Dauerzustände seelischen 
Defektes oder seelischer Verkehrtheit sind nur dann einer Geistesstörung im obigen 
Sinne gleich zu achten, wenn dabei die Störung der Verstandes- oder Willens¬ 
tätigkeit oder beider einen Grad oder Charakter erreicht hat, w r odurch der Täter 
entweder dauernd oder in Ansehung der besonderen Umstände zur Zeit der Tat 
der Einsicht für die Tat oder der Widerstandskraft gegen dieselbe erfahrungs¬ 
gemäß vollkommen beraubt war. Dauerzustände seelischer Verkehrtheit oder 
seelischen Defektes, durch die die Einsicht für die Tat oder die Widerstandskraft 
gegen dieselbe wohl nicht vollkommen und dauernd aufgehoben, aber doch herab¬ 
gesetzt ist, gelten als Milderungsgründe. (Unter Voraussetzung einer Änderung 
des Strafvollzuges.) Die Berauschung durch Alkohol oder andere Genußgifte zur 
Zeit der Tat ist nur dann einer vollentwickelten (ausgesprochenen) Geistesstörung 
gloichzusetzen, wenn sie einen die Einsicht für die Tat oder die Widerstandskraft 
gegen dieselbe vollkommen ausschließenden Grad erreicht hat. (Der Bestrafung 
der Trunkenheit als solche soll durch diese Bestimmung nicht präjudiziert 
werden.) — Vortr. motiviert, warum er selbst keine eigene Formulierung des 
Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen vorgeschlagen, sondern nur Anträge zu dessen 
Formulierung stelle. Diese Anträge lauten: 1. Es soll im Gesetze (Strafgesetz 
oder Strafprozeßordnung) ausdrücklich bestimmt werden, daß dem Sachverständigen 
nur die Aufgabe zukomme, sich über die Geistesstörung auszusprechen; daß es 
aber Sache des Richters sei, die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu entscheiden. 
2. Die Unzurechnungsfähigkeit bedingenden psychischen Störungen sollen im Ge¬ 
setze, um Mißverständnisse zu vermeiden, als Geistesstörung, Geistesschwäche und 
Bewußtseinsstörung ("oder Bewußtlosigkeit) angeführt werden. 3. Das Gesetz soll 
in geeigneter Weise ansdrücken, daß nur ein gewisser Grad von geistiger Störung 
Unzurechnungsfähigkeit bedinge. 4 Falls der Ausdruck „freie Willensbestimmung“ 
in das Gesetz aufgenommen werden würde, wäre das nur zulässig unter der Be¬ 
dingung, daß ein Ausspruch hierüber nicht vom Arzte, sondern nur vom Richter 
verlangt werde. 5. Das Gesetz soll ausdrücklich bestimmen, daß die Beurteilung 
der Zurechnungsfähigkeit nicht bloß im allgemeinen, sondern auch in Beziehung 
auf die konkrete Strafhandlung zu erfolgen habe. 6. Falls über die Beziehung 
der Trunkenheit zur Unzurechnungsfähigkeit eine gesetzliche Bestimmung getroffen 
wird, soll der Ausspruch „volle Berauschung“ vermieden und auch hier aus¬ 
gesprochen werden, daß die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit mit Beziehung 
auf die konkrete strafbare Handlung zu erfolgen habe. 7. Es wäre als ein Fort¬ 
schritt anzusehen, wenn das neue Strafgesetz die verminderte Zurechnungsfähigkeit 
aufnehmen wnirde, was allerdings entsprechende Änderungen im Strafvollzüge not¬ 
wendig machen würde. 8. Als eine notwendige Ergänzung der strafgesetzlichen 
Bestimmungen über die Unzurechnungsfähigkeit Geisteskranker sind gesetzliche 
Anordnungen über die Verwahrung gemeingefährlicher krimineller Geisteskranker 
zu treffen. Am meisten zu empfehlen und hei den Verhältnissen unseres Irren¬ 
wesens einzig gangbar ist die Errichtung von Staatsirrenanstalten für krimi¬ 
nelle Irre. 

Auf v. Haibans Antrag beschließt die Versammlung, von einer Diskussion 


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über die vorliegenden Formulierungen des UnzurechuungBfähigkeitsparagraphen 
abzusehen und gleich die Referentenanträge zu erörtern. Herr Raimann halt 
es für unmöglich, ein modernes Strafgesetz auf den unfaßbaren und so viel Aus¬ 
nahmen zulassenden Zurechuungsbegriff atifzubauen. Jeder, der in der mensch¬ 
lichen Gesellschaft lebt und leben will, ist für seine Handlungen verantwortlich 
zu machen, sozial verantwortlich und ohne Ausnahme. Herr v. Wagner hält es 
für ganz aussichtslos gegen die Mächte anzukämpfen, welche das Prinzip der 
subjektiven Verschuldung aufrecht erhalten und meint, man müsse sich, um über¬ 
haupt etwas erreichen zu können, auf den Boden des herrschenden Strafgesetzes 
stellen. Herr Pick spricht sich für die Form des französischen Gesetzes aus. 
Geistesstörung (Demence) bedinge Unzurechnungsfähigkeit. Dadurch entfiele die 
Nötigung, daß im Strafgesetze ausgesprochen werde, es sei nicht Sache des 
Psychiaters, über Zurechnung zu entscheiden. Herr Türkei konstatiert Über¬ 
einstimmung der Arzte und Juristen. Der Arzt habe auf Grund seiner medi¬ 
zinischen Kenntnis die Prämissen zu liefern, aus denen der Jurist leicht seine 
Konklusionen ziehen kann. Die Frage nach Geistesstörung, Geistesschwäche, 
Bewußtlosigkeit kann jeder Psychiater beantworten; auf Grund dieser Antwort 
kann der Richter dann jederzeit die gesetzliche Bestimmung über die Zurechnung 
zur Anwendung bringen. Die Stilisierung der Bestimmung muß so sein, daß 
beide Funktionäre nicht mit völlig disparaten Begriffen arbeiten. Herr Ober¬ 
staatsanwalt Högel kommt als Jurist zu den gleichen Konklusionen. Herr 
Stransky erklärt eine allgemeine Fassung als sehr bequem für den Psychiater, 
sie helfe aber dem Richter nichts. Ausführliche Bestimmungen sind namentlich 
für Sachverständige am Lande erwünscht. Herr Kaan empfiehlt die Gutachten 
mit dem Schlußsätze zu beenden: Mit einer Geistesstörung behaftet. Der Richter 
möge dann über die Zurechnungsfähigkeit entscheiden. Eine Reihe von Be¬ 
merkungen der nächsten Redner beziehen sich auf die Verantwortlichkeit der 
Ärzte für ihr Gutachten und die Stellung des Arztes überhaupt in foro. Prof. jur. 
Löffler spricht sich gegen Punkt 1 aus, wiewohl er die Anschauung v. Wagners 
teile, gehöre dieser Punkt vom juristischen Standpunkt, wie schon Türkei 
bemerkt hat, nicht in das Gesetz. Allenfalls könnte man eine Resolution dieses 
Inhaltes an die Gesetzgebung richten. Sondei bestimmungen nur für den Psychiater 
hält Löffler als Jurist für unbrauchbar, im Gesetz für überflüssig und schädlich. 
Herr Pankratz beantragt als Ausweg eine Eingabe an das Justizministerium, 
es möge die Gerichte an weisen, sich der Frage der Zurechnungsfähigkeit an die 
Ärzte nicht mehr zu bedienen. Herr Türkei stellt den Antrag, der Irrenärztetag 
beschließe als Resolution, daß in der Praxis der Grundsatz beobachtet werde, daß 
dem Sachverständigen nur die Aufgabe zukomme, sich über die Geistesstörung 
auszusprechen, es aber Sache des Richters sei, die Frage der Zurechnungsfähigkeit 
zu entscheiden. Herr v. Wagner spricht sich gegen Resolutionsanträge aus und 
erklärt eine gesetzliche Remedur für angezeigt. Danach wird Punkt 1 in der 
vom Vortr. beantragten Fassung angenommen. Punkt 2 wird auf Picks Antrag 
nach dem Vorschläge des Vortr. angenommen. Zu Punkt 3 bemerken Herr Berze 
und Herr Pankratz, daß es schwer sein werde, den Grad geistiger Störung zu 
bestimmen, der Unzurechnungsfähigkeit bedinge. Herr Raimann wendet sich 
gegen das dehnbare W T ort „gewisser“ in diesem Punkte, das über Schuld oder 
Unschuld eines Menschen entscheiden solle. Herr Löfller erklärt, daß eine 
Präzisierung doch noch möglich sei, vielleicht würde sich der Irrenärztetag darüber 
aussprechen, ob man mit den Bezeichnungen „erheblich, schwer“ oder dgl. arbeiten 
kann. Herr Högel wendet sich gegen W T orte wie: „ernst, erheblich und schwer“, 
mit denen weder Mediziner noch Juristen arbeiten können. Es handelt sich 
darum, die Brücke zu finden, die vom Psychiater zum Juristen führt : eine juristische 
Formulierung, nach welcher man dann an den Psychiater die Frage stellen kann. 

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Herr Türkei pl&idiert für die Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit. 
Dann wäre nur die letztere zu determinieren und man brauche die Gradbeat immun? 
der Geistesstörung gar nicht. Herr Pick tritt gegen Herrn Türkei auf, indem 
er Bich Mendel anschließt, der gegen die verminderte Zurechnungsfähigkeit an¬ 
führte, daß mit ihrer Einführung an die Zurechnungsfähigkeit ein höherer Maßstab 
gelegt wird. Herr v. Wagner bemerkt in seinem Schlußwort, daß es eine 
Menge von Strafgesetzen (Schweiz, Frankreich, Niederlande) gäbe, in denen keine 
Gradbestimmung vorkommt. Die Mediziner geben den Juristen nur einen Rat 
was in das Gesetz hineinzunehmen ist. Richter und Verteidiger müssen aufgeklärt 
werden, daß eine Quantitätsbestimmung erforderlich ist. Das österreichische Straf¬ 
gesetz enthält in dem Worte „ganz“ eine Quantitätsbestimmung. Auch das deutsche 
enthält eine solche. Punkt 3 wird dann in der vom Vortr. beantragten Fassung 
angenommen. 

In der Fortsetzung der Diskussion werden zunächst Punkt 7 und'8 besprochen. 

Herr Pick meint: daß der einzig gangbare Weg der Minderwertigenfürsorge 
die Errichtung von Staatsirrenanstalten sei, glaube er nicht. Er befürwortet 
die Errichtung von Adnexen an Strafanstalten, da eine solche Aktion schon im 
Zuge sei (Böhmen). Herr v. Wagner schließt sich dieser These Picks an und 
fügt seiner Formulierung den Satz zu: „Daneben ist auch die Errichtung von 
Adnexen bei Strafanstalten, nicht aber bei Irrenanstalten zu empfehlen. Herr 
Högel verweist darauf, daß in England die einzige solche Anstalt in Europa 
bestehe. In Frankreich sei sie eingegangen, in Italien dem Eingehen nahe. Die 
Zahl der hierher gehörigen Individuen sei unverhältnismäßig klein. Herr 
v. Wagner erwidert darauf, daß das Bedürfnis nach diesen Anstalten rasch 
wachsen wird; und bei der Möglichkeit einer sicheren Versorgung werden Ge¬ 
schworene und Richter bei Degenerierten sich eher für Unzurechnungsfähigkeit 
entscheiden. In Holland bestehe eine solche Anstalt, in Amerika mehrere. (Punkt 7 
in der modifizierten Fassung angenommen.) 

Zu Punkt 8 spricht Herr Löffler, der für die Aufnahme der verminderten 
Zurechnungsfähigkeit ist. Wenn eine größere Mannigfaltigkeit geboten wird zur 
Behandlung der Verbrecher, dann erhalten die Organe des Staates die Möglich¬ 
keit, das dem einzelnen Fall Entsprechende vorzukehren. Ein Irrtum in der Grenz¬ 
bestimmung wird nicht so böse Folgen haben wie heute. Man wird an die 
Unzurechnungsfähigkeit ernstere Ansprüche stellen. Die Praxis wird den Begriff 
der Minderwertigkeit reinigen und begrenzen. Nicht jeden Defektmenschen wird 
man als minderwertig ansehen dürfen, da es überhaupt nicht viele Normalmenschen 
gibt. Jedenfalls ist eine Dreiteilung der Menschen für die Gesellschaft von höchstem 
Nutzen. (Punkt 8 wird angenommen.) 

Zu Punkt 4 bemerkt Herr v. Wagner, daß viele Ärzte vor dem Wort 
„freie WillenBbestimmung“ zurückschrecken, vielleicht aber lege gerade der Gesetz¬ 
geber einen Wert auf dasselbe. Herr Högel meint, daß für den Juristen es 
notwendig sei zu erfahren, welche Konsequenzen der Geisteszustand des Inkulpaten 
für Einsicht und Willen habe. Aus dem Gutachten müsse der Jurist schließen 
können, ob der Inkulpat des Willens beraubt gewesen sei. Die Frage der Willens¬ 
freiheit läßt sich konstruieren. Wer die Fähigkeit zur Einsicht hat, einen 
Willensentschluß zu fassen, sei auch haftbar. Herr Löffler bedauert gerade im 
Punkt 4 dem Vortr. die schärfste Opposition machen zu müssen. Er stellt den 
Antrag, der Arzt ist nicht in der Lage, auf die Frage, ob beim Angeklagten freie 
Willensbestimmung vorhanden ist, eine wissenschaftlich begründete Antwort zn 
geben. Herr v. Wagner meint, daß im Strafgesetze nur der Indeterminismus des 
Volkes zum Ausdruck komme. Das Strafgesetz sei auf eine andere brauchbare 
Basis zu stellen: „Sicherung der Bevölkerung vor verbrecherischen Angriffen.“ 
Die Juristen sollen nichts Willkürliches konstruieren, sondern dem Rechtsbewußt- 

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sein der Bevölkerung Ausdruck verleiben. Die freie Willensbestimmung, wie sie 
z. B. das deutsche St.G. anerkennt, entspricht der allgemeinen Empfindung. Herr 
Löffler halt seinen Antrag aufrecht und erklärt es für unzulässig, daß eine 
Versammlung von Naturforschern von freier Willensbestimmung spreche. Ein 
Strafgesetz soll lediglich auf Erscheinungen der Empirie begründet werden. Der 
Antrag Löfflers wird schließlich angenommen. 

Herr v. Wagner leitet Punkt 5 ein und meint, es gebe Fälle, bei denen 
Unzurechnungsfähigkeit nicht für alle strafbaren Handlungen eines Individuums 
bestehe. Bei Rauschzuständen wird allerdings gewöhnlich so differenziert, daß 
bei kleinen Delikten freigesprochen, bei schweren genau auf Volltrunkenheit ge* 
achtet wird. Vortr. gibt zu, daß in der vorliegenden Frage die Psychiater selber 
uneins sind, bezeichnet aber die Annahme des Punktes als wünschenswert, so¬ 
lange es keine partielle Zurechnungsfähigkeit gibt. Herr Stransky erinnert an 
die verschiedene Wertung derselben Handlung nach äußeren Umständen. Danach 
modifiziert Herr v. Wagner seinen Antrag der Anregung Picks folgend, indem 
vor die Worte „in Beziehung auf die konkrete Handlung“ eingefugt werden solle: 
„nicht bloß im allgemeinen, sondern auch . ..“ Herr Högel fragt, ob es sich 
da nicht um die Sexuell-Perversen handle. Herr v. Wagner meint, es kommen 
vielerlei Arten von Geistesschwachen in Betracht, so die beginnende senile Demenz, 
Menschen mit krankhaften Trieben, Schwachsinnige, die für gewöhnlich vollständig 
attsreichen, durch besondere Umstände aber in eine Pflichtkollision gelangen, aus 
welcher ein Gesunder den Ausweg findet. In bezug auf die Homosexuellen vertritt 
Vortr. den Standpunkt, es wäre am besten, den § 129 lb ganz abzuschaffen. Herr 
Högel bezweifelt das Krankhafte der Sexual Verbrecher und führt aus seiner Er¬ 
fahrung Beispiele an. Herr Türkei tritt dem entgegen. Herr v. Wagner führt 
an, daß das Auftreten von sexuellen und pervers-sexuellen Regungen im Senium 
eine so typische Erscheinung sei, daß ihre Krankhaftigkeit gar nicht bezweifelt 
werden kann. Er besorgt keine Gefahr von der Annahme des Punktes 5. (Punkt 5 
und Punkt 6 werden angenommen.) Nach dem Vorschläge von Herrn v. Wagner 
und Herrn Löffler werden das Referat und die Referentenanträge dem Justiz¬ 
ministerium überreicht. 

Herr A. Schüller demonstriert 3 Fälle von Geistesstörung lm Kindes¬ 
alter. 1 . 6 1 / s jähriger Knabe mit einer im Ablauf begriffenen funktionellen Psy¬ 
chose vom Charakter des manisch-depressiven Irreseins. 2. 11 jähriger Knabe mit 
Imbezillität, tikähnlicher motorischer Unruhe, Fettsucht und ganz rudimentären 
Genitalorganen („Fettkind“). 3. 10jähriger Knabe mit angeborener cerebraler 
Kinderlähmung, leichter Imbezillität und seit einigen Monaten bestehender Epi¬ 
lepsie. (Petit mal, klonische Zuckungen der gelähmten Extremität, epileptische 
Reizbarkeit.) An der gelähmten Hand wurde vor vier Jahren eine Sehnentrans¬ 
plantation mit gutem Erfolg ausgeführt. 

Herr Emil Redlich: Demonstration eines Falles von Epilepsie mit 
Aphasie. Der heute 16jährige Knabe erlitt im 6. Lebensjahre ein leichtes 
Schädeltrauma. Seit seinem 14. Jahre in Intervallen von vier Wochen epilep¬ 
tische Anfälle. Mai 1907: Sturz im Anfall mit Schädel Verletzung; danach nicht 
druckempfindliche Hautnarbe Uber dem linken Scheitel, am 15. Juli Status epi- 
lepticus durch drei Tage. Danach konnte Patient nicht sprechen und verstand 
auch die Sprache nicht, war verwirrt, lief davon und wurde von der Polizei der 
Klinik übergeben. Patient, der Linkshänder ist, hat schwere Störungen deB 
Sprachverständnisses, der Spontansprache, der Wortfindung. Der Sprachschatz ist 
eingeschränkt, Nachsprechen anfänglich schlecht, später besser. Lesen tadellos, 
ebenso Schreiben, ohne aber Gelesenes und Geschriebenes zu verstehen. Diktat¬ 
schreiben unmöglich. In der Folgezeit besserte sich das Sprachverständnis, Nach¬ 
sprechen im allgemeinen gut, Lesen tadellos, auch Leseverständnis besser. Nach 


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den Anfällen Reflexdifferenzeu. Es handelt sich demnach um einen Fall juveniler 
Epilepsie mit einer aphasischen Störung, die teilweise den Charakter der trans- 
kortikalen sensorischen, teilweise mehr den der subkortikalen Form besitzt. Vortr. 
erwähnt einen zweiten ähnlichen Fall, meint, ob es sich hier nicht um eine ana¬ 
tomische Läsion analog den Fällen sogenannter traumatischer Spätapoplexien 
handle, da die Symptome infolge ihrer Intensität kaum als epileptische Er¬ 
schöpfungssymptome gedeutet werden können. 

Herr Bonvicini und Herr Otto Pötzl: Beine Alexie (vgL dieses Centr. 
1907 S. 873). 

Herr Dr. Erwin Lazar: Über Hilfsschulen für schwachsinnige Kinder. 

Einleitend gibt Vortragender eine Geschichte der Hilfsschulen, von denen Öster¬ 
reich nur wenige besitzt. Das Schülermatcrial seien Schwachsinnige leichteren 
Grades, die Imbezillen im engeren Sinne und die schwereren Fälle der Debilen 
Nicht geeignet sind die Idioten und die sogen, schwach Befähigten, desgleichen 
Epileptiker. Den schwach Befähigten gehöre der Volksschulunterricht mit Nach- 
hilfe. Die Aufnahme begutachte in Wien ein Pädagoge und ein Arzt. Das 
Ziel der Schule sei gewöhnlichen Druck lesen lernen, etwas schreiben, rechnen. 
Auch die Sorge für die Zukunft der Zöglinge beginne man jetzt ins Auge zu 
fassen. Die Tätigkeit des Arztes bestehe in heilpädagogischer Behandlung der 
Schwachsinnigen und in der Möglichkeit psychologischer Studien, die sich dann 
nutzbringend anwenden lassen. 

Herr Stransky: Über Veränderungen in den peripherischen Nerven 
bei einzelnen Geistesstörungen. (Erscheint ausführlich in der Festschrift für 
das Jubiläum des Wiener Neurolog. Institutes.) 


IV. Mitteilung an den Herausgeber. 

Sehr geehrter Herr Kollege! 

In ihrem interessanten Aufsatz über die operative Behandlung der Tumoren 
der Hypophysisgegend (Nr. 21 d. Centr.) erwähnen v. Eiseisberg und v. Frankl- 
Hoch wart eine Beobachtung des Unterzeichneten in der Zahl solcher Beobachtungen, 
welche auf die Veröffentlichung Fröhliche folgten und die Beobachtung Fröh¬ 
lich» über die Dystrophia adiposo-genitalis stützten und erweiterten. Ich lege 
Wert darauf, festzustellen, daß meine beiden Beobachtungen der Fröhlicbschcn 
nicht folgten, sondern ihr etwa 1*/ Ä Jahr vorangehen. Die Publikation Fröhlich« 
stammt vom 23. November 1901, während meine beiden Beobachtungen in dem 
Sitzungsbericht der Berliner Gesellschaft für Neurologie am 1. Juni 1900 im 
Neurolog. Centralhl. veröffentlicht sind. 

Ich wies am Schlüsse meiner Bemerkungen zwar nicht so scharf wie Fröh¬ 
lich auf die Hypophyse hin, ßtellte jedoch schon meinerseits unter Hinweis aui 
die Akromegalie die Hypothese auf, daß die eigentümliche Fettanhäufung und 
Veränderung der Haut hei den beiden von mir beobachteten Kranken cerebralen 

Ursprungs sei. TT . _ 

Mit ausgezeichneter Hochachtung 

Ihr 

Dr. Schuster. 


Um Einsendung von 8eparatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zn richten an Dr. Kurt Mendel 
in Berlin NW, Luisenstr. 21. 

Verlag von Vkit & Uomp. in Eeipzig. — Druck von Mktzgkb ä Wittiö in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 


Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 

Begründet ron Profi XL MendeL 

Heraasgegeben 

von 

Dr. Kurt Mendel. 

Sechsundzwanzigster Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direkt von der Verlagsbuchhandlung. 


1907. 


16. Dezember. 


Nr. 24. 


Inhalt I. Oriainalmittellungen. 1. Über das verschiedene Verhalten der Neurofibrillen 
in den Fortsätzen und dem Zellleib der motorischen Ganglienzellen, von Dr. med. Nie. Gierlich 
in Wiesbaden. 2. Über einen früheren Fall von Heterotopie des Nucleus arcuatus, von 
Priv.-Doz. Dr. Milt. Oeconenakis in Athen. 3. Hämangiom im Pons Varoli, von Dr. Taka- 
kazu Nambu aus Tokio. 

II. Referate. Anatomie. 1. Zar Anatomie des centralen Nervensystems von Elephas 
indicus, von Dexler. — Physiologie. 2. Die Funktionen des centralen Nervensystems. 
Ein Lehrbuch von Lewandowsfcy. — Pathologie des Nervensystems. 3. Zur Kenntnis 
der metastatischen diffusen Sarkomatose der Meningen, von Stursberg. 4. Über Meningo* 
encephalitis unter dem Bilde des Delirium acutum verlaufend, von Finkelnburg. 5. Zur 
Kenntnis der umschriebenen Arachnitis adhaesiva cerebralis. von Placzek und Krause. 6. Ein 
Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Meningitis serosa (interna acuta) 
im Kindesalter, von Beck. m 7. Über seröse Meningitis, von Riebold. 8. Meningitis gonor¬ 
rhoica. von Rombach. 9. Über Meningitis cerebrospinalis pseudoepidemica, von Baginsky. 
10. Experimental cerebrospinal meningitis in monkeys, by Flexner. II. Über Veränderungen 
der Ganglienzellen des nückenmarkes bei der Meningitis cerebrospinalis epidemica, von 
Ludwig. 12. Über Herpes bei Meningitis cerebrospinalis epidemica, von Einhorn. 13. Über 
die Beugekontraktnr im Kniegelenk bei Meningitis, von Kernig. 14. Erfahrungen mit Menin¬ 
gitis cerebrospinalis epidemica bei Kindern in Berlin, von Cassel. 15. Über sporadische 
Meningitis cerebrospinalis epidemica und ihre diagnostische Abgrenzung von anderen menin- 
gealen Erkrankungen, von Hölker. 16. Über epidemische Cerebrospinalmeningitis, von Meyer. 
17. A case of cerebral-spinal meningitis. by Darling aud Wilson. 18. Meningitis cerebro¬ 
spinalis. Heilung, von Reimann. 19. Cerebrospinalmeningitis, by Eider and Jevere. 20. Über 
die bisherigen Erfahrungen mit dem Meningokokken-Heilserum bei < jenickstarrekranken, 
von Wassermann. 21. Der Wert der systematischen Lumbalpunktion in der Behandlung 
der Cerebrospinalmeningitis, von v. Bökay. 22. Zur Symptomatologie und Pathogenese des 
erworbenen Hydrocephalus internus, von Weber. 23. Beitrag zur Frage der chirurgischen 
Behandlung des Hydrocephalus internus, von Trinkler. 24. Erblindung infolge Tonsillitis 
phlegmonosa auf dem Wege der Tbrombosinusitis cerebralis, von Seggel. — Psychiatrie. 
25. Ear affections and mental disturbances, by Amberg. 26. Dementia prirnitiva (praecox), 
Hebephrenie, Katatonie, Paranoia, von Oeconomakis. — Forensische Psychiatrie. 
27. Beitrag zur forensischen Psychiatric, von Seiffer. 2m. Die pathologische Anschuldigung: 
Beitrag zur Reform des § 164 de» ^tratge.-e'zbu'die-» und de» $ 56 der Strafprozeßordnung, 
▼on Bresler. 

III. Aut den Gesellschaften. Deut-'-he Gesellschaft lur Urologie in Wien. 

IV. Personalien. 

V. Register 1907. 


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L Origin&lmitteilungen. 

1. Über das verschiedene Verhalten 
der Neurofibrillen in den Fortsätzen und dem Zellleib der 

motorischen Ganglienzellen. 

Von Dr. med. Nie. Gierlioh , Nervenarzt in Wiesbaden. 


Nachdem Cajal und Bielsghowsky jüngst zwei Methoden zur Darstellung 
der Neurofibrillen angegeben haben, die den bisherigen an Einfachheit und 
Sicherheit weit überlegen sind, dürfte es von besonderem Interesse sein, das 
Verhalten der Fibrillen in den einzelnen Teilen der Ganglienzellen bei Ent¬ 
wicklung und Degeneration der letzteren einer genaueren Prüfang zu unter¬ 
werfen. Ich beschränke mich hier zunächst auf die Untersuchung der motorischen 
Zellen, da ihre Entwicklung und Degeneration leicht dem Studium zugänglich 
ist, will aber nicht unterlassen zu bemerken, daß nach meinen bisherigen Unter¬ 
suchungen in den Zellen der CLABKE'scben Säulen des Rückenmarkes und ein¬ 
zelnen sensiblen Kernen der Medulla oblongata mit kräftig entwickelten Fibrillen 
ähnliche Verhältnisse obwalten, wie sie im folgenden beschrieben werden. 

Daß in der vollentwickelten normalen motorischen Zelle die beiden obigen 
Methoden insofern einen Unterschied im Verhalten der Fibrillen erkennen lasen, 
als Cajal’s Verfahren eine netzartige Verbindung derselben, die Imprägnation 
nach BrEL8CHOwsKY dagegen glatte, isolierte Fasern zur Anschauung bringt, ist 
für die hier interessierende Frage ohne Belang. 

Beide Färbeverfahren zeigen darin volle Übereinstimmung, daß sie im 
embryonalen Leben die Fibrillen in den Fortsätzen der motorischen Zellen 
früher zur Darstellung bringen als in dem Zellleib. Bbock \ der mit Cajal’s 
Methode an Schweineföten Untersuchungen anstellte, gibt dies für die Pyrv 
midenzellen des Gehirns, für die motorischen Zellen des Rückenmarkes und des 
verlängerten Markes an. Fragnito * fand das gleiche mit Donaggio’s Methode 
in den Vorderhornzellen der Hühnerembryonen. In den Pyramidenzellen des 
Gehirns konnte ich 3 nach Imprägnierung mit Bielschowbky’s Verfahren an 
menschlichen Föten das gleiche Verhalten im Auftreten der Fibrillen erkennen 
und ebenso in den motorischen Zellen des Rückenmarkes. In den Fortsätzen 
aller dieser Zellen erscheinen zuerst schwarze ungeformte Massen und in den 
späteren Stadien sind dann in den Fortsätzen bereits feine, erst gewellte, dann 
geradegerichtete Fädchen entwickelt, während das Zellinnere nur schwarze Schollen 
erkennen läßt, die oft in etwas dichterer Lage den Kern umgeben (Figg. I u. 2). 


1 Brock, Untersuchungen über die Entwicklung der Neurofibrillen des Schweioefotus. 
Monatsschr. f. Psych. n. Neurol. XVI. S. 467. 

1 Fragnito, Su la genesi delle fibre nervöse centrali. Annali di nevrofogia. XXIII. 
Fase. 1 bis 2. 

* Gisblich, Über die Entwicklung der Neurofibrillen in der Pyramidenbabn des 
Menschen. Deutsche Zeitscbr. f. Nervenheilk. XXII. S. 97. 


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1155 


Eine genaue Durchsicht meiner Präparate daraufhin, ob ein Fortsatz — 
etwa der Achsencylinderfortsatz — in der Entwicklung der Fibrillen bevorzugt 
sei und den anderen vorangehe, ließ ein solches Prävalieren nirgends hervor¬ 
treten. Man sieht zunächst in den äußersten Spitzen der Fortsätze — in den 
längeren früher als in den kürzeren — kleine gewellte Fäserchen, die bald sich 
strecken, an Dicke zunehmen und nach dem Zellleib hin sich ausdehnen. Erst 
wenn letzterer nahezu erreicht ist, schiebt sich hie und da eine Faser in den 
Zellleib hinein, um oft in einen anderen Fortsatz umzubiegen oder auch sich 
dem Kerne anzulegen. Solche weit hervorragende einzelne Fasern treten bald 
aus diesem, bald aus jenem Fortsatz aus, ohne daß eine Gesetzmäßigkeit im 



Fig. 1. Pyramidenzelle aus der vorderen 
Centralwindung eines menschlichen Fötus aus 
dem 9. bis 10. Monat. Die Fibrillen in den 
Fortsätzen sind bereits gut entwickelt, wäh¬ 
rend der Zellleib noch frei von solchen ist. 
Bielscbowsky-Färbung. Zeichnung mit Zeiss 
Apochrom. 2 mm Oc. 8. 



Fig. 2. Vorderhornzelle aus dem Halsmark eines 
menschlichen Fötus vom Anfang des 5. Monat. 
Die Fibrillen der Fortsätze sind bereits völlig 
ausgebildet, während im Zellleib sich schwarze 
Schollen finden, die rings um den Kern be¬ 
sonders dicht gelagert sind. Bielschowsky- 
Färbung. Zeichnung mit Zeiss Apochrom. 

2 mm Oc. 8. 


Verhalten zu den einzelnen Dendriten — etwa der Länge derselben — zu er¬ 
kennen wären. Im Großen und Ganzen scheint für das erste Auftreten der 
Fibrillen in den Fortsätzen die Entfernung vom Zellleib das ausschlaggebende 
Moment zu sein. Die Bildung der Fibrillen in den Fortsätzen geht der im Zell¬ 
leib stets voraus. 

Ein umgekehrtes Verhalten beobachtet man bei dem Zerfall der motorischen 
Zellen. Lache 1 , der in dem Laboratorium der Berliner neuro-psychiatrischen 
Klinik Studien über die Autolyse der Neurofibrillen machte und sich zur Im¬ 
prägnation der CAJAL’schen Methode bediente, fand, daß in den Pyramidenzellen 


1 Lache, Altärations cadaveriques des neurofibrilles. 

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Revue neur. 1906. Nr. 5. 

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1156 


und Vorderhornzellen erst die Fibrillen im Zellleib sioh auf lösten, bevor der 
Zerfall in den Fortsätzen eintrat. Den gleichen Befund konnte ich bei Darstellung 
der Fibrillen nach Beelsghowskt's Methode bei der Autolyse obiger ZeUarten 
beobachten (Figg. 3 u. 4). 

Auch bei der Degeneration der motorischen Zellen treffen wir wieder auf 
gleiche Art des Zerfalles. In den Pyramidenzellen des Gehirns fanden Bmr 
SOHOW8KY und Bbodmann 1 bei Paralyse sowohl wie bei Dementia senilis das 
Zellinnere meist schon in Auflösung und Zerfall begriffen, während in den 



Fig. 3. Vorderhorn zellen au dem Halsmark eines augetragenen Kindes, 
dessen Rückenmark 24 Standen der Laft des Laboratoriums (etwa 15 # ) 
ansgeBetzt war. Die Fibrillen der Fortsätze sind noch gut erbalten, während 
der Zelleib kurz verklumpte Fasern and Schollen aufweist. Der Kern 
wandständig and dankel tingiert. Bielschowsky-Färbung. Zeichnung mit 
Zeiss Apochrom. 2 mm Oc. 8. 


Dendriten noch relativ wohlausgebildete Fibrillen vorhanden waren, ein Verhalten, 
welches ich in gemeinsam mit Herrn Dr. Hebxhbimeb 3 ausgeführten Unter- 
suchungen bei verschiedenen krankhaften Prozessen der Hirnrinde bestätigen 
konnte. Im Rückenmark fiel Mabinesco 3 , der sich Cajal’s Methode bediente, 
bei Myelitis ein Persistieren der Fibrillen in den Fortsätzen bei Zerfall im Zell- 


1 Bielschowsky and Bbodmann, Zar feineren Histologie and Histopathologie der Gro߬ 
hirnrinde. Jonrn. f. Psychol. u. Neurol. V. Heft 5. 

* Gieblich and Hebxhbimeb, Über die Neurofibrillen Im Centralnervensystem des 
Menschen. Wiesbaden 1907, Bergmann. 

* Mabittesco, Lösions des nenrofibrilles dans certains ötats pathologiqnes. Journal de 


neurol. 1005. S. 221. 

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1157 


leib auf. loh sah das Gleiohe in einem Fall von Myelitis an Bielschowsky- 
Bildem, name ntlich in Schnitten, die in einiger Entfernung oberhalb und unter¬ 
halb des Herdes angelegt waren (Fig. 5). Es soll besonders hervorgehoben 
-werden, daß auf diesen Schnitten die intra- und extraspinalen vorderen Wurzeln 
keine erkennbaren Veränderungen aufwiesen und dieselben auch in den weiter 
dem Herde sich nähernden Schnitten sich stets besser erhalten zeigten als die 
Yorderhornzellen. Auch in einem Falle spinaler Kinderlähmung, dessen spezielle 
Beschreibung an anderer Stelle erfolgen soll, ließen sich in den befallenen Zell- 



Fig. 4. Vorderhomzelle aas dem HalBmark desselben R&ckenm&rkes wie 
bei Fig. S, nachdem dasselbe 48 Standen der Loft des Laboratoriums aas¬ 
gesetzt war. Aach hier sind in den Fortsätzen, namentlich peripherwärts 
vorn Zellleib, die Fibrillen noch leidlich darstellbar, während im Zellleib nar 
Schollen and Vakaolen sich finden. Vom Kern ist nichts za sehen. Biel- 
schowsky-Färbang. Zeichnung mit Zeiss Apochrom 2 mm Oc. 8. 

gruppen oft Zellen auffinden, deren Fortsätze noch wohlerhalten waren, während 
das Zellinnere mehr oder weniger sich in körnigem und scholligem Zerfall befand, 
hie und da Vakuolen anfwies und vom Kern nichts mehr zu erkennen war (Fig. 6). 

Ein genaues Durchsehen der Präparate ließ bei der Autolyse und Degene¬ 
ration kein augenscheinliches Überwiegen des fibrillären Zerfalles in dem einen 
oder anderen Fortsatz wahrnehmen, vielmehr erfolgte derselbe nach der Auf¬ 
lösung der Fibrillen im Zellleib ziemlich gleichartig in den einzelnen Fortsätzen 
und schien die Entfernung vom Zellleib für die Auflösung der Fibrillen in den 
Fortsätzen im Großen und Ganzen der maßgebende Faktor zu sein. Dabei ist 
der gesamte Schwund der Fortsätze in den einzelnen pathologischen Prozessen 
ein verschieden schneller. Es ist nach diesen Untersuchungen anzunehmen, 
daß bei dem Aufbau der. motorischen Zellen die fibrilläre Faserung der Zellen 
zuerst in den Fortsätzen, später erst im Zellleib nach unsern Methoden dar- 

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stellbar, also auch zur Entwicklung gekommen ist, andererseits — was all¬ 
gemeinen biologischen Anschauungen wohl entspricht — bei der Degeneration 
das zuletzt entstandene zuerst vergeht, d. h. die Fibrillen des Zellleibes früher 
dem Zerfall anheimfallen als die der Fortsätze, ohne daß ein auffallender Unter¬ 
schied in den einzelnen Fortsätzen zutage träte. 



Fig. 5. Vordcrhornzelle aus dem oberen Lum- Fig. 6. Vorderhornzelle aus dem Halsmark 
baimark eines menschlichen Rückenmarkes in eines Rückenmarkes mit Poliomyelitis anterior, 
einiger Entfernung oberhalb eines myelitischen In dem Fortsatz treten die Fibrillen noch deut- 
Herdes. In dem in der Schnittebene gut ge- lieh hervor, während in dem geschrumpften 
trotfenen Fortsatz sind die Fibrillen noch Zellleib nur kurze dicke Fasern, Schollen und 
wohl erhalten, während im Zellleib nur kurze £roße Vakuolen sichtbar sind. Vom Kern 
dickeFasern, verklumpte Massen und Vakuolen ist nichts zu sehen. Bielschowsky-Färbung. 
anzutreffen sind. Die hellere runde, dem Kern Zeichnung mit Zeiss Apochrom. 2 mm Oc. 8. 
entsprechende Stelle in der Nähe des Abganges 
des Fortsatzes ist von dichteren Massen um¬ 
lagert. Bielschowsky-Färbung. Zeiohnung mit 
Zeiss Apochrom. 2 mm Oc. 8. 

Obige Untersuchungen wurden im pathologischen Institut des städtischen 
Krankenhauses zu Wiesbaden ausgeführt und bin ich dem Prosektor, Herrn 
Dr. Herxheimeh, für Überlassung des Materiales und Arbeitsplatzes, sowie sein 
Interesse für die,Untersuchungen zu vielem Danke verpflichtet. 


2. Über einen früheren Fall von Heterotopie des 

Nucleus arcuatus. 

Von Priv.-Doz. Dr. Milt. Oeoonomakis in Athen. 

Bei der Bearbeitung eines in vielen Beziehungen interessanten Falles, den 
ich vor 2 Jahren veröffentlichte, 1 war mir unter anderem eine beträchtliche Ab- 

1 Oeconomakis, Über umschriebene mikrogyrische Verbildungen und ihre Beziehung 
zur Porencephalie. Taenia pontis als pedunkuläres Bündel. Archiv f. Psych. u. Nerven¬ 
krankheiten. XXXIX. Heft 2. 


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weichung in der Lage und Gestalt des Nncleus arcuatus, besonders der einen 
Pyramide, die auch etwas hypertrophisch aussab, während die andere stark 
atrophisch war, aufgefallen. Diese Abweichung wurde in jener Veröffentlichung 
kurz als Nebenbefund erwähnt. Darin liegt wahrscheinlich der Grund, daß 
dieser Fall dem Kollegen Catöla entging, der in der Bibliographie am Anfang 
seiner jüngsten Mitteilung denselben nicht erwähnt. 1 



Fla Py 

Fig. 1. Fla Fissura longitudinalia anterior, Py Pyramide, Faea Fibrae arcuatae externae 
anterior, hypertrophisch. Na Noclens arcuatus. Markscheidenfärbung nach Weigeret. 

Durch die Arbeit dieses Autors sehe ich mich nun veranlaßt, auf meinen 
Fall zurückzukommen, um eine eingehendere Beschreibung jener Abweichungen 
zu geben, wodurch die Schlußfolgerungen des genannten Autors über die Be¬ 
ziehungen des N. arciformis zu den Fibrae arcuatae externae anteriores im 
wesentlichen ergänzt werden sollen. 

An der Ebene, gleich unterhalb der Brücke, d. i. in der Höhe der oberen 

1 Catöla, Ein Fall von Heterotopic des Nudeus arciformis. Neurolog. Centralblatt* 

1907. Nr. 11. 

D ' ! GO ‘glC UNIVERSITY OF CALIFORUt ? 1 


1160 


Olivenregion, behält der Nucleus arcuatus, als eine unmittelbare Fortsetzung der 
grauen Substanz der Brücke, seinen gewöhnlichen Platz an dem medial-ventralen 
Rand der linken Pyramide bei. Er ist kräftig entwickelt und von den Fibrae 
arcuatae ext ant wie gewöhnlich umsäumt. Dieses periphere Auftreten des 
N. arcuatus hört aber auf den nächstfolgenden Schnitten allmählich auf; je 
weiter die Schnitte spinalwärts liegen, desto mehr ändern sich die Verhältnisse: 
der N. arcuatus erscheint nunmehr mitten im Pyramidenfelde, das somit durch 
mehrfach gegabelte graue Züge in mehrere kleinere Felder zerteilt wird. 



Fla Py 

Fig. 2. Fla Fissura long. anter., Py Pyramidenfeld, vom hirschgeweihartig gegabelten 
Nucl. arcuatus durchsetzt, Faea Fibrae arc. ext. ant. 

Auf den ersten Schnitten durchläuft er in horizontaler Richtung das Feld 
der Pyramide, indem er von der Mitte des medialen Randes derselben eindringt 
und sich zum Sulcus praeolivaris hinzieht (Fig. 1). Auf anderen folgenden zeigt 
er eine mehrfache, hirschgeweihartige Verzweigung, wodurch die Pyramide in 
vier bis fünf von einander getrennte kleine Felder zerfällt (Fig. 2). Und weiter 
unten durchzieht er wieder in einfachem Zug, bogenförmig mit ventraler Kon¬ 
kavität, das ganze Pyramidenfeld von der Stelle der Vereinigung der zwei late¬ 
ralen mit dem medialen Drittel des ventralen Pyramidenrandes an zu dem 

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lateralen Band desselben und teilt somit dasselbe in ein ventrales, mehr ovales, 
und ein dorsales, halbmondförmiges Feld (Fig. 3). 

Parallel mit diesen Veränderungen des N. areuatus macht sich eine auf¬ 
fällige Hypertrophie der Fibrae arcuatae eitemae anteriores, besonders an ihrem 
seitlichen Teile (Praetrigeminales 1 ) bemerkbar. Hier — in der mittleren und 
unteren Olivenregion — erreichen dieselben eine derartig starke Entwicklung. 

Flp Faep 



aea 


Fig. 8. Flp Fissura long. posterior, Faep Fibrae arc. eiternae posteriores. Pt/a atrophische 
Pyramide, Fa Nucleus areuatus, Fla Fissura loug. anterior. 

daß es zu einer richtigen Überwucherung der linken Olive kommt, wobei die 
Sulci prae- und postolivaris gänzlich verschwinden. An dem lateralen Quer¬ 
schnittsrande liegt dann eine breite und kompakte Schicht der Länge nach 
getroffener Markfasern an, die sich nach oben und unten in eine Anzahl von 
Flechten auflöst, welche einerseits das Gebiet des Corpus restiforme und auderer- 


1 Minoazzini, Sülle origini e connessioni delle fibrae arciformeß u. Ulteriori ricerche 
intorno alle fibrae arciforraes ed al raphe. Monatsschrift f. Anat. u. Physiol. IX u. X. 


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1162 


seits dasselbe der homolateralen Pyramide mehrfach gesohlängelt durchsetzen 
(Fig. 1 a. 2). In der Pyramide folgen diese Faserzüge dem mannigfachen Ver¬ 
laufe des heterotopischen N. arcuatus treu, nnd es läßt sich anf mehreren 
Strecken ganz deutlich nachweisen, wie letzterer somit zwischen zwei gleichstarken 
Schichten dieser transversal verlaufenden Fasern eingebettet liegt. 

An der Peripherie der Pyramide vermißt man den bogenförmigen Saum, 
den diese Fasern gewöhnlich bilden und dem sie den Namen „arcuatae“ ver¬ 
danken, gänzlich. Nur am medialen Bande des Pyramidenfeldes bleibt dieser 
Saum erhalten; da ja die ihn bildenden Fasern sich bald an der Übergangs¬ 
stelle vom medialen zum ventralen Bande umbiegen und der Wanderung des 
N. arcuatus nach innen folgen. 

Außerdem sei noch erwähnt, daß einige Teile des so reichlich innerhalb 
der Pyramide entwickelten und verzweigten N. arcuatus, noch weit im Gebiete 
der Seitenstränge der Medulla oblongata, von ihm abgetrennt oder auch als 
unmittelbare Fortsetzung desselben, zu verfolgen sind; sie liegen dem Innenrande 
der breiten Schicht der hypertrophischen Fibrae arc. eit dicht an (Fig. 2 u. 3). 

Weiter unten, wo der Schnitt keine Olive mehr trifft, fällt schließlich am 
dorsalen Bande des Querschnittes der Medulla oblongata eine links ungewöhnlich 
stark ausgebildete Schicht der Fibrae arcuatae externae dorsales s. posteriores 
auf, die die Peripherie des Gebietes der Hinterstränge umgibt (Fig. 3). Diese 
Fasern bilden bekanntlich den Hinterstrangsanteil des Corpus restiforme 1 und 
hier sehen wir ganz klar, wie sie teils mit dem Nuoleus gracilis in Verbindung 
treten, teils ihn überspringen, um sich in der Tiefe der Fissura longitudinalis 
posterior umzubiegen. 

Obige Befunde bestätigen, wie wir sehen, die enge Beziehung, welche 
zwischen dem N. arcuatus und den Fibrae arcuatae externae anteriores besteht: 
einmal, weil es klar hervortritt, wie letztere treu und unentwegt dem anomalen 
Verlauf des ersteren im Inneren der Pyramide folgen; weiter aber auch, weil 
die ausgesprochene Hypertrophie der seitlich verlaufenden Fibrae arc. ext ant 
mit einer reichlicheren Entwicklung des N. arcuatus zusammenfällt, sowie mit der 
sich bis ins Gebiet der Seitenstränge erstreckenden Fortsetzung desselben. 


[Aas dem pathologischen Institute in Straßbarg (Direktor: Prof. Chubi).] 

3. Hämangiom im Pons Varoli. 

Von Dr. Takakaau Nombu ans Tokio. 

Bei der am 11. Dezember 1906 im Institute vorgenommenen Sektion der 
Leiche eines 63jährigen Mannes wurde beim Durchschneiden des Pons Varoli 
die im Titel bezeichnete Geschwulst gefunden. Da Hämangiome im Gehirn nur 
selten Vorkommen, möchte ich mir erlauben, diesen Fall hiermit zur Kenntnis 


1 Obekstkikbe, Anleitung beim Stadium der nervösen Centralorgane, 1901. 


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zu bringen. Klinisch hatte über den Patienten nichts weiter erniert werden 
können, da der Patient in moribandem Zustand eingeliefert worden war. 

Die Sektion ergab den Befund von Morbus Brightii chronicus, Cirrhosis 
hepatis gradus levioris, Pachydermia laryngis, Tuberculosis obsoleta apicum pul¬ 
monum et glandularum lymphaticarum peribroncbialium, Defectus partialis septi 
narium, Lien accessorius. 

Die weichen Schädeldecken waren blaß. Der Schädel maß 54 cm im Hori¬ 
zontalumfang. Die Meningen und das Gehirn waren blaß und ohne patho¬ 
logische Veränderungen bis auf einen nahezu 1, 4 ccm großen dunkelroten Herd 
in der linken Hälfte des Pons in der Höhe der Loci caerulei, etwas über der 
Mitte des linken Pyramidenfeldes (vgl. Fig. 1). Zunächst hielt man den Herd 
für eine Blutung oder einen hämorrhagischen Erweichungsherd. Zu weiterer 


i 


Fig. 1. 

Untersuchung wurde der Pons in Formol-Müller gehärtet, hierauf mit Alkohol 
von steigender Konzentration behandelt und dann in Celloidin eingebettet. Die 
Schnitte wurden mit Hämatoxylin-Eosin, Hämatoxylin- van Gieson’s Gemisch 
und nach der Weigert* sehen Markscheidenmethode gefärbt; ferndf wandte ich 
noch die Elastinfärbung nach Weigert und Unna-Taenzer, sowie die Fibrin¬ 
färbung nach Weigert an. 

Schon bei flüchtiger Betrachtung der Schnittpräparate konnte man den 
Befund eines Tumor cavernosus konstatieren. Der Tumor begrenzte sich ganz 
scharf gegen die Umgebung und bestand aus zahlreichen Hohlräumen von ver¬ 
schiedener Größe (vgl. Fig. 2). Diese Hohlräume waren meist rundlich, hier und 
da aber unregelmäßig gestaltet. In ihren Lumina fand sich Blut. Die Scheide¬ 
wände, die die einzelnen Alveolen voneinander trennten, waren verschieden dick, 
zuweilen dünner, zuweilen beträchtlich dick. Sie bestanden aus hyalinem, ganz 
kernarmem, faserigem oder fast homogenem Gewebe. Elastische Fasern und 
glatte Muskelfasern waren in ihnen nirgends wahrzunehmen, ebenso ließen sich 

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im Tumor keine nervösen Elemente und keine Glia nach weisen. Nur in der 
Peripherie des Tumors fanden sich einzelne markhaltige Nervenfasern. Ab¬ 
gesehen davon erschien aber der Tumor bei der WEiGEBx’schen Markscheiden¬ 
färbung gegen die Umgebung ganz scharf begrenzt und ließ sich in der Um¬ 
gebung des Tumors keine Degeneration der Nervenfasern konstatieren. Die mit 
Blut gefüllten Hohlräume trugen ein deutliches Endothel. Manche Hohlräume 
zeigten aber Verödung und waren mit homogenen Massen ausgefüllt, welche 
wie Thrombeu aussahen, aber keine Fibrinfärbung gaben. Augenscheinlich 
durch ältere solche Thrombose war stellenweise eine völlige Verödung des Tumors 



| I 1*t. __ 1 

Fig. 2. 

eingetreten. Ein Zusammenhang des Tumors mit den Blutgefäßen der Umgebung 
ließ sich in den Schnitten nirgends feststellen. 

Auf Grund dieser mikroskopischen Untersuchung halte ich mich für be¬ 
rechtigt, diesen Tumor im Pons Varoli als ein Haemangioma cavemosnm an¬ 
zusprechen. Es hatte dasselbe keinen ausgesprochenen arteriellen oder venösen 
Charakter, war aber ausgezeichnet durch stellenweise offenbar alte Thrombose 
der Bluträume und hyaline Metamorphose der Scheidewände. 

Ob der Ponstumor in meinem Fall irgendwelche Symptome gemacht hatte, 
vermag ich mangels einer Anamnese nicht zu sagen. Wahrscheinlich ist es 
nicht, da die Medulla spinalis keine sekundäre Degeneration zeigte. 

Eine Mitteilung über Hämangiom im Pons konnte ich in der mir zugäng¬ 
lichen Literatur nicht finden. 


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II. Referate. 


Anatomie. 

1) Zar Anatomie de« centralen Nervensystem« von Elephas Indiens, von 

Prof. H. Dealer. (Arb. ans dem Wiener nearolog. Institut XV. S. 137. 

[Festschrift Obersteiner]) Ref.: Otto Marburg (Wien). 

In einer umfassenden Darstellung macht uns der Autor mit den makro¬ 
skopischen Verhältnissen deB Elephantengehirn und Rückenmark bekannt Bis ist 
unmöglich, in einem kurzen Referat die vielen interessanten Details dieser mono¬ 
graphischen Darstellung zu geben. Das Gehirn wog 2040 g (das ganze Tier 240 kg). 
Das Rückenmark wog 187 g. Letzteres war im Vergleich zum Großhirn klein, 
obwohl es bis in das Os sacrum hinabreichte. Es war nur eine Lendenansohwellung 
vorhanden. An der Dura fiel ein starkes dorsales Band, an der Pia ein starkes 
ventrales auf. Die Fissura mediana dorsalis ist ziemlich tief, auch finden sich 
zahlreiche intersegmentäre sensible Wurzeln. Das Großhirn zeigt eine gewisse 
Ähnlichkeit mit dem des Delphin. Die eigentlichen äußeren Formverhältnisse des 
Gehirns werden auf die Entwicklungsmechanik desselben in dem kurzen Schädel¬ 
raum zurückgefiihrt. Überaus mächtig entwickelt ist das Kleinhirn. Im Gegen¬ 
sätze dazu ist der Epithalamus gering entwickelt, während entsprechend der 
Kleinhirnentwicklung die Oliven und die Brücke ziemlich beträchtlich vorspringen. 
Dasselbe gilt auch für den Thalamus opticus und die Kniehöcker. Der Kleinheit 
des Gehirnstammes entsprechen die rudimentären Pyramiden. Dies nur einige 
Details aus dem reichen Materiale, das ein Beispiel exakter anatomischer Forschung 
genannt zu werden verdient. 


Physiologie. 

2) Die Funktionen des centralen Nervensystems. Ein Lehrbuch von M. L e w a n - 
dowsky. (Jena 1907.) Ref.: Max Bielschowsky (Berlin). 

Eine große Aufgabe hat sich Verf. in diesem Buche gestellt; er will die 
Lehre von den Funktionen der Centralorgane von Anfang an und von den ein¬ 
fachsten Voraussetzungen beginnend bis dahin entwickeln, wo die Psychologie die 
Weiterführung übernimmt. 

In einem einleitenden Kapitel wird über die Begrenzung des Stoffes gegen¬ 
über benachbarten Disziplinen gesprochen, und wenn auch manche Vorstellung des 
Verf.’s, wie die von der psycho-physischen Identität, nach der alles psychische 
Geschehen durch materielle Vorgänge in den „Molekülen des centralen Nerven- 
systems“ bedingt wird, anfechtbar ist, so ist doch mit Freuden zu konstatieren, 
daß die hier liegenden Probleme als solche klar erfaßt und dargestellt worden 
sind. Nach einem kurzen Überblick über die Phylogenese des Nervensystems wird 
die Struktur und ihre Beziehungen zur Funktion erörtert. Man wird sich hier 
im allgemeinen mit der Darstellung einverstanden erklären können. Wenn Verf. 
Schwannscbe Scheide und Neurilemm identifiziert oder das Hyaloplasma Leydigs 
mit der Kaplanschen Achsencylindersubstanz auf die gleiche Stufe stellt, so sind 
das kleine Ungenauigkeiten, die nicht schwer ins Gewicht fallen. Die Neuronen¬ 
lehre in ihrer krassen Schulform wird vom Verf. abgelehnt; nach den Forschungs¬ 
ergebnissen Apäthys und späterer Autoren ist au der histologischen Kontinuität 
der nervösen Leitung nicht zu zweifeln, und auch funktionell kommt der Zelle 
als Individuum im Centralnervensystem ebensowenig wie sonst die Bedeutung 
einer funktionellen Einheit zu. „Die Leitung durch die Centralorgane der Wirbel¬ 
tiere muß sicherlich Zellen passieren, aber auch für die Leitung ist nicht die 
Zelle die Einheit, sondern die Fibrille.“ 


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1166 


Ausgezeichnet ist das 3. Kapitel, welches vom Reflex handelt. Der Reflex 
ist die Grundlage aller Verrichtungen des Nervensystems und der Schl Eissel zur 
Entwirrung des ganzen Getriebes des centralen Apparates. Dementsprechend 
werden seine Erscheinungsformen eingehend geschildert und im Zusammenhang 
damit die ihm verwandten Grundeigenschaften der centralen grauen Substanz, die 
Summation, Bahnung und Hemmung behandelt. Daß Verf. bei der Definition der 
Bahnung gegen die törichte „bahnende Übungstherapie“ gewisser Kliniker (elek¬ 
trische Reizung der freigelegten Rinde bei Hemiplegikern!) zu Felde zieht, ist 
sehr am Platze. 

Vermißt hat Ref. bei diesem Kapitel eine kurze Darstellung der Beth eschen 
Forschungen über das Wesen der Leitung; eine Erwähnung hätten die An¬ 
schauungen dieses Autors über die Fibrillensäure und ihre cöntrale „Konkurrenz- 
Substanz** verdient. 

In den folgenden Abschnitten über das Rückenmark als Centralorgan und 
seine Gliederung werden die Arten der Reflexe, der Muskeltonus und die Reflex¬ 
wege ausführlich erörtert. Gegenüber der alten Streitfrage über die Rücken¬ 
marksseele teilt Verf. den Standpunkt von Goltz, daß eine Feststellung der 
Grenzen von willkürlicher Bewegung und Reflex undurchführbar ist. „Jede Defi¬ 
nition, die nur subjektivistischer Tüftelei die Tür öffnen würde, ist hier vom 
Übel; nicht als wenn die Erforschung des Psychischen kein Gegenstand der Natur¬ 
wissenschaft wäre. Aber weil wir das Entwicklungsprinzip auch für alles Psy¬ 
chische voraussetzen, dürfen wir uns mit der objektiven Feststellung begnügen, 
daß das Rückenmark niederer Wirbeltiere zweckmäßiger und jeweils zweckmäßig 
veränderter Abwehrbewegungen fähig ist.“ 

Die Atonie und Areflexie der unteren Extremitäten bei totalen Qerschnitts- 
läaionen des Rückenmarkes im Dorsalteil beurteilt Vortr. im Sinne der alten 
Basti an sehen Lehre: die Reflexcentren bedürfen beim Menschen eines Zusammen¬ 
hanges mit den höheren Gehirnteilen. Gegen diese Auffassung lassen sich aber 
eine Reihe klinischer Beobachtungen ins Feld führen, aus denen hervorgeht, daß 
der Reflexverlust nicht der Qberläsion als solcher, sondern sekundären Kompli¬ 
kationen zuzuschreiben ist, die sich in dem abgetrennten Rückenmarksfragmente 
entwickeln. 

Mit erfreulicher Gründlichkeit wird dann das sympathische System besprochen, 
ein Gebiet, welches in den physiologischen Lehrbüchern im allgemeinen recht 
stiefmütterlich behandelt wird. Das Material ist hier mit großem Fleiß zusammen¬ 
getragen und kritisch verwertet worden. Die verdienstvollen Arbeiten Langleys 
über die Wege der sympathischen Fasern sind nach Gebühr berücksichtigt. Von 
klinischem Interesse ist hier der Hinweis auf die Sensibilität der Muskelfasern, 
insbesondere der glatten Gefäßmuskeln. Die Parästhesien der vasomotorischen 
Neurosen und gewisse Formen des Kopfschmerzes lokalisiert Verf. in die Wan¬ 
dung der Blutgefäße. 

Den trophischen Funktionen des Nervensystems widmet Verf ein besonder« 
Kapitel, in dem er die reziproken Beziehungen von Centrum und Peripherie dar¬ 
stellt. Die Frage, ob besondere trophische Nerven, oder aüoh nur trophisch 
wirkende Nervenerregungen vorhanden sind, ist nicht unbeantwortbar. Fest steht, 
daß die Lösung des Zusammenhanges zwischen der Peripherie und den Central¬ 
organen in einer Reihe von Fällen trophische Störungen bewirkt, ohne daß eine 
besondere Art trophisoher Nerven oder trophischer Nervenerregung nachgewiesen 
wäre. „Weiter kann viel gefragt, aber nichts beantwortet werden.“ 

Bei der Erörterung der Funktionen des Hirnstammes gibt Verf. nach des 
notwendigen anatomischen Vorbemerkungen eine Darstellung seiner wichtigstes 
Reflexe, um sich dann den Problemen der Atmung zuzuwenden, welche mit großer 
Anschaulichkeit vorgetragen werden. 

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1167 


Das nächste Kapitel ist der allgemeinen Bedeutung des Hirnstammes gewidmet, 
dessen Gesamtfunktion sich nur aus den Folgen der totalen Großhirnexstirpation 
erschließen laßt. Die Darstellung, welche Verf. von großhirnlosen Tieren, speziell 
von den Goltzechen Hunden entwirft, ist vortrefflich. An der Hand des bisher 
gesammelten Tatsachenmateriales kommt Verf. zu dem Standpunkt, daß hier die 
phylogenetische Betrachtungsweise notwendig ist. Bei .den niederen Klassen der 
'Wirbeltiere besitzt der Hirnstamm die Funktion eines dem Bückenmark über¬ 
geordneten Centralorganes, welches insbesondere eine geordnete Lokomotion er¬ 
möglicht. Diese Rolle wird nach oben hin stetig kleiner, bis schließlich beim 
Menschen alle Suprematie dem Großhirn zufällt. 

In dem folgenden Abschnitt über den Einfluß der Sensibilität auf die Be¬ 
wegung werden die Ergebnisse der experimentellen Pathologie und klinische Be¬ 
obachtungen dahin gedeutet, daß das Bestehen der peripheren Sensibilität für die 
Regulierung der spontanen und speziell willkürlichen Bewegung von größter Be¬ 
deutung ist, daß aber, die Möglichkeit willkürlicher Bewegungen bei deren Aus¬ 
schaltung nicht vernichtet wird. Auch ohne centripetale Impulse behalten die 
Extremitäten die Fähigkeit bestimmte Synergien zu leisten, welche im Central¬ 
organ bis zu einem gewissen Grade motorisch präformiert sein müssen. 

Auf seinem Spezialgebiet befindet sich Verf. bei der nun anschließenden Dar¬ 
stellung der Kleinhirnfunktionen. Hier kann er mit einer ganzen Reihe eigener 
anatomischer und experimentell-pathologischer Untersuchungen aufwarten, deren 
Resultate längst bekannt geworden sind. Im Gegensatz zu Luciani, welcher das 
Cerebellum als motorisches Verstärkungsorgan auffaßte, vertritt Verf. den Stand¬ 
punkt, daß dieses Organ der Träger sensorischer, bzw. sensomotorischer Funktionen 
ist. Ein prinzipieller Gegensatz zwischen der sensiblen Wurzelataxie und der 
Kleinhiraataxie besteht nicht, wenn auch die klinische Beobachtung am Menschen 
scheinbar weitgehende Differenzen hervortreten läßt. 

Auch in dem folgenden Kapitel über die Leitungsbahnen der Sensibilität zum 
Großhirn kann Verf. auf eigene Arbeiten hinweisen. Nach seiner Meinung kommen 
für die Körpersensibilität nur zwei Wege in Betracht: Spinalganglion—Hinter¬ 
strang—Hinterstrangskern—Hauptschleife—Thalamus —Großhirnrinde oder Spinal¬ 
ganglion—C1 arkesehe Säule —Kleinhirnseitenstrangbahn—Kleinhirnrinde—Corpus 
dentatum—Bindearm — Thalamus — Capsula interna—Großhirnrinde. Ein in den 
Kommissuren des Rückenmarkea kreuzendes und im Seitenstrange aufwärts streben¬ 
des langes System erkennt Verf. nicht an. Da aber die klinische Erfahrung, 
insbesondere der BrownrSequardsche Komplex, die Annahme einer im Rücken¬ 
mark gekreuzt verlaufenden Bahn notwendig macht, so ist es wahrscheinlich, daß 
dieselbe sich aus einer Kette kurzer Systeme zusammensetzt. 

Nach einer recht ausführlichen Einleitung über die phylogenetische Entwick¬ 
lung des Palliums, seine Cytoarchitektonik und Myelogenese — bei welcher Ge¬ 
legenheit das bekannte Flechsigsche Grundgesetz kritisch beleuchtet und ab¬ 
gelehnt wird —, geht Verf. zu den Funktionen der Großhirnrinde über und 
schildert zunächst die Bedeutung der Reizmethode für unsere Kenntnis von der 
Lage der sogen, motorischen Punkte. Es wird betont, daß durch den elektrischen 
Reiz nicht nur Kontraktionen einzelner Muskeln, sondern auch spezifische Be¬ 
wegungskombinationen ausgelöst werden, die entweder in der Rinde selbst lokali¬ 
siert sind oder durch einen Anstoß von der Rinde in niederen Centralteilen in 
Tätigkeit gesetzt werden. Das Experiment und die klinische Erfahrung bei der 
Jacksonschen Epilepsie weisen darauf hin, daß wahrscheinlich auch die genuine 
Epilepsie in der Rinde entsteht und dort abläuft. — Es folgen die experimen¬ 
tellen Erfahrungen über die Lokalisation im Hirnmantel nach umschriebenen Ver¬ 
letzungen. Hier hat sich Verf. mit der Projektionslehre Munks zu befassen, 
welche er, den Argumentationen Hitzige folgend, in ihrem vollen Umfange nicht 


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anerkennt. Der hohe Wert einzelner Feststellungen dieses Forschers wird dabei 
aber gebahrend betont. Bei der Charakterisierung der sensomotorisehen Region 
wird hervorgehoben, daß je isolierter eine Bewegung erscheint, um so groß«« 
Rindengebiete zu dieser Isolierung mitgewirkt haben müssen. Innerhalb dies« 
Region bestehen bestimmte Felder, deren Zerstörung die Motilität und Sensibilität 
eines Gliedes besonders stark schädigt; ihre Grenzen öberlagern sich aber im 
allgemeinen mehr oder weniger stark. 

Es folgt die Darstellung der cerebralen Lähmungen und Bewegungsstörungen 
des Menschen, unter denen die Kontraktur ausführlich geschildert wird. Dann 
wendet sich Verf. wieder einem anatomischen Gebiete, den motorischen Leitangs¬ 
bahnen, zu. Die direkte Verbindung zwischen Hirnrinde und Rückenmark wird 
von den Pyramidenbahnen gebildet, welche als Axone der großen Riesenpyramiden 
der motorischen Region zu betrachten sind. Diese endigen nach Verf.’e Meinung 
nicht direkt an den motorischen Vorderhornzellen, sondern in der sogen. Zwischen¬ 
zone und sind mit jenen durch „Schaltneurone" verbunden. Zu dieser Auffassung 
wird Verf. duroh seine Marchi-Präparate hingeleitet, in welchen bei sekundären 
Degenerationen niemals die charakteristischen Schollen bis ins Vorderhorn ver¬ 
folgbar sind. Dieses Argument ist aber nicht stichhaltig, weil die Endstrecken 
der fraglichen Fasern marklos sind und keine nach Marc hi. färbbaren Zerfalls¬ 
produkte liefern. 

Die Pyramidenbahn nimmt in der Reihe der Säugetiere bis zum Menschen 
hinauf immer mehr an Mächtigkeit zu. Bei den tiefer Btehenden Säugern kommt 
neben ihr für die Leitung centrifugaler Impulse das Monakowsche Bündel sehr 
in Betracht, welches aus dem roten Haubenkern des Mittelhirns entspringt. Der 
Anschluß der Großhirnrinde an den Nucl. ruber erfolgt aber nicht direkt oder 
auf dem relativ kurzen Wege über den Thalamus (Probst), sondern auf einem 
Umwege über das Kleinhirn. Die einzelnen Stationen der Bahn sind: Kortex— 
innere Kapsel — Hirnschenkelfuß — Brückengrau — Brückenarm—Kleinhirnrinde— 
Corp. dent.—Bindearm (kreuzend) — roter Kern — Monakow sch es Bündel—Rücken¬ 
mark. Außerdem können für die Leitung motorischer Reize noch die im Deiters- 
sehen Kern entspringenden Vorderstrang- und Vorderseitenstrangfasern in Frage 
kommen, sowie die Vierhügelvorderstrangbahnen und die Fasern aus der Formatio 
reticul. pontis et med. obl. Bemerkenswert ist, daß Verf. eine Kreuzung der 
Pyramidenvorderstrangfasern in der Commissura alba des Rückenmarkes strikte 
in Abrede stellt. 

Den Problemen der Aphasie und Apraxie sind dann zwei besondere Kapitel 
gewidmet, welche zeigen, daß Verf. auch mit diesem Stoff vertraut ist und ihn 
anschaulich vorzutragen weiß. In einzelnen Punkten wird mancher Leser aller¬ 
dings anderer Meinung sein, so z. B. in der Beurteilung der transkortikalen moto¬ 
rischen Aphasie und der Alexie. 

Den Schluß bildet eine Abhandlung über die Cerebrospinalflüssigkeit, welche 
alB cerebrale Lymphe definiert wird. Sie stammt, wie Injektionsversuohe lehren 
sollen, aus den Gefäßen und der Substanz des Nervensystems. Die Frage nach 
der Herkunft dieser Flüssigkeit ist aber heutzutage doch noch nicht mit solcher 
Sicherheit zu beantworten; um so weniger, als unsere Kenntnisse über die Lymph- 
wege in den Centralorganen zum Teil noch recht lückenhaft sind. Wenn Verf 
die Plexus chorioidei für unbeteiligt an der Bereitung des Liquor cerebro-spin. 
erklärt, so unterschätzt er diese Gebilde sehr; zum mindesten hätte er Beine An¬ 
sicht etwas begründen müssen. 

Soll ein Gesamturteil gefällt werden, so wird man das vorliegende Buch als ein 
sehr gutes bezeichnen müssen. Die Anordnung des Stoffes ist überall eine klare, 
und die Diktion so lebhaft und gewandt, wie man es in Lehrbüchern leider nur 
sehr selten findet. Den Vorwurf einer farblosen Kompilation wird man keinem 

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Kapitel machen können; immer weiß Verf. etwas eigenes zu sagen und bei strittigen 
Fragen seinen Standpunkt mit Temperament zu betonen. Unter diesen Umständen 
ist es begreiflich, daß mancher verdienstvolle Autor etwas zu kurz kommt, und 
daß die persönliche Auffassung des Verf.’s mitunter zu stark in den Vordergrund 
rückt. Aber dieser Nachteil wird durch die Vorzüge reichlieh aufgewogen. Dem 
Lernenden . wird das Buch eine vortreffliche Einführung in diesen schwierigen 
Stoff bieten und dem Kundigen manche wertvolle Anregung. 


Pathologie des Nervensystems. 

3) Zur Kenntnis der metastatisohen diffusen Sarkomatose der Meningen, 

von Privatdozent Dr. H. Stursberg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde. 
XXXIII.) Ref.: L. Borchardt (Berlin). 

Verf. teilt einen bei der Seltenheit der Affektion bemerkenswerten Fall mit, 
der beweist, daß auch außerhalb des Nervensystems entstandene Sarkome in 
ähnlicher Weise wie Karzinome eine über die ganze Pia verbreitete, nur mikro¬ 
skopisch nachweisbare Metastasierung hervorrufen können, die durchaus der 
primären Sarkomentwicklung in den weichen Häuten entspricht; es zeigt dieser 
Fall ferner, daß derartige Tumorbildungen unter den Erscheinungen einer Poly- 
nenritis ohne eine Andeutung von meningitischen Symptomen verlaufen können. 
Daß hier nicht die zufällige gleichzeitige Entwicklung zweier Tumoren vorlag, 
beweist die Gleichartigkeit der zeitigen Gebilde, auch die analoge Art des Wachs¬ 
tums — nicht unter Bildung von Geschwulstknoten, sondern unter diffus infiltra¬ 
tiver Ausbreitung — der beiden Tumormassen. Das Fehlen der meningitischen 
Erscheinungen ist schwer zu erklären, ebenso bietet die Deutung des Verhaltens 
der sensiblen Reizerscheinungen große Schwierigkeiten: die Schmerzen saßen 
nämlich keineswegs in allen von den Tumormassen ergriffenen Nerven, ferner 
ließen sie teilweise trotz der Weiterentwicklung des Leidens nach. 

4) Über Meningoencephalitis unter dem Bilde des Delirium acutum ver¬ 
laufend, von Privatdozent Dr. Rudolf Finkelnburg. (Deutsche Zeitschr. f. 
Nervenheilk. XXXIII.) Ref.: L. Borchardt (Berlin). 

Kasuistische Mitteilung. Bei einem früher gesunden, nur etwas nervösen 
Knaben entwickeln sich ohne nachweisbare Veranlassung schwere cerebrale 
Allgemeinerscheinungen, psychische Störungen, die dem klinischen Bilde des 
Delirium acutum entsprechen. Nach anfangs fieberlosem Verlauf steigt die 
Temperatur sehr bald beträchtlich an, meningitische Symptome oder Herd¬ 
erscheinungen fehlen vollkommen. Am 19. Krankbeitstage Exitus. Die Obduktion 
ergab eine chronische Leptomeningitis nebst frischen entzündlichen Veränderungen, 
ferner Entzündungserscheinungen an den Hirngefüßen der centralen Ganglien und 
der inneren Kapsel. Für Lues oder Tuberkulose fehlte jeder Anhaltspunkt. 

5) Zur Kenntnis der umschriebenen Arachnitis adhaesiva cerebralis, von 
S. Placzek und F. Krause. (Berliner klinische Wochenschr. 1907. Nr. 29.) 
Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

P. fand bei einer 25jährigen Dame Erbrechen, Kopfschmerz, Schwindel, 
Veränderungen des Ganges, Taumelgefühl, Neigung nach links zu fallen, fast 
komplette Lähmung aller äußeren Augenmuskeln beiderseits, vollständige Lähmung 
der rechten Gesichtshälfte mit Einbeziehung des Stirnastes und diagnostizierte auf 
Grund des Befundes einen raumbeengenden Tumor in der hinteren Schädelgrube. 
Krause schloß sich der Ansicht P.'s an. Nach genauer differential-diagnostischer 
Erwägung des Sitzes wurde von K. zweizeitig operiert und außer einer ungewöhn¬ 
lichen Verdickung des Schädelknochens, einer Verdickung der harten Hirnhaut 
und starker Verwachsungen derselben mit der weichen Hirnhaut eine abgekapselte 
FlüsBigkeitsansammlung an der unteren Fläche der rechten Kleinhirnhemisphäre 
gefunden. Bei der Geringfügigkeit des Befundes glaubte P. nur eine Krankbeits- 


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Ursache an der Schädelbasis annehmen zu müssen, doch fand sich bei genauem 
Absuchen derselben kein Anhalt für diese Annahme, auch ließ eine Palpation der 
Kleinhirnhemisphäre keinerlei Vermutung für den Sitz eines Tumors im Kleinhirn 
selbst bestehen. Schon am Tage nach der Operation gingen die Erscheinungei 
zum Teil zurück, das Allgemeinbefinden war ausgezeichnet. 10 Tage jedoch nach der 
Operation begannen Temperaturen bis 40°, Schüttelfrost, Erbrechen, dabei sehr 
guteB Wohlbefinden, keine meningitischen Erscheinungen, alle Lähmungssymptome 
waren geschwunden. Erst nach 3 Monaten wich dieser sonderbare Zustand der 
Norm und voller Genesung. Es läßt sich nur annehmen, daß das Betasten des 
Kleinhirns, die Druckwirkung auf Kleinhirn und Medulla ohlongata durch den 
Spatel diese hyperthermischen Zustände verursacht haben. Im zweiten Teil der 
Arbeit schildert K. detailliert den Operationsverlauf und schließt mit einer Be¬ 
trachtung Uber die Entstehung des Leidens, daB er als Arachnitis adhaesiva circum¬ 
scripta bezeichnet. Die übermäßig verdickte Dura, die breiten Verwachsungen 
zwischen der oberen Kleinhirnfläche und der unteren Seite des Tentoriums sind 
als Folgen chronisch entzündlicher Vorgänge anzusehen, die cystenartige Fl&ssigkeits- 
anhäufung an der inneren unteren Kleinhirnfiäche auf entzündliche Verlötungen 
der Arachnoidalmaschen zurückzuführen und als sekundäre Liquorstauung in den 
abgeschlossenen Hohlräumen aufzufassen. 

0) Ein Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Menin¬ 
gitis serosa (interna acuta) im Kindesalter, von Dr. med. Carl Beck. 

(Jahrb. f. Kinderheilkunde. VIII.) Ref.: Zappert (Wien). 

Die primäre seröse Meningitis ist nicht so selten, als es nach Angabe einzelner 
Autoren zu vermuten wäre. Doch ist ihre Diagnose in vivo recht schwer zu stellen. 
Als charakteristische Symptome sind hervorzuheben: meningeale Initialsymptome. 
Verdrießlichkeit, Obstipation, Erbrechen, Vergrößerung des Schädel umfanget 
(bei kleineren Patienten), Konvulsionen, frühzeitiges Auftreten der Neuritis 
optica. Fieber und Puleverlangsamung fehlen oft, Trübung des Sensorinms. 
Strabismus, Nystagmus Bind im weiteren Verlaufe der Krankheit stets vorhanden 
Die Lumbalpunktion ergibt eine wasserklare Flüssigkeit mit geringem Eiweis¬ 
gehalt, ohne Sediment und ohne Bakterien, die unter höherem Drucke entleert 
wird, als dies der Norm entspricht. Die Krankheit endet nach oft wochen- und 
monatelangem Verlaufe meist tötlich; von 5 Fällen des Verf.’s genas nur einer. 
Pathologisch-anatomisch kann man eine Meningitis serosa externa, bei welcher nur 
Gehirn und Hirnhäute serös durchtränkt sind, und eine Meningitis serosa interna 
unterscheiden, welche sich durch ein mächtiges VentrikelexBudat auszeichnet. 
Histologisch fand Bich in allen obduzierten Fällen eine trübe Schwellung und 
Proliferation des Ependyms, Anhäufung von Rundzellen unter dem Ependym. 
zeitige Infiltration in der Hirn- und Rückenmarkssubstanz und deren Lepto- 
meningen, vornehmlich längs der Gefäße. Ein ätiologisches Moment für die 
Krankheit ist nicht bekannt; nur in einem Falle wuchsen Staphylokokken und 
Streptokokken aus der Lumbalfiüssigkeit. 

7) Über seröse Meningitis, von Dr. Riebold. (Deutsche med. Wochenschr. 

1906. Nr. 46.) Ref.: R. Pfeiffer. 

Umfassende Darstellung des Krankheitsbildes der serösen Meningitis unter 
Mitteilung interessanter Krankheitsfälle und unter Hinweis auf die große 
diagnostische und therapeutische Bedeutung der Lumbalpunktion bei diesem Leiden. 
Mit Recht betont Verf., daß die seröse Meningitis wohl häufiger anzutreffen ist 
als man annimmt, und auch in ganz leichten Formen auftritt. Sehr fraglieh 
erscheint aber dem Referenten die Behauptung, daß „manche jener nicht seitens: 
Fälle, in denen während der letzten Menstruationstage oder bei einer hartnäckigen 
Obstipation für mehrere Tage äußerst intensive Kopf* und Nackenschmerzen, bis¬ 
weilen mit Übelkeit und Erbrechen auftreten, als leichteste (toxische) seröse 

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Meningitis anzusprechen sind“. Selten dürften ferner die Fälle sein, wo „einem 
hartnäckigen, scheinbar habituellen Kopfschmerz und verwandten Zuständen, die 
-vielleicht manchmal unberechtigterweise als neurasthenische aufgefaßt werden, 
eine chronische seröse Meningitis zugrunde liegt“. 

8) Meningitis gonorrholoa, von K. A. Rom bach. (Ned. Tijdschr. v. Gen. II. 

1907.) Ref.: Giesbers (Rotterdam). 

Kasuistische Mitteilung über einen Patienten, der mit Meningitis ins Kranken¬ 
haus kam, ohne daß man zunächst die Ursache finden konnte, bis sich heraus- 
stellte, daß bei Druck gonokokkenhaltiges Sekret aus der Urethra hervorzu¬ 
bringen war. Die erste Lumbalpunktion ergab trübe Flüssigkeit ohne Bazillen. 
In der zweiten viele Leukocyten mit in- und extracellulären Diplokokken, die sich 
auf AsciteBbouillon züchten ließen. Therapie: wiederholte Lumbalpunktion, 01. 
Santali innerlich und kleine Dosen Pyramidon. Heilung. 

9) Über Meningitis cerebrospinalis pseudoepidemioa , von A. Baginsky. 

(Berliner klin. Wochenschr. 1907. Nr. 14.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 

Verf. sieht nur in dem positiven Nachweis des Meningococcus das Kriterium 
für die Diagnose der Meningitis cerebrospinalis epidemica. Die vier von ihm 
beobachteten Fälle imitierten in den ersten bedeutsamen klinischen Erscheinungen 
die epidemische Krankheit so vollkommen, daß lediglich der weitere Verlauf, der 
rasche, günstige Ausgang und vor allem die bakteriologische Untersuchung der 
Fälle vor diagnostischem Irrtum schützen konnte. Es fanden sich als Erreger 
Pneumokokken, Diplococcus crassus, Staphylo- und Streptokokken. Derartige Formen 
spricht Verf. als pseudoepidemische an und hält ihnen gegenüber die strengeren 
Absonderungsvorschriften für unentbehrlich. 

10) Experimental oerebrospinal meningitis in monkeys, by Dr. Simon 

Flexner. (Proceedings of the New York pathological society. VI. Nr. 7 u. 8.) 

Ref.: Georges L. Dreyfus (Heidelberg). 

Verf. injizierte Affen in den Lumbalsack Kulturen von Diplococcus intra- 
cellularis und erzeugte so experimentell das Bild der Cerebrospinalmeningitis. 
Die ersten Symptome der Krankheit zeigen sich nach wenigen Stunden und nehmen 
an Schwere bis zum Tode, der 12 bis 50 Stunden nach der Einverleibung der Diplo¬ 
kokken eintritt, stetig zu. Die Krankheitserscheinungen sind verschieden schwer, 
je nach der Dauer der Krankheit. Die Zeit des Lebenbleibens hängt zum Teil 
von der Menge der injizierten Kokken, zum Teil aber auch von der Widerstands¬ 
kraft des Individuums ab. Ein Teil der Affen gesundet aber von der künstlich 
erzeugten Krankheit. Nach abermaligen Injektionen mit sorgsam graduierten 
Dosen der Kultur wird ein langdauerndes Kranksein gezeitigt, von welchem die 
Tiere sich aber eventuell doch noch wieder erholen können. Das histologische 
Bild ist das einer eitrig fibrinösen Meningitis und akuten Encephalitis. 

11) Über Veränderungen der Ganglienzellen des Rückenmark bei der 

Meningitis cerebrospinalis epidemica, von Dr. Ludwig. (Deutsche 

Zeitschr. f. Nervenheilk. XXXII. 1907.) Ref.: E. Asch. 

In einem Fall von epidemischer Genickstarre, der nach 4monatiger Beob¬ 
achtung im Jahre 1894 zur anatomischen Untersuchung kam, wurde außer den 
für dieses Leiden charakteristischen Symptomen eine ungewöhnlich Btarke Ab¬ 
magerung bemerkt. Es fand sich an den Nerven ein Zerfall der Achsencylinder 
und in den Muskeln eine deutliche Vermehrung der Kerne im interstitiellen Ge¬ 
webe, in den Muskelzellen und Unregelmäßigkeit im Kaliber der Fibrillen. Dieser 
Befund ließ vermuten, daß die Muskelatrophie durch eine Affektion der nervösen 
Centren des Rückenmarkes hervorgerufen war. In sieben weiteren Fällen, die seitdem 
anatomisch untersucht werden konnten, wurden die Ganglienzellen des Rücken¬ 
markes einer genauen Prüfung unterworfen. Es fanden sich Veränderungen der 
chromophilen Substanz und außerdem Sohwund des Kerns und Kernkörperchens, 


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Vakuolenbildung im Zellleib und Schwinden der NissIschen Zellkörperchen. Die 
klinisch festgestellte Muskelatrophie in Verbindung mit dem Schwund der Ganglien¬ 
zellen der Vorderhörner weist deutlich auf das anatomische Bild der Poliomyelitis 
hin, nur besteht der Unterschied wahrscheinlich darin, daß bei der Meningitis cere¬ 
brospinalis zunächst die motorischen Zellen der ganzen Spinalachse affiziert werden. 

12) Über Herpes bei Meningitis cerebrospinalis epidemica, von Einhorn. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1907. S. 700.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Der Herpesausschlag auf der äußeren Haut zeichnet sich bei der Cerebro¬ 
spinalmeningitis aus durch ungewöhnliche Mächtigkeit (in einem Falle erstreckte 
er sich von der Stirn bis zur Mamma), durch große Ausdehnung und relativ lange 
Eruptionsdauer (6 bis 8 Tage, die Bläschen bleiben nach ihrer Eintrocknung 
14 Tage und länger noch kenntlich); die Heilung erfolgt langsamer als bei dem 
gewöhnlichen Febrilen, mitunter auch mit Narbenbildung (Verf. beobachtete die 
zweimal). Isolierte Blaseneruptionen und atypische Lokalisationen sind häufig, 
d. h. bei der Cerebrospinalmeningitis finden sich Herpeseruptionen oft nur gerade 
an Stellen, an welchen sie bei anderen fieberhaften Erkrankungen nicht vorzu- 
kommen pflegen (Ohrmuschel, ein solitäres Bläschen am Augenlide, am Gaumen usw.). 

Bei der Epidemie, welche Verf. zu beobachten Gelegenheit hatte, kamen auch 
sehr häufig an der Schleimhaut Eruptionen von Herpes vor (am Gaumen, an den 
Seitenrändern der Zunge usw.). 

Auffallende Schmerzen kommen dem Herpes bei der Cerebrospinalmeningitis 
nicht zu, auch nicht Komplikationen und Folgezustände. 

Diflerentialdiagnostisch kommt die Maul* und Klauenseuche in Betracht, 
Pemphigus und Herpes laryngis et pharyngis (Glas). 

Im Bläscheninhalte fand Verf. Lymphozyten, spärliche Epithelzellen, kleine 
Gram-positive Diplokokken usw., jedoch niemals die typischen Meningokokken. 

Eine prognostische Bedeutung besitzt der Herpes bei der Cerebrospinal¬ 
meningitis nach den Erfahrungen des Verf.’s nicht. 

13) Über die Beugekontraktur im Kniegelenk bei Meningitis, von W. Kernig. 

(Zeitschr. f. klin. Med. 1907.) Bef.: Hugo Levi (Stuttgart). 

In einer groß angelegten Arbeit bespricht Verf. den Wert des von ihm selbst 
1884 beschriebenen und nach ihm benannten Symptoms, auf Grund von nunmehr 
208 Fällen. 181mal oder in 87,0°/ 0 war das Kernigsche Symptom vorhanden. 
Auf die richtige Technik kommt hei der Prüfung alles an. 

Das Symptom besteht darin, daß, während an dem liegenden Kranken keine 
Kontraktur an den Beinen vorhanden ist, an dem sitzenden oder aufgerichteten 
Kranken die Beine im Knie nicht mehr gestreckt werden können; die Kontraktur 
in den Kniegelenken tritt dann ein, wenn bei Meningitiskranken die Ober¬ 
schenkel in einem gewissen Grade von Beugung, nämlich etwa in einem rechten 
Winkel zum Bumpf sich befinden. Bei Kindern, zumal bei ganz jungen Kindern, 
ist das Symptom entschieden seltener. Es kann dauernd oder nur vorübergehend 
vorhanden, ferner nur einseitig oder einseitig stärker ausgesprochen sein. Un¬ 
mittelbar nach der Lumbalpunktion kann es verschwinden. ParallelismuB zwischen 
Knie- und Nackenkontraktur besteht nicht. Ein wichtiger Punkt ist das Ver¬ 
schwinden der Flexionskontraktur, sobald Lähmung eintritt, auf der Seite der 
Lähmung. Unter 10 Fällen ferner von durch die Sektion konstatierter Lepto- 
meningitis chron. fibrosa, die mit Lues, Tuberkulose und Alkoholismus zusammen- 
hingen, war 9 mal die Flexionskontraktur vorhanden. 

Verf. meint, daß auf diese Weise wohl das unerwartete Vorkommen des 
Symptoms bei anderen Krankheiten in einzelnen Fällen zu erklären sein könne. 

Auch bei Meningealblutungen wurde es wiederholt beobachtet, ferner bei 
Urämie, Gehirnabszeß mit sekundärer Meningitis. Wenn bei Otitis und Mastoiditis 
Kernig positiv ist, ist auch die Meningitis schon eingetreten. Nur in einem von 

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168 Fällen von Typhus abdom. war Kernig positiv, doch bestand in diesem Falle 
eine Leptomeningitis chron. Dagegen ist Kernig positiv, wenn sich zum Typhus eine 
eitrige Meningitis gesellt und dann wird die Differeutialdiagnose eventuell schwierig. 

Die Fälle, in welchen du Symptom bei Gesunden oder anderen Kranken 
(Tetanusrekonvalescenz, Sonnenstich, Kleinhirntumor, Hirnabszeß ohne Meningitis) 
gefunden wurde, sind verschwindend selten. 

Die echte Flexionskontraktur ist unüberwindbar; gelingt die Streckung, wenn 
auch unter Schmerzen, so ist Kernig negativ. Du Zurückhalten des Oberkörpers 
bei der Prüfung hat nichts mit dem Symptom zu tun, es muß im Gegenteil ver¬ 
hütet werden. Zuweilen tritt gleichzeitig eine Beugekontraktur im Ellenbogengelenk 
auf. Zwischen Flexionskontraktur und den Patellarreflexen bestehen keine Beziehungen. 

Das Symptom ist nicht pathognomonisch. Sein Fehlen schließt 
eine Meningitis nicht aus. Sein Vorhandensein weist in akuten 
Fällen mit sehr großer, wenn nicht äußerster Wahrscheinlichkeit 
auf Meningitis hin. 

14) Erfahrungen mit Meningitis oerebrospinalis epidemioa bei Kindern in 
Berlin, v.Dr. Cassel. (Deutschemed. Woch. 1907. Nr.44.) Ref.: KurtMendel. 
In den Jahren 1897 bis 1907 sah Verf. 90 Fälle von Mening. tubercul. 

(Diagnose durch Lumbalpunktion oder Sektion gesichert) und 20 Fälle von 
Meningitis cerebrospinalis epidemica. Erstere zeigt im Frühjahr ein gehäuftes 
Auftreten. Benommenheit, Spannung der Fontanelle, Kontraktur der Nacken¬ 
muskeln, Druckschmerz an den Proc. spinosi, namentlich der Halswirbel, Haut¬ 
hyperästhesie und das Kernigsche Symptom lassen die Meningitis cerebrospinalis 
diagnostizieren. Das plötzliche Auftreten des Fiebers sowie das Fehlen tuber¬ 
kulöser Belastung oder des Verkehrs mit Tuberkulösen sprechen gegen die Mening. 
tuberculosa. Von größter Wichtigkeit für die Diagnose ist aber die Lumbal¬ 
punktion, die in keinem Fall unterlassen werden sollte. In 4 Fällen fand Verf. 
ausnahmslos die typischen Weichselbaumschen Meningokokken. Von 10 Fällen 
der beiden letzten Jahre starben sieben. Therapie: gute hygienische Bedingungen, 
allgemeine Körperpflege, heiße Bäder, Lumbalpunktion. Die Gefahr der Über¬ 
tragung der Genickstarre ist nicht groß. Verf. sah nie eine zweite Erkrankung 
in derselben Familie, konnte auch nicht nachweisen, daß von einem seiner Fälle 
anderweitig eine Übertragung stattgefunden hätte. 

15) Über sporadische Meningitis oerebrospinalis epidemioa und ihre 
diagnostisohe Abgrenzung von anderen meningealen Erkrankungen, 

von Hölker. (Berl. klin. Woch. 1907. Nr. 34.) Ref.: Bielschowsky (Breslau). 
Verf. bespricht kurz 15 in die II. mediz. Klinik der Charite unter dem Ver¬ 
dacht der epidemischen Genickstarre aufgenommenen Fälle. Bei drei von diesen 
Kranken ergab die sofortige Untersuchung der Lumbalflüssigkeit das Bestehen rein 
eitriger Meningitis, ein 4. Fall zeigte Tuberkelbazillen im Punktat, bei 2 Fällen 
fanden sich am 21. Behandlungstage typische Meningokokken, bei zwei weiteren 
zeigten sich diese einmal Ende der zweiten und einmal Ende der fünften Woche. 
Der 9. Fall zeigte zwar Diplokokken im Rückenmarkskanal, die Sektion ergab 
jedoch eine Meningitis tuberculosa. Bei den noch verbleibenden sechs gab die 
Untersuchung der Lumbalflüssigkeit keinen Anhaltspunkt für die Art der 
meningealen Erkrankung. Lymphocytose im Liquor cerebrospinalis gilt nach 
Verf. als nicht ausschlaggebend für die Diagnose der syphilitischen bzw. para- 
syphilitischen oder tuberkulösen Meningitiden, da auch bei Meningitis cerebrospin. 
epidem. verschiedene Formen weißer Blutkörperchen sich Anden. 

10) Über epidemische Oerebrospinalmeningitis, von Fritz Meyer. (Charite- 
Annalen. XXXI. S. 35.) Ref.: Heinemann (Berlin). 

Verf. bringt zwei Krankengeschichten von Cerebrospinalmeningitis. Die erste 
ist dadurch interessant, daß es sich (es bestand außerdem rechtsseitige Otitis media 


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mit Übergreifen auf den Processus mastoideus, sowie Beteiligung der Lungen an 
der Erkrankung) um eine Mischinfektion von Pneumokokken und Meningokokken 
handelt, doch wurde die Meningitis nur durch die Meningokokken bedingt. Der 
zweite Fall ist durch die Therapie bemerkenswert. Verf. wandte, gestützt auf 
die bakteriologischen Ergebnisse Büppels, Injektionen von Meningokokkenserum 
an. Außerdem empfiehlt er wiederholte ausgiebige Spinalpunktionen (er ent¬ 
leerte einmal bis zu 60 ccm Liquor cerebrospinalis), und die von Aufrecht*, in 
die Therapie eingefiihrten heißen Bäder (40° C.). Verf. legt einer Hypersensibilität 
der inneren Oberschenkelpartien großen Wert für die Diagnose der Meningitis bei. 

17) A oase of oerebral-spinal meningitis , by J. Singleton Darling and 
W. James Wilson. (Brit. med. Journ. 1907. 23.Febr.) Ref.: E. Lehmann. 
Bei einem tötlich verlaufenden sporadischen Fall von Cerebrospinalmeningitis 

wurden durch mehrfache Lumbalpunktionen ein Diplococcus gefunden, der zur 
Gruppe des Streptococcus faecalis gehört und mit dem „Microooccus rbeumaticus* 
identisch ist. Näheres im Original. 

18) Meningitis cerebrospinalis. — Heilung, von Re im an n. (Prager medizinische 
Wochenschr. 1907. Nr. 6.) Ref.: Pilcz (Wien). 

Verf. gibt die genaue Krankheitsgeschichte eines Mädchens von 4 1 /, Jahren, das 
ohne nachweisbare Ätiologie an schweren meningealen Symptomen erkrankte, bei 
welchem, nachdem das kontinuierliche hohe Fieber mit Sopor allmählich nachgelassen 
hatte, eine ausgeprägte motorische Aphasie zurückblieb, und das schließlich vollständig 
genas. Eine Lumbalpunktion war nicht vorgenommen worden (!), was Verf. noch 
zur Bemerkung veranlaßt, die Heilung dieses Falles wäre sonst gewiß auf Rechnung 
des Lendenstiches gesetzt worden. 

Ref. muß gestehen, daß ihm trotz zahlreicher zweifellos meningealer Er¬ 
scheinungen (Trismus, Clonismen, ori hydrocöphalique, Sopor, Fieber, Nackenstarre, 
Strabismus ubw.) der Fall gerade ob des Fehlens eines Befundes den Liquor cerebro¬ 
spinalis betreffend keineswegs als einwandsfrei beweisend für die Auffassung. 
„Meningitis cerebrospinalis-Heilung“ erscheint. 

18) Cerebrospinalmeningitis, by William Eider and Nena Jevers. (Scottish 
medical and surgical Journal. 1907. März.) Ref.: Georges L. Dreyfus. 
Die Verff. beschreiben fünf klassische Fälle von gut beobachteter Cerebro¬ 
spinalmeningitis. In allen Fällen fand sich in der Lumbalfiüssigkeit der Dipio- 
coccus intracellularis. de Rienzis Antipneumokokkenserum versagte bei den 
Kranken, von welchen vier Btarben, völlig. Die mehrfach wiederholte Lumbal¬ 
punktion schien günstig, aber nur vorübergehend, auf das Allgemeinbefinden 
einzuwirken. 

20) Über dio bisherigen Erfahrungen mit dem Menlngokokken-Heilserum 
bei Oeniokstarrekranken, von A. Wassermann. (Deutsche med. W’ochenschr. 
1907. Nr. 39.) Ref.: Kurt Mendel. 

Das Heilserum (von Pferden gewonnen) wurde in Flaschen von je 10 ccm 
unentgeltlich abgegeben. Über 102 Fälle wurden (zum Teil reoht ungenügende) 
Berichte eingereicht. Von ihnen waren, als mit genügenden Angaben versehen, 
nur 57 zu verwerten. Von diesen 57 Kranken sind 27 (=* 47,3 °/ 0 Mortalität ' 
gestorben. Ordnet man aber diese Fälle nach dem Zeitpunkt des Einsetzens der 
Serumtherapie im Verhältnis zum Beginn der Erkrankung, so ergibt sich folgendes: 

Am 1. bis 2. Krankheitstage wurde die Serumtherapie eingeleitet bei 
14 Kranken; von diesen starben 3 (*= 21°/ 0 ): am 3. Krankheitstage bei 7 Kranken, 
es starben 2 («= 2S,5°/ 0 ). Am 5. Krankheitstage wurden 7 Fälle behandelt, es 
starben 2 (= 28 °/ 0 ); am 6. bis 7. Krankheitstage 4, es starben 3 (Mortalität 
75°/ 0 ). Von nun an nimmt die Mortalität, je später die Therapie eintritt, mehr 
und mehr zu. 

Mit jeder Entfernung des Einleitens der Serumtherapie von den 


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Beginn der Krankheit an nimmt die Sterblichkeit konstant zu, so 
daß die geringste Sterblichkeit bei derjenigen Gruppe von Fällen 
sich findet, die möglichst frühzeitig der Serumtherapie unterworfen 
wurden. 

Übereinstimmend wird von den Beobachtern angegeben, daß das Serum (auch 
für Kinder) unschädlich ist, sowohl subkutan gegeben, wie auch bei Einführung 
in die Venen oder direkt in den Rückenmarkskanal. Nur zuweilen wurden nessel- 
artige Hautausschläge beobachtet. 

Ist die Krankheit in das subakute oder chronische Stadium eingetreten, so 
hat die Serumtherapie keine Aussicht mehr auf Wirkung. 

21) Der Wert der systematischen Lumbalpunktion in der Behandlung der 

Cerebrospinalmeningitis , von J. v. Bökay. (Deutsche med. Wochenschr. 

1907. Nr. 47.) Ref.: Kurt Mendel. 

Mit gutem Erfolg wandte Verf. Lumbalpunktionen (Wiederholung derselben 
in Zwischenräumen von 1 bis 2 bis 3 Tagen, nicht mehr als 30ccm pro Punktion!) 
bei 10 Fällen von Cerebrospinalmeningitis an, von denen fünf das erste Lebensjahr 
noch nicht überschritten hatten. Bei Kindern unter einem Jahr ergibt eine 
neuerlich gesteigerte Hervorwölbung der Fontanelle die Indikation für die erneute 
Punktion. Durch die Punktion wird der innere Hirndruok auf mechanischem 
Wege verringert, ferner gehen aber dabei pathogene Bakterien in größerer Anzahl 
ab und der Körper wird von toxischen Substanzen befreit. 

In 7 Fällen des Verf.’s konnten auch die ausgeführten Lumbalpunktionen den 
letalen Ausgang nicht verhindern. 

22) Zur Symptomatologie und Pathogenese des erworbenen Hydrooephalus 

Internus, von L. W. Weber. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XLI. 1906. 

Ref.: Heinicke (Waldheim). 

Nach kurzen einleitenden Bemerkungen über den Hydrocepbalus internus, 
der heutzutage ein eignes, im Verlauf, Symptomenkomplex, anatomischen Befund 
und selbst in der Diagnose ziemlich fixiertes Krankheitsbild darstellt, macht uub 
Verf. an der Hand von 6 Krankengeschichten mit einer Reihe von Hydrocephalien 
bekannt, die klinisch und anatomisch genau analysiert werden konnten. 

In einem zweiten Abschnitt behandelt Verf. die Frage, ob die geschilderten 
Fälle auch klinisch als Hydrocephalien angesprochen werden können. 

Das allgemeine Resultat dieser klinisch-diagnostischen Erwägungen faßt Verf. 
in folgende Sätze zusammen: 

Sekundäre und sonstige in Begleitung von nicht raumbeengenden, lokalisierten 
Gewebsprozessen auftretende Erweiterung eines oder mehrerer Ventrikel mit ver¬ 
mehrter Liquorbildung sind auch klinisch als Hydrocephalien anzusehen, wenn 
die Folgen des gesteigerten Liquordruckes auch in sicheren klinischen Erscheinungen 
(sogenannten Allgemeinsymptomen oder schwankenden Herdsymptomen) zu 
erkennen waren; oder klinisch-diagnostisch ausgedrückt: 

Wenn bei langsamem Verlauf neben konstanten Herdsymptomen auch solche 
von schwankender Intensität und wechselnder Verteilung und außerdem sichere 
Allgemeinsymptome vorhanden sind, so liegt diagnostisch der Verdacht auf einen 
einseitigen Hydrocepbalus nahe. 

In einem weiteren „pathologische Anatomie und Pathogenese“ betitelten 
Kapitel bespricht der Verf. die Frage, wie die bei den Hydrocephalien beob¬ 
achteten einseitigen oder mehrere Ventrikel betreffenden Erweiterungen zu er¬ 
klären seien. 

Vor allem sind es mechanische Momente, die dazu führen. 

I. Eine vermehrte Liquorbildung (hervorgerufen durch Entzündungen, 
StauungBvorgänge, oder durch Hydrops ex vacuo). 

II. Die Behinderung des Liquorabflusses aus den Ventrikeln (durch lokale 


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Verschlüsse der Ventrikelausgänge, durch eine diffuse chronische Leptomeningitis, 
durch perivasculäre Zellwucherung in der Hirnsnbstanz, durch Funktionsstörung 
des Duralsinus). 

III. Verringerte Widerstandsfähigkeit der Ventrikelwand (durch entzündliche 
Prozesse oder durch Sklerosen). 

Das I. und III. Moment, jedes für sich allein, genügt nicht, um eine Hydro- 
cephalie hervorzurufen, sondern beide müssen zusammen wirken oder mit dem IL 
kombiniert sein. 

In einem 4. Abschnitt beschäftigt sich Verf. damit, wie sich zu diesen 
Befunden die akuten und angeborenen Hydrocephalien stellen; er findet, daß auch 
bei diesen diese drei Momente in Betracht kommen; beim angeborenen Hydro- 
cephalus mehr Momeat II kombiniert mit Moment III, das schon a priori gegeben 
ist durch die geringere Widerstandsfähigkeit des fötalen Gehirns. 

Nach einer eingehenden Betrachtung über den „idiopathischen Hydrocephalus“, 
worunter Verf. nur Fälle verstanden wissen will, bei denen die mehrfach erwähnten 
mechanischen Entstehungsbedingungen durch entsprechende pathologisch-anatomische 
Betrachtungen nicht aufgeklärt werden können, wendet er sich zum Schluß den 
exogenen für die Entstehung von Hydrocephalien verantwortlich gemachten 
Schädlichkeiten, als Alkoholismus, physisches und psychisches Trauma, Insolation, 
Infektion und vasomotorische Fluxion zu, die alle geeignet sind, ätiologisch 
schädigend zu wirken; bezüglich des psychischen Traumas seien wir zurzeit noch 
ganz auf Vermutungen angewiesen. 

23) Beitrag sur Frage der chirurgischen Behandlung des Hydrooephalus in¬ 
ternus, von Dr. N. P. Trinkler. (Archiv, f. Kinderh. XXXVII.) Ref.: Zappert. 
Nach einer Einleitung, welche die Pathogenese des angeborenen und erwor¬ 
benen Hydrocephalus zum Inhalt hat, bespricht Verf. die Krankengeschichte eines 
selbst beobachteten und chirurgisch behandelten Falles. Der jetzt 9jährigs Knabe 
hatte seit seinem 7. Lebensjahre an Kopfschmerzen, Erbrechen, später au Ver¬ 
schlechterung des Sehvermögens und leichten klonischen Krämpfen der Extremitäten 
zu leiden. In letzter Zeit war auch der Schädel bedeutend gewachsen, bis er 
den Umfang von 54 cm erreichte; es entstand beginnende Atrophie des Nervus 
opticus. Die Operation bestand in Anlegung einer Öffnung am Stirnbein und 
Einführung einer Kanüle 6 cm tief in die Hirnsubstanz. Eis entleerte sich sofort, 
auch später durch die liegen gebliebene Kanüle, reichlich Cerebrospinalflüssigkeit 
und das Befinden, namentlich das Sehvermögen, besserte sich zusehends. Doch 
waren nicht alle Besserungssymptome von Dauer, so daß die Punktion noch 
zweimal wiederholt werden mußte. 

Ob eine Dauerheilung erzielt wurde, ist aus der Mitteilung nicht ersichtlich; 
ebenso ist nicht einzusehen, warum Verf. nicht zuerst die Lumbalpunktion ver¬ 
sucht habe, bevor er den immerhin nicht unbedenklichen intracerebralen Eingriff 
vorgenommen. 

24) Erblindung infolge Tonsillitis phlegmonosa auf dem Wege der Throm- 
bosinusitis cerebralis, von Generalarzt Dr. K. Seggel. (Klin. MonatsbL 
f. Augenheilk. XLV. 1907.) Ref.: Fritz Mendel. 

Bei dem 20jährigen Patienten tritt zugleich mit einer heftigen phlegmonösen 
Entzündung der rechten Tonsille unter Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Erbrechen 
und mit in der Folge intermittierendem Fieber akut ein rechtsseitiger hochgradiger 
Exophthalmus mit Schwellung der Lider und Chemosis der Bindehaut auf. Fast 
gleichzeitig tritt Erblindung und Pupillenstarre dieses Auges ein, worauf die des 
anderen Auges rasch nachfolgt. Außerdem läßt sich 2 Tage nach Auftreten des 
rechtsseitigen Exophthalmus bei Schmerzhaftigkeit und Schwellung der gleichen 
Halsseite ein harter derber Strang fühlen, der seinem Verlaufe nach der Vena 
jugularis interna entspricht. 

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Die Erblindung läßt sich nach Heubner so erklären, daß von den Blut¬ 
leitern des Gehirns fast ausschließlich der von lockerem Bindegewebe umgebene 
-Sinus cavernosus imstande sei, einerseits durch Druck seiner prall gefüllten 
Wandungen, andererseits durch Schwellung des perivenösen Bindegewebes auf die 
Umgebung zu wirken. 

Therapie: Einreibungen mit Unguent. einer, in den Hals mit vorsichtiger 
absteigender Massage der Vena jugularis, Eisbeutel, gegen die Kopfschmerzen 
Phenazetin. 

Patient wurde wieder völlig hergestellt, die nahezu völlige Erblindung blieb 
bestehen unter allmählich zunehmender Sehnervenatrophie. 


Psychiatrie. 

25) Ear affeotions and mental disturbanoes, by Emil Amberg. (Journ. ot 

Nerv, and Ment. Dis. 1906. Sept./Okt.) Ref.: M. Bloch (Berlin). 

Nach Mitteilung 11 eigener Beobachtungen und kritischer Würdigung der 
Literatur kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 

1. Das Ohr beteiligt sich, direkt und indirekt, an der Erzeugung psychischer 
Störungen. 

2. Funktionelle Störungen des Gehörorgans können den normalen Denkprozeß 
aus dem Gleichgewicht bringen. 

3. Die psychischen Störungen können erstens dadurch hervorgerufen werden, 
daß durch die Erkrankung des Gehörorgans Halluzinationen bzw. Illusionen ver¬ 
anlaßt werden, deren Einfluß je nach der Disposition des befallenen Individuums 
stärker oder geringer ist. 

4. Von Grund aus verschieden sind diejenigen Störungen, die ihre Entstehung 
toxämischen Zuständen oder Abscessen verdanken, deren primärer Sitz das Ohr 
bzw. dessen Umgebung ist. 

5. Die unter 3 und 4 genannten Störungen können psychische Erkrankungen 
hervorrufen bzw. schon vorhandene wesentlich verschlimmern. 

6. Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch ohne eine Prädisposition infolge der 
schwer belästigenden subjektiven Geräusche zunächst ein Erschöpfungszustand und 
auf dessen Boden Psychosen zustande kommen können. 

7. Diese Zustände haben auch eine hervorragende forensische Bedeutung, die 
so wohl für Zeugenaussagen im Auge zu behalten ist, als auch nach der mediko- 
legalen Seite hin (Einwilligung zu Operationen usw.) Berücksichtigung erfordert. 

8. Geisteskranke sollten einer Untersuchung der Gehörorgane regelmäßig 
unterzogen werden. 

9. Patienten mit psychischen Störungen, die Symptome von seiten des Gehör¬ 
organs darbieten, müssen sorgfältiger Untersuchung auch der inneren Organe, be¬ 
sonders der Nieren, unterworfen werden. 

10. Chirurgische Eingriffe sind nicht selten von wohltätigem Einfluß bei oto¬ 
genen Psychosen und sollten daher in geeigneten Fällen stets versucht werden. 
20) Dementia primitiva (praeoox). Hebephrenie, Katatonie, Paranoia, von Dr. 

Milt. Oeconomakis. (Athen. Druck. Sakellarios, 1907.) Ref.: Kurt Mendel. 

Vorliegende Arbeit ist die erste in griechischer Sprache über 
Dementia praecox. 

Verf. gibt zunächst in kurzen Zügen eine Geschichte der Krankheit. Die 
Herrschaft der französischen Schule, der die griechischen Psychiater bis vor 
kurzem meistens folgten, stand der schnellen Annahme der Dementia praecox 
bindernd entgegen. Verf. hat das Verdienst, die Kraepelinschen Anschauungen 
n Griechenland eingeführt zu haben. Auf seinen Vorschlag hin ist in der Athener 

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Klinik der Terminus „Dementia primitive“ statt „praecox“ eingeführt, da der Ver¬ 
fasser letzteren für anfechtbar hfilt. 

Die klinische Beschreibung, die der Verf., der Kraepelinschen Dreiformen¬ 
teilung getreu folgend, gibt, begleiten Schriftproben und Abbildungen seiner 
Kranken sowie Betrachtungen über eigene Beobachtungen, die er in der Uni- 
versitäts- und seiner Privatklinik gesammelt hat. Zwei von seinen eigenen Fällen 
erklärt Verf. für besonders wichtig für die Ätiologie der Krankheit. Bei dem 
einen Fall fiel ihm besonders eine beträchtliche Schwellung der Nacken- und 
Halsdrüsen sowie der Schilddrüse auf, deren Auftreten 6 Jahre vor Beginn der 
Krankheit (Hebephrenie) zurückdatiert; die Schwellung wuchs mit dem Zunehmen 
der Krankheit und erreichte ihre Höhe mit dem Eintritt der Demenz. 

Dem anderen Fall gingen auffällige Störungen der Menstruation voraus, und 
nach Ausbruch der Krankheit (Paranoide Form) rief jede folgende Menstruation 
eine beträchtliche Verschärfung der KrankheitBsymptome hervor. 

Die als vollständig geheilt in der Literatur zitierten Fälle von Dementia 
praecox sind, nach Verf.’s Ansicht, auf diagnostische Irrtümer und Verwechslungen 
mit anderen toxischen Zuständen zurückzuführen. 

An die Behandlung seines Stoffes schließt Verf. ein reichliches, wohlgeordnetes 
Verzeichnis der einschlägigen Literatur. 


Forensische Psychiatrie. 

27) Beitrag zur forensischen Psyohiatrie, von W. Seiffer. (Charite-Annalen. 

XXXI. 1907. S. 191.) Ref.: Walter Heinemann (Berlin). 

Bericht über zwei zur forensischen Begutachtung überwiesene Patienten. Im 
ersten Falle handelt es sich um einen 31jährigen Kaufmann, der, des betrügerischen 
Bankerotte usw. angeklagt, auf dem Boden einer psychopathischen Konstitution 
eine Paranoia chronica hallucinatoria simuliert. Aus dem ganzen Gebahren des 
Pat. während seiner Beobachtung geht die Absicht der Simulation hervor; der 
§ 51 des StrGB. konnte in diesem Falle nicht in Anwendung gezogen werden, 
da es sich nur um eine geistige Minderwertigkeit handelt. Reine Fälle von 
Simulation einer Geistesstörung, zumal der Paranoia, sind selten. Jedoch muß 
man stets daran denken, daß bei einem psychopathischen Individuum, das zur Zeit 
eine Geisteskrankheit heuchelt, späterhin wirklich eine solche ausbrechen kann. 
Im zweiten Falle handelt es sich um folgendes: der 22jährige Kaufmann R. ist 
des mehrfachen Betruges angeklagt. Es bestand schon vorher eine psychopathische 
Konstitution. Während der Untersuchungshaft Ausbruch hysterischer Dämmer¬ 
zustände und schließlich Übergang in hysterische Dauerpsychose. Auf Grund des 
§ 51 wird das Strafverfahren unterbrochen. 

28) Die pathologische Anschuldigung: Beitrag zur Reform des § 164 des 

Strafgesetzbuches und des § 56 der Strafprozeßordnung, von Johannes 

Bresler (Halle a/S. 1907, 42 S., C. Marhold.) Ref.: Berze (Wien). 

Verf. zeigt, bei welchen Formen von Geistesstörung und in welchen geistigen 
Ausnahmezuständen eine pathologische Anschuldigung möglich ist und wie sie 
entsteht. Er faßt unter pathologischer Anschuldigung drei Gruppen zusammen: 
Die wissentlich falsche Anschuldigung auf Grund krankhafter Lügen¬ 
haftigkeit oder Triebe (hauptsächlich auf dem Boden des hysterischen Charakters 
erwachsend), die falsche Anschuldigung auf Grund krankhaft gestörter 
Wahrnehmung oder Denktätigkeit (Illusionen und Sinnestäuschungen bei 
Alkoholpsychosen, Eifersuchtswahn der Trinker und auch der Kokainisten, Fieber¬ 
delirien, Verfolgungswahn im Rahmen der Paranoia, Querulanten wahn, Zustände 
von Benommenheit und Betäubung infolge von Kopfverletzungen und Kopf¬ 
erschütterungen, in den wachen ZuBtand übernommene Traumerlebnisse, Defekte 

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der Beobachtungsgabe und Reproduktionstreue bei Kindern), und die inhaltlich 
richtige, aber krankhaft motivierte Anschuldigung (Geistesschwäche, 
ethische Depravation). An der Hand des bekannten Falles von Kreuser zeigt 
Verf. auch, wie es in allerdings seltenen Fällen bei Paranoischen zu Selbstanklagen 
und im Falle der Nichtberöcksichtigung derselben zu Anschuldigungen der Polizei 
und der Gerichte kommt, weist besonders darauf hin, daß es „bei einer patho¬ 
logischen Anschuldigung nicht genügt, die Nichtigkeit der letzteren in bezug auf 
ein etwaiges Rechtsverfahren erwiesen zu haben, sondern, daß derjenige, welcher 
eine solche Anschuldigung erhebt, als ein durchaus gemeingefährlicher Geistes¬ 
kranker zu gelten hat und unschädlich gemacht werden muß“. Auch die falsche 
Anschuldigung durch Kinder wird kurz behandelt; namentlich wird auf jene „schlecht 
gearteten, wenig anpassungs- und erziehungsfähigen“ Kinder hingewiesen, bei 
denen es sich, wie Verf. sagt, um krankhaft bedingten Selbstbetrug handelt. — 
Im Anschlüsse an diese Ausführungen stellt Verf. eine Reformforderung hinsichtlich 
des § 164 des deutschen Strafgesetzbuches und eine zweite hinsichtlich des § 56 
der deutschen Strafprozeßordnung auf. Die letztere geht dahin, daß der § 56, 
welcher die eidliche Vernehmung von Geisteskranken oder Schwachsinnigen nicht 
ausschließt, wenn sie nur von dem Wesen und der Bedeutung des Eides genügende 
Vorstellung haben, eine Bestimmung, die, wie Verf. zeigt, die erhöhte Gefahr einer 
irrtümlichen Verurteilung in Fällen pathologischer Anschuldigung mit sich bringt, 
im Sinne der österreichischen Bestimmungen abgeändert werde, von denen in 
Betracht kommen: § 151 der StPO., welcher besagt, daß diejenigen Personen nicht 
als Zeugen abzuhören sind, welche zurzeit, als sie das Zeugnis ablegen sollen, wegen 
Leibes- oder Gemütsbeschaffenheit außerstande sind, die Wahrheit anzugeben, ferner 
§170 der StPO., nach welchem an einer erheblichen Schwäche des Wahrnehmungs¬ 
oder Erinnerungsvermögens leidende Personen nicht beeidigt werden dürfen, endlich 
§ 140 der früheren österr. ZPO., der eine ähnliche Bestimmung enthält. Was 
den § 164 des deutschen RStG. betrifft, so findet es Verf. im Hinblick auf die 
pathologische Anschuldigung bedenklich, daß nach der jetzigen Fassung dieses 
Paragraphen zur Verfolgung auf Grund desselben die falsche Anschuldigung einer 
bestimmten oder wenigstens erkennbar bezeichneten Person vorliegen muß, somit 
in Fällen pathologischer Anschuldigung ohne Bezeichnung des Täters für die 
Behörde mangels eines strafbaren Tatbestandes kein Anlaß zur Intervention vorliegt; 
da der anschuldigende Geisteskranke aber in vielen Fällen als gemeingefährlich 
angesehen werden muß, hält Verf. eine Änderung des § 164 für nötig, welche 
„die Möglichkeit, Ermittelungen über den Geisteszustand eines geisteskranken 
Anzeigenden einzuleiten und eventuell seine Internierung und Unschädlichmachung 
herbeizuführen“, auch dann bietet, wenn es der Anzeiger unterlassen hat, eine 
bestimmte Person in kenntlicher Weise als Täter zu bezeichnen. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Deutsche Gesellschaft für Urologie in Wien. 

Oktober 1907. 

Referent: Otto Marburg (Wien). 

Herr L. v. Frankl-Hochwart (Wien): Zur Differentialdiagnose der juve¬ 
nilen Blasenstörungen (sugleioh ein Beitrag zur Kenntnis der spinalen 
Blasenstörung). Vortr. berichtet über zwei Fälle klinischer Beobachtungen von 
juveniler Blasenstörungen, die in ihrem Aspekt den spinalen glichen. Als 
Ursache derselben war anscheinend zunächst kongenitale Klappenbildung anzusehen: 
eine interessante Wendung bekam die Sache, als Vortr. in einem der Fälle in 
der Lage war, post mortem das Rückenmark zu untersuchen. In einem Falle 
handelte es sich um einen 17jähr. Hilfsarbeiter, der bis auf Erscheinungen 

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einer leichten Apicitis immer gesund war, und der Mitte August 1906 unter 
paralytischem Harnträufeln erkrankte. Das willkürliche Urinieren war sehr er¬ 
schwert, der Harndrang herabgesetzt, der Residualharn ziemlich bedeutend. Der 
Katheter stieß auf ein Hindernis, passierte aber dann leicht Die cystoskopische 
Untersuchung ergab Trabekelbildung, sowie an der unteren Übergaugsfalte ein 
kleines, lappenartiges Gebilde. Die Prostata war kleiD, die Blase war zeitweilig 
expressibel; Sexualentwicklung hatte nie stattgefunden. Im zweiten Falle handelte 
es sich um einen l&jähr. Schuhmacher, der als Kind enuretisch war und 
enuretische Geschwister hatte. Anfang August.1906 erkrankte er unter Schmerzen 
an der Glans penis sowie an Harnträufeln. Die Beobachtung ergab kontinuier¬ 
liches Harnträufeln, fast völliges Unvermögen zu urinieren, starken Residualharn, 
Albuminurie, Leukocytose, vereinzelte granulierte Cylinder, Expressibilität der 
Blase, welche durch die Bauchdecken alB ein großer Tumor tastbar war. Bald 
kam es zu Kopfschmerzen, Erbrechen, Sensoriumtrübung, zum Exitus. Bei der 
Nekropsie fand sich Schrumpfniere, Hydronephrose, Hypertrophie der Blasen¬ 
wand, etwas vergrößerte halbmondförmige Klappe unterhalb des Caput galinaginis, 
Ureterendilatation. Die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarkes ergab 
Erweiterung des Centralkanales, der im 5. Lumbalsegment verdoppelt erscheint. 
Die Untersuchung des Sakralmarkes zeigt Veränderungen der dorsolateralen Zell¬ 
gruppe, die im 2. Sacralis angedeutet, im S. und 4. Sacralis sehr ausgesprochen 
ist. Die Veränderungen bewegen sich im Rahmen der axonalen Degeneration. 
Die Betrachtung der Fälle zeigt Übereinstimmung mit den Beschreibungen, wie 
sie bei derartigen Störungen in neuerer Zeit öfters gegeben wurden. Die Indi¬ 
viduen waren schwächlich, die Sexualentwicklung hatte nicht stattgefunden. Hin¬ 
gegen trat zurzeit der geschlechtlichen Reife Dysurie mit Retention sowie para¬ 
lytisches Harnträufeln auf, daneben die bisher bei derartigen Fällen noch nicht 
beschriebene Expressibilität. Der Nervenbefund war beide Male völlig negativ. 
Die Kleinheit der Klappe in unseren Fällen sowie auch in denen mancher anderer 
Autoren schien aber nicht hinzureichen, um die schweren Miktionsanomalien za 
erklären. Man könnte in dem nekroskopisch untersuchten Falle in der Erweiterung 
des Centralkanales eine weitere Disposition erblicken; viel wichtiger aber er¬ 
scheinen die Veränderungen in den Vorderhornzellen. Es ist möglich, daß wir 
es hier mit einer Art von cirkumskripter Poliomyelitis des Vesico-Sexualcentrums 
zu tun haben, und daß der Klappe nur die Bedeutung eines akzidentellen Momentes 
zukommt. Hat ja doch Blum nach Vortr. in einem ähnlichen Falle von MiktionB- 
anomalie bei einem Knaben einen negativen Lokalbefund erhoben, daneben aber 
eine Verdoppelung des Centralkanales, sowie ähnliche Veränderungen im Sakral¬ 
mark, wie sie Vortr. Bchon beschrieben. Es ist ja bekannt, daß die alte Lehre 
vom spinalen rektovesikalen Centrum in neuerer Zeit durch die Untersuchungen 
von Goltz-Ewald, Nussbaum, Nawrocky und Skabischewski, Wlasow, 
Fröhlich und Vortr. insofern eine Erweiterung erfahren hat, daß nebst dem 
spinalen noch ein ganglionäres Centrum angenommen werden müsse. L.R.Mü 11 er 
vertrat in neuerer Zeit die Ansicht, daß es überhaupt nur ein ganglionäres und 
kein spinales Blasencentrum gebe. Die mitgeteilten Fälle zeigen aber, daß das 
Rückenmarkscentrum nun wohl mit Sicherheit naohgewiesen ist. 


IV. Personalien. 

Unser sehr verehrter Mitarbeiter Herr Dr. C. Hudovernig habilitierte sich in Budapest. 

In Breslau starb, 63 Jahre alt, der Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Ludwig Hirt, Chef¬ 
arzt der städt. Armenhäuser daselbst. Von seinen neurologischen Schriften sind besonders 
bekannt geworden seine „Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten“ (Wien 1892 und 
1894), sowie sein „Lehrbuch der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie“ (Wien 1893). 

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Register 1907. 


I. Originalaufsätze. 

Seit» 


1 Zar Kenntnis der sogen, angeborenen Maskeischlaff heit v Muskelschwäche (Myo- 
hypotonia, Myatonia congenita), von Prof. M. Bernhardt. 

2. Ein Fall von genuiner Epilepsie mit darauffolgender Dementia paralytica, von Dr. 

Pelz. 

3. Sehweißanomalien bei Rückenmarkskrankheiten, von H. Higier. 

4. Beiträge zur Entwicklung des Säugergehirns. Lage und Ausdehnung des Bewegungs¬ 
centrums der Maus, von Dr. Döllken. Mit Beihilfe von Frau Trude Döllken 

5. Neuritis, verursacht durch Creosotum phosphoricum, von Dr. W. G. Hu et . . . 

6. Zur Frage der Hysterie bei Tieren, von Prof. H. Dexler. 

7. Über Gewebsveränderungen im Gehirn luetischer Neugeborener, von Otto Ranke 

112 . 


2 


14 

19 

50 

60 

98 

157 


8. Zur Wahrung meiner Priorität in Sachen der Kontinuitätslehre des Centralnerven- 

Systems, von Prof. B. Haller...118 

9. Zur Funktion der Schweißsekretion, von Prof. Dr. A. Adamkiewicz .... 123 

10. Ein Fall von wiederholter transitorischer halluzinatorischer Verwirrtheit bei Tetanie, 

von Michael Lapinsky .146 

11. Zur Phänomenologie der cerebralen Hemiplegie, von Dr. Z. Bychowski . . . 154 

12. Über den Mechanismus und die Lokalisation der psychischen Vorgänge, von Prof. 

Ernst Jendrässik . 194. 254 

13. Zur Ätiologie und spezifischen Therapie des Morbus Bosedowii nach praktischen 

Versuchen mit Antithyreoidin-Moebius, von Dr. med. Rattner .201 

14. Horizontale Bulbusschwingungen bei Lidschluß, eine bisher nicht beschriebene Art 

von Mitbewegungen, von Pror. Dr. Hermann Schlesinger .242 

15. Zur Pathologie der kontinuierlichen rhythmischen Krämpfe der Scblingmuskulatur 

(2 Fälle von Erweichungsherden im Kleinhirn), von Privatdozent Dr. Klien . . 245 

16. Ein Fall von Landryscher Paralyse kombiniert mit Hysterie, das Bild eines ascen- 

dierenden Rückenmarkstoroors vortäuschend, von Dr. L. Jacob . 264. 299 

17. Über nur unter besonderen Bedingungen eintretenden statischen Tremor, von A. Pick 290 

18. Über einen weiteren Fall von zeitweisem Fehlen der Patellarreflexe bei Hysterie, 

von Dr. Wigand .293 

19. Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur Myelogenie mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung des Cortex cerebri, von K. Brodmann .338 

20. Über scheinbare Fehldiagnosen bei Tumoren der motorischen Region des Großhirns 
nebst Beiträgen zur Kasuistik des Status hemiepilepticus bei Arteriosclerosis cerebri 

und bei genuiner Epilepsie, von Dr. G. Stertz . 349. 393 

21. Beiträge zum intramedullären Verlaufe von hinteren Wurzeln des Conus medullaris, 

von L. Jacobsohn .386 

22. Über Schmerzempfindlichkeit der Gesichtsknochen bei Degeneranten, von Priv.-Doz. 

M. Schaikewicz .391 

23. Das Kausal Verhältnis zwischen Syphilis und progressivem Nervenschwund, von 

Max Loewenthal .434 

24. Über Myasthenia gravis, von Prof. Dr. Alessandro Borgherini .445 

25. Die Sehnenreflexe angestrengter Körperteile. Untersuchungen an Marathonläufern, 

von Milt. Oeconomakis .. 498. 563 

26. Ein handliches Dynamometer, von Prof. Dr. Maximilian Sternberg . . . . 503 

27. Ein Fall von Heterotopie des Nucleus arciformis, von Dr. G. Catola.505 


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S«ft* 

28. Myatonia congenita, Myobypotonia, yon William G. Spiller.50S 

29. Kürze Bemerkungen über Fibrillogenie im Centralnervensystem des Menschen zur 

Arbeit Brodmanns: „Bemerkungen über die Fibrillogenie und ihre Beziehungen zur 
Myelosrenie mit besonderer Berücksichtigung des Cortex oerebri“, von Dr. Nie. 
Gierlich.511 

30. Zur Etymologie der Ausdrücke: „Crampus“ und „Krampf“, von Medizinalrat Dr. 

P. Näcke.546 

31. Über den Schlaf, von Dr. Paul Kronthal.553 

32. Über die Ausfallserscheinungen nach Läsionen des Centralnervenaystems, von Max 

Rothmann.594 

33. Zum Andenken an Emanuel Mendel, von Tb. Ziehen.642 

34. Ein Fall von dauernder hysterischer „Retentio urinae“, von J. Raimist . . . 646 

35. Über Reizungen des Kleinhirns, von A. Louriö.652 

36. Beitrag zur Frage der „sukzessiven“ Kombination von Psychosen, von Dr. Blum 662 

37. Der Doppelmotor im Gehirn, von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz.690 

38. Über Bahnung der Patellarreflexe, von Dr. Karl Kroner.700 

39. Über ein abnormes Bündel des menschlichen Rhombencephalon. Kurze Mitteilung 

von Prof. Karl Schaffer.73S 


41. Familiäre Tabes auf erblich-degenerativer Grundlage, von Privatdozent Dr. W. Stroh - 

mayer.754 

42. Über den Eintritt der Sehbabn in die Hirnrinde des Menschen, von Dr. med. et phil. 

Erwin Niessl v. Mayendorf.786 

43. Ein Fall von linksseitiger Apraxie und Agraphie, von Dr. Otto Maas .... 789 

44. Das Vorkommen von Wadenkrämpfen im orientalischen Gebiete in alter und neuer 
Zeit. Mediko-historische und folkloristische Studie, von Medizinalrat Dr. P. Näcke 792 

45. Phylogenetische Verlagerungen der motorischen Oblongat&kerne, ihre Ursache und 

Bedeutung, von C. U. Ariens Kappers.834 

46. Fall von Hypophysistumor mit Röntgen-Photogramm, von Privatdozent Dr.Schns ter 841 

47. Zur Freilegung der Hypophysis, von Dr. Ludwig Löwe.842 

48. Ein Fall von Hemiatrophia facialis progressiva mit Augennervensymptomen, von 

Dr. Siegfried Salomon.846 

49. Ein Fall von Alexie und Agraphie nach Trauma, von Dozent Dr. Alessandro 

Marina.881 

50. Über mangelnde Wahrnehmung (Autoanästbesie) der Blindheit bei cerebralen Er¬ 
krankungen, von Prof. Dr. Emil Redlich und Dr. Giulio Bonvicini . . . 945 

51. Über das Verhalten des proximalsten (extramedullären und -pialen) Teiles der 
hinteren Wurzeln bei Degeneration und Regeneration, von Prof. Dr. G. Bikeles 951 

52. Kurze Bemerkungen zu der Freud sehen Lehre über die sexuelle Ätiologie der Neu¬ 
rosen, von Hofrat Dr. A. Friedländer.953 

53. Ein Fall von rhythmischen, kontinuierlichen Krämpfen der Schling- und Respiration!»* 
muskulatur auf der Basis einer funktionellen Neurose (traumatische Neurose), von 

Dr. E. Ernst. .954 

54. Über operative Behandlung der Tumoren der Hypophysisgegend, von A. Freiherrn 

v. Eiseisberg und L. v. Frankl-Hochwart.994 

55. Akute multiple Sklerose oder disseminierfce Myelitis? Von E. Stadelmann und 

M. Lewandowsky.•.1001 

56. Ist die Erkrankung des Sehapp&rates für die Differentialdiagnose zwischen multipler 
Sklerose und chronischer cerebrospinaler Lues von maßgebender Bedeutung? Ein 


57. Otogener Hirnabsceß. Mitgeteilt von Prof. Karl Schaffer.1042 

58. Über das Fehlen des Achillesphänomens, von Dr. Georg Flatan .1052 

59. Zur sakralen Form der Sclerosis multiplex, von H. Oppenheim .1106 

60. Über die Hervorrufung von Schmerzen bei Ischi&B durch Hyperextension der Extre¬ 

mität und über die Unfähigkeit beide Beine zn strecken, von Prof. Dr. W. v. Bech¬ 
terew .1107 

61. Traumatische Rückenmarksblutung bei beginnender Tabes dorsalis, von Dr. Gio¬ 
vanni Saiz.1110 

62. Va<ruslähmuug (vorzugsweise Kehlkopfmuskellähmung) bei Syringobulbie. Vor- 

i__r»_i__ _ o t __ . tu: 


63. Über das verschiedene Verhalten der Neurofibrillen in den Fortsätzen und dem Zell¬ 
leib der motorischen Ganglienzellen, von Dr. med. Nie. Gierlich. 1154 

64. Über einen früheren Fall von Hefcerotopie des Nucleus arcu&tus, von Priv.-Doz. 

Dr. Milt. Oeconomakis...1158 

65. Hämangiom im Pons Varoli. von Dr. Takakazu Nambu. 1162 

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


































1183 


II. Namenregister. 

(Die mit * bezeiohneten Ziffern bedeuten: Literaturangaben. — Die in Parenthese ein- 
geklammerten Zahlen bedeuten*. Bemerkung in der Diskussion.) 


Abels: *783. 

Abraham: Sexuelle Jugend- 
traumen u. Dem. praecox 
534. »880. 

Abruzzetti: Cerebellare Ataxie 
135. 

Abt: *189. 

Acchiote: *878. 

Adam: Paralyse durch elektr. 
Starkstrom 36. 

Adamkiewicz: Schweißsekre¬ 
tion 123. 

Doppelmotor im Gehirn 690. 

Adler: *190. *493. *494. 

Minderwertigk. von Organen 
869. 

Agostini: *879. 

Fibrill. Substanz derNerven- 
zellen bei Geisteskranken 
1012. *1037. 

Alagna: *189. 

Albertoni: *188. 

Myasthenie 671. 

Albrecht: Entweichungen 
Geisteskranker 286. *336. 
*496. 

Arteriosklcrot. Geistesstörug 
729. *880. 

Alessi: *334. *879. 

Alexander: (423). (475). *781. 

Ali Cohen-. *332. 

Alix: Entzündung der Nerven- 
wurzeln bei einer Stute760. 

Allan: *189. 

Allen: *333. 

Allen Starr: *189. *879. 

d’Allocco: *493. *494. 

Alquier: Syringomyelie 71. 

Gland. parathyreoid. 215. 

Blutungen unter der Pia bei 
Epilepsie 330. *333. *334. 
*493. *782. 

Pottsche Krankheit u. Mye¬ 
litis 812. *878. 

Pottsche Krankheit 1022. 

Alquin: *493. 

Alt: Syphilit. Antistoffe bei 
Paralyse 35. *190. *335. 
*496. 

Familienpflege 984 u. 992. 
(986). *1037. 

Altavilla: *192. 

Altmann: *189. *333. 

Cystische Mißbildung des 
Bückenmarkes 572. 

Alzheimer: Anatom. Unter¬ 
suchungen bei Epilepsie 
470. (472). *877. (1137). 
(1141). 

Amberg: *191. 


Amberg: Ohraffektion u. 

Geisteskrankheit 1177. 
Amblard: *780. 

Andenino: *334. 

Anders: *334. 

Andre-Thomas: *493. 
Friedreich sehe Krankheit 
766. *1037. 

Anfimow: Blutungen unter der 
Pia bei Epilepsie 330. 
Angell: Hypästhesie u. Hyp- 
algesie 361. 

Angelozzi: *877. 

Angiolella: *880. 

Anglade: *495. *880. (1093). 
i Meningocerebellitis bei Para¬ 
lyse 1145. 
i Antheaume: *496. 

Graphische Stereotypie 725. 
Period. Psychosen 1034. 
*1040. 

Hyperhidrose bei Dementia 
1 praecox 1146. 

Kantharidennephr. u. Alko- 
I holdelir 1146. 

Anton: (237). (240). (471). 
(920). *1040. 

Geistiger Infantilismus 1079. 
: Antonini: *784. 

' Antonino: *192. 

Apelt: *333. 

Apert: Nystagmus 679. 
Archambault: *492. 
Archangelsky: *493. 
Argutinsky: *190. 
Armand-Delille: Poliomyelitis 
669. 

Arnaud: Psychasthenie u. 
Delir 1146. 

Aronheim: Basedow 223. 
Arsimoles: Gravidität bei Epi¬ 
lepsie 317. 

Aschaffenburg: *192. 

Hysterie 933. *1039. 
Aschcrson: *782. 

Ascoli: *332. 
v. Aster: *191. 

Atwood: *1040. 

Aubineau: Nystagmus-Myo- 
klonic 592. 

Audenino: *192. 

Epilept. Mörder 821. *384. 
*835. *784. 

Auerbach: *780. *876. (917). 
(961). 

Akromegalie u. Myxödem 
1015. 

v. Auffenberg: *784. 

Aufrecht: Behandlung des Del. 
tremens 908. *1039. 


Digitizetf by 


Gck igle 


Avellis: *191. 
Awtokratow: *1039. 


Hab: *335. 

v. Babarczi-Schwartzer: Be¬ 
schränkte Zurechnungs¬ 
fähigkeit 183. 

Babel: *335. 

Babes: *493. *1038. 

Babinski: *190. 

Skopolamin bei Chorea 330. 
*782. (1091). 

Babonneix: *781. 

Chron. Rheumat. d. Wirbel¬ 
säule 1018. *1036. 

Bacaloglu: *190. 

Baccarani: *1038. 

Bach: *331. *493. *877. 

Pathologie der Pupille 974. 
Bachon: Nerv. Komplikat. 
bei Infektionskrankheiten 
707. 

Baer: Trunksucht 681. 

Baginsky: *495. *780. 

Mening. cerebrospin. pseudo- 
epidern. 1171. 

Bahr: *493. 

Bailey: *334. 

Unfallnervenkrankh. 515. 
Baillart: *495. 

Baisch: *333. 

Balduzzi: *1037. 

Ballantvne: *1037. 

Ballet: ‘*192. 

Zurechnungsfähigkeit 1032 
(1034). (1035). 

Balli: *188. 

Balz: Besessenheit 92. *879. 
Bamberger: *878. 

Bär: *334. 

Baranyi: (478). 

Läsion des Vestibularappa- 
rates 478 u. 870. 

Bard: *493. 

Idiotie 524. 

Babinskischer Reflex 858. 

*877. 

Barhani: *782. 

Barker: *493. 

Barlow: *332. 

Barnes: *877. 

Barr: Extraduraler AbBceß 
175. 

Barraquer: Atrophie des 

Unterhautzellgewes 1072. 
Barrucio-Wichmann: *782. 

Bartels: Geschw. der Hypo¬ 
physengegend 274. *388. 
Baschieri: *333. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1184 


Bassenge: Krebsgeschwulst 
des Kreuzbeins 580. 

Basta: *1039. 

Batten: Ataxie bei Kindern 
135. *493. *781. 

Baudouin: *493. *494. *879. 

Bauer: Incontinentia urinae 
inf. infantiler Hysterie 
364. 

Wirkung der X-Strahlen auf 
Hirn-n. Rückenmark 1093. 

Baum: *334. *1038. 

Baumann (muß heißen: Baum¬ 
garten) : Beschränkte Zu¬ 
rechnungsfähigkeit 186. 

Baumann: *191. 

Baumgarten: Beschränkte Zu¬ 
rechnungsfähigkeit 186. 
*1038. 

Bäumler: (628). 

Bayard: *494. 

Bayerthal: Schädelumfang u. 
Intelligenz 1058. 

Pseudobulbärparal. 1088. 

Schulärztliche Erfahrungen 
1145. 

Beaujard: *781. 

Bebe: *190. 

v. Bechterew: Schädeltrauma 
187. *190. *885. 

Automat Schreiben 724. 
*783. *877. *879. 

Objektive Psychologie 987. 

Ankylose der Wirbelsäule 

1020 . 

Ischiasphänomen 1107. 

Beck-. Deckung von Schädel¬ 
defekten 175. 

Schädelinhalt u. Hirngew. 
213. *331. 

Meningitis serosa im Kindes¬ 
alter 1170. 

Becker: *188. *191. *882. 

Aneurysma der Carotis 881. 

Simulation von Unfallkrank. 
535. 

Sklerodermie 619. 

Neurogb'a 682. 

Beevor: *493. *780. 

Beijermann: *1038. 

Belitzki: Bindencentrum u. 
Spcicbelsekretion 270. 

Belkowski: Syphilit. Erkrank, 
der Extremitätengef. 815. 

Belletrud: Geschmacksillusion 
1147. 

Bellini: *880. 

Bendersky: *784. *1040. 

Benedikt: Metamere Sensibili¬ 
tätsstörungen 411. *493. 

Bennion: *494. 

Benussi: *879. 

Blrcel: Facialisläbmung bei 
Geburt 461. 

Berdez: *332. 

Bergamasco: *493. 


Berger: *334. 

Athetose 1062. 

Neuralgie oder Zahnschmerz 
1124. 

Bergmark: *782. 

Berliner: Hirntumor 535. 

Diplopie 1144. 

Bernhard: (379). 

Bernhardt M.: Myatonia con¬ 
genita 2. Basedow 217. 
*834. 

Spina bifida 355. 

Nerven pfropfung b. Facialis- 
lähmung 462. *493. 
Trauma u. Arteriencrkrank. 

518. (537). (615). 
Markhaltige Nervenfasern 
I in Netzhaut 708. *780. 

j *784. 

I — P.: Hyster. Geistesstör. bei 
| einer Epileptischen 83. 

j Bernbeim-, Myxödem 225. *382. 
*780. (1090). 

! Theorie der Tabes 1096. 

I ( 1100 ;. 

j Bernheimer: *831. 

Bernstein: Landrysche Para- 
I lyse 459. 

| Bertoldi: *880. 

! Bertolotti: *188. 

Berze: § 2 ÖStG. 730 (1104). 
Besnöit: Chorea electrica beim 
lamm 1063. 

Bessmer: *191. 

| Grundlagen der Seelen¬ 
störungen 910. 

I Besta: *191. 

Blutserum der Epileptiker 
315. 

I Blutdruck der Epileptiker 
i 815. *334. *496. *782. 

; Huntington scheChoreal066. 
| Bethe: *493. 

i Färberische Differenzen ver- 
i schiedener Fasersysteme 

1 682. 

1 Regener. der Nervenfasern 

i 664. 

Sauerstoff u. Reflexerregbar¬ 
keit 1011. 

Bettmann: Pruritus b. Herpes 
| zoster 458. 

I Bevan-Lewis: *495. 

; Beyer: (628). 

I Bezzola: *783. 

[ Biach: Centralkanal b. Säuge¬ 
tieren 166. 

I Bianchi: *331. *493. 

| Hirnrinde des Huhns 848. 
j Alkohol u. Nervenkrankheit 

I 903. 

I Bianchini: *335. 

Biancone: Verdoppelung der 
| Persönlichkeit 368. 

| Biedert: Das Kind 271. 

! Bielschowsky: *832. 


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Gck igle 


Bielschowsky *. Epithelgeschw. 
der A dergeflechte des Hi rns- 
453. 

Bihler: *191. 

Hyster. Geistesstörungen 
367. 

Bikeles: Hintere Wurzeln bei 
De- u. Regeneration 951. 
Binet: *335. 

Bing: *1S9. 

Binswangen (471). (932). 
Herderscbein. bei Epilepsie 
938. 

Bioglio: *494. *781. 

Birnbaum: DegenerativePban- 
tasten 380. *783. *1040. 
Bittorf: *190. *879. 
de Blasio: *192. *784. 
Bleibtreu: *494. 

Bles: *192. 

Bleuler: *335. 

Affektivität, SuggesÜbilität, 
Paranoia 1029. 

Bliss, Epidera. mult. Neuritis 
455. 

Bloch (Wien): Lepra 75. 

— E.s *331. *334. 

Willkür!. Erweiterung der 

Papillen 355. 

Neuronlebre 667. 

— J.: *335. 

Sexualleben unserer Zeit 415. 
Blum: *192. 

Successive Kombination vjn 
Psychosen 662. 

Blumen Psychasthenie 367. 
Bockenheimer: Tetanus- 
bebandlung 382. 
Bodington: *788. 

Boedekcr: Krankhafte psych. 
Reaktion auf einen somaL 
Krankheitsprozeß 688. 
Boege: *1040. 

de ßoer: Gegenaatsl. Begriff 
943 

Boettiger: (46). (774). (775). 

(777). (778). 

Bogen: *780. *878. 
v. Bökay: Lumbalpunktion bei 
Cerebrospinalmeningitis 
1175. 

Bökelmann: *384. 

Bolle: *879. 

Bolognese: *189. 

Bolte: Assoziation«versuche 

543. 

Bolten: *335. *1039. 
v. Boltenstern: *192. 

Bolton: *192. *496. 

Bond: *876. 

Bonfigli: *782. *878. 
Bonboeffer: *784. 
Degenerationspsychosen 
1127. 

Bonjour: Epilept. u. hyster. 
Krisen 1099. 


Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1185 


Bonne*. Cerebellare Hemi- 
agenesie 184. *780. *1039. 

Hirnrinde 1055. 

Bonnier: Augenmuskellähmug 
nach Lnmbalinjektion 459. 
*782. 

Bonniot: Tetanoa 330. 

Bontemps: (87). 

Bonvicini: Alezie 873. 

Mangelnde Wahrnehm, der 
Blindheit 945. 

Booth: *878. 

Borchardt, M.: Tumor des 
Kleinhirnbrückenwinkels 
173 u. 587. *332. (588). 
*1037. 

Borgherini: Myasthenie 239 u. 
445. 

Boruttau-. *381. *1040. 

Bosanyi: Ischias 1126. 

Boschi: Pott sehe Paraplegie 
580. 

Bosse: *493. 

Bouchaud: Predigerhand bei 
Paralyse 38. *192. 

Atoxyl bei Paralyse 1146. 

Bouche: AtioL der Friedreich* ' 
sehen Krankheit 30. I 

Boudet: *833. 

Poliomyelitis 669. 

Boughton: Oculomotorins bei 
Ratten u. Katzen 22. 

Bouman: *334. 

Boardin: *496. 

Bourilhet: Taberk.Ophthalmo- j 
reaktion bei-Geisteskr. { 
1147. 

BourneTille: *191. *495. 

Idiotie 524. 

Le Boutillier: *494. 

Bouygue8: *190. 

Boret: *783. 

Bowlby. *495. 

Bra: Mikroben bei Epilepsie 
815. *878. 

Bradäch: Selbstverstümmlung 


Bresler: Patholog. Anschuldi- j 
gung 1178. 

Brettschneider: *1038. 

Breuer: *783. 

Breukink: *1087. 

Briand: Tuberkulose in An¬ 
stalten 1076. 

O’Brien: *880. 

Brissard: *335. 

Brisaaud: Trauma u. Paralyse 
85. *835. *782. 

Kyphose bei einem Tuber¬ 
kulösen 1024. *1038. 

Broadbent: *877. 

Brock: *876. 

Brodmann: Fibrillogenie u. 
Myelogenie 838. (685). 

Scheitellappen 1130. (1133). 

Brodski: Tabes bei Weibern 
27. 

Broschniowski : *1037. 

Brouardel: Opium, Morphium, 
Kokain 901. 

Brower: *835. 

Browning: Famil. progr. 
Muskelatrophie 676. *783. 

Brubacher: *780. 

Bruce: *493. 

Brühl: *190. 

Brünings: *780. 

Bruns (Hannover): Hirn- i. 
Rückenmarkschirurgie 
589. (917). 

Rückenmarkshantgeschw. 
959. (961). (963). 

Geschwülste des Nerven¬ 
systems 1077. 

— O.: Neuralgien bei Melan¬ 
cholie 864. *880. 

Brustein: *192. 

Bryant: *191. 

Buch: Globusgefühl u. Aura 
860. 

van den Buch: *332. 

Buchholz: (734). 

Bücking: *496. | 


908. Bucura: *780. 

Bradshaw: Syringomyelie 75. Büdingen: *1039. 

Bramwell: *832. Buhler: *879. 

Brassert: *493. Bull: *780. 

Halswirbelfraktur u. reflekt. Bullard: *334. 

Pupillenstarre 858. Diffuse Gliose 408. *1038. 

Bratz: (472). Bum: (239). *334. 

Bregman: Absceß der Varol- Ischiastherapie 1126. 

sehen Brücke 175. *189. Bumke: *188. 

Rückenmarksgeschwülste Zwangsvorgänge 327. 

584. Papillenstarre im hyster. 

Diplegia facialis 874. Anfall 362. 

Rhinorrhoea cerebrospinalis Pupillencentren in der Med. 

874. oblong. 631. 

Myotonie u. Myoklonie 875. Pathologie der Pupille 974. 

Bregmann: *878. *1037. 

Bresler: Petit mal 319. *835. Burr: *493. *495. *880. *1037. 
Proponal 865. *879. , Busch: *495. 

Grelaenalter u. Kriminalität Buschan: *331. *880. 

1030. Gehirn u. Kultur 896. 


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bv Google 


Butler: *493. 

Buttino: *334. 

Nervöse Initialsymptome 
der Syphilis 808. 
Buzzard: *493. *780. *781. 
*876. 

Bychowski: Cerebrale Hemi¬ 
plegie 154. 

Reflexe 939. *1037. 


Cabannes: *192. 

Cagiati: Halbseitige Hyper¬ 
trophie 514. *783. 

Cagnetto: *494. 

CaUewaert: *494. 

Traumat. Hysterie 521. 

Mac Callum: *190. 

Cameron: *881. 

Camp: *783. *877. 

Paral. agit 1060. 

Campbell: *492. *496. 

Doppelseitige gummöse Er¬ 
krankung der Nucl. 
caudati 776. (778). 

Camus: *192. *783. 

Manisch-depressives Irresein 
861. 

Cenestopathien 1145. 

Cans: *835. 

Alkoholismus, Nikotinismus 
u. Paralyse 905. *1039. 

Cappuccio: *879. 

Carleton: *878. 

Caro: *782. 

Carusi: *336. 

Cassel: *191. 

Meningitis cerebrospin. bei 
Kindern 1173. 

Cassirer: Erkrankung spino- 
cerebellarer Fasern 370. 

(536). *780. *878. 

Ther. der Erkr. der Cauda 
equina 960. (961). 

Catöla: Paralyse o. Spirochäta 
35. *190. 

Heterotopie des Nucleus 
arciformis 505. 

Mult. Sklerose u. Syphilis 
804. 

Catsaras: Katatonische Er¬ 
scheinungen 932. 

Cavazzani-. *190. 

Rückenmarksläsion n. 
Pupillenreflex 852. 

Cave: *1039. 

Ceni: *188. *191. 

Blutserum der Epileptiker 

Ql* *7öO 

Cerletti: *190.’ *782. 

Injektion von Hypophysis- 
saft 1013. 

Chabrol: *1038. 

Chalupecky: *878. 

Champy: Vorderhörner bei 
Arthropathien 1097. 

«^Original fron 

UMIVERSITY OF CALIFORNIA 



1186 


de Ohamptassin: *1039. 

Chanutina: *190. 

de la Ohapelle: *334. 

Charon: *880. 

Charpentier: Klei nachritt gacg 
329. 

Kriminalpsychologie 943. 
(982). (1096). 

Charticr: *190. 

Syringomyelie 328. *334. 

‘ Aecendierende Neuritis 455. 

Sypbilit. Osteitis bei Tabes 
764. *781. *878. 

Chaumier: Verwirrtheit, Gly- 
kosurie bei Achondropla- 
sie 1146. 

Cheatle: *1036. 

Chiadini: Friedreicbscbe 
Krankheit 31. 

Chiari: Corpora amylacea des 
Centralnervensystems979. 

Cbiodi: *189. 

Chirardini: *495. 

Chirone: *1040. 

Cbisholm-. *189. 

Chotzen: *334. *782. *880. 

Morphiumabstinenz 902. 

Atypische Alkoholpsychosen 
906. 

Transitor. Alkoholpsychosen 
906. 

Chndovszky: *493. 

Chvostek: *782. *878. 

Ciaccio: Neubildung von 
Nervenzellen 69. *188. 

Cimbal: (42). *333. 

Citron: Komplementbindungs¬ 
versuche 763. *1088. 

Claparede: *189. 

Zeugenaussage 272. 

Agnosie u. Asymbolie 709. 
*783. *879. *880. (1091). 

Clark: *877. *879. *1040. 

Clarke: *192. *877. *1039. 

Claude: Erkrank, der Pyra¬ 
midenbahn 78. *190. *494. 
*877. 

Akromegalie 1016. *1038. 

Hysterie 1088. 

Cleary: *493. 

Cleghorn: *782. 

de Clerambault: *335. 

Psych. Infektion 1028. 

Cloötta: *877. 

Coats: Encephalocele 668. 

Cohen: *879. 

Cohn, S.: *1037. 

— T.: *336. 

Cohnstamtn; Hypnot.Behandl. 
von Menstruationsstör. 
635. 

Collctt: *1037. 

Collins: *332. *780. 

Colombo: *336. 

Comby: Hyster. Fieber beim 
Kind 364. 


del Conte: *1036. 

Cook: *493. 

Coombs: *879. 

Coppioli: *780. 

Cornelius: *189. *191. *781. 
Cornell: *1040. 

Corner: *189. 

Cortesi: *1037. 

Courbon: *335. *495. 
Courtellemont: Famil. spast. 

Paraplegie 1097. 

Cox: *783. 

Degeneration 1129. 
McCrae: *383. 

Cramer: (474). (529). 
Cysticerken im Gehirn 541. 
(628). 

Chorea 1064. 

Crämer: *334. 

Crotbers: *191. *495. 
Cruchet: Hemispasmus facialis 
461. *494. 

Cullerre: *1039. 

Myopathie + Myotonie 1097. 
Curschmann : Kontralaterale 
Mitbewegungen 128. 
Karzinose desCentraluerven • 
Systems 172. *188. *190. 
*191. 

Vasomotor. u. troph. Neu¬ 
rosen 633. 

Torticollis bei Labyrinth¬ 
erkrankung 923. (923). 
*1038. *1039. 

Cushing: *189. *333. 

Hypophysistumor 1014. 
v. Cyon: *876. 
v. Czyhlarz: *782. 


Daeubler: *1040. 

Damman: *879. 

Dammann: *335. 

Dana: *188. *494. 
Dannemann: (529). 

Sicherheitswaoben 535. 
Darcanne: Psychosen kardialen 
Urepr. 1146. 

Darkschcwitech: Perverser 
Gescblechtstrieb 828. 
Darling: *493. 

Cerebrospinalmening. 1174. 
Darnall: *333. 

Darre: Hered. Syphilis 807. 

| Davenport: *332. 

| Davidsohn: *189. 

Davie*. Hirntumor 174. 
Davies: *1036. 

| Debray*. *331. 

Decroly: *335. *879. 

I Degand: *335. *879. 
i Deganello: *188. 

Dege: *333. 

| Degenkolb: (95). 

Kombin. von Seelenstörung 
mit Hysterie 1085. 


Dehio: Dauerbäder 1084. 
Dejerine: *493. *494. 
Friedreich sehe Krankheit 
766. *877. *878. *1037. 
(1093). (1100). 

Delbrfick: Alkohol u. Paralyse 
905. *1039. 

Delille: *333. 

Delius: *191. 

Delmas: *495. 

Denker: *1036. 

Denks: *1037. 

Denslow: *877. 

Deny: *783. 

Manisch-depressives Irresein 
861. 

Deroum: Kleinhirnsarkom 133. 

*192. *494. 

Dernini: *388. 

Descomps: *494. 

Syphil. Osteitis bei Tabes 
764. *781. 

Mening. eer.-spin. 1095. 
Determann: *880. 

Deutsch: Kretinenbebandlung 
231. *1040. 

Deutechländer: (46). 

Devaux: Hirnabsceß 176. 
van Deventer: Pflegepersonal 
in den Anstalten 980. 
(981). 

Dewey: *191. 

Dexler*. Hysterie bei Tieren 98. 
*191. 

Nervensystem des Elephas 
indious.il 65. 

Diefendorf: *192. 

Diesing: *333. *878. 

Dieterle: *190. 

Dietz: *1040. 

Dinkler: Perniciöse Anämie mit 
spinalen Störungen 620. 
Ditthorn: *493. 

Dixon: *331. *782. *879. 
Alkohol u. Blutkreislauf 903. 
*1036. 

Dobracbansky: Motor. Phäno¬ 
men bei Paralyse S8.*l92. 
*496. 

Paralyse mit 14 jähriger 
Remission 824. *880. 
Dobson: *334. 

Doerr: *333. 

Dogiel*. *493. 

Döllken: Bewegungseentrum 
der Maos 50. *334. 

Die ersten Nervenbahnen 
im Großhirn 926. (927). 
(1079). 

Halluzination, u. Gedanken- 
lautwerdeu 1086. 

Don: *876. 

Donald: *780. 

Donath: Poriomanie 319. *333. 
(481). (488). *494. *782. 
*878. 


Digitizedl 


bv Google 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1187 


Donegana: *878. 

Donitrenko: *493. 

Douglas: *191. *493. 
Drastich: Der geiBtig Minder¬ 
wertige in der Armee 80. 
Drenkhahn: *333. 

Dreyer: *190. *879. 

Dreyfos: Ätiologie der Para¬ 
lyse 34. *192. 

Melancholie 631 u. 1028. 
Inanition 726. *880. 
Drinkwater: *1039. 

Dromard: Basedow 221. 
Drosihn: *495. 

Dabar: *834. 

Aphasie 717. 

Dabois: *495. 

Augensymptome bei Para¬ 
lyse 821. 

Dubose: Nystagmus 679. 
Ducoete: *495. *788. 

Paralyse 821. 

Fagues 861. *1040. 
Dadgeon: *190. 

Toxämische Diphtherie 707. 
*877. 

Duhem: *495. 

Dujarier: *879. 

Dfiller: *1037. 

Dnnger: Uräm. Neuritis 457. 
Dunin: *190. 

Neurasthenie 856. 

Dann: *189. 

Dapraz: *190. 

Duprö: Hirnabsceß 176. *192. 
*783. 

Paralyse u. andere Demenz- 
formen 931. (1035). 
Myosklerose bei Greisen 
1098. 

Cenestopathien 1145. 
Dorante: *188. *780. 

Dürck: Beri-Beri 979. 

Dostin: *496. 


Elasterbrook: *191. 

Sanatoriambehandl. 985. 
Eastman: *782. 

Ebstein: Chirurgie des prakt. 
Arztes 81. *331. *333. *334. 

— E.: Grabbes Krankheit 682. 

— W.: Schopenhauer 682. 
Inspektion, Palpation, Per¬ 
kussion, Auskultat. 1078. 

Eccard: *879. 

Edgeworth: *382. 

Edinger: Gehirn des Amphi- 
oxus 22. *334. 
Nervenaufbrauoh 637. *781. 
*876. *1036. 

Egger: *332. (627). 

Agnosie 708. *876. 

Ehreke: Schlafmittel 865. 
Eichelberg: Delirium tremens 
776. *879. 

Digitized by Gougle 


Eichhorst: *189. 

Pathol. u. Ther. der Nerven- 
krankh. 1077. 

Eijkmann: *494. 

Einhorn: *877. 

Herpes bei Mening. cerebro- j 
spin. 1172. 

Eisath: Arteriosklerot. Hirn- ! 
erkr. 728. *780. *877. j 
1037*. 

v. Eiselsberg: Knöcherne Tu¬ 
moren des Schädeldachs 
169. 

Hypophysistomoren 964 u. 
994. 

Eiselt: *1039. 

Eider: *780. 

Cerebrospinalmening. 1174. 

Elliott: *1036. 

Elmiger: *191. 

Paralyse im Kanton Luzern 
819. 

Ely: *334. 

Emin: *1037. 

Engel: *383. 

Engelen: Tränenfließen naoh 
Facialislähmang 461. 

Engelken: (474). 

Engelmann: (91). *188. 

Ennen: *1040. 

Epstein: Aufnahmebeding. in 
Irrenanstalten 480. *496. 

Erb: *334. *494. 

Syphilogene Erkr. des Cen- 
tralnervensystems 622. 
(681). 

Poliomyel. 669. 

Intermitt Hinken 669. *878. 

Erben: Simulation u. Über¬ 
treibung 515. 

Ataktische Tabiker 971. 

Erdheim: Tetania parathyreo- 
priva 277. *331. *334. 

Erichsen: *190. 

Ernst: Kkytm. Krämpfe der 
Schling- u. Bespirations- 
muskul. 954. 

Escherich: (94). (95). 

Hirnembolie bei postdiph- 
ther. Herzschwäche 408. 
*780. 

Eschle: *495. *783. 

Gruudzüge der Psychiatrie 
826. 

Eshner: *780. 

Esser: Bttckenmarkshaut- 
geschwulst 583. *781. 
*782. 

Etienne: Arthropathie bei Pa¬ 
ralyse 39. *879. *1037. 

Vorderhörner bei Arthro¬ 
pathien 1097. 

Zonaart. Ecchymosen 1098. 

Eulenburg: Epilepsiebehand¬ 
lung 322. *334. *783. *879. 

Eve: *1037. 


Ewald, B.: Labyrinth-Tonus 
929. 

v. Eysselt-Klimpöly: Kretinen- 
behandlung 230. *334. 


Fabinyi: Famil. Irrenpflege 
429. 

Fackenbeim: *880. 

Fahr-. Endotheliom im linken 
Stirnhirn 771. 

FairbankB: *782. 

Cerebrale Syphilis bei Kin¬ 
dern 809. 

Fales: *782. 

Falk: *189. 

Falkenberg: *1040. 

Fankhauser-. *495. 

Farrar: Dementia praecox 141. 

Federici: *332. 

Federschmidt: *878. 

Feer: Blutsverwandtschaft der 
Eltern 1026. *1087. 

Feilchenfeld: *879. 

Feix: *190. 

Untersuchung des Patellar- 
u. Achillesreflexes 856. 

Fejör: *877. 

Feldmann: (630). 

Felicine: Hyster. Psychoneu- 
rosen 367. 

Fellner: *783. 

Fenneil: *783. 

Förö: Träume der Epileptiker 
318. 

Psyoh. u. phys. Antipathien 
325. *495. *880. 

Ferenczi: Tabes mit Neuritis28. 

Sexuelle Übergangszustände 
417. 

Feri: Akustikuskerne 475. 

Fermi: *1036. 

Fernet: *191. 

Ferrannini *877. *879. 

Ferrari: Erziehung geistig zu¬ 
rückgebliebener Kinder 
985. 

Ferris: *1040. 

Fialovski: Trunkenheit vom 
forensisch-ärztl. Gesichts¬ 
punkte 909. 

Fiea'i: *1037. 

Fick: *1038. 

Finckh: Hitzepsychosen 231. 

*335. 

Paralysenähnl. Krankheits¬ 
bilder 811. 

Finkelnburg: Meningoence¬ 
phalitis 1169. 

Finkeistein: (95). 

Finny: *782. *878. 

Maniakal. Chorea 1065. 

Finzi: *877. 

Fisch: Landrysche Paralyse 
459. 

Fischei: *876. 

75* Original frcm 
UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1188 


Fischer, J.: Anfnahmefahig- 
keit moderner Anstalten 
491. 

— M.: Herzneurosen u. Base¬ 
dow 223. *784. 

— Oskar: Hirnrinde bei Para¬ 
lyse 86 u. 978. 

Hyster. Dysmegalopsie 237. 

Maskfaseransfall bei Para¬ 
lyse 240. *833. *494. 

Moskelzncknngen bei Para¬ 
lyse 823. (917). (921). 

Fisch!: *334. 

Period. Erbrechen u. kind¬ 
liche Hysterie 364. 

Fisohler: Alkoholinjekt. bei 
Neuralgie u. Neuritis 639. 
*1038. 

Fisher: *386. *496. 

Flashman Gehirn der Manu- 
pialier t67. 

Flatan, E.: Tumor mediastini 
u. des Bückenmarkes 587. 

— G.: Ponsblutung 616. 

Achillesreilex 972 u. 1052. 

Flatau *332. *833. *334. 

Extramedulläre Rücken- 
markstumoren 581. 

Hirntumor 876. 

Flechsig: Hörsphäre 1078. 
(1079). 

Fleig: *877. 

Flexner: *189. 

Cerebrospinalmeningitis bei 
Affen 1171. 

Florian: Chron. Trophödem 
830. *878. 

Fodor: (478). 

Fonck: *493. 

Forest: Myelitis nach Angina 
78. 

Forli: *781. *1088. 

Fornet: Serodiagnose bei Lues, 
Tabes. Paral. 762. *1089. 

Forssner: *781. 

Förster: Funktion der Glia 
537. (539). (613). 

Affekt bei Paranoia 933. 

Förster: Frkr. der Pyramiden- 
bahn 76. 

Behandl. von Stör, des Ner¬ 
vensystems auf syphil. 
Grundl. 815. 

Försterling: (687). 

Foreyth: *494. *876. 

de Fortunitö: *192. 

Augensymptome bei Para 
lyse 822. 

Fournial: Babinski bei Para¬ 
lyse 40. *335. 

Fowler: *333. 

Fraenkel (Hamburg): Schwei- 
zer-Käse-Gehirn 84. 

RückenmarkBerkr. durch Me¬ 
ningokokken verursacht 
785. 

Digitized by Gougle 


Fragnito: *492. 

Franyais: Syringomyelie 73 n. 
74. *332. 

Psychosen kardialen Urspr. 
1146. 

Frank, 0.: *876. 

Franke: (734). (735). 

Fränkel, K.: Chron. ankylos. 
Wirbelsäulen Versteifung 
1021. *1038. 

— J.: Infantile cerebr. Henri- 

plegiey 136 . 

Franken bäuser: *836. 
v. Frankl-Hoch wart: *335. 
(476). (477). (478). 
Tetanie 867. (870). (871). 

S (966). (974). (975). 
ysistumoren 964 u. 

994. 

Juvenile Blasenstörungen 
1179. 

Franz: *831. *780. *878. 
Fratint: *190. *191. *783. 
Frazier: *169. *332 : 

Frenkel (Heiden): Übungstbe- 
rapie 29. *496. 

Freund: Sklerodermie u. Base¬ 
dow 218. *494. *782. 
Frey: Reflexepilepsie811.*879. 
*1039. 

Fridenberg: *879. 
Friedenreich: *382. 
Friedländer, J.: *1039. 
Friedländer: *784. 

Sexnolle Ätiol. der Neurosen 
953. 

Friedmann: Zwangsvorstel¬ 
lungen 680. *783. 

Künstl. Abort wegen psych. 
Krankh. 1136. 

Friedrich: *836. 

Fries: Epilepsie mit Tetanie 
476. 

Froeblich: *781. *1038. 

Froin: Akromegalie 275. 
Frommer: Parathyreoideale 
Insufficienz 277. *334. 
Fry: *781. 

PottBche Krankheit 1023. 
Fuchs: (239). 

Reflexepilepsie 311. *333. 
Facialislähmung 462. 
Traumat. Ptosis 476. 
Funktionelle Sprachstörung 
478. *494. *1039. 

Ton. Krämpfe des Rumpfes 
1061. 

Psychiatrie u. Mneme 1135. 
Fürbringer: *495. 

Behandlung der Impotenz 

866 . 

Fürnrohr: *189. 
Röntgen-Strahlen in der 
Neurologie 370. *876. 
*1089. 

Fürstenau: *189. 


Oalvagni: *781. 

Ganser: *495. 

Behandlung des Delir, trna. 
908. 

Gantz: Rekurrenslähmung bei 
Tit. cordis 463. 

Gara: *878. 

Iscbiaasymptom 1125. 
Garbini: *334. 

Gardner: Friedreich sehe 
Krankheit 31. 

Gaskeil: Entw. des Central¬ 
nerv. bei Vertebraten 939. 
Gasne: Schädelbruch beim 
Kind 519. 

di Gaspero: Psych. Infantilis¬ 
mus 860. *1039. 

Ganjonx: *877. 

Gaupp: *191. *334. *495.(62tM. 
(1137). 

Gausael: Kleinhirnaffektion u. 
Augenbewegungen 133. 
*190. 

Akromegalie 275. *333. 
Geelvink-. Trunksucht 531. 
van Gehuchtcn: Anatomie 800. 
Mechanismus der Reflexe 
991. 

Geinitz: *188. 

Geist: *189. *783. 

Geitlin: *189. *332. 

Gejerstam: *333. 

Geltond: *878. 

Gemelli: *780. *1038. 
Gendron: *332. 

Kaumuskeln bei Hemiplegie 
409. 

Gerber: *1038. 

Gerhardt: *334. 

Gerönne: *384. 

Getzowa: *878. 

Giachetti: *496. *781. 
Gianelli: *331. *492. *877. 

Facialisnrsprungskem 1119. 
Gierke: *782. 

Gierlick: *333. 

Infantiler Kernschwund 406. 
Fibrillogenie 511. 

Neurale Muskelatrophie 636. 
Period. Paranoia 727. *1036. 
Neurofibrillen in den Fort¬ 
sätzen u. im Zellleib 1154. 
Gildemeister: *493. 

Gimlette: *190. 

Gindes: *1037. 

Giraud: (1033). 
i Glinski: *333. 

Godelstein: *189. 

Goett: *334. 

Goldberg: *1089. 

Goldflam: *334. 

Famil. Ankyl. der Finger- 
gelenke 674. 

Goldscheider: *190. 
Physikalische Therapie 419. 
*496. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1189 


Goldscheider: Psycboretiekt. 
Krankheitssymptome 515. 
*780. *784. 

Goldstein: Polioencephal. infer. 
407. 

Amnest. Aphasie 719. *781. 
Alkoholpsychosen 905. 
*1089. 

Goodall: *192. 

Gordinier: *876. 

Gordon: Salzlose Diät bei Epi¬ 
lepsie 323. *333. *494. 
*876. *877. 

Paradoxer Bengereflex 858. 
*1038. 

Gonld: *191. *332. 
Gourevitch: *189. 

Gowers: *383. *334. *878. 
*1037. 

Hemiatr. faciei 1072. 
Grabley. Luftbäder 925. 
Grabower: *188. 

Grabowski: Zygomaticus- n. 

Infraorbitalneuralg. 1124. 
Gradig: Entwicklungsstör. in 
Kleinhirn nsw. 132. 
Gramegna: *333. 

Grasset: Schntz gegen die 
Geisteskranken 287. 
Monoplegie 409. *498. 
Sprachfunktion 718. *780. 
(1033). 

Grassmann: *493. 

Grares: Sensibilitätsstörung 
am Warzenhof 861. *1039. 
Chorea n. Tic 1064 
Grawitz: Senile Atrophie der 
Augenmuskeln 460. 
Graziani: Pott sehe Paraplegie 
580. 

Greenbaum: *878. 

Greene: Tuberkulose in An¬ 
stalten 1076. 

Gregor: *494. 

Korsakoffsohe Psychose 907. 
Stupor 1083. 

Grenet: Akromegalie u. Dia¬ 
betes 329. 

Grenier de Cardenal: Tabes n. 

Schanker 26. 

Griffith: *781. 

Grills: Eine Hirnheinisphäre 
für beide Körperseiten 129. 
Grimme: Prophylaxe der Haus¬ 
epidemien in d. Anstalt 542. 
Grinker: *334. *782. 

Grober: Nenrit. Plexuslähm. 
463. 

Grohmann: *192. 

Gross: Tetanie u. weibl. Sexual¬ 
apparat 278. *784. 
Sekundäre Funktion 943. 
Grossmann: *190. 
Iscbiasbehandl. 239. 
Trigeminus u. Vagus 270. 
Spina bifida 572. *780. 

Digitized by Google 


Grund: *332. (630). *1037. 
Griitzner: *381. 

Gnerra Coppioli: *877. 
Gudvara: *781. 

Mult. Sklerose 803. 
Guillain: Syringomyelie 71. 
Syringobnlbie 72. 

Tremor merourialis 458. 
*495. 

Guinon: Diphther. Lähmung 
456. 

Gnndobin: *879. 

Garewitsch: Dispsomanie 908. 
Gurwitsch: *494. 

Guthrie: Künstl. Cirkulation 
n. Hirntätigkeit 895. 
Guttmann: Beknrrensparalyse 
463. 

Untersnchnng des Patellar- 
reflexes 856. 

Gutzmann: *192. 

Behandlung der Aphasie 424. 
Hören u. Begreifen 940. 
Gy: *782. 


Haardt: *880. 

Haase: Hyster. Laryngismus 
364 

Hackländer: *384. 

Aufnahme opt. Beize 535. 
Haenel: (920). (1079). 
Ataktische Gehstörungl081. 
(1082). 

Hager: Jodpräparate 816. 
Hajek: *781. 

Haiborn: *189. 

Hall: *494. *782. 

Haller: KontinuitätBlehre 118. 
*188. 

Hallervorden: *885- 
Halliburton: *780. *876. 
Halliday: *878. 

Hailös: Pseudodelir, tremens 
489. 

Trinkerbehandlung 491. 
Halsted: *1038. 
van Hamei: Geisteskr. Ver¬ 
brecher 981. 

Hammer: *338. 

Tabes 764. 

Hammond: *332. 

Hamoir: Kindertuberkul. 610. 
Hampe: *335. *495. 

Sprachsinn 525. 

HarDitz: *189. 

Harnack: *876. 

Harper: *780. 

Harris: *493. *494. 

Harrison: Peripher. Nerven 
125. *331. 

Hartenberg: *884. 

Psychother. bei Neurasthen. 

1100. 

Hartmann: Motor. Großhirn¬ 
funktionen 238. *493. 


Hartmann: Größe der Muskel¬ 
arbeit u. geistige Arbeit 
530. 

Apraxielehre 721. *878. 

Asymbolie, Apraxie, Aphasie 
985. 

Operable Hirnerkrankungen 
962. (963). 

Maß der psych. Tätigkeit 

1102 ( 1102 ). 

Harttung: Behandl. von Stö¬ 
rungen des Nervensyst. 
auf syphil. Grundl. 815. 
*879. 

Harvey: *1039. 

Haeebrock: (48). 

Hasenknopf: Plötzliche Er¬ 
blindung im Kindesalter 
362. 

Hashimoto: Scbußverl. periph. 
Nerven 467. 

Haäkovec: Basedow 218. 

Exophthalmus bei Basedow 
219. *333. *835. 

Hateber: *880. 

Hatschek: Nucleus ruber 870. 

Hay: *878. 

Ischiastherapie 1126. 

Haymann: *496. 

Angeborener Verbrecher 729. 

Head: Gefühlsempfindungs¬ 
bahnen 705. *781. 

Heber: Elektrotherapie 41. 

Hecht: *494. 

Hegar: *836. 

Hegler: *335. 

Hegyi: Dem. praec. 492. 

Heilb ronner: Paralyse 37.*189. 
*192. *334. 

Gehäufte kleine Anfälle 365. 
(471). (473). 

Agrammatismus 718. 

Melancholie 864. *879.(920). 
(973). (975). *1037. *1040. 

Heine: Otitische Hirnerkrank. 
175. 

Heinemann: *879. 

Aufrechter Gang des Men¬ 
schen 897. 

— W.: Hemiatrophia faciei 
1072. 

Heinze: Basedow 224. 

Heiser: *878. 

Heitz: *189. 

Hintere Wurzeln 758. 

Held: Entwickl. der Ganglien¬ 
zellen u. Bau der Neu- 
roglia 1079. 

Heller: *190. 

Beschäftigungstherapie bei 
abnormen Kindern 591. 
*788. 

Hellpach: (680). *1037. 

Das Unbewußte 1087. 

Hempel: *1036. 

Henkel: *495. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1190 


Henneberg: '"882. 

Intelligenzprüfung 378. 
(732). 

Henry: *788. 

Henschen: *781. 

Henze: *192. 

Hercz: Forena. Bedeutung der 
Hysterie 491. 

Hermann: *783. 

Herrin^-. *331. 

Sensible Leitung im Rücken¬ 
mark 571. 

Hertel: *833. 

Herxheimer: *1036. 

Herz: *334. *496. *880. 
Herzog: Vibrationsgefühl 168. 
*189. 

Hesdörffer: *1038. 

Hess: (91). (144). *189. *335. 

(773). (776). (975). 
Heubner: (94). 

Heuking: *190. 

Heumann: *836. 

Hevesi: Sehnenplastik 139. 
Hewlett: *1038. 

Hey: *784. 

Heyde: Carcinose des Central¬ 
nervensystems 172. 
Heymans: *191. *783. (942). 
Klassifikation der Charak¬ 
tere. 944. 

Heyn: Atiol. der Idiotie 522. 
v. Hibler: *1037. 

Higier: Schweißanomalien bei 
Rückenmarkskrankb. 19. 
*334. 

Famil. amaurot. Idiotie 675. 
Hilbert: Stiohverletznng des 
Rückenmarks 78. 
Hildebrandt: Kpendymärc Gli¬ 
ome 173. *189. 
Hillenberg: *1039. 

Hilty: *189. *332. 

Hirose: Erythromelalgie 285 
Hirsch, K.: Medianusverletz. 
466. 

Hirschberg, A.: *333. 

— R.: Therapie der Tabes 
1097. (1145). 

Hirschfeld: *192. 

Jahrbuch für sexuelle Zwi¬ 
schenstufen 416. *879. 
Hirschl: (477). 

Medianusverletzung 477. 
Dem. praec, u. Syphilis 871. 
(871). 

His: (629). 

Hitochmann: (871). 

Hnatek: *190. 

Raynaud 283. 

Hoohe: Folgen der Uufall- 
gesetzgebungen 625. (631). 
Hochheim: *493. 

Hock: *494. 

Hockauf: *336. 

Hodgson: *1037. 


Hoeflmayr: *333. 

Zungenneuralgie 1125. 1 

Hoehl: lürmschädel-Röntgeno- 
gramme 1081. (1082). 
Hofftuann, A.: *190. 

Hoffmann (Düsseldorf): (627). 
Hofmann, F. B.: *1036. 

_ T . *109 

Hogel: (1149). 

Hohlbeck: *191. 

Hohn bäum: *192. 

Hoke: *495. 

Holden: Frühdiagnose der Pa¬ 
ralyse 37. 

Hölker: *1087. 

Sporadische Cerebrospinal¬ 
meningitis 1173. 
Holländer: *783. 

Holmes: *191. 

Famil. amaor. Idiotie 675. 
*780. 

Sekundäre Degener. 898. 
Holmgren: Struma 220. 
y. Holst: *336. *783. *878. 
*1038. 

Holterbach: *880. 

Holub: Wir u. die Öffentlich¬ 
keit 1101. 

Homburger: Faserige pathol. 

Neuroglia 1139. 

Homön: *191. *334. 

Hönck: Sympathicus bei Erkr. 
des Wurmfortsatzes 282. 
*494. 

Höniger*. (966). 

Honigmann: Kriegsneurosen 
425. 

Honl: *332. 

Hoorweg: *1036. 

Hoover*. *1038. 

Hopf: *1040. 

Hopkins: *494. 

Hoppe: Bebandl. der Geistes¬ 
kranken 81. *189. *192. 
Proponal bei Epilepsie 324. 
*334. *493. *1039. 
Horoszkiewicz: *189. 

Horsley: *781. 

Horstmann: *335. 

Horvath: Cerebrale Kinder¬ 
lähmung 138. 

Hösel: *192. 

Strafrechtl. Zurechnungs¬ 
fähigkeit der Hysterischen 
368. 

Hovorka: *1039. 

Howard: *878. 

Hübener: *1037. 

Hübner: *334. 

Pupillenreaktion 353. 
Involutionsmelancholie 531. 
*1038. *1040. 

Hudovernig: *190. *192.*1036. 
Huet: Neuritis durch Creosot 
60. 

Hüfler: *192. 


Digitized by 


Gck igle 


Huguenin: Wurzel des N. IX 
u. X 1119. 

Huismans: *191. 

Famil. amaor. Idiotie 427 
u. 676. 

Halles: Sensible Wurzeln in 
Med. oblong. 757. 
Hummel: *190. 

Hummelsheim: Pupillenstud. 
852. 

Hunt: *493. *1038. 

Hunter: *781. 

W irbelsäulcnverstcif. 1022. 
Hutinel: *1036. 

Hyslop*. *1039. 


Ibba: *191. 

Idelsohn: *783. 

Ikegami: Ursprung d. Lungen* 
vagus 756. *780. 

Ilberg: Geisteskrankheiten 827. 
*879. 

Imhofer: Ohrmusehel bei 
Schwachsinnigen 526. 
Imora: *191. 

Infeld: (237). *1037. 

Ingbert: *495. 

Muskeldystrophie 1070. 
Ingegnieros: *189. 

Ingram: *782. 

Irel&nd: *191. *783. 

Zunahme von Nerven- und 
Geisteskran kh. 985. 
Isakowitz: Traumat. Abdn- 
censlähmung 518. 

Isemer: *495. 

Isbihara: *189. 

Schluckreflex 609. 
Issailowitch-Duscian: *190. 
Isserlin: *880. *1039. 

Istvän: Myoklonie 1062. 
Iveziö: *784. 

Iwanow: Vaguslähmung bei 
Syringobulbie 1115. 


Jach: Laevulosurie u. Para¬ 
lyse 40. *335. 

Jackson: *780. *781. 

Jacob: Landrysche Paralyse 
u. Hysterie 264 u. 299. 

Jacobi: Tetanie u. Schilddrüse 
488. *494. 

Jacobs: *783. 

| Jacobsohn, L.: Hintere Wur¬ 
zeln des Conus medullaris 
, 386. *493. (535). (613.U 

(686). (1130). 

— Ludwig: Sexuelle Enthalt¬ 
samkeit 416. *783. 

| Jacoby: *781. *878. 

| Jacquin: *495. *880. 

! Jadassohn: *494. 
i Jagitta: Ursprung des Lungen- 
vagus 756. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1191 


Jahrmärker: *1040. 

Jakowenko: *494. 

v. Jakgeh: Manganintoxikation 
424. 

Jalaber: Myopathie and Myo¬ 
tonie 1097. 

Janet: Entstehen der Hysterie 
933. 

Janknra: *877. 

Janowski: *781. 

Interkostalneuralgie 1125. 

Jansens: Hypermnesie bei Im- 
becillität 591. 

Jansky: *782. *1040. 

Jardini: *493. *780. 

Jasper: *332. 

Jastrow: *783. 

Jastrowitz: *1038. 

v. Jauregg: *190. 

Behandl. des endem. Kreti- 
nismns 227. *494. *783. 

Mariner Kretinismus 226. 
(238). (240). 

Kretin. Hand 475. (476). 
(478). 

Unzurechnungsfähigkeits- 
paragraph 872. 

Jcdliifka: Operat. Ther. der 
Epilepsie 325. 

Jelgersma: Bildung u. Nerven- 
affektionen 929. 

Hirndarchschnitte 931. 

Hysterie 933. 

Jelliffe: *782. 

Jellinek: Elektr. Unfälle 182. 
*336. *782. 

Jendrässik: Psych. Vorgänge 
194 u. 254. 

Jenkel: Heterotopie d. Rücken¬ 
marks 383. 

Jevers: *780. 

Cerebrospinalmeningiti8 

1174. 

Jezierski: *782. 

Jodl: Wahrnehmung u. Vor- 
Stellung 942. (943). 

Joffroy: *495. *880. (1033). 

Jogischess: *1038. 

Jollasse: Hypophysistumor 
734. 

Jolly, W. A.: Funktion der 
Schilddrüse 214. 

Jonas: Allochirie 939. 

Jones: *191. *333. 

Mikrocephalie 405. *493. 

Taktile Aphasie 709. *781. 
*783. *1038. *1040. 

Jordan: Ligatur der Carotis 
381. 

Joteko*. *495. 

Joulia: *784. 

Jourdan: *192. 

Syphilis n. Paralyse 770. 

Julinsburger: (143). 

Behandl. der forens. Alko- 
hollsten 236. 

Digitized by Gougle 


Jung: *191. *384. *495. *496. 

Hysterie 933. *1036. *1039. 
Juquelier: *1040. 


Maan: (1149). 

Kaes: *492. 

Großhirnrinde 703. 

Kagi: *192. 

Kahaue: *880. 

Kalb: *877. *878. 

Kalischer: Schläfenlappenfunk¬ 
tion 309. 

Kalmus: *335. 

Kalt *. *334. 

Kämmerer: *1088. 

te Kamp: *877. 

Kappers: Verlagerangen der 
motorischen Oblongata- 
kerne 834. 939. 

Karplus: Variabilität u. Verer¬ 
bung am Centraineryen¬ 
system 167. 

Kattwinkel: *1038. 

Kaaffmann: *189. *783. 

Angstpsychose u. Diabetes 
1082. 

Kausch: *782. 

Kayser: *1040. 

Keen: *494. 

Kellner: *334. 

j Kentzler: Tetanus traumaticus 
31. 

j Rückenmark nach Blutinjek¬ 
tion 573. 

Kepballinos: Gelenkrheuma t , 
Chorea u. Endocarditis 
1064. 

Kern: *495. 

Kernig: *877. *1037. 

Kernig sches Symptom 1172. 

Kerris: 1040. 

v. Kötly: Tabes u. Syphilisbe- 
bandlung 26. *333. 

Myasthenie 672. 

Kilvington: *1086. 

Kindler: Physik. Beh. der Ta¬ 
bes 765. *781. 

King: *334. *781. 

Kirby: *335. 

Kitagawa: *188. 

Klare: *333. 

Kleist: Motilitätspsychos. 534. 

Kortikale Apraxie 721. *877. 

Klempner: *189, 

Klien: Rhythm. Krämpfe der 
Schlingmuskulatur 245. 

Gesichtsieldeinengung 363. 
*494. 

v. Klimpely: *494. 

Kling: Rückenmarkstumoren 
585. *781. 

Klinke: *783. 

Klippel: *493. *1038. 

Kluge: Fürsorgeerziehungf)27. 
(529). 


Knapp: Worttaubbeit 532. 
bil. Sensibilitätsstör, am 
umpf 813. 

Knauer: Paralyse? 37. 

Pseudotumor 636. 

Knauth: *493. 

Kneidl: Idiotie 522. 

Knobel: Dysenterie in Anstal¬ 
ten 1076. 

Knust: *334. *495. 

Familiäre Fürsorgepflege für 
Trinker 909. 

Koch: *783. 

Köcher: *190. 

Kochmann: *188. 

Koelichen: *332. 

Tumor mediastini u. des 
Rückenmarks 587. 

Syringomyelie 875. 

Kohn: *784. *878. 

Kohnstaram: Vagusursprünge 
403. 

Behandl. der Verstopfung 
427. *779. (922). (924). 

Med. oblong. 967. 

van der Kolk: Hypermnesie bei 
Imbecillität 591. 

Kollarits: *495. *1038. 

Kölpin: Sy ringomy elie 71. * 191. 

Erweichung in d. Med. ob¬ 
long. 670. 

Kohts: Kleinhirntumor 134. 

Kollarits: *876. 

Konräd: Unterbring.Geisteskr. 
in Ungarn 430. 

Retrograde Amnesie 490. 

*782. *1040. 

Kopczyfiski: Jacksonsche Epi¬ 
lepsie 874. 

Einseitige Erkr. sämtl. Hirn¬ 
nerven 874. *877. 

Koplik: *780. 

Köppen: Idiotie mit cerebr. 
Kinderlähmung 136. *879. 
*1039. 

Simulation bei Geisteskran¬ 
ken 1076. 

Kornfeld: Sklerodermie u. Base¬ 
dow 217. *335. 

v. Kornya: *335. 

Korolkow: Jodipin 816. 

Kosaka: *1036. 

Köster: Tumor der Rücken¬ 
markshäute 582. *781. 

Fehlen derPatellarreflexebei 
Hysterie 857. *877. *878. 

Kotzenberg: *1039. 

Kouindjy: *333. 

Kovalevsky: Epilepsie u. Mi¬ 
gräne 314. *335. 

Kraepelin: Lehrbuch der Psy¬ 
chiatrie 177. (474). 

Krajewski: Schußverletz, des 
Rückenmarks S73. 

Kral: Angstznstände 366. 

Kramell: Iiellexepilepsie 311. 

Original from 

UNIVERSITV OF CALIFORNIA 




1192 


Kramer: *781. (1102). 

Krause: *879. 

Krause, A.: Chron. Steifigk. 
der Wirbelsäule 1020. 

Krause, F.: *382. *333. 

Rückenmarkslähm ungen 
383 u. 424. 

Chir. Ther. der Hirnkrankh. 
916. (918). (968). (967). 
*1037. 

Arachuitis adhaesiva cerebr. 

1169. 

Krauss : N euro tische Muskelatr. 
1071. 

Krehl : *384. 

Kren: *190. 

Kreuser: *885. 

Kreuzfuchs: *782. 

Krieger: *878. 

Krogli: *189. 

Krohne: *493. 

Krokiewicz: *494. 

Krön: *876. (968). (971). 
*1039. 

Kroner*. Bahnung der Patellar- 
reflexe 700. 

Krönig: *190. 

Kunstgriff zur Erzeugung 
des Kniereflexes 856. 

Krönlein: Exstirpation eines 
Hirnglioms 174. *332. 

Kronthal: *188. 

Schlaf 553. 

Neutralzellen 667. 

Kroph: *493. 

Krotes: Pflegerausbildung in 
Amerika 980. 

Krougb: *190. 

• Krückmann: (974). (975). 

v. Krüdener: *332. 

Krüger: *335. *496. 

Bromural 865. 

Kryfiski: Jacksonsche Epilepsie 
874. 

Kubo: *331. 

Kuhn: Diät bei Tetanie der 
Kinder 282. 

Kühne: Bezold- Edelmann sehe 
Tonreihe 965. (967). 

Kühner: *880. 

Kulemann: *192. 

Kummer: *1039. 

Kunow: Verdeutschung 683. 

v. Kunowski: *784. 

Entlass, geisteskr. Rechts¬ 
brecher 826. 

Kürbitz: *190. 

Knrella: Gesundheitsscbäd. am 
Telephon 516. 

Küster: *495. 

Kutner: Polyneurit. Psychosen 
457. 

Transkortikale Tastlähmung 
708. *780. *781. 

Reflexe im Schlaf 857. 

Kutscher: *189. *332. 

Digitizer! by Gougle 


Kutscher: Mikrocephalus u. 
Encephalocele 801. *876. 
*1037. 

Kwascha: *191. 


üabhardt: Nerven in der Sub¬ 
stanz des Uterus 166. 
Lachmund: *335. *877. 

Klon. Gaumenkrampf 1060. 
Ladame: *332. 

Diffuse Hirnsyphilis 1095.* 
Laehr: ßeschäftigungsther. f. 
Nervenkr. 239. *336. 
Heilerfolg der Anstalten für 
Nervenkranke 369. 
v. Lagiewski: Chron. ankyl. 

Wirbelsäulenentz. 1021. 
Lagriffe: *192. 

Laignel-Lavaatine: *189. *192. 
Neuronophagie 310. *331. 
*493. *783. 

Lambrior: Amyotr. Lateral¬ 
skier. 78. *189. 
Emotionelle Gelbsucht 365. 
Lamini&re: *1037. 

Lamy: *493. 

Pseudobulbärparalyse 671. 
*877. *1087. 

Landesberg: *494. 

Landois: *493. 
de Lange: Anatomie 930. 
Lange, F.: Huntingtonsohe 
Chorea 1066. 

— J.: Neuralgiebehandlung 

423. 

Langelaan: *877. 

Langenbach: *1037. 
Langmead: *780. 

Lapicque: *331. *1036. 
Lapinsky: Tabes 27. 
Hallucinat. Verwirrth. bei 
Tetanie 146. *189. *191. 
*498. 

Reflexe nach Rückenmarks- 
durchtrennung 576 u. 577. 
*781. 

Läsionen der hinteren Wur¬ 
zeln 1011. 

Lappois: Spinale Syphilis 611. 
Lapponi: *191. 

Laquer, B: *334. 

Krankheiten im Brauerge¬ 
werbe 517. 

Trunksucht 681. *879. 
Alkoboliamus im Orient 904. 

— L.: *192 (529). (631). *783. 

*784. *1039. 

Laqueur: *190. *1040. 

Lardy: *878. 

Larionoff: *331. 

Feine Struktur u. Färbungs¬ 
methode des Hirns 894. 
*1036. 

Laroche: Tremor mcrcurialis 
458. *496. 


Lasalle: *492. 

Lasarew: *1038. 

Latreille: Meni ngocerebellitis 
bei Paralyse 1145. 

Lattes, *192. *784. *877. 
Lauschner: Quinquaud sehea 
Zeichen 904. 

Läwen: *331. *334. 

Lazar: Hilfsschule f. Schwach¬ 
sinnige 1152. 

Lazarus: *189. (732). 

Löal: *1040. 

Lechner: *495. 

Lecomte: *332. 

Ledderhose: *191. 

Lederer: *1036. 

Leers: *191. 

Exhibitionismus 978. 
Lehmann: *782. 

Lebndorff: *1038. 

Lehrmann: *1040. 

Löjonne: Erkrank, der Pym- 
midenbahn 78. *190. 
Syringomyelie 328. *332. 
*334. 

Ascendierende Neuritis u. 

Rheumatismus 455. 
Myasthenie 673. *781. *877. 
*878. *1038. 

Lemaitre: *783. 

Lemberger: *1036. 

Lemoine: *191. 

Eisen bei Neurasthenie 421. 
Lemos: Infantilismus 225. 

Melanch anxiosa 1028. 
v. Lenhossek *331. 

Lenoble: Nystagmus-Myodo- 
nie 592. 

Löpine: *333. *1037. 
Leppmann, A.: Zwangsvorstel¬ 
lungen 613. *1039. *1040. 

— F.: *191. 

Lercbenthal: *333. 

Löri: *189. *880. 

Leroy: Kleptomanie bei Hyste¬ 
rie 1147. 

Lesern: *191. 

Leszynsky: *1037. 

Leubuscher: *782. 

Leuven: Basedow 223. 
Levaditi: *496. 

Syphil. Antikörper bei Paral. 
u. Tabes 817. *1040. 
Levassort: Basedow 221. 

Levi: *780. *677. 

— E.: Myasthenie 671. 
Hintere Röckeumarkswur- 

zeln 757. 

— L.: Scbilddrüsenneurasthc- 

nie 329. 

Levi-Bianchini: *191. 

Katameniale Epilepsie 317. 
L6vi: *333. *1038. (1096). 
Scbilddrüsennervosität 1099 
( 1100 ). 

Levinsohn: *493. *780. 


Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1193 


Levinsohn: LidreHeie 852. 

I..evy: *494. 

Lew»Ddowsky : Athetose 
double 137. *331. (539). 

Apraxie des Lidschlusses 
720. *877. 

Farbeusinn bei Herderkr. im 
Hirn 938. 

Akute multiple Sklerose 1101. 
*1037. 

Funktionen des centralen 
Nervensystems 1165. 

Lewin, J.: *190. 

Lewis: *188. 

Lewit: *190 

Lewitt: Geschlechtliche Ent¬ 
haltsamkeit 416. 

Ley: Niederländ. Pflege 980. 
(984). 

v. Leyden: Krebsgeschwulst 
des Kreuzbeins 580. 

Kompressionsmyel. 1024. 

Lhermitte: *332. *338. *781. 
*1038. 

Libensky: Spontan frakturen 
75. 

Lieben: *188. 

Liebers: *494. 

Liebrecht: (41). (772). 

Liebscher: Liquor cerebrospin. 
bei Geisteskranken 32. 

„Ganser“ 238. *335. *878. 

Liefmann: *192. 

Liepman n: Sensor ische A phasie 
143. (234). (236). 

A phasie u. Apraxie473. (474). 
(687). *877. 

Asymbolie, Apraxie, Aphasie 
935. (937). 

Ligouzat: *780. 

Likudi: *192. 

Lilienstein: (972). 

Linbart: *880. 

Link-. Muskelton 639. 

Linsmayer: (478). 

Lipschitz: *333. 

Aberrierende Bfindel bei 
Facialislähm. 380. *1038. 

Lissmann: Fußrückenreflex 
859. *877. 

Lissowsky: *494. 

Resektion des 2. u. 3. Tri- 
geminusasteB 1124. 

Littlejobn: *1039. 

Lloyd: *331. 

Loeb: *493. 

Loehlein: *1037. 

Loewe: Operation an der Hypo¬ 
physis 615 u. 842. 

Loewentbal: Tetaniebehand¬ 
lung 281. *334. *1038. 

— Max: Syphilis und progr. 
Nervenschwund 434. 

Loewy: *335. 

Löffler: (1149). (1150). 

Lohmann: *331. 

Digitized by Gougle 


Lombroso: *335. *495. *784. 
*879. 

Lomer: Witterungseinflüsse bei 
Epilepsie 316. *495. *782. 
*783. 

Schädelmaße u. Beruf 1058. 
van Londen: *190. 

Long: *781. *878. 

Cerebrale Ageneaie 1094. 
Tabes 1096. 

Longard: Moral insanity 914. 
Lorenzi: *879. 

Lortat-Jacob: *494. 

Lorthiois *192. 
Augensymptome bei Paralyse 
822. 

Louriö: Reizungen des Klein¬ 
hirns 652. 

Löwe: Freilegung der Hypo¬ 
physis 615 u. 842. 
Löwenstein: *782. 

Löwenthal: (968). 

Löwy: *190. 

Lucas: *331. 

Lüders: Syringomyelie 74. 
Ludwig: *877. 

Rückenmark bei Mening. 
cerebrospin. 1171. 
Lugaro: *188. 

Lugenbühl: Myaton. congen. 
1067. 

Lugiat: *191. 

Lugiato: *496. 

Lukäcs: Myoklonie 1062. 

I Lundgreen: *333. 

Lunn: Hirntumor 173. 
Lutaud: Idiotie 524. 


Maas: Hyster. Sprachstörung 
363. 

i Artikulationsstörung 409. 
*493. 

Multiple Tumoren 731. 

Apraxie u. Agraphie 789. 

Mabon-. Freiluftbehandl. 984. 

Macdonald: *189. 

Elektrokution 938. 

Behandl. Geisteskr. i. Staate 
New-York 990. 

Macewen: *189. 

Mackenzie: *877. 

Mackey: *191. 

Mackintosh: Mult.Sklerose 805. 

Macnamara: Landrysche Para¬ 
lyse 459. 

Maeder: *335. *879. 

Magnus: Basedow 224. *333. j 
*877. 

Magri: *332. 

Mahaim: Aphasie 1093. (1094) 1 

Maillard: Hirntumor 172. 

Majano: Verdoppelung der Per¬ 
sönlichkeit 368. 

Makaroff: *876. 

Mailing: *334. | 


Malloizel: *879. 

Malm: *495. 

Manasse: *1039. 

Mandel: Irrenabteilungen 431. 
Paranoide Psychosen der 
Trinker 907. 

Mann, I,.: *495. *496. 

Myotonie 677. 

Elektromedicin. Apparat 866. 

*879. 

Coutract. bei Hemiplegie 
938. (966.) 

Mann (Mannheim): Psych. Auf¬ 
gaben der Gemeindenll35. 
v. Man teuffei: Ärztl.Tätigk.auf 
dem Schlachtfeld 521. 

Mantoux: *781. 

Hypothermie inf. Migräne 
bei Tuberkulösen 1123. 
Marandon de Montyel: *192. 

Zwillingsirresein 415. 

Marbe: *190. 

Reflexe bei Hemiplegie 427. 

*784. 

Marburg: Hypertrophie des 
Gehirns 169. (239). (240). 

*331. 

Altersveränderungen der 
Hirnrinde 475. *781. 

Marchand: *191. *332. 

Entzünd. derNervenwurzeln 
bei einer Stute 760. 
Hypothermie 1145. 

Marcowicb: *332. 

Marcus: Verwirrtheitszust. auf 
syphil. Boden 933. 

Marguliös: Ideator. Apraxie 
720. *780. *1039. 

Mariani: *335. 

Marie, A.-. *496. 

Syphil. Antikörper bei Paral. 

u. Tabes 817. 

Geisteskrankh. nach Kopf- 
verl. 983. 

Familienpflege 984 n. 992. 

*1040. 

Geisteskr. u. Tuberk. 1075. 
Tnberk. Ophthalmoreakt b. 
Geisteskranken 1147. 

— P.-. Syphilit. Araber u. Para¬ 
lyse 35. 

Mal perforant u. Paralyse 
39. *189. *192. 

Demenz 286. *335. 

Ponsblutung 411. 

Eunuchen n. Erotismus 418. 

*493. *495. 

Subkortikale Aphasie 710. 
Aphasiefrage 712. 

Funktion der Sprache 714. 

Seniles Gehirn 715. 

Brocasche Aphasie 715 u. 

716. 

Erweichungsherd in F a 716. 
Marina: Alexie u. Agraphie 
nach Trauma 882. 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1194 


Marinesco: *833. *493. 

Regeneration des Rücken¬ 
marks 574. 

Nervenregeneration 665. 
*780. *876. 

Kerne des Vagus 894.* 1036. 
*1037. 

Ganglien u. hintere Wurzeln 
bei Tabes 1096. 

Marrassini: *781. 

Marriera: Leitung der Anstal- 
stalten u. Staatsaufsicht 
983. 

Marro *. *784. 

Martin: *495. *878. *1040. 

Chorea gravidarum 1066. 

Martini: *189. 

Marx: *192. (376). *879. 

Masiui: Epilept Mörder 822. 
*784. 

Masiny: *189. 

Mason: *495. 

Massagl ia: Parathyreoi dec t o- 
mirte Hunde 513. 

Massalongo: *1039. 

Massei: *333. 

Massenti: Entfernung d. Schild¬ 
drüse 215. 

Matiegka: Hirn u. Beschäftig 
gang 23. 

Mattauschek: *782. 

Hysterischer Dämmer* j 

zustand 870. j 

Rasseneigentümlichkeiten 
Bosniens u. der Herzego¬ 
wina 921. | 

di Mattei: *781. *1036. 

Neurofibrillennetz u. Ver- \ 

fäulnis 1059. 

MatthieB: *496. 

Maurer: *782. 

Maxweiler: *495. 

v. Mayendorf: *332. 

Leitung vom opt.zumkinäst- 
thet. Rindencentrum 722. 

Eintritt der Sehbahn in die 
Hirnrinde 786. *877. *1037. 

Mayer*. Basedow 223. *833. 
(1102). (1103). 

Mayor: *880. 

Mayr: Magensaftsekretion bei 
Geisteskranken 1073 u. 
1102. (1103). 

May weg: *1039. 

Me 9 zkowski: Aneurysmen der 
Hirnarterien 412. 

Medea: *190. 

Parenchymat. Neuritis 454. 

Neuritis bei Geisteskr. 457. 

Meeus: Myotonie 677. 

Familienpliege 992. 

Meier, G.: Serumdiagnostik bei 
Lues 818. 

Mcisl: *495. 

Meitzer: *331. 

Vagusreizung 849. 


Meitzer: Optikusatrophie u. 

Turmschädel 1081.(1082). 
Mende: *333. 

Spondylitis tuberc. 1026. 
Mendel, E.: (143). *835. 
Revision des § 51 372. 

(377). 

Gicht u. Psychose 681. 

— K.: Nekrolog 593. (615). 
*879. (1130) 

Mendelsohn: Diät bei Tetanie 
der Kinder 282. 

Mendicini Bono: 1091. 

Mennell *493. 

Mercadö: *495. 

Mercier: *191. 

Geschmacksillnsion 1147. 
Mercklin: *385. 

Mergler: *1039. 
v. Mering: *496. 

Merk: *878. 

Merzbacher: Körnchenzellen 
472. 

Famil. Erkr. des Central- 
nervensystemB 1139. 
v. Meyei: *1089. 

Meyer, E.: *191. *494. 

Hysterie u. Invalidität 515. 
(529). 

Amyotr. Lateralsklerose mit 
Hirncysticerken 590. 

Path. Anat. der Paralyse 770. 

*781. *788. | 

Nervensystem Syphilitischer 1 
808. 

Paral. u. Lues cer.-spin. 819. j 
(920). (921). *1089 *1040. j 

— F.: Cerebrospinalmeningitis | 

1173. 

— G.: *1039. 

— O. B.: Fnßrückenreflex 859. 

, *1038. 

! — S.: *832. 
j Der Schmerz 683. 

! Meyers: Asyle in großen Städten 
982. 

Meynier: *388. 

Myoklonie 1062. 

Mezie: *495. 

Mickle: *192. 

Mignot: *496. 

Graph. Stereotypie 725. 
Angenstörungen bei Para¬ 
lyse 822. *880. *1040. 
Atoxyl bei Paralyse 1146. 
Hyperhidrose bei Dem. prae¬ 
cox 1146. 

Kanthai idennephritis u. Al¬ 
koholdelir 1146. 

Milhit: Hirntnmor 172. 

Miller: *877. 

Mills: *188. *191. *332. 
Sensibilitätslokalis. i. d. Hirn¬ 
rinde 1010. 

Milner: Raynaud 285. 

Minea: *333. I 


Minea: Regener. des Rücken¬ 
markes 574. 1037. 

Ganglien u. hintere Wurz, 
bei Tabes 1096. 

Mingazzini: *331. *333. *491 
*781. (922). (965). 

Transkortikale Aphasie 969 
(973). (975). 

Spondylose rhizomel. 1021. 

Minkowski: *1037. 

Minnich: (487). 

Minor: *876. 

Quinquandsches Zeichen 904. 

Miodowski: *332. 

Mirallie *332. 

Kaumuskeln bei Hemiplegie 
409. 

Mvopathie u. Myotonie 1097. 

v. Miram: *188. *190. 

Mitchell: *782. 

Mittermaier: *496. 

Miura: Beri-Beri 458. 

Miyake: Alters Veränderungen 
der Hirnrinde 168. *1040. 

Möbius: Schumanns Krankheit 
232. *335. *495. 

Moeli: Anstaltsbauten 82. 

Zurechnungsfähige Minder¬ 
wertige 233. (235). (236 i 
(374). (379). 

Moffitt: Lepra n. Syringomyelie 
75. 

Moher : *880. 

Mohr: Zeichnungen von 

Geisteskranken 414. *495. 

Mohnnann: *1038. 

Moll, A.: *336, *783. 

Mollard: *783. 

Möller: (687). *780. 

v.Monakow: *332. (918). (922;. 

Asymbolie, Apraxie, Aphasie 
934. 

Mondino: *494. 

Reflex bei Facialiskontraktoir 
855 

Mondio: *782. 

Mönkem oller: *835. 

Geisteskrankheit in Satire, 
Sprichwort n. Humor 86$. 
*876. 

Monro: *190. 

de Montel: *876. 

Monteverdi: *191. 

Montier: Ponsblntnng 411. 

Brocasche Aphasie 715 u. 
716. 

ErweicbungBherd in F 716. 

Kyphose bei einem 'fuber- 
knl. 1024. 

Monzardo: *784. 

Moon: *191. 

Moravcsik- (186). 

Motor. Bigentfiml. d. Geistes¬ 
krank. 428. (480). (490). 

Mörchen: *190. 

Moreira: *1039, *1040. 


Digitizedl 


bv Google 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1195 


Morel: Geisteskranke Verbre¬ 
cher 981. (984). 

Morelli: *332. 

Morgan: *334. 

Morgenroth: *783. 

Syphil. Antikörper b. Para¬ 
lyse 818. 

Moriyasn: Fibrillen bei Para¬ 
lyse 819. *1040. 

Moritz: Dncbene-Erbeche Läh¬ 
mung 465. 

Morselli: *332. *498. 

Tuberkulose u. Geisteskrank¬ 
heit 1075. 

Moriz: (628). 

Morro: Psychol. der Pubertät 
940. 

Morton Prince: Dissooiation 
einer Persönlichkeit 215. 
*332. 

PlötzL Bekehrung 1059. 

Tic. 1063. 

Moschcowitz: *190. *494. 

Moses: *385. 

Idioten fürsorge 534. 

Hilfsschule: 591. 

v. Mosetig-Moorhof: *1040 

Moskowicz: *878. 

Mosny: *879. 

Mossaglia: *190. 

Mosse: Basedow 220, *494. 

Motschutkowsky: *190. 

Ätiol. der Tabes 761. 

Mott: *191. 

Beschälkrankheit 573. *780. 
*781. *782. *783. 

Chron. Geistesstör, durch 
Alkohol 930. 

Hirnrinde bei Halbaffen 939. 
*1037. 

Montier: *189. 

Moxon -. *332. I 

Muggia: *880. 

Müller, Arthur: Kopfform u. 
Geburtsmechanism. 1009. 

— (Augsburg): Empfindung 

in unsern inneren Orga¬ 
nen 959. 

— Ed.: *332. 

Friedreich sehe Krankheit 
767. *781. 

Paraplcgie nach Tollwut¬ 
schutzimpfung 1080. 

— L. R.: *833. *782. 

— 0.: *780. 

Müller-Kannberg: *1038. 

Munk: Funktionen des Klein¬ 
hirns 214. *492. 

Munson: *878. 

Münsterberg: *788. 

Murat: *332. 

Muratoff: Nebennieren bei 
periodischem Irresein 727. 

Murphy: *781. ! 

Muskens: Fürsorge für Epilep- | 
tische 986. { 

Digitizeö by Google 


Muskens: Exstirp. des Floccu- 
lus 1030. 

Muthmann: *879. 

Mygind: *190. 


Machsidow: *192. 

Näoke: Ein Knabe als Predi¬ 
ger 80. 

Verbrechen u. Homosexuali¬ 
tät 141. 

Entartung der romanischen 
Völker 285. *338. 
„Crampus“ u. „Krampf“ 546. 
Wadenkrämpfe im oriental. 

Gebiete 792. 
Familienmord 977. 
Kontrastträume 1012.*1040. 
Plötzl. Bekehrungen 1058. 
(1082). 

Nadedje: *332. 

Nagelschmidt: Hochfrequenz¬ 
ströme 867. *1040. 
Nageottc: Nervenregeneration 
24. *780. 

Naka: Erkrank, der Pyra¬ 
midenbahn 77. *189. *493. 
Patb. Anat. der Paral. agit. 
1060. 

Nambu: *493. 

Mult. Sklerose 803. 

\ Lues cerebrospin. 812. *879. 

| Hämangiom im Pons 1162. 

! Narbut: *1038. 

Nedwill: *332. 

Negro: *190. *333. *494. 
Kleinhirnlokalisation 571. 
Abadieschea Symptom 765. 
*781. 

Neisser: *191. (378). 

Erbliches Zittern 679. *880. 
Hirnpunktion 915. (918). 
Nepallek: CentraleTypose476. 
Nerlich: *334. 

Neter: *191. 

Neu: *189. *1039. 
v.Neumann: Lepra 75. 
Neumann, E.: *1036. 

— Max: Paralyse 34. 
Otitische Facialisparcscn 
461. (1137). 

Neumark: *333. 

Neurath: Angeb. Oculomoto¬ 
riuslähmung 475. *780. 
*877. 

Newmark: *334. 
Ascendicrende Lähmung589. 
Familiäre spast. Paraplegic 
676 

Mc Nieholl: *495. 

Nickolauer: *1038. 

NicolaYdcs: *780. 

Nielsen: *493. 

Nienhaus: *878. 

Veronalvergiftung 900. 
Niessl: (920). *1037. (1079). 


Nikitin: Psychomotor. Centren 
beim Schaf 70. 

Gehirn u. Milchabsonderung 
187. 

Nissl: Hirnrindenschichtung 
1142. 

Nitzsche: Ohron. Manie 532. 
Noack: Epilept. Schwachsinn 
320. 

Noica: *189. *332. *333. 
Reflexe bei Hemiplegie 427. 
Spastische Tetraplegie 578. 
Taktile Aphasie 709. *781. 
Knochenreflexe 851 u. 852. 
Nolan: *192. 

Noll: *1036. 

Nolte: *784. 

Nonne: Pseudosystemerkr. im 
Rückenm. bei Ale. chron. 
41. (85). 

Mening. cerebrospin. 86. 
Ponstumor 86. (92). 
Primäre kombin. System- 
erkrankung 144. *333. 
Spast. Spinalparalyse 624. 
(628). (738). (735). (774). 
(961). 

Differentialdiagn.des Tumor 
cerebri 961. 

Norris: *878. 
v. Nottbaft: *880. *1040. 
Nouet: Schwangerschaftsdelir 
1146. 


Oberndorfer: *780. 

Oberndörffer: Hirnabsceß 175. 

*189. 

Stoffwechsel bei Akromega¬ 
lie 731. 

Obersteincr: (475). 

Oberwarth: Turraschädel 405. 

*10QQ 

Obraszoff:' *783. 

O’Brien: *880. 

O’Cdnnor: *189. 

Oeconomakis: Marathonläufer 
tu ihre Sehnenreflexe 498 
u. 563. 

Heterotopie des Nueleus 
areuatus 1158. 

Dementia praecox 1177. 

Gehler: *1038. 

Oesterreich: *191. *495. *783. 

*879. 

Oettinger: *334. 

Offergeld: *338. 

Retroflexio uteri u. Ischias 
1125. 

Ohanessian: *191. 

Ohliuacher*. *189. 

Ohm: Gastr. Krisen 29. 

Liquor cerebrospin. 413. 

Einseit. reflektor. Pupillen- 
sfcarrc 852. *1038. 

Olivier: *191. 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1196 


Olivier: Hypothermie 1145. 

Onufrowicz: Epilepsie u. Myo¬ 
pathie 314. 

van Oordt: *496. 

Seler. niult. ocl Lues cerebr.- 
spin. 637 u. 1005. 

Oppenheim(Freibnrg):Rücken- 
mark bei Paralyse 1138. 

— H.: Bornasche Krankheit 
274. *332. 

Nervenkrankheit n. Lektüre 
358. 

Kleinhi rnbriicken winkelge- 
schwülste 536. (537). 

Rackenmarkstnroor538.934. 
(539). (615). *780. (918). 
(961). (963). 

Prognose derNervenkrankb. 
968. *1037. 

Sakrale Form der malt. Skle¬ 
rose 1106 u. 1130. (1130). 

Oppert: *1038. 

Orbison: *877. 

Orr: *780. 

Toxinwirkung aaf Hirn- n. 
Rückenmarksnerven 932. 

Orschansky: *334. 

Ortali: *189. 

v. Orzechowsky: Rückenmark 
nach Amputation 574. 

Kernteilungen in den Vorder- 
hornzcllen 612. 

Osann: *189. 

Bulbärparalyse bei Lipomä- 
tose 670. 

Osborne: *334. *1036. 

08chima: *781. 

Osler: *780. 

Ossig: *781. 

Röntgenbild der Halswirbel¬ 
säule 1017. 

Ovazza: *189. 


Paderstein: *878. 

Pagani: Pott sehe Krankheit 
mit Kernigschem Zeichen 
1023. 

Pagano: *331. 

Pal: Akromegalie 276. 

Palägyi: Reaktionszeit 491. 

Palmer: *189. 

Pänczöl: *781. 

Pändy: (481). 

Gehirn mit lobärer Sklerose 
482. 

Luet. Psychosen 486. (487). 
(488). 

Frühzeit. Gehirndefekte 488. 

Psychiatr. Seltenheiten 490. 

Luet. Brown-Sequard-Läh- 
mung 814. 

Panella: *188. 

Pankratz: (1149). 

Pansier: Augensymptome bei 
Paralyse 821. *1089. 

Digitized by Gck igle 


Pansini: *189. 

Panski: Diplegia facialis 462. 

Paoli: Blut bei Dem. praecox 
913. 

Papadia: *782. 

Pappenheim: *494. 

Paroxysmale Fieberzustände 
bei Paralyse 828. *880. 

Parant: *880. 

Pardo: *788. 

Parhon: *190. 

Melancholie 231. 

Chron.Trophödem 330. *832. 
*782. *878. 

Vaguskerne 894. 

Riesenwuchs 1014. 

Experimentelle Tetanie 1099. 

Parrot: Angensymptome bei 
Paralyse 822. *880. 

Parry: *879. 

Parsons: Encephalocele 668. 

Famil. amaur. Idiotie 675. 
*878. 

Pascal: *885. *783. 

Pastine: *190. 

Pater: Diphther. Lähmung456. 

Patrick: *878. 

Patrizi: Physiologie des Klein¬ 
hirns 131. 

Paul: Cerebrale Elemente der 
Reflexe 850. 

Paulesco: *878. 

Pauli: *336. 

Pawlowskaja: Psycb. Erkr. 
nach polit. Ereign. 81. 

Payr: *383. 

Malum suboccipitale 1025. 

Pazeller: Unblutige Nerven¬ 
dehnung 1127. 

LaPegna:Lumbalpunktion bei 
Geisteskranken 82. *335. 

Peiser: *333. 

Peixoto: *1039. 

Pel: Myasthenie 424. 

Pelletier: Mal perforant u. Pa¬ 
ralyse 39. 

Pelnär: Raynaud 284. 

Pelz: Epilepsie u. Dementia 
paral. 14. *494. *495. 

Period. Bewußtseinsstörung 
nach Trauma 518. 

Myotonie 678. 

Penafiel: *1040. 

Penta: *192. 

Peritz: *334. 

Neurasthen. Kopfschmerz. 
358. *1088. 

Neuralgie, Myalgie 1120. 

Perkins: *877. 

Perpöre: *496. 

Perrero: *190. 

Friedreich sehe Krankheit u. 
Höredoataxie cöröb. 769. 

Perrin-. Arthropathie bei Pa¬ 
ralyse 89. 

Perroncito: *831. 


Pershing: *878. 

Perwuschin: Spondylitis tu- 
berc. 829. 

Petitjean: *783. 

Perry: Akromegalie 276. 
Perusini: *190. 

Peters: Familienpflege 992. 
Petersen-Börstel: Gasvergift 
u. Geisteskrankh. 899. 
Peterson: *1036. 

Petit: *332. 

Mult. Sklerose 806. 
Petrazzani: *782. 

Petrön: *335. *782. 

Pexa: Encephalomyelitis 407. 

*1039. 

Peyri: *879. 

Pfeifer: *493. (917). 

Cysticercus cerebri 969. 
Pfeiffer: *878. 

Pfcrsdorff: Rededrang 634. 
Manisch-depressiv. Irresein 
1142. 

Pfister: *332. 

v. Pfungen: Kortikales Dann¬ 
centrum 453. 

Piccard: *1038. 

Pick, A.: Stat. Tremor 290. 
*335. 

Störungen motor. Funk¬ 
tionen 357. *493. *494. 
Folgeerschein. von Krampf¬ 
anfällen 824. 

Umschriebene Hirnatrophie 
832 n. 990. 

Konventionelle Fixierung <L 
Kniephänomens 855. *877. 
Asymbolie, Apraxie, Aphasie 
934. (974). (976). (1149). 
(1150). 

Pickenbach: *1038. 

Pieraccini: *188. 

Pighini: *192. *495. 

Blnt bei Dementia praecox 

019 

Pike: *881. 

Künstl. Cirkulation n. Hirn¬ 
tätigkeit 895. 

Pilcz: (238). (477). 
Argyll-Robertson 853. (871). 
*1038. *1040. (1108). 
Piltz: Sensibilität bei Paralyse 
287 

Pineles: Tetaniestar 280. *494. 

Kopfschmerz 1122. 

Pinkhof: (980). 

Pirie: *493. 

v. Pirquet: Galv. Unters, am 
Sängling 95. 

Anod. Ü bererregb. der Säug¬ 
linge 468. *492. 

Placzek: *1037. 

Arachnitis adhaesiva cerebr. 
1169. 

Plantenga: *934. 

Plant: *335. 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1197 


Plaut: Serolog. Luesnachweis 
762. *1039. *1040. 
Plavec: *781. 
Ophtbalmopleg.' Migräne 
1122. 

Plehn: *782. 

Podeata: *191. 

Seel. Erkr. in der Marine 
725. *1040. 

Poggio: *493. 

Polimanti: *331. 

Frontallappen 404. *492. 
Pollack: *191. 

Pollak: Entwicklungsanoma- 
lien d. Centralnervensyst. 
572. 

Polland: Vasomotorencentrain 
216. *494. 

Pomeroy: *783. *879. 

Pope: *877. 

Popp: Veronal Vergiftung 901. 
Porot: *332. 

Spinale Syphilis 611. 
Porter: *878. 

PoschariBsky: *493. 

Posey: *1037. 

Posner: *880. 

Potte: *1037. 

Pötzl: (477). 

Delirinm acutum 870. (871). 
Atypische Paralyse 872. 
Alexie 873. (1103). 
Poynton: *191. 

Famil. amaur. Idiotie 675. 
Prandi: *781. 

Preindlsberger*. *333. 

Preiser: (48). 

Prengowski: *381. 

Luft- u.Wasser-Luftdouchen 
420. *496. 

Preobraschensky: Akute Ataxie 
407. 

Pretori: (975). 

Prevost: Experimentelle Epi¬ 
lepsie 1031. 

PriDce: s. Morton Prince. 
Pringle: *780. 

Probst: *335. 

Prunier: *878. 

Praschinin: *190. 

Exstirp. des Gang. Gass. u. 
Gesichtssensibil. 1124. 
Purser: *780. 

Puscarin: Amyotr. Lateralskier. 
78. *189. 

PiiBchmann: Kleinhirnbrücken- 
winkelgescbwulst' 173. 
Pussep: Nikotin n. Blutkreis¬ 
lauf im Gehirn 903. 
Putnam: Kleinhirntumor 133. 
*191. 

Epilepsie u. Hysterie 315. 
Hysterie 368 (932). 
Landrysche Paralyse,939. 
Neuritis mult. 939. 
Myasthenie 989. 

Digitizer! by Gougle 


%uensel: Großhirnf&semng 
402. (1137). 

Zelldegeneration nach Hirn- 
stammverletznng 1138. 
Quosig: Tetanie intestinalen 
Ursprungs 279. 


Rabino witsch: *494. 

Rachmaninow: *782. 

Todesfälle bei Chorea 1065. 

Rachmanow: Färbung der 
Neurofibrillen 188. 

Neurofibrillen u. chromato- 
phile Substanz 895. 

Racine: Analgesie d. Achilles¬ 
sehne bei Tabes 28. 

Radmann: Chirurg. Beh. der 
Cerebrospinalmening.978. 

Raecke: Epilept. Irresein 321. 
*782. 

Forens. Bedeut, der malt. 
Sklerose 807. *1038. *1039. 

Raffisn: *783. 

Muskelatrophie Charcot- 
Marie 1071. 

Raimann: (477). *879. 

Melancholie mit Angriff auf 
ein fremdes Leben 1103. 
(1104). (1149). 

Raimist: Hyster. Retentio uri- 
nae 646. 

v. Raisz: (482). 

Ram6n yCajal: Traum. Degen, 
der Achsencyl. 934. 

Ranke: Gehirn luet. Neuge¬ 
borener 112 u. 157. *385. 
(1141). 

Foetale Erkrankungen 1142. 

Ranschburg: (481). (488.) *495. 

Ransom: *190. 

Ranson: *188. 

Ratner: Paralysis agitans 427. 

Rattner: Basedow-Behandlung 

201 . 

Bornyval 420. 

Rausohke: *190. 

Ravaut: Hered. Syphilis 807. 

Raviart: *192. *334. 

Aphasie 717. 

Augensymptome bei Para¬ 
lyse 822. 

Rawlings: Meningomyelitis 
78. *781. 

Raymond: Syringobnlbie 72. 

Syringomyelie 73u.74.*332. 

Akute Encephalitis 407. 

Heredität u. Apoplexie 408. 

Dipbtber. Lähmung 456. 

Plexuslähmung 464. *494. 

Myasthenie 673. *780. *781. 

Mult. Sklerose 803. 

Chron. Rheumat. d. Wirbel¬ 
säule 1018. *1038. (1090). 

Rayneau: Schwangerschafts¬ 
delir 1146. 


Rebizzi: *188. 

Redlich: *191. (240). 
Gigantismus infantilis 277. 
Ätiol. der Epilepsie 312. 
Halbseitenerschein. bei Epi¬ 
lepsie 316. 

Epilepsiebehandl. 322. (476). 
(477). (478). (918). 

Mangel d. Selbstwahrnehm, 
des Defektes bei cerebral 
bedingter Blindheit 919 u. 
945. (921). (964). 
Epilepsie mit Aphasie 1151. 
Redmann: *1037. 
van Reekom: (981). 

Rlgis: Trauma n. Paralyse 
85. *335. 

Traumat. Neurose bei Ar- 
terioskl. 621. *782. (1034). 
(1085). 

Jean- JacquesRousseau 1145. 
Rehfisch: *188. 

Rehm: Manisch-depress. Irre¬ 
sein 530. 

Rehn: *333. 

Reich: Alog. Aphasie 83.(235). 
(236). (379). (471). (535). 
(683). *779. 

Chem. Bestandteile des Ner- 
venmarks 1118. 

Areflexie der Cornea bei 
Stirnhirntumor 1133. 
Reich, N.: Nervendehnung 
1127. 

Reichard: *780. 

Reichardt: Gewicht d. Klein¬ 
hirns 180. *493. *879. 
Reicher: Kinematographie in 
d. Neurologie 496, 965 u. 
977. 

Reid: *385. 

Nystagmus d. Bergleute 802. 
Reik: *878. 

Reimann: *493. 
Cerebrospinalmeningitis 
1174. 

Reinke: *1036. 

Reiss: Paranoide Symptome b. 

Degenerierten 1143. 
Reissert: *190. 

Remak: (537). 

Bleilähmung 899. *1038. 
*1039. 

Remond: *880. 

Rdmont: *192. 

Renaud: *493. 

Rendu: *191. 

Epilepsiebehandl ung 323. 
van Renterghem: Psycho¬ 
therapie 986. 

Rentoul: *192. 

R4thi: *783. 

Reuter: Ersatzmittel des Jod¬ 
kalium 816. 

Revenstorf: *879. 

Rhein: *832. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1198 


Revesz: *1039. 

Rhese: Innere Uhr nach Kopf¬ 
ersehtitterung 520. 

Ribierre: Myosklerose bei 
Greisen 1098. 

Ribüt: *783. 

Rieca: *783. 

Ricci: *191. 

Richard: *188. 

Richardsou: *334. *494. 

Richartz: Tetanie bei Magen- 
er Weiterung 278. 

Ridnik: *494. 

Riebold: *332. 

Seröse Meningitis 1170. 

Riedel: *783. 

Kopfschmerz 1121. 

Rieländer: Mikrocephalus u. 
Encephalocelc 801. *876. 

Rietschel: Spasmus nntans 
1061. 

Riggs: *332. *780. 

van Rijnberk: *781. 

Tonus des Cerebellum 930. 

Riklin: *335. *1039. 

Rimbaud: *878. 

Rinne: *191. 

Operative Behandl. der Epi¬ 
lepsie 324. 

Ris: *783. 

Paralyse u. Syphilis 817. 

Riva: *331. *781. *876. 

Roasenda: *494. 

Kleinbirnlokalisation 571. 
*781. 

Seltene Symptome der Para¬ 
lyse 823. 

Roberte: *493. 

Robert-, Babinski bei Paralyse 
40. *335. *1038. 

RobertSimon: *782. 

Robertson: Paralyse 36. *880. 
*1037. 

liobin: Hyperchlorbydrie bei 
Epilepsie 317. 

Robinovitch: *492 *876. (1098). 

Robinowitsch: Elektr. Strom 
938 u. 1098. 

Tod durch denselben 938. 

Blutdruck bei der elektr. 
Epilepsie 1098. 

Robins: *877. 

Robinson: *1039. 

da Roeha: *192. 

Mau.-depr. Irresein 915. 

Rochard: *1039. 

Rockwell: *784. 

Rodhe: *333. 

Atyp. mult. Sklerose 806. 

Rodiet: *335. 

Angensymptome bei Para¬ 
lyse 821. 

Alkoholismus, Nikotinismus 
u. Paralyse 905. *1039. 

Rodriguez: Polyneurit. Psy¬ 
chose 457. 


Roemhcld: *783. 
Korsakowsche Symptomen- 
komplex bei Hirnlues 810. 
Roger: *878. 

Rogers: *190. 

Rohdc: Vererbungsproblem 
972. *1039. 

Rohleder: *783. 

Rohn: *332. 

Roith: *492. *780. 

Uolet: *192. *335. 

Rolleston: *190. 

Rombach: Meningitis gonor¬ 
rhoica 1171. 

Romberg: *190. 

Neurasthenie 356. 
v. Römer: Albada sehe Theorie 
zur Erklär, psychol. Pro¬ 
bleme 943. 

Richten des Geschtitzes 944. 
Roncoroni: *188. *. 35. *779. 
*782. 

La Roque: *878. 

Ros&notf: Diät bei Epilepsie 

qoo 

Rose: *190. 

Rosenbach: *494. 

Verstärkung des Kniephä- 
noinens 856. 

Rosenberg: *191. 

Hcschlscbe Windungen 685. 
Myatonia congenita 1067. 
Rosenblath: *332. 

Rosenfeld :Vasomotor. Neurose 
634. *1037. *1089. 
Serodiagnose 1140 (1141). 
Rosenheck: *1038. 

Rosenbeim: *1036. 

Rosenstein: *333. 

Rosenthal: *336. *781. 
Rosenwasser: *1039. 

Rossi: *335. *492. *493. *780. 
*781. 

Sehfonktion 801. 
Durchschneidung hinterer 
Wurzeln 849. *877. *87». 
Fibrilläre Sahst, d. Nerven¬ 
zellen bei Geisteskranke 
1012. *1037. 

Kortik. motor. Centren 1094. 
Rota: *335. 

Rothinann: *833. 

Hemiplegie 371. (539). 
Ausfallserschein, nach Lä' 
sion des Centralnerven 
Systems 594. *876. (917), 
Hintere Vierhügel 922.(923). 
(961). (966). (968). (971). 
(1079). (1131). (1132). 
de Rothschild: Schilddrüsen 
neurasthenic 329 n. 1099, 
*1038. 

Botstadt: Myasthenie 875. 
Progr. Muskelatrophien 
1068. 

Roubier: *189. 


Digitizetf by 


Gck igle 


I Ronbinowitsch: Maladie des 
tics 1063. 

Roug£: *496. 

Rons: *781. 

Rousset: Exhibitionismus 419. 
Roussy: *1037. 

Kortikale motor. Centren 
1094. 

Roux: *189. 

Hintere Wurzeln 758. 
Rovighi: *189. 

Bows: *780. 

Toxinewirkong auf Hin- o. 
Rückenmarksnerven 932. 
Roxo: *192. 

Roy: Akromegalie 275. 

Royer: *495. 

Boyet: Nenrasth. n. Nasen- 
rachenerkr. 1099. 

Bngh: *190. 

Rühlmann: (976). 

Rumpf: *494. 

Runclc: *784. 

Bündle: *1037. 

Bassel: *332. *494. 

Buysch: (981). (982). 

Irrenpflege 983. (984). (985). 
Rybakoff: Cirkuläre Formen 
der Paralyse 40. 
Geisteskrank!!, u. polit Er¬ 
eignisse 139. *191. *334 

» 879 . 

van Rvnberk: *877. *878. 
Rystedt: Solitärtuberkel im 
Rückenmark 586. *781. 


Sabatier: *1039. 

Sachartschenko: Psych. Stör, 
bei Myotonie 678. 

Morpbiumabstinenz 902. 

Sachs: *189. *332. *335. (476). 

Muskeltransplant.b. Kinder¬ 
lähmung 670. *782. 

Saenger: (42). (45). 

Morb. Addison 85. 

Neur. opt. retrobulbaris 85. 
(88). (91). *332. 

Stauungspapille bei Hirn¬ 
blutung 732. 

Kleinhirnfunktion 733. (775). 
(778). 

Hypophysistumor 779. 939. 

Juvenile Tabes oder Tabo- 
paralyse 779. (920). (923). 
(961). (964). 

Herdsymptome bei diffusen 
Hirnerkr. 964. 

Saigo: Altersveränderung, der 
Ganglienzellen im Hirn 
1119. 

Saiz: *496. *763. 

Ätiologie der Manie 862. 

| Plethysmograph. Unters, 
bei affektiven Psychosen 
868. *880. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





1199 


Saiz: Traumat. Rückenmarks- 
blutnng bei Tabes 1110. 

Sakelara: *338. 

Sala: *191. 

Salager: *1039. 

Salajer: *192. 

Salecker: Combin. Strangde¬ 
generation 589, *781. 

Salgö: *192. 

Seraelle Perversität 418. 

Therapie des Alkoholismas 
479. (482). (483). (487). 
(488). 

Salle: *189. 

Aufsteig. Myelitis 577. 

La Salle-Archambaalt: Asso¬ 
ciationsfasern 608. 

Salmon: Hirnblutung b. Kind 
409. *877. 

Salomon: Hemiatropbia faciei 
614 u. 846. 

Saltykow: *1086. 

S&mter: Operativ geheilte Ser- 
ratuslähmung 382. *878. 

Sand: Simulation 515. 

Sander-. (83). 

Sandner: *1040. 

Sandri: *496. 

Blut bei Dementia praecox 
913. 

Sanna Salaris: *495. 

Sante de Sanctis: Dementia 
praecox 181. 

Geistige Schwächezust. 523. 

Santini: *333. 

Sarbö: (482). (490). *782. 

Sarvonat: *878. 

Sanvinean: *334. 

Ptosis bei Hysterie 361. 

Hysterische Mydriasis 362. 
*494. 

Savage: *783. 

Savill: Neurasthenie 370. *494. 
*878. 

Scaffidi: *1036. 

Searpini: *188. 

Schäfer: *192. 

Schaffer: *192. 

Affekte 429. (483). 

Infantile spast. Hemiplegie 
483. 

Famil. amaur. Idiotie 485 n. 
674 n. 925. 

Kopftetanas 487 a. 489. 

Abnormes Bündel d.Khomb- 
encephalon 738. 

Otogener Hirnabsceß 1042. 

Schaikewicz: Schmerzempfind¬ 
lichkeit der Gesichts¬ 
knochen bei Degeneranten 
391. 

Akinesia algera 741. 

Sohaikewitsch: *191. 

Schanz: *877. 

Chirurg.-orthopäd. behan¬ 
delte Lähmungen 967. 

Digitized by Gougle 


' Schanz: Insufficientia verte- 
i brae 1017. *1038. 

I Scharling: *1036. 

1 Scheel: *1039. 
Schereschewsky: Serodiagnose 
bei Lues, Tabes, Paral. 
762. *1039. 

Scheren: *781. 
Schieferdecker: *188. 

Schiff: Baynaud 284. 
Schilling: Spondylitis 1024. 
Schirbach *192. 
Opium-Brombehandl. bei 
Epilepsie 323. 

Schlesinger: Schwachbegabte 
Schulkinder 522. 
Sprachstörungen derselben. 
525. 

— E.: *493. *495. *879. 

— H.: *189. 
BulbuBschwingungen bei 

Lidschluß 242. (476).(478). 
Blaseneruptionen an d. Haut 
850. *877. *1037. 
Paroxysmelle Tachykardie 
1120. 

Schloffer: *878. 

Operation bei Hypophysis- 
tumor 1016 u. 1017. 
Schlöss: Geistige Defektzust. 
.. 287. *495. 

Ätiol. der psych. Defektzust. 
521. 

Schlösser: Alkoholeinspritzung 
bei Neuralgien 422. 
Schlubt *493. *1039. 

Schmidt, A.: *877. 

— C.: (924). 

— Pr.: *878. 

— H.: *877. *1038. 

— J.: Eisenbahnkr.des Rindes 

668 . 

Schmidt-Rimpler: *332. 
Schmiergeld: *878. 

SchmolcK: *494. 

Schmoller: *385. 

Schneider: *495. *879. 

Veronalvergiftung 900. 
Schnitzer: *1039. 

Schnyder: *782. 

Hysterie 1089. 

Schob: Path. Anat. der mult. 

Sklerose 802. *1038. 
Schoenborn: *877. 

Scholz: Kretinengehirne 225. 
*332. *1040. 

Sohönhals: Neurasthenie u. 
Hysterie bei den Arbeitern 
356. 

Schöppler-. *332. 

Sohrameck: Augensymptome 
bei Paralyse 822. *880. 
Schreiber: *879. 

Schröder, P.: *192. *782. 
*878. 

Arterioskler. Demenz 926. 


Schröder, P.: Chron. Geistes¬ 
störungen durch Alkohol 
931. 

v. Schuckmann: Bildchenbe¬ 
nennungsmethode 725. 
*788. 

Schüle: (1137). 

Schüller: Atyp.Verlaufsformen 
der Tabes 26. (238). (239). 
Keimdrüsen u. Centralorg. 

bei Schwachsinn 240. 
Halisterese der Schädel¬ 
knochen 478. *782. 

Atyp. Paralyse 872. (921). 
Sohädelröntgenographie963. 
(964). (965). 

Geistesstör, im Kindesalter 

1151. (1103). 

Schultz, J. H.: Blut bei Ner¬ 
ven- und Geisteskranken 
911. *1037. 

— W: *780. 

Schnitze, E.: *495. 

— F.: *877. *1038. 

— Fr.: Neuralgien 421. (424). 
Psych. Unterr. in Greifswald 

469. *494. (631). *781. 
*878. 

— K.: *782. 

— 0.: *878. 

Schulze: Stupidität 686. i688). 
Schunkow: *878. 

Schupfer: *494. 

Schuster: *334. (539). 
Sensibilitätsleit. im Bücken¬ 
mark des Hundes 706. 
(782). 

Hypophysistumor 841.(963). 
Antisyphilit.Behandl. in der 
Anamnese 970. (971). 
Dystrophia adiposo-genitalis 

1152. 

Schütte: *190. 

Schütze: LaDdrysche Paralyse 
nach Typhus 459. 
Schuyter: Pädologie 943. 
v. Schwab: *385. *1039. 
Schwabe: *192. 

Schwalbe, E.: Entwicklungs¬ 
stör. im Kleinhirn 132. 

— J.: Chirurgie des prakl.. 

Arztes 81. 

Therap. Technik 233.* 336. 
Schwarz: *782. 

Akute Ataxie 969. *1036. 
Schweiger: Kleinhirnsklerose 
132. 

de Schweinitz: *332. 
Schweizer: *1038. 

Schwerdt: *878. 

Sedziak: *494. 

Seelig: (529). 

Segale: *334. 

Seggel: Thrombosinusitis 1176. 
Seglas -. Petit mal 318. *494. 
*784. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1200 


Seglas-. Kataton. Symptome 
bei Paralyse 824. 

Segre: *783. 

Beweg, während d. Schlafes 
1060. 

S4guin: *495. 

ldiotiebehandl. 527. 

Seiffer: *1040. 

Forensische Psychiatrie 
1178. 

Seitz: *879. *1037. 

Sönöchal: *1039. 

Senet: Nyctophobie 366. 

Senger: *332. 

Serbsky: Mischformen 326. 

Särieux: *783. 

Paralyse 821. 

Sezary: *495. 

Shanahan: *878. 

Epilepsie n. Akromegalie 
1016. *1039. 

Shaw: *783. 

Psych. Prozesse b. Verbrech. 
981 

Shepherd: *190. 

Sheppard: *781. 

Sherren: ischiadicnsnaht 467. 
*494. 

Sherrington: *781. 

Shimamnra: Katayauiakrank- 
heit 405. 

Shimer: *782. 

Shoemaker: *336. 

Show: *495. 

Shukowski: Amyotr. Lateral¬ 
sklerose 79. 

Shuttlewort: Pflegepersonal 
980. 

Sibelius: *190. 

Sicard: Wirkung d. X-Strahlen 
auf Hirn u. Rückenmark 
1093. 

Mening. cer.-spin. 1095. 

Sidis; *879. 

Siebeck: *780. 

Siebold: Ätiologie d. Epilepsie 
313. 

Siefert: *335. 

Siegel: *878. 

Interkostalneuralgie 1125. 

Siegert: Myxödem 224. 

Siemens: Ärztl. Nachwuchs f. 
Anstalten 474. *880. 

Siemerling: Augcmnuskel- 

lähmung 406. *782. 

Sigerist: Inkomplette Formen 
von Tabes 26. 

Signorelli: *190. 

Sigwart: *191. 

Silbermann: *782. 

Simon: Caries vertebralis bei 
ankyl. Entz. der Wirbel¬ 
säule 579. *781. 

Simpson: *331. 

Sensible LeitungBbahn im 
Rückenmark 571. 


Sinclair: *332. 

Sinkler: *333. 

Sioli: Beobachtungsabteil, für 
Jugendliche 528. (529). 
*782. 

Trinkerfürsorge 909. 

Sippel: Mißbildete Knaben 674. 

SitBen: *333. 

Myasthenie 673. 

Siövall: *781. 

Skljar: Geisteskrankh. u. poli¬ 
tische Ereignisse 139. 

Sklodowski: Basedow-Behand¬ 
lung 224. 

Sleeswijk: Psycholog. Denken 
940. 

Sloan: *880. 

Smitt: *880. 

Smurthwaite: *335. 

Snyder: *780. 

Soca: Krückenlähmung 465. 

Sokalsky: *496. 

Akute Psychosen 1028. 

Solley: *333. 

Sollier: *783. *878. 

Affekte 941. (1091). (1100). 

v. Sölyom: Prozeßrechtliche 
Fragen 186. 

Somers: *190. 

Somerville: *494. 

Sommer: *189. 

Geistesschwäche bei psycho¬ 
gener Neurose 367. 

Mord u. Selbstmord 469. 

Familienforschung 474. 
*496. 

Elektr. Eigenströme 535. 
(535). 

Diagnostik u. Therapie der 
psych.u. nerv. Krankheiten 
859. (942). 

Vorgeschichte der Psycho¬ 
pathen 944. *1039. (1084). 

Genealogie Göthes 1085. 

Sommerville: Basedow 222. 

Soprana: *1036. 

Sorrentino: *189. 

Souöek: Neuritis molt nach 
Keuchhusten 456. 

Soukhanoff: *335. 

Hyster. Psychoneurosen 
367. *494. 

Morphiumabstinenz 902. 

Souques: Motor. Aphasie 716. 

Soury: *780. 

Soutbard: *189. 

Soutzo: *783. *784. 

Spaet: *335. 

Spearman: *835. 

Specht: *879. *1040. 

Spielmeyer: Pathologie der 
Tabes 25. *333. *492. 

Stützsubstanz des Central¬ 
nervensystems 512. 

Schlafkrankh. u. Paralyse 
529. 


Spielmeyer: Experimentelle 
Tabes bei Hunden 760. 
Atoxyl bei Paralyse 825. 
*880. *1040. 

Dourine der Tiere'1141. 
Spiller: Meningomyelitis 76. 
*189. *190. *332. *494. 
*495. 

Myatonia congenita 508. 
*877. 

Mnskelatrophie Cbarcot- 
Marie 1070. 

Spirtow: Farbige Beleuchtung 
u. Blutdruck 896. 
Spitzka: Gehirn Powells 306. 
Sresnewski: Kniereflex u. 
Schreck 856. 

Stadelmann: *334. *494. *782. 
Erlebnis u. Psychose 924. 

— E.: Akute mult. Sklerose 

1001. 

Stalberg: *877. 

Starck: Hirngeschwülste 619. 
Starlinger: Beschäftigungs¬ 
therapie bei Geisteskr. 
289. *880. 

Pflegerfrage 1101. 

Stary: Tetanie bei Magen kr. 

u. Typhus 279. 

Stander: Epileptif. Krämpfe 
bei Diabetes 817. 
Stcherbak: *780. 

Vibrationen u. Nervensystem 
849. *877. 

Stechow: *877. 

Stein:. (481). 

Störungen im Hörnerven¬ 
apparat 520. *1040. 
Gehörshalluzination durch 
Cerumenpfropf 1129. 
Steiner: Verlauf der Paralyse 
40. 

Steinert: Muskelatrophie bei 
supranukleär. Lähmungen 
410. *780. 

Störungen im okulomotor. 
Apparat 976. 

Steinhaus: *878. 

Steinhausen: Hitsschlag 516 
u. 977. 

Mechanik des Zitterns 927. 
Stemmermann: *783. 

Stender: *495. 

Sterling: *833. 

Extramedulläre Bücken- 
markstumoren 581. 
Hirntumor 875. 

Progr. Muskel- u. Knochen¬ 
erkrankung 939. 

Stern: *831. 

Pickscbes Bündel 478. *493. 

— S.: Psyohognosie 513. 
Endziele aller bewußten 

Menschenarbeit 928. 
Sternberg: Dynamometer 427 
u. 503. 


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Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




1201 


Stertz: *189. 

Tumoren der motor. Region 
349 u. 393. *788. 
Syphilit. Antikörper bei 
Paralyse 818. 

Steven: *189. 

Stewart: *189. *331. *332. 
Facialislähnmng 462. 
Künstliche Cirknlation u. 
Hirntätigkeit 895. 
Steyerthal: TorticolLspasmod. 
1061. 

Sticker: (426). 

Stieder: Uranismns 417. 

Stier: Begutachtung akuter 
Trunkenheitszuständel42. 
(143). *495. *1039. 
Stierlin: *1038. 

Stiller: *876. 

Stites: *334. 

Stockmäns: (981) 

Stoddart: *879. 

Stoeltzner: *190. 

Kindertetanie 278 u. 280. 
Stoenesco: *495. 

Sto'icesco: *190. 

Stowell: *191. 

Stradiotti: *494. 

Straehelin: *780. 

Stranginan: *878. 

Stransky: *192. (239). 

A.Tilkowskyf 288. (477). 
*783. 

Paralysefrage 820. (871). 
Mediänus bei Paranoia 873. 
(1102). (1103). (1104). 
(1149). (1151). 

Periph. Nerven bei Geistes¬ 
störungen 1152. 
Strasburger: *190. 

ßauchmuskellähmung 612. 
Strasser: Hirnpräparation 70. 
*784. 

Physikal. Therapie 866.*878. 
*880. 

Strassmann: Familienmord 
977. 

Stratton: *189. 

Strauss, M.: Rankenneurom 
454. *878. 

Sträussler: Kegcner.imRücken- 
mark 240. (921). 

Strobl: *335. 

Strohmayer: Tabes auf erblich- 
degenerativer Grundlage 
754. 

Strom inger: Knochenrefiex 851. 
Strubell: *192. 

Strümpell: *879. 
Stscherbakow: Nervengang- 
lien in der Gebärmutter¬ 
wand 165. *188. 

Stucky: *335. 

Stumpf: *331. 

Stursberg: Extramedullärer 
Tumor 584. *781. *1037. 

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i Stursberg: Sarkomatose der 
Meningen 1169. 
Suchanoff: *192. 

Sndeek: Muskelatrophie 44. 
*879. 

Sussana: *188. 

] Sutherland: *331. *788. 
Sutter: Gynäkol. Erkrank, u. 

Neurosen 418. *494. 
Syme: *191. 

Szigeti: (432). 


! Takasu: Kleinhirnrinde 132. 
Idiotie 524. *879. 

Talbot: *495. 

Tandler: *782. 

Geckogehirn 1103. 
j Tanon: Akromegalie u. Dia* 
i betes 329. 

1 Tasawa: *788. 

; Taty: Verwirrtheit, Glukosurie 
bei Achondroplasie 1146. 
Taylor: Somnolentia 319. *494. 
rottsche Krankheit 579. 
Friedreich sehe Krankheit 
769. *1037. 

, Telegdy: (482). 

. Telliffe: *1040. 

Terrien: Nachahmung u. 
Hysterie 359. 

Phobien 366. (1090). 
Terrier: *495. *879. 

Tetzner: *334. *493. 
Thalwitzer: *191. 

Epileptiker als Autofahrer 
321. 

Thayer: *384. 

Chorea 1065. 

Theobald: *496. 

Thövenet: *189. 

Thiele: Senile Atrophie der 
Augenmuskeln 460. 
Thiemich: Eklampt. Säuglinge 
94. 

Thierfelder: *188. 

Thies: Tabes u. Gravidität 27. 
Thomalla: *190. 

Thomas: *494. *781. *878. 
(1094). (1096). 

Migräne u. Hemianopsie 

1122 . 

Thomayer: *1038. 

Thompson: *332. *338. 
Gefühlsempfindungsbahnen 
705. *781. 

Thomson: *189. *780. *1087. 
i Thorei: *781. 

Thrap-Meyer: Basedow 222. 
Thurscb: *192. 

Tiberti: *384. 

Tiedemann: *190. 

Lues cerebrospin. 812. *879. 
Tigges: *783. 

Tilipkicvitz: *877. 

Tillgrcn: *780. 


Tillisch: *879. 

Tilmann: *782. 

Tilney: Myasthenie 613. *781. 

Timme: *1087. 

Timpano: Neurasthenie 358. 

, Phobie 366. *494. 
j Tinkelmann: t^uerulator. 

Psychosen 542. 

Tintemann: *1040. 

Többen: Chorea 1064. 

Tobias: Physikal. Behandl. d. 

Tabes 765. *781. 

! Tobler: Lymphocytose bei kon- 
genit. Syphilis 807. *1039. 

Myatonia congenita 1068. 

Todde: *191. 

Isolyse bei Hysterie u. Epi¬ 
lepsie 316. 

Tokuoka: Schuß Verletzung 
periph. Nerven 467. 

Tomaschny: Alkoholversuche 
bei zweifelhaften Geistes¬ 
zuständen 182. *191. 

Tombinson: *335. 

Tomellini: *880. 

Tommasi: *783. 

v. Torday: Basedow-Behand¬ 
lung 224. *333. 

Törne: Hyster. Aphonie 363. 

Török: Analyse des Juckens 
484. *1036. 

Torrington: Syringomyelie mit 
Neur. opt 74. 

Töth: *782. 

Tournay: Idiotie 524. 

Tovo: *335. 

Towbin: *494. 

Trendelenburg: Durchschnei- 
düng hinterer Wurzeln 
bei Vögeln 23 u. 758. 

Pupillencentren in der Med. 
oblong. 631. *1037. 

Trepsat: Fußödem bei Imbe¬ 
zillen 526. 

Trinkler: Hydrocephalus in¬ 
ternus 1176. 

Trolard: Fascia dentata 69. 

*188. 

Trömner: *191. 

Senile Abasie 735. (772). 

Abasie 772. (775). (777). 

Poliomyelitis nach Vaccina- 
tion 778. 

Hypnotherapie 923. 

Truelle: *1040. 

Tschagowez: Gal van. Wechsel- 
: ström 271. 

{ v. Tschermak: *1036. 

Tschisch: Geisteskrankh. bei 
Prostituierten 825. 

Tsuchida: *331. 

Tsumoda: Katayama-Krank- 
heit 405. 

Tuoker: *877. 

Tuckett: Ganglion supremum 
des Sympathicus 282. 

iralfram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1202 


Tuczek: Idiotenforschung 527. 
Türkei: (1149). (1150). 
Turner: *494. 

Epilepsie 730. 

Tarnowsky: Kontraktur nach 
Ablaktation 1062. 
Tuscbida: *188. 


Ilbertis: *332. 

Uchermann: *877. 

Uexküll: *780. 

Ugolotti: Infantile Cerebro¬ 
plegie 188. *188. 

TJblich: *336. 

UhthoiF: Hirnainusthrombose 
974. 

Hypophysisaffektion 1015. 
Ultz: *1040. 

Umber: Neurofibromatose 89. 
Unger: *332. 
Epitbelgeschwülste der 
A'iergeflechte des Hirns 
453 

Unna: *878. 

Upson: *335. 

Urban: *333. *495. 
Urbantschitsch: *191. 

Refiexepilepsie 311. 

Urdchö: ExperimentelleTetanie 
1099. 

Urquhart: *783. 

Urstein: *191. 

Uspenski: *1040. 


Vagedes: *1037. 
van Valkenburg: *1038. 
Vargas: Pottscne Krankheit 
1023. 

Variot: *332. *493. 

Vaschide: *191. 

Brom 323. 

Psychologie bei Aphasie 
709. *877. 

Vasiliu: *1038. r , 

de Vecchi: *780. °" <ö 

Veillard: Mult. Sklerose' 1 $f>. 
v. d. Velden: *188. *496/. 

Bromural 865. ? ' ' 

Veraguth: Objekt. Nachweis 
von Hyperästhesien u. rin- 
ästhesien 426. 

Psychogalvan. Refiexphäno- 
rnen 850 u. 969. *877. 
di Verce: *783. 
v. Vcrebely: *782. 

Verger: Tabes u. Schanker 26. 
*1038. 

Vermes: Basedow 222. 
Vernet: *1037. 

Versal *781. 

Vestberg: Psychosen in einer 
Familie 679. 

Vetlesen: *784. 
v. Vietingboff-Schcel: *191. 

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Vilanova: *780. 

Vinaj: *1040. 

Vincent: Funktion der Schild¬ 
drüse 214. 

Vitali: *1040. 
van Vleuten: Apraxie 234. 
*832. *1037. 

Vocke-Eglfing: *495. *880. 
Vogt.H.: Famil. Mikrocepbalie 
70. *189. *192. *335. 
Epilepsie 471. (472). *1040. 
Mongolismus 1073. 

- (Berlin): (1182). (1183). 
Voisin, R.: *191., 

Neuronophagie 310. *331. 
*493. 

— J. n. R.: Epilepsiebehand¬ 

lung 323. 

Voivenef: *880. 

Volland: *191. 
Geburtsstörungen u. Epilep¬ 
sie 818. 

Volpi-Ghirardini: *877. 
Völsch: *331. *876. 

Vorberg: Paralyse u. Syphilis 
34. 

Vorhees: *878. 

Vorkastner: Operation bei 
Jacksonscner Epilepsie 
174. 

Kombination hyster. u. or¬ 
ganischer Symptome 380. 
Vasoinot. Neurasthenie 684. 
Vorschütz: *879. 

Voss: *332. 
v. Voss: *190. 
de Vries: *495. 


Wachsmuth: *880. 

Wagner: *1040. 
v. Wagner: *190. 

Behandl. des endem. Kreti¬ 
nismus 227. 

Mariner Kretinismus 226. 
(238). (240). 

Kretin. Hund 475. (476). 

(478). *494. *783. (871). 
U nzurechnn ngsfähigkeits- 
paragraph 872 u. 1147. 
.. (U01). 

A rzteaustausch 1102. (1103). 
(1149). (1150). (1151). 
Waldenburg: (944). 

Walker: *783. 

Wall: *780. 

Wallenberg: *1036. 

Walton: Operation bei Hirn¬ 
tumoren 174. *332. *333. 
*335. 

Schädelbasisbruch 519. 
Famil Atrophie von peron. 
Typus 674. 

Cerebr. Element der Reflexe 
850. *1039. 

Wandel: *333. 


! Wandel: Störungen im Gebiet 
1 des N. medianus 466. 

I Wanke: *335. 

Heilung der Neuraathenie 

| 1084. 

j Warncke: Med. oblong'. 968. 
*1036. 

' Warrington: *333. 

I Wassermann, M.: Serum- 
I diagnostik bei Lues 818. 

Wassermann: *385. *1039. 
Meningokokken-Heilserum 

1174. 

Wassermeyer: Pupillen bei 
Geisteskranken 914.*1039. 
Waterman: Kleinhirntnmor 
133. 

Epilepsie u. Hysterie 315. 
Watermann: *334. 

Waterston: *498. 

Watson: *780. 

Wayenburg: (933). 

Webb: *494. 

Weber: Hirntumoren 170. 

— E.: *1036. 

— Ernst: *188. *331. 
Gefäßerweiternde u. ver¬ 
engernde Nerven für das 
Hirn 1010. *1036. 

— L. W.: *332. *335. *495. 

*781. 

Argyll-Robertson 854. 
Diagnostik 899. *1037. 
Hydrocephalus internus 

1175. 

Wedenski: Psych. Störungen 
bei Myotonie 678. 
Wegelin: *333. 

Akute mult. Sklerose 806. 
Wehrli: Rindenblindheit 723. 
Weidanz: *495. 

Weigert, R.: Kalkgehalt des 
Gehirns 404. 

Weiler: Arbeitssohreiber bei 
Unfallkranken 529. 
Weinberg: *188. *493. 
„Doppelbildungen“ am Ge¬ 
hirn 570. 

Weisenburg: *188. *832. *780. 
Sensibilitatslokalisat. in der 
Hirnrinde 1010. 

Weiss: *192. *1038. 

Exstirp. des Gangl. Gassen 
1124. 

Weissenburg-. Syringomyelie 
mit Neur. opt. 74. 
Kontrakturen 77. 
Wendenburg: *334. 

Werner: *192. *496. 

Wernich: *782. 

Wertheim Salomonson: Elek- 
trodiagramm 933. 
Westenhoeffer: *189. 
Westermann: *1037. *1039. 
Westboff: *385. 

Westphal: *496. 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1203 


Westphal: Pupillenstarre bei 
Hysterie 855. 
Akromegalie 1015. *1088. 
van Westrienen: *189. 
Wette: *495. 

Weygandt: *495. 

Schwachsinnige Schulkinder 
525. 

Amnestische Aphasie 616. 
(629). 

CerebrospinalflÜBsigkeit bei 
Tabes 762. *783. 

White: *784. 

Wholey: *494. 

Wicart: *877. 

Wickel: Neuronal 866. *1040. 
Wickraan: Akute Poliomyelitis 
612. *781. 

Widal: Akromegalie 275. 
Wiebrecht :Tetaniebehandlung 
281. *334. *1038. 
Wieland: *879. 

Angeborener partieller 
Riesenwuchs 1069. 
Wiersma: *191. *783. 

Wiesel: (478). 

Wiesinger: Sarkom der Dura 
42. 

Wigand: Fehlen der Patellar- 
refleie bei Hysterie 293. 
*879. 

Wiki: Cerebrale Agenesie 1094. 
Wilbrand: *332. 

Wilbrandt: *1037. 
Wiljamowski: *879. 

Wille: *784. 

Williams: *1037. 

Williamson: Degeneration der 
hinteren Wurzeln 25.*781. 
*879. *1037. *1038. 
Wilm: *496. 

Wilmanns: *1040. 

Gefängnispsychosen 1086. 
Wilms: Lumballähmung bei 
hyster. Kontrakturen 421. 
Wilson: *493. *780. *1039. 
Cerebrospinalmeningitis 
1174. 

Wimmer: *332. *493. 
Traumat. Spätapoplexie 517. 
*783. 

Syphilit. Spinalparalyse 814. 
*877. *879. 


Windscheid: Unfallneurosen 
626. *783. 

Winkler: Labyrinth* Tonus930. 
Winocouroff: *879. *1037. 
*1089. 

Dystr. musc. progr. famil. 
1070. 

Winternitz: *1040. 
Winterstein: *188. 
Wintersteiner: (476). (478). 
Augenspiegelbefunde bei 
Psychosen 1103. 

Witasek: *495. 

Witry: *334. 

Witte: Akromegalie 276. 
Witthauer: *496. 

Wittmaack: *333. 

Wohlberg: *192. 

Wolfe: *1040. 

Wolff: Psychiatr. aus Syrien 
533. 

— M.: Hypophysensarkom 
beim Pferd 1013. 
Wolfrum: (975). 

Wolfsohn: *1040. 

Heredität bei Dem. praecox 
1074. 

Wolfstein: Vagusursprünge 
403. *779. 

Wollenberg: (1137). 
Wollenweber: *493. 

Woltär: Fugues 320. *494. 
Woode: *1038. 

Woods: *333. *495. 

▼. Wosinski: Anstaltsbeh. der 
Epileptiker 324. (432). 
*494. 

Wulffen: Schillers Bäuber u. 

Ibsens Nora 273. *335. 
Wyler: *192. 

Wyllie: *493. 

Wynaendts-Francken, Träume 
bei Männern u. Frauen 94 
Wynter: *782. 


Yagita: Seitenstrangkern 12 
*331. *780. *1036. 
Yanniris: Paralyse u. Alkohol¬ 
psychose in Griechenland 
1146. 

Yoshikawa: *334. 

Idiotie mit Erweichungsherd 


in den Centralganglien 
414. 

Toshimotoi *832. *333. *834. 


Zabriski: *780. 

Zacharias: *493. 

Geburt bei Tabes 765. 

Zalplachta: *496. 

Dementia praecox 609. 

Zalplacta: *782. 

Riesenwuchs 1014. 

Zanietowski: Kondensator¬ 
methode 467. 

Zanon: *495. 

Zbinden: *835. 

Nervosität 355. 

Zenner: *782. 

Zerner: Hyster. Erschein, iin 
Sekundärstad, der Syphilis 
809. 

Zickel: Elektrotherapie 41. 

Ziehen: Hirntumor u. Hirn¬ 
thrombose 171.*189. *191. 
(374). (379). 

Facialislähmung 460. *495. 
(537). 

Zum Andenken an E. Mendel 
642 u. 731. (686). (687). 
(731). 

Untersuchung des Intellektes 
989. 

Wahnvorstellungen 1072. 

Ziemssen: Heilung der Ischias 
976. 

Zimmer: *1038. 

Zingerle: *192. 

' Kretinengehirne 225. 

Zipkin: *189. 

Ziveri: *877. *879. 

Zöllner: Hypophysentumor 
1143. 

Zörnlaib: VeronalVergiftung 
900. 

Tuckerkandl: Übergangs¬ 
windungen 124. *385. 
r: *878. 

>k: *189. *332. 
rdemaker: *1036. 

* r: *494. 

Z\. litzky: *188. 

1 . ärmeregulierung durch 
die Hautgefäße 453. 


in. Sachregister. 

(Die mit * bezeichnten Zahlen bedeuten: Literaturverzeichnis.) 


Abadiesches Symptom bei Ta¬ 
bes 28 u. 765. 

Abasie 772. 773. 774. 775. — 
senile 735. 


Digitized b>' 


Gougle 


Abnormes Bündel des Rhomb- 
encephalon 738. 

Abort, künstl. bei psychischer 
Krankheit 1136. 1137. 


Abstinenzbewegung 481. 482. 
Achillesreflexe, Untersuch, der¬ 
selben 856. — Fehlen der¬ 
selben 972 u. 1052. 


"6* Original frem 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1204 


Achillessehne, Analgesie 28 n. 
765. 

Achondroplasie, Verwirrtheit 
u. Glycosnrie dabei 1146. 
Achsencylinder, traumatische 
Degeneration derselben 984. 
Acusticuskerne 475. 

Addison sehe Krankheit 85. 
Adipös, dolor. *495. 

Affekte 429. — bei Paranoia 
938. — Lange-James sehe 
Theorie derselben 941. 
Affektepilepsie 471. 
Affektivität 1029. 

Agenesie cerebrale 1094. 
Agnosie 708. 709. 
Agrammatismus 718. 

Agraphie *189. 717. 723. — 
u. Apraxie 789. — nach 
Trauma 882. 

Akinesia algera 741. 

Akranie *332. 

Akromegalie *190. *494. *782. 
275 (2). 276 (2). 1015 (2). 
— Stoffwechsel dabei 731. 

— und Myxödem 1015. — 
und Epilepsie 1016. — ohne 
Riesenwuchs 1016. — mit 
Infantilismus 276. — und 
Diabetes 329. 

Alexie *877. 728. 873. — nach 
Trauma 882. 

Alkohol u. Blutkreislauf 903. 

— u. Nervenkrankheiten 903. 

— u. Paralyse 905. 
Alkoholismus *191. *334. *495. 

*782. *879. *1039. 531. 681. 

— s. auch Delir, tremens. 

— akuter, cf. Trunkenheit. 

— chron. Pugues dabei 
861. — im Orient 904. — 
u. progr. Paralyse 905. —- 
Rückenmarkserkrankung 41. 

— in Griechenland 1146. — 
forensisch 236. 491.909. 
— Therapie 479. 491. — 
famil. Fürsorgepflege 909.— 
Trinkerfürsorge bei Frank¬ 
furt 909. 

Alkoholparalyse 906. 
Alkoholpsychoseu 905. 930. — 
atypische 906. — transitor. 
906. — paranoide 907. 
Alkohnlversuche als diagnost. 

Hilfsmittel 182. 

Allochirie 939. 

Alogie 234. 

AlterBveränder. der Hirnrinde 
475. — der Ganglienzellen 
des Hirns 1119. 

Amaurose, hysterische 362. 
Amnesie, retrograle 490. 
Amnestische Aphasie siehe 
Aphasie. 

Anatomie des Nervensystems 
800 . 

Digitized by Gougle 


Angstpsychosen 366. — und I 
Diabetes 1082. ( 

Anidrosis, cf. Schweißanomal. 1 
Ankylos. Entz. der Wirbel- j 
säule, cf. Spondyl. rhizom. | 
Anschuldigung, patholog. 
1178. 

Anstalten s. Irrenanstalten. 
Antipathien bei Degenerierten 
325. 

Antisyphil. Behandl. in Anam 
nese der metasyphil. Er¬ 
krankten 970. 

Antithyreoidin (Möbius) 201. 

222. 223 (2). 224 (2). 
Aphasie *189. *332. *493. *780. 
*877. *1037. 409 (2). 424. 
478. 606. 710. 711. 713.714. 
715. 716. 717. 934.935. 937. 
1093. — Psychologie dabei 
709. — Geschichtliches 711. 

— alogische 83. — am¬ 
nestische 321. 616. 717.719. 
1044. 1049. — motorische 
409. 715 (2). 716 (3). 717. 
719. — subkortikale 710. 

— transkortikale 719. — 
sensorische 143. 457. 717. 
723. 969 (2). — taktile 708. 
709 (3). — u. Epilepsie 1151. 

Aphasiebehandl. 424. 

Aphonie, hysterische 363. 
Apoplexie *382. *498. *1087, 
cf. Hemiplegie, Hämorrhag. 
cerebr. 

Apraxie, einseitige motorische 
*493. *877. *1087. 234. 371. 
478. 606. 721. 934. 935. - 
des Lidschlusses 720. — 
ideatorische .720. — korti¬ 
kale 721. — u. Agraphie 
789. 

Arachnitis adhaes. cerebr. 
1169. 

Arachnoiditis spin. 424. 
Areflexie der Cornea und | 
Stirnhirntumor 1133. 
Argyll-Robertson, prognost.Be¬ 
deutung 853. 854. — und 
Trauma 518. 521. 
Arteriosklerose des Central 
nerv. *493. — des Rücken- \ 

j marke *493. — und Hirn- j 

' erkrankungen 728. — und | 

1 Geistesstörung 729. 

1 Arteriosklerot. Demenz, Hirn¬ 
rinde dabei 926. 

Arthropathie bei Tabes, Vorder- 
.. hörner hierbei 1097. 

: Ärztcaustausch zwischen Kli- 
I niken u. Anstalten 1102. 

I Assoziation gegensätzlich. Be¬ 
griffe 943. 

i Assoziationsfasern 608. 
i Assoziationsfeld, hinteres von 
Flechsig 308. 


Assoziationsrersncbe * 1039 
543. 

Asyle in großen Städten 982. 

Asymbolie 83. 709. 934. 935. 
937. 

Ataxie 1081. — in Kindheit 
135. — oerebellare 131. 135. 
— akute 407. 969. — ba 
Tabes 971. — typische Form 
atakt. Gebstörung 1081. 

Athetose 1062. 

Athetosis duplex 137. 

Aufbrauchtheorie *876. 637. 

Aufrechter Gang 897. 

Auge, Neurologie *332. 

Augenbewegungen *331. 

Augenmuskeln, cf. Deviation, 
konjugierte 976. — senik 
Atrophie derselben 460. 

Augenmuskellähmung, path. 
Anat derselben 406. — uu4 
Hirnlokalisation 976. 

Ausfallserscheinungen nach Lä¬ 
sionen des Centralnerveo- 
Systems 594. 

Auskultation 1078. 

Autoanästhesie 945. 

Avellisches Syndrom 72. 

Aussage, Psychologie den. 525. 

Automatische Bewegung. 724. 


Babiuski scher Reflex 40.144. 
859 (2). — im Schlaf 857. 

— u. peripherische Fakto¬ 
ren 858. 

Balken, Agenesie 134. — Funk¬ 
tion 238. — Tumor 947. 
Basedowsche Krankheit *190. 
*338. *494. *782. *878. *1038. 
217. 218. 220. 221. — Ei- 
ophthalmus 219. — Hals¬ 
rippen 217. — Herzneurose 
223. — bei Eheleuten 217. 

— a. Sklerodomie 217. 218. 

— und Psychose 221. — 

Therapie 201. 222 (Sk 

223 (3). 224 (4). 

Banchmuskellähmung 612. 
Begreifen und Hören 940. 
Bekehrungen, plötsliche 1058. 
1059. 

Beleuchtung, farbige ul. Blut¬ 
druck 896. 

Bellsches Phänomen 248. 537. 
v. Bergmann, Ernst t 336. 
Beri-Beri *190. *484. *782. 
*878. *1038. 457. 458. — 
Path. Aust. 979. 

Beruf u- Scbädeliuaße 1058. 
Beschäftigungstherapie bei ab¬ 
normen Kindern 591. 
Beschälkrankheit 573. 
Besessenheit 92. 
Bewegungscentren s. motor. 
Centren. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1205 


Bezold • Edelmann Bebe Ton¬ 
reihe 965. 

Bildchenbenennnngsmethodc 

725. 

Bildang als prädisponierende 
Ursache für Nervenaffektio- 
nen 929. 

Blasencentrnm 1180. 

Blasenernptionen bei central. 
Affekt, des Nervensyst. 850. 

BlasenstörungeD, juvenile 
1180 . 

Bleilähmung *1039. 638. 899. 

Blindheit, Mangel der Selbst¬ 
wahrnehm. des Defektes bei 
cerebral bedingter 919u. 945. 

Blut bei Nerven- u. Geistes¬ 
kranken 911. — bei Demen¬ 
tia praecox 913 (2). 

Blutgefäße, Syphilis 1U. — 
u. vasomotor. Neurosen 633. 

Blutserum bei Epileptikern 315. 
816 (3). 

Blutsverwandtschaft237.1026. 

Borna sehe Krankheit 274. 

Bornyval *496. 420. 

Brom 822. 323 (2). 

Bromopan 322. 

Bromural 865. 

Brown-Seqaardscher Sympto- 
menkomplex 383. 814. 

Bulbärparalyse *189. *332. 

*781. — cf. Medulla oblong., 
Myasthenie, Pseudobulbär¬ 
paralyse. — bei Lipomatosc 
670. 

Bulbus olfact *492. 

Bnlbnssehwingungen als Mit- 
bewegung 242. 


Carotis, Aneurysma arterio- 
▼enosum 381. — Ligatur 
381 

CaudaaffektioD *190. — The¬ 
rapie derselben 960. 961. 

Cenestopathien 1145. 

Centralkanal, Ban desselben 
166. — Verdoppelung des¬ 
selben 572. 

Centralnervensystem, Konti¬ 
nuitätslehre 118. — Funk¬ 
tionen desselben 1165. — 
Hemmungen unter Wirkung 
des galvanischen Wechsel¬ 
stroms 271. — Variabilität 
u. Vererbung 167. 

Centralwindungen, Erregbar¬ 
keit derselben 917. 

Charaktere, Klassifikation der¬ 
selben 944. 

Chiasma, Cystofibrom 173. 

Chirurgie der Gehirnkrankh. 
ausschl. der Gescb w ülste 916. 

Chorea *191.*334. *782. *1039. 
1065. — u. Gelenkrheumat. 

Difitized by Gck igle 


1064. — xl Tic 1064. — 
Pathogenese derselben 1C64. 

— maniakalischo 1065. — 
Todesfälle’ bei Chorea 1065. 
— Chorea gravidarum 1066. 
— Huntington sehe 1066(2). 

— electrica beim Lamm 
1063. — Skopolamin dabei 
330. 

Chromatophile Substanz 895. 
Cirkuläres Irresein, Ätiol. des 
selben 862. 

Consanguinität 237. 1026. 
Contrakturen *333. 77. — bei 
Erkrankung der Pyramiden¬ 
bahn 76. — Therapie 138. 
Conus medull., hintere Wur¬ 
zeln desselben 386. 

Corpora amylacea 979. 
Coimora quadrigemina, deviirt. 

Coojugation 132. 

Corpus callosum, cf. Balken, 
restiforme 124. 

I „Crarapus“ 546. 

Creosotum phosphorienm, Neu¬ 
ritis dadurch 60. 
Cysticcrken im Hirn 541. 590. 
969. 

Cytodia^nose, cf. Liqu. cere¬ 
brospinalis. 


Dämmerzustand, hyst. 870. 
Darmcentrum, kortikales 458. 
Dauerbäder 1084. 
Defektzustände, psych. 521. 
Degeneration 1129. 
Degeneration, sekundäre 898. 
1138. 


492. 679. 687. 1177. — Blut 
dabei913(2).— in Syrien 533. 

— u. sexuelle Jugendtrau¬ 
men 584. — Fugues dabei 
861. — u. Syphilis 871. — 
Heredität 1074. — Patbol. 
Anat. 609. — Hyperhidrose 
1146. 

Dementia senilis, Fugues da¬ 
bei 861. 

Denken, psychologisches 940. 
Dorcumsche Krankheit *335. 
Deviation, konjugierte, der 
Augenmuskeln 132. 

Diabetes u. Akromegalie 329. 

— u. Angstpsychose 1082. 
Diagnostik psych. u. nervöser 

Krankh. 859. — der Nerveu- 
krankh. 899. 

Diaschisis 597. 

Diphtherie. Veränder. dabei 707. 
Diplopie 1144. 

Dipsomanie 908. — n. Trauma 
518. 

Doppelbilder 1144. 
„Doppelbildungen“ am Gehirn 
570. 

Doppelmotor im Gehirn 690. 
Dourine 573. 1141. 

Dura mater, cerebrale, Sarkom 
derselben 42. 

Dynamometer 427. 503. 
Dysenterie in Anstalten 1076. 
Dysmegalopsie, hyster. 237. 
238. 

Dystroph, adiposo - genitalis 
997. 1152. 


Degenerationspsychosen 1127. 
1129. 

Degenerierte, paranoide Sym- 
ptomenkompl. bei ihnen 
1143. — Antipathie bei 
diesen 325. — Schmerz- 
empfindl. der Gesichtsknoch. 
bei ihnen 391. — Parästhe- 
sien 1145. 

Delirium und Psychasthenie 
1146. — Schwangerschafts¬ 
delir. 1146. — acutum *496. 
870. — u. Meningoencephal. 
1169.— hallucin. bei Tetanie 
| 146. — Pseudodelirium trem. 

489. — tremens, u. Selbst¬ 
verstümmelung 908. — und 
Kantharidennephritis 1146. 
— Mortalität u. Behandl. 
776. — Behandl. desselben 
*1039. 908 (2). 

j Dementia 286. — arterioskle- 
! rotica 926. 

| Dementia paralytica, cf. Pa- 
ralys. progr. 

Dementia praecox *496. *783. 
*880. *1040. 141. 178. 181. 


Kisenbahnkrankheit des Rin¬ 
des 668. 

Elektrizität, cf. Galvanischer 
Wechselstrom. 

Elektrische Eigenströme im 
Körper 535. 

Elektrische Gesundheitsschäd. 
am Telephon 516. 

Elektrischer Starkstrom und 
progr. Paralyse 36. — und 
Gefiihllosigkeit 938. — und 
Tod 938. 1098. 

Elektrodiagnostik 467. — im 
Säuglingsalter 95. 468. — 
bei geheiltem Tetanus 330. 

Elektrodiagramm 933. 

Elektrokution 938. 1098. 

Elektromedizin. Apparat 866. 

Elektrotherapie *1040. 41. 

Elcphas indicus, Ccntralncr- 
vensystem 1165. 

Empfindungen in unseren in¬ 
neren Organen 959. 

Encephalitis acuta *493. *780. 
407. 

Encephalocele *332. *876. 668. 
801. 


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1206 


Encepbalomyelitis 407 (2). 
Entartung der romanischen 
Völker 285. 

Entweichungen Geisteskranker 
286. 

Entwicklung des Centralnerv. 

bei Vertebraten 989. 
Enuresis 1180. 

Epilepsie *191. *884. *494. 
*782. *878. *1039. 471. 780. 
cf Petit mal, Stat. epilept. — 
experimentelle 1031.1098(2). 

— olektr. 1098. — Babinski- 
scher Reflex 321. — Halb¬ 
seitenerscheinungen 316. — 
Herderscheinungen 988. — 
und Migräne 314. — und 
Aphasie 1151. — u. Chorea 
electrica 317. — u. Paralys. 
progr. 14. 662. — famil. 
epil. Idiotie 1142. — und 
Myopathie 312. 314. — u. 
Akromegalie 1016. — und 
Hysterie 315. — u. Tetanie 

476. — Autofahren 821. — 
Poriomanie 319. — Blut¬ 
druck, Puls, Temperatur 
816. — Blut 912. - Blut¬ 
serum 315. 316. — Isolyse 
316. — Witterungseinfluß 

316. — Hyperchlorhydrie 

317. — Trauine 818. — u. 
Läsion des Vestibularappar. 
478. — u. Psychose 321. 

477. — u. Aphasie 321. 
— Mörder 321. 322. - u. 
Perseveration 321. — Sta¬ 
tus beiniepilepticus 349. — 
Ätiologie 312. 313. 471. 

— durch Reflex 311 (3). — 

Aufhören der Menses 317. 
— Gravidität 817. — Ge¬ 
burtsstörungen 318. — 

Path. Anatomie 470. 471. 
472. — Neurokokken 315. 
— Blutungen der Pia cere- 
bralis 330. — Diagnose 
u. Hysterie 315. 365. 471. 
1099. — Therapie 322 
(2). 323. 730. — Diät 322. 
— Brom 322. 323 (3). 

— Flechsig sehe Methode 
323. — Proponal 324. — 
Anstaltsbehandlung 324. 
— Operative Behandlung 
322. 324. 325. — Fürsorge 
986. 

Kpilepsia tarda 490. 

Epilcptiforme Krämpfe u. Di¬ 
abetes mellitus 317. 
Erbrechen, periodisches und 
Acctonurie 364. 

Erlebnis und Psychose 924. 
Erythromelalgie 285. 
Eunuehisraus 418. 
Exhibitionismus 419. — Kri¬ 


minalbiolog. Bedeutung des¬ 
selben 978. 

Exophthalmus pulsans 381. 


Facialis, Ursprungskern des¬ 
selben 1119. 

Faoialiskrampf *190. 
Facialislähmung *190. *333. 
*877. *1038. — aberrierende 
Bündel 381. — peripher, n. 
hyster. 460. — otitische 461. 
— Tränenfließen bei VII- 
Lähm. 461. — nach Geburt 
461. — Hemispasmus nach 
Lähmung 461. — doppel¬ 
seitige 462. — Kontraktur 
nach Lähmung 855. — Be- 
handl. 462 (3). 

Familiäre Krankheiten *191. 
♦334. *495. *783. *1039. 679. 
cf. Friedreich sehe Krank¬ 
heit usw. — Famil. jnven. 
ranit. Sklerose 1139. — 
Kleinhirnataxie 675. — An¬ 
kylose der Fingergelenke674. 
— Muskelatrophie von pe- 
ronealera Typus 674. — 
progress. Muskelatr. 676. — 
spast. Paraplegie 676 und 
1097. — ffystagmus 679. 
— Zittern 679 

Famil. amanr. Idiotie *879. 
*1039.427.485. 674. 675 (2). 
676. 925. 

Familiale Irrenpflege *496. 

429. 909. 983. 984. 992. 
Familienforschung u. Psychia¬ 
trie 474. 469. 

Farnilienmord 977 (2). 
Färbenjethoden *1086. 188. 
632. 894. 

Farbensinn bei Herderkrank. 

im Gehirn 938. 

Farbige Beleuchtung u. Blut¬ 
druck 896. 

Fascia dentata 69. 

Faßciculus longit inf. 608. — 
optic. centr. 608. 

Fascic. solitarius 1119. 
Faserung des Großhirns 402. 
Fibrillogenie 338. 511. 
Flechsig sehe Methode der Epi- 
lepsiebehandlung 323. 
Flocculus-ExBtirpat. 1030. 
Folie ä deux 1028. 
Forensische Psychiatrie *191. 
*192. *335. *496. *784. *880. 
*1040. 183. 186. 320. 367. 
368. — Homosexualität 141, 
— Alkoholismus 236. — 
Alcoholismus acutus 142. — 
Epilepsie 321. 322. 
Freiluftbehandlung 984. 985. 
Freudsche Theorie 933. 938. 
953. 


Friedreich sehe Krankh. *190. 
*493. *781. 30. 31 (2). 371. 

— patholog. Anatomie 76*. 
768. 769. — Pathologie 767 

— mit Opticusatrophie 7^. 
— Übergangsform zur He* 
rödo-ataxie cereb. 769. 

Fugues bei Psychosen u. De¬ 
menz 861. 

Funktion, sekundäre 943. 
Fürsorgeerziehung 527. 534. 
Fußrüclcenrcflex *1038.859^2 


dal vaniseber W echselstroiL, 
Hemmungen durch der¬ 
ben 271. 

Gang, aufrechter heim Mtr- 
seben 897. 

Ganglienzellen, Zusammen¬ 
hang n. Entwickl. derselh 
1079. — Altersverändenni: 
1119. — Neurofibrillen i: 
denselben 1154. 

Gangrän, symmetr., cf. Ray¬ 
naud sehe Krankheit 

Gasvergiftung xl Geisteskrank 
heit 899. 

Gaumen, klon. Krampf 
weichen 1060. 

Geburt n. Kopfform 1009. 

Geckogehirn 1103. 

Gedankeulautwerden 1086. 

Gerängnispsy chosen 1086. 

Gefaßverengernde u. -erwei¬ 
ternde Nerven 1010. 

Gehörshallucin. durch Oe Tu¬ 
rnen pfropf 1129. 

Gehphobie 329. 

Gehstörungen, psychisch be¬ 
dingte 357. 

Geisteskranke Verbrecher 9?-. 
— Entlass, derselben a-^ 
Anstalten 826. 

Gemeingefahrlichkeifc 826. 

Geruchsemptindung *188. 

Ge8chinacksillusion, Aufbeb 
derselben 1147. 

Gesichtsfeldeinengung, psjv; 
bedingte 363. 

Gicht u. Psychose 681. 

Gigantismus infantilis 277. 

Glandula parathyreoid.. Funk 
tion 214. 215 (21. 277 (J 
— Präparate bei Tetan 
281. — pinealis, Vergröße¬ 
rung 169. — pituitaria, d 
Hypophysis. — thyreoi* 
dea, Funktion 214. 215. — 
Hypertrophie 231. — Hyp 1 
thyreoidie u. Neurasthin 
329. 1099. 1100. - u. Hirn¬ 
tumor 875. — partielle Ex¬ 
stirpation bei Basedowscher 
Krankheit 224. 

Glia 537. 613. 632. - Bau 


Digitized by 


Gck igle 


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1207 


derselben 1079. — Struktur 
der faserigen pathologischen 
1139. 

Gliafasern 512. 

Gliose der weißen Hirnsub¬ 
stanz 408. 

Globus c60. 

Glosöopharyngeus, Wurzel 
desselben 1119. 

Goethe, Genealogie desselben 
1085. 

Gowerssches Bündel 1138. 

Gr&bbes Krankheit 682. 

Gräfe sches Symptom bei Un- 
fallsneurose 478. 

Greisenalter und Kriminalität 
1030. 

Großhirnrinde 691. 699. 703. 
1010. 

Gyri.*188. — Anomalien 184. 
— Übergangswindung. 124. 


Haematomyelie*190. *493. 71. 

Haemorrhagie, cerebr. 409. — 
Heredit dabei 408. 

Halbseitenläsion, cf. Brown- 
S4quardsche Lähmung. 

Halisterese d. Schädelknochen 
478; 

H alluci n ati onen, En tstehung 

derselben 905. — u. Gedan- 
kcnlautwerden 1086. 

Hallucinator. Schwachsinn der 
Trinker 906. 

Halsmark u. Heterotopic 132. 

Halsrippe u. Basedowsche 
Krankheit 217. 

Halswirbelsäule, Röntgenbild 
derselben 1017. 

Harnblase, nervöse Erkran¬ 
kungen *335. 

Hemianopsie tempor., Wachs¬ 
tumsanomalien dabei 1015. 

Hemiatrophia faciei *879.1072 
(2). — mit Augennerven- 
symptomen 614. u. 846. 

Hemikranic, cf. Migräne. 

Hemiplegie *332. *780 * 1037. 
— cerebrale infantile 136. 
137. 138. 483. — cerebrale 
409. — „Ersatzphaenomen“ 
155. — Apraxie 371. — Kie¬ 
ferbewegungen dabei 409. — 
Muskelatrophie dabei 410. — 
metamere Seusibilitätsstör. 
411. — Sehnen- u. Haut- I 
reflexe 427. — sekund. Kon- ' 
trakturen 938. 

Herdsymptoroe bei diffusen 
Hirnerkr. 964. 

Heredität 167. 237. 

Hörödo-ataxie ceröb. u. Fried¬ 
reich sehe Krankb. 769. 

Herpes bei Cerebrospinalmen. 
1172. 

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Herpes zoster. Pruritus als 
Initialerschein. 458. 
Herznerven *876. 

Herzneurosen, Rodagen dabei 
223. 

Heschlsche Windungen 685. 
Heterotopie von Medulla oblon- 
gata-Kleinhirn 132. — des 
Nncl. arciformis 505. 1158. 

— im Rückenmark 383. 586. 
Hilfsschule 591. 1152. 

Hinken, intermittierendes 669. 

I Hintere Wurzeln, Durchschnei¬ 
dung derselben beim Hund 
849. — Proximalster Teil 
derselben bei De- u. Regene¬ 
ration 951. — motor. Stör, 
bei Läsion derselben 1011. 
Hinterstränge, Degeneration 
derselben 25. 

Hirn *188. *331. *780. — bei 
Amphioxus 22. — u. Kultur 
896. — Praeparation 70. — 
Schweizerkäsegehirn 84. — 
Kalkgebalt 404. — Agenesie 
desselben 1094. — Einfluß 
auf Milchabsonderung 187. 
Hirnabsceß *189. *332. *781. 
*877. *1037. 175 (8). 176. 

— otogener 1042. 
Hirnarterien, Aneurysmen 412. 

413. 

Hirnatrophie, halbseitige 136. 

— umschriebene 832. 990. 
Hirnblutung, cf. Apoplexie. 
Hirnchirurgie cf. Trepanation 

*189. *332. 

Hirncysticerken 541. 590. 
Hirndefekte 488. 

Hirnembolie 405. — postdiph¬ 
therische 408. 413. 
Hirnentwicklung bei Säugern 
50. 

Hirnfaserung 402. 
Hirngeschwülste *189. *332. 
*780. *877. *1037. 173. 174. 
535. 536.539. 540. 619.1077. 
— Veränderungen im Ge¬ 
webe des Hirns 170. — glio- 
matöse 173. — Adenokarzi¬ 
nom 171. — Karzinose 172. 
— Sarkom 170. — Endothe- 
liom im Stirnhirn 771. — 
u. Arefl. der Cornea 1133. 

— der motor. Region 349 I 
u. 393. — der Adergeflechte 
453. — Differentialdiagnose 
mitThroinbosis 171.— Diffe¬ 
rentialdiagnose 961. — u. 
Schlaf 172. — mit Ausgang j 
von derGland. thyreoid. 875. ! 
— Operabilität 174. — Mor- I 
phium 963. —Röntgenb.963. ■ 

Hirngewicht *331. — n. Be¬ 
schäftigung 23. — Bestim- | 
mung desselben 213. 


Hirnhauttnmor 961. 962. 

Hirnhemisphären, Bedeutung 
129. 

Hirnhyperplasie 169. 

Hirnhypertrophie, kompensa¬ 
torische 138. — u. Pseudo¬ 
hypertrophie 169. 

Hirnnerven, einseit. Befallen¬ 
sein sämtlicher 874. 

Hirnphysiologie *188. *331. 

Hirnpunktion 915. 917. 918. 
962. 969. 

Hirnrinde, cf. Lokalisation 
*492. 691.1167. —Altersver¬ 
änderungen 168. 1119. — u. 
Speichelsekretion 270. — 
Pnysiol. 691. 1055. — Ana¬ 
tomie 703. 1055. — des 
Huhns 848. — beim Halb¬ 
affen 939. — Schichten der¬ 
selben 1142. 

Hirnsklerose *189. 482. 

Hirnstamm Verletzung , Zell- 
degener. danach 1138. 

Hirnsyphilis 112. 157. — dif¬ 
fuse 1095. 

Hirntätigkeit bei künstlicher 
Cirkulation 895. 

Hitzepsychosen 231. 516. 

Hitzig + 832. 

Hitzschlag 516. — atyp. For¬ 
men desselben 977. 

Hocbfrequenzströme 867. 

Homosexualität *495. 416. — 
u. Verbrechen 141. 

Hören 309. — u. Begreifen 940. 

Hörnervenapparat u. Trauma 
520 (2). 

Hörsphäre 1078. 1079. 

Hydrocephalus intern. 1175. — 
Chirurg. Behandl. desselben 
1176. 

Hydrotherapie *1040. 

Hypaesthesie 361. 

Hypalgesie 861. 

Hyperidrosis, cf. Scbweißauo- 
malien. — bei Dem. praec. 
1146. 

Hypertrophie, halbseitige 514. 

Hypnose bei Menstruationsstö¬ 
rungen 635. 

Hypnotherapie 923. 986. 

Hypoglossuslähm. *1038. 

Hypophysengegend, Platteu- 
epithelgeschwülste 274. 

Hypophysensaft, Injektion des¬ 
selben 1013. 

Hypophyßis *190. *333. *878. 
*1038. 274. 275. 276 (2). — 
tumor *782. 734. 735. 77t). 
— mit Röntgogramm 841. 

• 939. 963, 964. 994. 1014(2). 
1015 (3). 1143. 1152. — 
beim Pferd 1013. — tumor 
u. Myasthenie 613. — Ope¬ 
ration 615. 964.1016. 1017. 


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1208 


Hypophysis, Freilegung der¬ 
selben 842. — u. Genital¬ 
atrophie 965. 

Hypothermie, nervösen Urspr. 
1145. — bei Migräne u. 
Tnberkul. 1128. 

Hysterie *190. *334.*494. *782. 1 
*878. *1038. *1039. — De- , 
flnition n. Wesen derselben 
1088. 1089. 1090. 1091. — 
Entstehen derselben 933. 

— Blut dabei 912. — Asso- i 
ciationsversuche dabei 544. j 
— Kombin. mit verschiede¬ 
nen Seelenstörnngen 1085. I 
— Dysmegalopsie 287. — j 
Dämmerzustand 320.— Psy- 
chose 83. 367. (2). — Sen- 
sibilitätsstörangen 361. — 
am Warzenhof 361. — Geh¬ 
phobie (Kleinschrittgang) 
329. — Globus 360. — Iso¬ 
lyse 316. — Erbrechen 864. 
— Incontinentia urinae 864. 
— Ketentio urinae 646. — 
Fieber 364. — Phobien 366. 
—Amaurose 862.— Gesichts¬ 
feld 363. 648. - Ptosis 
paralytica 861. — Mydria- 
sis362. — Pupillenstarre 362. 
— Combination mit organ. 
Symptomen 380. — combi- 
niert mit Landry scher Para¬ 
lyse 264. 299. — Pseudo- 
appendicitis 360. — Sprach¬ 
störungen 363. — Aphonie 
363. — Dämmerzustand 870. 
1178. — Worttaubheit 582. 
— u. gynäkol. Erkrankung 
413. — Laryngismus 364. 
— Kleptomanie 1147. — 
Aetiologie. — bei Tieren 
98. — bei Arbeitern 356. 
— Nachahmung 869. — 
s. Trauma 626. — Diag¬ 
nose mit Epilepsie 315.365. 
471. 1099. — Therapie, 
kathartische Methode 369. 
— Heilung hyster. Kontrak¬ 
turen 421. — Hyst. bei Kin¬ 
dern u. Beschäftigungsthera¬ 
pie 591.—Forensisch.367. 
368(2).491. — u. Invalidität 
515. — Kleptomanie 1147. 


Schwachsinn. — Erziehung 
985. 

Impotenz *495. — Behandl. 

derselben 866. 

Inanition 726. 

Incontinentia urinae 364. 
Infantilismus *782. — angio- 
spasticus 78. — u. psych. 
Degenerescenz 225. — u. 
Akromegalie 276. — psych. 
860. — geistiger t079. 
Infektionskrankheiten, nervöse 1 
Komplikat. dabei 707. 
Infraspinatusrefiex *1038. 
Inspektion 1078. 

Instrument zum Richten des 
Geschützes 944. 
Insufficientia vertebrae 1017. 
Intelligenz u. Schädelumfang 
1058. 

Intelligenzprüfung 378. 989. 
Interkostalneuralgie 1125. 
Intermittierendes Hinken *783. 
669. 

Intoxikation, s. Vergiftung. 
Intoxikationspsychosen *192. 
*496. *783. 

i Involutionsmelancholie 531. 
Irrenanstalten *496. *880. 

480(2). 431. 528. — Auf 
nahmebeding. 430. — Ärztl. 
Nachwuchs 474. *1040. — 
Aufnahmefähigkeit 491. — 
Buch 82. — Hausepidemien 
542. — Verwaltung 988. — 
Entlassung geisteskr. Ver¬ 
brecher 826. — Staatsauf¬ 
sicht 983.. 

Irrenarzt u. Öffentlichk. 1101. 
Irrengesetz 287. 

Irrenpflege, famil. 429. 480. 

909. 983. 984. 992. 
Ischiadicus, Naht 467. 

Ischias *333. *494. *878. - 
Symptom dabei 1107. 1125. 

— durch. Rctrofl. uteri 1125. 

— perineurale Kochsalzin¬ 
filtration 289. 1126 (2). — 
behandl. 976. 1126. 

Jackson sehe Epilepsie 174. 
175. 349. 457. — Ätiolog. 
derselben 405. — Operative 
Behandl. derselben 874.916. 
917. 918. 


Katayama-Kraukheit 405. 
Keratitis neuroparal. 1124. 
Kcrnigschcs Symptom 1173. 
Kernschwund infant 406. 
Kind, geistige u. körperliche 
Pflege 271. 

Kinderlähmung, cerebrale 
186. *877. — cf. Hemiplegia 
cerebralis infantil. — Thera¬ 
pie 138. — spinale *781. — 
s. Muskclatr., Poliomyelitis. 
— Muskeltransplantation 
dabei 670. 

Kinematographie 496. 965. 
Kleinhirn *492. *493. *781. 
*877. *1037. 536. 691. — 
Entwicklungsstörung 132. 
184. — Reizungen desaelb. 
| 652. — Gewicht 130- — 

Tonus desselben 930. — 
I Anatomie 783. 734. — Lo¬ 
kalisation 571. 652. — Phy- 
i Biologie 131. 214. 652. 691. 

738. *781. 1031. — Muskel- 
i tonus 131. — u. Geschlechts- 
i trieb 130. — Absceß *189. 
*332. — Sklerose 182. — 
Tumor 89. 133. 134. 733. 
*781. *1037. - Sarkom 138. 
170. — Erweichungsherde 
245. — n. Ataxie, cf. diese. — 
familiäre 675. — u. konju¬ 
gierte Deviation 133. 
Kleinhirnbrückenwiukel *332. 
*1037. — Tumor 88. 90. 
91. 173(2). 536. 537. 
Kleinhirnrinde, histolog. Ver¬ 
änderungen 132. 
Kleptomanie bei einer Hyste¬ 
rischen 1147. 

Knochenfrakturen, spontane75. 
Knochenreflexe 851. 852. 
Kohlenoxyd *495. 899. 

Kokain 901. 

Kollaterolen im Rückenmark 

1011. 

Kombination, sukzessive von 
Psychosen 662. 
Kondensatormethode 467. 
Kontraktur nach Ablaktation 
1062. 

Kontrastträume 1012. 
Kopfform n. Geburt 1 ih> 9 
Kopfschmerzen *332. *335. 
*494. *783. 1121. 1122. 


Ibsens Nora 273. 

Icterus u. Gemütserregung365. 
Idiotie *495. *783. *879. *1040. 
522(3). 523. 524(2). 527. 
534. — famil. epilept. 1142. 
— Blut 912. — pathol. 
Anatomie 136. 524. — 
mit Erweichungsherd in den 
Centralganglien 414. — 

Ätiologie 522 (3). — The¬ 
rapie 527 (3). 534. 
Imbecillitas *192. *335. *495. 
522(3). 523. 525. - cf. 

Digitized by Gougle 


, Jodipin 816. 

1 Jodkali, Ersatzmittel desselben 
816. 

Jodpr&parate 816. 

Jacken, Analyse dessclb. 484. 

Kantharidennephr. u. toxial- 
kohol. Delir. 1146. 
Katatonie, Blot dabei 912. 
Katatonische Symptome 428. 
— ihr diagnost. n. prognost. 
Wert 932. — bei Paralyse 
824. 


Kopfverletz. u. Geisteskrankh. 
983. 

Körnchenzellen 472. 
Korsakoffsche Psychose 9o7. 
920. — Gedächtnisstör, da¬ 
bei 907. 

Krämpfe *333. *334. 

Krampf, Etymologie d. Aus¬ 
drucks 546. — klonische d. 
weichen Gaumens 1060. — 
tonischer des Rumpfes 1061. 
Kretinismus *190. *334. *494. 
— beim Hund 475. — ma- 
Qriginal from 

UNIVERSUM OF CALIFORNIA 



1209 


riner226.— path. Anatomie Magensaftsekretion u.psycho- i Meningoencephalitis 110V>. 
225.475. — Therapie 227. patlxol.Zustandsbilder 1073. Meningokokken-Heilserum 
230. 231. 1102. 1174. 

Kreuzbein, Krebsgeschwulst Maladie des tics 1063. Meningomyelitis 78. 735. 

desselben 580. M&lum suboccipitale, Opera- Menschenarbeit, Endziele der- 

Kriegsneurosen 425. I tion dabei 1025. j selben 928. 

Kriininalpsycholog. in Schillers Manganintoxikation 424. ] Migräne *333. *494.*781.*878. 

Räubern 273. | Manie *192. *783. — ebro- — u. Epilepsie 314. 358. 

Kriickenlähmung 465. nische532. — Ätiologie der- | — u. Hemianopsie 1122. — 

Kultur u. Gehirn 896. selben 862. — Plethysrao- ophthalmoplegische 1122.— 

Künstliche Cirkulationu. Hirn- graphische Untersuchungen Hypotherm. infolge Migräne 

tätigkeit 895. 863. — u. Magensaffcsekre- bei Tuberkulösen 1122. 

I tion 1073. Mikrocephalie *189. *332.405. 

liabvrinthcrkrank., luetische Manisch-depressives Irresein 801. — familiäre 70. 

870. — spastische Torti- *783.*1040.530.533.679.861. Milch, Einfluß des GehirnB auf 
kollis b. Labyrintherkr. 923, 862. 915. 1035. — in Syrien Absonderung derselben 187. 

Labyrinthtonus 929. } 533. — beim Kind 1151. Minderwertige, geistige 80. 

LaevnloBürie 40. Pugues dabei 861. — komb. Minderwertigkeit von Organen 

Landrysche Paralyse *333. mit Hysterie 1085.—Sprach- 869. 

*494. *1038. 264.299.459(2) Störungen dabei 1142. Mißbildete Knaben 674. 

939. — nach Typhus 459. Masochismus *1040. Mitbewegungen, kontralate- 

Laryngospasmus, er. Spasmo- Massage *1040. rale 128. — horizontale Bul- 

philie 282. Medianus. Stöi ungen im Ge- busschwingungen 242. 

Lateralsklerose *189. *333. — biet des Nerven 466. — Mneme u. Psychiatrie 1135. 

amyotrophische 78. 79. 590. Verletzung des Nerven 466. ; Mongolismus *1040. 1073. 

1094. 477. i Monismus mitralis 78. 

Lepra *333. *494. *782. *878. Medulla oblongata, cf. Bulbär- Monoplegie, kortikale 409. 

*1038. 75(3). paralyse. — mediane Spal- Moral insanity 914. 

Lidreflexe 852. tung derselben 609. — sen- Mord n. Selbstmord 469. 

Liquor cerebrospinalis *333. sible Wurzeln derselben 757. Morphinismus *334. 

*335.32.1168. — cf. Lum- — physiol. Anatomie 967. Morphium 901. — bei Hirn- 

balpunktion. — Blutgehalt 968. —Vasomotorencentrura tumoren 963. 

u. Lymphocyten desselben 217. —u. BachschePupillen- | Morphiumabstinenz, psych. 

413.— bei Mikroccphalus u. centren631.—Erweicbungs- j Störungen dabei 902(2). 

Encephalocele 801. berde in derselben 670. : Motilitätspsychosen 534. 

Littleschc Krankheit 136. — Melancholie *880. 231. 531. Motorische Centrcn im Kortex 
Orthopädie dabei 967. 631. 688. 1028 (2). 1103. 1 1094. 

Lob-Litzmann sehe Maß der 1104. — Plethysmograph, j Motorische Eigentümlichkeit 

psych. Tätigkeit 1102. Untersuchungen dabei 863. Geisteskranker 428. 

i.obus frontalis *188. *492. — Psychopathol. derselben Multiple Sklerose, s. Sklerose, 

— Function 238. — Anato- 864. — Neuralgien bei multiple. 

mie u. Physiologie 404. — Melancholie 864. Muskelarbeit u. geistige Arbeit 

temporalis, Funktion 309. Mendel, E., zum Andenken 530. 

Lokalisation in der Hirn- 593. 642. Mnskelatonie, s. Myatonie, 

rinde *188. 1010. 1094. — Menieresche Krankheit 923. Muskelatrophie *190. • *334. 
Bcwegnngscentrum bei j Meningen *189. *332. *493. j *495. *783. *879. *1039. 44. 

der Maus 50. — beim Schaf \ *780. *877. — Sarkomatose | — bei supranukleären Lah- 

70. — beim Beutelmarder j derselben 1169. mungen 410. — progressive 

167. — für Hören 309. — Meningitis cerebrospinal.*189. 1068. — neurale 636. 1070. 

im Kleinhirn 571. — im | *332. *493. *780. *877. *1037. 1071 (2). — von peroncalem 

Rückenmark 571. 1174(4). — experiment. beim Typus 674. — famil. progr. 

iombrosos Werk 1030. i Affen 1171. — bei Kindern j 676. 

mes cerebrospinalis 637. 812. 1 1173. — Rückenmark dabei I Muskeldystrophie *334. 1069. 

— Jodipin dabei 816. — ' 1171. — Herpes 1172. — 1070(2). 

Erkr. des Sehapparates da- ; Kernigsches Symptom 1172. MuBkclermüdung bei para- 
bei 1005. i —Herdsymptome dabei 964. thyreoiden Hunden 513. 

.uftbäder bei Neurasthenie u. i — Cerebrospinalflüssigkeit Muskellähmungen, Therapie 
Anaemie 925. dabei 1095.1173.—Chirurg. 139. 

nftdouchen 420. Behandlung derselben 978. Muskelschwäche 2. 

umbalanästhesic *493. *1038. ; — purulenta 86. 87. — go- Muskelton 639. 

nmballähmung zur Heilung | norrhoica 1171. — spora* Muskeltonus 131. 

hy8ter. Kontrakturen 421. 1 dische 1173. — pseudoepi- Myalgie 1120. 

umbalpunktion *190. *495. demica 1171. — Lumbal- Myasthenie *189. *333. *781. 

*1038.— bei Geisteskrankli. punktion 1173. 1174. 1175. *877. *1037. 239. 445.671. 

32. — bei progress. Para- Meningitis serosa 1170. — im 672. 673 (2). 875. 939. — 
lyse 33. — beiCcrebrnspinal- Kindesalt. 1170.— spin.3S3. u. Hyperleukocytoso 424. — 

nieningitis 117:yH74 1175.i Meningococcus u. Rückci.- u. Hypophysistumor , 

.jmpbocytose be\Tfllfc& 63^. j markserkrankungen 735. Myatonia *8j7jh^ *19^^...54J8. 



1210 


1067 (2). 1068. - u. Myo¬ 
pathie 1097. 

Mydriasis, hysterische 362. 

Myelitis *189. *333. *877. — 
acuta 78. — aufsteigende 
577. — Compressionsrayc- 
litis 579. 1024. — syphil. 
812. — tubercul. 812. 829. 
— oder akute mult. Sklerose 
1001. 

Myohypotonie 2. 

Myoklonie *877. 875. 1062 (2). 

Myopathie u. Epilepsie 312 u. 
314. — u. Myotonie 1097. 

Myosklerose der Greise 1098. 

Myotonie *494. *877. *1039. 
677 (2). 875. — atypische 
Formen derselben 678. — 
psychische Störungen dabei 
678. 

Myxödem *190. *333. *334. 
*491. *782. *878. 524. — 
kongenitales 224. — atypi¬ 
sches 225. 


ÄTasenerkrankung u. Epilepsie 
811. 

Nasenrachenerkrankung u. 
Neurasthenie 1099. 

Nebennieren bei period. Irre¬ 
sein 727. 

Nervenbahnen, die ersten im 
GroBbirn 926. 

Nervendehnung 1127(2). 

Nervenfasern, in Substanz des 
Uterus *492. 166. — Ent¬ 
wicklung derselben 125. — 
zeitiger Aufbau derselben 
1118. — roarkhaltigc in 
Netzhaut 708. — chemische 
Bestandteile 1118. — Rege¬ 
neration *780. *876. 24 
664. 666. 683. 

Nervenganglien in Gebär¬ 
mutterwand 165. 

Nervenkrankheiten *189. *780. 
— Pathol. u. Therap. 1077. 
— Beschäftigungstherapie 
237. — diphther. 456 (2). 

Nervenlähmungen *190. *833. 
*781. 


Nervenpfropfnng 462. 
Nervenzellen *188. — Neu¬ 
bildung derselben 69. — bei 
Geisteskranken 1012. 
Nervosität 355. 

Netzhaut, markhaltige Nerven¬ 
fasern 708. 

Neuralgie *190. *781. *878. 


Digitized by 


*1038. 421. 1120. — s. Tri¬ 
geminusneuralgie, Zungen- 
ueuralgie, Migräne, Inter¬ 
kostalneuralgie, Ischias usw. 
— u. Melancholie 864. — 
oder Zahnschmerz 1124. — 
Nervendehnung dabei 1127 
(2). — Behandl. derselben 
421. 422; mjj Alkohoteiu- 

v Google 


Spritzung 422. 639; mit In¬ 
jektionen unter hohem Jlruck 
423; mit Kokaininjektionen 
428; mitKochsalzumktionen 
1121 . 

Neurasthenie *190. *384. *494. 
*782. *878. *1038. — s. 
Trauma- u. gynäkolog. Er¬ 
krankung 413. — u. Hypo- 
thyreoidie 829. 856 (8). 358 
(2). 870. — u. Nasenrachen¬ 
erkrankung 1099. — Forens. 
Bedeut. 491. — Behandlung 
mit Eisen 421. — Luftbäder 
925. — Heilung derselben 
1084. — Psychotherapie 

1100. 

Neurinsarkoklese 1124. 
Neuritis . *190. *333. *494. 
*782. *878. *1038. — cf. 
Beri-Beri. — des Plexus 
brach. 463. 464. — alcoho¬ 
lica .41.— ascend. u. Rheu¬ 
matismus 455. — urämische 
457. — durch Creosot 60. 

— experim. parenchymat. 
454. — Nervendehnung da¬ 
bei 1127. — Alkoholinjekt. 
dabei 639. 

Neuritis interstit. im Gebiet 
der Sakralwurzeln bei einer 
Stute 760. 

Neuritis multiplex *494. 3. 
939. — epidemische 455. 

— nach Keuchhusten 456. 
— Psychose dabei 457 (3). 

Neuritis optica u. Syringo¬ 
myelie 74. — retrobulbaris 
85. 

Neurofibrillen *1036. — Färbe¬ 
methoden 188. 338 895. — 
u. Verfäulnis 1059. — in 
den Fortsätzen und im Zell¬ 
leib der Ganglienzellen 1154. 
Neurofibromatosis multiplex 
89. 

Neuroglia, cf. Glia. 
Ncurohyperästheaie 358, 
Neuroma cirsoideum 454. 
Neuronal 866. 

Ncuronenlehre *188. *331.119. 
667. 

Neuronophagie 810. 

Neurosen, vasomotor. u. tro- 
phische 633. 634. 
Neutralzellen des centralen 
Nervensystems 667. 

Nikotin: *495. - u. Blutkreis¬ 
lauf im Gehirn 903. 
Nikotinismus u. progr. Paral 
905. 

Nuclei caudati, doppelseitige 
Erkrankung derselben 776. 
777. 778. — Anatomie u. 
Physiol. derselben 776. 777. 
Nucleus arciformis, Heteroto- 
pie desselben 505. 1158. [ 

Nucleus ruber 870. 


I Nyktophobie 366. 

NystagmuB 478. — assoziiert 
248. — famil. 679. — «s! 
Bergleute 802. 

Nystagmus-Myoklonie 592. 

Oblongatakerne, phyloee> 
Verlagerung derselben 

Obstipation, Behandlung L 
selben 427. 

Occipitallappen, Rinde i- 
selben 723. 786. 801. 

Ocnlomotor. Apparat u. R ■ 
lokal isation 976. 

Oculomotorius, cf. Ptosis - 
lähmung: angeboren -f. 
periphere 852. — Wunt- 
fasern 22. 

Oesophagismus 360. 

Öffentlichkeit u. Irrenarzt- 

1101 . 

Ohrenerkrankung n. Epik- 
311. — u. Geisteskrank: 
1177. 

Ophthalmoplegie *877. 

Opium 901. 

Opticusatrophie u. Tuns- 
Bchädel 1081. 

Optische Reize 535. 

Orthopädie bei Lähmung?.! 
967. 

Palpation 1078. 

Paradoxer Reflex 858. 

Paralysis agitans *783. - 
Kontrakturen 77. — p*_. 
Anat. 427.1060(2). — Pik 
genese 1060. 

ParalyBis progressiva *ic 
*385. *496. *783. *83a *104 
84. 86. 37. — Symptemi 
tologie 829. 821. 823. - 
Blnt dabei 912. — kt. 
872. — Arthropathie 39. - 
Augensymptome 37. 82! 
822(2). 1103. — u. Cho¬ 
rioiditis 1103. — Muskei 
Zuckungen 823. — Fcgto 
861. — u. Epilepsie 14. - 
n. Schlafkrankheit 529. - 
Malum perforans 39. - 
Paroxysm. Fieberaustäud; 
823. — Krampfanfälle m.t 
aknst. Folgeerschein. 824 
— Predigerband 38. — I,ae- 
vnlose 40. — Babinsluscber 
Reflex 40. — Säuglings 
reftex 38. — Sensibilitäu- 
störungen 287. — u. Amy» 
trophie 820. — Kataton 
Symptome 824. — Ätio¬ 
logie 490. — Syphil. Anti¬ 
körper 817.818. — u. frühen 
antisyphiliti. Behandlung 
970. — Serodiagnose 762 
(3). 763. 818. — End- ' 
genese 84. — Syphilis 26. 

34(2). 35(3). 434. 762. 770. 

Original from 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1211 


817 (2). — in Bosnien 921. 

— in Syrien 533. — in Grie¬ 
chenland 1146. — im Kan¬ 
ton Luzern 819. — Trauma 

35. — elektr. Starkstrom 

36. — bei Prostituierten 
825. — Verlauf 40. 490. 
cirknlärer 40. — 14 jährige 
Remission 824. — Pathol. 
Anatomie: 819. — Me- 
ningocerebellitis 1145. — 
Plasmazellen im Rücken¬ 
mark 1138. — Liquor cere¬ 
brospinalis 32. 33. 762. 763. 
817. 818. 819. 823.— Diph- 
thcroid 36. — Fibrillen bei 
Paral. 819. — Markfaser¬ 
schwund in d. Hirnrinde 36. 
973. — Bedeut, f. forens. 
u. Unfallpraxis 770. — 
fleckenweiser Markfaseraus¬ 
fall 240. 973. — Diagnose: 
Cytodiagnose 33. — Früh¬ 
diagnose 37. — u. andere 
Demenzformen 931. —The¬ 
rapie: 26. 37. 824. 825. 
— Atoxyl 825. 1146. 

Paranoia, period. *880. *1040. 
1029. 727.1178. — Medianus 
dabei 873. — Affekt dabei 
933. — u. Magensaftsekre- 
tion 1073. 

Patellarreflexe, cf. Sehnen¬ 
reflexe. — Bahnung derselb. 
700. — Fehlen bei Hysterie 
293. 857. 

Pellagra *782. *1038. 
Periodische Psychosen 476. 
477.1034.1035. - u.Trauma 
518. — Nebennieren dabei 
727. 

Periphere Nerven *493. — u. 
Wärmeregulierung 453. — 
Beh. der Scbußverletz. peri¬ 
pherer Nerven 467. — Ge¬ 
schwülste derselben 1077. 

— u. Psychosen 1152. 
Perkussion 1078. 

Perniciöse Anämie, Rücken¬ 
mark dabei 620. 

Perseveration 321. 

P ersö □ 1 i ch kei t, D issoc i ation 
derselben 215. 

Perverser Geschlechtstrieb 
828, s. auch unter Sexuelle 
Pervers. 

Petit mal, epilept. 318. 319. 
Pflegepersonal in Anstalten 
980(3). 981. *1040. 1101. 
Phantasten, degenerative 3S0. 
Phobien 366 (2). — cf. Nykto- 
phnbie. 

Phrenicus bei Duehenne-Erb- 
scher Lähm. 465. 
Phylogenetische Vcrlager. der 
OLlnngatakcrnc 834 9:59. 
Physikal. Thor: 

Sßßi.gitized bv 




Pia mater, Sarkom 174. 
Picksches Bündel 478. — 
Plethysmograph. Unters uch. 

bei affektiven Psychosen 863. 
Plexus brachial», Lähmung 
463. 464. 465(2). 
Polioencephalitis 451. — infer. 
407. 

Poliomyelitis ant. *781. *877. 

— ci. Muskelatrophie, Kin- 
derlähra. — u. Bauchmuskel, 
lähm. 612. — acuta 612- 
669. — subacuta infant. 
669. — nach Vakzination 
778. 

Polyneuritis, cf. Neuritis 
multiplex. 

Pons Varolii, Läsion u. sekund. 
Degener. 898. — Tnmor 86. 
— Hämangiom 1162. — 
Absceß 175. — Blutung 
*189. 411. 615. — deviierte 
Konjugation 133. 
Porencephalie 138. 488. *1036. 
Poriomanie 319. 320. 

Pottsche Krankh. *493. 579. ! 
580. *781.812.1022.1023(3). ! 
1024. — beim Affen 1022. ! 

— mit Kernigschem Zeichen 
1023. 

Prognose d. Nervenkrankh.968. 
Progress. Knochen- u. Muskel¬ 
krankheit 939. 

Proponal bei Epilepsie 324. 
865 (2). 

Prostituierte, Geisteskrank!). 

bei ihnen 825. 

Protagon 1118. 
Pseudoappendicitis 360. 
Pseudobulbärparalyse *493. 

671. — xx. Ptosia 1088. 
Pseudodelirium tremens 489. 
Pseudotumor 636. 
Psychasthenie u. Delir 1146. | 
Psychiatrie 171. *495. — u. 
Mneme 1135. — Grundztige 
derselben 826. 910. 
Psychiatr. Aufgaben der Ge¬ 
meinden 1135. 

Psychiatr. Unterr. in Greifs¬ 
wald 469. *495. 

Psych. Defektzustände 521. 
Psychische Vorgänge. — Me¬ 
chanismus 194. 254. 
Psychogalv. Reflexphän. 850. 
Psychognosie 513. 

Psychologie *191. *335. *495. 
513. *783. *879. *1039. 

— psychol. Denken 940. — 
Psychol. der Pubertät 940. 

— kriminelle 943. — Erklär, 
psycholog. Probleme 943 

— objektive Psychologie 
987. 

Psychopathen, Vorgesch. der¬ 
selben 914. 

Psychopathische Konstitution 
1072. 117ö. 


Psychoreflektor. Symptome 
515. 

Psychosen *191. *335. *783. 

*879. *1039 827, s. period- 
Psych. — in d. Marine 725. 

— in Satire, Sprichwort u. 

Humor 869. — u. Erlebnis 
924. — u. Mageasaftsekre- 
tion 1073. 1102. — nach 
Kopfverletzung 983. — u. 
Tuberkulose 1075. — akute 
u. ibre Klassifikation 1028. 

— Zunahme derselben 985. 

— u. Epilepsie 320. 321. — 
kardialen Ursp. 1146. — 
Mischformen 326.—Pupillen 
354. — Augenspiegelbefnnde 
1103. — Ätiologie: im 
Anschluß an polit. Ereignisse 
81. 139. — Morb. Basc- 
dowii 221. — u. Struma 
231. — durch Hitze 231. — 
bei Prostituierten 825. — 
Diagnose: Lumbalpunk¬ 
tion 33. — Alkoholversuch 
182. — Intelligenzprüfuugen 
378. — Therapie: *192. 

*335. *496.*784.*880.*1040. 

81. — Beschäftigungsthera¬ 
pie 2:-,9. — inNew-York 990. 

Psychotherapie 986. 

Ptosis paralytica 361. — nach 
Trauma 476. — u. Pseudo¬ 
bulbärparalyse 1088. 

I Pubertät, Psychol. derselben 
940. 

Papillen, cf. Mydriasis 852. — 
Pathologie derselben 974. 

— willkürliche Erweiterung 

, 355. — bei Geisteskr. 914. 

Pupillencentren 631. 

Pupillenreaktion 353. 

Pupillenreflexe *190. *1038. — 
u. Rückenmarksläsion 852. 

Pupillen, springende *334. 
Pupillenstarre 975. — im 

hyst. Anfall 362. 855. — im 
kataton. Stupor 855. — ein¬ 
seitige reflektorische 852. 

— xx. Halswirbelfraktur 853. 

— reflektor. 853. 854. 
Pupillenunruhe 914. 

Pyramidenbahn *188. *189.78. 

1168. — Erkrankung u. 
Kontrakturen 76.— u. spast. 
Spinalparalyse 77. 

4fcuecksilberYcrgiftung,Zittern 
dabei 458. 

Querulator. Psychosen 542. 
Quinquaudsches Zeichen *876. 

904 (2). 

Radium und Nervensystem 
*493. 

Rasseneigentümlichkeiten der 
Wehr \> Hiebtigen, Bosniens u. 
der Horn-govgftäy ^CALIFORNIA 




1212 


Raynaudsehe Krankheit *190. 
♦782. 283. 284 (2). 285. 

Reaktionszeit 491. 

Recurrens *188. *333. — lähm. 
463 (2). 

Rededrang 684. 

Reflexe *190. *333. *493. *781. 
*877. *1038. 939. 1166. - 
cf. Babinskiscber Reflex. 
Knochenreflexe, Lidreflex, 
Sehnenreflexe, Achillesrcflex, 
Fußrückenreflex, paradoxer 
Reflex. Säuglingsreflex. — 
im Schlaf 857. — bei 

Hemiplegie 427. — nach 
Ruckenmarksdurchtrennung 
576 u. 577. — nach Durch¬ 
schneidung der hinteren 
Wurzeln 849. — cerebrales 
u. spinale« Element derselb. 
850. — Mechanismus der¬ 
selben 991. 

Reflexepilepsie, cf. Epilepsie. 

Reflexerregbarkeit u.Sauerstoff 
1011. 

Regeneration f. Nervenfasern 
*493. 664. 665. 666. 688. - 
im Rückenmark 240. 574. 

Retrograde Amnesie 490. 

Rhinorrhoea cerebrospin. 874. 

Riechrinde 926. 

Riesenwuchs 1014. — dystroph. 
Form desselben 1069. 

Rindenblindheit 723. 

Rindertuberkulose 610. 

Rodagen u. Herzneurosen 223. 

Röntgenbild der Halswirbel- 
säuie 1017. 

Roentgenographie des Schädels 
963. 

Röntjgenstrahlen *189. *876. — 
bei Basedow scher Krankheit 
224. — u. Neurologie 870. 
— Wirkung derselben auf 
Hirn- u. Rückenmark 1098. 

Rousseau 1145. 

Rückenmark, cf. Hinterstränge 
usw. *189. *331. *781. *877. 
*1038. 1166. — nervöse Re¬ 
generation in demselben 240. 
574. — Hcterotopie 586. — 
traumat. Heterotopie 383. 
— traumat. Blut, bei Tabes 
1110. — Sensible Leitungs¬ 
bahnen in demselben 571. — 
u. Blasenschluß 1180. — 
nach Blutinjektionen 573. — 
nach Amputation 574. — 
Cystische Mißbildung des¬ 
selben 572.—Entwicklungs¬ 
anomalie desselben 572. — 
Kombin. Strangdegeneration 
589. — System at. Erkr. des¬ 
selben (aufsteig. einseit. 
Paralyse) 589. - bei perni¬ 
ziöser Anacmic 620. — bei 
Mtming. cerebrqBpin. 1171.— 

i Ajqdäelben 873. 


Rückenmarkserkrankangen 
*333. *1038. 960. — u. A1- 
koholisraus 4 l. — n. Schwei߬ 
anomalien 21. 

Rückenmarksgeschwülste 
*189. *493. *781. *877. — 
Extra- n. intramedulläre 538 
539. 541. 584. 585. 586. 587. 
1077. — Extramedulläre 581. 
584. — operative Behand¬ 
lung 584. 934. 

Rückenmarkshautgeschwölstc 
582. 583. 959. 961. 

Rückenmarkskompression 578. 
579. 898. 

Rückenroarkslähmungen 424. 

Rückenmarkssyphilis 611. 812. 

Rückenmarkstuberkulose 812. 

Rückenmarksverletzung *189. 
*333. 78. 

Rückenmarkswurzeln, cf. Wur¬ 
zeln. 

Sadismus *1040. 

Sarkomatose d. Meningenll69. 

Sauerstoff u. Reflexerregbar¬ 
keit 1011. 

Säuglinge. — eklamptische 94. 
— Tetanie 94. — galva¬ 
nische Untersuchungen 95. 

Säuglingsreflex 38. 

Schädel — Bestimmung des 
Inhalts 213. — Turmschädel 
405. 

Schädelbasisbruch 519 (2). 874. 

Schädeldach — knöcherne 
Tumoren 169. 

Schädelmaße u. Beruf 1058. 

Schädelschüsse 521. 

Schädelumfang u. Intelligenz 
im Schulpflicht. Alter 1058. 

Scheitellappen, histol. Lokalis. 
1130. 1131. 1132. 1133. 

Schilddrüse, cf. Glandula tby- 
reoidea. 

Schilddrüsennervoßität 1099. 

Schlaf 553. — Bewegungen 
während desselben 1060. 

Schlafsucht bei Hirntumor 172. 

SchliugmuBkulatur, rhytmische 
Krämpfe 245. 954. 

Schluckreflcx 609. 

Schmerz 683. 

Schopenhauer 682. 

Schreiben, automatisches 724. 
— Stereotypie dabei 725. 

Schulärztl. Erfahr. 1145. 

Schumann, Robert, Krankheit 
232. 

Schwachsinn, epileptischer 
322. 1142. 1151. — ange¬ 
borener *192, *335. *495 
522. (3). 523. 525. 528. - 
Ohrmuschel bei Schwachsin¬ 
nigen 526. — Fußödem 526. 
— Hvpermnesie 591. — 
Terapie527. — Erziehung 


Schwauger8chaftsdelir b. einer 
Schwachsinnigen 1146. — 
Schwannsche Scheide 952. 
Schweißanomalien, F unktion 
der Schwei ßsekretion 123. 

— bei Rückenmarkskrank- 
heiten 19. — bei Hirnaffek¬ 
tion 187. 

Schwindel — neurasthen. 35$, 
Seelenstörungen, Grundlagen 
derselben 910. 

Sebb&hn, Eintritt derselben in 
die Hirnrinde 786. 801. 
Sehnenplastik 138. 
Sehnenreflexe u. Kleinhirn 131. 

— im Schlaf 857. — cf. 
Patellarreflcxe — ange¬ 
strengter Körperteile 498. 
637. — bei Marathonläufern 
498 u. 563. — Bahn au? 
der Patellarrefl. 700. — Con¬ 
vention. Fixier, derselben 
855. — Zur Untersuchung 
derselben 856 (4). — Knie¬ 
reflex nach Schreck dureL 
Schuß 856. — Fehlen des 
Kniereflexes bei Hysterie 
293. 857. 

Sehnenüberpflanzung 138. 

I Sehsphäre, kortikale 723. 
Seitenstrangkern 124. 
Sekundäre Degeneration 89$. 
Selbstmord *191. 

’ Selbstverstümmelung im Alko¬ 
holdelir 908. 

Senile Abasie 735. 

Sensibilität, cf. Tiefensensibili- 
tät — Lokalis. derselben in 
der Hirnrinde 1010. 
Sensibilitätsstörungen. meta- 
mere bei Hirnerkr.*493.411. 

— object. Nachweis dersel¬ 
ben 426. — syphil. am 
Rumpf 813. 

Sensible Leitungsbahnen im 
Rückenmark 571. 705. — 
beim Hund 706. 
Serodiagnose bei Lucs, Tabe*. 

Paralyse 762 (3). 1140. 
Serratuslähmung, operative 
Heilung *878. 382. 
Sexualleben u. Kultur 415. 
Sexuelle Perversität*192. *495. 
*788. *879. *1040. 418 (2) 
419. 828. — Foren s. Be¬ 
deutung derselben 418. — cf. 

I Homosexualität 416. 417(2). 

I — Sexuelle Enthaltsamkeit 

*783. *879. *1040. 416(2). - 
| Übergangszuständc 417. 
Sexuelle Aetiologie der Neu¬ 
rosen 933. SS8. 953. 
Sicherheitswachen 535. 
Simulation 515 (2). 535. 62$. 
629.— Alkobolversuche 182. 

— einer Geisteskrankheit 
943.—Entlarvung derselben 

NIV^IfTY OF CALIFORNIA 



1213 


Sinosthrombose, Angensymp- 
tome dabei 974. 
Sklerodermie *190. *878. 
*1038. 619. — a. Basedow¬ 
sche Krankheit 217. 218. 
Sklerose, cf. Hirnsklerose. — 
des Kleinhirns 132.— mul¬ 
tiple *190. *333. *493. *781. 
*1038. 132. 637. — famil. 
juvenile 1139.— Path.Anat. 
802. 803. 804. — Symptom¬ 
atologie 803. 805. 806 (3). 
— Erkr. des Sehapparates 
dabei 1005. — akute oder 
Myelit disaemin. 1001. — 
akut verlaufende 806. — u. 
Syphilis 80-1. — sakrale 
form 1106. 1130. — Forens. 
Bedeut 807. 

Skopolamin bei Chorea 330. 
Somnolentia 819. 
Spasmophilie 94. 280. 
Spasmus *494. nutans *1038. 
1061. 

Spastische Spinalparalyse u. 

Syphilis 624. 814. 
Speicheldrüsen u. Rindencen¬ 
trum 270. 

Spina bifida *493.132. — lum- 
bosacralis 355. — cystica 
572. 

Spinalganglien *493.) 
Spinalparalyse. — spas¬ 
tische 77. — u. Syphilis 
*877. 624. 814. 

Spondylitis tnberc. 829. — Be- 
bandl. mit Rauchfufl scher 
Schwebe 1024. — Operative 
Behandl. derselben 1025. — 
Heberdrainage dabei 1026. 
Spondylosis rhizomelica *1038. 
579.1018. 1020 (2) 1021 (3). 
1022 . 

Sprachsinn 525. 
Sprachstörungen 363, cf. Apha¬ 
sie. — funktionelle 478. — 
Schwachbegabter Schulkin¬ 
der 525. 

Stammbaum, Erforschung 469. 
474. 679. 

Status hemiepilcpticus 349 u. 
393. 

Stauungspapille bei Hirnblu¬ 
tung 782. — bei Hydrocepb. 
chron. 733. — u. Neuritis 
opt 772. — bei Hirntumor 
772. 

Stereognostischer Sinn, Loka¬ 
lisation desselben in d. Hirn¬ 
rinde 1010. 

Stereotypie, graphische 725. 
Stirnhirntumor u. Areflexie der 
Cornea 1133. 

Stirnwindung, Verdoppelung 
570. 

Strafgesetz, deutsches § 51. 
372.730. — Reform des StG. 

U78.:itized by 


Strafgesetz, österr. § 2. 730. 

Strickkörper, cf. Corpus resti- 
forme. 

Struma, cf. Basedowsche 
Krankheit 221. 

Stupidität 687. 

Stupor, psych. Prozesse dabei 
1083. 

Stübsubstanz des Central¬ 
nervensystems 512. 

Suggestibilität 1029. 

Sympathie ns *333. *494. *782. 
*878. *1038. 959. 1166 — 
Reizung desselben u. Hirn- 
volumeu 1011. — Kopfsym- 
pathicus 403. — Gangl. cer- 
vical. supr. nach Anaemisi- 
rung 282. — u. Erkrankung 
des Wurmfortsatzes 282. 

Syphilis *191. *334. *782. *879, 
*1039. — s. auch Lues- 
cerebrospinalis 812. — bei 
Neugeborenen 112. 157. — 
Lymphocytose der Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit 807. — 
heredit. 807. — Serodiagnose 
762. 763. 818. — Nerven¬ 
system Syphilitischer 808 
(2). 809. — des Rücken¬ 
marks 611. — u. spast. 
Spinalparalyse 624. 814. — 
Hirnlues 811. — Hirnlues 
u. Korsakow 810. — cere¬ 
brale bei Kindern 809. — 
Psychosen 486. 487. — u. 
akute Verwirrtheit 983. — 
u. Erkr. der Extremitäten¬ 
gefäße 815. — Behandl. 
816 (3). 

Syphilitische Sensibilitätsstör. 
am Rumpf 818. 

Syphilogene Erkr. des Central- 
nervensysteros 622. — Be¬ 
handlung derselben 815. 

Sypbil. Wirbelerkr. 814. 

Syringobulbie 72. — Vagus- 
lähmnng dabei 1115. 

Syringomyelie *190.*333.*781, 
*877. *1038. 71 (2). 72. 73. 
74 (3). 75 (2) 328. 585. 875. 

Systemerkrankungen, combi- 
nierte 41. — path. Anatomie 
144. 

Tabakrauch u. Blutkreislauf 
im Gehirn 903. 

Tabes *190. *333. *493. *781. 
*877. *1038. 623. — experi¬ 
mentelle bei Hunden 760. 
— Theorie derselben 1095. 
1096. — Symptomato¬ 
logie 27. 765. — Blut da¬ 
bei 912. — ataxo-spasmod. 
Form 1096. — Analgesie 
der Achillessehne 28 u. 765. 
— Arthropathie 1097. — 
traumat Rückenmarksblut, 
dabei 1110. — Krisen, gastri¬ 


sche 29. — Ataxie 971. — 
u. Osteomyel. gummosa 764. 

— u. Neuritis 28. — Aba- 
diesches Zeichen 28 n. 765. 

— Lymphocytose 623. — 
unvollständige Formen 26. 

— Geburt bei Tabes 765. 

— Ätiologie 26. 761. 764. 

765. 817. — auf erblich- 
degenerativerGrundlage754. 

— u. Diabetes in der As- 
cendenz 755. — juvenile 
Tabes 779. — Syphilisätio¬ 
logie 761. 752(3). 817. — 
Serodiagnose 762 (3). 763. 

817. — geschlechtl. Abusus 
761. — u. frühere antisyphi¬ 
litische Behandlung 970. — 

Verlauf, Dauer, atypisch 
26. — Gravidität 27. — 
path. Anatomie 25. 26. 

1095. 1096. — Läsion der 
Wurzelfasern 25. — Diph- 
theroid 36. — Ganglien u. 
hintere Wurzeln 1096 (2). 

— Vorderhörner 1097. — 
Diagnose 27. — Thera- 
pie26.765.1097. — Übungs¬ 
therapie 29. 766. 1081. 

Tachykardie, paroxysmelle 
1120. 

Tastlähmung, transkortikale 
708. 709 (3). 

Telephonschädigungen 516. 

Tetanie, Behandlung mittels 
Nebenschilddrflsenpräparat. 

281. — als Kalciumvergift. 

280. 

Tetanie *190. *384. *494. *782. 

*878. *1038. 867. - Ätio¬ 
logie 488. — experimentelle 
1099. — der Säuglinge 94. 

278. — der Kinder 280. — 
Tetaniestar 280. — halluz. 
Verwirrtheit dabei 146. — 
parathyreopriva 277. 1099. 

— u. weiblicher Sexual¬ 
apparat 278. — intestinalen 
Ursprungs 279. — u. Magen¬ 
erweiterung 278. — bei 
Magenkrankheiten 279. 

Tetanus traumaticus *191. 

*334. *494. *782. *878. 487. 

489. *1039. — Therapie 31. 

382. — elektr. Reaktionen 
330. 

Therapie *192. *335. *496. 

*784. *880. *1040. 234. 239. 

859. — physikalische 419. 

*784. 

Thomsensche Krankheit, s. 

Myotonie. 

Thrombosinusitis cerebr. 1176. 

Thymus, hypertrophische 7. 

Tic 1063 (2). — u. Chorea 
1064. 

Tiefenseusibilität ^ |na| from 

1 '\W*Wer'S\-W OF CALIFORNIA 



Tollwutschutzimpfung, akute 
Paraplegie danaoh 1080. 

Torticoliis »494. 1061. 

Toxine, ihre Wirkung auf Hirn- 
u. Rückenmarksnerven 982. 

Traum bei Männern u. Frauen 
941. —Kontrastträume 1012. 

Trauma *191. *884. *496. 
*782. *879. *1089. 515. 542. 
— cf. Simulation. — elek¬ 
trisches 182. 516. — am 
Telephon 516. — im Brauer¬ 
gewerbe 517. — Meningitis 
cerebrospinalis 86. 87. — 
u. Abducenslähm. 518. — 
u. Störungen im Hörnerven¬ 
apparat 520. — u. Arterien¬ 
erkrankung 518. 521. — u. 
inneres Ohr 520. — u. Apo¬ 
plexie 517. — u. progressive 
Paralyse 35. 36. — u. Dip¬ 
somanie 518. — Rücken¬ 
mark *388.78.— des Schädels 
187. 519 (2). 521. — u. 
Neurosen 425 478. 521 (2). 
626. — Untersuch, mit d. 
Arbeitsschreiber bei Unfall¬ 
kranken 529. — Serratus- 
lähmung 382. — Rhythm. 
Krämpfe der Schling- u. 
Respirationsmuskulatur bei 
traumat. Neurasth. 954. — 
Folgen der Unfallgesetz¬ 
gebungen 625. 

Tremor, Mechanik desselben 
927. — statischer 290. — 
famil. 679. 

Trepanation bei Epilepsie 324. 
325. — bei Großhirnge¬ 
schwulst 174 (2). — bei 
Kleinhirntumoren 133.134.— 
beiKleinhirnbruckentumoren 
173(2). — bei Hirnabsceß 
175(2). — bei Jacksonscher 
Epilepsie 174. — bei Rücken¬ 
markslähmungen 383. 

Trigeminus, intrabulbäre Ver¬ 
bindungen zum Vagus 270- 

Trigeminusneuralgie*190*494. 
*878. 681. — Exstirpat. des 
Gangl. Gasseri 1124 (3). — 
Neurinsarkoklese 1124. — 
Lingualisneuralgie 1125. 

Trinkerfürsorge 909 (2). 

Trophödem, chronisches 330. 

Trunkenheit, akute in foro 142. 

Trypanosomenerkrank. 1141. 

Tuberkuline Ophthalmoreakt. 
bei Psychosen 1147. 

Tuberkulose u. Nervensystem 
*493. 1075. — u. Psychosen 
1075. — in Anstalten 1075. 


1076 (2). — beim Rind 610. 

Tumoren, multiple im Umkreis 
des Nervensystems 781. 

Turmschädel u. Opticusatro¬ 
phie 1081. — Röntgenauf¬ 
nahmen 1081. 

Typose, centrale 476. 

Cebererregbarkeit, anodische 
der Säuglinge 468. 

Übergangswindungen, cf.Gyri. 

Übungstherapie 29. 

Unbewußte 1087. 

Unfall, s. Trauma. 

Unfallgesetze u. deren klinische 
Folgen 625. 

Unfallverletzte *191. *334. 

Unterbringung Geisteskranker 
430. 431. 432. 

Unterhautzellgewebe, Atroph, 
desselben 1072. 

Unzurechnungsfahigkeitspara- 
graph872.1147.1148. 1149. 
1150. 1151. 

Uranismus 417. 

Vagus, intrabulbäre Verbin¬ 
dungen mit Trigeminus 270. 
—\Ursprünge desselben *779. 
403. 894. 1119.— Ursprung 
des Lungenvagus 756. — 
Reizung desselben 849. — 
Ursprungskerne 894. — 

Lähmung bei Syringobulbie 
1115. 

Vasomotorencentrum 217. 

1010. 

Vasomotorische Neurosen 634. 
684. — u. Gefäße dabei 638. 

Ventrikelblutungen u. Lumbal¬ 
punktion 962. 

Ventrikelpunktion 962. 

Verbrechen, psych. Prozesse 
dabei 981. — der Greise 
1030. 

Verbrecher, angeborener 729. 

Verdeutschung 683. 

Vererbungsproblem 972. 

Vergiftung *495. *782. *878. 
— mit Quecksilber 458. — 
durch Lumbalinjekt. 459. 

Veronal 865. 

VeronalVergiftung *495. 900 
(3). 901. 

Verstopfung, Behandlung der¬ 
selben 427. 

Verwirrtheit, halluzinat., cf. 
Delirium hallucinat — mit 
Glykosurie u. Achondropla- 
sie 1146. 

Vibration u. Nervensystem 849. 

Vibrationsgef&hl 168. 


Vicq d’Azyrscher Streifen > 

Vierbügel, hintere, Funfc- 
derselben 922. 

Vorbeireden 238. 

Vorderhornzellen, Kern¬ 
teilungen in denselben ^ 

Vorstellung u. Wahrnehmr: 
942. 

Wadenkrämpfe i m orieii 
lischen Gebiet 792. 

Wahnideen, paranoische 7:' 

Wahnvorstellungen 1072. 

Wahrnehmung u. Vorstell: - 
942. 

Wallersche Degeneration v’- 

Wärmecentren *188. 

Wärmeregulierung 453. 

Winduogen, cf. Gyros. 

Wirbelcaries 579. 

Wirbelgeschwülste 1077. 

Wirbelsäule *333. *781. *?r 
— Krebsgeschwulst 58*. - 
Erkrankung ders. (Ta<i: 
vertebrae) 1017. — cter 
Rheumat derselben VA" 
— cf. Spondyl. rhizomd. - 
Auskultation derselben 107t 

Worttaubheit, funköoneiJe 
532. 

Wurzeln des Rückenmarks 
hintere Durchschneiden* 
u. Bewegung der Vögel 
u. 758 — hintere. normal* 
u. patliol. Anatomie d<r± 
757. — experiment. Dureh- 
schneidnng derselben 75? 

— Entzünd, derselben kl¬ 
einer Stute 760. — secsibie 
der Med. oblong. 757. 

Zeichnungen von Geistes¬ 
kranken 414. 

Zeugenaussagen 272. 

Zirbeldrüse, cf. Glandula 
pinealis. 1 

Zittern, cf. Tremor. 

Zonaartigc Ecchymosen 

Zunahme von Nerven- u. 
Geisteskranke 985. 

Zungenneuralgie 1125. 

Zurechnungsfähigkeit 372.87-, 
981 (2). 982. 1032. 1CÄ 
1034. 1148. — vermindev. 
183. 233. 375. 377.981.103?-. 

Zwangsbewegungen, auto¬ 
matische 724. 

Zwangsvorgange 327. 367. 

Zwangsvorstellungen 680. 
*1040. — forens. Bedeutung 
613. 

Zwillingsirresein 415. 


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Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird ge beten. 

Einsendungen für die Redaktion sind zu richten an Dr. Kurt Hendel 

in Berlin NW, Luisenstr. 21. _ _ ^ 

Toiglßp & Comp, in Leipzig. — Druck von M^zgkb & Wim« in Leippg. 





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